Vertragliche Schuldverhältnisse [2 ed.] 9783161554681, 316155468X

Jürgen Oechsler bietet eine umfassende Darstellung des deutschen Vertragsrechts und seiner Prägung durch das Europarecht

285 114 5MB

German Pages 1124 [1166] Year 2017

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Table of contents :
Vorwort zur zweiten Auflage
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsund Schriftenverzeichnis
§ 1 Einleitung
§ 2 Der Kaufvertrag
§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte
§ 4 Leasinggeschäfte
§ 5 Unentgeltliche Verträge
§ 6 Miete und Pacht
§ 7 Dienstund Behandlungsvertrag
§ 8 Der Werkvertrag
§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung
§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation
§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag
§ 12 Der Bürgschaftsvertrag
§ 13 Sonstige Verträge
Paragraphenverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Vertragliche Schuldverhältnisse [2 ed.]
 9783161554681, 316155468X

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Lehrbuch des Privatrechts herausgegeben von Reinhard Bork

Vertragliche Schuldverhältnisse von

Jürgen Oechsler

2., neubearbeitete Auflage

Mohr Siebeck

Jürgen Oechsler, geboren 1963; seit 2003 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Handelsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

ISBN 978-3-16-155468-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 1. Auflage 2013 © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort zur zweiten Auflage Seit der ersten Auflage hat der Gesetzgeber beinahe sämtliche Vertragstypen in unterschiedlicher Intensität neu geordnet. Die inhaltlichen Arbeiten am vorliegenden Werk wurden Ende März 2017 abgeschlossen; der Text nimmt dennoch die am 1. Januar 2018 in Kraft tretende und durch das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung bedingte neue Zählung der Vorschriften vorweg. Die tiefgreifendste Änderung bewirkt zurzeit jedoch das aus dem europäischen Privatrecht stammende Konzept der Vollharmonisierung (Rn. 36a). Mit ihm verbinden sich neue methodische Herausforderungen bei der Anwendung des Zivilrechts und möglicherweise auch eine Neuorientierung im Hinblick auf die Lehre vom subjektiven Recht. Die zentrale Neuerung des vollharmonisierenden Europarechts beruht darauf, dass der Rechtsvereinheitlichung neben dem Verbraucherschutz gleicher Rang eingeräumt wird. Die Erreichung des Vereinheitlichungsziels erzwingt dabei abstrakt-generelle Tatbestände mit pauschal gefassten Schutzzwecken, die die Rechtsfortbildung im Einzelfall zugunsten einer uniformen Normanwendung zurückdrängen. Analogien und teleologische Reduktionen, die etwa die Konkretisierung des Haustürwiderrufsrechts nach § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB aF. noch in weiten Bereichen bestimmten, treten deshalb bei der Anwendung des neuen § 312b BGB deutlich zurück (vgl. die Rn. 560 ff. der Erst- und Zweitauflage). Die Grenzen der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB lassen sich dort nur schwer konkretisieren, wo der Eintritt einer Rechtsfolge von abstrakt-generellen Regelungszwecken abhängt, die sich weit von den Interessenkonflikten des Einzelfalls entfernen (Rn. 539). Der Verbraucher, auf dessen vorhandene oder fehlende Schutzwürdigkeit es deshalb im Einzelfall nicht immer so genau ankommt, wirkt in diesem Zusammenhang bisweilen wie ein mit Aktivlegitimation ausgestatteter Funktionär, der im Dienste der rechtlichen Integration des Binnenmarktes tätig wird: Die Durchsetzung, aber auch die Abweisung seiner Ansprüche leistet jeweils einen Kleinstbeitrag zur Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts um den Preis, dass Sieg oder Niederlage nicht immer zwingend aus der persönlichen oder sachlichen Interessenbetroffenheit im Einzelfall begründet werden können. Den Gesetzgeber hingegen verleitet die Sorge um die Wahrung der Rechtseinheitlichkeit dazu, auch wegen vergleichsweise geringfügiger Änderungen in der Sache ganze Normensysteme umzupflügen und durch neue, an den Richtlinientexten orientierte Ordnungen zu ersetzen; der Entwurf der Bundesregierung zum neuen Reisevertragsrecht liefert dafür ein Beispiel. Eine Umbesinnung verbindet sich auch mit den Unvollkommenheiten der Richtlinientexte selbst: Die Offenheit der dort vorgesehenen Tatbestände und die umfassende

VI

Vorwort zur zweiten Auflage

Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe stehen den Vereinheitlichungszielen eigentlich entgegen. Sie führen in vielen Fällen unvermeidbar dazu, dass kleinste Rechtsanwendungsfragen zum Gegenstand von Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof werden. Die Vorlagepflicht senkt wiederum die Bereitschaft, im Einzelfall über ein enges Wortlautverständnis hinauszugehen oder dieses nach teleologischen Gesichtspunkten einzuschränken. Wie immer man diese Entwicklung beurteilen mag, sie dürfte Gegenstand für eine anregende Grundlagenerörterung liefern, zu der das vorliegende Werk hoffentlich einen bescheidenen Beitrag leistet. Ein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern an meinem Mainzer Lehrstuhl für die Bewältigung der umfangreichen Korrekturarbeiten. An erster Stelle steht dabei Frau Elitza Mihaylova, LL.M. (Yale), die diesen komplexen Prozess mit großem persönlichem Engagement geleitet und koordiniert hat. Ihr verdanke ich eine Vielzahl scharfsinniger Beobachtungen und origineller, teils tiefdringender Ergänzungsvorschläge. Auch den übrigen Mitarbeitern – Frau Christine Beneke DIAP (ENA), Frau Luisa Dörrhöfer, Frau Lisa-Marie Mellah und Herrn Lukas Prinz – bin ich für den scharfen Blick bei der Korrektur und für wertvolle inhaltliche Anregungen sehr verbunden. Mainz, im Juni 2017

Inhaltsübersicht Seite

Rn.

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . XXXI § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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66 184 241 243 287 299 349 349 360

78 232 322 329 392 414 484 484 501

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361 378 381

502 528 535

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384 384 399

538 538 560

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414

584

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424 424 424 455

599 599 600 644

§ 2 Der Kaufvertrag

A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Käuferrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Lieferanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . III. Die Rückgewähr des Kaufpreises . . . . . . . . IV. Minderung des Kaufpreises (§§ 437 Nr. 2, 441) V. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Aufwendungsersatz (§ 284) . . . . . . . . . . . . VII. Übergreifende Fragen . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechte des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Kaufpreisanspruch . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rückgriffsrechte des Verkäufers gegenüber dem Lieferanten beim Verbrauchsgüterkauf . . . . . D. Sonderformen des Kaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Der Tauschvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Widerruf von AGAV . . . . . . . . . . . . G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gelddarlehen . . . . . . . . . . III. Der Verbraucherdarlehensvertrag .

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VIII

Inhaltsübersicht

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Seite 496 501 503 505

Rn. 693 702 706 708

§ 4 Leasinggeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

508

711

I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsabschluss und -inhalt . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant . . . . . .

508 512

711 715

518

722

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540

754

I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

540 555

754 771

§ 6 Miete und Pacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

578

802

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578 581 588

802 807 815

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647 893 666 917 747 1015

§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag . . . . . . . . . . . . .

750 1019

I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Rechtsanwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Behandlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . .

750 1019 766 1040 784 1060

§ 8 Der Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

805 1084

IV. V. VI. VII.

Sonstige Finanzierungshilfen Die Teilzahlungsgeschäfte . Der Ratenlieferungsvertrag . Das Sachdarlehen . . . . . .

§ 5 Unentgeltliche Verträge

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I. II. III. IV.

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . Der Vertragsschluss . . . . . . . . . . Die Mieterrechte . . . . . . . . . . . . Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten . . . . . . . . . . . . . V. Die Vermieterrechte . . . . . . . . . . VI. Der Pachtvertrag . . . . . . . . . . .

I. II. III. IV. V. VI.

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . Der Vertragsschluss . . . . . . . . . . Ansprüche und Rechte des Bestellers Anspruchsübergreifende Probleme . Rechte des Unternehmers . . . . . . Der Werklieferungsvertrag . . . . . .

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechte des Reisenden . . . . . . . . . . . . . . . .

805 808 811 835 846 876

1084 1089 1091 1126 1137 1176

882 1186 882 1186 895 1203

IX

Inhaltsübersicht

III. Die Insolvenzsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Fluggastrechteverordnung . . . . . . . . . . . . . .

Seite Rn. 915 1234 917 1235

§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

928 1247

I. Der Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ehevermittlungsprovision und andere Naturalobligationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

928 1247

§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag . . . . . . . . . . . . .

953 1276

I. II. III. IV.

Grundlagen . . . . . . . . . Der Anlageberatungsvertrag Die Auskunftshaftung . . . . Der Zahlungsverkehr . . . .

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949 1272

. 953 . 962 . 982 . 1002

1276 1287 1314 1335

§ 12 Der Bürgschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1027 1358 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Leistungspflichten des Bürgen (Bürgschaft auf erstes Anfordern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Einreden des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Untergang der Bürgschaft, insbesondere § 767 VI. Der Bürgenregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 1027 1358 . . 1027 1359 . . . .

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1053 1056 1066 1070

1389 1392 1405 1407

§ 13 Sonstige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 1414 I. Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen und Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 1414 II. Auslobung und Gewinnzusage . . . . . . . . . . . . . . 1083 1423 III. Die Gastwirtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1088 1426 Paragraphenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1093 1100

Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . XXXI § 1 Einleitung 1. Die dogmatischen Grundlagen der §§ 433 ff. . . . . . . a) Die Lehre von der Vertragsnatur und das Prinzip von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das sog. „Willensdogma“ . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verschuldensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich und praktische Funktionen der im Gesetz normierten Vertragstypen . . . . . . . . . . a) Die typologische Zuordnung . . . . . . . . . . . . . b) Die praktische Bedeutung der §§ 433 ff. . . . . . . . aa) Der Leitbildcharakter des dispositiven Rechts . bb) Vertragsergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einflüsse, Reformen und Entwicklungen . . . . . . . . a) Die ökonomische Analyse des Vertragsrechts . . . . b) Die Drittwirkung der Grundrechte im Vertragsrecht c) Die Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auf dem Weg zu einem europäischen Vertragsrecht

Rn.

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1 6 9

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15 15 23 24 26 31 37 37 44 46 48

A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

53

B. Käuferrechte

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54

47 47 50 50 53 55 57 59 59

54 54 57 57 62 65 68 71 71

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§ 2 Der Kaufvertrag

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Der Lieferanspruch . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einigung über den Vertragsinhalt . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragsgegenstand . . . . . . . . . . . c) Verkauf von Rechten . . . . . . . . . . d) Grenz- und Streitfälle . . . . . . . . . 3. Einwendungen gegen den Lieferanspruch a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII

Inhaltsverzeichnis

b) Die Leistungsgefahr . . . . . . . . . aa) Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 bb) Das Leistungsverweigerungsrecht § 275 Abs. 2 Satz 1 . . . . . . . .

Seite . . . . . . . 61 . . . . . . 61 nach . . . . . . . 63

II. Der Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis zum ursprünglichen Erfüllungsanspruch nach § 433 Abs. 1 Satz 1 . . . . a) Übergabe bei der Stückschuld . . . . . . . . . . . b) Annahmeverzug und Zurückweisungsrecht . . . c) Gattungsschuld und Käuferbilligung . . . . . . . d) Versendungskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nacherfüllungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachmangel (§ 434) . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . (1) Eigenschaften, die der Beschaffenheitsvereinbarung zugänglich sind . . . . . . . (2) Vereinbarung über die Beschaffenheit . . (3) Maßgeblicher Zeitpunkt der Abweichung von der Beschaffenheitsvereinbarung . . cc) Die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) . . . dd) Die Normalbeschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . ee) Werbeaussagen des Herstellers (§ 434 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . ff) Montagemängel (§ 434 Abs. 2) . . . . . . . . gg) Lieferung einer anderen Sache (§ 434 Abs. 3) und Sonderfälle des Mangels . . . . . . . . . (1) Die Extremabweichung und das Problem der Flucht in die Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Meliuslieferung und § 241a . . . . . (3) Die Individualabweichung . . . . . . . . (4) Das Identitätsaliud . . . . . . . . . . . . hh) Quantitätsabweichungen . . . . . . . . . . . b) Rechtsmängel und öffentliche Lasten . . . . . . . aa) Begriff des Rechtsmangels . . . . . . . . . . .

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XIII

Inhaltsverzeichnis

bb) Probleme bei der Eigentumsverschaffung, ursprüngliche Unmöglichkeit und dingliche Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Öffentliche Lasten auf dem Eigentum und öffentlich-rechtliche Beschränkungen . . . dd) Persönliche Ansprüche Dritter . . . . . . . ee) Persönlichkeitsrechte und Immaterialgüter ff) Forderungs- und Rechtskauf . . . . . . . . c) Minimale Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweislast, insbesondere § 476 . . . . . . . . . 4. Die Rechtsfolgen der Nacherfüllung . . . . . . . . a) Wahlrecht und verhaltener Anspruch . . . . . . b) Das Ius variandi bei der Nacherfüllung . . . . c) Nachlieferung bei der Stückschuld . . . . . . . d) Der Inhalt des Nachlieferungsanspruchs . . . . aa) Der sachliche Gegenstand (Ausbau, Abwendung durch Geldzahlung usw.) . . . bb) Der Leistungsort der Nacherfüllung . . . . e) Einschränkung des Wahlrechts durch das Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers aus § 439 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anforderungen an die Ausübung des Nacherfüllungsverlangens bzw. die Nachfristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Nacherfüllungsverlangen als Mahnung . . h) Der mit der Nachfristsetzung eintretende Schwebezustand und Revision übereilter Entscheidungen des Käufers . . . . . . . . . . . aa) Nacherfüllung nach Ablauf der Nachfrist . bb) Beendigung des Schwebezustandes durch den Verkäufer? . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Rücktritt“ vom Nacherfüllungsverlangen, vom Rücktritt und vom Schadensersatzverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schutz bei übereilter Anfechtung . . . . . . i) Kein Selbstvornahmerecht des Käufers . . . . . k) Unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen . . . . l) Kein Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Beschädigung der Kaufsache durch die Nacherfüllungshandlung (Risikoverteilung bei der Nacherfüllung) . . . . . . . . . . . . . . . .

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XIV

Inhaltsverzeichnis

n) Verbesserung der Kaufsache durch die Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Nutzungsersatz bei der Nachlieferung . . . p) Die Mängeleinrede (Zurückbehaltungsrecht aus § 320) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. § 439 Abs. 2 als Anspruchsgrundlage . . . . .

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III. Die Rückgewähr des Kaufpreises . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . a) Rücktrittsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Teilrücktritt und Inzahlungnahme . . . . . bb) Erheblichkeit der Pflichtverletzung . . . . . b) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachfristsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung . (1) Endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 und § 440 Satz 1 erster Fall) . . . . . . . . . (2) Fehlschlagen des Nachbesserungsversuchs (§ 440 Satz 1 zweiter Fall) . . (3) Unzumutbarkeit (§ 440 Satz 1 dritter Fall) . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Relative Fixgeschäfte (§ 323 Abs. 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . . (5) Besondere Gründe (§ 323 Abs. 2 Nr. 3) . . . . . . . . . . . (6) Unmöglichkeit der Nacherfüllung . . . c) Rücktrittserklärung nach § 323 Abs. 4 . . . . . d) Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen des Rücktritts . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gleichlauf mit dem Bereicherungsrecht . . c) Der Rückgewähranspruch (§ 346 Abs. 1) . . . . d) Der Wertersatzanspruch (§ 346 Abs. 2) . . . . . aa) Überblick über das Verhältnis von Schadensersatz und Wertersatz . . . . . . . bb) Der Übergang von § 346 Abs. 1 auf Abs. 2 cc) Der Schutz des subjektiven Äquivalenzverhältnisses nach § 346 Abs. 2 Satz 2 . . . dd) Tatbestände (§ 346 Abs. 2 Satz 1, § 347 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

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(1) Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 347 Abs. 1 . . . . . . . . . . (2) Verbrauch, Belastung usw. nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 . . . . . . . . . (3) Wertersatzhaftung nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 . . . . . . . . . ee) Ausschluss der Ersatzpflicht (§ 346 Abs. 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . (1) Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nr. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schadensersatz (§ 346 Abs. 4) . . . . . . . . . . . f) Verwendungsersatz (§ 347 Abs. 2) . . . . . . . . g) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Minderung des Kaufpreises (§§ 437 Nr. 2, 441)

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V. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das System des Schadensersatzes im Kaufrecht . . 2. § 281 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schadensersatz statt der Leistung . . . . . . . . aa) Das Abgrenzungsproblem . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen vom Nachfristsetzungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verschulden und Erfüllungsgehilfenhaftung (§§ 276, 278) . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Garantien, insbesondere Beschaffenheitsgarantien des Verkäufers . . . . . . . . . . . dd) Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kombination des Schadensersatzanspruchs mit Rücktritt und Minderung (§ 325) . . . . . . . a) Möglichkeiten der Schadensberechnung . . . . b) Die zulässige Berechnungsmethode vor Ausübung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . c) Die zulässige Berechnungsmethode nach Ausübung des Rücktrittsrechts . . . . . . . . . 4. Schadensersatz neben der Leistung (Mangelfolgeschaden) . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verzögerungsschäden: Nutzungsausfallschaden, Betriebsausfallschaden . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schadensersatz bei ursprünglichen und unbehebbaren Mängeln . . . . . . . . . . . . . . .

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Seite 7. Einfache Nichtleistung und Unmöglichkeit . . . . . 285 8. Verletzung einer Nebenpflicht . . . . . . . . . . . . 285 VI. Aufwendungsersatz (§ 284) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung b) Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Billigkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zweckverfehlung der Aufwendungen . . . . . . e) Kein Ersatz bei von Pflichtverletzung unabhängiger Zweckverfehlung . . . . . . . . . f) Vorteilsausgleich und Gegenansprüche . . . . . g) Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Übergreifende Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbrauchsgüterkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Garantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haltbarkeitsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Garantiewirkungen . . . . . . . . . . . . d) Herstellergarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Gewährleistungsausschluss . . . . . . . . . . . . a) Durch Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 475 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 309 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) § 307, insbesondere Grundstückskäufe . . . b) Gesetzlicher Haftungsausschluss nach § 442 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragliche und gesetzliche Haftungsbeschränkung bei öffentlichen Versteigerungen (§ 445 und § 447 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . d) Unwirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses bei arglistigem Verschweigen . . . . . . . . . . . e) Partielle Unwirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses bei Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Rechtsfolgen des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses in der Lieferkette und § 285 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Rechte des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Abnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Sonderformen des Kaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Der Tauschvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Kettenverjährung . . . . . . . . c) Verjährungsbeginn . . . . . . . d) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolgen der Verjährung . 5. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . a) Culpa in contrahendo . . . . . b) Anfechtungstatbestände . . . . c) Wegfall der Geschäftsgrundlage

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I. Der Kaufpreisanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preisgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 326 Abs. 1 Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 446 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 447 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betroffene Risiken . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Grundkonstellation der Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB . . . . . . . . . . III. Rückgriffsrechte des Verkäufers gegenüber dem Lieferanten beim Verbrauchsgüterkauf . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung (§ 478 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Aufwendungsersatzanspruch aus § 478 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rügeobliegenheit nach § 377 HGB . . . . 5. Haftungsausschluss im Verhältnis zwischen Lieferant und Verkäufer . . . . . . . . . . . . . 6. Beweislastverteilung und Ablaufhemmung der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anwendung in der Lieferkette . . . . . . . . .

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III. Fernabsatzgeschäft, Online-Warenhandel und E-Commerce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Teilzeitwohnrechte

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2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rückgewährpflicht . . . . . . . . . . . . . c) Die Nutzungsersatzhaftung des Verbrauchers d) Die Haftung für Wertverlust . . . . . . . . . e) Die Anwendbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft . . . . . . . . . . . . f) Keine Haftung im Übrigen . . . . . . . . . . II. Der Widerruf von AGAV . . 1. Überblick . . . . . . . . . . 2. Der Anwendungsbereich im 3. Konkurrenzen . . . . . . .

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G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abtretungsprobleme . . . . . . . . . . . . 3. Kollision zwischen Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtslage beim echten Factoring c) Die unechte Factoring-Globalzession . 4. Insolvenzfestigkeit . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gelddarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustandekommen des Vertrages . . . . . . . . a) Konsensualvertrag . . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrigkeit und bereicherungsrechtliche Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Leistungspflichten des Darlehensnehmers a) Rückzahlungspflicht . . . . . . . . . . . . . b) Zinszahlungspflicht und Zinsanpassungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kontrollfähige Nebenleistungspflichten . .

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4. Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtabnahme des Darlehens . . . . . . . . . b) Zahlungsverzug des Darlehensnehmers . . . . c) Nichtauszahlung des Darlehens . . . . . . . . d) Isolierte Abtretung von Darlehensforderung und Grundschuld . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schutzpflichtverletzungen (Aufklärungspflichten, Bankgeheimnis) . . . . . . . . . . . 5. Kündigung und Vorfälligkeitsentschädigung . . 6. Das Sparbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . b) Verträge zugunsten Dritter . . . . . . . . . . c) Wertpapiercharakter und Liberationsfunktion des Sparbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Der Verbraucherdarlehensvertrag . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Anwendungsbereich der Verbraucherschutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formerfordernisse, Beratungs- und Prüfpflichten sowie die Rechtsfolgen ihrer Verletzung . . . . . 4. Der Einwendungsdurchgriff gemäß § 359 Satz 1 und außerhalb dieser Norm . . . . . . . . . . . . . 5. Das Widerrufsrecht und der Widerrufsdurchgriff bei wirtschaftlicher Einheit . . . . . . . . . . . . . 6. Die Nachbildung des Einwendungs- und Widerrufsdurchgriffs beim Immobiliardarlehen . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überschreitung der Rolle eines Darlehensgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verantwortlichkeit für einen besonderen Gefährdungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . d) Schwerer Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . e) Wissensvorsprung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Institutionalisiertes Zusammenwirken . . . bb) Sonderfall sittenwidrig überteuerter Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beschränkung auf arglistiges Verhalten des Geschäftspartners . . . . . . . . . . . . . . f) Verletzung der Widerrufsbelehrungspflicht; keine Wertermittlungspflicht . . . . . . . . . . 7. Rückforderungsdurchgriff? . . . . . . . . . . . . . 8. Kündigung bei qualifiziertem Zahlungsverzug . .

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Seite IV. Sonstige Finanzierungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . 496 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 2. Der entgeltliche Zahlungsaufschub . . . . . . . . . . 497 3. Die entsprechende Anwendung auf persönliche Sicherungsgeber (Schuldbeitritt, Vertragsübernahme, nicht aber Bürgschaft) . . . . . . . . . . . . 498 V. Die Teilzahlungsgeschäfte

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VI. Der Ratenlieferungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Vollamortisationsprinzip . . . . . . . . . . . . .

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VII. Das Sachdarlehen § 4 Leasinggeschäfte

II. Vertragsabschluss und -inhalt . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragsanbahnung und Vertragsschluss . . . . . . 2. Der Streit um die Rechtsnatur des Finanzierungsleasings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Lieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Verteilung von Leistungs- und Gegenleistungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant . . . . . 1. Die Bedeutung der Abtretungskonstruktion . . . 2. Kritik an der Abtretungskonstruktion und Inhalt der Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die arglistige Täuschung des Leasingnehmers durch den Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rüge nach § 377 Abs. 1 HGB . . . . . . . . . 5. Die Anwendbarkeit des § 278 Satz 1 im Verhältnis von Leasinggeber und Lieferant . . . . . . . . . . 6. Keine Anwendbarkeit der §§ 474 ff. . . . . . . . . 7. Keine Anwendbarkeit des § 359 . . . . . . . . . . 8. Der Rücktritt wegen eines Mangels der Leasingsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der Ersatz des Nutzungsausfallschadens beim Leasingnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die Anwendung des § 7 Abs. 1 StVG im Verhältnis zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Sonstige Leasingformen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Verbraucherschutz und Vertragsbeendigung 1. § 506 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ordentliche Vertragsbeendigung . . . 3. Die außerordentliche Vertragsbeendigung

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§ 5 Unentgeltliche Verträge I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einfluss der Unentgeltlichkeit auf den Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine allgemeine Haftungsbeschränkung . . b) Schutzpflichtverletzungen in unentgeltlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkludenter Haftungsausschluss in unentgeltlichen Verträgen . . . . . . . . . . 3. Leihe und Verwahrung . . . . . . . . . . . . .

II. Die Schenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unentgeltliche Bereicherung . . . . . . . . . . . a) Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung . . bb) Unbenannte Zuwendungen . . . . . . . . b) Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Remuneratorische Schenkungen und Schenkungen mit Anreizwirkung . . . . . bb) Gemischte Schenkung . . . . . . . . . . . 3. Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 518 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 2301 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rückforderungsrechte des Schenkenden und des Trägers der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Widerrufsrecht wegen groben Undanks . . 6. Schenkkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sonderformen der Schenkung . . . . . . . . . .

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II. Der Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Form des § 550 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 6 Miete und Pacht I. Grundlagen

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2. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufklärungspflichtverletzung des Vermieters . . b) Aufklärungspflichtverletzung des Mieters . . . . III. Die Mieterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Gebrauchsüberlassungsanspruch des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dauerschuldcharakter . . . . . . . . . . . . bb) Instandhaltung und Instandsetzung (Kleinreparatur- und Beteiligungsklauseln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einfluss der Grundrechte . . . . . . . . . . dd) Konkurrenzschutz . . . . . . . . . . . . . . ee) Barrierefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechte von Angehörigen und der in einem auf Dauer angelegten Haushalt mit dem Mieter Lebenden . . . . . . . . . . . . . . . bb) Untermiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis der Mieter untereinander . . . . 2. Überblick über das mietvertragliche Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschluss des Minderungsrechts wegen Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz vor Missbrauch des Minderungsrechts und vor Beschränkung bei der Geschäftsraummiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Mangel als Voraussetzung der Minderung aa) Sachmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zugesicherte Eigenschaften . . . . . . . . . 4. Das Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . 5. Der Mängelbeseitigungsanspruch . . . . . . . . . . 6. Der Schadensersatzanspruch nach § 536a Abs. 1 . a) Überblick und Ersatz des Schadens neben der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Garantiehaftung nach § 536a Abs. 1 erster Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick und Entstehungsgeschichte . . .

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bb) Tatbestand und Versuche der teleologischen Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte und Drittschadensliquidation . . . . . . . . dd) Anwendung des § 536a Abs. 1 erster Fall auf den unbehebbaren Mangel vor Vollzug der Miete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 536a Abs. 1 zweiter Fall . . . . . . . . . . . . d) § 536a Abs. 1 dritter Fall . . . . . . . . . . . . . 7. Aufwendungs- und Verwendungsersatz . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung, Aufwendungsersatz und Verwendungsersatz nach § 284 . . . . . . . . . c) Verjährung nach § 548 Abs. 2 . . . . . . . . . . IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wechsel des Vermieters durch Verkauf der Mietsache (§ 566) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertraglicher Ausschluss des Kündigungsrechts 3. Mieterschutz bei der Bildung von Wohnungseigentum (§§ 577 f.) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haftungsausschluss und Verjährung . . . . . . a) Ausschluss der Haftung des Vermieters . . b) Haftungsfreistellung des Mieters bei der Kfz-Vermietung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gleichbehandlungsgesetz . . . . . . . . . . . .

V. Die Vermieterrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Anspruch auf die Miete . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mietpreisbremse . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mieterhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gegenleistungsgefahr bei persönlicher Verhinderung des Mieters und die Stellung von „Nachmietern“ . . . . . . . . . . . . . . . e) Sicherung der Miete durch das Vermieterpfandrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Sicherung der Miete durch Kaution . . . . . . aa) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kein Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . cc) Das Prinzip der Vermögenstrennung und die Aussonderung in der Insolvenz . . .

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dd) Anlegerentschädigung bei Spareinlagen ee) Rechtsnachfolge beim Verkauf der Mietwohnung gem. § 566a . . . . . . . . Der Anspruch auf Ersatz der Betriebs- und Heizkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umlagefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pauschalen und Vorauszahlungen (§ 556 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abrechnung der Betriebskosten . . . . . . . . e) Präklusion von Ansprüchen . . . . . . . . . . f) Zwang zur Abrechnung bei der Geschäftsraummiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Wärmecontracting . . . . . . . . . . . . . . . Schönheitsreparaturen . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begriff der Schönheitsreparatur . . . . . c) Inhaltliche Wirksamkeit aufgrund der Entgeltthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rückabwicklung bei nicht geschuldeter Schönheitsreparatur . . . . . . . . . . . . . . . e) Verjährung der Ansprüche wegen nicht geschuldeter Schönheitsreparatur . . . . . . . f) Kein berechtigtes Mieterhöhungsverlangen infolge Unwirksamkeit der vorformulierten Schönheitsreparaturpflicht . . . . . . . . . . . Ansprüche im Hinblick auf den Gebrauch der Sache durch den Mieter . . . . . . . . . . . . a) Vertragsgemäßer und vertragswidriger Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Kündigungsrecht bei vertragswidrigem Gebrauch nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 und § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 . . . . . . . . . . . c) Die Verjährung nach § 548 Abs. 1 . . . . . . . Besondere Duldungsansprüche gegen den Mieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen b) Die Umlage von Modernisierungskosten (§ 559 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Störerhaftung des Mieters aus § 1004 . . . . . d) Duldungspflichten der Mieter untereinander .

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6. Der Anspruch auf Rückgabe der Mietsache; Räumungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwangskauf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Durchsetzung des Räumungsanspruchs . . . . . 7. Die ordentliche Kündigung durch den Vermieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kündigung wegen Mieterverhaltens (§ 573 Abs. 2 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigenbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Formelle Begründung der Eigenbedarfskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unzureichende Begründung des Eigenbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vortäuschung von Eigenbedarf . . . . . . . . ee) Nachträglicher Wegfall des Eigenbedarfs . . ff) Missbrauchsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Verwertungskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die erleichterte Kündigung nach § 573a Abs. 1 Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Verbot der Teilkündigung . . . . . . . . . . 8. Die außerordentliche Kündigung nach §§ 543, 569 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Zahlungsverzug des Mieters (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . b) Die Parallelanwendung der §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 573 Abs. 2 Nr. 1 beim Zahlungsverzug des Mieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung von Geschäftsverbindungsbräuchen beim Zahlungsverzug . . . . . . . . . . d) Ausübungsfrist für die außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Form der außerordentlichen Kündigung . . f) Einschränkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtsverfolgungskosten bei der außerordentlichen Kündigung . . . . . . . . . . . VI. Der Pachtvertrag

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ordentliche Kündigung nach § 621 und die fristlose Kündigung nach § 627 . . . . . b) Die außerordentliche Kündigung nach § 626 II. Der Rechtsanwaltsvertrag . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beratungspflichten . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung für Beratungsfehler der Sozietät 4. Interessenkonflikt . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einschränkung der Haftung nach dem Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . 7. Sekundärverjährung . . . . . . . . . . . .

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III. Der Behandlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Arzthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . b) Voll beherrschbare Risiken . . . . . . . . . . c) Aufklärungsfehler und fehlende Einwilligung d) Vorrang der Nacherfüllung . . . . . . . . . .

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§ 8 Der Werkvertrag I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Erfolgsbezogenheit als charakteristisches Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zum Dienstvertrag . . . . . . . . . . .

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II. Der Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Ansprüche und Rechte des Bestellers . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Herstellungsanspruch . . . . . . . . . 3. Der Nacherfüllungsanspruch des Bestellers a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Nacherfüllungsgrund . . . . . . . . aa) Sachmangel . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Rechtsmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . c) Anspruchsinhalt und sonstige Rechtsfolgen . . . Das Selbstvornahmerecht des Bestellers . . . . . . . Der Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Schadensersatzanspruch des Bestellers . . . . . a) Das Problem des unbehebbaren Mangels . . . . . b) § 251 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Anwendbarkeit des § 281 Abs. 1 Satz 1 und das Verhältnis zu § 823 Abs. 1 . . . . . . . . . . d) Die Haftung für Aufklärungspflichtverletzungen und ihr Verhältnis zur Mängelhaftung . . . . . . Das Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln nach § 641 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die außerordentliche Kündigung nach § 648 und § 648a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Anspruchsübergreifende Probleme . . . . . . . 1. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . 3. Überblick über den Bauvertrag und ähnliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Rechte des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . 1. Anspruch auf Abnahme . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung und Wesen der Abnahme . . . . . b) Die Voraussetzungen der Abnahme . . . . . c) Abnahmepflicht und Abnahmeobliegenheit . d) Pflicht zur Feststellung des Werkzustands bei Verweigerung der Abnahme . . . . . . . . . . 2. Der Vergütungsanspruch . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherung des Vergütungsanspruchs . . . . . aa) Das Werkunternehmerpfandrecht . . . . bb) Die Bauhandwerkersicherungshypothek . cc) Bauhandwerkersicherung . . . . . . . . . d) Gegenleistungs- bzw. Vergütungsgefahr . . . 3. Obliegenheiten und Pflichten des Bestellers zur Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Der Werklieferungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Seite 2. Ansätze zu einer teleologischen Reduktion des Normanwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . .

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . . . . 2. Die beteiligten Personen und ihre Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . a) Reiseveranstalter und Reisender . . . . . . b) Reisebüro . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leistungsträger . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der sachliche Anwendungsbereich: Reiseveranstaltungs- und Reisevermittlungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Rechte des Reisenden . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewährleistungsrechte . . . . . . . . . . . . . . a) Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Reisemangel als Abhilfegrund . . . cc) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Selbstabhilfe . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Minderung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Kündigung wegen erheblich beeinträchtigenden Mangels . . . . . . . . . e) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermögensschäden . . . . . . . . . . . . bb) Entgangene Urlaubsfreude . . . . . . . f) Gewährleistungsausschluss und Verjährung 3. Besondere Lösungsrechte . . . . . . . . . . . . a) Rücktritt vor Reisebeginn . . . . . . . . . . b) Kündigung bzw. Rücktritt wegen höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1189 1189 1192 1193

889 1196

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895 895 896 896 896 896 899 900 902

1203 1203 1204 1204 1204 1205 1209 1210 1211

. . . . . . .

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904 906 906 909 911 911 911

1214 1221 1221 1225 1229 1231 1231

. . .

912 1232

III. Die Insolvenzsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

915 1234

IV. Die Fluggastrechteverordnung . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . 2. Verspätung (Art. 6 VO) . . . . 3. Annullierung (Art. 5 VO) . . . 4. Nichtbeförderung (Art. 4 VO)

917 917 918 921 924

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1235 1235 1237 1241 1243

XXIX

Inhaltsverzeichnis

Seite

Rn.

§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation I. Der Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Provisionsanspruch des Maklers . . . . . a) Zustandekommen des Maklervertrages . . . b) Zustandekommen des Hauptvertrages . . . c) Kausalität der Leistungen des Maklers . . . d) Fehlende wirtschaftliche Verflechtung von Makler und Gegenseite des Hauptvertrages e) Verlust des Anspruchs nach § 654 . . . . . . 3. Die Maklerklausel (Courtageklausel) . . . . . 4. Maklerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besondere Formen des Maklervertrages . . . .

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928 928 929 930 935 937

1247 1247 1250 1251 1254 1258

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939 942 944 947 948

1261 1264 1266 1268 1269

II. Ehevermittlungsprovision und andere Naturalobligationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 656 und die Partnerschaftsvermittlungsverträge . . 2. Spiel und Wette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

949 1272 949 1272 951 1275

§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . 2. Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Anlageberatungsvertrag . . . . . . . . . . . . . 1. Das Disclosure-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lehre vom Anlageberatungsvertrag . . . . . 3. Stillschweigender Vertragsschluss und Haftung aus culpa in contrahendo bei Beratungsfehlern . 4. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens 5. Die Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen des Anlegerschutzes durch Aufklärung und Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Auskunftshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 675 Abs. 2 und grundsätzliche Überlegungen zur Auskunftshaftung . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte . a) Grundkonstellation der Auskunftshaftung . b) Dogmatische Begründung . . . . . . . . . . c) Konkurrierende Anspruchsgrundlagen . . . d) Die gemeinsame Haftung von Gutachter und Verkäufer . . . . . . . . . . . . . . . . .

953 1276 953 1276 956 1280

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962 1287 962 1287 964 1289

. . . . . .

967 1294 971 1300 973 1302

. .

977 1307

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982 1314

. . . . .

982 985 985 987 993

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1314 1318 1318 1321 1325

996 1327

XXX

Inhaltsverzeichnis

Seite e) Die Vorhersehbarkeit der Einbeziehung des Dritten und die Abgrenzung zur Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bare und unbare Zahlung . . . . . . . . . . 3. Girovertrag und Überweisung . . . . . . . 4. Das Lastschriftverfahren . . . . . . . . . . 5. Haftung beim Einsatz von Zahlungskarten

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

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. . . . . .

Rn.

998 1330 1002 1002 1001 1007 1011 1015

1335 1335 1336 1341 1343 1347

§ 12 Der Bürgschaftsvertrag I. Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1027 1358

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Bestehen der zu sichernden Forderung . . . . a) Die Zweckvereinbarung . . . . . . . . . . . . . b) Die Forderungsauswechselung . . . . . . . . . 2. Die rechtsgeschäftliche Einigung über die Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung gegenüber Garantie und Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtigkeit des Bürgschaftsversprechens wegen krasser finanzieller Überforderung (§ 138 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form der Bürgschaftserklärung . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Blankettbürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

1027 1027 1027 1036

1359 1359 1359 1368

. 1037 1370 . 1037 1370

. . . .

1041 1048 1048 1051

1374 1384 1384 1387

III. Die Leistungspflichten des Bürgen (Bürgschaft auf erstes Anfordern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1053 1389 IV. Die Einreden des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigene Einreden des Bürgen, insbesondere die Einrede der Vorausklage nach § 771 . . . . . . 2. Einreden gegen den Bestand der Hauptschuld (§ 767 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einreden nach § 768 Abs. 1 Satz 1 (Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung des Einredeverzichts nach § 768 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einreden nach § 770 Abs. 1 und 2 . . . . . . .

. . . 1056 1392 . . . 1056 1392 . . . 1057 1394

. . . 1057 1395 . . . 1063 1400 . . . 1064 1401

V. Der Untergang der Bürgschaft, insbesondere § 767 . . 1066 1405

XXXI

Inhaltsverzeichnis

VI. Der Bürgenregress . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenüber dem Hauptschuldner . . . . 2. Gegenüber Mitbürgen (§ 774 Abs. 2) . 3. Gegenüber sonstigen Sicherungsgebern

. . . .

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. . . .

Seite 1070 1070 1072 1074

Rn. 1407 1407 1409 1412

§ 13 Sonstige Verträge I. Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen und Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 1414 1. Das abstrakte Schuldversprechen . . . . . . . . . . . 1077 1414 2. Anerkenntnis und Vergleich . . . . . . . . . . . . . 1080 1418 II. Auslobung und Gewinnzusage . . . . . . . . . . . . . . 1083 1423 III. Die Gastwirtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1088 1426 Paragraphenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1093 1100

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis aA. aaO. ABl. EG ABl. EU Abs. AcP aE. aF. AG AGAV

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Aktiengesellschaft außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag (§ 312b); früher Haustürgeschäft AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AgrarR Agrarrecht AnfG Anfechtungsgesetz ALR Allgemeines Landrecht Anh. Anhang AnwBl. Anwaltsblatt AP Arbeitsrechtliche Praxis (ab 1954: Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) arg. e argumentum e (Argument aus) Art. Artikel Artt. Artikel (plural) AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BauR Baurecht Bankrechts-Handbuch Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 4. Auflage 2011 Bamberger/Roth Bamberger/Roth (Hrsg.), BGB, Kommentar, Band 1, 3. Auflage 2012 Baur/Stürner Baur/Stürner, Lehrbuch des Sachenrechts, 18. Aufl. 2007 BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BB Betriebs-Berater Bd. Band Bearb. Bearbeitung BeckOGK beck-online.Großkommentar zum Zivilrecht (Stand März 2017) BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BGB (Stand März 2017) BeckRS Beck-Rechtsprechung

XXXIV BetrKVO BFH BGB BGB-InfoV BGBl. BRAGO BRAO BR-Drucks. BSHG bspw. Bsp. BStBl. BR-Drucks. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. Canaris, Bankvertragsrecht c.i.c. CISG Co. CR D. DAR Dauner-Lieb/Heidel/ Lepa/Ring Dauner-Lieb/ Konzen/Schmidt DB dens. ders. DG dh. dies. Diss. DJT DJZ DN DNotZ DStR DVBl. DWW DZWiR EAEG Eckpfeiler (Ed.)

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

Verordnung über die Aufstellung von Betriebskosten (Betriebskostenverordnung) Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-Informationspflichten-Verordnung) Bundesgesetzblatt Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksachen des Bundesrates Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Beispiel Bundessteuerblatt Drucksache des Bundesrats Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988 culpa in contrahendo Convention on Contracts for the International Sale of Goods Company Computer und Recht Digesten Deutsches Autorecht/DeutscheAußenwirtschafts-Rundschau Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der anwaltlichen Praxis, 2002 Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, 2003 Der Betrieb denselben derselbe Darlehensgeber das heißt dieselbe Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Darlehensnehmer Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Steuer-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz Staudinger BGB, Eckpfeiler des Zivilrechts, 5. Aufl. 2014/2015 Editor, Herausgeber

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

EGBGB EGV Ehmann/Sutschet Einl. Erman Ernst/Zimmermann Esser/Schmidt Esser/Weyers EU EuGH EuZW eV. EWiR f. FamRZ ff. Fikentscher/Heinemann FLF FluggastrechteVO

XXXV

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, Lehrbuch der Grundsätze des neuen Rechts und seiner Besonderheiten, 2002 Einleitung H.P. Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, 14. Aufl. 2014 Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001 Esser/Schmidt, Schuldrecht I: Allgemeiner Teil; Teilband 1, 8. Aufl. 1995 Esser/Weyers, Schuldrecht II: Besonderer Teil; Teilband 2, 8. Aufl. 1998 Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006

Finanzierung – Leasing – Factoring Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleich und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (Flugastrechteverordnung) Flume, AT – Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992 Fn. Fußnote FS Festschrift GE Das Grundeigentum GEK-Entwurf Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht vom 11.10.2011 (aufgehoben) gem. gemäß GenG Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz) GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH iGr. GmbH in Gründung GmbH-Rdsch Rundschau für GmbH GrünhutsZ Grünhuts Zeitschrift Grunewald Grunewald, Handbuch des Schuldrechts – Kaufrecht, 2006 GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

XXXVI GRUR int. GS Gursky GuT GWB ha Haas/Medicus/ Rolland/Schäfer/ Wendtland HausTWG HeizkostenVO

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gedächtnisschrift Gursky, Schuldrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. 2002 Gewerbemiete und Teileigentum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hektar Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland (Hrsg.), Das neue Schuldrecht, 2002

Haustürwiderrufsgesetz Verordnung über die verbrauchsabhängige Abrechnung der Heizund Warmwasserkosten (Heizkostenverordnung) Henssler/Graf von Henssler/F. Graf von Westphalen (Hrsg.), Praxis der SchuldrechtsWestphalen reform, 2. Aufl. 2003 HGB Handelsgesetzbuch hM. herrschende Meinung HOAI Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) Hoeren/Martinek Hoeren/Martinek (Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Kaufrecht, 2002 Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben U. Huber, Leistungs- U. Huber, Leistungsstörungen, Band II, 1999, in: Gernhuber störungen II (Hrsg.), Handbuch des Schuldrechts, Band 9/2 Huber/Bach Huber/Bach, Examens-Repetitorium, Besonderes Schuldrecht 1, 5. Aufl. 2016 Huber/Faust Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung Einführung in das neue Recht, 2002. idR. in der Regel JherJb Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts iH. in Höhe iHv. in Höhe von II. BV Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung) insbes. insbesondere InsO Insolvenzordnung IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts iS. im Sinne iSd. im Sinne des iVm. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter Jauernig Jauernig (Hrsg.), BGB, Kommentar 16. Auflage 2015 JR Juristische Rundschau Jura Jura – Juristische Ausbildung JurBüro Das Juristische Büro JurisPK Juris Praktikerkommentar JurisPR Juris PraxisReport JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

JZ Kaiser, Rückabwicklung Kap. Karlsruher Forum 2002 Kfz KG km/h KOM Koppensteiner/ Kramer KTS KunstUrhG KWG Larenz I Larenz II/1 Larenz, Methodenlehre Larenz/Canaris II/2

XXXVII

Juristenzeitung Kaiser, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nichtund Schlechtleistung nach BGB, 2000 Kapitel E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2002: Schuldrechtsmodernisierung, 2003 Kraftfahrzeug(e) Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kilometer pro Stunde Kommissionsdokument Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988 Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (ab 50.1989: Zeitschrift für Insolvenzrecht) Kunsturhebergesetz Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts Band I: Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1987 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts Band II/1: Besonderer Teil/1. Halbband, 13. Aufl. 1986 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991

Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2: Besonderer Teil/ 2. Halbband, 13. Aufl. 1994 lat. lateinisch LebenspartnerGesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (LebenspartnerschaftsG schaftsgesetz) LFGB Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch LG Landgericht lit. Litera (Buchstabe) LM/LMK Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs von Lindenmaier und Möhring (ab 2005 online) Lorenz/Riehm Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002 lt. laut LwZR Aktenzeichen: Senat für Landwirtschaftssachen des BGH MaBV Verordnung über die Pflichten den Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Anlageberater, Bauträger und Baubetreuer (Maklerund Bauträgerverordnung) mAnm. mit Anmerkung MarkenG Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) maW. mit anderen Worten MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Medicus/Lorenz Medicus/Lorenz, Schuldrecht II: Besonderer Teil, 15. Aufl. 2010 Medicus/Petersen AT Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016 Medicus/Petersen BR Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 25. Aufl. 2015 MedR Medizinrecht mglw. möglicherweise MietrechtsreformBörstinghaus/Artz ua. (Hrsg.), 10 Jahre Mietrechtsreformgesetz gesetz – Bilanz – Eine Bilanz, 1. Aufl. 2011

XXXVIII Mio. MittBayNot MM. Mot. MünchKomm

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

Million(en) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mindermeinung Motive (zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches) Münchener Kommentar zum BGB, jeweils aktuelle Auflage (Stand: März 2017) MünchKomm HGB Münchener Kommentar zum HGB, jeweils aktuelle Auflage (Stand: März 2017 mwN. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NK-BGB Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), Nomos Kommentar, BGB, Schuldrecht, Bd. 2/1: §§ 241–610, 3. Aufl. 2016 NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nr. Nummer(n) NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Oetker/Maultzsch Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2013 OGHZ Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Palandt Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Aufl. 2017 PAngV Preisangabenverordnung PauschalRRiL 2015 Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/ 314/EWG des Rates Petersen Petersen, Examens-Repetitorium Allgemeines Schuldrecht, 8. Aufl. 2017 PHI Haftpflicht international – Recht & Versicherung ProdHaftG Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz) ProstG Gesetz zur Regelung der Rechte der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) RabelsZ Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet v. Ernst Rabel (bis 1961: ZAIP) RdA Recht der Arbeit RDG Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz) RdL Recht der Landwirtschaft Rn. Randnummer(n) RechKredVO 4. Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute (BGBl. 1998 I S. 3658) Reform des deutschen Eckert/Delbrück (Hrsg.), Reform des deutschen Schuldrechts, Schuldrechts 2003 RegE Regierungsentwurf

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

RegE-Reiserecht RegE VRRL-G

RegE ZDR 2

Reinicke/Tiedtke Reuter/Martinek RG RGZ RIW RL Rn. Rom I-VO

Rpfleger RuS RVG S. SavZ Schmidt-Futterer Schulze/SchulteNölke SchwarzArbG SeuffA SGB Soergel sog. Staudinger

StBerG StVG teilw. Tit. TKG Tz. ua. UKlaG

XXXIX

Entwurf eines dritten Gesetzes zur Reform reiserechtlicher Vorschriften; BR-Drucks. 652/16. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 19.12.2012 – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2017 – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl. 2009 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Teilband 2016 Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer(n) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-I-Verordnung) Der Deutsche Rechtspfleger Recht und Schaden Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) Seite(n) Savigny-Zeitschrift Blank (Hrsg.), Schmidt-Futterer, Mietrecht, 1. Aufl. 2016 Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001 Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom 23.7.2004 Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Sozialgesetzbuch Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, jeweils aktuelle Auflage sogenannte(r) J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, jeweils aktuelle Auflage (Stand: März 2017) Steuerberatungsgesetz Straßenverkehrsgesetz teilweise Titel Telekommunikationsgesetz Textziffer(n) und andere; unter anderem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz)

XL Ulmer/Brandner/ Hensen unstr. Unterabs. UrhG Urt. usw. uU. UWG v., vs. va. VerbrGüterKRiL

VerbrKrG VerbRRiL

Verf. VersR vgl. vglb. vglw. VO VOB VOB/B von Tuhr, AT Vor. Vorbem. VuR VVG WarnR WG WiB WiStrG WM WM-FG wN WoBindG

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016 unstreitig Unterabsatz Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) Urteil und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb versus, gegen vor allem Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) Verbraucherkreditgesetz Richtlinie 2011/83/EU vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates Verfasser Versicherungsrecht vergleiche vergleichbar vergleichsweise Verordnung Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen von Tuhr, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechs, Nachdruck 1957 Vorwort zu Vorbemerkung Verbraucher und Recht Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Warneyer (Hrsg.), Rechtsprechung des Reichsgerichts – Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts Wechselgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WM-Festgabe weitere Nachweise Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz)

Abkürzungs- und Schriftenverzeichnis

WoVermittG

XLI

Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung (Wohnungsvermittlungsgesetz) WpHG Wertpapierhandelsgesetz WpPG Gesetz über die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt zu veröffentlichen ist (Wertpapierprospektgesetz) WPO Wirtschaftsprüferordnung WpÜG Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WuB Wirtschafts- und Bankrecht WuM Wohnungswirtschaft und Mietrecht ZahlungsdiensteRichtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates richtlinie 1 vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG ZahlungsdiensteRichtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des richtlinie 2 Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt usw. zB. zum Beispiel ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZfIR Zeitschrift für Immobilienrecht ZfSch Zeitschrift für Schadensrecht ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZgS/JITE Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft/Journal of Institutional and Theoretical Economics ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZMR Zeitschrift für Miet- und Raumrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik zT. zum Teil ZVergRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft ZVG Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zweite Berechnungs- Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach verordnung (II. BV) dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung)

§ 1 Einleitung 1. Die dogmatischen Grundlagen der §§ 433ff. a) Die Lehre von der Vertragsnatur und das Prinzip von Treu und Glauben

Nach einem bekannten Wort Ernst Rabels „gilt nachdenklichen Juristen das eigentliche ‚Wesen der Gewährleistungspflicht‘ als ein Problem.“1 Die mit dieser Einschätzung verbundene Kritik wiegt schwer, hat Rabel doch wie kein zweiter deutscher Zivilrechtler internationale Wirkung entfaltet und gilt als Wegbereiter der weltweiten Kaufrechtsharmonisierung in der CISG (United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, UN-Kaufrecht). Die von Rabel angesprochenen Fragen sind so grundlegend und offensichtlich, dass man sich fast scheut, sie auszusprechen: Warum haftet ein Verkäufer für Mängel der Kaufsache aus Vertrag, wenn die Ansprüche des Käufers doch offensichtlich auf einer Gesetzesnorm (§ 437) gründen? Warum kann der Verkäufer seine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung nicht nach § 119 Abs. 1 anfechten, wenn er im Nachhinein erfährt, dass ihm an diese anknüpfend Schutzpflichten zugunsten des Käufers auferlegt wurden, wegen deren Verletzung er nun auf Schadensersatz haftet? Warum soll auf einen Finanzierungsleasingvertrag eine Norm aus dem Mietrecht (bspw. die strenge Haftung des § 546a Abs. 1) Anwendung finden, obwohl die Parteien dies nie gewollt und sich auch nicht vorgestellt haben? Auch in der Rechtswissenschaft gibt es das, was die Philosophie gelegentlich als ontologische Differenz bezeichnet: Ständig verwendete Begriffe und Regeln für die Gegenstände der Alltagswelt sind nicht selten wissenschaftlich am schwersten zu fassen. Und wie dort gilt: „Das Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wie weit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ist.“2 In der Rechtswissenschaft fehlt es nicht an Versuchen, die gerade gestellten Fragen zu beantworten. Die Antworten wiederum erlauben jeweils einen Einblick in Grundlagen und Perspektiven des deutschen und europäischen Vertragsrechts. Die im internationalen Vergleich wirkungsmächtigste Weichenstellung dieser Art trifft wohl das anglo-amerikanische Recht. Sie entwickelt sich zunächst aus ganz bescheidenen Anfängen im 14. Jahrhundert und ist heute Vorbild für die im Rechtsvergleich als wegweisend geltenden Kodifikationen des Leistungsstörungsrechts in den Artt. 45ff. CISG und den Artt. 21ff. aus Buch 7 des Niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches.3 Sie fand ihren Widerhall nicht Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 2, 1958, S. 104. Heidegger, Sein und Zeit, 16. Aufl. 1986, § 3, S. 9. Nieper/Westerdijk, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, Series of Legislation in Translation 7, 1995. 1 2 3

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nur in Part I, Artt. 8.101ff. der Principles of European Contract Law der sog. Lando-Kommission aus dem Jahre 1998 (dazu Rn. 52), sondern auch in Art. 106 des Entwurfs einer Verordnung für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, der mittlerweile schon wieder aufgegeben wurde (Rn. 48f.).4 Dies hat weniger mit der wirtschaftlichen Vormachtstellung der Vereinigten Staaten von Amerika als mit den systematischen Vorzügen dieser Weichenstellung zu tun. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts befindet sich das englische wie überhaupt das germanisch geprägte Vertragsrecht5 auf einem überaus altertümlichen, mit dem römischen Recht nicht vergleichbaren Stand: Vertragsansprüche oder -klagen im modernen Sinne sind unbekannt; es existieren nur einzelne Klagearten, zu deren formalen Voraussetzungen der Vertragsschluss gehört. So kennt das englische Recht zunächst eine auf Erfüllung des Vertrages gerichtete Klage, die voraussetzt, dass der Kläger mit dem Beklagten eine Vereinbarung getroffen und seine eigene Leistung bereits erbracht hat (Action of Debt); Schadensersatzansprüche wegen Leistungsstörung hingegen sind vor den Gerichten nicht durchsetzbar.6 Da ereignet sich im Jahre 1348 folgender Fall:7 (Bukton v. Tounesende (Townsend) (1348)) Ein Fuhrmann soll für den Eigentümer eine Stute über den Fluss Humber bringen. Weil er die Fähre überlädt, sinkt diese und das Tier ertrinkt; am anderen Ufer kommt nur ein Kadaver an.

Die Ausreden des Fuhrmanns auf die Ersatzforderungen des Eigentümers sind in der knappen Gerichtsnotiz nicht überliefert; doch kann man sie sich lebhaft vorstellen: Transportiert hat er das Pferd ja; dass es bei Ankunft am anderen Ufer leben sollte, war aber zwischen den Parteien nicht ausdrücklich vereinbart. Jedoch lässt das englische Gericht den Fährmann nicht mit dergleichen davonkommen, sondern hält ihn daran fest, dass er es auf sich genommen hatte, die empfangene Stute sicher und gesund über den Fluss zu transportieren oder im Original „[Il] avoit empris a carier sa jument pris en son bateau outr’ l’eau de Humber safe & sain“ [Hervorhebung durch den Verf.]. Das „empris“ – unternommen, lateinisch: assumpsit – eröffnet alsbald eine neue Klageart, die man aus heutiger Sicht dem Deliktsrecht zuordnen würde: die Action of Assumpsit.8 KOM(2011) 635. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, 1985, S. 24ff. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen 6 Recht, 1932, S. 17ff., 22. Übersetzung etwa bei Baker/Milsom, Sources of English Legal History: Private Law to 7 1750, 1986, S. 358f.; vgl. auch den Materialband Selden Society (Hrsg.), The Humber Ferry Case (1348), 1985; dazu Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932, S. 24; aus neuerer Sicht: Kirsten, Verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung für Sachmängel beim Warenkauf?, 2009, S. 148f.; Weidt, Antizipierter Vertragsbruch – Eine Untersuchung zum deutschen und englischen Recht, 2008, S. 18; Zimmermann, in: FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 1435, 1443f. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen 8 Recht, 1932, S. 24ff. 4 5

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Zugrunde liegt eine für das mittelalterliche Recht typische Kurzformel: „assumpsit“ bedeutet, der Fuhrmann hat den Transport des Pferdes „unternommen“ und hat deshalb für dessen Wohlbehalt einzustehen.9 Der Gegenstand dieser Einstandspflicht entwickelt sich in der Tradition des englischen Fallrechts allerdings erst über Jahrhunderte durch Verschmelzung mit anderen Klagearten und durch Präzisierung im Hinblick auf immer neue Konstellationen. Doch bereits am Anfang steht die bis auf den heutigen Tag charakteristische Orientierung des englischen Rechts an der Rechtsfolge Schadensersatz. Anders als etwa im deutschen Recht stehen nicht die einzelnen Tatbestände der Leistungsstörung im Mittelpunkt (Unmöglichkeit, Verzug, Schlechtleistung, Mangelfolgeschaden), sondern die den Verkäufer treffenden Rechtsfolgen. Von diesen aus werden die Tatbestände der Leistungsstörung vergleichsweise pragmatisch unter einen Einheitstatbestand gefasst: die Vertragsverletzung (Breach of Contract). Dies führt von Anfang an zu einer großen systematischen Einheitlichkeit des Leistungsstörungsrechts; Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Mängelhaftung und Unmöglichkeit, die den Leser durch weite Bereiche dieses Buches begleiten werden, stellen sich im englischen Recht daher in diesem Umfang nicht. Dazu trägt aber auch die Generalisierung des zugrunde liegenden Rechtsgedankens im Slade’s Case aus dem Jahre 1602 bei.10 Dort findet sich die Vorstellung „Every contract executory imports in itself an assumpsit“. Jedes vertragliche Leistungsversprechen führt danach zu impliziten Einstandspflichten (Implied Assumpsit). Die Kontinentaljuristen haben daran lange Zeit bemängelt, dass rechtsgeschäftliche Garantieversprechen zu Lasten des Schuldners einfach fingiert würden. Den tragenden Rechtsgedanken sieht das englische Recht aber ganz anders: „The gist of the action is the deceit in breaking a promise on the faith of which the plaintiff had been induced to part with his money or other promise.“11 In unser heutiges Systemverständnis übertragen lautet der zugrunde liegende Rechtsgedanke so: Die Willenserklärung des Schuldners (das Leistungsversprechen) ist ein Vertrauenstatbestand, auf den sich schutzwürdige Erwartungen des Gläubigers gründen. Wird das schutzwürdige Gläubigervertrauen enttäuscht, muss der Schuldner genau die Handlung vornehmen, die eine Erfüllung des Versprechens schließlich doch noch ermöglicht; ansonsten schuldet er Ersatz. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt in der einfachen Erklärung des Zusammenhangs zwischen der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung des Verkäufers und der Haftung des Verkäufers bei Störungen. Die Einstandspflicht des Schuldners wirkt wie eine Versicherung: Im Ausgangspunkt ist der Schuldner zu der versprochenen Leis9 Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932, S. 24f.; vgl. auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 220ff. 10 4 Coke’s Report 92b; vgl. aus deutscher Sicht etwa Weidt, Antizipierter Vertragsbruch – Eine Untersuchung zum deutschen und englischen Recht, 2008, S. 43ff. 11 So Ames, zitiert nach Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932, S. 28f.

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tung verpflichtet. Seine Einstandspflicht passt sich dabei dem Auftreten oder Ausbleiben von Leistungshindernissen jeweils an. Verläuft der Leistungsaustausch zwischen den Parteien reibungslos, bleibt die Einstandspflicht unbemerkt; treten indes Störungen auf, muss der Schuldner genau das beseitigen, was der Erfüllung seines Versprechens im Wege steht, weil der Gläubiger darauf schutzwürdig vertrauen darf. So lässt sich etwa leicht der Inhalt des Nacherfüllungsanspruchs nach den §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 erklären. Scheitert der Verkäufer aber mit seinen Bemühungen, muss er den Gläubiger wenigstens wirtschaftlich so stellen, als habe er sein Wort gehalten (vgl. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1: Schadensersatz), oder diesen auf sein Verlangen aus dem Vertrag entlassen (§§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1: Rücktritt). Die Leistungsstörungssysteme, die der Theorie vom Breach of Contract folgen, gelten deshalb nicht ohne Grund als systematisch besonders klar und widerspruchsfrei. Diese systematischen Zusammenhänge sind aber nicht nur dem englischen Recht vertraut; sie finden sich – heute leider etwas versteckt und daher oft übersehen – auch im deutschen Recht. Dies zeigt sich zunächst an ganz alltäglichen Beobachtungen im bürgerlichen Recht: Stellt sich bspw. die Frage, ob dem Verkäufer bei der Organisation seines Ladenlokals eine bestimmte Schutzpflicht zugunsten des Käufers auferlegt wird, ist häufig dasjenige Maßstab, was ein objektiver Beobachter in der Situation des Käufers vom Verkäufer erwarten darf: Dazu zählt etwa die Sicherheit des Hin- und Rückwegs (insbesondere vor umfallenden Teppichrollen und am Boden liegenden Gemüseblättern), kaum aber der Schutz vor Naturkatastrophen oder den Straftaten Dritter (zB. Raubüberfall). Solche Pflichten finden ihren Grund im Prinzip von Treu und Glauben (§ 242). Und dies hat historisch seine Berechtigung: Bei der Redaktion des Corpus Juris haben sich die byzantinischen Juristen (die sog. Kompilatoren) ebenfalls die Frage gestellt, wie der Vertrag Pflichten hervorbringen kann, die die Parteien gar nicht ausdrücklich gewollt haben und – wohl mangels Rechtskenntnissen – nicht einmal wollen konnten.12 An einer Stelle schieben sie wohl auch dem klassischen römischen Juristen Ulpian den Begriff der natura contractus unter (Passage aus D.2.14.7.5).13 Nach dieser spätantiken Vorstellung können Rechte und Pflichten aus der Natur des Vertrages heraus entstehen. Das zugrunde liegende Konzept knüpft an die aristotelische Lehre von der Begriffsdefinition an.14 Nach Aristoteles beruht nämlich die Definition auf einer „Rede, die das Wesen zeigt.“15 Danach sind beim Definieren die für einen Begriff wesentlichen Merkmale (essentialia) von den sog. naturalia zu unterschei12 Rotondi, Bulletino dell’ Istituta di diritto Romano 24 (1911) 5ff.; Coing SavZ 69 (1952) 24, 32; ders., in: Gesammelte Aufsätze zu Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Zivilrecht, Bd. I, 1982, S. 61, 74. 13 Rotondi, Bulletino dell’ Istituta di diritto Romano 24 (1911) 5ff., 107ff. 14 So Coing SavZ 69 (1952) 24, 32; ders., in: Gesammelte Aufsätze zu Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Zivilrecht, Bd. I, 1982, S. 61, 74. Solche Manipulationen werden als Interpolationen bezeichnet. 15 Aristoteles, Topik (hrsg. und übersetzt von Paul Gohlke), Paderborn 1953, I 5, 102a.

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den. Die naturalia sind Eigenschaften, die zwar nicht den Kern der Sache ausmachen, aber dennoch regelmäßig zu ihr gehören und sich insbesondere immer dann einstellen, wenn auch die essentialia vorhanden sind. Eine dritte Kategorie bilden schließlich die zufälligerweise am Beobachtungsgegenstand analysierten Eigenschaften (accidentalia):16 Wenn zu den essentialia des Menschen der aufrechte Gang, die Fähigkeit zu sprechen usw. gehören, zählt zu den naturalia die Fähigkeit zu atmen, zu den accidentalia aber bspw. die Vorliebe für die eine oder andere Weinsorte. Die byzantinischen Kompilatoren haben nun die aristotelische Begriffslehre auf den Austauschvertrag angewendet und damit bis auf den heutigen Tag die Weichen für dessen Verständnis gestellt. Ihr gedankliches Erbe wirkt bis in Details der aktuellen Rechtsprechung des EuGH hinein (Rn. 617): Die aristotelischen essentialia setzten sie mit den Hauptleistungspflichten der Parteien gleich (essentialia negotii); sie machen das Wesen eines Vertrages aus und erlauben seine typologische Einordnung. Dies gehört heute zum selbstverständlichen juristischen Handwerk und wird später noch im Detail vermittelt werden: Ist ein Vertrag auf die Übereignung einer Sache gegen ein Entgelt der Gegenseite gerichtet, handelt es sich um einen Kauf (§ 433 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2); fehlt die Entgeltpflicht der Gegenseite, liegt eine Schenkung vor (§ 516 Abs. 1), und tritt an die Stelle des Entgeltes eine weitere Sachleistung, geht man von einem Tauschvertrag aus (§ 480). Die besondere Leistung dieser Übertragung liegt aber in der Erkenntnis, dass, wenn die Hauptleistungspflichten festliegen, weitere Pflichten (naturalia negotii) hinzutreten, ohne dass es einer ausdrücklichen Einigung der Parteien bedarf. Diese Pflichten umfassen typischerweise das gesamte Leistungsstörungsrecht, ohne dass es auf den Willen des Schuldners ankommt. Vergleicht man diese Erkenntnis mit der des englischen Rechts, sind die Parallelen offenbar:17 Die im Leistungsstörungsfall bestehenden Pflichten beruhen darauf, dass der Gläubiger auf die Einhaltung des Hauptleistungsversprechens des Schuldners (essentialium) in schutzwürdiger Weise vertraut. Wenn der Schuldner (Verkäufer) die Übereignung einer Sache verspricht, darf der Gläubiger (Käufer) darauf vertrauen, dass der tatsächliche Vorgang der Übereignung so vollzogen wird, dass er dabei nicht (etwa durch umherliegende Gemüseblätter) zu Schaden kommt. Einer ausdrücklichen Vereinbarung in diesem Punkt bedarf es nicht: Wenn der Fuhrmann verspricht, das Pferd zu transportieren, darf der Eigentümer erwarten, dass es diesen Transport überleben wird, um im Ausgangsbeispiel des englischen Rechts zu bleiben. Wird dieses Vertrauen enttäuscht, haftet der Fuhrmann. Der Rechtsgedanke der natura contractus durchzieht die gesamte Rezeptionsgeschichte des römischen Rechts.18 Über das GeCoing SavZ 69 (1952) 24, 32. Coing, in: Gesammelte Aufsätze zu Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Zivilrecht, Bd. I, 1982, S. 61ff., 72. 18 Rotondi, Bulletino dell’ Istituta di diritto Romano 24 (1911) 5; Coing SavZ 69 (1952) 24, 32; ders., in: Gesammelte Aufsätze zu Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Zivilrecht, Bd. I, 1982, S. 61, 74. 16 17

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meine Recht (ius commune) gelangt er über die Vorarbeiten der bedeutenden französischen Juristen Domat und Pothier schließlich in Art. 1135 Code Civil: „Les conventions obligent non seulement à ce qui est exprimé, mais encore à toutes les suites des l’équité, l’usage ou la loi donnent à l’obligation d’après sa nature.“19 Und diese Norm wurde zum Vorbild für § 242: Im Teilentwurf zum Obligationenrecht von Küblers fand sich eine Erstfassung folgenden Inhalts: „Ein Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich als Inhalt seiner Verbindlichkeit aus den besonderen Vertragsbestimmungen und aus der Natur des Vertrages, dem Gesetz oder Herkommen gemäß ergibt“.20 Der Begriff Natur des Vertrages verschwand nachträglich, weil die Norm im Laufe der Beratungen mit einer anderen zusammengefasst und allen Schuldverhältnissen – nicht nur den Verträgen – vorangestellt wurde.21 Heute begegnet die Natur des Vertrages vor allem in § 307 Abs. 2 Nr. 2 bei der Inhaltskontrolle von AGB (dazu noch unten Rn. 25). Beinahe wäre sie auch durch die Schuldrechtsreform in § 276 Abs. 1 eingegangen.22 Stattdessen findet sich dort jetzt die Formulierung, dass sich eine Haftung „aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses“ ergeben kann. § 242 und den §§ 433ff. scheint also ein sehr schlichter Rechtsgedanke zugrunde zu liegen: Gegenstand des Vertrages ist nicht nur das, was sich die Parteien ausdrücklich versprechen, sondern auch das, was sie voneinander schutzwürdiger Weise erwarten dürfen, wenn sie jeweils auf die Leistungsversprechen der Gegenseite vertrauen. Die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung hat danach eine Doppelfunktion: Sie legt den Gegenstand der Hauptleistungspflichten und auch – soweit ausdrücklich vorgesehen – der Neben(leistungs)pflichten fest. Gleichzeitig ist sie aber auch Tatbestand für schutzwürdiges Vertrauen der jeweiligen Vertragsgegenseite. Diese für das englische und französische Recht selbstverständlichen Zusammenhänge sind allerdings heute im deutschen Recht keineswegs Allgemeingut. Im Gegenteil, die Tradition der Auslegung des § 242 ist sogar weitgehend unbekannt: Dafür tragen das Willensdogma und das Verschuldensprinzip im deutschen Recht Verantwortung. Allein, in der Praxis gehen die Rechtsanwender beinahe täglich, selbstverständlich und ohne großen Erörterungsbedarf davon aus, dass Haftungsverantwortungen, Leistungspflichten oder Risikotragungspflichten nach dem verteilt werden müssen, was die Parteien auf der Grundlage ihrer Leistungsversprechen voneinander nach Treu und Glauben Eigene Übersetzung: „Die Verträge verpflichten nicht nur zu dem, was in ihnen ausdrücklich vereinbart ist, sondern auch zu allen Rechtsfolgen, die die Gerechtigkeit, das Gewohnheitsrecht oder das Gesetz der Schuld nach ihrer Natur beilegen.“ auch Vgl. Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel, Gosselin, Paris 1713, Liv. I, Tit. II, sect. X, Tz. 5; Pothier, Oeuvres, Nouvelle Édition, 1818 Beaucé Paris, Bd. 3, Traité des obligations, Tz. 5ff., 7. 20 Vgl. dazu von Kübler selbst in: Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 1: Allgemeiner Teil (Hrsg. Schubert), 1980, S. 379. 21 Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 33; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 286ff. 22 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 6. 19

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(§ 242) erwarten dürfen. Es erscheint dennoch wissenswert, dass sie sich damit auf der Grundlage einer einheitlichen europäischen dogmatischen Tradition bewegen, die auch für die Weiterbildung eines europaeinheitlichen Vertragsrechts maßgeblich werden dürfte (vgl. unten Rn. 48ff.). b) Das sog. „Willensdogma“

In der traditionellen deutschen Rechtswissenschaft ist ein anderes Vorverständnis vom Vertrag prägend. Danach können vertragliche Verpflichtungen nur auf dem Willen der Parteien beruhen. Soweit Pflichten aus Vertrauensschutzüberlegungen heraus begründet werden, müssen sie nach diesem Systemdenken außervertraglicher Natur sein. Diese Lehre wird oft auf das System des römischen Rechts von Savignys zurückgeführt, „wo der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht“ wird.23 Sie drückt dort einen letztlich in der Tradition der Aufklärungsphilosophie Kants stehenden Rechtsgedanken aus: Das selbstbestimmte Individuum soll nur durch seinen freien Willen verpflichtet werden oder durch das Gesetz. Diese scharfe Trennung hat einige für das deutsche Recht sehr charakteristische Konsequenzen: Normen wie § 437 (Mängelhaftung des Verkäufers) werden nicht als Konkretisierung der schützenswerten Erwartungen des Käufers im Hinblick auf die vom Verkäufer abgegebene Willenserklärung begründet, sondern auf den hypothetischen Willen der Parteien zurückgeführt; denn wenn als Vertragsrecht nur Normen in Betracht kommen, die auf dem Willen der Parteien beruhen, müssen auch die den Vertragsinhalt regelnden Gesetzesnormen auf den Parteiwillen zurückgeführt werden. Windscheid spricht insoweit vom „eigentlichen Willen“ der Parteien. Danach regelt das dispositive Vertragsrecht nur das, „was die Parteien selbst ausgesprochen haben würden, wenn sie gerade diesen Fall in den Bereich ihrer Festsetzung gezogen hätten“.24 Dies entspricht heute einem verbreiteten Verständnis,25 das allerdings auch einige Folgeprobleme nach sich zieht: Es fällt schwer, den hypothetischen Willen der Parteien inhaltlich zu konkretisieren.26 Denn es handelt sich nicht um einen wirklichen Parteiwillen, sondern um das, was der Rechtsanwender rückblickend betrachtet zugunsten der Parteien für richtig hält. Dies hat aber mit einer Willensentscheidung der Parteien im Sinne von Savignys nichts zu tun. Das bedeutende Lehrbuch von Tuhrs zieht daraus zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine radikale Konsequenz: Es lässt die Frage offen, ob das Regelungsprogramm der naturalia negotii überhaupt vertraglicher oder außerver-

23 Vgl. von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Neudruck der Ausgabe Berlin 1840, 1973, Bd. 3, S. 258. 24 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. 1906, § 85 Fn. 1. 25 Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht, 1966, S. 44; zur Kritik: vgl. Stammler AcP 69 (1886) 1, 19ff., 28; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 291. 26 Grundlegend zu diesem Zusammenhang Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 487ff.

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traglicher Natur ist,27 und bahnt damit den Weg für das moderne Verständnis von dessen außervertraglicher Natur.28 Auf ähnlichen Vorüberlegungen beruht auch die von Canaris entwickelte Lehre vom gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis.29 Ihr Ausgangspunkt liegt in zwei zentralen Überlegungen: Vertragspflichten können nur auf dem Willen der Parteien beruhen, und Scheinbegründungen aus dem hypothetischen Willen müssen möglichst vermieden werden. Daraus resultiert eine zentrale Folgerung: Da die „vertraglichen“ Schutzpflichten sinnvollerweise nur aus dem Vertrauensschutz der Parteien begründet werden können, müssen sie auf einer außervertraglichen Rechtsgrundlage beruhen, einem ungeschriebenen Gesetz. Deshalb entsteht bereits mit Aufnahme der Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien ein gesetzliches Schutz(pflicht)verhältnis, das mit Vertragsschluss nicht etwa untergeht, sondern neben dem Vertrag bestehen bleibt und nicht notwendig mit der Erfüllung endet, sondern nachvertragliche Wirkungen zeitigen kann, soweit der Vertrauensschutz dies gebietet. Die Implikationen dieser Lehre sind vielfältig und werden in der weiteren Darstellung an vielen Stellen begegnen (vgl. vor allem Rn. 629ff., 1322ff., 1424). Doch ist der Vertrauensschutz auch außerhalb von § 242 für die Rechtsgeschäftslehre prägend: etwa im Rahmen des § 119 Abs. 1. In dieser Norm wird gerade vorausgesetzt, dass die Verständnismöglichkeit des Erklärungsempfängers und nicht der Wille des Erklärenden für den Inhalt eines Rechtsgeschäfts maßgeblich ist; denn der Erklärende müsste sich nicht von seiner Willenserklärung durch Anfechtung lösen, wenn es für deren Inhalt nur auf seinen Willen und gerade nicht auf den Verständnis- und Erwartungshorizont des Erklärungsempfängers ankäme.30 Durch die Verlagerung der Schutzpflichten auf eine außervertragliche Rechtsgrundlage tritt aber eine Aufspaltung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Pflichten ein, deren Ergebnisse man durchaus kontrovers diskutieren kann. Dies soll hier nur an einem Beispiel demonstriert werden, wird aber im Rahmen der Erörterung der einzelnen Vertragstypen noch häufiger von Bedeutung sein. Nach Auffassung von Canaris soll etwa das Bankgeheimnis im Verhältnis eines Kreditinstituts zu seinem Kunden einer gesetzlichen Schutzpflicht entspringen.31 Den Parteien steht es allerdings regelmäßig frei, Einzelheiten hinsichtlich der Geheimhaltungspflicht zu vereinbaren. Von Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, Erste Hälfte, Nachdruck 1957, S. 194. 28 Vgl. nur Flume, AT – Das Rechtsgeschäft, S. 80. 29 Canaris JZ 1965, 475; ders., in: 2. FS Larenz, 1983, S. 27, 102ff.; ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 538; Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, S. 251ff. 30 Zur umstrittenen Auslegung des § 119 Abs. 1 grundlegend: Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 1939, S. 43ff.; einerseits: Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 412ff., 422; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 69f.; andererseits: Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 256f. und 210f. 31 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 42f. 27

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Verletzt die Bank eine solche Abrede, stellt sich die Frage, worauf gerade diese Verpflichtung beruht: Auf dem gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis oder auf der Parteivereinbarung.32 Die § 242 zugrunde liegende Lehre von den naturalia negotii erlaubt demgegenüber ein einheitliches Verständnis der Vertragspflichten: Diese können auf dem Willen der Parteien und deren gegenseitigem Vertrauen beruhen. Einheitlich handelt es sich dabei um Vertragspflichten. c) Das Verschuldensprinzip

Das zweite Prinzip, das einem vertragsrechtlich begründeten Vertrauensschutz vermeintlich entgegensteht, ist das Verschuldensprinzip. Auch seine Tradition im vertraglichen Leistungsstörungsrecht ist sehr alt und lässt sich kaum einheitlich zurückverfolgen. Ein möglicher Ursprung liegt in der Summa Theologica, einem Zentralwerk der mittelalterlichen Scholastik. Darin systematisiert der Kirchengelehrte Thomas von Aquin die bekannten Kaufrechtsfälle des römischen Rechts in ungewöhnlicher Weise neu. Ein Kapitel lautet dabei „de fraudulentia quae commitur in emptionibus et venditionibus“,33 vom Betrug der bei Kauf und Verkauf begangen wird. Darunter fasst er neben dem Betrug iSd. heutigen § 263 StGB auch alle Fälle der Schlechtlieferung einer Sache, denn auch hier scheint der Käufer vom Verkäufer regelmäßig fahrlässig „betrogen“, erhält er doch weniger als es der Höhe des von ihm gezahlten Kaufpreises entspricht.34 Die Leistungspflichtverletzung beim Kauf gerät damit in einen engen Zusammenhang mit dem Vorwurf sündhaften/schuldhaften Verhaltens. Diesen Zusammenhang greift der Naturrechtler Hugo Grotius in seinem Hauptwerk auf und ersetzt dort die theologischen Implikationen durch ethische Gebote, die sich übrigens auch aus der Vertragsnatur ergeben sollen. So entsteht die naturrechtliche Lehre von der Aequalitas, der Vertragsgerechtigkeit, die sich die Parteien untereinander schulden.35 Sie stellt einen Zusammenhang zwischen der Leistungsstörung und dem Vorwurf unrechten Verhaltens her, dessen Tradition sich bis in die Rechtsphilosophie Hegels fortsetzt.36 Hegels Überlegungen entspricht wiederum die Vorstellung, dass der Mensch seine Persönlichkeit nicht ganz an einen anderen entäußern kann, wohl aber einzelne seiner Hervorbringungen: „Von meinen besonderen, körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Tätigkeit kann ich einzelne Produktionen und einen in der Zeit beschränkten Gebrauch von einem anderen veräußern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äußerliches Verhältnis zu meiner Totalität und Allgemeinheit erhalten.“37 Hopt, in: Bankrechts-Handbuch, § 1 Rn. 49. Thomas von Aquin, Summa Theologica, hrsg. von der Albertus Magnus-Akademie, Bd. 18, 1953, liber 2 pars 2; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 72. 34 Ebenda quaestio 2. 35 Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, Ausgabe Lugdunum Batavorum, Brill 1939, liber 2, caput 12, § 11. 36 Dazu Landau, in: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie (Hrsg. Riedel), Bd. 2, 1975, S. 176, 187f. 37 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, § 67 Satz 1. 32 33

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Unmittelbar an diese Unterscheidung knüpft die Lehre von Savignys von der Obligation an (dazu auch Rn. 755).38 Der Gegenstand der Obligation „besteht in der Herrschaft über eine fremde Person; jedoch nicht über diese Person im Ganzen (wodurch deren Persönlichkeit aufgehoben seyn würde), sondern über einzelne Handlungen derselben, die aus ihrer Freiheit ausscheidend und unserem Willen unterworfen, gedacht werden müssen.“39

Ist damit die Handlung in den Mittelpunkt des Schuldverhältnisses gerückt, erklärt sich die zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung gerade als schuldhaft rechtswidrige Handlung. Markant hat von Jhering diesen Zusammenhang auf den Punkt gebracht:40 „Nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld. Ein einfacher Satz, ebenso einfach wie der des Chemikers, dass nicht das Licht brennt, sondern der Sauerstoff der Luft […] Nicht das äußere Thun verpflichtet, sondern die Handlung d.h. die Causalität der That im menschlichen Willen, und auch nicht die Handlung schlechthin, sondern nur, wenn sie sich den Willen zum Vorwurf anrechnen lässt.“41

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Allerdings ging von Jhering noch nicht vom modernen Schuldbegriff aus, bei dem ein objektiver Tatbestand (Verstoß gegen die im Verkehr gebotene Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2) von einem subjektiven (individueller Vorwurf charakterlichen Fehlverhaltens) unterschieden wird. Von Jhering bezog sich allein auf den äußeren Tatbestand, das objektive Verschulden.42 Dies war auch unvermeidbar, denn ein reines Verschuldensprinzip führte im Rahmen des Leistungsstörungsrechts zu schwer zu rechtfertigenden Ergebnissen. Wenn der unternehmerisch organisierte Verkäufer dem Käufer die geschuldete Sache nicht beschaffen kann, darf er sich ja nicht damit herausreden, lauter gehandelt zu haben, aber persönlich überfordert gewesen zu sein. Die Behauptung etwa, sich subjektiv alle Mühe gegeben zu haben, aber wegen eigener Geschäftsunerfahrenheit bei der Erfüllung gescheitert zu sein, nützt dem Käufer nichts, da er im Verkehr bei einem unternehmerisch organisierten Verkäufer auf die durchschnittlichen Fähigkeiten eines Händlers bei der Warenbeschaffung vertraut. Deshalb wird das Verhalten des Schuldners grundsätzlich nicht an der eigenüblichen Sorgfalt (§ 277) gemessen, sondern an der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2): Das Verschulden gründet also gar nicht auf persönlicher Vorwerfbarkeit gegenüber dem Schuldner, sondern bezieht sich allein Zu diesem Zusammenhang bereits Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag, 2006, S. 25. 39 Von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, 1851, S. 4; nahe kommt dem der von Rehberg entwickelte Gedanke eines Rechtfertigungsprinzips, nach dem jede gesetzliche Freiheitsbeschränkung der Rechtfertigung angesichts der von den Parteien verfolgten Ziele bedarf: Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 259ff. 40 Auch dazu grundlegend Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag, 2006, S. 26ff. 41 Von Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, 1867, erster Teil des Zitats bis „[…]“ auf S. 40, zweiter Teil auf S. 41. 42 Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag, 2006, S. 27ff. 38

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darauf, dass der Verkäufer – aus welchen Gründen auch immer – nicht so erfahren ist wie seine Konkurrenten. Dieser Verschuldensbegriff ist aber nur ein Äquivalent für den Einstandsgedanken des anglo-amerikanischen Rechts. Tatsächlich besteht der Unterschied allein in der Benennung des Problems. Denn dem in der Praxis vor allem bedeutsamen Fahrlässigkeitsvorwurf nach § 276 Abs. 2 unterliegt ein objektiver Maßstab,43 mit dem dieselben Garantiezwecke44 verfolgt werden wie mit dem anglo-amerikanischen Einstandsprinzip. Diesen Zusammenhang erläutert etwa Franz Exner im Jahr 1910 so: „Die Bedürfnisse des Verkehrs erfordern es, dass jedermann ohne Schaden für sich selbst bei jedem dritten erwachsenen Menschen gewisse Durchschnittsqualitäten voraussetzen darf. Darum ist jeder im Verkehr Stehende verpflichtet, die daselbst erforderliche Sorgfalt anzuwenden […] Die Nichtbeachtung dieser Pflicht geht auf seine Gefahr. Wer auf ein durchschnittliches Wissen und Können beim anderen vertraut, darf keinen Nachteil erleiden, wenn seine Erwartungen nicht erfüllt werden.“45

Die Grundelemente des Einstandsgedankens sind daher auch im Verschuldensprinzip des Bürgerlichen Gesetzbuches verwirklicht.46 Diesen Zusammenhang bringt Larenz so auf den Punkt:„So kann man vielleicht sagen, dass das heutige deutsche Recht vom Verschuldensgrundsatz ausgeht, ihn aber in verschiedener Hinsicht zugunsten einer im Schuldverhältnis sinngemäß gelegenen Garantie beschränkt, während das englische Recht umgekehrt vom Gedanken der Garantiepflicht ausgeht, diese aber zugunsten des Schuldners aus dem Inhalt des Versprechens wesentlich abmildert.“47 Im Rahmen des § 276 geht es – jedenfalls soweit vertragliche Verantwortung betroffen ist – also nicht um einen „pönalen Atavismus“,48 nicht um Sühne für Schuld wie im Gedankenmodell der Scholastik, sondern zentral um den Schutz des jeweiligen Gläubigervertrauens in Durchschnittsfähigkeiten. Jedoch findet sich im Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts aus dem Jahre 1992 die Auffassung, das anglo-amerikanische System der aus Vertrauensschutz begründeten Einstandspflichten unterscheide sich fundamental vom deutschen Verschuldensprinzip.49 Dieser Einschätzung 43 Larenz I, S. 278; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. Aufl. 1995, passim; Kramer AcP 171 (1971) 422; Hübner, in: FS Kaser, 1976, S. 715ff.; Müller-Erzbach AcP 106 (1910) 309, 342; Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 68f. 44 Zum Garantiezweck vor allem Larenz I, S. 278. 45 Exner, Das Wesen der Fahrlässigkeit, 1910, S. 107. Vgl. Rümelin, Die Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 68f. 46 Dazu Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag, 2006, passim; vgl. teilweise skeptisch: Kirsten, Verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung für Sachmängel beim Warenkauf?, 2009, passim. 47 Larenz I, S. 278. 48 Vgl. die entsprechende Kritik Kramers AcP 171 (1971) 422, 428. 49 Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesminister der Justiz), Bundesanzeiger 1992, S. 122.

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sind auch die Autoren des konsolidierten Regierungsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz gefolgt. Danach führe das Garantieprinzip oder der Einstandsgedanke zu Ergebnissen, „die unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten keinesfalls zu überzeugen vermögen“.50 Diese Einschätzung findet sich gerade in der Begründung des Regierungs- bzw. Abgeordnetenentwurfs an zahlreichen Stellen wieder und soll dort begründen, warum der Schuldner bei subjektiver ursprünglicher Unmöglichkeit nur bei „Verschulden“ (richtig: Vertretenmüssen) hafte.51 In eigentümlichem Kontrast dazu steht der Umstand, dass der Reformgesetzgeber gerade den Maßstab des Vertretenmüssens in § 276 Abs. 1 iSd. Garantiegedankens verschärft hat: Dort ist der Schuldner nunmehr nicht nur für Vorsatz und Fahrlässigkeit verantwortlich (Verschulden), sondern haftet auch verschuldensunabhängig, wenn eine strengere Haftung bestimmt oder aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere durch Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Damit werden Garantieelemente sogar zum allgemeinen Haftungsmaßstab erhoben. Es macht aber nur einen terminologischen Unterschied, ob man einem Verkäufer – um im Beispiel zu bleiben – die Geschäftsunerfahrenheit zum Verschuldensvorwurf gereichen lässt oder gleich davon ausgeht, dass er für die Geschäftserfahrenheit iSd. § 276 Abs. 1 einzustehen habe. Wissenswert erscheint vor allem, dass die anglo-amerikanischen, auf Einstandspflichten beruhenden Leistungsstörungsrechte keine gegenüber dem deutschen Recht strengere Haftung begründen, wie dies in den Gesetzesberatungen zur Schuldrechtsreform anklang. Die Einstandspflicht oder Garantie ist nämlich dort regelmäßig durch das Prinzip der Foreseeability begrenzt: Der Schuldner haftet nur für solche Leistungshindernisse, die ein objektiver Beobachter bei Vertragsschluss in seiner Position voraussehen konnte. Der Reformgesetzgeber hat diesen Haftungsmaßstab auch im Rahmen des § 311a Abs. 2 übernommen, woran sich ein weiteres Mal zeigt, dass der objektive Verschuldensbegriff des § 276 Abs. 1 und 2 auf einer Einstandspflicht des Schuldners gründet. Der kritische Leser fragt natürlich, warum hier über Verschuldens- und Garantieprinzip überhaupt gestritten wird, wenn die Ergebnisse doch weitgehend in dieselbe Richtung laufen. Die Antwort lautet, dass dieser Streit aus denselben Gründen geführt wird, aus denen es juristische Dogmatik überhaupt gibt. Die Dogmatik lässt sich vielleicht etwas bildlich als das Gedächtnis des Juristen beschreiben.52 Sie erlaubt ihm, tausend gerichtliche Einzelentscheidungen zu vergessen, wenn deren tragender Rechtsgrund vollständig und widerspruchsfrei auf eine Formel gebracht wird. Der im Zivilrecht gebrauchte „Verschuldensbegriff“ leidet aber an einem inneren Widerspruch: So sehr im Rahmen des § 276 Canaris JZ 2001, 499, 506; ähnlich H. Roth JZ 2001, 543, 548. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 165. Vgl. dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983; Herberger, Dogmatik, 1981; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 23ff. 50 51 52

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Abs. 1 auch der Garantiegedanke obwalten mag, so setzt Verschulden doch stets den Vorwurf rechtswidrigen Handelns voraus. Denn der Verschuldensvorwurf muss ja stets auf ein Verhalten des Schuldners bezogen werden. Eine am Verschuldensprinzip orientierte Rechtsordnung rückt daher stets die verschiedenen Typen der zur Leistungsstörung führenden Handlung in den Mittelpunkt der systematischen Unterscheidung: Nichtleistung, Verzögerung der Leistung, Schlechtleistung, Unmöglichkeit der Leistung, Schädigung sonstiger Rechtsgüter des Gläubigers durch die Leistung. Ein so konzipiertes System handelt sich zwingend stets alle möglichen Abgrenzungsschwierigkeiten ein (Bsp.: Abgrenzung Unmöglichkeit/nicht behebbarer Mangel, Abgrenzung Mangel-/Mangelfolgeschaden usw.) und führt zu einem komplizierten System von Verweisungen (vgl. nur den Wortlaut des § 437 Nr. 3). Dass im BGB diese konfliktträchtige Systementscheidung getroffen wurde, wird historisch durch einen Zufall erklärt: Durch den frühen Tod des für das Schuldrecht verantwortlichen Redaktors von Kübler setzte sich nämlich der Einfluss Friedrich Mommsens durch, der ein umfangreiches Werk über die verschiedenen Formen der Unmöglichkeit verfasst hatte.53 Indem die Unmöglichkeit in den systematischen Mittelpunkt des Leistungsstörungsrechts rückte, wurde dort das Problem des Übergangs von Leistungs- und Gegenleistungsgefahr und von Schuld und Haftung zum Dreh- und Angelpunkt der Überlegungen. Der Preis für diese Systementscheidung war indes hoch: An die Stelle eines einheitlichen Gewährleistungsrechts rückte ein kompliziertes System der Leistungsstörungen. Entsprechend wurde das Leistungsstörungsrecht des BGB im Rechtsvergleich stets als einer seiner schwächsten Teilbereiche angesehen.54 So bestand auch das ursprüngliche Ziel der Schuldrechtsreform darin, diese Schwäche durch Anlehnung an das Vorbild der anglo-amerikanisch geprägten Leistungsstörungsrechte (CISG usw.) zu überwinden.55 Diese Absicht wurde jedoch in der Hast des Beratungsverfahrens und in der Not, bis zum Jahresende 2001 ein Gesetz verabschieden zu können (unten Rn. 46), nicht ganz umgesetzt, sondern teilweise wieder zugunsten einer traditionellen Sichtweise aufgegeben, die an Unmöglichkeit, Verzug usw. anknüpfte und nur das Schadensersatzrecht in § 280 Abs. 1 Satz 1 im Begriff der Pflichtverletzung vereinheitlichte. Unmittelbar nach Inkrafttreten der Reform wurde daher Kritik am komplizierten Verweisungssystem des Gesetzes laut.56 Der Vorteil des anglo-amerikanischen Leistungsstörungsrechts liegt hingegen darin, dass es nicht die Tatbestände der Leistungsstörung in den Mittelpunkt des dogmatischen Interesses rückt, sondern deren Rechtsfolge (Rn. 2). Daraus entstehen systematisch geschlossene Friedrich Mommsen, Die Unmöglichkeit in ihrem Einfluss auf obligatorische Schuldverhältnisse, 1853. 54 Dazu Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 486ff. und Zimmermann, The Law of Obligations, Cape Town 1990, S. 809f. 55 U. Huber, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesminister der Justiz), Bd. 1, 1981, S. 647, 699. 56 Vgl. etwa Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 2 Rn. 2, 23 am Ende. 53

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Normtatbestände wie Art. 45 Abs. 1 CISG, die das anglo-amerikanische Modell für die Fortentwicklung des Vertragsrechts so unwiderstehlich machen: (1) Erfüllt der Verkäufer eine seiner Pflichten nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen nicht, so kann der Käufer (a) die in den Artikeln 46 bis 52 vorgesehenen Rechte ausüben; (b) Schadensersatz nach Artikel 74 bis 77 verlangen […]

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Auf der Grundlage des gerade Ausgeführten lässt sich nun bereits ein Teil der oben aufgeworfenen Fragen (Rn. 1) beantworten: (1) Aus Vertrag haftet der Käufer, weil in § 437 normiert ist, bis zu welchem Grad das Vertrauen des Käufers in das Leistungsversprechen des Verkäufers schutzwürdig ist. Vertragliche Rechtsfolgen können nämlich nicht nur aus dem ausdrücklichen Inhalt der Willenserklärungen der Parteien entstehen, sondern auch dadurch, dass der Versprechensempfänger auf dessen Erfüllung nach Treu und Glauben vertraut. (2) Schutzpflichten können nach §§ 119ff. nicht angefochten werden, weil sie nicht auf einer Erklärung des Verpflichtungswillens beruhen, sondern auf dem Vertrauen des Erklärungsempfängers, das auf der Willenserklärung einer Vertragspartei gründet. Die §§ 119ff. regeln aber nur Mängel in der Willensbildung, die zu einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung führen; die Rechtsfolgen geschützten Vertrauens können sie dagegen nicht beseitigen.57 Warum eine Norm des Mietrechts auf das Finanzierungsleasing Anwendung finden soll, ist damit allerdings nicht beantwortet. Dies ist Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen. 2. Anwendungsbereich und praktische Funktionen der im Gesetz normierten Vertragstypen a) Die typologische Zuordnung

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Die Methode der typologischen Zuordnung beruht auf folgendem Begriffsverständnis:58 Das in der Praxis übliche Finanzierungsleasing, das im Wirtschaftsleben regelmäßig durch die AGB der Leasinggeber (häufig Banken) ausgestaltet wird, gilt als sog. Häufigkeitstypus, die in den §§ 535ff. geregelte Miete dagegen als Normstrukturtypus. Beiden Gebilden liegt zunächst das dogmatische Institut des Typus zugrunde. Diesen wiederum kennzeichnet seine Verschiedenheit vom juristischen Begriff: Beruht ein Normtatbestand auf einem Begriff, ist er nur anwendbar, wenn sämtliche Voraussetzungen in einem Lebenssachverhalt vorliegen (vgl. die Tatbestandsmerkmale der Strafrechtsnormen, etwa §§ 242, 263 StGB). Dem Typus liegt hingegen die Vorstellung zugrunde, dass der An57 Dazu Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 259ff.; zum Rechtsfolgenirrtum Medicus/Petersen AT Rn. 750. 58 Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 461ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 547f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 298ff.

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wendungsbereich eines Rechtssatzes nicht durch einen abschließenden Katalog von Tatbestandsmerkmalen erfasst werden kann, sondern nur durch ein Werturteil:59 Es soll darauf ankommen, dass die den Typus prägenden Merkmale in solchem Umfang oder zumindest teilweise in einer solchen Dichte vorliegen, dass bei wertender Gesamtbetrachtung eine Zuordnung zum Typus möglich wird. So werden die §§ 433ff. als vom Gesetzgeber geschaffene Typen (Normstrukturtypen) verstanden, weil es andernfalls nicht möglich wäre, mit ihrer Hilfe die vielfältigen vertragsrechtlich relevanten Lebenssachverhalte zu erfassen. Denn mit der ständigen Fortentwicklung der Märkte verändern sich auch die Modelle des vertraglichen Interessenausgleichs zwischen den Parteien, so dass deren Vereinbarungen längst nicht immer dem entsprechen, was etwa § 433 als Voraussetzung eines Kaufvertrages aufführt: Beispiel A kauft von B eine Sache unter der Bedingung, diese Sache dem B noch einmal zu einem bereits festgesetzten Preis in zwei Jahren andienen zu können. Als er auf einen Mangel der Sache aufmerksam wird, verlangt er von B Nacherfüllung.

Die prägenden Merkmale eines Vertragstypus erschließen sich regelmäßig aus den von den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten. Insoweit spiegelt die Typenlehre das historische Verständnis von den essentialia negotii wider (Rn. 3f.). Beim Kaufvertrag nach § 433 Abs. 1 kommt es deshalb auf die Pflicht des Verkäufers an, die Rechtsinhaberschaft am Kaufgegenstand zu verschaffen, und die Pflicht des Käufers, dafür ein Entgelt zu entrichten: Nacherfüllung kann A von B nach den §§ 437 Nr. 1, 439 verlangen, wenn zwischen beiden Parteien ein Kaufvertrag vorliegt. Prägende Merkmale eines Kaufvertrages sind die Rechtsverschaffungspflicht des Verkäufers und die Entgeltzahlungspflicht des Käufers. Diese finden sich auch in der Vereinbarung von A und B. Dass beide darüber hinaus ein Wiederverkaufsrecht des A vereinbart haben (Rn. 529), stellt eine Zufälligkeit im Einzelfall dar (accidentalium negotii, Rn. 3), hindert aber die typologische Zuordnung ihrer Vereinbarung zu § 433 bei wertender Gesamtbetrachtung nicht. Der Anspruch besteht danach.

Im praktischen Fall geht es meist um die Frage, ob eine bestimmte Rechtsnorm, die einem der gesetzlich geregelten Normstrukturtypen angehört, auf die Vereinbarung der Parteien angewendet werden kann oder nicht. Dabei gilt unabhängig von der Typenlehre vor allem der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG): Gleiche Fälle müssen gleich, ungleiche hingegen ungleich behandelt werden. Er bildet auch die Grundlage der Analogie im Zivilrecht:60 Danach muss eine Norm nämlich auf alle diejenigen Fälle Anwendung finden, auf die sie ihrer Zwecksetzung nach passt, während alle Sachverhalte aus ihrem Anwendungsbereich auszunehmen sind, auf die der Zweck gerade nicht passt. Die typologi-

Thomas Becker, Die Auslegung des § 9 Abs. 2 AGB-Gesetz, 1986, S. 92, 94; Larenz, Methodenlehre, S. 304, 466; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971, S. 179; H P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 101. 60 Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 375. 59

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sche Zuordnung hat im Grunde nichts anderes zum Ziel. Allerdings liegen die Fälle nicht immer so einfach. So kreist eine Reihe von Theorien um die Einordnung der sog. atypischen Verträge. Es handelt sich dabei um Formen des vertraglichen Leistungsaustauschs wie das Finanzierungsleasing, das Franchising oder den Kreditkartenvertrag, die im BGB ursprünglich nicht vorgesehen waren. Im Rahmen des Finanzierungsleasing nach dem sog. Vollamortisationsmodell (Rn. 712 ff.) verpflichtet sich der Leasinggeber etwa, eine vom Leasingnehmer zuvor bei einem Dritten ausgesuchte Sache käuflich zu erwerben, um sie sodann dem Leasingnehmer während ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer zum Gebrauch zu überlassen. Der Leasingnehmer schuldet im Gegenzug die Zahlung von (Monats-)Raten. Beim Finanzierungsleasing handelt es sich – wie bereits ausgeführt (Rn. 15) – um einen Häufigkeitstypus, der nicht im Gesetz geregelt ist, sondern sich vor allem in der Wirtschaftspraxis durchgesetzt hat. Die hier gestellte Ausgangsfrage (Rn. 1), ob Mietrecht auf den Finanzierungsleasingvertrag anwendbar ist, verdeutlicht dabei einen systematischen Zusammenhang: Das Finanzierungsleasing als Häufigkeitstypus stellt einen Lebenssachverhalt dar, auf den das Mietrecht als Normstrukturtypus angewendet werden soll, ebenso wie auf einen Straßenverkehrsunfall der § 7 StVG angewendet wird. Diese Ausgangsfrage ist aber in gefährlicher Weise unscharf gestellt. Denn eigentlich erscheint die typologische Zuordnung als ein dogmatisches Hilfsmittel, um im Einzelfall eine bestimmte Norm aus dem System des Normstrukturtypus auf die Parteivereinbarung anzuwenden. Dafür wird jedoch ein immenser Aufwand betrieben: die Parteivereinbarung wird in einem ersten Schritt insgesamt dem Normstrukturtypus zugeordnet, nur damit in einem davon zu unterscheidenden zweiten logischen Schritt eine dem Normstrukturtypus angehörende Regelung auf die Parteivereinbarung angewendet werden kann. Dabei stellt sich eine einfache Frage: Warum wird diese Norm, um die es ja eigentlich geht, nicht einfach analog auf die Parteivereinbarung angewendet? Mit dieser Frage verbindet sich ein Grundlagenproblem der Typenlehre. Es kann am Beispiel des Finanzierungsleasings verdeutlicht werden: Die Pflicht des Leasinggebers, an der vom Leasingnehmer ausgesuchten Sache Eigentum zu erwerben, bedeutet wirtschaftlich gesehen, dass der Leasinggeber die Anschaffung finanzieren muss, um sie später dem Leasingnehmer auch überlassen zu können. Diese Finanzierungspflicht verweist den Leasingvertrag zunächst eher ins Darlehensrecht (§§ 488ff., 506 Abs. 2). Hat der Leasinggeber die Sache aber erworben, muss er sie dem Leasingnehmer gegen ein monatlich zu entrichtendes Entgelt dauerhaft überlassen. Diese Pflicht erinnert wiederum an die Miete nach §§ 535ff. Fraglich ist also, was gelten soll: Miet- oder Darlehensrecht oder auch beides. Die Antwort lautet: Alles wird hier vertreten.61 Nach der sog. Ab-

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Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1991, S. 19ff. und Larenz/Canaris II/2 § 63 I 3 a.

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sorptionstheorie62 ist auf einen atypischen Häufigkeitstypus das Recht des dominanten Normstrukturtypus anzuwenden. Besteht die wirtschaftlich bedeutendste Pflicht des Finanzierungsleasings in der Gebrauchsüberlassung, so muss Mietrecht zur Anwendung kommen. Dies ist der Weg der Rechtsprechung; sie wendet daher auf das Finanzierungsleasing „im Zweifel“ Mietrecht an.63 Das zentrale methodische Problem der Absorptionstheorie liegt darin, dass sie die zugrunde liegende Schwerpunktsetzung bei einem Normstrukturtypus meist nicht begründen kann. Wegen der Anschaulichkeit sei kurz auf folgendes Beispiel aufmerksam gemacht (vgl. auch Rn. 770): (OLG Oldenburg 4.1.2011 – 12 U 91/10 = ZGS 2011, 383) G hat sein Pferd bei Stallwirt S aufgestallt. Weil der Hinterlauf des Tieres sich in der nicht ausreichend befestigten Umwandung der Stallbox verfängt, erleidet dieses erhebliche Verletzungen, für deren Behandlung G eine fünfstellige Summe aufbringen muss. Das technische Problem lag bereits vor Abschluss des Vertrages zwischen S und G vor, doch trifft S der Vorwurf des Vertretenmüssens nicht, da er die Stallumwandung fertig montiert vom Hersteller H bezogen hat und das Sicherheitsdefizit von außen nicht zu erkennen war.

In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Stallwirt ohne Vertretenmüssen aus einem Mietvertrag nach § 536a Abs. 1 erster Fall haftet oder ob es auf ein Vertretenmüssen ankommt, weil ein entgeltlicher Verwahrungsvertrag nach § 688 vorliegt und sich der Anspruch nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 richtet. Das Gericht erkennt zunächst, dass der Vertrag über die Einstellung eines Pferdes Elemente des Miet-, Kauf-, Dienst- und Verwahrungsvertrages beinhaltet (S. 384). Doch werde der Eigenart des Vertrages grundsätzlich nur „die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt“ (S. 383). Als diesen sieht es das Verwahrungselement an, weil der Stallwirt nicht nur eine Box zur Verfügung stelle, sondern auch für das Pferd sorgen müsse (S. 384). Entsprechend weist das OLG die Klage mangels Vertretenmüssens des Stallwirtes ab. Die nicht näher begründete Schwerpunktsetzung iSd. Absorptionstheorie tritt an die Stelle einer konkreten Erörterung der Frage, welche Haftungsnorm auf den Fall besser passt: § 536a Abs. 1 erster Fall oder §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Stattdessen erscheint es so, als sei diese Frage bereits auf einer „höheren Ebene“, nämlich der der Typenzuordnung des Einstellungsvertrages zur Verwahrung, entschieden und vorliegend gehe es nur noch um die konsequente Umsetzung dieser Weichenstellung. Stellt man die Frage nach der sachlich näherliegenden Anspruchsgrundlage hingegen konkret, bleiben erhebliche Zweifel: Denn die Box wird ja eher wie bei der Miete vom Eigentümer des Pferdes unmittelbar zur Aufbewahrung seines Tieres benutzt und ähnelt nicht etwa dem für die Verwahrung typischen Schließfach, in dem der Stallwirt das Pferd aufhebt und bei Be62 Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des deutschen Reiches, Bd. 1, 1902 und Bd. 2, 1908, S. 176ff., 686ff. 63 Erstmals BGH NJW 1977, 195, 196; vgl. auch die Bestätigung in BGHZ 68, 118, 123 = NJW 1977, 848, 849.

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darf an den Eigentümer herausgibt. Dass der Vertrag über die Aufstallung in anderen Belangen, etwa im Hinblick auf die besonders hervorgehobenen und vom Stallwirt geschuldeten Pflegeleistungen auch an die Verwahrung erinnert, besagt nichts über die Rechte und Pflichten der Parteien im Hinblick auf die Gebrauchsüberlassung an den Räumlichkeiten. Nicht nur in diesem Fall erscheint die Schwerpunktsetzung auch nicht rational begründet: Denn die Mischung der Typen und das Fehlen eines Schwerpunktes machen ja gerade das Wesen solcher Vertragstypen aus; einen nach rationalen Kriterien bestimmbaren Schwerpunkt weisen sie meist nicht auf. Schwerer wiegt indes, dass die Schwerpunktsetzung – wie bereits ausgeführt – von der entscheidenden Sachfrage ablenkt, welche Anspruchsgrundlage ihrem Schutzzweck nach eher auf den Fall passt: § 536a Abs. 1 erster Fall oder §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Dieser Eindruck lässt sich auf folgende Kritikpunkte bringen: (1) Es entspricht gerade der Natur eines typengemischten Vertrages, dass eine zweifelsfreie Schwerpunktbildung hin zu einem einzigen Normstrukturtypus nicht eindeutig möglich ist. Deshalb bildet die Schwerpunktsetzung kein rationales Kriterium für die Bestimmung einer im Einzelfall anwendbaren Norm. (2) Auch wenn ein solcher Schwerpunkt bestimmt werden kann, sagt dieser im Einzelfall nichts darüber aus, ob eine Rechtsfolge sich aus den Normen ableitet, die dem schwerpunktmäßig berufenen Normstrukturtypus angehören, oder ob bei dieser nicht eher dem atypischen Element des Vertrages Rechnung getragen werden muss. Eindeutigkeit kann die Absorptionstheorie auch in diesem Punkt nicht leisten. (3) Überzeugender erscheint es daher, die Rechtsfolge im Einzelfall mit den Mitteln der Analogie zu begründen. Diese Kritik greift die Kombinationstheorie64 auf. Nach ihr können Normen aus unterschiedlichen Normstrukturtypen kombiniert auf einen Häufigkeitstypus angewendet werden. Das Finanzierungsleasing erscheint danach – um auf das Ausgangsbeispiel zurückzukommen – als eine Kombination aus Miet- und Darlehensrecht.65 Eine problembezogenere Variante dieses Ansatzes stellt die Theorie der analogen Anwendung des Vertragsrechts von Otto Schreiber dar:66 Soweit ein Häufigkeitstypus sich nicht eindeutig einem der bekannten Normstrukturtypen zuordnen lässt, soll hinsichtlich jeder einzelnen Rechtsfrage im Wege der Analogie geprüft werden, ob und welche Gesetzesnorm Anwendung finden kann. Dies führt den theoretischen Streit auf den eigentlichen Problemkern zurück: Eine Norm aus dem Bereich der §§ 535ff. kann nur auf solche Sachverhalte angewendet werden, auf die sie ihrer Zwecksetzung nach passt:

Hoeniger, Vorstudien zum Problem der gemischten Verträge, 1906; ders., Gemischte Verträge in ihren Grundformen, 1910. 65 So etwa Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1991, S. 88ff. 66 Otto Schreiber, Gemischte Verträge im Reichsschuldrecht, JheringJb 60 (1912) 106ff. 64

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Beispiel Leasinggeber LG hat Leasingnehmer LN im Wege des Finanzierungsleasing eine Maschine für fünf Jahre verleast. Beide Parteien gehen davon aus, dass nach dieser Zeit die Maschine wirtschaftlich wertlos geworden ist und die Leasingraten des LN die Anschaffungs- und Finanzierungskosten des LG abgedeckt haben werden (sog. Vollamortisationsprinzip). Bei Ablauf des Vertrages wird das Unternehmen des LN indes bestreikt, so dass er die Maschine erst zwei Monate später an LG zurückgeben kann. LG verlangt wegen Nutzungsausfalls den Betrag von zwei vollen Leasingraten. Zu Recht?

Der BGH geht davon aus, dass auf das Finanzierungsleasing in erster Linie Mietrecht anwendbar ist. Im Mietrecht aber schuldet der Mieter, ohne dass es auf ein Vertretenmüssen ankommt, eine pauschalierte Entschädigung iHd. monatlichen Miete nach § 546a Abs. 1 für jeden Monat, in dem er die Sache über den vertraglich vereinbarten Zeitpunkt hinaus gebraucht. Diese Norm wendet der BGH daher im Zweifel an (Rn. 747).67 Dennoch passt sie ihrer Zwecksetzung nach eigentlich nicht auf das Finanzierungsleasing mit Vollamortisation. § 546a Abs. 1 nämlich die gesetzgeberische Vorstellung zugrunde, dass ein Vermieter die Mietsache während der Überschreitung der Mietzeit mindestens zu gleichen Bedingungen an einen anderen Mieter hätte vermieten können und dass der Mieter während der Überschreitungszeit mindestens iHd. Miete einen wirtschaftlichen Vorteil hatte. Die wirtschaftliche Lebenszeit der Leasingsache ist aber abgelaufen; deshalb greifen die § 546a Abs. 1 zugrunde liegenden Rechtsgedanken nicht: Vorliegend hätte LG die Maschine wohl gar nicht oder doch nur zu erheblich ungünstigeren Bedingungen weiterverleasen können; auch entsprechen die Vorteile des Leasingnehmers aus der weiteren Verwendung der wirtschaftlich überlebten Maschine nicht dem in den Leasingraten festgesetzten Wert. Deshalb können von LN allein bereinigte Leasingraten geschuldet sein (Rn. 747). Das Beispiel zeigt eine der zentralen Gefahren der Absorptionstheorie, aber auch der typologischen Zuordnung als solcher.68 Denn beide legen oft folgenden höchst problematischen „juristischen Dreisatz“ nahe: Der Häufigkeitstyp X ist dem Normstrukturtyp Y zugeordnet, deshalb muss auf X das Recht von Y im Zweifel Anwendung finden. Ein Anklang davon findet sich in § 307 Abs. 2 Nr. 1: Nach dieser Norm ist eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners „im Zweifel“ anzunehmen, wenn der andere in seinen AGB von einer gesetzlichen Regelung abweicht. Manche Autoren fassen diese Norm deshalb gar als Rechtsanwendungsregel auf:69 Danach soll der AGB-Verwender die Last rechtlicher Zweifel tragen, wenn er in seinen AGB vom dispositiven Recht abweicht. Ruft man sich allerdings in Erinnerung, dass Normen nur dort (analoge) Anwendung finden können, wo sie (ihrem Zweck nach) einschlägig 67 BGHZ 107, 123, 128 = NJW 1989, 1730; BGH NJW 1991, 221, 222; BGHZ 71, 196, 205 = NJW 1978, 1432, 1434. 68 Dazu ausführlicher Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 303ff. 69 Etwa noch M. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 4. Aufl. 1999, § 9 Rn. 58; dagegen Thomas Becker, Die Auslegung des § 9 Abs. 2 AGB-Gesetz, 1986, S. 37ff.

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sind, kann eine solche „Zweifelsregelung“ nicht gelten. Rechtliche Zweifel über den Zweck einer Norm und ihre Analogiefähigkeit hat gerade der Rechtsanwender zu zerstreuen („da mihi facta, dabo tibi ius!“).70 Im Übrigen bringt die Zuordnung einer atypischen Parteivereinbarung zu einem Normstrukturtypus wie bereits erwähnt (Rn. 19) nie die Gewissheit, dass die dem Normstrukturtypus zuzuordnenden Regelungen gerade auch im Einzelfall passen. Denn hier besteht stets die Möglichkeit, dass sich gerade das Atypische des neuen Häufigkeitstyps auswirkt. Gemessen daran erscheint die typologische Zuordnung daher häufig als ein logischer Umweg: Denn auch wenn Häufigkeitstypus X dem Normstrukturtypus Y zugeordnet werden kann, muss man dennoch in jedem Einzelfall prüfen, ob eine bestimmte Norm von Y im Einzelfall auf X passt. Dieser letzte Prüfschritt entspricht aber dem der Analogie und spricht für die Theorie Otto Schreibers, nach der es von vornherein überhaupt nur um die analoge Anwendung des Vertragsrechts im Einzelfall geht. In der Praxis bedeutet dies, dass ein neuartiger Häufigkeitstypus als Vertrag sui generis eingeordnet wird. Auf ihn finden diejenigen Normen aus dem Gesamtbereich der §§ 433ff. Anwendung, die im Einzelfall jeweils am ehesten auf ihn passen. Findet sich keine analogiefähige Norm, muss aus dem Prinzip des § 242 heraus (Rn. 3f.) ein neuer Rechtssatz entwickelt werden. Ein aktuelles Beispiel ist etwa die typologische Zuordnung des Kreditkartenvertrages durch die Rechtsprechung71. Weitere Gründe für diesen Weg liegen auf der Hand: Die §§ 433ff. gehen im Wesentlichen auf die actiones des römischen Rechts zurück.72 In ihnen können gar nicht alle Probleme der modernen Vertragstypen gelöst sein, und es widerspräche dem in § 311 Abs. 1 angelegten Prinzip der Typenfreiheit, dh. der Freiheit der Parteien, neue Formen des Austauschvertrages kraft Vereinbarung zu schaffen, wenn man alles Neue in die „alten Schläuche“ zwingen wollte. Dies bedeutet nicht, dass die typologische Zuordnung als Methode obsolet wäre; in diesem Lehrbuch wird sie vielfältig angewendet werden. Beachtenswert sind nur ihre methodischen Grenzen: Wie es die Bezeichnung bereits nahelegt, kann die typologische Zuordnung bei atypischen Verträgen nur eingeschränkt zur Anwendung kommen. Mit entsprechender Vorsicht sind deshalb auch die im Schrifttum referierten Kategorien der Typentheorie zur Kenntnis zu nehmen.73 Bei der typologischen Zuordnung werden unterschieden: (1) Die typengemischten Verträge. Zu ihnen zählen: (a) Typenkombinationsverträge. Dabei handelt es sich um Häufigkeitstypen, bei denen wenigstens auf eine Hauptleistungspflicht Rechtsvorschriften Eigene Übersetzung: „Gib mir die Fakten, dann gebe ich Dir das Recht!“. BGHZ 114, 238, 241 = WM 1991, 1110 = ZIP 1991, 792; BGHZ 137, 27, 30 = WM 1997, 2244. 72 Dazu etwa Paricio, in: Andrés Santos/Baldus/Dedek, Vertragstypen in Europa, 2011, S. 11, 12ff. 73 Vgl. etwa Larenz/Canaris II/2 § 63 I 1 b; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1991, S. 20f. 70 71

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Anwendung finden, die zu verschiedenen Normstrukturtypen zählen. Als Beispiel wird der Kinovertrag genannt, bei dem der Sitzplatz vermietet wird (Miete), zugleich aber die Vorführung als Erfolg geschuldet wird (Werkvertrag).74 (b) Typenverschmelzungsverträge. Hier überkreuzt sich der Anwendungsbereich zweier Normstrukturtypen anders als bei den Typenkombinationsverträgen untrennbar. Als Paradebeispiel gilt die gemischte Schenkung: Eine Sache wird zum halben Preis verkauft (Rn. 785). (c) Verträge mit anderstypischer Gegenleistung. Als Beispiel wird der Hausmeistervertrag genannt, bei dem der Hausmeister eine Dienstleistung nach §§ 611ff. schuldet, der Eigentümer aber die Überlassung einer Hausmeisterwohnung.75 (2) Die atypischen Verträge. Sie sind keinem Normstrukturtypus zuzuordnen. Auf sie finden die §§ 433ff. im Wege der Analogie dort Anwendung, wo es der Zweck der Einzelnormen gebietet. Die Übersicht zeigt die Vielgestaltigkeit der Kombinationsmöglichkeiten, die der Privatautonomie der Parteien nach § 311 Abs. 1 entspringen kann. Die Einordnung eines Häufigkeitstypus als Typenkombinationsvertrag besagt daher nicht immer etwas darüber, ob eine bestimmte Norm des Vertragsrechts im Einzelfall auf eine mit diesem Häufigkeitstypus verbundene Rechtsfrage passt. b) Die praktische Bedeutung der §§ 433ff

Bis auf Ausnahmefälle (vgl. §§ 476 Abs. 1 und 2, 478 Abs. 2 sowie die Normen über die Wohnraummiete) sind die Vertragsrechtsnormen des BGB dispositiv. Sie können also von den Vertragsparteien kraft vertraglicher Vereinbarung abbedungen werden. Ihre praktische Bedeutung liegt daher in drei Bereichen: Die §§ 433ff. geben den Maßstab der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 vor (unten Rn. 24f.); sie dienen ferner der Ergänzung von Vertragslücken (unten Rn. 26ff.) und gestalten – sofern sie ausnahmsweise nicht zur Disposition der Parteien stehen – den Verbraucherstatus aus (unten Rn. 31ff.).

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aa) Der Leitbildcharakter des dispositiven Rechts

Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 ist von einer unangemessenen Benachteiligung durch den Verwender von AGB im Zweifel auszugehen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Der AGB-Verwender kann zwar das dispositive Vertragsrecht abbedingen; seine Klausel wird in diesem Fall jedoch am Gerechtigkeitsgedanken der gerade abbedungenen Norm auf ihre Angemessenheit hin überprüft. Die Norm geht auf die in der Rechtsprechung herausgebildete Lehre vom Leitbildcharakter des dispositiven Rechts zurück.76 Diese 74 75 76

Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1991, S. 20. Ähnlich Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1991, S. 20. Zur Terminologie vgl. va. Weick NJW 1978, 11, 12.

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gründet ihrerseits auf einer zentralen Arbeit Ludwig Raisers aus dem Jahre 1935.77 Raiser ließ sich dabei von der Überlegung leiten, dass der Gesetzgeber in den §§ 433ff. Modelle für einen gerechten vertraglichen Leistungsaustausch geschaffen hat. Abweichungen in vorformulierten Verträgen müssen sich deshalb am Gerechtigkeitsgehalt dieser Normen messen lassen, weil dem Stellen von AGB keine Vertragsverhandlung der Parteien auf Augenhöhe vorangegangen ist, sondern eine Seite ihre wirtschaftliche Überlegenheit dazu benutzt, der anderen „ihre Bedingungen“ zu stellen (§ 305 Abs. 1 Satz 1). Diese Lehre bestimmt die gedankliche Struktur des § 307 Abs. 2 Nr. 1: Wird in einem ersten Schritt die Abweichung einer vorformulierten Klausel von einer dispositiven Vertragsrechtsnorm festgestellt, muss auf einer zweiten Stufe deren Schutzzweck ermittelt werden. Anschließend kommt es dann darauf an, ob die Klausel diesem Zweck auf andere Weise Rechnung trägt, ob er entbehrlich ist oder ob seine Wirkungen in anderer Weise erreicht werden. Bei sorgfältiger Anwendung führt diese Methode zu einem gelungenen Kompromiss zwischen dem Schutz der Vertragsfreiheit der Parteien einerseits (§ 311 Abs. 1) und dem Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragsgegenseite andererseits: Denn das Recht bleibt offen für Veränderungen, behält sich aber vor, diese anhand eines Kanons von Gerechtigkeitsprinzipien zu überprüfen. Demgegenüber läutet die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (VerbrGüterKRiL; Rn. 46) einen Rückschritt ein: Sie zwingt den Gesetzgeber dazu, das Kaufrecht teilweise unabdingbar auszugestalten (vgl. jetzt §§ 476 Abs. 1, 2 und 478 Abs. 2). Dadurch wird der Schutzaspekt einseitig in den Vordergrund gestellt, eine Fortentwicklung des Leistungsstörungsrechts durch die Wirtschaftspraxis aber praktisch verhindert. Die Möglichkeiten der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 enden allerdings dort, wo neue Rechtsfragen entstehen, die in das bekannte dispositive Vertragsrecht nicht eingearbeitet sind. Hier ist die Versuchung groß, iSd. Absorptionstheorie (Rn. 18) die Parteivereinbarung „im Wesentlichen“ einem Normstrukturtypus zuzuordnen, um dann dessen Normen „im Zweifel“ anzuwenden. Für die Normen des dispositiven Rechts kann aber nichts anderes gelten als für andere Rechtssätze: Sie unterliegen dem Gleichheitsgrundsatz (Rn. 16). Ebenso wie gleiche Fälle gleich und ungleiche ungleich behandelt werden müssen, können auch sie nur auf Fälle Anwendung finden, auf die sie ihrem Schutzzweck nach passen. Wo dies nicht mehr der Fall ist, findet die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 statt: Fraglich ist dann, ob durch eine AGBKlausel wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.78 Die Norm knüpft an die heute umstrittene Rechtsprechung zu

L. Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Nachdruck 1961. Renner AcP 213 (2013) 677, 684; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 319ff. 77 78

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den sog. Kardinalpflichten an.79 Dieser liegt vereinfacht ausgedrückt folgender Rechtsgedanke zugrunde: Wenn der Schuldner dem Gläubiger eine Leistung verspricht, darf er diese in seinen AGB nicht so ausgestalten, dass sie nur auf dem Papier steht, praktisch aber ihren wirtschaftlichen Wert verliert. Dahinter steht die bereits vorgestellte Lehre von der Vertragsnatur, wie sie in § 242 zum Ausdruck kommt (Rn. 3f.): Durch ihre Willenserklärungen legen sich die Vertragsparteien in mehr als einer Hinsicht fest. Sie versprechen nicht nur das ausdrücklich Erklärte, sondern erwecken bei der jeweiligen Gegenseite schutzwürdiges Vertrauen dahingehend, dass die versprochene Leistung so erfüllt wird, wie ein objektiver Beobachter in der Position des Versprechensempfängers dies erwarten darf. Diesem Vertrauen kann aber nicht durch AGB-Regelungen die Grundlage entzogen werden. Schwerlich lässt sich behaupten, dass alle Probleme der Anwendung des § 307 Abs. 2 Nr. 2 durch diese Theorie „gelöst“ würden; im Gegenteil: Ob das Gläubigervertrauen schutzwürdig ist oder nicht, muss sich gerade im Einzelfall erweisen. Wie die Lehre vom Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Rechts gibt der Rechtsgedanke der natura contractus nur eine Methode zur widerspruchsfreien Konkretisierung der Inhaltskontrolle vor. Die logische Struktur des § 307 Abs. 2 Nr. 2 unterscheidet sich dabei von der des § 307 Abs. 2 Nr. 1: Den Ausgangspunkt bildet die Auslegung der Willenserklärung des Schuldners nach §§ 133, 157. An sie schließt sich die Frage an, welche Gefahren sich durch die Erfüllung des Versprechens ergeben und welches Verhalten der Gläubiger nach Treu und Glauben (§ 242) vom Schuldner im Hinblick auf die Erfüllung des Versprechens erwarten darf. Aus den berechtigten Gläubigererwartungen resultieren vertragliche Treue-, Informations- und Schutzpflichten, an denen eine vorformulierte Klausel gemessen werden muss. bb) Vertragsergänzung

Die Normen des dispositiven Vertragsrechts dienen auch der Ergänzung von Lücken in der Vereinbarung der Parteien. Dort, wo die Parteien an die Regelung einer Rechtsfrage nicht gedacht haben, sollen die §§ 433ff. diese Lücke schließen. Nach hM. erscheint dies gerechtfertigt, weil das dispositive Vertragsrecht dem hypothetischen Willen der Parteien entspricht: Die Normen treffen angeblich genau die Regelungen, die die Parteien selbst vereinbart hätten, wären sie sich nur des Regelungsbedarfs bewusst geworden.80 Darauf wurde bereits kritisch eingegangen (Rn. 6). Nach hier vertretener Auffassung konkretisieren die Normen das schutzwürdige Vertrauen des Gläubigers in das Leistungsversprechen des Schuldners:81 Sie legen fest, welches Verhalten ein objektiver

BGH NJW 1956, 1065; darauf BR-Drucks. 360/75, S. 23; darauf BGH NJW 1985, 914, 916; kritisch etwa Staudinger/Coester § 307 Rn. 275. 80 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1906, § 85 Fn. 1; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht, 1966, S. 44; kritisch Stammler AcP 69 (1886) 1, 19ff., 28. 81 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 291. 79

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Beobachter in der Person des Gläubigers berechtigterweise von seinem Schuldner erwarten darf. Dort, wo Lücken in der Vereinbarung der Parteien nicht durch die Anwendung des dispositiven Vertragsrechts geschlossen werden können, hat die hM. die Lehre von der ergänzenden Vertragsauslegung entwickelt. (BGH 18.12.1954 – II ZR 76/54 = BGHZ 16, 71 = NJW 1955, 337) H war in Hamburg, B aber in einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg als Allgemeinmediziner tätig. Beide vereinbarten einen Tausch ihrer Praxen. Kurze Zeit nachdem H seine Tätigkeit in der badenwürttembergischen Kleinstadt in den Praxisräumen des B aufgenommen hat, kündigt B seine Rückkehr in diese Stadt an. H verlangt Unterlassung. Der Unterlassungsanspruch könnte sich aufgrund von Treu und Glauben (§ 242) aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Tauschvertrag (§ 480) ergeben.

Was an Fallgestaltungen wie der vorliegenden unbedingt einleuchtet, ist das Ergebnis: Unterläge der ursprünglich baden-württembergische Arzt keinem Wettbewerbsverbot, hätte der ursprünglich hamburgische Arzt praktisch keine Gegenleistung für den Tausch seiner eigenen Praxis erlangt: Denn der Wert der Praxis eines Allgemeinmediziners dürfte im Wesentlichen in ihrem guten Ruf und der persönlichen Bindung der Patienten gegenüber dem bisherigen Inhaber bestehen. An beidem will der Nachfolger partizipieren, wenn er die Praxis erwirbt. Kehrt der Vorgänger jedoch an den alten Wirkungsort zurück, geht dieser Vorteil verloren, weil die Patienten im Zweifel zum Veräußerer zurückkehren werden. Fraglich ist nur, wie ein Wettbewerbsverbot in diesen Fällen begründet werden kann. Dazu nimmt der BGH ausführlich Stellung. Wegen der Bedeutung der Überlegungen folgt die Passage hier im Original: „Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Die Auslegung hat hiernach zwar unter Berücksichtigung des Vertragszwecks, der Grundsätze von Treu und Glauben und der Verkehrssitte von den erkennbaren Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluß auszugehen. Dem Richter wird durch § 157 BGB jedoch die Aufgabe gestellt, den gesamten Vertragsinhalt nach objektivem Maßstab zu ermitteln. Dieser Aufgabe kann er nur genügen, wenn er den Vertragsinhalt auch in solchen Punkten feststellt, zu denen eine Vereinbarung der Parteien nicht vorliegt, gleichviel, ob sie bewußt auf eine ins Einzelne gehende Regelung verzichtet haben, ob die Lücke in den Vereinbarungen von Anfang an bestanden hat oder ob sie sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat […] Es ist daher im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gegebenenfalls auch dasjenige zu ermitteln und zu berücksichtigen, was die Parteien zwar nicht erklärt haben, was sie aber in Anbetracht des gesamten Vertragszwecks erklärt haben würden, wenn sie den offengebliebenen Punkt in ihren Vereinbarungen ebenfalls geregelt hätten und hierbei zugleich die Gebote von Treu und Glauben und der Verkehrssitte beachtet hätten. Voraussetzung ist hierbei, daß es sich um eine ausfüllungsbedürftige, d.h. für die Sicherung des Vertragszwecks wesentliche Lücke innerhalb des tatsächlich gegebenen Rahmens des Vertrages handelt […]“ (S. 337; Hervorhebungen durch den Verf.).

Auf dieser Grundlage und der bereits erörterten wirtschaftlichen Interessenlage der Parteien bejaht das Gericht vorliegend ein Wettbewerbsverbot im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (S. 337f.). Diese kennt also zwei Vorausset-

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zungen: Im Vertrag muss eine Regelungslücke festzustellen sein. Diese wird durch das geschlossen, was die Parteien in Anbetracht des Vertragszwecks erklärt haben würden, wenn sie in der offengebliebenen Frage eine Regelung getroffen hätten.82 Die Vorstellung, die Vertragsergänzung ließe sich aus einem solchen hypothetischen Parteiwillen begründen, hat scharfe Kritik herausgefordert.83 Vor allem Gernhuber hat kritisiert, dass die Begründung eines Rechtssatzes aus dem hypothetischen Parteiwillen nicht sicher danach unterscheide, ob die Vertragsergänzung aufgrund des von den Parteien Vereinbarten oder aufgrund einer davon verschiedenen außervertraglichen Rechtsgrundlage erfolge.84 Diese Kritik leuchtet zunächst ein: Denn der hypothetische Wille der Parteien ist nicht ihr wirklicher Wille iSd. § 133, sondern beruht auf einem von außen an die Parteien und ihren Vertrag herangetragenen Maßstab und wird damit zur Begründung einer außervertraglichen Norm. Die Begründung von Normen beruht aber im Wesentlichen auf dem ihnen zugrunde liegenden sachlichen und persönlichen Schutzzweck (Rn. 1056). Deshalb ist zu befürchten, dass ein Gericht darauf nicht weiter eingeht, wenn es die Vertragsergänzung wie das Ergebnis einer Parteivereinbarung behandelt. Denn der Inhalt einer Parteivereinbarung bedarf keiner weiteren Begründung aus einem persönlichen und sachlichen Schutzzweck; seine Rechtfertigung liegt allein in der Vertragsfreiheit der Parteien (§ 311 Abs. 1).85 Transparenter erscheint daher eine zweite, in der Rechtsprechung des BGH immer schon vorhandene objektive Art der Vertragsergänzung. Bei ihr geht es „nicht um die Ermittlung hypothetischer subjektiver Vorstellungen der Parteien, sondern um eine vernünftige Interessenabwägung auf rein objektiver Grundlage […]“.86 Von ähnlichen Voraussetzungen geht Larenz aus. Seiner Auffassung nach muss die Vertragsergänzung aus dem Sinnzusammenhang des Vertrages heraus betrieben werden: „Es fragt sich […], ob die Lücke dadurch geschlossen werden kann, daß man die im Vertrag getroffene Regelung auf der Grundlage der von beiden Parteien angenommenen Bewertungsmaßstäbe, unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der gesamten Interessenlage, folgerichtig weiterdenkt, die unvollständige Regelung aus ihren eigenen Voraussetzungen und ihrem Sinnzusammenhang heraus ergänzt.“87

Aber auch danach erscheinen die Voraussetzungen der Vertragsergänzung keineswegs zweifelsfrei. Denn es stellt sich die Frage, was genau mit dem Vertragszweck gemeint ist, von dessen Bestimmung die Lückenfüllung abhängen Vgl. auch BGHZ 7, 231, 235; 9, 273, 278. Oertmann AcP 140 (1935) 129, 147; vgl. auch ders., Rechtsordnung und Verkehrssitte, 1914, S. 153. 84 Gernhuber, in: FS Nikisch, 1958, S. 249, 261f. 85 Jürgen Schmidt AcP 178 (1978) 98, 103; vgl. auch Brecher, in: FS Nikisch, 1958, S. 227, 239; Finkenauer AcP 213 (2013) 619ff. 86 BGHZ 7, 231, 235; Hervorhebungen durch den Verf. 87 Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 538; ihm folgend Staudinger/Dilcher, 12. Aufl. 1980, §§ 133, 157 Rn. 42. 82 83

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soll. In Betracht kommen sicher nicht einseitig bei Vertragsschluss verfolgte Motive iSd. § 119 Abs. 2, weil diese nur in den Grenzen dieser Norm beachtlich und im Übrigen bei beiden Vertragsseiten häufig auch entgegengesetzt sind.88 Aber auch die Annahme eines von den Parteimotiven unabhängigen, eigenständigen Vertragszwecks lässt entscheidende Fragen offen. Unklar ist schon, wer über dessen Inhalt zu befinden hat. Der entscheidende Einwand gegen beide Theorien bezieht sich indes auf die von ihnen vorausgesetzte Regelungslücke.89 Es stellt nämlich einen unlösbaren Widerspruch dar, dass der Vertrag einerseits lückenhaft sein soll, andererseits aber die Grundlage für die Lückenschließung bilden kann.90 Unausgesprochen liegt indes allen Auffassungen und Argumenten die Überlegung zugrunde, dass vertragliche Pflichten nur aus dem Willen der Vertragsparteien begründet werden können (Rn. 6). Dieser Widerspruch lässt sich ein weiteres Mal auf der Grundlage der Lehre von der Vertragsnatur (Rn. 3f.) aufheben: Denn immer wenn ein Schuldner eine Leistung verspricht, legt er sich gegenüber dem Gläubiger nicht nur im Hinblick auf das ausdrücklich Erklärte fest. Sondern er erweckt beim Gläubiger auch schutzwürdige Erwartungen im Hinblick darauf, wie diese Schuld erfüllt werden wird. Gebunden ist der Schuldner wohlgemerkt nicht durch jede, möglicherweise unvernünftige Erwartung des Gläubigers, sondern nur durch das, was ein objektiver Beobachter in seiner Position nach Treu und Glauben (§ 242) erwarten darf. Auf den Fall angewendet bedeutet dies: Wer eine Praxis tauscht, erzeugt beim Tauschpartner berechtigterweise die Erwartung, dass dieser die neuerworbene Praxis während einer Karenzzeit ungestört betreiben kann. Gerade deshalb unterliegen die Tauschpartner einem entsprechenden Wettbewerbsverbot aus § 242. Ein Einwand bleibt: Immer wenn der Wille der Vertragsparteien als alleiniger Verpflichtungsgrund bemüht wird, erfolgt dies aus dem Grundverständnis heraus, dass in das vertragliche Regelwerk nicht die Gerechtigkeitsvorstellungen vertragsfremder Dritter (zB. des Richters) einfließen dürfen. Wo dies der Fall sei, könne nicht mehr in berechtigter Weise von vertraglichen Vereinbarungen gesprochen werden.91 Doch Willenserklärungen sind gerade keine autonomen Gebilde. Bereits der österreichische Rechtsgelehrte Schmidt-Rimpler hat darauf aufmerksam gemacht, dass der im Vertragsschluss verwirklichte Wille des Erklärenden von vornherein durch das Verständnis der Gegenseite fremdbestimmt ist.92 Auf ähnlichen Überlegungen beruht Larenz’ Theorie der WilMedicus, in: FS Flume, 1978, S. 629, 641. BGHZ 16, 71, 76; Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 538; vgl. auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983. 90 Henckel AcP 159 (1960) 106, 115 und 117; Gernhuber JZ 1962, 553, 555; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht, 1966, S. 13. Vgl. auch Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 1960, S. 118. 91 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 390ff. und 453; Schopp MDR 1958, 291f. 92 Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 20. 88 89

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lenserklärung als Geltungserklärung:93 Rechtlich gründet die Willenserklärung ebenso stark auf dem Verpflichtungswillen des Erklärenden wie auf ihrer Einwirkung auf die Vorstellung und das Verhalten des Erklärungsempfängers. Dies zeigt sich an § 119 Abs. 1: Zu dem in dieser Norm vorausgesetzten Auseinanderfallen von Geltendem und Gewolltem kann es nur kommen, weil den Verständnismöglichkeiten des Empfängers größere Bedeutung beigemessen wird als dem Verpflichtungswillen des Erklärenden. Im Vertrag kann keine Partei ihren Willen ausschließlich und autonom verwirklichen; sie realisiert ihn immer nur gemeinsam mit der anderen, wodurch zwangsläufig heteronome Elemente in den Inhalt ihres Versprechens eindringen. Bei der Auslegung des Willens kommen dann über § 157 (objektiver Empfängerhorizont) unvermeidlich auch vertragsfremde, objektive Kriterien zum Tragen: Denn nicht die subjektiven, womöglich unvernünftigen und überzogenen Vorstellungen des Gläubigers sind maßgeblich für die Auslegung der Willenserklärung, sondern der Verständnishorizont eines objektiven Beobachters in der Person des Gläubigers. cc) Verbraucherschutz und Vollharmonisierung

§ 476 Abs. 1 und 2 verbietet es den Vertragsparteien, in ihrer vertraglichen Einigung von bestimmten Normen aus dem Bereich der §§ 433 bis 443 sowie der §§ 474 bis 479 abzuweichen. Der Grund liegt im Schutz des Verbrauchers: Dieser soll seine Rechte nicht dadurch verlieren, dass der wirtschaftlich überlegene, unternehmerisch organisierte Verkäufer ihm bei den Vertragsverhandlungen den durch diese Normen bewirkten Schutz wieder abtrotzt. Die zugrunde liegende Idee berührt zunächst ein Grundproblem jeder Zivilrechtsordnung. Dieses wurde von dem englischen Rechtsanthropologen Henry Sumner Maine mit der These auf den Punkt gebracht, dass sich in fortschrittlichen Gesellschaften ein Wandel vom „Status zum Kontrakt“ vollziehe.94 Die These selbst findet heute keinen Anklang mehr;95 dass aber Status und Kontrakt die zentralen Strukturelemente einer jeden Privatrechtsordnung darstellen, erscheint in der wissenschaftlichen Diskussion heute fast als ein Gemeinplatz. Dabei bezeichnet der Begriff „Kontrakt“ den Bereich in einer Zivilrechtsordnung, der durch freie Vereinbarungen der Verkehrsteilnehmer über die zu verteilenden Wirtschaftsgüter bestimmt ist. Selbst Planwirtschaften kommen und kamen nicht ohne einen Rest von Vertragsfreiheit zwischen den Individuen aus; wie sonst sollten die knappen Güter auch anders bis zum einzelnen Haushalt verteilt werden? Eine Privatrechtsordnung muss daher zu ihrer eigenen Funktionsfähigkeit den Individuen Freiräume für das Aushandeln von Verträgen lassen. Dem steht die Forderung nach Statusschutz gegenüber, nach zwingend ausgestalteten Rechtsverhältnissen, die zum Schutz des Betroffenen nicht durch Vereinbarungen oder Verzicht verändert werden können. Hier aber setzen auch die Forderungen des 93 94 95

Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 1930, S. 45. Henry Sumner Maine, Ancient Law, London, 4. Aufl. 1870, S. 168ff. Dazu Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften, 1985, S. 12ff.

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Verbraucherschutzes ein: Im modernen Wirtschaftsleben trifft der private Konsument auf eine hochorganisierte Industrie mit ihren mächtigen Vertriebsorganisationen. Mit diesen kann der Verbraucher praktisch nicht über den Inhalt von Verträgen verhandeln, weil er ihnen gegenüber keine Verhandlungsmacht in die Waagschale zu werfen vermag. Der Verlust der Verhandlungsmacht bedeutet aber zugleich den Verlust einer Selbstschutzmöglichkeit vor Übervorteilung. Die Theorie vom Verbraucherschutz zieht daraus die Konsequenz, dass der private Konsument mit unverzichtbaren Schutzrechten auszustatten ist. Das Konzept des Verbraucherschutzes selbst beruht in seinen Ursprüngen auf einer Denkfigur der Politik und zunächst nicht der Rechtswissenschaft. Nach landläufiger Vorstellung wurde die Idee in einer Rede von Präsident Kennedy aus dem Jahre 1962 entwickelt.96 Vom politischen Denken hat die Lehre vom Verbraucherschutz eine personalisierte und rollengebundene Problemsicht übernommen:97 Charakteristisch für die politische Diskussion ist ja zunächst, dass Sachfragen regelmäßig an der Person desjenigen festgemacht werden, der sich zu ihnen äußert oder der von ihnen betroffen ist. Dies schafft eine leichte Möglichkeit der Identifikation mit Sachfragen, weil zugleich Aufmerksamkeit für die von diesen betroffene Einzelperson oder Personengruppe geweckt wird. Mit der Personalisierung von Problemen aus der Verbraucherperspektive wurde das Zivilrecht daher überhaupt erst zu einem politischen Thema, weil sich auf diese Weise eine große Interessengruppe mit Sachfragen identifizieren kann: Kein Laie interessiert sich, um ein Beispiel herauszugreifen, in der tagespolitischen Auseinandersetzung dafür, wenn der Gesetzgeber die Voraussetzungen des Einwendungsdurchgriffs nach § 359 erweitert bzw. präzisiert; viele politische Beobachter aber sind hellwach, wenn die Verbraucherrechte bei Finanzierungsgeschäften gestärkt werden. Die Kehrseite der personalisierten Betrachtungsweise aber liegt – wie gleich noch näher ausgeführt werden soll – in der Gefahr einer Vereinseitigung der Interessenanalyse. Die praktische Bedeutung des Verbraucherschutzes im europäischen Vertragsrecht erklärt sich aus diesen Gründen, aber auch aus der Tatsache, dass die vormalige Europäische Gemeinschaft lange Zeit Kompetenzen für die zivilrechtliche Rechtsfortbildung vor allem im Bereich des Verbraucherschutzes hatte (Art. 100a EGV aF.; Art. 95 Abs. 3 EGV aF.; Art. 114 Abs. 3 AEUV). Für die Europäische Kommission stellen wettbewerbsverzerrende nationale Schutzstandards und die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Verbraucherschutz häufig die zentralen Rechtfertigungen für Rechtsvereinheitlichungsvorhaben dar. Dies erklärt die Dichte der Verbraucherschutzrichtlinien. Bereits Ende der sechziger Jahre setzte auf Gemeinschaftsebene eine Verbraucher96 Die Rede vom 15.3.1962 ist abgedruckt bei von Hippel, Verbraucherschutz, 3. Aufl. 1986, S. 281ff.; dazu: Gärtner JZ 1992, 73 mwN.; Th. Pfeiffer NJW 2012, 2609. 97 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 20f., 46, 51ff. und 62ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 160ff.

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schutzinitiative ein. In den römischen Verträgen (vom 25.3.1957)98 waren Belange des Konsumentenschutzes ursprünglich nur ganz marginal berücksichtigt, weil unter dem Eindruck der Nachkriegswirtschaft Probleme der Güterversorgung auf der Anbieterseite der Märkte im Vordergrund des Interesses standen.99 Mit dem einsetzenden Angebotsüberfluss auf den Märkten vollzog sich aber ein struktureller Übergang von Anbieter- zu Käufermärkten, dh. Märkten mit einer Tendenz zum Überhang des Angebots gegenüber der Nachfrage. Unter diesen Bedingungen sollte der Kampf der Anbieter um die Nachfrager nicht zu deren Lasten ausgetragen werden. Im Anschluss an die Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 und die vorangegangene Debatte im Europäischen Parlament vom 20. September 1972 erließ der Rat der Europäischen Gemeinschaften am 14. April 1975 sein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher,100 in dem die zentralen Regelungsanliegen für die nächsten Jahrzehnte festgeschrieben wurden. Viele sind ihm gefolgt und mündeten in den im vorliegenden Werk noch ausführlich zu referierenden Verbraucherschutz. Das dem Verbraucherschutz zugrunde liegende Prinzip der Personalisierung und Rollenbindung erzeugt indes einige problematische Implikationen: Denn erstmals erscheinen Angehörige einer bestimmten sozialen Schicht als solche schützenswert.101 Das BGB geht aber grundsätzlich von der Gleichheit aller Bürger aus:102 Diese erwerben mit der Geburt ihre Rechtsfähigkeit und mit der vollen Geschäftsfähigkeit das Recht, sich in den gesetzlichen Grenzen zu verpflichten. Spätestens mit der Einfügung des § 13 hat sich jedoch auch im System des BGB ein Wandel vollzogen. Dieser kommt darin zum Ausdruck, dass sachliche Konflikte des vertraglichen Leistungsaustausches auf die Ebene eines personengebundenen Schutzes transferiert werden. Zugrunde liegt eine fundamentale Kritik am Prinzip der bürgerlichen Gleichheit, die Anatole France auf die bekannte Formel gebracht hat, das Gesetz entfalte majestätische Gleichheit darin, den Armen und Reichen gleichermaßen das Schlafen unter Brücken zu verbieten.103 Die bürgerliche Gleichheit begünstigt nach dieser Vorstellung stets 98 BGBl. II 1957, S. 753. 99 Vgl. vor allem die grundlegende Abhandlung von Reich, Europäisches Verbraucherrecht,

3. Aufl. 1996, Rn. 33f.; ders. in: Reich/Micklitz (Hrsg.), Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 14ff. 100 ABl. EG Nr. C 92 vom 25.4.1975, S. 1. 101 Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht, 1976, S. 10; Reich ZRP 1974, 187, 190 sowie von Hippel, Verbraucherschutz, 3. Aufl. 1986, S. 1. Anders allerdings etwa Simitis, Verbraucherschutz – Schlagwort oder Rechtsprinzip?, 1976, S. 78ff., 83ff.; aufschlussreich Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 20f., 46, 51ff. und 62ff. 102 Vgl. nun die neue Wege einschlagende Studie von Grünberger, Personale Gleichheit – Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Zivilrecht, 2013, S. 71ff. und etwa S. 791ff. 103 Anatole France, Le Lys Rouge, zitiert nach Kramer, Die „Krise“ des liberalen Vertragsdenkens, 1974, S. 21.

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den durchsetzungsfähigeren und ökonomisch mächtigeren Beteiligten zu Lasten des Schwächeren. Dies erklärt, warum ein Verbraucher als solcher anders behandelt werden soll als andere Rechtsteilnehmer. Die Kehrseite dieser Herangehensweise liegt allerdings in der Pauschalität des Statusschutzes, die sich von den zugrunde liegenden sachlichen Schutzzwecken oft sehr weit löst: Während die BGB-Gesellschaft privater Kaninchenzüchter nach § 14 Abs. 2 aus dem Verbraucherschutz herausfällt, ist der Vorstandsvorsitzende einer Aktiengesellschaft Verbraucher, weil er mangels Selbständigkeit keiner gewerblichen Tätigkeit nach § 14 Abs. 1 nachgeht und auch sonst nicht selbständig iSd. § 14 Abs. 1 vorgeht (Rn. 415). Die empirisch arbeitende Kritik wendet ferner ein, der Verbraucherschutz stelle nicht das Recht der sozial Benachteiligten dar, sondern das der Wohlstandsbürger, die bei der Verfolgung ihrer Konsuminteressen geschützt würden.104 Stärker noch wiegt allerdings der Einwand, dass das klassische bürgerliche Recht aus gutem Grund keine „geborenen“ Schwachen kennt.105 Denn jedem Privatrechtssubjekt wird durch § 311 Abs. 1 die Möglichkeit eröffnet, seine soziale Rolle durch Vereinbarung mit anderen selbst zu gestalten. Der Verbraucherschutz, wie er etwa in § 476 Abs. 1 Satz 1ausgestaltet ist, nimmt dem Einzelnen aber gerade diese Freiheit. Denn der Verbraucher hat nicht die Möglichkeit, auf den ihm verliehenen Schutz zu verzichten, wenn er will. Dies wirkt wie eine Beschränkung der „wirtschaftlichen Geschäftsfähigkeit“:106 Einmal in die Gruppe der Schwachen eingeordnet, ist der Verbraucher in seinem rechtsgeschäftlichen Handeln danach nicht mehr frei (vgl. Rn. 652b, 1374). Der zwingende Charakter des Verbraucherschutzrechts lässt so unfreiwillige Umlage- und Versicherungssysteme unter den Verbrauchern entstehen. Muss der Verkäufer nämlich einem Verbraucher die in § 476 Abs. 1 Satz 1 genannten Rechte gewähren, entstehen dadurch Kosten, die auf die Käuferseite umgelegt werden. Ein Verbraucher, der auf diese Rechte keinen Wert legt und eher an einem niedrigeren Kaufpreis interessiert ist, kann seine Vorstellungen wegen der zwingenden Wirkung des § 476 Abs. 1 Satz 1 aber nicht umsetzen. Mit dem ihm abverlangten höheren Kaufpreis finanziert er daher die Gewährleistungsrechte der anderen. Positiv formuliert wirkt die Gesamtheit der Verbraucher wie eine Versichertengemeinschaft, bei der alle in Form eines höhe104 Gärtner JZ 1992, 73, 76f. 105 Reuter AcP 189 (1989) 199, 208. Vgl. insbesondere auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz

durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, Köln 1983, S. 20 und 51; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S. 307f.; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 148; Lieb AcP 183 (1983) 327, 355ff.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979, S. 412ff.; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, S. 195; H.P. Westermann, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesminister der Justiz), Bd. 3, 1983, S. 1, 71. 106 H.P. Westermann, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesminister der Justiz), Bd. 3, 1983, S. 1, 69ff.; Preis/Rolfs DB 1994, 261, 262; interessant dazu Joerges, in: Franchising and the Law – Das Recht des Franchising (Hrsg. Joerges), 1991, S. 11, 34ff.

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ren Kaufpreises Prämien erbringen und damit die Leistungsstörungsrechte einiger weniger aus ihrer Reihe absichern. Ein letzter Einwand richtet sich gegen die dem Verbrauchschutz mitunter eigene problematische Verflachung der Problemanalyse aufgrund einer personalisierten und rollengebundenen Betrachtungsweise. Denn ganz allgemein entstehen zivilrechtliche Rechtssätze dadurch, dass die Grenzen von Rechten und Befugnissen zwischen den Privatrechtssubjekten gezogen bzw. auch erkämpft werden. Dies erzwingt es, die Interessen beider Seiten ins Auge zu fassen und miteinander in Einklang zu bringen. Mit leidenschaftlichem Gestus beschreibt von Jhering diesen Prozess so: „Hier stehen sich zwei Parteien gegenüber, von denen jede die Heiligkeit des Rechts in ihrem Panier führt, die eine die des historischen Rechts, des Rechts der Vergangenheit, die andere die des ewig werdenden und sich verjüngenden Rechts, des ewigen Urrechts der Menschheit auf das Werden – ein Conflictsfall der Rechtsidee mit sich selber, der in Bezug auf die Subjecte, die ihre ganze Kraft und ihr ganzes Sein für ihre Ueberzeugung eingesetzt haben und schließlich dem Gottesurtheil der Geschichte unterliegen, etwas wahrhaft Tragisches hat. Alle großen Errungenschaften, welche die Geschichte des Rechts zu registrieren hat: die Aufhebung der Sklaverei, der Leibeigenschaft, die Freiheit des Grundeigenthums, der Gewerbe, die Glaubensfreiheit u.s.w., haben auf diesem Wege des heftigsten, oft Jahrhunderte lang fortgesetzten Kampfes, gewonnen werden müssen […]“.107

Nicht nur im Hinblick auf den Sprachstil ernüchternd wirken im Vergleich die Ausführungen des EuGH zu der Frage, ob ein Käufer, der Fliesen in einem Baumarkt erworben und zu Hause verbaut hat, vom Verkäufer bei Mangelhaftigkeit nicht nur neue Fliesen, sondern auch den Ausbau der alten verlangen kann. Das Gericht konkretisiert dabei Art. 3 Abs. 2 VerbrGüterKRiL, der dem Verbraucher ein Recht auf kostenlose Abhilfe einräumt, ganz aus der personalisierten Perspektive des Verbraucherschutzes: „Würde Art. 3 der Richtlinie dahin ausgelegt, dass er den Verkäufer nicht verpflichtet, den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts oder die entsprechenden Kosten zu übernehmen, hätte dies somit zur Folge, dass der Verbraucher, um die ihm durch den genannten Artikel verliehenen Rechte ausüben zu können, diese zusätzlichen Kosten tragen müsste, die sich aus der Lieferung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts durch den Verkäufer ergeben.“108

Man möchte dieser Art der Argumentation mit dem Generalanwalt Mazák zum selben Verfahren entgegenhalten: „So einfach liegt es indessen nicht. Wie jedes entwickelte Rechtssystem, das die Rechte und Pflichten des Käufers und des Verkäufers bei mangelhafter Erfüllung regelt, kann auch das System der Abhilfemöglichkeiten nach der Richtlinie nicht einfach entweder den Verbraucher oder den Verkäufer begünstigen, sondern muss stattdessen einen angemessenen Ausgleich zwischen ihren jeweiligen Interessen herbeiführen.“109 107 Von Jhering, Der Kampf ums Recht, 1872, S. 15. 108 EuGH 16.6.2011 – C-65/09 = NJW 2011, 2269, Tz. 48 – Gebr. Weber. 109 Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 18.5.2010 – C-87/09 = ZGS 2010, 361, 362,

Tz. 30.

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32 36a

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Einen Paradigmenwechsel im Verbraucherschutzrecht bewirkt nun das Prinzip der Vollharmonisierung. Richtlinien, die diesem Grundsatz folgen (vgl. Art. 4 VerbRRiL 2011/83/EU; Art. 22 Abs. 1 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/ EG; Art. 4 Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302), regeln nicht nur einen Mindestschutz für Verbraucher, sondern grenzen diesen Schutz zugleich auf ein zulässiges Höchstmaß ein. Diese „Deckelung“ kann nicht mehr mit dem Schutz von Konsumenteninteressen begründet werden, weil ihre Rechtsfolge gerade auf dessen Begrenzung zielt.110 Stattdessen erklärt sich die Vollharmonisierung als Rechtsprinzip aus einem Marktordnungsgedanken: Nach Adam Smith lenkt eine „unsichtbare Hand“ (invisible hand) das egoistische Streben des Einzelnen nach Profit auf dem Markt hin zum Wohl aller. Daraus ist die Vorstellung entstanden, dass das Recht einen Ordnungsrahmen für den Markt herzustellen hat, innerhalb dessen sich die Wettbewerbsfreiheit hin zu Wohlfahrtseffekten entfalten kann.111 Die mindestharmonisierenden Richtlinien führten jedoch aus Sicht der Europäischen Kommission nicht zu einer ausreichenden Vereinheitlichung des Verbraucherschutzrechts, weil auf ihrer Grundlage der Konsumentenschutz unterschiedlich im nationalen Recht umgesetzt wurde. Darin erkennt die Kommission ein wesentliches Hemmnis für das Wachstum des europäischen Binnenmarktes und will dem durch Einführung gleichzeitiger Höchst- und Mindestschranken des Verbraucherschutzes entgegenwirken. Es geht also darum, den Markt durch ein Einheitsrecht in wachstumsfördernder Weise zu ordnen.112 Ob dieser Effekt mit Mitteln der Vollharmonisierung zu erreichen ist, darf bezweifelt werden (Rn. 49ff.); aber darauf kommt es an dieser Stelle nicht an. Denn erkennbar verfolgt das vollharmonisierte Verbraucherschutzrecht einen Doppelzweck: Neben den Schutz von Konsumenteninteressen tritt gleichwertig das Interesse an der Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens, verbunden mit der Verhinderung nationaler Sonderwege. Im Einzelfall geraten daher der Schutz der individuellen Interessen und der abstrakte Marktordnungsgedanke in ein Spannungsverhältnis. Dessen Aufhebung bewirken typisierende Tatbestände des Verbraucherschutzes, denen abstrakt-generelle Schutzzwecke unterlegt sind: In ihnen werden die Grenzen des Konsumentenschutzes großzügig weit gezogen; dadurch erscheinen die zu110 Anders noch kurioserweise Erwägungsgrund 9 Satz 1 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/

EG. 111 Die Metapher von der „invisible hand“ begegnet erstmals bei Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, 1759, Chapter IV 1; zur Einführung in das Marktordnungsdenken: Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, 1978, S. 9ff.; zu den rechtsphilosophischen Grundlagen bei Adam Smith instruktiv Petersen, Adam Smith als Rechtstheoretiker, 2012, S. 65ff. 112 Erwägungsgründe 5ff. VerbRRiL 2011/83/EU; Erwägungsgrund 6 Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302; dazu etwa Grigoleit AcP 210 (2010) 354, 408ff.; Reich ZEuP 2010, 7ff.; vgl. zur geschichtlichen Entwicklung von der Binnenmarkt-Fibel Jacques Delors (KOM(85) 310 endg.), die die Mindestharmonisierung gegenüber älteren Vollharmonisierungstendenzen durchsetzte, bis hin zur Wiederbesinnung der Kommission auf das Vollharmonisierungsprinzip im Jahre 2002 (KOM(2002) 208): Mittwoch, Vollharmonisierung und Europäisches Privatrecht, 2013, S. 46ff., 50.

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grunde liegenden Schutzzwecke aber so weit gefasst, dass eine Korrektur des Normanwendungsbereichs im Einzelfall nicht in Betracht kommt, wenn sich ein erhöhter oder ein verminderter Schutzbedarf des Verbrauchers zeigen sollte: Die Verbraucherwiderrufsrechte sind – um ein erstes Beispiel zu nennen – auch auf einen Rechtsanwalt anwendbar, wenn dessen Handeln äußerlich die Tatbestandsvoraussetzungen eines Widerrufsrechts erfüllt, gleichgültig, ob er aufgrund seiner Rechtskenntnisse schutzwürdig ist oder nicht (Rn. 415). Spielte es für die Anwendung des alten Haustürwiderrufsrechts noch eine Rolle, ob der Verbraucher tatsächlich vom Unternehmer überrumpelt wurde oder nicht, kommt es für den neu gefassten § 312b Abs. 1 darauf nicht mehr an. Dieser vollharmonisierte Tatbestand erlaubt keine teleologische Reduktion mehr, wenn der Verbraucher etwa in den eigenen Räumen von Bekannten und Verwandten geworben wird, die ihn – wegen der gegenseitigen Vertrautheit – gar nicht wie ein fremder Verkäufer an der Haustür überrumpeln können (Rn. 566). Im vollharmonisierten Recht ist es praktisch unmöglich geworden, einen Tatbestand des Missbrauchs von Verbraucherwiderrufsrechten zu formulieren: Denn diese knüpfen nicht mehr an einen individuellen Schutzbedarf im Einzelfall an, so dass der Einzelne diese Rechte durch ein schutzunwürdiges Verhalten auch nicht einbüßen kann (Rn. 539 und auch Rn. 538). Das vollharmonisierte Verbraucherschutzrecht verdrängt also Analogie und teleologische Reduktion und mit ihnen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bei seiner Anwendung auf den Einzelfall: Weil gleiche Sachverhalte vor dem Normzweck gleich behandelt werden müssen, erzwingt die Analogie eine Normanwendung über den Normwortlaut hinaus; weil ungleiche Fälle aber nicht gleich behandelt werden dürfen, nimmt die teleologische Reduktion – gegenläufig dazu – den Normanwendungsbereich in Fällen zurück, auf die der Wortlaut der Norm, nicht aber der Zweck passt.113 Beide Male handelt es sich um Institute der richterlichen Rechtsfortbildung im Einzelfall, die den Einheitscharakter des neuen Verbraucherschutzrechts tendenziell infrage stellen. Vollharmonisierende Richtlinien enthalten deshalb zT. eigene Bestimmungen und Überlegungen dazu, in welchen Fällen ihre analoge Anwendbarkeit in Betracht kommt (vgl. Erwägungsgrund 21 der Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302). Im vollharmonisierten Recht drängen daher Abstraktion, Pauschalisierung und Typisierung die Einzelfallgerechtigkeit bei der Normanwendung zurück. Es geht nicht mehr (allein) um Rechte und Interessen des Verbrauchers „X“, sondern (auch) um den Erhalt eines einheitlichen Marktordnungsrahmens, der durch eine Sonderbehandlung von „X“ nicht gefährdet werden darf. Das Vertragsrecht ändert dadurch seinen Rechtscharakter und bewegt sich fort von einem Recht, das sich „von unten nach oben“, also durch die Systematisierung von Einzelansprüchen hin zu allgemeineren Instituten, entwickelt (Rn. 13), und nimmt Züge eines Rechts „von oben nach unten“ an, in dem allgemeine Len-

113 Larenz, Methodenlehre S. 381 und S. 392.

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kungs- und Ordnungsideen (vgl. das Wettbewerbsrecht (UWG) und Kapitalmarktrecht) mit Hilfe individueller Ansprüche umgesetzt werden. 3. Einflüsse, Reformen und Entwicklungen. a) Die ökonomische Analyse des Vertragsrechts 37

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Die ökonomische Analyse des Vertragsrechts betrachtet den Vertrag unter funktionalen Aspekten.114 Im Anschluss an die Überlegungen des Soziologen Talcott Parsons lassen sich Gesellschaftssysteme dahingehend analysieren, welche Aufgaben (Funktionen) einzelne Einrichtungen (Institute) in ihnen wahrnehmen.115 Wendet man diese Überlegung auf das Vertragsrecht an, muss die Frage gestellt werden, inwieweit dieses zur Steigerung oder Schwächung der ökonomischen Effizienz beiträgt.116 Die ursprüngliche und für die Entwicklung zentrale Analyseleistung liegt wohl im Beitrag des Wirtschaftswissenschaftlers Ronald H. Coase.117 In seiner Abhandlung „Über das Problem sozialer Kosten“ wendet sich Coase gegen die Annahme, Staatsinterventionen gewährleisteten stets die günstigste Verteilung der knappen Güter einer Volkswirtschaft. An einem nachbarrechtlichen Beispiel macht Coase sein zentrales Argument deutlich: Wenn die Rinder eines Viehzüchters die Getreidefelder des benachbarten Bauern niedertrampeln, wird zwischen Bauer und Viehzüchter eine Entscheidung über die künftig vorherrschende Nutzungsart – Viehzucht oder Getreideanbau – auf dem Verhandlungswege zustandekommen. Unterstellt, dass die Aufnahme und Durchführung entsprechender Vertragsverhandlungen keine Transaktionskosten118 aufwerfen, wird sich nach Coase immer die profitablere Nutzungsart durchsetzen. Wirft daher die Viehzucht Gewinne in einer Höhe ab, dass es sich für den Züchter lohnt, den Bauern zu entschädigen, wird letzterer weniger Getreide verkaufen und sich für den zerstörten Bestand mit Schadensersatz begnügen. Wirft der Getreideanbau größeren Profit ab, wird aus analogen Überlegungen heraus die Viehzucht eingeschränkt werden. Auf diese Weise wird sich die profitablere Nutzungsart durchsetzen, gleichgültig, ob das Recht dem Bauern eine Entschädigung zuspricht oder nicht. Zum nobelpreisgekrönten Coase-Theorem und damit zur praktischen Handlungsanleitung gerät diese analytische Einsicht jedoch erstmals in der Preistheorie des amerikanischen Ökonomen und Vaters der sog. Chicago School George Stigler:119 Stigler dehnt zunächst die mikroökonomische Dimension des Fezer JZ 1986, 817, 822. Parsons, The Social System, Glencoe Illionis 1951, passim, vgl. beispielhaft S. 21f. Vgl. nur Posner, Economic Analysis of Law, 8. Aufl. 2011, passim. Coase 3 (1960) Journal of Law and Economics 1. Zur Bedeutung vgl. Posner, Economic Analysis of Law, Boston and Toronto, 3. Aufl. 1986, S. 19f.; Schanze, in: Ökonomische Analyse des Rechts (Hrsg. Assmann/Kirchner/Schanze), 2. Aufl. 1993, S. 1, 3ff. 118 Vgl. zum Begriff nur Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 106ff. 119 Coase, The Firm, the Market and the Law, Chicago 1988, S. 157; dazu Assmann/Kirchner/ Schanze, in: Ökonomische Analyse des Rechts (Hrsg. dies.), 2. Aufl. 1993, S. XIIf. 114 115 116 117

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Coase-Beispiels durch den Satz aus: „[…] under perfect competition private and social costs will be equal.“120 Heute wird dieser Gedanke als Coase-Theorem so zusammengefasst, dass bei Abwesenheit von Transaktionskosten sich stets die effizienteste Ressourcenverteilung im Verhandlungswege durchsetzt, unabhängig davon, wie die Eigentumsrechte an den Ressourcen verteilt sind.121 Aus diesem Lehrsatz leitet sich indes nicht – wie man zunächst annehmen könnte – die Einsicht von der Bedeutungslosigkeit genuin rechtlicher Verteilungsmaßstäbe ab. Denn die rechtlichen Verteilungskriterien von Nutzungs- und Ausschließungsrechten iSd. § 903 Satz 1 (Property Rights) sind ja nur bei vollständiger Abwesenheit von Transaktionskosten wirkungsneutral. Weil diese tatsächliche Voraussetzung aber praktisch nie erfüllt ist, kommt es auf die rechtliche Zuordnung von Nutzungs- und Ausschließungsmöglichkeiten sehr wohl an. Angesichts bestehender Transaktionskosten kann eine bestimmte rechtliche Verteilung nämlich ökonomisch ineffiziente Zustände erhalten und auf Dauer zementieren.122 Auf Coases Beispielsfall angewendet bedeutet dies, dass sich mglw. der weniger profitable Getreideanbau als Nutzung gegenüber der Viehzucht durchsetzt, nur weil das Recht dem Bauern die wirtschaftliche Nutzung am Getreidefeld zuweist, eine Änderung dieser Verteilung aber zu kostspielig wäre. Diese Einsicht nun ist Anlass, die Transaktionskostenanalyse von Coase hin zu einem allgemeinen ökonomischen Ordnungsgedanken auszuweiten: Insbesondere die sog. Theorie der Property Rights erhebt die Forderung, das Recht müsse eine möglichst effiziente Verteilung der Ausschluss- und Nutzungsrechte ermöglichen, um die durch Transaktionskosten bestehenden Marktunvollkommenheiten auszugleichen.123 Diesbezüglich wird auch dem Vertragsrecht eine besondere Aufgabe als „Schmiermittel der Wirtschaft“124 zuerkannt – eine Ausgangsüberlegung, die zu kritischer Auseinandersetzung mit den Verteilungsmaßstäben des Vertragsrechts im Einzelnen und vor dem ökonomischen Effizienzkorrektiv Anlass gibt.125 120 Stigler, The Theory of Price, New York, 3. Aufl. 1966, S. 113. 121 Fezer JZ 1986, 815, 820; H.-G. Kern JuS 1992, 13, 15; Schanze, in: Ökonomische Analyse des

Rechts (Hrsg. Assmann/Kirchner/Schanze), 2. Aufl. 1993, S. 1, 3; Köhler ZHR 144 (1980) 589, 592. 122 Zum “refinement” am Coase-Theorem Posner, Economic Analysis of Law, Boston and Toronto, 3. Aufl. 1986, S. 44, Fn. 2. 123 Vgl. vor allem Furubotn/Pejovich, The Economics of Property Rights, Cambridge Mass. 1974, Introduction, S. 1ff.; vgl. in diesem Werk auch den Beitrag von Demsetz, S. 31ff. Zur Rezeption Köhler ZHR 144 (1980) 589, 590. Kritisch allerdings Fezer JZ 1986, 817, 820; ders. JZ 1988, 223. Demgegenüber wiederum scharf Ott/Schäfer JZ 1988, 213 und Kirchgässner JZ 1991, 104. 124 Vgl. dazu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 1986, S. 250; nicht mehr ab der 5. Aufl. 2012. 125 Vgl. allgemein etwa Posner, Economic Analysis of Law, Boston and Toronto, 3. Aufl. 1986, S. 79ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, S. 423ff.; Köhler ZHR 144 (1980) 589, 596; H.-G. Kern JuS 1992, 13, 15; Kirchgässner JZ 1991, 104, 109f.

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Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt schließlich einer der bedeutendsten Vertreter der sog. Institutionenökonomie, Oliver E. Williamson, indem er einen anderen Aspekt des Coase-Theorems in den Vordergrund rückt.126 Danach sind sämtliche ökonomischen Organisationsstrukturen – vom inneren Aufbau des Unternehmens bis zum Austauschvertrag auf dem Markt – im Grunde äquivalente Steuerungsformen (Governance Structures), die jeweils nur auf unterschiedliche Kostensituationen in den einzelnen ökonomischen Kontexten reagieren.127 Willamson folgert nun, dass sich das anzuwendende Vertragsrecht den im Einzelfall obwaltenden vorrechtlichen Organisations- und Steuerungsmechanismen anpassen müsse. Der in den Vereinigten Staaten begründeten Lehre vom Relational Contract folgend128 will er das bekannte Vertragsrecht (Classical Contract Law) vor allem in dem von Marktmechanismen gesteuerten Wirtschaftsbereich (Market Governance) anwenden, wo weitgehend standardisierte Vertragsbeziehungen in häufig und gleichartig wiederholten Abläufen vorkommen und Investitionen in verschwindend geringem Maße an die Austauschbeziehung gebunden sind (Beispiel: die Massengeschäfte in einem Warenhaus). Der Abstraktheit der dort stattfindenden Austauschprozesse entsprechen seiner Ansicht nach gerade die Abstraktionen des klassischen Vertragsrechts. Wo hingegen eine solche Standardisierung fehle und hohe Investitionen eng an individuell ausgestaltete Austauschbeziehungen gebunden seien, will Williamson ein „weicheres“, an Schlichtung und Konsensbildung orientiertes Relational Contract Law zur Anwendung bringen. Denn in diesen Lebensbereichen versage der Marktmechanismus und werde durch einen bilateralen, von den Parteien selbst getragenen Steuerungsmechanismus (Bilateral Governance) ersetzt. Nur das Relational Contract Law werde der Interessenlage eines solchen Self-Enforcing Agreements129 gerecht. Dieser Ansatz wurde in Deutschland vor allem durch die Lehre vom komplexen Langzeitvertrag aufgegriffen, die für das deutsche Dauerschuldverhältnis neue Perspektiven entwickeln will.130 Die ökonomische Analyse des Vertragsrechts nimmt im Recht der Vereinigten Staaten heute teilweise die Stellung einer klassischen Vertragsrechtsdogmatik ein.131 Wenn in einem Rechtssystem nämlich Gerichtsurteile Gesetzeskraft 126 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, New York/London 1985, S. 68ff.

Vgl. zu den folgenden Überlegungen auch: Williamson 127 (1979) University of Pennsylvania Law Review 953; ders. ZgS/JITE 140 (1984) 195; ders. 22 (1979) Journal of Law and Economics 233; ders. 73 (1983) American Economic Review 579. 127 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, New York/London 1985, S. 68. 128 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, New York/London 1985, S. 73ff. 129 Vgl. dazu auch Klein/Leffler 89 (1981) Journal of Political Economy 615; Telser 53 (1981) Journal of Business 27. 130 Nicklisch (Hrsg.), Der komplexe Langzeitvertrag, 1987; Joerges, Relational Contracts Law in an Comparative Perspective, Wisconsin Law Review 1985, 581; ders. AG 1991, 325; vgl. schließlich das Sammelwerk Joerges (Hrsg), Franchising and the Law, 1991 und darin die Beiträge von Schanze (S. 67ff.) und Teubner (S. 105ff.); kritisch Oechsler RabelsZ 60 (1996) 93ff. 131 Oechsler RabelsZ 60 (1996) 93ff. verweisen.

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entfalten, sind der Rechtswissenschaft bei der Systematisierung regelmäßig die Hände gebunden: Versuche bekannter Rechtswissenschaftler wie Oliver Wendell Holmes,132 das oft disparate Common Law of Contract nach teilweise kontinentaleuropäischen Vorstellungen zu systematisieren, waren jedenfalls historisch betrachtet nicht erfolgreich. In diese Lücke drangen die Überlegungen der ökonomischen Analyse. Die brillanten Beobachtungen der Institutionenökonomie, wie sie hier am Beispiel Oliver E. Williamsons vorgestellt wurden (Rn. 40), erlauben systematisierende Erkenntnisse, die den auf das Mittelalter zurückreichenden Ketten oft recht eigenwilliger Judikate nicht immer eigen sind. Die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten, die sich nicht nur auf wirtschaftliche Bereiche beschränkt, hat wiederum dazu beigetragen, dass diese Ideen auch in den kontinentaleuropäischen Rechten für nachhaltige Faszination sorgen.133 Sie unterwerfen auch das deutsche Vertragsrecht einem Anpassungsvorgang, was im Einzelfall bemerkbar wird, wenn eine Vertragspartei als „Cheapest Cost Avoider“ oder „Best Insurer“ verpflichtet wird. Bei diesem Anpassungsvorgang steht die ökonomische Analyse aber vor einem grundlegenden Legitimationsproblem: Eindrucksvoll belegt sie, dass man das Vertragsrecht nach ökonomischen Kriterien analysieren kann. Keine Antwort hat sie jedoch auf die Frage, ob das Vertragsrecht ökonomischen Kriterien genügen muss. Diese Schwäche teilt sie mit sämtlichen funktionalen Analysen des Rechts.134 Denn diese bewerten das Recht stets an einem vorrechtlichen Maßstab. Bei der ökonomischen Analyse liegt dieser in der Kosteneffizienz des Rechts. Vielleicht erlebt der Leser dieser Zeilen aber auch einmal eine ökologische Analyse des Rechts, die die Funktionsfähigkeit des Vertragsrechts anhand seiner Umweltverträglichkeit, insbesondere des CO2-Ausstoßes bemessen wird: Dem Fernabsatzvertrag dürfte dabei aufgrund seiner fehlenden Papiergebundenheit die Krone zufallen! Das Beispiel zeigt, dass es an einer Rechtfertigung fehlt, aus der ökonomischen Analyse des Rechts eine ökonomische Synthese von Rechtssätzen herzuleiten. Dass man das Vertragsrecht auf Kosteneffizienz hin durchleuchten kann, ist nämlich noch kein Argument dafür, dass es auch kosteneffizient sein muss.135 Dem Zweifler seien nur die Entscheidungsgründe des BVerfG zum Kündigungsrecht des Vermieters in Erinnerung gerufen: „Aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Grundeigentums läßt sich kein Anspruch auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten herleiten, die dem Eigentümer den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen […]. So wenig der Eigentümer als 132 Vgl. in deutscher Sprache Oliver Wendell Holmes, Das gemeine Recht Englands und Nordamerikas, 2006. 133 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, ; vgl. auch die distanziertere Darstellung bei Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 122ff. 134 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 130ff. 135 Ähnlich Fezer JZ 1986, 817, 823; zur grundlegenden Kritik an der ökonomischen Effizienz als gesellschaftlichem Leitbild: Noam Chomsky, Profit over People, 1999; Michel Foucault, Naissance de la Biopolitique, Cours au Collège de France, 1978–79, 2004.

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Vermieter einen Anspruch hat, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen […], so wenig hat er bei jedwedem wirtschaftlichem Nachteil einen Anspruch auf Räumung […].“136

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Neuere Ansätze vermeiden daher die Rechtfertigung des Vertragsrechts aus seiner Tauglichkeit für soziale, politische oder ökonomische Zwecke und stellen stattdessen die vertragliche Einigung der Parteien in den Mittelpunkt der Überlegungen. Jeder Eingriff in deren Zustandekommen, jede Ergänzung oder Korrektur ihrer Ergebnisse bedarf danach einer Rechtfertigung angesichts der von den Parteien verfolgen Interessen und Ziele im Einzelfall.137 Ein weiterer Kritikpunkt, der kaum den theoretischen Begründern angelastet werden kann, liegt in der Verflachung der Erkenntnisse der ökonomischen Analyse in der konkreten Rechtsanwendung. Auch in diesem Lehrbuch wird der Leser nicht selten dem Argument begegnen, eine Vertragspartei sei zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet bzw. sie trage ein bestimmtes Risiko, weil sie den „Cheapest Cost Avoider“ abgebe, also Transaktionskosten am günstigsten vermeiden könne, oder hafte als „Best Insurer“, weil sie ein Risiko am besten versichern könne.138 Gerade im letzten „Argument“ liegt – was praktisch nie bemerkt wird – schon eine Verletzung des versicherungsrechtlichen Trennungsprinzips (Rn. 767).139 Vor allem aber werden Argumente dieser Art praktisch nie durch konkrete Kostenanalysen oder stochastische Relationen belegt. Sie sind meist nur von der vagen Gewissheit getragen, dass ein Unternehmer schlicht über größere Ressourcen verfügt als ein Verbraucher und deshalb unter einem Rechtsnachteil weniger leidet. In seiner ursprünglichsten Form handelt es sich dabei um Deep-Pocket-Argumente: Danach haftet der Beteiligte mit der „tiefsten Tasche“, weil er die Haftungsfolgen am besten verkraften kann. Sonderlich überzeugend erscheint dies allerdings nicht. b) Die Drittwirkung der Grundrechte im Vertragsrecht

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Die Verfassung und insbesondere die Grundrechte werden teilweise als „Katalysator“ der Gerechtigkeit im Vertragsrecht angesehen;140 in jedem Fall rechtfertigen die Grundrechte konkrete Eingriffe in die vertraglichen Rechtsfolgen.141 Die zugrunde liegenden theoretischen Voraussetzungen hat vor allem Canaris für das Vertragsrecht untersucht.142 Seiner Ansicht nach erfüllen die Grundrechte im Privatrecht eine besondere Schutzgebotsfunktion. Denn GesetzgeBVerfGE 84, 382, 385 = NJW 1992, 361, 362. Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 259ff. Dazu Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 182ff. Allgemein dazu: BGH NJW 2006, 289, Tz. 18; BGH NJW-RR 2001, 1311. Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982, S. 280ff.; beipflichtend Kohte ZBB 1994, 172, 174. 141 BVerfGE 81, 242, 255; 89, 214, 232f.; BVerfGE NJW 1994, 2749f. 142 Canaris AcP 184 (1984) 201; ders. JZ 1987, 993; ders. JuS 1989, 161. Vgl. auch ders. ZIP 1987, 409, 417 sowie ders. AP, Art. 12 Nr. 65; zusammenfassend ders., Grundrechte und Privatrecht, 1999; J. Hager JZ 1994, 373. 136 137 138 139 140

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ber und Rechtsanwender seien nach Art. 1 Abs. 3 GG im Privatrecht an die Grundrechte ebenso gebunden wie der im Bereich des öffentlichen Rechts tätige Gesetzgeber bzw. die öffentliche Verwaltung. Deshalb müsse auch den Parteien des privaten Austauschvertrages ein Mindestmaß an verfassungsrechtlich verbürgtem Schutz gewährt werden. Gemessen daran dürfe es keinen Unterschied machen, ob ein Grundrecht durch einen Rechtssatz des öffentlichen oder des Privatrechts eingeschränkt werde.143 Canaris vollzieht dabei nicht die von Gamillscheg vorgeführte144 unmittelbare Anwendung der Grundrechte auf das Privatrecht nach, sondern wendet der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung folgend die Grundrechte über unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln im Zivilrecht an (vgl. dazu noch ausführlich Rn. 1341). Danach muss zwar nicht der Inhalt der von den Parteien begründeten Hauptpflichten dem Mindeststandard grundrechtlicher Schutzgebotsfunktion genügen, wohl aber etwa der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz.145 Einen ähnlichen Weg verfolgt davon unabhängig die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts.146 Die Kritik entzündet sich zum einen am Umfang der Bindungswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG, zum anderen am praktischen Nutzen dieser Lehre.147 Dass Gesetzgeber und Rechtsanwender im Privatrecht genauso an die Grundrechte gebunden sind wie im öffentlichen Recht, lässt sich allerdings nicht ernsthaft bestreiten. Andererseits eröffnen die Grundrechte keine subsumtionsfähigen Tatbestände zur Lösung von Vertragsrechtsproblemen. Denn hier gilt eine einfache, logische Überlegung: Eine Norm kann nur die Rechtsfragen regeln, die bei ihrer Konzeption in sie eingegangen sind. Etwas zugespitzt bedeutet dies, dass durch Subsumtion unter Menschenwürde und allgemeine Handlungsfreiheit die Anwendungsfragen des Mangelbegriffs nach § 434 nicht zu klären sind. Dies schränkt die Bedeutung der Fragestellung ein: In regelmäßig nicht unbedeutenden Ausnahmefällen verhelfen die Grundrechte dem Schutz des Einzelnen dort zum Durchbruch, wo genuin grundrechtliche Wertungen dies gebieten. Dies gilt gerade für das Mietrecht, weil dort die Lebensgrundlagen von Mieter, aber auch Vermieter betroffen sind (Rn. 803). Ein anderes Beispiel liefert die existenzbedrohende Bürgenhaftung von Familienangehörigen (Rn. 1374).

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c) Die Schuldrechtsreform

Das zu Beginn des Jahres 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts hat das Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse im Bereich des Kauf- und Werkvertragsrechts wesentlich verändert. Den äußeren Anstoß Canaris JZ 1987, 993. Gamillscheg AcP 164 (1964) 385; vgl. auch J. Hager JZ 1994, 373. Canaris AcP 184 (1984) 201, 213. BVerfGE 81, 242, 255; 89, 214, 232f.; BVerfG NJW 1994, 2749f. Diederichsen AcP 198 (1998) 171; ders. Jura 1997, 57; Singer JZ 1995, 1133, 1136; Wiedemann JZ 1990, 695, 696 und Preis/Rolfs DB 1994, 261, 262.

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dazu gab vor allem die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (VerbrGüterKRiL 99/44/EG).148 Diese sieht einen Mindeststandard von Mängelhaftungsansprüchen für Verbraucher und Ausgestaltungspflichten hinsichtlich Garantieleistungen vor. Die Bundesregierung nahm diese Regelung zum Anlass, das Leistungsstörungsrecht des BGB grundlegend umzugestalten. Für die Bemühungen blieb allerdings wenig Zeit, da die Richtlinie zum Jahresanfang 2002 umgesetzt sein musste. So griff das Bundesjustizministerium zunächst auf einen wissenschaftlichen Vorentwurf von Ulrich Huber aus dem Jahre 1981 zurück.149 Dieser stellte ursprünglich einen Teil von insgesamt 24 wissenschaftlichen Reformgutachten im Auftrag des Bundesministers der Justiz dar, die in einen 1992 veröffentlichten Abschlussbericht gemündet waren.150 Da die politischen Chancen für eine Umsetzung des von Huber nahegelegten Reformvorhabens lange Zeit als äußerst gering eingeschätzt wurden, war eine eingehende wissenschaftliche Diskussion allerdings unterblieben. Obwohl es nicht an konkreten Vorschlägen gefehlt hatte, die Richtlinie in einem Sondergesetz umzusetzen,151 präsentierte das Bundesjustizministerium am 4.8.2000 im Internet einen Diskussionsentwurf, der auf der Grundlage der Vorstellungen Hubers zu einer fundamentalen Umgestaltung des Schuldrechts führen sollte. Auf einer im November 2000 von den Rechtswissenschaftlern Ernst und Zimmermann veranstalteten Fachtagung152 zeigte sich in einer auf der Grundlage von zwölf Fachreferaten geführten Diskussion, dass der Entwurf erhebliche systematische Lücken aufwarf und so nicht umsetzbar war. Darauf berief das Bundesjustizministerium eine Kommission aus Rechtswissenschaftlern und Praktikern ein, der eineinhalb Monate Zeit blieb, um einen konsolidierten Diskussionsentwurf vorzubereiten (vom 17.1. bis 3.3.2001).153 In diesem sind die wesentlichen Züge des nunmehr geltenden Rechts vorgezeichnet: Das alte System der Leistungsstörungstatbestände wurde beibehalten, das besondere Leistungsstörungsrecht des Kauf- und Werkvertragsrechts, das sog. Gewährleistungsrecht im eigentlichen Sinne, allerdings abgeschafft. Gleichzeitig wurden zuvor bestehende Sondergesetze des Privatrechts (AGB-Gesetz, Verbraucherkreditgesetz) ohne große inhaltliche Veränderung in das BGB übernommen. Der konsolidierte Diskussionsentwurf wurde auf einer Sonder148 ABl. EG Nr. L vom 07.07.1999, S. 12. 149 U. Huber, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bun-

desminister der Justiz), Bd. 1, 1981, S. 647. 150 Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesmi-

nister der Justiz), Bundesanzeiger 1992. 151 Ernst/Gsell ZIP 2000, 1410; Ernst ZRP 2001, 1f. 152 Dokumentiert in Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsre-

form, 2001. 153 Vorsitzender der Kommission war Walter Rolland, Mitglieder im Übrigen: Günter Bramb-

ring, Claus-Wilhelm Canaris, Wolfgang Däubler, Wolfang Ernst, Barbara Grunewald, Lothar Haas, Helmut Heinrichs, Andreas Heldrich, Horst Konzen, Dieter Medicus, Peter Schlechtriem, Arndt Teichmann, Harm Peter Westermann.

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sitzung Ende März 2001 zur Diskussion gestellt.154 Tatsächlich wurden der Regierungsentwurf und ein wortgleicher Entwurf von Abgeordneten der SPDFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits im Mai 2001 vorgelegt.155 In einer Anhörung des Rechtsausschusses im Juli 2001 formulierten einige Rechtswissenschaftler Kritik (Altmeppen, Dauner-Lieb, Ernst, Kirchner), die jedoch ebenso wenig Gehör fand, wie ein von Altmeppen und Wilhelm initiierter und von ca. 260 Zivilrechtswissenschaftlern befolgter Aufruf, von einem übereilten Projekt Abstand zu nehmen. Der Entwurf passierte den Bundestag am 11. Oktober und den Bundesrat am 9. November 2001. Bei der Bewertung der Reformbemühungen sollte zwischen der politischen und der fachlichen Verantwortung unterschieden werden. Unter technisch-methodischen Aspekten verdient die Arbeit der Expertenkommission höchsten Respekt: Innerhalb kürzester Zeit ist ein in sich weitgehend geschlossenes System entstanden, das im Hinblick auf sprachliche Präzision und logische Folgerichtigkeit das Gros der sonstigen Neuerungen im BGB deutlich überragt. Dass dabei einzelne Lücken geblieben sind und die großen Ziele der in den achtziger Jahren projektierten Schuldrechtsreform nicht umgesetzt werden konnten, wird den Kommissionsmitgliedern angesichts des immensen Zeitdrucks, der ihnen auferlegt war, niemand ernsthaft zum Vorwurf machen. Im Gegenteil, sie haben schlimmen Schaden von der Privatrechtsordnung abgewendet. Politisch erscheint die Reform als ein wenig verantwortliches Projekt: So wurde der Wert von einhundert Jahren Rechtsprechung und wissenschaftlicher Arbeit zum Vertragsrecht leichtfertig beiseitegeschoben, so dass in einem Schlüsselbereich der deutschen Rechtsordnung nach wie vor mühsam um die höchstrichterliche Klärung der wichtigsten Anwendungsfragen gerungen werden muss. Für diesen hohen Preis hat nicht wirklich eine Modernisierung des Schuldrechts stattgefunden, denn der Anschluss an die internationale, anglo-amerikanisch orientierte Rechtsentwicklung ist infolge von Überhastung und mangelnder politischer Konzeption nicht gelungen.

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d) Auf dem Weg zu einem europäischen Vertragsrecht

Der Vorbildcharakter, den die anglo-amerikanische Lehre vom Breach of Contract im Rechtsvergleich der nationalen Schuldrechte entfaltet (Rn. 2, 13), prägt auch die europäische Entwicklung hin zur Rechtsvereinheitlichung. Die deutsche Rechtswissenschaft setzt sich seit geraumer Zeit mit der Frage des Einflusses des europäischen Rechts auf das deutsche Zivilrecht auseinander. Im ersten Stadium der Rezeption stand dabei vor allem der Methoden- und Paradigmenwechsel im Vordergrund, der durch die Umsetzung diverser Verbraucherschutzrichtlinien in dichter Folge in das nationale Recht bedingt war.156 Davon 154 Canaris JZ 2001, 499; vgl. auch die übrigen Beiträge in Heft 10 der JZ 2001. 155 RegE BT-Drucks. 14/6040. 156 Vgl. Hommelhoff AcP 192 (1992) 71; Müller-Graff NJW 1993, 13; Schulze-Osterloh, in: FS

Zöllner, 1998, 1245.

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lässt sich ein zweites Stadium unterscheiden, in dem versucht wurde, aus der Summe der Einzelteile allgemeingültige Grundzüge eines europäischen Vertragsrechts herauszuarbeiten.157 Allerdings sind – wie so oft – für den weiteren Lauf der Rechtsentwicklung nicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern die Zufälligkeiten der Politik maßgeblich gewesen. Im Jahre 1994 forderte das Europäische Parlament erstmals die Europäische Kommission auf, das Projekt eines einheitlichen Zivilgesetzbuchs für den Bereich der Europäischen Gemeinschaft in Angriff zu nehmen.158 Der Europäische Rat nahm sich des Themas auf seiner Sitzung in Tampere im Jahre 1999 an.159 Die Europäische Kommission folgte am 11. Juli 2001 mit einer Mitteilung, in der eine umfassende Harmonisierung des Vertragsrechts ins Auge gefasst wurde.160 Die Lando-Kommission (Rn. 52) legte darauf im Jahre 2003 ein Papier über Prinzipien eines europäischen Vertragsrechts vor.161 Seit einem Aktionsplan vom 12. Februar 2003 forcierte die Europäische Kommission dann die Arbeiten an einem europäischen Vertragsrecht:162 Vor allem die Integrationseffekte („EU-Acquis“) im Vertragsrecht und die Entwicklung EU-weit einsetzbarer AGB standen nun im Vordergrund. Im Oktober 2004 erschien eine Mitteilung der Kommission über Folgemaßnahmen zum europäischen Vertragsrecht,163 in der erstmals die Entwicklung eines gemeinsamen Referenzrahmens im europäischen Vertragsrecht angekündigt wurde. Dabei wurde eine Expertengruppe (Joint Network on European Private Law) eingesetzt. Diese veröffentliche im Jahre 2009 einen Referenzrahmen für ein Gemeinsames Europäisches Privatrecht (auch: Draft Common Frame of Reference).164 Zwischenzeitlich erlitten diese Bemühungen jedoch einen Rückschlag, als der Rat der Europäischen Union sich am 18.4.2008 gegen die Einführung eines verbindlichen europäischen Vertragsrechts entschied.165 Darauf wich die Europäische Kommission im Jahre 2008 auf die Idee einer auf Vollharmonisierung zielenden Richtlinie für Verbraucherrechte aus. Auch diese Pläne scheiterten zunächst an konzeptionel157 Basedow, Europäisches Vertragsrecht für Europäische Märkte, 1996; Grundmann/Medicus/ Rolland, Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, 2000; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht – Das Europäische Recht der Unternehmensgeschäfte, 1999, ZGR-Sonderheft 15; vgl. ders. NJW 2000, 14; von Bar JZ 2014, 473; neue Aspekte bei Engert AcP 213 (2013), 321, 329ff. zum Netz(werk)effekt von Rechtsnormen. 158 ABl. EG Nr. C 158 vom 26.6.1989, S. 400 = RabelsZ 56 (1992) 320; dazu Tilmann ZEuP 1996, 534. 159 SI (1999) 800, Punkt 39. 160 KOM(2001) 398; dazu Schulte-Nölke JZ 2001, 917. 161 Lando/Clive/Prüm/Zimmermann (Hrsg.), Principles of European Contract Law, Part. III, 2003. 162 KOM(2003) 68 = ABl. EG Nr. C 63 vom 15.03.2003, S. 1. 163 KOM(2004) 651; vor allem R. Schulze ZRP 2006, 155; vgl. auch Jansen JZ 2006, 536. 164 Von Bar/Clive (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), Full Edition 2009; vgl. zur Kritik Grigoleit AcP 210 (2010) 354; Hellwege AcP 211 (2011) 665; Jansen/Zimmermann AcP 210 (2010) 196; Th. Pfeiffer AcP 208 (2008) 227. 165 Dazu Schulte-Nölke ZGS 2008, 201.

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len Schwächen des Richtlinienentwurfs und am politischen Widerstand,166 mündeten dann aber doch in die Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU (VerbRRiL), die in Art. 4 eine Vollharmonisierung des Rechts der wichtigsten Verbraucherwiderrufsrechte vorsieht (Rn. 36a). In Reaktion auf einen zwischenzeitlichen Rückschlag bei dieser Richtlinie veröffentlichte die Kommission jedoch bereits am 11.10.2011 auch einen Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht,167 worin man vorübergehend ein drittes Stadium der Harmonisierungsbemühungen erkennen konnte. Dieser neue Regelungskomplex sollte bei grenzüberschreitenden Kaufverträgen von den Parteien gewählt werden können, wobei als Regelfall an den Verbrauchsgüterkauf gedacht war. Der VO-Entwurf regelte nicht nur typische Fragen des Kaufrechts, sondern stellte ein Sonderregime für sämtliche Fragen der Rechtsgeschäftslehre und des allgemeinen Schuldrechts dar. Letztlich scheiterte dieses Projekt am Widerstand im Ministerrat und wurde deshalb von der Kommission im Mai 2015 zurückgezogen. Fast zeitgleich wurde ein Richtlinienvorschlag für eine Vereinheitlichung des Fernabsatzkaufvertrags im Rahmen der Vollendung des digitalen Binnenmarktes vorgestellt, der sich aber nicht am vorgestellten Verordnungsentwurf orientiert (Rn. 578a). Ein Blick auf die dem deutschen Juristen fremdartige Rechtssprache des zurückgezogenen Verordnungsentwurfs, der von „Abhilfe“ statt Nacherfüllung iSd. §§ 437 Nr. 1, 439 oder von „Heilung“ statt Erfüllung iSd. § 362 spricht, zeigt einen ganz grundlegenden Einwand gegen diese Art der europäischen Harmonisierung des Vertragsrechts: Weil sie nicht an eine gemeinsame europäische Rechtskultur anknüpfen kann, kommt sie zu früh und wirkt aus Sicht der betroffenen Mitgliedstaaten als Akt rechtskultureller Überfremdung. Das zugrunde liegende Problem lässt sich an der umstrittenen Entscheidung des EuGH in Sachen „Weber/Putz“ (Rn. 175) beobachten.168 Dort erschütterte das Gericht vermeintliche Gewissheiten im deutschen Vertragsrecht, indem es einem Käufer im Wege der Nacherfüllung einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ausbau gekaufter, mangelhafter Fliesen gewährte. Das Niveau der Begründung wurde im Schrifttum mehrmals als „erschreckend“ bezeichnet.169 Aufschlussreicher erscheint, dass in dem Verfahren die deutsche, belgische und österreichische Regierung sich gegen einen Anspruch dieses Inhalts ausgesprochen,170 die spanische und polnische Regierung ihn dagegen sehr wohl befürwortet hatten.171 In dieser Rechtsfrage fehlte es erkennbar an einem gemeinsamen Grundverständnis über Rechte und Pflichten im Kaufvertrag.

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Dazu Schulte-Nölke ZGS 2011, 1. KOM(2011) 635. EuGH 16.6.2011 – C-65/09 = NJW 2011, 2269 – Weber/Putz. Kaiser JZ 2011, 978; Lorenz NJW 2011, 2241, 2242. EuGH 16.6.2011 – C-65/09 = NJW 2011, 2269, Tz. 41 – Weber/Putz. EuGH 16.6.2011 – C-65/09 = NJW 2011, 2269, Tz. 42 – Weber/Putz.

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Spätestens seit den Arbeiten Montesquieus ist aber bekannt, dass gesetzliche Regelungen an eine vorrechtliche Rechtskultur anknüpfen müssen, um die Gesellschaft in einem positiven Sinne beeinflussen zu können und nicht als Akt der Oppression empfunden zu werden. In einer für sein Werk sonst ganz unüblichen Schärfe hält Montesquieu eine andere Art der Gesetzgebung für eine Erscheinungsform der Tyrannis: „Il y a deux sortes de tyrannie: une réelle, qui consiste dans la violence du gouvernement; et une d’opinion, qui se fait sentir lorsque ceux qui gouvernent établissent des choses qui choquent la manière de penser d’une nation.“172

Im Rahmen der Kontroverse mit Thibaut um die Kodifikation des deutschen Zivilrechts bezieht sich auch von Savigny in seiner Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ aus dem Jahre 1828 auf folgende weitere bittere Stelle im Werk Montesquieus: „Il ya a de certaines idées d’uniformité qui saisissent quelquefois les grands esprits (car elles ont touché Charlemagne), mais qui frappent infailliblement les petits. Ils y trouvent un genre de perfection qu’ils reconnoissent, parce qu’il est impossible de ne le pas découvrir: les mêmes poids dans la police, les mêmes mesures dans le commerce, les mêmes lois dans l’État, la même religion dans toutes ses parties. Mais cela est-il toujours à propos, sans exception? Le mal de changer est-il toujours moins grand que le mal de souffrir?“173

Bekanntlich ging auch von Savigny davon aus, dass der Zeitpunkt für eine Rechtsvereinheitlichung mangels einer gemeinsamen deutschen Rechtskultur noch nicht gekommen sei. Er bringt dabei den Gedanken Montesquieus so auf den Punkt: „Daß durch die Verschiedenheit die Rechtspflege selbst leide und der Verkehr erschwert werde, hat man häufig gesagt, aber keine Erfahrung spricht dafür, und der wahre Grund ist wohl meist ein anderer. Er besteht in der unbeschreiblichen Gewalt, welche die bloße Idee der Gleichförmigkeit nach allen Richtungen und schon lange in Europa ausübt, eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch schon Montesquieu warnt […] In jedem organischen Wesen, also auch im Staate, beruht die Gesundheit darauf, daß beides, die Gesamtheit und jeder Theil, im Gleichgewicht stehe, daß jedem sein Recht widerfahre. Daß ein Bürger, eine Stadt, eine Provinz den Staat vergessen, dem sie angehören, ist eine sehr gewöhnliche Erschei-

172 Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748 Livre XIX, Chapitre III, Ausgabe, Gallimard, Pleiade, 1957, Paris, S. 557. Eigene Übersetzung: „Es existieren zwei Arten der Tyrannei: die real fassbare, die in der Gewaltanwendung durch die Regierung zum Ausdruck kommt, und eine Tyrannei der Meinung, die spürbar wird, wenn die an der Regierung Befindlichen Dinge regeln, die die Art einer Nation zu denken, erschüttern.“ 173 Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748 Livre XXIX, Chapitre XVIII, Ausgabe, Gallimard, Pleiade, 1957, Paris, S. 882. Eigene Übersetzung: „Bestimmte Ideen zur Vereinheitlichung ergreifen gelegentlich die großen Geister (denn sie haben etwa Karl den Großen bewegt), kleineren Geistern kommen sie dagegen ganz unvermeidbar in den Sinn. Denn diese finden hier die Art von Perfektionismus, mit der sie sich auskennen, ist es doch unmöglich, nicht auf diese zu stoßen: dieselben Fußgewichte bei der Polizei, dieselben Maße im Handel, dieselben Gesetze im Staat, dieselbe Religion in allen seinen Teilen. Aber ist dies auch immer und ohne Ausnahme angezeigt? Ist das Übel, die Dinge zu ändern, immer kleiner als das Übel, sie auszuhalten?“

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nung, und jeder wird diesen Zustand für ungewöhnlich und krankhaft erkennen. Aber ebenso kann die lebendige Liebe zum Ganzen blos aus der lebendingen Theilnahme an einzelnen Verhältnissen hervorgehen, und nur wer seinem Hause tüchtig vorsteht, wird ein trefflicher Bürger seyn. Darum ist es ein Irrthum, zu glauben, das Allgemeine werde an Leben gewinnen durch die Vernichtung aller individuellen Verhältnisse. Könnte in jedem Stande, in jeder Stadt, ja in jedem Dorfe ein eigenthümliches Selbstgefühl erzeugt werden, so würde aus diesem erhöhten und vervielfältigten Leben auch das Ganze neue Kraft gewinnen […]. Lob in dieser Beziehung verdient das bürgerliche Recht, insofern es das Gefühl und Bewußtsein des Volkes berührt oder zu berühren fähig ist; Tadel, wenn es als etwas fremdartiges, aus Willkür entstandenes, das Volk ohne Theilnahme lässt.“174

Den Bemühungen um eine Vereinheitlichung des europäischen Vertragsrechts wird man also nicht ihren Gegenstand als solchen vorwerfen können, wohl aber die von politischem Geltungsbedürfnis bestimmte Ungeduld bei seiner Umsetzung. Die Thesen Montesquieus konnten den Code Napoléon bekanntlich so wenig verhindern wie die Überlegungen von Savignys das BGB. Sie haben der Vorbereitung dieser Gesetzeswerke aber die erforderliche Zeit verschafft, um zeitlos gültige Systematisierungsleistungen entstehen zu lassen. Vor allem die politischen Vorstellungen der Europäischen Kommission und auch der glühende Ehrgeiz mancher der von ihr bestellten Experten lassen gegenwärtig nicht zu, dass das in zahlreichen Richtlinien bereits gestaltete Verbraucherschutzrecht auf die nationalen Rechtsordnungen einwirkt und dort eine gemeinsame Rechtskultur entstehen lässt, die sich zu einem späteren Zeitpunkt in einem europäischen Vertrags- oder Zivilrechtsbuch systematisieren ließe. An die Stelle zu systematisierender Inhalte tritt deshalb bedauerlicherweise das Diktat: Dieses wird von den Adressaten aber häufig genauso empfunden! Im Rahmen der Harmonisierungsbestrebungen wurden bereits die Principles of European Contract Law erwähnt (Rn. 48). Sie gehen auf eine Privatinitiative des dänischen Kollisionsrechtlers Ole Lando zurück. Dieser rief mit Unterstützung der Europäischen Kommission die nach ihm benannte Lando-Kommission mit Teilnehmern aus den Mitgliedstaaten ein, die sich von 1982 bis 1990 mit der Ausarbeitung eines Normenkatalogs für ein europäisches Zivilrecht befasste, dessen Endredaktion eigentlich erst 1998 abgeschlossen war. Gegenwärtig sollen diese Prinzipien den Parteien im Rahmen internationaler Vertragsschlüsse eine attraktive Alternative für die Rechtswahl eröffnen bzw. zur Grundlage von internationalen Schiedsverfahren werden.175 Das hier vor allem interessierende vertragliche Schuldrecht (geregelt in Part I, Chapter 9) folgt dabei erkennbar dem anglo-amerikanischen Vorbild. An die Stelle des deutschen Verschuldensprinzips tritt die aus dem CISG bekannte Voraussehbarkeitsregel (Foreseeability, Article 9.503): „The non-performing party is liable only for loss which it foresaw or could reasonably have foreseen at the time of conclusion of 174 Von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1828, S. 42f. 175 Vgl. etwa Busch/Hondius ZEuP 2001, 223, 225ff.

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the contract as a likely result of its non-performance, unless the non-performance was intentional or grossly negligent.“176 Anders als im deutschen Recht stehen auch nicht die Tatbestände der Leistungsstörungen, sondern die Rechtsbehelfe systematisch im Vordergrund (right to terminate the contract, right to withhold performance, price reduction, damages and interest); auch insoweit erinnern die Principles an das anglo-amerikanische Recht (Rn. 2, 13).

176 Eigene Übersetzung: „Der Nichtleistende haftet nur auf einen Schaden, den er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als mögliche Folge einer Nichterfüllung voraussah oder vernünftigerweise hätte voraussehen können, es sei denn die Nichtleistung beruht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Schuldners.“

§ 2 Der Kaufvertrag A. Überblick Im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels steht die Regelung des Leistungsstörungsrechts in § 437. Die Darstellung orientiert sich unter Gliederungspunkt B (Rn. 54ff.) an den Tatbestandsvoraussetzungen der einzelnen Rechte des Käufers, die aus dieser Norm hervorgehen. Danach folgen unter C (Rn. 484ff.) die Ansprüche und Rechte des Verkäufers. An eine kurze Darstellung der Sonderformen des Kaufs und des Tauschs unter D und E (Rn. 528ff. und Rn. 535ff.) schließt eine Darstellung des Verbraucherschutzes beim Kauf und ähnlichen Rechtsgeschäften unter F (Rn. 538ff.) an. Den Abschluss bildet die Erörterung des Factoring, des wirtschaftlich bedeutendsten Anwendungsfalls des Forderungskaufs, unter G (Rn. 584ff.).

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B. Käuferrechte I. Der Lieferanspruch 1. Überblick

Mit Abschluss des Kaufvertrages erwirbt der Käufer gegen den Verkäufer einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache (§ 433 Abs. 1 Satz 1) bzw. auf Übertragung des verkauften Rechts (§§ 453 iVm. 413, 398). Voraussetzung dieses Lieferanspruchs ist eine wirksame Einigung über den Mindestgegenstand eines Kaufvertrages (Rn. 57ff.). Genügt der übertragene Gegenstand den Anforderungen des § 433 Abs. 1 Satz 2, geht der Lieferanspruch im Wege der Erfüllung nach § 362 Abs. 1 unter. Zum Untergang kommt es schließlich auch bei Unmöglichkeit der Erfüllung (Rn. 71ff.). Ein ungeklärter Grundlagenstreit kreist um die Frage, ob § 433 Abs. 1 Satz 1 als Anspruchsgrundlage anzusehen ist oder ob stattdessen der Anspruch des Käufers auf der Vereinbarung der Parteien selbst beruht. Die Frage lässt sich auch so formulieren: Werden Verkäufer und Käufer verpflichtet, weil sie dies vereinbart haben oder weil die Rechtsordnung ihrer Vereinbarung diese Rechtswirkung verleiht? Der Rechtsphilosoph Gerhart Husserl liefert ein einprägsames Beispiel:1 Vereinbaren zwei Personen in einer entlegenen Wüste den Austausch von Nahrungsmitteln, verweigert aber eine Partei, nachdem sie die Leistung der Gegenseite in Empfang genommen hat, die Erfüllung ihres Parts, so Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, 1925, S. 39ff.; lesenswert aber auch von Hippel, 1 Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936, S. 94ff. und Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Nachdruck 1961, S. 65ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

sind sich nach Husserl beide Parteien über den damit verbundenen Rechtsbruch im Klaren, und dies sei ein Indiz dafür, dass Vertragsrecht außerhalb einer staatlichen Rechtsordnung allein durch freiwillige Bindung eintreten könne. Die Tauschvereinbarung habe die Individuen zu einer Vertragsgemeinschaft mit bindender Wirkung zusammengefügt und der Vertrag stehe nun als Individualnorm quasi über den Parteien. Ähnliche, freilich anders begründete Überlegungen finden sich ua. bei Larenz2 und in der historisch wirkungsmächtigen, wenngleich heute überholten Lehre von den Permissivnormen: Danach findet sich im Vertragsrecht eine Normstruktur, die die (vorrechtliche) Betätigung des Parteiwillens lediglich gestattet, nicht aber selbst Rechtsfolgen schafft.3 Die Bildlichkeit dieser Argumentation darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es insgesamt doch um eine reine Wertungsfrage geht. Letztlich hängt es vom individuellen, im Gesetz nicht festzumachenden Standpunkt ab, ob der Wille der Parteien (so die liberalistische Variante) oder die Rechtsordnung (so die an der Sozialverantwortung orientierte Gegenversion) maßgeblich dafür ist, dass aus der tatsächlichen Vereinbarung der Parteien eine einklagbare und in letzter Konsequenz mit Staatsgewalt vollstreckbare Rechtspflicht entsteht. Eine weniger wertdurchdrungene Einschätzung liefert die Rechtsethnologie: Bei der Beobachtung ursprünglicher, primitiver Gesellschaften geht sie von rechtlichen Strukturen im Gegensatz zu bloßen sozialen Spielregeln nur dort aus, wo die Einhaltung der Normen durch eine dritte, von den Parteien unabhängige soziale Instanz kontrolliert wird.4 Rechtliche Relevanz gewinnt eine Parteivereinbarung danach erst, wenn über diese Wirkungen von einem unabhängigen spezialisierten Entscheidungsträger (Dorfältester, Richter usw.) entschieden wird. Daran fehlt es aber im Wüstenfall: Dort existiert keine für die Wahrung und Durchsetzung der Parteivereinbarung zuständige Drittinstanz. Deshalb bleibt jedem Vertragsgegner in der Auseinandersetzung um Recht und Gerechtigkeit nicht mehr als das subjektive Gefühl, „im Recht“ zu sein. So gesehen handelt es sich bei § 433 Abs. 1 Satz 1 um eine Anspruchsgrundlage. Übrigens löst Art. 30 CISG (UN-Kaufrecht) die Frage salomonisch: „Der Verkäufer ist nach Maßgabe des Vertrages und dieses Übereinkommens verpflichtet, die Ware zu liefern […]“. Liegt danach ein Grund für die rechtliche Geltung des Kaufvertrages in § 433, so liefert Abs. 1 Satz 2 dieser Norm zugleich den rechtlichen Grund für die Gewährleistungshaftung. Von dessen Verständnis hängt wiederum die Beantwortung vieler praktischer Fragen ab (vgl. nur den Übergabebegriff in Larenz, Die Methode der Auslegung, 1929, Nachwort zur 2. Aufl., in Korrektur seines frü2 heren Standpunktes, S. 53. Pernice GrünhutsZ 7 (1880) 465, 473ff., im Gegensatz zu der Auffassung, das Recht kenne 3 nur Ge- und Verbote (Imperative); so aber Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, 1878, S. 325ff. Zur Imperativentheorie vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1967, S. 83. Vgl. auch die Darstellung bei Stöhr AcP 214 (2014) 425, 441ff. Wesel, Frühformen des Rechtes in vorstaatlichen Gesellschaften, 1985, S. 59ff.; Röhl, in: FS 4 Schelsky, 1978, S. 435, 451.

B. Käuferrechte

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Rn. 63 oder die Frage, ob bei der Stückschuld Nachlieferung verlangt werden kann, Rn. 171). Nach § 433 Abs. 1 Satz 2 schuldet der Verkäufer etwa auch bei Vereinbarung einer Stückschuld eine mangelfreie Sache. Vor der Schuldrechtsreform ging das BGB noch von einem anderen, am römischen Recht orientierten Paradigma aus.5 Das römische Recht kannte zunächst keine eigene Sachmängelhaftung, sondern nur die Marktregeln der kurulischen Ädilen für den Sklaven- oder Viehkauf. Erst im Corpus Iuris wurden diese ädizilischen Rechtsbehelfe zu einem Kaufrecht systematisiert.6 Hinzu trat eine weitere Tradition des römischen Rechts, nach der grundsätzlich nur auf Geld, nicht aber auf Erfüllung in Natur geklagt werden konnte (omnis condemnatio pecuniaria est).7 Diesen beiden Vorgaben folgend kannte auch das aus dem römischen Recht entstandene Gemeine Recht beim Auftreten von Sachmängeln keinen Anspruch auf Mängelbeseitigung, sondern nur Sekundäransprüche: Die Erfüllung konnte mit anderen Worten nicht zwangsweise durchgesetzt werden; der Käufer musste sich vielmehr damit begnügen, den durch die Nichterfüllung bewirkten Schaden zu liquidieren. In Anknüpfung an diese Traditionen folgte das alte BGB der Auffassung, der Käufer schulde bei der Stückschuld nicht die Mangelfreiheit, sondern nur die Kaufsache als solche, während die Mangelfreiheit nur ein Motiv des Käufers für den Abschluss des Kaufvertrags sei.8 Dieser Gedanke hilft vermeintlich weiter, wenn die Mängelbeseitigung (Nacherfüllung) unmöglich ist. Denn dann erfüllt der Verkäufer durch Lieferung des mangelhaften Stücks den Kaufvertrag in einem ersten Schritt und haftet dann in einem zweiten aus Gewährleistungsrecht.9 Widersprüchlich erscheint nur, dass der Verkäufer seine Pflicht einerseits erfüllt, andererseits aber doch wegen einer Störung des Erfüllungsvorgangs haftet. Es ist das Verdienst Flumes, bereits auf der Grundlage des alten Rechts herausgearbeitet zu haben, dass die Lieferung einer mangelhaften Stückschuld eigentlich einen Fall der gescheiterten Erfüllung nach § 362 Abs. 1 darstellt.10 Daraus entwickelte sich die sog. Erfüllungstheorie,11 der nun auch § 433 Abs. 1 Satz 2 folgt. Danach erfüllt der Verkäufer durch Lieferung des mangelhaften Stücks den Kaufvertrag gerade nicht gänzlich nach § 362 Abs. 1, sondern er muss im Wege der Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 1, 439) erst noch den Zustand herbeiführen, der zu einer vollständigen Erfüllung nach § 362 Abs. 1 führt. Die Mangelhaftigkeit erscheint damit als eine Sehr anschaulich U. Huber AcP 210 (2010) 319, 320ff. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948, S. 57ff. U. Huber AcP 210 (2010) 319, 320, 323. Heute dominiert hingegen das Prinzip der Naturalleistung: M.-P. Weller, Die Vertragstreue, 2009; Riehm, Der Grundsatz der Naturalerfüllung, 2015; J. Flume AcP 215 (2015) 282. 8 U. Huber AcP 209 (2009) 143, 148f. unter Hinweis auf von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 3, 1840, S. 354ff., 358. 9 Vgl. die kritische Darstellung bei Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948, S. 48; Larenz II/1 § 41 II e. 10 Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948, S. 33ff. 11 Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung, 1974, S. 113; H.P. Westermann JZ 2001, 530, 531. 5 6 7

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von vielen möglichen Leistungsstörungen (Unmöglichkeit, Verzug usw.);12 sie alle fasst das Gesetz nun einheitlich unter dem Begriff der Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 Satz 1) zusammen.13 2. Einigung über den Vertragsinhalt a) Grundsatz 57

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Der Lieferanspruch setzt eine rechtsgeschäftliche Einigung der Parteien nach §§ 145ff. voraus. Fraglich ist, was die Parteien mindestens vereinbart haben müssen, damit man gem. §§ 133, 157 von einem gemeinsamen Willen zum Abschluss eines Kaufvertrages ausgehen kann. Nach verbreiteter Vorstellung müssen sich die Parteien allein über die Hauptleistungspflichten (essentialia negotii) einigen: Dies sind beim Kaufvertrag die Übereignungspflicht des Verkäufers und die darauf bezogene Entgeltspflicht des Käufers.14 Mit der Einigung in diesen Punkten treten die Regelungen der §§ 433ff. quasi als naturalia negotii von selbst hinzu. Den Parteien steht es im Übrigen in den Grenzen der §§ 476 Abs. 1 und 2, 478 Abs. 2 Satz 1 frei, vom gesetzlichen Modell abzuweichen und dabei weitere individuelle Regelungen zu treffen (accidentalia negotii). Die altertümlich anmutende Dreiteilung in essentialia, naturalia und accidentalia geht auf den aristotelischen Definitionsbegriff zurück, beruht aber auf einem in ganz unterschiedlichen Rechtsordnungen geltenden Regelungsgedanken (dazu bereits Rn. 4): „Ce sont donc les obligations principales qui une fois qualifiées, conditionnent la nature juridique du contrat tout entier.“15 In Alltagssituationen kann die Feststellung eines Vertragsschlusses nach § 433 schließlich ganz pragmatische Abgrenzungsfragen aufwerfen. Hier entscheidet eine an den schutzwürdigen Parteiinteressen orientierte Auslegung nach §§ 133, 157: (BGH 4.5.2011 – VIII ZR 171/10 = NJW 2011, 2871) K tankte an der Selbstbedienungstankstelle des V. An der Kasse zahlte er nur einen Schokoriegel und wies nicht auf den Tankvorgang hin. Als die Angestellte des V ihn nicht ansprach, verließ er die Tankstelle. Später schaltete V einen Detektiv ein, um K ausfindig zu machen. Die dabei entstandenen Kosten iHv. 137 € verlangt V von K. K verteidigt sich mit der Überlegung, dass V ihm kein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags über die Tankfüllung unterbreitet habe. V kann uU. seine Rechtsverfolgungskosten nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 als Verzugsschaden geltend machen. Dies setzt zunächst den Abschluss eines Kaufvertrages voraus.

Fraglich ist, in welchem Zeitpunkt der Kaufvertrag über die Tankfüllung an der Selbstbedienungsanlage zustande kommt: beim Tankvorgang selbst oder RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 209, linke Spalte, letzter Absatz. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 208, linke Spalte. Vgl. nur RGZ 124, 81, 83f. Eigene Übersetzung: «Es sind gerade die Hauptleistungspflichten, die – einmal eingeordnet – die Rechtsnatur des gesamten Vertrages bestimmen.» Ghestin, Les effets du contrat, Paris 1994, Rn. 77. 12 13 14 15

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bei dessen Bezahlung an der Kasse. Im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 sieht eine vor allem im Strafrecht vertretene Auffassung Parallelen zum Einkauf in einem Selbstbedienungsladen und geht davon aus, dass der Vertrag erst an der Kasse geschlossen werde.16 Nach Auffassung des BGH (Tz. 13ff.) und der hM.17 kommt der Kaufvertrag hingegen bereits mit dem Befüllen des Tanks zustande. Dies überzeugt, weil die Interessenlage sich in einem zentralen Punkt von der im Selbstbedienungsladen anzutreffenden unterscheidet. Dort kommt der Entnahme der Ware aus dem Regal noch keine Bindungswirkung zu, weil Käufer und Verkäufer bis zur Einleitung des Zahlungsvorgangs umdisponieren können. Dies ist beim Befüllen des Tanks nicht in gleicher Weise möglich. Deshalb unterbreitet der Tankstellenpächter regelmäßig eine sog. Realofferte: Wer sein Angebot in Anspruch nimmt, schließt daher mit ihm einen Kaufvertrag ab.18 Der BGH will übrigens auf eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen verzichten. Beim Selbstbedienungstanken handele es sich um ein anonymes Massengeschäft, im Rahmen dessen der Verkäufer den Käufer, dessen Anschrift er nicht kenne, auch nicht mahnen könne. Im Gegenzug sei dem Käufer klar, dass eine sofortige Zahlung nach dem Tankvorgang verlangt sei (Tz. 19). Weil der Käufer danach den Verzug gem. § 286 Abs. 4 zu vertreten hat, haftet er auch für die Aufwendungen, die V zur Wahrung und Durchsetzung seiner Rechte tätigen musste (Rechtsverfolgungskosten, Tz. 24).

Es versteht sich, dass auch die Einigung über einen Kaufvertrag rechtsgeschäftlich wirksam sein muss. Ein für den Kaufvertrag spezifisches Wirksamkeitshindernis liegt dabei in der Lehre vom wucherähnlichen Geschäft: (BGH 10.2.2012 – V ZR 51/11 = NJW 2012, 1570) V verkaufte der K eine vermietete Eigentumswohnung in Krefeld für 54.000 €. Unmittelbar nach dem Notartermin „reduzierte“ V den Kaufpreis auf 43.000 €, weil K die Wohnung nicht vor dem Notartermin besichtigen konnte. Nachträglich stellt sich heraus, dass die Wohnung zum Vertragsschluss höchstens 25.000 € wert war. K verlangt die an V gezahlten 43.000 € zurück. In Betracht kommt ein Anspruch der K aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). V hat die Summe durch Leistung von K erhalten. Es stellt sich die Frage, ob dies auch ohne Rechtsgrund erfolgt war.

Der BGH wendet auf den vorliegenden Fall die Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 an (Tz. 8). Ihre Funktion besteht darin, Schutzlücken zu schließen, die der Wuchertatbestand (§ 138 Abs. 2) offen lässt. Denn wer sich auf § 138 Abs. 2 beruft, muss beweisen, dass gerade die Ausbeutung der eigenen Zwangslage, Unerfahrenheit usw. kausal für eine vertragliche Einigung wurde, im Rahmen derer die Hauptleistungspflichten in einem groben Missverhältnis zueinander stehen. Hinzu tritt die Obliegenheit, Beweis Deutscher NStZ 1983, 507f.; Gauf NStZ 1983, 505, 507. Staudinger/Bork § 145 Rn. 8; MünchKomm/Busche § 145 Rn. 12. Vgl. als weiteres Beispiel die Inanspruchnahme von Internetdienstleistungen: BGH NJW 2005, 3636, 3637. 16 17 18

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§ 2 Der Kaufvertrag

über den Tätervorsatz zu führen. Die Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft beruht dagegen auf einer Beweiserleichterung bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen des § 138 Abs. 1. Sie geht von folgendem Erfahrungssatz aus: Liegt dem vertraglich vereinbarten Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung ein grobes Missverhältnis zugrunde, spricht die Erfahrung dafür, dass dies unter Ausbeutung einer persönlichen Notlage des Benachteiligten oder seiner persönlichen Schwäche geschehen ist. Denn niemand lässt sich ohne Not auf solche Bedingungen ein. Deshalb gründet auf den Nachweis eines groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ein Anscheinsbeweis, dass eine Zwangslage der unterlegenen Seite ausgebeutet wurde und dass der Vertragsgegner dabei mit verwerflicher Gesinnung handelte. Die Kritik wendet ein, dass auf diese Weise die Voraussetzungen des Wuchertatbestandes unterlaufen würden, und fordert, eher die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis der Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 zu senken.19 Allerdings lässt der enge Wortlaut des § 138 Abs. 2 dafür wenig Raum und die Schlussfolgerungen der Rechtsprechung im Rahmen des § 138 Abs. 1 überzeugen durch Lebensnähe. Die Lehre vom wucherähnlichen Geschäft entfaltet vor allem auch im Darlehensrecht große Bedeutung (vgl. Rn. 603 f). Auch im Hinblick auf den Grundstückskauf geht der BGH davon aus, dass kein Käufer sich „ohne Not“ auf einen Kaufpreis einlässt, der doppelt so hoch ist wie der Marktwert. An die Vereinbarung eines so hohen Kaufpreises knüpft deshalb die widerlegliche Vermutung, dass – objektiv betrachtet – eine Notlage des Käufers ausgebeutet worden ist und der Verkäufer dies aufgrund einer verwerflichen Gesinnung subjektiv auch wollte. Dann aber liegen die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 vor (Tz. 8).20 Die Grenze des Doppelten des Wertes ist sehr alt. Sie geht auf ein dem Kaiser Diokletian zugeschriebenes Institut, die sog. laesio enormis, zurück: Während das klassische römische Recht den Käufer nicht davor schützte, von einem listigen Käufer übervorteilt zu werden – erlaubt war ausdrücklich das Umgarnen und Hintergehen (circumvenire, circumscribere) – wurde in den Wirtschaftskrisen der Spätantike ein Schutz vor der Ausbeutung wirtschaftlicher Notlagen erforderlich. Allerdings zielte die laesio enormis gerade auf eine Verhinderung des Verschleuderns von Grundbesitz: Erzielte der Verkäufer nämlich weniger als die Hälfte des tatsächlichen Werts der Kaufsache, konnte er Nachzahlung bis zum „wahren Wert“ verlangen oder sich vom Vertrag lösen.21 Wendet man die Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft auf den vorliegenden Fall an, stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 durch die nachträgliche Ermäßigung des Kaufpreises auf 43.000 € entfallen sind. Nach seiner Herabsetzung lag der Koziol AcP 188 (1988) 183, 191f.; Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 268ff. BGHZ 146, 298 = NJW 2001, 1127, 1128. C. Becker, Die Lehre von der laesio enormis in der Sicht der heutigen Wucherproblematik, 1993, S. 1ff.; Schulze, Die Laesio enormis in der deutschen Privatrechtsgeschichte, 1973, S. 8ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 61f. 19 20 21

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vom Käufer geschuldete Kaufpreis nämlich nicht mehr beim Doppelten des Marktwertes der Wohnung. Allerdings geht der BGH mit gutem Grund davon aus, dass es für das Sittenwidrigkeitsurteil nach § 138 Abs. 1 auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt (Tz. 13).22 Zugrunde liegt die Überlegung, dass die Parteien ihr Verhalten an die guten Sitten nur in diesem Zeitpunkt anpassen können. Spätere Entwicklungen sind ihrer gemeinsamen Einflussnahme regelmäßig entzogen. Auch bedeutete die Bewertung ihres Rechtsgeschäfts aufgrund nachträglicher Entwicklungen eine Rückwirkung in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand.

Vorliegend stellt sich weiter die Frage, ob die Parteien nicht anlässlich der nachträglichen Ermäßigung des Kaufpreises einen Änderungsvertrag geschlossen haben, der den ursprünglichen, nichtigen Kaufvertrag nachträglich auf eine rechtmäßige Grundlage stellte (Tz. 14). Das Gericht verneint diese Möglichkeit indes, weil es im Falle des § 138 Abs. 1 an einer Heilungsmöglichkeit, wie etwa der in § 311b Abs. 1 Satz 2 geregelten, fehle (Tz. 17). Das sittenwidrige Rechtsgeschäft sei daher unheilbar nichtig (Tz. 18). Nach § 141 Abs. 1 müsse es ausdrücklich bestätigt und neu vorgenommen werden, was hier nicht geschehen sei (Tz. 18). Diese Betrachtungsweise erscheint nur auf den ersten Blick formalistisch, denn sie trägt dem zentralen Schutzgedanken des § 141 Abs. 1 Rechnung: Die Bestätigung setzt nämlich voraus, dass das Geschäft in Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes von den Parteien noch einmal für wirksam erklärt wird; denn andernfalls fehlt es am Bestätigungswillen.23 Dies setzt voraus, dass der Käufer die Sittenwidrigkeit der ersten Einigung kennt, nun aber bereit ist, die Einigung mit dem Verkäufer auf eine neue Grundlage zu stellen (Tz. 21). Dadurch wird verhindert, dass der Verkäufer durch minimales Nachgeben, auf das der in Not befindliche Käufer im Zweifel immer eingehen wird, den sittenwidrigen Vertrag „retten“ kann. Vorliegend ist der Kaufvertrag nichtig und wurde nicht durch einen Änderungsvertrag iSd. § 141 Abs. 1 bestätigt. Die Kondiktion des Käufers ist daher begründet (vgl. zum Parallelproblem des Vereinbarungsoder Umschuldungsdarlehens Rn. 611ff.).

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b) Vertragsgegenstand

Der Verkäufer schuldet die Übergabe und die Übereignung einer Sache. Während im Kaufvertrag das Versprechen der Übereignung begründet wird, vollzieht sich diese selbst in einem davon zu unterscheidenden, sachenrechtlichen Vertrag auf der Grundlage des § 929 Satz 1 (Trennungsprinzip). Die Wirksamkeit der Übereignung hängt nicht von der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Kaufvertrages ab (Abstraktionsprinzip), sondern richtet sich aus Gründen der Klarheit der Güterzuordnung nach einem abschließenden Kanon formal gefasster Tatbestände (§§ 929–931). Da die Parteien diese Unterscheidung in der Lebenswirklichkeit selten treffen, werden die nach § 929 Satz 1 relevanten Wil22 Unter Verweis auf BGHZ 100, 353 = NJW 1987, 1878, 1879; BGHZ 107, 92 = NJW 1989, 1276, 1277; vgl. Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 98ff.; MünchKomm/Armbrüster § 138 Rn. 133. 23 MünchKomm/Busche § 141 Rn. 14; Staudinger/Roth § 141 Rn. 20.

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lenserklärungen häufig konkludent abgegeben. Dann muss im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 ermittelt werden, ob eine Einigung über die Übereignung bereits zustande gekommen ist. Dabei spielt regelmäßig § 320 Abs. 1 Satz 1 eine bedeutende Rolle: Der Verkäufer hat nämlich wenig Anlass, an den Käufer zu übereignen, bevor er selbst den Kaufpreis empfangen hat. Denn durch eine solche Vorleistung verliert er den durch das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 vermittelten Schutz. Im Zweifel kommt deshalb eine Übereignung nur beim gegenseitigen Leistungsaustausch in Betracht.24 Im Beispielsfall (Rn. 58) kommt daher eine Übereignung der Tankfüllung nur unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung in Betracht. Praktisch bedeutet dies, dass im Tank des Kunden durch Vermischung nach § 948 Abs. 1 Miteigentum am Kraftstoff entsteht, so dass dem Verkäufer ein Teilungsanspruch nach § 749 Abs. 1 zusteht, wenn der Käufer nicht zahlt (vgl. aber auch §§ 948 Abs. 1, 947 Abs. 2).

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§ 433 Abs. 1 Satz 1 räumt dem Käufer einen Anspruch auf Übergabe der Kaufsache ein. Begrifflich nimmt die Norm auf das Merkmal „übergeben“ in § 929 Satz 1 Bezug und meint wie dort die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der Sache (§ 854 Abs. 1).25 In den Fällen der Übereignung nach §§ 930, 931 verschafft der Verkäufer dem Käufer nur mittelbaren Besitz (§ 868), was regelmäßig zur Erfüllung nicht genügt. Dieser Anspruch unterliegt indes der Disposition der Parteien. Er kann insbesondere auch stillschweigend abbedungen sein: Verkauft der Verkäufer an den Käufer eine vermietete Eigentumswohnung nach §§ 433 Abs. 1 Satz 1, 311b Abs. 1, kann der über die Gegebenheiten unterrichtete Käufer gem. §§ 133, 157 regelmäßig nicht die Verschaffung unmittelbaren Besitzes erwarten, weil dem Verkäufer jede rechtliche Handhabe fehlt, das Besitzrecht des Mieters durch Kündigung des Mietverhältnisses zu beenden (§§ 566 Abs. 1, 573).

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Weil der Verkäufer nur ein Versprechen auf Übergabe und Übereignung abgibt, kommt es für die Wirksamkeit des Kaufvertrages (anders als für die Übereignung) nicht darauf an, dass die Kaufsache im Zeitpunkt der Einigung bereits vorhanden ist. § 311a Abs. 2 Satz 1 (Haftung für ursprüngliche Unmöglichkeit) zeigt vielmehr, dass der Verkäufer lediglich haftet, wenn er dem Käufer die Sache im Zeitpunkt der Fälligkeit des Lieferanspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 1 nicht verschaffen kann: (BGH 20.10.1999 – VIII ZR 335/98 = NJW 2000, 504) V hat von X ein Grundstück gepachtet und darauf eine Ausstellungshalle errichtet. Nach Ablauf des Pachtvertrages veräußert V diese Halle an K; X verpachtet daraufhin das Grundstück an K. Den Kaufpreis für die Halle will K im Nachhinein nicht zahlen, weil die Halle wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 Satz 1) und deshalb nicht sonderrechtsfähig sei. Wesentliche Bestandteile einer Sache sind nicht selbst Objekt von Eigentumsrechten (§ 93), sondern gehören stets dem Eigentümer der Hauptsache. Mit gutem Grund ließ das

24 25

MünchKomm/Oechsler § 929 Rn. 27. Staudinger/Beckmann § 433 Rn. 106; MünchKomm/Westermann § 433 Rn. 43.

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Gericht vorliegend jedoch die Frage offen, ob die Halle wesentlicher Bestandteil des Grundstücks sei; als Alternative kam hier auch ein Scheinbestandteil nach § 95 in Betracht, weil der Veräußerer zuvor als Pächter die Halle wohl nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grundstück verbunden hatte. Denn in jedem Fall konnte über die Halle ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen werden: „Insoweit handelt es sich nur um einen Kaufvertrag über einen Gegenstand, der als Sache erst künftig, zB. durch den Abbau der Halle, mit rechtlicher Selbstständigkeit entstehen sollte“ (S. 505). Scheitert der Abbau, kommen allenfalls Ansprüche aus § 311a Abs. 2 Satz 1 wegen ursprünglicher Unmöglichkeit in Betracht.

c) Verkauf von Rechten

Nach § 453 Abs. 1 finden die §§ 433ff. auch auf den Kauf von Rechten Anwendung. In Betracht kommen dabei zunächst Forderungen, die kraft rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillens (§ 311 Abs. 1) oder kraft Gesetzes (Beispiele: §§ 683 Satz 1, 812 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 1) entstehen. Hier kommt im Einzelfall auch eine Sachmängelhaftung nach §§ 434ff. in Betracht.26 D verkauft V ein Kfz; die Übereignung hat jedoch noch nicht stattgefunden. V verkauft deshalb seine Forderung gegenüber D auf Übergabe und Übereignung des Kfz aus § 433 Abs. 1 Satz 1 an K und tritt diese an K ab. Später, als K das Kfz erhalten hat, stellt er einen Sachmangel fest. Hier kann K von V nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Nacherfüllung verlangen. Denn aus Sicht des K stellt es keinen Unterschied dar, ob V das Kfz an K verkauft und den D nach § 362 Abs. 2 ermächtigt („anweist“), das Fahrzeug direkt an K zu liefern, oder ob er K die Forderung gegen D aus § 433 Abs. 1 Satz 1 abtritt. Insbesondere dürfen durch den Forderungsverkauf die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474ff.) nicht umgangen werden (§ 476 Abs. 1 Satz 2)!

Den wirtschaftlich bedeutendsten Fall des Forderungskaufs stellt das Factoring dar (Rn. 584ff.). Eine im Einzelfall zu beantwortende Frage liegt darin, ob die Forderung wirklich vom Gläubiger gekauft wird oder ob die Vertragsgegenseite nur nach § 267 Abs. 1 Satz 1 erfüllt: G hat gegenüber S eine Forderung auf Rückführung eines Darlehens und Zahlung der Zinsen aus § 488 Abs. 1 Satz 2 begründet. Bank B hat mit S eine Sanierungsvereinbarung getroffen, im Rahmen derer sie die Forderung des G gegenüber S durch Zahlung an G ablöst. Hier ist fraglich, ob B die Forderung des G nach § 267 Abs. 1 Satz 1 erfüllt und gegenüber S aufgrund der Sanierungsvereinbarung vorgeht. Aus einem Vertrag über eine Sanierung iSd. § 675 Abs. 1 steht B hier uU. ein Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 zu. Die Rechtsstellung von B verbessert sich demgegenüber jedoch, wenn man von einem Kauf der Forderung des G durch B nach §§ 433, 453 ausgeht. Denn dann kann die Bank zusätzlich aus der Forderung gegen S gem. §§ 488 Abs. 1 Satz 2, 398 Satz 2 vorgehen. Die Praxis kennt aber auch eine Zahlung zwecks Ablösung des Schuldners:27 Der Dritte zahlt dabei nicht unmittelbar auf die Forderung, so dass diese nicht nach § 362 Abs. 1 untergeht, sondern wendet dem Gläubiger den geschuldeten Betrag Zug um Zug gegen Abtretung der Forderung zu. Davon dürfte vorliegend im Zweifel aus26 Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948, S. 175ff.; U. Huber AcP 202 (2002) 179, 229f.; Zimmermann AcP 213 (2013) 652, 654ff. 27 BGHZ 176, 86 = NJW 2008, 1803, Tz. 35.

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zugehen sein. Für einen Forderungskauf fehlt es an einer entsprechenden Vereinbarung zwischen G und B; insbesondere will G nicht für die Verität der Forderung haften. Am Untergang der Forderung durch Erfüllung nach §§ 267 Abs. 1 Satz 1, 362 Abs. 1 hat dagegen B kein Interesse.

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Stellt sich jedoch in anderen Konstellation die Frage der Unterscheidung zwischen einem Forderungskauf und einer Tilgung nach §§ 267 Abs. 1 Satz 1, 362 Abs. 1, spricht der Wille der Beteiligten nach §§ 133, 157 regelmäßig für einen Forderungskauf, weil hier der Dritte die ursprüngliche Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner als Rückgriffsmittel gegen den letzteren erwirbt.28 Daneben können sog. Immaterialgüterrechte erworben werden. Dies betrifft zunächst die urheberrechtlichen Nutzungsrechte nach § 31 UrhG, die regelmäßig an persönlichen geistigen Schöpfungen mit überragender Gestaltungshöhe entstehen (literarische, musikalische Werke, Filmwerke, aber auch Computerprogramme; vgl. im Einzelnen § 2 UrhG). Das Urheberrecht selbst ist als höchstpersönliches Recht nicht übertragbar (§ 29 Abs. 1 UrhG). Sein Inhaber ist deshalb bei der Vermarktung darauf angewiesen, Dritten gegenüber bestimmte Nutzungsmöglichkeiten einzuräumen (Veröffentlichung, Aufführung, Verfilmung usw.). Diese Nutzungsrechte oder Lizenzen (von lat. licere = erlauben) können einfach ausgestaltet sein (§ 31 Abs. 2 UrhG), dann hat der Erwerber nur ein persönliches Nutzungsrecht: Darum geht es beim alltäglichen Kauf von Standardsoftware, bespielten Musikträgern oder CDs. Ausschließliche Lizenzen (§ 31 Abs. 3 UrhG) hingegen erlauben eine Nutzung – je nach Vereinbarung – sogar unter Ausschluss des Urhebers selbst.29 Ferner können Patente und Lizenzen an Patenten verkauft werden: Patentschutz wird in einem nach dem Patentgesetz durchzuführenden Verwaltungsverfahren vor dem Bundespatentamt bzw. dem Europäischen Patentamt beantragt. Er wird für herausragende Erfindungen – dh. technische Lösungen von technischen Problemen – erteilt. Ansonsten kommen in Betracht: Gebrauchsmusterschutz (Schutz kleinerer Erfindungen), Geschmacksmusterschutz (Schutz ästhetischer Gestaltungen mit gewerblicher Funktion: Design) und Markenschutz (Schutz von Waren- und Geschäftsbezeichnungen). Problematisch ist indes die Veräußerung von Namens- und sonstigen Persönlichkeitsrechten: Student V fragt sich, ob er seinen bürgerlichen Namen „Harald von Wallenstein“ dem Interessenten K mit ausschließlicher Wirkung gegen Zahlung von 200.000 € übertragen kann.

Nach traditionellem und herrschendem Verständnis handelt es sich beim Namensrecht nach § 12 um ein unübertragbares Persönlichkeitsrecht.30 Deshalb kann das vorliegende Leistungsversprechen etwa nach § 134 Abs. 1 iVm. § 111 OWiG nichtig sein, weil es mit der öffentlich-rechtlichen NamenstragungsP. Meier ZGS 2011, 551ff. Kritisch zur Einordnung als Kaufvertrag allerdings Haberstumpf NJOZ 2015, 793ff.; Hauck NJW 2014, 3616. 30 RGZ 87, 147; Staudinger/Habermann § 12 Rn. 112; teilw. aA. Forkel NJW 1983, 1764, 1765. 28 29

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pflicht nicht vereinbar ist. Auch ein Fall des § 138 Abs. 1 kommt in Betracht, da der Veräußerer buchstäblich als Namenloser zurückbliebe, was mit der nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde kaum zu vereinbaren wäre. Rechtlich möglich ist nur das Versprechen des Namensträgers gegenüber einem Dritten, gegen einen Gebrauch des eigenen Namens nicht nach § 12 vorzugehen (persönliche Gestattung). Rechtlich bedeutet dies das Versprechen, einen Unterlassungsanspruch nach § 12 Satz 1 nicht auszuüben (pactum de non petendo). Die Gegenseite erwirbt also einen vertraglichen Anspruch auf Unterlassung der Rechtsausübung; dabei dürfte es sich mangels Rechtsübertragung nicht mehr um einen Kaufvertrag, sondern um einen Vertragstyp eigener Art handeln. Um Verwechslungen im Geschäftsverkehr zu verhindern, verbietet § 23 HGB im Übrigen die Veräußerung der Firma (Bezeichnung des Unternehmensträgers, § 17 Abs. 1 HGB) ohne den dazugehörenden Geschäftsbetrieb. Schließlich fasst die neuere Rechtsprechung Teilaspekte der Persönlichkeit als kommerzialisierbar auf. In zwei Entscheidungen zugunsten der Erben von Marlene Dietrich31 hat der BGH entschieden, dass die kommerziellen Rechte an der Verwertung des Namens „Marlene“ für ein Kraftfahrzeug bzw. des Konterfeis von Marlene Dietrich in einer bekannten Pose aus dem Film „Der Blaue Engel“ ihr bzw. ihren Erben zustehen. Konsequenterweise müssen solche Persönlichkeitsbestandteile, wenn für sie ein eigener Markt entstanden ist, auch Gegenstand eines Kaufvertrages sein können.

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d) Grenz- und Streitfälle

Bei der typologischen Zuordnung eines Vertrages über die Verschaffung von Software wird unterschieden: Soweit diese nach den spezifischen Anforderungen eines Gläubigers für dessen individuelle Bedürfnisse hergestellt wird (Individualsoftware), liegt wohl regelmäßig ein Werkvertrag nach § 631 vor (siehe dort Rn. 1087).32 Standardsoftware, die als Massenprodukt zur Befriedigung eines standardisierten Bedarfs vertrieben wird (die bekannten Textverarbeitungs-, Datenbank- oder Tabellenkalkulationsprogramme), kommt hingegen als Gegenstand eines Kaufvertrages in Betracht. Dabei kann es für die unmittelbare Anwendbarkeit des § 433 Abs. 1 Satz 1 nicht darauf ankommen, ob die Software auf einem Datenträger geliefert oder dem Kunden in anderer Weise zugänglich gemacht wird (Up- und Download). Denn darin liegt eine Zufälligkeit. Entscheidend ist, dass Software vergleichbar einem Werkzeug aus Sicht des Erwerbers ein bestimmtes Funktionsspektrum abdeckt und daher wie ein Werkzeug am Maßstab des § 434 auf Funktionsdefizite hin überprüft werden kann. Hinter dieser Besonderheit tritt der rechtliche Aspekt zurück, dass der Kauf von Standardsoftware auf dem Erwerb einer einfachen Benutzerlizenz

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BGH GRUR 2000, 709 – Marlene Dietrich; BGH GRUR 2000, 715 – Der blaue Engel. Reinicke/Tiedtke Rn. 1136.

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§ 2 Der Kaufvertrag

nach §§ 69c Abs. 1 Nr. 1 iVm. 31 Abs. 2 UrhG beruht, also eigentlich einen Rechtserwerb nach § 453 darstellt.33 Schließlich kommen Wertpapiere als Kaufsache in Betracht: (OLG München 9.6.2011 – 29 U 635/11 = NJW-RR 2011, 1359) V veräußert Eintrittskarten (Tickets) für diverse Sport- und Freizeitveranstaltungen. In seinen AGB schließt er gegenüber den Käufern den Ersatz einer gelieferten Karte bei Verlust aus. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (B) geht wegen dieser Klausel nach § 1 UKlaG gegen V vor. Für den nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. 4 UKlaG legitimierten B kommt es nach § 1 UKlaG darauf an, dass die von V verwendete Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist.

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Das OLG verneint hier zu Recht eine Unvereinbarkeit mit den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird (§ 307 Abs. 2 Nr. 1). Denn vorliegend handelt es sich um Inhaberpapiere iSd. § 807, bei denen der Aussteller die Leistung auch dann schuldet, wenn das Papier dem berechtigten Inhaber abhandengekommen ist (§ 794). Anders als bei einer echten Inhaberschuldverschreibung (§ 793), in der der Gläubiger persönlich genannt ist, hat der Inhaber einer Inhabermarke keinen Anspruch auf eine Ersatzverbriefung, weil § 807 nicht auf § 798 verweist. Zugrunde liegt die Gefahr, dass der Aussteller als Veranstalter uU. doppelt in Anspruch genommen werden könnte, wenn der Inhaber des ursprünglichen Papiers und der Inhaber des Ersatzpapiers von ihm die Leistung fordern. Dem trägt die AGB-Klausel Rechnung. Sachenrechtlichen Prinzipien unterliegen vor allem die Inhaberpapiere (§§ 793, 807), aber auch die Orderpapiere wie Wechsel und Scheck.34 Denn hier folgt das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier: Wer Eigentümer des Wertpapiers ist, erwirbt also die darin verbriefte Forderung. Anders liegt der Fall hingegen bei den Rektaund Namenspapieren, deren bekanntestes Beispiel das Sparbuch darstellt (Rn. 642). Emissionszertifikate sind mangels Verbriefung keine Wertpapiere, sondern subjektive öffentliche Rechte, die durch den Gesetzgeber handelbar gemacht wurden.35 Der Kauf eines Unternehmens kann sich auf zweierlei Weise vollziehen. Als Kauf des Unternehmensvermögens (Asset Deal) oder der Mitgliedschaftsrechte (Gesellschaftsanteile) des Unternehmensträgers (Share Deal).36 Bereits nach altem Schuldrecht hat die Rechtsprechung zum Share Deal herausgearbeitet, dass die Anwendbarkeit des kaufrechtlichen Leistungsstörungsrechts im Einzelfall nicht den Erwerb sämtlicher Anteile an einer Gesellschaft voraussetzt, sondern dass es bereits genügt, wenn der Erwerber eine beherrschende Stellung im Unternehmen erstrebt und der Wille der Parteien auf einen Verkauf des Unternehmens gerichtet ist.37 Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft liegt die Grenze gem. § 29 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) bei Vgl. dazu etwa Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 3, 1993, S. 15f. MünchKomm/Oechsler § 929 Rn. 15. S. Wagner JZ 2007, 971ff. Dazu etwa Reinicke/Tiedtke Rn. 1248ff. BGH WM 1970, 819; BGHZ 65, 246; weiterer Nachweis bei MünchKomm/Westermann § 453 Rn. 21ff. 33 34 35 36 37

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30% der stimmberechtigten Anteile.38 Die niedrige Zahl erklärt sich daraus, dass die Anwesenheitszahlen in den Hauptversammlungen der AG regelmäßig so gering sind, dass der Inhaber eines Aktienpakets von 30% bereits die Geschicke der AG lenken kann. Für den Asset Deal aber gilt, dass das Unternehmen selbst kein eigenes Rechtsobjekt darstellt,39 sondern einen Inbegriff von Sachen und Rechten sowie sonstigen Vermögensrechten (Good Will, Know-how usw.). Die Rechtsprechung wendet auf den Unternehmenserwerb dennoch einheitlich Kaufrecht an,40 so dass ein Lieferanspruch nach § 433 Abs. 1 Satz 1 unproblematisch begründet werden kann. Im Schrifttum ist umstritten, ob die Anwendbarkeit der §§ 433ff. auf den Unternehmenskauf unmittelbar aus § 453 Abs. 1 folgt41 oder eher aus einer allgemeinen typologischen Zuordnung des Unternehmenserwerbs zu § 433.42 Der Streit erscheint jedoch ohne größere praktische Bedeutung. Beim Unternehmenskauf treten schließlich zwei klassische Probleme auf: Im Rahmen des Mangelbegriffs stellt sich die Frage, ob die Unternehmenserträge Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 sein können (Rn. 104f.). Bei der Anwendung des § 323 Abs. 5 Satz 2 ist schließlich fraglich, ob der Unternehmenskäufer vom Kaufvertrag zurücktreten kann, wenn nur ein zum Unternehmensvermögen zählender Einzelgegenstand mangelhaft ist (Rn. 242ff.). 3. Einwendungen gegen den Lieferanspruch a) Überblick

Erbringt der Verkäufer die vertragsgemäße Leistung, erlischt der Lieferanspruch durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1. Dazu genügt indes nicht allein die Übergabe und Übereignung der Kaufsache, sondern diese muss nach § 433 Abs. 1 Satz 2 frei von Sach- und Rechtsmängeln sein. Genügt die Sache den Anforderungen des § 433 Abs. 1 Satz 2 nicht, so ist noch nicht vollständig erfüllt. Wegen des bestehenden Mangels (§ 434) verwandelt sich der Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 in einen Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 (Rn. 80). Mit der Unvollständigkeit der Erfüllung nach § 433 Abs. 1 Satz 2 verbindet sich dabei ein insolvenzrechtliches Problem, und zwar im Hinblick auf das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO. Der BGH hat dies bislang nur für den Werkvertrag entschieden: (BGH 25.4.2002 – IX ZR 313/99 = BGHZ 150, 353 = NJW 2002, 2783) Bauunternehmer U führte für B Bauarbeiten bei der Errichtung eines Einkaufszentrums durch. Als das InsolLange ZGS 2003, 300, 304. Vgl. aber die Überlegungen von K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 6. Seit RGZ 63, 57, 60; zum neuen Recht etwa Maier-Reimer, in: Reform des deutschen Schuldrechts, S. 61, 66. 41 Glagowski, Die Mängelgewährleistung beim Unternehmenskauf im Wege des Asset Deal nach der Schuldrechtsreform, 2008, S. 80; Gronstedt/Jörgens ZIP 2002, 52, 53. 42 Tendenziell in diese Richtung MünchKomm/Westermann § 453 Rn. 19; Münstermann, Das neue Schuldrecht am Beispiel des Unternehmenskaufs, 2007, S. 52. 38 39 40

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§ 2 Der Kaufvertrag

venzverfahren über das Vermögen des U eröffnet wird, sind die Arbeiten bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die Lage gestaltet sich nun so: Insolvenzverwalter I wählt Erfüllung. Da verlangt B Nacherfüllung für die bereits vollendeten und in voller Höhe von B vergüteten Bauleistungen des U. Denn diese weisen Mängel auf. Weil das Bauwerk noch nicht vollendet ist, hat B den Werklohn noch nicht in voller Höhe gezahlt. I lehnt Nacherfüllung in Natur ab.

Der Fall wirft zwei Fragen auf, die an das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO anknüpfen. Denn ist ein gegenseitig verpflichtender Vertrag weder vom Schuldner noch der Vertragsgegenseite vollständig erfüllt, steht dem Insolvenzverwalter die Wahl zu: Lehnt er die Erfüllung ab, kann der andere Teil seine Forderung nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO nur als Insolvenzforderung anmelden. Wählt der Insolvenzverwalter dagegen Erfüllung, sind die Forderungen der Vertragsgegenseite Masseverbindlichkeiten und müssen demnach aus dem verbleibenden Vermögen des Schuldners erfüllt werden. Problematisch ist daher, ob der Insolvenzverwalter den gesamten Werkvertrag nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO infrage stellen kann: Denn dieser wurde ja weder vom Werkunternehmer noch vom Besteller voll erfüllt. Diese Möglichkeit verneint der BGH vorliegend, weil die von den Parteien vereinbarten Leistungen teilbar seien. In Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 105 InsO könnten die bereits erbrachten Teile danach nicht mehr rückabgewickelt werden (S. 2784). Während dieses Ergebnis für Bauverträge unmittelbar einleuchtet, weil hier häufig nach Teilabschnitten abgerechnet wird, bestehen bei einem Kaufvertrag größere Probleme, weil hier eine Teilbarkeit der vom Verkäufer geschuldeten Leistung in Natur regelmäßig nicht in Betracht kommt: V hat K ein mangelhaftes Kfz für 10.000 € verkauft. Weil K bei Lieferung einen Mangel erkennt, behält er 1.000 € ein und verlangt Nacherfüllung. Als über das Vermögen des V das Insolvenzverfahren eröffnet wird, verlangt der Insolvenzverwalter I auf der Grundlage des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO das Kfz zurück und verweist K darauf, seinen Anspruch auf Rückgewähr der gezahlten 9.000 € als Insolvenzforderung anzumelden. K muss dabei davon ausgehen, nur ca. 5% dieses Betrages zurückzuerhalten.

Problematisch erscheint, dass der Käufer besser stünde, wenn er auf die Durchsetzung seiner Gewährleistungsansprüche verzichtet und den Kaufpreis in voller Höhe gezahlt hätte. Dann wäre der Vertrag nämlich von seiner Seite aus vollständig erfüllt und dem Anwendungsbereich des § 103 InsO entzogen gewesen. Das Nacherfüllungsverlangen, kombiniert mit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts, könnte dem Käufer daher eine böse Überraschung bereiten. Dies spricht dafür, auch auf diesen Fall die Regelung des § 105 Satz 2 InsO anzuwenden: Es könnte einem allgemeinen Rechtsgedanken im Recht der Nacherfüllung entsprechen, dass bereits erbrachte Leistungen durch das Nacherfüllungsverlangen insolvenzrechtlich nicht erfasst werden und der Bestand des Vertrages insoweit unberührt bleibt.43 43 Vgl. zum rechtsgeschichtlichen Hintergrund Jaeger, Konkursordnung, 9. Aufl. 1997, § 17 Rn. 98.

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Fraglich ist ferner, welches Schicksal dem bereits vor Insolvenzeröffnung entstandenen Nacherfüllungsanspruch zuteil wird, wenn der Insolvenzverwalter insgesamt Erfüllung wählt. Der BGH geht im vorliegenden Fall davon aus, dass Nacherfüllungsansprüche, für die die Vertragsgegenseite bereits die volle Gegenleistung erbracht hat, nur noch – auf Geldzahlung umgestellt – als Insolvenzforderung angemeldet werden können (S. 2786). Um dies zu begründen, ändert der BGH in der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zur Wirkung der Insolvenzeröffnung auf gegenseitig verpflichtende Verträge, soweit keine Sonderregelung besteht: Die Insolvenzeröffnung lässt danach die Wirksamkeit des Vertrages unberührt und führt zunächst nur dazu, dass der Austausch der Leistungen durch das Zurückbehaltungsrecht aus § 320 vorübergehend blockiert ist (S. 2785). Wegen § 105 Satz 1 InsO wird allerdings ein Vertrag über eine teilbare Leistung in zwei Teile aufgespalten:44 Nach § 105 Satz 1 InsO ist ein Vertragspartner des Schuldners nur Insolvenzgläubiger im Hinblick auf eine vom Schuldner noch zu erbringende Teilleistung, wenn er selbst die ihm obliegende Leistung zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erbracht hat. Für den Werkvertrag bedeutet dies, dass Nacherfüllungsansprüche aus den vor Insolvenzeröffnung liegenden Teilabschnitten nur noch als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können (S. 2786). Werden hingegen im Rahmen der nach Insolvenzeröffnung liegenden Teilabschnitte Nacherfüllungsansprüche begründet, sind diese Masseschulden.45

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b) Die Leistungsgefahr aa) Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1

Die Leistungsgefahr bezeichnet im Kaufvertrag das Risiko des Untergangs des Lieferanspruchs aus § 433 Abs. 1, ohne dass eine der Vertragsseiten dies zu vertreten hätte. Sie ist vor allem in § 275 Abs. 1–3 geregelt. Für die Zwecke der vorliegenden Darstellung genügen zu diesem umfassenden Problembereich46 folgende Überlegungen: § 275 Abs. 1 regelt die Voraussetzungen der tatsächlichen (regelmäßig physischen) Unmöglichkeit. Die Befreiungswirkung hängt in diesem Fall nicht von einem Vertretenmüssen des Verkäufers ab; dies zeigt der Umkehrschluss aus § 275 Abs. 2 Satz 2.47 Dem Wortlaut nach kommt auch ein teilweiser Untergang in Betracht. Problematisch erscheinen die Fälle der sog. vorübergehenden Unmöglichkeit. (BGH 8.5.2014 – VII ZR 203/11 = BGHZ 201, 148 = NJW 2014, 3365) V schuldet dem K bruchsichere Glasscheiben für dessen Bürohochhaus. Geliefert werden jedoch Glasscheiben mit Einschlüssen von Nickelsulfid, das zu Glasbruch führen kann. Die Herstellung von Scheiben, die vollständig von Nickelsulfid frei sind, ist zurzeit technisch nicht möglich. Allerdings werden die Scheiben mit der Zeit aushärten, sodass nach 10 Jahren ein Glasbruch ausgeschlossen ist. Fraglich ist in diesem eigentlich im Werkvertragsrecht spielenden Fall, ob K gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283 ohne Nachfristsetzung Schadensersatz verlangen kann. Dies setzt voraus, dass die vorübergehende Unmöglichkeit einer Unmöglichkeit iSd. § 275 Abs. 1 gleichsteht. So vor allem auch Rohrmüller NZBau 2007, 145, 147. Inwieweit die Masse dabei haftet, ist im Schrifttum umstritten: dazu Rohrmüller NZBau 2007, 145. 46 Dazu etwa Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 82ff.; Petersen Rn. 248ff. 47 Canaris JZ 2001, 499, 500. 44 45

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§ 2 Der Kaufvertrag

Der Gesetzgeber wollte das Problem der vorübergehenden Unmöglichkeit ursprünglich im Rahmen der Schuldrechtsreform regeln, hat seine Absicht jedoch wieder aufgegeben.48 Nach Auffassung des BGH steht ein zeitweiliges Erfüllungshindernis einem dauernden gleich, wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in Frage gestellt wird und deshalb dem Vertragspartner nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Belange beider Vertragsparteien die Einhaltung des Vertrages nicht zugemutet werden kann (Tz. 23). Dies wird vorliegend angesichts des langen Zeitraums von 10 Jahren bejaht. Nicht durchgesetzt hat sich die Auffassung, nach der das angerufene Gericht bei einer vorübergehenden Unmöglichkeit die Klage als derzeit unbegründet abweisen müsse.49 In anderen Fällen überzeugt die Gegenauffassung, die schlicht die Regeln über die Nichtleistung anwenden will; denn durch die zeitweilige Unmöglichkeit wird die Leistungserbringung über den Zeitpunkt der Fälligkeit hinausgeschoben.50 Allerdings muss dann eine Frist zur Nacherfüllung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 gesetzt werden, was im vorliegenden Fall nicht weiterhilft. Die in § 311 Abs. 1 gewährte Privatautonomie ist schließlich berührt, wenn es um die Frage geht, ob die Parteien die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit abbedingen können. Dies zeigt ein im Dienstvertragsrecht angesiedelter Fall eines sog. absurden Vertrages: (BGH 13.1.2011 – III ZR 87/10 = BGHZ 188, 71 = NJW 2011, 756) S war durch Beziehungsprobleme in eine Lebenskrise geraten und wandte sich mit einer Reihe persönlicher Fragen an G, damit diese dem S auf der Grundlage des Kartenlegens Lebensratschläge erteile. Nach getaner Arbeit stellt G dem S 42.000 € in Rechnung. Der Vergütungsanspruch des G gegen S aus § 611 Abs. 1 scheitert zunächst nicht daran, dass der Dienstvertrag (Tz. 8) nach § 138 Abs. 1 nichtig wäre. Denn dazu müsste G die problematische Lebenslage des S und dessen daraus resultierende Wehrlosigkeit bewusst ausgenutzt haben, wofür der Fall keine Anhaltspunkte liefert (Tz. 21).51

Problematisch ist jedoch, ob der Lohnanspruch der Wahrsagerin wegen Unmöglichkeit nach § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Fall nicht entstanden ist. Grundsätzlich bejaht der BGH die Voraussetzungen einer Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1), weil unter Zugrundelegung einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise und der Anwendung der Gebote der Vernunft eine Erteilung von Lebensratschlägen auf der Basis des Kartenlegens nicht möglich erscheint (Tz. 9, 14). Doch konnten die Parteien auf die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit durch eine Vereinbarung verzichten (Tz. 17).52 Aufgrund der Vertragsfreiheit sei es den Parteien unbenommen, einer inneren Überzeugung bzw. einem Glauben folgend, vom Maßstab des §§ 326 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 275 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 128f. Canaris JZ 2001, 499, 500; ders., in: FS U. Huber, 2006, S. 143, 147; Däubler, in: FS Heldrich, 2005, S. 55ff. 50 Kaiser, in: FS Hadding, 2004, S. 121, 125ff. 51 Bartels ZGS 2011, 355, 360. 52 Ähnlich Faust JuS 2011, 359, 361; kritischer Windel ZGS 2011, 218, 221. 48 49

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Abs. 1 abzuweichen. Für diese Betrachtungsweise spricht die Privatautonomie der Parteien nach § 311 Abs. 1 und im besonderen Fall auch das Grundrecht auf Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 GG.53 Die gemeinsamen Überzeugungen der Parteien können unterhalb der Schwelle des § 105 nicht einfach als unbeachtlich beiseite geschoben werden, weil sie dem üblichen weltanschaulichen Verständnis widersprechen. Die im Schrifttum geäußerte Kritik stößt sich indes an der Höhe des Honorars und spricht sich für eine Kürzung aus.54 Dies überzeugt nicht. Denn eine Kürzung müsste sich – entsprechend dem Rechtsgedanken des § 441 Abs. 3 – am wahren Wert der Beratungsleistungen orientieren. Dieser existiert aber bei Leistungen der vorliegenden Art nicht in einem objektiven Sinne; denn hier beruht die Wertbildung allein auf der Vereinbarung der beiden Vertragspartner im Einzelfall und nicht auf den von ökonomischer Rationalität geprägten Marktergebnissen. Ausgehend von der in § 311 Abs. 1 verbürgten Privatautonomie beschränkt sich der gesetzliche Schutz in Fällen der vorliegenden Art auf die Frage, ob der Schuldner bei Eingehung der Verpflichtung zu einer privatautonomen Entscheidung fähig war (§§ 105ff.). Ist dies zu bejahen, kommen weitere Beschränkungen seiner Fähigkeit zur Selbstverpflichtung nicht in Betracht. bb) Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 Satz 1

Bei der Verteilung der Leistungsgefahr im Kaufrecht erlangt das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 Satz 1 besondere Bedeutung.55 Danach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Berücksichtigung des Gebots von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers umfasst § 275 Abs. 2 Satz 1 die faktische oder praktische Unmöglichkeit (Schulbeispiel: Der geschuldete Ring liegt am Boden eines Sees.).56 Es sind Fälle, in denen die Behebung des Leistungshindernisses theoretisch möglich ist, aber aus Sicht des Gläubigers wegen des enormen wirtschaftlichen Aufwandes nicht ernsthaft erwartet werden darf. Die Norm weist eine große Nähe zum Tatbestand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 auf.57 Die Abgrenzung zwischen beiden Instituten ist umstritten: Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers unterscheidet sich § 275 Abs. 2 dadurch von § 313 Abs. 1, dass die Befreiungswirkung des § 275 Abs. 2 allein nach dem Gläubigerinteresse beurteilt wird, während bei § 313 Abs. 1 eher das Schuldnerinteresse maßgeblich sei.58 Dagegen spricht, dass auch im 53 Bartels ZGS 2011, 355, 359; Windel ZGS 2003, 466, 468; allgemeiner noch M. Becker, Absurde Verträge, 2013, passim. 54 Faust Jus 2011, 359, 361; Looschelders JA 2011, 385; Pfeiffer LMK 2011, 314413. 55 Dazu Canaris JZ 2001, 499, 500ff. 56 Schulbeispiel von Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929, § 28, 5; Canaris JZ 2001, 499, 501. 57 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 88. 58 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 130, linke Spalte; Canaris JZ 2001, 499, 501; Faust, in: Huber/ Faust, § 2 Rn. 77ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Tatbestand des § 275 Abs. 2 Satz 1 Schuldnerinteressen als Schuldneraufwand erwähnt und ins Verhältnis zu den Gläubigerinteressen zu setzen sind.59 Nach einer weiteren Meinung soll sich die Abwägung in § 275 Abs. 2 auf ein reines Kosten-Nutzen-Kalkül beschränken, so dass sonstige Umstände, die in die Interessenabwägung eingehen können, wie etwa die Existenzgefährdung des Schuldners, allein in § 313 Abs. 1 zu berücksichtigen seien.60 Dieser Auffassung steht aber jedenfalls § 275 Abs. 2 Satz 2 entgegen, weil mindestens das Vertretenmüssen des Schuldners in die Gesamtbetrachtung eingeht. Nach anderer Auffassung unterscheiden sich beide Institute dadurch, dass im Rahmen des § 275 Abs. 2 Satz 1 das Leistungsinteresse des Gläubigers mit dem Schuldneraufwand abgewogen wird, in § 313 Abs. 1 hingegen der Gläubigeraufwand.61 Bedenkt man indes, dass das Interesse des Gläubigers am Erhalt der Gegenleistung nur unter Berücksichtigung des zu treibenden Aufwandes beurteilt werden kann, bleiben auch hier Zweifel. Deshalb wurde zu Recht die Frage aufgeworfen, ob es sich bei § 275 Abs. 2 und erst recht bei Abs. 3 um echte Fälle der Unmöglichkeit handelt.62 In beiden Normen wird der Begriff der Unmöglichkeit nicht verwendet. § 275 Abs. 3 aber liegt als Anwendungsbeispiel der Fall der Sängerin zugrunde, die ihrer Verpflichtung zum Bühnenauftritt nicht nachkommt, weil sie ihr schwer erkranktes Kind betreuen muss.63 In den Gesetzgebungsmaterialien wird darin ein Fall der Unmöglichkeit gesehen;64 Mitautoren des konsolidierten Regierungsentwurfs gehen indes von einem Anwendungsbeispiel für den Wegfall der Geschäftsgrundlage aus.65 Diese Schwierigkeiten zwingen zu einer pragmatischen Abgrenzung von §§ 275 Abs. 2 und 3 sowie 313 Abs. 1. Dies zeigt der Lehrbuchfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, die schwere Äquivalenzstörung:66 V hatte K 1921 sein bebautes Grundstück notariell beurkundet für 5 Millionen Reichsmark auf den 2. September 1923 verkauft. An diesem Tag aber entsprechen 120 Millionen Reichsmark gerade dem Wert eines US-Dollars. Die Taxifahrt zum Notar mag an diesem Tag 360 Millionen Reichsmark gekostet haben.

Dem Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 kann der Käufer hier die Einrede nach § 275 Abs. 2 Satz 1 nur entgegenhalten, wenn sein eigener Aufwand als Schuldner in ein grobes Missverhältnis zu den Verkäuferinteressen geraten ist. Der Ebenso Zimmer NJW 2002, 1, 4. MünchKomm/Ernst § 275 Rn. 76. Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 88 Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 2 Rn. 66. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 130, rechte Spalte. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 130, rechte Spalte. Canaris JZ 2001, 499, 501. Immer noch lesenswert Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, 3. Aufl. 1963; die Lehre selbst geht auf Oertmann, Die Geschäftsgrundlage, 1921, zurück. Zur Entstehungsgeschichte und dogmatischen Begründung vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 122ff.

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Gesetzgeber versteht den Begriff des Schuldneraufwandes iS. von Aufwendungen, die erforderlich sind, um bestehende Leistungshindernisse (etwa die noch ausstehende Beschaffung der Kaufsache) zu beseitigen.67 Darunter fiele vorliegend wohl nicht die dramatische Werterhöhung der Lieferpflicht gegenüber dem Anspruch auf das Entgelt, wohl aber die Taxifahrt. Abgrenzungen dieser Art überzeugen nicht, was es eher nahe legt, § 275 Abs. 2 normativ in Abgrenzung zu § 313 Abs. 1 auszulegen: Bei § 313 Abs. 1 muss der Schuldner wegen § 313 Abs. 3 Satz 1 stets zusätzlich beweisen, dass eine Vertragsanpassung nicht möglich ist. Dann spricht vieles dafür, unter § 275 Abs. 2 die Leistungshindernisse zu fassen, bei denen eine Vertragsanpassung von vornherein ausscheidet, unter § 313 Abs. 1 aber die übrigen. In Zweifelsfällen können beide Normen auch nebeneinander Anwendung finden und miteinander frei konkurrierende Rücktrittsgründe darstellen (§ 313 Abs. 3 Satz 1 und § 326 Abs. 5 Satz 1). Das Tatbestandsmerkmal des groben Missverhältnisses iSd. § 275 Abs. 2 Satz 1 knüpft dabei an einen allgemeinen Rechtsgedanken aus §§ 251 Abs. 2, 635 Abs. 3, 651c Abs. 2 Satz 2 an:68 Danach kann der Schuldner sich gegenüber dem Gläubiger mit dem Hinweis auf das Überschreiten der Opfergrenze verteidigen.69 In welchen Verhältnissen dabei ursprünglich gedacht wurde, zeigt folgender Fall: (BGH 2.10.1987 – V ZR 140/86 = NJW 1988, 699)70 V hat K in einem notariell beurkundeten Kaufvertrag die Übereignung des unbebauten Grundstücks X für umgerechnet 100.000 € versprochen. Vertragswidrig bewilligt er indes D die Eintragung einer Auflassungsvormerkung in das Grundbuch. Nach Vornahme der Eintragung und Vorhaltungen des K verhandelt V mit D. Dieser will in die Löschung der Vormerkung nur gegen Zahlung von 3.000.000 € einwilligen.

Nach heutigem Verständnis liegen die Wertrelationen deutlich niedriger. Verständlicherweise legt sich die Rechtsprechung nicht auf bestimmte Quotienten fest.71 Für deren Bestimmung gelten nur zwei systematische Vorgaben: Das Tatbestandsmerkmal verwirklicht das in § 241 Abs. 1 angelegte Prinzip „Pacta sunt servanda“.72 Aus seinem Vertragsversprechen ist der Verkäufer daher nur im Ausnahmefall entlassen. Ferner muss die Schwelle des § 275 Abs. 2 Satz 1 deutlich über derjenigen des § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 liegen. Dies legt der unterschiedliche Wortlaut beider Normen nahe, aber auch die Verschiedenheit der Zwecke; denn im Fall des § 439 Abs. 4 hat der Schuldner bereits „angeleistet“ (Rn. 187). Einen Anhaltspunkt liefert § 275 Abs. 2 Satz 2, wonach ein Vertre-

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 130, linke Spalte; so etwa auch MünchKomm/Ernst § 275 Rn. 83ff. 68 Vgl. neben dem vorliegenden Fall auch BGHZ 62, 388, 391, 393f.; dazu auch Larenz/Canaris II/2 § 86 VI 2a. 69 Canaris JZ 2001, 499, 505. 70 Dazu Canaris JZ 2001, 499, 502. 71 BGH NJW 2010, 2050, Tz. 22ff.; BGH NJW 2008, 3122, Tz. 18. 72 Canaris JZ 2001, 499, 502; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 87. 67

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tenmüssen des Schuldners in die Betrachtungsweise mit einzubeziehen ist:73 Denn dem schuldhaft handelnden Schuldner ist es zumutbar, wesentlich mehr als den Marktpreis zu bieten, um das Leistungshindernis zu überwinden, haftet er doch auch auf Schadensersatz.74 Nach einer Auffassung entspricht daher die Untergrenze des Schuldneraufwandes dem Umfang des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung.75 Überzeugend wird zugunsten des Verkäufers auch ein Vertretenmüssen des Käufers berücksichtigt; dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 326 Abs. 2 Satz 1.76 Denn gerade diese Vorschrift würde wirtschaftlich leerlaufen, wenn der Verkäufer im Rahmen des vorgelagerten § 275 Abs. 2 in voller Strenge haften müsste. Im Übrigen wird teilweise zwischen relativer und absoluter Berechnung unterschieden: (Nach Huber/Faust, § 2 Rn. 43) K hat ein Leistungsinteresse an der Kaufsache von 1.000 €. Der ursprüngliche Beschaffungsaufwand des V betrug 400 €. Nunmehr ist ein Leistungshindernis eingetreten, das nur mit weiteren Aufwendungen iHv. 400 € zu beheben ist. Wird das grobe Missverhältnis anhand der Veränderung des Verhältnisses Schuldneraufwand zu Gläubigerinteresse im Laufe der Zeit beurteilt (relative Beurteilung), ließen sich seine Voraussetzungen angesichts einer Verdoppelung von 4/10 auf 8/10 leicht bejahen. Betrachtet man nur den Endaufwand des Schuldners zum Stichtag 8/10 liegt kein grobes Missverhältnis vor (absolute Beurteilung). Teilweise wird hier der absoluten Beurteilung der Vorzug gegeben, weil sie dem Wortlaut des Gesetzes eher entspreche und es auf das effektive Wertverhältnis zum Stichtag ankomme.77 Man darf die Aussagekraft von Zahlenbeispielen dieser Art allerdings nicht überschätzen, da bereits § 275 Abs. 2 Satz 2 mit dem Vertretenmüssen des Schuldners einen nicht quantifizierbaren Aspekt in die Betrachtung miteinbezieht.

II. Der Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 1. Überblick 78

Entspricht der Kaufgegenstand nicht den Voraussetzungen des § 433 Abs. 1 Satz 2, wachsen dem Käufer nach § 437 drei Gruppen von Rechten zu: der Nacherfüllungsanspruch (Nr. 1), die Gestaltungsrechte Minderung und Rücktritt (Nr. 2) sowie Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche (Nr. 3), die beide von einem Vertretenmüssen des Verkäufers abhängen. Mit dem Nacherfüllungsanspruch räumt der Gesetzgeber aber auch dem Verkäufer eine letzte Chance ein, „den mit der Rückabwicklung des Vertrages verbundenen wirtschaftlichen Nachteil abzuwenden.“78 Dadurch erhöht das Gesetz die Bestandsfestigkeit des Vertrages gegenüber Leistungsstörungen: Eine mangelhafte Lieferung eröffnet nicht sofort den Weg zur Rückabwicklung nach §§ 437 73 74 75 76 77 78

Canaris JZ 2001, 499, 503. Ähnlich U. Huber, in: FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 561. MünchKomm/Ernst § 275 Rn. 93. Faust, in: Huber/Faust, § 2 Rn. 50. Faust, in: Huber/Faust, § 2 Rn. 44. Ausdrücklich RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 221.

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Nr. 2, 346 Abs. 1 oder zum Schadensersatz nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, denn zuerst muss der Käufer dem Verkäufer eine Frist zur Nacherfüllung setzen (§§ 323 Abs. 1, 281 Abs. 1 Satz 1). Den Nachlieferungsanspruch prägt also ein Doppelzweck: Er dient sowohl dem Erfüllungsinteresse des Käufers79 als auch dem Interesse des Verkäufers an der Abwendung von Schäden, die die Geltendmachung der Rechte und Ansprüche aus § 437 Nr. 2 und 3 durch den Käufer mit sich bringt. Der Anspruch selbst ist gem. § 439 Abs. 1 auf Nachbesserung oder Nachlieferung nach Wahl des Käufers gerichtet. Er setzt neben der wirksamen Begründung einer kaufvertraglichen Lieferpflicht nach § 433 Abs. 1 Satz 1 voraus, dass die Gefahr am Kaufgegenstand iSd. §§ 446f. auf den Käufer übergegangen ist (Rn. 80) und dabei ein Sach- oder Rechtsmangel iSd. §§ 434f. vorliegt (Rn. 95ff.). Die Rechtsfolgen der Nacherfüllung bilden schließlich einen eigenen umfangreichen Problembereich (Rn. 168ff.).

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2. Das Verhältnis zum ursprünglichen Erfüllungsanspruch nach § 433 Abs. 1 Satz 1 a) Übergabe bei der Stückschuld

Wegen § 433 Abs. 1 Satz 2 tritt Erfüllung nach § 362 Abs. 1 nur ein, wenn der Verkäufer eine mangelfreie Kaufsache übereignet (Rn. 56). Weist die Kaufsache, gleichgültig ob als Gattungs- oder Stückschuld vereinbart, Mängel iSd. §§ 434, 435 auf, entsteht zugunsten des Käufers ein Nacherfüllungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439. Dieser Anspruch unterscheidet sich vom ursprünglichen Lieferanspruch nach § 433 Abs. 1 Satz 1 in drei Punkten: (1) Zunächst weist der Nacherfüllungsanspruch nach § 439 Abs. 1 einen gegenüber dem ursprünglichen Lieferanspruch (§ 433 Abs. 1 Satz 1) veränderten Inhalt auf: Der Käufer kann wahlweise Nachbesserung oder Nachlieferung verlangen. (2) Ferner darf der Verkäufer den Nacherfüllungsanspruch unter erleichterten Voraussetzungen durch Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts zu Fall bringen; denn nach § 439 Abs. 4 Satz 3 reichen unverhältnismäßige Kosten als Begründung aus, während gem. § 275 Abs. 2 nur ein grobes Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse den Anspruch zu Fall bringt. (3) Schließlich verjährt der Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 nach allgemeinen Vorschriften (drei Jahre nach § 195), während der Nacherfüllungsanspruch idR. der zweijährigen Verjährung des § 438 Abs. 1 Nr. 3 unterliegt. Wegen dieser Unterschiede können beide Ansprüche nicht frei miteinander konkurrieren, also wahlweise vom Käufer geltend gemacht werden. Denn die 79 Grundlegend Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 243ff.; vgl. auch den aufschlussreichen Zusammenhang zwischen der Erfüllung in natura und der Vertragstreue bei Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 316ff.; aA. allerdings S. Lorenz NJW 2006, 1175.

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sachlichen Beschränkungen des Nachlieferungsanspruchs liefen leer, wenn der Käufer sich stets auch auf § 433 Abs. 1 Satz 1 berufen könnte und umgekehrt. Deshalb geht die mittlerweile hM. davon aus, dass es sich bei § 433 Abs. 1 Satz 1 und §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 jeweils um denselben Anspruch handelt und dass sich der Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 lediglich im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§§ 446f.) bei Auftreten eines Mangels inhaltlich im Sinne des §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 verändert. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 ist also der alte Erfüllungsanspruch (§ 433 Abs. 1 Satz 1) mit einem modifizierten Inhalt. Bei §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 handelt es sich mit anderen Worten um einen modifizierten Erfüllungsanspruch.80 Äußerlich folgt dies jedoch aus § 437 Nr. 1. Nacherfüllungsgrund ist nämlich ein Mangel. Von einem Sachmangel lässt sich nach § 434 Abs. 1 Satz 1 aber nur ab Gefahrübergang sprechen. Dies führt zu folgendem Zwischenergebnis: Mit Übergang der Preisgefahr am mangelhaften Kaufgegenstand verwandelt sich der ursprüngliche Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 in einen Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Regelmäßig geschieht dies im Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache nach § 446 Satz 1: V verkauft K einen Sportwagen. 26 Monate nach dessen Übergabe stellt K einen sicherheitsgefährdenden Konstruktionsfehler beim Tankschloss fest und verlangt von V dessen Beseitigung durch Reparatur. V erhebt die Einrede der Verjährung nach §§ 438 Abs. 1 Nr. 3 iVm. 214 Abs. 1. K vertritt die Ansicht, sein Erfüllungsanspruch verjähre in drei Jahren. Kann er die Reparatur verlangen? Vorliegend kann sich K nicht mehr auf den in drei Jahren (§ 195) verjährenden Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 berufen. Denn mit der Übergabe des Fahrzeugs ist nach § 446 Satz 1 der Gefahrübergang eingetreten. Deshalb hat sich der Inhalt seines Anspruchs verändert: V schuldet nicht mehr aus § 433 Abs. 1 Satz 1, sondern nach Maßgabe der §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Dieser Anspruch verjährt jedoch gem. § 438 Abs. 1 Nr. 3 innerhalb von zwei Jahren nach Ablieferung.

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Diese Betrachtungsweise ist jedoch nicht unumstritten. Die Rechtsprechung des EuGH in Sachen „Weber/Putz“ hat dazu geführt, dass der Inhalt des Nacherfüllungsanspruchs nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 deutlich über den des Erfüllungsanspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 1 hinausgeht (Rn. 175ff.). In Reaktion darauf finden sich Bestrebungen, den Nacherfüllungsanspruch teilweise gegenüber dem Erfüllungsanspruch als „Mangelrecht zur Realisierung der Versprechensbindung“ zu verselbständigen.81 Dabei werden jedoch zwei Sachfragen miteinander vermengt: Wenn vom Nacherfüllungsanspruch als modifiziertem Erfüllungsanspruch die Rede ist, stellt sich zunächst die Frage, ob der Nacherfüllungsanspruch (§§ 437 Nr. 1, 439) umfangreichere Rechtsfolgen entfalten kann als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch (§ 433 Abs. 1). Dies legt die Rechtsprechung im Fall „Weber/Putz“ teilweise nahe und wird 80 Vgl. nur Bamberger/Roth/Faust § 439 Rn. 6 (= BeckOK); P. Huber NJW 2002, 1004, 1005; ders., in: Huber/Faust, § 13 Rn. 45ff.; Ackermann JZ 2002, 378, 379; Jungmann ZGS 2004, 263, 264; aA. Jauernig/Berger § 439 Rn. 10: Sekundäranspruch; Hoeren/Martinek/Müller Teil 1 Rn. 230. 81 Tröger AcP 212 (2012) 296, 303 und 303ff. zum Folgenden.

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vom Gesetzgeber nun in § 439 Abs. 3 bejaht:82 Ein Verkäufer, der ursprünglich nach § 433 Abs. 1 nur die Übereignung von Fliesen, nicht aber deren Einbau schuldete, ist nun im Rahmen der Nacherfüllung sowohl zur Übereignung erfüllungstauglicher neuer Fliesen als auch zum Ausbau der mangelhaften Altfliesen verpflichtet. Bei der Beantwortung dieser Frage hat das Verständnis des Nacherfüllungsanspruchs als modifizierter Erfüllungsanspruch daher nur eine begrenzte Tragkraft; allerdings sollte auch nicht unterschätzt werden, dass es sich bei § 439 Abs. 3 um einen Sonderfall mit engen Grenzen handelt. Davon zu unterscheiden ist die zweite Frage nach dem systematischen Verhältnis zwischen dem Erfüllungsanspruch gem. § 433 Abs. 1 und dem Nacherfüllungsanspruch gem. §§ 439 Abs. 1, 437 Nr. 1. Hier bleibt schlicht keine Alternative zum Verständnis des Nacherfüllungsanspruchs als eines modifizierten Erfüllungsanspruchs: Denn einerseits können die Ansprüche des Käufers aus § 433 Abs. 1 aus den erwähnen Gründen nicht neben den Rechten aus §§ 437 Nr. 1, 439 bestehen bleiben (Rn. 80). Anderseits verliert der Käufer jedoch seine Ansprüche aus § 433 Abs. 1 nicht deshalb, weil der Verkäufer sie verletzt und eine mangelhafte Sache liefert! Beide Überlegungen lassen sich nur so in Einklang bringen, dass der Käufer bei Lieferung einer mangelhaften Sache seine Ansprüche aus § 433 Abs. 1 behält, allerdings in der durch §§ 437 Nr. 1, 439 modifizierten rechtlichen Gestalt. Ein anderer Teil der Kritik setzt bei der Doppelbedeutung des Gefahrübergangs im Kaufrecht an:83 Unmittelbar regeln die §§ 446f. nur die Preisgefahr. Sie belasten den Käufer also mit den Folgen des zufälligen Untergangs der Kaufsache, indem sie ihn auch in diesem Fall zu vollständiger Kaufpreiszahlung verpflichten. Daran knüpft § 434 Abs. 1 Satz 1 mit einer weiteren, eigenständigen Rechtsfolge an: Von einem Sachmangel ist danach nur auszugehen, wenn eine Funktionsbeeinträchtigung der Kaufsache bei Übergang der Preisgefahr vorliegt. Damit kann die Haftung für Mängel nach § 437 eigentlich nur ab Gefahrübergang eintreten. Es ist umstritten, ob für diesen Gleichlauf Sachgründe sprechen oder ob er auf einer historischen Zufälligkeit beruht. Im Schrifttum wird ein möglicher Sachgrund in der Beherrschbarkeit der einschlägigen Risiken erkannt, die sich bei Gefahrübergang verändert.84 Eine andere Auffassung stellt auf das Prinzip der Rechtsbeständigkeit ab: Wenn der Verkäufer seine Pflichten so weit erfüllt hat, dass es zu einer Übergabe an den Käufer kommt, erscheint es gerechtfertigt, den für den Käufer günstigeren Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 im Sinne der §§ 437ff. zu modifizieren und den Vertrag trotz der eingetretenen Störung aufrechtzuerhalten.85 Anders gewendet, ist dem Käufer RegE BR-Drucks. 123/16, S. 38f. Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 166; dazu unter anderen Vorzeichen auch Grunewald, in: FS U. Huber, 2006, S. 291. 84 BeckOGK/Tröger § 446 Rn. 8. 85 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 406; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 146f.; Bamberger/Roth/ Faust § 437 Rn. 6 (= BeckOK); Reinicke/Tiedtke Rn. 400f.; Oechsler NJW 2004, 1825, 1827f.; vgl. auch die Voraufl. Rn. 75ff. 82 83

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eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung am ehesten ab dem Augenblick zumutbar, ab dem er zugleich das Risiko des zufälligen Untergangs der Kaufsache trägt.86 Die Gegenauffassung geht dennoch davon aus, dass die Anwendung der §§ 437ff. ab Gefahrübergang auf einem historischen Missverständnis beruht:87 Denn im Gemeinen Recht lag der Gefahrübergang im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Ausschlaggebend dafür war, dass das römische Recht nur die Stückschuld kannte, nicht aber die Gattungsschuld (Rn. 56). Beim Stückkauf liegen Funktionsdefizite aber regelmäßig bereits vor Vertragsschluss vor; denn entweder ist das verkaufte Stück funktionstauglich oder nicht. Dass sich die Qualität des verkauften Stücks gerade im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Übergabe verschlechtert, erscheint als eher seltener Ausnahmefall. Diese Betrachtungsweise hatte sich jedoch im 19. Jahrhundert verändert, als unter dem Eindruck der erstarkenden Handelsrechtswissenschaft die Gattungsschuld in die Beratungen des BGB Eingang fand.88 Bei der Gattungsschuld aber tritt die Funktionsstörung regelmäßig im Zeitpunkt zwischen Vertragsschluss und Übergabe auf, weil erst dann die Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 stattfindet. Die Verlagerung des für die Feststellung des Mangels maßgeblichen Zeitpunktes trägt daher den besonderen Bedingungen der Gattungsschuld Rechnung. Beim Stückkauf hat sie zu einer Verschiebung des Gefahrübergangs geführt. Diese Verlagerung des Gefahrenzeitpunkts auf den Moment der Übergabe diente – so die Gegenauffassung – allein dem Zweck, die Fälle der zufälligen Schädigung zwischen Vertragsschluss und Gefahrübergang einzubeziehen, nicht aber dazu, die Anwendbarkeit der Sachmängelhaftung auf einen Zeitpunkt nach Vertragsschluss zu verlegen.89 Die heute hM. beruhe daher auf einem grundlegenden Missverständnis. Denn die Regelung über den Mangeltatbestand (nunmehr § 434 Abs. 1 Satz 1) war in ihren Ursprüngen nie als Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs des allgemeinen Leistungsstörungsrechts und des Gewährleistungsrechts konzipiert worden.90 Aus dieser historischen Entwicklung leitet die Gegenauffassung die Forderung ab, dass „Sachmängel“ auch vor dem Zeitpunkt des § 434 Abs. 1 Satz 1 stets nur nach § 437 geltend gemacht werden können. Die besonderen Vorschriften der §§ 437ff. ergänzten die §§ 275ff., ersetzten sie aber nicht. Begründet wird dies mit der weiterführenden Überlegung, dass das reformierte Schuldrecht gerade die Sachmängelhaftung in das allgemeine Leistungsstörungsrecht integrieren und die Aufhebung zwischen allgemeinem Leistungsstörungsrecht und Sachmängelhaftung aufheben wollte.91 Dagegen wird man indes einwenErnst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 166. Dazu und zum Folgenden Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 167–170. Zu dieser Entwicklung Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber 2006, S. 73, 89; die vorliegende Darstellung folgt aber vor allem auch Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 167–170. 89 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 175. 90 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 177. 91 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 186ff. 86 87 88

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den müssen, dass dieses gesetzgeberische Vorhaben nicht vollständig gelungen ist, weil sich das allgemeine Schuldrecht und die Sachmängelhaftung in § 437 in den erwähnten drei Sachgesichtspunkten weiterhin voneinander unterscheiden (Rn. 80) und es deshalb weiterhin erforderlich ist, den Anwendungsbereich beider Regelungskomplexe abzugrenzen. Dafür liefert § 434 Abs. 1 Satz 1 aber die zentrale Vorgabe.92 Dass sich dadurch im Grunde ein historisches Missverständnis verstetigt, mag in gewissem Umfang befremden; die Abgrenzungsfrage wird dadurch jedoch nicht entbehrlich. Dies zeigt sich angesichts der von der Gegenauffassung vertretenen Überlegung, der Anspruch auf Nacherfüllung könne auch bei einem behebbaren Mangel bereits vor Gefahrübergang geltend gemacht werden.93 V hat K einen Neuwagen verkauft (Lieferdatum 1.6.). Am 20.5. entdeckt K das für ihn vorgesehene Fahrzeug auf dem Gelände des V und sieht, dass das Glas des linken Außenspiegels gesprungen ist. Nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 verlangt er den Einbau eines neuen Außenspiegels und gibt sich mit einer Reparatur des Glases nicht zufrieden.

Ein solches „Nacherfüllungsverlangen“ erscheint bereits bei oberflächlicher Betrachtung als lästige Einmischung des Käufers in den vom Verkäufer zu verantwortenden Erfüllungsvorgang. Denn das Spiegelbild der verschuldensunabhängigen Verkäuferverantwortung in § 437 Nr. 1 und 2 liegt gerade in der Freiheit des Verkäufers, die Erfüllung seiner Verbindlichkeit nach eigenen Vorgaben steuern zu können. Weitere Argumente kommen in den Sinn, vom Grundrechtsschutz des Verkäufers vor einer Einmischung in seinen Betrieb bzw. in die Ausübung seiner Berufsfreiheit (Artt. 12, 14 GG) bis zu einer zentralen Erkenntnis der modernen Institutionenökonomik: Die Transaktionskostenlage zwingt die Unternehmen zu einer hierarchischen Binnenorganisation bei der Güterproduktion. Hier können mit anderen Worten nicht alle mitentscheiden, sondern nur der für das Ergebnis verantwortliche Unternehmer.94 Ihm darf auch der Käufer nicht mit Vorschlägen auf der Grundlage des § 439 Abs. 1 in die Quere kommen. Allein dieses Beispiel zeigt, dass der Gefahrübergang zwei wichtige ökonomische Einflusssphären voneinander trennt. Eine zweite Auffassung unterzieht die §§ 434ff. einer umfassenden systematischen Analyse und gelangt dabei zu dem Schluss, dass gegen die Anwendung der §§ 434ff. vor Gefahrübergang keine Sachgründe sprechen.95 So wohne den §§ 441, 442, 443–445 kein Zeitmoment inne; in anderen Fällen, wie dem des § 439 Abs. 4, könne den Anwendungsproblemen durch teleologische Reduktion Rechnung getragen werden.96 Diese Auffassung beruft sich auch auf Durchbrechungen bei der Anknüpfung an den Gefahrübergang durch die hM.

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Grunewald, in: FS U. Huber, 2006, S. 291, 292. Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 195. Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, Chapter 9–12. Bachmann AcP 211 (2011) 395, 412. Bachmann AcP 211 (2011) 395, 414ff.

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So kommen bei unbehebbaren Mängeln Rücktritt und Minderung zu Recht auch vor Gefahrübergang in Betracht: Dies folgt schon aus einem Erst-RechtSchluss aus § 323 Abs. 4 (Rn. 382). Denn der Käufer muss nicht den Zeitpunkt nach §§ 446f. abwarten, wenn die Voraussetzungen eines dieser Gestaltungsrechte bereits unverrückbar feststehen.97 Die Anwendung des § 320 auf die nach Gefahrübergang erhobene Mängeleinrede stellt einen weiteren Fall einer solchen Durchbrechung dar.98 Diese Auffassung plädiert nun de lege lata für eine kleine Lösung: § 434 sei so zu verstehen, dass der Mangel spätestens bis zum Gefahrübergang vorliegen müsse.99 Hier wird man konzedieren müssen, dass die Unterschiede zwischen dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht und der Sachmängelhaftung nicht mehr so dramatisch ausfallen wie nach altem Recht. Die Abgrenzungsfrage stellt sich jedoch heute unter neuen Vorzeichen. Das einzelfallbezogene Vorziehen der §§ 434ff. auf den Zeitpunkt vor Gefahrübergang bereitet dabei – sieht man vom gerade erörterten Fall der behebbaren Mängel ab (Rn. 83) – wenig Sorgen. Ein zentrales praktisches Problem liegt jedoch darin, dass die allgemeinen Haftungsinstitute gerade ab Gefahrübergang ausgeschlossen sein müssen. Denn das eigentliche Problem liegt in der mit dem Gewährleistungsrecht seit jeher konkurrierenden culpa in contrahendo: Immer schon konnte die Sachmängelhaftung nämlich alternativ zu § 437 als eine Verkäuferverantwortung für Aufklärungsfehler vor Vertragsschluss begründet werden und wurde so etwa auch im Gemeinen Recht systematisch eingeordnet (Rn. 465). In zahlreichen Rechtsgebieten (Unternehmenskauf, Rn. 105; Grundstückserwerb, Rn. 473) löst die Haftung aus c.i.c. das Gewährleistungsrecht bereits jetzt weitgehend ab. Fällt der Gefahrübergang als Grenze, ab der Sachmängel abschließend über § 437 liquidiert werden, fehlt der entscheidende Sachgrund, dem Käufer konkurrierende Ersatzansprüche wegen fahrlässiger Fehlinformation über Mängel zu versagen. Die §§ 434ff. könnten daher obsolet werden. Deshalb kann auf die Übergabe nach § 446 Satz 1 (zum Begriff Rn. 487f.) als Zeitpunkt für die Abgrenzung zwischen allgemeinem Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrecht nicht verzichtet werden. b) Annahmeverzug und Zurückweisungsrecht 85

Nach § 446 Abs. 1 Satz 3 geht die Gefahr auch in dem Zeitpunkt über, in dem der Gläubiger in Annahmeverzug (§§ 293ff.) gerät. Der Annahmeverzug setzt voraus, dass dem Käufer die Leistung so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten wird (§ 294): V hat K das Rennpferd X zum Preis von 4.000 € verkauft. Bei Lieferung verweigert K die Annahme des Pferdes, weil dessen Nüstern mit eitrigem Ausfluss verklebt sind. V behauptet, es handele sich nur um eine leicht zu behandelnde Infektion. K weist das Tier dennoch zurück. Nachträglich stellt sich heraus, dass die Heilbehandlungskosten sehr hoch sind. 97 98 99

Bachmann AcP 211 (2011) 395, 403; Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 194. Bachmann AcP 211 (2011) 395, 403. Bachmann AcP 211 (2011) 395, 429.

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Kann sich V nun darauf berufen, die Kosten der Heilbehandlungen stellten einen nach § 439 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 unverhältnismäßigen Aufwand für die Nacherfüllung dar, oder hat K einen Anspruch auf Lieferung des X in gesundem Zustand aus § 433 Abs. 1 Satz 2, dem V nur unter strengeren Voraussetzungen die Einrede aus § 275 Abs. 2 Satz 1 entgegenhalten kann?

Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob der Käufer in Annahmeverzug geraten ist und daher ein Gefahrübergang nach § 446 Satz 3 vorliegt. Lässt sich dies bejahen, haftet der Verkäufer nur unter den erleichterten Bedingungen des § 439 Abs. 4. Ob die Zurückweisung der Kaufsache durch den Käufer den Annahmeverzug begründet, hängt wiederum davon ab, ob dem Käufer ein Zurückweisungsrecht zusteht.100 Dies bejaht nun vor allem der BGH auf der Grundlage des § 273 Abs. 1.101 Geht man davon aus, muss der Käufer – der Dogmatik des § 273 Abs. 1 im Unterschied zu § 320 entsprechend (Rn. 227a) – das Zurückweisungsrecht durch (konkludente) Erklärung ausüben; es wird nicht von Amts wegen berücksichtigt. Nur teilweise wurde zuvor ein Zurückweisungsrecht mit der Begründung verneint, seine Anerkennung führe zu einer Schlechterstellung derjenigen Käufer, die den Mangel nicht erkennen könnten.102 Die Schlechterstellung dieser Käufer beruht jedoch nicht auf der Anerkennung des Zurückweisungsrechts, sondern allein auf ihren eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten. Nach einer weiteren Auffassung, die die §§ 434ff. bereits ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses anwenden will, kommt ein Zurückweisungsrecht nur in Betracht, wenn der Käufer im Rahmen des § 439 Abs. 1 Nachlieferung verlangen kann. Beschränkt sich die Nacherfüllung hingegen auf Nachbesserung, gelangt der Käufer durch die Zurückweisung in Annahmeverzug.103 Dagegen sprechen rein praktische Überlegungen, weil der Käufer auch im Falle einer nachbesserungsfähigen Sache uU. seine Rechtsgüter gefährdet, wenn er die Kaufsache nicht zurückweist. Betreibt K vorliegend eine Stallanlage mit anderen Pferden, muss er bei Aufstallung des gekauften und erkrankten Tieres eine Ansteckung der Tiere mit der unbekannten Krankheit befürchten. Dies gilt auch, wenn diese sich nachträglich als heilbar, dh. als der Nachbesserung zugänglich erweisen sollte.

Immer steht dabei auch das Zurückweisungsrecht unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben (§ 242). Sind im Rahmen der Nachbesserung nur geringfügige Eingriffe in die Kaufsache erforderlich und droht dem Käufer keine vom Mangel ausgehende Integritätsbeeinträchtigung, darf er nicht auf einem Rücktransport und einer zweiten Anlieferung der Kaufsache bestehen. Eine katego-

100 Anders noch P. Huber in: Huber/Faust, Kap. 13 Rn. 45, der auch bei Bestehen eines Zurückweisungsrechts von der Begründung eines Annahmeverzugs ausgeht; aA. etwa Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 191; vgl. auch Bachmann AcP 211 (2011) 395, 400. 101 BGH ZIP 2016, 2420, Tz. 28 und Tz. 30ff. 102 Fahl DRiZ 2004, 58, 61f. 103 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 189ff.

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rische Verneinung des Zurückweisungsrechts bei einer anstehenden Nachbesserung kommt jedoch nicht in Betracht. Hinzu tritt ein Argument aus § 363: Wer eine ihm als Erfüllung angebotene Sache annimmt, trägt die Beweislast, wenn er die Sache nachträglich nicht als Erfüllung gelten lassen will, weil sie eine andere als die geschuldete Leistung oder weil sie unvollständig ist. Der BGH erweitert den zugrunde liegenden Rechtsgedanken und geht davon aus, dass der Käufer die Darlegungs- und Beweislast für die den Sachmangel begründenden Tatsachen trägt, wenn er die Kaufsache entgegennimmt.104 Die Gegenauffassung will dem Käufer zur Vermeidung von Konflikten im Bereich des § 446 Satz 3 die Annahme der Kaufsache unter Wahrung der eigenen Rechte gestatten.105 Dagegen spricht, dass dem Käufer der für ihn nachteilige Gefahrübergang aufgezwungen werden könnte. Hinzu tritt das im vorliegenden Fall bestehende Interesse des Käufers, seine sonstigen Rechtsgüter durch Ausübung des Zurückweisungsrechts schützen zu können (hier: Ansteckung der gesunden Tiere durch das kranke). Ausgehend von diesen Schutzzwecküberlegungen kann das Zurückweisungsrecht auch nicht generell davon abhängen, dass die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen (vgl. insbesondere § 323 Abs. 5).106 Denn bei einem behebbaren Mangel ist den Interessen des Verkäufers dadurch gedient, dass das Zurückweisungsrecht nur vorübergehend, und zwar solange besteht, bis der Mangel beseitigt ist.107 Nur beim unbehebbaren Mangel, der im Hinblick auf seine Erheblichkeit unterhalb der Schwelle des § 323 Abs. 5 Satz 2 liegt, droht ein Wertungswiderspruch: Könnte der Käufer die Sache nämlich auch in einem solchen Fall dauerhaft zurückweisen, würde er im Ergebnis so gestellt, als wäre der Kaufvertrag rückabgewickelt. Dies ist nicht hinnehmbar, wenn der Mangel nicht die in § 323 Abs. 5 Satz 2 vorausgesetzte Größenordnung erreicht. Hier büßt deshalb der Käufer sein Zurückweisungsrecht ein und gerät in Annahmeverzug, wenn ihm der Verkäufer nachvollziehbar vermittelt, dass der Mangel unbehebbar ist. Im Fall liegen die Voraussetzungen eines Zurückweisungsrechts vor. Deshalb findet kein Gefahrübergang nach § 446 Satz 3 statt und die Modifizierung des Erfüllungsanspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 1 in den Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 unterbleibt. Gegenüber dem Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 kann der Verkäufer sich nur auf § 275 Abs. 2 und nicht auf § 439 Abs. 4 berufen.

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Erleidet die Kaufsache während des Annahmeverzugs des Käufers Funktionsbeeinträchtigungen ist das Sachmängelhaftungsrecht nicht anwendbar. 104 BGH NJW 2009, 1341, Tz. 15; BGHZ 159, 215 = NJW 2004, 2299, 2300. 105 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 400; Lamprecht ZIP 2002, 1790, 1792. 106 Offen gelassen in BGH NJW-RR 2010, 1289, Tz. 21; wie hier Staudinger/Matusche-Beck-

mann § 437 Rn. 21; Jauernig/Berger § 437 Rn. 29; Ernst NJW 1997, 896, 897; Jud JuS 2004, 841, 843f.; Lamprecht ZIP 2002, 1790. 107 So im Ergebnis BGH ZIP 2016, 2420, Tz. 30ff.; Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 191; ähnlich Hofmann/Pammler ZGS 2004, 293ff.; teilweise aA. Jansen ZIP 2002, 877.

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V schuldet dem K ein Fernsehgerät der Marke X. Weil K den vereinbarten Liefertermin am Montag verpasst, gerät er in Annahmeverzug. Die Sache wird am Dienstag infolge grober Fahrlässigkeit des V beschädigt und am Mittwoch von V dem K übergeben. K hat hier keinen Nachlieferungsanspruch auf ein neues Gerät nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1, da die Beeinträchtigung nach Gefahrübergang (§ 446 Satz 3) eingetreten ist und deshalb nach § 434 Abs. 1 Satz 1 keinen Mangel darstellt.108 V haftet K jedoch nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, wobei er gem. § 276 Abs. 1 iVm. § 300 Abs. 1 nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat. § 823 Abs. 1 scheidet aus, da K im Zeitpunkt der Beschädigung noch kein Eigentum von V erworben hat.

Im Schrifttum wird jedoch die Auffassung vertreten, der Verkäufer müsse bei einer Gattungsschuld auf ein anderes Exemplar der Gattung zurückgreifen. Die Konkretisierung binde ihn nämlich nicht, da sie allein der Verteilung der Leistungsgefahr diene. Insbesondere, wenn der Verkäufer den Untergang nach §§ 276 Abs. 1, 300 Abs. 1 zu vertreten habe, schütze ihn die Konkretisierung nicht.109 Folgt man dem, stünde dem Käufer im vorliegenden Fall doch noch ein Lieferanspruch auf eine unbeschädigte Kaufsache zu. Dies überzeugt nicht, weil in einem solchen Fall die Konkretisierung nicht nur nach § 243 Abs. 2 eintritt, sondern auch nach § 300 Abs. 2: Der Käufer trägt daher die Sachgefahr gerade wegen des unter den Voraussetzungen der §§ 293ff. zurechenbaren Annahmeverzugs. Für diese Betrachtungsweise spricht auch, dass der Gesetzgeber die Verteilung der Leistungsgefahr in § 275 Abs. 1 grundsätzlich nicht vom Vertretenmüssen einer Seite abhängig macht (Rn. 73). c) Gattungsschuld und Käuferbilligung

Vereinbaren die Parteien eine Gattungsschuld, tritt wegen § 243 Abs. 2 ein weiteres Problem hinzu. Die in § 437 Nr. 1 vorausgesetzte Kaufsache gibt es bei Vertragsschluss nämlich nicht. Eine gelieferte Sache wird nur dann zu der vom Verkäufer geschuldeten Kaufsache, wenn der Verkäufer dem Käufer ein Exemplar von mittlerer Art und Güte verschafft (§ 243 Abs. 1). Denn nur dann tritt die Konkretisierung des Lieferanspruchs auf die gelieferte Sache nach § 243 Abs. 2 ein. Wird nun eine mangelhafte Sache geliefert, tritt gerade keine Konkretisierung ein und die Kaufsache steht eigentlich noch gar nicht fest. Um §§ 437 Nr. 1, 439 dennoch zur Anwendung bringen zu können, stellt die heute hM. im Rahmen einer hypothetischen Betrachtungsweise auf den Zeitpunkt ab, in dem die Gefahr bei einer mangelfreien Sache übergegangen wäre, und wendet von da ab die §§ 434ff. an.110 Dadurch bricht sie mit einer Tradition des alten Schuldrechts, der ein wichtiger Schutzgedanke zugrunde lag. Denn dort 108 Von anderen Voraussetzungen ausgehend, aber im Ergebnis gleich Ernst, in: FS U. Huber,

2006, S. 165, 183. 109 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 183; im Anschluss an den eigenen Beitrag Ernst, in: GS

Knobbe-Keuk, 1997, S. 49ff. 110 Fahl DRiZ 2004, 58; Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 35 (= BeckOK); Erman/Grunewald § 434 Rn. 67; P. Huber NJW 2002, 1004, 1005; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 144; MünchKomm/ Westermann § 434 Rn. 51; P. Huber NJW 2002, 1004, 1005; vgl. auch noch AnwKomm-BGB/ Büdenbender § 434 Rn. 8.

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ging man davon aus, dass der Käufer durch Ausübung seines Rücktritts- oder Minderungsrechts die gelieferte Sache selbst als Kaufsache konkretisiere, und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übergabe. Bestand er hingegen auf Nachlieferung, war die Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 nicht eingetreten.111 Die Besonderheit dieses Ansatzes lag darin, dass der Gefahrübergang von einer Billigung durch den Käufer abhing. Eine Reihe von Sachgründen spricht dafür, dass auch im neuen Schuldrecht der Gefahrübergang – nicht nur bei der Gattungsschuld, sondern auch bei der Stückschuld – von einem Billigungselement abhängen muss.112 Ein erstes systematisches Argument folgt aus der Beweislastregel des § 363 (Rn. 86): Dass die Entgegennahme durch den Käufer dazu führt, dass er mit dem Beweis der Mangelhaftigkeit belastet wird, lässt sich nur durch ein in der Entgegennahme liegendes Billigungselement erklären.113 Dies war für das RG noch selbstverständlich (Wortlautzitat unter Rn. 1140), wurde aber in der Folgezeit unter dem Eindruck der Theorie von der realen Leistungsbewirkung (Rn. 134) als Rechtsgedanke nicht weiterverfolgt.114 Ein zweites Argument resultiert aus der Anerkennung eines allgemeinen Zurückweisungsrechts des Käufers, wenn er die Mangelhaftigkeit der Kaufsache erkennt (Rn. 85ff.): Kann der Käufer die Kaufsache nämlich bei Mangelhaftigkeit zurückweisen, liegt in ihrer vorbehaltlosen Entgegennahme eine Billigung ihrer grundsätzlichen Erfüllungstauglichkeit. Die Kritik wendet die Nähe dieses Verständnisses zur werkvertraglichen Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 ein; die Abnahme beruhe aber auf der ganz eigenen Interessenlage des Werkvertragsrechts.115 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass das Kaufrecht seit der Schuldrechtsreform im Bereich des § 434 Abs. 2 Satz 1 auch stark durch werkvertragliche Elemente überlagert wird: V schuldet dem K gegen Zahlung von 200.000 € eine Maschine, die V mittels Montage in den Produktionsablauf der Fabrik des K einpassen soll, was erfahrungsgemäß erheblichen Aufwand erfordert. Die Maschine wird am 2.4.2012 ohne Funktionsbeeinträchtigungen ge-

111 Vgl. nur noch MünchKomm/Westermann, 3. Aufl. 1995, § 480 Rn. 1. 112 Vgl. bereits G. Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf, 1982, S. 176f. unter Anlehnung an die

acceptance des anglo-amerikanischen Rechts. 113 Maultzsch ZGS 2003, 411, 416f.; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 147; Reinicke/Tiedtke Rn. 399; Fikentscher/Heinemann Rn. 835. Einen Sonderweg beschreitet Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 6 (= BeckOK): Er unterscheidet den Gefahrübergang vom Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Mängelhaftung nach § 363. Dies widerspricht allerdings dem Wortlaut des § 434 Abs. 1 Satz 1 und trägt der systematischen Nähe zu § 640 Abs. 1 Satz 1 nicht ausreichend Rechnung, die im Kaufrecht wegen §§ 434 Abs. 2 Satz 1 und 650 besonders angezeigt erscheint. 114 RGZ 57, 337, 338f.: „Die Begriffe Annahme der Erfüllung (§ 341), Annahme als Erfüllung (§ 363) und Abnahme (§ 640) sind gleichbedeutend. Nicht jede bloß äußerliche Hinnahme der Leistung ist schon als Annahme der Erfüllung im Sinne des § 341 anzusehen. Andererseits ist es nicht unumgänglich erforderlich, daß der Empfänger die Erfüllung als eine tadellose angenommen hat.“ Kritisch zu den Grundannahmen der Theorie von der realen Leistungsbewirkung etwa Beckhaus, Die Rechtsnatur der Erfüllung, 2013, S. 36ff. 115 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 410; kritisch auch Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 192; Grunewald, in: FS U. Huber, 2006, S. 291, 294.

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liefert. Die Einpassung in den Produktionsablauf gelingt jedoch V auch nach mehr als einem Jahr nicht. K erklärt darauf den Rücktritt und verlangt den gezahlten Kaufpreis zurück. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 setzt einen Mangel nach § 434 voraus. Hier kommt ein Montagemangel in Betracht. Lag der Gefahrübergang jedoch am 2.4., kann die fehlerhafte Montage keinen Mangel darstellen.

Montagemängel (Rn. 127) iSd. § 434 Abs. 2 Satz 1 liegen nie im Zeitpunkt der Übergabe nach § 446 Abs. 1 Satz 1 vor, sondern treten naturgemäß nach Übergabe an den Käufer ein. Ihre Aufnahme in den Katalog des § 434 ist Ausdruck der Erweiterung des Kaufrechts im Bereich des Werklieferungsvertrags (§ 650 Satz 1). Mit Blick auf diese Norm wird jedoch regelmäßig kritisiert, dass dem Kaufrecht ein auf Billigung des Käufers liegender Gefahrübergang fehle.116 Der Beispielsfall zeigt die Gründe: Stellt man für die Übergabe in § 446 Satz 1 darauf ab, dass K die Leistung des V grundsätzlich billigen muss, liegt kein Gefahrübergang vor. Denn bis zu dem Augenblick, in dem die Maschine in seinen Maschinenpark integriert ist, wird K eine Billigung gegenüber V auch nicht durch konkludentes Verhalten signalisieren.

Für die Berücksichtigung eines Billigungselements sprechen schließlich die Fälle der Extremabweichung und der Flucht in die Nacherfüllung (Rn. 132ff.).

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V schuldet K 100 Unzen Gold. Da der Kaufpreis gestiegen ist, liefert er an K stattdessen zwei Rollen Stahlblech. Dabei verfolgt er einen einfachen Plan: Gegenüber dem Nachlieferungsanspruch des K aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 wird er nun nach § 439 Abs. 4 Satz 3 leichter frei als gegenüber dem Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 nach § 275 Abs. 2.

Die Kritik wendet ein, diese Fälle seien bereits über den Wortlaut („die verkaufte Sache“) in den Griff zu bekommen.117 Das Problem reicht jedoch mit Blick auf § 434 Abs. 3 weiter. Ob eine Abweichung „die verkaufte Sache“ darstellt oder nicht, entschied sich nach § 378 HGB aF. nach ihrer Genehmigungsfähigkeit, also einem Billigungselement.118 Dessen Wegfall hat das geschilderte Problem erst entstehen lassen. Wenn sich jetzt also unter neuen Vorzeichen – und zwar im Rahmen des § 434 Abs. 3 – die Frage stellt, ob eine andere Sache als die verkaufte anzusehen ist, hängt diese Frage sehr wohl davon ab, ob der Käufer sie grundsätzlich billigt bzw. billigen muss. Dieses Verständnis entspricht insbesondere viel eher dem Wortlaut des Art. 20 Satz 1 VRRL, der für das deutsche Recht wegen Art. 4 VRRL verbindlich ist. Danach setzt der Gefahrübergang voraus, dass der Käufer die Kaufsache in Besitz nimmt. Abschließend wird man daher im Falle des § 446 Satz 1 entgegen der hM. neben der Übergabe grundsätzlich eine konkludente Billigung voraussetzen müssen. Ob und in welchem Maße diese vorliegt, bestimmt sich nach Treu und Glauben aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Verkäufers 116 Leistner JA 2007, 81, 84. 117 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 402. 118 MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 44.

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(§§ 133, 157). Ein Interesse des Käufers, der Lieferung zuzustimmen, besteht dabei vor allem, wenn die Kaufsache nur der Gattung nach bestimmt ist bzw. wenn sie werkvertragliche Elemente iSd. §§ 650 Satz 1, 434 Abs. 2 Satz 1 beinhaltet. Aber auch in den Fällen der Lieferung einer Stückschuld muss sich der Verkäufer darauf einrichten, dass der Käufer die Kaufsache nicht ohne Billigung annimmt: Dies ist etwa der Fall, wenn das verkaufte Stück mittlerweile so stark beschädigt ist, dass der Verkäufer nicht davon ausgehen kann, allein dadurch in den Genuss der §§ 434ff. zu kommen, dass er die Sache beim Käufer abliefert: V hat K sein Rennpferd verkauft. Nach Abschluss des Kaufvertrages, aber vor Übergabe erkrankt dieses an der Maul- und Klauenseuche. V stellt das Pferd unbemerkt auf die Weide des K. Dass hier kein Gefahrübergang vorliegen kann, dürfte auf der Hand liegen.

d) Versendungskauf 93

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In den Fällen des § 447 Abs. 1 Satz 1 (Rn. 489ff.) geht die Gefahr mit der Versendung der Kaufsache durch den Verkäufer auf den Käufer über. Hier kommt schon denklogisch keine Billigung durch den Käufer vor Gefahrübergang in Betracht.119 Der Versendungskauf erscheint folglich aus Sicht des Käufers als Risikogeschäft (vgl. deshalb § 475 Abs. 2). Abzulehnen ist jedoch die Auffassung, auch in allen übrigen Fällen komme es für den Gefahrübergang auf den Zeitpunkt an, in dem der Käufer Gelegenheit zur Prüfung hat.120 Denn dies widerspricht der § 447 Abs. 1 Satz 1 erkennbar zugrunde liegenden Risikostruktur: Mit dem Versenden endet dort die Risikoverantwortung des Verkäufers und die des Käufers tritt an ihre Stelle. Teilweise wird die Frage erörtert, ob die §§ 434ff. bei Transport- oder Verpackungsschäden analog anwendbar sind. V versendet vereinbarungsgemäß an Unternehmer K einen Drucker. Wegen schlechter Verpackung kommt dieser nur schwer beschädigt bei K an. K verlangt sofort Schadensersatz iHd. Reparaturkosten. V wendet ein, K müsse ihm zunächst eine Nachfrist setzen.

Eine Nachfrist muss gem. §§ 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 nur gesetzt werden, wenn die unzureichende Verpackung einen Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 darstellt. Problematisch ist dies, weil Mängel nur die im Synallagma stehenden Hauptleistungspflichten (§ 320) betreffen, die sorgfältige Verpackung aber eine typische Nebenpflicht darstellt. Deshalb sieht die hM. die fehlerhafte Verpackung nur dann als einen Mangel der Kaufsache an, wenn diese nicht nur ein Mittel der Versendung ist, sondern dem Käufer auf der Ebene der Hauptleistungspflichten geschuldet wird. Dies ist wiederum der Fall, wenn die Verpackung nach dem Willen der Parteien dem Käufer zum Weiterverkauf an Dritte dienen soll,121 was vorliegend ausscheidet. Nach einer im Schrifttum vertrete119 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 401. 120 So aber Grunewald, in: FS Huber, 2006, S. 291, 293; dies. § 9 Rn. 4. 121 BGHZ 66, 208 = NJW 1976, 1353; vgl. dazu Medicus/Petersen BR Rn. 209; Stieper AcP 208

(2008) 818, 822; Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 196 (= BeckOK); Staudinger/Matusche-Beckmann § 434 Rn. 251f.

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nen Auffassung soll dem Verkäufer auch in solchen Fällen eine zweite Andienungsmöglichkeit zustehen, um Schäden von sich abzuwenden; nahe liegt der Gedanke vor allem auch bei den vom Verkäufer nicht zu vertretenden Beeinträchtigungen der Kaufsache während des Versandes, die nach Gefahrübergang iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 eintreten.122 Dafür scheint auf den ersten Blick zu sprechen, dass in den Fällen des § 447 Abs. 1 nach der Versendung eine Interimszeit eintritt, in der keine der beiden Seiten des Kaufvertrages auf die Bewahrung der Integrität der Kaufsache Einfluss nehmen kann und eine zweite Andienungsmöglichkeit beiden Seiten nützt: In Fällen wie dem vorliegenden kann der Verkäufer dann einen Schadensersatzanspruch des Käufers wegen Verletzung einer Nebenpflicht aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 abwehren;123 in Einzelfällen dürfte auch ein Ersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 282 in Betracht kommen.124 Im Gegenzug erwirbt der Käufer bei einer vom Verkäufer nicht zu vertretenden Beschädigung der Sache über § 437 hinaus einen Anspruch auf Reparatur oder Lieferung einer Ersatzsache. Dennoch erscheint das Argument nicht zwingend: Denn wenn eine zweite Andienung wirklich beiden Parteien nützt, werden diese sie im Einzelfall (konkludent) vereinbaren, was ja stets im Rahmen eines Änderungsvertrages möglich ist. Dem Käufer darf jedoch ein Schadensersatzanspruch nicht über §§ 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 hinaus mit der Begründung abgeschnitten werden, eine zweite Andienung sei für ihn bei abstrakter Betrachtungsweise günstig. Für eine gesetzliche Verlagerung des Gefahrübergangs bzw. eine Ausweitung des Mängelgewährleistungsrechts besteht daher kein Anlass. 3. Nacherfüllungsgrund a) Sachmangel (§ 434) aa) Überblick

Ein Sachmangel der Kaufsache liegt in der negativen Abweichung ihrer Istbeschaffenheit von der Sollbeschaffenheit. Vor der Schaffung des § 434 war es streitig, woraus sich die Sollbeschaffenheit ableitete. Die tendenziell objektiv argumentierende Fehlertheorie stellte auf die objektive Normalbeschaffenheit von Kaufsachen im Verkehr ab,125 während die sog. subjektive Theorie die Sollbeschaffenheit allein anhand der Vereinbarung der Parteien über die Beschaffenheit der Kaufsache konkretisierte. Probleme entstanden für diese Lehre allerdings, wenn im Kaufvertrag gerade keine Vereinbarungen über die Sollbeschaffenheit getroffen worden waren. Hier ging die subjektiv-objektive Theorie 122 Erman/Grunewald § 434 Rn. 67; Reinicke/Tiedtke Rn. 836; Klinck ZGS 2008, 217, 218; ähnlich, wenngleich von einem anderen Zeitpunkt für die Anwendbarkeit des § 434 Abs. 1 Satz 1 ausgehend Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 194 (= BeckOK); kritisch Stieper AcP 208 (2008) 818, 824. 123 Stieper AcP 208 (2008) 818, 831ff. 124 AA. Stieper AcP 208 (2008) 818, 832. 125 RGZ 67, 86ff.; Fabricius JZ 1970, 29; Knöpfle NJW 1987, 801.

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davon aus, dass die nach der objektiven Verkehrsanschauung versprochene Normalbeschaffenheit geschuldet war,126 während die herrschende streng subjektive Theorie unterstellte, dass die Parteien die Normalbeschaffenheit der Sache konkludent vereinbart hätten.127 Der Theorienstreit begegnet heute noch in der Struktur des § 434: Während der Gesetzgeber im Anschluss an Art. 2 Abs. 1 VerbrGüterKRiL prinzipiell in § 434 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 dem subjektiven Ansatz folgt,128 ergänzt er ihn in Satz 2 Nr. 2 und Satz 3 um objektive Elemente im Anschluss an die subjektiv-objektive Theorie. Durch eine Stufenfolge dieser Normen bringt er dabei die Wertentscheidung für den subjektiven Ansatz zum Ausdruck:129 (1) Maßgeblich für die Bestimmung der Sollbeschaffenheit ist in erster Linie die rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Parteien: die Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 Satz 1). (2) Fehlt es daran, kommt es auf die von beiden Parteien gemeinsam gebildeten subjektiven Motive für den Vertragsschluss an: die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). (3) Erst danach richtet sich die Beschaffenheit nach objektiven Merkmalen: der Normalbeschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2). Dazu zählen auch öffentliche Äußerungen des Verkäufers oder Dritter zu Eigenschaften der Kaufsache (§ 434 Abs. 1 Satz 3). Unabhängig von dieser Stufenfolge kommt ein Mangel auch bei Montagefehlern (§ 434 Abs. 2) und bei Abweichungen iSd. § 434 Abs. 3 (Aliud, Minderlieferung usw.) in Betracht. bb) Die Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 Satz 1) 96

(1) Eigenschaften, die der Beschaffenheitsvereinbarung zugänglich sind.

Nach § 434 Abs. 1 Satz 1 legen die Parteien die Sollbeschaffenheit der Kaufsache durch Beschaffenheitsvereinbarungen fest. Der Gesetzgeber verweigert eine Definition des Begriffs der Beschaffenheit mit der Begründung, dass mit der weitgehenden Angleichung der Sachmängelhaftung an das allgemeine Leistungsstörungsrecht die bisherige Rechtsprechung zur Beschaffenheit ihre Bedeutung verlieren werde. So lässt er insbesondere die Frage offen, ob nur Eigenschaften gemeint sind, die der Sache physisch anhaften, oder auch sonstige Umstände.130 Dennoch sind die Grundlagen des Beschaffenheitsbegriffs durch Rechtsprechung und Wissenschaft weitgehend geklärt. Unproblematisch fallen die physikalischen Eigenschaften (Unversehrtheit, Frische usw.) darunter. Hinzu können weitere Eigenschaften treten: 126 Vgl. etwa Staudinger/Honsell, 13. Aufl. 1995, § 459 Rn. 20. 127 So argumentiert BGHZ 90, 198, 202f.; grundlegend Soergel/Huber, 12. Aufl. 1991, Vor

§§ 459ff. Rn. 29ff. 128 Vgl. auch RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 212, rechte Spalte. 129 Kritisch neuerdings jedoch Ostendorf JZ 2011, 822, 823ff. 130 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 213, linke Spalte.

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(OLG Hamm 13.5.2003 – 28 U 150/02 = NJW-RR 2003, 1360) V verkauft K einen gebrauchten Renault Espace. Er verschweigt K, dass das Fahrzeug aus Italien importiert wurde. K weist nun darauf hin, dass er dadurch Einbußen erleide und dass der Wiederverkaufspreis niedriger liege als bei einem in Deutschland vertriebenen Fahrzeug, und verlangt Rückabwicklung des Vertrages. Das OLG hat hier auf einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) erkannt, weil kein Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 vorgelegen habe (zur Konkurrenz mit der c.i.c. vgl. Rn. 465ff.).

Die Auffassung, der Import eines Kraftfahrzeugs stelle keine Beschaffenheit dar, erscheint jedoch zweifelhaft. Zwar wurzelt der Umstand nicht in den physischen Eigenschaften der Kaufsache. Er hat jedoch unmittelbaren Einfluss auf die Wertbildung: Importfahrzeuge werden nämlich nicht sicher von Rückrufaktionen des Herstellers erfasst; ferner können Schwierigkeiten bei der Reparatur in inländischen Vertragswerkstätten auftreten. Die Rechtsprechung löst sich deshalb beim Mangelbegriff immer stärker von der Vorstellung, es ginge um Merkmale, die der Sache körperlich anhaften müssen. Auch wenn eine vom Verkäufer versprochene zusätzliche Garantie des Herstellers (Herstellergarantie, Rn. 426ff.) für die Beschaffenheit der Kaufsache nicht zustande kommt, liegt nach dem Verständnis des BGH ein Sachmangel vor: Der Beschaffenheitsbegriff umfasst danach alle Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben; und dies ist beim Autokauf im Hinblick auf die Herstellergarantie der Fall.131 Von der Frage, ob die Beschaffenheit der Kaufsache betroffen ist, hängt auch eine wichtige systematische Weichenstellung ab. Bezieht sich die Leistungsstörung nämlich auf die Beschaffenheit der Kaufsache, kann der Käufer über § 437 Ansprüche auf das positive Interesse geltend machen; ist dies nicht der Fall, eröffnet die c.i.c. lediglich den Weg zur Liquidierung des negativen Interesses: (Court of Appeal London 27.2.2004 = ZEuP 2006, 889 – House of Horrors, vgl. auch Rn. 466)132 V verkauft dem K ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück für 500.000 €, verschweigt dabei jedoch, dass in dem Haus vor Jahren ein besonders grausam ausgeführter Mord begangen wurde. Nachdem K von dem Mord erfahren hat, erklärt er die Minderung und fordert 50.000 € zurück; diesem Betrag entspreche die Verringerung des Wiederverkaufswerts. V verweist darauf, dass sämtliche äußeren Spuren der Tat im Wege der Renovierung beseitigt worden seien.

Erkennbar geht der Käufer davon aus, dass der Verkäufer ihm die Wiederverkäuflichkeit der Kaufsache schulde. Die Parteien haben dies jedoch nicht ausdrücklich vereinbart. Eine konkludente Einigung kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer eine Wiederverkaufsabsicht des Käufers erkennen kann (Rn. 98: Käufer als Zwischenhändler). Ansonsten fällt der Wiederverkaufswunsch des Käufers in das von ihm zu tragende Verwendungsrisiko (Rn. 116). Für die Beantwortung der Frage, ob hier ein Mangel vorliegt, spielt 131 BGH NJW 2016, 2874. 132 Mitgeteilt von Stöber ZEuP 2006, 891.

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daher die Abgrenzung zur culpa in contrahendo die größere Rolle (Rn. 466): Schließt man nämlich den Wiederverkaufswert in die Sollbeschaffenheit ein, hat der Käufer einen Anspruch auf das positive Interesse und kann daher über die Minderung verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden (positives Interesse). Verneint man die Einbeziehung der Wiederverkäuflichkeit in die Sollbeschaffenheit, kann der Käufer auf der Grundlage eines Anspruchs aus culpa in contrahendo verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Vertrag nicht geschlossen worden. Er kann dann den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückübereignung des Grundstücks zurückfordern (negatives Interesse). Nimmt man nun hinzu, dass der Verkäufer nur bei einem unternehmerisch organisierten Käufer von Wiederverkaufsabsichten ausgehen muss, erscheint der Weg über die culpa in contrahendo der überzeugendere.133 Ein tatsächlich erzielter, niedriger Wiederverkaufspreis stellt keinen Mangel dar. Dafür sprechen zwei Gründe: Der Marktwert einer Sache beruht nämlich nicht auf der Sache selbst, sondern auf ihrer Bewertung durch den Markt. Ihn als Eigenschaft anzusehen, würde daher bedeuten, Ursache und Wirkung zu vertauschen: Denn der Markt erkennt der Kaufsache aufgrund ihrer Eigenschaften einen Wert zu und nicht umgekehrt. Wichtiger noch eröffnet § 434 Abs. 1 Satz 1 keine allgemeine richterliche Preis- und Wertkontrolle für Kaufsachen; dies widerspräche dem marktwirtschaftlichen Ordnungsgedanken und dem Prinzip des § 311 Abs. 1, wonach allein Käufer und Verkäufer die Kaufsache und den Kaufpreis in ein subjektives Äquivalenzverhältnis stellen, das unterhalb der Grenze des § 138 Abs. 1 von den Gerichten nicht inhaltlich auf „Gerechtigkeit“ überprüft werden kann (vgl. auch § 307 Abs. 3 und Rn. 617). Anders stellt sich die Rechtslage aber gegenüber einem Käufer dar, der als Händler tätig ist. Ihm gegenüber schuldet der Verkäufer regelmäßig die Wiederverkaufbarkeit der Ware. Deshalb kann bereits der nicht ausgeräumte Verdacht einer gesundheitsgefährdenden Verseuchung der Ware einen Mangel darstellen: (BGH 16.4.1969 – VIII ZR 176/66 = BGHZ 52, 51 = NJW 1969, 1171 – Argentinische Hasen I)134 K, eine Handelsgesellschaft, die Wild importiert, hat bei V einen Posten gespickte Hasenkeulen und Hasenrücken bestellt. Über das Ursprungsland wurde nicht gesprochen. Das im Dezember aus Argentinien gelieferte Hasenfleisch stammte aus einer Partie, die zuvor von der Gesundheitsbehörde Hamburg wegen Verdachts auf Salmonellenbefall beschlagnahmt, dann aber wieder freigegeben worden war. Im November hatte die Bild-Zeitung unter Schlagzeilen berichtet, dass etwa 50.000 mit Salmonellen verseuchte Hasen aus Argentinien in den letzten Wochen über Hamburg eingeführt worden seien; argentinisches Hasenfleisch sei zu 31% salmonellenverseucht. Als V dem K auf Anfrage mitteilt, dass sich in der Lieferung argentinisches Hasenfleisch befinde, erklärt K den Rücktritt. Eine Untersuchung der einzelnen Hasenkeulen und -rücken auf Salmonellenbefall hatte V zuvor abgelehnt, weil deren Kosten den Wert der Ware überstiegen. Kann K den Kaufpreis zurückverlangen? 133 AA. Stöber ZEuP 2006, 891, 899f. 134 Vgl. auch BGH NJW 1972, 1462 – Argentinische Hasen II.

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Im Rahmen eines Rückgewähranspruchs aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 stellt sich hier die Frage, ob das gelieferte Hasenfleisch mangelhaft war. Nach Auffassung des BGH liegt der Mangel der Ware in ihrer Unverkäuflichkeit (S. 1172). Denn aus Sicht beider Parteien war klar, dass der Käufer das Hasenfleisch zur Weiterveräußerung an Dritte erwarb. Dann ist die Weiterverkäuflichkeit Gegenstand einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 oder bildet einen nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 maßgeblichen Verwendungszweck der Kaufsache. Solange der Verdacht nicht zerstreut ist, ist die Sache unverkäuflich und damit mangelhaft. Nacherfüllung iSd. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 kann hier Beseitigung der Zweifel durch Untersuchung des Fleischs bedeuten. Wenn der Verkäufer sich auf die wirtschaftliche Sinnlosigkeit dieses Vorgangs wegen der zu hohen Kosten beruft, macht er die Einrede der unverhältnismäßigen Kosten des § 439 Abs. 4 Satz 3 zweiter Halbsatz geltend. Für den Käufer bedeutet diese Einrede zugleich eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung seitens des Verkäufers nach §§ 323 Abs. 2 Nr. 1 iVm. 440 Satz 1 erster Fall. Und dies wiederum bedeutet, dass er vom Vertrag zurücktreten kann, ohne eine Frist zur Nacherfüllung zu setzen. Damit wäre der Rückzahlungsanspruch begründet.

Die Gleichsetzung des Mangelverdachtes mit einem Mangel iSd. § 434 beinhaltet regelmäßig eine Beweiserleichterung zugunsten des Käufers.135 Diese Rechtsfolge lässt sich nicht durch eine Haftung des Verkäufers für eine schuldhafte Nichtausräumung des Verdachts ersetzen.136 Denn in kritischen Fällen wie dem vorliegenden kann dem Verkäufer im Hinblick auf die Nichtausräumung des Verdachts kein Vorwurf iSd. § 276 gemacht werden.137 Dessen Verantwortung setzt deshalb voraus, dass ihm das Risiko der Nichtausräumbarkeit des Verdachts aus objektiven, jenseits eines Vertretenmüssens liegenden Gründen zugerechnet werden kann. In den Fällen des Montagsautos (Rn. 252) ist dies der Fall, weil der Verkäufer die Verantwortung für eine Vielzahl bereits bekannter Funktionsstörungen trägt; dann ist ihm der Verdacht zurechenbar, dass weitere Mängel bestehen könnten.138 Bei einem merkantilen Minderwert der Sache (Rn. 122, 1113a) trägt der Verkäufer wegen einer Vorschädigung der Sache (Unfallschaden) das Risiko, dass die Verkehrsteilnehmer weitere, verdeckte Mängel befürchten. Beim fliegenden Zwischenhändler resultiert die Verantwortung des Verkäufers aus dem Verschweigen eines nicht im Kfz-Brief eingetragenen Vorbesitzers. Denn dies lässt befürchten, dass dem Fahrzeug während der Haltung durch den Vorbesitzer Vorschädigungen zugefügt worden sein könnten, die sich später auswirken (Rn. 470). Beim Verkauf eines über Jahrzehnte betriebenen Eisenbahngeländes resultiert ein Mangelverdacht aus dieser Nutzungsart selbst. Denn mit ihr gehen typischerweise Altlasten auf dem Grundstück einher (Rn. 447). Kommt der Verdacht erst nach der Lieferung der Ware auf, geht die Rechtsprechung von einem Mangel bei Gefahrüber135 Vgl. auch BGHZ 203, 98 = NJW 2015, 544, Tz. 16 und 37 zum Verdacht der Dioxinbelastung eines Grundstücks; anders im Fall BGH NJW 1989, 218, 220. 136 So aber Grunewald, in: FS Konzen, 2006, S. 131, 139f. 137 Faust, in: FS Picker, 2010, S. 185, 188ff.; Schmolke AcP 215 (2015) 351, 370ff. 138 Zum Montagsauto als Fall des Mangelverdachts: Erger NJW 2013, 1485, 1486; zum Montagsauto: BGH NJW 2013, 1523, Tz. 24ff.

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gang aus, wenn die Gründe für den Verdacht bereits zu diesem Zeitpunkt bestanden.139 Gerade die Umweltbeziehungen der Kaufsache können Sachmängel begründen: (BGH 30.11.2012 – V ZR 25/12 = NJW 2013, 1671) V hat K eine Eigentumswohnung verkauft. Nachträglich stellt sich heraus, dass das Grundstück von Grundwasser durchströmt wird, das mit Giften (Cyaniden) belastet ist. Da dieser Umstand nicht zu beheben ist, will K den Kaufpreis zurück. Der BGH bejaht einen Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 (Tz. 6ff.), weil er die Umweltbeziehungen der Wohnung als Mangel ansieht.

An fehlenden (fehlerhaften) Umweltbeziehungen zeigt sich, dass ein Mangel nicht in der physikalischen Beschaffenheit der Kaufsache selbst liegen muss (Tz. 8ff.). Nach altem Recht wurde noch zwischen dem Mangel differenziert, der in der Beschaffenheit der Kaufsache selbst wurzeln musste, und der Eigenschaft, die als Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung infrage kam, und daher auch in ihren Umweltbeziehungen liegen konnte (Tz. 10).140 Das neue Recht kennt diese Unterscheidung nicht mehr (Tz. 10; vgl. Rn. 96). Erforderlich ist nur noch, dass die negative Umweltbeziehung in irgendeiner Weise mit den physischen Eigenschaften der Kaufsache zusammenhängt (Tz. 10). Die Entscheidung ist noch aus einem anderen Grund interessant. Denn von dem mit Cyaniden belasteten Grundwasser gingen unter normalen Umständen keine Gefahren für den Käufer aus. Der BGH bejahte dennoch die Voraussetzungen des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2: Das Grundstück eigne sich zwar zur gewöhnlichen Verwendung, weise aber dennoch nicht die übliche Beschaffenheit auf, da bei Hochwasser Gesundheitsschäden drohen (Tz. 15). Auch bei der Kontaminierung eines Grundstücks mit Altlasten geht der BGH unabhängig von der konkreten Gebrauchsbeeinträchtigung von fehlender Eignung für die gewöhnliche Verwendung aus (vgl. auch Rn. 447).141

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Liegt ein Mangel vor, sind übrigens Ansprüche aus c.i.c. (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) wegen Falschberatung des Verkäufers über Sachmängel verdrängt (zu den Gründen Rn. 466; BGH Tz. 22). Erwähnenswert erscheint ferner, dass die falsche Grundstücksgröße nach einer etwas problematischen Rechtsprechung keinen Mangel darstellen soll (Rn. 473, 481). Als Eigenschaft der Kaufsache, die einer Beschaffenheitsvereinbarung zugänglich ist, kommt schließlich auch ein reines Liebhaberinteresse in Betracht. V verkauft K das Taschentuch, mit dem Lady Diana Spencer ihre Tränen getrocknet haben soll, nachdem sie von der Untreue ihres Gatten erfuhr. Nach Übergabe entdeckt K bei näherer Untersuchung, dass eine auf dem Taschentuch angebrachte Bezeichnung „Made in Hongkong, 2002“ mechanisch entfernt worden ist. Auch hier liegt ein Sachmangel vor.

139 BGH NJW 1972, 1462, 1463; Schmolke AcP 215 (2015) 351, 370ff. 140 Vgl. den Klassiker: BGHZ 60, 319 = NJW 1973, 1234 – Seegrundstück. 141 BGH ZIP 2017, 380, Tz. 11.

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Fraglich ist, ob der Begriff der Beschaffenheit und mit ihm der des Sachmangels auf fehlerhafte Standardsoftware anwendbar ist. Wie bereits erwähnt (Rn. 68), kann eine als standardisiertes Massenprodukt vertriebene Software (Beispiel: die bekannten Textverarbeitungsprogramme) Gegenstand eines Lieferanspruchs nach § 433 Abs. 1 Satz 1 sein. Die ganz hM. bejaht die Anwendbarkeit der besonderen Sachmängelhaftung,142 was keine Selbstverständlichkeit ist: Da die Softwareüberlassung rechtlich gesehen auf einer Lizenz nach §§ 69c Nr. 1 iVm. 31 Abs. 2 UrhG beruht, kommt theoretisch auch eine Rechtsmängelhaftung in Betracht. Auch muss Software bei ihrer Veräußerung nicht wie eine Kaufsache verkörpert sein, sondern kann auch online überspielt werden. Die überzeugenderen Gründe sprechen dennoch für die Anwendung des Sachmangelbegriffs: Software hat ausgesprochenen Warencharakter und unterscheidet sich gerade dadurch von den typischen immateriellen Wirtschaftsgütern, die eher unter § 435 fallen. Denn sie weist ein so klar definiertes Funktionsspektrum auf, dass man wie bei einer beweglichen Sache zwischen Ist- und Sollbeschaffenheit unterscheiden kann. Auch öffentlich-rechtliche Beschränkungen können die Wertbildung bei Grundstücken beeinflussen. Dabei begründen Baubeschränkungen regelmäßig einen Sachmangel: (BGH 7.2.1992 – V ZR 246/90 = BGHZ 117, 159 = BGH NJW 1992, 1384) V verkauft K das Grundstück X als „Bauplatz“ für die Errichtung eines Bürogebäudes. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt das Grundstück indes bereits in einem militärischen Schutzbereich und außerhalb eines Bebauungsplans. Nach Gefahrübergang stellt K den Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung beim zuständigen Ordnungsamt. Dieser wird abgelehnt. Daraufhin erklärt K dem V gegenüber den Rücktritt und verlangt den Kaufpreis zurück. Der Rückgewähranspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kommt hier wegen eines Sachmangels nach § 434 Abs. 1 Satz 1 in Betracht.

Der BGH sieht die Bebaubarkeit eines Grundstücks nach öffentlichem Recht als Gegenstand einer vertraglichen Beschaffenheitsangabe. Maßgeblich ist dabei die bauplanungsrechtliche Lage zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs; nicht entscheidend ist, wann der Genehmigungsantrag nach dem Bauordnungsrecht gestellt wird. Zugrunde liegt die Überlegung, dass die Erteilung der Genehmigung von den Eigenschaften des Grundstücks abhängt (S. 1385). Dagegen zählt die bauplanungsrechtliche Lage nach Übergabe des Grundstücks an den Käufer nicht mehr zur Beschaffenheit (S. 1385). Denn diese beeinflusst die Beschaffenheit der Kaufsache erst nach Gefahrübergang (§ 434 Abs. 1 Satz 1). Auch hat der Verkäufer keinen (legitimen) Einfluss auf die Bauplanung nach Gefahrübergang und kann dem Käufer daher keine entsprechende Beschaffenheit versprechen. Übernimmt er dennoch ausdrücklich die Verantwortung in diesem Punkt, kommt eine selbstständige Garantie (§ 311 Abs. 1) zustande (Rn. 357). 142 BGHZ 102, 135, 140f.; 143, 307ff. mwN.; Überblick über die Argumente bei Martinek, Mo-

derne Vertragstypen, Bd. 3, 1993, S. 15f.

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Im Beispielsfall fehlt dem Grundstück die Bebaubarkeit im Zeitpunkt des Gefahrübergangs, sodass ein Mangel vorliegt und – da Nacherfüllungsmaßnahmen unmöglich sind – der Rücktritt nach § 326 Abs. 5 ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung erklärt werden kann. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 ist dann begründet.

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Schließlich können öffentlich-rechtliche Beschränkungen auch in die vom Verkäufer erworbenen Eigentumsrechte des Käufers und gerade nicht die Beschaffenheit der Kaufsache eingreifen. In diesen Fällen handelt es sich um Rechtsmängel (zur Abgrenzung Rn. 154). Ungeklärt ist, ob Unternehmenserträge, -umsätze und Bilanzgewinne zum Gegenstand von Beschaffenheitsvereinbarungen werden können (zur Anwendbarkeit des Kaufrechts überhaupt oben Rn. 70): V hat bislang in S-Stadt eine Fahrschule betrieben, die er am 9.1.2011 an K verkauft. Vor Abschluss des Kaufvertrags legte V dem K seine Steuerbilanz für 2010 vor, in der ein Gewinn (vor Steuern) von 114.000 € ausgewiesen war. Am 9.1.2012 erklärt K den Rücktritt vom Vertrag. Denn die Fahrschule habe ihm in 2011 nur einen Gewinn (vor Steuern) iHv. 50.000 € eingebracht. Kann er den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen?

Das Problem dieses Falles liegt auf der Hand: Der wirtschaftliche Erfolg einer Fahrschule hängt entscheidend auch von der Person des Inhabers ab und ist einem Unternehmen angesichts von Marktschwankungen nie für alle Zeit garantiert! Rechtlich stellt sich die nach §§ 133, 157 zu klärende Auslegungsfrage, ob ein objektiver Beobachter in der Position des Unternehmenskäufers davon ausgehen darf, dass der Verkäufer durch Vorlage der Steuerbilanz dem Käufer den dort ausgewiesenen Gewinn auch für die künftigen Geschäftsjahre im Rahmen einer Beschaffenheitsvereinbarung verspricht. Die überwiegende Anzahl der Autoren verneint diese Frage zu Recht.143 Dafür sprechen der Vergangenheitsbezug und die Veränderlichkeit solcher Unternehmenskennzahlen. Lägen die Dinge anders, träfe den Verkäufer eine Risikohaftung für die konjunkturelle Entwicklung und die Geschäftstüchtigkeit seines Nachfolgers. Einem Unternehmen sind aber Absatzmärkte, Finanzierungsquellen sowie der Zugang zu Produktionsfaktoren in einer Marktwirtschaft nicht fest zugeordnet; es weist insbesondere auch keine Standardbeschaffenheit auf.144 Deshalb kommt als Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht ein bestimmter Ertrag in Betracht, sondern regelmäßig nur ein Durchschnittswert, der aufgrund eines längeren Bewertungszeitraums festgestellt wird.145 Die Gegenansicht stellt darauf ab, dass der Wortlaut des § 434 Abs. 1 Satz 1 gegenüber dem alten Recht weiter sei: Das Erfordernis einer Unmittelbarkeit und Dauerhaftigkeit der Ei143 OLG Hamm NJW-RR 2003, 1360; Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 26 und § 453 Rn. 30 (= BeckOK); Eidenmüller ZGS 2002, 290, 294f.; Fischer DStR 2004, 276, 277f.; U. Huber AcP 202 (2002) 179, 228; Jagensberger, Die Haftung des Verkäufers bei Unternehmens- und Anteilskauf, 2006, S. 124ff. und 144ff.; Kersting JZ 2008, 714, 715; Kindl WM 2003, 409, 411. 144 Weitnauer NJW 2002, 2511, 2514. 145 BGH NJW 1979, 33; Maier-Reimer, in: Reform des deutschen Schuldrechts, S. 61, 64 und 69ff.; Jaques BB 2002, 417, 418.

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genschaft sei – anders als nach altem Recht – nicht mehr Tatbestandsvoraussetzung und der Gesetzgeber habe die Möglichkeit von Beschaffenheitsvereinbarungen zugunsten der Parteiautonomie liberalisiert.146 Ob die Vertreter dieser Auffassung allerdings so weit gehen würden, in einem Fall wie dem vorliegenden eine Beschaffenheitsvereinbarung anzunehmen, erscheint jedoch ungewiss. Denn ihnen geht es häufig darum, den Cash Flow, dh. die das Unternehmen durchlaufenden Bruttozahlungsströme, zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung machen zu können. Denn der Cash Flow stellt einen wichtigen Indikator bei der Unternehmensbewertung im Rahmen der sog. Discounted Cashflow-Methode dar.147 Hier muss allerdings differenziert werden: Aufgrund der in § 311 Abs. 1 verbürgten Privatautonomie steht es dem Verkäufer jederzeit frei, dem Käufer einen bestimmten Cash Flow auf der Grundlage der Ergebnisse eines einzelnen Geschäftsjahres zu versprechen. Darin liegt aber aufgrund der vorgestellten Überlegungen keine Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1, sondern die Abgabe eines vom Mangelbegriff und vom Gewährleistungsrecht losgelösten selbstständigen Garantieversprechens (§ 311 Abs. 1, Rn. 357). Eine Beschaffenheitsvereinbarung kommt daher nur hinsichtlich eines über mehrere Geschäftsjahre verstetigten, durchschnittlichen Cash Flows in Betracht. Der praktische Unterschied zwischen Beschaffenheitsvereinbarung und (selbstständiger) Garantie liegt aber darin, dass im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 ein Wille des Verkäufers zur Abgabe einer Garantie wegen der mit ihr verbundenen verschuldensunabhängigen Haftung besonders deutlich hervortreten muss. Im Zweifel neigt die Rechtsprechung daher nicht dazu, aus dem tatsächlichen Verhalten des Verkäufers auf eine konkludente, zur Garantievereinbarung führende Willenserklärung zu schließen (Rn. 356). Im Fall genügt daher die Vorlage der Steuerbilanz aus dem Vorjahr im Rahmen der §§ 133, 157 nicht dazu, eine selbständige Garantie des V gegenüber K anzunehmen.

Üblich sind in Unternehmenskaufverträgen auch sog. Bilanzgarantien.148 Darin garantiert der Verkäufer dem Käufer die Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen bei der Erstellung der Bilanz und will dafür einstehen, dass die Bilanz ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Vermögens zeichnet. Erreichen einzelne dort angesetzte Positionen nicht den angegebenen Wert, kommen auf der Grundlage der Garantie (ohne Vertretenmüssen des Verkäufers) eine Minderung des Käufers nach §§ 437 Nr. 2, 441oder auch Schadensersatzansprüche in Betracht.

146 Dauner-Lieb/Thiessen ZIP 2002, 108, 110; Gronstedt/Jörgens ZIP 2002, 52, 54; Gruber

MDR 2002, 433, 437; Picot DB 2009, 2587, 2589. 147 Glagowski, Die Mängelgewährleistung beim Unternehmenskauf im Wege des Asset Deal

nach der Schuldrechtsreform, 2008, S. 140; vgl. auch Schröcker ZGR 2005, 63, 78; Hönig ZGS 2010, 302, 308. 148 Wächter NJW 2013, 1270, 1274.

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Für eine Regelung des Unternehmenskaufs sah der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform bedauerlicherweise „angesichts der gewöhnlich sehr ausführlichen Vertragswerke“ keinen Regelungsbedarf.149 Dies erscheint immerhin durch den Umstand erklärlich, dass in den Unternehmenskaufverträgen häufig Schiedsvereinbarungen getroffen werden (§ 1029 ZPO), die einer gerichtlichen Geltendmachung entgegenstehen (§ 1032 ZPO). Dennoch wurden einige der für den Unternehmenskauf zentralen Rechtsfolgen den von der Praxis erwogenen Anforderungen an ein Unternehmenskaufrecht angepasst:150 (1) Der Schadensersatzanspruch des Käufers ist vom Vertretenmüssen des Verkäufers abhängig (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2). (2) Durch Rückabwicklung nutzlos gewordene Aufwendungen sind über §§ 437 Nr. 3, 284 zu ersetzen. (3) Ein Rücktritt wegen unerheblicher Mängel ist nach § 323 Abs. 5 Satz 2 ausgeschlossen (Rn. 239ff.). (4) Schließlich wurden die Verjährungsfristen von culpa in contrahendo (§ 195: drei Jahre) und Sachmängelrecht (§ 438 Abs. 1 Nr. 3: zwei Jahre) einander zumindest angenähert.

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Dennoch begegnet nach wie vor die Auffassung, dass die §§ 434ff. beim Unternehmenskauf hinter der culpa in contrahendo zurücktreten müssten, weil insbesondere die durch die Nachfristsetzung verbürgte Befugnis des Verkäufers zur zweiten Andienung nicht auf den Unternehmenskauf passe.151 Stets stellt sich aber hier die Frage, warum in solchen Fällen die vorhandenen Institute – also etwa der Ausnahmetatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 – nicht konsequent angewendet werden. In vielen Punkten ähnlich, im entscheidenden jedoch nicht vergleichbar, erscheint schließlich die Frage, ob Mieteinnahmen eines Grundstücks eine Beschaffenheit iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 darstellen können: (BGH 5.11.2010 – V ZR 228/09 = NJW 2011, 1217) K erwarb von V im Wege einer privaten Auktion fünf in einem Industriegelände gelegene Grundstücke. Im Auktionskatalog wurde für die fünf Grundstücke eine „Bruttokaltmiete“ von insgesamt 228.449 € und Betriebskosten iHv. 57.288 € genannt. Im späteren notariell beurkundeten Kaufvertrag wurde auf den Ausstellungskatalog Bezug genommen und die Gewährleistung insgesamt ausgeschlossen. Als K feststellt, dass die jährlichen Betriebskosten bei 91.432 € liegen, macht er Minderung geltend. Der Anspruch des K gegen V auf Rückgewähr aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 Satz 1, 346 Abs. 1 könnte hier zunächst an dem zwischen den Parteien vereinbarten Haftungsausschluss nach § 444 scheitern. Dies kommt allerdings nicht in Betracht, wenn K und V hinsichtlich der Betriebskosten eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 getroffen haben. Denn ein Haftungsausschluss tritt über den Wortlaut des § 444 hinaus auch hinter einer Beschaffenheitsvereinbarung so weit zurück, wie deren Gegenstand reicht (Tz. 18; zu den Hintergründen Rn. 450f.). 149 H.P. Westermann JZ 2001, 530, 532. 150 Ähnlich optimistisch auch Gronstedt/Jörgens ZIP 2002, 52; kritisch hingegen Lorenz, in: FS

Heldrich, 2005, S. 305, 318ff. 151 Weller, in: FS Maier-Reimer, 2010, S. 839ff.

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Im Fall stellt sich also zunächst die Frage, ob die Betriebskosten eines Grundstücks Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sein können. Dies bejaht der BGH mit dem Argument, dass der Gesetzgeber in § 434 Abs. 1 Satz 1 bewusst weite Spielräume für privatautonome Gestaltungen geschaffen habe (Tz. 12).152 Im Schrifttum war umstritten, ob Mieteinnahmen eine Eigenschaft des Grundstücks darstellen, die einer Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 zugänglich ist.153 Dies hatte der BGH nach altem Recht noch verneint, weil der Mietertrag eines Jahres dem Grundstück nicht dauerhaft anhafte, sondern auf einer Marktentwicklung beruhe.154 Dennoch besteht ein erheblicher Unterschied zu den Unternehmenserträgen: Die Mietverträge, auf deren Grundlage der Ertrag der Mietsache errechnet wird, werden oft über eine längere Laufzeit abgeschlossen bzw. können nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt beendet werden (Kündigungsfristen!).155 Auch bestehen für Mietgrundstücke liquide Märkte, wie sich an der Existenz von Mietspiegeln zeigt, sodass sich voraussehen lässt, zu welchen Bedingungen ein Grundstück weitervermietet werden kann, wenn das gegenwärtige Mietverhältnis endet. Dies führt zu einer Verstetigung und Voraussehbarkeit der Erträge. Wird deshalb der Durchschnittsertrag zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung, müssen die Referenzzeiträume nicht so umfangreich gewählt werden wie beim Unternehmenskauf (idR. genügt ein Jahr).156 Dennoch erscheint es zweifelhaft, ob die gegenwärtig erzielte Miete auch ohne ausdrückliche Vereinbarung als Beschaffenheit vereinbart ist. Eine vergleichbare Fragestellung ergibt sich im Hinblick auf die im vorliegenden Fall einschlägigen Betriebskosten: Diese beruhen einerseits auf festen Eigenschaften des Grundstücks (Größe, Wärmeisolierung, Verbrauch der installierten Anlagen), andererseits aber auch auf den sich ändernden Marktbedingungen (Wasser-, Mineralölpreise etc.). Die nach §§ 133, 157 zu beantwortende Frage, ob die Vorlage der Abrechnung aus dem Vorjahr einen Antrag des Veräußerers auf Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung beinhaltet, muss daher wohl verneint werden. Dem Verkäufer dürfte regelmäßig ein entsprechender Rechtsbindungswille fehlen, weil die Höhe der künftigen Kosten von Faktoren abhängt, auf die er keinen Einfluss hat.157 Preist der Verkäufer die Immobilie aber in einem

152 Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 212; Schmidt-Räntsch AnwBl. 2003, 529, 531. 153 Ablehnend im vorliegenden Zusammenhang etwa Ostendorf JZ 2011, 822, 824; vgl. ferner

U. Huber AcP 202 (2002) 179, 226; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 118, 122 und 124; Erman/ Grunewald § 434 Rn. 11; zustimmend Gruber MDR 2002, 433, 435f.; H. Roth NJW 2004, 330, 331; Wunderlich WM 2002, 981, 983; Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 22 (= BeckOK); Staudinger/Matusche-Beckmann § 434 Rn. 172. 154 BGH NJW 1980, 1456; BGH WM 1982, 696, dazu G. Müller ZIP 1993, 1045, 1048f. 155 BGH NJW-RR 1990, 970. 156 BGH NJW 1980, 1456. 157 Weitnauer NJW 2002, 2511, 2514; großzügiger in der Tendenz: Glagowski, Die Mängelgewährleistung beim Unternehmenskauf im Wege des Asset Deal nach der Schuldrechtsreform, 2008, S. 143; Hönig ZGS 2010, 302, 309.

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Katalog im Hinblick auf eine bestimmte Größenordnung der Betriebskosten an, stellt sich die Situation aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Käufers so dar: Zumindest der Teil der Kostenhöhe, der der Einflussnahme durch den Verkäufer unterliegt (Heizungs- und Energiebedarf der Immobilie usw.), dürfte dann Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung werden. Es handelt sich um Durchschnittsbetriebskosten, im Rahmen derer eine künftige Entwicklung der Marktpreise nicht berücksichtigt ist. Im Hinblick auf diese darf der Käufer dann von einem Rechtsbindungswillen des Verkäufers ausgehen. Im vorliegenden Fall tritt daher der Haftungsausschluss nach § 444 hinter einer entsprechenden Beschaffenheitsvereinbarung zurück. Da die Kaufsache gem. § 434 Abs. 1 Satz 1 mangelhaft ist, kommt es für die Minderung noch darauf an, ob eine Nachfristsetzung (§§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 1, 323 Abs. 2) entbehrlich war.

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(2) Vereinbarung über die Beschaffenheit. Die Beschaffenheitsvereinba-

rung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 ist Teil der vertraglichen Einigung und kommt daher nach §§ 145ff. zustande. Ihre Rechtsfolge besteht in der Festlegung der vertraglich geschuldeten Sollbeschaffenheit der Kaufsache. Entsprechend dem subjektiven Mangelbegriff (Rn. 95) und dem Prinzip der Privatautonomie (§ 311 Abs. 1) geht die Beschaffenheitsvereinbarung den sonstigen Kriterien zur Bestimmung der Sollbeschaffenheit (Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 und Abs. 3) vor.158 Die Parteien stellen dabei Leistung- und Gegenleistung in ein individuelles Wertverhältnis (subjektives Äquivalenzverhältnis), das nicht den Marktwerten entsprechen muss, und legen so künftige Rechte und Pflichten fest (vgl. zum Teilrücktritt Rn. 234ff. und zu § 346 Abs. 2 Satz 2 Rn. 285ff.). Eine Beschaffenheitsvereinbarung kann auch durch konkludentes Verhalten der Parteien zustande kommen. Dies gilt etwa, wenn dem Käufer ein Muster oder eine Warenprobe bei Vertragsschluss gezeigt wird. Dann muss die später gelieferte Kaufsache von gleicher Qualität sein („Kauf nach Probe“).159 Ähnliche Wirkungen entfalten vor allem Wissensäußerungen des Automobilverkäufers. Aus ihnen darf der Käufer nach §§ 133, 157 sehr häufig auf einen Rechtsbindungswillen schließen. Dem Käufer fehlen nämlich regelmäßig der technische Sachverstand und auch die faktische Möglichkeit, etwa durch Inspektion, die Qualität des Fahrzeugs selbst zu bestimmen. Dies ist einem redlichen Verkäufer auch bekannt. Dieser geht davon aus, dass der Käufer bei seiner Entscheidung über den Vertragsschluss in besonderer Weise auf seine Äußerungen vertraut. Entsprechend äußert sich der Verkäufer über die Beschaffenheit des Fahrzeugs nach Treu und Glauben (§ 242) nur unter Übernahme eigener Verantwortung.

158 Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 234. 159 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 212, rechte Spalte.

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Wird ein Fahrzeug daher als „Neuwagen“ verkauft, muss es fabrikneu sein, dh. unbenutzt und unbeschädigt (Rn. 201).160 „Fabrikneu“ bedeutet, dass zwischen der Herstellung und dem Verkauf nicht mehr als 12 Monate liegen;161 bei einem „Jahreswagen“ geht das Versprechen dahin, dass zwischen der Herstellung und der Erstzulassung nicht mehr als ein Jahr liegt. Aus der Bezeichnung eines Kfz als „Vorführwagen“ kann indes nicht auf eine Standzeit von unter einem Jahr beim Verkäufer geschlossen werden.162 Überhaupt bedeutet eine mehr als einjährige Standzeit bei einem Gebrauchtwagen keinen Mangel.163 Ein Kfz ist nicht „fahrbereit“, wenn es mit verkehrsgefährdenden Mängeln behaftet ist.164 „HU neu“ bedeutet, dass sich das Fahrzeug in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befindet.165

Allerdings ist Verkäuferverantwortlichkeit nicht grenzenlos: (BGH 13.3.2013 – VIII ZR 186/12 = NJW 2013, 2107) Privatmann V verkauft an K im Jahr 2011 ein gebrauchtes Wohnmobil (Baujahr 1986), das er selbst vor 2 Jahren erworben hat (Kaufpreis: 7.500 €). Im schriftlichen Kaufvertrag heißt es: „Für das Fahrzeug besteht keine Garantie.“ Im Nachhinein erklärt K den Rücktritt mit folgender Begründung: Beim Verkauf klebte im Fenster des Wohnmobils eine gelbe Umweltplakette mit dem bisherigen Fahrzeugkennzeichen. Von K zur Nutzbarkeit des Fahrzeugs in Umweltzonen befragt, erklärte V, dass ihm nicht bekannt sei, wann und unter welchen Umständen das Fahrzeug die Zulassung erhalten habe. Nach Übergabe erfährt K, dass ihm wegen der Bauweise des Motors keine Umweltplakette für das Fahrzeug erteilt werden kann; eine Umrüstung des Motors ist unmöglich. Der Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kann hier an einem Gewährleistungsausschluss nach § 444 scheitern. Allerdings entfaltet dieser insoweit keine Wirkung, als die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben (dazu Rn. 450f.). Fraglich ist deshalb, ob aufgrund der an der Frontscheibe angebrachten Umweltplakette und der Auskunft des Verkäufers über deren Provenienz eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung über die Nutzungsmöglichkeit des Wohnmobils in Umweltzonen zustande kommen konnte (Tz. 20ff.).

Der BGH verneint eine rechtliche Bindung des Verkäufers aufgrund einer Beschaffenheitsvereinbarung, weil dieser sich bei seiner Auskunft über die Plakette auf eine fremde Quelle bezogen und damit hinreichend zum Ausdruck gebracht habe, dass er kein eigenes Wissen weitergebe (Tz. 22). Dies überzeugt in der vorliegenden Konstellation, erfährt aber in anderen Fällen eine gefährliche Weiterung. Denn eine Beschaffenheitsvereinbarung soll aus dem gleichen Grund auch dann nicht zustande kommen, wenn der Verkäufer den Wagen mit „Unfallschäden lt. Vorbesitzer Nein“ anpreist166 (dazu noch Rn. 472). Auch hier bezieht sich der Verkäufer ja für seine Aussage auf eine fremde Quelle. Störend erscheint nur, dass er mit deren Verwendung die eigene Absatzchance erBGH NJW 2013, 1365, Tz. 10. Dazu und zum Folgenden BGH NJW 2010, 3710, 3711f. BGH NJW 2010, 3710, 3711, Tz. 17. BGH NJW 2016, 3015. OLG Hamm ZGS 2009, 473, 474; vgl. aber OLG Düsseldorf NJW 2013, 2763: „Oldtimer mit Macken“. 165 BGH NJW 2015, 1669, Tz. 19. 166 BGH NJW 2008, 1517, Tz. 13. 160 161 162 163 164

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heblich steigert. Dies spricht aus Sicht des Käufers eigentlich dafür, dass sich der Verkäufer im eigenen Interesse äußert, sich also den Gegenstand der fremden Äußerung zu Eigen macht (arg. e § 434 Abs. 1 Satz 3; Rn. 125). Will der Verkäufer eine Haftungsverantwortung vermeiden, muss er im kritischen Punkt entweder schweigen oder vorsichtiger formulieren. Ähnliche Probleme stellen sich bei Katalogen, die vor Kunstauktionen vom Auktionator ausgegeben werden. Diese sollen nach §§ 133, 157 regelmäßig keine Anträge auf Abschluss von Beschaffenheitsvereinbarungen beinhalten, weil der Auktionator als Kommissionär (§§ 383ff. HGB) fremde Ware veräußert und dabei auf die Provenienzangaben der Eigentümer angewiesen ist, also wiederum aus fremder Quelle schöpft.167 Wird allerdings im Katalog mit der Echtheit oder Provenienz des Kunstwerks ohne Hinweis auf die unsichere Quellenlage geworben, bleiben dieselben Zweifel: Der Auktionator kann nicht einerseits das Interesse des Kunden in diesem kritischen Punkt wecken, andererseits aber keine Verantwortung für die Wahrheit seiner Äußerungen tragen (vgl. auch Rn. 139; zur Beschaffenheitsgarantie im Kunsthandel Rn. 355). Abgrenzungsprobleme entstehen durch öffentliche, an einen unbestimmten Personenkreis gerichtete Äußerungen des Verkäufers im Vorfeld des Vertragsschlusses. Denn diese konkretisieren regelmäßig gem. § 434 Abs. 1 Satz 3 die Normalbeschaffenheit der Kaufsache (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), können aber auch einen Antrag auf Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung beinhalten. Auf die Unterscheidung kann es im Einzelfall wegen eines Haftungsausschlusses nach § 444 ankommen. Denn dieser tritt hinter einer Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien zurück (Rn. 450f.), nicht aber hinter den allgemeinen Käufererwartungen an die Normalbeschaffenheit.168 Sicher trägt § 434 Abs. 1 Satz 3 keinen Umkehrschluss des Inhaltes, dass öffentliche Äußerungen des Verkäufers nie zur Grundlage einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 werden können.169 Doch muss die Äußerung so konkret gefasst sein und den künftigen Käufer so individualisieren, dass ein objektiver Beobachter in seiner Position von einem rechtsgeschäftlichen Rechtsbindungswillen des Verkäufers ausgehen darf. Dies hat der BGH für den Fall bejaht, dass die Kaufsache auf der Internetseite des Verkäufers durch ein Foto abgebildet war und dieses ein Zubehörteil zeigte, das nach den vom Verkäufer gestellten Verkaufsbedingungen nicht mitveräußert sein sollte.170 Ganz allgemein treten konkludente Beschaffenheitsvereinbarungen in Konkurrenz zu den Tatbeständen des § 434 Abs. 1 Satz 2. In Alltagssituationen (zB. Verkauf am Obststand) muss häufig nicht danach unterschieden werden, ob der Mangel

167 BGHZ 63, 369 = NJW 1975, 970 – Jawlensky; BGH NJW 1980, 1619 – Bodensee; OLG

Köln NJW 2012, 2665; LG Freiburg NJW-RR 2012, 426; aA. LG Saarbrücken BeckRS 2012, 21093; instruktiv Schapiro JZ 2013, 549, 550; kritisch Braunschmidt NJW 2013, 734, 735. 168 Dazu bereits F. Höffmann ZGS 2011, 299ff. 169 So überzeugend F. Höffmann ZGS 2011, 299, 301f. 170 BGH NJW-RR 2011, 462, Tz. 12.

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(Fäule der Banane) auf einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung beruht oder sich aus der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) ergibt. Beim Grundstückskauf unterliegt die Beschaffenheitsvereinbarung der notariellen Beurkundung nach § 311b Abs. 1 Satz 1, denn diese umfasst alle Rechtsgeschäfte, die mit der Verpflichtung zum Erwerb bzw. zur Veräußerung in einer rechtlichen Einheit stehen.171 Deshalb kann eine nach § 125 Satz 1 formnichtige Beschaffenheitsvereinbarung geheilt werden, wenn das Grundstück bereits aufgelassen wurde und die Eintragung erfolgt ist (§ 311b Abs. 1 Satz 2). In diesem Fall stellt sich dem Käufer jedoch ein Beweisproblem: Behauptet er eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung, spricht gegen ihn die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der notariellen Urkunde,172 dh. er muss zur Überzeugung des Gerichts beweisen, dass neben dem beurkundeten Kaufvertrag eine weitere Vereinbarung getroffen wurde. Grundsätzlich kommen deshalb Beschaffenheitsvereinbarungen außerhalb des notariell beurkundeten Kaufvertrages nicht zustande: Die Übersendung eines Exposés oder eines Grundrisses der Immobilie beinhaltet kein Angebot des Verkäufers auf Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung. Denn der Käufer darf nach §§ 133, 157 Rechtsbindungswillen auf der Verkäuferseite nur im Hinblick auf die beurkundeten Versprechen erwarten.173 Die Möglichkeit des Verkäufers, seine Risiken durch eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 zu steuern, steht schließlich in einem Spannungsverhältnis zum Haftungsfreizeichnungsverbot des § 476 Abs. 1: (OLG Oldenburg 22.9.2003 – 9 W 30/03 = ZGS 2004, 75) Händler V verkauft K ein Gebrauchtfahrzeug zum privaten Gebrauch für rund 14.000 €. In den schriftlichen Kaufvertrag ist folgende Formulierung aufgenommen worden: „Bastlerfahrzeug ohne Garantie“. Als sich nach Übergabe eine irreparable Funktionsstörung offenbart, verlangt K sein Geld zurück. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Fraglich ist, ob darin die Gewährleistung nach § 444 wirksam ausgeschlossen ist. Dem könnte § 476 Abs. 1 Satz 2 entgegenstehen.

Nach § 476 Abs. 1 Satz 2 sind rechtsgeschäftliche Vereinbarungen nichtig, die den zwingenden Charakter der in § 476 Abs. 1 Satz 1 genannten Institute – und dazu zählt die Sachmängelhaftung nach §§ 434ff. – umgehen. Dies setzt der Gestaltungsfreiheit der Parteien bei der Abfassung der Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 Grenzen. Dabei muss jedoch differenziert werden: Als unproblematisch erscheint es, wenn der Verkäufer ein Fahrzeug von vornherein und unmissverständlich als „rollenden Schrott“ anbietet und der 171 Reinicke/Tiedtke Rn. 46. Dies wird seit RGZ 161, 330, 337 – Venusberg für die Beschaffenheitsvereinbarung bejaht; dazu auch Faust JZ 2016, 1012, 1013f. 172 RGZ 161, 330, 337 – Venusberg. 173 BGH NJW 2016, 1815, Tz. 15ff.; ähnlich OLG Schleswig NJW 2015, 2668, 2669: Übergabe eines Energieausweises durch Verkäufer.

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Käufer mit diesem Zustand einverstanden ist.174 Negative Beschaffenheitsvereinbarungen dieser Art müssen vor allem im Wege der Individualvereinbarung (§ 305 Abs. 1 Satz 3) möglich sein, damit wirtschaftlich weitgehend wertlose Sachen verkauft werden können. Sie werden im Schrifttum daher auch als (reine) Leistungsbeschreibungen bezeichnet175 und erscheinen im Hinblick auf § 476 Abs. 1 Satz 2 unproblematisch, weil sie beim Käufer von vornherein keine falschen Erwartungen im Hinblick auf die Beschaffenheit der Kaufsache erzeugen. Der Verkäufer kann im Übrigen stets selbst auf der Grundlage des § 442 Abs. 1 Satz 1 für Rechtssicherheit sorgen, indem er den Käufer vor Vertragsschluss klar und unmissverständlich über den Zustand der Kaufsache unterrichtet. Der Regelungszweck des § 476 Abs. 1 Satz 2 ist hingegen dort berührt, wo der Verkäufer sich entgegen Treu und Glauben (§ 242) durch eine (nachträgliche) negative Beschaffenheitsvereinbarung in Selbstwiderspruch zum Inhalt der bereits vereinbarten Hauptleistungspflicht setzt. Das Versprechen einer Hauptleistungspflicht durch den Schuldner begründet für den Gläubiger einen Vertrauenstatbestand, den ihm der Schuldner nicht einseitig nachträglich entziehen kann (Rn. 2ff.; ähnlich OLG S. 76).176 Einschlägige Käufererwartungen erweckt der Verkäufer auch durch die Vereinbarung über die Höhe des Kaufpreises:177 Entspricht der Kaufpreis dem Marktüblichen, darf der Käufer auch marktübliche Qualität (§ 243 Abs. 1) erwarten. In den Anwendungsbereich des § 307 Abs. 1 Satz 2 fallen schließlich vorformulierte Beschaffenheitsvereinbarungen, in denen der Verkäufer die negative Rechtsfolge im Wege undurchsichtiger Gestaltung vor dem Käufer verstecken will. Vorliegend gingen V und K davon aus, dass K einen Gebrauchtwagen für den privaten Gebrauch erwerben wollte. Die Höhe des vereinbarten Kaufpreises legt nahe, dass das Fahrzeug für diesen Zweck auch geeignet sein sollte. Die Bezeichnung „Bastlerfahrzeug ohne Garantie“ tritt dazu in Widerspruch; denn ein solches Fahrzeug wäre nur eingeschränkt fahrtauglich und müsste erst vom Käufer in einen fahrtüchtigen Zustand versetzt werden. Die Beschaffenheitsvereinbarung beschränkt sich auch auf der Ebene der formalen Gestaltung nicht auf eine reine Leistungsbeschreibung, sondern beinhaltet ausdrücklich einen Gewährleistungsausschluss. Hinzu kommt, dass K, der mit den Gepflogenheiten des KfzHandels nicht vertraut und zugleich juristischer Laie ist, die Bedeutung der kürzelhaften Klausel nicht klar sein musste. Damit ist die Grenze zu § 476 Abs. 1 Satz 2 überschritten. Der Gewährleistungsausschluss ist folglich nichtig.

174 Vuia NJW 2015, 1047f. Vgl. den Verkauf eines „Oldtimers mit Macken“: OLG Düsseldorf

NJW 2013, 2763. 175 Erhardt, Vermeidung und Umgehung im Verbrauchsgüterkaufrecht, 2009, S. 192ff.; Soyka,

Der Verbrauchsgüterkauf, 2011, S. 162ff.; BeckOGK/Augenhofer § 475 Rn. 34 spricht der Bezug zur objektiven Beschaffenheit grundsätzlich gegen die Anwendbarkeit des § 476 Abs. 1 Satz 2. 176 Vuia NJW 2015, 1047f.; ähnliche Überlegungen bei Schinkels ZGS 2003, 310, 313ff.; Schulte-Nölke ZGS 2003, 184ff.; Stölting ZGS 2004, 96, 98. 177 MünchKomm/Lorenz § 475 Rn. 9; Vuia NJW 2015, 1047f.

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(3) Maßgeblicher Zeitpunkt der Abweichung von der Beschaffenheitsvereinbarung. Maßgeblich für das Vorliegen eines Sachmangels ist nach hM.

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der Zeitpunkt des Gefahrübergangs nach §§ 446f. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 434 Abs. 1 Satz 1 (str., siehe Rn. 80ff.) cc) Die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1)

Nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ist eine Kaufsache auch dann mangelhaft, wenn sie sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Die Vorschrift setzt Art. 2 Abs. 2 lit. b VerbrGüterKRiL um. Die systematische Einordnung dieses Instituts ist umstritten: Nach überwiegender Auffassung handelt es sich lediglich um einen Sonderfall der Beschaffenheitsvereinbarung nach Satz 1, deren Gegenstand gerade die Verwendung der Kaufsache durch den Käufer für einen bestimmten Zweck darstellt.178 Dies überzeugt grundsätzlich, doch bestehen Fälle, in denen eine wirksame rechtsgeschäftliche Bindung nicht zustande kommt und deshalb § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 eine wichtige Auffangfunktion erfüllt: (RG 5.10.1939 – V 87/39 = RGZ 161, 330 – Venusberg) V veräußert K ein unbebautes Grundstück in Bonn mit Blick auf den Venusberg für 3.950 Reichsmark. Nach Übergabe des Grundstücks, jedoch vor Auflassung und Eintragung wird der Bebauungsplan in der Nachbarschaft geändert, so dass jetzt ein Gebäude errichtet werden kann, das K voraussichtlich den Blick auf den Berg verstellen wird. K behauptet, V habe ihm das Grundstück als mit unverbaubarem Blick auf den Venusberg veräußert. In der notariellen Vertragsurkunde finden sich diesbezüglich keine Angaben. V räumt nur ein, dass darüber gesprochen wurde. Eine Vereinbarung sei nicht getroffen worden. K verlangt nun eine „Geldentschädigung“. Der Anspruch auf Rückgewähr eines Teils des Kaufpreises wegen Minderung nach §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 Satz 1 kann nicht aus einem Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 1 begründet werden, weil eine Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien nach § 311b Abs. 1 Satz 1 beurkundungspflichtig war und eine Heilung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 noch nicht eingetreten ist (Rn. 110).

Aus heutiger Sicht kommt nur ein Fall des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 in Betracht. Auch nach Auffassung des RG „schafft einzig die Untauglichkeit zum Vertragszwecke den Fehler, und bei einem vertraglich vorausgesetzten Gebrauch ist es dieser, der die vom Käufer zu beanspruchende Beschaffenheit der Sache bestimmt.“ (S. 335). Die tatsächliche Übereinkunft über den Verwendungszweck muss dabei nach Auffassung des Gerichts nicht der Form des § 311b Abs. 1 Satz 1 genügen, weil es sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Einigung, sondern allein um eine tatsächliche Übereinstimmung hinsichtlich des Verwendungszwecks handelt. Allerdings trägt der Käufer die Beweislast, weil der zwi178 Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 50 (= BeckOK); Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 234; Erman/Grunewald § 434 Rn. 17; Staudinger/Matusche-Beckmann § 434 Rn. 73f.; MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 18; Ostendorf JZ 2011, 822, 826; Reinicke/Tiedtke Rn. 323; Grigoleit/Herresthal JZ 2003, 233, 235.

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schen den Parteien geschlossene notariell beurkundete Kaufvertrag die tatsächliche Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit begründet (S. 337). Die moderne Rechtsprechung ist deshalb bei der Annahme von nicht beurkundeten Beschaffenheitsmerkmalen zu Recht sehr zurückhaltend (Rn. 110). Danach lag kein Fall des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 vor. Ein Fall des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 kam ebenfalls nicht in Betracht.179 Stellt man die Frage, auf welcher Grundlage der Käufer ohne Beachtung der Form des § 311b Abs. 1 Satz 1 binden kann, kann die Antwort nur im Vertrauensschutz liegen. Überzeugend erscheint daher die Auffassung, die § 434 Abs. 1 Satz 2 auf den Gedanken des venire contra factum proprium (§ 242) zurückführt: Lässt sich der Verkäufer bei den Vertragsverhandlungen tatsächlich auf die Verwendungszwecke ein, die der Käufer der Sache beilegen will, gerät er in einen Selbstwiderspruch, wenn er später jegliche Verantwortung für diese von sich weist.180 Im Falle des § 434 Abs. 1 Satz 2 wird die Sollbeschaffenheit daher nicht notwendig durch eine „Verwendungsvereinbarung“, also eine Willenserklärung, konkretisiert, die ja unweigerlich nach § 311b Abs. 1 Satz 1 beurkundungsbedürftig wäre,181 sondern auch auf der Grundlage einer Wissenserklärung, also auf der Grundlage der Vertrauenshaftung.182 Bei der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung handelt es sich um Motive der Parteien iSd. §§ 119 Abs. 2, 313 Abs. 2, die diese dem Vertrag gemeinsam zugrunde legen. Der Gesetzgeber sieht Satz 2 als tatsächliche Vermutung für die Sollbeschaffenheit der Kaufsache an.183 Von großer Bedeutung ist die Abgrenzung der auf der Grundlage des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 dem Käufer geschuldeten Sollbeschaffenheit zu dem vom Käufer zu tragenden Verwendungsrisiko.184 K kauft im Warenhaus des V eine Bluse, die sie zu einem bestimmten Kostüm tragen will, das sie im Zeitpunkt des Kaufs gerade zu Hause aufbewahrt. Zu Hause angekommen, stellt sich heraus, dass die Bluse farblich nicht zu dem Kostüm passt. Kann sie die Bluse umtauschen? Dies wird in der Praxis häufig aus Kulanzgründen geduldet. Ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 besteht indes nicht. Denn hier liegt kein Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 1 vor, weil die Verwendung der Bluse nicht als Beschaffenheit vereinbart wurde. Auch fehlt 179 RG aaO. S. 334: „Die Ausführungen der Revision, daß freie Lage zum Grünen hin, unbehindert durch trennende Bauten mit den von ihren Bewohnern ausgehenden ,Belästigungen‘, zum Wesen eines jeden der Einzelhausbebauung erschlossenen Grundstücks gehöre, treffen nicht zu. Die Raumnot des deutschen Volkes zwingt zu haushälterischer Verwendung des vorhandenen Bodens, auch soweit er der Bebauung dient“(!). 180 Schinkels ZGS 2004, 226, 228; Ball ZGS 2002, 49; vgl. auch NK-BGB/Büdenbender § 434 Rn. 21. 181 Zutreffend Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 59. 182 In diese Richtung auch RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 213, rechte Spalte. 183 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 213, rechte Spalte. 184 Allgemein BGHZ 74, 370, 374 = NJW 1979, 1818; hier: BGH WM 1987, 1546 mwN.; Flume, AT – Das Rechtsgeschäft, S. 510; nach Willoweit JuS 1988, 833 liegt die Begründung im Prinzip der Vertragstreue.

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es an den Voraussetzungen des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, weil der der Bluse beigelegte Verwendungszweck nur den einseitigen Vorstellungen der K entsprach, von denen V nichts wusste.

Soweit die Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 betroffen ist, beruht die Lehre vom Verwendungsrisiko auf einem Umkehrschluss aus §§ 119 Abs. 2, 313 Abs. 2: Danach berührt der (einfache) Motivirrtum einer Vertragsseite über die Verwendbarkeit der Kaufsache regelmäßig nicht den Bestand des Rechtsgeschäfts. Erheblich wird der Irrtum vielmehr erst, wenn die Eigenschaft entweder Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung geworden ist185 oder wenn beide Seiten des Vertrages von einer übereinstimmenden Motivlage ausgehen (§ 313 Abs. 2). Hinter dieser Einschränkung steht zunächst eine naheliegende Risikozuweisung: Der Verkäufer kann die auf Käuferseite bestehenden Pläne und Wünsche nicht erkennen; deshalb muss er sich auch nicht auf diese einstellen, soweit sie Durchschnittsmaßstäbe (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2: Normalbeschaffenheit!) übersteigen. Hinzu tritt der Rechtsgedanke des § 241 Abs. 1, nach dem rechtsgeschäftliche Verpflichtungen nur auf Willenserklärungen der Verpflichteten gründen und nicht auf Motiven. Der Fall des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 folgt deshalb erkennbar dem § 313 Abs. 2 zugrunde liegenden Rechtsgedanken: Nicht der einseitige, nur der beiderseitige Motivirrtum lässt die vertragliche Bindung entfallen. Voraussetzung des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ist also, dass beide Seiten den Verwendungszweck kennen müssen. Dies zeigt abschließend noch einmal folgender Fall: (BGH 28.3.1984 – VIII ZR 5/83 = NJW 1984, 2289) Juwelier K kauft bei V einen Tresor. Nachträglich will K vom Kaufvertrag mit der Begründung zurücktreten, seine Versicherung schätze diesen Tresor als zu unsicher ein, um ihn zu den von K gewünschten Bedingungen zu versichern.

Ausgehend von den heutigen Anforderungen des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 verneint der BGH einen Mangel, da sich die als vertraglich vorausgesetzte Beschaffenheit nicht nach den einseitigen Erwartungen des Käufers richte. Vielmehr sei eine Willenseinigung beider Vertragsteile dahingehend erforderlich, dass die Kaufsache zu einem bestimmten Zweck geeignet sei oder eine bestimmte Eigenschaft besitze, wobei allerdings der beiden Teilen bekannte Verwendungszweck bzw. die betreffende Eigenschaft auch stillschweigend als Vertragsgrundlage vereinbart werden könne (S. 2289f.). An dieser Argumentation zeigt sich ein weiteres Mal der fließende Übergang von einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 zum Fall des venire contra factum proprium nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1. Auch erweist sich das enge systematische Verhältnis zwischen § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2: Wo der vom Käufer intendierte Verwendungszweck nur den Vertragsparteien bekannt ist, greift Nr. 1; wo er allgemein bekannt ist, aber Nr. 2. Liegt in Fällen dieser Art ein Mangel vor, ist im Übrigen das Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 verdrängt (Rn. 478). 185 Flume AT – Das Rechtsgeschäft, S. 478; Willoweit JuS 1988, 833, 839.

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dd) Die Normalbeschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) 117

Fehlt eine Beschaffenheitsvereinbarung und lassen sich auch keine gemeinsamen Vorstellungen der Parteien über den der Kaufsache beizulegenden Verwendungszweck feststellen, so wird eine Beschaffenheit geschuldet, „die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann.“186 Die Norm ergänzt den subjektiven Mangelbegriff um ein objektives Element (Rn. 95). Dabei wird ein zentrales Prinzip des Vertragsrechts deutlich (Rn. 2ff.): Verpflichtungen aus einem Vertrag beruhen nicht nur auf dem, was die Parteien ausdrücklich in ihren Willenserklärungen bekundet haben. Als Willenserklärung ist das Leistungsversprechen des Verkäufers vielmehr auch ein Vertrauenstatbestand, auf den sich schützenswerte Erwartungen des Käufers richten können. Fehlt eine Vereinbarung, darf der Käufer wie jeder redliche Verkehrsteilnehmer gem. § 243 Abs. 1 auf eine durchschnittliche Sachbeschaffenheit vertrauen. Die Grenzen dieses Vertrauensschutzes zeigt der nachfolgende Fall: (BGH 7.7.1981 – VI ZR 62/80 = NJW 1981, 2514 – Sniffing) K verlangt vom Verkäufer V Schadensersatz in Höhe der Beerdigungskosten für seinen Sohn S. K hatte als Kältetechniker regelmäßig von V ein Kältemittel bezogen. In der dem Produkt beigefügten Gebrauchsanweisung wird dabei darauf hingewiesen, das Mittel sei in die höchste Toxiditätsstufe einzuordnen, so dass im Hinblick auf die austretenden Dämpfe höchste Vorsicht geboten sei. Eine Dose dieses Mittels hatte S dem K entwendet. Als er gemeinsam mit seinen Freunden in einem öffentlichen Park die aus der Dose ausströmenden Dämpfe inhaliert, wird er ohnmächtig und stirbt auf dem Weg zum Krankenhaus an Herzversagen.

Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 hängt davon ab, ob das von V gelieferte Kältemittel nicht der nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 geschuldeten Normalbeschaffenheit entsprach. Die meisten Kaufsachen eröffnen eine unübersehbare Vielzahl von Gebrauchsmöglichkeiten. Nicht für alle kann der Verkäufer Verantwortung tragen. Insbesondere haftet er nicht für rechtswidrige oder aus anderen Gründen unberechtigte Vorstellungen des Käufers über die Verwendbarkeit der Kaufsache. Dies gilt vor allem in den Fällen des Produktmissbrauchs: Vorliegend stellt sich die Frage, ob es für die Mangelfreiheit nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ausreicht, dass V den K in technischem Jargon auf die Gefährlichkeit des Kältemittels hinweist, oder ob er K konkret über die Gefahr eines Herzversagens bei Inhalieren der austretenden Dämpfe aufklären musste. Nach Auffassung des BGH – im Originalfall ging es um eine Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 – müssen „Hinweis- und Warnpflichten in aller Regel dort aufhören, wo die Verwendungsweise des Erzeugnisses, die zum Schaden führen kann und im vorliegenden Falle auch zum Schaden führte, mit dem die Herstellung bestimmenden Produktzweck überhaupt nichts mehr zu tun hat. Eine besondere deliktische Verhaltenspflicht zur Abwehr einer durch das Produkt geschaffenen Gefahr kann sich möglicherweise über diesen Grundsatz hinaus dann ergeben, wenn sich diese Gefahr eines spezifischen Mißbrauchs bereits sinnfällig verwirklicht hat.“ (S. 2515).

186 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 213, rechte Spalte unten.

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Auf die vorliegende Verwendungsart muss V sich nach diesen Maßstäben aber nicht einstellen: Denn er vertreibt das Produkt gegenüber Unternehmern, die es für industrielle Zwecke einsetzen. Deshalb muss er nicht wie bei einem Arzneimittel vor allen möglichen Nebenwirkungen warnen, sondern nur vor den Gefahren, die bei der üblichen Handhabung des Produkts durch einen Experten entstehen. Ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 kommt danach nicht in Betracht. Ähnliches gilt für einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 1.

Auf die Normalbeschaffenheit kommt es gerade bei Geschäften des täglichen Lebens über Konsumgüter an. Hier treffen die Parteien selten eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung, auch kennt der Verkäufer die Verwendungszwecke des Käufers nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 nicht. Deshalb kommt es in entsprechender Anwendung des § 157 darauf an, was ein objektiver Beobachter in der Situation des Käufers im Hinblick auf die Sachbeschaffenheit erwarten darf. Dabei gilt ein normativer Maßstab mit Parallelen zur Produzentenund Produkthaftung: Geht es dort um die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verkehrsteilnehmer (§ 3 Abs. 1 lit. b ProdHaftG),187 kommt es im Kaufrecht auf die berechtigten Beschaffenheitserwartungen des Käufers an. Deren Rahmen wird in erster Linie durch den Preis des Produkts bestimmt: Denn zum Preis eines Kleinwagens kann der Produktkäufer nicht das Funktionsspektrum einer Luxuslimousine erwarten (Sitzheizung, Navigationssystem, Seitenaufprallschutz usw.).188 Dem liegt die erstmals von amerikanischen Gerichten ausgesprochene Überlegung zugrunde, dass die Erwartungen des Produktkäufers nicht unabhängig von dem durch den Produktpreis eröffneten technischen und wirtschaftlichen Gestaltungsrahmen des Verkäufers (und Herstellers) beurteilt werden dürfen.189 Im Einzelnen liegt dieser Preis-/Wertrelation (Risk Utility) ein kompliziertes Geflecht von ineinandergreifenden Wertungen zugrunde.190 Im Recht der Produzenten- und Produkthaftung ist aber darüber hinaus anerkannt, dass der Produktkäufer unabhängig vom Preis stets eine sog. Basissicherheit erwarten darf:191 Das Produkt muss elementaren Anforderungen genügen, die unabhängig vom Produktpreis erwartet werden dürfen (eine Treppe muss begehbar sein, ein Auto muss bremsen können). Dies gilt letztlich auch im Kaufrecht. Hingegen hat der Käufer keine Sachmängelansprüche bei Eintritt offenkundiger oder unvermeidbarer Risiken: Ein Küchenmesser ist nicht mangelhaft, weil man sich an der scharfen Schneide verletzen 187 Vgl. im Überblick Staudinger/Oechsler § 3 ProdHaftG Rn. 83ff. 188 Vgl. aus dem umfangreichen Schrifttum zur Produzentenhaftung: Diederichsen, in: Pro-

bleme der Produzentenhaftung, 1988, S. 9, 22f.; Kötz, in: FS W. Lorenz, 1991, S. 109, 115ff.; Lüderitz, in: FS Rebmann, 1989, S. 755, 763ff.; Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1036; aA. Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 41 (= BeckOK). 189 Barker v. Lull Engineering Co., 573 P.2d 443, 454 [1978]; dazu Kötz, in: FS W. Lorenz, 1991, S. 109, 115ff.; Lüderitz, in: FS Rebmann, 1989, S. 755, 763ff. 190 Kötz, in: FS W. Lorenz, 1991, S. 109, 115ff.; Lüderitz, in: FS Rebmann, 1989, S. 755, 763. 191 RegE BT-Drucks. 11/2447, S. 18; Schlechtriem VersR 1986, 1033, 1036; F. Graf von Westphalen NJW 1990, 83, 88; kritisch hinsichtlich des Begriffs Kötz, in: FS W. Lorenz, 1991, S. 109, 115.

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kann, Zigaretten weichen nicht von der Normalbeschaffenheit ab, weil sie die bekannten Gesundheitsgefahren bergen.192 Bei der Konkretisierung der Normalbeschaffenheit kann es auch auf die besonderen persönlichen Voraussetzungen des Käufers oder des von ihm verschiedenen Empfängers der Kaufsache ankommen, wenn diese für den Verkäufer erkennbar sind. Dies gilt gerade für Kinderspielzeug. Gegenüber Kindern gilt nämlich der aus dem allgemeinen Deliktsrecht bekannte Vertrauensgrundsatz nicht:193 Alle Verkehrsteilnehmer müssen sich also auf rechtswidriges und unvernünftiges Verhalten von Kindern einstellen. Allerdings braucht nicht jeder Verkäufer sich auf den Erwartungshorizont von Kindern einzustellen. Voraussetzung ist vielmehr, dass die Kaufsache sich an Kinder richtet, wie bspw. Kinderspielzeug oder zur Erziehung und Pflege von Kindern verwendete Produkte.194 Der Käufer darf schließlich nur eine Sache von mittlerer Art und Güte erwarten (arg. e § 243 Abs. 1) und kein Spitzenprodukt. Entsprechend dem Wortlaut des § 434 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 muss sich die Sache ferner zur üblichen Verwendung eignen. Deshalb kommt ein Mangel dort nicht in Betracht, wo eine Negativabweichung die Nutzung der Sache durch den Käufer nicht nennenswert beeinträchtigt. Hier zieht der BGH erkennbar auch eine Erheblichkeitsschwelle ein:195 (BGH 7.2.2007 – VIII ZR 266/06 = NJW 2007, 1351) K erwarb von V nach einem Proberitt eine vierjährige Stute für 7.000 €. Nachträglich stellt sich heraus, dass der Raum zwischen zwei Dornfortsätzen des Pferdes zu eng ist. Gemäß dem Röntgenleitfaden, den die Bundestierärztekammer mit Hochschulen und Tierärzten entwickelt hat, gehört das Tier in die Röntgenklasse II bis III. Röntgenklasse II erfasst „Befunde, die gering von der Norm abweichen, bei denen klinische Erscheinungen wenig wahrscheinlich sind“, Röntgenklasse III hingegen „Befunde, die deutlich von der Norm abweichen, bei denen klinische Erscheinungen allerdings ebenfalls wenig wahrscheinlich sind“. K erklärt darauf den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangt den Kaufpreis zurück.

Der BGH verneint die Voraussetzungen eines Mangels nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, weil die Wahrscheinlichkeit eines klinischen Befundes gering gewesen sei, der Käufer eines Tieres aber mit Abweichungen von der Norm rechnen müsse (Tz. 16). Er könne insbesondere nicht erwarten, ein Pferd mit idealen Anlagen zu erwerben (Tz. 19). Die Kritik will indes Parallelen zu den Fällen des Mangelverdachts ziehen (vgl. auch zum Folgenden Rn. 98).196 Im Fall des Montagsautos oder des merkantilen Minderwerts tragen in der Tat die vom Käufer nachgewiesenen Mängel die widerlegliche Vermutung, dass der Kaufsache in erheblichem Umfang weitere, nicht nachgewiesene Mängel anhaften. In beiden 192 RegE BT-Drucks. 11/2447, S. 18; Wieckhorst VersR 1995, 1005, 1011. 193 Vgl. dazu Medicus/Petersen BR Rn. 651–652. 194 Vgl. die Parallelproblematik im Recht der Produzenten-/Produkthaftung: BGHZ 116, 60 =

NJW 1992, 560 – Kindertee I; BGH NJW 1994, 932 – Kindertee II; Honsell JuS 1995, 211. 195 BGH NJW 2011, 2872, Tz. 12. 196 E. Graf von Westphalen ZGS 2007, 168, 169.

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Fällen ist jedoch Voraussetzung, dass der Verkäufer für die nachgewiesenen Mängel die Risikoverantwortung trägt. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil der Käufer kein Pferd von idealer Beschaffenheit erwarten darf, sondern nur ein Tier von mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1). Deshalb kommt eine Verantwortung für einen Mangelverdacht nicht in Betracht. Auch überzeugt der Einwand nicht, es existiere bei Pferden keine Normalbeschaffenheit, weil jedes Tier mit individuellen Eigenschaften ausgestattet sei.197 Entsprechend dem Grundgedanken des § 243 Abs. 1 muss der Käufer bei einem Lebewesen ein durchschnittliches Maß an körperlichen Beeinträchtigungen hinnehmen, auch wenn deren Auftreten von Fall zu Fall variieren mag. Erkrankungen, die aktuell oder in absehbarer Zeit die Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigen, brauchen hingegen nicht toleriert zu werden. Strebt der Käufer nach höherer Qualität, muss er sich durch eine Beschaffenheitsvereinbarung oder eine Beschaffenheitsgarantie (§ 443) absichern. Er darf aber nicht auf den Schutz des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 vertrauen. Insbesondere bei Gebrauchtfahrzeugen darf der Käufer nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 nicht dieselben Funktionserwartungen wie bei einem Neuwagen unterhalten.198 Der danach zu tolerierende altersbedingte Verschleiß bestimmt sich nach der Anzahl der Vorbesitzer, der Laufleistung und der Art der Vorbenutzung sowie dem Kaufpreis und dem erkennbaren Pflegezustand des Fahrzeugs (BGH NJW 2008, 53, Tz. 19). Lange Standzeiten beim Händler stellen als solche keinen Mangel dar, sondern nur die konkret infolge der langen Standzeiten eingetretenen Funktionsdefizite (BGH NJW 2009, 1588, Tz. 17). Der Käufer darf bei einem Gebrauchtfahrzeug keine Originallackierung erwarten (BGHZ 181, 170 = NJW 2009, 2807, Tz. 15). Bei Neufahrzeugen liegt keine Negativabweichung vor, wenn ein Neuwagen mit einem Rußpartikelfilter ausgestattet ist und deshalb gelegentlich über größere Strecken bewegt werden muss (Überlandfahrten, Autobahnfahrten), weil nur dann die zur Reinigung erforderliche Abgastemperatur erreicht wird (BGH NJW 2009, 2056, Tz. 10ff.). Bei Unfallschäden eines Gebrauchtwagens liegt allerdings stets eine Abweichung von der Normalbeschaffenheit vor, wenn die Parteien keine anderslautende Vereinbarung getroffen haben.199 Denn auch bei vollständiger und fachgerechter Beseitigung des Schadens kann ein Mangel wegen eines merkantilen Minderwerts zurückbleiben, weil der Charakter eines Fahrzeugs als Unfallfahrzeug sich nicht durch Nachbesserung beseitigen lässt.200 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass bei einem großen Teil des Publikums eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb eines beschädigten Kfz besteht, die auf dem im Einzelfall nicht auszuschließenden Verdacht verborgen gebliebener Schäden und dem Risiko höherer Schadensanfälligkeit beruht (vgl. auch 197 198 199 200

E. Graf von Westphalen ZGS 2007, 168, 170f. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 214, linke Spalte. BGH NJW 2008, 53, Tz. 22. BGHZ 181, 170 = NJW 2009, 2807, Tz. 16.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Rn. 98).201 Ausgehend von diesen Überlegungen stellen Bagatellschäden keine Unfallschäden dar; allerdings gelten hier strenge Maßstäbe: Lackschäden sind Bagatellschäden,202 Blechschäden hingegen nicht.203 Liegt ein Unfallschaden vor, muss der Käufer wegen § 326 Abs. 5 keine Nachfrist setzen (Rn. 171). Ist der Unfallschaden dem Verkäufer bekannt, muss er diesen dem Käufer offenbaren. Andernfalls haftet er wegen vorsätzlicher Täuschung aus culpa in contrahendo (besonders weitgehend etwa Rn. 257). Auch nach der Beschädigung und Reparatur eines Hauses erkennt die Rechtsprechung aus ähnlichen Überlegungen heraus einen merkantilen Minderwert an.204 Im Rahmen des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 muss schließlich auch die besondere Fehleranfälligkeit von Software berücksichtigt werden: Ab einem gewissen Komplexitätsgrad der Aufgabenstellung sind die Steuerungsabläufe eines Computerprogramms nicht ad hoc fehlerfrei programmierbar. Weil Softwarefehler jedoch immense Schäden verursachen können, darf der Käufer Basissicherheit (Rn. 118), dh. Verlässlichkeit im Hinblick auf die zentralen Funktionen eines Programms erwarten,205 muss aber in einer Anfangszeit der Erprobung kleinere Störungen, etwa im Bereich des § 323 Abs. 5 Satz 2, tolerieren. Aus ganz eigenen Gründen stellt eine schlechte Verpackung der Kaufsache keinen Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 dar (Rn. 94). Zur Normalbeschaffenheit zählt schließlich auch die Einhaltung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften und Produktsicherheitsvorschriften, die zum Betrieb der Sache erforderlich ist. Denn andernfalls kann der Käufer sie gar nicht legalerweise benutzen (Rn. 103).206 ee) Werbeaussagen des Herstellers (§ 434 Abs. 1 Satz 3)

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Nach § 434 Abs. 1 Satz 3 wird die Normalbeschaffenheit (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) auch durch Eigenschaften konkretisiert, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder seines Gehilfen, insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache, erwarten kann. Die Norm setzt Art. 2 Abs. 2 lit. d VerbrGüterKRiL um, bestätigt aber im Grundsatz eine bereits nach altem Recht bestehende Ansicht,207 der jedoch folgende Entscheidung entgegenstand: (BGH 14.2.1996 – VIII ZR 65/95 = BGHZ 132, 55 = NJW 1996, 1337 – Volvo) K kauft bei V einen Neuwagen. Den Vertragsverhandlungen liegt der Herstellerprospekt zugrunde. Dort wird der Kraftstoffverbrauch so angegeben: Stadtverkehr = 9,8 Liter; Geschwindigkeit von 90 km/h = 6,3 Liter; Geschwindigkeit von konstant 120 km/h = 8,5 Liter. Auf ausBGHZ 161, 151 = NJW 2005, 277, 279. BGHZ 181, 170 = NJW 2009, 2807, Tz. 17. BGH NJW 2008, 53, Tz. 20. BGH NJW 2013, 525, Tz. 19. Überblick bei Staudinger/Matusche-Beckmann § 434 Rn. 239ff. BGH WM 1985, 463, 464; vgl. Näheres bei der Parallelproblematik der Produkthaftung Staudinger/Oechsler § 3 ProdHaftG Rn. 94ff. 207 BGHZ 132, 55; Ehmann/Rust JZ 1999, 853, 856. 201 202 203 204 205 206

B. Käuferrechte

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drückliche Nachfrage des K erklärt V, der Wagen verbrauche erfahrungsgemäß 8 Liter auf 100 Kilometern. K verlangt Nacherfüllung, weil der ihm verkaufte Wagen auf 100 Kilometern 11,0 Liter verbraucht.

Fraglich war, ob die Äußerung des Verkäufers über den Durchschnittsverbrauch eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 beinhaltete. Dies verneint der BGH erstaunlicherweise gerade wegen des gleichzeitig vorliegenden und widersprechenden Herstellerprospekts: Der Kunde dürfe angesichts der im Prospekt gelieferten Angaben nicht davon ausgehen, dass der Verkäufer sich binden wolle. Denn dieser sei im Hinblick auf die technischen Details kein Experte, der über größeres Wissen verfüge als der Hersteller (S. 1337). Auch aus dem Umstand, dass sich der Verkäufer den Prospekt bei den Vertragsverhandlungen zu eigen machte, sollte keine Verpflichtung folgen: Für den Käufer könne nämlich kein Zweifel daran bestehen, dass der Händler dabei nur über die typbezogenen Herstellerangaben informieren wolle und keine Beschaffenheitsgarantie übernommen habe (S. 1338). Auf diese Weise konnten die beiden Verantwortungssphären von Hersteller und Verkäufer gerade gegen den Käufer ausgespielt werden. § 434 Abs. 1 Satz 3 folgt einem anderen Verständnis: Danach trägt der Verkäufer für die öffentlichen Äußerungen des Herstellers (zum Begriff: Rn. 126) deshalb Verantwortung, weil er sich diese gegenüber dem Kunden zunutze macht.208 Der Verkäufer ist aber auch an seine eigenen öffentlichen Äußerungen gebunden. Auf deren Grundlage kann eine Beschaffenheitsgarantie nach § 443 Abs. 1 zustande kommen (Rn. 355). Da diese ihrer Rechtsnatur nach stets eine Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 mit beinhaltet, tritt § 434 Abs. 1 Satz 3, der sich auf den nachrangigen Fall des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bezieht, hinter § 434 Abs. 1 Satz 1 zurück.209 § 434 Abs. 1 Satz 3 begründet ansonsten eine widerlegliche Vermutung für die Einbeziehung der Äußerung in die Kaufentscheidung. Dies lässt sich – ähnlich wie bei einem Kapitalanlageprospekt – damit begründen, dass die öffentlichen Äußerungen des Verkäufers oder Herstellers die Kaufinteressenten in eine Erwerbsstimmung versetzen, die erfahrungsgemäß kausal für einen zeitlich nachfolgenden Vertragsschluss mit dem einzelnen Verkäufer ist (Rn. 1306). Entsprechend diesem Rechtsgedanken hat der Verkäufer drei Entlastungsmöglichkeiten: Er haftet nicht, wenn er die Äußerung weder kannte noch kennen musste, wobei sich aus der negativen Formulierung ergibt, dass der Verkäufer die Beweislast trägt. Fernseh- und Zeitungswerbung seines Herstellers in landläufigen Publikationsorganen muss der Verkäufer dabei wohl in aller Regel kennen. Eine Haftung kommt ebenfalls nicht in Betracht, wenn der Verkäufer die öffentliche Aussage des Herstellers in gleichwertiger Weise berichtigt. Im Hinblick auf die Gleichwertigkeit der Berichtigung zählt das Ergebnis. Es kommt darauf an, 208 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 214, rechte Spalte, erster Absatz. 209 Ähnlich Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 75 (= BeckOK); Staudinger/Matusche-Beck-

mann § 434 Rn. 96.

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§ 2 Der Kaufvertrag

„dass eine ursprünglich unzutreffende Werbeaussage im Zeitpunkt des Kaufs … keinen Einfluss mehr auf die Kaufentscheidung haben kann“.210 Dies ist nicht nur bei der individuellen Berichtigung gegenüber dem Käufer der Fall, sondern auch dann, wenn „nach den berechtigten Erwartungen des berichtigenden Verkäufers oder Dritten ein durchschnittlicher Käufer von ihr Kenntnis erlangt hätte“.211 Besonders interessant erscheint der dritte Entlastungsgrund, der Fall nämlich, dass die öffentliche Äußerung die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte. Das ist unproblematisch dann der Fall, wenn die Kaufentscheidung vor der Äußerung gefallen ist oder wenn der Käufer es schlicht besser weiß. Denkbar ist dies jedoch auch dann, wenn der Käufer der Äußerung nicht vertrauen durfte: S stellt Sitze für den von H hergestellten Fahrzeugtyp X her. Er wirbt für sein Unternehmen in Tageszeitungen mit folgendem Text: „Wir bauen auch die Sitze für das 3-Liter-Auto X!“ K kauft später ein Fahrzeug des Typs X von V und stellt fest, dass der Verbrauch 5 Liter auf 100 Kilometern beträgt. Er verlangt von V sein Geld zurück. Weder V noch H haben jedoch eine ähnliche Behauptung über den Verbrauch von X aufgestellt.

Hier kommt die öffentliche Äußerung eines Herstellergehilfen iSd. § 434 Abs. 1 Satz 3 in Betracht. In Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 278 Satz 1, der hier aber mangels Willenserklärung nicht unmittelbar anwendbar ist,212 dürfte es für die Zurechnung darauf ankommen, dass der Hersteller den Dritten im Rahmen der öffentlichen Präsentation der Kaufsache eingeschaltet hat. Dies ist beispielsweise nicht bei einem unabhängigen Testinstitut der Fall, wohl aber bei einer Werbeagentur.213 Vorliegend dürfte danach eine Zurechnung ausscheiden: Zwar arbeitet der Hersteller mit dem Zulieferer zusammen. Er hat ihn jedoch nicht bei der öffentlichen Präsentation seines Produktes iSd. § 278 Satz 1 eingeschaltet. Hinzu kommt, dass der Käufer nicht schutzwürdig auf die Äußerungen des Zulieferers vertrauen darf. Die Aussage über den Kraftstoffverbrauch steht nicht im Mittelpunkt der Werbeäußerung des S, sondern soll das Fahrzeug, für das die angepriesenen Sitze auch verwendet werden, nur identifizieren helfen. S ist ferner im Hinblick auf den Kraftstoffverbrauch auch nicht kompetent. K kann daher nicht davon ausgehen, dass S hier für seine Aussage zum Kraftstoffverbrauch eigene Verantwortung übernehmen will.

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Öffentlich sind die Äußerungen regelmäßig, wenn sie sich an einen unbestimmten Personenkreis richten (ad incertas personas). Der Herstellerbegriff richtet sich nach dem weiten Tatbestand des § 4 Abs. 1 und 2 ProdHaftG. Danach sind insbesondere auch Importeure verantwortlich, wenn die Kaufsache außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums produziert wurde (Abs. 2). Daneben kommt es auf Aussagen von Quasi-Herstellern (Abs. 1 Satz 2) an: Dies sind 210 211 212 213

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 215, linke Spalte. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 215. Jauernig/Berger § 434 Rn. 16; MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 32. MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 32.

B. Käuferrechte

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Personen, die durch Anbringen von Marken oder anderen Kennzeichen den Rechtsschein erwecken, Hersteller zu sein.214 ff) Montagemängel (§ 434 Abs. 2)

Nach § 434 Abs. 2 Satz 1 liegt ein Mangel auch bei fehlerhafter Montage durch den Verkäufer oder seinen Erfüllungsgehilfen vor. In den Gesetzesmaterialien kommt der Normzweck nicht vollständig zum Ausdruck.215 Er dürfte in der Umsetzung von Art. 1 Abs. 4 VerbrGüterKRiL liegen, durch den große Bereiche des Werklieferungsvertrages systematisch dem Kaufrecht zugeordnet werden (§ 650 Satz 1). Bei diesem Vertragstyp ist der Schuldner nicht nur zur Übereignung einer beweglichen Sache verpflichtet, sondern auch zu einer mit ihr verbundenen Werkleistung. § 434 Abs. 2 Satz 1 bezieht sich auf die Beschaffenheit dieser Werkleistungskomponente:

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(Im Anschluss an die Leitentscheidung zu § 650; Rn. 1178: V verspricht K die Lieferung von Containerboxen und deren Installation als Siloanlage: Mängel der Containerboxen werden von § 434 Abs. 1 erfasst (fehlende Dichtigkeit). Mängel der Installation hingegen von § 434 Abs. 2 Satz 1 (fehlende Festigkeit der Montage).

Eine Besonderheit des Montagefehlers liegt schließlich darin, dass der Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht bei Übergabe der Kaufsache liegt, sondern in dem Moment, in dem der Käufer die Montage grundsätzlich billigt (str.; Rn. 90). V liefert im Beispiel die Boxen bei K am 1.6. an und montiert diese am 10.6. Nachträglich stellt sich heraus, dass die Boxen nicht ausreichend fest montiert wurden. Hier liegt ein Mangel iSd. § 434 Abs. 2 Satz 1 vor, weil es nicht darauf ankommen kann, dass die Funktionsstörung vor dem 1.6. vorlag. Stichtag ist vielmehr der 10.6. Dies ist allerdings umstritten (Rn. 90).

§ 434 Abs. 2 Satz 2 wird scherzhaft als IKEA-Klausel bezeichnet.216 Danach kann ein Sachmangel allein auf der fehlerhaften Montageanleitung beruhen. Mögliche Defizite können dabei in der Unverständlichkeit der Hinweise, aber auch in einer konkreten Fehlanleitung bestehen. Professor K hat einen Aufbaumöbelschrank von V erworben. In der Aufbauanleitung heißt es: „Nachdem Sie die Dübel in die Bohrungen E 21 bis 23 eingesetzt haben, pressen Sie bitte beide Schrankwände fest zusammen; notfalls kurz mit dem Hammer beiklopfen.“ K’s Kräfte reichen für ein manuelles Zusammenpressen der Schrankwände nicht aus. So greift er zu einem Stahlhammer. Durch dessen Aufschlag reißt das Holzfurnier des Schrankes irreparabel ein. K war unbekannt, dass es auch gummibeschlagene Holzhämmer gibt. Kann er den Rücktritt erklären?

214 Str.; wie hier: BGH NJW 2005, 2695, 2696; Staudinger/Oechsler § 4 ProdHaftG Rn. 54ff.

mwN. 215 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 215, rechte Spalte. 216 H.P. Westermann JZ 2001, 530, 533.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Ob eine Gebrauchsanleitung fehlerhaft ist, beurteilt sich nach dem Horizont eines objektiven Beobachters in der Position der vom Verkäufer angesprochenen Verkehrskreise.217 Dabei kommt es auf Durchschnittsmaßstäbe an. Wendet sich der Verkäufer regelmäßig nur an professionelle Käufer, ist die Mitteilung von Anfängermontagewissen entbehrlich. Bei Verbrauchern darf der Verkäufer indes keinen professionellen Sachverstand voraussetzen. Allerdings muss der Verkäufer auch hier von einem Mindestmaß an Alltagswissen ausgehen dürfen, weil er andernfalls seine Informationspflichten nicht erfüllen könnte. Im Beispielsfall kann der Käufer nicht erwarten, vom Verkäufer auch über elementarste Zusammenhänge der Möbelmontage beraten zu werden. Schreitet er dennoch ohne professionelle Hilfe zur Tat, handelt er auf eigenes Risiko. Aus § 434 Abs. 2 Satz 2 folgt ebenfalls, dass der Käufer gegenüber dem Verkäufer einen Nacherfüllungsanspruch auf Überlassung einer Montageanleitung hat: Liegt nämlich der Mangel in der fehlenden Montageanleitung, kommt die Beseitigung nur in Gestalt der Überlassung einer tauglichen Montageanleitung in Betracht. Im Fall des § 434 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz kann sich der Verkäufer wiederum entlasten, wenn dem Käufer die Montage auch ohne eine mangelfreie Montageanleitung gelingt. K hat vom Möbelhaus V eine Vitrine erstanden. Weil ihm die in vietnamesischer Sprache verfasste Montageanleitung nicht weiterhilft, bittet er den befreundeten Schreiner S um Hilfe. Dieser errichtet die Vitrine darauf für K. Als K ein Jahr nach dem Kauf umziehen muss, S aber nicht zur Hand ist, verlangt er von V eine Montageanleitung in deutscher Sprache. Der Nacherfüllungsanspruch des K gegen V nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 setzt voraus, dass die Vitrine nach § 434 Abs. 2 Satz 2 mangelhaft ist.

Es ist umstritten, ob der Mangel mit dem gelungenen Aufbau endgültig beseitigt ist. Zu Recht wird dies unter Hinweis auf ein mögliches Interesse des Käufers verneint, die Sache ein weiteres Mal ab- und wieder aufzubauen.218 Die Gegenauffassung beruft sich hingegen auf den Normwortlaut und geht von Mangelfreiheit aus.219 Doch erscheint der Normwortlaut zu weit gefasst. In ihm kommt nur die Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056) zum Ausdruck: Danach kann der Gläubiger aus einer Pflichtverletzung des Schuldners nichts herleiten, wenn diese bei ihm keinen Schaden verursacht. Gelingt der Aufbau trotz fehlerhafter Anleitung, wirkt sich die Pflichtverletzung des Verkäufers insoweit nicht aus. Soweit jedoch aus Sicht des Käufers eine Zweitmontage erforderlich wird, zeigen sich für ihn sehr wohl negative Auswirkungen des Mangels. Dabei steht dem Käufer ein Recht auf Zweitmontage zu; denn der Verkäufer hat sich nach § 433 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet, den Käufer zum Eigentümer zu machen. Der Eigentümer darf aber mit der Sache nach Belieben verfahren, also 217 Interessantes Beispiel BGH NJW 2007, 3057. 218 MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 41. 219 Rappenglitz JA 2003, 35, 39; Reinicke/Tiedtke Rn. 339; Tiedtke/Schmitt DB 2005, 1555,

1558.

B. Käuferrechte

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auch die Kaufsache abbauen und ein zweites Mal montieren (§ 903 Satz 1). Zeitliche Schranken für die damit korrespondierende Verkäuferverantwortung ergeben sich allein aus der Verjährung nach § 438. Die Entlastungsnorm des § 434 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz muss daher teleologisch reduziert werden. Dies gilt auch für abgeleitete Ansprüche des Zweitkäufers: K erwirbt von V den Bausatz einer Vitrine; allerdings fehlt eine brauchbare Montageanleitung. K gelingt der Aufbau dennoch. Kurze Zeit später veräußert K die Vitrine an D, der diese bei einem Umzug zunächst wieder auseinander bauen muss. Weil D mit dem Wiederaufbau Schwierigkeiten hat, verlangt er von V eine taugliche Montageanleitung.

Teilweise wird vertreten, der Zweitkäufer handele hier auf eigene Gefahr, so dass ihm keine eigenen Rechte gegen den Verkäufer zustünden.220 Dies überzeugt nicht, weil der Nacherfüllungsanspruch des Erstkäufers in seinen Tatbestandsvoraussetzungen nicht untergegangen ist, sondern im Zweifel an den Zweitkäufer nach § 398 abgetreten ist. Dafür spricht, dass der Zweikäufer gegenüber dem Erstkäufer einen Anspruch auf Abtretung hat – entweder aus einem allgemeinen Rechtsgedanken aus §§ 285 Abs. 1, 255 oder unmittelbar aus § 242. Die Interessenlage erinnert an die Konstellationen der Drittschadensliquidation im Falle der mittelbaren Stellvertretung (Rn. 1332): Wie dort darf es dem Verkäufer nicht zugutekommen, wenn sich der von seiner Fehlleistung ausgehende Schaden zufälligerweise auf eine andere Person verlagert. Der Umfang der den Verkäufer treffenden Pflicht ist allein durch die Verjährung nach § 438 beschränkt, nicht durch den Weiterverkauf der Sache.221 Fraglich ist, ob der Nacherfüllungsanspruch bei einem Mangel der Montageanleitung auch auf den Abbau der fehlerhaft montierten Kaufsache gerichtet ist. Die neuere Rechtsprechung des EuGH legt dies bei einem Verbrauchsgüterkauf nahe (Rn. 175). § 439 Abs. 3, der diese Judikatur umsetzt, regelt den Fall jedoch nicht ausdrücklich. Weil das zugrunde liegende Urteil des EuGH als verfehlt erscheint (Rn. 177), besteht kein Anlass zu einer entsprechenden Normanwendung. Fraglich ist ferner, ob § 434 Abs. 2 Satz 2 auch auf Gebrauchsanleitungen passt, die nicht den Vorgang der Montage, sondern die spätere Verwendung der Kaufsache betreffen. Dagegen spricht, dass die Entlastung des Verkäufers nach § 434 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz (ein Sachmangel liegt nicht vor, wenn die Montage gelingt) hier nicht passt: Denn die unzureichende Gebrauchsanleitung betrifft den dauernden Gebrauch der Sache und erzeugt länger andauernde Gefahren. Als „Schlüssel zur Kaufsache“ fällt der Fall der fehlerhaften Gebrauchsanleitung daher eher unter § 434 Abs. 1 Satz 1.222

220 Reinicke/Tiedtke Rn. 350. 221 Ähnlich Brand ZGS 2003, 96, 100. 222 Brand ZGS 2003, 96, 97f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

gg) Lieferung einer anderen Sache (§ 434 Abs. 3) und Sonderfälle des Mangels 132

(1) Die Extremabweichung und das Problem der Flucht in die Nacherfüllung. Nach § 434 Abs. 3 steht es einem Sachmangel gleich, wenn der Verkäufer

eine andere Sache liefert. Damit will der Gesetzgeber „die Falschlieferung … ausdrücklich einem Sachmangel gleich(setzen).“223 Dies leuchtet zunächst unmittelbar bei der Gattungsschuld ein: (RGZ 99, 147 – Haakjöringskød)224 V verkauft K eine Ladung „Haakjöringskød“. Beide denken dabei an Walfleisch. Tatsächlich handelt es sich um Haifischfleisch. Solches wird K auch später geliefert. Kann K die Lieferung einer Ladung Walfleisch verlangen, wenn V die Einrede nach § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 wegen unverhältnismäßiger Kosten erhebt?

Fraglich ist zunächst, ob überhaupt ein auf Walfleisch gerichteter Lieferanspruch entstanden ist. Die gemeinsame Falschbezeichnung wird aber als unschädlich angesehen, wenn beide Parteien vom selben Vertragsgegenstand ausgehen (falsa demonstratio non nocet).225 Danach war Walfleisch vereinbart. § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 sind schließlich nur anwendbar, wenn die Lieferung von Haifischfleisch einen Mangel darstellt. Auf die klassisch zu nennende Frage „Ist Haifischfleisch schlechtes Walfleisch?“ lautet die Antwort des Gesetzes jetzt so: Nein, aber die Lieferung von Haifischfleisch wird nach § 434 Abs. 3 der Lieferung von mangelhaftem Walfleisch in den Rechtsfolgen gleichgestellt! Folglich stehen K mit Gefahrübergang an der Lieferung die Rechte aus §§ 437 Nr. 1, 439 zu und V kann sich uU. nach § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 zweiter Halbsatz entlasten.

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Immer schon sprachen gewichtige Argumente für die grundsätzliche Gleichstellung von Aliud und Sachmangel.226 Ebenso lang ist aber auch ein Schutzinteresse des Käufers dahingehend diskutiert worden, durch eine Aliudlieferung des Verkäufers nicht die eigenen Rechte einzubüßen. Deshalb kam es nach altem Recht beim Handelskauf auf die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit der Aliudlieferung durch den Käufer an (§ 378 HGB aF.). Bei Verbrauchern war der Schutz noch strenger: Hier kam eine Gleichstellung nur in Betracht, wenn die gelieferte Sache derselben Gattung angehörte wie die geschuldete.227 Denn nach Gefahrübergang, der ja nach hM. nur die Übergabe, nicht aber eine Billigung des Käufers voraussetzt (Rn. 89ff.), ist der Käufer auf Nacherfüllung im Hinblick auf die gelieferte Sache angewiesen (§§ 437 Nr. 1, 439): Insbesondere gegen den Nachlieferungsanspruch des Käufers auf die geschuldete Sache (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 zweiter Fall) kann der Verkäufer sich dann unter erleichterten Voraussetzungen (nach § 439 Abs. 4 statt nach § 275) verteidigen. § 434 Abs. 3 kennt jedoch keinen ausdrücklichen Käuferschutz vor dieser Gefahr. 223 224 225 226 227

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 216, linke Spalte. Dazu Martinek JuS 1997, 136. Vgl. Wieling AcP 172 (1972) 297; ders. JZ 1983, 760, 761; Medicus/Petersen BR Rn. 124. Vgl. nur Staudinger/Honsell, 13. Aufl. 1995, § 459 Rn. 21; Larenz II/1 § 41 III. BGH NJW 1989, 218; ebenso etwa MünchKomm/Westermann, 3. Aufl. 1995, § 459 Rn. 2.

B. Käuferrechte

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Die Folgen verdeutlicht der Fall der Extremabweichung: V verkauft K Walfleisch und liefert aber stattdessen eine Palette Ziegelsteine an, die ein Angestellter im Warenlager des K etwas ratlos entgegennimmt.

Nach vorzugswürdiger Auffassung muss § 434 Abs. 3 teleologisch reduziert werden und ist nur anwendbar, wenn die gelieferte Ware nicht offensichtlich von der bestellten Ware so stark abweicht, dass der Verkäufer eine Genehmigung durch den Käufer für ausgeschlossen halten muss.228 Allerdings hatte der Gesetzgeber das Kriterium der Genehmigungsfähigkeit bewusst nicht in den Tatbestand des § 434 Abs. 3 aufgenommen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden.229 Jedoch können Abgrenzungsschwierigkeiten in Fällen dieser Art gar nicht vermieden werden, wenn man ein grundsätzliches Schutzinteresse des Käufers überhaupt anerkennt. Von diesem ging aber auch der Gesetzgeber aus: „Voraussetzung für die Gleichstellung von Falsch- und Zuweniglieferung mit Sachmängeln ist, dass der Verkäufer die Leistung als Erfüllung seiner Pflicht erbringt. Für den Käufer muss erkennbar dieser Zusammenhang zwischen Leistung und Verpflichtung bestehen, und es darf sich nicht um eine Teilleistung oder eine Leistung auf Grund einer anderen Verbindlichkeit handeln.“230

Das zugrunde liegende Problem wurzelt in der Dogmatik der Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1. Regelmäßig setzt die Erfüllung nach § 362 Abs. 1 nur eine reale Leistungsbewirkung voraus. Dies bedeutet, dass es nur darauf ankommt, dass der Schuldner den von ihm geforderten Realakt (Dienstleistung, Unterlassung usw.) erbringt (Theorie von der realen Leistungsbewirkung).231 Besteht aber Zweifel an der Zuordnung einer Vermögenszuwendung zu einer Schuld und damit an der Erfüllungswirkung, kommt es darauf an, ob der Schuldner eine Tilgungsbestimmung iSd. § 366 Abs. 1 abgegeben hat, eine Willenserklärung also, die eine Verbindung zwischen der Schuld und der Zuwendung iSd. § 362 Abs. 1 herstellt.232 Als Rechtsfolge der Tilgungsbestimmung wird die Vermögenszuwendung (Übereignung einer Sache) einer bestimmten Verbindlichkeit (Lieferanspruch aus dem Kaufvertrag) zugeordnet. Das Problem der Tilgungsbestimmung und ihrer Auslegung ist vor allem aus dem Bereicherungsrecht und dort von den Fällen der Leistungskondiktion im Dreiecksverhältnis bekannt (Beispiel: Rn. 1342a). Nach der hM. muss die vom Zuwendenden abgegebene Tilgungsbestimmung nach §§ 133, 157 vor dem objektiven Horizont des Zuwendungsempfängers ausgelegt werden (Lehre vom objektiven Empfängerhorizont), weil auch hier in vielen Fällen zunächst unklar ist, welchem Schuldverhältnis eine Zuwendung gerade zuzuordnen ist.233 228 Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber, 2006, S. 73, 90ff.; Ehmann/Sutschet S. 221f. 229 Tiedtke/Schmitt JZ 2004, 1092, 1094f. mwN. in Fn. 43; Reinicke/Tiedtke Rn. 358ff.; Mu-

sielak NJW 2003, 89, 92; Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 108 (= BeckOK). 230 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 216, rechte Spalte. 231 Dazu und zum Folgenden: Tiedtke/Schmitt JZ 2004, 1092, 1096f.; Reinicke/Tiedtke Rn. 361ff.; vgl. auch die Kritik von Musielak NJW 2003, 89, 91. 232 BGH NJW 2007, 3488, Tz. 17; Beckhaus, Die Rechtsnatur der Erfüllung, 2013, S. 33ff. 233 Dazu und zugleich zur Kritik MünchKomm/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 57f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Bei der Extremabweichung stellt sich folglich die Frage, ob die Lieferung einer Sache durch den Verkäufer noch dem Anspruch aus § 433 Abs. 1 zugeordnet werden kann. Im Wege der Auslegung ist daher zu klären, ob der Verkäufer nach §§ 133, 157 aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Käufers überhaupt noch eine Tilgungsbestimmung abgibt. Wer dem folgt, verneint regelmäßig die Möglichkeit einer Tilgungsbestimmung ebenso wie die Anwendbarkeit des § 434 Abs. 3.234 Die Gegenauffassung hingegen verzichtet auf das Erfordernis einer Tilgungsbestimmung und wendet § 434 Abs. 3 unmittelbar an.235 Sie beruft sich auf das Anliegen des Gesetzgebers, sämtliche Abweichungen einheitlich durch § 434 Abs. 3 zu erfassen und dadurch Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden. Andererseits zielen ihre Überlegungen auf die Ebene der Erfüllungstheorie. Die regelmäßige Annahme einer Tilgungsbestimmung führe zu einer Theorie der finalen Leistungsbewirkung, was mit den Wertungen der Theorie von der realen Leistungsbewirkung nicht vereinbar sei. Beide Argumente überzeugen indes nicht. Denn gerade der Gesetzgeber ging im Falle der Aliudlieferung von der Maßgeblichkeit der Sichtweise des Käufers aus (vgl. das Wortlautzitat in Rn. 134). Die Theorie der realen Leistungsbewirkung greift aber nicht, wenn die Zuordnung eines Vermögenstransfers zu einer Schuld iSd. § 362 Abs. 1 unklar bleibt.236 Hier gibt vielmehr § 366 Abs. 1 den Weg in Richtung einer Tilgungsbestimmung vor. Das zentrale Argument liegt jedoch im Käuferschutz. Denn der Gefahrübergang führt zu einer Verkürzung der Käuferrechte (Rn. 80): Zu leicht könnte sich der Verkäufer sonst durch die Leistung von „irgendetwas“ die erleichterte Befreiung nach § 439 Abs. 4 (statt nach § 275 Abs. 2 Satz 1) oder die kürzere Verjährung nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 (statt nach § 195) erschleichen (Flucht in die Nacherfüllung).237 Im Rahmen der Auslegung der Tilgungsbestimmung nach §§ 133, 157 schützt den Käufer jedoch der Verständnishorizont eines objektiven Empfängers. Kann dieser keine Verbindung zwischen dem Leistungsversprechen und der gelieferten Sache herstellen, also die Voraussetzungen einer Tilgungsbestimmung nicht bejahen, liegt kein Fall des § 434 Abs. 3 vor, sondern eine Nichtleistung. Der Verkäufer kann dann die Sache nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) herausverlangen, weil für ein Behaltendürfen kein Rechtsgrund besteht; als Erfüllung wirkt ihre Übereignung jedenfalls nicht (vgl. auch Rn. 137). Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob auf die nicht geschuldete Lieferung § 241a anwendbar ist (Rn. 138). (2) Die Meliuslieferung und § 241a. Probleme bereitet der Fall, dass die Ist-

beschaffenheit der Kaufsache positiv von der Sollbeschaffenheit abweicht. 234 Lettl JuS 2002, 866, 870; Thier AcP 203 (2003) 399, 414; Erman/Grunewald § 434 Rn. 61. Allgemeiner zum Problem der Abweichung: Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 66; Lorenz JuS 2002, 36, 37; Schulze NJW 2003, 1022f.; MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 44f. 235 Musielak NJW 2003, 89f.; Reinicke/Tiedtke Rn. 363ff. 236 BGH NJW 2007, 3488, Tz. 17; Beckhaus, Die Rechtsnatur der Erfüllung, 2013, S. 33ff. 237 Ehmann/Sutschet S. 221ff.

B. Käuferrechte

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K bestellt bei V eine Luxusuhr mit Stahlgehäuse zum Preis von 19.000 €; V liefert K die Uhr mit Goldgehäuse (Marktwert 38.000 €). K verlangt daraufhin im Wege der Nachlieferung ein Stahl- statt eines Goldgehäuses. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V auf Nachlieferung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Ein Kaufvertrag kam zwischen den Beteiligten zustande. Fraglich ist nur, ob die gelieferte Uhr mangelhaft iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 war: Einerseits weicht sie von der Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien ab, andererseits erscheint diese Abweichung nicht negativ.

Nach einer Auffassung soll bei der Meliuslieferung (Lieferung einer höherwertigen Kaufsache) § 434 Abs. 3 teleologisch reduziert werden. Denn durch die Lieferung von etwas Höherwertigem werde die vertraglich geschuldete Sollbeschaffenheit stets miterfüllt. Auch sei der Käufer in diesen Fällen nicht schutzwürdig, da ihm nur Gutes widerfahre.238 Zu Recht geht die hM. jedoch auch hier von einer Abweichung iSd. § 434 Abs. 3 aus.239 Dafür spricht das Prinzip der Privatautonomie (§ 311 Abs. 1) in der besonderen Ausprägung, die es in § 434 Abs. 1 Satz 1 erfahren hat. Danach bestimmen die Parteien die Sollbeschaffenheit allein nach ihren Vorstellungen und nicht nach objektiven Kriterien. Deshalb hat auch der Käufer das Recht, sich auf die Beschaffenheitsvereinbarung zu berufen und (aus welchen Gründen auch immer) auf minderer Qualität zu bestehen. Ein Gericht darf ihn nicht mit höherer Qualität zwangsweise beglücken, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, dass ein Günstigkeitsvergleich nicht immer so leicht gelingt, wie im vorliegenden Fall. Dafür spricht auch der § 333 zugrunde liegende Rechtsgedanke, dass niemand sich etwas gegen seinen Willen schenken lassen muss! Fortführung des Falles: Die Lieferung einer Uhr mit Goldgehäuse beruhte auf einem Versehen des V. V verlangt die Uhr nun zurück.

Bei der Kondiktion des Melius setzt sich der Streit um die dogmatische Begründung der Aliudlieferung fort (Rn. 135f.). Nach einer hier nicht vertretenen Auffassung (Rn. 135) steht der Zweck des § 434 Abs. 3, sämtliche Abweichungen abschließend zu erfassen und für Rechtsfrieden zu sorgen, einer Kondiktion entgegen.240 Eine weitere Ansicht bejaht die Kondizierbarkeit aus allgemeinen Überlegungen heraus.241 Ihre Vertreter gehen davon aus, dass die gelieferte Uhr nicht in Erfüllung des Kaufvertrages und daher rechtsgrundlos geleistet wurde. Der Verkäufer könne die Uhr also unmittelbar aus Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall) zurückverlangen. Diese Auffassung will aller238 Wenzel DB 2003, 1887, 1890; Wiese AcP 206 (2006) 904, 906; Thier AcP 203 (2003) 399, 419. 239 P. Huber, in: Huber/Faust, § 13 Rn. 156; Lettl JuS 2002, 866, 869f.; Tiedtke/Schmitt JZ 2004,

1092, 1097f.; Lorenz JuS 2003, 36, 39; Musielak NJW 2003, 89, 90; für eine analoge Anwendung Thier AcP 203 (2003) 399, 420. 240 Musielak NJW 2003, 89, 92. 241 Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber, 2006, S. 73, 87f.; Erman/Grunewald Vor § 437 Rn. 29 (Anfechtung der Übereignung); Jauernig/Berger § 434 Rn. 23f.: nur für die Zuviellieferung, nicht aber für die Falschlieferung.

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§ 2 Der Kaufvertrag

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dings den Umfang des Anspruchs nach § 818 einschränken, damit die Wertungen der §§ 434ff. nicht unterlaufen werden.242 Dogmatisch überzeugender erscheint jedoch ein dritter Ansatz:243 Der Verkäufer kann danach die von ihm abgegebene Tilgungsbestimmung anfechten und so das Band zwischen der Übereignung der Kaufsache und dem Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 als Rechtsgrund zerstören. Die Kaufsache ist dann rechtsgrundlos geliefert und kann aufgrund einer Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall) zurückgefordert werden. Als Anfechtungsgrund kommt § 119 Abs. 1 oder in einem Fall wie dem vorliegenden auch § 119 Abs. 2 in Betracht. Ein Vorteil gegenüber der zweiten Meinung liegt darin, dass der Verkäufer dem Käufer nach § 122 Abs. 1 auf den Vertrauensschaden haftet. In diesen wie in anderen Fällen der Lieferung einer unerwünschten Sache stellt sich die Frage, ob der Rückforderungsanspruch des Verkäufers durch § 241a Abs. 1 gesperrt ist. Vorübergehend waren durch § 241a Abs. 3 aF. Irritationen entstanden (vgl. die Vorauflage), die durch Abschaffung dieser Norm244 entfallen sind. Die von Abs. 1 ausgehende Sperrwirkung entfällt jetzt unter den Voraussetzungen des § 241a Abs. 2, wenn die Lieferung in der irrigen Vorstellung einer Bestellung erfolgt ist und der Empfänger dies mindestens hätte erkennen können. In den Fällen der Meliuslieferung dürfte sowohl ein entsprechender Irrtum auf Verkäuferseite als auch Erkennbarkeit auf Käuferseite bestehen. In den Fällen der Flucht in die Nacherfüllung (Rn. 136) bleibt die Sperrwirkung des § 241a Abs. 1 jedoch erhalten, da der Verkäufer in diesem Fall nicht irrtümlich, sondern vorsätzlich die falsche Sache liefert.

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(3) Die Individualabweichung. Bei der Stückschuld kommen zunächst In-

dividualabweichungen vor (auch Substanzabweichung, Qualifikationsaliud genannt): (OLG München 26.6.2012 – 5 U 2038/11 = NJW 2012, 2891) K erwirbt für rund 21.000 € auf der Bodensee-Kunstauktion vom Versteigerer V eine Buddhafigur, die im Katalog so beworben wird: „Sitzender Buddha. Dhyana Asana. […] China, Sui-Dynastie, 581–618. H 40 cm. Es handelt sich wahrscheinlich um den historischen Buddha Sakyamuni. Der regelmäßige Verlauf der ziemlich flachen Falten und das enge Anliegen des Gewandes am Körper entsprechen noch dem nördlichen Ch'i-Stil. Museal! 3.800,00 €“. Nachträglich stellt sich die Figur als Fälschung aus dem 20. Jahrhundert heraus. Nach einer nicht unproblematischen Rechtsprechung beinhalten Angaben in Kunstauktionskatalogen keinen Antrag auf Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung (Rn. 108). Das OLG lässt daher die Frage nach einem Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 offen und geht stattdessen von einem Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 aus, der durch öf-

242 Erman/Grunewald Vor § 437 Rn. 29; Lettl JuS 2002, 866, 869f.; Lorenz JuS 2003, 36, 39; differenzierend Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 169. Unmittelbar für die Anwendung von §§ 439 Abs. 5, 346 Abs. 1: Wiese AcP 206 (2006) 904, 922ff. 243 Tiedtke/Schmitt JZ 2004, 1092, 1098; P. Huber, in: Huber/Faust, § 13 Rn. 156; Thier AcP 203 (2003) 399, 403, 422; vgl. auch Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXIII. 244 Zu den Gründen RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 45, linke Spalte.

B. Käuferrechte

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fentliche Äußerung des Verkäufers nach § 434 Abs. 1 Satz 3 konkretisiert worden sei (S. 2892): Bei einer Auktion des vorliegenden Zuschnitts dürfe ein Käufer schutzwürdig auf die Echtheit der Auktionsgegenstände vertrauen.

Die Individualabweichung liegt dabei im Fehlen einer „zentrale[n] Sacheigenschaft, welche unter Berücksichtigung der Verkehrskreise, an die sich das Angebot […] richtet, die objektive Eignung der Kaufsache zur gewöhnlichen Verwendung begründet“ (OLG aaO. S. 2892). Fehlen der Kaufsache individualisierende Merkmale dieser Art, liegt ein Mangel vor. Dies folgt in anderen Fallgestaltungen aus einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1.245 Für deren Zustandekommen spricht nach §§ 133, 157 aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Käufers vor allem die Höhe des Kaufpreises. Die weniger überzeugende Gegenmeinung will hingegen § 434 Abs. 3 anwenden.246 Das zentrale Problem der Individualabweichung bei der Stückschuld liegt in der Frage, ob bei ihr ein Anspruch auf Nachlieferung begründet ist (Rn. 171ff.). (4) Das Identitätsaliud. Fraglich ist, ob § 434 Abs. 3 auch auf das Identitätsa-

liud anwendbar ist. Dabei wird nicht die von Verkäufer und Käufer spezifizierte Sache übereignet, sondern eine andere: V verkauft an K – nach einem Proberitt – das Pferd X als Turnierpferd. Geliefert und übereignet wird das Pferd Y. Kann sich V gegenüber dem Anspruch des K auf das Pferd X mit der Einrede nach § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 verteidigen?

Die Frage stellt sich nach Auffassung einiger Autoren nur, weil der Gesetzgegner die Stückschuld zu Unrecht in den Anwendungsbereich des § 434 Abs. 3 einbezogen habe.247 Der Normwortlaut ist jedenfalls einschlägig, wird doch „eine andere Sache“ als die geschuldete geliefert.248 Die Materialien erscheinen indes eher dunkel: „Wird beim Stückkauf ein Identitätsaliud geliefert, so kommt neben dem Erfüllungsanspruch auf Lieferung der gekauften Sache ein davon verschiedener Nachlieferungsanspruch nicht in Betracht.“249 Dies wird teilweise als Beschränkung der Rechtsfolgen des §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 verstanden.250 Viele Autoren wenden § 434 Abs. 3 dennoch auf das Identitätsaliud an:251 Ihrer Auffassung nach liegt der Zweck der Norm darin, Unterscheidungen zwischen Nicht- und Schlechterfüllung sowie zwischen Stück- und GatTiedtke/Schmitt JZ 2004, 1092, 1094; Thier AcP 203 (2003) 399, 414. Schulze NJW 2003, 1022f. Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber, 2006, S. 73, 82ff.; Musielak NJW 2003, 89, 92. So auch P. Huber NJW 2002, 1004, 1006. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 216, linke Spalte unten. Lorenz/Riehm Rn. 494. Zum Einstieg Tiedtke/Schmitt JZ 2004, 1092, 1093 mwN.; ferner Brors JR 2002, 133, 134; Brüggemeier WM 2002, 1376, 1378; Dauner-Lieb/Arnold JuS 2002, 1175; Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 107 (= BeckOK); Erman/Grunewald § 434 Rn. 62; Haas, in: Haas/Medicus/Rolland/ Schäfer/Wendtland, Das neue Schuldrecht, 2002, Kap. 5 Rn. 124; P. Huber, in: Huber/Faust, § 12 Rn. 61; Lorenz JuS 2003, 36, 38; Musielak NJW 2003, 89, 90; Wiese AcP 206 (2006) 904, 908f. 245 246 247 248 249 250 251

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§ 2 Der Kaufvertrag

tungsschuld entbehrlich zu machen. Auch passe der Fall der Nachlieferung (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 zweiter Fall) auf das Identitätsaliud. Die Gegenauffassung252 stellt hingegen darauf ab, dass die im Identitätsaliud liegende Art der Leistungsstörung sich auf die Pflicht des Verkäufers nach § 433 Abs. 1 Satz 1 bezieht und nicht auf die Pflicht nach § 433 Abs. 1 Satz 2. Deshalb komme auch ein vom Lieferanspruch verschiedener Nacherfüllungsanspruch nicht in Betracht. Tatsächlich ähnelt das Problem der Frage, ob bei Vereinbarung einer Stückschuld ein Nachlieferungsanspruch (§ 439 Abs. 1 zweiter Fall) in Betracht kommt (Rn. 171ff.). Wie dort, so kann auch hier die Vereinbarung einer Stückschuld zwischen den Parteien zwei Funktionen erfüllen: Sie kann erstens bedeuten, dass die Erfüllung des Vertrages mit der Lieferung des einen Stücks stehen oder fallen soll. So liegt der hier vorgestellte Fall. Dann passt § 434 Abs. 3 seinem Zweck nach nicht. Denn das durch die Norm vermiedene Abgrenzungsproblem zwischen Nichterfüllung und Schlechterfüllung stellt sich hier gar nicht: Liefert der Verkäufer nämlich eine andere Sache, weiß der Käufer sofort, dass es sich nicht um die geschuldete Sache handelt. Der Verkäufer erfüllt den Kaufvertrag in diesem Fall gar nicht, und es ist schlicht nicht einzusehen, warum sein Versprechen aus § 433 Abs. 1 Satz 1 nun nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 in zwei Jahren verjähren soll und er sich mit einem Mal nach § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 leichter als bisher (§ 275 Abs. 2 Satz 1) aus der vertraglichen Bindung lösen darf. In diesen Fällen bedeutet das Identitätsaliud schlicht eine Nichterfüllung. Andererseits kann die Vereinbarung einer Stückschuld bei Alltagsgeschäften auch eine vereinfachte (abgekürzte) Form der Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 darstellen (Rn. 171). Statt die Beschaffenheit ausdrücklich zu vereinbaren, was oft nicht in die Lebenssituation passt, legen Verkäufer oder Käufer einfach ein bestimmtes Exemplar aus der Gattung dem Vertrag zugrunde. K will eine Flasche Rotwein der Marke X, Jahrgang 1998, verschenken. Er greift eine Flasche aus dem Regal und bringt sie zur Kasse. Nach dem Zahlungsvorgang wird die Flasche als Geschenk verpackt und dabei durch ein Versehen der Angestellten des V mit einer anderen Flasche der Marke Y vertauscht.

Nichts spricht hier gegen die Anwendung des § 434 Abs. 3 und die Begründung eines Anspruchs aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 auf ein Exemplar der ursprünglich geschuldeten Gattung. Denn hier soll der Vertrag nicht mit der Lieferung einer ganz bestimmten Flasche Wein stehen oder fallen. Die Auswahl des Stücks stellt für den Käufer nur eine erleichterte Art dar, die Beschaffenheit der Kaufsache zu kennzeichnen. Nur in dieser zweiten Fallgruppe aber erscheint es unklar, ob jeweils eine Nichtleistung, Schlechtleistung oder doch Erfüllung vorliegt. Des252 Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber, 2006, S. 73, 81; Andres, in: Frankfurter Handbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, S. 460; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXIII; Lettl JuS 2002, 866, 868; Medicus/Petersen BR Rn. 288; Schimmel/Buhlmann, Fehlerquellen im Umgang mit dem neuen Schuldrecht, 2002, S. 124; Thier AcP 203 (2003) 399, 403ff.

B. Käuferrechte

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halb passt § 434 Abs. 3 hier auch seinem Zweck nach und erübrigt einschlägige Abgrenzungsschwierigkeiten. hh) Quantitätsabweichungen

Mit der Regelung von Quantitäts- bzw. Mengenabweichungen in § 434 Abs. 3 schwebt dem Gesetzgeber vor, dass bei Lieferung einer zu geringen Menge kein neuer Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1, sondern nur ein Nacherfüllungsanspruch bis zum Erreichen der geschuldeten Menge bzw. die Möglichkeit der Minderung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2, 441 begründet werden soll.253 Fraglich sind allerdings die Rechtsfolgen im Falle der Verjährung:

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V verkauft Meerwasseraquarist K 200 Liter Strontiumchlorid für 1.000 €. Geliefert werden nur 150 Liter. Dies fällt K wegen der Art der Flüssigkeitsbehältnisse erst 25 Monate nach der Lieferung auf. Kann V sich hinsichtlich des Anspruchs des K auf Nachlieferung auf Verjährung berufen (§§ 438 Abs. 1 Nr. 3, 214)?

Vorliegend verjährt der Nachlieferungsanspruch des Käufers (§§ 437 Nr. 1, 439) gem. §§ 438 Abs. 1 Nr. 3, 214, weil die Minderlieferung nach § 434 Abs. 3 einem Mangel gleichsteht. Die Rechtsfolge der Verjährung besteht in der dauerhaften Hemmung des Anspruchs des Käufers auf Nachlieferung (§ 214). Praktisch bedeutet dies, dass der Käufer auch den zu viel gezahlten Teil des Kaufpreises nicht mehr zurückverlangen kann, weil nach § 323 Abs. 1 kein Weg mehr zum Rücktritt führt (vgl. auch § 438 Abs. 4 Satz 1). Die systematische Einordnung der Minderlieferung als Mangel oder als teilweise Nichterfüllung bereitet allerdings gerade im Bereich der §§ 323 Abs. 5 Satz 1 und 281 Abs. 1 Satz 2 und 3 Probleme. § 434 Abs. 3 dürfte etwa dann nicht anwendbar sein, wenn sich der Käufer bewusst auf eine Teillieferung eingelassen hat und nun der Rest der geschuldeten Gesamtmenge ausbleibt; denn in diesen Fällen liegt schon wegen § 442 Abs. 1 Satz 1 kein Mangel vor (offene Minderlieferung; dazu Rn. 238).254 Fraglich ist ferner, wie bei einer Mehrlieferung zu verfahren ist. V verkauft K 200 Liter Strontiumchlorid für 4.000 €, das er für sein privates Aquarium benötigt. Geliefert werden indes 300 Liter. Zweieinhalb Jahre nach der Lieferung verlangt V Zahlung von insgesamt 6.000 €.

Weder Gesetz noch Materialien erwähnen die Mehrlieferung. Da der Gesetzgeber bei der Konzeption des § 434 den § 378 HGB aF. strich, der die Mehrlieferung ursprünglich regelte, ist davon auszugehen, dass die Einschränkung des § 434 Abs. 3 auf die Minderlieferung kein Zufall ist. Daher stellt die Mehrlieferung im bürgerlichen Recht keinen Sachmangel dar,255 obwohl zweifelhaft ist, ob dies der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entspricht.256 Vielmehr richten sich 253 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 216, rechte Spalte. 254 Medicus/Petersen BR Rn. 288a; Grunewald § 7 Rn. 35; zurückhaltender allerdings Erman/

Grunewald § 434 Rn. 63; eher für eine einheitliche Behandlung: Müller/Matthes AcP 204 (2004) 732, 754; MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 48. 255 Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 117; Erman/Grunewald § 434 Rn. 65. 256 Pfeiffer ZGS 2002, 139.

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§ 2 Der Kaufvertrag

die Rechtsfolgen nach den allgemeinen Regeln. Über die zuviel gelieferten Sachen kommt regelmäßig kein Kaufvertrag zustande, so dass das Eigentum an ihnen vom Käufer rechtsgrundlos erworben und im Wege der Leistungskondiktion herauszugeben ist: V hat daher einen Anspruch aus § 433 Abs. 2 auf Zahlung von 4.000 € und kann die zu viel gelieferten Liter nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) zurückfordern. Diese Ansprüche verjähren nach § 195.

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Für das Handelsrecht ist dagegen streitig, ob die Mehrlieferung einen Mangel darstellt.257 Dafür spricht die Entstehungsgeschichte des § 434 Abs. 3: Dem Gesetzgeber erschien nämlich § 378 HGB aF., in dem die Mehrlieferung eindeutig als Mangel eingeordnet wurde, angesichts des neu geschaffenen § 434 Abs. 3 entbehrlich, weil diese Norm den § 434 Abs. 3 vermeintlich nur wiederholte.258 Die endgültige Streichung der Norm – im Regierungsentwurf war eine modifizierte Fassung präsentiert worden – ging auf eine Initiative des Bundesrates zurück.259 Bei dieser Gelegenheit wurde der Fall der Mehrlieferung ausdrücklich erörtert und behauptet, das Problem sei durch die bestehenden kaufmännischen Gepflogenheiten bereits gelöst, so dass es keiner Sonderregelung bedürfe. Dem schloss sich der Rechtsausschuss des Bundestages an.260 Deshalb war mit der Streichung des § 378 HGB aF. keine Änderung beabsichtigt. Nicht nur diese Überlegung spricht dafür, die Mehrlieferung im Handelsrecht weiterhin als Mangel zu behandeln;261 der Zweck der Norm, Abgrenzungsstreitigkeiten zu vermeiden, tritt als weitere Erwägung hinzu: Kaufmann V soll Kaufmann K 1000 Liter eines Gemischs liefern, das zur Hälfte aus der Flüssigkeit A und zur Hälfte aus der Flüssigkeit B besteht. V liefert 1.100 Liter, die aus 500 Liter A und 600 Liter B bestehen. Liegt die Lieferung einer mangelhaften Sache oder eine Mehrlieferung vor, wenn man beide Flüssigkeiten chemisch wieder voneinander trennen kann?

Es leuchtet ein, dass ein Käufer angesichts der in § 377 Abs. 1 HGB begründeten Obliegenheit zu unverzüglicher Rüge hier einheitlich von einem Mangel iSd. Norm ausgehen darf. Allerdings ist die nach § 377 Abs. 2 HGB eintretende Rechtsfolge umstritten. Nach einer ersten Auffassung wird der ursprünglich nicht geschuldete Mehranteil der Lieferung zum Gegenstand des Kaufvertrages. Der Käufer muss dann einen nach Vertragspreiseinheiten erhöhten Preis bezahlen.262 Dies führt zu einer gesetzlichen Änderung des Vertragsinhalts auf der Grundlage von Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, § 377 Rn. 19. BT-Drucks. 14/7052, S. 211, rechte Spalte. BR-Drucks. 338/01 Nr. 149. BT-Drucks. 14/7052, S. 211, rechte Spalte. Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 29 Rn. 56. Marburger JuS 1983, 1, 12; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, Bd. 5, 5. Aufl. 1982, § 378 Rn. 22 mwN. 257 258 259 260 261 262

B. Käuferrechte

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§ 377 Abs. 2 HGB. Dafür spricht, dass § 377 Abs. 2 HGB auch in anderen Fällen auf eine Vertragsänderung kraft Gesetzes zielt (Rn. 518). Nach der Gegenauffassung regelt § 377 HGB hingegen lediglich den Rechtsverlust des Käufers; der rechtspolitische Zweck der Norm erschöpfe sich darin, dem Kaufmann alsbald Gewissheit über die vertragsgemäße Erfüllung zu verschaffen. Neue Ansprüche des Verkäufers könnten aufgrund des Normzwecks nicht begründet werden. Folglich müsse der Verkäufer den zu viel gelieferten Teil der Ware vom Käufer kondizieren; ein erhöhter Kaufpreisanspruch stünde ihm nicht zu. Allenfalls könne in der rügelosen Entgegennahme der Mehrlieferung die Annahme eines vom Verkäufer anlässlich der Mehrlieferung unterbreiteten Angebots auf Vertragsänderung liegen. In anderen Fällen käme indes nur die Kondiktion des zu viel Geleisteten in Betracht.263 Dagegen spricht, dass die unterbliebene Rüge für den Käufer rechtsfolgenlos bliebe und der Schutzzweck des § 377 Abs. 2 HGB nicht verwirklicht würde: V liefert K 100 statt der versprochenen 80 Tonnen Zement. Rügt K den Mangel, kann V die 20 Tonnen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) zurücknehmen, weil sie nach dem Vertrag nicht geschuldet sind und daher für ihren Verbleib im Vermögen des K kein Rechtsgrund besteht.

Rügt K den Mangel nicht und tritt die Rechtsfolge nach § 377 Abs. 2 HGB ein, kann V deshalb nicht ebenfalls zur Rücknahme der 20 Tonnen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) berechtigt sein, weil es dann auf die Rüge nicht mehr ankäme. Die Rechtsfolge des § 377 Abs. 2 HGB (dazu auch Rn. 518ff.) dient vor allem dem Schutz des Verkäufers. Dieser soll rasch über die Leistungsstörung informiert werden, um sich gegenüber möglichen Ansprüchen des Käufers durch Beweissicherung (Aufbewahrung von Unterlagen, Beweissicherungsverfahren) schützen zu können und die mögliche Inanspruchnahme in seiner Rechnungslegung berücksichtigen zu können (Bildung von Rückstellungen wegen künftiger Verluste in der Bilanz). Deshalb erscheint die Rechtsfolge einer Vertragsanpassung vorzugswürdig. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob anlässlich einer Mehrlieferung ein konkludenter Änderungsvertrag zwischen den Parteien zustande kommt. § 377 Abs. 2 HGB erfasst gerade den Fall des Fehlens einer rechtsgeschäftlichen Einigung zwischen den Parteien; die Genehmigung durch den Käufer wird ja durch die Norm fingiert (Wortlaut „gilt“). Kommt daher eine Auslegung des Parteiverhaltens nach §§ 133, 157 in Richtung eines Änderungsvertrags in Betracht, findet § 377 Abs. 2 HGB von vornherein keine Anwendung.264 Regelmäßig stellt sich in den Fällen der Mehrlieferung außerhalb des Handelsverkehrs auch die Frage der Anwendbarkeit des § 241a: Ein vom Verkäufer irrtümli263 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 29 Rn. 73; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 29 Rn. 120. 264 Ähnlich Schlegelberger/Hefermehl, HGB, Bd. 5, 5. Aufl. 1982, § 378 Rn. 22.

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§ 2 Der Kaufvertrag

cherweise eingeleiteter Leistungsversuch fällt, wenn er für den Käufer als solcher erkennbar ist, nach Abs. 2 nicht unter die Sperrwirkung von Abs. 1 der Norm (Rn. 138). b) Rechtsmängel und öffentliche Lasten aa) Begriff des Rechtsmangels 146

Im Umkehrschluss aus § 435 Satz 1 liegt ein Rechtsmangel vor, wenn Dritte in Bezug auf die Kaufsache Rechte gegenüber dem Käufer geltend machen können. Anders als § 434 Abs. 1 Satz 1 stellt die Norm nicht darauf ab, dass ein Gefahrübergang stattgefunden hat. Deshalb kommt es für den Beginn der Rechtsmängelhaftung zunächst nicht auf den Zeitpunkt der Übergabe nach § 446 Satz 1 an. Andererseits kann die Haftung aber auch nicht ab Vertragsschluss greifen, weil der Verkäufer bis zum Eintritt der Leistungszeit Gelegenheit haben muss, die Sache von einem Dritten zu beschaffen und dabei gerade Rechtsmängel zu vermeiden. So bleibt als Zeitpunkt für den Beginn der Rechtsmängelhaftung nur die Fälligkeit des Lieferanspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 1.265 Denn erst von diesem Zeitpunkt an schuldet der Verkäufer dem Käufer die Mangelfreiheit nach § 433 Abs. 1 Satz 2. Die auf den Zeitpunkt der Eigentumsverschaffung abstellende Gegenmeinung266 kommt in vielen Fällen zu denselben Ergebnissen, überzeugt aber insoweit nicht, als der Verkäufer nicht durch Verzögerung der Übereignung den Eintritt der Rechtsmängelhaftung hinausschieben kann. bb) Probleme bei der Eigentumsverschaffung, ursprüngliche Unmöglichkeit und dingliche Lasten.

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Fraglich ist, ob die Unmöglichkeit der Eigentumsverschaffung auf Verkäuferseite einen Rechtsmangel darstellt. (BGH 18.1.2008 – V ZR 174/06 = NJW 2008, 1658) V verhandelt mit K über den Verkauf eines Gartengrundstücks. Beide besehen das Grundstück vom Dach eines Bürogebäudes aus. Dabei entsteht der Eindruck, dass die Grundstücksgrenzen der Gartenanlage entsprechen. Im notariell beurkundeten Kaufvertrag wird das Grundstück jedoch unter Bezeichnung der Katasterfläche veräußert. Diese ist kleiner als die von V und K besehene Gartenanlage, was zunächst nicht auffällt. Als K auf den Umstand aufmerksam wird, verlangt er Auflassung der Parzelle, die dem nicht übereigneten Teil der Gartenanlage entspricht und im Eigentum des E steht. V reagiert trotz Mahnung nicht auf diese Aufforderung. Deshalb erwirbt K das Grundstück unmittelbar von E und verlangt den Kaufpreis – es handelt sich um rund 85.000 € – von V. Hier kommt überraschenderweise ein Anspruch des V gegen K aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 in Betracht. Denn der BGH geht grundsätzlich davon aus, dass V die Restparzelle aus § 433 Abs. 1 Satz 1 und nicht etwa aus §§ 437 Nr. 1, 439 schuldet (Tz. 6).

265 Vgl. statt vieler MünchKomm/Westermann § 435 Rn. 6. 266 Grunewald § 7 Rn. 60.

B. Käuferrechte

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Fraglich ist, was vorliegend vom Verkäufer nach § 433 Abs. 1 Satz 1 geschuldet war: die von den Parteien besehene Gartenanlage oder die im notariell beurkundeten Vertrag bezeichnete Katasterfläche. Der BGH geht davon aus, dass ein Käufer grundsätzlich nur die im notariell beurkundeten Vertrag bezeichnete, katastermäßig vermessene Fläche erwirbt, wobei es nicht darauf ankommen soll, welche Vorstellungen er sich ansonsten von den Grundstücksgrenzen macht (Tz. 15). Dafür spricht im Zweifel auch die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit des notariell beurkundeten Kaufvertrags (Rn. 110). Vorliegend aber habe der Verkäufer das Grundstück in den Grenzen der Parkanlage angeboten. Die dadurch erweckte konkrete Vorstellung des Käufers über die Grundstücksabmessungen konnte nicht durch die davon abweichende Bezeichnung des Grundstücks im Kaufvertrag zerstört werden (Tz. 19). Problematisch ist nur, dass die Einigung über die Grundstücksgröße der Form des § 311b Abs. 1 Satz 1 unterliegt und daher nicht formlos im Zeitpunkt der Besichtigung erfolgen konnte. Entscheidend für die Wahrung der Form ist jedoch, dass der Wille der Parteien im beurkundeten Vertrag anklingt (Tz. 13: „Niederschlag gefunden hat“). Davon geht der BGH vorliegend aus, weil beide Parteien sich durch Bezug auf die Katasterfläche eine Vorstellung von dem Gartengrundstück verschafft hätten (Tz. 18f.). Der Verweis auf die Katasterfläche stellt mit anderen Worten einen Fall der falsa demonstratio non nocet dar: Der Wirksamkeit des Verpflichtungswillens steht es hier nicht entgegen, wenn beide Seiten den Vertragsgegenstand in gleicher Weise falsch bezeichnen (vgl. auch Rn. 132). Der Fall zeigt, dass der BGH den Fall der fehlenden Eigentumsverschaffung systematisch in § 433 Abs. 1 Satz 1 einordnet. Wendet man dagegen die Rechtsmängelhaftung an, kann der Käufer die Kosten für die Beschaffung der fehlenden Parzelle aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 (Minderung) geltend machen. Die hM. lehnt dennoch wie der BGH die Anwendung der Rechtsmängelhaftung ab.267 Danach zählt die Eigentumsverschaffungspflicht zum Lieferanspruch des Verkäufers nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und nicht zur Pflicht nach § 433 Abs. 1 Satz 2. An dieser Unterscheidung muss man allerdings mit der Gegenauffassung268 zweifeln, da den Verkäufer nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und 2 eine einheitliche Hauptleistungspflicht trifft, die Sache in mangelfreiem Zustand zu liefern. Verschafft der Verkäufer aber bei Fälligkeit das Eigentum nicht, kann der wahre Eigentümer als Dritter Rechte gegen den Käufer geltend machen, was nach der Legaldefinition des § 435 Satz 1 einen Rechtsmangel begründet. Beachtung verdient dabei vor allem, dass nach dem Wortlaut des § 435 Satz 1 nicht unterschieden wird, welche Art von Rechten der Dritte geltend macht. Auch die Rechte eines Eigentümers aus § 985 kommen daher in Betracht. Die Einord-

267 Medicus/Petersen BR Rn. 284; Bamberger/Roth/Faust § 435 Rn. 15. 268 Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 37f.; Canaris JZ 2003, 831, 832; S. Meier JR 2003, 353, 355;

Pahlow JuS 2006, 289, 293; Scheuren-Brandes ZGS 2005, 295.

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§ 2 Der Kaufvertrag

nung als Rechtsmangel überzeugt aber vor allem mit Blick auf die Rechtsfolgenseite: V hat K ein Gemälde verkauft, das dem E gestohlen worden war. Dies ist K mittlerweile bekannt. Geht man hier von einem Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 aus, beginnt die dreijährige Verjährung (§ 195) bereits jetzt zu laufen (§ 199 Abs. 1). Der Anspruch des E gegen K aus § 985 verjährt aber erst in 30 Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 1).

Dem Käufer ist hier mehr gedient, wenn sich die Verjährung nach § 438 Abs. 1 Nr. 1 lit. a richtet und damit der des § 197 Abs. 1 Nr. 2 annähert.269 Nach Auffassung einiger Vertreter der hM. soll deshalb § 438 Abs. 1 Nr. 1 lit. a analog auf den Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 Anwendung finden.270 Die Bejahung eines Rechtsmangels bereitet jedoch – vor allem gemessen am Wortlaut des § 435 Satz 1 – geringere argumentative Mühe und erscheint deshalb überzeugender. Beim Verkauf einer gestohlenen Sache schließt sich noch die Frage an, wem der Käufer die Sache herausgeben muss: dem Verkäufer nach § 346 Abs. 1, wenn er den Rücktritt erklärt hat, oder dem Eigentümer nach § 985. Die Lösung liegt dabei in § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2: Die Norm schützt den Käufer vor Ansprüchen des Verkäufers, wenn er die Sache an den Eigentümer zurückgibt (Rn. 307).

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Fraglich ist ferner, ob ein Rechtsmangel eine konkrete Beeinträchtigung des Käufers im Gebrauch der Sache voraussetzt: V veräußert und übereignet K das dem E gestohlene Gemälde. Der Herausgabeanspruch des E ist indes mittlerweile nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 verjährt. Was kann K verlangen?

In § 435 Satz 1 fehlt eine Parallele zu § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1: Es kommt nicht darauf an, dass der von den Parteien zugrunde gelegte Verwendungszweck beeinträchtigt ist. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien zeigt, dass dies kein Zufall ist: Zwar ist erwogen worden, den Rechtsmangel wie den Sachmangel im Hinblick auf den Verwendungszweck zu definieren; doch wurde davon Abstand genommen: „Während sich die Tauglichkeit einer Sache nur im Verhältnis zu einem Verwendungszweck bestimmen lässt, ist das Ziel der Rechtsverschaffung umfassend, damit der Käufer, wie in § 903 für den Eigentümer vorgesehen, in die Lage versetzt wird, nach Belieben mit der Sache zu verfahren.“271 Der Frage liegt ein Grundlagenstreit zwischen dem Eviktions- und dem Rechtsverschaffungsprinzip zugrunde.272 Nach dem römisch-rechtlichen Eviktionsprinzip schuldete der Käufer die Überlassung des Eigenbesitzes an den Erwerber (Traditio) und auch Freistellung, allerdings nur dann, wenn Dritte konkret Rechte an der Kaufsache geltend machten. Nach dem Rechtsverschaffungsprinzip, dem auch § 435 folgt, muss der Verkäufer dem Käufer ein unbelastetes Recht verschaffen, ohne dass es auf dessen konkrete Gefährdung durch Drittansprü-

269 270 271 272

Canaris JZ 2003, 831f. Medicus/Petersen BR Rn. 284; Bamberger/Roth/Faust § 435 Rn. 15. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 218, linke Spalte. Ernst, Rechtsmängelhaftung, 1995, passim sowie Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 27ff.

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che ankommt.273 Im Schrifttum wird zT. dennoch eine Auslegung des § 435 Satz 1 nach dem Eviktionsprinzip gefordert. Denn der Rechtsmangel stelle keine konkrete, sondern höchstens eine abstrakte Vermögensgefährdung dar. So bleibe es völlig offen, in welchem Umfang der Käufer durch den Rechtsmangel beeinträchtigt werde. Solange sich die Gefahr eines Sachverlustes oder einer Sachbeeinträchtigung nicht realisiert habe, bestehe aber kein Schaden.274 Dem wird man jedoch schon wegen des objektiven Verjährungsbeginns in § 438 Abs. 2 nicht folgen können: Denn der Käufer müsste praktisch innerhalb der Zweijahresfrist entscheiden, welche künftigen Verwendungen er der Sache beilegen wird und ob deshalb aus dem Recht des Dritten eine konkrete Beeinträchtigung seiner daraus resultierenden Absichten droht. Würde der Käufer seine Pläne mit der Kaufsache nach Ablauf von zwei Jahren ab Lieferung ändern, wären Rechtsmängelhaftungsansprüche gar verjährt. Im Beispiel müsste sich K innerhalb der Frist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 überlegen, ob er das Gemälde weiterveräußern will. Denn das fehlende Eigentum wird ihm dies erschweren.

Eine solche Einschränkung entspricht nicht der universellen Ausgestaltung der Eigentumsstellung in § 903 Satz 1, deren Verschaffung der Verkäufer dem Käufer verspricht. Vgl. auch folgendes Beispiel: V hat K ein Wohngebäude verkauft und übereignet, das vom Architekten A errichtet wurde und unter Urheberschutz steht. Gegenwärtig beeinträchtigt den K der Urheberschutz nicht. Will er das Gebäude aber in drei Jahren aufstocken, kann A gegen ihn aus §§ 97 Abs. 1, 14 UrhG wegen Veränderung der äußeren Erscheinungsform vorgehen (dazu Rn. 157). Die Ansprüche des K aus § 437 sind dann jedoch nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 verjährt.

Fraglich ist, ob bereits die ernsthafte Behauptung eines Rechts durch einen Prätendenten einen Rechtsmangel darstellt: V hat K ein gebrauchtes Kfz verkauft und übereignet. Kurze Zeit später behauptet E unter Vorlage eines Kfz-Briefs, Eigentümer des Fahrzeugs zu sein. Kann K von V Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 verlangen?

Der Wortlaut des § 435 Satz 1 kennt eine solche Erweiterung des Mangelbegriffs nicht. Nach § 442 BGB aF. trug der Käufer die Beweislast für das Vorliegen eines Rechtsmangels, wenn der Verkäufer diesen bestritt. Deshalb konnte er gegenüber dem Verkäufer Ansprüche nur durchsetzen, wenn er die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtsmangels bewies. Daraus leitet der Reformgesetzgeber den Grundgedanken ab, dass – anders als etwa in Art. 41 Satz 1 CISG – ein Rechtsmangel nicht bereits dann vorliegt, wenn ein Dritter ein Recht an der Kaufsache geltend macht. Ausnahmen bestehen allenfalls dann, wenn der Verkäufer eine Garantie dahingehend übernommen hat, dass Dritte keine Rechte an der Sache geltend machen.275 273 Ernst, Rechtsmängelhaftung, 1995, S. 192; kritisch Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 30. 274 Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 34ff., 49. 275 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 217f.; ähnlich Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 39.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Typische Rechtsmängel sind alle dinglichen Belastungen. Dazu zählen die Pfandrechte (§§ 1204ff., 1273ff.), die Grundpfandrechte – Hypothek (§§ 1113ff.), Grundschuld (§§ 1191ff.), Rentenschuld (§§ 1199ff.) –, die Dienstbarkeiten (§§ 1018ff.), der Nießbrauch (§§ 1030ff.), die Reallast (§§ 1105ff.) und das dingliche Vorkaufsrecht (§ 1094). Ähnliches gilt wegen § 883 Abs. 2 auch für die Vormerkung, die selbst kein dingliches Recht ist, aber zur relativen Unwirksamkeit entgegenstehender Verfügungen führt. Nach § 435 Satz 2 begründen schließlich auch reine Buchrechte einen Rechtsmangel. Nach Auffassung des Gesetzgebers verschlechtern diese die Rechtsstellung des Käufers „zwar nicht unmittelbar, können ihn jedoch bei einer Verfügung über das Grundstück behindern und bergen die Gefahr, im Wege gutgläubigen Erwerbs zum wirklichen Recht zu erstarken.“276 cc) Öffentliche Lasten auf dem Eigentum und öffentlich-rechtliche Beschränkungen

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Öffentliche Lasten auf Grundstücken werden nicht notwendig ins Grundbuch eingetragen. Die Rechtsmängelhaftung passt hier nicht, da es bei dieser Art von Belastungen nicht um die individuell bestimmten Rechtsverhältnisse des jeweiligen Grundstücks geht, sondern um die Auswirkungen allgemeiner Regelungen, mit denen der Käufer stets rechnen muss.277 § 436 Abs. 2 stellt daher die Grundregel auf, dass der Verkäufer nicht für die Freiheit des Grundstücks von öffentlichen Abgaben und öffentlichen Lasten haftet. Abgaben und Lasten sind aus dem Grundstück zu erbringen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG) und nicht Gegenstand persönlicher Pflichten. Dabei handelt es sich typischerweise um Gebäude- und Grundsteuern. Erschließungsbeiträge erfahren allerdings eine Sonderregelung in § 436 Abs. 1. Nicht unter die Vorschriften fallen Pflichten, die den Eigentümer persönlich treffen, wie bspw. die öffentlich-rechtlichen Vorkaufsrechte und die Unterordnung des Eigentumsrechts unter bauordnungsrechtliche Vorschriften im Rahmen einer Baulast (Beispielsfall Rn. 448). Denn mit diesen muss der Käufer nicht jederzeit rechnen. Wird er also diesbezüglich überrascht, kommt eine Haftung des Verkäufers in Betracht. Der Gesetzgeber hat bei der Konzeption des § 436 große Mühe auf die Verteilung der Erschließungs- und sonstigen Anliegerbeiträge nach §§ 127ff. BauGB verwendet, die regelmäßig aufgrund der Kommunalabgabengesetze entstehen. (RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 218f.) V ist Eigentümer des Grundstücks X. Nach Abschluss der Erschließungsarbeiten ergeht an ihn ein Beitragsbescheid der zuständigen Behörde vom 1.5.2011, in dem Erschließungsgebühren iHv. 30.000 € zum 1.6.2011 fällig gestellt werden. V zahlt am 2.6.2011. Durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 1.7.2011 verkauft er sein Grundstück an K. Am 1.9.2011 wird die dem Erschließungsbeitrag zugrunde liegende Gemeindesatzung vom zuständigen Oberverwaltungsgericht auf Antrag 276 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 218, linke Spalte. 277 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 218, rechte Spalte; P. Huber, in: Huber/Faust, § 12 Rn. 75.

B. Käuferrechte

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nach § 47 VwGO des V für unwirksam erklärt. V wird die geleistete Beitragszahlung erstattet. Nach Verabschiedung einer neuen Satzung am 1.2.2012 wird ein Beitragsbescheid iHv. 20.000 € nunmehr gegenüber dem neuen Eigentümer K erlassen. Welche Rechte hat K?

§ 436 Abs. 1 regelt selbstverständlich nicht, wer öffentlich-rechtlicher Beitragsschuldner ist, so dass der Käufer vorliegend der Inanspruchnahme durch die Gemeinde nicht entgehen kann. Auf der Grundlage des § 436 Abs. 1 steht ihm jedoch ein Ausgleichsanspruch gegen den Verkäufer zu. Konsequent erscheint, dass das Gesetz diesen Anspruch nicht der Rechtsmängelhaftung zuordnet. Denn es handelt sich um Belastungen, die nicht aufgrund subjektiver Rechte Dritter bestehen, sondern im allgemeinen, öffentlichen Interesse.278 Mangels besonderer Vereinbarung trägt der Verkäufer deshalb die Lasten für Maßnahmen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits bautechnisch begonnen sind. K steht im Fall ein Ausgleichsanspruch nach § 436 Abs. 1 gegenüber V zu, da mit allen Erschließungsarbeiten nicht nur zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses begonnen worden war; diese waren sogar abgeschlossen.

Eine davon zu unterscheidende Frage ist die Qualifikation öffentlich-rechtlicher Eigentumsbeschränkungen. Während öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen Sachmängel darstellen (oben Rn. 103), weil sie die Eigenschaft eines Grundstücks als Bauplatz einschränken, sieht die Rechtsprechung in der Sozialbindung durch § 4 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) einen Rechtsmangel: (BGH 21.1.2000 – V ZR 387/98 = NJW 2000, 1256) V verkauft K eine Eigentumswohnung durch notariell beurkundeten Vertrag. Diese unterliegt, was K nicht weiß, § 4 Abs. 2 Satz 1 WoBindG. Danach darf der Eigentümer die Wohnung nur einer Person zum Gebrauch überlassen, die ihm eine Bescheinigung über die Wohnberechtigung im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau nach § 5 WoBindG vorlegt.

Das Wesen des Rechtsmangels liegt in der Einschränkung des Eigentums. Darauf wiederum zielt § 4 Abs. 2 Satz 1 WoBindG, weil die Norm in die praktische Verwertungsbefugnis des Eigentümers nach § 903 Satz 1 eingreift.279 Entsprechend verläuft die Abgrenzung zwischen Rechts- und Sachmangel danach, ob die öffentlich-rechtliche Beschränkung die Verfügungs- und praktische Verwertungsbefugnis des Eigentümers als solche berührt (Rechtsmangel), oder ob sie nur eine Eigenschaft der Sache festlegt wie bspw. die Bebaubarkeit (Sachmangel). Auf die Abgrenzung kommt es vor allem deshalb an, weil Rechtsmängel keine konkrete Gebrauchsbeeinträchtigung voraussetzen (Rn. 149) und bereits vor Übergabe nach § 446 Satz 1 entstehen können (Rn. 146): (Fallabwandlung) Die Eigentumswohnung war von V bereits für 7 Jahre an einen nach § 4 Abs. 2 Satz 1 WoBindG Berechtigten zu einem festen Zins vermietet worden. K kennt dieses Mietverhältnis (nicht aber die Sozialbindung) und will es nach Eigentumserwerb fort278 Ähnlich RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 218, rechte Spalte. 279 Vgl. auch BGHZ 113, 106, 112; aA. Koller JuS 1984, 106, 107f. und Ernst, Rechtsmängelhaf-

tung, 1995, S. 126ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

führen; er hat die Wohnung nämlich als Investitionsobjekt erworben. Nachträglich erfährt er von der Sozialbindung der Wohnung. Wäre hier § 434 Abs. 1 anwendbar, käme es mangels Beschaffenheitsvereinbarung auf Satz 2 Nr. 1 an, der allerdings eine konkrete Beeinträchtigung der im Vertrag vorausgesetzten Verwendung voraussetzt. Diese fehlt, weil K das Mietverhältnis ohnehin zu den von V vereinbarten Bedingungen fortführen will und die öffentlich-rechtliche Bindung dem nicht im Wege steht. § 435 setzt hingegen keine konkrete Gebrauchsbeeinträchtigung voraus. Ordnet man die Sozialbindung § 435 zu, ist die Kaufsache daher mangelhaft.

dd) Persönliche Ansprüche Dritter 155

Ausnahmsweise können auch persönliche („schuldrechtliche“) Rechte eines Dritten einen Rechtsmangel bewirken. Voraussetzung ist jedoch, dass sie auch gegenüber dem Käufer wirken. Denkbar ist dies in den Fällen des § 566, aber auch wenn eine Eingriffskondiktion ausnahmsweise auf den Käufer durchgreift.280 Auch aus dem Doppelverkauf der Kaufsache können dem Zweitkäufer im Ausnahmefall Rechtsmängel erwachsen. V verkauft eine historische Vase für 150.000 € an K. Vor der Übereignung schließt V auch mit D einen Kaufvertrag über die Vase, der ihm – weil er vom Kaufvertrag gegenüber K erfahren hat und die Vase K unbedingt „wegschnappen“ will – 170.000 € bietet. Wie ist die Rechtslage?

Schließt der Verkäufer einen zweiten Kaufvertrag über dieselbe Sache, berührt dies die Wirksamkeit des ersten nicht. Auch bleiben die Lieferansprüche beider Käufer nach § 433 Abs. 1 Satz 1 so lange bestehen, bis der Verkäufer gegenüber einem Käufer erfüllt und die Kaufsache an diesen übereignet. Ob der Lieferanspruch gegenüber dem übergangenen Käufer dann nach § 275 Abs. 1 untergeht, hängt davon ab, ob der Verkäufer das Eigentum an der Kaufsache vom begünstigten Käufer wiedererlangen kann: Erst, wenn dieser nicht herausgabebereit ist, tritt Unmöglichkeit ein; ansonsten kommt es im Rahmen des § 275 Abs. 2 darauf an, welchen Aufwand der Verkäufer gegenüber dem übergangenen Käufer für die Wiederbeschaffung betreiben muss. Dadurch auftretende Unsicherheiten über die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit des Verkäufers kann der Käufer durch Fristsetzung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 beseitigen, um danach auf Schadensersatz- oder Rückgewähransprüche überzugehen. Der Abschluss eines zweiten Kaufvertrages begründet also keinen Rechtsmangel iSd. § 435 Satz 1, kann aber zur Haftung des Verkäufers wegen Unmöglichkeit führen. Bei Abschluss des zweiten Kaufvertrages muss der erste Käufer allerdings befürchten, dass der Verkäufer seine Verpflichtungen ihm gegenüber nicht erfüllen will. Dieser Umstand kommt als Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung nach § 938 ZPO in Betracht (Verfügungsanspruch ist der Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1). Gegenstand der einstweiligen Verfügung kann ein Verfügungsverbot an die Adresse des Verkäufers nach § 136 sein.281 Daraus können Rechtsmängel nach § 435 für den jeweils anderen Käufer entste280 Erman/Grunewald § 435 Rn. 8; Reinicke/Tiedtke Rn. 392. 281 Staudinger/Köhler § 136 Rn. 5ff.

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hen, wenn man wie hier davon ausgeht, dass die Unmöglichkeit des Verkäufers, das Eigentum zu verschaffen, einen Rechtsmangel darstellt (Rn. 148). Hat der Verkäufer an den zweiten Käufer übereignet, kommt auch ein Anspruch des übergangenen Käufers aus § 826 auf Herausgabe der Kaufsache gegenüber dem begünstigten Käufer in Betracht.282 Voraussetzung des Sittenverstoßes nach § 826 ist indes, dass der begünstigte Käufer den Vertragsbruch des Verkäufers gegenüber dem übergangenen Käufer nicht nur ausgenutzt hat, sondern dass er den Verkäufer geradezu zum Vertragsbruch verleitet hat. Denn hier gilt: Der Kaufvertrag des Verkäufers mit dem übergangenen Käufer wirkt nur zwischen den Parteien (inter partes). Ein Sittenverstoß liegt daher nur vor, wenn in der Person des begünstigten Käufers besondere, das Sittenwidrigkeitsverdikt begründende Umstände hinzutreten (etwa die Anstiftung des Verkäufers zum Vertragsbruch gegenüber dem übergangenen Käufer).283 In einem solchen Fall kommt auch ein Erwerbsverbot an die Adresse des anderen Käufers nach § 136 analog284 in Betracht.

ee) Persönlichkeitsrechte und Immaterialgüter

Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann einen Rechtsmangel begründen:

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(BGH 30.1.1990 – VIII ZR 314/88 = BGHZ 110, 196 = NJW 1990, 1106 – Boris Becker) V verkaufte Händler K Aufbügelmotive mit dem Konterfei von Boris Becker und dem schriftlichen Zusatz „Boris Becker Superstar“. Becker verbietet K die Verwendung und Veräußerung der Aufbügelmotive.

Gegen die unbefugte kommerzielle Ausbeutung von Persönlichkeitsrechten besteht ein umfangreicher Schutz: Nach § 12 Satz 1 kann die unbefugte Namensverwendung untersagt werden, nach § 22 KunstUrhG steht dem Inhaber ein Recht am eigenen Bild zu, wobei zwar zu Lasten von Personen der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG eine signifikante Ausnahme besteht, die allerdings keine kommerzielle Verwertung rechtfertigt (§ 23 Abs. 2 KunstUrhG). Subsidiär zu diesen besonderen Persönlichkeitsrechten begründet das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf der Grundlage der §§ 823 Abs. 1 iVm. 1004 Abs. 1 analog umfassende Abwehransprüche.285 Diese stellen, wie der vorliegende Fall vermittelt, Rechte in Bezug auf die Kaufsache dar. Ähnlich liegt folgender Fall: (BGH 31.5.1974 – I ZR 10/73 = BGHZ 62, 331 = NJW 1974, 1381 – Schulerweiterung) Die Gemeinde K erwirbt von V ein bebautes Grundstück zum Betrieb einer Grundschule. K und V wissen nicht, dass es sich bei dem Gebäude um ein urheberrechtlich geschütztes Werk nach § 2 UrhG handelt. Als K nach Erwerb des Grundstücks mit den notwendigen Umbaumaßnahmen beginnen will, macht der Architekt des Gebäudes einen Unterlassungsanspruch aus § 97 iVm. § 14 UrhG geltend, mit der Begründung, der Umbau würde die ästhetische Wirkungsweise des Gebäudes verunstalten.

§ 14 UrhG ist eine auch außerhalb des Urheberrechts bedeutsame Vorschrift. Der Urheber – nach § 7 UrhG regelmäßig der Schöpfer einer persönlichen geis282 283 284 285

Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 228 mwN. BGH WM 1981, 624, 625; aA. Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 228. Staudinger/Köhler § 136 Rn. 34ff. Vgl. hier nur die lesenswerte Darstellung von Gounalakis Archiv für Presserecht 1999, 10.

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§ 2 Der Kaufvertrag

tigen Schöpfung von überragender Gestaltungshöhe – kann danach eine Entstellung, aber auch jede Beeinträchtigung seines Werkes verhindern. Die Norm schützt das Urheberpersönlichkeitsrecht und soll dem Urheber uneingeschränkte Verfügungsmacht über die ästhetische Wirkungsweise seines Werks sichern: Er kann deshalb Handlungen, die den ästhetischen Eindruck des Werkes verändern, unterbinden, nicht aber die vollständige Zerstörung des Werks.286 Das Urheberpersönlichkeitsrecht überlagert dabei das Eigentum und beschränkt die Befugnisse des Eigentümers nach § 903 Satz 1. Ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb zugunsten des Eigentumserwerbers nach § 936 scheidet aus, weil es sich beim Urheberpersönlichkeitsrecht nicht um eine Belastung mit dem Recht eines Dritten iSd. § 936 handelt. Allerdings findet analog § 39 Abs. 2 UrhG bei Erweiterung und Reparatur der Sache eine Interessenabwägung zwischen den Persönlichkeitsbelangen des Urhebers und den wirtschaftlichen Anliegen des Eigentümers statt. Dies hat der BGH gerade im vorliegenden Fall befürwortet. Dabei spielt der Zweck des Gebäudes, aber auch der Umfang der Eingriffe eine bedeutende Rolle (S. 1382). Je nach Ausgang dieser Abwägung im Einzelfall stehen K Rechte Dritter an der Kaufsache entgegen, was nach § 435 Satz 1 einen Rechtsmangel begründet.

Ähnliches gilt für die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse, die sich aus sonstigen Immaterialgütern des gewerblichen Rechtsschutzes ergeben können (Rn. 66). ff) Forderungs- und Rechtskauf 158

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Für den Rechtskauf nach § 453 kommt es im Rahmen des § 435 Satz 1 darauf an, ob das verkaufte Recht besteht und frei von Rechten Dritter ist. Vor der Schuldrechtsreform musste der Verkäufer dabei ohne Verschulden für das Bestehen der Forderung (Verität) ua. auf Schadensersatz einstehen (§ 437 BGB aF.). Nunmehr bedeutet die Veritätshaftung einen Unterfall der ursprünglichen Unmöglichkeit und damit des Anspruchs aus § 311a Abs. 2 Satz 1. Ob in diesem Rahmen zugleich das Verschuldensprinzip gilt, ist umstritten (unten Rn. 591). Eine andere Frage berührt die Verantwortlichkeit des Forderungsverkäufers für die Bonität des Schuldners. Nach altem Recht übernahm der Forderungskäufer regelmäßig das Risiko der Kreditwürdigkeit des Schuldners (Bonität); der Verkäufer haftete ihm aus Rechtsmängelhaftung nur für das Bestehen der Forderung (Verität).287 Dies dürfte auch für das neue Recht gelten. Denn der Forderungskauf ist ein Risikogeschäft. In der Übernahme des Risikos der Zahlungsfähigkeit des Forderungsschuldners (Bonitätsrisiko) durch den Forderungskäufer liegt gerade der Unterschied gegenüber darlehensähnlichen Geschäften wie dem unechten Factoring, bei denen die Forderungsabtretung nur eine Inkassotätigkeit unterstützen soll (Rn. 585). 286 Sehr plastisch RGZ 79, 397 – Sirenen. 287 BGHZ 161, 90 = NJW 2005, 359, 361 – FlowTex.

B. Käuferrechte

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c) Minimale Mängel

Der Anspruch aus § 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 setzt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers keine Mindestgröße des Mangels voraus.288 Dies bestätigt ein Umkehrschluss aus § 323 Abs. 5 Satz 2 und wird für die Minderung in 441 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich geregelt. Bei der Nacherfüllung kann sich der Verkäufer über § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 vor unverhältnismäßiger Inanspruchnahme schützen.

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d) Beweislast, insbesondere § 477

Hat der Gläubiger eine ihm als Erfüllung angebotene Leistung als Erfüllung angenommen, so trifft ihn nach § 363 die Beweislast, wenn er die Leistung später nicht als Erfüllung gelten lassen will. Demgegenüber sieht § 477, der Art. 5 Abs. 3 VerbrGüterKRiL umsetzt, eine Ausnahme vor: Bei Sachmängeln, die sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang zeigen, wird vermutet, dass sie der Sache bereits bei Gefahrübergang anhafteten. Häufig wird die Norm mit einem vermeintlichen Wissensvorsprung des Verkäufers begründet. Denn der Verbraucher sei typischerweise weniger als der Verkäufer in der Lage, mögliche Mängel der Kaufsache bei Vertragsschluss zu erkennen.289 In der praktischen Fallanwendung kann sich der Verkäufer jedoch nicht mit einem fehlenden Wissensvorsprung gegenüber dem Käufer entlasten.290 Dies spricht gegen die Möglichkeit, dass es sich bei der Kompensation eines Wissensvorsprungs um den Normzweck handeln könnte. Eher erklärt sich die Norm aus der Beweisnot des Käufers, wenn sich ein bei Gefahrübergang vorhandener, aber verdeckter Sachmangel erst später zeigt.291 Dem Käufer nützen dann die in § 476 Abs. 1 Satz 1 erwähnten Rechte nichts, wenn er an der Darlegungs- und Beweishürde scheitert. Diese Schwierigkeiten auf der Käuferseite begünstigen ein klassisches Marktversagen: Weiß der künftige Käufer nämlich bereits vor Vertragsschluss um die Schwierigkeiten der Durchsetzung von Mängelansprüchen, wird er sich nur auf einen Kaufpreis einlassen, in den die wirtschaftlichen Folgen dieses Umstandes bereits eingepreist sind. Er ist folglich nicht mehr bereit, die Kaufsache zu ihrem wahren Wert, sondern nur noch abzüglich eines Sicherheitsabschlags wegen der Risiken der Rechtsdurchsetzung zu erwerben (sog. adverse selection). Ein funktionsfähiges Gewährleistungsrecht verhindert diesen Effekt gerade: Es macht Risikoabschläge aus Käufersicht entbehrlich und gewährleistet so, dass sich der Kaufpreis allein am Wert der Kaufsache, nicht aber am Risiko der Rechtsdurchsetzung orientiert.292 Das zentrale An288 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 231, linke Spalte, letzter Absatz. 289 EG-Kommission KOM(95) 520, S. 14; RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 245; Maultzsch NJW

2006, 3091, 3092; MünchKomm/Lorenz § 476 Rn. 4; ders. NJW 2004, 3020, 3021. 290 BGH NJW 2007, 2619, Tz. 11 – Kater. 291 EuGH NJW 2015, 2237, Tz. 54 – Faber; EG-Kommission KOM(95) 520, S. 14; vgl. auch BT-Drs. 14/6040, S. 245, rechte Spalte. 292 Akerlof The Quarterly Journal of Economics 84 (1970) 488, 489ff., insbes. 499; dazu Oechsler BB 2015, 1923, 1925; auf die Funktionsfähigkeit des Marktes stellte bereits zuvor Maultzsch NJW 2006, 3091, 3092f. ab; vgl. nun auch Sagan/Scholl JZ 2016, 501, 507f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

wendungsproblem des § 477 liegt jedoch in der Kehrseite dieses Gedankens: Wird eine Norm wie § 477 zu großzügig angewendet, drohen aus Sicht des Verkäufers Risiken, die diesen zu marktstörenden Sicherheitsmaßnahmen bewegen müssen. Denn muss der Verkäufer damit rechnen, dass der Käufer die Folgen seines nachlässigen Umgangs mit der Kaufsache als Mängel deklarieren und auf den Verkäufer abwälzen kann, wird er die „costs of dishonesty“293 durch Sicherheitsaufschläge auf den Wert der Kaufsache an alle Marktbeteiligten weitergeben. Wieder kommt es zu einer Störung des Preisbildungsmechanismus auf dem Markt, diesmal mit der Folge einer Verteuerung der Kaufsache im Verhältnis zum Marktwert. Diese geht zu Lasten aller Verbraucher; denn bei jedem Kaufvertrag wird der Käufer für die Kosten eines möglichen Missbrauchs herangezogen, auch wenn er für diesen nicht verantwortlich ist! Dieses Spannungsverhältnis bestimmt die Anwendungsprobleme der Norm. Ihm hat der BGH lange Zeit durch eine enge Auslegung des § 477 Rechnung getragen (Rn. 162). Unter dem Eindruck der Faber-Entscheidung des EuGH (Rn. 163) hat er seine Rechtsprechung jedoch geändert und wendet die Norm nun in einem sehr weiten Sinne an (Rn. 164). Die Anwendungsschwierigkeiten der Norm beginnen bei ihrem Wortlaut. Denn dort wird vorausgesetzt, dass sich ein Sachmangel innerhalb von sechs Monaten zeigt. Nach § 434 Abs. 1 Satz 1 kann von einem Sachmangel zunächst nur die Rede sein, wenn eine Funktionsbeeinträchtigung bei Gefahrübergang vorliegt. Im Schrifttum ist daher die Auffassung vertreten worden, dass der Begriff des Sachmangels in § 477 in einem untechnischen Sinne verwendet würde.294 Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals des „Sichzeigens“ klar erfasst wird. Denn § 477 setzt voraus, dass ein Sachmangel, dessen Ursachen im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlagen, innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang bemerkbar wird. Im Schrifttum wird im einschlägigen Zusammenhang häufig das Begriffspaar Grundmangel/Folgemangel verwendet.295 Dem soll hier nicht gefolgt werden: Denn der „Folgemangel“ ist eine Funktionsstörung, die sich nach Gefahrübergang bemerkbar macht. Als Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 kann er nur angesehen werden, wenn seine Ursache bereits bei Gefahrübergang vorlag, und dies gilt es gerade zu beweisen. Aus ähnlichen Überlegungen heraus hat auch der BGH in seiner mittlerweile überholten Rechtsprechung die Frage gestellt, ob eine nach Gefahrübergang auftretende Funktionsstörung so verstanden werden kann, dass sich an ihr ein vor Gefahrübergang bestehender Sachmangel iSd. § 434 zeigt:

293 Akerlof The Quarterly Journal of Economics 84 (1970) 488, 495f.; Oechsler BB 2015, 1923, 1926. 294 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 407; Gsell JZ 2008, 29, 30f.; MünchKomm/Lorenz § 476 Rn. 7. 295 Lorenz NJW 2004, 3020f.; Gsell JZ 2008, 29, 30; Reinicke/Tiedtke Rn. 737; anders Höpfner ZGS 2007, 410, 411f.

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(BGH 2.6.2004 – VIII ZR 387/98 = BGHZ 159, 215 = NJW 2004, 2299 – Zahnriemen) K kauft von der Kraftfahrzeughändlerin V einen Gebrauchtwagen für private Zwecke (Kilometerstand: 118.000). Am 12.7.2002 erlitt das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 128.950 einen Motorschaden. Das Sachverständigengutachten führt dies auf einen lockeren Zahnriemen zurück. Die Lockerung kann auf zwei Ursachen zurückgehen. Entweder lag bei Gefahrübergang ein unangemessen hoher Verschleiß vor oder der Zahnriemen wurde durch einen Schaltvorgang des Fahrers (Einlegen eines kleinen Gangs bei hoher Motordrehzahl) verursacht. Auf die Nachfristsetzung des K reagiert V ablehnend. K erklärt daraufhin den Rücktritt und verlangt sein Geld zurück. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Fraglich ist, ob das Fahrzeug bei Gefahrübergang einen Mangel iSd. § 434 Abs. 1 aufwies.

Die Lockerung des Zahnriemens und der dadurch entstandene Motorschaden selbst stellen jeweils keinen Mangel iSd. § 477 dar,296 da beide nach dem Zeitpunkt des Gefahrübergangs eingetreten sind. An beiden kann sich jedoch ein Mangel im Zeitpunkt des Gefahrübergangs zeigen (S. 2300). Da aber unklar ist, ob die Ursache der Lockerung in einem Verschleiß liegt, der bei Gefahrübergang vorlag (Sachmangel), oder aber in einer Fehlschaltung durch den Käufer, die sich nach Gefahrübergang ereignet hat (kein Sachmangel), kam es nach dem damaligen Stand der Rechtsprechung darauf an, wer die Beweislast dafür zu tragen hat, dass der Motorschaden und die Lockerung des Zahnriemens allein auf einen Sachmangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 zurückzuführen sind. Der BGH orientierte sich dabei überzeugend am Wortlaut des § 477: Dort wird vorausgesetzt, dass sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang ein Sachmangel zeigen muss. Das Sichzeigen des Mangels muss deshalb sicher auf eine Ursache zurückzuführen sein, die bei Gefahrübergang (§ 446 Satz 1) vorgelegen haben kann (= Sachmangel). Dass sich an der bemerkbar gewordenen Funktionsstörung aber gerade ein Sachmangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 zeigt, sieht der BGH als Tatbestandsvoraussetzung des § 477 an. Diese Tatbestandsvoraussetzung muss der Käufer beweisen: Konkret trägt er also die Beweislast dafür, dass die Lockerung des Riemens und der Motorschaden auf einen Mangel (den hohen Verschleiß) und nicht auf einen Schaltfehler zurückgehen. Erst wenn dies feststeht, entfaltet § 477 nach weiterhin überzeugenderem Verständnis eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, dass der hohe Verschleiß bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag (S. 2300f.). Da dieser Beweis vorliegend vom Käufer nicht geführt werden konnte, wurde § 477 auch nicht zu seinen Gunsten angewendet. Diese in sich konsequente Betrachtungsweise ist im Schrifttum überwiegend auf Kritik gestoßen,297 weil dadurch der Anwendungsbereich des § 477 stark eingeschränkt werde. Die Kritik stützt sich zu-

296 Im Hinblick auf den Zahnriemen aA. Gsell JZ 2008, 29, 31. 297 BeckOK/Faust § 476 Rn. 8ff.; Frassek JR 2005, 204; Klöhn NJW 2007, 2811f.; Looschelders/

Benzenberg VersR 2005, 233f.; MünchKomm/Lorenz § 476 Rn. 4; ders. NJW 2004, 3020, 3021; Saenger/Veltmann, ZGS 2005, 450f.; aA. Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 548; Soergel/Wertenbruch § 476 Rn. 21ff.; Oechsler BB 2015, 1923ff.

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nächst auf ein Wortlautargument.298 Denn in § 477 wird vermutet, dass die Kaufsache, wenn sich ein Mangel während der Sechsmonatsfrist zeigt, „bei Gefahrübergang mangelhaft war“. Demgegenüber erscheint der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VerbrGüterKRil enger: Dort wird vermutet, dass Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden. Art. 5 Abs. 3 VerbrGüterKRiL beschränkt die Vermutung also darauf, dass eine konkrete, innerhalb der Sechsmonatsfrist nach Gefahrübergang (Lieferung) aufgetretene Negativabweichung bereits bei Gefahrübergang (Lieferung) vorgelegen hat und deshalb einen Mangel darstellt. Im Gegensatz dazu kann man den Wortlaut des § 477 weitergehend auch so verstehen, dass irgendeine innerhalb der Sechsmonatsfrist auftretende Negativabweichung auf einen bei Gefahrübergang (Lieferung) vorliegenden anderen Mangel zurückgeht. Allerdings schweigen die Materialien zu der Frage, ob hinter dieser Abweichung ein gesetzgeberischer Wille steht. Ferner findet sich ein systematisches Argument zu § 443 Abs. 2:299 Wird nämlich auf der Grundlage des § 477 regelmäßig vermutet, dass eine nachträglich auftretende Funktionsstörung auf einem bei Gefahrübergang vorliegenden Mangel beruht, wirkt § 477 faktisch wie eine Haltbarkeitsgarantie. Denn im Ergebnis haftet der Verkäufer dann für sämtliche während der Sechsmonatsfrist auftretende Negativabweichungen. Dadurch wiederum entsteht eine problematische ökonomische Anreizsetzung: Wäre die Einstandspflicht des Verkäufers wirklich so weitreichend, müsste er regelmäßig mit opportunistischem Verhalten auf der Käuferseite rechnen und dieses Risiko in Form eines Preisaufschlags als „costs of dishonesty“ an sämtliche Verbraucher weitergeben (vgl. Rn. 161). Demgegenüber führte die alte Rechtsprechung des BGH zu einer ausgewogeneren Risikoverteilung zwischen Verkäufer und Käufer, wie der nachfolgende Fall zeigt: (BGH 18.7.2007 – VIII ZR 259/06 = NJW 2007, 2621) Verbraucher K erwirbt von Händler V einen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 159.100 km. Nachdem K mit dem Fahrzeug weitere 2.000 km zurückgelegt hat, machen sich Motorstörungen bemerkbar. In der Werkstatt des V wird eine defekte Zylinderkopfdichtung festgestellt. Nachdem V die Nachbesserung verweigert, erklärt K den Rücktritt.

Der BGH bejahte auf der Grundlage des § 477 einen Mangel, der bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hatte. Denn an der aufgetretenen Funktionsstörung kann sich prinzipiell ein echter Sachmangel zeigen. Unklar ist nur, ob die Ursache für die Funktionsstörung schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Hier greift die zeitliche Vermutungswirkung des § 477: Dass die Ursache in diesem Zeitpunkt vorlag, wird zugunsten des Käufers vermutet (Tz. 16). Der Unterschied zum Zahnriemenfall liegt darin, dass hier keine alternative Ursa298 BeckOK/Faust § 476 Rn. 10; MünchKomm/Lorenz § 476 Rn. 4; ders. NJW 2004, 3020, 3021; kritisch Soergel/Wertenbruch § 476 Rn. 21ff. 299 H. Roth ZIP 2004, 2025, 2026; BeckOK/Faust § 476 Rn. 2; MünchKomm/Lorenz § 476 Rn. 4.

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che für die Funktionsstörung in Betracht kam, die nur nach Gefahrübergang eingetreten sein konnte und deshalb keinen Mangel darstellt. Diese Rechtsprechung hat der BGH jedoch aufgeben.300 Die Wende leitete folgende Entscheidung des EuGH ein: (EuGH 4.6.2015 – C-497/13 = NJW 2015, 2237 – Faber) Die Niederländerin K erwirbt am 27.5.2008 vom niederländischen Autohaus V einen Gebrauchtwagen, der am 26.9.2008 während einer Fahrt plötzlich Feuer fängt und vollständig ausbrennt. Aufgrund eines Missverständnisses wird das Fahrzeug vorzeitig von einem Dritten verschrottet, sodass die Ursache des Brandes nicht mehr zu ermitteln ist.

Die Anwendung der Beweislastumkehr nach Art. 5 Abs. 3 VerbrGüterKRiL auf diesen Fall wurde von der überwiegenden Mehrheit im deutschen Schrifttum als deutlicher Hinweis dafür angesehen, dass die bisherige Rechtsprechung des BGH nicht richtlinienkonform sei.301 Dies erscheint jedoch nicht zwingend. Denn im Entscheidungstext geht der EuGH ausdrücklich von der Obliegenheit des Käufers aus, Beweis darüber zu führen, „dass die in Rede stehende Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Guts offenbar geworden ist, also sich ihr Vorliegen tatsächlich herausgestellt hat“ (Tz. 71; Hervorhebung durch den Verfasser). Dies entspricht genau der alten BGHRechtsprechung. Im vorliegenden Fall war nur eine Besonderheit zu beachten: „Das Auftreten dieser Vertragswidrigkeit in dem kurzen Zeitraum von sechs Monaten erlaubt die Vermutung, dass sie zum Zeitpunkt der Lieferung ‚zumindest im Ansatz‘ bereits vorlag, auch wenn sie sich erst nach der Lieferung des Guts herausgestellt hat“ (Tz. 72). Diesen Gedanken erläutert die befasste Generalanwältin Sharpston in ihrem Plädoyer noch näher:302 „Wie ein Mitglied des Gerichts es während der Befragung in der mündlichen Verhandlung formuliert hat: Ein Fahrzeug, das für seinen Zweck geeignet ist, geht nicht plötzlich in Flammen auf.“ Überträgt man diesen Gedanken auf das deutsche Recht, wendet der EuGH die Beweislastnorm im gleichen Sinne wie der BGH an, kommt dem beweisbelasteten Käufer jedoch zusätzlich mit einem Anscheinsbeweis (dazu Rn. 1072) entgegen: Die besondere Art der Funktionsstörung spricht nach der allgemeinen Lebenserfahrung für eine Vertragswidrigkeit (einen Mangel) und nicht für ein vom Käufer zu vertretendes nachträgliches Ereignis. Versteht man die Entscheidung in diesem Sinn, bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Käufers dafür, dass sich in der aufgetretenen Funktionsstörung ein Mangel zeigt. Erfahrungssätze, die einen Anscheinsbeweis tragen, können jedoch zu einer Beweiserleichterung zugunsten des Käufers führen.303 300 Vgl. zur alten Rechtsprechung noch: BGH NJW 2005, 3490, 3491; BGH NJW 2006, 1195 – Katalysator; BGH NJW 2007, 2619 – Kater; BGH NJW 2006, 434 – Turbolader; BGHZ 200, 1 = NJW 2014, 1086 – Sportpferd, die teilweise in der Voraufl. unter den Rn. 163f. erörtert wurden. 301 Etwa Hübner NJW 2015, 2241; Koch JZ 2015, 834; Lorenz DAR 2015, 454; differenzierend Gsell VuR 2015, 446. 302 Eleanor Sharpston 27.11.2014 – C-497/13 (Juris), Tz. 87, Fußnote 57. 303 Sagan/Scholl JZ 2016, 501, 508f.; Oechsler BB 2015, 1923, 1924ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Der BGH folgt in seiner neuen Rechtsprechung dieser Einschätzung nicht, sondern leitet eine Wende hin zu einer großzügigeren Anwendung des § 477 ein: (BGH 12.10.2016 – VII ZR 103/15 = ZIP 2016, 2272) K erwarb von Händler V am 27. März 2010 einen gebrauchten BMW 525d Touring für 16.200 €. Seit Anfang August 2010 schaltet die Automatikschaltung des Fahrzeugs in der Einstellung „D“ nicht mehr selbständig in den Leerlauf; stattdessen stirbt der Motor ab. Neben einem seit Gefahrübergang vorliegenden Mangel kommen als Ursache auch nachträgliche, von K verursachte Umstände in Betracht, wie etwa eine Fehlschaltung oder eine Überlastung des Freilaufs. Im jetzigen Zustand ist jedenfalls ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen nicht mehr möglich. Auf das Nacherfüllungsverlangen des K geht V nicht ein. Nach Erklärung des Rücktritts verlangt K deshalb den Kaufpreis zurück. Der Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 setzt einen Mangel des Fahrzeugs iSd. § 434 Abs. 1 voraus. Dessen tatsächliche Voraussetzungen lassen sich nicht beweisen. V könnte die daraus resultierende Beweislast nach § 477 zu tragen haben.

Der BGH distanziert sich zunächst von seiner bisherigen Rechtsprechung mit Blick auf das Faber-Urteil; sie werde der Interpretation des Art. 5 Abs. 3 VerbrGüterKRiL durch den EuGH nicht gerecht (Tz. 20ff. und Tz. 28ff.). Er erweitert deshalb den Gegenstand der Beweislastumkehr nach § 477: Dieser bezieht sich nicht nur wie bisher auf die Unklarheit darüber, ob die nachträglich auftretende Störung bereits bei Gefahrübergang vorlag, sondern betrifft auch die Frage, ob die nachträglich auftretende Störung überhaupt einen Mangel darstellt (Tz. 34f.). Deshalb muss der Käufer jetzt nur noch behaupten und beweisen, dass der gegenwärtige Zustand der Kaufsache nicht der im Vertrag vereinbarten Sollbeschaffenheit (§ 434 Abs. 1) entspricht (Tz. 35 f.). Aus Sicht des Käufers erübrigt sich damit die auf dem Zahnriemen-Fall beruhende Konstellation eines bei Gefahrübergang vorliegenden latenten Mangels, der sich erst nach Gefahrübergang binnen der Sechsmonatsfrist zeigt (Tz. 52). Für den Verkäufer wird sie jedoch zum Beweisthema: Dieser muss künftig nach § 286 ZPO, also zur vollen Überzeugung des Gerichts, beweisen, dass eine nach Gefahrübergang auftretende Funktionsstörung nicht auf einem bei Gefahrübergang vorliegenden verdeckten Mangel beruht (Tz. 59f.). Vorliegend zeigt sich ein Mangel nach § 477 daran, dass der jetzige Zustand des BMW nicht der im Vertrag konkludent vereinbarten Sollbeschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 1) entspricht. Denn V hatte K ein fahrtüchtiges Kfz verkauft. Dahinter bleibt die Istbeschaffenheit des BMW zurück. Deshalb müsste V beweisen, dass die Schaltprobleme nicht auf einem Umstand beruhen, der bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Dies ist nicht möglich. Die Zweifel über das Sichzeigen eines Mangels gehen daher zu Lasten des V. Ein Sachmangel liegt vor.

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§ 477 belastet den Verkäufer erheblich. Seinem Schutz dient die im letzten Halbsatz der Norm vorgenommene Einschränkung. Danach ist die Vermutungswirkung für den Fall ausgeschlossen, dass sie mit der Art der Sache oder der Art des Mangels unvereinbar ist. Nach einer Auffassung eröffnen diese Tatbestandsmerkmale diesmal dem Verkäufer die Möglichkeit, die Vermutungs-

B. Käuferrechte

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wirkung des § 477 durch Führung des Anscheinsbeweises zu entkräften: Dieser sei darauf gerichtet, dass die Funktionsstörung nach Gefahrübergang entstanden sein müsse.304 So müsste der Verkäufer die tatsächlichen Voraussetzungen eines Erfahrungssatzes beweisen, der es nahe legt, dass die Funktionsstörung nach Gefahrübergang entstanden ist; der Käufer hätte es aber im Gegenzug in der Hand, die tatsächlichen Grundlagen des Erfahrungssatzes und damit den Anscheinsbeweis wiederum zu erschüttern, was zur alten Beweislastverteilung nach § 477 zurückführen würde. Dagegen ist überzeugend eingewendet worden, dass dann die Beschränkung in § 477 neben den in § 292 ZPO geregelten Rechtsfolgen einer gesetzlichen Vermutung keine eigenständige Bedeutung mehr entfalten würde; denn immer kann der Verkäufer den Anscheinsbeweis im Rahmen des § 292 ZPO führen.305 Näher liegt daher ein Verständnis des Ausnahmetatbestandes aus dem Normzweck des § 477 heraus. Ist ein Mangel auch von einem Nichtfachmann bei Gefahrübergang leicht zu entdecken, der aber auch jederzeit durch eine Handlung des Käufers nach Gefahrübergang hätte eintreten können (Lack-, Blechschäden), greift die Vermutungswirkung wohl nicht: Denn hier gerät der Verbraucher kaum in Beweisnot und es drohen wegen der leichten Erkennbarkeit keine Verzögerungen durch umfangreiche Käuferuntersuchungen.306 Ähnlich argumentiert auch der BGH an anderer Stelle: Die Vermutungswirkung ist danach wegen der Art des Mangels ausgeschlossen, „wenn es sich um äußerliche Beschädigungen der Kaufsache handelt, die auch dem fachlich nicht versierten Käufer auffallen müssen. Denn in einem solchen Fall ist zu erwarten, dass der Käufer den Mangel bei der Übergabe beanstandet.“307 Dabei kann es mit Blick auf § 442 Abs. 1 Satz 2 nur um die Fälle gehen, in denen der Käufer aufgrund leichter „Fahrlässigkeit“ (Obliegenheit!) einen solchen Mangel nicht erkennt; in den Fällen grober Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes ist im Regelfall die Verkäuferhaftung ohnehin nach § 442 Abs. 1 Satz 1 und 2 ausgeschlossen. (BGH 29.3.2006 – VIII ZR 173/05 = BGHZ 167, 40 = NJW 2006, 2250) K kauft von V ein fünf Jahre altes Araber-Pferd. Dieses zeigt nach Übergabe ein sog. Sommerekzem, eine saisonal sichtbare Allergie, bei der eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf Mückenstiche zu einem klinischen Erscheinungsbild führt. Dieses geht soweit, dass der Aufenthalt des Pferdes im Freien nicht möglich ist. Die Erkrankung ist nicht heilbar. Unklar war jedoch, ob das Pferd vor Gefahrübergang an der Allergie erkrankt war. Jedenfalls verlangt K von V sein Geld zurück.

In diesem Fall geht das Gericht schon aufgrund seiner alten Rechtsprechung von einem Sachmangel iSd. § 477 aus (Tz. 21): Für die „Funktionsstörung“ 304 Gsell JuS 2005, 967, 969f. 305 Maultzsch NJW 2006, 3091, 3095: Deshalb soll der Käufer nach einem Anscheinsbeweis des

Verkäufers den Vollbeweis nach § 363 führen müssen. 306 Ablehnend Maultzsch NJW 2006, 3091, 3094, linke Spalte, dessen eigenes Ergebnis unter 1.,

rechte Spalte aber nicht sehr weit davon entfernt ist. 307 BGH BB 2006, 686, Tz. 16.

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§ 2 Der Kaufvertrag

(Sommerekzem) gibt es nämlich nur eine Ursache. Zweifel über den Zeitpunkt ihres Auftretens bei Gefahrübergang überwindet die in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung des § 477. Hier stellt das Gericht nun die Frage, ob die Vermutung nicht wegen der Art der Sache (Tier) oder der Art des Mangels (Krankheit) ausgeschlossen ist.308 Eine Ausnahme wegen der Art der Sache schließt der BGH überzeugend unter Hinweis auf § 90a aus (Tz. 22) und erwägt nur eine Ausnahme wegen der Art des Mangels: Weil sich der körperliche Zustand eines Tieres ständig verändere, könne die Entstehung bestimmter Krankheiten zeitlich nicht genau lokalisiert werden. Dies gilt aber nicht für das vorliegend diagnostizierte Sommerekzem. Weil der Hautausschlag regelmäßig im Sommer auftrete, müsse er auch aufgetreten sein, als sich das Tier noch beim Verkäufer befand. Deshalb könne sich der Verkäufer für den Fall, dass die Dinge anders liegen, leicht entlasten; § 477 sei deshalb grundsätzlich anwendbar. Auch wenn ein Dritter die Kaufsache einbaut (zB. Teichbecken), soll § 477 nicht wegen der Art des Mangels (zB. undichte Stelle) ausgeschlossen sein.309 Der Gesetzgeber stellt in den Materialien schließlich ausdrücklich fest, dass die Beweislastumkehr nicht auf gebrauchte Kaufsachen anwendbar ist.310 Im Wortlaut des § 477 fehlt allerdings eine solche Einschränkung. 4. Die Rechtsfolgen der Nacherfüllung a) Wahlrecht und verhaltener Anspruch 168

Liegt ein Sachmangel vor, räumt § 439 Abs. 1 dem Käufer die freie Wahl zwischen Nachbesserung, dh. Beseitigung des Mangels, und Nachlieferung, dh. Lieferung einer mangelfreien Sache, ein. Dass das Wahlrecht dem Käufer und nicht dem uU. technisch versierteren Verkäufer zusteht (vgl. § 635 Abs. 1), folgt daraus, dass der Verkäufer „einen Fehlschlag produziert“ und sich einstweilen als unzuverlässig erwiesen hat. Deshalb wird ihm das Heft des Handelns aus der Hand genommen. So erscheint das Wahlrecht auch als ein Ausgleich dafür, dass sich der Käufer eine zweite Andienung gefallen lassen muss.311 „Es ist die Pflichtverletzung des Verkäufers, die dazu führt, dass der Vertrag nicht wie vorgesehen abgewickelt werden kann. Dann ist es legitim, zunächst den Käufer entscheiden zu lassen, auf welche Weise das Vertragsziel der Lieferung einer mangelfreien Sache doch noch erreicht werden kann. Es sollte der Beurteilung des Käufers überlassen bleiben, inwieweit er sich auf Nachbesserungsversuche eines möglicherweise inzwischen als unzuverlässig erkannten Verkäufers noch einlassen möchte.“312

308 Der Gesetzgeber ging bei Tierkrankheiten davon aus: RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 245, rechte Spalte. Vgl. dazu auch Adolphsen AgrarR 2001, 169, 172; Augenhofer ZGS 2004, 385, 386; E. Graf von Westphalen ZGS 2005, 210, 214. 309 BGH NJW 2006, 434. 310 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 245, rechte Spalte. 311 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 416f. 312 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 231, linke Spalte.

B. Käuferrechte

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Eine erste Konsequenz des Wahlrechts liegt darin, dass der Anspruch auf Nacherfüllung erst entsteht, wenn der Käufer das Wahlrecht ausgeübt hat (verhaltener Anspruch): Eine „Erfüllung“ durch den Verkäufer vor diesem Zeitpunkt kommt entgegen § 271 Abs. 2 nicht in Betracht, weil der Inhalt der Schuld noch nicht feststeht.313 Der § 439 Abs. 1 zugrunde liegende Rechtsgedanke ist indes auch anwendbar, wenn verschiedene Arten der Nachbesserung in Betracht kommen. Hier steht dem Käufer aus den erwähnten Gründen die freie Wahl zu. b) Das Ius variandi bei der Nacherfüllung

Die Ausübung des Wahlrechts vollzieht der Käufer durch eine Willenserklärung mit Gestaltungswirkung. Umstritten ist, ob die Wahlmöglichkeit nach § 439 Abs. 1 eine Wahlschuld nach § 262 begründet,314 oder auf einer elektiven Konkurrenz beruht (hM.)315. Die Relevanz dieser Unterscheidung liegt in der Bindungswirkung der vom Käufer getroffenen Entscheidung:

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V verkauft K eine Luxusuhr des Modells X. Als sich ein Mangel der Uhr herausstellt, verlangt K Nachlieferung. Mittlerweile wird das Modell X aber nicht mehr hergestellt, weswegen V die Nachlieferung nach § 275 Abs. 1 verweigert. Kann K, dem sehr an der Uhr gelegen ist, von V jetzt noch Nachbesserung verlangen? In der Bejahung dieser Möglichkeit liegt häufig gerade der Grund für die Annahme einer elektiven Konkurrenz. Bei einer Wahlschuld entsteht hingegen höherer Begründungsaufwand, weil nach § 263 Abs. 2 eine Bindung an die Wahl eintritt.

Die Wahlschuld beruht auf einer einheitlichen Forderung mit alternativem Leistungsinhalt. Entscheidet sich der Gläubiger für eine mögliche Alternative, nimmt die Forderung endgültig diesen Inhalt an (§ 263 Abs. 2). Im Falle elektiver Konkurrenz hingegen stehen dem Gläubiger mehrere Forderungen nebeneinander zur Verfügung: Verfolgt er sein Anspruchsziel zunächst vergeblich auf der Grundlage einer Forderung, ist er nicht gehindert, später auf eine andere Rechtsgrundlage zu wechseln; eine Festlegung tritt erst ein, wenn der Schuldner nach § 362 Abs. 1 eine der Forderungen erfüllt hat und damit auch die übrigen inhaltlich zusammenhängenden Ansprüche untergehen.316 Betrachtet man den Wortlaut von § 439 Abs. 1 („nach seiner Wahl“) und bedenkt man, dass Nachbesserung und Nachlieferung nur auf einem einheitlichen 313 Bamberger/Roth/Faust § 439 Rn. 11 (= BeckOK); Reinicke/Tiedtke Rn. 414; kritisch Wiese AcP 206 (2006) 904, 931ff. 314 So Büdenbender AcP 205 (2005) 386ff.; Jauernig/Berger § 439 Rn. 17; Gsell, in: FS U. Huber, 2006, S. 299, 309; Schellhammer MDR 2002, 301; Stamm JZ 2015, 920. 315 Spickhoff BB 2003, 589, 591; Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 75f.; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 50; ferner: Bamberger/Roth/Faust § 439 Rn. 9f. (= BeckOK); BeckOGK/Höpfner § 439 Rn. 18ff.; Kandler, Kauf und Nacherfüllung, 2004, S. 436; Staudinger/Matusche-Beckmann § 439 Rn. 7; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 196; Petersen Rn. 169; Skamel ZGS 2006, 457; H. Roth NJW 2006, 2953; Tiedtke/Schmitt DStR 2004, 2016; MünchKomm/Westermann § 439 Rn. 4f. 316 Weitnauer, in: FS Hefermehl, 1976, S. 467ff.; Gsell, in: FS U. Huber, 2006, S. 299, 308; der Begriff ist nicht unumstritten: Pöschke JZ 2010, 349ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Nacherfüllungsanspruch aus § 437 Nr. 1 beruhen, fällt es schwer, die Voraussetzungen einer Wahlschuld zu verneinen und die einer elektiven Konkurrenz zu bejahen. Deshalb argumentiert die Gegenauffassung vor allem vom Ergebnis her, und zwar auf der Ebene des Käuferschutzes: Der Nacherfüllungsanspruch diene auch dem Schutz des Erfüllungsanspruchs aus § 433 Abs. 1. Deshalb dürfe der Käufer nicht durch eine frühzeitige Festlegung die jeweilige Alternative einbüßen. Allerdings hat ein solcher Käuferschutz auch einen Preis; der Käufer kann durch einen nachträglichen, beliebigen Wechsel der Nacherfüllungsart dem Verkäufer einen Schaden zufügen: Aufwendungen, die der Verkäufer nämlich im Hinblick auf die zunächst gewählte Nacherfüllungsart erbracht hat (Anfahrt der Mitarbeiter zum Reparaturtermin), sind dann vergebens. (OLG Saarbrücken 29.5.2008 – 8 U 494/07 = ZGS 2008, 429) Der Käufer hat die Reaktion des Verkäufers auf das Nachbesserungsverlangen in seiner Aufregung falsch verstanden und wechselt innerhalb weniger Stunden von Nachbesserung zu Nachlieferung. Der Verkäufer weiß nicht, worauf er sich einstellen muss. Das OLG behilft sich hier mit § 242. Ein so rascher Wechsel, der zumal auf dem eigenen Missverständnis beruhe, verstoße gegen § 242.

In Fällen dieser Art befürworten auch die Anhänger einer elektiven Konkurrenz die Anwendung des Rechtsmissbrauchsgedankens aus § 242,317 womit aber nur in schweren Fällen geholfen werden kann. Richtiger Auffassung nach erscheint der Käufer auch bei der Annahme einer Wahlschuld nicht endgültig gebunden. Wie sich der Käufer jedoch lösen kann, ist im Einzelnen umstritten: Nach einer Auffassung soll auch bei der Wahlschuld ein allgemeines Ius variandi bestehen. Begründet wird dies mit einem Erst-recht-Schluss aus § 352, der auch beim Rücktritt, also einem Gestaltungsrecht, ein Änderungsrecht vorsehe.318 Diese Auffassung ist insbesondere mit der Rechtsfolge des § 263 Abs. 2 schwer vereinbar: Durch Ausübung des Wahlrechts mittels Willenserklärung soll zugunsten des Schuldners Rechtssicherheit eintreten. Die spricht dafür, dass sich der Käufer nur unter den Voraussetzungen des § 119 Abs. 2 (also nicht willkürlich) von der einmal ausgeübten Wahl lösen kann. Dieser Weg hat zwei Vorteile: Der Käufer kann nicht jederzeit und willkürlich wechseln, sondern muss einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der zunächst erstrebten Nacherfüllungsleistung geltend machen. Erklärt er die Anfechtung, haftet er ferner dem Verkäufer aus § 122 Abs. 1 auf Schadensersatz. Diese Verantwortung erscheint als notwendige Kehrseite seiner Wahlfreiheit nach § 439 Abs. 1: Dem Entscheidungsrecht des Käufers entspricht auch eine Verantwortung für dessen Ausübung. Diese ist jedoch keineswegs unbeschränkt. In allen Fällen, in denen der Verkäufer Verantwortung dafür trägt, dass die Wahl

317 Bamberger/Roth/Faust § 439, Rn. 10 (= BeckOK); MünchKomm/Westermann § 439 Rn. 5. 318 Gsell, in: FS U. Huber, 2006, S. 299, 313 im Anschluss an Leser, Der Rücktritt vom Vertrag,

1975, S. 228f.

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des Käufers in die Irre geht, haftet ihm der Käufer schon wegen § 122 Abs. 2 nicht. § 122 Abs. 1 aber schützt den Verkäufer vor nachträglichen, willkürlichen Revidierungen der Käuferentscheidung, die die Aufwendungen für die später aufgegebene Nacherfüllungsart nutzlos werden lassen. Die Haftung aus § 122 Abs. 1 widerspricht dabei nicht § 439 Abs. 2; denn regelmäßig handelt es sich gerade um Aufwendungen, die für eine Art der Nacherfüllung aufgebracht wurden, die im Nachhinein betrachtet nicht geschuldet war, weil der Käufer die Wahl selbst umgestellt hat. Nach der hier vertretenen Ansicht kann K die getroffene Wahl nach § 119 Abs. 2 wirksam anfechten. Er haftet dabei V nicht nach § 122 Abs. 2, weil dieser als Fachmann das Auslaufen des Modells hätte erkennen können und K vor der Ausübung der Wahl auf diesen Umstand aufmerksam machen musste.

c) Nachlieferung bei der Stückschuld

Fraglich ist weiter, ob dem Käufer das Wahlrecht zwischen Nachbesserung und Nachlieferung auch im Falle der Stückschuld zusteht. (BGH 7.6.2006 – VIII ZR 209/05 = BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839) V hat K ein Gebrauchtfahrzeug für 29.000 € verkauft. Nachträglich stellt sich heraus, dass dieses einen Unfallschaden aufweist. K erklärt sofort den Rücktritt und verlangt den Kaufpreis zurück. V hingegen bietet Nachlieferung eines anderen Gebrauchtfahrzeugs vergleichbarer Ausstattung an. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kommt nur in Betracht, wenn K in Anbetracht des Mangels, den ein Unfallschaden stets darstellt (Rn. 122), keine Nachfrist setzen musste. Eine Nachbesserung scheidet bei einem Unfallschaden stets aus. Denn hier geht es nicht um konkrete Funktionsbeeinträchtigungen, sondern um den merkantilen Minderwert, den das Fahrzeug schlicht deswegen hat, weil es einmal in einen Straßenverkehrsunfall verwickelt war und nun der Verdacht weiterer, versteckter Mängel auf ihm lastet. Dieser Minderwert lässt sich nicht beseitigen (Rn. 122). Fraglich ist jedoch, ob vorliegend eine Nachlieferung iSd. § 439 Abs. 1 zweiter Fall in Betracht kommt.

Die grundlegende Möglichkeit einer Nachlieferung bei der Stückschuld bejaht der BGH hier im Anschluss an die hM.319 (Tz. 18ff.). Nicht wenige Autoren verneinen den Nachlieferungsanspruch nach § 439 Abs. 1 hingegen mit der Überlegung, der Käufer könne vom Verkäufer nicht die Lieferung einer Ersatzsache verlangen, weil der Vertrag von vornherein nur über die eine konkrete Sache geschlossen worden sei; über § 439 Abs. 1 dürfe keine Auswechselung des

319 Vgl. auch BGH NJW 2016, 1575 zur Nachlieferung bei einer mangelhaften Eigentumswohnung: offengelassen unter Tz. 39f.; ansonsten: OLG Braunschweig NJW 2003, 1053, 1054; LG Ellwangen NJW 2003, 517; Bitter/Meidt ZIP 2001, 2114, 2119f.; Canaris JZ 2003, 831, 833ff.; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 30; Ackermann JZ 2002, 378, 381; NK-BGB/Büdenbender § 439 Rn. 26; Ehmann/Sutschet S. 201; BeckOGK/Höpfner § 439 Rn. 75; Grunewald § 9 Rn. 24; Graf von Westphalen in: Henssler/Graf von Westphalen § 439 Rn. 5f.; Kamanabrou ZGS 2004, 57; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 203ff.; Pammler NJW 2003, 1992; Petersen Rn. 275; Schubel JuS 2002, 313, 316; H. Roth NJW 2006, 2953, 2955; Spickhoff BB 2003, 589, 590; Oechsler NJW 2004, 1825, 1828f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Vertragsgegenstandes stattfinden.320 Denn bei der Stückschuld trage der Käufer die Leistungsgefahr (= die Gefahr, dass der Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 sich auf eine ganz bestimmte Kaufsache beschränkt und deshalb nach § 275 Abs. 1 bzw. 2 untergeht, wenn Unmöglichkeit eintritt). Dass dies nicht in allen Fällen zutrifft, zeigen folgende Beispiele: Fall 1: K nimmt im Getränkegroßhandel des V eine Kiste Mineralwasser aus dem Regal und zahlt sie an der Kasse (Stückschuld). Fall 2: K bestellt beim Getränkegroßhandel des V telefonisch eine Kiste Mineralwasser, die nach Hause zu liefern ist (Gattungsschuld).

Mit Blick auf Konstellationen wie die im Fall 1 geschilderte erweitern einige Autoren den Begriff der Stückschuld: Danach liegt eine Stückschuld nur vor, wenn der Käufer die Leistungsgefahr trägt.321 Dies verkehrt allerdings Ursache und Wirkung und entspricht nicht § 243 Abs. 1: Nach dieser Norm kommt es nämlich für die Stückschuld allein darauf an, dass sich die vertragliche Vereinbarung auf eine bestimmte Sache bezieht. Deshalb führt die Vereinbarung einer Stückschuld nicht in allen Fällen dazu, dass der Käufer die Leistungsgefahr trägt (dh. hier die Gefahr, keine andere Sache vom Verkäufer zu erhalten, wenn die erste nicht erfüllungstauglich ist).322 Ein entsprechender Parteiwille ist häufig gerade beim Kaufvertrag über eine vertretbare Sache (§ 91) nicht anzunehmen (so auch Tz. 18): Hier bedeutet eine Spezifizierung des Leistungsgegenstandes nämlich regelmäßig nicht, dass der Vertrag mit der Lieferung der Sache stehen oder fallen soll; vielmehr ist die Spezifizierung häufig nur ein Ersatz für die in vielen Lebenssituationen unpraktikable Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1: Statt mit dem Verkäufer über die gewünschten Beschaffenheitsmerkmale im Einzelnen zu verhandeln, wählt der Käufer einfach ein bestimmtes, vertrauenserweckendes Gattungsexemplar aus und bringt auf diese Weise zum Ausdruck, was er vom Verkäufer erwartet (abgekürzte Beschaffenheitsvereinbarung).323 Dem entspricht, dass die Bezugsmöglichkeiten des Verkäufers bei Massengütern des täglichen Bedarfs praktisch unbeschränkt sind und beide Parteien schon deshalb von einer Risikoübernahme des Verkäufers ausgehen müssen. Der Gesetzgeber nimmt in den Materialien in ähnlicher Weise Stellung:

320 U. Huber AcP 209 (2009) 143, 158: „verkappter Schadensersatz“; ders., in: FS Schlechtriem,

2003, S. 521, 523, Fn. 9; Lorenz/Riehm Rn. 505f.; ders. JZ 2001, 742, 744; mit weiteren Argumenten Ackermann JZ 2002, 378, 379ff.; Faust ZGS 2004, 252ff.; Haas BB 2001, 1313, 1315; Jacobs, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmid, S. 371, 378ff.; Lettl JuS 2002, 866, 869; Pfeiffer ZGS 2002, 23, 29, Fn. 38 mwN.; Reinking DAR 2002, 15, 19; Schellhammer MDR 2002, 301; M. Schwab JuS 2002, 1, 6. 321 Faust ZGS 2004, 252; auch Canaris JZ 2003, 831 bezeichnet den ersten Fall als den einer „Gattungsware“, wobei die rechtliche Bedeutung dieses Begriffes nicht klar ist. 322 AA. U. Huber, in: FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 538ff. 323 So auch Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 30; Szalai ZGS 2011, 203, 207ff.; Tiedtke/Schmitt JuS 2005, 583, 585f.

B. Käuferrechte

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„Nacherfüllung ist nicht bei jedem Stückkauf möglich. Ein als unfallfreies Fahrzeug verkaufter Unfallwagen ist durch keine Anstrengung unfallfrei zu machen. Bei nicht vertretbaren Kaufsachen scheidet auch die Ersatzlieferung aus.“324

Für diese Betrachtungsweise spricht auch der Schutzzweck der §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1, dem Verkäufer die Gelegenheit zu geben, einen Rücktritt des Käufers durch Nacherfüllungsmaßnahmen zu verhindern, wenn eine Nachbesserung nicht in Betracht kommt. Zu Recht wird jedoch im Schrifttum darauf hingewiesen, dass eine starre Orientierung an der Frage, ob es sich bei der Kaufsache um eine vertretbare Sache handelt oder nicht, gegen das § 434 Abs. 1 Satz 1 zugrunde liegende Prinzip des subjektiven Mangelbegriffs (Rn. 95) verstößt: Allein die Parteien haben es in der Hand, auch bei einer vertretbaren Kaufsache zu vereinbaren, dass der Kaufvertrag mit dieser stehen oder fallen soll.325 Dem Umstand, dass es sich bei der Kaufsache um eine vertretbare oder unvertretbare Sache handelt, kommt daher lediglich als Indiz im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 Bedeutung zu, wenn die Parteien keine ausdrückliche Regelung getroffen haben. Vorliegend verneint der BGH im Wege einer Auslegung nach §§ 133, 157, dass die Parteien im Falle des Mangels der Kaufsache eine Nachlieferungspflicht gewollt hätten. Ein Gebrauchtfahrzeug stellt vielmehr eine so einzigartige Kombination aus Vor- und Nachteilen dar, dass für sie nach dem Parteiwillen grundsätzlich kein Ersatz in Betracht kommt (Tz. 24): „Die Auslegung des Berufungsgerichts beruht auf der Überlegung, dass beim Kauf eines Gebrauchtwagens, auch wenn es dem Käufer … auf einen bestimmten Typ und eine bestimmte Ausstattung des Fahrzeugs ankommt, in der Regel erst der bei einer persönlichen Besichtigung gewonnene Gesamteindruck326 von den technischen Eigenschaften, der Funktionsfähigkeit und dem äußeren Erscheinungsbild des individuellen Fahrzeugs ausschlaggebend für den Entschluss des Käufers ist, das konkrete Fahrzeug zu kaufen, das in der Gesamtheit seiner Eigenschaften dann nicht gegen ein anderes austauschbar sein soll. Diese Sichtweise des Berufungsgerichts liegt nicht nur beim Gebrauchtwagenkauf nahe, sondern ist beim Kauf gebrauchter Sachen in der Regel sachgerecht. Angesichts der vielfältigen Unterschiede im Abnutzungsgrad gebrauchter Sachen auch gleichen Typs ist Zurückhaltung bei der Annahme geboten, dass beim Kauf einer gebrauchten Sache auch die Lieferung einer anderen Sache dem Parteiwillen entspreche.“

Diese Argumentation bereitet vor allem dem an § 433 Abs. 1 BGB aF. geschulten Denken (dazu Rn. 56) Probleme, weil die Parteien vermeintlich ein bestimmtes Fahrzeug als Leistungsobjekt spezifiziert haben und dieses zum Inhalt der Leistungspflicht geworden ist.327 Der Kerngedanke des neuen § 433 Abs. 1 Satz 2 besteht aber darin, dass nicht die Spezifizierung des Objektes immer und 324 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 209, rechte Spalte; kritisch zur Bedeutung dieses Zitates aller-

dings Ackermann JZ 2002, 378,380f. und Canaris JZ 2003, 831, 835. 325 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 30; Faust JZ 2007, 101, 103. 326 Auf diesen stellen ebenfalls besonders ab Derleder/Sommer JZ 2007, 338, 339. 327 Vgl. in diesem Zusammenhang noch einmal U. Huber AcP 209 (2009) 143, 158 im An-

schluss an Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948, S. 31f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

allein den Ausschlag für den Inhalt der Leistungspflicht des Verkäufers gibt, sondern auch die vereinbarten Qualitätsmerkmale.328 Ist deshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen und gemäß §§ 133, 157 davon auszugehen, dass die Vereinbarung einer Stückschuld nur eine abgekürzte Beschaffenheitsvereinbarung darstellt und der Vertrag nicht mit der Lieferung der einen Sache stehen oder fallen soll, kommt eine Nachlieferung in Betracht. Allerdings tritt hier ein Wertungswiderspruch ganz anderer Art auf: Im Falle eines nicht behebbaren Mangels hat der Käufer einen Anspruch auf Lieferung einer Ersatzsache, im Falle des vollständigen Untergangs der Kaufsache hat er wegen § 275 Abs. 1 jedoch keinen Anspruch mehr auf die Leistung.329 Das zugrundeliegende Paradoxon lässt sich auch anders formulieren: Stellt der Verkäufer vor Übergabe ein Funktionsdefizit fest und sieht deshalb von der Übergabe ab, hat der Käufer keinen Anspruch auf eine Ersatzsache. Begründet das vor Gefahrübergang vorliegende Funktionsdefizit hingegen mit der Übergabe einen Mangel, kommen Ansprüche durchaus in Betracht.330 Dieser Widerspruch spiegelt aber ein Grundproblem des reformierten BGB, das im Spannungsverhältnis von § 275 Abs. 1 und § 433 Abs. 1 Satz 2 unvermeidlich angelegt ist: Mit dem Begriff der Unmöglichkeit rückt das BGB die klassische Überleitung von Primär- zu Sekundärpflichten in den Mittelpunkt der systematischen Überlegungen.331 Dies führt zu Abgrenzungsergebnissen, die mit der wesentlich pragmatischeren Regelung des § 433 Abs. 1 Satz 2 nicht immer harmonieren: Denn dort wird die Mangelfreiheit – nach klassischer Vorstellung ein Thema der Sekundärpflichten (Rn. 56) – zum Gegenstand der Primärleistungspflicht erhoben.332 d) Der Inhalt des Nacherfüllungsanspruchs

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Der Inhalt der Nacherfüllungspflicht ist durch eine zeitliche Komponente geprägt. Der Verkäufer muss innerhalb der in §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 vorgesehenen angemessenen Frist nacherfüllen. Fraglich ist ferner, welchen sachlichen Umfang die Nacherfüllung voraussetzt (Rn. 175ff.) und wo der entsprechende Leistungsort liegt (Rn. 182ff.). aa) Der sachliche Gegenstand (Ausbau, Abwendung durch Geldzahlung usw.)

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Im Hinblick auf den Gegenstand der Nacherfüllungspflicht hat vor allem die Entscheidung des EuGH in Sachen „Weber/Putz“ fundamentale dogmatische Gewissheiten über den Inhalt des Nacherfüllungsanspruchs erschüttert:

328 329 330 331 332

Canaris JZ 2003, 831, 835. Balthasar/Bolten ZGS 2004, 411; kritisch Gruber JZ 2005, 707, 711; Fest ZGS 2005, 18f. Musielak NJW 2008, 2801, 2804. U. Huber AcP 210 (2010) 319, 326ff. Zu Recht Gruber JZ 2005, 707, 712.

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(EuGH 16.6.2011 – RS C-65/09 = NJW 2011, 2269 – Weber, verbunden mit RS C-87/09 – Putz)333: K erwarb in dem von V betriebenen Baumarkt polierte Bodenfliesen für 1.382,27 €. Nachdem er zwei Drittel der Fliesen verlegt hat, erkennt er auf diesen Schattierungen, bei denen es sich um feine Mikroschleifspuren handelt, die nicht zu beseitigen sind. Von V verlangt er im Wege der Nacherfüllung eine Lieferung neuer Fliesen und den Ausbau sowie den Abtransport der alten Fliesen. Fraglich ist, ob der Anspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 auch auf Ausbau und Abtransport der Fliesen gerichtet ist.

Im Vorfeld dieser Entscheidung ist auch im deutschen Recht die Auffassung vertreten worden, der Nacherfüllungsanspruch umfasse den Ausbau der eingebauten, mangelhaften Kaufsache.334 Begründet wurde dies mit folgenden Überlegungen:335 Der Verkäufer habe durch seine Schlechtleistung den Aus- und Einbau veranlasst und könne die Vermeidung ähnlicher Störungen besser beherrschen. Auch sei er eher in der Lage, das Risiko zu versichern, wenngleich sofort eingeräumt werden musste, dass nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 lit. b der Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) Ansprüche auf Nacherfüllung nicht ohne Weiteres zu versichern sind. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung dürfe das Risiko des Ausbaus nicht beim Käufer verbleiben, sondern müsse über § 445a in der Lieferkette an den eigentlich verantwortlichen Hersteller weitergeleitet werden. Der BGH ist diesen Argumenten ursprünglich im Parkettstäbe-Urteil zu Recht nicht gefolgt: Er sah den Nacherfüllungsanspruch als modifizierten Erfüllungsanspruch an, der in seinem Umfang nicht an die Naturalrestitution heranreiche.336 Bis zur vorliegenden Entscheidung entsprach es daher einer weithin gesicherten Erkenntnis, dass Ein- und Ausbau im Grunde eine Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 bedeuten. Auf diese haftet der Schuldner aber nach dem BGB grundsätzlich nicht bei Veranlassung, sondern nur bei Vertretenmüssen (arg. e §§ 280 Abs. 1, 311a Abs. 2, 823 usw.). Bekanntlich hat der EuGH jedoch einen auf Ausbau gerichteten Nacherfüllungsanspruch bejaht, und zwar aufgrund folgender Überlegungen: Die Unentgeltlichkeit der Herstellung eines vertragsgemäßen Zustands nach Art. 3 Abs. 2 VerbrGüterKRiL stelle ein zentrales Prinzip der Richtlinie dar und ziele darauf ab, den Verbraucher vor Belastungen zu schützen, die ihn ansonsten von der Geltendmachung des Anspruchs abhalten könnten (Tz. 46). Dem widersprächen auch nicht die in Art. 3 Abs. 4 VerbrGüterKRiL aufgezählten Fälle, weil diese ausweislich des Tatbestandsmerkmals „insbesondere“ nur Beispielcharakter aufwiesen. Ferner sollten Nachbesserung und Ersatzlieferung dasselbe Verbraucherschutzniveau gewährleisten: Die Nachbesserung werde aber regelmäßig an der Kaufsache selbst erbracht (Tz. 51). Dann müsse dies auch für 333 Der Fall entspricht dem Verfahren in Sachen „Gebr. Weber“; im Fall „Putz“ ging es um die Entfernung einer mangelhaften, zuvor eingebauten Spülmaschine. 334 OLG Frankfurt ZGS 2008, 315; OLG Karlsruhe ZGS 2004, 432, 433; Bamberger/Roth/ Faust § 439 Rn. 19; Terrahe VersR 2004, 680, 682. 335 Faust BauR 2010, 1818, 1825; vgl. auch Bamberger/Roth/Faust § 439 Rn. 19. 336 BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837, Tz. 18ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

die Ersatzlieferung gelten. Auch habe die Ersatzlieferung nach Art. 3 Abs. 3 VerbrGüterKRiL ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen (Tz. 51). Dafür spreche schließlich auch der Wortlaut „Ersatzlieferung“ (Tz. 54). Das Gericht spricht dabei als Problem an, dass der Verkäufer ursprünglich nicht zum Einbau verpflichtet gewesen sei. Darauf komme es jedoch nicht an, weil sich der Inhalt der Nacherfüllung nicht nur nach dem vertraglich Vereinbarten, sondern auch aufgrund von Art. 3 VerbrGüterKRiL ergebe (Tz. 59). Auch ein fehlendes Verschulden des Verkäufers mache dabei keinen Unterschied (Tz. 56ff.). In der Sache dürfte es sich nach damaligem Rechtsstand um eine deutliche Fehlentscheidung handeln.337 Der Kernpunkt der Sachkritik liegt darin, dass der EuGH den Inhalt des Nacherfüllungsanspruchs unabhängig von der vertraglichen Vereinbarung der Parteien konkretisiert.338 Praktisch bedeutet dies, dass ein Verbraucher denselben Nacherfüllungsanspruch erwirbt, gleichgültig, ob er sich in einem Billigmarkt mit Fliesen eindeckt oder für ein Vielfaches des dabei zu entrichtenden Entgelts einen Handwerker mit dem Verlegen von Fliesen iSd. § 650 Satz 1 beauftragt. Noch der Generalanwalt Mazák hatte diese Einsicht so auf den Punkt gebracht, dass das Ziel der Nacherfüllung darin bestehe, „der Vertragswidrigkeit im Vergleich zu dem, was dem Verbraucher ursprünglich nach dem Vertrag geschuldet war, abzuhelfen.“339 In den Überlegungen des EuGH tritt indes an die Stelle der Auslegung des Parteiwillens eine Argumentationsweise, die unmittelbar der Struktur der Verbraucherschutzdogmatik verpflichtet ist (dazu bereits Rn. 36) und einer eher simplen Einsicht folgt: Wie in der Quelle-Entscheidung des EuGH (Rn. 224) stellt danach jedes finanzielle Hindernis, das dem Nacherfüllungsbegehren des Verbrauchers entgegensteht, einen Verstoß gegen das Erfordernis der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung gemäß Art. 3 Abs. 2 VerbrGüterKRiL dar:340 Ob der Käufer dieses finanzielle Risiko freiwillig eingegangen ist, weil er sich für eine niedrige Gegenleistung entschied oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Dadurch zwingt der EuGH aber sämtliche Käufer mit Verbraucherstatus in ein Umlage- und Versicherungssystem:341 Denn die Mehrkosten, die der Verkäuferseite für die Nacherfüllung entstehen, werden tendenziell auf die Käuferseite umgelegt. Weil der Verbraucherschutz aber unverzichtbar ist (vgl. § 476 Abs. 1 Satz 1), wird jeder einzelne Verbraucher an diesen Mehrkosten beteiligt, kann sich also dieser

337 Ergebnis und Argumentationsniveau werden mehrfach als „erschreckend“ bezeichnet: etwa Kaiser JZ 2011, 978;Lorenz NJW 2011, 2241, 2242. 338 Förster ZIP 2011, 1493, 1494; Gsell JZ 2011, 988, 989; Harke ZGS 2011, 536f.; Kaiser JZ 2011, 978, 981; Katzenstein ZGS 2009, 553; Lorenz NJW 2009, 1633, 1635. 339 Schlussanträge des Generalanwalts Mazák 18.5.2010 – RS. C-87/09 = ZGS 2010, 361, Tz. 54; auf diese Stelle weist auch Lorenz NJW 2011, 2241, 2242 besonders hin. 340 Büdenbender/Binder DB 2011, 1736, 1738; Förster ZIP 2011, 1493, 1495; Greiner/Benedix ZGS 2011, 489, 490f.; Purnhagen EuZW 2011, 626, 628. 341 So bereits Lorenz NJW 2011, 2241, 2243; Kroll-Schlüter JR 2011, 463, 466.

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„Versicherungsprämie“ nicht entziehen, gleichgültig, ob er den „Versicherungsschutz“ benötigt oder nicht (vgl. bereits Rn. 35). Der BGH hat die Entscheidung im Wege einer europarechtskonformen Rechtsfortbildung für Verbraucher umgesetzt, für unternehmerische Käufer zunächst aber nicht angewendet.342 Eine solche Handhabung führt zu einer wirtschaftlichen Belastung des Einzelhandels:

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(BGH 2.4.2014 – VIII ZR 46/13 = BGHZ 200, 337 = NJW 2014, 2183; vgl. auch Rn. 330) Schreiner K soll Aluminium-Holz-Fenster in das Haus des Privatmanns B einbauen. Zu diesem Zweck bestellt K bei Baustoffhändler V Aluminium-Außenschalen, die V seinerseits von Hersteller H bezieht. Nach dem Einbau der von K erstellten Fenster im Haus des B zeigen sich Lackabplatzungen auf den Aluminium-Außenschalen, die auf eine fehlerhafte Lackierung durch H zurückgehen. V reagiert auf ein Nacherfüllungsverlangen des K nicht. K besorgt darauf die Aluminiumschalen bei einem Dritten, baut die alten Fenster aus und neue ein. Dadurch enteht ihm insgesamt ein Schaden von 43.209,46 €, den er von V ersetzt verlangt. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1. Der BGH ordnet den zwischen K und V geschlossenen Vertrag als Kaufvertrag und nicht als Werklieferungsvertrag nach § 650 Satz 1 ein (Tz. 16ff.). Fraglich ist nur, ob K die Kosten des Ausbaus der mangelhaften Fenster von V verlangen kann.

Beim Schadensersatz statt der Leistung hängt die Berechnung des Schadensersatzes von der Art der Pflichtverletzung des Verkäufers ab (Rn. 330ff.). Verletzt der Verkäufer schuldhaft die Pflicht zur Nacherfüllung, hat der Käufer einen Anspruch, so gestellt zu werden, als sei die Nacherfüllung pflichtgemäß erbracht worden (Tz. 23f.). Vorliegend hat der Verkäufer durch die vollständige Verweigerung der Nacherfüllung seine Pflicht zur Nachlieferung neuer Aluminium-Außenschalen verletzt. Den dadurch bedingten Schaden – die für den Käufer durch einen Deckungskauf bei Dritten entstandenen Kosten für neue, mangelfreie Aluminium-Außenschalen – werden hier aber nicht geltend gemacht (Tz. 24). Denn der Nacherfüllungsanspruch des unternehmerischen Käufers gegenüber dem Verkäufer erfasste – vor Einführung des § 439 Abs. 3 – nicht den Ausbau der aus den mangelhaften Aluminium-Schalen gefertigten Fenster (Tz. 25ff.). Die Liquidierung des durch den Ausbau verursachten Schadens schuldet der Verkäufer also nicht, weil er die Nacherfüllungspflicht verletzt hat, sondern höchstens deswegen, weil er den Mangel zu vertreten hat; dies war aber vorliegend nicht der Fall (Tz. 29f.). Dabei ist dem Verkäufer das Vertretenmüssen des Herstellers nicht nach § 278 Satz 1 zurechenbar (Tz. 31ff.; Rn. 348ff.). Mit Einführung des § 439 Abs. 3 ändert sich indes das Bild: Umfasst die Nacherfüllung auch den Ausbau, schuldet der Verkäufer die Ausbaukosten, wenn er die Pflicht zur Nacherfüllung verletzt! Es verwundert daher nicht, dass der Gesetzgeber gerade diesen Fall zum Anlass nahm, den Inhalt der Nacherfüllung durch Einfügung des § 439 Abs. 3 zu 342 Umsetzung: BGH NJW 2012, 1073; Nichtanwendung auf unternehmerischen Käufer:

BGH NJW 2013, 220; kritisch Kaiser JZ 2013, 346.

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§ 2 Der Kaufvertrag

erweitern.343 In der ersten Alternative dieser Norm kommt es darauf an, dass der Käufer die mangelhafte Sache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck in eine andere Sache eingebaut hat. Der Begriff dürfte sich dabei nicht auf den Fall des § 946 (Einbau in ein Grundstück) beschränken, sondern auch bspw. das Verbauen in eine bewegliche Sache erfassen.344 Schwierigkeiten wird jedoch die Frage bereiten, wann eine Sache zum Einbau bestimmt ist.345 Nach der zweiten Alternative genügt es, dass der Käufer die Kaufsache ihrer Art und ihrem Verwendungszweck nach an eine andere Sache angebracht hat. Dieser Tatbestand geht auf den Rechtsausschuss des Bundestags zurück und soll Fälle erfassen, in denen die Kaufsache in anderer Weise mit einer weiteren Sache verbunden ist. In den Materialien wird das Anbringen von Dachrinnen und Leuchten bei einem Haus erwähnt.346 Die Norm wirkt trotz dieses Auffangtatbestandes bedauerlicherweise wie ein Notbehelf und kann in anderen Fällen, wo sie ihrem Wortlaut nach nicht passt, nicht weiterhelfen: K aus München hat bei V aus Berlin eine Vitrine gekauft und zu Hause aufgebaut. Als die Vitrine einen Mangel aufweist, ist ein Abbau unumgänglich, damit das Möbel durch die Haustür des K transportiert werden kann. Diesen Abbau verlangt K von V.

Die zugrunde liegende, leider inhaltlich nicht überzeugende Rechtsprechung des EuGH steht der Möglichkeit entgegen, von einem allgemeinen Rechtsgedanken des § 439 Abs. 3 zu sprechen, der auf solche Fälle übertragbar ist. Denn der Käufer verlangt im Beispiel Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1). Diese setzt jedoch ein zum Schadensersatzanspruch führendes Vertretenmüssen des Verkäufers voraus, von dem hier nicht ausgegangen werden kann. Im Regierungsentwurf sah § 439 Abs. 3 Satz 1 noch ein Wahlrecht des Verkäufers vor: Dieser konnte entweder den Ausbau der Kaufsache selbst vornehmen oder dem Käufer die Aufwendungen für den Ausbau erstatten. Auf Vorschlag des Rechtsausschusses wurde § 439 Abs. 3 Satz 1 jedoch auf einen bloßen Aufwendungsersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer beschränkt. Dadurch wurde erstmals ein Fall der Nacherfüllung durch Geldzahlung in das Gesetz eingeführt (vgl. Rn. 181). Ausschlaggebend war die Überlegung, dass der Verkäufer andernfalls mit seiner Ausbaubefugnis in das Vertragsverhältnis des Käufers zu einem Anschlusskunden eingreifen könnte. Hätte der Käufer dem Anschlusskunden die mangelhaften Fliesen im Rahmen eines Werklieferungsvertrags nach § 650 Satz 1 verkauft und diese auch beim Anschlusskunden verlegt, könnte sie der Verkäufer dort ausbauen und damit das zwischen Käufer und Anschlusskunden bestehende Leistungsstörungsrecht durchkreuzen.347 Das Beispiel zeigt deutlich, welche Gefahren in Absatzketten entstehen, wenn der Nacherfüllungsanspruch im Kaufvertrag über die ursprünglichen Erfüllungspflichten hinaus konkretisiert wird. 343 344 345 346 347

BR-Drucks. 123/16, S. 39. Vgl. den Kondensatorfall BGHZ 117, 183; dazu Medicus/Petersen BR Rn. 650i. Augenhofer/Appenzeller/Holm JuS 2011, 680, 684; Förster ZIP 2011, 1493, 1494f. BT-Drucks. 18/11437, S. 46. BT-Drucks. 18/11437, S. 46.

B. Käuferrechte

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Der Aufwendungsersatzanspruch des Käufers beschränkt sich auf die erforderlichen Aufwendungen. Hier greift der Maßstab des § 670 (Rn. 1284). Ferner ist er nach § 439 Abs. 3 Satz 2 iVm. § 442 Abs. 1 (Rn. 436ff. und 443ff.) ausgeschlossen, wenn der Käufer den Mangel der Fliesen bei Einbau oder Anbringen kennt oder infolge grob fahrlässiger Unkenntnis nicht erkennt. Außerhalb des vorliegenden Zusammenhangs wurde immer schon für den Unternehmenskauf die Auffassung vertreten, dass die Obliegenheit des Käufers zur Nachfristsetzung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 mit der Interessenlage der Vertragsparteien nicht harmoniere.348 Wegen der „dominierenden Geldbezogenheit des Kaufobjekts“ soll daher auch eine Nacherfüllung durch Geldzahlung in Betracht kommen:349 Tritt etwa im Unternehmensvermögen ein Mangel auf, der die künftige Ertragslage beeinträchtigt, könnte der Verkäufer diesen danach durch Geldzahlung ausgleichen, wobei dieselben Berechnungsgrundsätze wie bei der Minderung gelten sollen: Der Verkäufer soll so viel schulden, dass die Ertragsverschlechterung ausgeglichen wird. Diese Betrachtungsweise erfährt durch § 439 Abs. 3 und das Urteil des EuGH in Sachen „Weber/Putz“ Unterstützung. Gerade der EuGH geht grundsätzlich von der Möglichkeit aus, dass ein Verkäufer seine Nacherfüllungspflicht nicht in natura, sondern in Geld erbringt.350 Auch § 475 Abs. 4 Satz 2 sieht in Umsetzung der VerbrGüterKRiL nunmehr vor, dass der Nacherfüllungsanspruch sich in einen Anspruch auf Geld umwandeln kann (dazu Rn. 191). Dies dürfte auch bei der Beantwortung der vorliegenden Frage neue Denkwege eröffnen.

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bb) Der Leistungsort der Nacherfüllung

Kurze Zeit vor der Entscheidung in Sachen „Weber/Putz“ hatte der BGH zur Frage Stellung genommen, an welchem Ort die Leistungshandlung vorgenommen werden muss. (BGH 13.4.2011 – VIII ZR 220/10 = BGHZ 189, 196 = NJW 2011, 2278 – Faltanhänger) Der in Frankreich ansässige Verbraucher K erwirbt beim deutschen Unternehmer V einen Faltanhänger. Im Kaufvertrag ist „Selbstabholung“ vereinbart, jedoch transportiert V den Anhänger zum Wohnort des K. Als Mängel auftreten, fordert K den V auf, den Anhänger bei ihm abzuholen und zu reparieren. V verweigert dies und fordert den K stattdessen auf, den Hänger an seinen Betriebsort zu schaffen. Daraufhin tritt K vom Vertrag zurück und verlangt den Kaufpreis zurück. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Angesichts der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache stellt sich vor allem die Frage, ob K dem Nachfristsetzungserfordernis des § 323 Abs. 1 genügt hat. Dies hängt davon ab, ob er von V verlangen darf, dass dieser die Leistungshandlung am Wohnort des K vornimmt.

Die Frage nach dem Ort der Nacherfüllung ist umstritten. Im Grunde lassen sich drei Ansichten unterscheiden. Nach der ersten ist der Ort der Belegenheit 348 Weller, in: FS Maier-Reimer, 2010, S. 839ff.; MünchKomm/Westermann § 453 Rn. 1. 349 Maier-Reimer, in: Reform des deutschen Schuldrechts, 2003, S. 61, 78ff. 350 EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – RS C-65/09 = NJW 2011, 2269, Tz. 51 – Weber/Putz.

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§ 2 Der Kaufvertrag

der Kaufsache maßgeblich.351 Begründet wird dies mit der Überlegung, dass dieser Ort in vielen Fällen nahe liege (Einbau der Sache) und deshalb dem Käufer erhebliche Unannehmlichkeiten iSd. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 VerbrGüterKRiL erspart würden. Schließlich erhöhe sich dadurch die Rechtssicherheit für den Käufer.352 Gegen den Belegenheitsort sprechen jedoch die schwierige Kostenkalkulation für den Verkäufer und der massive Eingriff in die vertragliche Vereinbarung (Beispiel: Ein Fernseher wird in Sardinien erworben und ins nördliche Finnland verbracht).353 Eine zweite Auffassung knüpft an den für die Lieferpflicht des Verkäufers geltenden Leistungsort an, weil es sich bei der Nacherfüllung um einen modifizierten Erfüllungsanspruch handele.354 Umstritten ist wiederum, ob dies der Möglichkeit entgegensteht, dem Verkäufer dennoch die Transportkosten zu diesem Ort nach § 439 Abs. 2 aufzuerlegen. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die Bestimmung des Leistungsortes der Nacherfüllung von der Frage der Transportkostentragung entkoppelt werden müsse.355 Dies entspricht auch der Auffassung des BGH (Tz. 37) und findet eine rechtliche Grundlage im Prinzip des § 269 Abs. 3 (dazu noch Rn. 183). Der BGH folgt unter Anwendung des § 269 Abs. 1 einer dritten Auffassung, um sich angesichts der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen die Entscheidung im Einzelfall offenzuhalten (Tz. 20ff.). Fehlt es daher an einer Vereinbarung des Leistungsortes im Kaufvertrag, soll die Natur des Schuldverhältnisses maßgeblich sein und somit die Besonderheit des Einzelfalles. Lasse sich auf dieser Grundlage kein eindeutiges Ergebnis erzielen, komme es auf den Wohnort des Gläubigers, also des Käufers, an. Dem Erfordernis der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung (Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 VerbrGüterKRiL, § 439 Abs. 2) entnimmt der BGH dabei keine zwingende Aussage für den Leistungsort (Tz. 37), was im deutschen Recht dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 3 entspricht. Auch komme nicht regelmäßig der Belegenheitsort in Betracht, weil nur die für den Käufer erheblichen Unannehmlichkeiten zu vermeiden sind. Dies treffe aber nicht auf jeden Transport zu (Tz. 43ff.). Andererseits könne aber die Rechtsnatur der Nacherfüllung als modifizierter Erfüllungsanspruch nicht allein maßgeblich sein, da die Ansprüche aus § 433 Abs. 1 Satz 1 und § 439 Abs. 1

351 BGH NJW-RR 2008, 724, Tz. 13 – Yacht, auf der Grundlage von § 633 Abs. 3 BGB aF. 352 AnwKomm-BGB/Büdenbender § 439 Rn. 25; differenzierter NK-BGB/Büdenbender

§ 439 Rn. 29; Bamberger/Roth/Faust § 439 Rn. 13a (= BeckOK); Faust JuS 2011, 749, 750; Erman/Grunewald § 439 Rn. 3, 5; MünchKomm/Westermann § 439 Rn. 7; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 183; Reinicke/Tiedtke Rn. 417; Staudinger/Matusche-Beckmann § 439 Rn. 30. 353 Unberath/Cziupka JZ 2008, 867, 870. 354 OLG München ZGS 2007, 398, 399; Ball NZV 2004, 217, 220f.; Gsell JZ 2011, 988ff.; Lorenz NJW 2009, 1633, 1635; Muthorst ZGS 2007, 370; Skamel ZGS 2006, 227; Unberath/ Cziupka JZ 2008, 867. 355 Unberath/Cziupka JZ 2008, 867, 868; ähnlich Gsell JZ 2011, 988, 992f.; kritisch etwa: Augenhofer/Appenzeller/Holm JuS 2011, 680, 681ff.; Faust JuS 2008, 84; Skamel ZGS 2006, 227, 229.

B. Käuferrechte

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nicht inhaltsidentisch seien (Tz. 50). Der BGH nennt dabei Beispiele (Tz. 33):356 Bei Geschäften des täglichen Lebens wie dem Kauf im Ladengeschäft ergebe sich aus der Verkehrssitte, dass das Ladenlokal des Verkäufers den Leistungsort der Nacherfüllung bestimme (Tz. 33). Beim Fahrzeugkauf aber liege der Ort wegen der erforderlichen Diagnose- und Reparaturarbeiten bei der Werkstatt des Verkäufers (Tz. 33). Bei eingebauten Sachen wiederum liege der Ort des Einbaus (für Nachbesserungsarbeiten) nahe (Rn. 34). Gegenüber der Frage des Leistungsortes unterscheidet das Gericht deutlich die in § 439 Abs. 2 geregelte Kostentragungspflicht (Tz. 37): Wenn daher der Leistungsort beim Verkäufer liege, könne der Käufer dennoch die Transportkosten dorthin nach § 439 Abs. 2 ersetzt verlangen. Hier eröffnet § 475 Abs. 6 einen spezielleren Anspruch auf Kostenvorschuss. Im vorliegenden Fall ist es für den BGH ohne Bedeutung, dass der Verkäufer die Kaufsache überobligationsmäßig zum Käufer transportiert hat (Tz. 54). Für diese Betrachtungsweise spricht, dass die im freiwilligen Transport liegende Kostenübernahme durch den Verkäufer nach § 269 Abs. 3 die Vereinbarung über den Leistungsort nicht beeinflusst. Deshalb sieht der BGH den Leistungsort in der Werkstatt des Verkäufers: Denn es gehe um die Nachbesserung von Mängeln, die den Einsatz von geschultem Personal und Technik voraussetzten. Das Verbringen dahin stelle jedoch keine erhebliche Unannehmlichkeit dar, weil die Werkstatt des Verkäufers nicht zu weit entfernt liege und der Käufer sich ursprünglich für Abholung entschieden habe (Tz. 55), wobei die Kosten des Transports nach § 439 Abs. 2 vom Verkäufer zu tragen seien (Tz. 37). Über § 475 Abs. 6 steht dem Käufer in einem solchen Fall ein Anspruch auf Vorschuss zu. Dies führt zu folgender Einsicht: Das Nacherfüllungsverlangen des Käufers ist nur dann rechtmäßig, wenn es vom Verkäufer ein Tätigwerden am Leistungsort verlangt. Ist dies nicht der Fall, bedeutet vor allem ein Nichteingehen des Verkäufers auf das Verlangen des Käufers keinen Fall der ernsten und endgültigen Erfüllungsverweigerung (§§ 281 Abs. 2 erster Fall, 323 Abs. 2 Nr. 1): (BGH 19.12.2012 – VIII ZR 96/12 = NJW 2013, 1074 – Motorkajütboot) Der aus Berlin stammende V bietet über eBay sein gebrauchtes, privat genutztes Motorkajütboot mit folgendem Text an: „Es ist ein schönes kleines Wanderboot, nix für Raser … Es verfügt über genügend Stauraum für längere Entdeckungstouren. Es ist halt ein schönes Wanderboot … Man kann also auch mit dem Boot auf Reisen gehen.“ Der ebenfalls in Berlin wohnende K ersteigert das Boot für 2.510 €, wobei im Kaufvertrag die Gewährleistung ausgeschlossen ist. Später verbringt K das Boot nach Usedom. Dort bemerkt er Schimmelbildung an den Holzplanken und verlangt Nacherfüllung, wobei er V die Möglichkeit zur Untersuchung des Bootes in Usedom anbietet. V verweist auf den Gewährleistungsausschluss, worauf K einen Sachverständigen einschaltet, der Reparaturkosten iHv. 15.000 € veranschlagt. Darauf erklärt K gegenüber V den Rücktritt. Fraglich ist, ob der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 bereits wegen des Gewährleistungsausschlusses nach § 444 ausscheidet. Vorliegend kam jedoch zwischen den Kaufver356 Vgl. auch Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 54.

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§ 2 Der Kaufvertrag

tragsparteien aufgrund der Äußerung des V hinsichtlich der Eigenschaften der Kaufsache als „Wanderboot“ eine Beschaffenheitsvereinbarung über die Seetauglichkeit des Bootes iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 zustande. Diese geht einem Haftungsausschluss vor (Tz. 19; dazu Rn. 450f.).

Deshalb stellt sich die Frage, ob der Käufer dem Erfordernis der Nachfristsetzung nach § 323 Abs. 1 gerecht geworden ist. Deren Entbehrlichkeit hängt von einer ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung des Verkäufers nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 ab. Die ablehnende Reaktion des Verkäufers auf das Nacherfüllungsverlangen darf der Käufer aber nur dann nach §§ 133, 157 analog (Rn. 192) in diesem Sinne verstehen, wenn sein eigenes Nacherfüllungsverlangen rechtmäßig war. Der erste Schritt zur Nacherfüllung besteht aber in der Eröffnung einer Untersuchungsmöglichkeit für den Verkäufer am Leistungsort, und dieser lag nach § 269 Abs. 1 in Berlin (Tz. 24). Auf das Ansinnen des Käufers, sich nach Usedom zu begeben, musste der Verkäufer daher nicht reagieren. Rechtlich unfundierte Forderungen des Käufers kann der Verkäufer folglich ohne Gefahr iSd. § 323 Abs. 2 Nr. 1 zurückweisen. Interesse weckt der Fall auch deshalb, weil das Nachfristerfordernis nicht etwa wegen Unmöglichkeit (§ 326 Abs. 5) entbehrlich war. Denn in Betracht kam nur ein Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 Satz 1. Diese liegt aber nur vor, wenn der Verkäufer die zugrunde liegende Einrede geltend macht. Dies ist vorliegend nicht erfolgt (Tz. 25ff.).

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Die Kritik wendet dagegen ein, die Verbringung der Kaufsache an den Leistungsort der Nacherfüllung sei eine die Nacherfüllung vorbereitende Handlung; das Ansinnen des Käufers drücke zudem rechtliche Unsicherheit über die Bestimmung dieses Ortes aus, weshalb der BGH der Haltung des Käufers zu großes Gewicht beimesse.357 Das Argument, die Verbraucherrechte nicht allein wegen der regelmäßig vorhandenen Rechtsunkenntnis zu beschneiden, wiegt nicht leicht. Grundsätzlich muss der Verkäufer den Käufer daher nach Treu und Glauben (§ 242) wohl regelmäßig auf die eigenen Verweigerungsgründe hinweisen, damit der Käufer eine Chance erhält, diese auszuräumen. Für die Zulässigkeit einer kategorischen Verweigerung der Nacherfüllung im vorliegenden Fall spricht jedoch, dass der Käufer sich seinerseits zuvor in keiner Weise an den Verkäuferinteressen orientiert, sondern mit der einseitigen Einschaltung des Sachverständigen erhebliche Kosten verursacht und damit vollendete Tatsachen geschaffen hat. Fraglich ist, ob die Bestimmung des Leistungsortes der Nacherfüllung nach § 269 Abs. 1, wie sie durch den BGH vorgenommen wird, mit dem Urteil des EuGH in Sachen „Weber/Putz“ in Einklang steht. Dies wird teilweise bejaht;358 mit der Gegenauffassung359 wird man jedoch zunächst einräumen müssen, dass der EuGH durch die Bestimmung des Inhalts der Nacherfüllungspflicht auch 357 Gsell JZ 2013, 423, 424. 358 Faust JuS 2011, 748, 750; Kaiser JZ 2011, 978, 983. 359 Ludwig ZGS 2012, 544, 547; Stöber, ZGS 2011, 346, 351; Unberath/Cziupka JZ 2009, 313.

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die Frage des Leistungsortes entschieden hat. In seinem Urteil (Rn. 175) führt das Gericht im Rahmen eines obiter dictum sogar ausdrücklich aus, dass Nachbesserung wie Nachlieferung regelmäßig am Belegenheitsort der Kaufsache erbracht würden (EuGH Tz. 51). Es lässt aber auch erkennen, dass sich der Beitrag des Verkäufers auf eine reine Zahlungspflicht beschränken kann (Tz. 61). Insoweit bewegt sich die Entscheidung des BGH wiederum in dem vom EuGH für den Inhalt der Nacherfüllungspflicht vorgegebenen Rahmen. Läuft nämlich die Nachbesserung auf eine Werkstattreparatur beim Verkäufer hinaus, dürfte wohl auch der EuGH nicht von einem beim Käufer angesiedelten Leistungsort ausgehen, weil dort die Arbeiten rein praktisch nicht vorgenommen werden können. Dem Prinzip der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung (Art. 3 Abs. 2 VerbrGüterKRiL) ist in diesen Fällen genügt, wenn der Verkäufer – wie vom BGH erwogen – die Transportkosten übernimmt. Dafür sorgt nun § 475 Abs. 6.360 Dies führt zu folgendem Resümee: Im Zweifel dürfte nach der Rechtsprechung der Leistungsort der Nacherfüllung am Belegenheitsort der Sache liegen,361 es sei denn, der Verkäufer übernimmt die durch die Nacherfüllung entstehenden Transportkosten des Käufers, die bei der Beförderung der Kaufsache zum Unternehmenssitz des Verkäufers entstehen. Gegebenenfalls darf der Käufer einen Vorschuss aus § 439 Abs. 2 iVm. § 475 Abs. 6 verlangen (Rn. 228ff.). Hätte K daher die Nacherfüllung mit der Aufforderung eines Transportkostenzuschusses verbunden und nicht Abholung verlangt, hätte er den Erfordernissen des § 323 Abs. 1 genügt. Vorliegend fehlt es indes an einer wirksamen Fristsetzung iSd. Norm, so dass der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 nicht begründet ist.

e) Einschränkung des Wahlrechts durch das Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers aus § 439 Abs. 4

Nach § 439 Abs. 4 Satz 1 kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie zu unverhältnismäßigen Kosten führen würde. Die Norm wird gelegentlich als Sonderfall des Schikaneverbots nach § 226 angesehen.362 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers stellt sie einen Sonderfall gegenüber § 275 Abs. 2 dar (vgl. die Gleichstellung in § 218 Abs. 1 Satz 2), und zwar mit der Besonderheit, dass die tatsächlichen Anforderungen an die Begründung der Einrede niedriger seien als in § 275 Abs. 2, weil der Verkäufer nicht über die Opfergrenze hinaus belastet werden dürfe.363 Der Grund für diese Besserstellung des Verkäufers dürfte darin liegen, dass dieser bereits „angeleistet“ bzw. – quantitativ betrachtet – einen Teil seiner Verpflichtung bereits erfüllt hat.364 Dadurch hat der Verkäufer einerseits seine Loyalität gegen360 Zum Vorschussanspruch des Verbrauchers RegE BR-Drucks. 123/16, S. 46f. 361 C. Picker/Nemeczek ZGS 2011, 447, 451; Ludwig ZGS 2012, 544, 547; Stöber ZGS 2011,

346, 351. 362 Staudinger/Matusche-Beckmann § 439 Rn. 105; dazu Bachmann AcP 211 (2011) 395, 417. 363 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 232, linke Spalte. 364 Zustimmend Bachmann AcP 211 (2011) 395, 418; Medicus/Petersen BR Rn. 291b.

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über dem Vertragsgegner stärker bekundet als im Falle der Nichtleistung (hier gilt § 275 Abs. 2); andererseits sinkt auch das Interesse des Käufers an der Erfüllung des Lieferanspruchs gegenüber § 275 Abs. 2. Folgt man dem, dann passt § 439 Abs. 4 seinem Zweck nach nur dort, wo die Sache vom Verkäufer dem Käufer wirklich übergeben worden ist. In den Fällen des unbehebbaren Mangels, wo teilweise auf das Erfordernis der Übergabe verzichtet wird (Rn. 382ff.), kann er deshalb keine Anwendung finden.365 Der Begriff der Unverhältnismäßigkeit wird nun durch den BGH auf der Grundlage des § 251 Abs. 2 Satz 1 konkretisiert (für das Werkvertragsrecht Rn. 1113):366 Danach kann der Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Allerdings findet gerade die bekannteste mit dieser Norm verbundene Grenzziehung keine Anwendung: Grundsätzlich gilt für die Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten bei einem Fahrzeug eine Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes eines vergleichbaren Fahrzeugs. Im Falle des § 439 Abs. 4 Satz 1 greift diese Rechtsprechung nicht, weil sie Ausdruck eines besonders geschützten Integritätsinteresses des Geschädigten gegenüber dem Schädiger ist, das in § 439 Abs. 4 Satz 1 keinen Platz hat (Tz. 43).367 Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung dürfen ferner die wirtschaftlichen Belastungen nicht ohne weiteres ins Verhältnis zum Kaufpreis gerückt werden, da die Grenze sonst rascher erreicht wäre, wenn der Käufer einen besonders günstigen Kaufpreis ausgehandelt hätte (Tz. 39). So bleibt es bei einer Abwägung im Einzelfall (Tz. 41). Für einen Grundstückskauf wird Unverhältnismäßigkeit bejaht, wenn die Kosten der Nacherfüllung den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder 200% des mangelbedingten Minderwerts übersteigen (Tz. 41). Nach der Gegenauffassung geht es bei § 439 Abs. 4 Satz 1 und 3 nicht um Naturalrestitution und den Schutz des Integritätsinteresses wie bei §§ 249, 251 Abs. 2, sondern um das Äquivalenzinteresse (vgl. zu diesem Begriffspaar auch Rn. 373). Auch nach dieser Auffassung soll der (Markt-)Wert der Sache in mangelfreiem Zustand jedoch die absolute Obergrenze der vom Verkäufer aufzubringenden Kostenlast darstellen.368 Maßgeblich dürften schließlich allein die Kriterien des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 VerbrGüterKRiL sein: Danach kommt es auf den Wert des Verbrauchsguts im mangelfreien Zustand an (Spiegelstrich 1), die Bedeutung der Vertragswidrigkeit (Spiegelstrich 2) und die Möglichkeit an, auf die jeweils andere Art der Nacherfüllung zu wechseln (Spiegelstrich 3). Bei der Wahl zwischen Nachbesserung und Nachlieferung kommen diese Gesichtspunkte zum Tragen: Lässt sich der Mangel besonders leicht auf dem 365 Ähnlich Maultzsch ZGS 2003, 411, 415ff. 366 BGHZ 200, 350 =NJW 2015, 468, Tz. 39; die im Text folgenden Tz. beziehen sich auf diese

Entscheidung. 367 Anders zuvor etwa LG Ellwangen NJW 2003, 517; H.P. Westermann, in: Schulze/Schulte-

Nölke, S. 109, 125. 368 U. Huber, in: FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 540ff.; ähnlich P. Huber, in: Huber/Faust § 13

Rn. 41 und Ackermann JZ 2002, 378, 382ff.

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vom Käufer nicht gewählten Weg beseitigen, muss der Verkäufer nicht die gewählte, kostspielige Lösung akzeptieren. Sicherheitsrisiken dürften stets eine Rolle spielen, wenn diese für den Käufer vom Mangel ausgehen und wenn an deren sofortiger Beseitigung durch Nacherfüllung ein besonderes Interesse besteht. Ferner verdienen Vermögensnachteile, aber auch immaterielle Nachteile iSd. § 253 Abs. 2 (allgemeines Persönlichkeitsrecht) besondere Beachtung. Dabei hat das Vertretenmüssen des Verkäufers Einfluss auf die Verhältnismäßigkeit (Rn. 188, BGH Tz. 45); dies zeigt die Bezugnahme des § 439 Abs. 4 Satz 1 auf § 275 Abs. 2 Satz 2. Maßgeblich ist dabei stets die Überlegung, dass der Verkäufer bei Vertretenmüssen auch auf Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 (über §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1) haftet. Schon wegen des systematischen Zusammenhangs zu § 249 Abs. 1 muss sich daher auch die Belastbarkeit des Verkäufers nach § 439 Abs. 4 Satz 1 erhöhen. Dabei kann auch ein nach § 280 Abs. 1 Satz 2 vermutetes Vertretenmüssen ins Gewicht fallen.369 Der Nachlieferungs- oder Nachbesserungsanspruch kann auch wegen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 untergehen. Denn der Nacherfüllungsanspruch ist letztlich nur ein modifizierter Erfüllungsanspruch und unterliegt daher den allgemeinen Regeln.370 Das verdient deshalb besondere Erwähnung, weil in § 439 Abs. 4 Satz 1 nur § 275 Abs. 2 und 3 genannt ist. Diese Beschränkung erklärt sich indes allein aus der vom Gesetzgeber unterstellten systematischen Nähe beider Normen; ein Umkehrschluss auf die Unanwendbarkeit des § 275 Abs. 1 ist daher nicht möglich. (BGH 22.6.2005 – VIII ZR 281/04 = BGHZ 163, 234 = NJW 2005, 2852) K kauft von V, einem professionellen Hundezüchter, einen Rauhaardackelwelpen für 500 € als Haustier. Vier Monate nach Übergabe weist das Tier eine Fehlstellung des Hinterbeingelenks auf. K setzt V eine Frist zur Zahlung von 1.200 € für eine operative Behandlung des Hundes. V lehnt dies ab und bietet einen Ersatzhund an. Nach Abschluss der Operation steht fest, dass der Hund ein Leben lang Kontrolluntersuchungen unterzogen werden muss. Für diese und für die Operation verlangt K nun Schadensersatz statt der Leistung. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281. Zwischen den Parteien kam ein Kaufvertrag zustande. Fraglich ist bereits, ob der Welpe mangelhaft war, weil die Fehlstellung uU. auch nach Gefahrübergang (§ 446 Satz 1) eingetreten sein kann. Das Gericht wendet hier die Beweislastregel des § 477 zugunsten des K an und geht im Zweifel davon aus, dass die Fehlstellung bereits vor Gefahrübergang vorlag. Ob die von K gesetzte Frist angemessen war, kann nach § 281 Abs. 2 erster Fall offen bleiben, wenn V die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigerte. Allerdings lag keine endgültige Verweigerung vor, da V den K ja nach § 439 Abs. 4 Satz 1 auf die Nachlieferung anstelle der Nachbesserung verwies. Die Nachlieferung könnte jedoch nach § 275 Abs. 1 unmöglich geworden sein.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass bei Lieferung eines Haustiers nach fünf Monaten eine solche Bindung eingetreten ist, dass dem Käufer eine Nachlieferung nicht „möglich“ ist (S. 2854). Diese lässt zunächst an § 275 Abs. 1 den369 Ähnlich Jaensch NJW 2013, 1121, 1124. 370 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 232, linke Spalte.

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ken. Richtigerweise dürfte wohl eine fehlende Zumutbarkeit nach § 440 Satz 1 dritter Fall vorliegen: Zwar trägt der Käufer das Verwendungsrisiko der Kaufsache, also auch das Risiko, mit der Sache zufrieden zu sein oder nicht (Rn. 116). Der Begriff der Zumutbarkeit wird bei einem Tier jedoch durch die Art. 20a GG und §§ 903 Satz 2, 90a konkretisiert, weil auch dieses selbst eine (lebenslange) Bindung an den Menschen eingegangen ist. Damit bedeutete die Verweisung des K auf eine Nachlieferung durch V eine endgültige Ablehnung jeder Nacherfüllungsmaßnahme, vglb. § 440 Satz 1 erster Fall, weil die Nachlieferungsmöglichkeit gar nicht bestand.

Die vom Verkäufer zunächst verweigerte Nachbesserung spielt jedoch im Rahmen der Entscheidung über das Vertretenmüssen noch eine besondere Rolle. Die Haftung des Verkäufers nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 kann nämlich vorliegend nicht an die Verursachung des Mangels anknüpfen (zur beschränkten Verkäuferverantwortlichkeit für Sachmängel vgl. Rn. 348). Vorwerfbar ist dem Verkäufer jedoch möglicherweise, den Mangel nicht innerhalb einer angemessenen Nachfrist im Wege der Nachbesserung beseitigt zu haben (zur Anknüpfung des Vorwurfs des Vertretenmüssens vgl. Rn. 330). Überzeugend lehnt der BGH jedoch eine Verletzung der Nachbesserungspflicht ab. Dabei lässt er die Frage der unverhältnismäßigen Kosten in § 439 Abs. 4 Satz 1 offen und kommt aus allgemeinen Überlegungen zu dem Ergebnis, dass Nachbesserung iSd. § 275 Abs. 1 überhaupt nur dort möglich ist, wo die Maßnahme den Mangel endgültig beseitigt. Dies war nach der Operation des Dackels vorliegend nicht der Fall, weil diese einen die gesamte Lebensdauer des Hundes anhaltenden Versorgungsaufwand zur Folge hat. Damit war der Mangel des Tieres aber offensichtlich nicht endgültig beseitigt (S. 2854; vgl. auch das Beispiel Rn. 201). Schließlich kam in dem Fall auch ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 Satz 1 in Betracht. Dies setzte einen ursprünglich unbehebbaren Mangel voraus, was vorliegend tatsächliche Probleme bereitete. Der BGH lässt diese Frage offen, weil V der Mangel jedenfalls nicht bekannt war (S. 2854).

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§ 439 Abs. 4 Satz 2 letzter Halbsatz regelt den Fall der sog. relativen Unverhältnismäßigkeit, bei dem Nachbesserung bzw. Nachlieferung im Verhältnis zueinander unverhältnismäßig erscheinen. Dagegen wird der Verkäufer nach § 439 Abs. 4 Satz 3 zweiter Halbsatz ganz von der Nacherfüllungspflicht frei, wenn beide Arten der Nacherfüllung unverhältnismäßig sind (absolute Unverhältnismäßigkeit). In der Entscheidung in Sachen „Weber/Putz“ (Rn. 175)371 äußerte der EuGH Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit von § 439 Abs. 1 Satz 3 zweiter Fall mit dem EU-Recht. Denn Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 VerbrGüterKRiL sieht eine Befreiung des Verkäufers bei Unverhältnismäßigkeit nicht insgesamt vor, sondern nur relativ zu einer der beiden Arten der Nacherfüllung (Tz. 68). Der Verkäufer könne deshalb die Nacherfüllung nicht 371 EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – RS C-65/09 = NJW 2011, 2269 – Weber/Putz; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung.

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insgesamt verweigern, jedoch erlaube das Gesetz einen wirksamen Schutz der berechtigten finanziellen Interessen des Verkäufers (Tz. 73). Dies wird nun in § 475 Abs. 4 für den Verbrauchsgüterkauf so umgesetzt: Bei Unmöglichkeit der Nacherfüllung oder Unverhältnismäßigkeit (§ 439 Abs. 4 Satz 1) kann die andere Art der Nacherfüllung nicht vollständig verweigert werden. Der Verkäufer darf sich jedoch auf die mit der anderen Art der Nacherfüllung verbundenen unverhältnismäßigen Kosten insoweit berufen, als der Nacherfüllungsanspruch auf Geld umgestellt und auf einen angemessenen Betrag beschränkt wird (Satz 2). Bei der Bemessung der Höhe dieses Betrages sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen (Satz 3). Dies entspricht den Grundsätzen der Anwendung des § 251 Abs. 2 im Rahmen des § 439 Abs. 4 Satz 1 (Rn. 188). f) Anforderungen an die Ausübung des Nacherfüllungsverlangens bzw. die Nachfristsetzung

Der Käufer übt sein Nacherfüllungsrecht durch Nachfristsetzung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 aus. Bei der Nachfristsetzung handelt es sich nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine geschäftsähnliche Handlung.372 Bei einer Willenserklärung tritt die Rechtsfolge ein, weil der Erklärende sie in seinen Verpflichtungswillen einschließt. Die Rechtsfolge der Nachfristsetzung beruht hingegen auf dem Gesetz (§§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1). Da die Regeln über Willenserklärungen aber auch auf geschäftsähnliche Handlungen Anwendung finden, ist der Unterschied in der Sache nicht groß. Schließlich senkt der BGH die Anforderungen an die formellen Voraussetzungen der Nachfristsetzung, um zu verhindern, dass der Käufer trotz materieller Berechtigung an formalen Ausübungshürden scheitert: (BGH 12.8.2009 – VIII ZR 254/08 = NJW 2009, 3153)373 K hat von V einen Gebrauchtwagen gekauft. Kurze Zeit nach der Übergabe bemerkt er Mängel am Motor des Fahrzeugs. Er fordert V zur umgehenden Beseitigung der Mängel auf und kündigt an, dass er andernfalls eine andere Werkstatt beauftragen werde. Ein Mitarbeiter der V sagt zunächst eine rasche Erledigung zu; dann meldet sich V allerdings nicht mehr. Daraufhin lässt K das Fahrzeug bei D reparieren und verlangt die Kosten iHv. 2.194,09 € als Schadensersatz. Der Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 hängt hier vor allem von einer wirksamen Nachfristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 ab.

Der BGH lässt die Aufforderung des Käufers zur Mängelbeseitigung als Nachfristsetzung genügen (Tz. 10f.). Begründet wird dies mit dem Wortlaut des § 281 Abs. 1 Satz 1, der nicht voraussetze, dass der Gläubiger einen kalendermäßig bestimmten Zeitraum konkretisiere. Vielmehr werde dem Schutz des Verkäufers auch Rechnung getragen, wenn der Zeitraum nur bestimmbar sei (Tz. 10). Der Zweck der Nachfristsetzung liege im Übrigen allein darin, dem 372 Vgl. nur Staudinger/Schwarze § 281 Rn. B 19; Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 892; Heinrichs, in: Zivilrecht im Sozialstaat, 2005, S. 87, 98. 373 Vgl. auch BGH NJW 2016, 3654.

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Schuldner vor Augen zu führen, dass er die Leistung nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt bewirken könne, sondern dass hierfür eine zeitliche Grenze bestehe (Tz. 11). Dafür genüge die Aufforderung innerhalb „angemessener Frist“, „unverzüglich“ oder „umgehend“ (Tz. 11). Dass der Verkäufer dabei nicht genau einschätzen könne, wie viel Zeit ihm bleibe, stehe dem nicht entgegen. Denn dieses Problem stelle sich auch stets dann, wenn der Käufer dem Verkäufer eine zu knappe Frist setze (Tz. 11). Diese setze nämlich dann – wie nach altem Recht – die angemessene Frist in Gang (Tz. 11). In einer späteren Entscheidung fasst der BGH die Anforderungen so zusammen: „Für eine Fristsetzung im Sinne der vorgenannten Vorschriften genügt es, wenn der Gläubiger durch das Verlangen nach sofortiger, unverzüglicher und umgehender Leistung oder durch vergleichbare Formulierungen deutlich macht, dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter (bestimmter) Zeitraum zur Verfügung steht.“374 Die Entscheidung überzeugt insbesondere für den Verbrauchsgüterkauf, weil Art. 3 Abs. 5 Unterabs. 2 VerbrGüterKRiL kein Fristsetzungserfordernis kennt, sondern lediglich die Aufforderung zur Nacherfüllung.375 Die Kritik fordert indes, dass es außerhalb des Anwendungsbereichs der VerbrGüterKRiL bei einem Fristsetzungserfordernis bleiben müsse, denn dies entspreche dem Warn- und Konkretisierungszweck des Nacherfüllungsverlangens.376 Ferner brauche der Käufer Planungssicherheit.377 Gegen diese Argumente wendet bereits der BGH zu Recht ein, dass die Fristsetzung des Käufers selbst wiederum der richterlichen Prüfung unterliege: Durch eine Fristsetzung des Käufers hat der Verkäufer keine Planungssicherheit, wenn diese bspw. treuwidrig zu kurz bemessen ist.378 Größeres Gewicht kommt daher der Überlegung zu, das Nacherfüllungsverlangen erinnere in seiner Funktion an die Mahnung.379 Die Gegenansicht verneint indes zu Recht eine der Mahnung vergleichbare Warnfunktion des Nacherfüllungsverlangens:380 Anders als im Fall des § 286 Abs. 1 Satz 1 muss der Käufer den Verkäufer nämlich schon deshalb nicht auf den Eintritt der Leistungszeit hinweisen, weil der Verkäufer bei Gefahrübergang angeleistet hat und in diesem Zeitpunkt weiß, dass er mangelfrei erfüllen muss (§ 433 Abs. 1 Satz 2). Wird ihm daher nach diesem Zeitpunkt ein Mangel angezeigt, ist ihm auch ohne Nennung einer Frist klar, dass kein Raum für weitere Säumnis besteht. Während daher für das Nacherfüllungsverlangen der Hinweis des Käu374 BGH NJW 2015, 2564, Tz. 11 mAnm. Gutzeit. Ausreichend: „Entweder wird das Pferd ausgetauscht oder wir gehen rechtlich gegen Euch vor“ (Tz. 12); vgl. jetzt auch BGH ZIP 2016, 1538. 375 Faust JZ 2010, 202; allerdings kennt Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 VerbRRiL jetzt ein echtes Fristsetzungserfordernis; dazu Weiss NJW 2014, 1212, 1213. Dieses greift jedoch nicht beim Verbrauchsgüterkauf. 376 Faust JZ 2010, 202f.; ähnlich Gutzeit NJW 2015, 2565, 2566. 377 Soergel/Gsell § 323 Rn. 80; Staudinger/Schwarze § 281 Rn. B 43. 378 In diesem Sinne auch R. Koch NJW 2010, 1636, 1637. 379 Faust JZ 2010, 202, 203f. 380 Ludes/Lube MDR 2009, 1317, 1318; Zimmer NJW 2002, 1, 5.

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fers auf einen konkreten Mangel von zentraler Bedeutung ist, hat die Vorgabe eines Zeitrahmens einen eher geringeren Stellenwert. Hinzu tritt die bereits geäußerte Überlegung, dass erhöhte Anforderungen an die Form des Nacherfüllungsverlangens die Gefahr in sich tragen, dass der Käufer aus formellen Gründen scheitert.381 Hier aber birgt die Bemessung des Zeitrahmens durch den Käufer die größten praktischen Schwierigkeiten. Daher sind die formellen Anforderungen an das Nacherfüllungsverlangen denkbar gering: Diesen ist lediglich dann nicht genügt, wenn der Käufer „sofortige Leistung“ verlangt.382 In weiteren Entscheidungen hat der BGH die Anforderungen an das Nacherfüllungsverlangen konkretisiert. So kommt eine Nachfristsetzung vor Eintritt der Fälligkeit des Lieferanspruchs (§ 271 Abs. 2) nicht in Betracht.383 Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Normwortlaut, ergibt sich nach Auffassung des BGH jedoch aus einem historischen Argument: Der Gesetzgeber habe insoweit an die Vorläufernorm des § 326 BGB aF. angeknüpft (Tz. 16). Man wird dies um einen allgemeinen Rechtsgedanken ergänzen dürfen: Denn eine Befugnis zur zweiten Andienung im Rahmen der Nacherfüllung kann dem Verkäufer nach dem Schutzzweck der §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 nur zustehen, wenn ihm zuvor eine Befugnis zur ersten Andienung im Zeitpunkt der Fälligkeit zustand. Vorher kommt daher eine Nachfristsetzung nicht in Betracht. Eine Ausnahme kennt das Gesetz nur im Fall der Erfüllungs- und Leistungsgefährdung nach § 323 Abs. 4 (Tz. 17; Rn. 382, 478). Dieser Ausnahmetatbestand setzt jedoch voraus, dass offensichtlich ist, dass die Rücktrittsvoraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen werden. Diese Einschränkung steht der Möglichkeit entgegen, dass der Käufer regelmäßig bzw. beim Bestehen bloßer Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Verkäufers Nacherfüllung verlangen kann. Dem Käufer steht insbesondere die Möglichkeit der Nachfristsetzung „auf Vorrat“ (so der BGH Tz. 19) nicht zu. Das Nacherfüllungsverlangen ist schließlich auch noch in der Berufungsinstanz möglich. Ein Ausschluss nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO kommt regelmäßig nicht in Betracht, da das Verlangen als solches – nicht seine Sachvoraussetzungen – regelmäßig unstreitig ist.384 Allerdings trägt der Käufer dann die Kostenfolge aus § 93 ZPO, wenn der Verkäufer im Hinblick auf das Verlangen umgehend Nacherfüllung gewährt.385 Auch darf das Nacherfüllungsverlangen nicht nur auf dem Papier stehen. Vielmehr trifft den Käufer die Obliegenheit, dem Verkäufer Zugang zu der Kaufsache zu verschaffen. Unterbleibt dies, genügt das Verlan-

381 R. Koch NJW 2010, 1636, 1638. 382 Schollmeyer ZGS 2009, 491, 493. 383 BGH NJW 2012, 3714, Tz. 16; die nachfolgenden Zitate beziehen sich auf diese Entschei-

dung; vgl. ferner vor allem Staudinger/Schwarze § 323 Rn. B 30; MünchKomm/Ernst § 323 Rn. 57; Soergel/Gsell § 323 Rn. 68; Bamberger/Roth/Unberath § 323 Rn. 18; BeckOK/H. Schmidt § 323 Rn. 18. 384 BGH NJW 2009, 2532. 385 Skamel NJW 2010, 271, 274.

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gen den Voraussetzungen des §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 nicht.386 § 242 steht schließlich der Möglichkeit entgegen, dass ein Käufer Nacherfüllung verlangt, der sich selbst im Annahmeverzug befindet.387 Dasselbe gilt, wenn der Käufer in Verzug mit der Kaufpreiszahlung (§ 433 Abs. 2) ist und dem Verkäufer die Einrede des § 320 zusteht. Ähnlich liegt schließlich der Fall, dass der Lieferanspruch wegen Verjährung (§ 214) nicht mehr durchsetzbar ist.388 g) Das Nacherfüllungsverlangen als Mahnung 196

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Von den Anforderungen an das Nacherfüllungsverlangen (Rn. 192ff.) hängt auch die Beantwortung der Frage ab, unter welchen Voraussetzungen es die Funktion einer Mahnung iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1 erfüllt. Ausgehend von der mittlerweile überholten Auffassung, dass das Nacherfüllungsverlangen eine Fristsetzung beinhalten müsse (Rn. 192f.), gehen zahlreiche Autoren davon aus, dass dieses eine aufschiebend befristete Mahnung darstelle: Der Verzug trete mit dem vom Käufer festgesetzten Termin ein.389 Weil das Nacherfüllungsverlangen aber nicht an ein Fristsetzungserfordernis gebunden ist, sondern nur den Hinweis auf einen Mangel und eine daran anknüpfende Nacherfüllungspflicht beinhalten muss, genügt es den Voraussetzungen einer unbefristeten Mahnung nach § 286 Abs. 1 Satz 1. Nach einer weiteren Auffassung steht dieser Möglichkeit der Wortlaut des § 286 Abs. 1 Satz 1 entgegen:390 Dieser setzt voraus, dass nur eine bereits fällige Leistung gemahnt werden kann. Da es sich bei der Nacherfüllung aber um einen verhaltenen Anspruch handelt (Rn. 168), hängt die Fälligkeit von der Geltendmachung des Anspruchs durch den Käufer ab. So fallen mit der Nachfristsetzung Fälligstellung und Mahnung in einem Akt zusammen. Fraglich ist allerdings, ob die Trennung zwischen Fälligstellung und Mahnung gerade im Falle der Lieferung einer mangelhaften Sache zum Schutz des Verkäufers aufrechterhalten werden kann. Dies verneint der BGH in anderem Zusammenhang, nämlich im Rahmen der zentralen Entscheidung zum Ersatz des Nutzungsausfallschadens:391 Danach kann sich der Käufer vor den Folgen eines Mangels nicht so schützen wie vor den Folgen einer Nichtleistung; gegenüber letzterer stehe ihm die Möglichkeit der Vereinbarung einer Leistungszeit nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 zu. Beim Mangel sei dies wegen der fehlenden Vorhersehbarkeit unmöglich (Tz. 17). Ferner solle es für die Pflicht aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 keiner dringlichen Aufforderung zur Leistung mehr bedürfen, da dem Verkäufer der Eintritt der Leistungszeit im Prinzip klar sei (Tz. 18). BGH NJW 2010, 1448; NJW 2013, 1074, Tz. 24. Faust JuS 2011, 748, 749. Dazu Graf Wolffskeel v. Reichenberg NJW 2015, 2833ff. U. Huber AcP 210 (2010) 319, 323; Ludes/Lube ZGS 2009, 259, 260f.; dies. MDR 2009, 1317, 1319; allgemeiner MünchKomm/Ernst § 286 Rn. 50; vgl. auch Staudinger/Schwarze § 323 Rn. B 35. 390 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 36. 391 BGHZ 181, 317 = NJW 2009, 2674; die folgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. 386 387 388 389

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Folgt man dieser Überlegung, fallen Fälligstellung und Mahnung wohl regelmäßig zusammen. Das Nacherfüllungsverlangen stellt dann zugleich eine Mahnung dar. h) Der mit der Nachfristsetzung eintretende Schwebezustand und die Revision übereilter Entscheidungen des Käufers aa) Nacherfüllung nach Ablauf der Nachfrist

Mit Ablauf der angemessenen Frist iSd. § 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 tritt ein Schwebezustand ein, wenn der Käufer nicht sofort zu einem Sekundäranspruch (zB. Rückgewähr nach §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 oder Schadensersatz nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1) übergeht. Fraglich ist, ob der Verkäufer auch nach Ablauf der Nachfrist die Nacherfüllungshandlung mit Erfüllungswirkung vornehmen kann: K hat bei V einen Neuwagen gegen Barzahlung erworben. Allerdings verliert das Fahrzeug Bremsflüssigkeit. K verlangt daher von V Nachbesserung innerhalb von zwei Wochen, erhält von V aber in dieser Zeit keinen Werkstatttermin. Einen Tag nach Ablauf der Frist beauftragt K den D mit der Reparatur des Fahrzeugs. K hat zu diesem Zeitpunkt noch keine Sekundäransprüche gegenüber V geltend gemacht, weil er erst die Höhe der Forderung des D abwarten will. Als D gerade mit den Arbeiten begonnen hat, bietet V dem K überraschend per E-Mail einen Werkstatttermin an. K reagiert darauf nicht mehr, sondern lässt D die Reparatur vollenden. Nach Abnahme verlangt D die marktübliche Vergütung von K. Erst jetzt begehrt K von V Minderung iH. der an D gezahlten Vergütung. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung des infolge Minderung herabgesetzten Teils des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 Satz 1 (zum Ersatz von Reparaturkosten im Wege der Minderung vgl. Rn. 324). Nach § 441 Abs. 1 iVm. § 323 Abs. 1 setzt dieser Anspruch die erfolglose Setzung einer angemessenen Nachfrist voraus. Die Beurteilung dieser Fälle hängt zunächst auch davon ab, ob die vom Käufer bestimmte Frist angemessen war oder ob die Nachfristsetzung nur die eigentlich angemessene Frist in Gang setzt (Rn. 192). Wären im vorliegenden Fall zwei Wochen zu knapp bemessen gewesen – woran allerdings erhebliche Zweifel bestehen –, hätte die Nacherfüllungsmöglichkeit des Verkäufers schlicht noch bestanden.

Das eigentliche Problem aber liegt in der Frage, ob die Setzung einer angemessenen Nachfrist erfolglos iSd. § 323 Abs. 1 ist, wenn der Verkäufer nach Fristablauf, aber vor Geltendmachung eines Sekundäranspruchs die Nacherfüllungshandlung vornimmt. Bejaht man die Nacherfüllungsmöglichkeit des Verkäufers nach diesem Zeitpunkt und verneint daher die Erfolglosigkeit der Nachfristsetzung bei Bewirkung der Erfüllung, droht dem Käufer die Gefahr einer Haftung aus dem Deckungsgeschäft, bevor gegenüber dem Verkäufer die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs (Minderung) entstanden sind. Vorliegend hätte K den Werkvertrag über die Reparatur nach Erhalt der E-Mail des V noch nach § 649 Satz 1 kündigen können. In diesem Fall wäre er jedoch weiterhin nach § 649 Satz 2 zur Zahlung der Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen verpflichtet gewesen.

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Einige Autoren lehnen daher eine Erfüllungsmöglichkeit des Verkäufers nach Fristablauf zum Schutz des Käufers kategorisch ab.392 Dagegen sprechen zwei Überlegungen: Einerseits kann die Nacherfüllung durch den Verkäufer dem Käufer auch zu diesem späten Zeitpunkt nützlich sein. Zweitens hat der Käufer nach dieser Auffassung überhaupt keinen Anreiz, den nach Ablauf der Nachfristsetzung entstandenen Schwebezustand zu beseitigen. Deshalb geht eine weitere Ansicht von der grundsätzlichen Möglichkeit einer Nacherfüllung nach Ablauf der Nachfrist aus. Sie wird von unterschiedlichen Erwägungen geleitet: Für ihre Richtigkeit spricht zunächst der Wortlaut des § 281 Abs. 4, wonach der Anspruch auf die Leistung erst mit dem Schadensersatzverlangen ausgeschlossen ist.393 Hinzu tritt die Überlegung, dass der Käufer seine Aufwendungen aus dem Deckungsgeschäft auch nicht als Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 3) geltend machen könnte. Denn der mangelbedingte Schaden hätte noch durch Nacherfüllung im spätestmöglichen Zeitpunkt (nämlich vor dem Schadensersatzverlangen nach § 281 Abs. 4) durch Nacherfüllung beseitigt werden können (vgl. auch Rn. 341 unter (2)). Deshalb könne der Käufer seine Aufwendungen eigentlich nur als Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 liquidieren. Dieser aber sei durch die speziellere, auf Schadensersatz statt der Leistung gerichtete Anspruchsgrundlage nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 verdrängt.394 Folglich trage der Käufer das Risiko der Haftung aus einem voreilig eingegangenen Deckungsgeschäft; denn er müsse zunächst den Zustand der Rechtsunsicherheit gegenüber dem Verkäufer durch Rücktritt, Schadensersatzverlangen und Ähnliches beenden.395 Dieses Argument zeigt eine Gefahr der Diskussion um die Rechtsnatur des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 280 Abs. 3): Begriffliche Überlegungen – hier die Formel von der Nacherfüllungsmöglichkeit zum spätestmöglichen Zeitpunkt – verselbständigen sich zu Lasten des Normzwecks der §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 (zu diesem Zusammenhang noch ausführlicher Rn. 335ff.). Ausgehend vom Schutzzweck beider Normen soll das Nachfristsetzungserfordernis dem Verkäufer eine Chance zur zweiten Andienung eröffnen. Durch Setzung einer angemessenen Nachfrist seitens des Käufers ist ihm diese Möglichkeit bereits gewährt worden. Lässt der Verkäufer deshalb die Nachfrist verstreichen, ist er nicht mehr schutzwürdig. Es besteht folglich kein Anlass, dem Käufer den Schadensersatzanspruch und in der vorliegenden Konstellation die Minderungsmöglichkeit nach § 441 Abs. 1 iVm. § 323 Abs. 1 zu versagen.396 Ein völliger Ausschluss der Schadensersatzansprüche auf KäuferCanaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 49; Finn ZGS 2004, 32, 37. Büdenbender AcP 205 (2005) 386, 411; Schröter AcP 207 (2007) 28, 44. Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 254. MünchKomm/Ernst § 281 Rn. 82ff. und § 323 Rn. 167–174; Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 246ff.; zurückhaltender ders. JZ 2010, 202, 204f., der eine Selbstvornahmemöglichkeit des Käufers annimmt; Schröter AcP 207 (2007) 28, 43f. 396 Ähnlich, wenngleich mit anderer dogmatischer Begründung: Ackermann JuS 2012, 865, 869; Lorenz, in: FS Leenen, 2012, S. 147, 160f. 392 393 394 395

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seite dürfte den juristischen Laien in einer Situation wie der vorliegenden auch regelmäßig überfordern. Denn häufig wendet sich der Käufer mit seinem Minderungsverlangen an den Verkäufer erst dann, wenn er die Forderungen des Vertragspartners aus dem Deckungsgeschäft der Höhe nach kennt und damit gegenüber dem Verkäufer beziffern kann. Vermittelnde Auffassungen wollen daher dem Käufer einerseits mögliche Vorteile einer verspäteten Nacherfüllung durch den Verkäufer erhalten, ihn zugleich aber vor den Folgen einer vorzeitigen Bindung im Deckungsgeschäft schützen. Wenig überzeugend erscheint zunächst die Überlegung, dem Käufer komme nach Ablauf der Nachfristsetzung eine Karenzzeit zu, innerhalb derer er Überlegungen über den für ihn günstigsten Sekundäranspruch anstellen könne.397 Dagegen wird zu Recht eingewendet, dass der Käufer einschlägige Überlegungen auch während der Nachfrist anstellen kann;398 im Übrigen entstünde regelmäßig Streit über den zeitlichen Umfang der Bedenkfrist. Nach einer weiteren Auffassung soll der Verkäufer die Nacherfüllung nach § 299 ankündigen müssen, damit der Käufer von Deckungsgeschäften Abstand nehmen könne.399 Wie der vorliegende Fall zeigt, schützt dies den Käufer aber nicht wirksam: Denn ob der Verkäufer den Käufer mit dem Angebot der Nacherfüllung oder deren Ankündigung überrascht, bleibt im Ergebnis gleich. Überzeugender erscheint daher die Überlegung, dem Käufer stehe nach Fristablauf ein Zurückweisungsrecht gegenüber dem Nacherfüllungsbemühen des Verkäufers zu, ohne durch dessen Ausübung in Annahmeverzug zu geraten (vgl. auch Rn. 85ff.).400 Diese Auffassung erhält dem Käufer einerseits die möglichen Vorteile einer vom Verkäufer erbrachten Nacherfüllungshandlung, schützt ihn aber andererseits vor den Folgen einer vorzeitigen Bindung im Deckungsgeschäft. bb) Beendigung des Schwebezustandes durch den Verkäufer?

Umstritten ist auch, welche Befugnisse dem Verkäufer selbst zur Verfügung stehen, den nach Ablauf der Nachfrist entstandenen Schwebezustand zu beseitigen. Nach einer Auffassung soll der nach Fristablauf eintretende Schwebezustand durch Fristsetzung des Schuldners beendet werden können, wobei einmal die Analogie zu § 264 Abs. 2,401 ein anderes Mal die zu § 350402 erwogen wird. Dies lehnt die Gegenauffassung zu Recht ab: Sie verweist auf den Normwortlaut und das Argument, dass der Verkäufer den Schwebezustand stets durch Erbringung der geschuldeten Leistung beenden könne.403 Dies setzt freilich voraus, dass die Erfüllung für den Verkäufer nicht unmöglich ist. Eine weitere Derleder/Hoolmans NJW 2004, 2787, 2789. Faust, in: FS U. Huber, S. 239, 248. Gsell, in: FS U. Huber, 2006, S. 299, 305. M. Schwab JR 2003, 133, 134. Heinrichs, in: FS Derleder, 2005, S. 87, 107f. Staudinger/Schwarze § 281 Rn. D 6 mit Verweis auf § 264 Abs. 2 und Art. 73 Abs. 2 CISG. Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 243; Gsell, in: FS U. Huber, 2006, S. 299, 301; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 47. 397 398 399 400 401 402 403

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§ 2 Der Kaufvertrag

Auffassung sieht den Verkäuferschutz durch eine mögliche Schadensersatzhaftung des Käufers wegen verspäteter Geltendmachung von Sekundäransprüchen verwirklicht.404 Praktisch relevanter noch dürfte der vom BGH in anderem Zusammenhang erwogene Einwand des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 sein, wenn der Käufer zu spät zur Geltendmachung von Sekundäransprüchen übergeht.405 cc) „Rücktritt“ vom Nacherfüllungsverlangen, vom Rücktritt und vom Schadensersatzverlangen 201

Dass der Verkäufer den mit Ablauf der Nachfristsetzung eintretenden Schwebezustand nicht selbst beseitigen kann, beeinflusst auch die Beantwortung der Frage, ob sich der Käufer noch einmal von seiner Rücktrittserklärung distanzieren kann. Im Schrifttum wird häufig vertreten, dass die Ausübung der Gestaltungsrechte durch den Käufer endgültig bindend sein soll.406 Der BGH beschreitet hingegen einen pragmatischeren Weg. (BGH 5.11.2010 – V ZR 228/09 = NJW 2011, 1217) K hatte gegenüber V die Minderung erklärt. Nachträglich erweist sich die Berechnung jedoch als schwierig. Hier soll K noch auf Schadensersatz statt der Leistung übergehen dürfen (Tz. 35).407

Auch im Schrifttum findet sich die Auffassung, der Käufer könne noch nachträglich den Rechtsbehelf wechseln.408 Für diese Übergangsmöglichkeit spricht der Rechtsgedanke des § 325: Rücktritt und Schadensersatz schließen sich nämlich nicht gegenseitig aus. Mit der Rücktrittserklärung, dem Schadensersatzverlangen usw. legt sich der Käufer daher nur insoweit fest, als er nun keine (Nach-)Erfüllung mehr vom Verkäufer verlangen kann (arg. e § 281 Abs. 4). Eine endgültige Festlegung innerhalb der Sekundäransprüche findet hingegen nicht statt. Deshalb muss hier noch ein Wechsel möglich sein.409 Wenig überzeugt daher die Auffassung, dass grundsätzlich nicht mehr vom Rücktritt zur Minderung übergegangen werden könne410 bzw. vom kleinen zum großen Schadensersatz (§ 281 Abs. 1 Satz 1 und 3).411 Zwar schließen diese Anspruchsziele sich häufig gegenseitig aus. Solange der Käufer den Verkäufer jedoch nicht durch sein Begehren zu irreversiblen Vorleistungen und Dispositionen ver404 Finn ZGS 2004, 32, 36. 405 BGH NJW 2010, 2426, Tz. 31f. 406 Grundlegend Staudinger/Schwarze § 325 Rn. 26; vgl. für den Rücktritt: Staudinger/Kaiser

§ 349 Rn. 40; Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 241; für die Minderung: Lögering MDR 2009, 664, 666; Staudinger/Matusche-Beckmann § 441 Rn. 1; für das Schadensersatzverlangen: Staudinger/Schwarze § 281 Rn. D 9. 407 Ebenso OLG Stuttgart ZGS 2008, 479. 408 Berscheid ZGS 2009, 17, 18; Derleder NJW 2003, 998, 1002; Wertenbruch JZ 2002, 862, 863; MünchKomm/Westermann § 437 Rn. 51. 409 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 221, rechte Spalte; zum Ius variandi Leser, Der Rücktritt vom Vertrag, 1975, S. 273ff. 410 Reinicke/Tiedtke Rn. 591. 411 Gernhuber § 9 Rn. 24.

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anlasst hat, bestehen im Hinblick auf einen Wechsel des Anspruchsziels keine Bedenken.412 Hat der Käufer den Verkäufer indes gerade zu Dispositionen dieser Art veranlasst, haftet er diesem nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen Schutzpflichtverletzung auf Ersatz der einschlägigen Schäden. In engem Zusammenhang mit dieser Problematik steht die Frage der Selbstbindung des Käufers durch das Nacherfüllungsverlangen im Hinblick auf die Beschaffenheit der Kaufsache: (BGH 6.2.2013 – VIII ZR 374/11 = NJW 2013, 1365) V hat K ein Fahrzeug als „Neuwagen“ verkauft. Bei der Übergabe entdeckt K jedoch ua. Oberflächenkratzer am Fahrzeug und verlangt Nachbesserung. V gelingt die Mängelbeseitigung innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist nicht, worauf K den Rücktritt erklärt. Im Rahmen des Anspruchs des K aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 legt der BGH die Vereinbarung der Lieferung eines „Neuwagens“ als Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 Satz 1) im Sinne einer Abwesenheit von Oberflächenkratzern aus (Tz. 10 und 17). Nachdem V die Nachfrist versäumt hat, stellt sich die Frage, ob K sein Rücktrittsrecht nicht deshalb nach § 242 verwirkt hat, weil er Nachbesserung verlangt hat.

Die Neuheit eines Fahrzeugs bedeutet zunächst Fabrikneuheit; danach muss das Fahrzeug das Werk des Herstellers makellos verlassen haben (Tz. 10; vgl. Rn. 108). Im Wege der Nachbesserung kann dieser Zustand jedoch durch den Verkäufer nicht hergestellt werden (Tz. 13). Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Käufer durch das Nachbesserungsverlangen auf die Beschaffenheit „Neuwagen“ verzichtet hat. In Betracht kommt kein echter Verzicht iSd. § 397, weil der Käufer – wenn überhaupt – seine Rechtsposition nicht vollständig aufgibt, sondern nur in deren inhaltliche Veränderung einwilligt. Dies legt einen konkuldenten Antrag auf Abschluss eines Änderungsvertrags anlässlich des Nachbesserungsverlangens nahe, den der Verkäufer anlässlich seiner Nachbesserungsbemühungen annähme. Nach der neuen Vereinbarung wäre die nach § 434 Abs. 1 Satz 1 geschuldete Beschaffenheit dann so herabgesetzt, dass das Fahrzeug technisch nicht mehr „wie ein Neuwagen“ beschaffen sein müsste. Diese Möglichkeit verneint der BGH zu Recht (Tz. 12): Dem Käufer stehe es stets frei, sich im Rahmen der Nachbesserung mit einem Zustand zu begnügen, der nicht vollständig der vereinbarten Beschaffenheit genügt. Eine Bereitschaft zur rechtlichen Bindung liegt darin im Zweifel nicht. Dafür spricht, dass ein objektiver Beobachter in der Position des Verkäufers nach §§ 133, 157 aus dem einseitigen Entgegenkommen des Käufers für sich keine weiteren Rechtsfolgen ableiten darf. Problematisch war übrigens auch, ob die Oberflächenkratzer als erheblicher Mangel den Rücktritt nach § 323 Abs. 5 Satz 2 rechtfertigen konnten. Der BGH bejaht dies, weil sie die Beschaffenheitsvereinbarung als „Neuwagen“ verletzten. Neuwagen werden nämlich in einer anderen Preisklasse gehandelt als Gebrauchtwagen (Tz. 17).

412 Krause Jura 2002, 299, 304; Gsell JZ 2004, 643, 648f.; Olshausen, in: FS U. Huber, 2006, S. 471, 494ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

dd) Schutz bei übereilter Anfechtung 202

Diskutiert wird auch die Frage, ob der Käufer, der unter dem Eindruck einer arglistigen Täuschung übereilt die Anfechtung erklärt, geschützt werden kann, wenn er erst nachträglich erkennt, dass über § 437 seine Rechte besser verwirklicht werden können. Teilweise soll auch hier der Rechtsgedanke des § 325 entsprechende Anwendung finden,413 was allerdings bedenklich weit geht. Wenn überhaupt, stellt sich in diesen Fällen eine nach §§ 133, 157 zu entscheidende Auslegungsfrage: Muss danach das Begehren des Käufers nicht im technischen Sinne als Anfechtung verstanden werden, sondern als Wille auf Sekundäransprüche überzugehen, bleibt Spielraum für einen Übergang zu § 437. Bestehen an der Anfechtungserklärung aber keine Zweifel, passt § 325 seinem Zweck nach (dazu Rn. 368) nicht. Hier muss sich der Käufer an seinem Wort festhalten lassen. i) Kein Selbstvornahmerecht des Käufers

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Grundsätzlich kann der Käufer Mängel nicht einfach im Wege der Selbstvornahme beseitigen und darauf Ersatz der Kosten vom Verkäufer verlangen. Dem Erfordernis der vorherigen Nachfristsetzung gegenüber dem Verkäufer liegt nämlich eine zentrale Systementscheidung der Rechtsordnung zugrunde, durch die der Erfüllungsanspruch des Käufers und die damit einhergehende Bindung der Parteien an das vertragliche Versprechen gestärkt sowie der Verkäufer vor vermeidbaren Kosten geschützt werden.414 (BGH 23.2.2005 – VIII ZR 100/04 = BGHZ 162, 216 = NJW 2005, 1348)415 K hat einen Neuwagen im EU-Ausland von V zum Preis von 6.700 € erworben. Sieben Monate nach Übergabe zeigt sich ein schwerer Motorschaden, den K in einer Vertragswerkstatt des Herstellers H beseitigen lässt. Von V verlangt er die Kosten dieser Reparatur. Zu Recht verneint der BGH Ansprüche aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 Satz 2, 346 Abs. 1 (Minderung), weil K dem V nach § 323 Abs. 1 keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Aus demselben Grund scheiden Ansprüche aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, 281 Abs. 1 Satz 1 (Schadensersatz statt der Leistung) aus; denn auch in diesem Fall ist eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 erforderlich.

Fraglich ist jedoch, ob der Verkäufer in diesen Fällen aufgrund einer anderen Anspruchsgrundlage das herausgeben muss, was er wegen der unterbliebenen Fristsetzung durch den Käufer erspart hat. Hätte der Käufer den Verkäufer nämlich zur Nachbesserung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 aufgefordert, hätte der Verkäufer die Kosten einer in seiner Werkstatt durchgeführten Reparaturmaßnahme nach § 439 Abs. 2 tragen müssen. Dennoch verneint der BGH eine Verpflichtung des Verkäufers zum Ersatz der ersparten Aufwendungen, weil

413 Derleder NJW 2004, 969, 970f.; ders. NJW 2003, 998, 1002; ähnlich Berscheid ZGS 2009, 17,

18f. 414 Grundlegend Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 243ff. und zum Zusammenhang mit der Vertragstreue ebenso: Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 316ff. 415 Bestätigt in BGH NJW 2005, 139, 141 und NJW 2006, 988.

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die §§ 437ff. eine abschließende Regelung beinhalteten (S. 1349f.).416 Im Kaufrecht stehe dem Käufer kein Selbstvornahmerecht zu, sondern hier gelte der Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs. Dem entspreche ein „Recht“ des Verkäufers auf eine zweite Andienung (S. 1350).417 In der Tat lässt sich der Vorrang der Nacherfüllung aus den §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 begründen: Ohne dass der Käufer dem Verkäufer eine Gelegenheit zur Nacherfüllung eröffnet, kann er die Ansprüche aus § 437 Nr. 2 bis 3 nicht geltend machen. Fraglich ist nur, ob die Verletzung dieses Prinzips zwangsläufig zur Folge hat, dass der Verkäufer überhaupt nicht für die Kosten der Nacherfüllung aufkommen muss, sondern aus dem Fehlverhalten des Käufers sogar einen Vorteil ziehen kann. Denn wenn der Käufer eine ordnungsgemäße Nachfrist gesetzt hätte, hätte der Verkäufer die Kosten der Nacherfüllungsmaßnahme ja nach § 439 Abs. 2 tragen müssen. Dann sprechen aber gute Gründe dafür, dass er bei unterlassener Nachfristsetzung wenigstens die ersparten Aufwendungen an den Käufer herausgeben muss. Hätte nämlich ein Dritter – weder vom Käufer noch vom Verkäufer beauftragt – das Fahrzeug erfolgreich repariert, stünde ihm wie bei jeder anderen Leistung auf eine Drittschuld (§ 267) nach § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall die Rückgriffskondiktion gegenüber dem Verkäufer zu. Der Verkäufer könnte sich gegen diese aufgedrängte Bereicherung mit dem Hinweis auf § 818 Abs. 2 verteidigen: Er müsste nur die von ihm ersparten Aufwendungen, also den objektiven Wert der Nacherfüllungsmaßnahme, ersetzen. Eine Rückgriffskondiktion kommt nach allgemeinen Überlegungen aber auch dann in Betracht, wenn ausnahmsweise einmal der Gläubiger selbst für den Schuldner erfüllt.418 Deshalb erscheint zunächst kein zwingender Grund ersichtlich, dem Käufer ausgerechnet im vorliegenden Fall den Anspruch auf die vom Verkäufer ersparten Aufwendungen zu beschneiden. Allerdings bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, auf welcher rechtlichen Grundlage dem Käufer dieser Anspruch zusteht: Nach einer Ansicht kommt ein Anspruch auf die ersparten Aufwendungen nach § 326 Abs. 2 Satz 2 in Betracht; nach diesem Verständnis führt die Selbstvornahmehandlung des Käufers zur nachträglichen Unmöglichkeit der Nacherfüllung.419 Dem wird man entgegenhalten müssen, dass die Beseitigung des Mangels nicht zur Unmöglichkeit, sondern viel eher zur Erfüllung des erfolgsbezogenen Nachlieferungsanspruchs führt: Erfüllungspflichten sind nämlich streng erfolgsbezo416 Im Anschluss an BGH NJW 1966, 39; ähnlich Dauner-Lieb/Dötsch ZGS 2003, 250, 252 und

Dauner-Lieb ZGS 2003, 455, 457; Dauner-Lieb/Dötsch NZBau 2004, 233; Dauner-Lieb/Arnold ZGS 2005, 10; Dauner-Lieb ZGS 2005, 169; Arnold MDR 2005, 661; NK-BGB/Büdenbender § 437 Rn. 80; Dötsch MDR 2003, 1407; Kniffka BauR 2005, 1024, 1025; Sutschet JZ 2005, 574. 417 Kritisch in diesem Punkt Herresthal/Riehm NJW 2005, 1457, 1458. 418 Allgemein zur Rückgriffskondiktion Larenz/Canaris II/2 § 69 III 2; vgl. den Hinweis zur Rückgriffskondiktion des Gläubigers gegen den Schuldner aaO. unter lit. d, S. 193; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988, S. 168ff. 419 Lorenz NJW 2002, 2497, 2499; ders. NJW 2003, 1417, 1418f.; ders. ZGS 2003, 398f.; Braun ZGS 2004, 423, 428; Brömmelmeyer JZ 2006, 493, 495; Bydlinski ZGS 2005, 129, 130; Petersen Rn. 250.

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gen (Rn. 330): Gesundet das übereignete Pferd zufällig beim Käufer, ist nicht etwa Unmöglichkeit, sondern Erfüllung eingetreten. Die Kaufsache entspricht jetzt genau dem nach § 433 Abs. 1 Satz 2 Geschuldeten.420 Eine Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nur darin, dass die Erfüllungshandlung nicht durch den Verkäufer, sondern durch den Käufer erfolgt.421 Folgt man dem, stehen zwei Anspruchsgrundlagen offen: Dem Käufer kann zunächst ein Anspruch aus §§ 684, 818 Abs. 2 (unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag) zustehen.422 Die Selbstvornahme ist ein fremdes Geschäft iSd. § 677, denn die Rechtsordnung weist die Nacherfüllung dem Verkäufer zu (vgl. nur § 439 Abs. 2). Dabei dürfte der Käufer regelmäßig mit Fremdgeschäftsführungswillen handeln: Den Mangel beseitigt er stets mit Blick auf die Verantwortlichkeit des Verkäufers, den er später in Anspruch nehmen will. Zumindest handelt es sich um ein „auch fremdes Geschäft“. Auch erfolgt die Geschäftsführung „ohne Auftrag“: Über § 684 wird nämlich kein zu § 437 alternatives Leistungsstörungsrecht eröffnet, denn es liegt gerade kein Leistungsstörungsproblem vor. Der Anspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 ist ja gerade durch die Eigenmächtigkeit des Käufers voll erfüllt worden. Allerdings ist diese Fremdgeschäftsführung nicht nach § 683 Satz 1 berechtigt, denn sie erfolgt weder mit dem (mutmaßlichen) Willen des Verkäufers, noch entspricht sie seinem objektiven Interesse. Denn letzteres findet gerade im Vorrang der Nacherfüllung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 seinen Ausdruck: Dem Verkäufer muss daran gelegen sein, Mängel selbst zu beheben, um die Kosten niedrig zu halten. Deshalb kommt nur der Anspruch aus §§ 684, 818 Abs. 2 in Betracht.

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Daneben kommt auch unmittelbar eine Rückgriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall in Betracht: Der Gläubiger selbst hat den Schuldner in analoger Anwendung des § 267 von einer Verbindlichkeit befreit und kann nun nach § 818 Abs. 2 Wertersatz verlangen.423 Nicht verschwiegen werden soll, dass der BGH ein aus Sicht der Praxis verständliches Anliegen verfolgt: Die Kosten eigenmächtiger Mängelbeseitigung konnte der Käufer früher ohne weiteres durch Ausübung des Minderungsrechts liquidieren. Unmittelbar nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform führte dieselbe Praxis für das Publikum, das über das neue Verbraucherschutzrecht(!) noch nicht unterrichtet war und deshalb an alten Gewohnheiten festhielt, direkt in die „Falle“ der §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1.424 Den Gerichten drohte deshalb im Rahmen von Klagen wegen ersparter Verkäuferaufwendungen eine Flut 420 Vor allem Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 65; Dauner-Lieb/Dötsch ZGS 2003, 455, 456; DaunerLieb/Arnold ZGS 2005, 10, 11; Schröter JR 2004, 411, 443; Signat ZEuP 2009, 716, 742f.; Oechsler NJW 2004, 1825, 1826. 421 Oechsler NJW 2004, 1825, 1826; kritisch Katzenstein ZGS 2004, 349, 355, der allerdings in Fn. 18 von einem Anspruch des Käufers auf sofortige Erfüllung ausgeht. 422 Grunewald § 9 Rn. 61; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 66; Oechsler NJW 2004, 1825, 1826. 423 Herresthal/Riehm NJW 2005, 1457; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 66; Katzenstein ZGS 2004, 144, 152; ders. ZGS 2004, 300, 306; ders. ZGS 2004, 349, 356; ders. ZGS 2005, 184, 186; ders. ZGS 2005, 305, 310; Gsell ZIP 2005, 922, 925; Petersen Rn. 252; vgl. jetzt auch Lerach JuS 2008, 953, der § 347 Abs. 1 analog anwenden will. 424 Dazu Brömmelmeyer JZ 2006, 493.

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von Beweisangeboten der Käufer über kleinste Fehler und wegen minimaler Ersatzbeträge. Dass sich die Praxis in diesem Kontext „Luft“ verschafft, ist leicht nachvollziehbar. Argumente für diese Rechtsprechung kennt aber auch die ökonomische Vertragsrechtsanalyse: Das Verbot der „Selbstvornahme“ dient danach der Verhinderung unwirtschaftlicher Schadensbeseitigungsmaßnahmen.425 Dies erscheint jedoch vglw. pauschal; nähme man den Gedanken ernst, müsste der Käufer zu seiner Entlastung die Wirtschaftlichkeit der Selbstvornahme im Einzelfall einwenden können, was nicht der Fall ist. Insgesamt überzeugt die Rechtsprechung zur Selbstvornahme schon deshalb nicht, weil sie zahlreiche Folgeprobleme geschaffen hat und der praktische Erleichterungseffekt deshalb rasch verpufft. Zu Recht ist im Schrifttum bemerkt worden, dass der BGH später versucht hat, die Flut der Folgefragen dadurch einzudämmen, dass er die Anforderungen an das Nacherfüllungsverlangen deutlich gesenkt hat (dazu Rn. 193).426 Zu den erwähnten Folgeproblemen zählt die Frage, ob dem Käufer ein „Recht auf Irrtum“ zusteht, wenn er nicht erkennt, dass eine Funktionsstörung auf einen Mangel zurückgeht: (BGH 21.12.2005 – VIII ZR 49/05 = NJW 2006, 1195)427 K kaufte von V ein gebrauchtes Fahrzeug. Auf der Autobahn leuchtet eine Kontrollleuchte auf, worauf sich K zur nächstgelegenen Niederlassung des Herstellers begibt. Dort wird ein defekter Katalysator festgestellt (Ursache vermutlich: ein Aufsetzen des Fahrzeugs). K geht zu diesem Zeitpunkt nicht von einem Mangel aus und lässt das Fahrzeug reparieren, weil er es beruflich benötigt. Anlässlich der Reparatur erfährt er, dass die Ursache der Funktionsstörung vermutlich in einem Mangel liegt. Ansprüche aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 auf Rückgewähr des infolge Minderung herabgesetzten Kaufpreises kommen hier nicht in Betracht, weil wiederum keine Nachfrist gesetzt wurde.

Der BGH lehnt aber auch sonstige Ansprüche (in Betracht kämen nach hier vertretener Auffassung: §§ 683 Satz 1 und 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Rückgriffskondiktion)) ab. Denn der Käufer habe nicht dargetan, aus welchen Gründen es ihm nicht möglich gewesen sei, dem Käufer eine Gelegenheit zur Nacherfüllung einzuräumen (Tz. 21f.). Auch ein unverschuldeter Irrtum über die Voraussetzungen der §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 dürfe diese nicht entfallen lassen, da der Käufer die Möglichkeit eines Mangels stets bedenken und dem Verkäufer Gelegenheit zur Nacherfüllung geben müsse (Tz. 21). Dies ist in sich konsequent, überspannt aber die Anforderungen an einen Käufer mit Verbraucherstatus gewaltig. Auch stört, dass dem Käufer ein Recht auf Irrtum zustehen soll, wenn er zu Unrecht die Voraussetzungen eines Nacherfüllungsanspruchs annimmt (Rn. 212ff.), nicht aber, wenn er zu Unrecht diese Voraussetzungen verneint. Nicht nur hier entsteht leider der Eindruck, dass sich der BGH bei diesem einen besonderen Problem „verrannt“ hat. 425 Gutzeit NJW 2015, 445, 446. 426 Faust JZ 2010, 202, 203f. 427 Bestätigt durch BVerfG ZGS 2006, 470, 472f.

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Ferner stellt sich die Frage, ob die Selbstvornahme unschädlich ist, wenn der Verkäufer später, nach der Selbstvornahme, die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§§ 281 Abs. 2 erster Fall, 323 Abs. 2 Nr. 1). Auch hier verneint der BGH einen Anspruch des Käufers auf Ersatz der ersparten Aufwendungen.428 Der Käufer müsse vielmehr abwarten, bis der Verkäufer die Nacherfüllung verweigert habe. Erst dann dürfe er sich bei Dritten eindecken. Dies überzeugt auch nach den eigenen Kriterien des BGH nicht: Denn hier hat der Verkäufer sein „Recht“ zur zweiten Andienung niemals nutzen wollen. Er verdient daher keinen Schutz vor einer Inanspruchnahme. Aus Sicht des Käufers aber erscheint es als eine Zufälligkeit bzw. als inhaltsleerer Formalismus, wenn man von ihm verlangt, die Erfüllungsverweigerung des Verkäufers abzuwarten.429 Daran schließt sich die Frage an, ob der Käufer die Selbstvornahme gefahrlos nach Ablauf der Nachfrist und vor einem Schadensersatzverlangen bzw. einer Rücktrittserklärung vornehmen kann (dazu Rn. 198f.). Schließlich stellt sich die Frage nach den Ersatzansprüchen des Käufers, wenn der Käufer den Untergang der Sache zu vertreten hat, bevor der Verkäufer die Nacherfüllung vornehmen kann. (OLG München 21.7.2006 – 19 U 2503/05 = ZGS 2007, 80) K erwarb von V einen PkwAnhänger. Kurz nach Übergabe zeigten sich Mängel, bezüglich derer K den V zur Nachbesserung aufforderte. Bevor V die Nachbesserungsmaßnahmen vornehmen konnte, ging der Pkw-Anhänger jedoch infolge Verschuldens des K unter. K verlangt jetzt von V die ersparten Aufwendungen für die Reparaturkosten.

Nach Auffassung des OLG ist ein Anspruch wegen Minderung aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4, 346 Abs. 1 hier nach § 323 Abs. 6 ausgeschlossen, weil die Minderung nur anstelle des Rücktritts verlangt werden könne, dieser aber ausgeschlossen sei. So gewährt das Gericht dem Käufer einen Anspruch aus § 323 Abs. 2 Satz 2 analog auf die vom Verkäufer ersparten Aufwendungen. Der Fall zeigt deutliche Parallelen zu den Konstellationen der Selbstvornahme: Denn beide Male verhindert der Käufer durch seine Handlung die Nacherfüllung durch den Verkäufer und verlangt dennoch die ersparten Aufwendungen heraus.430 Wer bereits die Rechtsprechung des BGH zur Selbstvornahme kritisiert, muss dem Fall entnehmen, dass es keine Obliegenheit des Käufers geben kann, die Kaufsache bis zur Nachbesserung in einem der Nacherfüllung zugänglichen Zustand zu halten.431 Ausgehend von der Rechtsprechung des BGH jedoch kann dem Käufer kein Anspruch gegen den Verkäufer auf Ersatz ersparter Aufwendungen zustehen. Denn wenn der Käufer dem Verkäufer die Möglichkeit der zweiten Andienung in einer nach § 276 Abs. 1 zurechenbaren Weise nimmt, dürften sämtliche Ersatzansprüche aus den genannten Gründen ausgeschlossen sein. 428 429 430 431

BGH NJW-RR 2009, 667, Tz. 10. Ähnlich Bredemeyer ZGS 2010, 71, 73. Löhnig ZGS 2007, 134ff. Löhnig ZGS 2007, 134.

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Schließlich musste auch der Fall einer „Selbstvornahme durch den Verkäufer“ entschieden werden.

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(BGH 11.11.2008 – VIII ZR 265/07 = NJW 2009, 580) Verbraucher K erwirbt von Unternehmer V ein gebrauchtes Kfz für 27.500 € mit einer Laufleistung von 60.000 km. Weniger als 6 Monate und 10.000 gefahrene Kilometer später tritt ein Getriebeschaden auf. Diesen lässt K bei V durch Reparatur beseitigen und zahlt den von V in Rechnung gestellten Betrag iHv. 1.071,38 €. Später verlangt er jedoch sein Geld zurück, weil ihm nicht klar gewesen sei, dass V die Kosten hätte tragen müssen. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion), wenn die von K an V geleisteten 1.071,38 € rechtsgrundlos geleistet sind. Der Abschluss eines neuen Werkvertrages über die Reparatur könnte nämlich nach § 476 Abs. 1 Satz 2 nichtig sein, wenn V die Kosten nach § 439 Abs. 2 zu tragen hatte. Dies setzt zunächst voraus, dass ein Mangel vorlag.

Der BGH erwägt zunächst, ob der Käufer durch die Zahlung des Werklohns nicht ein sog. tatsächliches Anerkenntnis geleistet hat (Rn. 1421),432 verneint dies jedoch, weil zwischen den Parteien anlässlich der Reparatur kein Streit um einen Mangel bestand (Tz. 11). Der Begleichung einer Rechnung ohne Erhebung von Einwendungen komme keine über § 363 hinausgehende Bedeutung zu (Tz. 12). Im Rahmen der Prüfung eines möglichen Rechtsgrundes im Rahmen der Leistungskondiktion stellt sich deshalb die Frage, ob der Abschluss des Werkvertrages eine Umgehung nach § 476 Abs. 1 Satz 2 darstellt, weil der Verkäufer dem Käufer eigentlich Nacherfüllung schuldet (so nicht in der Entscheidung). Die Beantwortung dieser Frage hängt von den Voraussetzungen des § 477 ab (Tz. 13ff.). Kann der Käufer die Möglichkeit ausschließen, dass der Getriebeschaden auf eigenem Fehlgebrauch beruht (z.B. ständigem Fahren mit schleifender Kupplung, Rn. 162), trägt der Verkäufer die Beweislast dafür, dass hier kein Mangel vorlag und daher § 476 Abs. 1 Satz 2 nicht anwendbar ist. Hier dürfte indes, worauf das Gericht nicht eingeht, eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast des Verkäufers bestehen. Denn durch die Reparatur hat der Verkäufer die Gründe für die ursprüngliche Funktionsstörung beseitigt. Der Fall erinnert an die Darlegungs- und Beweislast im Fall des § 440 Satz 2 (Rn. 250): Aufgrund der (nicht notwendig schuldhaften) Beweisvereitelung muss der Verkäufer darlegen, worin die Ursachen der damaligen Funktionsstörung lagen. Handelt es sich dabei um eine Ursache, die auch vor Gefahrübergang vorgelegen haben könnte, ist § 477 unmittelbar anwendbar. Fraglich ist, ob der Verkäufer auch hier gegen den Käufer den Einwand der Selbstvornahme erheben und dem Schadensersatzanspruch entgegenhalten kann, dass der Käufer vor der Mängelbeseitigungsmaßnahme keine Nacherfüllung verlangt hat. Die Besonderheit des Falles liegt jedoch darin, dass die „Selbstvornahme“ gerade durch den Verkäufer selbst erfolgte. Dieser konnte daher erstens selbst erkennen, ob ein Mangel vorlag, den er durch „zweite Andienung“ beseitigen konnte und hatte daher zweitens auch die Möglichkeit, den Mangel kostenspa432 Dazu auch BGHZ 66, 250, 254f.

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rend zu beseitigen. Deshalb greift der Einwand hier nicht; der BGH geht darauf nicht weiter ein. k) Unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen 212

Als spiegelbildliches Problem zur unberechtigten Selbstvornahme (Rn. 203ff.) erscheint das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen des Käufers: (BGH 23.1.2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147 – Lichtrufanlage) Das Krankenhaus K hat vom Unternehmen V eine Lichtrufanlage erworben, mittels derer es bettlägerigen Patienten ermöglicht werden soll, das Personal zu alarmieren. Nachdem die Anlage Störungen aufweist, verlangt K von V Nachbesserung. Die Techniker des V erkennen indes, dass K die Anlage falsch eingebaut und insbesondere Alt- und Neubau nicht durch Kabel miteinander verbunden hat. V verlangt von K jetzt die Kosten für die Beseitigung dieser Störung. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen unberechtigten Nacherfüllungsverlangens. Fraglich ist, ob K vorliegend eine objektive Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 zur Last fällt.

Der BGH hat in anderem Zusammenhang unter der etwas plakativen Bezeichnung „Recht auf Irrtum“ einen Rechtfertigungsgrund in denjenigen Fällen geschaffen, in denen die gerichtliche Durchsetzung sachlich nicht begründeter Ansprüche bei der Gegenseite einen Schaden verursacht. Die in der Klageerhebung liegende Rücksichtslosigkeit des Klägers (iSd. § 241 Abs. 2) erscheint danach gerechtfertigt und bedeutet keine Pflichtverletzung. Paradigmatisch für das bisherige, meist im Bereich des § 823 Abs. 1 angesiedelte Fallmaterial erscheint etwa der Fall einer letztlich unbegründeten Nachbarschaftsklage gegen eine erteilte Baugenehmigung, die zu einem kostspieligen Baustopp beim Beklagten führt.433 Für diesen Schaden haftet der Kläger unterhalb der Vorsatzschwelle nicht, weil er sich bei der Inanspruchnahme eines gesetzlich geregelten Verfahrens der Rechtspflege irren darf.434 Dafür sprechen folgende Gründe:435 Der Anspruchsinhaber soll durch die Gefahr einer Haftung nicht von der Geltendmachung seiner Ansprüche abgeschreckt werden; dies gebieten der Justizgewährungsanspruch des Staates und das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Schaden sei aber zu einem großen Teil durch das prozessuale Kostenerstattungsrecht geregelt; eine darüber hinausgehende Liquidierung von Verzögerungsschäden finde nicht statt. So wird ferner verhindert, dass jeder Rechtsstreit in einen Folgestreit über Schadensersatzansprüche mündet. Diesen Rechtfertigungsgrund beschränkt die Rechtsprechung entsprechend den vorgestellten Zwecküberlegungen auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, nicht auf außergerichtliche Rechtsbehelfe wie die Abmah433 BGH VersR 2002, 712; vgl. nur Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 545ff. 434 Vgl. neben der vorliegenden Entscheidung vor allem BGHZ 74, 9, 13f. = NJW 1979, 1351. 435 BGHZ 74, 9, 13f. = NJW 1979, 1351; Kaiser, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 531ff.; im vorlie-

genden Zusammenhang dies. NJW 2008, 1709, 1710f.; Thole AcP 209 (2009) 499, 504ff. und 512ff.; zur älteren Rechtsprechung und Durchbrechung des Prinzips im Vorsatzfalle Staudinger/ Oechsler § 826 Rn. 545ff.

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nung.436 Konsequenterweise verneint der BGH vorliegend ein Recht auf Irrtum beim Nacherfüllungsverlangen; denn auch bei diesem handelt es sich ja um einen vorprozessualen Rechtsbehelf, auf den die vorgestellten Privilegierungszwecke nicht passen (Tz. 10). Damit liegt in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig eine objektive rechtswidrige Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 vor. Im Schrifttum ist kritisiert worden, dass die Unterscheidung zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Geltendmachung nicht überzeuge.437 Tatsächlich müssen hier zwei Fragen unterschieden werden. Denn unabhängig davon, ob man ein Recht auf Irrtum nur bei gerichtlichen Streitigkeiten anerkennt und einen entsprechenden Rechtfertigungsgrund bejaht, stellt sich in Fallkonstellationen der vorliegenden Art die Frage, ob gegenüber dem Käufer der Vorwurf des Vertretenmüssens erhoben werden kann. Denn die parallele Rechtsprechung des BGH zur übereilten Mangelbeseitigung durch Selbstvornahme (Rn. 203ff.) treibt den Käufer in ein Pflichtendilemma: Beseitigt er eine Störung nämlich selbst, ohne zuvor eine Nachfrist gesetzt zu haben, droht er nach dieser Rechtsprechung leer auszugehen, wobei ihm im Grunde kein Recht auf Irrtum zuerkannt wird (Rn. 207). Setzt er aber eine Frist zur Nacherfüllung, ohne sich über die Ursache für das auftretende Funktionsdefizit im Klaren zu sein, droht ihm eine Haftung wegen Schutzpflichtverletzung.438 Aus dieser Zwangslage kann der Käufer nicht durch eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung über die Rechtswidrigkeit befreit werden; vielmehr muss es möglich sein, den Erkenntnismöglichkeiten des Käufers im Einzelfall im Rahmen des Vertretenmüssens Rechnung zu tragen. Dabei geht es nicht um eine Berufung des Käufers auf Rechtsirrtümer,439 sondern um folgende Schwierigkeit, der auch § 477 Rechnung tragen will: Der Käufer hat als Nichtfachmann regelmäßig Schwierigkeiten, ein Funktionsdefizit der Kaufsache auf einen bei Gefahrübergang vorliegenden Mangel zurückzuführen. Wie weit diese Schwierigkeiten reichen, erscheint als eine Frage des Einzelfalls, die im Rahmen des § 276 Abs. 1 geklärt werden muss.440 Dem folgt nun auch der BGH. In einer Folgeentscheidung senkt auch er die Anforderungen an das Vertretenmüssen auf eine Plausibilitätskontrolle durch den Käufer.441 Dabei folgt aus den §§ 433 Abs. 1 Satz 2, 434 zunächst der Grundsatz, dass der Käufer nicht zur Mängelprüfung verpflichtet ist.442 Als Nichtfachmann ist er auch nach § 477 nicht im Hinblick auf die Mangelursache darlegungs- und 436 Vgl. die Entscheidung des Großen Senats zur Schutzrechtsverwarnung: BGHZ 164, 1 = NJW 2005, 3141, 3143. 437 Kaiser NJW 2008, 1709, 1710; Sutschet JZ 2008, 637, 638; Thole AcP 209 (2009) 499, 516ff. 438 Kaiser NJW 2008, 1709, 1710.; Thole AcP 209 (2009) 499, 500; vgl. auch Lange/Widmann ZGS 2008, 329, 333f.; für das Werkvertragsrecht Hecht/T. Becker ITRB 2009, 59. 439 Thole AcP 209 (2009) 499, 520. 440 Kaiser NJW 2008, 1709, 1711; Thole AcP 209 (2009) 499, 526ff. 441 BGH NJW 2009, 1262, Tz. 19. 442 Kaiser NJW 2008, 1709, 1711.

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§ 2 Der Kaufvertrag

beweispflichtig, sondern nur im Hinblick auf die Auswirkungen des Mangels (das Sichzeigen).443 Daraus wird zu Recht gefolgert, dass der Käufer die Schadensursache auch nicht dem Verantwortungsbereich des Verkäufers zuordnen müsse. Ihn treffe nur eine Evidenzkontrolle, naheliegende Ursachenbeiträge im eigenen Verantwortungsbereich auszuschließen.444 Entsprechend fordert jetzt auch der BGH, dass der Käufer mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ausschließen müsse, dass die Ursache in seinem eigenen Verantwortungsbereich angesiedelt ist.445 Überträgt man dies auf den vorliegenden Fall, kommt eine Käuferverantwortlichkeit in Betracht, weil K den naheliegenden Grund einer Fehlinstallation von vornherein nicht in Betracht gezogen hatte. Denn andernfalls wäre ihm die fehlende Verkabelung aufgefallen. Fraglich ist dennoch, ob V auch die Kosten für die Beseitigung der Funktionsstörung verlangen kann. Dem könnte § 254 Abs. 2 Satz 1 entgegenstehen: Dadurch, dass K die Mitarbeiter des V zu sich bestellte, verursachte er bei V einen Schaden, weil unnötige Kosten für Anfahrt und Arbeitszeit entstanden. Diesen Schaden weitet V aber aus, wenn er erkennt, dass die Funktionsstörung nicht auf einem Mangel beruht, und diese dennoch ohne besondere Vereinbarung mit K behebt. Denn die Beseitigung der Funktionsstörung ist nach dem Kaufvertrag nicht geschuldet, sondern bedarf einer weiteren Vereinbarung zwischen den Parteien.446 Allerdings wird sich K im Wege des Vorteilsausgleichs das anrechnen lassen müssen, was er durch die Tätigkeit des V erspart hat. Denn ohne den Einsatz des V hätte K einen Dritten mit der Reparatur beauftragen müssen.

l) Kein Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung 215

Fraglich ist, ob dem Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 ein Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung gegenübersteht. Das zugrunde liegende Problem verdeutlicht folgendes Beispiel: K hat von V einen Tablet-Computer erworben, dessen Betriebssystem gelegentlich abstürzt. Von einem befreundeten Experten besorgt sich K einen „Patch“, der das Problem löst. Später verlangt V von K Schadensersatz, weil K den V nicht durch Nacherfüllungsverlangen auf das Problem hingewiesen habe. Denn V habe seitdem über 500 Tablet-Computer an seine Kunden ausgeliefert, die ihn wegen desselben Problems mit Gewährleistungsansprüchen überzögen. Hätte K dem V rechtzeitig Mitteilung gemacht, hätte V die Computer mangelfrei an die Kunden ausliefern können und so eine fünfstellige Summe eingespart. Ein Anspruch des V gegen K aus § 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 setzt voraus, dass eine Leistungspflicht gegenüber V bestand, die K verletzen konnte. In Betracht kommt das „Recht zur zweiten Andienung“.

Ob ein Recht des Verkäufers auf Nacherfüllung besteht, ist umstritten. Zur Verwirrung trägt in diesem Zusammenhang bei, dass der Begriff „Recht der zweiten Andienung“ sehr häufig nicht im engeren Sinne, sondern metaphorisch verwendet wird, um das Interesse des Verkäufers zu bezeichnen, durch zweite 443 Kaiser NJW 2008, 1709, 1712. 444 Kaiser NJW 2008, 1709, 1712f.; zu weitgehend Majer ZGS 2008, 209ff., der eine Haftung

des Käufers nur im Vorsatzfalle befürwortet. 445 BGH NJW 2009, 1262, Tz. 19. 446 Kaiser NJW 2008, 1709, 1711.

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Andienung die Kosten einer möglichen Mangelbeseitigung durch Drittunternehmer und weitere Schäden abzuwenden, bzw. mögliche Beweise für das Nichtvorliegen eines Mangels zu sichern. In diesem Sinne verwendet der BGH den Begriff in seiner grundlegenden Entscheidung über den Ausschluss von Ersatzansprüchen bei eigenmächtiger Selbstvornahme durch den Käufer: Aus der Sicht des Verkäufers stelle sich der Vorrang der Nacherfüllung als Nacherfüllungsrecht bzw. „Recht zur zweiten Andienung” dar, das insoweit seinem Schutz diene, als er durch die Nacherfüllung die Geltendmachung der vorgenannten Käuferrechte abwenden könne.447 In anderem Sachzusammenhang ordnet der BGH das Nacherfüllungsverlangen allerdings als reine Obliegenheit des Käufers ein und erkennt darin keine Pflicht.448 Dies entspricht auch einer im Schrifttum verbreiteten und letztlich überzeugenden Auffassung.449 Dass man das aus Sicht des Käufers bestehende Erfordernis eines Nacherfüllungsverlangens als echte Pflicht verstehen kann, folgt aus dem Umstand, dass dieses dem Schutz von Drittinteressen (derjenigen des Verkäufers) dient und sich vermeintlich nicht wie eine Obliegenheit nur als „Pflicht“ des Käufers gegen sich selbst präsentiert. Dies legt es nahe, das Nachfristsetzungserfordernis nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056) wie eine echte Käuferpflicht aus dem zugrunde liegenden sachlichen und persönlichen Schutzbereich heraus zu konkretisieren. Dagegen spricht jedoch, dass der Schutzzweck des Nachfristsetzungserfordernisses stark eingeschränkt ist: Seine Verwirklichung ist durch die Rechtsfolgen einer Obliegenheit ausreichend gesichert. Dem Verkäufer soll das Nachfristsetzungserfordernis ermöglichen, Beweise über die Ursachen der Funktionsstörung zu sichern und die Kosten einer Mängelbeseitigung durch Dritte abzuwenden.450 Diesen Interessen ist aber ausreichend Rechnung getragen, wenn dem Käufer die Geltendmachung von Ansprüchen bei unterbliebener Nachfristsetzung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 verwehrt ist. Gegen einen Anspruch des Verkäufers auf zweite Andienung wird schließlich auch überzeugend eingewandt, dass es nach § 439 Abs. 1 der Käufer sei, der den Inhalt der Nacherfüllung konkretisiere; auch spielen in den Fällen der Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung nach §§ 281 Abs. 2, 323 Abs. 2, 440 Satz 1 vor allem die Käuferinteressen eine Rolle, nicht die Verkäuferinteressen.451 Nicht gefolgt werden kann daher der Auffassung, das „Recht der zweiten Andienung“ schütze weitergehende Absatzinteressen des Verkäufers.452 Denn die einleitend gewählte Fallkonstellation zeigt die Gefahren eines solchen Verständnisses: Auf sonstige Absatzinteressen des Verkäufers kann der Käufer sich BGHZ 162, 219 = NJW 2005, 1348, 1350. BGH NJW 2010, 1448, Tz. 12; BGH NJW 2011, 3435, Tz. 28. Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 66; dies. JZ 2011, 978, 979; Mankowski JZ 2011, 781, 783. Speziell dazu BGH NJW 2010, 1448, Tz. 12. Mankowski JZ 2011, 781, 783. Schröter AcP 207 (2007) 28, 36ff.: Vertragserhaltungsfunktion, S. 38ff.: Vertragsdurchführungsfunktion, S. 40: Absatzfunktion. 447 448 449 450 451 452

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nicht einstellen; sie wären andernfalls für ihn mit einer existenzbedrohenden Haftung verbunden. Die Schwierigkeit der Begründung eines Nacherfüllungsrechts auf Verkäuferseite zeigt sich nicht zuletzt an dem unter den Befürwortern geführten Streit um die Rechtsgrundlage. In einem ersten Stadium der Rezeption der Schuldrechtsreform wurden die §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 zur Begründung herangezogen,453 was aus den erwähnten Gründen nicht zwingend erscheint. Eine neuere Auffassung will das Recht zur zweiten Andienung und die entsprechende Käuferpflicht aus § 433 Abs. 2 zweiter Fall ableiten: Weil der Käufer die „gekaufte“ Sache abnehmen müsse, also die nach § 433 Abs. 1 Satz 2 rechts- und sachmängelfreie, müsse er dem Verkäufer auch die Nacherfüllungsmöglichkeit eröffnen.454 Dieses Verständnis unterlegt jedoch § 433 Abs. 2 zweiter Fall einen neuen, vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Zweck (Rn. 501):455 Die Norm schützt den Verkäufer typischerweise davor, die Kaufsache auf unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten für den Käufer verwahren zu müssen. Dass im Beispielsfall der Käufer seine Abnahmepflicht verletzt, weil er den Softwarefehler nicht vom Verkäufer beseitigen lässt, liegt denkbar fern. Schwerer wiegt eine weitere Auffassung, die in Ausnahmefällen Pflichten des Käufers auf Mitwirkung bei der Mängelbeseitigung aus § 242 begründen will.456 Ein einschlägiges Beispiel liefert folgende im Bereich der Produzentenhaftung angesiedelte Konstellation: (BGH 16.12.2008 – VI ZR 170/07 = BGHZ 179, 157 = NJW 2009, 1080 – Pflegebetten) V hat dem Krankenhaus K Pflegebetten verkauft, die allerdings einen Isolierungsfehler aufweisen. So kann Flüssigkeit bis zur Hebeelektronik der Betten durchdringen, was wiederum Kurzschlüsse und Schwelbrände auslösen kann. Nachdem V auf dieses Problem aufmerksam geworden ist, will er den Fehler durch eine Reparatur vor Ort beheben. K will davon nichts wissen.

Wird der Verkäufer nachträglich auf seine Herstellerverantwortlichkeit für einen Produktfehler aufmerksam, darf er vom Produktkäufer wohl stets nach Treu und Glauben (§ 242) erwarten, dass dieser ihm die Beseitigung des Fehlers ermöglicht. Denn aus einer nachvertraglichen Treuepflicht heraus darf der Käufer den Verkäufer nicht ohne Sachgrund in eine Haftungsverantwortlichkeit gegenüber den Produktgeschädigten laufen lassen. Hier dürften in die Konkretisierung des § 242 auch die Grundrechte der durch das Produkt Gefährdeten einfließen. Diese Fälle decken sich aber nur äußerlich mit dem Nacherfüllungsanspruch; denn die nachvertragliche Duldungspflicht des Käufers resultiert nicht aus einem Verkäuferrecht zur zweiten Andienung: Zwar er453 Bitter/Meidt ZIP 2001, 2114, 2116; Brömmelmeyer JZ 2006, 403; Heinrich ZGS 2003, 253

Fn. 2; P. Huber NJW 2002, 1004, 1005; Jud JuS 2004, 841, 843; Katzenstein ZGS 2004, 349, 352; Lorenz NJW 2003, 1417, 1418; ders. NJW 2006, 1175, 1176. 454 Schröter AcP 207 (2007) 28, 33f. im Anschluss an H.P. Westermann, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1261, 1265f. 455 Mankowski JZ 2011, 781, 782; vgl. auch Canaris, in: FS Kropholler, 2008, S. 3, 13. 456 Mankowski JZ 2011, 781.

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bringt der Verkäufer auch eine Nacherfüllung, wenn er den Produktfehler beseitigt. Tatsächlich beruht sein Tätigwerden aber auf einer Produktbeobachtungspflicht (Tz. 10), bei deren Erfüllung ihm der Käufer als (ehemaliger) Vertragspartner nach § 242 helfen muss. Dass die Erfüllung der Produktbeobachtungspflicht auch Nacherfüllung gegenüber dem Käufer bewirkt, erscheint dagegen nur wie ein Rechtsreflex. m) Beschädigung der Kaufsache durch die Nacherfüllungshandlung (Risikoverteilung bei der Nacherfüllung)

Nachbesserung und Nachlieferung unterscheiden sich im Hinblick auf die Verteilung der Sachgefahr. Dies kann zu Unstimmigkeiten führen:

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(OLG Saarbrücken 25.7.2007 – 1 U 467/06 = ZGS 2008, 77) Verbraucher K hat bei V ein gebrauchtes Kfz für 19.000 € erworben. Kurze Zeit nach der Übergabe weist K den V auf Schwierigkeiten beim Startvorgang hin. In der Werkstatt des V werden diese daraufhin durch Reparaturmaßnahmen beseitigt. Nach deren Abschluss fährt der bei V arbeitende Monteur M das Fahrzeug jedoch gegen eine Mauer. Es entsteht ein weiterer Reparaturbedarf iHv. 2.771,19 € und eine verbleibende Wertminderung wegen des Unfallschadens iHv. 950 €, die V beide übernehmen will. K verlangt indes Rückgewähr des Kaufpreises gegen Rückübereignung des Fahrzeugs im Wege des großen Schadensersatzes. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 3. Vorliegend wies das aufgrund eines Kaufvertrags gelieferte Kfz einen Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auf (Schwierigkeiten beim Startvorgang). Diesen hatte V aber nicht zu vertreten; nach §§ 276 Abs. 1, 278 Satz 1 ist ihm allenfalls die Beschädigung des Fahrzeugs zuzurechnen.

Das OLG stellt jedoch zu Recht die Frage, ob der Käufer hier überhaupt einen Schaden statt der Leistung liquidiert; denn nur dieser führt zu der vom Käufer erstrebten Rechtsfolge des § 281 Abs. 1 Satz 3. Vorliegend habe eine Nacherfüllung den Schaden jedoch nicht verhindern können, so dass § 281 Abs. 1 Satz 3 nicht in Betracht kommt. Der Käufer sei daher auf einen Schadensersatzanspruch gegen den Verkäufer aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 auf Ersatz der Werteinbuße verwiesen (S. 79). Diese Argumentation entspricht den systematischen Vorgaben des § 281: Denn vorliegend hat der Verkäufer nicht den Mangel zu vertreten, sondern die durch die Nacherfüllungshandlung verursachte weitere Integritätsbeeinträchtigung auf Seiten des Käufers, die prinzipiell nur zu einem Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 führt, der keine Rückabwicklung kennt. Dennoch bleiben Bedenken auf einer übergreifenden Ebene: Denn am Ende der Gesamtbemühungen des Verkäufers muss der Käufer nun einen Unfallwagen als Kaufsache akzeptieren, ohne dass dies zuvor vereinbart gewesen wäre. Hätte der Verkäufer von vornherein ein Fahrzeug mit einem Unfallschaden geliefert, hätte der Käufer ohne Nachfristsetzung vom Vertrag zurücktreten (dazu Rn. 171), bzw. den Schadensersatzanspruch aus § 281 Abs. 1 Satz 3 sofort geltend machen können; daran ist er nun gehindert. Diese Unstimmigkeit beruht auf dem Problem, dass bei Nachlieferung und Nachbesserung das Risiko des (unverschuldeten) Untergangs der Kaufsache

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ungleich verteilt ist: Bei der Nachlieferung springt die Gefahr des zufälligen Untergangs ab dem Nachlieferungsverlangen des Käufers wieder auf den Verkäufer zurück. Denn dieser erhält nun die zuerst gelieferte Sache nach §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 1 zurück und trägt in den Grenzen des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 das Risiko ihres Untergangs. Zwar haftet der Käufer nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und der Haftungsausschluss nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ist nicht mehr anwendbar, wenn der Käufer den Rücktrittsgrund kennt. Dennoch beschränkt sich die Haftung des Käufers auf leichte Fahrlässigkeit und nicht auf den zufälligen Untergang (str.; Rn. 312).

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Dagegen bleibt im Rahmen der Nachbesserung die Gefahr der zufälligen Beschädigung aufgrund der §§ 446 Satz 1 und 3, 447 beim Käufer.457 Aus diesem Problem werden unterschiedliche Konsequenzen gezogen: Eine erste Auffassung befürwortet eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 5 und eine Risikoverantwortung des Käufers für die zurückzugewährende Sache bis zur Übergabe an den Verkäufer.458 Folgt man dem, müsste der Käufer vorliegend das Verschlechterungsrisiko erst recht tragen. Systematische Bedenken resultieren jedoch aus § 475 Abs. 3 Satz 1 (vgl. noch Rn. 224), der den Anwendungsbereich des § 439 Abs. 5 im Falle der Nachlieferung bereits in spezifischer Weise einschränkt. Unter diesen Voraussetzungen erscheint es schwer möglich, den Verweis noch im Hinblick auf § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 einzuschränken. Eine weitere Auffassung erwägt dagegen eine Ersatzpflicht des Verkäufers aus § 439 Abs. 2, was im vorliegenden Fall nicht weiterführt und angesichts der bestehenden Ersatzansprüche (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 und § 823) auch entbehrlich erscheint.459 Überzeugend erscheint allerdings die beiden Auffassungen zugrunde liegende Tendenz, Nachbesserung und Nachlieferung im Hinblick auf die Belastung des Käufers gleichzubehandeln.460 Deshalb stellt sich die Frage, ob den Käuferinteressen in der vorliegenden Kollision nicht durch eine nach § 325 mögliche Kombination aus dem Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 und dem Rücktrittsrecht aus § 324 Rechnung getragen werden kann: Denn der Verkäufer verletzt hier nicht irgendeine Schutzpflicht, sondern seine Nacherfüllungspflicht gegenüber dem Käufer. Gerät infolge einer solchen Pflichtverletzung die Kaufsache in einen Zustand, der den Käufer im Zeitpunkt der Lieferung zum Rücktritt nach § 437 Nr. 2 berechtigt hätte, scheint die in § 324 vorausgesetzte Vertrauensgrundlage entfallen. In Fällen der vorliegenden Art liegt dagegen wohl auch nach herkömmlichem Verständnis ein Schaden statt der Leistung vor, wenn die Nacherfüllungs457 So bereits Stodolkowitz ZGS 2009, 496; J. Horn NJW 2017, 289; aA. Reinking/Eggert, Der

Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. 844f. 458 Stodolkowitz ZGS 2009, 496, 499f. 459 Zögernd D. Schneider ZGS 2008, 177, 178, der ebenfalls auf die alternativen Anspruchs-

grundlagen abstellt. 460 EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – RS C-65/09 – Weber und C-87/09 – Putz = NJW 2011, 2269, Tz. 51.

B. Käuferrechte

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handlung den bereits bestehenden Mangel vertieft (Beispiel: die Reparatur des mangelhaften Motors führt zu dessen vollständiger Zerstörung). Unabhängig davon, dass in diesen Fällen auch ein Fehlschlagen iSd. § 440 Satz 1 zweiter Fall in Betracht kommen dürfte, kann der Käufer nach wie vor den alten Mangel geltend machen; ist dieser insgesamt iSd. § 281 Abs. 1 Satz 3 erheblich, kommt die Geltendmachung des großen Schadensersatzanspruchs in Betracht. n) Verbesserung der Kaufsache durch die Nacherfüllung

Fraglich ist schließlich, ob dem Verkäufer ein Abschöpfungsanspruch gegenüber dem Käufer zusteht, wenn die Kaufsache durch die Nacherfüllungshandlung eine Wertsteigerung erfährt, die ursprünglich im Kaufvertrag nicht geschuldet war. Verbraucher K hat von Verkäufer V eine Uhr erworben. Von V verlangt er Nachbesserung, weil der Sekundenzeiger verbogen ist. Da der Originalsekundenzeiger für das Uhrenmodell nicht mehr erhältlich ist, tauscht V diesen durch einen ähnlich aussehenden, aber brillantenbesetzten Zeiger aus und verlangt von K eine Zuzahlung. Zu Recht? Ein Anspruch aus § 433 Abs. 2 scheidet aus, da die Parteien keine Vereinbarung über den Einbau eines teureren Zeigers getroffen haben. Auch kommt hier keine Änderung des Kaufvertrags durch erneute Einigung von K und V zustande. Denn bei Auslegung des tatsächlichen Verhaltens des K auf der Grundlage der §§ 133, 157 kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser sich gegenüber V auf eine Änderung der Vertragsbedingungen einlassen wollte; denn K forderte über §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 nur Erfüllung des bereits bestehenden Vertrages. Anders läge der Fall nur, wenn V den K vor Einbau um sein Einverständnis gebeten und auf die Kostenbelastung hingewiesen hätte.461 Fraglich ist deshalb, ob V von K gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Verwendungskondiktion) Zahlung verlangen kann. Dabei kann offen bleiben, ob ein Fall des § 951 Abs. 1 vorliegt, weil eine Verbindung nach § 947 Abs. 2 eingetreten ist, oder ein sonstiger Fall, indem V den K über den aus dem Kaufvertrag folgenden Rechtsgrund hinaus bereichert hat.

Bei der Anwendung der Verwendungskondiktion auf diese Fälle liegt das zentrale Problem im erforderlichen Fehlen eines Rechtsgrundes für den Vermögenserwerb auf Käuferseite. Teilweise wird im Schrifttum der Rechtsgrund in § 241a Abs. 1 gesehen, da der Käufer die Verbesserung nicht verlangt habe.462 Näher liegt § 439 Abs. 2, wonach der Verkäufer und nicht der Käufer die Kosten der Nacherfüllung zu tragen hat: Regelmäßig ist der Verkäufer dabei nur über § 439 Abs. 4 geschützt, wenn die Kosten unverhältnismäßig ausfallen. Ferner spricht auch ein Rechtsgedanke aus § 475 Abs. 3 Satz 1 (Rn. 224) gegen die Möglichkeit, einen Käufer mit Verbraucherstatus im Anschluss an die Lehre von der aufgedrängten Bereicherung an den ersparten Aufwendungen zu beteiligen.463 In den Grenzen des § 439 Abs. 4 Satz 3 bzw. der vom EuGH eingeführ-

461 Mankowski NJW 2011, 1025, 1028f. 462 Mankowski NJW 2011, 1025, 1026. 463 Ähnlich bereits Mankowski NJW 2011, 1025, 1028.

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ten Opfergrenze (Rn. 191) trägt der Verkäufer daher das Risiko des Mehraufwandes allein. o) Nutzungsersatz bei der Nachlieferung 224

Fraglich ist, in welchem Umfang der Verkäufer bei der Nachlieferung nach §§ 439 Abs. 5, 346 Abs. 1 Nutzungsersatz verlangen kann. § 475 Abs. 3 Satz 1 schließt den Anspruch auf Nutzungsersatz für den Verbrauchsgüterkauf nunmehr ganz aus. Das Kernproblem bleibt im Übrigen außerhalb der §§ 474ff. bestehen (vgl. zum Finanzierungsleasing Rn. 713). Daher lohnt ein Blick auf die dem § 475 Abs. 3 Satz 1 zugrunde liegende Quelle-Entscheidung des EuGH: (EuGH 17.4.2008 – RS C-404/06 = Slg. 2008, I-2685 = NJW 2008, 1433 – Quelle) Verbraucherin K erwarb im August 2002 vom Unternehmen V ein Herdset, bei dem im Januar 2004 Mängel auftraten. Da eine Reparatur nicht möglich war, verlangt K von V Nachlieferung eines neuen Sets. Dazu ist V nur bereit, wenn K ihr Wertersatz für die Nutzung des Herdsets von August 2002 bis Januar 2004 leistet.

225

Der EuGH verneint vorliegend einen Anspruch des Verkäufers gegen den Verbraucher auf Ersatz der gezogenen Nutzungen. Ausschlaggebend sei das in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 VerbrGüterKRiL geregelte Prinzip der Unentgeltlichkeit der Ersatzlieferung, das einen wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten Verbraucherschutzes darstelle (Tz. 33). Dabei bemüht das Gericht ein Effizienzargument, das in der Entscheidung in Sachen „Weber/Putz“ wieder begegnet (Rn. 175). Der Käufer dürfe nämlich durch Nutzungsersatzforderungen nicht vor der Geltendmachung der Nacherfüllung abgeschreckt werden (Tz. 34). In Reaktion auf diese Entscheidung schließt der Gesetzgeber in § 475 Abs. 3 Satz 1 Ansprüche auf Herausgabe (§ 346 Abs. 1) bzw. Ersatz der gezogenen Nutzungen (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) im Falle der Nachlieferung aus. Außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs bleibt das Problem bestehen. Hier behält deshalb auch die ursprüngliche Auffassung des Gesetzgebers der Schuldrechtsreform Relevanz. Danach rechtfertigt sich die Haftung des Käufers für die aus der ersten Sache gezogenen Nutzungen durch die Tatsache, dass der Käufer im Wege der Nachlieferung eine neue Sache erwirbt. Die zwischenzeitliche Nutzung der zuerst gelieferten, mangelhaften Sache soll dabei nicht unentgeltlich erfolgen.464 Hinzu tritt die Befürchtung, der Käufer könne den Nachlieferungsanspruch dadurch missbrauchen, dass er nach Entdeckung des Mangels die Sache bis kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist nutzt, um sich dann im Wege der Nachlieferung eine neue zu beschaffen, „und so seinen ‚alten Pkw‘ umzutauschen.“465 Die Gegenauffassung argumentierte ursprünglich mit dem Wortlaut des § 439 Abs. 5: Die Verweisung auf das Rücktrittsrecht betreffe nur die Rückgewähr der gelieferten Sache, nicht aber die Frage des Nut464 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 233, linke Spalte. 465 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 194, linke Spalte.

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zungsersatzes.466 Mit der Einführung des § 475 Abs. 3 Satz 1 (Rn. 224) ist dieses Argument aus systematischen Gründen entfallen. Denn dieser Norm ist gerade zu entnehmen, dass § 439 Abs. 5 außerhalb der in § 475 Abs. 3 Satz 1 begründeten Ausnahme auf die Vorschriften über den Nutzungsersatz verweist. Bedenken gegen die vom Gesetzgeber geäußerte Sichtweise beruhen auf anderen Sachgründen: Denn der Käufer darf nicht wie ein bösgläubiger nichtberechtigter Besitzer nach § 987 behandelt werden: Hätte der Verkäufer nämlich rechtzeitig die Kaufsache in dem nach § 433 Abs. 1 Satz 2 geschuldeten Zustand geliefert, hätte sie der Käufer auch nutzen können.467 Verzögert sich die Nacherfüllung infolge einer Pflichtverletzung des Verkäufers, besteht kein Anlass, den Käufer für die aus der mangelhaften Sache gezogenen Nutzungen in voller Höhe in Anspruch zu nehmen. Der BGH ließ aus ähnlichen Überlegungen heraus im Vorlagebeschluss zum Quelle-Verfahren keine Neigung zu einem vollumfänglichen Anspruch auf Nutzungsersatz erkennen.468 Einige Autoren wollen deshalb gar keinen Ersatzanspruch zuerkennen.469 Dagegen spricht jetzt ein Umkehrschluss aus § 475 Abs. 3 (Rn. 224). Auch können beim Käufer durchaus Vorteile entstehen, und zwar durch die Ersparung von Aufwendungen: Denn ursprünglich hatte der Käufer Anspruch auf eine Sache, die vom Zeitpunkt der Lieferung an dem normalen Alterungs- und Abnutzungsprozess unterlag. Nunmehr kann er die zunächst gelieferte mangelhafte Sache abnutzen und erhält die später endgültig bei ihm verbleibende Kaufsache zu einem späteren Zeitpunkt, so dass deren Alterungs- und Abnutzungsprozess auch später beginnt. Die damit verbundenen Vorteile – und das sind ersparte Aufwendungen für die Reparatur und die Erneuerung von Bestandteilen der Kaufsache – sind bei richtiger Betrachtung herauszugeben. Deshalb erinnert die Fragestellung an die Vorteilsausgleichung in den Fällen „Alt für Neu“ im Rahmen der §§ 249ff.470: Es sind Fälle, in denen der Schuldner als Ersatz für die Beschädigung einer gebrauchten Sache des Geschädigten eine neue zu leisten hat, weil die alte, gebrauchte nicht mehr zu reparieren ist. Durch die Art der Ersatzleistung erlangt der Geschädigte also gegenüber dem alten Zustand einen möglichen Vorteil. Dagegen wird eingewendet, die Lehre vom Ersatz Alt für Neu sei hier nicht anwendbar, weil der Verkäufer Ersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache verlange und nicht für die Nutzung der Ersatzsache.471 Von einer 466 So das OLG Nürnberg NJW 2005, 3000 unter Bezugnahme auf Rott BB 2004, 2478, 2479; zur Recht kritisch Fest NJW 2005, 2959. 467 Ebenso jetzt Gsell NJW 2003, 1969, 1970; ähnlich Ball NZV 2004, 217, 222 und weiter einschränkend Schulze/Ebers JuS 2004, 366, 369f.; kritisch Muthorst ZGS 2006, 90, 95. 468 BGH NJW 2006, 3200. 469 Muthorst ZGS 2006, 90, 95; Wagner/Michal ZGS 2005, 368, 373; Woitkewitsch VuR 2005, 1, 5f. 470 BGHZ 200, 350 = NJW 2015, 468, Tz. 23f.; Gsell NJW 2003, 1969, 1974; ähnlich BeckOGK/Höpfner § 439 Rn. 100ff.; M. Schwab JuS 2002, 630, 636f.; kritisch: Reinicke/Tiedtke Rn. 147; Woitkewitsch VuR 2005, 1, 5f.; ablehnend Kaiser, in Eckpfeiler, I Rn. 71. 471 Gsell JZ 2009, 518, 525.

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unmittelbaren Anwendung der Lehre „Alt für Neu“ kann in der Tat nicht die Rede sein, wohl aber von einem Vermögensvergleich, in den der zentrale Rechtsgedanke dieser Lehre eingeht: Der Käufer darf keinen Vorteil daraus ziehen, dass sich die Gesamtnutzungsdauer durch die Nachlieferung über das vertraglich Vereinbarte hinaus verlängert. Bei der Beschränkung des Ersatzanspruchs sind folgende Gesichtspunkte zu bedenken: (1) Der Vorteil wird dem Käufer aufgedrängt.472 Daraus müssen sich wie in den Fällen „Alt für Neu“ Milderungen der Ausgleichspflicht ergeben: Unter Umständen wird der Vorteilsausgleich erst fällig, wenn er sich in Form einer Vermögensmehrung beim Käufer auswirkt. (2) Wie in den Fällen „Alt für Neu“ ist die Höhe des Ersatzes von der individuellen Nützlichkeit abhängig; dies entspricht der Dogmatik der ersparten Aufwendungen bei aufgedrängter Bereicherung.473 (3) Der Gegenauffassung ist allerdings zuzugeben, dass der Käufer durch den Abzug „Alt für Neu“ nicht schlechter stehen darf als durch Erfüllung einer Verbindlichkeit aus § 346 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1.474 Denn das Risiko von Werterhöhungen bei der Nacherfüllung trägt der Verkäufer; dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 439 Abs. 2 (Rn. 223). p) Die Mängeleinrede (Zurückbehaltungsrecht aus § 320) 227

Aus der Rechtsnatur der Nacherfüllung als modifiziertem Erfüllungsanspruch (Rn. 80) folgt schließlich, dass er an die Stelle des alten Anspruchs aus § 433 Abs. 1 tritt. Auf diesen war aber § 320 anwendbar: Der Käufer brauchte den Kaufpreis nur Zug um Zug gegen Erhalt der Kaufsache anzubieten. Die Inhaltsänderung der Erfüllungspflicht des Verkäufers in eine Nacherfüllungspflicht ändert daran nichts. Deshalb darf der Käufer weiterhin nach § 320 zumindest einen Teil des Kaufpreises so lange zurückhalten, wie die Nacherfüllung nicht erfolgreich war. Das Zurückbehaltungsrecht verfolgt dabei zwei Zwecke: Es dient als Druckmittel auf den Verkäufer, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen, und sichert den Käufer zugleich vor den Gefahren einer einseitigen Vorleistung ab.475 Die Hintergründe verdeutlicht folgender Fall: (BGH 7.3.2013 – VII ZR 162/12 = NJW 2013, 1431) K hat bei V eine Einbauküche für 23.000 € bestellt. In den von V gestellten AGB heißt es: „Der Kaufpreis ist bei Anlieferung der Küche ohne Abzug zu zahlen.“ Auf Bitten des K willigt V nachträglich ein, dass K bei Anlieferung 2.500 € zurückbehalten darf. Der anschließende Einbau der Küche gelingt zunächst aus ungeklärten Gründen nicht. K zahlt deshalb den Kaufpreis insgesamt nicht, weswegen wiederum V die Nacherfüllung verweigert. Darauf verlangt K im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung, dass V die Küche zurücknimmt und darüber hinausgehende Schäden ersetzt.

472 473 474 475

Dazu Feuersänger MDR 2004, 922, 924. Medicus/Petersen BR Rn. 899. Kaiser, in Eckpfeiler, I Rn. 71. BGH ZIP 2016, 2420, Tz. 23; dazu auch Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 164 (= BeckOK).

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Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 3 setzt einen Kaufvertrag voraus. Der VII. Senat hält vorliegend einen Werkvertrag für möglich, weil durch die handwerklichen Fachkenntnisse des V ein Küchenraum auf dem bebauten Grundstück des K geschaffen werden soll, lässt die Frage aber offen (Tz. 18). In anderem Zusammenhang stellt derselbe Senat jedoch für einen Kaufvertrag in Gestalt eines Werklieferungsvertrags (§ 650 Satz 1) darauf ab, dass die Sachen bei der Anlieferung noch beweglich sind, während es auf einen späteren Einbau nicht ankommen soll (Rn. 1178). Dies spricht eher für einen Kaufvertrag. Fraglich ist, ob V vorliegend angesichts der auftretenden Sachmängel seine Pflicht zur Nacherfüllung iSd. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 verletzt hat. Gegen eine Pflichtverletzung des V könnte sprechen, dass dem Anspruch des K auf Nacherfüllung eine Einrede des V aus § 320 Abs. 1 Satz 1 zusteht, weil K entgegen der Vereinbarung bei Lieferung den Kaufpreis nicht gezahlt hat.

Fraglich ist jedoch, ob dem Käufer nicht seinerseits gegenüber dem Verkäufer die Einrede des § 320 zustand und die vom Verkäufer gestellte AGB-Klausel wegen Verstoßes gegen das Leitbild des § 320 Abs. 1 Satz 1 nach § 307 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 unwirksam ist. Dies setzt zunächst voraus, dass die Klausel auch nach ihrer Abänderung durch die Parteien überhaupt noch eine AGB-Klausel darstellte. Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 müssen AGB einseitig vom Verwender gestellt werden. Dagegen liegen AGB-Klauseln nicht vor, wenn die Vertragsklauseln zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind (§ 305 Abs. 1 Satz 3). Die teilweise Abänderung der vom Verkäufer vorgesehenen Vorleistungspflicht auf Bitten des Käufers könnte dazu führen, dass die neue (reduzierte) Vorleistungspflicht kraft Vereinbarung gilt. Problematisch ist daher, ob hier ein Aushandeln iSd. § 305 Abs. 1 Satz 3 vorliegt. Die Frage reicht bis zum zentralen Schutzzweck der Inhaltskontrolle zurück. Dieser beruht darauf, dass von einer Einigung der Vertragsparteien keine Richtigkeitsgewähr ausgeht, wenn eine Seite der anderen den Vertragsinhalt diktieren kann (sog. gestörte Vertragsparität).476 Anfänglich ging die Rechtsprechung davon aus, dass diese Macht bei einem Vertragspartner nur anzunehmen sei, wenn dieser ein Monopol über ein unentbehrliches Wirtschaftsgut innehabe und für die andere Seite damit als Verhandlungspartner unausweichlich sei, so dass jede von ihm gestellte Vertragsbedingung akzeptiert werden müsse: Deshalb nahm die Inhaltskontrolle von AGB bei § 826 (Monopolkontrolle) ihren Anfang.477 § 305 Abs. 1 Satz 1 erkennt jedoch an, dass bereits diejenigen Fälle als kritisch angesehen werden müssen, bei denen eine Seite der anderen ihre Geschäftsbedingungen diktieren (stellen) kann. In diesem Sinne entscheidet der BGH die vorliegende Frage (Tz. 30): Danach verliert eine AGB ihren Charakter durch nachträgliche Abänderung nur dann, wenn die Änderung die Wirkung einer von vornherein getroffenen Vereinbarung entfaltet, nicht aber dann, wenn die Abänderung das ursprüngliche Diktat zwar abmildert, dessen Inhalt in der Sache jedoch aufrechterhält. Letzteres ist hier der Fall: Dass der Käufer eine Herabsetzung der ihn belastenden Vorauszahlungspflicht erreichen konnte, ändert nichts an der einseitigen Interessendurchsetzung durch V, sodass von einem Aushandeln nach § 305 Abs. 1 Satz 3 nicht die Rede sein kann. Die Inhaltskontrolle von AGB nach § 307 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 ist daher eröffnet.

476 Schmidt-Rimpler AcP 147 (1941) 130ff.; zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 125ff. 477 RGZ 20, 115; Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 187.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Die AGB-Klausel verstößt nach Auffassung des BGH gegen den Leitbildgedanken des § 320 Abs. 1 Satz 1, weil sie dem Käufer die Mängeleinrede nach dieser Norm nimmt (Tz. 25, 32). Folglich durfte der Verkäufer die Nacherfüllung nicht im Hinblick auf das vermeintliche Zahlungsversäumnis des Käufers verweigern. Hier zeigt sich das komplizierte Zusammenspiel der Zurückbehaltungsrechte: V hat vorliegend kein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 Abs. 1 Satz 1 wegen des von K geschuldeten Kaufpreises. Denn K darf seinerseits nach § 320 Abs. 1 Satz 1 den Kaufpreis wegen des Mangels zurückbehalten. Dies zwingt V zur Vorleistung.

Das Ergebnis verweist auf einen bereits bekannten Systemzusammenhang (Rn. 185): Ist das Nacherfüllungsverlangen des Käufers rechtswidrig, bedeutet ein Nichteingehen des Verkäufers auf dieses keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung (§§ 281 Abs. 2 erster Fall, 323 Abs. 2 Nr. 1). Die Ablehnung eines berechtigten Nacherfüllungsverlangens des Käufers begründet hingegen – mit oder ohne Sachgrund (§ 439 Abs. 4) – eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung. Gegen die Annahme einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung nach § 281 Abs. 2 erster Fall wendete V hier übrigens vergeblich ein, dass er sich in einem Rechtsirrtum befunden habe. Nach dem Zweck des § 281 Abs. 2 erster Fall kommt es allein darauf an, dass die Verweigerung des V endgültig feststand (Tz. 38). Weil dieser Irrtum hätte vermieden werden können (Tz. 48), hat V die Verletzung der Nacherfüllungspflicht auch zu vertreten und haftet auf Schadensersatz.

227a

Fraglich ist schließlich, ob der Käufer bei der Nachlieferung (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 zweiter Fall) die gelieferte mangelhafte Sache so lange behalten darf, bis der Verkäufer die Ersatzsache liefert. § 439 Abs. 5 verweist zunächst auf § 348. Doch bezieht sich das in dieser Norm geregelte Zurückbehaltungsrecht auf die Leistungen, die im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses zurückzugewähren sind. Ein Zurückbehaltungsrecht kann sich ansonsten vor allem aus § 320 oder § 273 ergeben.478 Der Unterschied zwischen beiden Normen liegt darin, dass der Käufer bei Anwendung des § 320 von vornherein nicht in Verzug kommt, gleichgültig, ob er sich auf das Zurückbehaltungsrecht beruft oder nicht. Im Falle des § 273 Abs. 1 muss er das Zurückbehaltungsrecht explizit ausüben, um den Verzugseintritt zu verhindern.479 Nicht nur dieser Unterschied spricht dafür, die durch das Nachlieferungsverlangen entstandene Rückgewährverpflichtung als Hauptleistungspflicht anzusehen, die mit der Verpflichtung des Verkäufers zur Nachlieferung der mangelfreien Sache im Synallagma steht, und deshalb § 320 anzuwenden: Denn die Kaufsache stellt für den Käufer vor allem eine Sicherheit dafür dar, die Ersatzsache zu erhalten. Deren vorzeitige Aufgabe kann ihm daher nicht ohne Weiteres zugemutet werden, wenn er selbst bereits den Kaufpreis entrichtet hat. Dies gilt gerade im 478 AA. Jungmann ZGS 2004, 263, 264. 479 MünchKomm/Krüger § 273 Rn. 93.

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Hinblick auf die Abwehr des Vollstreckungszugriffs der Gläubiger des Verkäufers: Hier ist der Käufer nur so lange sicher, wie er selbst Gewahrsam an der mangelhaften Kaufsache hat (§ 808 Abs. 1 ZPO). Die damit für den Verkäufer verbundenen Nachteile werden im Übrigen überwiegend nach §§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 347 Abs. 1 ersetzt. In den Fällen der bloßen Nachbesserung iSd. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 erster Fall stellt sich hingegen die Frage nach dem Umfang des nach § 320 zurückzubehaltenden Betrags. Hier gelten folgende Überlegungen. Das Zurückbehaltungsvolumen kann aus zwei Gründen nicht auf den für die Reparatur erforderlichen und § 441 Abs. 3 entsprechenden Betrag beschränkt sein. Denn einerseits kann der Käufer diesen Betrag häufig nicht exakt beziffern, und zweitens entspricht es dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts, auf den Verkäufer Druck zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung auszuüben. Hinzu tritt die gerade erwähnte Sicherungsfunktion des Zurückbehaltungsrechts, wenn der Verkäufer die Kaufsache zwecks Nachbesserung zurücknehmen muss. Hier darf der Käufer nicht zur Vorleistung gedrängt werden: (BGH 26.10.2016 – VIII ZR 211/15 = ZIP 2016, 2420) V hatte K einen Neuwagen für rund 21.000 € verkauft, der an einer Tür einen Lackschaden (Reparaturkosten: einige hundert Euro) aufwies. Weil V das Fahrzeug zwecks Neulackierung zurücknehmen muss, kann K die Zahlung des vollständigen Kaufpreises zurückhalten (Tz. 23). Beschränkte sich nämlich das Zurückbehaltungsrecht nur auf etwa 1.000 €, hätte K seinen Teil der Leistung im Wesentlichen erbracht, V jedoch insgesamt noch nicht.

In allen übrigen Fällen kann der Käufer jedoch nach Treu und Glauben (§ 242) wegen eines verhältnismäßig geringfügigen Mangels nicht den gesamten Kaufpreis zurückhalten (BGH Tz. 21). Wie die Parallele zu § 641 Abs. 3 zeigt, dürfte das Doppelte der für die Mängelbeseitigung erforderlichen Aufwendungen aber stets die Höchstgrenze bilden. In den gerade erörterten Fällen der Nachlieferung darf der Käufer nach Treu und Glauben (§ 242) auch kaum die gelieferte mangelhafte Sache und zusätzlich den vollständigen Kaufpreis nach § 320 behalten. Zu seiner Absicherung gegenüber dem Vorleistungsrisiko ist dies ohnehin nicht erforderlich. Eine Druckausübung durch die Zurückhaltung eines Wertes iHd. des beinahe doppelten Vertragsvolumens bedeutete eine zu einseitige Verwirklichung der Käuferinteressen auf Kosten des Verkäufers (vgl. zur Bedeutung der Grenze des Doppelten für § 138 Abs. 1: Rn. 60, 605, 682). 5. § 439 Abs. 2 als Anspruchsgrundlage

Nach § 439 Abs. 2 hat der Verkäufer die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen (= freiwilligen Vermögensopfer) zu tragen. Umstritten war lange Zeit, ob es sich bei § 439 Abs. 2 um eine eigene Anspruchsgrundlage des Käufers handelt. Der BGH hat dies in mehreren Entscheidungen bejaht und in der Faltanhänger-Entscheidung aus dieser Norm gerade auch einen Anspruch des Käufers auf Ersatz der Transportkosten zur Werkstatt des

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§ 2 Der Kaufvertrag

Verkäufers abgeleitet.480 Im Schrifttum herrschten bislang eher Zweifel vor.481 Sie resultierten ursprünglich aus der Entstehungsgeschichte der Norm.482 Mit der Einführung des § 475 Abs. 6 hat der Gesetzgeber die Frage jedoch iSd. Rechtsprechung entschieden:483 Diese Norm setzt nämlich voraus, dass der Käufer Aufwendungen nach § 439 Abs. 2 verlangen kann. Im Falle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1) hat er dann einen Anspruch auf Vorschuss für diese Aufwendungen. Dabei verhält sich § 475 Abs. 6 zu § 439 Abs. 2 wie § 669 (Anspruch auf Vorschuss) zu § 670 (Anspruch auf Aufwendungsersatz). Damit ist § 439 Abs. 2 als Anspruchsgrundlage anerkannt: (BGH 30.4.2014 – VIII ZR 275/13 = BGHZ 201, 83 = NJW 2014, 2351) K erwirbt von V Massivholzfertigparkett, das er anschließend in seiner Wohnung verlegt. In der Folgezeit treten am Parkett Verwölbungen auf. Von K darauf angesprochen, führt V dies auf eine zu geringe Raumfeuchtigkeit zurück. K schaltet darauf einen Sachverständigen ein, der die tatsächlichen Voraussetzungen eines Sachmangels feststellt. Jetzt fordert K von V Minderung des Kaufpreises um 30%. Fraglich ist vor allem, ob K von V Aufwendungsersatz iHd. Honorarforderung des Sachverständigen (1.258,72 €) nach § 439 Abs. 2 verlangen kann.

Problematisch ist, ob die Kosten eines Sachverständigen überhaupt unter § 439 Abs. 2 fallen, da sie in den Regelbeispielen (Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten) nicht vorkommen. Aus Sicht des BGH hängt die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen entscheidend davon ab, ob diese zu einem Zeitpunkt getätigt werden, zu dem sich der Leistungsaustausch im Stadium der Nacherfüllung befindet (Tz. 11). Die zentrale Voraussetzung der Nacherfüllung liegt im Mangel nach § 434, nicht aber in der Kenntnis des Käufers von einem Nacherfüllungsgrund (Mangel). Deshalb können nach § 439 Abs. 2 auch Kosten ersetzt werden, die der Aufdeckung des Mangels und damit des Nacherfüllungsfalls dienen, wenn sich die Mangelhaftigkeit nachträglich herausstellt (Tz. 12ff.).484 Nachdem der Aufwendungsersatzanspruch einmal zugunsten des Käufers entstanden ist, geht er schließlich auch nicht dadurch unter, dass der Käufer zu einem späteren Zeitpunkt berechtigterweise auf die Minderung übergeht (Tz. 18). Zutreffend bemerkt Lorenz, dass ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf die Gutachterkosten in engem systematischen Zusammenhang mit der Beweislastverteilung für Mängel nach § 477 steht: Wenn der Käufer im Rahmen des § 477 beweisen muss, dass sich an der Funktionsstörung der Sache ein Mangel zeigt, der bei Gefahrübergang vorlag (Rn. 162ff.), ist er auf die Unterstüt480 BGHZ 189, 196 = NJW 2011, 2278, Tz. 37 – Faltanhänger; BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837, Tz. 9f. – Parkettstäbe; bereits zuvor in diesem Sinne Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 62; zustimmend auch Staudinger/Matusche-Beckmann § 439 Rn. 88; kritisch Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 224. 481 Faust JuS 2011, 748, 751; Hellwege AcP 206 (2006) 136, 162ff.; S. Lorenz NJW 2009, 1633, 1636; ders., NJW 2011, 2241, 2243; Unberath/Cziupka JZ 2009, 313, 315; Stöber ZGS 2011, 346, 350; vgl. zur Diskussion auch Purnhagen EuZW 2011, 626, 629. 482 Hellwege AcP 206 (2006) 136, 143ff. 483 Vgl. auch RegE BR-Drucks. 123/16, S. 46. 484 Vgl. auch RegE BR-Drucks. 123/16, S. 46.

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zung durch Sachverständige angewiesen. Die Erleichterung des damit verbundenen Kostenersatzes nach § 439 Abs. 2 darf man deshalb als vorprozessualen (materiell-rechtlichen) Kostenerstattungsanspruch verstehen.485 Probleme bereitet das Konkurrenzverhältnis des Aufwendungsersatzanspruchs zu anderen Gewährleistungsrechten.486 Würde der Käufer vorliegend Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 verlangen, könnte er die Gutachterkosten nicht etwa zweimal verlangen: einmal als Aufwendungen nach § 439 Abs. 2 und einmal als Schadensposition im Rahmen des Anspruchs aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1. Beide Ansprüche dürften daher in Gesetzeskonkurrenz zueinander stehen (wie etwa § 823 Abs. 1 und Abs. 2; vgl. auch das Verhältnis zu § 284: Rn. 397). Gegenstand des Anspruchs sind ferner nur die vom Verkäufer zu tragenden Kosten der Nacherfüllung, die zufällig beim Käufer zuerst anfallen. Die Kosten einer Ersatzvornahme können daher nicht über § 439 Abs. 2 ersetzt werden. Im Schrifttum ist bereits die systematische Nähe dieses Aufwendungsersatzanspruchs zu § 670 bemerkt worden.487 Umstritten ist jedoch, ob der Anspruch des Käufers seiner Höhe nach durch das § 670 zugrunde liegende Erforderlichkeitskriterium begrenzt ist,488 oder eher durch den eigenen Maßstab des § 439 Abs. 2.489 Beide Normen stehen jedoch zueinander nicht in Widerspruch: Denn § 439 Abs. 2 gibt lediglich das Anspruchsziel (Kosten der Nacherfüllung), § 670 aber die Art und Weise seiner Erreichung vor. Dabei folgt § 670 dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Rechtsmacht des Auftragnehmers, Vermögensentscheidungen zu treffen, für deren Folgen der Auftraggeber aufkommen muss, durch inhaltliche Maßstäbe eingeschränkt werden muss: Der Käufer kann Ersatz nur für Aufwendungen verlangen, die ex ante betrachtet überhaupt für die Nacherfüllung geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig sind (Nähres dazu Rn. 1284). Fraglich ist schließlich, ob die Kosten des Rücktransportes nach der Nacherfüllung ebenfalls vom Verkäufer nach § 439 Abs. 2 verlangt werden können. Dies setzt voraus, dass es sich um Kosten der Nacherfüllung handelt. Im Schrifttum wird dies gelegentlich verneint, weil der Käufer die Sache ohnehin beim Verkäufer abholen muss.490 Daran bestehen jedoch Zweifel, weil der Käufer die Sache bei Nacherfüllung ein zweites Mal beim Verkäufer abholen muss. Diese ein zweites Mal anfallenden Transportkosten zählen – gemessen am Prinzip der Unentgeltlichkeit nach Art. 3 Abs. 2 VerbrGüterKRiL und § 439 Abs. 2 – zu den Nacherfüllungskosten hinzu, weil sie allein durch den Nacherfüllungsfall veranlasst wurden.

485 486 487 488 489 490

Lorenz NJW 2014, 2319, 2320f. Auch dazu Lorenz NJW 2014, 2319, 2322. Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 224. Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 224. Hellwege AcP 206 (2006) 136, 149f.; Ludwig ZGS 2011, 544, 550. Gsell JZ 2011, 988, 990.

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III. Die Rückgewähr des Kaufpreises 1. Überblick 232

Der Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 ist ein Gestaltungsrecht, dessen Ausübung den Kaufvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelt und einen Anspruch des Käufers aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 entstehen lässt.491 Ziel des Rücktrittsrechts ist es, den Zustand wiederherzustellen, der nach Vertragsschluss, aber vor Austausch der Leistungen bestand. Wie sich den Rechtsfolgen der §§ 346f. entnehmen lässt, wird nämlich nur der Leistungsaustausch rückgängig gemacht, nicht aber der Vertrag selbst. Darin unterscheidet sich das Rücktrittsrecht von der auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichteten culpa in contrahendo. Denn diese stellt den Anspruchsinhaber im Wege des Schadensersatzes so, als sei der Vertrag nie geschlossen worden.492 2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Rücktrittsgrund (§ 323 Abs. 5)

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Der Rücktrittsgrund nach § 437 Nr. 2 besteht in einem Mangel der Kaufsache iSd. §§ 434f. Allerdings rechtfertigt nicht jeder Mangel den Rücktritt. Vielmehr zieht § 323 Abs. 5 hier eine Erheblichkeitschwelle ein. Die Norm ist erkennbar dem Prinzip der Vertragstreue (pacta sunt servanda) verpflichtet: Kleine Leistungsstörungen rechtfertigen es danach nicht, den Bestand der vertraglichen Leistungspflichten durch den Rücktritt infrage zu stellen. aa) Teilrücktritt und Inzahlungnahme

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Grundsätzlich kennt das BGB außerhalb von § 323 Abs. 5 Satz 1 keinen Teilrücktritt (wie übrigens auch keine Teilkündigung Rn. 1001). Der Grund dafür liegt in der Überlegung, dass die Parteien Leistung und Gegenleistung in ein subjektives Wertverhältnis zueinander gestellt haben (subjektives Äquivalenzverhältnis). Der Rücktritt von einem Teil der Leistung oder Gegenleistung stellt dieses Wertverhältnis infrage und verleitet den Rücktrittsberechtigten dazu, die für ihn günstigen Rechtsfolgen im Wege der „Rosinenlese“ bestehen zu lassen, sich jedoch von den übrigen zu trennen. Ein Teilrücktritt – dies verdeutlicht § 323 Abs. 5 Satz 1 – kommt daher nur zustande, wenn Leistung und Gegenleistung teilbar sind (vgl. jetzt auch § 648a Abs. 2).493 (BGH 16.10.2009 – V ZR 203/08 = NJW 2010, 146) V verkauft K durch notariell beurkundeten Vertrag eine Eigentumswohnung. Im Gegenzug verpflichtet sich K zur Zahlung von 16.000 € an V und zur Erbringung von Bauleistungen iHv. 8.000 € in dem betreffenden Gebäude. In der Folgezeit erbringt K die Bauleistungen nicht. Nachdem V dem K ergeb491 Vgl. zu (teilweise historisch überholten) Alternativansätzen BeckOGK/Schall § 346 Rn. 148ff., der selbst unter Rn. 171ff. für eine aus § 311 Abs. 1 abgeleitete rechtsgeschäftliche Natur des Rückabwicklungsverhältnisses plädiert. 492 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 4f.; dies., in: Eckpfeiler, I Rn. 104. 493 Staudinger/Kaiser § 349 Rn. 14.

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nislos eine Frist gesetzt hat, tritt er vom Kaufvertrag zurück und verlangt Rückübereignung der Eigentumswohnung Zug um Zug gegen Rückgewähr der 16.000 €. Zu Recht? Der Anspruch aus §§ 346 Abs. 1, 323, 433 BGB setzt voraus, dass der Rücktritt nicht nach § 323 Abs. 5 Satz 1 ausgeschlossen ist.

Hat der Schuldner eine Teilleistung bewirkt, kommt nach § 323 Abs. 5 Satz 1 ein Rücktritt vom ganzen Vertrag nur in Betracht, wenn der Gläubiger kein Interesse an der Teilleistung hat. Für einen Teilrücktritt spricht vorliegend, dass die Leistung des Käufers teilbar ist, nämlich in eine Zahlungs- und in eine Baupflicht. Allerdings verweist der BGH zu Recht darauf, dass § 323 Abs. 5 Satz 1 auch eine Teilbarkeit der Pflicht der Gegenseite voraussetzt (Tz. 17): Denn dem Gesetzgeber habe vorgeschwebt, einen bereits durchgeführten Teil des Vertrages zu erhalten, wenn dieser gegenüber den nicht erfüllten Pflichten abgrenzbar sei. Dieser Fall liege aber nicht vor, wenn die Gegenleistung nicht teilbar sei (Tz. 17). Die Pflicht des Verkäufers sieht der BGH wiederum als nicht teilbar an (Tz. 18). In der Tat ließe sich eine teilweise Herausgabe des Eigentums nur verwirklichen, wenn der Verkäufer dem Käufer Miteigentum einräumen würde. Dies würde aber keinen Teilrücktritt bedeuten, sondern die Begründung eines völlig neuen Rechtsverhältnisses. Der Fall verdeutlicht, welche Voraussetzungen an die Teilbarkeit der Leistung zu stellen sind. Es kommt darauf an, dass sich die von Käufer und Verkäufer vereinbarten Teilpflichten in voneinander unabhängige, subjektive Äquivalenzverhältnisse aufspalten lassen, deren Wegfall das insgesamt zwischen den Parteien vereinbarte Wertgefüge von Leistung und Gegenleistung im Kaufvertrag nicht zerstört. Beispiel 1 V verkauft K drei Neuwagen desselben Typs für jeweils 20.000 €. Scheitert hier die Lieferung eines Wagens, kommt ein Teilrücktritt nach § 323 Abs. 5 Satz 1 in Betracht. Der Vertrag beschränkt sich danach auf den Verkauf von zwei Fahrzeugen für jeweils 20.000 €. Beispiel 2 V verkauft K drei Neuwagen desselben Typs und räumt dabei aber einen Mengenrabatt ein, so dass K statt 60.000 € nur 50.000 € schuldet. Hier zerstört der Teilrücktritt das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung, weil die Gegenleistung K für die Gesamtabnahme entlohnt.

Das Beispiel 2 beantwortet auch die Frage, ob die Parteien durch Vereinbarung zwei in natura teilbare Leistungen zu einer unteilbaren Einheit zusammenfassen können. Dies ist entgegen einer MM.494 mit der hM.495 zu bejahen. Denn ob Leistung und Gegenleistung teilbar sind, hängt allein davon ab, wie die Parteien das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung ausgestalten. Ist eine Seite nur bei vollständiger Erfüllung aller Teilkomponenten bereit, 494 Staudinger/Kaiser § 349 Rn. 14 im Anschluss an U. Huber, Leistungsstörungen II, 1999, § 45 I 2 c, S. 416ff. 495 BGH NJW 2010, 146, Tz. 16f.; Soergel/Gsell § 323 Rn. 183ff.; Staudinger/Schwarze § 323 Rn. B 137.

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§ 2 Der Kaufvertrag

die Gegenleistung zu erbringen, kommt § 323 Abs. 5 Satz 1 daher nicht in Betracht. Die Frage nach der Möglichkeit eines Teilrücktritts stellt sich vor allem auch bei der Inzahlungnahme einer alten Kaufsache beim Erwerb einer neuen: (BGH 20.2.2008 – VIII ZR 334/06 = BGHZ 175, 286 = NJW 2008, 2028) Verbraucher K kauft von Unternehmer V einen BMW X5 für 88.652,40 €. Sein altes Fahrzeug, einen BMW M5, gibt er in Zahlung. Dabei wird der Wert des Fahrzeugs mit 32.500 € angesetzt. Zwecks Tilgung der aus dem Ankauf des M5 entstehenden Forderung verpflichtet sich V, ein von K für die seinerzeitige Anschaffung des M5 aufgenommenes Darlehen abzulösen, das noch iHv. 38.628,40 € offen steht. Nachdem V dem K wegen Mängeln des X5 vergeblich eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat, erklärt er den Rücktritt. Seiner Ansicht nach beschränkt sich dieser auf den Kauf des X5, während das Geschäft über den in Zahlung gegebenen M5, der sich noch bei V befindet, vom Rücktritt ausgenommen sei. Die Ablösung des Altdarlehens durch V ist mittlerweile erfolgt. Fraglich ist, ob V gegenüber K ein Anspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. Nr. 1 auf Ersatz der für die Darlehensablösung aufgewendeten 38.628,40 € zusteht (Tz. 22). K hat den zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag über den X5 durch wirksame Rücktrittserklärung nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelt. Problematisch erscheint jedoch, ob dadurch auch der Ankauf des M5 rückabgewickelt wurde oder ob es sich dabei um einen eigenständigen Vertrag handelt.

Überzeugend geht der BGH davon aus, dass der Kauf des Neufahrzeugs und die Inzahlungnahme des Gebrauchtwagens ein einheitliches Geschäft darstellen (Tz. 13). Das Gericht ordnet die Inzahlungnahme im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung als eine dem Käufer eingeräumte Ersetzungsbefugnis (§ 364 Abs. 1) ein: Danach vereinbaren die Parteien den Kaufpreis zunächst in voller Höhe, gestatten jedoch dem Käufer, einen festgesetzten Teil durch die Übereignung des Altfahrzeugs zu tilgen (Tz. 13; str., siehe dazu unten Rn. 536).496 Ein Teilrücktritt kommt hier nach Auffassung des BGH nicht in Betracht, weil der Verkäufer regelmäßig kein eigenständiges Interesse am Erwerb des Gebrauchtfahrzeugs habe, sondern dieses nur in Zahlung nehme, um den Neuwagen absetzen zu können (Tz. 16). Zum anderen hatte der Verkäufer im vorliegenden Fall eine Ablöseverpflichtung übernommen, die ihrer Höhe nach (38.628,40 €) den vereinbarten Wert des Gebrauchtwagens (32.500 €) deutlich überstieg. Dies kann nach Auffassung des Gerichts nur als ein verdeckter Preisnachlass für den Neuwagen verstanden werden (Tz. 15). Die Begründung verdeutlicht noch einmal, worauf es bei der Teilbarkeit ankommt: Diese lässt sich nur bejahen, wo ein Teil des vertraglichen Pflichtengefüges aufrechterhalten werden kann, ohne dass das für den gesamten Vertrag vereinbarte Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung zerstört wird. Immer dann, wenn die Teilleistung nach dem Willen der Parteien nicht vollständig durch die ihr gegenüberstehende Teilgegenleistung abgegolten wird, sondern sonstige Kompensationen aus dem Pflichtengefüge des Gesamtvertrages hinzutreten, liegt keine Teilleistung vor. 496 BGHZ 46, 338, 340 = NJW 1967, 553, 554; BGHZ 89, 126, 128ff. = NJW 1984, 429.

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Daher erfasst der Rücktritt vorliegend auch die Inzahlungnahme des Gebrauchtfahrzeugs und der Verkäufer kann Wertersatz für die erfolgte Darlehensablösung verlangen.

Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform geht in den Materialien schließlich davon aus, dass § 323 Abs. 5 Satz 1 im Fall von Sachmängeln nicht anwendbar sei.497 Dies überzeugt indes bei folgender Konstellation nicht:

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K hat von V eine EDV-Anlage für sein Büro für 100.000 € gekauft. Dazu zählen 10 Computer inklusive einer von V produzierten Standardsoftware zur Büroverwaltung (Wert der Software: 5.000 €). Die Software arbeitet nicht richtig; die Rechner funktionieren hingegen mit anderen Programmen einwandfrei. Zehn Nachbesserungsversuche des V sind fehlgeschlagen. Nun erklärt K den Rücktritt vom ganzen Kaufvertrag.

Ginge man hier von § 323 Abs. 5 Satz 2 aus, wäre das Ergebnis klar: Der Mangel der Software ist, auf den Gesamtwert der EDV-Anlage bezogen, wohl eher unerheblich. Die besseren Gründe sprechen jedoch dafür, dass es hier nicht auf die Erheblichkeitsschwelle von § 323 Abs. 5 Satz 2 ankommt, sondern auf das Interesse des Käufers an der verbleibenden Teilleistung iSd. § 323 Abs. 5 Satz 1. Vorliegend sind die Leistungen zwar in Natur teilbar. Doch dürfen die Parteien – in Abweichung von § 323 Abs. 5 Satz 1 – die einheitliche Abwicklung des Vertrages vereinbaren. Eine solche vereinbarte Vertragseinheit liegt vor, wenn die Parteien sich übereinstimmend – ausdrücklich oder konkludent – darüber geeinigt haben, dass die gebündelten Leistungspflichten miteinander stehen und fallen sollen (vgl. auch Rn. 235).498 Bei der Lieferung integrierter EDV-Anlagen sprechen nach §§ 133, 157 eine Reihe von Indizien für die Vereinbarung einer Vertragseinheit: Dem Käufer geht es regelmäßig darum, alle Probleme mit einem einheitlichen Ansprechpartner zu klären; dies gilt insbesondere, wenn Hard- und Softwarekomponenten stark ineinander greifen und für den Käufer die Gefahr besteht, dass Software- und Hardwareverkäufer sich gegenseitig die Schuld am Versagen der Gesamtanlage zuweisen würden, wenn nicht eine „Gesamtlösung“ von nur einem Verkäufer verantwortet wird. In solchen Fällen verliert der Käufer das Interesse an der Teilleistung, unabhängig davon, wie erheblich der Fehler im Einzelnen ist. § 323 Abs. 5 Satz 1 bleibt deshalb anwendbar.499 Problematisch ist schließlich das Verhältnis zwischen § 323 Abs. 5 Satz 1 und § 434 Abs. 3: (RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 187) K bestellt bei V 100 Flaschen Wein; es wird vereinbart, dass diese zum Geburtstag des K, am 1.10.2002, geliefert werden sollen. V liefert indes nur 90 Flaschen. K verlangt daraufhin den Kaufpreis zurück. V wendet ein, K habe weiterhin ein Interesse an den gelieferten 90 Flaschen und könne daher wegen § 323 Abs. 5 Satz 1 nicht zurücktreten. 497 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 187, linke Spalte. 498 BGHZ 112, 264, 275ff. – Betriebssystem; dazu Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 3,

1993, S. 37. 499 Vgl. auch LG Rottweil NJW 2003, 3139 zu einer Einbauküche mit mangelhaften Einzelteilen; hier will Lorenz NJW 2003, 3097, 3098 § 323 Abs. 5 Satz 1 und 2 gemeinsam anwenden, was aber die Position des Käufers eher verschlechtert.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Hier kommt ein Rückgewähranspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 in Betracht, weil die Minderlieferung nach § 434 Abs. 3 einem Mangel gleichgestellt wird. Dem könnte jedoch § 323 Abs. 5 Satz 1 entgegenstehen. Die Minderlieferung nach § 434 Abs. 3 bedeutet keine Teilleistung, sondern einen Mangel der Kaufsache. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass § 434 Abs. 3 eine Sonderregelung darstelle, die den allgemeineren Tatbestand des § 323 Abs. 5 Satz 1 verdränge. Im Falle des § 434 Abs. 3 solle daher § 323 Abs. 5 Satz 2 Anwendung finden.500 Dann könnte der Käufer vorliegend nur zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung erheblich wäre. Die Anwendung des § 323 Abs. 5 Satz 1 passt aber angesichts der 100 Kaufsachen viel eher als die des § 323 Abs. 5 Satz 2, wo nur von einer Leistung die Rede ist. Nach einer im Schrifttum geäußerten Auffassung bezieht sich § 434 Abs. 3 daher nur auf den Mangelbegriff, nicht aber auf § 323 Abs. 5 Satz 1.501 Dies überzeugt allerdings wegen des uneinheitlichen Begriffsverständnisses nicht. Die Unterscheidung dürfte vielmehr in einem anderen Punkt zu treffen sein: §§ 434 Abs. 3, 325 Abs. 5 Satz 1 passen vor allem auf die verdeckte Teillieferung, während die bewusste Teillieferung eine normale Nichterfüllung des Vertrages darstellt, bei der § 323 Abs. 5 Satz 1 greift.502 Fraglich ist schließlich, ob § 266 – das Verbot der Teilleistung – in diesen Fällen ein Zurückweisungsrecht eigener Art eröffnet. Nach einer Ansicht passt die Norm vor allem auf die Fälle, in denen die ganze Leistung noch erbracht werden kann.503 Dies entspricht den Grundsätzen über das Zurückweisungsrecht des Käufers (Rn. 85ff.): Solange der Mangel noch behoben werden kann, muss der Käufer die Sache während der Zeit der Nachbesserung nicht annehmen. Bei einem unbehebbaren Mangel steht ihm indes kein dauerhaftes Zurückweisungsrecht zu (Rn. 87). bb) Erheblichkeit der Pflichtverletzung 239

Nach § 323 Abs. 5 Satz 2 ist ein Rücktritt ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Die negative Formulierung bringt zum Ausdruck, dass der Verkäufer mit dem Beweis der Normvoraussetzungen belastet ist. Als erheblich erscheint danach eine Störung der dem Vertrag zugrunde liegenden Vertrauensgrundlage, die nur noch durch Rückabwicklung des Vertrages zu beseitigen ist. Die Norm beruht auf dem Prinzip „pacta sunt servanda“ (§ 241 Abs. 1; Rn. 1272): Das Prinzip der Bindung an das gegebene Vertragsversprechen wiegt danach stärker als ein vom Verkäufer zu vertretender unbedeutender Mangel. Praktisch soll die Bereitschaft der Vertragsparteien gefördert wer500 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 187, linke Spalte. 501 Canaris ZRP 2001, 329, 334f.; Grigoleit/Riehm ZGS 2002, 109, 114, 117ff.; Heiderhoff/Ska-

mel JZ 2006, 383, 387ff.; Petersen Rn. 301; Thier AcP 203 (2003) 399, 403, 426. 502 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 78; Medicus/Petersen BR Rn. 288a; Bamberger/Roth/Faust § 434 Rn. 113(= BeckOK); Grunewald § 7 Rn. 35; aA Erman/Grunewald § 434 Rn. 68: für eine einheitliche Behandlung; Müller/Matthes AcP 204 (2004) 732, 754; MünchKomm/Westermann § 434 Rn. 48. 503 Lorenz NJW 2003, 3097f.

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den, sich auf ein Nacherfüllungsverlangen einzulassen.504 Stets fällt dabei zugunsten des Käufers (Rücktrittsberechtigten) ins Gewicht, dass er anders als bei § 323 Abs. 5 Satz 1 die mangelhafte Sache behalten muss, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 bejaht werden.505 Im Detail unterscheidet der BGH dabei wie folgt:506 Bei einem behebbaren Mangel liegt Erheblichkeit bei einem Beseitigungsaufwand von 5% des Kaufpreises vor (Tz. 30ff.), doch soll diese Grenze nicht starr gelten, sondern von einer Interessenabwägung abhängen (Tz. 16, 38). In einer früheren Entscheidung507 wurde die Erheblichkeit bei einer Quote von 1% verneint (Tz. 19). Das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung der Kaufsache spielt schließlich nur beim unbehebbaren Mangel eine Rolle (Tz. 21). Ein Negativbeispiel liefert der vom BGH entschiedene Fall: Bei einem Wohnmobil ließ sich die Tür nicht bis zu einem Winkel von 180 Grad öffnen, wenn zugleich das Fenster gekippt war, wobei sowohl das Fenster als auch die Tür für sich genommen keine Funktionsbeeinträchtigungen aufwiesen. Weil beide isoliert funktionstauglich waren, nahm der BGH keinen erheblichen Mangel an (Tz. 12ff.).

Fraglich ist ferner, ob Erheblichkeit iSd. § 323 Abs. 5 Satz 2 immer dann zu bejahen ist, wenn der Mangel auf der Abweichung von einer Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 beruht. Der BGH neigt dem zu, sieht aber keinen Automatismus.508 Grundsätzlich spricht für die Erheblichkeit, dass der Verkäufer im Zweifel nicht auf dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ bestehen kann, wenn er seinerseits ein ausdrückliches Versprechen gegenüber dem Käufer (§ 434 Abs. 1 Satz 1) gebrochen hat. Kraft Parteidisposition (§ 311 Abs. 1) kann außerdem einer Beschaffenheit stets Erheblichkeit beigelegt werden, in dem sie als Beschaffenheitsmerkmal ausdrücklich vereinbart wird. Überzeugend erscheint ferner die Überlegung, dass Arglist auf der Verkäuferseite die Erheblichkeit des Mangels begründet bzw. dem Einwand der Unerheblichkeit entgegensteht. Der BGH begründet dies mit der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Verkäufers; seine Interessen an der Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung fielen daher gegenüber denjenigen des Käufers nicht mehr ins Gewicht.509 Die Gegenauffassung kritisiert, dass die Arglist des Verkäufers Peters NJW 2014, 3234. Faust JZ 2015, 149, 150. Die nachfolgenden Zitate beziehen sich auf BGHZ 201, 290 = NJW 2014, 3229. Die nachfolgenden Zitate beziehen sich auf BGH NJW 2011, 2872; vgl. noch weitere Beispiele: Als erheblich wird das Eindringen von Feuchtigkeit in das Innere eines Gebrauchtwagens angesehen (BGH NJW 2009, 508, Tz. 21) oder die Farbe eines Kfz (BGH NJW-RR 2010, 1289, Tz. 27). Der Ausfall einer Sonderausstattung soll hingegen nicht genügen (OLG Düsseldorf ZGS 2007, 157) und auch nicht ein Kraftstoffmehrverbrauch von weniger als 10% gegenüber den Herstellerangaben (BGH NJW 2007, 2111). 508 Bejaht in BGH NJW 2013, 1365, Tz. 10 und 17; offen gelassen in BGHZ 201, 290 = NJW 2014, 3229, Tz. 14. Dies entspricht auch der Auffassung des Gesetzgebers: RegE BT-Drucks. 14/ 6040, S. 223, linke Spalte, zweiter Absatz. 509 BGHZ 167, 19 = NJW 2006, 1960 = JZ 2006, 1024, Tz. 13; so auch Faust JZ 2015, 149, 151. 504 505 506 507

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§ 2 Der Kaufvertrag

der objektiven Schwere des Mangels nichts hinzufüge.510 In § 323 Abs. 5 Satz 2 geht es jedoch nicht allein um die objektive Schwere des Mangels; diese ist vielmehr nur ein Indikator für die Zerrüttung der für die Fortsetzung des Vertrages erforderlichen Vertrauensgrundlage. In diesem Zusammenhang wirkt sich die Arglist des Verkäufers aber unmittelbar aus: Denn stets besteht die Gefahr, dass der Verkäufer nicht nur einen Mangel arglistig verschwiegen bzw. über ihn getäuscht hat. Fraglich ist deshalb, ob die Arglist nur als einer von zahlreichen Aspekten in eine abwägende Gesamtbetrachtung einzustellen ist oder ob sie regelmäßig dem Einwand der fehlenden Erheblichkeit entgegensteht, worauf die zitierte BGH-Entscheidung hindeutet. Gemessen am Zweck des § 323 Abs. 5 Satz 2 wird man regelmäßig einen erheblichen Mangel annehmen müssen. Dafür dürfte in den meisten Fällen ein systematisches Argument aus § 123 Abs. 1 sprechen: Wenn der Käufer den Vertrag im Wege der Anfechtung beseitigen kann, muss ihm auch eine Rückabwicklung im Wege des Rücktritts möglich sein. Insgesamt mutet ihm das Gesetz nämlich nicht zu, mit dem Betrüger weiterhin vertraglich zusammenzuwirken. Fraglich ist schließlich, in welchem Zeitpunkt es auf die Erheblichkeit ankommt. (BGH 15.6.2011 – VIII ZR 139/09 = NJW 2011, 3708) K hat bei V einen Neuwagen der Klasse M-Kombi für 25.800 € erworben. K rügte in der Folgezeit eine Vielzahl von Mängeln und ließ mehrere Nachbesserungsversuche durchführen. Wegen des immer noch verbleibenden Sägezahnabriebs an den Reifen des Fahrzeugs (ein sägezahnähnliches Verschleißbild auf dem Reifenprofil, das durch einseitigen Abrieb entsteht) erklärte er den Rücktritt. In dem um die Rückgewähr des Kaufpreises geführten Rechtsstreit stellt ein gerichtlicher Sachverständiger fest, dass der Sägezahnabrieb auf der Fehlstellung einer Fahrzeugachse beruhe, die durch eine Reparatur im Wert von 5% des Kaufpreises beseitigt werden könne. Kann K Rückzahlung der 25.800 € von V verlangen? Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 beruht vorliegend auf einem Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, wobei eine Nachfristsetzung wegen § 440 Satz 1 zweiter Fall und Satz 2 entbehrlich ist. Allerdings könnte dem Rücktritt § 323 Abs. 5 Satz 2 entgegenstehen.

Die Anwendung des § 323 Abs. 5 Satz 2 hängt hier von der Beantwortung der Frage ab, in welchem Zeitpunkt die Erheblichkeit konkretisiert wird: im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung durch den Käufer nach § 349 (bzw. des Schadensersatzverlangens nach § 281 Abs. 4) oder im Zeitpunkt der Durchsetzung des Anspruchs aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Der BGH stellt auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ab (Tz. 16).511 Dafür sprechen folgende Überlegungen: Der Rücktritt wird durch eine Willenserklärung ausgeübt. Die Wirksamkeit einer Willenserklärung (oder der geschäftsähnlichen Handlung iSd. § 281 Abs. 4) beurteilt sich aber stets nach den im Zeitpunkt ihrer Vornahme geltenden Maßstäben und nicht anhand späterer Umstände. Denn nur in diesem Zeitpunkt kann der Erklärende sein Verhalten an Rechtsnormen orientieren; die Be510 H. Roth JZ 2009, 1174, 1175; ders. JZ 2006, 1024; Lorenz NJW 2006, 1925, 1926; Kulke ZGS

2006, 412. 511 BGHZ 201, 290 =NJW 2014, 3229, Tz. 16.

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rücksichtigung späterer Ereignisse führt dagegen zu einer echten Rückwirkung in einen abgeschlossenen Tatbestand und zu einer damit verbundenen Zerstörung einer Vertrauensposition. Im Übrigen erfordert § 323 Abs. 5 Satz 2 die Prognose eines meist Sachunkundigen über den Aufwand für die Beseitigung des Mangels. Deshalb kann es, wie bei jeder Prognose,512 nur darauf ankommen, dass der Käufer von den zutreffenden Tatsachen ausgeht und sich beim Schluss auf die künftige Entwicklung von rationalen Prinzipien leiten lässt. Bei der so anzustellenden Prognose müssen schließlich sämtliche (teilweise) erfolgreichen Nacherfüllungsmaßnahmen des Verkäufers zu dessen Gunsten berücksichtigt werden.513 Vorliegend kann K im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nicht erkennen, mit welch geringem Aufwand der Mangel zu beseitigen ist. Gerade die vergeblichen Nacherfüllungsbemühungen des Verkäufers legen aus seiner Sicht einen anderen Eindruck nahe. Daher liegt eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung des V vor.

§ 323 Abs. 5 Satz 2 berührt auch ein Problem des Unternehmenskaufs. (BGH 14.7.1978 – I ZR 154/76 = NJW 1979, 33)514 V hat K sein Gerüstbauunternehmen für 500.000 € verkauft. Das übertragene Unternehmensvermögen weist allerdings im Vergleich zu dem im Kaufvertrag aufgeführten Inventar einen erheblichen Fehlbestand an Gerüsten auf. V weigert sich, diesen zu beseitigen. Darauf erklärt K den Rücktritt vom Unternehmenskaufvertrag und verlangt den Kaufpreis insgesamt zurück. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Auf den Unternehmenskauf – hier ein Asset Deal – findet das Kaufrecht Anwendung (oben Rn. 70). Fraglich ist, ob ein Rechts- oder ein Sachmangel vorliegt. Der BGH entscheidet sich vorliegend für einen Sachmangel, weil der Gegenstand des Unternehmenskaufs eine Gesamtheit von Sachen, Rechten und sonstigen Vermögenswerten bildet (S. 33). Ein Mangel des Unternehmens iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 könnte hier im Fehlbestand von Gerüsten liegen. Fraglich ist jedoch, ob V sich mit der Einwendung nach § 323 Abs. 5 Satz 2 verteidigen kann.

Erweist sich nach der Übertragung der zu einem Unternehmen gehörenden Sachen, Rechte und sonstigen Vermögensgegenstände ein Fehlbestand an Rechten oder Sachen, die für den Betrieb des Unternehmens von erheblicher Bedeutung sind, liegt kein Fall einer Minderlieferung nach § 434 Abs. 3 vor. Denn verkauft ist eine Gesamtheit von Sachen, Rechten und sonstigen Vermögenswerten (Goodwill, Know-how). Fehlt bei dieser ein erheblicher Vermögensbestandteil, kommt insgesamt ein Mangel des ganzen Unternehmens in Betracht. Ob der Fehlbestand dabei einen Rücktritt vom Kaufvertrag rechtfertigt, richtet sich nach § 323 Abs. 5 Satz 2. Im Fall bejaht der BGH die Erheblichkeit des Fehlbestandes mit folgender Überlegung (S. 33): „… für ein Gerüstbauunternehmen ist der Bestand an Gerüsten von entscheidender Bedeutung. Davon hängt die Kapazität des Unternehmens unmittelbar und technisch-sach512 Grundlegend BGH NJW 1982, 2823, 2826 – BuM; vgl. jetzt vor allem auch BGH ZIP 2012, 1342. 513 Faust JZ 2015, 149, 150. 514 Vgl. auch BGH NJW 1970, 556.

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lich ab … Gerade für größere Bauvorhaben ist durch den Fehlbestand die Grenze der Leistungsfähigkeit des verkauften Unternehmens bedeutend herabgesetzt.“

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Mängel an Einzelgegenständen oder Fehlbestände begründen beim Unternehmenskauf also dann einen Rücktrittsgrund nach § 323 Abs. 5 Satz 2, wenn die zugrunde liegende Leistungsstörung die wirtschaftliche Grundlage des Unternehmens insgesamt erschüttert.515 Denn der Unternehmenskäufer erwartet eine in sich greifende Organisation von Betriebsmitteln, mit der er den bisherigen wirtschaftlichen Zweck weiterverfolgen kann. Wiegen die Mängel an Einzelgegenständen so schwer, dass es zu nachhaltigen Störungen dieser Organisation kommt, liegt ein Mangel des Unternehmens vor.516 Fraglich ist weiter, ob der Käufer auch wegen der einzelnen Vermögensgegenstände die Rechte aus § 437 geltend machen kann. Unter der Geltung des alten Rechts war diese Frage umstritten. Teilweise wurde die Anwendung der Rechtsmängelhaftung bei fehlenden und die der Sachmängelhaftung bei mangelhaften, zum Unternehmen zählenden Vermögensgegenständen bejaht.517 Teilweise wurde dies unter Hinweis auf den einheitlichen Kaufgegenstand Unternehmen verneint.518 Dies hing allerdings auch damit zusammen, dass das alte Kaufrecht (§ 459 Abs. 1 Satz 2 BGB aF.) unerhebliche Mängel vollständig vom Anwendungsbereich der Sachmängelhaftung ausnahm, was heute nicht mehr gilt (oben Rn. 160). Geringfügige Mängel liefern wegen § 323 Abs. 5 Satz 2 nur keinen Grund mehr, vom ganzen Unternehmenskauf zurückzutreten. Deshalb wird man unterscheiden müssen: Geht man vom Unternehmen als einem einheitlichen Kaufgegenstand aus Sachen, Rechten und sonstigen Vermögensgegenständen aus, so kann der Käufer wegen Fehlens oder des Mangels einzelner Vermögensgegenstände wegen § 323 Abs. 5 Satz 2 grundsätzlich nicht vom Kaufvertrag über das Unternehmen zurücktreten, es sei denn, diese erschütterten die wirtschaftlichen Unternehmensgrundlagen. Allerdings bleiben dem Käufer wegen einzelner Vermögensgegenstände grundsätzlich die sonstigen Rechte aus § 437. Fehlt ein einzelner Vermögensgegenstand, steht dem Käufer ein Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 und bei dessen Scheitern die Minderung nach § 437 Nr. 2, 441 zu. Allerdings kommt ein Teilrücktritt wegen eines einzelnen zum Unternehmen gehörenden Gegenstandes aus allgemeinen Überlegungen heraus nicht in Betracht (Rn. 234); denn dadurch würde das subjektive Äquivalenzverhältnis des Unternehmenskaufs zerstört.

515 Seit RGZ 67, 86, 90. 516 Bamberger/Roth/Faust § 453 Rn. 27(= BeckOK); Erman/Grunewald § 434 Rn. 44; Maier-

Reimer, in: Reform des deutschen Schuldrechts, 2003, S. 61, 76; Staudinger/Matusche-Beckmann § 434 Rn. 183; Picot DB 2009, 2587, 2590; Schröcker ZGR 2005, 63, 79; Wolf/Kaiser DB 2002, 411, 415; aA. Hönig ZGS 2010, 302, 307. 517 BGH NJW 1970, 944; Grunewald ZGR 1981, 622, 632; Hommelhoff, Die Sachmängelhaftung beim Unternehmenskauf, 1975, S. 41ff.; von Friesen NJW 1979, 2288. 518 BGH NJW 1979, 33; Canaris ZGR 1982, 395, 431; Lieb, in: FS Gernhuber, 1992, S. 259, 273.

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Kommt es beim Unternehmenskauf tatsächlich zur Rückabwicklung, stellt sich ferner die Frage, ob der Käufer sämtliche Gewinne an den Verkäufer herausgeben muss. Problematisch erscheint dies, weil die Unternehmensergebnisse theoretisch auch auf die gute Unternehmensführung des Käufers zurückgehen können. Fraglich ist ferner, wie sich tiefgreifende Umgestaltungen des Unternehmens durch den Käufer auf die Rückabwicklung auswirken.519 Nach altem Recht wendete die hM. bereicherungsrechtliche Grundsätze an.520 Heute wird überzeugend eine Analogie zu § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 erwogen: Durch die Fortführung verändert der Käufer das Unternehmen in einer Weise, die der Umgestaltung einer Kaufsache entspreche.521 Konsequenterweise schuldet der Käufer daher nur Wertersatz iHd. tatsächlich gezogenen (§ 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) und der schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen (§ 347 Abs. 1 Satz 1).522 Sämtliche Gewinne muss er indes nicht herausgeben.

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b) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachfristsetzung) aa) Grundsatz

Nach § 323 Abs. 1 kann der Käufer erst dann vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. Damit ist der Rücktritt gegenüber der Nacherfüllung subsidiär. Daneben setzt der Rücktritt voraus, dass der Lieferanspruch des Berechtigten nach § 271 fällig und durchsetzbar ist: Vor Eintritt der Leistungszeit bzw. etwa bei Bestehen der Einrede des § 320 kommt ein Rücktritt also auch bei Lieferung einer mangelhaften Sache nicht in Betracht (Rn. 195). Besondere Probleme entstehen durch § 475 Abs. 1, der den Eintritt der Leistungszeit vom Verschulden (nicht: Vertretenmüssen) des Schuldners abhängig macht (Rn. 419a). Ein zentrales Prinzip des neuen Rechts liegt ferner darin, dass der Käufer nicht durch den Fristablauf nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 gegenüber dem Verkäufer gebunden ist. Auch nach Ablauf der Nachfrist kann er daher auf Nacherfüllung bestehen. Eine Selbstbindung tritt auf Käuferseite daher erst ein, wenn der Käufer den Rücktritt oder die Minderung erklärt (§ 349 iVm. §§ 323 Abs. 1, 441 Abs. 1 Satz 1) bzw. Schadensersatz oder den Ersatz frustrierter Aufwendungen verlangt (§ 281 Abs. 4, § 284). Dadurch kommt es zum bereits erörterten Schwebezustand, den der Verkäufer grundsätzlich nicht einseitig beenden kann (Rn. 200).

519 MünchKomm/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 818 Rn. 25f.; Kersting JZ 2008, 714, 716; Rupietta, Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung unwirksamer Unternehmenskaufverträge, 2001; Schöne ZGR 2000, 86ff. 520 MünchKomm/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 812 Rn. 175, 184; Kersting JZ 2008, 714, 716; Schöne ZGR 2000, 86, 87. 521 Gaul ZHR 166 (2002) 35, 56; Picot DB 2009, 2587, 2593. 522 Kritisch Kindl WM 2003, 409, 413.

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§ 2 Der Kaufvertrag

bb) Die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung 246

In § 323 Abs. 2 regelt der Gesetzgeber „Sondersituationen, in denen eine Fristsetzung trotz Nachholbarkeit der Leistung keinen Sinn macht.“523

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(1) Endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 und § 440 Satz 1 erster Fall). Diese Ausnahme beruht auf der Überle-

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gung, dass der Käufer dem Verkäufer keine Gelegenheit zur Nacherfüllung geben muss, wenn dieser sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wahrnehmen wird. Den Aufwand und den Zeitverlust, der mit einem weiteren Einwirken auf den Verkäufer verbunden wäre, mutet das Gesetz dem Käufer nicht zu. Die Anforderungen an die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit der Erfüllungsverweigerung sind aber sehr hoch. Dies zeigt die Paarformel „ernsthaft und endgültig“. Für einen objektiven Beobachter in der Position des Käufers dürfen keine Unklarheiten darüber bestehen, dass der Verkäufer von der Möglichkeit einer zweiten Andienung keinen Gebrauch machen will.524 Mehrmals wurde bereits gezeigt, dass der Verkäufer sich etwa auf ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen nicht einlassen muss; dessen Zurückweisung erfüllt die Voraussetzungen des § 323 Abs. 2 Nr. 1 folglich nicht (Rn. 185, 227).525 Auch genügt das vorläufige Bestreiten des Mangels durch den Verkäufer nicht.526 Es ist typischerweise Ausdruck der Befürchtung, andernfalls die Behauptungen der Gegenseite tatsächlich anzuerkennen (Rn. 1421). Auch die nach einem Nachbesserungsversuch getätigte Äußerung des Verkäufers, alle Mängel seien nun behoben, reicht nicht aus.527 Der BGH lässt es ferner nicht genügen, wenn der Verkäufer in seinen AGB die Gewährleistungsrechte unter Verstoß gegen § 476 Abs. 1 Satz 1 ausschließt (vgl. auch Rn. 259).528 Andererseits schützt den Verkäufer ein Irrtum über die Rechtsfolge des § 323 Abs. 2 Nr. 1 nicht, wenn er die Nacherfüllung tatsächlich ernsthaft und endgültig verweigert.529 Aus § 440 Satz 1 folgt, dass die berechtigte Verweigerung der unberechtigten insoweit gleichsteht: Für die Frage der Entbehrlichkeit der Nachfrist kommt es damit allein auf den abschließenden Charakter der Verweigerung an, nicht aber auf deren Gründe. In Fortführung dieses Gedankens erscheint es deshalb gleichgültig, aus welchen Motiven heraus der Verkäufer handelt, wenn er die Nacherfüllung nur definitiv verweigert. Auf Rechtsirrtümer kommt es entsprechend nicht an (Rn. 227 aE.) § 440 Satz 1 erster Fall beinhaltet – wie gerade erwähnt – eine Sonderregelung gegenüber § 323 Abs. 2 Nr. 1 für den Fall, dass der Verkäufer beide Arten RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 185, rechte Spalte. Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 895. BGH NJW 2013, 1074, Tz. 24. BGH NJW 2011, 3435, Tz. 24; BGH NJW 2011, 2872, Tz. 14; BGH NJW-RR 2009, 667, Tz. 12. 527 BGH NJW 2011, 2872, Tz. 15. 528 BGH NJW 2011, 3435, Tz. 33f. 529 BGH NJW 2013, 1431, Tz. 38. 523 524 525 526

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der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 4 verweigert. Die Norm regelt den Fall der berechtigten Verweigerung, passt jedoch entsprechend den vorgestellten Überlegungen (Rn. 247) auch auf die nicht gerechtfertigte Weigerung. Bei einem Verbrauchsgüterkauf wiederum darf der Verkäufer nach § 475 Abs. 4 Satz 1 nicht beide Fälle der Nacherfüllung ohne weiteres verweigern (Rn. 191). Bei einem Verstoß dürfte § 440 Satz 1 ebenfalls analog anwendbar sein. Dies gilt nach § 475 Abs. 5 ausdrücklich auch dann, wenn der Verkäufer den Käufer in diesem Fall gem. § 475 Abs. 4 Satz 2 auf Aufwendungsersatz verweist. Um einer rechtswidrigen Selbstvornahme durch den Käufer vorzubeugen, sind die Anforderungen an den Zeitpunkt der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung jedoch streng. Der Verkäufer muss die Verweigerung erklärt haben, bevor die Mängelbeseitigung durch den Käufer erfolgt (dazu und zur Kritik Rn. 208). Schließlich hat die endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung nicht zur Folge, dass die Fälligkeit einer Schuld vorverlagert wird.530 (2) Fehlschlagen des Nachbesserungsversuchs (§ 440 Satz 1 zweiter Fall).

Eine Nachfristsetzung ist nicht erforderlich, wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Über das Fehlschlagen oder Gelingen der Nacherfüllung entscheidet dabei der Maßstab des § 433 Abs. 1 Satz 2. Nach § 440 Satz 2 gilt eine Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas Anderes ergibt. Zugrunde liegt der Rechtsgedanke, dass das Vertrauen des Käufers in die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des Verkäufers nach einem Fehlschlagen endgültig erschüttert ist. Müsste der Käufer ständig fortgesetzte Nachbesserungsversuche dulden, würde er „in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise rechtlos gestellt.“531 In der Praxis dominieren Fragen der Beweislastverteilung: (BGH 9.3.2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664) Verbraucher K kauft von Unternehmer V einen Neuwagen, der jedoch nach Übergabe verschiedene Funktionsdefizite aufweist. Nach dem ersten Nachbesserungsversuch des V bleibt ein Fehler des Motors, der sich in Zündaussetzern, gelegentlichem Leistungsverlust und unruhiger Laufleistung äußert. V tauscht bei einem weiteren Reparaturversuch das Spannungsversorgungsrelais aus und bei einem dritten Versuch den elektronischen Nockenwellenversteller. Als die Phänomene dennoch weiterhin auftreten, behauptet V, diese würden auf eine neue Ursache zurückgehen, nicht aber auf den alten Fehler am Nockenwellenversteller. K erklärt dennoch den Rücktritt und verlangt den Kaufpreis zurück. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 auf Rückgewähr des Kaufpreises. Dass die Funktionsdefizite des Motors vorliegend auf einen Mangel nach § 434 Abs. 1 zurückgehen, war zwischen den Parteien nicht streitig. Fraglich ist jedoch, ob K dem V eine Frist zur Nacherfüllung nach § 323 Abs. 1 hätte setzen müssen. 530 BGH NJW-RR 2008, 210. 531 BGH WM 1981, 558, 559.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Die Nachfristsetzung könnte nach § 440 Satz 1 zweiter Fall und Satz 2 entbehrlich sein, weil die Nacherfüllung mit dem zweiten Nachbesserungsversuch fehlgeschlagen ist. Von einem Fehlschlagen des zweiten Versuchs kann aber nicht die Rede sein, wenn die Funktionsstörung der Kaufsache auf eine neue Ursache zurückgeht, die gar nicht Gegenstand des ersten Nachbesserungsversuchs war.532 Fraglich ist nur, wer die Darlegungs- und Beweislast für diesen Umstand trägt. Der Ausgangspunkt liegt zunächst in der Überlegung, dass der Käufer die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 darlegen und beweisen muss. Deshalb trägt er grundsätzlich die Last, beweisen zu müssen, dass eine Funktionsstörung auf den ursprünglichen Mangel zurückgeht. Allerdings anerkennt der BGH hier die Voraussetzungen einer Beweislasterleichterung, weil der Verkäufer durch die vorangegangenen Nachbesserungsversuche unvermeidlich wichtige Spuren, die dem Käufer ansonsten die Beweisführung ermöglicht hätten, vernichtet hat (Tz. 10). Im Grunde beruht diese Erleichterung also auf einer schuldlosen bzw. höchstens fahrlässigen Beweisvereitelung durch den Verkäufer. Ihr Gegenstand erinnert an die Rechtsfolge des § 477: Der Käufer muss nicht beweisen, welche Ursache die gegenwärtige Funktionsstörung hat, sondern nur, dass die Auswirkungen – die verbleibenden Funktionsstörungen (hier: Zündaussetzer, unruhige Laufleistung) – den vor der Nacherfüllungsmaßnahme bestehenden ähnlich sind (Tz. 12). Dieser Erleichterung dürfte der Erfahrungssatz (Rn. 1072) zugrunde liegen, dass nacheinander auftretende und in ihrer Erscheinungsweise vergleichbare Phänomene im Zweifel auf dieselbe Ursache zurückgehen. Dieser Erfahrungssatz ist nach Auffassung des BGH jedoch erschüttert, wenn der Käufer den Verdacht nicht entkräften kann, dass die gegenwärtigen Funktionsstörungen auf einer Fehlbehandlung der Kaufsache durch ihn selbst beruhen (Tz. 10). Sind die Voraussetzungen des § 440 Satz 1 zweiter Fall danach unbewiesen, kann im Sonderfall des Montagsautos auch § 440 Satz 1 dritter Fall in Betracht kommen (Rn. 252). Der BGH wendet auf das Fehlschlagen nach § 440 Satz 1 zweiter Fall schließlich auch § 363 an: Wenn der Käufer die Kaufsache nach dem Nachbesserungsversuch widerspruchlos entgegengenommen hat, trägt er die Darlegungs- und Beweislast für die einen Sachmangel begründenden Tatsachen.533 Räumt der Verkäufer hingegen dem Käufer die Möglichkeit ein, die Nachbesserung in anderen Werkstätten vornehmen zu lassen, muss er sich das Fehlschlagen der dort ausgeführten Reparaturversuche entsprechend § 278 Satz 1 im Rahmen des § 440 Satz 2 zurechnen lassen.534 Fraglich ist schließlich, ob der Käufer im Anschluss an eine Nachlieferung noch zwei Nachbesserungsversuche nach § 440 Satz 2 hinnehmen muss. Dagegen spricht der Wortlaut des Satzes 2, der sich allein auf das Fehlschlagen des Nachbesserungsversuchs be532 Vgl. auch BGH NJW 2011, 2872, Tz. 17. 533 BGH NJW 2009, 1341, Tz. 15. 534 BGH NJW 2007, 504, Tz. 14f.

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zieht. Im Umkehrschluss lässt sich gerade entnehmen, dass eine Nachlieferung im Zweifel bereits nach dem ersten erfolglosen Versuch fehlgeschlagen ist.535 Deshalb darf das Vorspannen einer Nachlieferung nicht zu einer Erweiterung des vom Käufer Hinzunehmenden führen.536 (3) Unzumutbarkeit (§ 440 Satz 1 dritter Fall). Durch diesen Tatbestand setzt der Gesetzgeber den Begriff der „erheblichen Unannehmlichkeit“ in Art. 3 Abs. 3 Satz 3 VerbrGüterKRiL um, der dort zum Untergang der Nacherfüllungspflicht führt. Die Norm unterscheidet sich vom Ausnahmetatbestand der besonderen Gründe nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 dadurch, dass keine allgemeine Interessenabwägung erforderlich wird.537 Die Schwelle liegt auch erkennbar unterhalb der Unmöglichkeit nach § 326 Abs. 5. In der Sache geht es dabei um einen berechtigten Vertrauensverlust auf Seiten des Käufers. Dabei liegt der zentrale Gegenstand des Käufervertrauens in der Zuverlässigkeit des Verkäufers (zu den Einzelheiten Rn. 253).538 Im System des § 440 Satz 1 führt dies dazu, dass die Regelung als Auffangnorm gegenüber § 440 Satz 1 zweiter Fall (Fehlschlagen der Nacherfüllung) fungieren kann. Denn auch wenn das Verkäuferverhalten die formalen Voraussetzungen des § 440 Satz 1 zweiter Fall iVm. Satz 2 nicht erfüllt, kann sich an ihm eine allgemeine Unzuverlässigkeit erweisen: (BGH 23.1.2013 – VIII ZR 140/12 = NJW 2013, 1523 – Montagsauto) K erwarb von V am 14.6.2008 ein neues Wohnmobil für 133.743 €. Nach der Auslieferung an K im März 2009 brachte dieser das Fahrzeug dreimal bei der Werkstatt des V vorbei. Beim ersten Mal, nach einem Urlaub im Mai 2009, bemängelte K ein Knarren der Satellitenantenne beim Ausfahren, Flecken in der Spüle, schief sitzende Abdeckkappen der Möbelverbinder, eine lose Stoßstange und das Lösen der Toilettenkassette aus der Halterung während der Fahrt. V beseitigte diese Mängel. Beim zweiten Mal, nach einem weiteren Urlaub im August 2009, verlangte K von V ua. Nachbesserung der Türen unter dem Handwaschbecken und der Chromkante an der Motorradbühne. Beim dritten Mal, im März 2010, rügte K Probleme bei der Entlüftung des Fäkalientanks sowie ein Entleeren der Batterien nach einem Tag. Ab diesem Zeitpunkt gestattete V dem K, Nacherfüllungsmaßnahmen bei einer Fremdwerkstatt vornehmen zu lassen. Dorthin brachte K das Fahrzeug insgesamt vier weitere Male. Insgesamt entstanden so Mängelbeseitigungskosten im Bereich von 3.900 €. Mit Schreiben vom 1.4.2011 erklärte K dann unter Hinweis auf 15 weitere Mängel den Rücktritt. Zu diesen zählten: eine Ablösung der Chromkante der Motorradbühne, matter Lack am rechten Seitenteil, ein nicht bündiger Abschluss der Abdeckkappen über den Verbindungsscheiben im Fahrzeuginnern und fehlende Abdeckkappenstifte. Ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 setzt ua. die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung voraus. Ein Fehlschlagen der Nacherfüllung nach § 440 Satz 1 zweiter Fall kommt nicht in Betracht, weil die Nacherfüllungsbemühungen des V nie zwei- oder mehrmals denselben Mangel betrafen, sondern stets anderen Funktionsdefiziten galten (Rn. 250). Doch könnte die Nachfristsetzung mangels Zumutbarkeit gem. § 440 Satz 1 dritter Fall entbehrlich sein. 535 536 537 538

MünchKomm/Westermann § 440 Rn. 12. Jacobs, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 389. Gutzeit NJW 2008, 1359, 1361f. BGH NJW 2015, 1669, Tz. 22; BeckOGK/Höpfner § 440 Rn. 37.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Grundsätzlich sieht der BGH das Nacherfüllungsverlangen bei einem sog. Montagsauto als unzumutbar an (Tz. 24). Darunter versteht das Gericht ein Fahrzeug, das wegen herstellungsbedingter Qualitätsmängel insgesamt mangelhaft erscheint und die Prognose rechtfertigt, dass es auch künftig nicht frei von herstellungsbedingten Mängeln funktionieren wird (Tz. 26). Erforderlich ist, dass sich innerhalb eines kürzeren Zeitraums eine Vielzahl herstellungsbedingter – auch kleiner – Mängel zeigen, die entweder wiederholt oder erstmals auftreten (Tz. 26). Durch die Vielzahl der Mängel sowie durch die Art ihres Auftretens muss dabei das Vertrauen des Käufers in die ordnungsgemäße Herstellung des Fahrzeugs erschüttert sein (Tz. 26, 24). Überzeugend verneint der BGH diese Voraussetzungen vorliegend: Zwar spricht die Häufung der Mängel für ein „Montagsauto“ (Tz. 30). Aber sämtliche Beanstandungen bewegten sich im Bagatell- bis Lästigkeitsbereich und konnten beim ersten Nachbesserungsversuch abgestellt werden (Tz. 31f.). Vor allem das Verhältnis der Mängelbeseitigungskosten zum Kaufpreis darf dabei mitberücksichtigt werden. Es liegt hier bei 3%. Dass das Gericht in diesem Zusammenhang eindeutig die Mängelrüge eines Knarrens der Antenne beim Ausfahren oder eines Flecks in der Spüle hervorhebt (Tz. 32) erklärt einen weiteren, nicht ausgesprochenen Entscheidungsgrund: die überpedantische, illusorische Maßstäbe anlegende Person des Käufers! In einer neueren Entscheidung (BGH 26.10.2016 – VIII ZR 240/15 = NJW 2017, 153) bejaht der BGH die Unzumutbarkeit jedoch bei sporadisch auftretenden sicherheitsrelevanten Mängeln eines Kfz: Der Verkäufer konnte hier nicht verhindern, dass das Kupplungspedal eines Kfz sporadisch hängen blieb.539

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Unabhängig davon kommt § 440 Satz 1 dritter Fall auch bei einer besonderen Tierverbundenheit des Käufers zur Anwendung: Hat dieser sich an ein im Wege des Kaufs erworbenes Tier gewöhnt, braucht er sich nicht auf die Nachlieferung eines „Ersatztieres“ einzulassen (Rn. 190).540 Im Schrifttum ist auch umstritten, ob die Fälle der arglistigen Täuschung unter den Tatbestand der Unzumutbarkeit fallen; der BGH bevorzugt jedoch ihre Einordnung unter § 323 Abs. 2 Nr. 3 (Rn. 255). § 440 Satz 1 dritter Fall reagiert auf einen Verlust des Käufervertrauens in die Zuverlässigkeit des Verkäufers (Rn. 252). Dabei verdient jedoch Beachtung, dass jede Lieferung einer mangelhaften Sache auf der Käuferseite mit einem Vertrauensverlust einhergeht. Das Gesetz (§§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1) mutet dem Käufer dennoch grundsätzlich zu, mit dem Verkäufer zwecks Nacherfüllung zu kooperieren.541 Zur Unzumutbarkeit kann folglich nur ein besonders weitreichender Vertrauensverlust führen, der von den §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 nicht mehr abgedeckt ist. Der BGH bejaht dies etwa im Falle der Durchrostung des verkauften Fahrzeugs, die der Verkäufer bei einfacher

539 Weiterführend BeckOGK/Höpfner § 440 Rn. 40. 540 BGHZ 163, 234 = NJW 2005, 2852: Rauhaardackel; BGH, Urt. v. 24.11.2009 – VIII ZR 124/

09: Pony „Dondolino“; OLG Frankfurt ZGS 2011, 284: Pferd. 541 H.P. Westermann JZ 2001, 530, 537.

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Sichtprüfung vor Übergabe hätte erkennen können.542 Entsprechend liegen die Voraussetzungen der Unzumutbarkeit auch dann vor, wenn sich im Rahmen der Nacherfüllungsbemühungen ein erheblicher Mangel an fachlicher Kompetenz auf Verkäuferseite erweist.543 (4) Relative Fixgeschäfte (§ 323 Abs. 2 Nr. 2). Bei absoluten Fixgeschäften ist der Leistungsgegenstand so beschaffen, dass mit Verstreichen der Leistungszeit Unmöglichkeit eintritt (Weihnachtsbaum nach Weihnachten, Beförderung zum Flughafen, nachdem das Flugzeug bereits gestartet ist usw.).544 Hier lässt deshalb § 326 Abs. 5 das Nachfristsetzungserfordernis entfallen. § 323 Abs. 2 Nr. 2 betrifft hingegen die einfachen Fixgeschäfte (vgl. § 376 HGB), folgt aber in der aktuellen Fassung vor allem Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 VerbRRiL.545 Bei diesen Geschäften ist die Leistung grundsätzlich nachholbar, doch ist im Kaufvertrag ein bestimmter Termin vereinbart, mit dessen Einhaltung der Kaufvertrag „stehen oder fallen“ soll.546 Größeres Interesse weckt der im Normwortlaut vorgesehene Fall, dass eine Vereinbarung dieser Art fehlt, der Käufer dem Verkäufer aber von dem Erfordernis der fristgerechten Leistung einseitig Mitteilung macht. Dies erinnert an Normen wie §§ 313 Abs. 2, 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, bei denen beide Vertragsparteien von einer gemeinsamen Motivlage ausgehen. Eine solche stellt der Käufer durch die Mitteilung her; sie entsteht, wenn der Verkäufer nicht widerspricht.547 Theoretisch kann es hier zu einem systematischen Konflikt mit § 376 HGB kommen, da die Norm auch auf einseitige Handelsgeschäfte anwendbar ist, bei denen der Käufer Verbraucher ist.548 Wegen des vollharmonisierenden Charakters von Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 VerbRRiL gem. Art. 4 der Richtlinie muss § 376 HGB dann korrigierend ausgelegt werden: Der Rücktritt ist danach bei einem Verbrauchervertrag nicht leichter und auch nicht schwerer möglich als nach § 323 Abs. 2 Nr. 2.

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(5) Besondere Gründe (§ 323 Abs. 2 Nr. 3). Nach dieser Norm ist im Falle

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einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung eine Nachfrist entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Die Einschränkung auf den Fall der nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung geht auf die Umsetzung von Art. 18 Abs. 2 Unterabsatz 2 VerbRRiL zurück. Der Gesetzgeber549 wollte einerseits der vollharmonisierenden Wirkung der Norm (Art. 4 der VerBGH NJW 2015, 1669, Tz. 23. Erman/Grunewald § 440 Rn. 3. Überblick über die hM. mit kritischem Blick Dubovitskaya AcP 215 (2015) 581ff. BT-Drucks. 17/12637, S. 58. RGZ 51, 347ff.; RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 185f.; vgl. auch BGH NJW-RR 1989, 1373; BGHZ 110,88 = NJW 1990, 2065, 2067. 547 Ähnlich Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 897f. 548 Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 898f.; Schmitt VuR 2014, 90, 98. 549 Zum Folgenden BT-Drucks. 17/12637, S. 59. 542 543 544 545 546

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bRRiL) Rechnung tragen, anderseits eine einheitliche Regelung für sämtliche Verträge schaffen: Deshalb sind die Fälle der Nichtlieferung nicht erfasst, wohl aber die Fälle der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache. Nach Auffassung des Gesetzgebers sollen die so entstehenden Lücken über das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242) geschlossen werden. Das Schrifttum550 erkennt teilweise Lücken in den Fällen des Just-in-Time-Vertrages. Dieser dürfte jedoch häufig auf einer relativen Fixschuld beruhen (§ 323 Abs. 2 Nr. 2; Rn. 345). Ferner werden die Fälle des sog. Interessenfortfalls (Lieferung von Dünger nach Ablauf der Düngeperiode) und der Fall der Erfüllungsgefährdung nach § 323 Abs. 4 (Rn. 264) genannt. Im Einzelfall wird hier die Lösung in § 242 bzw. einer erweiterten Auslegung des § 323 Abs. 2 Nr. 2 (relative Fixschuld) liegen. Bemerkenswert erscheint vor allem folgende Überlegung: In systematischer Abgrenzung zu § 324 bezieht § 323 Abs. 2 Nr. 3 sich grundsätzlich nur auf besondere Umstände, die die Hauptleistungspflicht betreffen, während sonstige Umstände, die im Nebenpflichtenbereich angesiedelt sind, § 324 unterfallen.551 Der Tatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 wird im Übrigen durch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien konkretisiert. Das Interesse des Verkäufers, im Wege der Nacherfüllung die Kosten einer Mängelbeseitigung durch Dritte abwenden zu können, muss hinter einem Käuferinteresse von größerem Gewicht zurücktreten. Den bekanntesten Fall stellt die arglistige Täuschung des Käufers durch den Verkäufer dar. Der BGH nennt zwei Gründe, warum der Käufer gegenüber dem Verkäufer keine Nachfrist setzen muss:552 Einerseits fehlt die für eine Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage und andererseits verdient der Verkäufer kein Recht auf zweite Andienung, wenn er den Mangel bereits bei Vertragsschluss kannte. Daran erweist sich die Struktur des § 323 Abs. 2 Nr. 3: Die Bedeutung des Interesses des Verkäufers an einer zweiten Andienungsmöglichkeit tritt hinter einem überwiegenden Vertrauensschutz des Käufers zurück. In Ergänzung zu den dargestellten Gründen wird man dem Käufer zubilligen müssen, dass er mit einem Betrüger nicht weiter zusammenarbeiten muss, weil die Gefahr eines Folgebetrugs droht. Ein weiteres Argument tritt hinzu: Bei arglistiger Täuschung kann der Verkäufer nämlich die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 erklären. Auch aus diesem Grund besteht kein schützenswertes Interesse des Verkäufers, den Vertrag durch Nacherfüllungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Alternativ dazu wurde die Verkäuferarglist auch als Fall der Unzumutbarkeit nach § 440 Satz 1 dritter Fall gesehen (Rn. 252).553 Die bestehenden Rückausnahmen (Rn. 256) legen jedoch eher eine Abwägung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 nahe. 550 Dazu Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 904ff. mit Überblick über die Vielzahl der Lösungsvorschläge; ansonsten vor allem: Riehm NJW 2014, 2065, 2066f.; Weiss NJW 2014, 1212, 1214. 551 Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 905ff. 552 Vgl. vor allem BGH NJW 2007, 835, Tz. 13f. 553 Gutzeit NJW 2008, 1359, 1361f.; BeckOGK/Höpfner § 440 Rn. 37; aA. Kulke ZGS 2008, 169, 175; ders. ZGS 2007, 89, 91.

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Die Gründe für die Ausnahme vom Nachfristerfordernis im Vorsatzfall rechtfertigen ihrerseits Rückausnahmen: § 323 Abs. 2 Nr. 3 ist nicht anwendbar, wenn der Käufer dem Verkäufer in Kenntnis der vorsätzlichen Täuschung dennoch eine Nachfrist setzt.554 Denn dann besteht das Vertrauen in den Verkäufer trotz des Betrugs offensichtlich fort. Schließlich soll eine Nachfrist erforderlich bleiben, wenn von vornherein klar ist, dass der Verkäufer die Nacherfüllungshandlung nicht in Person vornehmen wird, sondern durch einen Dritten durchführen lässt.555 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang der Rechtsgedanke des § 249 Abs. 2 bemüht:556 Danach muss der Käufer sich nicht in die Hände der Person begeben, die den Schaden verursacht hat. Je weniger diese Person allerdings selbst in die Nacherfüllungshandlung involviert sei, desto eher erscheine die Nacherfüllung zumutbar. Man wird hier jedoch entgegenhalten müssen, dass gerade der arglistig täuschende Verkäufer den Dritten auswählt. Ist dieser nicht als Fachmann über jeden Zweifel erhaben, muss auch in diesem Fall das Nachfristerfordernis entfallen.557 Fraglich ist, welche Anforderungen an die Verkäuferarglist zu stellen sind. Der Versuch, den Begriff einerseits im Anschluss an § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG über die bekannten Vorsatzvorgänge hinausgehend auf die Fälle echter Schädigungsabsicht zu verengen,558 überzeugt im allgemeinen Zivilrecht nicht, da es hier anders als im Versicherungsvertragsrecht nicht auf Abstufungen des Verschuldensgrades ankommt. Andererseits ging der BGH in der bekannten Entscheidung zur Nachlieferung bei Vereinbarung einer Schickschuld zu weit, als er die Aussage des Gebrauchtwagenverkäufers: „Hinweis: lt. Vorbesitzer kein Unfallschaden“ als Behauptung ins Blaue hinein und damit als Arglist verstand.559 Gelegentlich findet sich die Auffassung, der Verkäufer brauche sich die Arglist von Hilfspersonen nicht zurechnen zu lassen.560 Stärker als der Gegeneinwand, in solchen Fällen hafte der Verkäufer für „organisierte Ignoranz“,561 wiegt der Hinweis auf den Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1: Bestellt der Verkäufer eine andere Person zu seinem Repräsentanten, ist damit kein Haftungsprivileg verbunden. Im Wege der Wissenszurechnung muss der Verkäufer so gestellt werden, als habe er selbst gehandelt. Ein vergleichbarer Rechtssatz besteht hingegen nicht bei Konzerntöchtern; die rechtliche Selbständigkeit dieser Unternehmen verbietet eine allgemeine Wissenszurechnung gegenüber der Konzernspitze.562 BGH NJW 2010, 1805, Tz. 10. BGH NJW 2008, 1371, Tz. 18. Gutzeit NJW 2008, 1359, 1361; ähnlich Derleder/Sommer JZ 2007, 338, 339. Ähnlich Derleder/Sommer JZ 2007, 338, 342. Kolbe JZ 2009, 550, 555. BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839, Tz. 13; zu Recht kritisch Faust JZ 2007, 101, 103; vgl. nun BGH NJW 2008, 1517. 560 S. Lorenz NJW 2004, 26, 27. 561 Derleder/Sommer JZ 2007, 338, 340. 562 Faust JZ 2007, 101, 102; Dauner-Lieb, in: FS Kraft, 1998, S. 43, 57; Koller JZ 1998, 75, 79. 554 555 556 557 558 559

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§ 2 Der Kaufvertrag

Nach einer weiteren Auffassung entfällt die Ausnahme vom Nachfristerfordernis im Arglistfall schließlich, wenn der Käufer in Kenntnis der Täuschung Minderung verlangt.563 Denn mit der Minderung erkläre der Käufer inzident, dass er am Vertrag festhalten wolle. Er behalte ja die Kaufsache und verlange lediglich eine Reduzierung des Kaufpreises. Deshalb bedeute es einen Selbstwiderspruch, wenn er sich darauf berufe, den Kaufvertrag jederzeit unter den Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 anfechten zu können. Dies überzeugt aus mehreren Gründen nicht: Der Käufer beruft sich nicht auf die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1, sondern die des § 323 Abs. 2 Nr. 3. Auch existieren plausible Gründe für eine solche Vorgehensweise, etwa wenn der Käufer bei Ausübung des Rücktrittsrechts einen Liquiditätsabfluss nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 fürchten muss, weil er für Nutzungsersatz herangezogen wird.564 Schließlich gilt auch für die Minderung: Der Käufer braucht nicht mit einem Verkäufer zusammenzuwirken, der ihn bereits einmal betrogen hat. Keine besonderen Umstände anerkennt der BGH im Falle des nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksamen bzw. nach § 476 Abs. 1 Satz 1 nichtigen Gewährleistungsausschlusses.565 Ursprünglich hatte das Gericht eine andere, an die Lehre vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion gemahnende Ansicht geäußert:566 Der Verkäufer durfte danach nicht aus der Unwirksamkeit seiner eigenen Bestimmung einen Vorteil ziehen und gegenüber dem Käufer auf Nacherfüllung bestehen. Nunmehr lässt es der BGH genügen, dass die Vertragsgegenseite durch die Unwirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses insgesamt begünstigt wird. Das Nachfristerfordernis ist dem Käufer daher im Rahmen dieser Begünstigung zuzumuten. Im Schrifttum wird ergänzend auf den Umstand abgestellt, dass der Verkäufer zwar einem Selbstwiderspruch unterliege, wenn er einerseits die Gewährleistungsrechte ausschließe, andererseits aber auf Nacherfüllung bestehe. Jedoch entgehe auch der Käufer diesem Vorwurf nicht, wenn er den Rücktritt erkläre, ohne Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben zu haben.567 Besondere Gründe liegen schließlich immer vor, wenn eine akute ärztliche Behandlung erforderlich wird. Der BGH hat dies in Bezug auf einen Dackel bejaht, der an blutigem Durchfall erkrankte. Hier rechtfertigt wohl immer auch der in Art. 20a GG verankerte Tierschutz das Recht zur sofortigen Einleitung der Heilbehandlung. Der BGH begründet dieses Ergebnis vergleichsweise nüchtern mit der Überlegung, dass besondere Umstände in Betracht kämen, wenn „bei einem mit der Nachfristsetzung notwendigerweise verbundenen Zeitverlust ein wesentlich größerer Schaden droht als bei einer vom Gläubiger sofort vorgenommenen Mängelbeseitigung.“568 563 564 565 566 567 568

Gutzeit NJW 2008, 1359, 1360. So Derleder/Sommer JZ 2007, 338, 340. BGH NJW 2011, 3435, Tz. 33f. BGHZ 170, 31 = NJW 2007, 674, Tz. 44. Bach JZ 2012, 150, 152. BGH MDR 2006, 141, Tz. 14; vgl. auch BGH NJW 2006, 988: erkrankter Wallach.

B. Käuferrechte

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Der Gesetzgeber selbst erkennt besondere Umstände schließlich bei Alltagsgeschäften an:

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K hat sich nach Feierabend am Obststand des V die letzte dort ausliegende Banane für 50 Cent gekauft. Nach dem Öffnen stellt er fest, dass diese faul ist. An den Stand zurückgekehrt, verlangt er von V sein Geld zurück. V bietet indes die Nachlieferung einer Banane am nächsten Morgen an.

Der Gesetzgeber hat auf eine ausdrückliche Normierung im Hinblick auf diese Konstellation nur verzichtet, weil er (wohl zu Recht) Abgrenzungsschwierigkeiten befürchtete:569 Hier kann man theoretisch die Frage stellen, ob zwischen den Parteien eine Stückschuld, eine auf die Auslage beschränkte Vorratsschuld oder eine unbeschränkte Gattungsschuld vereinbart war. Dies führt jedoch nicht sonderlich weit: Ein objektiver Beobachter in der Position des Verkäufers wird sich nach §§ 133, 157 auf das besondere Interesse des Käufers am sofortigen Verzehr der Banane einstellen müssen. Da der Verkäufer diesem Interesse nicht mit Nacherfüllungsmaßnahmen Rechnung tragen kann, muss ein sofortiger Rücktritt durch den Käufer möglich sein. Kann in den Fällen des Handkaufs geringwertiger Sachen vom Verkäufer nicht sofort Ersatz beschafft werden, ist wohl im Zweifel immer von den Voraussetzungen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 auszugehen. Der Umstand, dass der Käufer besonders auf die Sache angewiesen ist, reicht hingegen in der Regel nicht aus. Der BGH belastet ihn auch in solchen Fällen mit der Pflicht zur Nachfristsetzung (vgl. Rn. 207),570 was überzeugt, weil sich der Verkäufer nicht in die Verwendungszwecke des Käufers eindenken muss (beachte das vom Käufer zu tragende Verwendungsrisiko: Rn. 116). (6) Unmöglichkeit der Nacherfüllung. Ist die Nacherfüllung unmöglich – dies ist nur der Fall, wenn beide Arten der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 unmöglich sind –, kann der Käufer nach § 326 Abs. 5 ohne Fristsetzung zurücktreten. Da in diesem Fall feststeht, dass der Käufer den Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 eingebüßt hat und der Verkäufer den Rücktritt nicht mehr durch Nacherfüllungsbemühungen abwenden kann, ist die Fristsetzung obsolet. Der bedeutendste Anwendungsfall im vorliegenden Zusammenhang ist der Unfallschaden eines Gebrauchtwagens:571 Denn der unfallbedingte Minderwert (merkantile Minderwert, Rn. 122) kann nicht durch Nachbesserung beseitigt werden. Auch kommt bei einem Gebrauchtfahrzeug eine Nachlieferung regelmäßig nicht in Betracht, weil für die Kombination von Vorund Nachteilen, die den Wert eines Gebrauchtfahrzeugs ausmachen, regelmäßig kein Ersatz zu finden ist (Rn. 172).572 Beachtung verdient jedoch, dass in den

569 570 571 572

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 234, linke und rechte Spalte. BGH BB 2006, 686, Tz. 138. BGH NJW 2008, 53, Tz. 23. BGH NJW 2008, 53, Tz. 23.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Fällen des § 275 Abs. 2 die Unmöglichkeit nur eintritt, wenn der Verkäufer sich auf diese beruft (Rn. 185).573 c) Rücktrittserklärung und § 323 Abs. 4 264

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Als Gestaltungsrecht wird der Rücktritt durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die Rücktrittserklärung des Käufers gegenüber dem Verkäufer, ausgeübt. Nach § 323 Abs. 4 braucht der Käufer allerdings die Fälligkeit des Anspruchs aus § 433 Abs. 1 Satz 1 nicht abzuwarten, wenn bereits zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen (Erfüllungsgefährdung bzw. sog. vorweggenommener Vertragsbruch). Dies ist aber nur in den Fällen denkbar, in denen eine Fristsetzung nach § 323 Abs. 1 nicht in Betracht kommt: Praktisch relevant sind hier die endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung (§ 323 Abs. 2 Nr. 1), die Unmöglichkeit nach § 326 Abs. 5 und dabei insbesondere der Fall des unbehebbaren Mangels (Rn. 382ff.). Die Frage, ob der Käufer nach der Rücktrittserklärung noch auf einen anderen Sekundäranspruch wechseln kann, wurde bereits angesprochen (Rn. 201). Hier gilt zunächst folgendes aus § 281 Abs. 4 ableitbares Prinzip: Macht der Käufer eines der Gestaltungsrechte geltend, die zu Sekundäransprüchen überleiten, kann er vom Verkäufer keine Primärleistung mehr verlangen. Insoweit ist er gebunden. Darüber hinaus ist jedoch § 325 der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass der Käufer die Sekundäransprüche kombinieren und folglich auch austauschen darf, solange er den Verkäufer nicht zu irreversiblen Dispositionen veranlasst. d) Einwendungen

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Nach § 323 Abs. 6 ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Käufer für den Mangel der Kaufsache allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. (Im Anschluss an OLG München 21.7.2006 – 19 U 2503/05 = ZGS 2007, 80) K hat von V einen neuen Anhänger für seinen Pkw erworben. Der Anhänger weist Mängel auf, die durch eine Reparatur leicht zu beseitigen sind. K setzt dem V dafür eine Nachfrist. Während des Verlaufs dieser Frist, aber vor Vornahme der Nacherfüllung, wird der Anhänger bei Arbeiten im Gebirge infolge Unachtsamkeit des K durch Steinschlag zerstört. Kann K hier noch vom Kaufvertrag zurücktreten?

Der Rücktritt ist nach § 323 Abs. 6 ausgeschlossen, wenn der Käufer für den Mangel der Kaufsache allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Die Voraussetzungen dieser Norm bejaht eine erste Auffassung mit der Begründung, dass der Käufer die Mängelbeseitigung im Wege der Nacherfüllung durch den Verkäufer schuldhaft verhindert habe.574 573 BGH NJW 2013, 1074, Tz. 27ff.; kritisch Gsell JZ 2013, 423, 424: Förmelei, wenn feststeht, dass der Käufer die Einrede erheben wird. 574 Lorenz NJW 2002, 2497, 2499; Kohler AcP 203 (2003) 539, 566ff.; Katzenstein ZGS 2004, 349, 356; vgl. auch Heinrichs, in: FS E. Schmidt, 2005, S. 159, 163.

B. Käuferrechte

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Vorliegend ist zwar theoretisch noch Nachlieferung möglich. K hatte jedoch selbst Nachbesserung gewählt. Einem möglichen Anspruch des K auf Nachlieferung hätte V auch die Einrede aus § 439 Abs. 4 Satz 1 entgegenhalten können, da die Nachbesserung hier ursprünglich besonders kostengünstig möglich war.

Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat jedoch § 351 BGB aF. (= Verbot des Käuferrücktritts bei schuldhafter Zerstörung des Kaufsache) bewusst abgeschafft und „durch ein Modell der Rückabwicklung dem Werte nach“ ersetzt.575 Zu Recht verweist daher eine weitere Ansicht auf den Wortlaut des § 323 Abs. 6: Wenn der Verkäufer für den Mangel verantwortlich ist, der Käufer aber für das Untergehen der Nacherfüllungsmöglichkeit, lässt sich nicht behaupten, der Käufer sei allein oder weit überwiegend für den Eintritt der Rücktrittsvoraussetzungen verantwortlich. Denn für alleinige oder überwiegende Verantwortlichkeit wird eine Schwelle von 80 bis 90% Verschuldensanteil vorausgesetzt.576 Höchstens besteht eine gleiche Verantwortung zwischen beiden Parteien. Drittens setzt ein Umkehrschluss aus § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 voraus, dass der Käufer auch bei grob fahrlässig zu vertretendem Untergang der Kaufsache ein Rückgewährschuldverhältnis zustande bringen kann, das dann allerdings auch zur Haftung nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 führt. Der Rücktritt ist schließlich nach § 323 Abs. 6 auch dann ausgeschlossen, wenn der Verkäufer für den Rücktrittsgrund nicht verantwortlich ist und dieser zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Käufer sich im Annahmeverzug (§§ 293ff.) befindet. Hier ist stets die eingeschränkte Haftung des Verkäufers nach § 300 Abs. 1 (nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) im Rahmen des § 323 Abs. 6 zu beachten. Wegen des Gefahrübergangs nach § 446 Satz 3 hat § 323 Abs. 6 zweiter Fall aber keinen praktischen Anwendungsbereich!577 Unternehmer V verkauft Verbraucher K einen Fernseher, der laut Vereinbarung am Freitag geliefert werden soll. Nachträglich bittet K telefonisch um eine Verschiebung der Lieferung auf den Samstag, was V ablehnt; darauf erklärt K, die Sache sei für ihn gestorben. V entgegnet, so einfach gehe das nicht, womit das beiderseitige Gespräch endet. Nachträglich besinnt sich V doch noch eines anderen und liefert das tadellose Gerät ohne weitere Kontaktaufnahme am Samstag bei K an. Auf dem Transport wird es infolge leichter Fahrlässigkeit eines Angestellten des V beschädigt. K verlangt nun sein Geld zurück.

Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 setzt einen Mangel nach § 434 Abs. 1 voraus. Die durch den Angestellten verursachte Funktionsstörung müsste daher bei Gefahrübergang vorgelegen haben. § 447 Abs. 1 findet hier wegen § 475 Abs. 2 keine Anwendung. Nach § 446 Satz 3 kann der Gefahrübergang jedoch durch den Annahmeverzug des K nach § 295 bereits vor der Übergabe eingetreten sein. Als Leistungszeit war Freitag vereinbart (§ 271 Abs. 2). K 575 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 194, rechte Spalte, vierter Absatz. 576 Vgl. nur Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 79; Dauner-Lieb/Arnold, in: FS Hadding, 2005, S. 23ff.;

Fest ZGS 2006, 173; H. Roth, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 1131, 1134; aA Bamberger/Roth/ Faust § 437 Rn. 35(= BeckOK). 577 Grunewald § 7 Rn. 43; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 80.

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§ 2 Der Kaufvertrag

konnte davon nicht einseitig nachträglich Abstand nehmen, sondern war auf eine Änderungsvereinbarung mit V angewiesen. Diese kam aber nicht zustande, übrigens auch nicht durch das nachträgliche Einlenken des V; denn V hat seinen Änderungswillen nicht dem K gegenüber erklärt. Die Äußerung des K, der Vertrag sei für ihn gestorben, stellt schließlich eine Erklärung iSd. § 295 Satz 1 dar, die Leistung nicht anzunehmen. Die Äußerung des V, so einfach gehe das nicht, muss deshalb als ein wörtliches Angebot iSd. § 295 Satz 1 verstanden werden, das auf die Ablehnungserklärung des K folgte. Die Gefahr ging dadurch bereits im Zeitpunkt des Telefongesprächs vom Freitag auf K über. Die durch den Angestellten verursachte Funktionsstörung trat deshalb nach Gefahrübergang ein; sie kann deshalb keinen Mangel der Kaufsache iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 darstellen. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 besteht also nicht. Ein Anspruch des K gegen V aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 (Schadensersatz neben der Leistung) scheitert hier am fehlenden Vertretenmüssen: Während des Annahmeverzugs beschränkt sich die Verantwortung des V nach §§ 276 Abs. 1, 278 Satz 1 gem. § 300 Abs. 1 nur auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die hier nicht vorlagen.

3. Rechtsfolgen des Rücktritts a) Allgemeines 268

Der Rücktritt verwandelt den Kaufvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis. Deshalb gelten die Haftungsmaßstäbe und Wertrelationen aus dem vorangegangenen Vertrag im Rückgewährverhältnis fort (vgl. nur § 346 Abs. 2 Satz 2). Allerdings erlöschen infolge der inhaltlichen Änderung des Schuldverhältnisses der Lieferanspruch aus § 433 Abs. 1 Satz 1 und der Kaufpreisanspruch aus § 433 Abs. 2.578 b) Der Gleichlauf mit dem Bereicherungsrecht.579

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Der Gesetzgeber ließ sich bei der Regelung des § 346 Abs. 2 und 3 vom Gedanken eines Gleichlaufs mit dem Bereicherungsrecht leiten: „Die Leistungskondiktion bleibt auch dann zulässig, wenn der zurückzugewährende Gegenstand beim Gläubiger untergegangen ist; dieser muss sich jedoch im Rahmen der Saldotheorie und ihrer Einschränkungen den Wert der untergegangenen Sache anrechnen lassen. Es erscheint sinnvoll, dieses Modell der ‚Rückabwicklung dem Werte nach‘ auf das Rücktrittsrecht anzuwenden.“580

Das Rücktrittsrecht und das Bereicherungsrecht reagieren zunächst auf unterschiedliche Arten der Störung: Beim Bereicherungsrecht stehen rechtsge578 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 194, linke Spalte. 579 Dazu Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 27 f; Bockholdt AcP 206 (2006) 769; Fest,

Der Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertungen auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nichtiger Verträge, 2006; Linke, Die Rückabwicklung gescheiterter gegenseitiger Verträge, 2007. 580 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 194f.

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schäftliche Wirksamkeitshindernisse im Vordergrund, beim Rücktrittsrecht hingegen Leistungsstörungen.581 Deshalb wird der Bereicherungsgläubiger so gestellt, als sei eine vertragliche Einigung nie zustande gekommen, der Rücktrittsgläubiger aber nur so, als sei es – bei bestehender vertraglicher Einigung – nie zu einem Austausch von Leistungen gekommen. Trotz dieser Unterschiede ähneln sich beide Bereiche in dem Regelungsziel, bei der Rückabwicklung die Risikoverteilung des von den Parteien ursprünglich beabsichtigten Rechtsgeschäfts aufrechtzuerhalten.582 Fraglich ist aber, ob gerade die bereicherungsrechtliche Saldotheorie, die dem Gesetzgeber vorschwebte, ein Modell für das moderne Rücktrittsrecht sein kann: V hat K ein gebrauchtes Kfz (Wert: 6.000 €) für 7.500 € verkauft und dabei auf Frage des K vorgetäuscht, dieses habe keinen Unfallschaden. K verschuldet mit dem Fahrzeug einen Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug einen Totalschaden erleidet. Der Schrotthändler entdeckt, dass das Fahrzeug bereits zuvor einen anderen Unfallschaden erlitten hatte. Ficht K hier den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 mit der Wirkung des § 142 Abs. 1 an, kommt ein Anspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) auf Herausgabe des Kaufpreises in Betracht. V hingegen kann das Fahrzeug nicht aufgrund der Leistungskondiktion nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 1 herausverlangen, weil es untergegangen ist. In Betracht kommt allein ein Anspruch auf Wertersatz nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 2, dem K allerdings die Entreicherung nach § 818 Abs. 3 entgegenhalten könnte; denn das Fahrzeug hat nunmehr nur noch Schrottwert (ursprüngliche Zweikondiktionentheorie).

Diesem als ungerecht empfundenen Ergebnis versucht die Saldotheorie grundsätzlich vorzubeugen:583 Nach ihr können Käufer und Verkäufer bei einem nichtigen oder unwirksamen Kaufvertrag nicht isoliert voneinander Bereicherungsansprüche geltend machen. Denn ursprünglich hatten beide beabsichtigt, ihre Pflichten in ein synallagmatisches Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu stellen. Diese gegenseitige Abhängigkeit der beiden Hauptleistungspflichten muss aber auch bei der Rückabwicklung beachtet werden; sie ist nicht etwa mit der Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes hinfällig. Praktisch führt sie dazu, dass auch die beiden Ansprüche aus Leistungskondiktion in ein Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander geraten (Lehre vom faktischen Synallagma). In der Rechtsprechung des BGH wird dieser Gedanke so umgesetzt, dass die Kondiktionen von Verkäufer und Käufer nur noch unselbstständige Rechnungsposten bilden, die miteinander saldiert werden. Ergibt sich danach ein Überschuss für eine Seite, kann der Berechtigte kondizieren. Im Beispielsfall impliziert die Saldotheorie, dass sich V gegenüber dem Anspruch des K aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 berufen kann, weil K dem V das Fahrzeug nicht mehr herauszugeben vermag. V ist daher um 6.000 € entreichert. 581 Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 27; dazu auch Bartels AcP 215 (2015) 203, 210. 582 Bockholdt AcP 206 (2006) 769, 775 mwN.; kritisch Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff.

Rn. 27; Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 233f. 583 Grundlegend RGZ 54, 137ff.; von Caemmerer, in: FS Rabel, 1954, S. 333, 386: vgl. auch BGH NJW 1988, 3011.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Der Kondiktion des K iHv. 7.500 € (gezahlter Kaufpreis) steht eine Kondiktion des V iHv. 6.000 € (Wert des Fahrzeugs) gegenüber. Nach Saldierung beider Ansprüche (daher Saldotheorie) steht K gegen V ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall iHv. 1.500 € zu. Beachte jedoch: Im Fall der vorsätzlichen Täuschung durch den Verkäufer macht der BGH eine Ausnahme584 (Rn. 271).

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Die im Schrifttum überwiegende Kritik an der Saldotheorie stellt folgende Schwächen in den Mittelpunkt der Überlegungen:585 (1) So scheitert die Saldotheorie, wenn einer der Beteiligten geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, weil kein Saldo gebildet werden kann.586 Denn andernfalls würden die Wertungen der §§ 105ff. unterlaufen: Zu Lasten des Geschäftsunfähigen darf keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung begründet werden; dann kann er auch nicht durch Saldobildung an dieser festgehalten werden. (2) Wenn der Verkäufer den Käufer arglistig über einen Mangel der Kaufsache täuscht, versagt der BGH dem Verkäufer die Berufung auf § 818 Abs. 3 und die Saldotheorie, weil er dem Käufer die Sache „aufgeschwatzt“ habe.587 Problematisch daran ist, dass die arglistige Täuschung einerseits und die Entreicherung andererseits nicht in einem inneren Zusammenhang stehen: Nur wenn sich der arglistig verschwiegene Fehler gerade in der Zerstörung der Kaufsache ausgewirkt hat, erscheint der Verkäufer daher nach § 818 Abs. 3 nicht schützenswert. (3) Die Saldotheorie bereitet ferner in einer Reihe praktischer Konstellationen Probleme, wie etwa dem Fall der Vorleistung durch eine Seite, weil mangels Leistung der anderen Seite kein Saldo gebildet werden kann.588 Auch soll der Bereicherungsgläubiger wegen der Saldotheorie mit seinem Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall nicht aufrechnen dürfen (§ 387).589 Die Regelung des § 346 Abs. 1 und 2 folgt erkennbar nicht der Saldotheorie: Denn dort ist ja gerade nicht vorgesehen, dass der Anspruch des Käufers aus § 346 Abs. 1 und die Ansprüche des Verkäufers aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 automatisch saldiert werden und einen zusammenhängenden Gesamtanspruch bilden.590 Die Regelung orientiert sich vielmehr an der sog. modifizier584 Um sich der Rechtsfolge des § 350 BGB aF. (der unverschuldete Untergang der Kaufsache verhindert den Rücktritt durch den Käufer nicht) anzupassen, hat BGHZ 53, 144, 148 aber gerade dem arglistig handelnden Verkäufer die Berufung auf § 818 Abs. 3 nach den Grundsätzen der Saldotheorie versagt. 585 Vgl. auch hier nur Larenz/Canaris II/2 § 73 III; Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 31f.; MünchKomm/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 818 Rn. 114ff. 586 BGH ZIP 2000, 2028; vgl. Reuter/Martinek § 8 II 3b bb (1). 587 BGHZ 57, 137, 142. 588 Larenz/Canaris II/2 § 73 III 2e. 589 BGH ZIP 2000, 1582. 590 Bockholdt AcP 206 (2006) 769, 773; Hellwege, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge als einheitliches Problem, 2004, S. 155f.; Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346–354 Rn. 34; Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke, S. 329; kritisch Grunewald, in: FS Hadding, 2004, S. 33, 35; Thier, in: FS Heldrich, 2005, S. 439, 452.

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ten Zweikondiktionentheorie, die das Grundanliegen der Saldotheorie aufgreift, deren Schwächen aber vermeidet. Nach dieser Theorie wird dem Käufer und Verkäufer jeweils ein eigenständiger Bereicherungsanspruch (Kondiktion) zuerkannt; die Saldierung unterbleibt dabei. Die Regelungsanliegen der Saldotheorie werden aber in den Entreicherungsbegriff nach § 818 Abs. 3 eingearbeitet.591 Dort muss nämlich zwischen zurechenbarer und zufälliger Entreicherung unterschieden werden.592 Der Käufer kann, wenn die Kaufsache untergegangen ist, sich gegenüber der Kondiktion des Verkäufers auf den Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 nur dann berufen, wenn die Entreicherung zufällig erfolgt ist, nicht aber wenn sie zurechenbar eingetreten ist. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Das Bereicherungsrecht schützt den guten Glauben des Käufers an die Wirksamkeit des Erwerbs der Kaufsache. Dieses Prinzip hat aber auch eine Kehrseite: Zerstört der Käufer die Kaufsache oder verschenkt er sie, geht er dabei eine bewusste Vermögensdisposition ein, eine sog. vermögensmäßige Entscheidung, zu der er als Eigentümer nach § 903 Satz 1 grundsätzlich befugt ist.593 Deren wirtschaftliche Konsequenzen kann er aber nicht dadurch umkehren, dass er sich nun – angesichts der Nichtigkeit des Kaufvertrages – so verhält, als habe es diese Entscheidung und den mit ihr verbundenen Verlust nie gegeben. So verhält sich der Käufer aber, wenn er dem Wertersatzanspruch des Verkäufers nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 im Falle der zurechenbaren Zerstörung den Einwand der Entreicherung aus § 818 Abs. 3 entgegenhält.594 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Sachvoraussetzungen der Zurechenbarkeit der durch den Käufer getroffenen vermögensmäßigen Entscheidung. Auf der Grundlage des alten Rechts wurde eine Entreicherung als zurechenbar angesehen, „wenn sie auf einem Verhalten beruht, das bei Kenntnis von der Rechtsgrundlosigkeit ein Verschulden darstellen würde.“595 Im neueren Schrifttum wird dieser Gedanke auf das Prinzip des Vertrauensschutzes zurückgeführt. Solange der Bereicherungsschuldner (Käufer) die Nichtigkeit des Vertrages nicht positiv kennt (§ 819 Abs. 1!), haftet er privilegiert.596 Dieses Privileg konkretisiert nun § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3: Kennt der Käufer den Rücktrittsgrund nicht, schuldet er bei Untergang der Kaufsache keinen Ersatz, wenn er diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Im Umkehrschluss aus § 277 bedeutet dies aber im Zweifel einen Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit. Dieser

591 Flume AcP 194 (1994) 427, 449; Larenz/Canaris II/2 § 73 III 2b. 592 Der Ansatz von Flume AcP 194 (1994) 427, 439ff., 443 fasst die Verantwortung des Berei-

cherungsschuldners nach § 818 Abs. 3 strenger als der von Larenz/Canaris II/2 § 73 III 2a. Flume, Festgabe für den BGH, 2000, S. 525, 540. Larenz/Canaris II/2 § 73 III 2a. Larenz/Canaris II/2 § 73 III 4a; aA. Flume AcP 194 (1994) 427, 439ff., 443. MünchKomm/Schwab § 818 Rn. 134.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Maßstab muss auch bei der Auslegung des § 818 Abs. 3 gelten, wenn Wertungswidersprüche vermieden werden sollen.597 Im Beispielsfall kann also V gegen K nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 erster Fall vorgehen und Ersatz des Fahrzeugwertes (6.000 €) verlangen. K kann diesem Anspruch die Einrede der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 entgegenhalten, wenn der Untergang des Fahrzeugs nicht auf einer vermögensmäßigen Entscheidung beruht. Da K die Nichtigkeit des Kaufvertrags und daher die Rechtsgrundlosigkeit nicht positiv kannte (beachte hier § 142 Abs. 2), haftet er nur unter folgenden Voraussetzungen: Ausgangspunkt ist die Annahme, K habe im Zeitpunkt des Untergangs der Kaufsache die Rechtsgrundlosigkeit gekannt. Dann stellt sich die Frage, ob der von ihm zu vertretende Untergang auf grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz gegenüber V beruht hätte. Häufig liefert bei einem Straßenverkehrsunfall dabei das Verschulden des K gegenüber dem anderen Straßenverkehrsbeteiligten ein Indiz: Hat K diesem gegenüber den Unfall grob fahrlässig verursacht, ist auch der Untergang der Kaufsache – bei hypothetischer Betrachtungsweise – gegenüber V grob fahrlässig verursacht worden.

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Kennt der Bereicherungsschuldner hingegen die Rechtsgrundlosigkeit, haftet er nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 292, 989, 990 auf einfache Fahrlässigkeit. Im Rahmen des § 818 Abs. 3 kann ihn jetzt eine leicht fahrlässige Verursachung nicht mehr entlasten, sondern nur noch ein Zufall. Beispiel K kann das Fahrzeug nicht an V herausgeben, weil es von einem unbekannten Dritten entwendet wurde, obwohl K einschlägige Sicherheitsmaßnahmen getroffen hatte. Hier greift § 818 Abs. 3 auch, wenn der Diebstahl sich zu einem Zeitpunkt ereignet, in dem K die Rechtsgrundlosigkeit kennt.

Auch im Rücktrittsrecht tritt eine neue Phase der Verantwortung ein, wenn der Käufer den Rücktrittsgrund kennt und trotzdem die Sache zerstört. Denn hier büßt der Käufer gerade den Vertrauensschutz ein, den ihm die Lehre von der vermögensmäßigen Entscheidung im Rahmen des § 818 Abs. 3 vermittelt. Das Ergebnis wird indes unterschiedlich begründet. Nach hM.598 eröffnet hier § 346 Abs. 4 den Weg zu den allgemeinen Schadensersatzansprüchen, die dann bereits bei einfacher Fahrlässigkeit bestehen. Die Gegenauffassung599 stellt hingegen überzeugender auf den Normwortlaut des § 346 Abs. 4 ab: Die Norm setzt danach eine „Pflicht nach Abs. 1“ voraus. Diese besteht wiederum nur, wenn der Rücktritt erklärt ist, nicht zuvor. Die Norm meint deshalb insgesamt einen anderen Fall, nämlich die Leistungsstörung während der Rückabwicklung. Dies zeigt sich schon an der Überlegung, dass der Verkäufer als Rückgewährgläubiger dem Käufer vor Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen eine Nachfrist nach § 281 Abs. 1 Satz 1 setzen muss.600 In den vorliegenden Fällen geht es dagegen um etwas anderes: Hier verletzt der Käufer eine sog. 597 Grunewald, in: FS Hadding, 2004, S. 33, 37f.; J. Hager, in: Ernst/Zimmermann, S. 429, 443; MünchKomm/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 818 Rn. 134; Thier, in: FS Heldrich, 2005, S. 439, 450ff. 598 Vgl. nur MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 60ff. mwN. 599 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 223ff. 600 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 225.

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vorgreifliche Rücksichtnahmepflicht iSd. § 241 Abs. 2:601 Bereits vor der Erklärung des Rücktritts, aber ab Kenntnis des Rücktrittsgrundes ist der Käufer gegenüber dem Verkäufer zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet, woraus Schutzpflichten entstehen. Er haftet dem Verkäufer daher aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 auch für leichte Fahrlässigkeit auf Schadensersatz. Unterschiede zwischen Rücktritts- und Bereicherungsrecht bestehen auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Schutzzwecke beider Institute: Denn ihrem Zweck nach zielen die §§ 346ff. nur darauf, den vertraglichen Leistungsaustausch rückabzuwickeln (Rn. 232). Die §§ 812ff. passen hingegen von vornherein nicht, wenn der Schutzzweck der Nichtigkeitsnorm, die zur Rechtsgrundlosigkeit des Kaufvertrages führt, der Möglichkeit einer Aufrechterhaltung der Bindung entgegensteht:602 Die Normen über die Geschäftsunfähigkeit (§§ 104ff.) wollen etwa eine vertragliche Bindung gerade verhindern. Richtet sich die Kondiktion daher gegen einen beschränkt Geschäftsfähigen, kann diesem der Entreicherungseinwand nicht über eine Einschränkung des § 818 Abs. 3 durch den Rechtsgedanken des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 abgeschnitten werden. Denn andernfalls würde die Bindung an den (nichtigen) Vertrag entgegen der Schutzrichtung des § 108 Abs. 1 praktisch doch noch aufrechterhalten. Dasselbe gilt für andere Nichtigkeitsgründe, die eine Bindung des Kondiktionsschuldners an den Vertrag gerade verhindern wollen (etwa § 311b Abs. 1 Satz 1). Im Ergebnis bedeutet dies zunächst für das Bereicherungsrecht: (1) Der Käufer kann vom Verkäufer den Kaufpreis im Wege der Leistungskondiktion herausverlangen. Dabei darf sich der Verkäufer auf Entreicherung nur berufen, wenn die Zahlungsmittel bzw. deren Wert zufällig untergegangen sind. Hat er sie verschenkt, zerstört usw., ist ihm die Einrede des § 818 Abs. 3 versagt. (2) Im Gegenzug kann der Verkäufer beim Käufer die Kaufsache bzw. deren Wert (§ 818 Abs. 2) kondizieren. Dem kann der Käufer die Einrede nach § 818 Abs. 3 nur entgegenhalten, wenn die Kaufsache zufällig nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden ist. Ist die Entreicherung zurechenbar eingetreten, scheidet die Berufung auf § 818 Abs. 3 aus. (3) Zurechenbarkeit iSd. § 818 Abs. 3 aber bedeutet: (a) Bis zur Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes ist jede Seite nach einem hypothetischen Maßstab verantwortlich: Wäre ihr Verhalten bei Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes fahrlässig gewesen, kann sie sich nicht nach § 818 Abs. 3 befreien. (b) Ab Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes wird nach § 819 Abs. 1 über §§ 292 iVm. 989, 990 auf Schadensersatz gehaftet. 601 Kaiser, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB, 2000, S. 268ff.; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 226. 602 Dazu und zum Folgenden Bockholdt AcP 206 (2006) 769, 786ff.; ablehnend aus grundsätzlichen Überlegungen Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346–354 Rn. 27.

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§ 2 Der Kaufvertrag

(c) An der Zurechenbarkeit der Entreicherung fehlt es, wenn der Käufer im Hinblick auf die Abwesenheit eines Mangels vom Verkäufer arglistig getäuscht wurde und gerade dieser Mangel zur Beschädigung oder Zerstörung der Kaufsache führt. Der Käufer kann sich also in diesem Fall auf Entreicherung berufen. (d) An der Zurechenbarkeit fehlt es auch, wenn die Norm, die zum Wegfall des Rechtsgrundes in § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall führt, den Käufer gerade vor einer rechtsgeschäftlichen Bindung schützen will (§§ 105ff., 311b Abs. 1 Satz 1). Weitere Unterschiede bestehen auf der Rechtsfolgenseite zwischen § 818 Abs. 3 und § 346 Abs. 2 und 3: (1) Dort entsteht die Wertersatzhaftung nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz nicht, wenn der Wertverlust infolge bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme entstanden ist. Hier kommt allenfalls eine Herausgabe der Gebrauchsvorteile nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Betracht. Die moderne Dogmatik des § 818 Abs. 3 kennt diese Einschränkung nicht. Hier lässt sich der Umstand der bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme höchstens im Rahmen der Konkretisierung des hypothetischen Fahrlässigkeitsvorwurfs argumentativ verwenden. (2) Im Rücktrittsrecht greift zugunsten des Schuldners ein Haftungsprivileg nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3: Er haftet nur für die eigenübliche Sorgfalt nach § 277. Deshalb muss die Norm analog auf § 818 Abs. 3 angewendet werden (Rn. 273). (3) Im Bereicherungsrecht tritt die verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 erst bei Kenntnis des fehlenden Rechtsgrunds ein. Auch beim Rücktritt kommt eine verschärfte Haftung ab positiver Kenntnis des Käufers vom Mangel in Betracht, wie sich aus der Einschränkung des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 durch die hM. ergibt (Rn. 312). (4) Im Rücktrittsrecht wird auch auf Ersatz schuldhaft nicht gezogener Nutzungen gehaftet (§ 347 Abs. 1). Teilweise soll auch die bereicherungsrechtliche Haftung entsprechend erweitert werden.603 Dagegen spricht jedoch schlicht das positive Recht. Nach diesem haftet der Bereicherungsschuldner nur ab Rechtshängigkeit (§ 818 Abs. 4) und Kenntnis (§ 819 Abs. 1) nach den allgemeinen Vorschriften, was nach § 292 erst zur Haftung für schuldhaft nicht gezogene Nutzungen nach § 987 Abs. 2 führt. c) Der Rückgewähranspruch (§ 346 Abs. 1)

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Nach § 346 Abs. 1 hat jede Seite des Kaufvertrages die empfangene Leistung herauszugeben, der Verkäufer also den Kaufpreis, der Käufer die Kaufsache. Weiterhin sind die Nutzungen herauszugeben. Nach § 100 handelt es sich dabei 603 Bockholdt AcP 206 (2006) 769, 798ff.; Fest, Der Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertun-

gen auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nichtiger Verträge, 2006, S. 120ff.; Linke, Die Rückabwicklung gescheiterter gegenseitiger Verträge, 2007, S. 152ff.

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um die Früchte eines Rechts oder einer Sache (§ 99) und die Gebrauchsvorteile der Sache. V hat K ein Grundstück verkauft, auf dem ein Bauernhof betrieben wird: Geerntetes Obst, Kälber usw. (vgl. nämlich § 953!) sind als unmittelbare Sachfrüchte (§ 99 Abs. 1) herauszugeben. Verpachtet K das Grundstück an P weiter, ist die von P zu zahlende Pacht eine mittelbare Sachfrucht (§ 99 Abs. 3), da sie nicht aus der Sache (Grundstück) selbst stammt, sondern aus einem Rechtsverhältnis über die Sache. Verkauft V dem K eine Forderung aus Darlehensvertrag (§ 488 Abs. 1 Satz 2) und tritt diese ab, sind die Zahlungsleistungen, die der Schuldner auf die Darlehensforderung erbringt, unmittelbare Rechtsfrüchte (§ 99 Abs. 2). Tritt K die Forderung an einen Factor im Wege des unechten Factoring ab (Rn. 586) und erhält von diesem eine Darlehensvaluta, liegt eine mittelbare Rechtsfrucht (§ 99 Abs. 3) vor, weil die Valuta nicht unmittelbar aus dem Recht (Forderung) fließt, sondern aus einem Rechtsverhältnis über das Recht – genauer: aus dem Darlehensvertrag mit dem Factor und einem Sicherungsvertrag zwischen beiden Parteien, der bestimmt, dass die Forderung zur Sicherung der Ansprüche des Factors abgetreten wird. Gebrauchsvorteile nach § 100 stellen in der Regel ersparte Aufwendungen für den Gebrauch einer anderen als der Kaufsache dar; sie entsprechen dem Marktwert (Mietwert), den der Gebrauch der Kaufsache für den Zeitraum ihrer Überlassung an den Käufer hat.

Ein Teil dieser Nutzungen fällt real an (Obst, Miete) und kann deshalb unmittelbar nach § 346 Abs. 1 in Natur herausverlangt werden. Wächst, wie etwa bei Gebrauchsvorteilen, dem Käufer nur ein Wert zu, kommt ein Wertersatzanspruch nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Betracht. Wurden Nutzungen nicht gezogen (das Obst verfaulte am Baum), kann der Käufer schließlich nach § 347 Abs. 1 wegen schuldhaft nicht gezogener Nutzungen haften. Von großer praktischer Bedeutung ist die Frage nach dem Leistungsort der Rückgabepflicht, dh. dem Ort, an dem der Rückgewährschuldner die letzte Leistungshandlung vorzunehmen hat. In der Praxis wird häufig auf den Ort der Belegenheit der zurückzugewährenden Kaufsache abgestellt.604 Überzeugender erscheint die Gegenauffassung, die von § 269 Abs. 1 ausgeht.605 Für sie spricht schon die parallele Rechtsprechung zum Leistungsort der Nacherfüllung (Rn. 182ff.). Danach ist zunächst eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien maßgeblich und – wo diese fehlt – die Natur des Schuldverhältnisses. Dabei kommt es aber entscheidend auf die Eigenart der Sache und die bezüglich ihrer bestehenden Verkehrssitten an:606 Bei eingebauten Sachen und Grundstücken kommt nur der Belegenheitsort in Betracht; bei den in einem Warenhaus erworbenen Konsumgütern aber kann das Unternehmen des Verkäufers den maßgeblichen Ort darstellen (vgl. insoweit die vom BGH für die Nacherfüllung gebil-

604 Nach neuem Recht: OLG Bamberg ZGS 2011, 140, 142; OLG Hamm, Urt. v. 6.3.2012 – 32 SA 12/12 (Juris), Tz. 18; Arnold Jura 2002, 154, 156; Stöber NJW 2006, 2661, 2662; Otte, in: FS Schwerdtner, 2003, S. 599, 606f. 605 Döhmel, Leistungsort bei der Rückabwicklung, 1997, S. 130; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 31; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 85ff. 606 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 88f.

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deten Beispiele Rn. 183). Erst wenn danach das Ergebnis nicht eindeutig ist, ist der Geschäftssitz oder Wohnort des Schuldners berufen. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 wird mit der wirksamen Ausübung des Rücktrittsrechts fällig (§ 271 Abs. 1).607 Ab diesem Zeitpunkt beginnt auch die Verjährung, und zwar nach § 199 Abs. 1. Denn hier muss zwischen dem Recht des Käufers auf den Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 und dem Recht aus dem ausgeübten Rücktritt aus § 346 Abs. 1 unterschieden werden. Nur letzteres unterliegt der allgemeinen Verjährung nach § 195. Da Gegenstand der Verjährung nur Ansprüche sind (§ 194 Abs. 1), kann hingegen das Recht auf Rücktritt nicht verjähren. Aus diesem Grund regelt § 218 ausdrücklich die Unwirksamkeit eines Rücktritts, wenn sich der Verkäufer auf die Verjährung beruft. Hat der Käufer den Kaufpreis noch nicht gezahlt, so kann er ihn auch im Falle des § 218 nach § 438 Abs. 4 Satz 2 verweigern. d) Der Wertersatzanspruch (§ 346 Abs. 2) aa) Überblick über das Verhältnis von Schadensersatz und Wertersatz

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Die Weichenstellung für das Verständnis des § 346 liegt in Abs. 4: Danach haftet der Gläubiger wegen Verletzung einer Pflicht aus Abs. 1 nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften auf Schadensersatz. Eine echte Pflicht iSd. § 280 Abs. 1 Satz 1, die Sache im Interesse des Verkäufers pfleglich zu behandeln, kann danach erst entstehen, wenn der Käufer den Rücktrittsgrund kennt oder kennen musste. Denn vor diesem Zeitpunkt darf er sich als deren Eigentümer fühlen und kann mit ihr auch wie ein Eigentümer (§ 903 Satz 1) verfahren.608 Aber auch vor diesem Zeitpunkt gilt bei der Rückabwicklung gegenseitig verpflichtender Verträge ein allgemeines Prinzip der Schadloshaltung.609 Nach ihm müssen die empfangenen Leistungen zu Marktwerten zurückgewährt werden; § 346 Abs. 2 nimmt in diesem Zusammenhang dieselbe Stellung ein wie § 818 Abs. 2 im Bereicherungsrecht (Rn. 269ff.). Daraus zieht das Gesetz folgende Konsequenzen: (1) Der Käufer haftet nach § 346 Abs. 2 Satz 1 bloß auf Ersatz des objektiven Werts, schuldet also dem Verkäufer keinen entgangenen Gewinn, keinen Ersatz von Folgeschäden usw. Die Norm kennt in Nr. 1 bis 3 drei verschiedene Anspruchsgrundlagen. (2) Der Käufer haftet nicht für Verschlechterungen der Sache, die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstehen (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz). (3) Im praktisch bedeutsamsten Fall der Wertersatzhaftung (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) kann der Käufer sich durch den Nachweis entlasten, dass er die eigenübliche Sorgfalt (§ 277) gewahrt hat (§ 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3).

607 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 221. 608 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 195, rechte Spalte. 609 BeckOGK/Schall § 346 Rn. 458f.

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Wegen der Rechtsfolge des § 389 kommt es zu einer praktischen Saldierung der Ansprüche des Käufers und möglicher Wertersatzansprüche des Verkäufers, wenn eine Seite die Aufrechnung erklärt. Wenn der Wert der Kaufsache dabei dem Kaufpreis entsprach, kann der Verkäufer gegenüber dem Rückgewähranspruch des Käufers nach § 346 Abs. 1 mit seinem Wertersatzanspruch nach § 346 Abs. 2 Satz 1 aufrechnen, was zum Untergang des Käuferanspruchs nach § 389 führt. Dennoch behalten die Ansprüche aus § 346 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 (anders als nach der bereicherungsrechtlichen Saldotheorie) ihre rechtliche Selbstständigkeit (vgl. Rn. 270).

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bb) Der Übergang von § 346 Abs. 1 auf Abs. 2

Probleme bereitet die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Wertersatzhaftung nach § 346 Abs. 2 an die Stelle des Herausgabeanspruchs in natura gem. § 346 Abs. 1 tritt: (BGH 10.10.2008 – V ZR 131/07 = BGHZ 178, 182 = NJW 2009, 63) V hat dem K ein Hausgrundstück durch notariell beurkundeten Vertrag verkauft. Nachdem K eine von zwei Kaufpreisraten an V entrichtet hat, bewilligt V dem K die Auflassung. Nachdem die zweite Rate trotz Aufforderung nicht fließt, tritt V nach erfolgloser Nachfristsetzung vom Vertrag zurück. In diesem Zeitpunkt hat K jedoch bereits an dem Grundstück eine Sicherungsgrundschuld zugunsten der B-Bank bestellt, aus der die B die Zwangsvollstreckung betreibt. V verlangt nun von K Wertersatz für das Grundstück und zieht dabei die empfangene Kaufpreisrate ab. In Betracht kommt ein Anspruch des V aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 iHd. Belastung des Grundstücks. Die Rücktrittsvoraussetzungen (§§ 437 Nr. 2, 435, 323 Abs. 1) liegen vor, wobei V den Rücktritt nach § 349 erklärt und K das Grundstück iSd. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 belastet hat. Danach könnte der Anspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bestehen.

Dem folgt der BGH jedoch nicht. Denn der vorrangige Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer aus § 346 Abs. 1 sei noch nicht in eine Wertersatzhaftung übergegangen, sondern bestehe weiter fort: Der Verkäufer müsse daher vom Käufer Rückgabe des Grundstücks und Beseitigung des Grundpfandrechts verlangen (Tz. 18). Die Entscheidung knüpft an einen im Schrifttum geführten Streit um die Frage an, unter welchen Voraussetzungen die Wertersatzhaftungstatbestände der § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 an die Stelle des Anspruchs aus § 346 Abs. 1 treten. Der BGH schließt sich dabei der im Schrifttum hM. an, die auf Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 bis 3) abstellt.610 In den § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 komme nämlich der allgemeine Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass der Rückgewährschuldner in allen Fällen, in denen ihm die Rückgewähr der empfangenen Leistung unmöglich ist, zum Wertersatz verpflichtet sei (Tz. 18). Die überzeugendere Gegenauffassung folgt dem nicht, sondern stellt auf die in § 346 Abs. 2 Satz 1 aufgeführten Tatbestände ab. Sobald deren Voraussetzungen vorliegen, tritt danach der Anspruch aus § 346 Abs. 1 610 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXXVII; Annuß JA 2006, 184, 186; Armbrüster EWiR 2002, 869, 870; Arnold Jura 2002, 154, 157; Ehman/Sutschet S. 139; NK-BGB/ Hager § 346 Rn. 37; M. Schwab JuS 2002, 630, 632.

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zurück.611 Diese Einzeltatbestände setzen häufig, aber nicht stets Unmöglichkeit der Rückgewähr in natura voraus. Der Unterschied zwischen beiden Auffassungen liegt darin, dass der BGH den Käufer zu einer Beseitigung von Beeinträchtigungen an der Kaufsache zwingt, die in den Bereich der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 hineinreichen kann. Nach Maßgabe der vorliegenden Entscheidung ist der Käufer etwa solange zur Beseitigung des Leistungshindernisses verpflichtet, bis Unmöglichkeit eintritt. Dies erscheint deshalb bedenklich, weil § 346 Abs. 1 kein Vertretenmüssen voraussetzt. Auch schenkt das Gericht dem Wortlaut des § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nicht genügend Beachtung. Nach diesem genügt bereits die Belastung der Kaufsache für die Entstehung der Wertersatzhaftung. Die Norm verlangt aber nicht die Unmöglichkeit der nachträglichen Beseitigung einer bestehenden Belastung. Denn aus gutem Grund vermutet das Gesetz unwiderleglich, dass der Käufer die Kaufsache nicht in natura zurückgeben kann, wenn er sie etwa mit einem Pfandrecht belastet hat. So schützt es den Verkäufer, der regelmäßige keinen Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Käufers nehmen kann, vor dem wenig aussichtsreichen Versuch, einen Käufer, gegen den gerade die Zwangsversteigerung betrieben wird, zur Ablösung der Grundschuld zu zwingen! Für die Betrachtungsweise der Gegenauffassung spricht ferner, dass § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 die gesetzgeberische Wertentscheidung zugrunde liegt, im neuen Rücktrittsrecht nur eine „Rückabwicklung dem Werte nach“ zu eröffnen:612 Der Verkäufer hat im Rahmen des § 346 Abs. 1 nur insoweit einen Anspruch auf die Kaufsache selbst, wie diese sich noch in natura im Käufervermögen befindet. Ist dort nur noch ihr Wert vorhanden, wird der Verkäufer auf den Wertersatzanspruch nach 346 Abs. 2 verwiesen. Dies entspricht dem System des § 818, dem § 346 Abs. 1 und 2 nachgebildet sind (Rn. 269ff.). Auch dort findet der Übergang von § 818 Abs. 1 (Herausgabe des Erlangten in Natur) zu Abs. 2 (Wertersatz) dann statt, wenn der Schuldner die Sache nicht mehr in Natur besitzt. Grenzte man § 346 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 hingegen anhand des Unmöglichkeitskriteriums ab, käme es gerade im Falle des Wertersatzanspruchs nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 darauf an, ob der Rückgewährschuldner die beschädigte Sache selbst reparieren oder in irgendeiner Form wiederbeschaffen kann. Dies liefe aber – wie bereits erwähnt – auf eine Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 hinaus. So weit will der BGH in der vorliegenden Entscheidung indes nicht gehen (Tz. 23f.). Die Beseitigung einer Kreditsicherung beinhaltet seiner Auffassung nach keine Naturalrestitution, sondern bedeute nur die Aufgabe einer anhaltenden Nutzung (Tz. 26). Dieser Argumentation liegt leider ein 611 Benicke ZGS 2002, 369, 371; Döll, Rückgewährstörungen beim Rücktritt, 2011, S. 104ff.;

Fest ZGS 2008, 78, 82ff.; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 39; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 153f.; Kohler AcP 214 (2014) 362, 372ff.; S. Lorenz NJW 2005, 1889, 1892f.; BeckOGK/Schall § 346 Rn. 453ff. 612 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 194, rechte Spalte, vierter Absatz; wie hier Staudinger/Kaiser (Bearb. 2004) § 346 Rn. 153 und allgemeiner nun Rn. 158.

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schwer auflösbarer Widerspruch zugrunde, der durch konsequente Anwendung des Normwortlautes der § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 zu vermeiden ist. cc) Der Schutz des subjektiven Äquivalenzverhältnisses nach § 346 Abs. 2 Satz 2

Nach § 346 Abs. 2 Satz 2 tritt die Gegenleistung an die Stelle des Wertersatzes. Bei Zerstörung der Kaufsache wird daher ihr Wert nicht anhand des Marktpreises oder eines Wertgutachtens ermittelt, sondern auf der Grundlage des vereinbarten Kaufpreises berechnet. Der Gesetzgeber begründet diesen Schritt mit der Überlegung, dass für die Bestimmung des Werts der Kaufsache die im Kaufvertrag ausgedrückten Bewertungen der Parteien maßgeblich bleiben sollen, da die Störung allein die Rückabwicklung, nicht aber die von den Parteien privatautonom ausgehandelte Entgeltsabrede betreffe (vgl. im Wortlaut Rn. 287).613 Damit bleibt das von den Parteien gebildete Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (subjektives Äquivalenzverhältnis) auch für die Rückabwicklung maßgeblich. Für diese Regelung spricht zunächst, dass die Parteien selbst die Kaufsache in einer bestimmten Höhe bewertet haben und dass ihnen Wertungen Dritter nicht aufgedrängt werden dürfen. Ökonomisch wird dies als Hedging-Effekt verstanden: Durch Bestimmung des Wertverhältnisses schützt sich der Verkäufer vor dem Risiko des Preisverfalls, der Käufer aber vor den Gefahren einer möglichen Preissteigerung.614 Allerdings beruht der Gerechtigkeitsgedanke des § 346 Abs. 2 Satz 2 darauf, dass beide Vertragsseiten den Wert der Sachleistung in privatautonomer Weise vereinbart haben. Der BGH befürwortete daher eine teleologische Reduktion der Norm im Fall eines in einer AGAV-Situation (§ 312b) zustande gekommenen Partnerschaftsvermittlungsvertrags, dessen Rückabwicklung gemäß altem Recht über die §§ 346ff. erfolgte. Hier wendete der BGH § 346 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz mit folgender Begründung nicht an:615 Die Norm beruhe auf dem Rechtsgedanken, dass Käufer und Verkäufer durch ihre Einigung ein in sich gerechtes Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung geschaffen hätten, das Auskunft auch über den Wert der zurückzugewährenden Leistung geben könne. Bei einem AGAV-Geschäft greife dieses Argument jedoch nicht, weil die Entscheidung des Verbrauchers gerade nicht fehlerfrei privatautonom getroffen worden sei, sondern unter dem Einfluss der in § 312 unwiderleglich vermuteten Überrumpelungsgefahr (Tz. 26).616 Der Gesetzgeber hat den zugrunde liegenden Rechtsgedanken bei der Schaffung von Normen wie §§ 357 Abs. 8 Satz 5, 357a Abs. 2 Satz 4 und 357d Satz 2 aufgegriffen und für die Rechtsfolgen des Verbraucherwiderrufs verallgemeinert: Stets kann der VerRegE BT-Drucks. 14/6040, S. 196. J. Flume AcP 215 (2015) 283, 289. BGH, Urt. v. 15.4.2010 – III ZR 218/09 = BGHZ 185, 192 = NJW 2010, 2868, Tz. 26. Ebenso Staudinger/Kaiser § 357 Rn. 35; vgl. dazu allerdings auch Arnold/Dötsch NJW 2003, 187, 188; Benicke ZGS 2002, 369, 372; Grigoleit NJW 2002, 1151, 1154; Schinkels ZGS 2005, 179, 184. 613 614 615 616

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braucher hier einwenden, dass die von ihm geschuldete Gegenleistung über Marktniveau lag und deshalb keine Referenzqualität besitzt. Auch im Falle eines Darlehensvertrages kann der Darlehensnehmer nachweisen, dass der mit dem Darlehen verbundene Gebrauchsvorteil niedriger war (§ 346 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz). Der Gesetzgeber will es dem Verbraucher damit ermöglichen, nur den Marktzins, nicht aber einen erhöhten vertraglichen Zins rückzuerstatten.617 Die Norm erklärt sich aus den Besonderheiten des Darlehens, wo der Darlehensgeber (typischerweise eine Bank) einem Verbraucher regelmäßig an Verhandlungsstärke deutlich überlegen ist, so dass im vertraglich vereinbarten Zins nicht notwendig ein gerechter Interessenausgleich zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt (vgl. zur Richtigkeitsgewähr der vertraglichen Einigung Rn. 227). Freilich ist der Anwendungsbereich der Norm nicht auf Verbraucher beschränkt. Schließlich dürfte auch im Fall der arglistigen Täuschung des Käufers (Rn. 290) § 346 Abs. 2 Satz 2 aus ähnlichen Überlegungen heraus keine Anwendung finden. § 346 Abs. 2 Satz 2 wird nicht selten als Bruch mit der systematischen Zielsetzung des § 346 kritisiert, den Zustand wiederherzustellen, der vor dem Leistungsaustausch bestand.618 Eine neuere Auffassung möchte deshalb § 346 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz nur als Beweiserleichterung zugunsten des Käufers verstanden wissen; grundsätzlich solle nur auf Marktwerte gehaftet werden.619 Das System der §§ 357 Abs. 8 Satz 5, 357a Abs. 2 Satz 4 und 357d Satz 2 (Rn. 286) verweist jedoch in eine andere Richtung. Auch wird man entgegenhalten müssen, dass der Rücktritt gerade nicht wie der Ersatzanspruch aus culpa in contrahendo darauf abzielt, den Käufer so zu stellen, als sei der Kaufvertrag nicht geschlossen worden (Rn. 232, 269). Vielmehr lassen die in § 346 geregelten Rechtsfolgen den Bestand des Kaufvertrages auch auf der Wertungsebene unberührt. Haben die Parteien daher im Vertrag übereinstimmend einen Wert für die Kaufsache angesetzt, spricht nichts dagegen, diese Bewertung den Wertersatzansprüchen zugrundezulegen: (BGH 19.11.2008 – VIII ZR 311/07 = BGHZ 178, 355 = NJW 2009, 1068) Die G schließt mit dem Fahrlehrer S folgende Vereinbarung. S soll den Wallach der G (Wert: 6.000 €) erhalten, wenn S im Gegenzug alle Aufwendungen der G für das Bestehen der Führerscheinprüfung übernimmt (Fahrstunden, Theoriestunden, Prüfungsgebühr usw.). Zunächst nimmt G bei S 24 Fahrstunden, wechselt dann jedoch im Einverständnis mit S zu einer anderen Fahrschule. Dort entstehen ihr Aufwendungen iHv. 1.531,72 €, deren Ersatz sie von S verlangt. Dieser reagiert auf eine Fristsetzung der G nicht, so dass diese vom Vertrag zurücktritt. Das Pferd hat S jedoch nach eigener Auskunft mittlerweile seiner Tochter geschenkt. G verlangt daher Wertersatz iHv. 6.000 €. Der Anspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 kommt hier in Betracht, wenn die Voraussetzungen eines Rücktritts nach § 323 Abs. 1 vorliegen. Nach der ursprünglichen Vereinba617 BT-Drucks. 14/9266, S. 45; zu den Hintergründen MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 22. 618 Kaiser JZ 2001, 1057, 1059; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 160; Fest ZGS 2009, 126, 129; Gaier

WM 2002, 1, 9. 619 Kohler AcP 213 (2013) 46, 95.

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rung sollte S die Kosten für die Führerscheinprüfung der G wohl in erster Linie durch Eigenleistung erbringen. Wenn er nachträglich mit dem Wechsel der G zu einem anderen Fahrlehrer einverstanden ist, liegt darin eine Vertragsänderung, die den Anspruch der G auf Vornahme von Leistungen in einen Zahlungsanspruch verwandelt. Wenn S daher die ihm nach § 323 Abs. 1 gesetzte Frist zur Zahlung ungenutzt verstreichen lässt, kann G den Rücktritt erklären und der Anspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ist eröffnet.

Vorliegend stellte sich vor allem die Frage, wie der Wertersatzanspruch nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 berechnet wird: nach dem objektiven Wert des Pferdes (6.000 €) oder nach dem Wert der vom Fahrlehrer insgesamt geschuldeten Leistungen (1.531,72 € zuzüglich des Wertes der erbrachten Eigenleistungen). Den zweiten Weg zeichnet § 346 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz vor. Im Schrifttum620 ist dagegen eingewendet worden, der Zweck der Norm beschränke sich auf eine Vereinfachung der Berechnung des Wertes der zurückzugewährenden Leistung. Dieser aber könne vorliegend nicht erreicht werden: Denn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei völlig offen, welche Kostenbelastung auf den Fahrlehrer zukäme. Die Gesamtkosten hingen ex ante betrachtet von der Auffassungsgabe und Lernfähigkeit der Fahrschülerin ab und beinhalteten folglich ein Risikoelement. Der Fall stelle sich mit anderen Worten so dar, als bestünde die Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in einem Lotterielos. Deshalb müsse § 346 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz teleologisch reduziert werden und könne keine Anwendung finden. Der BGH hingegen wendet die Norm auch dann an, wenn die Gegenleistung nicht beziffert ist, weil sich aus deren Wortlaut nichts Anderes ergebe (Tz. 10f.). Man wird ergänzen müssen, dass sich der Normzweck nicht auf eine bloße Berechnungsvereinfachung beschränkt. Denn bereits in den Materialien heißt es dazu: „Das grundsätzliche Festhalten an den vertraglichen Bewertungen erscheint interessengerecht, da die aufgetretene Störung allein die Rückabwicklung, nicht aber die von den Parteien privatautonom ausgehandelte Entgeltabrede betrifft.“621

§ 346 Abs. 2 Satz 2 dürfte daher ein ähnlicher Rechtsgedanke wie § 307 Abs. 3 zugrunde liegen: In einer marktwirtschaftlichen Ordnung dürfen die Gerichte nicht den Inhalt der von den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten auf „Gerechtigkeit“ prüfen. Im Rahmen der Rückabwicklung nach § 346 aber besteht die Gefahr, dass die Gerichte bei der Berechnung des Wertersatzes ihre eigene Auffassung vom Wert von Leistung und Gegenleistung an die Stelle der Vorstellung der Parteien setzen. Dies widerspricht aber der subjektiven Preisund Wertbildung in einer Marktwirtschaft. Zu Recht widerspricht das Gericht auch einer weiteren Auffassung, nach der die Norm keine Anwendung finden dürfe, wenn der Empfänger der zurückzugewährenden Leistung sich einerseits in Zahlungsverzug befinde und die Leistung andererseits unterhalb des Marktpreisniveaus erhalten habe.622 Offensicht620 Fest ZGS 2009, 126, 131f.; vgl. nun auch Kohler AcP 213 (2013) 45, 49. 621 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 196, linke Spalte. 622 Canaris, in: FS Wiedemann, 2002, S. 3, 22f.

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lich geht es dieser Auffassung um einen an § 242 orientierten Treuegrundsatz: Wer sich selbst vertragsuntreu verhält, soll sich nicht auf das für ihn günstige Wertverhältnis berufen dürfen. Der BGH teilt diese Auffassung zu Recht nicht (Tz. 13). Denn schon die Klärung der Frage, ob das subjektive Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung für die untreue Seite „günstig“ ist, würde eine richterliche Preiskontrolle nach sich ziehen. In § 346 Abs. 2 Satz 2 geht es aber nicht um den Schutz von Treu und Glauben, der wohl stets Vertragstreue auf der Seite desjenigen voraussetzt, der sich auf § 242 beruft („who comes to equity must come with clean hands“). Die Norm erspart den Gerichten eine Preis- und Wertkontrolle (hier: der Wert einer Führerscheinprüfung für einen durchschnittlich begabten Schüler) und verhindert so, dass an die Stelle der subjektiven Preis- und Wertbildung der Vertragsparteien eine objektive Bewertung durch den Richter tritt. Danach berechnet sich der Wertersatzanspruch der G nicht nach dem allgemeinen Wert des Pferdes, sondern nach dem Wert der für dieses angesetzten Gegenleistungen (= Kosten des Führerscheins).

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Allerdings besteht gerade im Mangelfall Anlass zu einer teleologischen Reduktion des § 346 Abs. 2 Satz 2. Denn hier bleibt die Kaufsache in ihrer Istbeschaffenheit hinter der im Vertrag vorausgesetzten Sollbeschaffenheit zurück. Darin liegt wiederum eine Störung des von den Parteien geschaffenen, subjektiven Äquivalenzverhältnisses. Wenn der Käufer daher bereit war, für die Sache in mangelfreiem Zustand einen bestimmten Kaufpreis zu zahlen, haftet er nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bei deren Untergang nicht in voller Höhe des angesetzten Kaufpreises, sondern auf einen anteilmäßig herabgesetzten Betrag. Zutreffend wird hier ein Abzug analog § 441 Abs. 3 (Minderung) vom angesetzten Kaufpreis vorgenommen.623 Fraglich ist weiter, ob der Maßstab des § 346 Abs. 2 Satz 2 hinter einem niedrigeren Marktpreis zurücktritt: V hat K einen PC vom Typ X für 3.500 € verkauft. Nach 5 Monaten zeigt sich indes ein Mangel, dessen Reparatur (Kosten: 350 €) V jedoch trotz Nachfristsetzung des K ablehnt. Durch erhebliche Unachtsamkeit des K wird das Gerät daraufhin zerstört. K erklärt nun den Rücktritt vom Kaufvertrag. Weil ein Nachfolgemodell erschienen ist, ist Typ X mittlerweile für 1.800 € im Handel erhältlich. In Betracht kommt hier ein Anspruch des V gegen K aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, von dem sich K nicht nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 entlasten kann. Denn nach Kenntnis des Rücktrittsgrundes hat er auch einfache Fahrlässigkeit zu vertreten (Rn. 312). Deshalb haftet K auf den Wert des Computers: Dieser beträgt auf der Grundlage des § 346 Abs. 2 Satz 2 zunächst 3.500 € abzüglich des Minderungsbetrags nach § 441 Abs. 3 iHd. Reparaturkosten von 350 €, also 3.150 €. Ein altersbedingter Wertverfall dürfte ebenfalls in Abzug zu

623 BGH NJW 2011, 3085, Tz. 11 für den Werkvertrag; Arnold Jura 2002, 154, 157; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXXIX; Gaier WM 2002, 1, 9; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 161; Petersen Rn. 180; Reischl JuS 2003, 667, 670; Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 684; G. Wagner, in: FS U. Huber, 2006, S. 591, 603f.

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bringen sein. Ausgehend davon haftet K auch für die aus dem Computer gezogenen Nutzungen nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. Fraglich ist, ob K sich gegenüber V auf den mittlerweile gesunkenen Marktpreis berufen darf.

Im Schrifttum ist im ersten Stadium der Beratung der Schuldrechtsreform die Auffassung vertreten worden, § 346 Abs. 2 Satz 2 müsse in seinem Anwendungsbereich teleologisch reduziert werden, da als Höchstwert der Marktpreis der Sache anzusetzen sei, damit dem Verkäufer kein unverdientes Geschenk zufalle.624 Dies lehnt die ganz hM. zu Recht ab.625 Der Gesetzgeber wollte durch Einführung der Norm gerade eine Preiskontrolle verhindern. Vor ungünstigen Verhandlungsergebnissen ist der Käufer unterhalb der durch §§ 105, 138 Abs. 1 gezogenen Schwellen im BGB nicht geschützt, auch nicht durch § 346 Abs. 2 Satz 2. Dies gilt auch im vorliegenden Fall, wo sich allerdings zusätzlich die Frage stellt, wer das Risiko der Wertentwicklung zu tragen hat. Die Überlegungen in den Gesetzesmaterialien zu diesem Problem sind teilweise nicht durchdacht: So soll der Käufer unter den Voraussetzungen der §§ 119 Abs. 2, 123 den Kaufvertrag anfechten können.626 Der Marktwert stellt jedoch keine Eigenschaft iSd. § 119 Abs. 2 dar, ganz abgesehen davon, dass die Norm durch das Sachmängelhaftungsrecht verdrängt ist (Rn. 478). In den Materialien heißt es auch, dass der Käufer das Risiko eines Preisverfalls nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 nicht zu tragen habe.627 Dies widerspricht aber gerade der Regelung des § 346 Abs. 2 Satz 2. Eine im Schrifttum verbreitete Meinung berechnet den Wert der Kaufsache daher im Falle des Nutzungsersatzes (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) nach dem Zeitpunkt des Leistungsaustausches und im Falle des Wertersatzes (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3) nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Werteinbuße. Dies kommt wiederum nur in Betracht, wenn gerade keine Gegenleistung vereinbart ist (§ 516).628 Wurde hingegen – wie beim Kauf – eine Gegenleistung vertraglich festgesetzt, tragen die Parteien das Risiko der für sie ungünstigen Abweichung vom vereinbarten Kaufpreis durch die Marktentwicklung. Dadurch kommt es allerdings zu einem vermeintlichen Widerspruch zum Bereicherungsrecht im Fall der arglistigen Täuschung: (Fallabwandlung) Hat V im Fall wider besseres Wissen den Mangel verschwiegen, kann K alternativ zum Rücktritt nach § 123 Abs. 1 anfechten. Nun schuldet er dem V nur Wertersatz nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 2 und kann den Überschuss herausverlangen.

In den Fällen einer vom Verkäufer verübten arglistigen Täuschung über den Wert der Kaufsache, muss indes ein bereits erörterter Rechtsgedanke zur An624 J. Hager, in: Ernst/Zimmermann, S. 429, 450. 625 BGH NJW 2011, 3085, Tz. 4; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 163; vgl. ferner Fest, Der Einfluss

der rücktrittsrechtlichen Wertungen auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nichtiger Verträge, 2006, S. 101; Giesen, in: GS Heinze, 2005, S. 233, 237ff. 626 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 196. 627 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 193f. 628 Str., vgl. MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 44; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 168 mwN.

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wendung kommen (vgl. Rn. 286): § 346 Abs. 2 Satz 2 ist als Ergebnis einer teleologischen Reduktion dort nicht anwendbar, wo eine Vertragspartei bei Vertragsschluss keine privatautonome Entscheidung über die Höhe des Kaufpreises treffen konnte. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Käufer den wahren Wert der Kaufsache nicht kennt, weil ihn der Verkäufer über diesen täuscht. Ansonsten unterscheiden sich Bereicherungsrecht und Rücktrittsrecht gerade darin, dass die Bereicherungshaftung auf nichtige Verträge anwendbar ist, die Rücktrittshaftung aber eine noch wirksame vertragliche Einigung voraussetzt. Deshalb wird im Bereicherungsrecht nach Marktwerten gehaftet, im Rücktrittsrecht nach Vertragswerten (§ 346 Abs. 2 Satz 2; Rn. 287). In § 346 Abs. 2 Satz 2 spiegelt sich schließlich die bereicherungsrechtliche Theorie von der Opfergrenze:629 V hat K einen Gebrauchtwagen verkauft (Kaufpreis: 10.000 €; Fahrzeugwert trotz Unfallschadens: 12.000 €). K zerstört das Fahrzeug bei einem Straßenverkehrsunfall. Der Schrotthändler macht K dabei auf den von V arglistig verschwiegenen Unfallschaden des Fahrzeugs aufmerksam. Tritt K vom Vertrag zurück, haftet er auf den vom Kaufpreis abweichenden höheren Wert nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 wegen § 346 Abs. 2 Satz 2 nicht. Ficht K den Kaufvertrag hingegen nach § 123 Abs. 1 an, haftet er dem V auf Wertersatz nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 2. Fraglich ist, ob er sich iHv. 2.000 € auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3) berufen darf.

Von Canaris stammt die Überlegung, dass § 818 Abs. 3 bei jeder Art von Entreicherung eine Restbedeutung als Opfergrenze beinhalte.630 Die §§ 812ff. schützten nämlich das Vertrauen des gutgläubigen Käufers in die Dauerhaftigkeit des Erwerbs. Wenn der Käufer die Kaufsache daher mutwillig zerstöre oder verschenke, gehe er zwar ein bewusstes Vermögensopfer ein (dazu Rn. 272). Die Höhe dieses Vermögensopfers ist jedoch aus seiner Sicht wertmäßig durch den ursprünglich für die Sache gezahlten Kaufpreis begrenzt: Die Sache war für den Käufer so viel wert, wie er an den Verkäufer für sie gezahlt hat; ihr Verlust ist deshalb so hoch wie der Kaufpreis. Danach kann sich der Käufer bei einem den Kaufpreis übersteigenden Wert der Kaufsache stets auf Entreicherung berufen. dd) Tatbestände (§§ 346 Abs. 2 Satz 1, 347 Abs. 1) 292

(1) Nutzungsersatz nach Nr. 1 und § 347 Abs. 1. Wertersatz ist nach § 346

Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zu leisten, wenn die Rückgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist. Teilweise befinden sich Nutzungen als Sachen im Eigentum des Käufers (das Kalb der zurückzugewährenden Kuh; zum Nutzungsbegriff Rn. 277) und können folglich nach § 346 Abs. 1 zurückgewährt werden. Für eine Vielzahl von Nutzungen, insbesondere die unter den Nutzungsbegriff 629 Vor allem Larenz/Canaris II/2 § 73 III 6a. 630 Larenz/Canaris II/2 § 73 III 6a.

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nach § 100 fallenden Gebrauchsvorteile, kommt eine Rückgabe in Natur jedoch von vornherein nicht in Betracht.631 Hier ist § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 anwendbar. Der Anspruch beruht auf dem Prinzip der Rückabwicklung dem Werte nach (Rn. 269) und schützt den Rücktrittsgläubiger (hier: Verkäufer) vor allem im systematischen Zusammenspiel mit § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3: Haftet der Käufer etwa nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz nicht für den Wertverlust, der infolge bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme der Kaufsache entstanden ist, muss er doch für die mit der Ingebrauchnahme korrespondierenden Gebrauchsvorteile nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 geradestehen. Eine Lücke bleibt allerdings dort, wo der Wertverlust gerade nicht mit der Ziehung von Nutzungen iSd. § 100 korrespondiert (Erstzulassung eines Kfz). Dann trifft allein den Verkäufer das Risiko des Wertverlustes nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, was gerechtfertigt erscheint, weil er für den Rücktrittsgrund verantwortlich ist.632 Im Schrifttum wird dagegen auch die These vertreten, der Nutzungsersatz falle unter § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3. Denn dort wirke nur die Ingebrauchnahme haftungsbefreiend, nicht aber der weitere Gebrauch. Begründet wird diese These damit, dass die Verschlechterung der Sache und die gezogenen Nutzungen in einem inneren Zusammenhang zueinander stünden.633 Dies überzeugt jedoch gerade nicht, wie sich an Sachen zeigt, deren Wert im Laufe der Zeit nicht abnimmt (Edelsteine, Immaterialgüterrechte, Grundstücke). Der BGH hat eigens darüber entscheiden müssen, dass § 475 Abs. 3 (Rn. 224) dem Nutzungsersatzanspruch nach § 347 Abs. 2 Satz 1 im Falle des Rücktritts nicht entgegensteht. Denn die Norm ist ihrem Wortlaut nach bedenklich weit. Danach ist § 439 Abs. 5 auf Verbrauchsgüterkäufe mit der Maßgabe anzuwenden, dass Nutzungen nicht herauszugeben oder durch ihren Wert zu ersetzen sind. Diese Norm setzt aber nur die Grundsätze der Quelle-Entscheidung des EuGH um (Rn. 224). Dabei ging es um den Nutzungsersatz für die mangelhafte Kaufsache im Falle der Nachlieferung. Der BGH stellt zu Recht darauf ab, dass der Käufer beim Rücktritt im Gegensatz zur Nachlieferung den Kaufpreis nebst Zinsen zurückerhalte und deshalb seinerseits auf Nutzungsersatz haften müsse. Auch sieht der 15. Erwägungsgrund der VerbrGüterKRiL die Möglichkeit eines Nutzungsersatzes vor.634 Man wird ergänzen dürfen, dass im Fall des §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 eine vollständige Rückabwicklung stattfindet, zu der auch der Ersatz für die gezogenen Nutzungen zählt, während sich im Fall der Nachlieferung (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 zweiter Fall) die Frage stellt, ob der Käufer für die Folgen der Fehlleistung des Verkäufers im Wege des Nutzungsersatzes aufkommen muss, da er von Anfang an einen Anspruch auf eine mangelfreie Sache hat (Rn. 226).

631 632 633 634

Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 114. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 193. S. Martens AcP 210 (2010) 689, 694 und 698. BGHZ 182, 241 = NJW 2010, 148, Tz. 15.

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Die Berechnung des Wertersatzes erfolgt unter Berücksichtigung des § 346 Abs. 2 Satz 2 im Wege einer linearen Teilwertabschreibung.635 Der zwischen den Parteien vereinbarte Kaufpreis wird auf die übliche Lebensdauer der Kaufsache umgerechnet. Dabei ist der Bruttopreis anzusetzen, weil dieser auch vom Käufer geschuldet ist.636 Der Käufer schuldet dann den Teil des Kaufpreises, der seiner Nutzungszeit entspricht. Über die Linearität wird fingiert, dass der Wertverzehr während der Nutzungszeit gleichmäßig erfolgt. Fraglich ist, ob diese Berechnungsart auch bei einem Gegenstand Anwendung findet, der keinem Wertverzehr im Lauf der Zeit unterliegt. Der BGH hat die Anwendbarkeit für den Hauskauf bejaht.637 Ansonsten reagiert das Schrifttum ablehnend.638 Dies erscheint indes mit Blick auf die steuerrechtliche Abschreibung, die ebenfalls rein technisch und nicht nach dem wahren Wertverzehr vorgenommen wird, nicht zwingend. Ferner liegt keine ernsthafte Alternative darin, auf die potenziellen Miet- oder Pachterträge der Kaufsache abzustellen,639 weil diese ihrerseits regelmäßig Grundlage für die Ermittlung des Kaufpreises einer Immobilie sind. § 346 Abs. 2 Satz 2 legt es in einem solchen Fall vielmehr nahe, unmittelbar auf den Kaufpreis und damit die Vorstellungen der Parteien über die aus Pacht und Miete fließenden Zahlungsströme abzustellen.640 Fraglich ist weiter, ob das Prinzip des § 346 Abs. 2 Satz 2 nicht auch das Verhältnis der von beiden Seiten einander zu ersetzenden Nutzungen beeinflusst. Nach einer von S. Martens641 vertretenen These dürfen Ansprüche des Käufers und des Verkäufers auf Nutzungsersatz nicht isoliert abgerechnet werden, will man nicht gerade das subjektive Äquivalenzverhältnis zerstören. Denn Käufer und Verkäufer hatten ursprünglich vereinbart, dass die Nutzungsmöglichkeit an der Kaufsache dem Wert der Nutzungsmöglichkeit am Kaufpreis entspreche. Werden daher Kaufsache und Kaufpreis zurückgewährt, heben sich beide Nutzungswerte auf und es bedarf keiner isolierten Abrechnung, weil jede Seite entsprechend der im Kaufvertrag festgelegten Wertrelation gleichwertige Nutzungsmöglichkeiten erzielte. Berücksichtigt man hier, dass zugunsten des Käufers in Höhe des mangelbedingten Minderwerts ein Abschlag analog § 441 Abs. 3 vorzunehmen ist (Rn. 289), leuchtet dieser Rechtsgedanke mit Blick auf das praktische Fallmaterial ein:

635 BGHZ 164, 235 = NJW 2006, 53, Tz. 16ff.; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 255ff.; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 27. 636 BGH NJW 2014, 2435, Tz. 11ff.: Zum Nutzungswertersatz darf aber nicht die Umsatzsteuer hinzugerechnet werden (Tz. 13); der Käufer müsste nämlich sonst anteilmäßig einen höheren als den seinerzeit vereinbarten Kaufpreis entrichten (Tz. 17). 637 BGHZ 164, 235 = NJW 2006, 53, Tz. 16ff.; dazu jetzt allerdings kritisch Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 264ff. 638 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 272; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 28; kritisch dazu S. Martens AcP 210 (2010) 689, 696. 639 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 272. 640 Ähnlich S. Martens AcP 210 (2010) 689, 699. 641 S. Martens AcP 210 (2010) 689, 713ff., 717ff.

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(OLG Hamm 5.8.2010 – I-28 U 22/10 = ZGS 2011, 54). Der Verkäufer hatte mit dem Kaufpreis einen Kontokorrentkredit zurückgeführt. Anlässlich der Rückabwicklung berechnete das OLG den Wertersatzanspruch des Käufers auch auf der Grundlage der vom Verkäufer ersparten Schuldzinsen auf einem solchen Konto. Im Beispiel räumt das Gericht dem Käufer praktisch über § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 einen Abschöpfungsanspruch auf das vom Verkäufer Erlangte (vgl. § 816 Abs. 1 Satz 1, 687 Abs. 2) ein, was nicht überzeugt. Über § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 soll der Käufer nur so gestellt werden, als habe er über den Kaufpreis nie zugunsten des Verkäufers disponiert. Dann aber hätte er die Summe zu einem durchschnittlichen Zinsertrag anlegen können.

Es entspricht im Übrigen gerade dem Zweck des § 346 Abs. 2 Satz 2, das von den Vertragsparteien geschaffene subjektive Äquivalenzverhältnis nicht durch objektive Wertüberlegungen zu ersetzen. Folgt man diesem zurzeit noch vereinzelt stehenden Ansatz, verliert § 347 Abs. 1 Satz 1 einen Großteil seines Anwendungsbereichs.642 Nach dieser Norm schuldet der Käufer Wertersatz auch dann, wenn er Nutzungen entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht zieht, obwohl ihm das möglich gewesen wäre. Die Norm erscheint auf den ersten Blick systemfremd, da sie nicht unmittelbar auf Rückabwicklung gerichtet ist.643 Teilweise wird sie historisch auf die ursprüngliche Rücktrittsdogmatik zurückgeführt, nach der der Rücktritt zur Ex-Tunc-Nichtigkeit führte.644 Überzeugender scheint jedoch ein anderer Rechtsgedanke: § 347 Abs. 1 Satz 1 orientiert sich insoweit am Rückabwicklungsinteresse, als die Norm den Rücktrittsgläubiger so stellt, als hätte er die Leistung nicht erbracht. In diesem Fall hätte er aus ihr aber Nutzungen in einer durchschnittlichen Größenordnung gezogen.645 Der Gedanke lässt sich wiederum aus Sicht des Käufers so formulieren: Mit Erhalt der Kaufsache trägt der Käufer die Chancen, aber auch die korrespondierenden Risiken einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Sache.646 Dies scheint deshalb gerechtfertigt, weil der Verkäufer regelmäßig die Nutzungsziehung während der bereits verstrichenen Zeit nicht mehr nachholen kann. Mit Bedacht hat der Gesetzgeber in § 347 Abs. 1 kein Vertretenmüssen iSd. § 276 vorausgesetzt.647 Bedenkt man jedoch, dass die Prinzipien ordnungsgemäßer Wirtschaft regelmäßig die nach § 276 Abs. 2 im Verkehr gebotene Sorgfalt konkretisieren, erscheint der Unterschied zu einem echten Vertretenmüssen, das ja stets an objektiven Maßstäben orientiert ist (Rn. 9ff.), nicht groß.648 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers wird bei Geldschulden nicht automatisch in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes (§§ 247 Abs. 1, 288 Abs. 1) gehaftet, weil der Rücktrittsschuldner häufig nicht in der Lage sei, das empfangene S. Martens AcP 210 (2010) 689, 720. Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 6. S. Martens AcP 210 (2010) 689, 696. Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 6; S. Martens AcP 210 (2010) 689, 711. Bartels AcP 215 (2015) 203, 213 im Anschluss an Soergel/Huber 12. Aufl. 1991 Vor § 433 Rn. 7ff. 647 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 197, linke Spalte. 648 Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 11. 642 643 644 645 646

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Geld entsprechend rentierlich anzulegen. Deshalb seien nur die bei ordnungsgemäßer Wirtschaft zu erzielenden Zinsen zu ersetzen.649 Zu denken ist etwa an die für jeden zu erzielenden Sparzinsen oder Zinseinkünfte aus Bundesanleihen. Schließlich darf der in Anspruch genommene Rücktrittsschuldner die hypothetischen Kosten für die Ziehung der Nutzungen abziehen.650 Ab Kenntnis des Rücktrittsgrundes bzw. ab Rücktrittserklärung endet die Obliegenheit des Käufers, Nutzungen aus der Sache zu ziehen, und damit auch der Anwendungsbereich des § 347, da der Käufer nun die Kaufsache an den Verkäufer herausgeben muss.651 Während V und K noch die Modalitäten der Rückgewähr aushandeln, lässt K das Obst an den Bäumen verdorren, pflegt das Kalb nicht usw.

In Betracht kommen in solchen Problemfällen Ansprüche aus Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 (Rn. 315) bzw. wegen eines Nutzungsausfallschadens aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286.652 300

(2) Verbrauch, Belastung usw. nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2. Nach § 346

Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 wird eine Wertersatzpflicht bei Verbrauch des empfangenen Gegenstands (vgl. § 92), bei Veräußerung, Belastung (mit einem dinglichen Recht: Pfand, Nießbrauch usw.) und Umgestaltung geschuldet. Mit dem Fall des Verbrauchs schließt das Gesetz eine Lücke, die ansonsten durch die Ausnahme der bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme in § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 entstünde. X tauscht mit Y einen Apfel gegen eine Birne. Nachdem Y feststellt, dass die Birne verfault ist, verlangt er den Apfel zurück, den X aber bereits aufgegessen hat.

Entspricht es dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einer Sache, dass diese ganz untergeht (Lebensmittel, Kosmetika usw.), muss der Rücktrittsschuldner den Wert in jedem Fall wegen Verbrauchs ersetzen.653 Von besonderem Interesse ist ferner die Umgestaltung; denn der zugrunde liegende Begriff reicht weiter als der der Verarbeitung in § 950, geht es doch darum, mit Mitteln des Wertausgleichs den Zustand wiederherzustellen, der vor dem Leistungsaustausch bestand.654 Deshalb begegnet gerade auch beim Unternehmenskauf die Auffassung, dass die Fortführung des Unternehmens durch den Käufer über einen längeren Zeitraum zu dessen Umgestaltung führe und deshalb die Ersatzpflicht nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 begründen kann (Rn. 244).655 Dies leuchtet angesichts zahlreicher in der Zwischenzeit getroffener unternehmerischer Entschei649 650 651 652 653 654 655

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 197, linke Spalte, letzter Spiegelstrich. Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 14. Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 12; MünchKomm/Gaier § 347 Rn. 4. Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 12. MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 38; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 138. Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 142; aA. MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 40. Gaul ZHR 166 (2002) 35, 56; Picot DB 2009, 2587, 2593; aA. Kindl WM 2003, 409, 413.

B. Käuferrechte

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dungen unmittelbar ein. Bei der Belastung schließlich geht es regelmäßig um die Begründung beschränkt dinglicher Rechte am Eigentum an der Kaufsache (Beispiel Rn. 282). (3) Wertersatzhaftung nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3. Nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 haftet vor allem der Käufer im Falle des Untergangs oder der Verschlechterung der Kaufsache auf Wertersatz, soweit keine bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme vorliegt. Untergang bedeutet dabei die Zerstörung der Kaufsache (= Aufhebung aller Funktionen), Verschlechterung die erhebliche Beeinträchtigung ihrer Funktionsfähigkeit. Beide Tatbestandsmerkmale betreffen den Fall, dass der Käufer die Kaufsache nicht oder nur teilweise zurückgeben kann.656 Dabei kommt es jedoch richtiger Auffassung nach nicht auf Unmöglichkeit iSd. § 275 Abs. 1 oder 2 an, sondern allein darauf, dass sich die Kaufsache nicht oder nur in beschädigtem Zustand im Vermögen des Käufers befindet (str.; dazu bereits Rn. 282f.). Nach überzeugender hM. kommt eine Wertersatzpflicht in Gesamtanalogie von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 in Betracht, wenn der Rückgewährschuldner die Sache nicht herausgeben kann.657 Bei der Zwangsvollstreckung in die Kaufsache etwa passt § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nicht allein, weil die Entstehung des (Pfändungs-)Pfandrechts nicht auf eine freie Entscheidung des Käufers zurückgeht, wie dies in der Norm vorausgesetzt ist. Die Wertersatzhaftung tritt nicht bei bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme ein. Ein Grund für diese Ausnahme liegt darin, dass der Käufer die mit dieser verbundenen Vorteile bereits als Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 schuldet.658 Allerdings reicht der Anwendungsbereich weiter: Denn in den Fällen des Verbrauchsgüterkaufs scheidet ja ein Nutzungsersatz des Käufers nach § 475 Abs. 3 Satz 1 aus (Rn. 224). Dafür sprechen die Grundsätze der Quelle-Entscheidung des EuGH (Rn. 224): Ein vom Verbraucher geschuldeter Nutzungsersatz stünde nämlich der „Unentgeltlichkeit“ der Nacherfüllung iSd. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 VerbrGüterKRiL entgegen. Aus den gleichen Gründen darf der Käufer dann aber nicht über § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 in Anspruch genommen werden. Der Begriff wird durch die von den Parteien getroffene Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 Satz 1), dem gemeinsam vorausgesetzten Verwendungszweck (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) und die Normalbeschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2) konkretisiert.659 Dem Gesetzgeber folgend wollen viele Autoren das Tatbestandsmerkmal eng auslegen: Damit dem Verkäufer kein zu großes Risiko aufgebürdet werde, soll der Ausnahmefall auf den Akt der (ers656 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXXVII; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 153 mwN.; M. Schwab JuS 2002, 630, 631; eigener Ansatz Bartels AcP 215 (2015) 203, 222. 657 BGHZ 175, 286 = NJW 2008, 2028, Tz. 22; BGHZ 178, 182 = NJW 2009, 63, Tz. 18; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002,S. XXXVII; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 149. 658 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 193; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 180. 659 Faust, in: Huber/Faust § 10 Rn. 25.

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§ 2 Der Kaufvertrag

ten) Ingebrauchnahme beschränkt sein.660 Einschlägig ist das in den Materialien genannte Beispiel der Erstzulassung eines Neuwagens.661 Diese Auffassung verkennt jedoch den systematischen Zusammenhang zur Haftung auf Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1: Wertersatz für Gebrauchsvorteile schuldet der Käufer nämlich bereits nach dieser Norm (Rn. 292). Dann aber haftet er für die korrespondierende Wertbeeinträchtigung durch Gebrauch nicht ein weiteres Mal nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3. Diese Überlegungen sprechen dafür, dass das Tatbestandsmerkmal auch den bestimmungsgemäßen Gebrauch erfasst.662 Darunter sind aber alle Abnutzungen der Kaufsache zu verstehen, die bei Ziehung der nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zu vergütenden Nutzungen entstehen. Wird die Sache hingegen bestimmungsgemäß verbraucht (Beispiel: Lebensmittel), findet § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Anwendung (Rn. 300).663 ee) Ausschluss der Ersatzpflicht (§ 346 Abs. 3 Satz 1) 305

(1) Nr. 1. Nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ist die Wertersatzpflicht ausgeschlos-

sen, wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung der Sache zeigt. Nachdem K die Hälfte des von V erworbenen griechischen Salats verzehrt hat, entdeckt er in diesem eine Nacktschnecke. Angewidert verlangt er sein Geld zurück.664 Gegenüber dem Anspruch des K aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kann V hier nicht mit einem Anspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 aufrechnen, weil K sich auf § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 berufen kann: Während des Verzehrs, der einer Umgestaltung wesentlich gleichsteht, hat sich hier gerade ein Mangel gezeigt. Es ist Sache des V, den Nachweis zu führen, dass bei K wegen des bereits verzehrten Salates eine Bereicherung iSd. § 346 Abs. 3 Satz 2 verbleibt, was schwer fallen dürfte.

In der Sache handelt es sich bei § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 um eine Risikoverteilungsnorm,665 die dem Verkäufer die Gefahr der an einem Mangel scheiternden Verarbeitung oder Umgestaltung zuweist. Vor übermäßigen Belastungen ist der Verkäufer durch die Möglichkeit der Abschöpfung von Vorteilen beim Käufer nach § 346 Abs. 3 Satz 2 geschützt. Ein zentraler Grund für die Haftungsbefreiung dürfte darin liegen, dass der Käufer bei einer so späten Entdeckung des Mangels nicht rechtzeitig von seinem Zurückweisungsrecht (Rn. 85ff.) Gebrauch machen kann. Dass er die Sache daher teilweise im Wege der Verarbeitung oder Umgestaltung benutzt hat, ist ihm als Nutzungshandlung nicht zuzu660 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 199; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXXVIf.; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 42; Bamberger/Roth/Grothe § 346 Rn. 44; BeckOK/ H. Schmidt § 346 Rn. 44; Jauernig/Stadler § 346 Rn. 5b. 661 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 196. 662 Ähnlich Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 182; M. Schwab JuS 2002, 630, 632f. 663 Ähnlich Kaiser JZ 2001, 1057, 1061. 664 AG Burgwedel NJW 1986, 2647; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 49. 665 Fest, Der Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertungen auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nichtiger Verträge, 2006, S. 72ff.; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 172.

B. Käuferrechte

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rechnen, da er von dieser bei Kenntnis des Mangels regelmäßig Abstand genommen hätte.666 Es versteht sich, dass der Ausnahmetatbestand daher nicht bei positiver Kenntnis des Käufers vom Mangel vor Verarbeitung und Umgestaltung greift.667 Umstritten ist, ob auch fahrlässige Unkenntnis des Käufers genügt. Dies bejaht eine im Schrifttum vertretene Auffassung mit der Überlegung, dass sich der Mangel bereits dann zeigt, wenn er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar ist.668 Dagegen spricht jedoch ein systematischer Vergleich mit § 346 Abs. 3 Satz 2: Der Verkäufer ist nämlich gegenüber dem Käufer grundsätzlich nur nach Bereicherungsgrundsätzen berechtigt; hier aber setzt die schärfere Haftung nach § 819 Abs. 1 erst bei positiver Kenntnis des Bereicherungsschuldners ein. Schließlich ist der Ausnahmetatbestand des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 erst recht auf den Fall anwendbar, dass der Mangel nach Abschluss der Verarbeitung oder bestimmungsgemäßem Verbrauch auftritt, weil gerade auch hier dem Käufer die Möglichkeit genommen ist, wegen des Mangels umzudisponieren und von der Verarbeitung abzusehen.669 (2) Nr. 2. Ferner ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Gläubiger den

Untergang zu vertreten hat. Dies ist nach hM. vor allem der Fall, wenn die Kaufsache gerade aufgrund des Sachmangels untergeht.670 (BGH 24.11.1976 – VIII ZR 137/75 = BGHZ 67, 359 = NJW 1977, 379 – Schwimmschalter) V verkauft K eine Ölheizung für 20.000 €, die mit einem Kühlsystem betrieben wird. Regelmäßig muss dabei die Kühlflüssigkeit nachgefüllt werden. Ein auf der Kühlflüssigkeit schwimmender Schalter (Schwimmschalter) im Wert von wenigen Euro soll anzeigen, wann dies der Fall ist. Wegen eines Defekts dieses Schalters versagt die Anzeige und die gesamte Heizung wird zerstört. Wenn K hier von V aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 den Kaufpreis zurückverlangt, kann V nicht mit einem Gegenanspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 aufrechnen, wenn K sich auf § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 erster Fall berufen kann.

Die Anwendung des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 erster Fall überzeugt, allerdings setzt der Wortlaut voraus, dass der Gläubiger den Untergang zu vertreten hat. Damit ist eigentlich der Fall einer schuldhaften Herbeiführung oder Nichtbeseitigung des Mangels durch den Verkäufer iSd. § 276 Abs. 1 bezeichnet. Nach zutreffender Ansicht ist das Tatbestandsmerkmal jedoch wie im Falle des § 326 Abs. 2 in einem untechnischen Sinne zu verstehen.671 Es kann nur darum gehen, dass der Verkäufer und nicht der Käufer für die Folgen der Mangelhaftigkeit der 666 Erman/Röthel § 346 Rn. 19; Jauernig/Stadler § 346 Rn. 7a. 667 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 172; NK-BGB/Hager § 346 Rn. 50; Erman/Röthel § 346

Rn. 20. 668 MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 50. 669 Annuß JA 2006, 184, 187; NK-BGB/Hager § 346 Rn. 50; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 172; Krebs DB 2000, Beilage Nr. 14, 1, 13. 670 M. Schwab JuS 2002, 630, 634; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 51; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 192; Reischl JuS 2003, 667, 672; Jauernig/Stadler § 346 Rn. 7. 671 MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 51; Bartels AcP 215 (2015) 203, 221.

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Kaufsache nach der Risikoverteilung im Kaufvertrag verantwortlich ist. Selbstverständlich umfasst die Norm darüber hinaus auch die Fälle des vom Verkäufer iSd. § 276 Abs. 1 zu vertretenden Mangels. Der Anwendungsbereich der Norm ist in der Praxis allerdings bedeutend weiter. Er passt auch, wenn der Käufer im Falle eines Rechtsmangels der Vindikation des wahren Eigentümers ausgesetzt ist (vgl. auch Rn. 148). V hat K ein gestohlenes Gemälde verkauft und geliefert. Weil V das Eigentum auf eine Nachfristsetzung hin nicht vom wahren Eigentümer E beschaffen kann, erklärt K den Rücktritt. Jetzt macht E gegenüber K seinen Anspruch aus § 985 geltend. Fraglich ist, wem K das Gemälde herausgeben muss: dem V auf der Grundlage des § 346 Abs. 1 oder dem E aus § 985.

Richtiger Auffassung nach passt hier der Rechtsgedanke des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 im vorgenannten Sinne.672 Wenn der Käufer nämlich die Sache an den Eigentümer herausgibt, geht sie bei ihm im Verhältnis zum Verkäufer aufgrund eines Umstandes unter, der nach der vertraglichen Risikoverteilung vom Verkäufer zu vertreten ist.673 Die Gegenauffassung, die die Anwendung der Norm auf den Sachmangel beschränken will,674 kann dagegen mit ihrer Idee eines „umgelenkten Rückgewähranspruchs“ des Verkäufers gegen den Käufer und für den Eigentümer nicht überzeugen.675 Denn dieser schützt den Käufer nicht bei direkter Inanspruchnahme durch den Eigentümer aus § 985: Bedient der Käufer nämlich den Anspruch im Hinblick auf eine gestohlene Sache nicht, kann gegen ihn der Vorwurf der Unterschlagung oder Hehlerei erhoben werden. Deshalb überzeugt auch eine ältere zum Pfandrecht ergangene Entscheidung des BGH mit anderer Tendenz nicht.676 Vorliegend ist K also gut beraten, das Gemälde an E herauszugeben. Gegenüber V kann er sich dann auf § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 berufen.

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Nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 zweiter Fall wird der Käufer auch frei, wenn der Schaden beim Verkäufer gleichfalls eingetreten wäre. K hat von V Aktien der X-AG erworben. An diesen bestand ein Pfandrecht des D, das K nicht kraft guten Glaubens hinwegerwerben konnte. Als K deshalb den Rücktritt erklärt, wird über das Vermögen der X-AG die Insolvenz eröffnet. Dem Anspruch des K aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kann V hier nicht den Anspruch aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 entgegenhalten, da K sich auf § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 zweiter Fall berufen kann. Denn die Aktien wären auch bei V wirtschaftlich wertlos geworden.

Der Beispielsfall zeigt den Rechtsgrund der Norm, aber auch eine mit ihr verbundene Gefahr: Dort, wo der zum Untergang führende Schaden sich auch 672 Kritisch Jaeger AcP 215 (2015) 533ff., der eine stärkere Ausrichtung an bereicherungsrechlichen Grundsätzen anmahnt. 673 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 195. 674 Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 67. 675 Bergmann RabelsZ 74 (2010) 25, 68 und 72. 676 BGHZ 73, 317 = NJW 1979, 1203, 1204; zur Problematik auch Müller-Laube AcP 183 (1983) 215, 219ff.

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beim Verkäufer ereignet hätte, kann der Käufer für diesen nicht wegen einer vermeintlichen Pflichtverletzung zur Verantwortung gezogen werden. Denn nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056) konkretisiert sich eine Rechtspflicht nur über ihren persönlichen und sachlichen Schutzzweck. Deshalb wird eine Rechtspflicht auch nur verletzt, wenn es zum Schadenseintritt gerade wegen Verletzung dieses persönlichen und sachlichen Schutzzwecks kommt. Tritt der Schaden nur anlässlich einer Pflichtverletzung auf, steht also die Verletzung des Schutzzwecks nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem eingetretenen Schaden, kann dem Schuldner der Schaden nicht wegen der Pflichtverletzung zugerechnet werden. Die Gefahr des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 aber besteht erkennbar darin, dass der Käufer von Wertpapieren durch Ausübung des Rücktrittsrechts den Verkäufer mit Spekulationsfolgen belasten kann. Denn wäre der Kurs der Aktien im Beispiel gestiegen, hätte der Käufer vom Verkäufer Ablösung der Pfandrechte des Dritten im Wege der Nachbesserung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 erster Fall verlangt. Der Rücktritt eröffnet ihm hingegen bei umgekehrtem Verlauf der Wertentwicklung eine Möglichkeit zur Desinvestition aus der unlukrativen Anlage. Das zugrunde liegende Risiko ist dem Verkäufer indes bei Vertragssschluss bekannt und muss daher von ihm wegen der Verantwortung für den Mangel getragen werden. Allerdings schützt § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 zweiter Fall nicht vor sämtlichen Zufallsschäden: V hat K ein Pferd verkauft. Auf der Weide des K wird es vom Blitz erschlagen. Wenn K hier wegen des Mangels des Pferdes den Rücktritt erklärt (zur Bedeutung des § 323 Abs. 6 in solchen Fällen vgl. Rn. 266), kann K § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nicht einwenden. Denn auf der Weide des V wäre das Pferd nicht vom Blitz erschlagen worden.

Vor Zufallsschäden ist der Käufer ganz allgemein nur unter den Voraussetzungen des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, nicht aber nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 zweiter Fall geschützt.677 Weil § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 aber das Risiko der Verschlechterung bzw. des Untergangs der Kaufsache zwischen den Parteien nach den Verschuldensbeiträgen verteilt, wird verhindert, dass der Käufer durch Ausübung des Rücktritts die Gefahr des Sachuntergangs vollumfänglich auf den Verkäufer „zurückspringen“ lassen kann (dazu noch unten Rn. 309ff.). Denn er hat mit der Übergabe nach § 446 Satz 1 regelmäßig das Sachrisiko übernommen.678 (3) Nr. 3. Den praktisch bedeutsamsten Haftungsausschlussgrund regelt § 346

Abs. 3 Satz 1 Nr. 3. Danach ist der aus einem gesetzlichen Rücktrittsrecht Berechtigte nicht verantwortlich, wenn die Verschlechterung oder der Untergang bei ihm eingetreten ist, obwohl er diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in ei-

677 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 198. 678 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 199 unter Bezug auf die Grundsatzdiskussion um das „Zurück-

springen“ der Sachgefahr; dazu Schwenn AcP 152 (1952/53) 138, 141ff.; von Caemmerer, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 627ff.; Wieling JuS 1973, 397, 398; E. Wolf AcP 153 (1954) 97, 140ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

genen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Den Zweck der Regelung veranschaulicht dabei folgender Fall: (OLG Karlsruhe 12.9.2007 – 7 U 169/06 = NJW 2008, 925) K hat ein Kfz von V erworben, mit dem er im Straßenverkehr leicht fahrlässig einen Unfall gegenüber D verursacht. Dabei wird das Kfz beschädigt. Anlässlich der Reparatur wird K auf einen vorangegangenen Unfallschaden aufmerksam und tritt vom Kaufvertrag zurück. Kann V von K Wertersatz verlangen? Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 liegen vor, doch könnte dieser nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ausgeschlossen sein, weil K hier die in eigenen Angelegenheiten anzuwendende Sorgfalt, gemessen am Maßstab des § 277, nicht verletzt hat.

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Fraglich ist zunächst, ob das Haftungsprivileg des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 auch im Straßenverkehr passt. Denn nach der Rechtsprechung des BGH gelten die ebenfalls auf die eigenübliche Sorgfalt beschränkten Haftungsprivilegien der § 708 bzw. § 1359 dort gerade nicht, weil im Straßenverkehr kein Raum für eigenübliche Sorgfalt bleibt: Angesichts der besonderen Gefahren kann daher jeder Beteiligte (insbesondere der Beifahrer) die Einhaltung sämtlicher im Verkehr erforderlicher Sorgfaltsmaßstäbe (§ 276 Abs. 2) erwarten (dazu noch Rn. 763).679 Im Rahmen des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 stellt sich die Frage, ob die Rechtsfolgen dieser Norm auf den Ausgleich einer Störung des Wertverhältnisses von Leistung und Gegenleistung bei der Rückabwicklung beschränkt sind oder auch die Nachteile sonstiger allgemeiner Risiken umfassen können.680 Das OLG lehnt jedenfalls die Anwendung der Rechtsprechung zu § 7 Abs. 1 StVG auf § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ab, da der Verkäufer nicht am Unfallgeschehen beteiligt sei, also nicht in den Schutzbereich dieser Rechtsprechung falle. Nach einer im Schrifttum vertretenen Gegenauffassung entfällt die Haftungsausnahme des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 jedoch in diesem Fall. Denn die Norm stelle nur sicher, dass der Käufer die Sache wie ein Eigentümer behandeln dürfe. Sei dem Eigentümer aber eine bestimmte Art des Gebrauchs untersagt, könne auch der Käufer nicht privilegiert sein.681 Tatsächlich beruht § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 auf einem Ausgleich zweier widerstreitender Interessen: Einerseits hat der Verkäufer dem Käufer die Verschaffung von Eigentum versprochen (§ 433 Abs. 1 Satz 1). Ein Eigentümer kann aber mit der Sache nach Belieben verfahren (§ 903 Satz 1). Dann muss der redliche Käufer, der die Kaufsache zu Eigentum erworben hat, nicht damit rechnen, diese irgendwann einmal herauszugeben und für ihre Integrität zu haften. Andererseits droht aber bei Ausübung des Rücktrittsrechts nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 die Gefahr eines Selbstwiderspruchs (venire contra factum

679 BGHZ 46, 313 = NJW 1967, 558 (§ 708); BGHZ 63, 51 = NJW 1974, 2124 (§ 1359). 680 Dazu BeckOGK/Schall § 346 Rn. 607ff., der selbst überzeugend für eine erweiterte An-

wendung plädiert. 681 Gsell NJW 2008, 912, 913 in Anlehnung an Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 182f.

B. Käuferrechte

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proprium):682 Wenn der Käufer nämlich zuvor wie ein Eigentümer über die Kaufsache disponiert hat, kann er nicht die zufällige Entdeckung eines Rücktrittsgrundes dazu ausnutzen, sämtliche auf der Grundlage des § 903 Satz 1 getroffenen Vermögensentscheidungen nun wiederum zu Lasten des Verkäufers ungeschehen zu machen. Durch das unbeschränkte „Zurückspringen“ der Gefahr auf den Verkäufer könnte der Käufer auf diesen alle negativen Folgen des eigenen (nachlässigen) Umgangs mit der Kaufsache abwälzen. Dies zeigt die Parallelproblematik im Bereicherungsrecht. Dort liegt eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 ja bei einer zurechenbaren Verschlechterung der Kaufsache durch eine vermögensmäßige Entscheidung des Bereicherungsschuldners vor (vgl. dazu oben Rn. 272).683 Aus dieser Warte betrachtet beruht § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 auf einem Kompromiss: Danach haftet der Käufer grundsätzlich für die Folgen des eigenen sorglosen Umgangs mit der Kaufsache, kann dafür aber im Falle „grober Fahrlässigkeit“ tatsächlich herangezogen werden. So treffen den Verkäufer die Folgen der zufälligen oder vom Käufer leicht fahrlässig verschuldeten Beeinträchtigung der Kaufsache. Nach zutreffender Auffassung erfasst der Haftungsmaßstab der eigenüblichen Sorgfalt nach § 277 das zugrunde liegende Problem aber nur unzureichend, weshalb § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 weithin als eine misslungene Norm angesehen wird.684 Dass der Käufer in Konstellationen wie der vorliegenden die für ihn zufällige Entdeckung des Mangels zum Anlass nehmen kann, um die Folgen seines sorglosen Umgangs mit der Kaufsache auf den Verkäufer abzuwälzen, wird vielfach als ungerecht empfunden. Deshalb finden sich im Schrifttum Ansätze, die den Wortlaut des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ganz negieren und eigene Haftungsmaßstäbe an die Stelle setzen.685 So sehr diese Überlegungen in der Sache überzeugen, bleibt der Rechtsanwender an die gesetzgeberische Lösung gebunden.686 Daraus resultiert dann aber ein Anwendungsproblem: Solange der Käufer den Mangel noch nicht positiv kennt (dazu sogleich Rn. 312), kann ihm gegenüber nicht der Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung zu Lasten des Verkäufers erhoben werden. Denn er geht davon aus, wie ein Eigentümer mit der Sache iSd. § 903 Satz 1 zu verfahren. Die Beschädigung einer Sache durch ihren Eigentümer wiederum erscheint nicht rechtswidrig. Für den in § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 vorausgesetzten Verschuldensvorwurf fehlt es daher an einem Anknüpfungspunkt. Das Parallelproblem begegnet auch im Bereicherungsrecht bei der Frage nach der Konkretisierung des Entreiche682 BGH NJW 1984, 1525, 1526; E. Wolf AcP 153 (1954) 97, 131; U. Huber JuS 1972, 439, 443f.; Wieling JuS 1973, 397, 399. 683 Flume, Festgabe für den BGH, 2000, S. 525, 540; Larenz/Canaris II/2 § 73 III 4a. 684 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 203ff.; dies., in: H.P. Westermann (Hrsg.), Das Schuldrecht 2002, S. 183, 200f.; Gaier WM 2002, 1, 11; Honsell, in: FS Schwerdtner, 2003, S. 575, 571ff.; G. Wagner, in: FS U. Huber, 2006, 591, 608ff.; zurückhaltend BeckOGK/Schall § 346 Rn. 626. 685 Etwa Kohler AcP 206 (2006) 683, 706f.; ders. ZGS 2007, 295, 301ff.: Haftung wie bei erlaubter Alleingeschäftsführung. 686 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 211.

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§ 2 Der Kaufvertrag

rungstatbestandes gem. § 818 Abs. 3 (Rn. 273). Dort steht eine vermögensmäßige Entscheidung des Bereicherungsschuldners der Anwendung des § 818 Abs. 3 entgegen, wenn dieser im Rahmen einer hypothetischen Betrachtungsweise, nämlich bei hypothetischer Kenntnis der Rechtsgrundlosigkeit, schuldhaft gehandelt hätte. Eine ähnliche Konkretisierung liegt auch im Rahmen des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 nahe: Danach setzt der Haftungsausschluss voraus, dass der Käufer – hätte er den Rücktrittsgrund vor dem Untergang oder der Verschlechterung der Kaufsache gekannt – schuldlos oder nur leicht fahrlässig gehandelt hätte. Wenn wie im Beispielsfall Dritte an dem Lebensvorgang beteiligt sind (zB. das Opfer eines Straßenverkehrsunfalls), liegt folgender Schluss nahe: Handelt der Käufer anlässlich der Ereignisse, die zur Beeinträchtigung der Kaufsache geführt haben, gegenüber dem Dritten leicht fahrlässig, hat er im Zweifel auch gegenüber dem Verkäufer auf der Grundlage des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 „leichte Fahrlässigkeit“ zu vertreten. Dies entspricht aber nicht der hM. Nach hM. findet § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 keine Anwendung, wenn der Käufer den Rücktrittsgrund im Zeitpunkt des Untergangs oder der Beschädigung der Sache kennt.687 Dafür spricht zunächst die Überlegung, dass der Käufer den Schutz des Haftungsprivilegs nicht mehr verdient, wenn er um die Voraussetzungen der Rückgabepflicht weiß. Er darf nun nicht mehr wie ein Eigentümer nach § 903 Satz 1 mit der Sache verfahren, sondern muss zugunsten des Verkäufers, an den die Kaufsache möglicherweise zurückzugewähren ist, Rücksicht nehmen. Dies spricht dafür, § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 nicht anzuwenden, wenn der Käufer die Beschädigung oder den Untergang der Sache leicht fahrlässig zu vertreten hat. Fraglich ist nur, ob eine Nichtanwendung der Norm auch dann in Betracht kommt, wenn die Kaufsache nach Kenntniserlangung des Käufers vom Rücktrittsgrund durch einen Zufall untergeht: V hat K ein Pferd verkauft. Nachdem K erkannt hat, dass das Pferd unter einem Mangel leidet, wird es durch Blitzschlag auf der Weide des K getötet. K erklärt den Rücktritt und verlangt den Kaufpreis zurück. Gegen den Anspruch des K aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kann V jetzt mit einem Gegenanspruch aus §§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 aufrechnen. K kann sich nämlich zunächst nicht nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 zweiter Fall entlasten. Denn diese Norm setzt voraus, dass das Pferd auch in den Stallungen oder auf der Weide des V umgekommen wäre, was fern liegt (oben Rn. 308). Deshalb stellt sich die Frage, ob eine Entlastung nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 in Betracht kommt.

Nimmt man die hM. beim Wort, ist § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 mit Eintritt der Mangelkenntnis des Käufers ausgeschlossen. Die Gegenauffassung lehnt die 687 Petersen Rn. 195 im Anschluss an Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S.

XLVIIf.; Arnold ZGS 2003, 427, 433f.; Faust JZ 2008, 471, 473; Gaier WM 2002, 1, 11; NK-BGB/ Hager § 346 Rn. 59aaa; Kamanabrou NJW 2003, 30, 31; Kohler JZ 2002, 1127, 1134f.; Perkams Jura 2003, 427, 433f.; Reinicke/Tiedtke Rn. 257; Rheinländer ZGS 2004, 178, 179; M. Schwab JuS 2002, 630, 635f.; Jauernig/Stadtler § 346 Rn. 8a.

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teleologische Reduzierung jedoch im Hinblick auf solche Zufallsschäden ab. Für diese sei nach der grundsätzlichen Konzeption des § 346 nicht der Käufer, sondern der Verkäufer verantwortlich:688 Dafür spricht, dass der Verkäufer im Regelfall wegen der Entlastungsmöglichkeit des Käufers gem. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 das Risiko des zufälligen Untergangs der Kaufsache trägt. Daran kann sich aber nichts ändern, wenn der Käufer vom Rücktrittsgrund erfährt. Denn mögen auch mit Kenntniserlangung erhöhte Sorgfaltspflichten des Käufers entstehen, so kommt es auf diese bei einem Zufallsschaden nicht an. Dieser ist ja seiner Natur nach auch bei Anwendung der größtmöglichen Sorgfalt nicht zu vermeiden. Dies spricht für folgende teleologische Reduktion des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3: Kennt der Käufer den Rücktrittsgrund, kann er sich wegen einer nachfolgenden Verschlechterung oder eines darauffolgenden Untergangs nicht entlasten, wenn er diesen leicht fahrlässig zu vertreten hat. Beruht der Untergang jedoch auf Zufall bzw. – dies gebietet ein Erst-Recht-Schluss – allein auf einem Vertretenmüssen des Verkäufers, bleibt die Norm trotz Kenntnis des Käufers anwendbar. Auf grobfahrlässige Unkenntnis des Käufers vom Rücktrittsgrund kommt es hingegen nicht an. Dafür spricht ein systematisches Argument aus § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1: Nach dieser Norm bleibt der Käufer haftungsfrei, wenn sich der Mangel erst bei Verbrauch bzw. Verarbeitung zeigt. Im Umkehrschluss kommt es nach dieser Norm also nicht darauf an, dass der Käufer den Mangel zu einem früheren Zeitpunkt hätte erkennen können, sondern darauf, dass er ihn tatsächlich kannte, weil er sich bereits vor Verbrauch bzw. Verarbeitung gezeigt hat. Daraus folgt, dass der Schutz des Käufers in diesem Fall erst bei Mangelkenntnis im Vorstadium entfällt, nicht aber bereits dann, wenn der Mangel erkennbar gewesen wäre. Umstritten ist schließlich die analoge Anwendung des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 durch die hM.689 in den Fällen des § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 (Verbrauch, Belastung, Verarbeitung, Umgestaltung). Denn hier handelt der Käufer aus Sicht der Gegenmeinung stets „vorsätzlich“, weil er die Sache ganz bewusst verbraucht, belastet usw.690 Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Käufer solange nicht vorsätzlich handelt, wie er vom Rücktrittsgrund keine Kenntnis hat und daher glaubt, wie ein Eigentümer nach § 903 Satz 1 die Sache zu Recht zu verbrauchen. Denn stets geht es bei § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 nicht um echtes Verschulden, sondern um eine dem Käufer zurechenbare vermögensmäßige Entscheidung (Rn. 311). Diese liegt bei einem bewuss688 Fest, Der Einfluss der rücktrittsrechtlichen Wertungen auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nichtiger Verträge, 2006, S. 50ff.; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 205; Heinrichs, in: FS E. Schmidt, 2005, S. 159, 178; Reischl JuS 2003, 667, 672; D. Schneider ZGS 2007, 57; vgl. auch BeckOGK/Schall § 346 Rn. 626. 689 Arnold Jura 2002, 154, 158; Kohler AcP 206 (2006) 683, 698f.; MünchKomm/Gaier § 346 Rn. 55; Bamberger/Roth/Grothe § 346 Rn. 55; BeckOK/H. Schmidt § 346 Rn. 55; Erman/Röthel § 346 Rn. 26. 690 Annuß JA 2006, 184, 188; Faust JuS 2009, 481, 486; Fest ZGS 2009, 78, 82; Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 210.

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ten Verbrauch der Sache aber vor. In den Fällen des § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ist der Käufer daher vor allem durch § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 geschützt: Erkennt er den Mangel erst beim Verbrauchsvorgang und kann daher den Wertersatzanspruch nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 nicht bewusst abwenden, bleibt er nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 haftungsfrei. Ist ihm der Mangel hingegen bekannt, passt § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ohnhin regelmäßig nicht (Rn. 312). Fraglich ist schließlich, ob das Haftungsprivileg des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 auch anwendbar ist, wenn der Verkäufer den Käufer nach § 439 Abs. 4 Satz 1 auf die Nachlieferung verweist. Das Problem liegt im Wortlaut des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, wonach die Verschlechterung im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts beim Berechtigten eintreten muss. Verweist der Verkäufer den Käufer aber nach § 439 Abs. 4 Satz 1 auf die Nachlieferung, übt der Verkäufer ein Rücktrittsrecht (iSd. § 439 Abs. 5) aus und erscheint insoweit als berechtigt. Nach dem Normzweck des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 kann es jedoch nicht darum gehen, wer das Rückgewährschuldverhältnis formal ausgelöst hat, sondern darum, wem ein materielles Recht auf Rückabwicklung zusteht: Dies ist bei einem Mangel der Kaufsache aber der Käufer. Also handelt es sich bei ihm auch um den Berechtigten iSd. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3. Fraglich ist weiter, ob in diesem Fall das Haftungsprivileg des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 noch passt, wenn der Schaden zu einem Zeitpunkt eintritt, wo der Käufer einerseits bereits den Mangel kennt, andererseits aber davon ausgeht, der Verkäufer erbringe die Nacherfüllung im Wege der Nachbesserung. Hier dürfte § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 wie in den übrigen Fällen der Mangelkenntnis teleologisch einzuschränken sein (dazu Rn. 312): Denn ab Kenntnis des Mangels muss sich der Käufer auch darauf einstellen, mit seiner Forderung auf Nacherfüllung wegen § 439 Abs. 4 Satz 1 beim Verkäufer nicht durchzudringen und deshalb die Sache nach §§ 439 Abs. 5, 346 Abs. 1 zurückgeben zu müssen. e) Schadensersatz (§ 346 Abs. 4)

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Nach § 346 Abs. 4 kann der Gläubiger wegen Verletzung einer Pflicht aus Abs. 1 nach Maßgabe der §§ 280 bis 283 Schadensersatz verlangen. Dem liegt ein allgemein konsentierter Rechtsgedanke zugrunde: Ab Kenntnis vom Rücktrittsgrund darf der Käufer die Kaufsache nicht mehr wie ein Eigentümer nach § 903 Satz 1 behandeln, sondern muss die Interessen des Verkäufers mit Blick auf eine künftige Rückabwicklung des Kaufvertrages wahren. Verletzt er diese Pflicht, schuldet er Schadensersatz. Richtiger Auffassung nach regelt § 346 Abs. 4 indes nur einen Teilausschnitt aus dieser Problematik. Denn die Norm setzt voraus, dass bereits Pflichten aus § 346 Abs. 1 entstanden sind. Dies ist aber nur nach Ausübung des Rücktrittsrechts (§ 349) der Fall. So regelt die Norm vor allem den Fall einer schuldhaften Verletzung der Pflicht aus § 346 Abs. 1 bei der Rückabwicklung. Bereits zuvor haftet der Käufer dem Verkäufer ab Kenntnis vom Rücktrittsgrund jedoch ganz allgemein nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen Verletzung sog. vorwirkender Rücksichtnahme-

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und Schutzpflichten:691 Ab Kenntnisnahme vom Mangel bedeutet der sorglose Umgang mit der Kaufsache die Verletzung einer Schutzpflicht, die auf die spätere Rückgabe der Kaufsache bezogen ist. Dies lässt sich systematisch mit einem Argument aus § 142 Abs. 2 begründen: Nach dieser Norm wird derjenige, der die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts kannte oder kennen musste, nach Ausübung des Anfechtungsrechts so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen. Nichts anderes kann für den Käufer gelten, der weiß, dass ein Rücktrittsrecht besteht und dieses selbst später ausübt. Er muss bereits ab Kenntnis und vor der Ausübung damit rechnen, die Kaufsache an den Verkäufer zurückgeben zu müssen, wenn er von dem Rücktrittsrecht gegenüber dem Verkäufer Gebrauch macht. Dann ist er bereits jetzt, vorwirkendend auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach § 349, zur Rücksichtnahme auf die Integritätsinteressen des Verkäufers verpflichtet. Diese Haftung setzt richtiger Auffassung nach ab positiver Kenntnis des Käufers vom Rücktrittsgrund ein (Rn. 312). Früher sah das Reichsgericht bereits die Benutzung der Kaufsache nach Kenntnis des Rücktrittsgrundes als Pflichtverletzung an.692 Heute steht dem ein Rechtsgedanke entgegen, der sich aus dem systematischen Zusammenspiel von §§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 zweiter Halbsatz ergibt: Der Käufer haftet danach nicht für die mit dem normalen Sachgebrauch verbundenen Abnutzungserscheinungen gem. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz (bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme), schuldet dafür dem Verkäufer jedoch im Gegenzug die Herausgabe der gezogenen Nutzungen nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1.693 In diesem Sinne begründet § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz ein Benutzungsrecht des Käufers, das bei Eintritt der verschärften Haftung nicht untergeht.694 Dadurch ist vor allem auch derjenige Käufer geschützt, der auf die Kaufsache so lange angewiesen ist bis der Mangelfall reguliert und eine Ersatzsache zur Hand ist.

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f) Verwendungsersatz (§ 347 Abs. 2)

Verwendungen sind Aufwendungen (dh. freiwillige Vermögensopfer), die einer Sache zugutekommen. § 347 Abs. 2 Satz 1 schränkt den Verwendungsersatzanspruch des Käufers ein. Der Käufer kann diesen nämlich nur in drei Fällen verlangen: wenn er die Kaufsache zurückgibt, wenn er für sie Wertersatz leistet oder wenn die Pflicht zur Leistung von Wertersatz nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder 2 ausgeschlossen ist. Das Abstellen auf die Zurückgabe entspricht dem Rechtsgedanken des § 1001, einer Norm aus dem Eigentümer-BesitzerVerhältnis (§§ 987ff.). Hier wie dort liegt die Gerechtigkeitsvorstellung zu691 Diese Lehre stammt von Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 223ff.; vgl. vor allem auch die Darstellung bei BeckOGK/Schall § 346 Rn. 645ff. mit weiterführender eigener Auffassung ab Rn. 655ff. 692 RGZ 145, 7, 83f. 693 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 231; Unberath ZEuP 2005, 5, 35. 694 Kaiser JZ 2001, 1057, 1061.

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grunde, dass ein Verwendungsersatzanspruch ausgeschlossen ist, solange der Besitzer (Käufer) die Verwendungen ebenso wie die Sache noch selbst nutzen kann. Dieser Zustand dauert so lange an, wie die Rückgabe an die andere Seite noch nicht erfolgt ist. Während dieser Zeit bedeutete es aber einen Selbstwiderspruch, einerseits den Gegenstand der Verwendungen, die Kaufsache nämlich, zu nutzen, andererseits für die Verwendungen Ersatz vom Verkäufer zu fordern. Dieser aus § 347 Abs. 2 Satz 1 erster Fall hervorgehende Rechtsgedanke erscheint schließlich auch auf § 284 anwendbar (Rn. 412). Der Rückgabe der Kaufsache steht es nach § 347 Abs. 2 Satz 1 gleich, wenn der Käufer Wertersatz nach § 346 Abs. 2 schuldet: Denn in dieser Haftung liegt ja eine „Rückgabe dem Werte nach“ (Rn. 269). Schließlich kann der Käufer Verwendungsersatz auch in den Fällen liquidieren, in denen er keinen Wertersatz schuldet, weil ihn selbst keinerlei Verantwortung am Zustand der Sache trifft (§ 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2). Dies sind gerade nicht die Fälle des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3! Der Grund liegt darin, dass den Verkäufer, der in diesen Fällen keinen Einfluss auf das Schicksal der Kaufsache hatte, die Pflicht zum Verwendungsersatz doppelt hart treffen würde: Er würde einerseits die Kaufsache verlieren, müsste aber andererseits für mit den Verwendungen verbundene Wertsteigerungen aufkommen, die ihm nichts nützen. Allerdings steht dem Käufer wiederum ein Verwendungsersatzanspruch in den Fällen der Wertbeeinträchtigung durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zweiter Halbsatz) zu. Denn insoweit erhält der Verkäufer die Sache ihrem Wert nach durch den Nutzungsersatzanspruch nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zurück: Beide Normen stehen nämlich in systematischer Verbindung zueinander. Soweit der Käufer dem Verkäufer Gebrauchsvorteile und Nutzungen nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 schuldet, muss er für die damit verbundenen Abnutzungserscheinungen nicht ein zweites Mal über § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 haften (Rn. 292).695 Weiterhin ist der Umfang des Ersatzanspruchs in § 347 Abs. 2 Satz 1 auf notwendige Verwendungen eingeschränkt. Dahinter steht ein Rechtsgedanke, der auch in den §§ 994ff. begegnet:696 Könnte der Käufer nämlich alle Investitionen in die Sache beim Verkäufer liquidieren, wäre es für diesen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll, die Kaufsache nach § 346 Abs. 1 zurückzufordern. Der Käufer könnte also durch Investition in die Sache die rechtlich begründeten Rückgewähransprüche des Verkäufers wirtschaftlich aushöhlen und dadurch vereiteln. Zu ersetzen sind deshalb grundsätzlich nur notwendige Verwendungen. Dies sind wie im Rahmen des § 994 Abs. 1 Satz 1 die Aufwendungen auf die Sache, die ihre Verschlechterung oder ihren Untergang abwenden.697 Fraglich ist, ob auch der normale Erhaltungs-

695 Ähnlich Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 43. 696 Medicus/Petersen BR Rn. 897. 697 Staudinger/Gursky § 994 Rn. 2.

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aufwand (§ 994 Abs. 1 Satz 2) darunter fällt. Hierbei handelt es sich um die zur Erhaltung der Sache erforderlichen, regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben: Bei Kfz: Inspektion, Wartung, kleinere Reparaturkosten; bei Tieren: Kosten der Fütterung, der tierärztlichen Behandlung usw.

Nach § 994 Abs. 1 Satz 2 sind diese während der Zeit, in der dem Besitzer die Nutzungen verbleiben, nicht zu ersetzen. Der Fall des § 347 Abs. 2 Satz 1 liegt indes anders: Hier schuldet der Käufer regelmäßig dem Verkäufer Herausgabe der Nutzungen (§ 346 Abs. 1) bzw. Nutzungsersatz (§ 346 Abs. 2 Satz 1). Dann braucht er auch nicht den Erhaltungsaufwand zu tragen; die Einschränkung des § 994 Abs. 1 Satz 2 ist auch nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht anwendbar.698 Alle anderen Aufwendungen des Käufers können nach § 347 Abs. 2 Satz 2 nur ersetzt werden, soweit der Verkäufer durch sie bereichert ist. Bei der Norm handelt es sich um einen selbständigen Anspruch, der nicht auf § 818 verweist, sondern schlicht durch die Höhe der Bereicherung konkretisiert wird.699 Die Norm ist gegenüber dem Bereicherungsrecht als abschließend gedacht.700 Sonderlich überzeugend erscheint dies nicht. Denn für die Frage, ob ein Gegenwert der vom Käufer getätigten Aufwendungen im Vermögen des Verkäufers verbleibt, erscheinen die zu § 818 Abs. 2 und Abs. 3 entwickelten Prinzipien weiterhin maßgeblich (Lehre von den ersparten Aufwendungen, Prinzipien der aufgedrängten Bereicherung usw.). Dies zeigt folgendes bekannte Beispiel: V hat K ein unbebautes Grundstück verkauft. Dieses hat indes nicht den vertraglich vereinbarten unverbaubaren Fernblick. Deshalb erklärt K den Rücktritt. Mittlerweile hat er auf dem Grundstück ein Einfamilienhaus (Baukosten: 290.000 €) errichtet. Diese will er von V liquidieren.

Die Rechtsprechung grenzt den Verwendungsbegriff im Rahmen der §§ 994ff. stark ein: Grundsätzliche Umgestaltungen der Sache wie die Bebauung eines Grundstücks bleiben danach außer Betracht.701 Damit soll verhindert werden, dass die Vindikation des Eigentümers nach § 985 dadurch ausgehöhlt wird, dass ihm der Besitzer in Höhe der Baukosten ein Zurückbehaltungsrecht nach § 1000 entgegenhalten kann. Diese Betrachtungsweise begegnet seit jeher und zu Recht der Kritik, da das Problem nicht notwendig im Wege einer Alles-oderNichts-Entscheidung durch Verneinung der Verwendungsvoraussetzungen gelöst werden muss.702 Auch im Vertragsrecht muss es darum gehen, den Verkäufer vor einer wirtschaftlichen Aushöhlung seines Rückgewähranspruchs aus § 346 Abs. 1 zu schützen.703 Dies geschieht im Rahmen des § 347 Abs. 2 Satz 2, 698 699 700 701 702 703

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 197, rechte Spalte. Staudinger/Kaiser § 347 Rn. 58. RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 197; MünchKomm/Gaier § 347 Rn. 15. BGHZ 41, 157, 160f. Medicus/Petersen BR Rn. 896f. M. Wolf AcP 166 (1966) 199ff.; Canaris JZ 1996, 344, 346ff.

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indem man auf seine Bereicherung abstellt. Dieses Tatbestandsmerkmal spiegelt das aus dem Recht der §§ 812ff. bekannte Problem der aufgedrängten Bereicherung wider:704 Auch dem Verkäufer werden regelmäßig die Verwendungen des Käufers aufgedrängt. Wenn aber die Bereicherung einseitig auf eine Entscheidung des Bereicherungsgläubigers zurückgeht, kommt es nach Koppensteiner/Kramer705 für die Entreicherung allein darauf an, ob die Verwendungen dem Bereicherungsschuldner bei redlicher Betrachtungsweise nutzen. Ein ähnlicher Gedanke findet im Wortlaut des § 347 Abs. 2 Satz 2 seinen Ausdruck (vgl. auch Rn. 885). Das Gebäude macht sich V zunutze, wenn er es bewohnt oder bei der Veräußerung des Grundstücks einen höheren Preis erzielt. Hat er indes andere Verwendungsabsichten (Ackerbau!), tritt eine Bereicherung nicht ein. Auch kann K nicht einfach alle Baukosten liquidieren. Der Ersatz geht nur so weit, wie V bereichert ist: Führt K bspw. die Ausstattung der Badezimmer besonders luxuriös aus, ist V grundsätzlich nur im Hinblick auf die Nutzung eines gewöhnlichen Badezimmers bereichert, nicht aber in Höhe der Luxusausführung.

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Im systematischen Zusammenspiel von § 347 Abs. 2 Satz 1 und 2 kann deshalb im Einzelfall offenbleiben, ob die vom Käufer getätigten Verwendungen notwendig iSd. Satzes 1 sind, wenn nur feststeht, dass der Verkäufer durch sie iSd. Satzes 2 bereichert ist. Schließlich konkurriert § 347 Abs. 2 mit § 284, wenn der Käufer nach Erhalt der Kaufsache Aufwendungen auf diese tätigt. Weil § 284 von einem Vertretenmüssen des Verkäufers abhängt, reicht der Anspruch weiter und konkurriert frei mit § 347 Abs. 2 (str.; Rn. 399). g) Sonstiges

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Wird einer der beiden Seiten die Herausgabe des Erlangten nach §§ 275 Abs. 1 bzw. 2 unmöglich, kann die andere Seite Anspruch auf das Surrogat nach § 285 erheben (Versicherungssumme), wobei dieselben Ergebnisse häufig auch über den Ausgleichsanspruch aus § 346 Abs. 3 Satz 2 zu erzielen sind.706 Ein Rücktrittsrecht im Kaufvertrag kann ferner nicht nur wegen Lieferung einer mangelhaften Kaufsache entstehen, sondern auch bspw. wegen Verletzung einer Schutzpflicht nach § 324, wenn die Pflichtverletzung wesentlich ist und dem Käufer ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. auch Rn. 255): K bestellt an der Wursttheke des V ein belegtes Brötchen. V hat dieses gerade fertiggestellt, als K zwei Kakerlaken durch ein Loch im Boden der Auslage des V steigen sieht. V beachtet hier mutmaßlich die üblichen Hygienevorschriften nicht sonderlich genau. Dieses Verhalten beinhaltet (auch) eine Schutzpflichtverletzung zu Lasten des K, dem er eine hygienisch einwandfreie Lebensmittelzubereitung schuldet. Allerdings bleibt offen, ob 704 Dazu auch Gaier WM 2002, 1, 7. 705 Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988, S. 168ff.; vgl. auch

Larenz/Canaris II/2 § 72 IV 2; Medicus/Petersen BR Rn. 898ff. 706 Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 221; J. Hager, in: FS Musielak, 2004, S. 195, 198f.

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die Beschaffenheit der Kaufsache selbst – des Brötchens – von dieser Schutzpflichtverletzung betroffen ist. Dies ließe sich, wenn überhaupt, nur durch eine aufwendige Analyse klären. Die Schutzpflichtverletzung erscheint indes so gewichtig, dass K neben dem Appetit jedes Interesse an einem weiteren Leistungsaustausch mit V verloren hat und nach § 324 zurücktreten kann.

IV. Minderung des Kaufpreises (§§ 437 Nr. 2, 441) Das nach §§ 437 Nr. 2, 441 eröffnete Minderungsrecht kommt einem Teilrücktritt nahe (vgl. § 441 Abs. 4):707 Grundsätzlich hält der Käufer am Kaufvertrag fest, kann aber in Höhe der mangelbedingten Wertbeeinträchtigung der Kaufsache den bereits gezahlten Kaufpreis zurückverlangen bzw. von vornherein die Zahlung verweigern. Das Interesse des Käufers zielt in diesem Fall auf eine weitere Durchführung des Kaufvertrages (positives Interesse),708 wobei das gestörte Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung (subjektives Äquivalenzverhältnis) durch eine Ausgleichszahlung des Verkäufers wiederhergestellt wird.709 Dies zielt auf Schutz der Käuferinvestitionen, die unter der Erwartung der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit getroffen wurden.710 Die Rechtsfolge der Minderung ist im Hinblick auf ihren Gerechtigkeitsgehalt nicht unumstritten, weil sie dem Verkäufer die Möglichkeit nimmt, die Sache zurückzuerhalten und diese vorteilhafter an einen Dritten zu veräußern.711 Die Wirkungsweise der Minderung verdeutlicht folgender Fall: (BGH 27.5.2011 – V ZR 122/10 = NJW 2011, 2953) Käufer K hat ein Grundstück von V für 150.000 € erworben; dessen Verkehrswert liegt in mangelfreiem Zustand bei 180.000 €, mangelbedingt hat das Grundstück jedoch nur einen Verkehrswert von 151.000 €. Weil eine Nacherfüllung unmöglich ist, verlangt K von V unter Ausübung seines Minderungsrechts 24.166,67 € zurück.

Nach § 441 Abs. 3 Satz 1 ist der Kaufpreis in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Dies entspricht folgendem Dreisatz: Wert bei Mangel ------------------------------------------Wert ohne Mangel

geminderter Kaufpreis --------------------------------------------------------------------------------ursprünglich vereinbarter Kaufpreis

=

Auf den Fall angewendet, ergibt sich folgende Rechnung: 151.000 × 150.000 ----------------------------------------180.000

=

125.833,39 => Minderungsbetrag: 24.166,67

707 Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 99ff.; zu den römisch-rechtlichen Ursprüngen der

actio quanti minoris: S. 22ff. 708 Jhering, JherJb 4 (1861) 1, 17; Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, 1985,

S. 125f.; Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 28ff. 709 Bachmann AcP 211 (2011) 395, 419. 710 Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 56ff. 711 Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 101ff.

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Zu Recht stellt das Gericht nicht etwa auf den besonders günstigen Kaufpreis ab, der immerhin noch 1.000 € unterhalb des mangelbedingten Istwertes liegt. Denn die Rechtsfolge des § 441 Abs. 3 Satz 1 bezieht sich nicht auf das Verhältnis zwischen dem Wert der Kaufsache im mangelhaften Zustand und dem gezahlten Kaufpreis, sondern auf das Verhältnis zum wirklichen Wert (Tz. 9). Auf diese Weise erhält die Norm das von den Parteien durch Vereinbarung geschaffene subjektive Äquivalenzverhältnis. War dies bei Vertragsschluss für den Käufer besonders günstig, dürfen ihm die entsprechenden Vorteile im Rahmen der Minderung nicht entgehen. Dasselbe gilt natürlich auch im umgekehrten Fall, wenn der Käufer sich auf einen unvorteilhaften, weil oberhalb des Marktwertes angesiedelten Kaufpreis eingelassen hat. Durch diese Wirkungsweise unterscheidet sich die Minderung auch vom Schadensersatzanspruch nach § 437 Nr. 2 iVm. § 280 bzw. § 311a Abs. 2.712 Der Minderungsbetrag errechnet sich durch einen Vergleich des Istwertes der Kaufsache mit dem geschuldeten Sollwert, der Schadensersatzanspruch hingegen aufgrund einer Wertdifferenz im Vermögen des Käufers, zwischen dem hypothetischen Zustand bei ordnungsgemäßer Erfüllung und dem Istzustand. Deshalb können im Rahmen der Minderung Werteinbußen an der Kaufsache selbst berücksichtigt werden, aber nicht sonstige Vermögensnachteile des Käufers wie etwa entgangener Gewinn (§ 252) usw. In der Praxis steht der Minderungsbetrag regelmäßig den Reparaturkosten der Sache gleich (vgl. aber Rn. 361).713 Allerdings liegt darin häufig eine Vereinfachung, weil der Kaufpreis schlicht mit dem Marktwert gleichgesetzt wird. Im Einzelfall kann die Reparatur jedoch auch einen größeren Aufwand erfordern, als der Unterschied zwischen Soll- und Istwert ausmacht.714 Dennoch bilden die Reparaturkosten regelmäßig den Ausgangspunkt der Berechnung im Bereich der gerichtlichen Schätzung des Schadens nach § 287 Abs. 2 ZPO,715 woraus für den Käufer ein Beweis des ersten Anscheins erwächst. Dabei ist der Verkäufer vor überzogenen Reparaturkosten durch die analoge Anwendung des § 254 geschützt:716 Die Norm konkretisiert ein allgemeines, aus Treu und Glauben (§ 242) resultierendes Prinzip, das auch im Rahmen der Minderung gilt. Geht die mangelhafte Kaufsache zufällig unter, wird ein Zahlungsanspruch aus einem bestehenden Minderungsrecht nicht berührt.717 Fraglich ist schließlich noch, ob der Käufer den Kaufpreis bei völliger Wertlosigkeit der Sache auf Null mindern kann. Eigentlich verlangt er dann Rückgewähr des Kaufpreises wie beim Rücktritt (§§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1). Es liegt nahe, dass der Käufer damit nicht die Gegenansprüche des Verkäufers aus § 346 unterlaufen darf: Deren BGH NJW 2011, 1217, Tz. 31. Dazu Peters BB 1983, 1951. Grunewald § 9 Rn. 78. NK-BGB/Büdenbender § 441 Rn. 18; Grunewald § 9 Rn. 78. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 235; P. Huber, in: Huber/Faust, § 13 Rn. 92; MünchKomm/ Westermann § 441 Rn. 16. 717 Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 78ff.; Flessner NJW 1972, 1777ff. 712 713 714 715 716

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Anwendungsbereich eröffnet in einem solchen Fall daher § 441 Abs. 4 Satz 2.718 Ausgehend davon kommt eine Minderung auf Null durchaus in Betracht. Insbesondere bereiten hier die besonderen Rücktrittsvoraussetzungen nach § 323 Abs. 5 keine Probleme, weil diese bei einem so weitreichenden Mangel regelmäßig vorliegen dürften. Das Minderungsrecht kann der Käufer nach § 441 Abs. 1 Satz 1 ausüben „statt zurückzutreten“. Dies bedeutet, dass die Voraussetzungen für einen Rücktritt vorliegen müssen: Neben den Rücktrittsgrund nach § 437 Nr. 2 (Mangel, §§ 434, 435) muss also eine ergebnislose Nachfristsetzung (§ 323 Abs. 1) treten. Allerdings nimmt § 441 Abs. 1 Satz 2 die Erheblichkeitsschwelle des § 323 Abs. 5 Satz 2 aus: Weil die Wirksamkeit des Vertrages bei der Minderung anders als beim Rücktritt nicht infrage gestellt wird, kann auch wegen unerheblicher Pflichtverletzungen gemindert werden. Wie im Falle des Rücktritts ist der Käufer mit Ablauf der Frist nach §§ 441, 323 Abs. 1 noch nicht festgelegt (oben Rn. 198ff.). Die Ausübung des Minderungsrechts erfordert vielmehr eine auf die Rechtsfolge des § 441 Abs. 1 Satz 1 zielende Gestaltungserklärung des Käufers. Dem Charakter der Gestaltungserklärung entspricht das Gebot der einheitlichen Ausübung durch alle Berechtigten gegenüber allen Verpflichteten (§ 441 Abs. 2). Durch die Ausübung der Minderung wird der Kaufpreis um den Minderwert herabgesetzt (§ 441 Abs. 3). Hat der Käufer den ursprünglich geschuldeten Kaufpreis bereits entrichtet, so ist der Mehrbetrag vom Verkäufer zu erstatten (§ 441 Abs. 4 Satz 1), wobei die §§ 346 Abs. 1 und 347 Abs. 1 entsprechende Anwendung finden (§ 441 Abs. 4 Satz 2). Nach § 441 Abs. 4 sind die Vorschriften über den Einfluss der Verjährung auf den Rücktritt (§ 218) und die Einrede des Rücktrittsgrundes trotz Verjährung (§ 438 Abs. 4) analog anwendbar. Wie der Rücktritt kann das Minderungsrecht als Gestaltungsrecht nicht verjähren, sondern wird nach Ablauf der in § 438 Abs. 1 bis 3 genannten Fristen gem. § 218 unwirksam. Ist die Minderung wirksam ausgeübt worden, verjährt der daraus entstandene Rückgewähranspruch aus § 346 Abs. 1 nach § 195 in drei Jahren.

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V. Schadensersatz 1. Das System des Schadensersatzes im Kaufrecht

Das Kaufrecht kennt nur zwei Schadensersatznormen: den Sonderfall des § 311a Abs. 2 Satz 1 (ursprüngliche Unmöglichkeit, Rn. 382ff.) und die Generalnorm des § 280 Abs. 1 Satz 1. In § 280 Abs. 1 Satz 1 knüpft die Schadensersatzpflicht an eine Pflichtverletzung des Schuldners an. Der Inhalt des Begriffs entspricht nicht dem natürlichen Wortsinn (= Verschulden), sondern meint „nur ein objektiv nicht dem Schuldverhältnis entsprechendes Verhalten des 718 Dazu Feuersänger MDR 2004, 922, 925; ebenso NK-BGB/Büdenbender § 441 Rn. 23; Grunewald § 9 Rn. 78.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Schuldners“719, mit anderen Worten eine Leistungsstörung.720 Auf diese Weise ist § 280 Abs. 1 Satz 1 auf sehr unterschiedliche Formen von Leistungsstörungen anwendbar, was zu einer jeweils eigenen Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der Pflichtverletzung führt:721 So stellt die Erfüllungspflicht nach § 433 Abs. 1 Satz 1 eine reine Erfolgspflicht dar. Sie wird durch Bewirkung der Leistung erfüllt (§ 362 Abs. 1) und durch Nichterfüllung verletzt. Ist die Nichterfüllung nur von vorübergehender Natur, kommt ein Ersatz des Verzögerungsschadens in Betracht, und zwar unter der Voraussetzung des Verzugs nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286. Der anderen Seite kann jedoch innerhalb des Verzögerungszeitraums auch ein sog. Vorenthaltungsschaden iH. eines entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) entstehen. Dieser ist nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 zu ersetzen: (BGH 18.3.2016 – V ZR 89/15 = NJW 2016, 3235) Besitzer B hatte Videogeräte gemietet, die ursprünglich X gehörten. X hat die Geräte später an E übereignet; der Mietvertrag mit B ist mittlerweile wirksam gekündigt. B gab die Geräte trotz einer Nachfristsetzung des E jedoch nicht heraus. E macht nun einen Schaden iHv. 7.500 € mit der Behauptung geltend, er hätte die Geräte zu einem Gewinn in dieser Höhe veräußern können, wenn B sie ihm im Anschluss an die Nachfristsetzung zurückgewährt hätte. Ein Anspruch aus §§ 989, 990 Satz 2 scheitert nach Auffassung des BGH daran, dass diese Norm den Verzögerungs- und Vorenthaltungsschaden nicht regelt, sondern nur den Schaden, der durch Zerstörung oder Untergang der Sache entsteht; dies begründet das Gericht im Umkehrschluss aus § 990 Abs. 2 (Tz. 10). Deshalb wendet es die §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 auf die Vindikation nach § 985 an. Bei § 985 handelt es sich jedoch um ein Institut des Sachenrechts, auf das Schuldrechtsnormen wie § 280 nicht ohne weiteres Anwendung finden. Denn diese sind nicht wie die Normen des AT des BGB „vor die Klammer“ des Sachenrechts gezogen. Dennoch spricht § 990 Abs. 2, die Anwendung der Verzugsvorschriften auf § 985 in einem Sonderfall, für eine grundsätzliche Analogiemöglichkeit. In dieselbe Richtung verweist die Überlegung, dass der Anspruch aus § 985 einer dem Schuldrecht ähnlichen Struktur folgt: Er kennt Gläubiger und Schuldner und ist auf einen Anspruch iSd. § 194 Abs. 1, nämlich ein Tun, gerichtet. Deshalb können Schuldrechtsnormen auf § 985 analoge Anwendung finden, sofern sie die sachenrechtlichen Systemgrenzen nicht durchbrechen, was wiederum im Fall des § 285 Abs. 1 mit Blick auf § 816 Abs. 1 bejaht wird.722 Vorliegend befürwortet der BGH daher zu Recht die analoge Anwendung der §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 auf § 985, weil diese eine wichtige Lücke schließen, die Systemgrenzen des Sachenrechts aber nicht verletzen (Tz. 16ff.). Letzteres zeigt sich am systematischen Vergleich mit § 990 Abs. 2. Der Besitzer wird dadurch auch nicht in einen Zwangskauf getrieben (dazu Rn. 979): Denn er schuldet dem Eigentümer nicht Zahlung iH. eines (fiktiven) Kaufpreises, sondern nur Schadensersatz nach §§ 249ff. und wird auch nicht zum Eigentumserwerb gezwungen (Tz. 20ff.).

719 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 135, rechte Spalte, letzter Absatz. 720 Vgl. zu den Hintergründen Canaris JZ 2001, 499, 512; vgl. ferner MünchKomm/Ernst § 280

Rn. 13; Staudinger/Schwarze § 280 Rn. C 1ff. 721 Überblicke bei BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 13ff.; MünchKomm/Ernst § 280 Rn. 10ff.; Staudinger/Schwarze § 280 Rn. C 5ff. 722 Dazu BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 61ff.; Medicus/Petersen Rn. 447ff.; zu § 285 Rn. 599.

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Kommt der Verkäufer hingegen seinen Pflichten endgültig nicht nach, kann Schadensersatz statt der Leistung gewährt werden. Dies ist in drei Fällen möglich: Wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer ihm gesetzten Nachfrist geleistet hat (§ 281 Abs. 1 Satz 1), wenn die Leistung unmöglich geworden ist (§ 283) oder wenn eine Schutzpflicht verletzt worden ist, deren Erfüllung so wesentlich ist, dass dem Käufer bei ihrer Verletzung die Erbringung der Leistung durch den Verkäufer insgesamt nicht mehr zumutbar ist (§ 282). Bei der Lieferung einer mangelhaften Sache kann die objektive Pflichtverletzung des Verkäufers sowohl in der Verursachung des Mangels als auch in der Nichtvornahme der Nacherfüllung liegen.723 Von dieser Unterscheidung hängt vor allem die Schadensberechnung ab (Beispiel Rn. 178):724 Verletzt der Verkäufer (nur) die Pflicht zur Nacherfüllung, hat der Käufer einen Anspruch, so gestellt zu werden, als sei die Nacherfüllung ordnungsgemäß erfolgt (Beispiel: Ersatz der Kosten für eine Ersatzsache). Hat der Verkäufer jedoch den Mangel selbst in zu vertretender Weise verursacht, reicht die Verantwortung meist weiter: Sie umfasst etwa auch den Schaden an den sonstigen Rechtsgütern des Käufers, der durch die mangelhafte Sache verursacht wurde. Liegt die objektive Pflichtverletzung in der Verursachung des Mangels selbst, kommt ein Vertretenmüssen des Verkäufers nur ausnahmsweise in Betracht, weil der Verkäufer als bloßer Händler kein Sachexperte ist (Rn. 347f.). Den Mangel selbst verschuldet der Verkäufer deshalb im Wesentlichen in drei Fällen: (1) wenn er die Kaufsache vor dem Gefahrübergang beschädigt oder nicht hinreichend vor Schäden schützt, (2) wenn er aus der Gattung ein mangelhaftes Exemplar aussucht, obwohl er den Mangel hätte erkennen können, oder (3) wenn er den Mangel bei Gefahrübergang erkennt, aber keine Ersatzsache besorgt bzw. keinen Experten für die Mängelbeseitigung einschaltet.725 Eine Zurechnung des Herstellerverschuldens gegenüber dem Verkäufer nach § 278 Satz 1 kommt hingegen nicht in Betracht (Rn. 349ff.). Soweit es um die Versäumnis der Frist zur Nacherfüllung geht, fällt die fehlende Sachkompetenz des Verkäufers hingegen nicht ins Gewicht. Denn er kann sich bei der Nachbesserung der Hilfe von Experten bedienen oder eine erfüllungstaugliche Ersatzsache nachliefern. Es versteht sich, dass beide Pflichtverletzungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintreten: Die Verantwortung für die Mangelverursachung setzt im Zeitpunkt des Gefahrübergangs ein, die Verantwortung für die unterlassene Nacherfüllung mit Verstreichen der Nachfrist. Einen anderen Typ der Leistungsstörung stellt die Verletzung von Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 dar. Die Schutzpflichten zielen, anders als die Er723 BGH NJW 2015, 2244, Tz. 12; Ackermann JuS 2012, 865, 867; Canaris DB 2001, 1815, 1816;

Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 153ff.; Lorenz, in: FS U. Huber, 2006, S. 423ff.; Petersen Rn. 51ff.; Tiedtke/Schmitt BB 2005, 615, 621; Reinicke/Tiedtke Rn. 542; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 344ff.; vgl. auch Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 76 (= BeckOK); Reischl JuS 2003, 453, 456. 724 BGHZ 200, 337 = NJW 2014, 2183, Tz. 25. 725 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 166f. und 169.

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§ 2 Der Kaufvertrag

füllungspflichten, nicht auf einen bestimmten Erfolg, sondern erzwingen vom Schuldner ein bestimmtes Verhalten. Sie entstehen als ungeschriebene Verhaltenspflichten aus dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242), gerichtet auf Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2). Das zugrunde liegende Gebot der Rücksichtnahme ist dabei inhaltlich so weit, dass ein einklagbarer „Anspruch“ auf Rücksichtnahme nicht vorstellbar ist. Dem Verkäufer ist es nicht nur geboten, Bananenschalen auf dem Fußboden seines Ladenlokals zu beseitigen, sondern auch andere Fruchtreste und Gemüseblätter, wobei er stets ein Augenmerk auf Teppichrollen wegen der Umsturzgefahr haben sollte.

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Was die Rücksichtnahme gebietet oder – besser gesagt – geboten hätte, lässt sich regelmäßig erst im Nachhinein genau sagen, also wenn der Schaden eingetreten ist. Deshalb kann über den Inhalt der Schutzpflichten nur folgende Aussage getroffen werden: Der Schuldner muss alles tun, damit der Gläubiger beim Leistungsaustausch keine Integritätsbeeinträchtigung erleidet, denn nur dann gelangt der Gläubiger auch wirtschaftlich in den Genuss der Leistung (vgl. bereits das Beispiel Rn. 2). Weil die Schutzpflichten aber durch ungeschriebene Verhaltenspflichten konkretisiert werden, sind ihre Sachvoraussetzungen regelmäßig mit denen eines Vertretenmüssens nach § 280 Abs. 1 Satz 2 identisch:726 Denn auch das Vertretenmüssen wird im Falle der Fahrlässigkeit anhand der im Verkehr üblichen Verhaltensmaßstäbe konkretisiert (§ 276 Abs. 2). Der Grund für diese Identität liegt darin, dass die Schutzpflichten ebenso wie das Vertretenmüssen einheitlich auf dem Vertrauen des Gläubigers in die Loyalität des Schuldners beruhen (dazu Rn. 9). Einen zwischen diesen beiden Typen angesiedelten, eigenen Fall der Leistungsstörung stellt die Verursachung eines Mangelfolgeschadens (Schaden neben der Leistung) dar (Rn. 340, 372): V liefert K ein Pferd mit einer schwer erkennbaren Infektionskrankheit. Nach Übergabe stecken sich die übrigen Pferde des K bei diesem an.

Hier erleiden die sonstigen Rechtsgüter des Käufers infolge eines Mangels der Kaufsache einen Schaden. Nach einer Auffassung liegt die entscheidende Ursache für den Schaden nicht im Mangel der Kaufsache, sondern in einer Schutzpflichtverletzung des Verkäufers.727 Der Verkäufer hafte deshalb nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, weil er es versäumt habe, den Käufer über die von der Kaufsache ausgehenden Gefahren aufzuklären. Nach anderer Auffassung soll die Schutzpflichtverletzung als eigenständige Leistungsstörung (iSd. § 241 Abs. 2) neben die Lieferung einer mangelhaften Sache treten.728 Nach einer weiteren Meinung beruht der Schaden mindestens auch auf Verzug des Verkäufers

726 Wilhelm JZ 2004, 1055, 1056f. und 1058f.; vgl. auch Canaris JZ 2001, 499, 512; Ehmann/

Sutschet JZ 2004, 62, 67f. 727 Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 70; vgl. auch Harke ZGS 2006, 9, 11. 728 Staudinger/Schwarze § 280 Rn. C 41f. und C 15f.; BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 122ff.

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mit der Nacherfüllung.729 Der Streit erklärt sich aus dem Umstand, dass das Kaufrecht in diesen Fällen stets mit dem Deliktsrecht, vor allem § 823 Abs. 1, konkurriert. § 823 Abs. 1 zielt aber auf den Schutz der absolut geschützten Rechtsgüter des Käufers (Integritätsinteresse; vgl. Rn. 373). Demgegenüber verfolgt das moderne Kaufrecht jedoch andere Zwecke (anders noch die historischen Vorläufer; vgl. Rn. 465): Es lässt den Verkäufer dafür haften, dass er das subjektive Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung durch Lieferung einer mangelhaften Sache verletzt hat. So beruht auch der Mangelfolgeschaden auf der Störung des Wertgleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung.730 Dafür sprechen die einheitliche Verjährung der Ansprüche nach § 438 und der Haftungsausschluss nach § 442 Abs. 1 Satz 2. Auch gründet der Vorwurf des Vertretenmüssens darauf, dass der Verkäufer den Mangel zu vertreten hat bzw. die Pflicht zur Nacherfüllung in zu vertretender Weise verletzt hat, bevor der Folgeschaden eintrat. Im System des BGB verläuft heute die Grenze also nicht mehr zwischen Mangel- und Mangelfolgeschäden, sondern zwischen den Schäden, die der Käufer durch Nachfristsetzung gegenüber dem Verkäufer hätte vermeiden können (Schaden statt der Leistung), und den Schäden, die auf diese Weise nicht zu vermeiden waren (Schaden neben der Leistung). Hat vorliegend also V die Krankheit des Pferdes bei Gefahrübergang schuldhaft verursacht, haftet er auch für die Erkrankung der übrigen Pferde aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, weil sich hier das mangelbedingt erhöhte Infektionsrisiko gerade im Mangelfolgeschaden verwirklicht hat.

2. § 281 a) Schadensersatz statt der Leistung aa) Das Abgrenzungsproblem

Ist die gelieferte Sache mangelhaft, gewähren die §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung. Die Ersatzfähigkeit hängt davon ab, dass der Käufer dem Verkäufer vor Schadenseintritt eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und diese ergebnislos verstrichen ist (§ 281 Abs. 1 Satz 1). Die Einführung dieses Schadenstypus war eine Konsequenz aus der gesetzgeberischen Entscheidung für einen Vorrang der Nacherfüllung gegenüber den sonstigen Sekundäransprüchen des Käufers bei der Lieferung einer mangelhaften Sache. Denn dadurch wurde es unvermeidlich, Schadensarten danach zu unterscheiden, ob ihre Liquidierung eine zuvorige Nachfristsetzung voraussetzt oder nicht.731 Dem Gesetzgeber selbst schien dabei der Begriff des „Schadens statt der Leistung“ noch spontan sinnfällig und zweifelsfrei: 729 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 45f.; BeckOK/Faust § 437 Rn. 69f. mwN. 730 Grigoleit, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 275, 296; Gsell JZ 2002, 1089, 1091f. 731 So bereits Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 341f.

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„Denn dieser Schadensersatzanspruch tritt […] an die Stelle der primär geschuldeten Leistung, die nicht mehr verlangt werden kann.“732

Denkt man diese Ausgangsüberlegung weiter fort, erscheint der Schaden neben der Leistung (Mangelfolgeschaden) von ganz anderer Beschaffenheit als der Schaden statt der Leistung. Denn beim Schaden neben der Leistung besteht der (Nach-)Erfüllungsanspruch des Käufers gegen den Verkäufer weiter fort. Mit diesem konkurriert der Schadensersatzanspruch frei: K hat sich an der von V gelieferten Konserve den Magen verdorben. Dadurch entstehen Kosten für eine Heilbehandlung und ein Anspruch auf Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2). Zugleich aber behält K den Anspruch auf Nachlieferung einer mangelfreien Konserve.

Der Unterschied zwischen beiden Fällen scheint auf der Hand zu liegen: Beim Schaden neben der Leistung konkurriert der Schadensersatzanspruch mit dem nach wie vor bestehenden (Nach-)Erfüllungsanspruch, beim Schaden statt der Leistung ersetzt der Schadensersatzanspruch den untergegangenen (Nach-)Erfüllungsanspruch. Ein erstes Problem besteht jedoch darin, dass das Merkmal „Schadensersatz statt der Leistung“ auch in den § 284 (dazu erst später Rn. 396) und in § 281 Abs. 4 (Rn. 338) mit jeweils anderer Zwecksetzung verwendet wird. Inhaltlich decken sich daher Schadensersatz statt der Leistung in §§ 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 und § 281 Abs. 4 und § 284 nicht notwendig: Beispiel V verkauft K ein Kfz (Kaufpreis 20.000 €). Ein Weiterverkauf von K an D (beabsichtigter Kaufpreis 25.000 €) scheitert wegen eines von V zu vertretenden Lackschadens am Kfz, sodass K ein Weiterveräußerungsgewinn iHv. 5.000 € entgeht. Allerdings hätte V diesen Schaden abwenden können, wenn K ihm eine Nachfrist gesetzt hätte. Unabhängig von der dogmatischen Konstruktion ist K der Schadensersatzanspruch aufgrund des dem Schutzzwecks von § 281 Abs. 1 Satz 1 versagt. Denn die Norm zielt darauf ab, dem Verkäufer ein zweites Recht zur Andienung zu gewähren und so einen Schaden abzuwenden. Weil K dem V diese Möglichkeit nicht gewährt hat, darf er den entgangenen Gewinn nicht als Schaden liquidieren. Ausgehend vom Zweck des § 281 Abs. 1 Satz 1 handelt es sich um einen einschlägigen Schaden statt der Leistung. Abwandlung K hat V eine Nachfrist nach § 281 Abs. 1 Satz 1 gesetzt; V lässt diese jedoch ungerechtfertigt verstreichen. Wieder kommt es zu einem entgangenen Gewinn iHv. 5.000 €. Jetzt kann K den Schaden nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 liquidieren. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Geltendmachung des Schadensersatzes nach § 281 Abs. 4 zum Untergang seines Nacherfüllungsanspruchs auf Beseitigung des Lackschadens führt. Der Zweck des § 281 Abs. 4 liegt in der Verhinderung einer Doppelkompensation des Schadens beim Käufer. Dieser darf nicht gleichzeitig Schaden „anstelle“ der Leistung und die Leistung selbst verlangen. Denn dann erhielte er die Leistung zweimal: einmal nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 in Natur und einmal nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 in Geld. Vorliegend wird aber nicht zweimal das Erfüllungsinteresse liquidiert: Der 732 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 137, linke Spalte; Hervorhebungen durch den Verfasser.

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Schaden des K besteht in entgangenem Gewinn nach § 252. Seine Liquidierung gleicht nicht den im Lackschaden liegenden Minderwert (= Erfüllungsinteresse) aus. Gemessen am Normzweck des § 281 Abs. 4 liegt kein Schaden statt der Leistung vor.

Bei Betrachtung der Normzwecke bedeutet „Schadensersatz statt der Leistung“ im Falle des § 281 Abs. 1 Satz 1 daher nicht notwendig dasselbe wie im Falle des § 281 Abs. 4. Bei genauer Betrachtung verdeutlicht das Beispiel ein zweites Problem: Die bildliche Dogmatik vom Schaden, der an die Stelle der Leistung tritt, ist nicht verlässlich. Der Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns (§ 252) konkurriert eigentlich mit dem Anspruch auf die Leistung, tritt also (bildlich gesprochen) neben die Leistung, begründet aber dennoch nach dem Normzweck des § 281 Abs. 1 Satz 1 die dort vorgesehene Sperrwirkung. Diese systematischen Spannungen verhindern eine einheitliche Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Schadensersatz statt der Leistung“. Dies legt es nahe, von „Schadensersatz statt der Leistung iSd. § 281 Abs. 1 Satz 1“ zu sprechen und den Schadensersatzanspruch des Käufers nach dieser Norm in den Fällen zu sperren, in denen der Verkäufer die Einbuße auf Käuferseite hätte verhindern können, wenn ihm die Chance zur zweiten Andienung eingeräumt worden wäre. Dieser Ansatz stellt jedoch eine Mindermeinung dar.733 Kennzeichnend für die hM. ist, dass sie sich um einen einheitlichen Systembegriff des Schadens statt der Leistung bemüht. In der unübersichtlich gewordenen Diskussion734 begegnet zunächst die sog. schadenstypologische Lehre. Sie schließt unmittelbar an die Vorstellungen des Gesetzgebers (Rn. 335) an und orientiert sich an der begrifflichen Unterscheidung zwischen Schadensersatz statt und neben der Leistung.735 Zugrunde liegt die Überlegung, dass § 281 Abs. 1 Satz 1 den Schaden erfasst, der an die Stelle der eigentlich geschuldeten Leistung tritt. Dieser Schaden wird auch als Äquivalenzinteresse des Käufers bezeichnet. Dem Begriff liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Kaufsache und der Kaufpreisanspruch aufgrund der vertraglichen Einigung in ein Wertgleichgewicht (subjektives Äquivalenzverhältnis) gestellt sind. Weist die Kaufsache einen Mangel auf, wiegt sie wie bei einer Waage den vom Käufer entrichteten Kaufpreis nicht auf. In die Waagschale des Käufers muss daher zusätzlich zur Kaufsache ein vom Verkäufer zu leistender Schadensersatz fallen, damit das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenz) wieder hergestellt ist. Dieser Schadensersatz fließt dann statt der (ausgebliebenen) Leistung des Verkäufers und entspricht seiner Höhe nach idR. dem nach § 441 Abs. 3 be-

733 Ähnlich Tiedtke/Schmitt BB 2005, 615; Ostendorf NJW 2010, 2833, 2836f.; aA. Erman/ Grunewald, § 437 Rn. 13. 734 Instruktive Überblicke gewähren etwa: Ackermann JuS 2012, 865, 867ff.; Arnold ZJS 2009, 22; Bredemeyer ZGS 2010, 71; Lorenz, in: FS Leenen, 2012, S. 147ff. 735 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 225; Grigoleit/Riehm AcP 203 (2003) 727, 733ff.; zur Notwendigkeit der Typologisierung BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 199ff.; vgl. ferner Arnold ZGS 2009, 22, 25f.; NK-BGB/Dauner-Lieb § 280 Rn. 65ff.; P. Huber, in: Huber/Faust § 13 Rn. 99ff.; Staudinger/Schwarze § 280 Rn. E 3ff.

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rechneten Minderungsbetrag.736 Die Metapher ist beeindruckend, lässt aber in Grenzfällen die nötige Trennschärfe vermissen, wie das Beispiel (Rn. 335) zeigt. Ein alternativer, heute weit überwiegend vertretener Ansatz rückt näher an den Schutzzweck des § 281 Abs. 1 Satz 1 heran. Auch er stellt die Frage nach dem von § 281 Abs. 1 Satz 1 erfassten Schadenstypus. Anders als hier vertreten (Rn. 335), reduziert er das Problem jedoch nicht auf die Rechtsfolge des § 281 Abs. 1 Satz 1 und sperrt Ersatzansprüche des Käufers dort, wo ein Schaden durch Nachfristsetzung des Käufers und anschließende Nacherfüllung seitens des Verkäufers hätte verhindert werden können. Vielmehr bemüht sich dieser Ansatz um eine positive Begriffsbildung. Diese mündet in die Formel, dass es sich beim Schadensersatz statt der Leistung um den Schaden handelt, der durch das endgültige Ausbleiben der Leistung verursacht wird, der also eintritt, nachdem der Käufer den Rücktritt erklärt oder Schadensersatz statt der Leistung iSd. § 281 Abs. 4 verlangt hat.737 Schäden, die vor diesem Zeitpunkt eintreten, fallen also zunächst aus dem Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 Satz 1 begrifflich heraus. Es handelt sich um Schäden neben der Leistung (häufig Verzögerungsschäden). Diese Schäden – und dies lässt die Lehre überaus kompliziert werden – sind jedoch nicht einfach nach § 280 Abs. 1 Satz 1 ersetzbar, sondern ihre Liquidation kommt aus anderen, teilweise umstrittenen Gründen nicht in Betracht. Diese komplizierten Zusammenhänge sollen am folgenden Beispiel dargestellt werden. (BGH 3.7.2013 – VIII ZR 169/12 = BGHZ 197, 357 = NJW 2013, 2959) V verkauft K 2 Mio. Liter Biodiesel, verweigert aber bei Fälligkeit die Lieferung. K deckt sich daher andernorts ein. Wegen der steigenden Preise entsteht ihm so ein finanzieller Mehraufwand von 475.085,58 €. Auf eine anschließend erhobene Klage des K hin wird V zur Lieferung des bestellten Biodiesels an K verurteilt, woraufhin V auch liefert. K verlangt von V nun daneben die 475.085,58 € für den Deckungskauf bei einem Dritten im Wege des Schadensersatzes. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Schadensersatzanspruch analog § 281 Abs. 4 wegen der Gefahr einer Doppelkompensation ausgeschlossen ist: Der Käufer darf nämlich nicht Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn ihm ein Nacherfüllungsanspruch durch das Urteil bereits fest zusteht (Tz. 29).

Entscheidend kommt es darauf an, ob die Kosten des Deckungskaufs Schadensersatz statt der Leistung iSd. § 281 Abs. 4 darstellen. Aus Sicht des schadenstypologischen Ansatzes (Rn. 336) ist dies zu bejahen, weil der Käufer sich beim Deckungskauf die eigentlich geschuldete Kaufsache bei einem Dritten beschafft: Sein dadurch entstandener Schaden tritt an die Stelle der geschuldeten

736 Erman/Grunewald § 437 Rn. 13. 737 BGH NJW 2010, 2426, Tz. 13; distanzierter: BGHZ 197, 357 = NJW 2013, 2959, Tz. 20 und

Tz. 27; MünchKomm/Ernst § 281 Rn. 116ff.; Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 254; ders. JZ 2008, 471, 472; Kaiser, in: FS H.P. Westermann, 2008, S. 351ff.; Klöhn JZ 2010, 46, 47; Lorenz NJW 2002, 2497, 2500; ders. JuS 2008, 203, 204; ders., in: FS Leenen, 2012, S. 147, 153; ferner Tiedtke/Schmitt BB 2005, 615, 616f.; Bamberger/Roth/Unberath § 280 Rn. 28 (= BeckOK); kritisch jetzt BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 203ff.

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Kaufsache.738 Diese Argumentation wahrt den Rahmen der Metapher vom Schadensersatz, der an die Stelle der Leistung tritt, geht aber nicht auf den Zweck des § 281 Abs. 4 ein. Stellt man hingegen mit der Lehre vom endgültigen Ausbleiben der Leistung (Rn. 337) darauf ab, ob der Schaden nach dem endgültigen Ausbleiben der Leistung eingetreten ist, liegt kein Schadensersatz statt der Leistung vor. Denn die Kosten des Deckungskaufs fielen vor einer (möglichen) Rücktrittserklärung oder einem Schadensersatzverlangen des Käufers an. In Betracht kommt also nur ein Schaden neben der Leistung, genauer gesagt, ein Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286. Auf diesen findet § 281 Abs. 1 Satz 1 keine Anwendung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass deshalb eine Liquidation dieses Schadens in Betracht käme. Dies soll vielmehr aus anderen Gründen ausgeschlossen sein: Nach einer Ansicht lässt das System der §§ 281 bis 283 für den Ersatz dieses Schadens keinen Platz.739 Nach einer weiteren Ansicht soll der Verkäufer diesen Schaden nicht verursacht haben, wenn der Käufer sich nicht rechtmäßigerweise zum Deckungskauf herausgefordert fühlen durfte (psychisch vermittelte Kausalität). Eine solche Herausforderung liege aber bei einem voreiligen Deckungskauf ohne Nachfristsetzung nicht vor.740 Beide Teilansichten betreiben einen erheblichen argumentativen Aufwand zur begrifflichen Einordnung des Schadens. Dabei kommt der Schutzzweck des § 281 Abs. 4 eher am Rande vor. Verblüffend einfach und überzeugend erscheint dagegen die Argumentation des BGH, die sich vor allem an diesem Schutzzweck orientiert: Könnte der Käufer neben dem Lieferanspruch auf 2 Mio. Liter Biodiesel auch die Mehrkosten für den zuvor durchgeführten Deckungskauf geltend machen, würde er so gestellt, als dürfte er die mit dem Verkäufer vereinbarte Menge doppelt (4 Mio. Liter) zum vertraglich ausbedungenen Preis beziehen (Tz. 28): einmal in natura aufgrund des Urteils gerichtet auf Lieferung nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und einmal im Rahmen des Schadensersatzes nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 gerichtet auf der Ersatz der Mehrkosten für den Deckungskauf.741 Das Beispiel führt zur Frage nach dem Sinn des begrifflichen Aufwandes um den Schaden statt der Leistung. Der Versuch, im Rahmen von §§ 281 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 284 einen einheitlichen Systembegriff aufrechtzuerhalten, führt zu komplizierten Konstruktionen, die den Normzweck in gefährlicher Weise zurücktreten lassen. Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056) lassen sich Normen jedoch maßgeblich anhand ihres Zweckes verstehen. Deshalb hängen die Rechtsfolgen der §§ 281 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 und 284 von der Verwirklichung ihrer Schutzzwecke im Einzelfall ab. Dies spricht gegen die beiden vorgestellten Theorien zur Konstruktion eines Systembegriffs vom „SchaStaudinger/Schwarze § 280 E 5 und E 10; Grigoleit/Riehm AcP 203 (2003) 727, 736. Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 254; ders. JZ 2008, 471. Lorenz, in: FS Leenen, 2012, S. 147, 153; ferner Tiedtke/Schmitt BB 2005, 615, 616f. Zustimmend Gsell LMK 2013, 353035; Hilbig-Lugani NJW 2013, 2961; Looschelders JA 2013, 865, 866; kritisch Nietsch NJW 2014, 2385, 2387 und 2389 wegen der Spekulationsgefahr.

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den statt der Leistung“ (Rn. 336f.). Die Schutzzwecke sollen daher neben den Argumenten der hM. im Folgenden im Vordergrund stehen. Führt der Mangel zur Verletzung sonstiger absolut geschützter Rechtsgüter (Fall des Mangelfolgeschadens; Rn. 334, 371), passt das Fristsetzungserfordernis des § 281 Abs. 1 Satz 1 nicht, weil parallel zu den Schadensersatzansprüchen aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 auch Ansprüche aus § 823 Abs. 1 in Betracht kommen.742 Diese hängen nicht von der Setzung einer Nachfrist ab. Würde hier die Sperrwirkung des § 281 Abs. 1 Satz 1 greifen, wäre der Käufer über das zwischen Fremden geltende Deliktsrecht besser geschützt als durch das zwischen den Vertragsparteien geltende Kaufrecht. Es drohte ein Wertungswiderspruch. Bei der Kettensäge, die V dem K verkauft hat, funktioniert aufgrund eines von V zu vertretenden Umstandes die Sicherheitsabschaltung nicht, sodass K tiefe Schnittwunden erleidet. Erkennt K den Mangel, benutzt das Gerät aber dennoch, steht ihm ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 zu. Die fehlende Nachfristsetzung wirkt sich im Rahmen des § 254 Abs. 1 aus: Sein Anspruch ist infolge Mitverschuldens zu kürzen. Für den Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 kann nichts anderes gelten.

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Werden absolut geschützte Rechtsgüter iSd. § 823 Abs. 1 verletzt, trifft das Schadensrecht eine gegenüber § 281 Abs. 1 Satz 1 speziellere Regelung. Entsprechend findet der Übergang von der Naturalleistung zur Geldersatzleistung nicht unter den Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 Satz 1, sondern gem. §§ 249 Abs. 2, 250, 251 statt. Dies gilt auch im Arzthaftungsrecht (Rn. 1083) und im Werkvertragsrecht (Rn. 1114). Beim Deckungsgeschäft zur Beseitigung des Mangels (Vertrag über die Reparatur oder die Lieferung einer Ersatzsache) führt dies zu folgenden Ergebnissen (vgl. bereits oben Rn. 338):743 (1) Grundsätzlich kann der Käufer einen mangelbedingten Schaden dann nicht liquidieren, wenn er dem Verkäufer zuvor keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben hat und der Verkäufer den Schadenseintritt durch eine Nacherfüllungsmaßnahme hätte abwenden können. Eine Ausnahme besteht jedoch im Hinblick auf Schäden an absolut geschützten Rechtsgütern iSd. § 823 Abs. 1 (Rn. 340). (2) Probleme entstehen, wenn der Käufer eine ordnungsgemäße Nachfrist gesetzt hat und diese verstrichen ist. Nimmt der Käufer jetzt ein Deckungsgeschäft vor, bevor er vom Verkäufer Schadensersatz nach § 281 Abs. 4 verlangt hat, stellt sich die Frage, ob der Schadensersatzanspruch gesperrt ist. Ausgehend von den hier kritisierten begrifflich orientierten Ansätzen (Rn. 336f.) entsteht ein komplexes Meinungsbild: Eine erste Auffassung verneint einen Schaden statt der Leistung, weil der Käufer das Deckungsgeschäft vor dem letzt742 Im Ergebnis ähnlich Bredemeyer ZGS 2010, 71; aA. wohl MünchKomm/Ernst § 280 Rn. 69; dazu auch Reinicke/Tiedtke Rn. 515. 743 Vgl. dazu auch Ackermann JuS 2012, 865, 869ff.; Lorenz, in: FS Leenen, 2012, S. 147, 160ff.; BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 224ff.

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möglichen Zeitpunkt für eine Nacherfüllung abgeschlossen hat. Denn Erfüllung sei auch noch nach Fristablauf bis zum Schadensersatzverlangen möglich, weil sich erst mit dem Schadensersatzverlangen die Primär- in eine Sekundärverpflichtung umwandele. Deshalb liege nur ein Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 vor, der grundsätzlich durch den spezielleren Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 verdrängt werde (vgl. auch die Argumentation Rn. 338). Insgesamt scheide ein Ersatzanspruch aus.744 Abermals entfaltet das Begriffliche dabei jedoch zu starke Eigenbedeutung auf Kosten des Normzwecks. Denn nach der überzeugenderen Gegenauffassung endet mit Ablauf der Nachfrist die Chance des Verkäufers, durch zweite Andienung mängelbedingte Schäden abzuwenden. Dies gilt umso mehr, als ein nicht unternehmerisch organisierter Käufer häufig erst nach Fristablauf das Deckungsgeschäft abschließt, um anschließend beim Schadensersatzverlangen gegenüber dem Verkäufer die Höhe des Schadens beziffern zu können (dazu bereits Rn. 199).745 Der Schutzzweck des § 281 Abs. 1 Satz 1 steht danach der Liquidierung des Käuferschadens nicht entgegen. (3) In einer weiteren Konstellation setzt der Käufer dem Verkäufer eine Nachfrist, hält sich aber selbst nicht an diese, sondern beseitigt den Mangel vor Fristablauf. Probleme entstehen hier, wenn der Verkäufer seinerseits die Nachfrist ergebnislos verstreichen lässt. Nach einer an der Formel der hM. (Rn. 337) orientierten Auffassung liegt kein Schaden statt der Leistung vor, sondern ein Verzögerungsschaden: Denn der Schaden sei vor dem letztmöglichen Zeitpunkt für eine Nacherfüllung eingetreten. Dieser Verzögerungsschaden könne jedoch nicht ersetzt werden, weil dies nur bei Beachtung des Fristsetzungserfordernisses möglich sei. In Betracht kommt ein Ersatz deshalb nur, wenn das verfrühte Deckungsgeschäft geeignet ist, den vom Verkäufer zu tragenden Schaden des Käufers zu minimieren.746 Eine weitere Auffassung verneint ebenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, weil der Schaden vor der letztmöglichen Nacherfüllungsmöglichkeit eingetreten sei, hält aber einen Ersatz aus einer allgemeinen Überlegung heraus für begründet: Mit dem endgültigen Ablauf der Nachfrist erwerbe der Käufer nämlich das Recht, den Rücktritt zu erklären oder Schadensersatz zu verlangen. Deshalb dürfe er spätestens jetzt gegen den Verkäufer vorgehen, wenn dieser die Chance zur zweiten Andienung nicht genutzt habe.747 Nach einer dritten Auffassung schließlich sind die Kosten unter Verzugsvoraussetzungen nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 zu ersetzen: Denn der Verkäufer fordere den Käufer zum Deckungsgeschäft heraus wie in den aus dem Deliktsrecht bekannten sog. Herausforderungs- und Verfolgungsfällen. Soweit sich der Käufer herausgefordert fühlen dürfe, hafte auch der

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Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 254. Ackermann JuS 2012, 865, 869. Faust, in: FS U. Huber, 2006, S. 239, 257. Ackermann JuS 2012, 865, 870; Lorenz, in: FS Leenen, 2012, S. 147, 158.

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Verkäufer.748 Man entgeht der verwirrenden Vielfalt dieser Auffassungen nur dadurch, dass man das Problem auf die entscheidende Rechtsfolge reduziert, nämlich, ob nach dem Schutzzweck des § 281 Abs. 1 Satz 1 die vorschnelle Mängelbeseitigung durch den Käufer den Ausschluss seines Schadensersatzanspruchs rechtfertigt. Argumente liefert hier die Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056). Denn im eingetretenen Schaden bildet sich die Obliegenheitsverletzung des Käufers nicht ab. Auch wenn der Käufer die Nachfrist abgewartet hätte, hätte der Verkäufer die Chance zur Nacherfüllung nicht ergriffen. Es fehlt also am sog. „Sorgfaltswidrigkeitszusammenhang“ zwischen der Obliegenheitsverletzung und dem eingetretenen Schaden. Anders gewendet, verdient der Verkäufer den Schutz des § 281 Abs. 1 Satz 1 in diesem Fall nicht, weil er die Chance zur zweiten Andienung ungenutzt verstreichen ließ. Der Anspruch des Käufers ist folglich begründet. (4) Ähnlich liegt der Fall, dass der Käufer dem Verkäufer keine Nachfrist setzt, nachträglich aber klar wird, dass der Verkäufer eine vom Käufer angebotene Gelegenheit zur Nacherfüllung auch nicht genutzt hätte. Bekannt wurde der Fall eines Verkäufers, der unmittelbar nach der Selbstvornahme durch den Käufer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigerte (Rn. 208). Der BGH verneint entsprechend seiner strengen, teleologisch aber eher weniger überzeugenden Linie zum Verbot der Selbstvornahme eine Ersatzmöglichkeit: Wenn der Käufer keine Nachfrist setzt, soll er auch den Schaden nicht liquidieren dürfen.749 Tatsächlich bildet sich auch hier der Unwert des Käuferverhaltens nicht im eingetretenen Schaden ab (fehlender Sorgfaltswidrigkeitszusammenhang): Denn der Schaden wäre bei ordnungsgemäßer Nachfristsetzung genauso entstanden. Der Verkäufer wiederum erscheint nicht schutzwürdig, weil er die Chance zur zweiten Andienung bewusst von sich gewiesen hat. In ähnlicher Weise sind auch die Fälle des entgangenen Gewinns einzuordnen.750 Das Fristsetzungserfordernis passt dort, wo das Entgehen des Gewinns durch eine ordnungsgemäße Nacherfüllungshandlung des Verkäufers hätte verhindert werden können; ist dies nicht der Fall, kann der Ersatzanspruch nicht an § 281 Abs. 1 Satz 1 scheitern (vgl. Rn. 335). Hinzu tritt noch ein praktisches Problem: Ob im Einzelfall die Nacherfüllungsbemühungen des Verkäufers den Schaden erfolgreich abwenden können oder nicht, lässt sich für den Käufer ex ante häufig nicht sicher beurteilen. Er kann sich jedoch vor der Sperrwirkung des § 281 Abs. 1 Satz 1 wirksam dadurch schützen, dass er dem Verkäufer im Zweifel die Chance der Nacherfüllung einräumt. Darüber hinaus trägt der Käufer das Risiko, die Erfolgsaussich-

748 Lorenz, in: FS Leenen, 2012, S. 147, 160f. 749 BGH NJW-RR 2009, 667, Tz. 10. 750 Mit größtenteils ähnlichen Ergebnissen, aber von einer schadenstypologischen Betrach-

tungsweise aus argumentierend Grigoleit/Riehm AcP 203 (2003) 727, 735; BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 252; vgl. ferner U. Huber, in: FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 525f.; Reinicke/Tiedtke Rn. 514.

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ten einer Nacherfüllung durch den Verkäufer falsch zu beurteilen. Ihm steht dabei nach Auffassung des BGH kein „Recht auf Irrtum“ zu (str.; Rn. 207). bb) Ausnahmen vom Nachfristsetzungserfordernis

Die Ausnahmen vom Fristsetzungserfordernis nach § 281 Abs. 2 spiegeln teilweise die Regelung des § 323 Abs. 2. Keine Unterschiede bestehen zwischen § 323 Abs. 2 Nr. 1 und § 281 Abs. 2 erster Fall (ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung; Rn. 247ff.). Dagegen ist der Anwendungsbereich des § 281 Abs. 2 zweiter Fall (besondere Umstände) weiter gefasst als der des § 323 Abs. 2 Nr. 3: Die Einschränkung des § 323 Abs. 2 Nr. 3 für den Fall der Nichterfüllung orientiert sich an der vollharmonisierenden Wirkung der VerbRRiL (Rn. 255). Im Schrifttum wird deshalb teilweise gefordert, § 281 Abs. 2 zweiter Fall müsse im Wege der teleologischen Reduktion dieser Beschränkung angepasst werden, um Umgehungen des § 323 Abs. 2 Nr. 3 durch Kombination von Rücktritt und Schadensersatz (§ 325) bzw. eine „Rücktrittsfalle“ zu verhindern.751 Der Blick auf die praktischen Probleme gebietet dies jedoch nicht.752 Anders als im Fall des § 323 Abs. 2 Nr. 2 (Rn. 254) kennt § 281 Abs. 2 von vornherein keine Ausnahme vom Fristsetzungserfordernis beim relativen Fixgeschäft. Der Grund für diese Ungleichbehandlung wird in den Materialien nicht weiter erklärt. Er dürfte darauf zurückgehen, dass § 361 BGB aF. im Falle des relativen Fixgeschäftes nur ein Rücktrittsrecht kannte. Nur § 376 Abs. 1 HGB lässt – bei Eintritt des Schuldnerverzugs – einen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage eines relativen Fixgeschäftes zu. Dem folgt die hM.: Das Privileg des sofortigen Rücktritts bei Vereinbarung eines Fixgeschäftes erstrecke sich nicht auf das Schadensersatzverlangen.753 Dies überzeugt indes nicht. Zwar beruht der Unterschied zwischen § 323 Abs. 2 und § 281 Abs. 2 auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Diese knüpft jedoch an eine Zufälligkeit des alten Rechts an. Vereinbart der Käufer nämlich mit dem Verkäufer einen festen Leistungszeitpunkt, zu dem das Geschäft stehen oder fallen soll, ist nicht einzusehen, dass er sich bei Säumnis des Verkäufers auf einen neuen Leistungsinhalt (= Leistung zu einem späteren Zeitpunkt) einlassen und eine Nachfrist setzen soll, um seinen Schaden liquidieren zu können. Dem Verkäufer ist die Bedeutung des Zeitmomentes bewusst; lässt er sich deshalb auf ein relatives Fixgeschäft ein, setzt er sich in Widerspruch zum eigenen Verhalten, wenn er auf einer zweiten Andienung besteht. Überzeugend erscheint daher die Überlegung, bei der Vereinbarung eines relativen Fixgeschäftes von den Voraussetzungen des § 281 Abs. 2 zweiter Fall (besondere Umstände) auszugehen.754 751 Riehm NJW 2014, 2065, 2066; dazu auch Jäger, Überschießende Richtlinienumsetzung im Privatrecht, 2006, S. 164; Jaensch NJW 2003, 3613. 752 Bassler/Büchler AcP 214 (2014) 888, 920f.; Weiss NJW 2015, 3393ff. 753 MünchKomm/Ernst § 281 Rn. 62; Ramming ZGS 2002, 412, 415. 754 So etwa Staudinger/Schwarze § 281 Rn. 113ff.; NK-BGB/Dauner-Lieb § 281 Rn. 42.

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Für diese Betrachtungsweise spricht auch, dass in den Materialien der Fall des Just-in-Time-Vertrages als Anwendungsbeispiel für § 281 Abs. 2 zweiter Fall erwähnt ist. Denn dieser hat regelmäßig den Charakter einer relativen Fixschuld:755 Autobauer K hat mit dem Zubehörlieferanten V folgende Lieferbedingungen vereinbart: V muss bestimmte Zubehörteile 48 Stunden nach Anforderung durch K so beim Werk des K anliefern, dass sie eine Stunde vor Montage am Fließband bereitstehen. Als V dieser Pflicht am 24.1. nicht nachkommt, stehen die Bänder bei K für 10 Stunden still, bis K vom Lieferanten L eine Ersatzcharge erhält. Durch den Produktionsausfall entsteht K ein Schaden iHv. 50.000 €.

Just-in-Time-Verträge sind eine Ausprägung der aus Japan stammenden sog. schlanken Produktionswege (Lean Production), im Rahmen derer ein Unternehmen Teilbereiche der Produktion auslagert (Outsourcing), um dadurch Lagerkosten zu sparen und Effizienzgewinne einzufahren.756 Nach Auffassung des Gesetzgebers muss dem Käufer im Rahmen eines Just-in-Time-Vertrages die Möglichkeit zustehen, sofort Ersatzbeschaffung bei Dritten anzuordnen, weil sich sein Schaden sonst ausweitet.757 Dann fällt die Vereinbarung einer relativen Fixschuld aber regelmäßig unter § 281 Abs. 2 zweiter Fall und im obigen Beispiel ist ein Schadensersatzanspruch begründet. b) Vertretenmüssen aa) Überblick 346

Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 haftet der Verkäufer dann nicht auf Schadensersatz, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Die negative Wendung im Normwortlaut signalisiert, dass der Verkäufer die Darlegungs- und Beweislast für die Abwesenheit der tatsächlichen Voraussetzungen eines Vertretenmüssens trägt. Zu vertreten hat der Verkäufer Verschulden (Vorsatz und Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 1 Satz 1) und darüber hinaus auch einen weiteren Schaden, wenn ihm das Gesetz eine Garantie auferlegt oder der Verkäufer diese im Vertrag bewusst übernommen hat. Der Vorwurf des Vertretenmüssens bezieht sich dabei entweder auf den Mangel der Kaufsache oder den Umstand seiner Nichtbeseitigung während der Nacherfüllungsfrist. Bei sonstigen Pflichtverletzungen kommen andere Anknüpfungspunkte in Betracht (dazu bereits ausführlich Rn. 330ff.). bb) Verschulden und Erfüllungsgehilfenhaftung (§§ 276, 278)

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Der Verkäufer hat zunächst Vorsatz (dazu Rn. 257) und Fahrlässigkeit zu vertreten. Der in § 276 Abs. 2 konkretisierte Fahrlässigkeitsmaßstab beinhaltet ein Garantieelement (Rn. 9ff.): Denn das Schuldnerverhalten wird nicht an den 755 Dazu Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 3, 1993, S. 286ff. 756 Grundlegend dazu Lange, Das Recht der Netzwerke – Moderne Formen der Zusammenar-

beit in Produktion und Vertrieb, 1998. 757 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 140.

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ihm persönlich zumutbaren Maßstäben gemessen, sondern an der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2). So trägt der Schuldner das Risiko, persönlich hinter den objektiven Verkehrsmaßstäben zurückzubleiben. Entsprechend dem Wortlaut und der systematischen Grundstruktur des § 276 Abs. 2 lassen sich allerdings verschiedene Verkehrskreise unterscheiden, in denen unterschiedliche Sorgfaltsanforderungen gelten. Auf den konkreten Horizont einer Vertragspartei kann im Rahmen des § 276 Abs. 2 daher nur insoweit Rücksicht genommen werden, als sie einem bestimmten Verkehrskreis angehört.758 Von großer praktischer Bedeutung ist dabei die Einsicht, dass der Hersteller der Sache und ihr Verkäufer unterschiedlichen Verkehrskreisen angehören. So trifft den Verkäufer grundsätzlich keine generelle, anlassunabhängige und auf die Kaufsache bezogene Untersuchungspflicht.759 Allerdings ist auch der Verkäufer zu einer sog. Sichtprüfung verpflichtet und muss bspw. Durchrostungen eines Fahrzeugs erkennen.760 Im Übrigen hat er den Mangel der Kaufsache jedoch nur in Ausnahmefällen selbst zu vertreten (Rn. 331). Ausschlaggebend dafür ist, dass ein objektiver Beobachter in der Position des Käufers nicht erwarten darf, dass der Verkäufer im Hinblick auf die Beschaffenheit der Kaufsache kompetent ist und Mängel erkennen kann. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass § 377 HGB beim beiderseitigen Handelskauf nur eine Rügeobliegenheit und keine Pflicht begründet. Hersteller H hat V, dem Betreiber eines Supermarktes, 1.000 Dosen Tomaten geliefert. V nimmt keine Stichproben und erkennt deshalb nicht, dass ein Teil der Lieferung verdorben ist. K erwirbt eine Dose von V und verdirbt sich den Magen. Kann K von V Schmerzensgeld verlangen? Hier kommt ein Schmerzensgeldanspruch des K gegenüber V nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, 253 Abs. 2 in Betracht. Den Mangel kann K hier ohne Nachfristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 geltend machen, da es um die Beeinträchtigung eines absolut geschützten Rechtsgutes geht, für das die §§ 249ff. eine Spezialregelung bedeuten(str.; Rn. 340). Fraglich ist nur, ob gegenüber V der Vorwurf des Vertretenmüssens erhoben werden kann. Das Verhalten des V genügt vorliegend nicht den Anforderungen an § 377 Abs. 1 HGB, da die hM. dem unternehmerisch organisierten Käufer im Rahmen der ausdrücklich vorgesehenen Untersuchung der Kaufsache Warenproben zumutet.761

Ein Verstoß gegen § 377 Abs. 1 HGB aber begründet keinen Schadensersatzanspruch des Händlers gegenüber einem Käufer, der der Rügeobliegenheit nicht gerecht geworden ist. Denn der Regelungsgehalt des § 377 Abs. 1 HGB erschöpft sich in der Sanktion des Abs. 2; danach sind Gewährleistungsrechte des 758 Vgl. nur MünchKomm/Grundmann § 276 Rn. 57ff. 759 BGH NJW 2015, 1669, Tz. 14; BGH NJW 2009, 2674, Tz. 19; BGH NJW-RR 1989, 559f.;

BGH NJW 1981, 1269f.; U. Huber, in: FS Ulmer, 2003, S. 1165, 1188; Lorenz ZGS 2004, 408, 410; Schroeter JZ 2010, 495, 496. 760 BGH NJW 2015, 1669, Tz. 16. 761 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 29 Rn. 59ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 29 Rn. 76.

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Käufers bei verspäteter Rüge ausgeschlossen. Die Norm schützt dagegen nicht den Händler bzw. sonstige Marktbeteiligte vor Schäden.762 Ihr fehlt also der für eine echte Rechtspflicht typische persönliche und sachliche Schutzzweck zugunsten einer vom Schuldner verschiedenen Person (Rn. 1056); es handelt sich folglich nur um eine Obliegenheit (Rn. 1171ff.). Entsprechend bedeutet ein Verstoß gegen § 377 Abs. 1 HGB daher auch keine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durch den Käufer (§ 276 Abs. 2). Im selben systematischen Zusammenhang steht die Frage, ob dem Verkäufer ein Vertretenmüssen des Herstellers nach § 278 Satz 1 zurechenbar ist: Hat im Beispielsfall (Rn. 348) H den Umstand zu vertreten, dass ein Teil der Lieferung mangelhaft war, stellt sich die Frage, ob V dem K nicht nach § 278 Satz 1 für das Vertretenmüssen des H verantwortlich ist und deshalb selbst nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, 253 Abs. 2 haftet.

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Die hM. wendet § 278 Satz 1 auf das Verhältnis zwischen Verkäufer und Lieferanten gerade nicht zugunsten des Käufers an.763 Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers.764 Die Gegenauffassung argumentiert teilweise mit dem Wortlaut des § 278 Satz 1. Der Lieferant werde ja mit Wissen und Wollen des Verkäufers so tätig, dass der Käufer betroffen sei. Folglich bediene sich der Verkäufer des Lieferanten zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten.765 Der klassische Gegeneinwand lautet, dass der Verkäufer dem Käufer nur die Verschaffung der Kaufsache selbst, nicht aber deren Herstellung bzw. ihren Erwerb von Dritten schulde. Eingeschaltet werde der Lieferant aber nur bei Herstellung und Erwerb.766 Dem hält die Gegenauffassung entgegen, dass mit Einführung des § 433 Abs. 1 Satz 2 der Lieferant in das Schuldverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer einbezogen sei. Denn die dem Einzelhandel vorgelagerten Wertschöpfungsstufen (vor allem der Hersteller) verbürgten die vom Verkäufer geschuldete Qualität, da dieser selbst diesbezüglich ja keine Kompetenz aufweise.767 Dennoch überzeugt die hM. aus mehreren Gründen. Im Unionsrecht gab es mehrere Vorstöße, eine direkte vertragliche Sachmängelhaftung des Produktherstellers gegenüber dem Verbraucher einzuführen, die bislang sämtlich gescheitert sind. Das französische Recht kennt ein solches Institut in Gestalt der action directe: Danach erwirbt der Käufer die 762 Schroeter JZ 2010, 495, 496 unter Verweis auf BGH LM § 276 (Hb) Nr. 2; BGH NJW 1977, 1055, 1056. 763 BGHZ 200, 337 = NJW 2014, 2183, Tz. 31ff.; BGHZ 177, 224 = NJW 2008, 2837, Tz. 29 – Parkettstäbe; BGH NJW 2009, 2674, Tz. 19; BGH NJW 2009, 1660 = JZ 2009, 310, Tz. 11 – Gebr. Weber (Vorlagebeschluss) Anm. Unberath/Cziupka; Keiser NJW 2014, 1473, 1476; Lorenz ZGS 2004, 408, 410; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 286; Reinicke/Tiedtke Rn. 566; vgl. auch Wendelstein AcP 215 (2015) 70ff. 764 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 209f. 765 Peters ZGS 2010, 24, 27. 766 H.P. Westermann JZ 2001, 530, 533; vgl. bereits zur vorangegangenen Kritik Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 409ff. 767 Schroeter JZ 2010, 495, 497f.; Weller NJW 2012, 2312ff.

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Gewährleistungsrechte aus den vorgelagerten Handelsstufen als Zubehör zur Kaufsache (accessoire de la chose) und kann daher kraft Legalzession gegen den Hersteller vorgehen.768 In einem Grünbuch aus dem Jahre 1993 wollte die Europäische Kommission einen ähnlichen Direktanspruch in die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG einführen, ist damit jedoch gescheitert.769 Art. 9 lit. b der Produkthaftungsrichtlinie beschränkt die Produkthaftung aus diesem Grund auf den Fall der Zerstörung oder Beschädigung einer anderen Sache und nicht der gelieferten Sache selbst.770 Auch im Rahmen der VerbrGüterKRiL war zunächst ein Direktanspruch des Verbrauchers gegen die Vertreter vorgelagerter Handelsstufen vorgesehen. Dadurch sollte der Verbraucher vor der Insolvenz des ihm gegenüberstehenden Verkäufers besser abgesichert sein. Dieser Anspruch wurde jedoch nicht in Art. 4 VerbrGüterKRiL umgesetzt, sondern führte nur zu dem Überprüfungsvorbehalt nach Art. 12 Satz 2 VerbrGüterKRiL, der einstweilen folgenlos blieb.771 Der vor allem auch aus Deutschland kommende Widerstand gegen diese Vorhaben erklärt sich aus dem Verständnis heraus, dass der Vertragsschluss vor allem auch ein Mittel der Risikobegrenzung darstellt. Die Vertragsparteien gehen dabei die in der Person der jeweiligen Gegenseite liegenden Risiken ein und setzen sich deren Ansprüchen aus. Dritten gegenüber haften sie dagegen aus Vertrag nicht. Die Vorteile dieses Verständnisses sind vielfältig: Zunächst beruht das eingegangene Risiko allein auf der freien Entscheidung einer Vertragsseite, mit der anderen zu kontrahieren. Die daraus abgeleiteten Risikofolgen sind überschaubar und daher auch versicherbar. Anders liegt der Fall, wenn ein Hersteller von allen Erwerbern in einer Wertschöpfungskette zur Verantwortung gezogen werden kann, sich nach deren Erwartungen richten und sich mglw. sogar an deren Sitzort verklagen lassen muss (vgl. §§ 29, 32 ZPO). Risiken dieser Art sind schwer zu kalkulieren und entsprechend nicht ohne weiteres zu versichern. In diesem Zusammenhang betrachtet, erscheint § 278 Satz 1 gerade als ein Sonderfall des Einwendungsdurchgriffs (dazu noch Rn. 686 und Rn. 719). Denn Leistungsstörungen aus dem vertraglichen Schuldverhältnis zwischen Verkäufer und Erfüllungsgehilfen (Hersteller) könnten vom Käufer im Rahmen des Kaufvertrags gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht werden. Dies erscheint aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Verkäufer den Dritten mit Aufgaben gegenüber dem Käufer betraut, die er ansonsten selbst vornehmen müsste. Ausschlaggebend für die strenge Haftung nach § 278 Satz 1 ist nämlich das Verbot der Substitution in § 664 Abs. 1 Satz 1: Ein Schuldner darf sich seiner Pflichten gegenüber dem Gläubiger nicht dadurch entledigen, dass er sie auf 768 Zu den dogmatischen Hintergründen Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 357f. 769 Dazu Ebers/Janssen/Meyer (Hrsg.), European Perspectives on Producers’ Liability. Direct Producers’ Liability for Nonconformity and the Sellers’ Right of Redress, München 2009. 770 Zum Abgrenzungszweck vgl. Taschner NJW 1986, 611, 616; Staudinger/Oechsler, § 1 ProdHaftG Rn. 9. 771 Lepsius AcP 207 (2007) 340, 343f. und 346f.

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einen Dritten überträgt. Der Lieferant erfüllt aber keine Pflichten des Verkäufers gegenüber dem Käufer; dies gilt auch unter der Geltung des § 434 Abs. 1 Satz 2. Den Parteien des Kaufvertrages steht es allerdings frei, die Anforderungen an die vom Verkäufer zu beobachtende Sorgfalt gegenüber § 276 Abs. 2 zu erweitern.772 Die Anforderungen eine solche Vereinbarung sind indes hoch: (LG Duisburg 18.11.2010 – 21 O 66/08 = ZGS 2011, 430) Unternehmer K liefert Kfz-Zubehörteile an diverse Automobilhersteller. Mit dem Zwischenhändler V schließt er einen Just-in-Time-Vertrag (Rn. 345) über den Bezug von Stahlplatten. In dem Vertrag wird erklärt, dass V „unter Beachtung der anspruchsvollen Leistungs-, Qualitäts- und Terminanforderungen“ des K ausgesucht worden sei. Mit jeder Lieferung muss V dem K daher ein Prüfzeugnis über die Qualität der Platten übersenden. Nachdem V dem K allerdings eine Charge qualitativ ungeeigneter Stahlplatten geliefert hat, entstehen K erhebliche Kosten für eine Rückrufaktion gegenüber den Automobilherstellern. Diese verlangt er nun von V ersetzt. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz neben der Leistung aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1. Die Stahlplatten waren nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 mangelhaft. Eine Nachfristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 scheidet aus, da der Schaden bereits eingetreten ist und durch Nacherfüllung nicht beseitigt werden kann. Andernfalls käme aber auch ein Ausnahmefall nach § 281 Abs. 2 zweiter Fall wegen Vereinbarung einer relativen Fixschuld in Betracht (Rn. 345).

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Fraglich ist jedoch, ob dem Verkäufer hier ein Vertretenmüssen nach § 276 Abs. 1 vorgeworfen werden kann. Grundsätzlich ist ein Händler im Vorfeld des Verkaufs nicht zur Untersuchung der Ware verpflichtet (Rn. 348). Deshalb stellte sich die Frage, ob zwischen den Parteien strengere Sorgfaltsanforderungen vereinbart worden sind. Eine ausdrückliche Regelung enthält der Vertrag allerdings nicht. Im Schrifttum wird indes die Vereinbarung einer konkludenten Haftungsverschärfung für möglich gehalten, wenn diese sich aus der besonderen Interessenlage des Just-in-Time-Vertrages ableiten lässt:773 Bei diesen Verträgen gehe es ja um einen zeitnahen Einbau der Kaufsache nach Lieferung (vgl. bereits Rn. 345). Dieser komme nur in Betracht, wenn der Verkäufer die Kaufsache zuvor auf Mängel überprüft habe. Denn zeige sich ein Sachmangel erst bei der Montage, könne es zu einem kompletten Produktionsausfall beim Käufer kommen. Weil dies dem Verkäufer bewusst sei, lasse er sich konkludent auf höhere Sorgfaltsanforderungen ein, als sie üblicherweise bei einem Händler bestünden. Das LG ist dieser Argumentation zu Recht nicht gefolgt und ging nicht von einem konkludenten, übereinstimmenden Parteiwillen aus (S. 430). Dafür spricht, dass die Erwartungen des Käufers vorliegend nicht über einseitige und nach § 119 Abs. 2 unbeachtliche Motive hinausgehen. Denn für die Annahme eines Rechtsbindungswillens fehlt es aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Verkäufers nach Maßgabe des § 157 vor allem an der nötigen Bestimmtheit der den Verkäufer treffenden Zusatz772 MünchKomm/Grundmann § 276 Rn. 57. 773 Lange ZGS 2011, 393, 395.

B. Käuferrechte

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pflichten. Unklar bliebe ja, welche Stichproben genau der Verkäufer nehmen, welche Sachverständigen er mit der Warenprüfung betrauen müsste usw. All dies lässt der Käufer vorliegend im Unklaren und umgeht so zwei Schwierigkeiten: Denn einerseits hätte der Verkäufer die Vereinbarung konkreter umfangreicher Untersuchungspflichten kaum ohne ein wirtschaftliches Entgegenkommen des Käufers akzeptiert. Andererseits vermeidet der Käufer das Gestaltungsrisiko in seinen AGB, insbesondere im Hinblick auf die Lückenlosigkeit der die Gegenseite treffenden Untersuchungspflichten. Vorliegend darf er es deshalb nicht bei einer vagen Formulierung belassen und im Einzelfall den Vorwurf erheben, der Zwischenhändler hätte erkennen müssen, dass gerade die im Einzelfall unterlassene Sicherheitsvorkehrung erforderlich gewesen und geschuldet worden sei. Kommt daher ein Rechtsbindungswille des Verkäufers wegen der Unbestimmtheit der Vertragspassage nicht in Betracht, kann aus demselben Grund kein einschlägiger Handelsbrauch (§ 346 HGB) bestehen. cc) Garantien, insbesondere Beschaffenheitsgarantien des Verkäufers

Der in § 276 Abs. 1 konkretisierte Begriff des Vertretenmüssens ist weiter als der des Verschuldens; eine verschuldenslose Haftung kann entweder aus einer vertraglichen Abrede oder aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses resultieren. Dabei kommt die Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos ausdrücklich in Betracht. Diese strenge Regelung geht historisch eigentlich auf einen vglw. banalen Anlass zurück: Der sozialdemokratische Gesetzgeber der Schuldrechtsreform scheute sich, die Haftung für die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit des Schuldners („Geld hat man zu haben!“) ausdrücklich zu normieren.774 Er versteckte diesen Rechtsgedanken praktisch in einer Verschärfung des Haftungsmaßstabes und beließ es bei der Überlegung, dass aus Gattungsschulden wie Geld unbegrenzt gehaftet werde (Rn. 484). (BGH 4.2.2015 – VIII ZR 175/14 = BGHZ 204, 134 = NJW 2015, 1296) V kündigt M den Mietvertrag über eine Wohnung, weil M sich mit der Mietzahlung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 in Verzug befinde. M wendet ein, dass er für die Entrichtung der Miete auf Sozialleistungen angewiesen sei und diese regelmäßig zu spät bei ihm eingingen. Deshalb liege mangels Vertretenmüssens nach § 286 Abs. 4 kein Verzug vor. Der BGH sieht die Sozialbehörde nicht als Erfüllungsgehilfin des Mieters nach § 278 Satz 1 an (Tz. 20), geht aber von einer strengeren Haftung iSd. § 276 Abs. 1 Satz 1, nämlich der unbeschränkten Vermögenshaftung, aus (Tz. 18). Danach muss der Mieter für seine mangelnde eigene finanzielle Leistungsfähigkeit – also das Fehlen eigener Mittel und das Angewiesensein auf Sozialhilfe – einstehen (Tz. 19). Die Kritik wirft dem Gericht vor, einem überholten Sozialmodell zu folgen.775 Doch greift dies zu kurz: Die §§ 16ff. InsO setzen vielmehr voraus, dass ein Schuldner nicht deshalb von seiner Verbindlichkeit frei wird, weil er zahlungsfähig oder überschuldet ist. Die eigene Vermögenslosigkeit ist also – anders als etwa die Unmöglichkeit nach § 275 – kein Grund, die Verantwortlichkeit aus einem Schuldverhältnis zu beenden; sie löst auf Antrag nur ein besonderes Verteilungsverfahren 774 Canaris JZ 2001, 499, 518f. 775 Derleder JZ 2015, 517, 518; historisch vgl. bereits RGZ 75, 335, 337.

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§ 2 Der Kaufvertrag

(das Insolvenzverfahren) unter den Gläubigern über das Restvermögen dess Schuldners aus. Eine Besonderheit des Mietrechts liegt allerdings darin, dass der BGH in den Fällen der außerordentlichen Kündigung auf der Grundlage des § 543 Abs. 1 anders entscheidet (Rn. 1002)!

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Ursprünglich sah der Regierungsentwurf sogar ausdrücklich vor, dass sich eine strengere Haftung aus der „Natur der Schuld“ ergeben könne.776 Der Bundesrat befürchtete, dass damit der Begründung einer allgemeinen, verschuldensunabhängigen Garantiehaftung Vorschub geleistet werden könne.777 Der Rechtsausschuss konnte sich dennoch nicht auf eine Spezialregelung der finanziellen Leistungsfähigkeit verständigen,778 sondern beließ es beim allgemeinen Prinzip. Die Auseinandersetzung zeigt erhebliche Verwirrung über die entscheidenden Systembegriffe. Denn bereits der Verschuldensbegriff des § 276 Abs. 2 ist durch Garantiezwecke geprägt (Rn. 9ff.). Eine strengere Haftung kann sich auch aus § 24 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch iVm. Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a VO (EG) Nr. 767/2009 ergeben: Der Verkäufer übernimmt hier die Gewähr dafür, dass die Futtermittel „unverdorben, echt, unverfälscht, zweckgeeignet und von handelsüblicher Beschaffenheit sind“. Der BGH779 geht hier zum Schutz der Tierhalter und der menschlichen Gesundheit von einer verschuldensunabhängigen, zum Schadensersatz führenden Haftung aus (Tz. 23), wendet diese allerdings nicht auf Fälle des Mangelverdachts an (Tz. 16 und 37; vgl. zum Mangelverdacht Rn. 98). Wollen die Parteien von vornherein Streit um die Frage des Vertretenmüssens nach § 280 Abs. 1 Satz 2 vermeiden, steht ihnen der Weg über die Beschaffenheitsgarantie (§ 443 Abs. 1) offen:780 (BGH 19.5.1993 – VIII ZR 155/92 = NJW 1993, 2103) V, ein Kunsthändler, verkauft K ein bei ihm hängendes Gemälde für 5.000 €. Im schriftlichen Kaufvertrag wird Edmund Burra als Schöpfer des Gemäldes genannt. Zugleich findet sich die Formulierung, das Gemälde sei „ein Original von der Hand des Künstlers“. Später stellt sich heraus, dass es sich bei dem Gemälde um eine Fälschung handelt. V war gutgläubig davon ausgegangen, ein Original zu verkaufen. Ein echter Burra wäre auf dem Kunstmarkt 150.000 € wert. V lehnt die Beschaffung eines originalen Ersatzgemäldes ab. K verlangt von V Schadensersatz iHv. 145.000 €. Ein Anspruch des K aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 kommt vorliegend vor allem deshalb in Betracht, weil die Beschaffenheitsgarantie stets auch eine Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 beinhaltet. Nach dieser war die Echtheit des übereigneten Gemäldes vorausgesetzt (sog. Individualabweichung; Rn. 139). Die Weigerung des V macht ferner eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 erster Fall wegen ernsthafter und endgültiger Leistungsverweigerung entbehrlich.

776 777 778 779 780

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 132. RegE BT-Drucks. 14/6857, S. 12. BT-Drucks. 14/7052, S. 184 linke Spalte. BGHZ 203, 98 = NJW 2015, 544. H.P. Westermann JZ 2001, 530, 534.

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Die entscheidende Frage des Falles betrifft hingegen das Vertretenmüssen des Verkäufers. Vorliegend hielt der BGH nämlich den Abschluss einer Beschaffenheitsgarantie (damals Zusicherung) für möglich, wenngleich nicht zwingend geboten (S. 2104). Ob der Verkäufer dem Käufer gegenüber eine Beschaffenheitsgarantie abgegeben hat, ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 zu ermitteln. Im Fall spricht die Formulierung, das Gemälde sei ein Original von der Hand des Künstlers, eher für eine bloße Beschaffenheitsvereinbarung und lässt den Willen des Verkäufers, auch ohne Verschulden auf Schadensersatz zu haften, nicht zweifelsfrei erkennen. Für einen fehlenden Einstandswillen des Verkäufers spricht im Zweifel auch der niedrige Kaufpreis. Geht man davon aus, kommt ein Schadensersatzanspruch nicht in Betracht (zur Bedeutung von Katalogangaben im Kunsthandel: Rn. 108).781 Nach der Rechtsprechung des BGH sind die Anforderungen an die Annahme einer Beschaffenheitsgarantie des Verkäufers hoch (vgl. Rn. 421ff.).782 Denn die Beschaffenheitsgarantie führt nicht nur zur verschuldenslosen Haftung des Verkäufers auf Schadensersatz, sondern sie bewirkt auch die Unwirksamkeit eines sonst zwischen den Parteien geltenden Haftungsausschlusses (§§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444, 445). Der BGH nimmt deshalb Beschaffenheitsgarantien des privaten Verkäufers (§ 13) nur ausnahmsweise und allein bei ausdrücklicher Vereinbarung an (Tz. 25f.). Eher sollen diese zu Lasten von Händlern in Betracht kommen, weil der Käufer sich auf deren Erfahrung und Sachkunde verlassen dürfe (Tz. 23).783 Vgl. schließlich zur Inhaltskontrolle von Garantien unten Rn. 427. Die Beschaffenheitsgarantie bezieht sich auf Eigenschaften der Kaufsache, die regelmäßig als Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 in Betracht kommen (vgl. dazu Rn. 96ff.). Darüber hinaus kann der Verkäufer gegenüber dem Käufer auch eine selbständige Garantie eingehen. Diese bezieht sich auf Umstände, die mit der Beschaffenheit der Kaufsache gerade nicht mehr in Zusammenhang stehen (zB. eine Umtauschgarantie bei persönlicher Unzufriedenheit des Käufers). Der Verkäufer haftet aus § 276 Abs. 1 Satz 1 wegen Übernahme eines Beschaffungsrisikos auch dann, wenn er sich auf eine unbeschränkte Gattungsschuld einlässt; aber auch bei Vereinbarung einer Stückschuld kann er ein begrenztes Beschaffenheitsrisiko eingehen, wenn die Stückschuld nur eine abgekürzte Beschaffenheitsvereinbarung darstellt (Rn. 171ff.). 781 OLG Köln NJW 2012, 2665, 2666 unter Verweis auf BGH NJW 1975, 970. 782 BGHZ 170, 86 = NJW 2007, 1346, Tz. 20; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese

Entscheidung. 783 Hinzu tritt eine weitere Überlegung; vgl. BGH NJW 2007, 3777, Tz. 38f.: Im alten Schuld-

recht haftete der Verkäufer für subjektive ursprüngliche Unmöglichkeit (Unvermögen) aus Garantie. Deshalb konnte eine vertragliche Garantieübernahme für Umstände, die in seinem persönlichen Leistungsvermögen lagen, leicht angenommen werden. Im neuen Recht ist zwar keine ausdrückliche Vereinbarung erforderlich (Tz. 39), doch bedarf es konkreter Anhaltspunkte, um von einer Garantie auszugehen (Tz. 39).

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§ 2 Der Kaufvertrag

dd) Mitverschulden 359

Die Anwendbarkeit des § 254 wurde vor allem auf der Grundlage des alten Rechts bei Lieferung einer mangelhaften Kaufsache teilweise unter Hinweis auf § 442 Abs. 1 abgelehnt: Diese Norm, die bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers vom Mangel die Sachmängelhaftung ausschließt, treffe eine Sonderregelung gegenüber § 254.784 Dies kann sich jedoch – wenn überhaupt – nur auf ein haftungsbegründendes Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 beziehen, weil § 442 Abs. 1 nur regelt, wann eine Mitverantwortung des Käufers zum Ausschluss der Haftung des Verkäufers führt. Das haftungserweiternde Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 Satz 1 wird von § 442 Abs. 1 aber gerade nicht erfasst, so dass § 254 Abs. 2 Satz 1 und § 442 Abs. 1 richtigerweise nebeneinander anwendbar sind.785 Der BGH hat dies für den Fall entschieden, dass der Käufer mit dem Ankauf einer Ersatzsache zu lange gewartet und daher den Nutzungsausfallschaden, der ihm infolge der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache zugefügt worden war, vergrößert hatte.786 Dadurch gerät der Käufer allerdings in einen problematischen Interessenkonflikt: Vor Ablauf der angemessenen Nachfrist iSd. §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 darf er kein Deckungsgeschäft vornehmen, ohne nach der Rechtsprechung des BGH sämtliche Ersatzansprüche zu verlieren (Rn. 203). Wartet er hingegen nach Ablauf dieser Frist, deren angemessene Länge ex ante nicht immer leicht einzuschätzen ist, zu lange, droht ihm die Anspruchskürzung nach § 254 Abs. 2 Satz 1. Dieses Pflichtendilemma muss bei der Konkretisierung des § 254 Abs. 2 Satz 1 berücksichtigt werden: Hier darf der Käufer gegenüber dem Verkäufer stets sichergehen, dass eine angemessene Nacherfüllungsfrist verstrichen ist, bevor er ein Deckungsgeschäft vornimmt.787 3. Die Kombination des Schadensersatzanspruchs mit Rücktritt und Minderung (§ 325)

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Nach § 325 wird das Recht, bei einem gegenseitigen Vertrag Schadensersatz zu verlangen, durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen. Der Gesetzgeber wollte damit die sog. Rücktrittsfalle verhindern. Der Rücktritt verwandelt den Vertrag nämlich in ein Rückgewährschuldverhältnis mit Rechten und Pflichten nach §§ 346ff. (Rn. 232). Die Wahl dieses Weges soll nicht dazu führen, dass sich der Käufer den Ersatz von Schäden abschneidet, die bereits im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei ihm eingetreten sind: „Es ist nicht einsichtig, weshalb der Gläubiger nur bei der Wahl des Schadensersatzes die Rechtsfolgen beider Rechtsbehelfe kombinieren können soll, weshalb das aber nicht auch 784 Staudinger/Matusche-Beckmann § 442 Rn. 46; Staudinger/Honsell, 13. Aufl. 1995, § 463 Rn. 34 im Anschluss an RGZ 66, 277. 785 MünchKomm/Westermann § 442 Rn. 15, 18. 786 BGH NJW 2010, 2426, Tz. 31ff. 787 Ähnlich U. Huber AcP 210 (2010) 319, 348ff.; Klöhn JZ 2010, 46, 47.

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bei der Wahl von Rücktritt möglich sein soll. Entsprechend einem Vorschlag der Schuldrechtskommission in §§ 280 Abs. 2, 327 KE soll deshalb die sog. Alternativität zwischen Rücktritt und Schadensersatz aufgegeben werden.“788

a) Möglichkeiten der Schadensberechnung

Die Schadensberechnung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 beruht – vereinfacht dargestellt – auf einer Kombination von Minderung und Schadensersatz:789 Denn in einem einheitlichen Schadensersatzanspruch macht der Käufer den nach § 441 Abs. 3 zu errechnenden Minderwert der Sache als Schaden geltend und liquidiert darüber hinaus weitere Schadenspositionen (zB. entgangenen Gewinn). Der Minderungsbetrag kann dabei auf zwei Weisen berechnet werden: Einmal besteht er iHd. Wertminderung, die die Sache bedingt durch den Mangel auf dem Markt erfährt. Ein anderes Mal kann der Minderungsbetrag die Höhe der Kosten für die Mängelbeseitigung ausmachen (Rn. 324). In einem vom BGH entschiedenen Fall war das verkaufte Haus von Hausschwamm befallen. Dadurch minderte sich sein Marktwert um 93.000 €; die Beseitigung des Hausschwamms aber hätte 635.000 € gekostet. Nach § 251 Abs. 2 Satz 1 kann der Schuldner den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1) mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Bei einem Grundstückskaufvertrag sind die Kosten der Mängelbeseitigung unverhältnismäßig, wenn sie entweder den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand übersteigen oder höher liegen als 200% des mangelbedingten Minderwerts.790 So kam in diesem Fall nur ein Schadensersatzanspruch iHv. 93.000 € in Betracht. Die Schranke des § 251 Abs. 2 gilt im Übrigen auch im Rahmen des § 439 Abs. 4: Der Verkäufer kann danach die Nacherfüllung verweigern, wenn deren Kosten mit unverhältnismäßigen Aufwendungen iSd. § 251 Abs. 2 verbunden sind (Rn. 188). Nach § 281 Abs. 1 Satz 3 berechnet sich der Schaden hingegen aus einer Kombination von Rücktritt und Schadensersatz: Der Käufer gibt dabei die Sache an den Verkäufer zurück und macht Ersatz in Höhe der selbst erbrachten Gegenleistung plus zusätzlicher Schadenspositionen geltend. Dies erklärt, warum dieser letzte Anspruch gemäß § 281 Abs. 1 Satz 2 und 3 nur unter denselben Voraussetzungen wie der Rücktritt (nämlich nur wegen eines erheblichen Mangels iSd. § 323 Abs. 5) geltend gemacht werden kann. Beide Berechnungsarten – § 281 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 – schließen also echte Schadensersatzpositionen in sich ein. Immer schon war umstritten, wie der Schadensersatz bei Leistungsstörungen in einem Austauschvertrag zu berechnen ist.791 Nach der sog. Surrogationstheorie erbringt der Käufer seine ei788 RegE BT-Drucks. 14/6040, 188, linke Spalte. 789 Dagegen zu Unrecht Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 59, wonach die Minderung den

Mangel rückwirkend heile. Wie hier etwa Althammer/Löhnig AcP 205 (2005) 520, 539f. 790 BGHZ 200, 350 = NJW 2015, 468 Tz. 41; Gutzeit NJW 2015, 445; Wietfeld AcP 215 (2015) 716, 727ff. 791 Instruktiv zum Folgenden: Staudinger/Schwarze § 280 Rn. E 39ff. und Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 173ff.

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gene Gegenleistung und verlangt vom Verkäufer Ersatz für dessen ausbleibende Leistung in Geld. Der Schadensersatz surrogiert mit anderen Worten die vom Verkäufer geschuldete, aber (teilweise) ausbleibende Gegenleistung. Nach heute hM. (eingeschränkte Differenztheorie)792 kann der Käufer diese Berechnungsart wählen, wenn er an der Erbringung seiner eigenen Leistung ein besonderes Interesse hat. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Leistung des Käufers nicht in einer reinen Geldzahlung besteht, sondern bspw. in der Inzahlunggabe eines Gebrauchtwagens: V hat K einen Neuwagen für 40.000 € verkauft und nimmt den reichlich lädierten Gebrauchtwagen des K besonders günstig für 8.000 € in Zahlung (Wert 6.000 €). Der gelieferte Neuwagen weist jedoch einen Mangel auf, der auch nach zwei Nachbesserungsversuchen des V nicht beseitigt werden kann. Die Reparatur bei einem Drittunternehmen wird 1.000 € kosten. Außerdem entgeht K ein Gewinn iHv. 2.000 €, da ihm ein Interessent wegen des Mangels abgesagt hat. Deshalb fordert K von V Schadensersatz nach § 281 Abs. 1 Satz 1 und berechnet diesen wie folgt: (1) Er übereignet seinen Gebrauchtwagen an V, falls dies noch nicht erfolgt ist. (2) Er verlangt von V Schadensersatz für den Minderwert des Neuwagens (= Reparaturkosten iHv. 1.000 €). (3) Er macht schließlich einen Anspruch auf entgangenen Gewinn nach § 252 iHv. 2.000 € geltend. (4) Mit den Ansprüchen aus Position 2 und 3 (insgesamt 3.000 €) rechnet er gegen den Restkaufpreisanspruch des V aus § 433 Abs. 2 iHv. 32.000 € (40.000 € abzüglich der für das Kfz angesetzten 8.000 €) auf. K leistet daher an V noch 29.000 € und sichert sich auf diese Weise die Vorteile der günstigen Inzahlunggabe des Gebrauchtwagens.

Es liegt auf der Hand, dass dem Käufer diese Berechnungsmethode nicht zustehen kann, wenn er nach § 281 Abs. 1 Satz 3 Ersatz auf der Grundlage einer Kombination aus Schadensersatz und Rücktritt berechnet. Denn hier zielen seine Ansprüche gerade darauf ab, den Vertrag rückabzuwickeln und nicht zu erfüllen. Geht K nach § 281 Abs. 1 Satz 3 vor, macht er V folgende Rechnung auf: (1) Er verlangt den Gebrauchtwagen nebst Nutzungsersatz (vglb. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) sowie die gezahlten 32.000 € zurück, und zwar Zug um Zug gegen (2) Rückübereignung des Neuwagens und Erstattung von Nutzungsersatz (vglb. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). (3) Gleichzeitig verlangt er Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns (§ 252). K hat hier den Nachteil, dass er gegenüber einem Dritten 2.000 € mehr für die Anschaffung eines vergleichbaren Wagens aufwenden muss, weil dieser seinen Gebrauchtwagen voraussichtlich nur für 6.000 € in Zahlung nehmen wird.

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Besteht die vom Käufer zu erbringende Gegenleistung allein in Geld, hat der Käufer regelmäßig kein Interesse an der Erbringung der eigenen Leistung. Denn es stünden sich dann nur zwei Ansprüche in Geld gegenüber, so dass so792 RG JW 1931, 1183, 1184; BGHZ 20, 338, 343; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearbeitung 1958, § 53 IV; Staudinger/Schwarze § 280 Rn. E 58 und 61 mwN.

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wohl der Käufer als auch der Verkäufer die Aufrechnung nach § 387 mit der Wirkung des § 389 erklären könnten. Diesen Denkschritt nimmt die sog. Differenztheorie vorweg.793 Sie bildet bei der Schadensberechnung daher den ursprünglich beabsichtigten Leistungsaustausch nicht nach, sondern saldiert die von beiden Seiten geschuldeten Zahlungsansprüche. V hat K einen Neuwagen für 40.000 € verkauft. Dieser weist jedoch einen Mangel auf, der auch nach zwei Nachbesserungsversuchen des V nicht beseitigt werden kann. Die Reparatur bei einem Drittunternehmen wird 1.000 € kosten. Außerdem entgeht K ein Gewinn iHv. 2.000 €, da ihm ein Interessent wegen des Mangels abgesagt hat. Deshalb fordert K von V Schadensersatz und berechnet diesen nach § 281 Abs. 1 Satz 1 wie folgt: (1) Seine Ansprüche auf Schadensersatz iHd. Reparaturkosten (1.000 €) und des entgangenen Gewinns (2.000 €) werden mit dem (2) Kaufpreisanspruch des V iHv. 40.000 € saldiert. Hat K bereits den Kaufpreis gezahlt, steht ihm jetzt noch ein Schadensersatzanspruch gegen V iHv. 3.000 € zu. Die Differenztheorie führt schließlich im Fall des § 281 Abs. 1 Satz 3 zu folgendem Ergebnis: (1) K verlangt im Wege des Schadensersatzes den gezahlten Kaufpreis iHv. 40.000 € nebst Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Zug um Zug gegen Rückübereignung des Wagens zurück; (2) er haftet V dabei auf Wertersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 für die aus dem Fahrzeug gezogenen Gebrauchsvorteile, (3) kann aber im Gegenzug Ansprüche auf entgangenen Gewinn iHv. 2.000 € geltend machen. (4) Die Reparaturkosten kann K nicht geltend machen, da er das Fahrzeug nicht behält und folglich auch nicht reparieren lassen muss. So beläuft sich der Anspruch des K auf 42.000 € zuzüglich der eigenen Nutzungsansprüche aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und abzüglich des dem V geschuldeten Nutzungsersatzanspruchs aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (zu deren gegenseitiger Aufhebung, str. Rn. 295).

b) Die zulässige Berechnungsmethode vor Ausübung des Rücktrittsrechts

Nach hM. kann der Käufer – wenn er keine Rücktrittserklärung nach §§ 323 Abs. 1, 349 Abs. 1 abgegeben hat – im Falle des § 281 Abs. 1 Satz 1 frei zwischen beiden Berechnungsmethoden des Schadensersatzes (Surrogations-, Differenztheorie) wählen, wenn er ein besonderes Interesse an der Berechnung nach der Surrogationstheorie hat. Er ist dabei an eine einmal getroffene Wahl nicht gebunden, sondern kann die Berechnungsart noch nachträglich abändern, weil beide Ansprüche im Verhältnis elektiver Konkurrenz (zum Begriff Rn. 169) zueinander stehen.794 Nach der Gegenansicht kann der Käufer den Schaden hingegen nur nach der Surrogationstheorie berechnen, solange er nicht 793 Zur Entwicklung Staudinger/Schwarze § 280 Rn. E 42f. 794 Krause Jura 2002, 299, 304; Staudinger/Schwarze § 280 Rn. E 48; Schwarze, Leistungsstö-

rungen, 2008, § 25 Rn. 57; Jauernig/Stadler § 281 Rn. 18.

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den Rücktritt erklärt hat. Begründet wird dies mit der Wirkungsweise des § 281 Abs. 4: Das Schadensersatzverlangen verwandele nur die vom Verkäufer geschuldete Primär- in eine Sekundärleistung, nicht aber die vom Käufer geschuldete Gegenleistung.795 Hinzu trete das Interesse an der Vermeidung eines Selbstwiderspruchs: Der Käufer soll nicht einerseits bei der Schadensersatzberechnung eine Rückabwicklung voraussetzen dürfen, sich aber andererseits darauf berufen können, dass der Kaufvertrag tatsächlich nicht rückabgewickelt sei. Die überzeugenderen Argumente sprechen indes für das Bestehen eines Wahlrechts. Zunächst führt die von der Gegenmeinung befürwortete Beschränkung des Käufers auf die Surrogationstheorie zu einer Verrechnung, die die Ergebnisse der Differenztheorie nachbildet: V hat K ein Kfz für 20.000 € verkauft, liefert aber trotz Fristsetzung seitens des K nicht. K kann ein Fahrzeug desselben Typs andernorts nur für 22.000 € erwerben.

Nach der Differenztheorie macht K dem V folgende Rechnung auf: (1) Ein Leistungsaustausch findet nicht statt. (2) V schuldet dem K 2.000 €, die für die Beschaffung des gleichen Wagens anfallen, als Schadensersatz.

Nach der Surrogationstheorie präsentiert sich die Schadensberechnung so: (1) Die von V geschuldete Lieferung wird auf ein Entgelt umgestellt. Dabei wird – entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 346 Abs. 2 Satz 2, 441 Abs. 3 der Kaufpreis als Maßstab für den Wert des Kfz angesetzt (= 20.000 €). (2) K schuldet im Gegenzug weiterhin den Kaufpreis. (3) Hinzu tritt der Schaden des K iHv. 2.000 € Folglich steht hier eine Forderung des V auf 20.000 € einer Forderung des K auf 22.000 € gegenüber. Beide Seiten können die Aufrechnung (§ 387) erklären, so dass am Ende V dem K ebenfalls 2.000 € schuldet.

Das Beispiel zeigt im Übrigen, dass Selbstwidersprüche des Käufers bei der Schadensberechnung verhindert werden können. Teilweise wird deshalb vertreten, dass der Käufer durch das Schadensersatzverlangen nach § 281 Abs. 4, Abs. 1 Satz 3 auch die Gegenleistung in eine schadensrechtliche Rückabwicklung einbeziehen könne.796 Man wird dem mindestens insoweit folgen können, als der Käufer durch die Geltendmachung des großen Schadensersatzanspruchs aus § 281 Abs. 1 Satz 3 eine Selbstbindung eingeht, die nach § 242 der Erhebung von Ansprüchen, die dazu in Widerspruch stehen (etwa Minderung nach §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 1), entgegensteht.

795 MünchKomm/Ernst § 325 Rn. 6ff.; Bamberger/Roth/Grothe § 325 Rn. 5; BeckOK/H.

Schmidt § 323 Rn. 5; Gsell JZ 2004, 643, 647; Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 247. 796 Staudinger/Schwarze § 280 Rn. E 45f.

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c) Die zulässige Berechnungsmethode nach Ausübung des Rücktrittsrechts

Die Ausübung des Rücktrittsrechts beeinflusst auch die Schadensberechnung des Käufers. Dieser kann seinen Schaden nun allein nach der Differenztheorie berechnen.797 Denn die alternative Surrogationstheorie bildet die Durchführung des Leistungsaustauschs mit Mitteln des Schadensausgleichs nach (Rn. 362). Gegen diesen hat sich der Käufer jedoch durch Ausübung des Rücktrittsrechts entschieden. Werden aber Rücktritt und Schadensersatz miteinander kombiniert, kommt es zu einer Kollision der rücktritts- und schadensrechtlichen Prinzipien nach § 325: (BGH 14.4.2010 – VIII ZR 145/09 = NJW 2010, 2426) K hat von V einen Gebrauchtwagen gekauft, der entgegen der Versicherung des V nicht betriebssicher war. Nachdem eine Nacherfüllung nicht in Betracht kommt, erklärt K den Rücktritt. Das Fahrzeug nutzt er seit dem 8.12.2005 nicht mehr. Einen Ersatzwagen besorgt er sich am 22.4.2006. Die Klage auf Rückgewähr des Kaufpreises war im Ergebnis erfolgreich. K verlangt jedoch von V auch Schadensersatz für den mangelbedingten Nutzungsausfall. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Satz 3 liegen im Grunde vor. Der BGH geht von einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus, weil der Schaden auf dem endgültigen Ausbleiben der Leistung beruhe (Tz. 13). Wegen Unmöglichkeit der Nacherfüllung kommt es indes auf das Fristsetzungserfordernis gem. § 283 nicht an. Die Einordnung des Schadens hat daher keine weitere Bedeutung.

Das eigentliche Problem liegt in der Frage, ob der Käufer neben dem Anspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 auch einen Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens (zu diesem Rn. 377) geltend machen kann. Dagegen lässt sich zunächst Folgendes einwenden: Der Rücktritt ist darauf gerichtet, den Käufer so zu stellen, wie er vor dem Leistungsaustausch mit dem Verkäufer stand (Rn. 232). Beim Nutzungsausfallschaden verlangt der Käufer vom Verkäufer aber vermeintlich, so gestellt zu werden, als habe dieser seine Pflicht ordnungsgemäß erfüllt und der Käufer den Wagen daher auch rechtzeitig nutzen können. Der BGH bejaht den Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens dennoch mit Blick auf die gesetzgeberische Entscheidung in § 325 (Tz. 15ff.). Das zugrunde liegende Problem wird im Schrifttum häufig auf die Frage zugespitzt, welchem Teilrechtsgebiet bei der Kombination nach § 325 der Vorrang zukomme: dem Rücktrittsrecht oder dem Schadensersatzrecht. Nach einer ersten Auffassung, einer Mindermeinung, dominiert das Rücktrittsrecht (§§ 346f.) als abschließende Regelung.798 Für diese Ansicht spricht, dass der Käufer dem Verkäufer nach § 346 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bzw. § 347 gerade auf Ersatz der gezogenen bzw. schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen haftet. Dann kann er diesen vermeintlich 797 MünchKomm/Ernst § 325 Rn. 6; Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 47; Staudin-

ger/Otto § 280 Rn. E 49. 798 KG BeckRS 2009, 16574; MünchKomm/Ernst § 325 Rn. 10; Faust JZ 2008, 471, 474.

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§ 2 Der Kaufvertrag

nicht umgekehrt gerade wegen Nutzungsausfalls heranziehen. Hinter dieser Auffassung steht das Anliegen, eine Rosinenlese des Käufers zu verhindern. Die herrschende Gegenauffassung799 aber kann sich auf den Wortlaut des § 325 berufen, nach dem die Ausübung des Rücktritts das Recht, Schadensersatz zu verlangen, nicht ausschließt. Hinzu tritt das Argument, dass gerade die Ausgleichspflichten des § 346 kein Verschulden voraussetzen, so dass sie über die Schadensberechnung, die nur im Falle des Vertretenmüssens in Betracht kommt, keine abschließende Aussage treffen können. Ähnlichen Überlegungen folgt auch der BGH: Seiner Ansicht nach legt § 325 den Schluss nahe, dass es im Rahmen des Rücktrittsrechts nicht allein darum gehen kann, den Zustand wiederherzustellen, wie er vor Vertragsschluss bestand (Tz. 18), sondern dass auch die Geltendmachung eines Nichterfüllungsschadens parallel zum Rücktritt möglich bleiben muss. Dass es einerseits zu einer Haftung des Käufers auf Nutzungsersatz (§§ 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 347), andererseits zu einem Anspruch des Käufers auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens komme (zu diesem Rn. 377), erkläre sich aus der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Systeme (Tz. 23). Widersprüche drohten deshalb nicht, weil der Käufer selbst nach § 347 Abs. 1 Ansprüche wegen schuldhaft nicht gezogener Nutzungen des Kaufpreises geltend machen könne. Denn hier gebiete das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot, dass der durch die Mangelhaftigkeit der Leistung bedingte Nutzungsausfallschaden neben dem Schaden geltend gemacht werden dürfe, der durch die schuldhaft unterbliebene Nutzung der Gegenleistung entstanden sei. Beide gegenläufigen Positionen seien notfalls aufeinander anzurechnen (Tz. 27). Diese Entscheidung wird von der hM., die vom Vorrang des Schadensersatzrechts ausgeht (Rn. 365), sehr unterschiedlich interpretiert. Nach einer ersten Auffassung greift § 325 tief in die Schadensberechnung und die Rücktrittsdogmatik ein: Weil der Rücktritt mit dem Schadensersatzanspruch kombinierbar sei, könne nicht mehr behauptet werden, der Rücktritt diene stets der Rückabwicklung des Vertrages. Denn der Schadensersatz nach §§ 280, 281 sei darauf gerichtet, den Käufer so zu stellen, als sei der Mangel niemals eingetreten (positives Interesse). Werde daher der auf das positive Interesse zielende Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung mit dem Rücktritt kombiniert, ändere sich die Funktion des Rücktritts: Insgesamt werde der Käufer so gestellt, als sei er nicht zurückgetreten. Die Funktion des § 346 bestehe darin, „dass der Gläubiger seine Leistung nicht in Natur erbringt, sondern als Rechnungsposten in die Schadensberechnung einstellt.“800 Dies geht indes weit über die ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers hinaus (Rn. 360) und ist schwer mit der Rechtsfolge des § 346 Abs. 1 zu vereinbaren (Rn. 232). 799 Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 47ff.; Staudinger/Schwarze § 325 Rn. 49; BeckOGK/Herresthal § 325 Rn. 59; Arnold ZGS 2003, 427, 429; Gsell JZ 2004, 643, 646; Herresthal JuS 2007, 798, 800. 800 Faust JZ 2008, 471.

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Nach einem zweiten, überzeugenderen Verständnis erweist sich an der Entscheidung ein zweistufiges System aus Rücktritt und Schadensersatz.801 Auf der ersten Stufe gewähren die Parteien des Kaufvertrages einander die empfangenen Leistungen nach Rücktrittsrecht zurück. Auf der zweiten macht der Käufer seinen im Rahmen der §§ 346ff. nicht zu berücksichtigenden Nichterfüllungsschaden geltend. Der Nutzungsausfallschaden werde nur auf der zweiten Stufe gewährt, und zwar nur für den Zeitraum ab der Rücktrittserklärung und bis zum Schadensersatzverlangen.802 Gerade diese zweite Sichtweise überzeugt, weil sie zwei Sachfragen unterscheidet: Hat der Käufer bereits im Zeitpunkt des Nacherfüllungsverlangens mangelbedingt einen endgültigen Schaden erlitten, muss er diesbezüglich Ersatz vom Verkäufer verlangen dürfen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie der Käufer im Weiteren gegenüber dem Verkäufer vorgehen kann, wenn dieser den Mangel nicht beseitigt. Die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen eines endgültig erlittenen Schadens darf dabei die Rechte des Käufers im Hinblick auf den nach wie vor bestehenden Mangel nicht einschränken; denn beide Positionen haben nichts miteinander zu tun. Aus dieser Überlegung folgen zwei inhaltliche Einschränkungen bei der Anwendung des § 325: Der Käufer darf neben dem Rücktritt nur solche Schäden geltend machen, die unabhängig von der Ausübung des Rücktritts endgültig sein Vermögen mindern. Zweitens muss er nach Ausübung des Rücktritts die Schadensberechnung streng an der Differenztheorie orientieren: V hat K ein weithin unbekanntes Gemälde von Vincent von Gogh für 10 Mio. € verkauft. Bei der Lieferung macht jedoch D Ansprüche auf das Bild geltend. K setzt dem V eine Nachfrist, innerhalb derer V keine Einigung mit D erzielt. Diese erfolgt erst später. Zu diesem Zeitpunkt ist K jedoch bereits vom Vertrag zurückgetreten. Gleichzeitig rechnet er V vor, einen Interessenten I gefunden zu haben, der ihm 15 Mio. € für dieses bestimmte Gemälde gezahlt hätte.

Die vom Vorrang des Rücktrittsrechts ausgehende Mindermeinung (Rn. 365) muss hier einen Widerspruch zwischen der Schadensberechnung und der Rückabwicklung des Vertrages anmahnen: Denn nur wenn der Kaufvertrag erfüllt, also nicht rückabgewickelt wird, kann der Käufer mit dem Gemälde auch einen Gewinn durch Weiterverkauf erzielen. Dennoch überzeugt die Kombination aus Rückabwicklung und Schadensersatz gerade hier, wenn beide Systeme – der Ausgleich nach §§ 346f. und der Schadensersatz nach § 281 – getrennt voneinander und jeweils konsequent durchgeführt werden: Denn der Käufer hat durch die vom Verkäufer zu vertretende Leistungsstörung einen endgültigen Schaden nach § 252 erlitten. Dieser ist in seinem Vermögen unabhängig davon eingetreten, ob der Käufer den Vertrag später rückabwickeln oder an ihm festhalten 801 Kaiser ZfPW 2015, 129, 145ff.; dies., Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB, 2000, S. 154ff.; Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 47ff. mwN.; jetzt auch BeckOGK/Herresthal § 325 Rn. 76ff. 802 Staudinger/Kaiser Vorbem zu §§ 346ff. Rn. 50.

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wird. Ein solcher endgültig eingetretener Vermögensschaden muss aber ersetzt werden können, gleichgültig, für welche Rechtsbehelfe der Käufer sich wegen des fortbestehenden Mangels der Kaufsache im Weiteren entscheidet. Insoweit überzeugt die hM. vom Vorrang des Schadensrechts. Der zugrunde liegende Rechtsgedanke wird an einem Gegenbeispiel klar: (BGH 28.11.2007 – VIII ZR 16/07 = BGHZ 174, 290 = NJW 2008, 911) Käufer K hat selbst leicht fahrlässig einen Straßenverkehrsunfall verursacht, der eine Reparatur seines Kfz iHv. mindestens 4.000 € erforderlich macht. Er nimmt diese nicht vor, weil er anlässlich des Ereignisses einen vorangegangenen Unfallschaden am Kfz entdeckt, den ihm Verkäufer V ohne eigenes Vertretenmüssen nicht offenbart hatte. Nach Rücktritt verlangt er von V Ersatz der Mietwagenkosten iHv. 1.100 €, die bis zur Anschaffung eines anderen Fahrzeugs anfallen. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1. Ob hier die Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 Satz 1 vorliegen, muss nicht entschieden werden, da bei einem vor Gefahrübergang liegenden Unfallschaden Nacherfüllung nicht in Betracht kommt (Rn. 171f.).

Auch hier führt der BGH zunächst aus, dass der Anspruch des Verkäufers auf Erstattung der gezogenen Nutzungen aus § 437 Nr. 2 iVm. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bzw. § 347 Abs. 1 dem Schadensersatzanspruch des Käufers wegen entgangener Nutzungen nicht entgegenstehe; dies folge aus § 325 (Tz. 9f.). Hinzu tritt übrigens noch ein Kausalitätsproblem, zu dem sich der BGH nicht äußert.803 Denn der Nutzungsausfall geht unmittelbar auf die Beschädigung des Fahrzeugs durch den Käufer zurück. Der vom Verkäufer zu vertretende Mangel erscheint hingegen nur als eine Reserveursache. Diese wird deshalb erst ab einem späteren Zeitpunkt kausal: Ohne den Mangel hätte der Käufer das Fahrzeug reparieren lassen und wieder in Betrieb genommen. Zu dieser Inbetriebnahme kam es indes nicht, weil der Käufer mangelbedingt von der Reparatur Abstand nahm. Kausal wird der Mangel für den Nutzungsausfallschaden daher erst ab dem Zeitpunkt einer hypothetischen Wiederinbetriebnahme nach Abschluss der Reparatur. Der Zeitraum, für den der Nutzungsausfallschaden zu ersetzen ist, endet mit der endgültigen Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs.

In diesem Fall kann der Käufer aber gegenüber dem Verkäufer nach Ausübung des Rücktrittsrechts nicht etwa den merkantilen Minderwert am Fahrzeug als Schaden liquidieren. Zwar ist zunächst auch insoweit ein Schaden in seinem Vermögen eingetreten. Durch Ausübung des Rücktrittsrechts fällt dieser jedoch nachträglich weg, da das Fahrzeug nun wieder in das Vermögen des Verkäufers eingegliedert wird. Könnte der Käufer auch eine solche Position über § 325 nach §§ 437 Nr. 3, 280, 281 geltend machen, würde er im Wege des Schadensersatzes bereichert. Einen Schaden, der durch die Rückabwicklung beseitigt wird, darf der Käufer seinem Schadensersatzanspruch daher nicht zugrunde legen. Dies wird aber vermieden, wenn der Schaden konsequent im Anschluss an die Rückabwicklung nach der Differenztheorie berechnet wird:

803 Dazu und zum Folgenden bereits Faust JZ 2008, 471, 472.

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Gewährt K das Fahrzeug an V gegen Rückzahlung des Kaufpreises auf einer zeitlich ersten Stufe zurück, kommt ein auf der zweiten Stufe nach der Differenztheorie berechneter Schaden wegen des merkantilen Minderwertes nicht in Betracht. Denn durch die Rückgewähr des Fahrzeugs an V gegen Rückzahlung des Kaufpreises ist die vom merkantilen Minderwert ausgehende Beeinträchtigung des Vermögens von K verschwunden.

Ordnet man danach den im Gegenbeispiel (BGHZ 174, 290 unter dieser Rn.) geltend gemachten Nutzungsausfallschaden (Mietkosten für ein Ersatzfahrzeug) systematisch ein, lässt sich Folgendes erkennen: Dieser Schaden belastet das Vermögen des Käufers endgültig. Denn die mit ihm verbundene Belastung im Käufervermögen geht nicht mit der Rückabwicklung unter, sondern bleibt auch danach im Rahmen einer Berechnung nach der Differenztheorie bestehen: K geht es also nicht darum, die von V geschuldete Leistung (Überlassung zur Nutzung) durch Schadensersatz zu surrogieren (Surrogationstheorie), sondern einen Vermögensschaden auszugleichen, der ihm in einer Interimszeit ab der unfallbedingten Beschädigung entsteht, in der er noch keine Ersatzsache anschaffen kann, weil er den Kaufpreis vom Verkäufer noch nicht zurückerhalten hat. Dieser Schaden, der sich in den Mietkosten für einen Ersatzwagen ausdrückt, verbleibt trotz der anschließenden Rückabwicklung endgültig im Vermögen des K und kann daher auch dann ersetzt werden, wenn K zurücktritt.

Die Bedeutung der zweistufigen Betrachtungsweise (Rn. 367f.) zeigt sich noch an einem letzten Fallgesichtspunkt: Der BGH (Rn. 369) beschränkt die Ansprüche des Käufers nämlich noch durch einen Vorteilsausgleich. Denn er rechnet auf den Nutzungsausfallschaden des Käufers dessen Reparaturkosten für das Kfz im Wege des Vorteilsausgleichs an: Denn hätte das Fahrzeug keinen Mangel gehabt, hätte der Käufer 4.000 € aufwenden müssen, um dieses nach dem von ihm verschuldeten Straßenverkehrsunfall wieder betriebsbereit zu stellen. Deshalb müsse er sich nach der Differenzhypothese auf den entstandenen Nutzungsausfallschaden die ersparten 4.000 € anrechnen lassen. Andernfalls drohe die Gefahr, dass der Käufer im Falle der Mangelhaftigkeit besser gestellt würde als im Falle der Mangelfreiheit des Fahrzeugs. (Tz. 14f.). Praktisch kann der Käufer deshalb keinen Schadensersatz geltend machen. Welches Konfliktpotenzial in § 325 steckt, wenn man die Ebene der Rückabwicklung nicht streng von der des Schadensersatzes trennt, zeigt der Einwand der Gegenansicht. Sie verneint die Voraussetzungen eines Vorteilsausgleichs.804 Denn die Anrechnung der Reparaturkosten widerspreche dem Zweck der Ersatzpflicht. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 befreie den Käufer ja von den Folgen der Beschädigung der Kaufsache. Die durch den BGH vorgenommene Berechnung nehme dem Käufer gerade den damit verbundenen Vorteil im Wege der Schadensberechnung.805 Solche endlos fortsetzbaren Normenkonflikte lassen sich nur vermeiden, wenn man mit der hier favorisierten Auffassung die Rückabwicklung 804 Vgl. die klassische Entscheidung BGHZ 91, 206, 209f. = NJW 1984, 2457, auf die bereits Faust JZ 2008, 471, 473 aufmerksam macht. 805 Faust JZ 2008, 471, 473; Gsell LMK 2008, 258611.

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nach §§ 346ff. und den Schadensersatz nach §§ 280, 281 klar voneinander trennt: Im Rahmen der Rückabwicklung haftet danach der Käufer wegen § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 nicht. Auf der nachfolgenden Stufe des Schadensersatzes aber ist diese Norm nicht anwendbar, weil hier allein schadensersatzrechtliche Prinzipien gelten: Danach kommt es auf die Differenz zwischen dem Ist- und dem Sollvermögen des Käufers an, das bestünde, wenn der Verkäufer seine Pflichten erfüllt hätte (Differenztheorie). Das Sollvermögen wäre zwar nicht durch den Nutzungsausfallschaden belastet worden; jedoch hätten sich hier die Reparaturkosten in voller Höhe negativ ausgewirkt. Deshalb erscheint das Istvermögen des Käufers größer als das Sollvermögen. Ein Schadensersatzanspruch besteht danach nicht. Das systematische Verhältnis von Minderung und Schadensersatz wird ebenfalls durch § 325 geregelt (vgl. nur den Wortlaut des § 441 Abs. 1 „Statt zurückzutreten“). Hier treten die Probleme jedoch nicht in gleicher Schärfe auf, weil der Käufer im Falle der §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 1 am Vertrag festhält. Die systematische Nähe der Ansprüche aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 (Minderung) und §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 (Schadensersatz statt der Leistung) zeigt sich an dem vom BGH anerkannten Ius variandi: Der Käufer kann noch nachträglich von der Minderung zu einem Schadensersatz statt der Leistung übergehen, wenn Berechnungsschwierigkeiten bei der Minderung eintreten.806 4. Schadensersatz neben der Leistung (Mangelfolgeschaden)

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Mangelfolgeschäden sind Schäden an den sonstigen Rechtsgütern des Käufers, die durch den Mangel zurechenbar verursacht worden sind (vgl. dazu Rn. 334, 340). Der Käufer muss regelmäßig keine Frist zur Nacherfüllung setzen, wenn absolut geschützte Rechtsgüter des Käufers iSd. § 823 Abs. 1 betroffen sind: Denn dann konkurrieren Schadensersatzansprüche aus § 437 Nr. 3 und § 823 Abs. 1. Der im Sonderrechtsverhältnis (Schuldverhältnis) zwischen den Parteien des Kaufvertrags geltende § 437 Nr. 3 darf dabei aber den Schadensersatz nicht an strengere Voraussetzungen binden als der zwischen Fremden (allgemeinen Verkehrsteilnehmern) geltende § 823 Abs. 1. Die Frage, wann der Verkäufer statt einer Sachleistung (Nacherfüllung) eine Geldersatzleistung schuldet, entscheidet sich in diesem Fall nicht nach Maßgabe von §§ 280 Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1, sondern nach den §§ 249 Abs. 2 bis 251 (str.; dazu Rn. 340). Die Frage nach dem Nachfristsetzungserfordernis stellt sich in den Fällen des Weiterfresserschadens unter besonderen Vorzeichen:

806 BGH NJW 2011, 1217, Tz. 35; OLG Stuttgart ZGS 2008, 479, 480; Berscheid ZGS 2009, 17, 18; Derleder NJW 2003, 998, 1002; Wertenbruch JZ 2002, 862, 863; aA. Lögering MDR 2009, 664, 666.

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(OLG Koblenz, 21.11.2012 – 2 U 460/12 = MDR 2013, 402)807 K hat von V einen Neuwagen gekauft. Bei Übergabe ist der Ölschlauch defekt. Weil dieser platzt, erleidet das Fahrzeug einen Motorschaden. K verlangt Beseitigung des Motorschadens im Wege der Nacherfüllung. Das OLG räumt K einen Nachbesserungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 erster Fall auf Beseitigung des Motorschadens (nicht etwa nur auf Austausch des Ölschlauchs) ein.

Der Fall erinnert an die aus dem Anwendungsbereich des § 477 bekannten Fallgestaltungen (Zahnriemenfall usw. Rn. 162ff.). Anders als dort kann der Käufer vorliegend jedoch beweisen, dass bei Gefahrübergang ein Mangel bestand, der sich später in einen größeren Schaden der Kaufsache bzw. deren vollständige Zerstörung ausgeweitet hat (Weiterfresserschaden). Vor der Schuldrechtsreform wurde das Problem vor allem im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 diskutiert. Tritt die Zerstörung des Motors zwei Jahre nach Gefahrübergang ein und sind Ansprüche aus § 437 nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 verjährt, stellt sich die Frage, ob K noch aus § 823 Abs. 1 vorgehen kann. Dieser Anspruch verjährt nämlich in drei Jahren (§ 195), beginnend ab Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels (§ 199 Abs. 1). Im Rahmen der Anwendung des § 823 Abs. 1 stellt sich allerdings die Frage, ob V durch Lieferung des Fahrzeugs mit dem defekten Ölschlauch das Eigentum des K am restlichen Kfz zerstört hat.

Problematisch an einer möglichen Eigentumsverletzung auf Seiten des Käufers erscheint, dass dieser von Anfang an nur Eigentum erwirbt, das mit einem Schadenskeim belastet ist. Fraglich ist daher, ob er gegenüber dem Verkäufer eine eigenständige Eigentumsverletzung iSd. § 823 Abs. 1 geltend machen kann, wenn sich dieser Schadenskeim zum Vollschaden entfaltet. Der achte Senat des BGH hat dies bejaht, wenn der fehlerhafte Teil gegenüber dem übrigen Produkt funktional abgrenzbar war.808 Der sechste Senat führt diese Rechtsprechung mit einer anderen Begründung fort: Danach schützen die deliktischen Verkehrspflichten – anders als das Gewährleistungsrecht – nicht die Nutzungs- und Werterwartungen des Erwerbers im Hinblick auf die Mangelfreiheit der Kaufsache (Äquivalenzinteresse), wohl aber das Interesse an der Unversehrtheit (Integrität) von Eigentum und Besitz des Erwerbers (Integritätsinteresse). Dieses soll auch das Interesse des Erwerbers an der Bewahrung der erworbenen Sache selbst erfassen. Diese Überlegung zwingt bei „weiterfressenden“ Schäden innerhalb des Produkts zu einer Unterscheidung: Nicht ersetzbar, weil nicht vom Integritätsinteresse erfasst, sind danach diejenigen Fälle, in denen der Schaden auf den Unwert der Mangelhaftigkeit der Sache zurückgeht, also „stoffgleich“ mit diesem ist.809 Eine Eigentumsverletzung iSd. § 823 Abs. 1 kommt hingegen in Betracht, wenn sich in der Beschädigung oder Zerstörung der übri807 Vgl. jetzt auch OLG Koblenz NJW 2014, 1246, 1247. 808 BGHZ 67, 359, 364f. – Schwimmschalter; dazu Lieb JZ 1977, 345f. 809 BGHZ 86, 256, 258f. – Gaszug.

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§ 2 Der Kaufvertrag

gen Produktteile nicht der Unwert des Mangels verwirklicht, sondern die Rechtsgutsbeeinträchtigung als eigenwertiger Schaden angesehen werden muss.810 Stoffgleichheit bezeichnet dabei den Fall, dass der Schadenskeim zwangsläufig in den Vollschaden mündet. Dann liegt keine Eigentumsverletzung vor, weil der Käufer – metaphorisch gesprochen – von vornherein „todgeweihtes“ Eigentum erworben hat. Dort aber, wo diese Zwangsläufigkeit nicht besteht (fehlende Stoffgleichheit), ist eine Eigentumsverletzung zu bejahen. Im vorliegenden Fall bestand diese Zwangsläufigkeit und es liegt entsprechend keine Eigentumsverletzung vor (Stoffgleichheit): Platzt ein Ölschlauch, wird die Ölzufuhr zum Motor unterbunden und dieser nimmt innerhalb kürzester Zeit Schaden, ohne dass der Eigentümer diesen noch abwenden kann. Der Schadenskeim mündet deshalb mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in den Vollschaden; der Vollschaden ist stoffgleich und es liegt keine Eigentumsverletzung vor.

Das OLG knüpft begrifflich an diese Rechtsprechung an, stellt aber in der Sache zu Recht hauptsächlich auf den Zweck der Nachfristsetzung ab, dem Verkäufer eine zweite Andienungsmöglichkeit zu eröffnen und damit die Kosten der Mängelbeseitigung gering zu halten bzw. weitere mangelbedingte Schäden zu verhindern.811 Davon ausgehend umfasst die Nacherfüllung nicht nur die Reparatur (den Austausch) des defekten Ölschlauchs, sondern auch die des ganzen Motors. Vorliegend geht dies zwar zu Lasten des Verkäufers. Wenn aber der Käufer im Wege der Selbstvornahme den Motor bei einem Dritten reparieren lässt, schützt dieses weite Verständnis des Nacherfüllungsanspruchs den Verkäufer gerade durch ein Recht auf zweite Andienung, wenn der Verkäufer das Bestehen des Schadenskeims als Mangel zu vertreten hat: Im Wege eigenen Engagements kann er dann die höheren Kosten einer Fremdreparatur abwenden. Dies gebietet zugleich eine restriktive Auslegung des § 823 Abs. 1 (keine Eigentumsverletzung), damit der Käufer das Nachfristsetzungserfordernis nicht über diese Norm umgehen kann! 5. Verzögerungsschäden: Nutzungsausfallschaden, Betriebsausfallschaden 374

Tritt infolge der mangelhaften Lieferung beim Käufer ein Verzögerungsschaden auf, stellt sich die Frage, ob die entsprechende Vermögenseinbuße (Nutzungsausfallschaden, Betriebsausfallschaden) einheitlich über den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung liquidiert werden kann oder ob der Verzögerungsschaden unter eigenen Voraussetzungen geltend zu machen ist. V hat K einen Neuwagen verkauft. Weil K das Fahrzeug wegen eines Mangels in die Werkstatt des V zurückgeben muss, mietet er sich für fünf Tage ein Ersatzfahrzeug für 350 € an. 810 Echte Eigentumsverletzung auch beim Platzen der Reifen an einem verkauften Sportwagen:

BGH NJW 1978, 2241, 2242f.; verneint hingegen bei Kfz-Hebebühne, bei der die Hydraulik beschädigt war: BGH NJW 1983, 812. 811 Ähnlich Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 188; Lorenz NJW 2002, 2497, 2500; Bamberger/Roth/ Faust § 437 Rn. 65 (= BeckOK).

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Nachdem zwei Nachbesserungsversuche des V fehlgeschlagen sind, verlangt K nun auch Schadensersatz statt der Leistung. Dabei macht er die noch anstehenden Reparaturkosten (750 €) und die Mietkosten (350 €) geltend. Fraglich ist, ob K beide Schadenspositionen – also 1.100 € – einheitlich über §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, 281 geltend machen kann oder ob die Mietkosten iHv. 350 € nach eigenen Voraussetzungen zu liquidieren sind.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Der BGH würde hier wohl einheitlich von einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1) ausgehen (vgl. zum Parallelfall des Schadens neben der Leistung: Rn. 377). Dies vermeidet zwar einerseits komplizierte Abgrenzungsfragen, kann jedoch andererseits auch eine Verkürzung des Schuldnerschutzes nach § 286 Abs. 4 bedeuten (dazu Rn. 376 und 381). Die im Schrifttum herrschende Meinung unterscheidet im Fall beide Schadensarten, da der Verzögerungsschaden (Vorenthaltungsschaden) das Rechtzeitigkeitsinteresse, der Schaden statt der Leistung hingegen das Leistungsinteresse betreffe. Nach § 280 Abs. 2 werde aber für Verzögerungsschäden nicht ab Fälligkeit gehaftet, sondern erst ab Mahnung. Beide fielen jedoch nicht in einem Zeitpunkt zusammen.812 Nach einer ersten Gegenauffassung muss der Käufer im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung so gestellt werden, als habe der Verkäufer innerhalb einer angemessenen Nachfrist volle Erfüllung bewirkt.813 Nach ihr wird daher der Schaden, der zwischen dem Ablauf der angemessenen Nachfrist und der Mahnung eintritt, automatisch miterfasst. Vertreter der hM. wollen indes den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung erst mit dem Schadensersatzverlangen entstehen lassen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden.814 (BGH 11.2.2009 – VIII ZR 328/07 = JZ 2010, 44) V schuldet K die Übereignung eines Mercedes. Das Fahrzeug selbst befindet sich auch bereits im Besitz des K, allerdings hält V den Kfz-Brief ohne nähere Begründung zurück. K fordert darauf den V zur Herausgabe des Briefs auf und weist darauf hin, dass ein Weiterverkauf des Fahrzeugs zu scheitern drohe. Darauf wird das Fahrzeug bei K gestohlen. Dieser verlangt nun Schadensersatz iH. des entgangenen Gewinns.

Der BGH geht von einem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 281 Abs. 1 Satz 1 aus (Tz. 16, 20). Probleme bereitet dessen Berechnung. Im Wege der Differenztheorie (Rn. 363) vergleicht das Gericht die hypothetische Vermögenslage bei ordnungsgemäßer Erfüllung durch den Verkäufer mit der durch die Nichterfüllung tatsächlich entstandenen Vermögenslage (Tz. 20). Dabei habe das spätere Abhandenkommen des Kfz auf die Höhe des Schadens keinen Einfluss. Die Kritik wendet ein, dass der Anspruch 812 Vgl. nur MünchKomm/Ernst § 280 Rn. 58ff.; Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 149 (=

BeckOK); Giesen, in: FS U. Huber, 2006, S. 263, 265f.; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 194ff.; Klöhn JZ 2010, 46f.; Lorenz NJW 2002, 2497, 2501. 813 Staudinger/Schwarze § 281 Rn. B 137; Tiedtke/Schmitt BB 2005, 615, 617; BeckOGK/ Riehm § 280 Rn. 296ff. 814 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 196; Klöhn JZ 2010, 46f.

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im falschen Zeitpunkt berechnet werde. Der richtige Zeitpunkt für die Berechnung des Schadens statt der Leistung liege nicht bei Fälligkeit der Leistung, sondern erst beim Schadensersatzverlangen nach § 281 Abs. 4 vor (zum zugrunde liegenden Begriffsverständnis Rn. 337). Habe der Käufer hingegen durch die Verspätung einen Schaden erlitten, der nicht durch die Leistung behoben werden könne, liege ein Schaden neben der Leistung vor, der vorliegend nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 ersetzt werden könne.815 Unabhängig von diesem Streit lassen sich drei zeitlich hintereinander liegende und voneinander zu trennende Stadien unterscheiden: die Verspätung des Verkäufers nach Fälligkeit des Lieferanspruchs, der Verzug des Verkäufers nach Mahnung durch den Käufer und der Zeitpunkt des Übergangs vom Primäranspruch zu den Sekundäransprüchen infolge der Rücktrittserklärung oder des Schadensersatzverlangens.816 Eine der Linie des BGH entsprechende weitere Auffassung817 will, wenngleich aus anderen Gründen, den Verzögerungsschaden einheitlich mit dem Schaden statt der Leistung liquidieren. Sie argumentiert mit andernfalls drohenden Systembrüchen: (Beispiel nach U. Huber AcP 210 (2010) 319, 343) V verkauft an K ein Grundstück durch notariell beurkundeten Kaufvertrag für 1.200.000 €. Am Tag der Fälligkeit, dem 1.6.2012, zahlt K jedoch nicht. V mahnt ihn deshalb am 1.7.2012 und verlangt am 1.8.2012 Schadensersatz statt der Leistung. Später veräußert V das Grundstück für 1.300.000 € erfolgreich an D. V verlangt nun für die verspätete Zahlung einen für den Monat Juli berechneten Verzugsschaden iHv. 600 €. Bei der Rückabwicklung des Kaufvertrags (Löschung einer Vormerkung und Ähnliches) entstehen weitere Kosten iHv. 1.200 €. K ist der Ansicht, er bräuchte gar keinen Schadensersatz zu leisten, weil V sich die Vorteile aus der Weiterveräußerung an D zurechnen lassen müsse. Folgt man der im Schrifttum hM., kann V iHv. 600 € einen Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 und iHv. 1.200 € einen davon zu trennenden Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 281 Abs. 1 Satz 1 geltend machen. Eine Vorteilsausgleichung – V erzielt hier immerhin adäquat kausal durch das schädigende Ereignis einen Vorteil iHv. 100.000 € – müsste dann nach U. Huber nur mit dem Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, nicht aber mit dem Verzögerungsschaden verrechnet werden.

Diese Auffassung orientiert sich am zentralen Anliegen der Differenztheorie, durch Gesamtvermögensvergleich zu verhindern, dass der vermeintlich Geschädigte einen unverdienten Vorteil („Windfall Profit“) davonträgt.818 Deshalb muss eine Vorteilsausgleichung vermeintlich den Gesamtschaden erfassen. Konsequenterweise behält § 280 Abs. 2 im Rahmen dieser Überlegungen nur eine eingeschränkte Bedeutung: Die Norm ist in den Fällen anwendbar, in de815 Klöhn JZ 2010, 46f. 816 Klöhn JZ 2010, 46f. 817 U. Huber AcP 210 (2010) 319, 341ff.; Larenz I § 23 II, S. 353f.; Wunner NJW 1985, 825,

826; ähnlich jetzt BeckOGK/Riehm § 280 Rn. 274ff.: „Verzögerungsschaden ohne Mahnung“. 818 U. Huber AcP 210 (2010) 319, 343.

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nen der Verkäufer innerhalb der Nacherfüllungsfrist noch Erfüllung bewirkt, also ein Schadensersatz statt der Leistung nicht in Betracht kommt, dennoch im Zeitraum bis zur Nacherfüllung ein Verzögerungsschaden eingetreten ist.819 Diesem Anliegen lässt sich jedoch auch dadurch Rechnung tragen, dass die vom Käufer erzielten Gesamtvorteile auf seine beiden Schadensersatzansprüche in entsprechender Anwendung des § 366 Abs. 2 angerechnet werden. Denn die Liquidierung von Nichterfüllungs- und Verspätungsschaden über zwei Anspruchsgrundlagen bedeutet nicht, dass die geltenden Positionen nicht in einem inneren Zusammenhang zum eingetretenen Vorteil stehen. Die Nachteile einer integrativen Schadensbetrachtung erscheinen daher im Vergleich zu hoch. Denn der Verkäufer haftet nach ihr im Zweifel auch ohne Eintritt der Verzugsvoraussetzungen – also eigentlich entgegen §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1 – für einen Verzögerungsschaden.820 Die Verzugshaftung schützt den Schuldner aber in besonderer Weise: Denn der Schuldner muss den Verzug während des vollen Zeitraums, für den der Verzögerungsschaden geltend gemacht wird, zu vertreten haben (vgl. den Wortlaut § 286 Abs. 4: „solange“). Dagegen genügt es für die Begründung des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung, dass der Schuldner die Leistungsstörung nur irgendwann einmal zu vertreten hat (näher dazu Rn. 330).821 Dies führt zu widersprüchlichen Ergebnissen bzw. Systembrüchen, wenn der Schuldner im Zeitraum zwischen Fälligkeit und endgültigem Scheitern des Erfüllungsanspruchs vorübergehend nicht für den Verzug verantwortlich ist. Hinzu tritt die Gefahr, dass der Käufer im Rahmen der integrativen Betrachtungsweise bereits mit der Lieferung der Kaufsache Rechtsverfolgungskosten geltend machen könnte.822 Diese können ansonsten nur unter den Voraussetzungen des Verzugs liquidiert werden (vgl. etwa oben Rn. 58), was dem Verkäufer die Gelegenheit gibt, einer übereilten anwaltlichen Abmahnung durch Nacherfüllung zuvorzukommen und so den vom Käufer geltend gemachten Anwaltskosten die Ersatzfähigkeit zu nehmen. Praktisch bedeutsam wird die systematische Einordnung des Verspätungsschadens erst bei der Liquidierung des sog. Nutzungsausfallschadens: (BGH 19.6.2009 – V ZR 93/08 = BGHZ 181, 317 = NJW 2009, 2674) K erwirbt von V durch notariellen Vertrag vom 1.7.2002 ein bebautes Grundstück, das als Bürogebäude genutzt werden soll. K führt daraufhin bereits Vorverhandlungen mit dem Unternehmen M1 über eine Vermietung der Büroräume für monatlich 9.000 €. Später stellt sich heraus, dass eine Büronutzung nicht durch die Baugenehmigung gedeckt ist. K setzt darauf V eine Frist zur Beibringung der Baugenehmigung, die erfolglos verstreicht. K schließt den Mietvertrag mit M1 deshalb nicht und vermietet das Gebäude an M2 für 7.000 € monatlich. Die Differenz zwischen beiden Mietsätzen verlangt er von V als Schaden ersetzt.

U. Huber AcP 210 (2010) 319, 343 im Anschluss an RGZ 105, 280, 281. So bereits Klöhn JZ 2010, 46f. Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 171. Den Zusammenhang sieht bereits Bredemeyer ZGS 2010, 71, 75, der aber einen Ersatz für ausgeschlossen hält. 819 820 821 822

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Auch bei diesem Schadenstypus handelt es sich um einen Verzögerungsschaden. Ausgehend vom Meinungsstand zum Vorenthaltungsschaden würde man deshalb zunächst davon ausgehen, dass die hM. den Betriebsausfallschaden erst ab Mahnung auf der Grundlage der §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 zuerkennt.823 Überraschenderweise soll jedoch hier der ganze Nutzungsausfallschaden und nicht nur der ab Verzug eingetretene unmittelbar als Schadensersatz neben der Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 ausgeglichen werden.824 Dieser Ansicht schließt sich der BGH vorliegend an (Tz. 17ff.). Bei der Bestimmung der richtigen Anspruchsgrundlage erlangt dabei ein systematisches Argument Gewicht:825 Leistet der Verkäufer gar nicht, so haftet er für den Ausfall des Käufers aus Verzug (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286) bis zur Lieferung der Kaufsache. Diese Haftung setzt regelmäßig eine Mahnung nach § 286 Abs. 1 voraus. Fraglich ist deshalb, warum der mit der Mahnung verbundene Schutz ausgerechnet dann entfallen soll, wenn der Verkäufer die Kaufsache pünktlich, allerdings mangelbehaftet liefert. Begründet wird dies mit der besonderen Gefährlichkeit des Mangels: Dieser sei für den Käufer nicht sofort erkennbar, könne aber unmittelbar zu Schäden führen. Wenn der Käufer den Schaden bemerke, sei es daher oft bereits zu spät. Auch brauche der Verkäufer nicht gemahnt zu werden, wenn ein Schaden neben der Leistung eintrete, weil er diesen durch seine Leistung nicht mehr abwenden könne.826 Mit der fehlerhaften Leistung dringe der Verkäufer auch tiefer in die Rechtssphäre des Käufers ein als durch bloße Untätigkeit.827 Diesen Argumenten folgt nun auch der BGH: Vor den Folgen einer Nichtleistung des Verkäufers könne sich der Käufer durch Festsetzung einer Leistungszeit schützen, die § 286 Abs. 2 Nr. 1 genügt. Dies sei im Hinblick auf Mängel nicht möglich, weil diese nicht voraussehbar seien (Tz. 17). Für die Erfüllung der Hauptleistungspflichten greife im Übrigen § 271 Abs. 1: Die Leistung sei zu erbringen, wenn der Gläubiger dies verlange. Im Hinblick auf die Nacherfüllungspflicht aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 bedürfe es indes einer solchen Konkretisierung nicht (Tz. 18).828 Vor einer unberechtigten Inanspruchnahme sei der Verkäufer im Übrigen ausreichend über das Erfordernis des Vertretenmüssens nach § 276 Abs. 1 geschützt (Tz. 19).

823 So die MM.: Dauner-Lieb/Dötsch DB 2001, 2535, 2537; Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 2 Rn. 45; Büdenbender ebenda § 8 Rn. 63f.; Gursky S. 33f.; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 268ff.; Petersen Rn. 354ff.; Fliegner JR 2002, 314, 322; Oechsler NJW 2004, 1825, 1828. 824 OLG Hamm, Urt. v. 23.2.2006 – 28 U 164/05; RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 225; Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 140ff. (= BeckOK); Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 192; vgl. ferner Canaris ZIP 2003, 321, 326; Gruber ZGS 2003, 130, 131; Grunewald, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 317f.; U. Huber, in: FS Schlechtriem, 2003, S. 521, 525; Lorenz/Riehm Rn. 546f.; Reinicke/ Tiedtke Rn. 520. 825 Vgl. auch Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 268. 826 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 192; Reinicke/Tiedtke Rn. 521. 827 Canaris ZIP 2003, 321, 322ff. 828 Im Anschluss an Grigoleit/Riehm AcP 203 (2003) 727, 756.

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In Bezug auf diese Argumentation bleiben erhebliche Bedenken: Denn Mangelfolgeschäden erscheinen regelmäßig nicht gefährlicher als eine Leistungsverzögerung: Auch Mängel lassen sich oft frühzeitig erkennen, bevor es zum Mangelfolgeschaden kommt (Rostflecken!). Schwerer wiegt, dass das Gesetz in anderem Zusammenhang – nämlich im Verhältnis zwischen § 275 Abs. 2 und § 439 Abs. 4 Satz 1 und Satz 3 – den Verkäufer, der eine mangelhafte Sache angeleistet hat, gegenüber demjenigen Verkäufer privilegiert, der gar nicht geleistet hat (Rn. 187): Wer eine mangelhafte Sache geleistet hat, wird danach unter erleichterten Voraussetzungen aus dem Vertrag entlassen. Der Gesetzgeber prämiert damit die in der Lieferung liegende teilweise Vertragsloyalität des Verkäufers. Wer daher § 280 Abs. 1 Satz 1 unmittelbar auf den Nutzungsausfallschaden anwenden will, kehrt dieses Verhältnis um: Er benachteiligt den anleistenden Verkäufer gegenüber einem insgesamt säumigen Schuldner. Dies spricht für eine einheitliche Anwendung der Verzugshaftung nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286. Im Schrifttum werden dafür noch folgende Argumente genannt:829 Nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und 2 sind Nicht- und Schlechtleistung gleichgestellt. Dann müsse auch in beiden Fällen gemahnt werden. Auch rechtfertige das von der Gegenauffassung behauptete Eindringen des Verkäufers in den Integritätsbereich des Käufers nicht den Ersatz eines Verzögerungsschadens, sondern nur den einer echten Integritätsverletzung. Nachdem der BGH jedoch die Anforderungen an das Nacherfüllungsverlangen gelockert hat (Rn. 192ff.), verliert der Streit erheblich an Bedeutung, da im Nacherfüllungsverlangen wohl regelmäßig auch eine Mahnung liegt (str. Rn. 196f.). Zwar setzt der Ersatz des Nutzungsausfallschadens nach hM. gerade keine Nachfristsetzung voraus, diese dürfte jedoch regelmäßig vom Käufer im Hinblick auf andere Positionen vorgenommen werden. Dann aber liegt zugleich eine Mahnung vor. Hier ist noch folgender Zusammenhang zu beachten: Die §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 setzen nach neuerem Verständnis nicht mehr voraus, dass der Käufer dem Verkäufer eine Frist setzt (Rn. 192ff.). Erfolgt diese dennoch, bleibt der Vorgang rechtsfolgenlos, da der Verkäufer nur innerhalb der angemessenen Frist nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 Nacherfüllung schuldet, nicht aber in der vom Käufer gesetzten. Deshalb kann das Nacherfüllungsverlangen nicht mehr wie bisher als aufschiebend befristete Mahnung verstanden werden, sondern als eine sofortige, dringende Leistungsaufforderung iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1. Problematisch ist nur, dass diese nicht nach Eintritt der Fälligkeit ergeht, wie dies § 286 Abs. 1 voraussetzt, sondern gleichzeitig mit Eintritt der Fälligkeit; denn bei der Nacherfüllung handelt es sich um einen verhaltenen Anspruch, der erst durch Ausübung des Wahlrechts fällig wird (Rn. 168).830 Vergegenwärtigt man sich jedoch die Argumente der hM. zur völligen Entbehrlichkeit der Mahnung bei einer mangelhaften Lie829 Dauner-Lieb/Dötsch DB 2001, 2535ff.; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 267ff.; Grigoleit/Riehm

AcP 203 (2003) 727, 754ff.; Teichmann/Weidmann, in: FS Hadding, 2004, S. 287, 300f. 830 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 36.

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ferung (Rn. 378), dürfte auf ihrer Grundlage „erst recht“ zu folgern sein, dass die Mahnung in den vorliegenden Fällen ausnahmsweise in den Zeitpunkt des Fälligkeitseintritts fällt (vgl. bereits Rn. 196f.). Jede andere Betrachtungsweise verlangte dem Käufer auch nur einen unnötigen Formalismus ab (Nachschieben einer Mahnung eine logische Sekunde nach dem Nacherfüllungsverlangen). Ein Sachunterschied bleibt zwischen beiden Auffassungen allerdings bestehen. Wird der Nutzungsausfallschaden über §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 liquidiert, muss der Verkäufer diesen dem Käufer nach § 286 Abs. 4 nur soweit ersetzen wie er die Verzögerung zu vertreten hat. Der Anspruch aus § 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 kennt eine solche Beschränkung zunächst nicht: (Im Anschluss an BGH 19.6.2009 – V ZR 93/08 = BGHZ 181, 317 = NJW 2009, 2674; Rn. 377) V hat dem K ein Bürogrundstück verkauft, für das im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lieferpflicht des V (1.5.) noch keine ausreichende Baugenehmigung besteht. Diese hat die Bauordnungsbehörde dem V durch öffentlich-rechtlichen Vertrag erst für den 2.5. zugesagt. Dennoch wird die Genehmigung aufgrund eines von keiner Seite zu vertretenden Umstandes erst am 1.6. erteilt. K verlangt von V Ersatz des Nutzungsausfallschadens ab dem 1.5. Aus Verzug – also §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 – haftet V nur, wenn er die gesamte Verzögerung zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4). Deshalb ist V hier nur für die eintägige Verzögerung verantwortlich, nicht aber für den darüber hinausgehenden Zeitraum. Zur Begründung eines Anspruchs aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 genügt, dass V vorliegend den Mangel (dazu Rn. 103) zu vertreten hat und dieser den Verzögerungsschaden auch verursacht hat. Das schwer erträgliche Ergebnis lässt sich höchstens auf der Ebene der objektiven Schadenszurechnung korrigieren: Weil der Mangel nach dem 2.5. nicht mehr in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden steht, hat V diesen uU. nicht verursacht (Einrede des rechtmäßigen Alternativverhaltens).

Der Vergleich beider Ansätze zeigt ein letztes Mal, dass einer Haftung des Verkäufers aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 der Vorzug zu geben ist. 6. Schadensersatz bei ursprünglichen und unbehebbaren Mängeln 382

Unbehebbare Mängel stellen ein typisches Problem der Stückschuld dar. Besteht die Unbehebbarkeit bereits vor Vertragsschluss, verweist § 437 Nr. 3 auf den Ersatzanspruch aus § 311a Abs. 2 Satz 1. Typischerweise kommt es in diesen Fällen jedoch nicht mehr zur Übergabe der Sache. V hat K ein Pferd verkauft. Vor Übergabe erleidet dieses einen Oberschenkelhalsbruch und muss eingeschläfert werden. Zur Übergabe kommt es unter diesen Umständen nicht. K verlangt von V entgangenen Gewinn, da er das Pferd bereits an D weiterverkauft hat.

§ 323 Abs. 4 regelt für den Rücktritt den Fall einer offensichtlichen und unzumutbaren Leistungs- oder Erfüllungsgefährdung vor Fälligkeit und damit erst recht vor Gefahrübergang (vgl. auch Rn. 195). Die Norm eröffnet vor allem in den Fällen der ernsten und endgültigen Leistungsverweigerung (§ 323 Abs. 2 Nr. 1) einen vorgezogenen Rücktritt;831 der Fall des nicht zu beseitigenden 831 Staudinger/Schwarze § 323 Rn. B 163.

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Leistungshindernisses stellt indes einen weiteren Anwendungsfall dar.832 Im Bereich der §§ 280ff. und des § 311a Abs. 2 Satz 1 fehlt zunächst eine Parallelnorm, doch ist auch hier weitgehend anerkannt, dass der Schadensersatzanspruch aus ähnlichen Überlegungen heraus vor Fälligkeit geltend gemacht werden kann, wobei umstritten ist, ob dies aufgrund unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 281 Abs. 2 möglich sein soll.833 Das Problem stellt sich jedoch nicht nur hier, weshalb eine analoge Anwendung des § 323 Abs. 4 näher liegt. Denn diese Norm beruht auf einem allgemeinen Rechtsgedanken:834 Auf die Vertragstreue des Käufers, dh. das Abwarten von Fälligkeit und Gefahrübergang, kann der Verkäufer nach § 242 nur vertrauen, wenn er selbst seine vertraglichen Pflichten loyal erfüllt. Umgekehrt verlangt das Gesetz vom Käufer kein Abwarten, wenn die tatsächlichen Grundlagen seiner Erwartungen endgültig entfallen sind. Deshalb kommt auch im Rahmen des Anspruchs aus §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 Satz 1 bei unbehebbaren Mängeln ein vorgezogener Anspruch auf Schadensersatz in Betracht. Zugleich zieht der Gesetzgeber in § 323 Abs. 4 eine bedeutsame Grenze: die Erfüllungsgefährdung muss offensichtlich – also tatsächlich liquide beweisbar und rechtlich eindeutig – sein. Bloße Zweifel des Käufers an der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit des Verkäufers rechtfertigen daher die Geltendmachung eines vorgezogenen Schadensersatzanspruchs nicht (vgl. dazu vor allem Rn. 195).835 Das Vertretenmüssen richtet sich nach § 311a Abs. 2 Satz 2. Die Norm verweist nicht auf § 276, sondern stellt auf die Kenntnis oder die zu vertretende Unkenntnis des Schuldners vom Leistungshindernis ab. Diese Besonderheit erklärt, warum der Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 Satz 1 lex specialis in den Fällen des vor Vertragsschluss liegenden, unbehebbaren Mangels ist. Allerdings überzeugen die der Differenzierung zugrunde liegenden Überlegungen nicht. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform erkannte zunächst eine Besonderheit darin, dass im Falle des § 311a Abs. 2 die Funktionsstörung zu einem Zeitpunkt vorliegt (vor Vertragsschluss), in dem der Verkäufer dem Käufer noch gar nicht verpflichtet ist. Deshalb könne nicht an den Vorwurf einer vertraglichen Pflichtverletzung angeknüpft werden.836 Bedenkt man indes, dass der Verkäufer bei behebbaren Mängeln auch dann auf Schadensersatz haftet, wenn er einen vor Vertragsschluss vorliegenden Mangel verschuldet, diesen aber ohne Verschulden nicht innerhalb der Nachfrist beseitigt (vgl. das Beispiel Rn. 330), erscheint dies nicht zwingend. Die Norm ist ferner § 122 Abs. 2 nachgebildet.837 Dort muss die Vertragsgegenseite die Anfechtung ohne Anspruch auf Scha832 Staudinger/Schwarze § 323 Rn. B 166. 833 Vgl. zu den Hintergründen: Weidt, Antizipierter Vertragsbruch, 2008, S. 78ff. sowie

MünchKomm/Ernst § 281 Rn. 65; Faust, in: Huber/Faust, § 3 Rn. 138, Staudinger/Schwarze § 281 Rn. B 185ff. 834 Ähnlich Staudinger/Schwarze § 325 Rn. B 159. 835 BGH ZIP 2012, 1463, Tz. 17ff. 836 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 165f. 837 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 166.

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densersatz hinnehmen, wenn sie den vor Vertragsschluss vorliegenden Anfechtungsgrund kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte. Zwischen beiden Normen besteht aber ein systematischer Unterschied: Denn § 122 Abs. 2 betrifft den Ersatz des negativen Interesses; der Anfechtungsgegner hat danach einen Anspruch, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, als sei der Vertrag mit dem Anfechtenden nie geschlossen worden. Dagegen eröffnet § 311a Abs. 2 Satz 1 dem Käufer einen Anspruch auf das positive Interesse; denn der Käufer wird im Wege des Schadensersatzes so gestellt, als wäre der Vertrag vom Verkäufer voll erfüllt worden. Deshalb beruht § 311a Abs. 2 wohl schlicht auf einer Fehlkonzeption:838 Denn der nach Satz 2 erhobene Vorwurf zielt darauf ab, dass der Schuldner den Vertrag trotz Kenntnis oder leicht fahrlässiger Unkenntnis mit dem Gläubiger geschlossen hatte.839 Liegt die Pflichtverletzung aber im Vertragsschluss, kann sie im Wege des Schadensersatzes nur dadurch gut gemacht werden, dass die Gegenseite so gestellt wird, als sei der Vertrag nie zustande gekommen.840 Die Kritik geht teilweise so weit, den Schuldner entgegen dem Wortlaut nur auf das negative Interesse haften zu lassen.841 Dies ist allerdings im Rahmen der Gesetzesauslegung nicht möglich. Andere Auffassungen wollen den Ersatz des positiven Interesses aufgrund alternativer Überlegungen rechtfertigen und gelangen dabei teilweise zu einer Erweiterung ihres Anwendungsbereichs. So gelte im Bereich des § 311a Abs. 2 das Garantieprinzip, oder mit v. Jhering formuliert: „Wer eine Sache verkauft, muss wissen, ob sie ihm gehört.“842 Deshalb sei ein Verschulden im Rahmen des § 276 Abs. 1 entbehrlich. Dem steht jedoch der Wortlaut des § 311a Abs. 2 Satz 2 entgegen, der eine solche Einschränkung nicht kennt. Eine zweite Auffassung sieht deshalb das Garantieprinzip als Haftungsgrund an, will aber die Schadenszurechnung nach dem Verschuldensprinzip vornehmen.843 Im Haftungsgrund offenbart sich jedoch der grundlegende Schutzzweck der Haftungsnorm, der im Wege der Schadenszurechnung nur einzelfallbezogen umgesetzt wird (zu diesem Zusammenhang Rn. 1056). Beide lassen sich möglicherweise auf einer gedanklichen, nicht aber auf einer systematisch wertenden Ebene trennen. Letztlich erinnert § 311a Abs. 2 Satz 1 auch an eine historisch überholte Entwicklungsstufe der Dogmatik der Mängelhaftung. Die Sachmängelhaftung des Verkäufers beruhte im Gemeinen Recht auf dem an die Adresse des Verkäufers gerichteten Vorwurf, den Käufer nicht ausreichend über 838 Medicus, in: Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland, Kap. 3 Rn. 71; schärfer noch Katzenstein JR 2003, 451f.: „Norm mit strafähnlichem Charakter“. 839 Gröschler NJW 2005, 1601, 1603. 840 Ähnlich Ehmann/Sutschet JZ 2004, 62, 67. 841 So vor allem Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 279ff. und 295ff.; zuvor Altmeppen DB 2001, 1399, 1400; Knütel NJW 2001, 2519, 2520; Wilhelm JZ 2001, 867, 867. 842 Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, 1867, S. 46; nunmehr Ehmann/Sutschet S. 122ff.; Sutschet NJW 2005, 1404, 1405f. 843 Canaris, in: FS Heldrich, 2005, S. 11, 25ff.

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die Mängel der Kaufsache aufgeklärt zu haben (Rn. 465). Dass der Gesetzgeber sich für dieses Begründungsmodell im Fall des § 311a Abs. 2 entschieden hat, ist systematisch nicht folgerichtig, muss indes hingenommen werden. Tritt die Unbehebbarkeit des Mangels nach Vertragsschluss ein, finden die §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 Satz 1 keine Anwendung, sondern es kommen Ansprüche auf der Grundlage der §§ 437 Nr. 3, 280, 283 in Betracht. Für den seltenen Fall, dass die Unbehebbarkeit gerade nach Vertragsschluss, aber vor Gefahrübergang eintritt, wird ein Fall der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 bejaht,844 was den Käufer auf den Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283 – ohne Anwendung des § 437 Nr. 3 – verweisen würde. Damit sind jedoch nur Abgrenzungsprobleme auf der Tatbestandsebene ohne Auswirkungen auf der Rechtsfolgenseite verbunden. Ferner legt der Rechtsgedanke des § 323 Abs. 4 auch in diesem Fall nahe, dass der Käufer sich auf einen „Mangel“ vor Gefahrübergang berufen darf (Rn. 382).

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7. Einfache Nichtleistung und Unmöglichkeit

Bleibt die Leistung des Verkäufers schlicht aus, kann der Käufer unmittelbar nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 281 Abs. 1 Satz 1 vorgehen: Er muss dem Verkäufer eine angemessene Frist für die nach § 433 Abs. 1 Satz 1 geschuldete Leistung setzen. Mit erfolglosem Ablauf kann er seinen Schaden nach § 280 Abs. 1 Satz 1 liquidieren, es sei denn der Verkäufer kann sich nach § 280 Abs. 1 Satz 2 entlasten. Verzug des Verkäufers bzw. ein Vorgehen des Käufers nach § 286 wird nicht vorausgesetzt: Dies begründet der Gesetzgeber845 damit, dass die Fristsetzung einer Mahnung in der Wirkung gleichsteht und für den Gläubiger der Grund der Untätigkeit des Schuldners nicht unbedingt erkennbar sein muss. Für den Verbrauchsgüterkauf führt § 475 Abs. 1 das Erfordernis des Vertretenmüssens als weiteres Sacherfordernis bei der Geltendmachung von Verzögerungen ein (Rn. 419a). Auch die Fälle der sog. vorübergehenden Unmöglichkeit unterliegen diesen Regeln (str. Rn. 73). Wird die Erfüllung der Lieferpflicht nach § 433 Abs. 1 Satz 1 dem Verkäufer unmöglich iSd. § 275 Abs. 1 bis 3 (dazu Rn. 73ff.), führt der Weg zum Anspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 über § 283 Satz 1: Eine Frist nach § 281 Abs. 1 Satz 1 muss dann nicht gesetzt werden. Sie erscheint auch angesichts der Unmöglichkeit der Leistung obsolet. Einen Sonderfall stellt die Unmöglichkeit der Mängelbeseitigung dar. Zu dieser Rn. 190.

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8. Verletzung einer Nebenpflicht

Als Nebenleistungspflichten sollen hier diejenigen Pflichten bezeichnet werden, die nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis von Leistung und Gegenleistung 844 Tiedtke/Schmitt BB 2005, 615, 619. 845 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 138, linke Spalte, dritter Absatz; dazu distanziert Canaris JZ

2001, 499, 515.

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stehen (vgl. § 320).846 Soweit diese Pflichten einen bestimmten Leistungsinhalt haben (echte Nebenleistungspflichten), stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 281 Abs. 1 Satz 1: V ist seiner Pflicht, dem K den Impfpass über das verkaufte Pferd zu übergeben, noch nicht nachgekommen.

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Es leuchtet ein, dass hier das Nachfristsetzungserfordernis unmittelbar passt, und folglich auch in diesem Fall nur ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Nebenleistung in Betracht kommt.847 Anders ist die Lage bei der Verletzung sog. Schutzpflichten (unselbstständige Nebenleistungspflichten, weitere Verhaltenspflichten) nach § 241 Abs. 2.848 Hier konkretisiert sich der Pflichteninhalt erst durch den nachträglich erhobenen Vorwurf an den Schuldner, nicht ausreichend auf die Integritätsinteressen der Vertragsgegenseite Rücksicht genommen zu haben: K betritt in Kaufabsicht den Supermarkt des V. Dort gleitet er auf einem liegen gebliebenen Salatblatt aus und bricht sich ein Bein. Er fordert von V die Heilbehandlungskosten ersetzt.

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In den Fällen des Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) entsteht ein Schuldverhältnis iSd. § 280 Abs. 1 Satz 1 bereits unter den Voraussetzungen des § 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3; dessen Inhalt beschränkt sich auf unselbstständige Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2). Diesen Pflichten fehlt ein von vornherein einklagbarer Inhalt,849 weil die Vertragsgegenseite nur ganz allgemein Schaden vom Käufer abwenden muss, gleichgültig, ob dieser von Bananenschalen, Gemüseblättern oder umfallenden Teppichrollen droht (vgl. dazu vor allem Rn. 2ff.). Ein Kläger könnte daher den Anspruch ex ante gar nicht iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmen. Deshalb scheidet hier auch regelmäßig eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 aus, so dass der Schaden unmittelbar nach § 280 Abs. 1 Satz 1 liquidiert werden kann, wenn feststeht, wie der Verkäufer seine Schutzpflichten verletzt hat. Ausnahmsweise rechtfertigt die Verletzung einer Nebenpflicht auch Schadensersatz statt der Leistung. Nach § 282 kommt es darauf an, dass die verletzte Nebenpflicht wesentlich ist. Die Einhaltung der Pflicht muss für einen objektiven Beobachter in der Situation des Käufers so wichtig sein, dass er bei ihrer Verletzung kein Interesse mehr an der Leistung hat. Im Rahmen der nach dem Wortlaut des § 282 anzustellenden Zumutbarkeitsprüfung kommt es entscheidend auf eine Interessenabwägung zwischen den Beteiligten an.850

Im Anschluss an Larenz I § 2 I, S. 8, unten. Canaris JZ 2001, 499, 512. Larenz I § 2 I, S. 10. Anders jetzt Gsell DWW 2010, 122, 124 im Anschluss an Madaus Jura 2004, 289, 290; Klagbarkeit kann nach der Erstverletzung bei Wiederholungsgefahr gegeben sein: Medicus/Petersen BR Rn. 207. 850 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 142, linke Spalte, zweiter Absatz. 846 847 848 849

B. Käuferrechte

287

Vgl. dazu RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 141, rechte Spalte, vierter Absatz: „Ein Maler führt zwar die von ihm übernommenen Malerarbeiten ordentlich aus, beschädigt jedoch immer wieder schuldhaft während der einige Zeit in Anspruch nehmenden Arbeiten auf dem Weg in den von ihm zu streichenden Teil der Wohnung die Eingangstür und Einrichtungsgegenstände. Schadensersatz wegen der Sachschäden kann der Gläubiger unmittelbar aus § 280 Abs. 1 verlangen. Darüber hinaus kann sich auch die Frage stellen, wann das Verhalten des Malers ein solches Ausmaß angenommen hat, dass dessen Weiterbeschäftigung dem Gläubiger nicht mehr zuzumuten ist. Daraus ergibt sich das Problem, ob der Gläubiger noch vor Abschluss der Arbeiten einen anderen Maler mit der Beendigung der Arbeiten beauftragen und die hierfür entstandenen Mehrkosten dem ersten unsorgfältigen Maler in Rechnung stellen kann.“

Historisch ist schließlich die Sachmängelhaftung aus einer Verantwortung des Verkäufers für vorsätzliche oder fahrlässige Falschaufklärung des Käufers über Mängel der Kaufsache entstanden (Rn. 465). Wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, die sich auf einen Mangel beziehen, haftet der Käufer nunmehr jedoch nur noch im Vorsatzfall aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2). Bei fahrlässig falscher Aufklärung über Mängel der Kaufsache ist dieser Anspruch durch § 437 Nr. 3 verdrängt (dazu Rn. 465ff.).

391

VI. Aufwendungsersatz (§ 284) 1. Überblick

Der Anspruch des Käufers auf Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281) ist darauf gerichtet, den Käufer so zu stellen, als sei der Lieferanspruch nach Maßgabe des § 433 Abs. 1 Satz 1 und 2 erfüllt worden (positives Interesse). Führt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, so sind Aufwendungen, die vom Käufer im Vertrauen auf den Bestand des Kaufvertrages und die Dauerhaftigkeit des Eigentumserwerbs an der Kaufsache getätigt wurden (Kosten des Vertragsschlusses, Renovierung der Kaufsache usw.), eigentlich nicht im Wege des Schadensersatzes liquidierbar. Denn sie wären auch angefallen, wenn der Verkäufer seine Leistung vertragsgemäß erbracht hätte. Im Fall der Mangelhaftigkeit der Kaufsache lehnt der BGH daher den Ersatz solcher frustrierter Aufwendungen im Wege des Schadensersatzes grundsätzlich ab, auch wenn die Aufwendungen wegen der Pflichtverletzung des Verkäufers im Nachhinein nutzlos erscheinen und zuvor im Vertrauen auf das vertragsgemäße Verhalten des Verkäufers getätigt wurden.851 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Käufer nachweisen kann, dass den frustrierten Aufwendungen bei vertragsgemäßer Erbringung der Leistung durch den Verkäufer Vermögensvorteile gegenübergestanden hätten, die dem Käufer nun anlässlich der Rückabwicklung des Kaufvertrages entgehen. Hierbei hilft der BGH dem Käufer mit der sog. 851 BGHZ 71, 234, 238 mAnm. Stoll JZ 1978, 797; BGHZ 114, 193, 196f. Grundlegend Stoll, in:

FS Duden, 1977, S. 641ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Rentabilitätsvermutung.852 Diese knüpft an den Geschäftswillen der Parteien an und beruht auf dem Erfahrungssatz, dass Leistung und Gegenleistung in einem Kaufvertrag regelmäßig gleichwertig sind (vgl. § 346 Abs. 2 Satz 2). Geht man davon als Regelfall aus, so spricht für den Käufer der Erfahrungssatz, dass sich seine Aufwendungen auf die Kaufsache durch deren Erhalt und Nutzung insgesamt rentiert hätten.853 Diese Vermutung kann allerdings vom Verkäufer widerlegt werden, wenn der Käufer mit der Kaufsache keine wirtschaftlichen, sondern nur ideelle Zwecke verfolgt: K kauft von V ein Grundstück, um es der Gemeinde X zur Errichtung eines Kindergartens zu schenken. Wird dieser Kaufvertrag infolge eines mangelbedingten Rücktritts des K rückabgewickelt und verlangt K die von ihm beglichenen Notarkosten, greift die Rentabilitätsvermutung nicht: Es kann gerade nicht vermutet werden, dass K die Kosten der notariellen Beurkundung mit Hilfe eines mangelfreien Grundstücks erwirtschaftet hätte. Denn K wollte das Grundstück ja verschenken.

393

394

In solchen Fallkonstellationen verweigert der BGH konsequenterweise den Ersatz frustrierter Aufwendungen im Wege des Schadensersatzes unter Hinweis auf das Verbot der Liquidierung immaterieller Schäden nach § 253 Abs. 1.854 Vor Einführung des § 284 hing daher die Ersatzfähigkeit der auf die Kaufsache erbrachten Aufwendungen für den Käufer vom weiteren Verwendungszweck ab, den er der Kaufsache beilegte: Verfolgte er mit der Kaufsache wirtschaftliche Ziele, konnte er im Zweifel Ersatz verlangen. Dagegen erschien es für den Verkäufer als unverdienter Glücksfall, wenn der Käufer immaterielle Zwecke verfolgte; dann nämlich fiel der Ersatz frustrierter Aufwendungen nach § 253 Abs. 1 aus. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat an der Willkürlichkeit dieser Unterscheidung Anstoß genommen und in § 284 einen neuen Tatbestand geschaffen, innerhalb dessen frustrierte Aufwendungen unabhängig vom Verwendungszweck der Kaufsache liquidiert werden können.855 Zutreffender Auffassung nach gilt die Lehre von der Rentabilitätsvermutung auch nach Einführung des § 284 fort.856 Dafür spricht bereits, dass es sich bei § 284 nicht um einen Schadens-, sondern um einen Aufwendungsersatzanspruch handelt (str.; Rn. 401), der einen auf der Grundlage der Rentabilitätsvermutung begründeten Schadensersatzanspruch nicht verdrängen kann und wohl auch nicht soll: Durch die Einführung der Norm sollte sich die Ersatzmöglichkeit aus Sicht der Betroffenen ausschließlich verbessern.

Dazu bereits RGZ 127, 245, 248. BGHZ 71, 234, 238; 114, 193, 197. Vgl. auch das Beispiel BGHZ 99, 182, 202; dazu Canaris JZ 2001, 499, 516. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 142. Canaris JZ 2001, 499, 517; MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 39; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 12; Althammer NZM 2003, 129, 132; Weitemeyer AcP 205 (2005) 275, 278; aA.: Stoppel AcP 204 (2004) 81, 112f.; Wankerl ZGS 2009, 19, 22f. 852 853 854 855 856

B. Käuferrechte

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2. Tatbestand

Ein eher unbedeutender Streit dreht sich um die Frage, ob § 284 eine Anspruchsgrundlage darstellt. Teilweise wird aus dem Normwortlaut („Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“) und der Frage der Anwendbarkeit des § 254 (Mitverschulden) gefolgert, es handele sich nur um eine Haftungsausfüllungsnorm im Rahmen des § 280 Abs. 1 Satz 1.857 Wegen des eigenständigen Anspruchsziels (Aufwendungsersatz) wird die Norm von der hM.858 jedoch zu Recht als eigene Anspruchsgrundlage eingeordnet.

395

a) Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung

Der Anspruch aus § 284 kommt zunächst nur anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung in Betracht. Das Tatbestandsmerkmal hat zwei Bedeutungen: Der Käufer muss sich erstens zwischen Schadens- und Aufwendungsersatz als Anspruchszielen entscheiden.859 Zweitens kann er Aufwendungsersatz nur unter den allgemeinen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs – und dazu zählt vor allem auch ein Vertretenmüssen – geltend machen.860 (BGH 20.7.2005 – VIII ZR 275/04 = BGHZ 163, 381 = NJW 2005, 2848) K hat von V ein Neufahrzeug (wirtschaftliche Lebensdauer 5 Jahre) für gewerbliche Nutzungszwecke zum Preis von 26.192 € erworben. Am Fahrzeug zeigten sich jedoch ein Jahr nach Übergabe Mängel, die V innerhalb der von K gesetzten, angemessenen Frist nicht beheben konnte. K macht deshalb ua. 472 € für die Feststellung der von V teilweise bestrittenen Mängel durch ein Beweissicherungsgutachten geltend. In Betracht kommt (neben § 439 Abs. 2; vgl. Rn. 228) ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 3, 284. Dieser müsste anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung geltend gemacht werden. Dazu müssen die Voraussetzungen des §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und 281 Abs. 1 Satz 1 vorliegen. In Erfüllung des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags hat V eine mangelhafte Sache geliefert. K wiederum hat dem V eine Frist nach § 281 Abs. 1 Satz 1 gesetzt, die erfolglos verstrichen ist. Ferner hat V das ungenutzte Verstreichen der Frist im Zweifel zu vertreten (§ 280 Abs. 1 Satz 2). Das Tatbestandsmerkmal „anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“ bedeutet jedoch ebenfalls, dass K eine solche Position nicht kumulativ zu einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung, sondern nur alternativ dazu als Aufwendungen geltend machen darf.

Im Verfahren wendete der Verkäufer jedoch ein, bei den Kosten für das Beweissicherungsverfahren handele es sich um Schadenspositionen und nicht um Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung entstanden seien. Aufwendungen stellen freiwillige Vermögensopfer dar (arg. e § 670).861

857 MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 8; Stoppel AcP 204 (2004) 81, 84f. und 106. 858 Faust, in: Huber/Faust § 4 Rn. 2; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 9; Schwarze, Leistungsstö-

rungen, 2008, § 25 Rn. 42; BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 21ff.; Reim NJW 2003, 3662, 3663. 859 BGH NJW 2005, 2848, 2850; Canaris JZ 2001, 499, 517; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 18. 860 MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 14ff.; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 23ff. 861 BGH NJW 2005, 2848, 2850; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 27; Medicus/Petersen BR Rn. 874.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Dafür, dass die Kosten für das Beweissicherungsverfahren als adäquat kausal durch den Mangel verursachter Vermögensschaden einzuordnen sind, spricht, dass das zugrunde liegende Vermögensopfer dem K durch das sachlich nicht begründete Bestreiten des V aufgenötigt wurde und daher nicht freiwillig war. Auch diente der Betrag nicht dem Erhalt der Sache, sondern der Rückabwicklung des Vertrages.

397

Der Einwand des Verkäufers zielt folglich darauf ab, dass § 284 durch das Tatbestandsmerkmal „anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung“ dem Käufer verwehrt, Schadens- und Aufwendungsersatz kumulativ geltend zu machen. Untersagt ist allerdings nur die gleichzeitige Geltendmachung von Aufwendungsersatz und Schadensersatz statt der Leistung. Es stellt sich daher die Frage, was diese Tatbestandsvoraussetzung im System des § 284 bedeutet. Der BGH stellt überzeugend auf die Gefahr einer Doppelkompensation des Käufers ab (S. 2850): Der Käufer kann danach nicht einerseits den Schaden nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 so berechnen, als sei der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden, und andererseits seine Investitionen in die Sache auf der Grundlage von §§ 437 Nr. 3, 284 abziehen. Denn Letzteres ist ihm nur möglich, wenn er insgesamt so gestellt werden will, als sei der Vertrag gerade nicht zustande gekommen. Auch hier empfiehlt es sich, nicht auf der Grundlage des problematischen Begriffs des Schadensersatzes statt der Leistung zu argumentieren, sondern mit dem zugrunde liegenden Normzweck (dazu Rn. 335ff.). Dieser erinnert an die Problematik des § 325. Diese Norm erlaubt es dem Käufer, einerseits den Rücktritt auszuüben, andererseits aber auch einen Nutzungsausfallschaden zu liquidieren (Rn. 365ff.). Möglich ist dies, weil der Nutzungsausfallschaden durch die Rückabwicklung nach §§ 346ff. nicht rückgängig gemacht wird, sondern – nach der Differenztheorie berechnet – auch nach der Rückabwicklung endgültig im Vermögen des Käufers verbleibt (Rn. 368ff.). Um eine ähnliche Fragestellung geht es auch bei § 284: Vergleichbar dem Rücktritt geht es dem Käufer darum, im Wege des Ersatzes frustrierter Aufwendungen so gestellt zu werden, als sei der Vertrag nicht zustande gekommen. Zu diesem Anspruchsziel setzt sich der Käufer aber dann in Widerspruch und verlangt eine Doppelkompensation, wenn er zugleich einen Schaden geltend macht, der bei der Rückabwicklung des Kaufvertrags bzw. bei Gewährung des negativen Interesses aus seinem Vermögen verschwindet, wenn man den Schaden konsequent nach der Differenztheorie berechnet. Beispiel K verlangt die Kosten einer noch ausstehenden Reparatur des Fahrzeugs neben dem Ersatz der Kosten seiner bereits erfolgten Lackierung. Die Lackierungskosten stellen nach hM. frustrierte Aufwendungen iSd. § 284 dar (dazu allgemein Rn. 399). Die Kosten der noch ausstehenden Reparatur belasten das Vermögen des K jedoch nicht mehr, wenn der Kaufvertrag rückabgewickelt wird. Denn dann ist V für die Reparatur des Fahrzeugs verantwortlich. Der gleichzeitige Ersatz beider Positionen würde daher zu einer Doppelkompensation des K führen. Dieser würde zugleich so gestellt, als sei der Vertrag erfüllt worden (Reparaturkosten) und in anderer Hinsicht, als werde dieser rückabgewickelt (Lackierungskosten). Der Ersatz der Reparaturkosten stellt daher Schadensersatz statt der Leistung iSd. § 284 dar.

B. Käuferrechte

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Die Kosten des Beweissicherungsverfahrens aber stellen einen Schaden dar, der endgültig im Vermögen des Käufers verbleibt, auch wenn der Vertrag rückabgewickelt oder dem Käufer das negative Interesse auf der Grundlage einer Berechnung nach der Differenztheorie gewährt wird. Ihn darf der Käufer daher neben dem Anspruch aus § 284 liquidieren.862 Der Anspruch des K aus §§ 437 Nr. 3, 284 auf Ersatz der Kosten des Beweissicherungsverfahrens ist daher begründet. Geht man von den dargestellten Grundsätzen aus, kann der Käufer übrigens auch – wie in den Fällen des § 325 – einen Nutzungsausfallschaden neben dem Anspruch aus § 284 geltend machen (vgl. Rn. 365ff.). Auch bei dieser Position handelt es sich daher nicht um Schadensersatz statt der Leistung iSd. § 284. b) Aufwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung

Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer (Rn. 396). § 284 setzt voraus, dass diese im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung erbracht werden.

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(Fortsetzung von Rn. 396: BGH 20.7.2005 – VIII ZR 275/04 = BGHZ 163, 381 = NJW 2005, 2848) K macht gegenüber V noch insgesamt 487 € für die Überführung und Erstzulassung des Fahrzeugs geltend.

Typischerweise fallen unter § 284 sog. Vertragskosten, dh. Aufwendungen, die zum Zwecke der Vorbereitung und des Abschlusses des Vertrages getätigt werden (Kosten der notariellen Beurkundung, Grundbuchkosten, Maklerkosten).863 Auch die Kosten der Erstzulassung und Überführung sieht der BGH als Vertragskosten an (S. 2850f.). Probleme ergaben sich im Hinblick auf die Frage, ob K auch im Hinblick auf diese Positionen eine Vorteilsausgleichung hinnehmen muss (dazu Rn. 411).

§ 284 kann prinzipiell auch Aufwendungen vor Vertragsschluss erfassen, wenn sich das Vertrauen des Ersatzberechtigten auf den Vertrag, der später zur Haftungsgrundlage nach § 284 wird, im Hinblick auf die Hauptleistungspflichten und vor allem die Identität der Vertragsgegenseite verstetigt hat.864 Die Kosten zur Schaffung einer Entscheidungsgrundlage bezüglich des „Ob“ des Vertragsschlusses (Gutachten) werden jedoch nicht erfasst. Denn sie können ebenso zur Finanzierung des Rats beitragen, vom Vertragsschluss gerade Abstand zu nehmen. Sie werden deshalb nicht im Vertrauen auf den Erhalt der Gegenleistung erbracht.865 Problematischer stellt sich hingegen das Verhältnis zwischen § 284 und § 347 Abs. 2 bei Aufwendungen auf die Kaufsache (Verwendungen) dar. Diese 862 Emmerich, in: FS Otte, 2005, S. 101, 107. 863 BGH NJW 2005, 2848, 2850; RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 144, linke Spalte; Reim NJW

2003, 3662, 3663; MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 17; BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 62ff.; Schenk ZGS 2008, 54, 58. 864 BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 92ff. mwN. 865 OLG Hamm NJW-RR 2016, 1501.

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292

§ 2 Der Kaufvertrag

tätigt der Käufer nämlich nicht zum Erhalt, sondern zwecks Behalt der Kaufsache. Kommt es zum Rücktritt, schränkt § 347 Abs. 2 den Umfang des Ersatzanspruchs ein: Unbegrenzt ersatzfähig sind nämlich nur notwendige Verwendungen in Satz 1, während dem Verkäufer für alle übrigen Verwendungen der Entreicherungseinwand nach § 347 Abs. 2 Satz 2 zusteht. (Fortsetzung von Rn. 396: BGH 20.7.2005 – VIII ZR 275/04 = BGHZ 163, 381 = NJW 2005, 2848) K macht gegenüber V noch 5.080,28 € für eine nach Übergabe installierte Zusatzausstattung (Montage von Leichtmetallfelgen, Navigationssystem usw.) geltend.

Der BGH behandelt auch diese Position als frustrierte Aufwendung iSd. § 284 (S. 2850), wobei die Größenordnung hier zur Veranschaulichung des Problems etwas übertrieben wurde. Die Anwendung des § 284 auf solche Investitionen wird von einer im Schrifttum vertretenen Auffassung mit systematischem Blick auf § 347 Abs. 2 abgelehnt.866 Denn während des Zeitraums, für den der Käufer Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 schuldet, kann er vom Verkäufer Verwendungsersatz nach § 347 Abs. 2 verlangen. Die Beschränkung des § 347 Abs. 2 liefe aber leer, wenn § 284 parallel angewendet würde. Dies rückt den Privilegierungszweck des § 347 Abs. 2 in den Mittelpunkt der Überlegungen: Die Norm verhindert, dass der Rückgewähranspruch des Verkäufers nach § 346 Abs. 1 auf die Kaufsache dadurch ausgehöhlt wird, dass der Käufer ein Zurückbehaltungsrecht nach § 348 wegen sämtlicher Investitionen in die Kaufsache geltend machen kann (Rn. 318). Da die Rücktrittshaftung mit Übergabe der Kaufsache an den Käufer beginnt,867 können nach dieser Auffassung Verwendungen nur noch nach § 347 Abs. 2 ersetzt werden. Überzeugender erscheint dennoch die Gegenauffassung: Sie verweist darauf, dass § 284 ein Vertretenmüssen des Verkäufers voraussetzt, während § 347 Abs. 2 von einer verschuldensunabhängigen Haftung ausgeht. Deshalb erscheint es nicht systemwidrig, wenn die Haftung des Verkäufers im Falle des Vertretenmüssens über das in § 347 Abs. 2 vorausgesetzte Maß hinaus erweitert wird.868 Den Versuchen des Käufers, durch Verwendungen auf die Sache bewusst den Rückgewähranspruch des Verkäufers zu vereiteln, kann dann entweder über § 254 Abs. 2 Satz 1 begegnet werden oder überzeugender noch durch Verneinung der Billigkeit im Rahmen des § 284 (konkret dazu Rn. 404). Im Hinblick auf die 5.080,28 € stellt sich die Frage, ob K diese Verwendungen iSd. § 284 billigerweise machen durfte. Dies wird man im Anschluss an die unter Rn. 404 aufgestellten Grundsätze verneinen müssen.

866 Faust, in: Huber/Faust, § 4 Rn. 18f.; Staudinger/Otto, Bearbeitung 2009, § 284 Rn. 26; aA. nun Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 70. 867 So auch Staudinger/Otto, Bearbeitung 2009, § 284 Rn. 26. 868 Arnold ZGS 2003, 427, 431; Gsell NJW 2006, 125; Fischinger/Wabnitz ZGS 2007, 139, 140; Saenger/Klockenbrink ZGS 2006, 61, 63; Schenk ZGS 2008, 54, 60.

B. Käuferrechte

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Fraglich ist ferner, ob der Käufer auch den Kaufpreis als Aufwendung im Vertrauen auf den Erhalt der Sache zurückverlangen kann.869 Zwar steht der Wortlaut der Norm dieser Möglichkeit nicht entgegen, wohl aber ein systematisches Argument aus § 346 Abs. 1 und 2.870 Erklärt der Käufer nämlich den Rücktritt, um den Kaufpreis zurückzuerlangen, löst er damit gleichzeitig mögliche Ersatzansprüche der Gegenseite nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 aus, mit denen der Verkäufer aufrechnen kann. Auf diese Weise setzt sich das subjektive Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Rückgewährschuldverhältnis fort. Diese den Verkäufer schützende Rechtsfolge darf nicht über § 284 umgangen werden, indem der Käufer einseitig den Kaufpreis zurückfordert. Der BGH hat die praktische Bedeutung des Rechtsstreits dadurch verringert, dass er über den Vorteilsausgleich des Käufers die Gegenansprüche des Verkäufers automatisch berücksichtigt (Rn. 411). Zweifelhaft ist auch, ob der Käufer die Vorteile eines Alternativgeschäfts über § 284 liquidieren kann: K erwirbt von V ein Fahrzeug des Typs X für 100.000 € und muss später wegen eines Mangels vom Vertrag zurücktreten. Er rechnet V vor, dass er ein Fahrzeug desselben Typs bei D für 80.000 € hätte erwerben können. Die 20.000 € Differenz verlangt er nach § 284 von V.

Der Gesetzgeber ordnet ausweislich der Materialien die Vorteile eines Alternativgeschäftes nicht in § 284 ein, weil es dabei um entgangenen Gewinn gehe.871 Die hM. folgt ihm darin.872 Allerdings ist im Schrifttum umstritten, ob § 284 einen auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzanspruch darstellt,873 der nach § 252 den Ersatz entgangenen Gewinns ermöglicht, oder ob es sich um eine Sonderform des Aufwendungsersatzes handelt.874 Die Normstruktur liefert kein eindeutiges Ergebnis: Für einen Schadensersatzanspruch spricht das Erfordernis des Vertretenmüssens, für einen Aufwendungsersatzanspruch aber das Billigkeitserfordernis. Dieses erinnert an den Erforderlichkeitsmaßstab des § 670 (Rn. 403), passt aber wie der systematische Vergleich mit der Billigkeitshaftung nach § 829 zeigt, nicht zu einer echten Schadensersatzhaftung: Denn der Schadensersatzanspruch ist auf Ausgleich eines eingetretenen 869 Bejahend: Derleder NJW 2004, 969, 973; Stoppel ZGS 2006, 254. 870 Im Ergebnis ebenso: Faust, in: Huber/Faust § 4 Rn. 17; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 29;

BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 58; Reinicke/Tiedtke Rn. 228; Reim NJW 2003, 3662, 3665; Tröger ZIP 2005, 2238, 2242; Schenk ZGS 2008, 54, 57. 871 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 144, linke Spalte, letzter Absatz. 872 Canaris JZ 2001, 499, 517; vgl. auch ders., in: FS Heldrich, 2005, S. 11, 19; Faust, in: Huber/ Faust § 4 Rn. 11; Lorenz/Riehm Rn. 227; Tröger ZGS 2005, 462, 465 mwN.; aA.: MünchKomm/ Ernst § 284 Rn. 21; NK-BGB/Arnold § 284 Rn. 24. 873 Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, 2003, S. 50f.; MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 6: „Entschädigung“; Fleck JZ 2009, 1045, 1046; Gsell, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 321, 334ff.; Stoppel AcP 204 (2004) 81, 87; offenlassend wohl Bamberger/Roth/Unberath § 284 Rn. 1 (= BeckOK); abweichend BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 13: Schadensersatzanspruch gerichtet auf das positive Interesse. 874 Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 10ff., insbesonderte Rn. 12; Schwarze, Leistungsstörungen, 2008, § 25 Rn. 28; Emmerich, in: FS Otte, 2005, S. 101, 105.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Schadens nicht nur im Billigkeitsfalle gerichtet. Ordnet man § 284 daher als Aufwendungsersatzanspruch ein, kommt § 284 im Hinblick auf die verpassten Chancen eines Alternativgeschäftes nicht in Betracht.875 Schließlich stellt sich die Frage, ob der Käufer die eigene Arbeitsleistung im Rahmen des § 284 liquidieren kann. § 1835 Abs. 3 konstituiert das Prinzip, dass als Aufwendungen vor allem Dienste gelten, die zum Gewerbe oder Beruf des Ersatzberechtigten zählen. Daran wird auch im Rahmen des § 284 angeknüpft,876 was vor allem mit Blick auf den Rechtsgedanken des § 253 Abs. 1 überzeugt. Damit vereinbar erscheint aber die Überlegung, Aufwendungen in dem Fall anzuerkennen, dass das Ergebnis der Tätigkeit einen Marktwert hat.877 Ein Ersatz in allen übrigen Fällen, der teilweise mit dem Interesse an einem effizienten Käuferschutz begründet wird,878 geht dagegen zu weit. c) Billigkeitsmaßstab

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404

Ersatzfähig sind nur die Aufwendungen, die der Käufer billigerweise treffen durfte. Versteht man § 284 als eine Sonderform des Aufwendungsersatzanspruchs (Rn. 401), liegt die systematische Nähe des Tatbestandsmerkmals zum Erforderlichkeitsmaßstab des § 670 auf der Hand (Rn. 1284): Der Rechtsmacht des Käufers, Vermögensentscheidungen zu treffen, für die der Verkäufer nach § 284 verantwortlich ist, entspricht dann nämlich eine inhaltliche Bindung der Entscheidungsfreiheit des Käufers an die Verkäuferinteressen. Aufwendungsersatz kann der Käufer folglich nur für geeignete, erforderliche (möglichst günstige) und nicht völlig außer Verhältnis zu ihrem Zweck stehende Investitionen fordern. Dass die vom Verständnis einer Schadensersatzhaftung ausgehende Gegenauffassung in dem Tatbestandsmerkmal nur einen Verweis auf den Rechtsgedanken des § 254 ohne eigenständige Bedeutung erkennt,879 zeigt im Übrigen gerade, dass es sich bei § 284 nicht um eine Schadensersatznorm handeln kann. Die Aufwendungen des Käufers müssen geeignet sein. Aus einer Ex-antePerspektive muss der Käufer daher das angestrebte Ziel, den Erhalt der Kaufsache, überhaupt erreichen können. Deshalb sind voreilige Aufwendungen durch den Käufer über § 284 nicht ersetzbar.880 Grundsätzlich muss der Käufer den Vertragsschluss abwarten; bei vertretbaren Sachen soll jedoch selbst dies 875 Ähnlich Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 31; Faust, in: Huber/Faust § 4 Rn. 11; Stoppel AcP

204 (2004) 81, 91; Reim NJW 2003, 3662, 3664; Schenk ZGS 2008, 54, 58; aA. MünchKomm/ Ernst § 284 Rn. 21 ausgehend von einem schadensrechtlichen Verständnis; ferner NK-BGB/Arnold § 284 Rn. 24; BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 77. 876 Faust, in: Huber/Faust § 4 Rn. 12. 877 MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 19. 878 Dafür Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 36; Bamberger/Roth/Unberath § 284 Rn. 14 (= BeckOK); Schulze/Ebers JuS 2004, 265, 272; Schenk ZGS 2008, 54, 57. 879 Canaris JZ 2001, 499, 517; MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 24; aA. Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 38 sowie BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 108ff. von einem schadensersatzrechtlichen Verständnis aus. 880 Canaris JZ 2001, 499, 517; Fleck JZ 2009, 1045, 1051f.

B. Käuferrechte

295

nicht gelten, da die Sache jederzeit von einem Dritten besorgt werden könne.881 An der Eignung fehlt es ferner, wenn der Käufer die Verwendungen zu einem Zeitpunkt vornimmt, in dem er bereits mit der Rückgabe der Kaufsache rechnen muss.882 Nach anderer Ansicht erscheint die Vorhersehbarkeit der Zweckverfehlung der Aufwendungen nur als ein anspruchsmindernder, nicht aber als ein anspruchsverhindernder Umstand; denn § 254 Abs. 2 Satz 1 sei der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass die Vorhersehbarkeit eines ungewöhnlich hohen Schadens lediglich im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen sei.883 Legt man indes den Maßstab des § 670 zugrunde, darf der Käufer nicht zu Lasten des Verkäufers verschwenderisch haushalten: Erkennt er, dass ihm die Aufwendungen nicht mehr nützen werden, weil die Sache an den Verkäufer zurückgeht, sind diese nicht geeignet. Schließlich müssen die Aufwendungen erforderlich sein. Wählt der Käufer für sein Ziel einen besonders kostspieligen, unnötig verschwenderischen Weg oder verursacht er dabei durch Nachlässigkeit Fehllenkungen der Aufwendungen, spricht gegen den Ersatz eine systematische Parallele zu den Fällen der vermögensmäßigen Entscheidung im Rahmen der modifizierten Zweikondiktionenlehre (Rn. 272): Der Käufer darf die Folgen seiner Fehlentscheidungen nicht auf den Verkäufer verlagern, wenn er zufällig einen Sachmangel entdeckt und die wirtschaftliche Verantwortung für die Sache mit der Eröffnung eines Rücktrittsrechts auf den Verkäufer „zurückspringt“.884

405

K war nicht selbst im Notartermin über das von V erworbene Grundstück anwesend, da er Ferien mit seiner Lebensgefährtin auf Ibiza verbrachte. Deshalb musste er nachgenehmigen, was Zusatzkosten iHv. 350 € verursachte. Diese kann K nicht von V nach § 284 verlangen, wenn der Vertrag rückabgewickelt wird.

Schließlich darf der Käufer nicht solche Aufwendungen ersetzt verlangen, bei denen die Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck überhaupt nicht gewahrt ist.885 Darunter fallen luxuriöse Aufwendungen bzw. Investitionen, die außer Verhältnis zum Wert der Kaufsache und zum Kaufpreis stehen (vgl. Rn. 887f.). Die Gegenauffassung geht hingegen von der Schutzwürdigkeit des Käufervertrauens aus, die Sache auf Dauer behalten zu dürfen. Weil ein Eigentümer nach § 903 Satz 1 aber jede Art von Investition in die Sache tätigen dürfe, könne auch jede Luxusaufwendung ersetzt werden.886 Diese Überlegungen wiegen nicht leicht, so dass man den Käufer nur in seltenen, besonders krassen Fällen auf Ersatz der üblichen Aufwendungen verweisen wird. 881 Gsell, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 321, 331 f; kritisch wie hier Stoppel AcP 204 (2004) 81, 96. 882 Reim NJW 2003, 3662, 3665. 883 Canaris JZ 2001, 499, 517; ähnlich Fleck JZ 2009, 1045, 1047. 884 Ähnlich Fleck JZ 2009, 1045, 1052. 885 MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 24; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 39. 886 Canaris JZ 2001, 499, 517; ebenso Faust, in: Huber/Faust § 4 Rn. 31; aA.: Reim NJW 2003, 3662, 3666; Stoppel AcP 204 (2004) 81, 98.

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296

§ 2 Der Kaufvertrag

d) Zweckverfehlung der Aufwendungen 407

Aus dem Wortlaut des § 284 geht hervor, dass die Aufwendungen wegen der vom Verkäufer zu vertretenden Pflichtverletzung (Mangel) ihren Zweck verfehlt haben müssen. (Fortsetzung von BGH 20.7.2005 – VIII ZR 275/04 = BGHZ 163, 381 = NJW 2005, 2848) K verlangt von V 5.080,28 € für eine nach Übergabe installierte Zusatzausstattung (Montage von Leichtmetallfelgen, Navigationssystem usw.). V wendet ein, K könne diese ausbauen.

Der BGH gelangt in diesem Zusammenhang zu einem sehr weit gehenden Verständnis der Zweckverfehlung (S. 2850): „Aufwendungen des Käufers auf eine gekaufte Sache, die sich später als mangelhaft herausstellt, sind demnach in der Regel vergeblich, wenn der Käufer die Kaufsache wegen ihrer Mangelhaftigkeit zurückgibt oder sie jedenfalls nicht bestimmungsgemäß nutzen kann und deshalb auch die Aufwendungen nutzlos sind. Denn Eigentum, Besitz und Nutzung einer mangelfreien Kaufsache sind die Leistung, auf deren Erhalt der Käufer vertraut und die er zum Anlass für Aufwendungen auf die Kaufsache nimmt. Ob Zubehörteile, die der Käufer in das später wegen der Mangelhaftigkeit zurückgegebene Fahrzeug hat einbauen lassen, für ihn anderweit verwendbar wären, ist für die Ersatzpflicht des Verkäufers grundsätzlich ohne Bedeutung.“

Mit diesem abstrakten Begriff der Zweckverfehlung verhindert der BGH einen Folgestreit zwischen den Parteien über die Frage, welchen Wert sich der Käufer auf das ausgebaute Zubehör anrechnen lassen muss. Wenn dieses ausbaubar ist, muss daher grundsätzlich der Verkäufer, nicht der Käufer, eine Zweitverwertung anstreben. e) Kein Ersatz bei von Pflichtverletzung unabhängiger Zweckverfehlung 408

Nicht ersetzt werden Aufwendungen, deren Zweck auch ohne die Pflichtverletzung nicht erreicht worden wäre. K erwirbt von V ein Pferd, das auf der Weide des K vom Blitz erschlagen wird. Der herbeigerufene Tierarzt macht K darauf aufmerksam, dass das Pferd ursprünglich unter einem Mangel gelitten hatte. K verlangt von V Ersatz der Kosten des mehrmaligen Hufbeschlags des Pferdes.

Hinter dieser Ausnahme verbirgt sich der sachlich berechtigte Kern der alten Rentabilitätsvermutung (Rn. 392): Denn der Käufer kann die Folgen von Unglück und Fehldispositionen, deren Folgen er zu tragen hat (Verwendungsrisiko, Rn. 116), nicht im Wege des Aufwendungsersatzes auf den Verkäufer abwälzen, wenn zufällig auch ein Mangel vorliegt. Als Zweck kommen dabei nicht nur wirtschaftliche Zwecke in Betracht, sondern alle persönlichen Zielsetzungen, die der Käufer mit der Kaufsache verfolgt. Vorliegend kann sich der Verkäufer also gerade nicht mit der Behauptung verteidigen, die Verwendung der Kaufsache durch den Käufer sei nie wirtschaftlich rentabel gewesen.887 Er kann 887 Canaris JZ 2001, 499, 516f.

B. Käuferrechte

297

sich aber auf einen hypothetischen Kausalverlauf berufen, an dessen Ende der Aufwendungszweck auch ohne die Pflichtverletzung entfallen wäre. Einschlägige Fragen stellen sich auch bei den Untersuchungskosten des Käufers:

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V hat dem K 200 Kilogramm Calciumhydroxyd „höchster Reinheitsstufe“ verkauft. Da K die Ware zu Analysezwecken braucht, lässt er die Lieferung für 50 € in einem Labor untersuchen, wobei ein hoher Verunreinigungsgrad mit anderen Substanzen erkannt wird. K verlangt von V Nachlieferung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 und Ersatz der 50 € über § 284.

Die Untersuchungskosten werden regelmäßig im Vertrauen auf den Erhalt der Sache getätigt. Fraglich ist allein, ob diese Kosten nicht auch ohne die Pflichtverletzung angefallen wären. Denn der Käufer hätte ja auch untersucht, wenn die Lieferung des Verkäufers den Erfordernissen des § 433 Abs. 1 Satz 2 entsprochen hätte. Fraglich ist deshalb, wie man den Zweck der Untersuchungskosten definiert: Dieser dürfte in der Bestätigung der Vertragsgemäßheit der Ware vor ihrer Verwendung durch den Käufer liegen. Dann ist der Zweck infolge der vertragswidrigen Lieferung nicht erreicht worden. Für dieses Ergebnis spricht, dass der Käufer bei Nachlieferung des Verkäufers die angelieferte Ware erneut untersuchen muss. So fallen die Untersuchungskosten insgesamt zweimal an. Bei vertragsgemäßer Lieferung wären sie hingegen nur einmal aufgewendet worden. Probleme entstehen, wenn der Gläubiger mehrere Zwecke verfolgt:

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K kauft von V einen Hund zur Bewachung des eigenen Grundstücks und zur Teilnahme an Zuchtwettbewerben. In die Dressur des Hundes investiert er daher 1.000 €. Wegen eines Mangels hat der Hund jedoch auf Dauer ein unansehnliches Fell. Zur Bewachung bleibt er geeignet; die Teilnahme an Wettbewerben scheidet jedoch aus.

Im Rahmen des § 284 stellt sich zunächst die Frage, ob die Aufwendungen des Käufers auf die unterschiedlichen Zwecke aufteilbar sind (Dressur zum Wachhund und zum Wettbewerbsteilnehmer). Ist dies nicht möglich, stellen viele darauf ab, worin der Hauptzweck für den Käufers lag, und gelangen – wenn ein Hauptzweck nicht feststellbar ist – zu einem anspruchsmindernden Vorteilsausgleich des Käufers.888 f) Vorteilsausgleich und Gegenansprüche

Fraglich ist, ob sich der Käufer einen Vorteilsausgleich anrechnen lassen muss, wenn er die Sache eine Zeit lang nutzen konnte. (Fortsetzung von BGH 20.7.2005 – VIII ZR 275/04 = BGHZ 163, 381 = NJW 2005, 2848) K macht gegenüber V wegen des mangelhaften Fahrzeugs 487 € für die Überführung und Erstzulassung geltend. V wendet ein, K habe das Fahrzeug immerhin ein Jahr nutzen können.

888 NK-BGB/Arnold § 284 Rn. 35; Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 71; Schenk ZGS 2008, 54, 59; Tröger ZGS 2005, 462, 467; dazu auch BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 87f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Der BGH bejaht eine Anspruchskürzung und stellt dabei auf das Verhältnis der Zeit der Nutzung durch den Käufer zur Lebensdauer der Kaufsache selbst ab.889 Dieses Ergebnis entspricht dem Wortlaut des § 284, denn soweit der Käufer die Kaufsache zeitlich nutzen konnte, ist der Zweck seiner Aufwendungen auch nicht verfehlt (S. 2850f.). Im Hinblick auf die Überführungs- und Erstzulassungskosten, die der Käufer ebenfalls geltend machte (Rn. 398), erscheint dies zunächst nicht unproblematisch, weil diese nur einmalig angefallen und mittlerweile verbraucht sind. Der BGH nimmt indes auch hier eine Kürzung vor, weil sich der Käufer durch diese Aufwendungen eine einjährige Nutzung erkauft habe (ebenda). Dies erinnert an das Prinzip der linearen Teilwertabschreibung, wie es § 346 Abs. 2 Satz 2 für den Rücktritt vorgibt (Rn. 294). Über den konkreten Fall hinaus, erscheint das Institut des Vorteilsausgleichs von zentraler Bedeutung für die Berücksichtigung der Gegenansprüche des Verkäufers aus §§ 346 Abs. 2, 347 Abs. 1. Denn dadurch wird verhindert, dass der Käufer diesen Ansprüchen durch Nichtausübung des Rücktrittsrechts ausweichen und eine Rückabwicklung allein über § 284 erreichen kann (vgl. oben Rn. 400). In diesen Zusammenhang gehört auch die vom BGH aufgeworfene Frage, ob der Verkäufer Verwendungsersatz nur Zug um Zug gegen die Rückgewähr des Fahrzeugs leisten muss. Zwar wendet der BGH § 348 nicht ausdrücklich an, kommt aber zu einem in der Sache überzeugenden Resümee (S. 2851): „Es versteht sich aber von selbst, dass die Klägerin nicht Aufwendungsersatz für die Zusatzausstattung verlangen kann, ohne das Fahrzeug – samt Zusatzausstattung – an die Beklagte herauszugeben.“

Hier dürfte der Rechtsgedanke des § 347 Abs. 2 Satz 1 erster Fall (Rn. 317) einschlägig sein: Solange der Ersatzberechtigte im Besitz der Sache ist, kann er die auf sie getätigten Aufwendungen (Verwendungen) nicht ersetzt verlangen, da er die Sache noch nutzen kann und der Verkäufer sie noch nicht zurückerhalten hat. g) Abdingbarkeit 413

Fraglich ist schließlich, ob § 284 (in Allgemeinen Geschäftsbedingungen) abdingbar ist. Dies muss unabhängig von der Frage, ob § 284 auf Aufwendungsoder Schadensersatz gerichtet ist, bejaht werden.890 Denn der Gesetzgeber hat in § 476 Abs. 3 die Ansprüche als abdingbar ausgestaltet, die ihm nicht zwingend durch das Europarecht (VerbrGüterKRiL) vorgegeben wurden. Darunter fällt auch der Aufwendungsersatzanspruch. Ein Streit ist weiterhin um die Frage entbrannt, ob die Abbedingung des § 284 dem Verbot des § 309 Nr. 7 lit. b unterfällt. Die Norm untersagt den Ausschluss oder die Begrenzung der Haftung für Schäden, die nicht das Leben, den Körper oder die Gesundheit betreffen, für den Fall der groben Fahrlässigkeit. Das Problem liegt in der Frage, ob der An889 BGH NJW 2005, 2848, 2850f.; zur Bedeutung des Vorteilsausgleichs BeckOGK/Dornis § 284 Rn. 158. 890 Vgl. nur Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 72.

B. Käuferrechte

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spruch aus § 284 auf Schadensersatz iS. dieser Norm gerichtet ist. Nach einer Auffassung soll die im Wortlaut des § 284 vorausgesetzte Gleichsetzung von Schadensersatz statt der Leistung und Aufwendungsersatz kein einschlägiges Argument liefern, weil § 284 auch immaterielle Schäden abdecke.891 Dagegen spricht zum einen die Überlegung, dass § 284 Aufwendungsersatz anstelle von Schadensersatz statt der Leistung gewährt und diesem also in den zentralen Voraussetzungen gleichsteht, auch wenn es sich in der Sache um einen Aufwendungsersatzanspruch handelt (Rn. 401). Im Übrigen aber erscheint ein Ersatzberechtigter, dem der Gesetzgeber in Abweichung von der Regel des § 253 Abs. 1 einen Anspruch einräumt, nicht weniger schützenswert als andere Schadensersatzgläubiger (arg. e § 253 Abs. 2). Die Norm ist daher anwendbar.892 VII. Übergreifende Fragen 1. Verbrauchsgüterkauf

Die §§ 474ff. dienen unmittelbar der Umsetzung der VerbrGüterKRiL (Rn. 46) und gelten folglich nur für Kaufverträge, bei denen sich ein Unternehmer (§ 14) als Verkäufer und ein Verbraucher (§ 13) als Käufer einer beweglichen Sache gegenüberstehen (§ 474 Abs. 1). Verbraucher ist nach § 13 jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Die gegenwärtige Fassung dieser Norm geht auf Art. 2 Nr. 1 VerbRRiL zurück. Maßgeblich für die Einordnung sind die vom Verbraucher mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zwecke, also eigentlich nach §§ 119 Abs. 2, 313 Abs. 2 unbeachtliche, einseitige Motive im Hinblick auf die Verwendung der Kaufsache. Hierum ranken sich einige charakteristische Fragestellungen. Zunächst schadet es dem Verbraucherstatus nur, wenn der Kauf der selbständigen beruflichen Tätigkeit des Käufers zugerechnet werden kann. Im Gegenschluss fällt daher ein Erwerb mit Bezug auf eine unselbständige Tätigkeit (Arbeitsverhältnis) unter § 474.893 Im Rahmen des vollharmonisierten Verbraucherschutzes kommt es grundsätzlich nicht auf die individuelle Schutzbedürftigkeit des Käufers im Einzelfall, sondern auf die Wahrung der Rechtseinheitlichkeit auf dem Binnenmarkt an: Dieses Ziel kann nur dadurch erreicht werden, dass objektiv an die abstrakt gehaltenen Tatbestandsvoraussetzungen einer Verbraucherschutznorm angeknüpft wird und Überlegungen zu deren teleologischer Reduktion wegen fehlender Schutzwürdigkeit des Verbrauchers zurücktreten (dazu grundsätzlich Rn. 36a). Deshalb ist auch ein regelmäßig mit handelsrechtlichen Mandaten befasster Rechtsanwalt Verbraucher iSd. § 13, wenn er die Kaufsache nur über891 MünchKomm/Ernst § 284 Rn. 42. 892 Staudinger/Schwarze § 284 Rn. 73; Fischinger/Wabnitz ZGS 2007, 139, 144; Grigoleit ZGS

2002, 122, 124; Ellers, Der Ersatz vergeblicher Aufwendungen, 2005, S. 275f. 893 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 243, linke Spalte; MünchKomm/Lorenz § 474 Rn. 22.

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§ 2 Der Kaufvertrag

wiegend für private Zwecke nutzt.894 Der GmbH-Geschäftsführer895 und konsequenterweise auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft sind aus denselben Gründen Verbraucher, weil sie trotz hohen professionellen Kenntnisstandes nur im Rahmen ihrer Beschäftigungsverhältnisse, keineswegs aber selbständig tätig werden. Bei gemischter Nutzung (Dual Use) der Kaufsache entscheidet nach dem Normwortlaut des § 13 („überwiegend“) der bei der Nutzung vorherrschende Verwendungszweck. Dies entspricht Erwägungsgrund 17 der VerbRRiL und führt bei B gleichwertiger Nutzung zur Verneinung der Verbrauchereigenschaft.896 Der BGH wendet bei Zweifeln über das unternehmerische Verhalten die Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB an.897 Danach gelten die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig. Dies ist indes nicht unproblematisch, da die Norm die Abgrenzung aus Sicht des professionell organisierten Handelsverkehrs und nicht aber aus Verbrauchersicht vornimmt:898 § 344 Abs. 1 HGB setzt etwa eine klare Unterscheidbarkeit von Privat- und Geschäftsbereich voraus, wie sie für Unternehmer typisch ist, die es in dieser Form im Verbraucherbereich aber mangels organisatorischer Vorkehrungen nicht gibt: Beispiele V war mit dem Verkauf seiner CD-Sammlung über Internetverkaufsplattformen so erfolgreich, dass er nun auch für Freunde und Verwandte Filme und Platten dort gegen einen kleinen Verdienst veräußert. Anwalt V veräußert den zu seinem „Home Office“ zählenden, auch privat genutzten PC.899

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Fraglich ist, ob die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, §§ 705ff.) Verbraucher sein kann. Dagegen spricht ein Umkehrschluss aus § 14 Abs. 2, wonach rechtsfähige Personengesellschaften unternehmerisch tätig sind. Der BGH hat dennoch in einer frühen Entscheidung die Anwendbarkeit des § 13 für den Fall bejaht,900 dass in der Gesellschaft Personen zusammengefasst sind, die selbst den Anforderungen des § 13 genügen. Der zugrunde liegende Gedanke leuchtet zunächst ein: Wenn jeder der Gesellschafter selbst § 13 unterfällt, kann der gemeinsame Zusammenschluss nicht anders behandelt werden. Überzeugender erscheint dennoch zunächst die Gegenansicht: Als Außengesellschaft erwirbt die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Teilrechtsfähigkeit und fällt daher unweigerlich unter § 14 Abs. 2. Der Verbrauchereigenschaft ihrer Mitglieder kann dadurch Rechnung getragen werden, dass diese uU. nicht der strengen In anderem Zusammenhang: EuGH ZIP 2015, 1882, Tz. 21ff. – Costea. BGHZ 170, 67 = NJW 2007, 759, Tz. 13; Kern ZGS 2009, 456, 459. Vgl. statt vieler Koch JZ 2014, 758, 759; Schwab/Hromek JZ 2015, 271. BGH NJW 2011, 3435, Tz. 19; ähnlich OLG Celle ZGS 2007, 354, 355; dazu Bach JZ 2012, 150, 151. 898 Oechsler, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 925, 935. 899 Beispiel von Bach JZ 2012, 150, 151. 900 BGH NJW 2002, 368; in BGHZ 179, 102 = NJW 2009, 594, Tz. 16 bejaht er jedoch die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 2 in einem anderen Fall. 894 895 896 897

B. Käuferrechte

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Haftung nach der Akzessorietätstheorie unterliegen.901 Äußerst fraglich erscheint es jedoch mittlerweile, ob die vorgestellten Differenzierungen mit dem Prinzip der Vollharmonisierung vereinbar sind, das Art. 2 Nr. 1 VerbRRiL bewirkt.902 In einer neueren Entscheidung sieht der BGH nun dennoch eine Wohnungseigentumsgemeinschaft (§§ 10ff. WEG) als Verbraucher an, wenn ihr wenigstens ein Verbraucher als Wohnungseigentümer angehört und sie nicht zu gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken tätig wird.903 Existenzgründer, auf die § 513 den Verbraucherstatus im Hinblick auf das Verbraucherdarlehensrecht erstreckt, sind außerhalb dieser Norm keine Verbraucher. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 13, da der Existenzgründer zu einem selbständigen gewerblichen Zweck handelt, auch wenn er mit seinen einschlägigen Aktivitäten noch am Anfang steht. Diese Behandlung der Existenzgründer außerhalb des Verbraucherdarlehensrechts entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH904 und des BGH.905 Fraglich ist, ob es für den Verbraucherstatus auf die Erkennbarkeit durch den Verkäufer ankommt und ob deshalb ein Gutglaubensschutz eröffnet ist. (Im Anschluss an BGH 13.6.2007 – VIII ZR 236/06 = NJW 2007, 3057) V verkauft Bausätze für Solaranlagen ausdrücklich nur an Handwerker über das Internet. Dort bestellt auch der Privatmann K, ohne sich als Verbraucher erkennen zu geben. In den von V gestellten AGB werden die in §§ 437ff. getroffenen Regelungen teilweise erheblich modifiziert. Die AGB des V könnten hier gegen § 476 Abs. 1 Satz 1 verstoßen, wenn ein Verbrauchsgüterkauf iSd. § 474 Abs. 1 vorliegt. Fraglich ist, ob K sich angesichts der bei V geweckten Erwartungen auf seinen Verbraucherstatus berufen kann.

Der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Verbrauchereigenschaft steht grundsätzlich ein Rechtsgedanke aus § 476 Abs. 1 Satz 2 entgegen. Wenn nämlich der Verbraucher auf die in § 476 Abs. 1 Satz 1 genannten Rechtsbehelfe nicht verzichten kann, kann er deren Anwendung erst recht nicht durch Setzung eines Realaktes und durch eine daran anknüpfende Vertrauenshaftung verhindern. Die Rechtsscheinhaftung wirkte nämlich andernfalls wie eine Normumgehung nach § 476 Abs. 1 Satz 2.906 Etwas anderes gilt nur bei vorsätzlicher Täuschung über die Verbrauchereigenschaft;907 denn die verbraucherschützenden Normen bezwecken regelmäßig nicht, einen risikofreien Betrugsversuch zu ermöglichen. 901 So Mülbert WM 2004, 905, 913f.; dazu auch Kern ZGS 2009, 456, 457; Wurmnest ZEuP 2004, 971. 902 MünchKomm/Micklitz § 13 Rn. 20. 903 BGHZ 204, 325 = NJW 2015, 3228, Tz. 30. 904 EuGH, Urt. v. 3.7.1997 – C-269/95, Slg. 1997, I-3767. 905 BGHZ 162, 253 = NJW 2005, 1273, 1274f.; BGH NJW 2008, 435, Tz. 6; Kern ZGS 2009, 456; Kieselstein/Rückebeil ZGS 2007, 54; MünchKomm/Lorenz Rn. 25; aA. MünchKomm/ Micklitz § 13 Rn. 66ff. 906 Bamberger/Roth/Faust § 475 Rn. 14; Herresthal JZ 2006, 695, 698f.; Oechsler, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 925, 928f. 907 Herresthal JZ 2006, 695; Oechsler, in: FS Canaris, Bd. I, 2007, S. 925, 928f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Hat V auf seiner Internetseite für einen Verbraucher deutlich gemacht, dass er nur mit Unternehmern Verträge schließen wollte, traf K eine Offenbarungspflicht, wenn er trotzdem V einen Antrag unterbreitete. Diese Pflicht hat K vorsätzlich verletzt. Ausnahmsweise ist ihm daher die Berufung auf seine Verbrauchereigenschaft nach § 242 verwehrt (exceptio doli).

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Umgekehrt trägt der EuGH bei einem Strohmanngeschäft dem Vertrauensschutz des Verbrauchers in die Unternehmenseigenschaft des Verkäufers Rechnung (Rn. 432). Auf den Verbrauchsgüterkauf sind die §§ 433ff. mit den Modifikationen nach §§ 474ff. anzuwenden. Eine Abweichung von § 271, der Regelung der Leistungszeit, sieht § 475 Abs. 1 vor: Fehlt im Verbrauchsgüterkaufvertrag die Festsetzung der Leistungszeit, kann der (jeweilige) Gläubiger die Leistung nur unverzüglich verlangen (Satz 1). Unverzüglich bedeutet hier eine Leistung spätestens in dreißig Tagen nach Vertragsschluss (Satz 2), wobei die Leistung immer sofort bewirkt werden kann (Satz 3). Der Gesetzgeber ist an die einschlägige Vorgabe des Art. 18 Abs. 1 VerbRRiL gebunden, die dem Verbraucher nach Erwägungsgrund 51 Satz 1 und 2 Rechtssicherheit über den Lieferzeitpunkt verschaffen soll.908 Im deutschen Recht knüpft das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ jedoch an die Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 an und bringt damit ein Verschuldenselement ins Spiel, das in der Richtlinie nicht zwangsläufig vorgegeben war: Die Parteien des Verbrauchsgüterkaufvertrages müssen ohne schuldhaftes Zögern iSd. § 121 Abs. 1 Satz 1 handeln. Damit kommt es für die Fälligkeit der Leistung jeweils auf ein Vertretenmüssen des Schuldners iSd. § 276 an.909 Dies verschlechtert die Stellung des Verbrauchers gegenüber der allgemeinen Regelung des § 271 und verändert die Rücktrittsvoraussetzungen des § 323 Abs. 1. Zunächst entsprach es einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers der Schuldrechtsreform, dass der Käufer bei einem Ausbleiben der Leistung innerhalb einer angemessenen Frist vom Vertrag loskommen sollte, ohne dass auf Verkäuferseite ein Vertretenmüssen nachgewiesen werden musste (vgl. etwa Rn. 386). Weil nun gem. § 475 Abs. 1 die Fälligkeit verschuldensabhängig ausgestaltet wird, die Fälligkeit aber ihrerseits Rücktrittsvoraussetzung ist, sind die Rücktrittsvoraussetzungen nunmehr doch verschuldensabhängig.910 Entgegen der Intention des Art. 18 Abs. 1 VerbRRiL, für den Verbraucher Rechtssicherheit über den Lieferzeitpunkt zu schaffen, wird dieser nun gegenüber dem Regelfall (§ 271) höchst unsicher. K hat von V einen Gebrauchtwagen für 7.500 € gekauft, der auf dem Betriebsgelände des V parkte. Einen Tag nach Vertragsschluss überweist er den Kaufpreis an V. V hat seinerseits zunächst keine Zeit für eine Übereignung. Als K nach mehrmaligem Anrufen, 20 Tage nach Eingang des Kaufpreises auf dem Konto des V, den Rücktritt nach § 323 Abs. 1 erklärt,

908 BT-Drucks. 17/12637, S. 69. 909 BT-Drucks. 17/12637, S. 70. 910 Kohler NJW 2014, 2817, 2819f.; für eine Beweiserleichterung zugunsten des Käufers analog

§§ 280 Abs. 1 Satz 2, 286 Abs. 4: MünchKomm/Lorenz § 474 Rn. 35a.

B. Käuferrechte

303

weist V darauf hin, dass er seit drei Wochen mit den Folgen eines Arbeitskampfes beschäftigt sei. Der Rücktritt sei daher mangels Fälligkeit nach § 475 Abs. 1 nicht wirksam. Auch wenn man K hier bei der Beweisführung über das Verkäuferverschulden mit Beweiserleichterungen entgegenkommt, muss er sich auf einen Streit über fehlendes Verschulden im Betrieb des V einlassen, was die Erfolgsaussichten eines Prozesses ungewiss erscheinen lässt und vor der Geltendmachung der eigenen Rechte abschreckt.

§ 475 Abs. 2 schränkt schließlich die Anwendbarkeit der Preisgefahrregel des § 447 Abs. 1 (Rn. 489ff.) auf den Fall ein, dass der Käufer die Versandperson ausgewählt hat. Verständlich wird dies mit Blick auf die Vorgaben von Art. 20 Satz 2 und Erwägungsgrund 55 VerbRRiL: Danach ist der Verbraucher vor den negativen Folgen eines vom Verkäufer „organisierten und durchgeführten Transports geschützt“ (Erwägungsgrund 55 Satz 3), trägt aber das Verlust- und Zahlungsrisiko, wenn „es die Sache des Verbrauchers ist, die Waren selbst abzuholen oder einen Beförderer mit der Lieferung zu beauftragen“ (Erwägungsgrund 55 Satz 4). § 475 Abs. 2 regelt – eigentlich über die Richtlinie hinausgehend –, dass der Verbraucher das Gegenleistungsrisiko nur dann trägt, wenn der Verkäufer überhaupt nicht in die Auswahl der Transportperson involviert war: Er darf nicht einmal einen Vorschlag unterbreitet haben. Der deutsche Gesetzgeber begründet dies mit einer Verteilung der Verantwortung nach Risikosphären.911 Vgl. zu § 475 Abs. 3 Satz 1 Rn. 221 und Satz 2 Rn. 440; zu § 475 Abs. 4 und 5 Rn. 248; zu § 475 Abs. 6 Rn. 228. Nach § 476 Abs. 1 Satz 1 sind die in der Norm genannten Vorschriften beim Verbrauchsgüterkauf zwingend (die Norm wird im Zusammenhang mit dem Haftungsausschluss näher erörtert, Rn. 430ff.). Gem. § 476 Abs. 1 Satz 2 gilt dies auch im Falle der Normumgehung. Erörtert wurde bereits die Frage der Anwendbarkeit der Norm auf Beschaffenheitsvereinbarungen (Rn. 111). Den praktisch bedeutsamsten Fall stellen hierbei Strohmanngeschäfte dar, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem Haftungsausschluss erörtert werden (dazu ausführlich Rn. 432).

420

2. Garantien a) Überblick

Garantien beruhen auf rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen mit dem Käufer. Als Vertragspartner kommen sowohl der Verkäufer als auch der Hersteller der Kaufsache in Betracht (Herstellergarantie). Allerdings zeitigen Verkäufer- und Herstellergarantien unterschiedliche Rechtsfolgen: Die Verkäufergarantie führt zur verschuldenslosen Schadensersatzhaftung (dazu bereits Rn. 354ff.) und steht einem Haftungsausschluss nach §§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444, 445 entgegen (Rn. 355ff.). Die Herstellergarantie begründet dagegen einen eigenen, neben die Gewährleistungsrechte tretenden Direktanspruch des Käufers gegen den Hersteller. § 479 trifft eine allgemeine Regelung über Form- und Verfahrensfragen 911 RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 70.

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304

422

§ 2 Der Kaufvertrag

bei der Garantieerteilung. Ihre Verletzung durch den Verkäufer führt allerdings nicht dazu, dass der Verbraucher keine Garantie erwirbt; dies würde den Verbraucherschutz gerade in sein Gegenteil verkehren. Deshalb liegt die Sanktion eines Normverstoßes vor allem in der Möglichkeit zur Abmahnung nach §§ 12 Abs. 1, 8 Abs. 1, § 3a UWG.912 Der 2013 reformierte Wortlaut des § 443 Abs. 1 dient der Umsetzung der Definition in Art. 2 Nr. 14 VerbRRiL. Allerdings kommt der Garantiebegriff in der Richtlinie nur am Rande vor, und zwar im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Informationspflichten des Unternehmers (Art. 5 Abs. 1 lit. e, Art. 6 Abs. 1 lit. m VerbRRiL). Soweit die in § 443 Abs. 1 vorgesehenen, weiteren Rechtsfolgen betroffen sind, greift das Gebot der Vollharmonisierung daher nicht. Der in der Norm vorgesehene Katalog möglicher Garantieinhalte ist nicht abschließend („inbesondere“).913 Der Garantiebegriff ist insbesondere nicht auf die Beschaffenheitsgarantie (Rn. 355) beschränkt, sondern erfasst auch selbstständige Garantien (Rn. 357). Beachtung verdient, dass die Garantie auf der Grundlage einschlägiger Werbung zustandekommen kann. Dabei geht der Gesetzgeber allerdings auch in diesem Fall davon aus, dass der Garantie ein Rechtsgeschäft zugrunde liegen muss.914 Geht man von dieser Voraussetzung aus, muss eine einschlägige Werbung so konkrete Angaben zur Beschaffenheit der Kaufsache bzw. zu dem selbstständigen Garantieinhalt treffen, dass sie als Willenserklärung iSd. § 145 überhaupt annahmefähig ist.915 Dies schränkt den Anwendungsbereich der Norm stark ein; übliche marktschreierische Anpreisungen der Ware dürften viel zu allgemein ausfallen, um vom Verbraucher als Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags verstanden zu werden. Richtiger Ansicht nach kann der Käufer sich auf einschlägige Werbung auch dann berufen, wenn sich diese und die Beschaffenheitsvereinbarung im Kaufvertrag (§ 434 Abs. 1 Satz 1) widersprechen. Denn nur so wird ein Anreiz zu irreführender Werbung mit Garantieinhalten verhindert und ein Vertrauensschutz des Käufers bewirkt.916 Die Werbung muss ferner vor Vertragsschluss „verfügbar“ sein: Darin liegt ein Zurechnungskriterium gegenüber dem Verkäufer, das vom Gesetzgeber mit Blick auf Internetfälle sprachlich besonders weit gefasst wurde.917 Es muss sich um eine Erklärung handeln, die der Verkäufer kennen und von deren Inhalt er sich daher in entsprechender Anwendung des § 434 Abs. 1 Satz 3 distanzieren918 kann. Erkennt der Verbraucher seinerseits, dass der Verkäufer über die Werbeaussage nicht infor912 BGH WRP 2013, 1027 – Werbung mit Herstellergarantie bei eBay. 913 Anders noch und auch zu den folgenden Äußerungen des Gesetzgebers RegE BT-Drucks.

17/12637, S. 68; wie hier Picht NJW 2014, 2609, 2611. 914 Dazu und zu den folgenden Äußerungen des Gesetzgebers RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 68; Picht NJW 2014, 2609, 2611f. 915 Picht NJW 2014, 2609 und 2611. 916 Picht NJW 2014, 2609 und 2611. 917 Picht NJW 2014, 2609, 2611; ähnlich MünchKomm/Westermann § 443 Rn. 6. 918 Picht NJW 2014, 2609, 2612 und BeckOK/Faust § 443 Rn. 21a.

B. Käuferrechte

305

miert sein kann, darf er nicht auf das Zustandekommen einer Garantie vertrauen.919 Zur Inhaltskontrolle von Garantien Rn. 427. b) Haltbarkeitsgarantie

Die Haltbarkeitsgarantie wird zunächst vom weiten Wortlaut des § 443 Abs. 1 erfasst.920 Sie begründet die besonders weitgehende Vermutung, dass ein während der Garantiezeit auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie begründet (§ 443 Abs. 2). (OLG Koblenz 12.9.2005 – 12 U 1047/04 = ZGS 2006, 36) K kaufte von V ein Pferd als Turnierpferd. Bei der vor Abschluss des Kaufvertrags durchgeführten Ankaufsuntersuchung stellte ein von K beauftragter Tierarzt eine „geringgeradige Verengung der Intertarsalgelenkspalten des Sprunggelenks im linken Hinterbein“ fest. Darauf gab V dem K „auf die röntgenologische Veränderung des linken Sprunggelenks ein Jahr Garantie.“ Fünf Monate nach Übergabe des Pferdes zeigt dessen Gang beim Vortraben auf hartem Boden eine deutliche Taktunreinheit links. K verlangt nun sein Geld zurück und fordert Ersatz für die gezahlte Stallmiete, Unterhaltskosten usw. Wegen der Rückzahlung des Kaufpreises kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 443 Abs. 2, 346 Abs. 1 in Betracht. Fraglich ist, ob ein Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 vorliegt, weil die Taktunreinheit erst nach Gefahrübergang eingetreten ist.

Richtete sich die Beweislast vorliegend nach § 477, müsste K beweisen, dass sich an der Taktunreinheit ein bei Gefahrübergang vorliegender Mangel zeigen kann (Rn. 166ff.). Zu seinen Gunsten greift jedoch die speziellere Vermutung des § 443 Abs. 2. Die Besonderheit der Haltbarkeitsgarantie besteht gerade darin, dass sie den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen eines Mangels über § 434 Abs. 1 Satz 1 hinausschiebt: Nicht nur Funktionsstörungen, die bis zum Gefahrübergang (§ 446 Satz 1) vorliegen, bilden danach einen Mangel, sondern auch Funktionsstörungen, die im Garantiezeitraum auftreten, soweit sie sachlich vom Garantieversprechen erfasst sind.921 Dies folgt aus dem Wortlaut des § 443 Abs. 2: Die Norm setzt voraus, dass innerhalb der Garantiezeit und nicht nur zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (vgl. § 434 Abs. 1 Satz 1) ein Sachmangel auftreten kann. Im Beispiel fällt die spätere Lahmheit des Pferdes unter die Haltbarkeitsgarantie des § 443 Abs. 2. Wegen dieser weitreichenden Rechtsfolge sind die Anforderungen im Hinblick auf die Annahme einer solchen Garantie nach §§ 133, 157 streng. Fraglich war im Fall, ob K dem V eine Frist nach § 323 Abs. 1 Satz 1 setzen musste. Das OLG geht davon aus, dass ein Verkäufer, der einem Käufer eine Haltbarkeitsgarantie gewährt, ohne die Käuferrechte im Einzelnen zu bestimmen, dem Käufer alle gesetzlichen Mängelrechte nach § 437 einräumen will (Tz. 29), ohne dass es auf eine Fristsetzung nach § 323 Abs. 1 ankommt. Dies 919 Picht NJW 2014, 2609, 2612. 920 RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 68; Picht NJW 2014, 2609, 2611. 921 Vgl. dazu nur MünchKomm/Westermann § 443 Rn. 9 mwN.

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306

§ 2 Der Kaufvertrag

überzeugt, weil die Garantie für K nur von Wert ist, wenn er bei Eintritt des Garantiefalls leicht aus der vertraglichen Bindung entlassen wird. Fraglich ist ferner, ob K ein Anspruch aus § 284 wegen der Stallmiete zusteht. Das Problem liegt insoweit vor allem im Vertretenmüssen. Hier kommt es nach § 276 Abs. 1 aber nicht auf ein Verschulden an, da die Garantie auch insoweit Bedeutung entfaltet, dass der Verkäufer eine verschuldensunabhängige Haftung übernimmt (Rn. 355).

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Bei einem Garantieversprechen trägt grundsätzlich der Käufer die Beweislast, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Garantiefalls vorliegen.922 Davon weicht jedoch § 443 Abs. 2 in ab: Nach dieser Norm treffen nämlich den Verkäufer nicht nur die Darlegungs- und Beweislast für den Nichteintritt des Garantiefalls; es wird vielmehr auch vermutet, dass ein während ihrer Geltungsdauer auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie begründet. Im Schrifttum wird dies als Rechtsvermutung verstanden, im Rahmen derer nicht nur die tatsächlichen Voraussetzungen der Haltbarkeitsgarantie, sondern auch der Eintritt der Rechtsfolge zugunsten des Käufers unterstellt werden.923 Die Wirkungsweise verdeutlicht folgendes Beispiel: K hat bei V eine Trainingshose für 50 € erworben. An der Hose ist ein Schild angeheftet: „Garantiert reißfest. Drei Jahre Rückgaberecht bei ihrem Händler!“ Nach einem Jahr weist die Hose im linken Kniebereich einen schmalen Schlitz auf. K erklärt daraufhin den Rücktritt. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Fraglich ist, ob die Hose mangelhaft nach § 434 Abs. 1 Satz 1 war. Weil zwischen den Parteien eine Haltbarkeitsgarantie iSd. § 443 Abs. 2 zustande kam, verschiebt sich der für das Auftreten eines Mangels relevante Zeitraum vom Gefahrübergang (§ 434 Abs. 1 Satz 1) hin zum Ablauf der Garantiefrist (§ 443 Abs. 2), sodass der Schlitz grundsätzlich als Mangel in Betracht kommt. Fraglich ist nur, ob der Schlitz auch einen Mangel iS. der garantierten Reißfestigkeit darstellt. Dies hängt von einer Auslegung des Garantieinhaltes nach §§ 133, 157 ab. Die dabei zugrunde liegende rechtliche Beurteilung wird ebenfalls von § 443 Abs. 2 zugunsten des K beeinflusst: Da sich aus den Garantiebedingungen keine eindeutigen Hinweise dafür ergeben, dass Schlitze im Kniebereich ausgenommen sein sollten, ist im Zweifel vom Eintritt des Garantiefalls auszugehen. Wegen der Garantie braucht ferner keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt zu werden (Rn. 423). Die Anspruchsvoraussetzungen liegen demnach vor.

c) Sonstige Garantiewirkungen 425

Mit einer Beschaffenheitsgarantie übernimmt der Verkäufer eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung (Rn. 355) und muss sich auf die Unwirksamkeit eines Haftungsausschlusses nach §§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444, 445 einstellen. Gleichzeitig beeinflusst die Garantiefrist den Beginn der Verjährung.924 Die Verjährung beginnt nicht bereits mit der Ablieferung der Sache (§ 438 922 Staudinger/Matusche-Beckmann § 443 Rn. 49; MünchKomm/Westermann § 443 Rn. 23; ähnlich Bamberger/Roth/Faust § 443 Rn. 32 (= BeckOK). 923 Schuhmann ZGS 2006, 290, 292; MünchKomm/Westermann § 443 Rn. 23. 924 MünchKomm/Westermann § 443 Rn. 22; vgl. auch Mansel/Budzikiewicz, Das neue Verjährungsrecht, 2002, § 5 Rn. 178.

B. Käuferrechte

307

Abs. 2), sondern nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 ab Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers von der Entstehung des Anspruchs (= vom Mangel). d) Herstellergarantie

Herstellergarantien kommen zwischen dem Käufer und Hersteller der Kaufsache zustande. Regelmäßig tritt dabei der Verkäufer als Vertreter oder Bote des Herstellers (iSd. § 120) auf.925 Die Unterscheidung hängt im Einzelfall davon ab, ob der Verkäufer noch auf den Inhalt der Garantieerklärung des Herstellers Einfluss nehmen kann und damit eine eigene Willenserklärung abgibt (Vertreter) oder ob er die Garantieerklärung des Herstellers übermittelt und lediglich Name und Kaufdatum in die schriftliche Garantieerklärung einträgt (Bote). Die Herstellergarantie begründet dabei einen eigenen Garantieanspruch des Käufers gegenüber dem Hersteller, der mit den Rechten aus § 437 gegenüber dem Verkäufer konkurriert. Bei der Koordination beider Ansprüche stellt sich folgendes Problem:

426

V hat K eine Markenuhr verkauft und dabei im Namen des Herstellers H eine Garantie abgegeben. H übernimmt darin die Verantwortung für sämtliche Laufwerksfehler binnen eines Jahres durch Reparatur oder Umtausch. Als kurze Zeit nach der Übergabe ein Laufwerksfehler eintritt, sendet K die Uhr bei H ein, der K ein neues Exemplar zurücksendet. Bei diesem funktioniert jedoch die Datumsanzeige nicht. K verlangt nun von V Nacherfüllung; V jedoch wendet ein, diese Uhr habe er nicht geliefert. Wie ist die Rechtslage? In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1, der einen Mangel der Kaufsache voraussetzt. Fraglich ist, ob es sich bei der von H gelieferten Uhr um die Kaufsache handelt.

Dies muss auf der Grundlage des § 365 bejaht werden: Gibt der Schuldner anstelle der Erfüllung eine Ersatzsache hin, haftet er wegen eines Mangels wie ein Verkäufer. Die Hingabe einer Ersatzsache kommt auch beim Umtausch auf der Grundlage einer Herstellergarantie in Betracht. Der Verkäufer tritt zwar rechtlich als Vertreter bzw. Bote des Herstellers auf, macht sich aber wirtschaftlich die Herstellergarantie gegenüber dem Kunden zu Eigen. Für ihn liegt ein wichtiger Werbeeffekt gegenüber dem Kunden darin, dass er das Vertrauen des Herstellers insoweit genießt, als er in dessen Namen Garantien zustande bringen kann. Hinzu tritt die erhebliche Erleichterung im Nacherfüllungsfall: Was der Hersteller an Mängeln erledigt, spart dem Verkäufer Kosten nach § 439 Abs. 2. Dies spricht dafür, dass der Verkäufer dem Käufer die Umtauschsache iSd. § 365 hingibt. Will der Verkäufer diese Haftung vermeiden, muss er auf den Abschluss der Herstellergarantie verzichten. Erwirbt der Käufer eine Herstellergarantie gegen ein dafür entrichtetes Entgelt, verfährt die Praxis recht streng, wenn die Garantiebedingungen den Käufer zu stark in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beschränken: 925 BGHZ 78, 369, 371ff.; BGH NJW 1981, 2248, 2249; BGHZ 104, 82, 85f. Ausnahmsweise

kommt auch ein Vertrag zwischen Hersteller und Verkäufer zugunsten des Käufers in Betracht: BGHZ 75, 75, 77f.

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308

§ 2 Der Kaufvertrag

(BGH 6.7.2011 – VIII ZR 293/10 = NJW 2011, 3510)926 Verbraucher K hat einen Jahreswagen der Marke S von V erworben und dabei gegen die Entrichtung eines zusätzlichen Entgelts auch eine „S-Hersteller-Garantie“ gegenüber Hersteller H erworben. Aus dieser geht er wegen eines Mangels gegen H vor. Dieser verweist jedoch auf den Text der AGB. Dieser lautet: „Garantieansprüche können nur geltend gemacht werden, wenn das Fahrzeug gemäß den im Serviceheft beschriebenen Wartungsbedingungen bei einem S-Vertragshändler unter ausschließlicher Verwendung von S-Orginalersatzteilen gewartet worden ist.“ K hat das Fahrzeug aber nicht im Sinne der Nr. 6 warten lassen. Hat er dennoch den Garantieanspruch? In Betracht kommt ein Anspruch aus § 311 Abs. 1 auf die Garantieleistung. Zwischen K und H kam ein Vertrag über eine Herstellergarantie zustande, wobei V hier als Bote des H mit entsprechender Legitimation auftrat (§ 120). Fraglich ist, ob der Garantiefall eingetreten ist. Dagegen könnte sprechen, dass K die Voraussetzungen der Garantiebedingungen nicht erfüllt. Allerdings könnte diese Klausel wegen unangemessener Benachteiligung des K gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam sein.

Hier stellt sich zunächst die Frage, ob eine Inhaltskontrolle der Garantiebedingungen wegen § 307 Abs. 3 verwehrt ist (vgl. dazu ausführlich Rn. 617). Diese Norm will grundsätzlich verhindern, dass über die AGB-Inhaltskontrolle eine richterliche Überprüfung der im Vertrag vereinbarten Hauptleistungspflichten stattfindet; denn darin läge eine Sonderform der Preiskontrolle, die dem BGB unterhalb der in § 138 eingezogenen Schwellen systemfremd ist. Entsprechend diesem Normzweck beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 307 Abs. 3 aber auf die im Synallagma stehenden Hauptleistungspflichten (§ 320). Sogenannte Nebenabreden, die die von den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten nachträglich wieder einschränken, sind dagegen voll kontrollfähig (Tz. 10). Problematisch war deshalb vorliegend, ob Nr. 6 der Garantiebedingungen den Inhalt der Hauptleistungspflicht konkretisiert und daher gemäß § 307 Abs. 3 nicht kontrollfähig ist, oder ob es sich um eine Regelung handelt, die eine zuvor begründete Hauptleistungspflicht nachträglich modifiziert und daher der Kontrolle zugänglich ist.927 Der BGH geht von einer kontrollfähigen Nebenabrede aus: Denn die in der Klausel vorgesehene, herstellernahe Wartung stelle nicht die Gegenleistung des Kunden für das Garantieversprechen des Herstellers dar; diese bestehe vielmehr in dem vom Kunden entrichteten Entgelt (Tz. 19). Der Garantievertrag wurde mit anderen Worten nicht geschlossen, damit der Käufer bei den Vertragswerkstätten warten lässt, sondern das Wartungserfordernis stellt eine nachträgliche Einschränkung der Garantiebedingungen dar. Damit ist der Weg zu einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 eröffnet. Entsprechend dem § 305c Abs. 2 zugrunde liegenden Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung stellt das Gericht schließlich eine unangemessene Benachteiligung fest: Denn der Garantieausschluss nach Nr. 6 greift auch dann, wenn die unterbliebene Wartung gar nicht ursächlich für den 926 Ähnlich BGH NJW 2014, 209. 927 Dazu auch Abeling ZGS 2010, 66, 67f.; Niebling DAR 2008, 22, 24; Reinking/Eggert, Der

Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. 4217ff.

B. Käuferrechte

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Mangel geworden ist. Auf diese Weise setzt der Hersteller seine Interessen zu einseitig auf Kosten der Interessen des Käufers durch (Tz. 22f.), was zur Unwirksamkeit der Nr. 6 nach § 307 Abs. 1 Satz 1 führt, so dass der Garantieanspruch im Fall bestehen bleibt.928 Der tragende Gesichtspunkt für diese Beurteilung liegt in dem Umstand begründet, dass der Käufer die Herstellergarantie gegen ein gesondertes Entgelt erwirbt. In einer früheren Entscheidung nämlich, wo der Hersteller eine 30-jährige Anti-Rost-Garantie für ein Kfz ohne besonderes Entgelt versprach, beurteilte der BGH eine ähnliche Einschränkung der Garantiebedingungen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 anders: Gibt der Hersteller eine solche Garantie unentgeltlich ab, geht es ihm nämlich um eine Kundenbindung an das eigene Absatzsystem. Zu diesem Zweck darf er daher die Garantie entsprechend einschränken.929 Auch im Kartellrecht ist diese Interessenlage des Herstellers seit langem bekannt:930 Der Hersteller steuert nämlich durch eine Kontrolle der Fahrzeugwartung die Gefahr eines negativen Imagetransfers, der dadurch entstehen kann, dass der Kunde Funktionsdefizite des Fahrzeugs zu Unrecht dem Hersteller und nicht der Werkstatt anlastet.

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3. Der Gewährleistungsausschluss a) Durch Rechtsgeschäft aa) Überblick

Nach § 444 können die Parteien des Kaufvertrages eine Vereinbarung schließen, durch welche die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden.931 Dies kann ausdrücklich, aber auch konkludent erfolgen. Die Wirksamkeit der Vereinbarung hängt von folgenden Normen ab:932 An erster Stelle steht das Freizeichnungsverbot nach § 476 Abs. 1 Satz 1 im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs. Es folgen die Normen über die Inhaltskontrolle von AGB, insbesondere § 309 Nr. 7 und 8 sowie § 307 Abs. 2 Satz 1. Aber auch § 276 Abs. 3 beschränkt die Möglichkeit des Haftungsausschlusses für Vorsatz durch eine Individualvereinbarung. 928 Vgl. auch BGH NJW 2009, 3714, Tz. 13: In einer Verkäufergarantie hatte der Händler dem Verbraucher die Möglichkeit eingeräumt, eine Freigabeentscheidung des Händlers anzufordern, wenn eine Wartung oder Reparatur in einer Nicht-Vertragswerkstatt geplant sei. Auch dies hält der BGH nach § 305c Abs. 2 für nicht zumutbar, weil der Käufer auf einer Urlaubsfahrt in einschlägige Verlegenheit kommen könne und überhaupt der Einschränkung des wirtschaftlichen Freiraums kein Bedürfnis auf der Verkäuferseite entspreche; ähnlich BGH NJW 2008, 214, Tz. 15. 929 BGH NJW 2008, 843, Tz. 17. 930 Vgl. etwa die klassische Entscheidung BGHZ 81, 322 = NJW 1982, 46, 48f. – Original-Ersatzteile II und Erwägungsgrund 11 der VO (EU) Nr. 461/2010 der Kommission vom 27.5.2010. 931 Dies umfasst etwa auch mögliche Rechte des Käufers aus einer vor Vertragsschluss getätigten öffentlichen Äußerung des Verkäufers iSd. § 434 Abs. 1 Satz 3: BGH NJW 2017, 150. 932 Überblick bei BeckOGK/Stöber § 444 Rn. 12ff.

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310

§ 2 Der Kaufvertrag

bb) § 476 Abs. 1 430

431

Nach § 476 Abs. 1 Satz 1 kann der unternehmerisch organisierte Verkäufer sich auf eine vor Mitteilung eines Mangels an ihn getroffene Vereinbarung nicht berufen, die zum Nachteil des Verbrauchers von den §§ 433 bis 435, 437, 439 bis 443 sowie den §§ 474ff. abweicht. Nur im Bereich der Verjährung (§ 476 Abs. 2) und des Schadensersatzes (§ 476 Abs. 3) besteht Gestaltungsspielraum. Die Unabdingbarkeit schützt den wirtschaftlich unterlegenen Käufer davor, dass ihm der unternehmerisch organisierte Verkäufer die erwähnten Ansprüche und Rechte im Wege der vertraglichen Einigung abtrotzt. Im Vergleich zur Dogmatik der Inhaltskontrolle von AGB liegt darin ein deutlicher Rückschritt. Denn das Problem löst die von Ludwig Raiser in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte Theorie vom Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Rechts,933 die zu § 307 Abs. 2 Nr. 1 geführt hat, differenzierter (Rn. 24). Sie schränkt den Gestaltungsspielraum der Parteien wegen bestehender Verhandlungsungleichheit (Vertragsdisparität) nicht absolut ein, sondern erlaubt Abweichungen von den gesetzlichen Instituten. Der Schutz der Vertragsgegenseite erfolgt dabei durch die Prüfung, ob die Schutzzwecke einer abbedungenen Gesetzesnorm auf andere Weise gewahrt oder durch Ausgleichsleistungen des AGB-Verwenders kompensiert werden. Liegen die Voraussetzungen des § 476 Abs. 1 Satz 1 vor, kommt es in der Praxis auf eine Inhaltskontrolle nach den §§ 305ff. nicht mehr an,934 denn der Haftungsausschluss ist dann bereits nach § 134 nichtig. (OLG Hamm 10.2.2005 – 28 U 147/04 = NJW-RR 2005, 1220, 1221) Kfz-Händler V verkauft K einen gebrauchten Pkw für private Zwecke. In dem von beiden handschriftlich geschlossenen Kaufvertrag wird kurz vermerkt: „gekauft wie besichtigt.“ Als nach Übergabe ein unbehebbarer Mangel auftritt, verlangt K von V Schadensersatz. Fraglich ist, ob der Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283 an der Vereinbarung eines Haftungsausschlusses nach § 444 scheitert.

Die Klausel „gekauft wie besichtigt“ zielt in der für den Gebrauchtwagenhandel üblichen Terminologie auf einen Haftungsausschluss nach § 444. Davon geht das OLG vorliegend noch selbstverständlich aus. Der BGH beurteilt Besichtigungsklauseln in einer neueren Entscheidung jedoch wesentlich strenger:935 Wird die Formulierung ohne weitere Erklärung verwendet, entfaltet sie nur beschreibenden Charakter, beinhaltet aber kein Angebot auf Abschluss eines Gewährleistungsausschlusses (Tz. 21). Dies schützt den rechtsunkundigen Käufer vor unfreiwilligem Rechtsverlust durch die für ihn in ihren Folgen nicht unmittelbar verständliche Formulierung. Vorliegend kommt es darauf jedoch nicht an, weil die Voraussetzungen eines Verbrauchsgüterkaufs vorliegen (§ 474 Abs. 1) und die Klausel auf einen vollständigen Ausschluss der Sachmängelhaf933 Vgl. Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Nachdruck Hermann Gerstner, 1961, passim und etwa S. 293. 934 BGH NJW 2011, 3435, Tz. 30; MünchKomm/Wurmnest § 307 Rn. 88. 935 BGH NJW 2016, 2495: Die folgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung.

B. Käuferrechte

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tung zielt. Sie wäre daher in jedem Fall nach § 476 Abs. 1 Satz 1 nichtig (OLG S. 1221). In anderen Fällen, in denen ein Gewährleistungsausschluss nach § 444 aufgrund der Klausel in Betracht kommt, beschränkt der BGH diesen jedoch auf die bei einer Besichtigung wahrnehmbaren, also sichtbaren Mängel (Tz. 22); Mängel, die erst später bei der Benutzung auftreten, sind nicht erfasst (Tz. 23). Nach § 476 Abs. 1 Satz 2 darf das Verbot des § 476 Abs. 1 Satz 1 nicht durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. Das zugrunde liegende Umgehungsverbot schränkt zunächst die Möglichkeit ein, durch die Gestaltung von Beschaffenheitsvereinbarungen nach § 434 Abs. 1 Satz 1 praktisch einen Haftungsausschluss zu Lasten des Käufers zu bewirken (dazu bereits Rn. 111f.). § 476 Abs. 1 Satz 2 zielt auch auf die Verhinderung von Strohmanngeschäften: (BGH 22.11.2006 – VIII ZR 72/06 = BGHZ 170, 67 = NJW 2007, 759)936 Verbraucher K erwarb von V ein Kfz. Im schriftlichen Kaufvertrag findet sich die Bemerkung „fahrbereit“; ansonsten sind die Gewährleistungsrechte ausgeschlossen. Nachträglich stellt sich heraus, dass das Fahrzeug der E-GmbH gehörte, deren Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter V ist. Nach einer Laufleistung von 2.000 km ab Übergabe wird jedoch ein Mangel am Motor bemerkbar. K verlangt von der E (!) Nacherfüllung, die diese jedoch verweigert. Er erklärt darauf den Rücktritt und verlangt den Kaufpreis von E zurück. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen E aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 auf Rückgewähr des Kaufpreises.

Fraglich ist, ob sich die Gewährleistungsansprüche des Käufers im vorliegenden Fall gegen die Eigentümerin oder gegen den Verkäufer richten. Der BGH gestattet ein unmittelbares Vorgehen gegen die unternehmerisch organisierte Eigentümerin, wenn durch die äußere Gestaltung ein von ihr betriebenes Eigengeschäft iSd. § 476 Abs. 1 Satz 1 dadurch verschleiert werden soll, dass ein Verbraucher vorgeschaltet wird (Tz. 15). Der Geschäftsführer einer GmbH ist Verbraucher, weil er nicht im Hinblick auf eine selbständig ausgeübte Tätigkeit iSd. § 13 handelt (Tz. 13; vgl. auch Rn. 415). Vorliegend wird sein Auftreten als Verkäufer durch Erteilung einer Ermächtigung nach § 185 Abs. 1 ermöglicht. V ist damit als Nichtunternehmer vorgeschaltet, was zur Nichtanwendung des § 474 Abs. 1 führt.

Das Gericht legt sich nicht fest, ob der vorgeschobene Vertrag mit dem Geschäftsführer bzw. die Ermächtigung als Scheingeschäft nach § 117 nichtig ist oder ob hier bereits § 476 Abs. 1 Satz 2 die Eigenhaftung der GmbH rechtfertigt (Tz. 16, dort auch zum sog. Agenturkauf). In jedem Fall darf der Käufer durch die formale Konstruktion nicht um seine Verbraucherrechte gebracht werden und kann unmittelbar gegen den eigentlich verantwortlichen Unternehmer vorgehen. Dem folgt die hM.937 Nach der Gegenauffassung soll § 476 Abs. 1 Satz 2 hingegen nur bewirken, dass der Verkäufer wie ein Unternehmer behandelt wird, so dass § 476 Abs. 1 Satz 1 im Verhältnis zwischen Verkäufer 936 Vgl auch OLG Düsseldorf NJW 2015, 2043. 937 OLG Saarbrücken MDR 2006, 383; OLG Celle ZGS 2007, 79; Bruns NJW 2007, 761, 762;

BeckOK/Faust § 474 Rn. 9; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. 1979ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

und Käufer anwendbar ist.938 So soll dem Verbraucher der Verkäufer als ursprünglich gewollter Haftungsschuldner erhalten bleiben. Die als Verkäufer auftretende Person ist dem Käufer aber stets nach Maßgabe des § 164 Abs. 2 verpflichtet bzw. haftet aus § 826, wenn sie den Verbraucher vorsätzlich um seine Rechte bringen will. Insoweit verbessert sich die Stellung des getäuschten Käufers nicht, wenn er den Strohmann heranziehen darf. Dem Käufer muss daher nach seiner Wahl die alternative Möglichkeit offenstehen, gegen den Hintermann vorzugehen. Denn andernfalls handelte man sich ein Folgeproblem ein: Häufig wird in den Fällen der mittelbaren Stellvertretung nämlich gerade eine vermögenslose Person vorgeschaltet, an deren Inanspruchnahme der Käufer nur ein geringes Interesse hat. Zumindest ist diese Person nicht Eigentümer der Kaufsache. Der Verbraucher dürfte aber regelmäßig daran interessiert sein, mit dem Eigentümer und Hintermann selbst ins Geschäft zu kommen. Die Auffassung des BGH erscheint daher vorzugswürdig. In einer neueren Entscheidung macht der EuGH deutlich, dass der Verbraucher immer auch gegenüber der Person vorgehen kann, die ihm gegenüber den Vertrag zustandebringt, ohne dabei dem Offenkundigkeitsprinzip nach §§ 164 Abs. 1 und 2 zu genügen: (EuGH 9.11.2016 – C-149/15 = NJW 2017, 874 – Wathelet/Garage Bietheres&Fils) Verbraucher K vereinbarte den Ankauf einer Sache „mit“ Unternehmer V. V wirkte jedoch – ohne dies K gegenüber zu offenbaren – nur als Vermittler für den eigentlichen Verkäufer, den Verbraucher X. K macht daraufhin Rechte aus einem Verbrauchsgüterkauf mit V geltend. Nach deutschem Recht würde zu seinen Gunsten die Regel des § 164 Abs. 2 greifen. Der EuGH gelangt – ausgehend vom Systemrahmen des europäischen Rechts – zum selben Ergebnis. Der nichts ahnende Käufer dürfe durch die Verschleierung der Verhältnisse seine Verbraucherschutzrechte nicht einbüßen: Den unternehmerisch verfassten Vermittler trifft danach eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Verbraucher, deren Verletzung seine Haftung nach den Regeln über den Verbrauchsgüterkauf begründet (Tz. 38ff.).

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Fraglich ist schließlich, ob bei einem Verstoß gegen § 476 Abs. 1 Satz 1 ein nach § 476 Abs. 2 bzw. 3 zulässiger Teil des Haftungsausschlusses aufrechterhalten werden kann. § 476 Abs. 2 und 3 nimmt die Verjährungsregelung und die Schadensersatzhaftung (teilweise) vom Verbot aus. Gegen die Möglichkeit, Regelungen in diesem Bereich bei einem Verstoß gegen § 476 Abs. 1 Satz 1 aufrechtzuerhalten, spricht derselbe Rechtsgedanke, der auch dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zugrunde liegt (Rn. 951f.). Durch die vollständige Nichtigkeit des vom Verkäufer vorgesehenen Haftungsausschlusses muss diesem der Anreiz entzogen werden, die Grenze des Zulässigen bewusst zu überschreiten, um nichtige Vertragsbedingungen in der Hoffnung, dass der Käufer sich gegen sie nicht gerichtlich zur Wehr setzen wird, faktisch durchzusetzen.939 938 MünchKomm/Lorenz § 475 Rn. 40ff.; BeckOGK/Augenhofer § 475 Rn. 45.1; M. Müller NJW 2003, 1975, 1980; dazu auch Czaplinski ZGS 2007, 92 mit weiteren Entscheidungen; Girkens/Baluch/Mischke ZGS 2007, 130. 939 Bamberger/Roth/Faust § 475 Rn. 15 (= BeckOK); aA. MünchKomm/Lorenz § 475 Rn. 26; Deckenbrock/Dötsch ZGS 2004, 62ff.

B. Käuferrechte

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cc) § 309

Außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs bzw. im Anwendungsbereich des § 476 Abs. 2 und 3 folgt eine weitere inhaltliche Grenze für Haftungsausschlüsse aus § 309 Nr. 7 und 8. Nach § 309 Nr. 7 lit. a kann die Haftung für die Verletzung von Leben, Gesundheit und körperlicher Integrität selbst wegen einfacher Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen werden. Diese Norm bedeutet mit Blick auf das Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung nach § 305c Abs. 2 eine Gestaltungsfalle.940

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Gutachter G erstellt ein Wertgutachten über das von V zu veräußernde Grundstück und schließt in seinen AGB die Haftung für leichte Fahrlässigkeit aus. Nach dem Auslegungsprinzip des § 305c Abs. 2 schließt er damit auch die zunächst fernliegende Haftung für Körperverletzungen entgegen § 309 Nr. 7 lit. a aus, was zur Unwirksamkeit der Klausel führt.

Ansonsten ist ein Ausschluss für grobe Fahrlässigkeit verboten (§ 309 Nr. 7 lit. b). Beachtenswert ist schließlich der umfangreiche Katalog des § 309 Nr. 8 lit. b. Unwirksam ist der Ausschluss der Haftungsansprüche gegenüber dem Verkäufer und der Verweis auf Dritte (§ 309 Nr. 8 lit. b aa) bzw. die dauerhafte Beschränkung der Ansprüche des Käufers auf Nacherfüllung (§ 309 Nr. 8 lit. b bb) usw. dd) § 307, insbesondere Grundstückskäufe

Eine weitere inhaltliche Schranke für Haftungsausschlüsse liegt schließlich im Verbot der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1, das vor allem durch den Tatbestand des § 307 Abs. 2 Nr. 2 konkretisiert wird. Danach dürfen wesentliche Rechte und Pflichten (sog. Kardinalpflichten), die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, nicht so eingeschränkt werden, dass der Vertragszweck gefährdet wird.941 Das bedeutendste Beispiel liegt im Grundstückskauf, da dieser nicht in den Anwendungsbereich des § 476 Abs. 1 Satz 1 fällt. Auf die Veräußerung neu errichteter Häuser wendet der BGH dabei das werkvertragliche Gewährleistungsrecht an, da im Vordergrund des Interesses die Baueigenschaften des Hauses und nicht die allgemeine Beschaffenheit des Grundstücks (§ 946!) stehen.942 Diese Gewährleistung kann auch in einem notariell beurkundeten Kaufvertrag nicht durch einen formelhaften Haftungsausschluss abbedungen werden.943 Dem Einwand eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit der Parteien944 begegnet der BGH mit dem Hinweis, dass ein individueller Haftungsausschluss nach wie vor möglich bleibe. Als individuell und nicht formelhaft sieht er den auf den Einzelfall abgestimmten Haftungsaus940 BGH NJW 2013, 2584, Tz. 15 und 17. 941 BGH NJW-RR 2005, 1496, 1505; Staudinger/Coester § 307 Rn. 275f.; Tettinger AcP 205

(2005) 1ff. 942 BGHZ 108, 164 = NJW 1989, 2748, 2749. 943 Ausführlich BGHZ 108, 164 = NJW 1989, 2748, 2749; BGH NJW-RR 2007, 895, Tz. 14. 944 Medicus, Zur gerichtlichen Inhaltskontrolle notarieller Verträge, 1989, S. 22f.; Zöllner JuS 1988, 329, 333.

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§ 2 Der Kaufvertrag

schluss an, was sich am Umfang des Ausschlusses und der Warnung des Käufers vor den Folgen erkennen lasse.945 Ein Problem liegt nur darin, dass ein vollständiger Haftungsausschluss kaum jemals individuell abgestimmt werden kann. Denn hier besteht schlicht keine sachliche Veranlassung, auf den Umfang im Einzelfall einzugehen. Dem naheliegenden Einwand, dass die notariellen Belehrungspflichten nach dem Beurkundungsgesetz dem Schutzanliegen des Käufers abschließend Rechnung trügen,946 begegnet der BGH mit der Überlegung, dass es vorliegend um werkvertragliche Gewährleistungsrechte gehe, die durch diese Belehrungen nicht ausreichend abgedeckt wären.947 Auch dies lässt Fragen offen, da der ganze Vertrag der Beurkundungs- und damit auch, Belehrungspflicht unterliegt, also auch der werkvertragliche Teil.948 In der Sache dürfte es dem Gericht um etwas anderes gehen: Der Kauf bzw. Verkauf eines älteren, bebauten Grundstücks stellt ein Risikogeschäft dar, weil zu jedem Zeitpunkt Funktionsdefizite von unberechenbarem Ausmaß auftreten können. Hier darf der Verkäufer auch durch formelhafte Haftungsfreizeichnung einen für ihn sicheren Weg beschreiten, wofür er dem Käufer regelmäßig im Rahmen des Kaufpreises entgegenkommen muss: Der Haftungsausschluss ist dabei im Zweifel umfassend und erfasst etwa auch öffentliche Äußerungen des Verkäufers nach § 434 Abs. 1 Satz 3.949 Bei einem neu errichteten Haus hingegen gestaltet sich die Interessenlage anders: Hier kann sich der Verkäufer wegen Baumängeln im Wege des Rückgriffs an die Baustoffhändler (§ 437) oder Bauunternehmer (§ 634) halten. Im Übrigen besteht nicht wie bei einem älteren Haus regelmäßig die Gefahr, dass unvorhergesehene Funktionsstörungen größeren Ausmaßes auftreten. Deshalb nimmt der BGH den Haftungsausschluss in dieser Konstellation nicht hin, weil er den Verkäufer gegenüber dem Käufer zu einseitig begünstigt. Bei Grundstückskaufverträgen über ältere, bebaute Grundstücke stellt sich aber regelmäßig die Frage, ob der Haftungsausschluss nach § 444 wegen Arglist unwirksam ist (Rn. 443). b) Gesetzlicher Haftungsausschluss nach § 442 Abs. 1 436

Nach § 442 Abs. 1 Satz 1 sind die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn er bei Vertragsschluss den Mangel kennt. (BGH 27.5.2011 – V ZR 122/10 = NJW 2011, 2953) V hat K ein bebautes Grundstück verkauft und aufgelassen. Wegen eines von beiden Seiten zunächst nicht bemerkten Verstoßes gegen § 311b Abs. 1 Satz 1 ist der Kaufvertrag nach § 125 Satz 1 nichtig. Nach Abschluss des Kaufvertrags, aber vor Eintragung des Eigentums für K im Grundbuch erlangt K Kenntnis von einem Mangel. Mittlerweile ist Eigentum für K in das Grundbuch eingetragen. K fordert nun von V Nacherfüllung. BGHZ 108, 164 = NJW 1989, 2748, 2749. Habersack AcP 189 (1989) 403, 413. BGHZ 108, 164 = NJW 1989, 2748, 2749. Vgl. dazu auch Brambring NJW 1987, 97; Kilian MittBayNot 2008, 203; Schuska NZM 2009, 108, 110ff. 949 BGH ZIP 2016, 1930. 945 946 947 948

B. Käuferrechte

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Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 setzt einen wirksamen Kaufvertrag voraus. Hier wurde der Formmangel nach § 311b Abs. 1 Satz 1, der zunächst zur Rechtsfolge des § 125 Satz 1 führt, nach § 311b Abs. 1 Satz 2 geheilt. Ein Sachmangel liegt demnach vor. Fraglich ist, ob die Haftung des V nach § 442 Abs. 1 Satz 1 ausgeschlossen ist.

§ 442 Abs. 1 Satz 1 setzt voraus, dass der Käufer den Mangel bei Vertragsschluss kennt. Vorliegend war fraglich, was darunter zu verstehen ist: der nach § 125 Satz 1 nichtige Konsens oder die im Zeitpunkt der Grundbucheintragung nach § 311b Abs. 1 Satz 2 geheilte vertragliche Einigung. Eine im Vorfeld der Entscheidung vertretene Auffassung stellt auf den Kenntnisstand im Zeitpunkt der Heilung ab, weil der Käufer erst dann eine Rechtsposition erlange, die durch seine Kenntnis beeinträchtigt werden könne.950 Der BGH folgt der überzeugenderen Gegenauffassung951 und stellt auf den Zeitpunkt der faktischen, wenngleich unwirksamen Einigung ab. Ausschlaggebend sei der Zweck des § 442 Abs. 1 Satz 1: Der Norm liege der Rechtsgedanke zugrunde, dass der Käufer nicht in seinen berechtigten Beschaffenheitserwartungen getäuscht werde, wenn er dem Kauf trotz des Mangels zugestimmt habe (Tz. 12). Einschlägige Käufererwartungen würden im Zeitpunkt des zunächst nichtigen Konsenses geweckt, nicht aber später, wenn dieser Konsens seine Wirksamkeit erlange. Davon geht der BGH auch aus, wenn der Käufer an der Heilung mitwirkt: Denn dadurch gebe er nur zu erkennen, dass er sich nicht auf den Formmangel berufen wird (Tz. 14). Für diese Betrachtungsweise spricht der allgemeine Grundsatz, dass die Parteien eines Rechtsgeschäfts ihr Verhalten nur im Zeitpunkt der Vornahme (der Abgabe der Willenserklärung) an den gesetzlichen Vorschriften orientieren können (Rn. 241): Deshalb kommt es auch für die nach § 442 Abs. 1 Satz 1 schädliche Kenntnis auf diesen Zeitpunkt an. In einer Folgeentscheidung waren Angebot und Annahme getrennt voneinander beurkundet worden, wobei das Angebot des Käufers der Annahme durch den Verkäufer voranging. Aus den dargestellten Gründen stellt der BGH für die Kenntnis nach § 442 Abs. 1 Satz 1 auf den Zeitpunkt der Beurkundung des Angebots des Käufers ab, weil dieser „in seinen berechtigten Erwartungen nicht enttäuscht wird, wenn er den Kauf [in diesem Zeitpunkt] trotz des Mangels gewollt hat“ und deshalb in einen Selbstwiderspruch gerät, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt Mängelrechte geltend macht.952 Ein gesetzlicher Haftungsausschluss greift nach § 442 Abs. 1 Satz 2 auch dann, wenn dem Käufer ein Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. In diesem letzten Fall besteht jedoch eine Rückausnahme: Der Käufer behält die Gewährleistungsrechte, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen (Rn. 443) oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Der Normzweck des § 442 liegt – wie dies auch in der 950 OLG Hamm NJW 1986, 136; jetzt modifiziert MünchKomm/Westermann § 442 Rn. 6. 951 Bamberger/Roth/Faust § 442 Rn. 10 (= BeckOK); Erman/Grunewald § 442 Rn. 8; Köhler

JZ 1989, 761, 767; BeckOGK/Stöber § 442 Rn. 17; Tiedtke JZ 1990, 75, 80. 952 BGH NJW 2012, 2793, Tz. 22; Einschub durch den Verfasser.

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§ 2 Der Kaufvertrag

vorliegenden Entscheidung anklingt – im Verbot des venire contra factum proprium, im Selbstwiderspruch des Käufers also, der darin besteht, dass er einerseits den Mangel zunächst widerspruchslos in Kauf nimmt, später aber Rechte daraus herleiten will.953 Geht man davon aus, liegt es auf der Hand, welche Anforderungen an den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu stellen sind: Es geht um ein Verhalten dicht an der Vorsatzschwelle, bei dem der Verkäufer den Vorsatz nur nicht beweisen kann. Nach dem Verständnis der Praxis setzt grobe Fahrlässigkeit einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die verkehrsüblichen Sorgfaltsanforderungen voraus. Dabei müssen diese in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein; es muss dasjenige unbeachtet bleiben, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen. Subjektiv muss es sich um eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung handeln.954 Aus § 442 Abs. 1 Satz 2 erwächst dem Käufer in diesem Zusammenhang eigentlich nur eine Obliegenheit, die Kaufsache zumindest äußerlich zu untersuchen. Auf diese sind die Maßstäbe für grobe Fahrlässigkeit jedoch analog anwendbar. K hat von V einen Gebrauchtwagen erworben. Nach Übergabe verlangt er Nacherfüllung, wegen einer sichtbaren Beule in der Beifahrertür. Hier wird man K aufgrund einer Verkehrssitte stets für verpflichtet halten, das Fahrzeug zumindest äußerlich anzusehen. Unterlässt er dies, liegt grobe Fahrlässigkeit vor.

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Umstritten ist die Anwendbarkeit des § 442 Abs. 1 Satz 2 im Falle des Unterlassens einer sog. Due Diligence beim Unternehmenskauf: Die K-AG hat von der V-AG deren Tochterunternehmen, die T-AG, erworben. Eine interne Prüfung des Vermögens der T hat die K nicht durchgeführt. Umso mehr überrascht sie, dass eine wertvolle, zum Unternehmensvermögen gehörende Marke nach § 50 Markengesetz durch das zuständige Gericht für nichtig erklärt worden ist. Unter der Marke vertrieb die T bisher alle ihre Waren. K verlangt von V den Kaufpreis zurück. Dem setzt V die Einwendung aus § 442 Abs. 1 Satz 2 entgegen: Hätte K sich die Geschäftsunterlagen des Vorstandes von T angesehen, wäre sie auf das Nichtigkeitsurteil aufmerksam geworden. Der Rückgewähranspruch des Käufers nach §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 setzt einen Mangel des gesamten Unternehmens voraus (dazu Rn. 242ff.).

Der Haftungsausschluss wegen grob fahrlässiger Unkenntnis nach § 442 Abs. 1 Satz 2 kommt in Betracht, wenn die Unterlassung einer Prüfung des Unternehmensvermögens vorliegend eine objektiv schwere und subjektiv nicht entschuldbare Obliegenheitsverletzung des Käufers darstellt. Eine Verkehrssitte, den Wert des zu erwerbenden Unternehmensvermögens vor Abschluss des Kaufvertrags zu prüfen, wird heute weithin bejaht.955 Die Bezeichnung dieser Prüfung als „Due Diligence“ (übersetzt: erforderliche Sorgfalt) entstammt dem 953 BGH NJW 1989, 2050; Grunewald § 10 Rn. 1; ähnlich MünchKomm/Westermann § 442 Rn. 1; aA. im Sinne einer Anreizsetzung zur raschen und frühzeitigen Beilegung von Konflikten Köhler JZ 1989, 761; Bamberger/Roth/Faust § 442 Rn. 2 (= BeckOK). 954 BGH NJW 2009, 1482, Tz. 34. 955 Böttcher ZGS 2007, 20, 24f.; Merkt WiB 1996, 145, 148; ders. BB 1995, 1041, 1047.

B. Käuferrechte

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amerikanischen Kaufrecht. Dort gilt beim Unternehmenserwerb das Prinzip caveat emptor (der Käufer muss sich selbst schützen). Denn dem Käufer eines Unternehmens stehen keine gesetzlichen Haftungsansprüche gegenüber dem Verkäufer zu, sondern nur die vertraglich ausbedungenen Garantien.956 Um zu ermitteln, welche vertraglichen Regelungsgegenstände einer garantiemäßigen Absicherung durch den Verkäufer bedürfen, muss der Käufer das Unternehmen daher im eigenen Interesse auf wirtschaftliche Chancen und Risiken hin analysieren. Dabei stellt das amerikanische Recht keine inhaltlichen Anforderungen auf, weil der Käufer die nachteiligen Folgen seines Unterlassens selbst zu tragen hat. Lässt der Käufer die erforderliche Sorgfalt („Due Diligence“) vermissen, wird er regelmäßig die Vereinbarung einer rechtsgeschäftlichen Garantie mit dem Verkäufer über den kritischen Punkt versäumen bzw. einen Abschlag beim Kaufangebot unterlassen.957 Im systematisch völlig anders gelagerten deutschen Kaufrecht, bei dem auch dem unternehmerischen Käufer Haftungsansprüche ohne eigene Initiative zustehen, scheint eine Due-Diligence-Prüfung dem Käufer hingegen zunächst eher zu schaden als zu nutzen: Denn je mehr der Käufer an Einzelheiten über die Struktur des Unternehmens aufklärt, umso eher gelangt er in den Anwendungsbereich des § 442 Abs. 1 Satz 1. Dennoch erfüllt auch im deutschen Recht die an die Due-Diligence-Praxis angelehnte Unternehmensanalyse zentrale wirtschaftliche Funktionen:958 Sie ermöglicht dem Käufer eine Einschätzung der (Gebrauchs-)Vorteile des Unternehmens, dient der Wertermittlung und bereitet die Vereinbarung vertraglicher Garantien über kritische Punkte vor. Vor allem aber dient sie auch dazu, die Offenlegung gewährleistungserheblicher Tatsachen aus Beweisgründen zu formalisieren und zu dokumentieren. Beim jetzigen Stand ist § 442 Abs. 1 Satz 2 im Falle einer unterbliebenen Due Diligence nicht anwendbar, weil das Unterlassen der Untersuchung keinen außergewöhnlich schweren, alle Maße sprengenden Sorgfaltsverstoß (= grobe Fahrlässigkeit) darstellt. Dafür spricht, dass der Käufer nicht in jedem Fall von der Geschäftsführung des zu erwerbenden Unternehmens bereitwillig Informationen erhält (zB. bei einer feindlichen Übernahme).959 Auch ist eine kooperationswillige Geschäftsführung an Geheimhaltungspflichten gebunden (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Schließlich hat sich die Verkehrssitte in Deutschland noch nicht ausreichend verfestigt.960

Merkt WiB 1996, 145, 146; Werner ZIP 2000, 989, 990. Merkt WiB 1996, 145, 146. Merkt WiB 1996, 145, 147. Loges BB 1997, 965, 968. Böttcher ZGS 2007, 20, 24f.; Erman/Grunewald § 442 Rn. 14; Fleischer/Körber BB 2001, 841, 844ff.; U. Huber AcP 202 (2002) 179, 201; Loges BB 1997, 965, 968; Staudinger/MatuscheBeckmann § 442 Rn. 32; Weitnauer NJW 2002, 2511, 2516; H.P. Westermann ZHR 169 (2005) 248ff. 956 957 958 959 960

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§ 2 Der Kaufvertrag

c) Vertragliche und gesetzliche Haftungsbeschränkung bei öffentlichen Versteigerungen (§ 445 und §§ 474 Abs. 2 Satz 2) 440

Eine öffentliche Versteigerung gebrauchter Sachen, an der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann, stellt schließlich nach § 474 Abs. 2 Satz 2 keinen Verbrauchsgüterkauf dar. Die Norm nutzt die Regelung des Art. 1 Abs. 3 VerbrGüterKRiL aus, wobei dem Gesetzgeber die Versteigerung von Fundsachen durch Verkehrsbetriebe vorschwebte.961 Die Wirkungsweise verdeutlicht folgende Entscheidung: (BGH 24.2.2010 – VIII ZR 71/09 = NJW-RR 2010, 1210) Das Gestüt V versteigert Pferde durch einen Auktionator, der seinerseits die Voraussetzungen des § 34b GewO erfüllt. Dabei werden die Gewährleistungsrechte des Ersteigerers in den zwischen V und den Ersteigerern vereinbarten Auktionsbedingungen ausgeschlossen. K ersteigert ein 6 Monate altes Fohlen für private Reitzwecke und macht später wegen eines Mangels Gewährleistungsansprüche geltend. Der Gewährleistungsausschluss nach § 444 könnte nach § 476 Abs. 1 Satz 1 nichtig sein.

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Nach § 474 Abs. 2 Satz 2 könnte es jedoch an einem Verbrauchsgüterkauf fehlen. Die Norm setzt zunächst eine öffentliche Versteigerung voraus. Das Tatbestandsmerkmal nimmt auf die Legaldefinition des § 383 Abs. 3 Bezug (Tz. 12). Eine öffentliche Versteigerung hat danach auf eine öffentliche Ankündigung hin durch einen für den Versteigerungsort bestellten Gerichtsvollzieher oder zu Versteigerungen befugten anderen Beamten (Notar nach § 20 Abs. 3 BNotO) oder öffentlich angestellten Versteigerer öffentlich zu erfolgen. Fraglich ist, ob diese Person der Veranstalter oder der Leiter der Versteigerung sein muss. Der BGH erkennt den Grund des Ausnahmetatbestandes in der hohen Integrität der Person, die die Versteigerung leitet, nicht aber notwendig in der Person des Veranstalters (Tz. 14), der Person also, in deren wirtschaftlichem Interesse die Veranstaltung durchgeführt wird. Daran überzeugt, dass die Versteigerung regelmäßig eine unübersichtliche und wegen der kompetitiven Atmosphäre unter den Bietern zT. auch eine von Irrationalismen geprägte Verkaufsatmosphäre schafft. Hier kommt es vor allem auf die Seriosität und Fachkunde der Leitung an. Die Ausnahme nach § 474 Abs. 2 Satz 2 gilt nur für gebrauchte Sachen. Fraglich ist deshalb, ob und wann ein Tier gebraucht sein kann.962 Als gebraucht sieht das Gericht eine Sache an, die bereits benutzt wurde (Tz. 27), wobei es die Möglichkeit nicht ausschließt, dass ein Tier auch allein aufgrund seiner Lebensdauer gebraucht sein könnte (Tz. 32).963 Ein sechs Monate altes Fohlen ist hingegen nicht gebraucht (Tz. 26ff.). Die Gegenmeinung sieht Tiere stets als gebraucht an,964 wofür nach dem Wortsinn spricht, dass auch ein Fohlen bereits RegE BT-Drucks. 14/6857, S. 31. BGH NJW 2007, 674; die folgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. Ähnlich Augenhofer JZ 2007, 792, 795. Adolphsen AgrarR 2001, 203, 207; Brückner/Böhme MDR 2002, 1406ff.; Eichelberger ZGS 2007, 98, 100.

961 962 963 964

B. Käuferrechte

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nach den Vorstellungen seines Eigentümers gehalten wird. Das Gesetz setzt zunächst eine Unterscheidbarkeit zwischen neuen und gebrauchten Sachen auch bei Tieren voraus. Nach der gesetzlichen Regelung muss es aber auf die dauernde Eingliederung für Gebrauchszwecke ankommen, die bei einem noch nicht belastbaren Jungtier nicht anzunehmen ist. Die Einwände der Gegenmeinung überzeugen daher nicht. In entsprechender Anwendung dieses Rechtsgedankens werden im Übrigen auch Kunstwerke als gebraucht angesehen, wenn sie nicht vom Künstler selbst zum Verkauf bereitgestellt werden, sondern schon einmal veräußert worden sind.965 Wird die Kaufsache auf Grund eines Pfandrechts in einer öffentlichen Versteigerung unter der Bezeichnung als Pfand verkauft, so stehen dem Käufer nach § 445 Rechte wegen eines Mangels nur zu, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen (Rn. 443) oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Durch öffentliche Versteigerung nach § 814 ZPO erfolgt die Verwertung von beweglichen Sachen, die im Wege der Zwangsvollstreckung gepfändet worden sind (vgl. auch §§ 15ff. ZVG für unbewegliche Sachen). § 445 soll in diesem Zusammenhang die Verwertung gepfändeter Sachen für den betreibenden Gläubiger vereinfachen.966 Auf Verbrauchsgüterkäufe findet die Norm jedoch keine Anwendung (§ 475 Abs. 3 Satz 2).

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d) Unwirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses bei arglistigem Verschweigen

In den Fällen der §§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444 und 445 ist ein Gewährleistungsausschluss unwirksam, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschweigt. (BGH 12.11.2010 – V ZR 181/90 = BGHZ 188, 43 = NJW 2011, 1279 – Asbest) K erwarb von V ein Hausgrundstück unter Ausschluss der Gewährleistung. Allerdings hatte V nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Fassade Asbestzementplatten eingelassen waren. Der von V beauftragte Makler hatte K jedoch Finanzierungsunterlagen überlassen, in denen eine Baubeschreibung vorhanden war. Dort war der Einbau von Asbestplatten erwähnt. K verlangt Schadensersatz iHv. 38.455,34 €, die ua. durch die Sanierung der Fassade entstehen. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 könnte hier an einem Haftungsausschluss nach § 444 scheitern. Dies ist nicht der Fall, wenn V den Mangel arglistig verschwiegen hat.

Das arglistige Verschweigen eines Mangels ist dem Verkäufer in § 444 nur zurechenbar, wenn eine Pflicht zur Offenbarung des Mangels gegenüber dem Käufer bestand. Der Kaufvertrag beruht jedoch auf einem Interessengegensatz der Parteien. Deshalb darf der Käufer regelmäßig nicht darauf vertrauen, dass der Verkäufer seine Interessen wahrnimmt und ihn zum eigenen Nachteil auf Mängel der Kaufsache hinweist. Die Praxis bejaht jedoch ausnahmsweise Aufklä965 Braunschmidt NJW 2013, 734; ders., Die Versteigerungsbedingungen bei öffentlichen Kunsthausauktionen, 2012, S. 60ff. 966 Vgl. etwa den Fall BGHZ 96, 214, 221.

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§ 2 Der Kaufvertrag

rungspflichten nach § 242 unter zwei Voraussetzungen:967 Als Gegenstand der Aufklärungspflicht kommt nur ein Umstand in Betracht, der das Wertgleichgewicht von Leistung und Gegenleistung so erheblich beeinträchtigt, dass für den Käufer – wirtschaftlich betrachtet – aus ihm eine Vereitelung der wirtschaftlichen Vorteile aus dem Kaufvertrag droht. Zweitens muss der Käufer nach der Verkehrsauffassung eine Aufklärung durch den Verkäufer erwarten dürfen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn der Käufer selbst nicht in der Lage ist, den Umstand zu erkennen. Die tiefere Rechtfertigung für diese Ausnahme liefern die Überlegungen Iseles zu der Frage, unter welchen Sachvoraussetzungen zwischen den Parteien eines Vertrages Interessenwahrungspflichten entstehen (vgl. auch Rn. 1278).968 Im Ausgangspunkt beruht das Prinzip des caveat emptor (der Käufer möge sich selbst schützen) auf der klaren Trennbarkeit der Verantwortungssphären von Käufer und Verkäufer. In dem Augenblick aber, in dem dem Verkäufer aus tatsächlichen Gründen die Macht erwächst, in den Rechtsund Geschäftskreis des Käufers einzugreifen, entsteht eine Pflicht, bei Ausübung dieser Machtstellung die Interessen des Käufers zu wahren. Deren Zweck liegt in der Begrenzung der Verkäufermacht auf das Maß, das ein objektiver Beobachter in der Position des Käufers erwarten darf. Der Wissensvorsprung des Verkäufers um den für den Käufer verborgenen, wirtschaftlich schwer wiegenden Mangel begründet eine solche Machtstellung iSd. Lehre Iseles. Denn er erlaubt dem Verkäufer faktisch, seine eigenen Interessen einseitig zum Nachteil des in seiner Unwissenheit wehrlosen Käufers durchzusetzen. Aus dieser tatsächlichen Macht erwächst als Gegengewicht die Pflicht des Verkäufers, die Interessen des Käufers so zu wahren, dass dieser keinen Schaden erleidet. Dem wird der Verkäufer gerecht, wenn er sein Wissen um den Mangel mit dem Käufer teilt, ihn also aufklärt. Dieser teleologische Zusammenhang erklärt, warum die Aufklärungspflicht eine Erheblichkeitsschwelle (Schwere des Mangels) voraussetzt; denn andernfalls fehlt es an einer nennenswerten Macht des Verkäufers, auf die Rechte des Käufers einzuwirken. Dieser Begründungszusammenhang hilft vor allem zu verstehen, warum es auf die Wehrlosigkeit (Unkenntnis) des Käufers und die mit ihr korrespondierende Machtstellung des Verkäufers (Wissensvorsprung) ankommt. Nach ergänzenden Überlegungen Kerstings greift ein ähnlicher Begründungszusammenhang auch dann, wenn eine Seite eines Austauschvertrags der anderen eine konkrete Auskunft erteilt hat. Denn durch diesen Vorgang überwindet sie selbst den Interessengegensatz durch eine bewusste Entscheidung und macht sich die Wahrung der Interessen der Gegenseite zu eigen.969 Dann haftet sie für falsche Auskünfte wegen pflichtwidriger Interessenwahrung.

967 Dazu neben dem vorliegenden Fall BGH NJW 2011, 3640, Tz. 7; BGH NJW 2010, 858, Tz. 15. 968 Isele, Geschäftsbesorgung – Umrisse eines Systems, 1935; dazu auch Erman/Ehmann 12. Aufl. 2007, Vor § 662 Rn. 26ff.; Schnauder JZ 2007, 1009. 969 Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, 2007, S. 411ff.

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Zutreffender Auffassung nach ist es darüber hinaus nicht erforderlich, dass das arglistige Verschweigen durch den Verkäufer für ein bestimmtes Käuferverhalten kausal geworden ist. Denn der Zweck der Ausnahme im Arglistfall liegt allein darin, dem unredlichen Verkäufer die Haftungsfreizeichnung zu verwehren.970 Vorliegend bejaht der BGH die erforderliche Schwere der verschwiegenen Umstände wegen der mit der Mangelbeseitigung verbundenen, erheblichen finanziellen Belastung, die aus Sicht anderer Marktbeteiligter zu einer schweren Werteinbuße führt (Tz. 10). Fraglich ist nur, ob der Verkäufer auch erkennen konnte, dass der Käufer auf den Mangel nicht aufmerksam wurde. Der BGH geht zunächst davon aus, dass der Käufer nur auf solche Mängel aufmerksam wird, die er bei einer Besichtigung der Kaufsache selbst erkennen kann (Tz. 11). Dazu zählt der Umstand der Verarbeitung von Asbestplatten in der Gebäudefassade nicht. Sonstige Möglichkeiten des Käufers, sich vom Mangel Kenntnis zu verschaffen, stehen dem nicht ohne weiteres gleich. Fraglich ist insbesondere, ob der Verkäufer von einem Käufer erwarten darf, dass dieser sich die Finanzierungsunterlagen auch auf die Bausubstanz hin sorgfältig durchsieht. Der BGH verneint dies (Tz. 11). Daran überzeugt bereits, dass der Zweck dieser Informationen (die Finanzierung des Grundstückserwerbs) nicht mit dem Gegenstand der Aufklärungspflicht des Verkäufers (Beschaffenheit der Gebäudefassade) in einem Sachzusammenhang steht (vgl. dazu auch die BGH-Entscheidung unter Rn. 473).971 Ein weiterer Gesichtspunkt liegt in dem Umstand begründet, dass der aufklärungspflichtige Verkäufer den Käufer nicht einfach auf umfangreiche Dokumentationen verweisen darf, im Rahmen derer ganz unterschiedliche Informationen niedergelegt sind und von denen er erwarten muss, dass sie der Käufer schon wegen ihres Umfangs nicht im Detail studieren kann. Würde nämlich die Überlassung solcher Unterlagen für eine Aufklärung des Käufers genügen, würde sich die Aufklärungspflicht des Verkäufers gerade zu Lasten des Käufers auswirken: Denn der Verkäufer könnte dem Käufer Informationen im Rahmen umfangreicher Prospekte mit der Rechtsfolge des § 442 Abs. 1 Satz 2 unterschieben und dabei fest auf die Überforderung des Käufers setzen. Auf diese Weise könnte er die eigenen Interessen einseitig zu Lasten derjenigen des Käufers verwirklichen. Derselbe Gedanke begegnet im Rahmen der Haftung für Emissionsprospekte (Rn. 1312). Die Darlegungs- und Beweislast für das arglistige Verschweigen trägt zunächst der Käufer. Weil es sich jedoch um eine negative Tatsache handelt (Untätigkeit des Verkäufers während des gesamten vorvertraglichen Stadiums), kommt der BGH dem Käufer mit Beweiserleichterungen entgegen (Tz. 12): Da der Käufer nicht für den gesamten Zeitraum der Vertragsverhandlungen darlegen und beweisen kann, dass der Verkäufer ihn nicht informiert hat (sog. negative Tatsache), muss der Verkäufer die von ihm vermeintlich vorgenom970 BGH ZIP 2017, 380, Tz. 16. 971 Ein Gegenbeispiel liefert BGH NJW 2013, 1671, Tz. 25.

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mene Aufklärung im Wege der sog. sekundären Darlegungslast (Rn. 1147) in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise spezifizieren, damit der Käufer diese Möglichkeit durch Darlegung und Beweis ausräumen kann (Tz. 12). Hier beschränkten sich die Informationen seitens des Verkäufers auf die Überlassung der Finanzierungsunterlagen. Diese brauchte der Käufer nicht zu bestreiten, da der einschlägige Vorgang keine Erfüllung der Aufklärungspflicht bedeutet. Fraglich ist jedoch, ob der Verkäufer arglistig gehandelt hat. Auch hier trägt der Käufer die Beweislast (Tz. 15). Da es sich jedoch um eine innere Tatsache handelt, obliegt dem Verkäufer die Darlegungs- und Beweislast aufgrund eines Anscheinsbeweises: Denn die objektive Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Verkäufer indiziert typischerweise, dass der Verkäufer es für möglich hielt, dass der Käufer nicht informiert war. Deshalb liegt es am Verkäufer, Umstände darzutun, aus denen sich ergibt, dass der Käufer trotz unterbliebener Aufklärung in Kenntnis der Beschaffenheit der Fassade war (Tz. 15). Weil dies dem Verkäufer vorliegend nicht gelingt, greift der Haftungsausschluss nach § 444 nicht. Nimmt man hinzu, dass das Verschweigen des Mangels im Rahmen der §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 zu einem Vertretenmüssen führt, ist der Anspruch begründet. Durch die Kombination der Beweiserleichterungen gerät der Verkäufer im Rahmen der §§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444, 445 und auch des § 123 Abs. 1 leicht in die Defensive. Denn sobald ein Mangel die für eine Aufklärungspflicht erforderliche Schwere erreicht, liegt es am Verkäufer, Tatsachen darzulegen, aus denen hervorgeht, dass er den Mangel nicht kannte. Abhängig vom Mangeltyp kann er häufig nicht mit schlichtem Nichtwissen bestreiten, weil auch hier die Lebenserfahrung gegen ihn spricht. Dies gilt etwa für ein bebautes Grundstück, das der Verkäufer bewohnt hat. Hier führt das Schweigen über einen schweren Mangel, den der Verkäufer nach der Lebenserfahrung nicht übersehen konnte, idR. zur Haftung aus c.i.c. wegen vorsätzlicher Aufklärungspflichtverletzung (Rn. 473ff.). Diese Offenbarungspflicht besteht auch in den Fällen des Mangelverdachts (Rn. 98).972 Der Verkäufer eines über Jahrzehnte für den Fahr-, Abstell- und Verladebetrieb genutzten Eisenbahngeländes handelt danach arglistig, wenn er dem Käufer diese Art der Nutzung nicht offenbart. In ihr liegt nämlich bereits ein offenbarungspflichtiger Mangel des Grundstücks (Tz. 8), weil mit dieser Nutzungsart die Gefahr einer Kontaminierung durch Schmiermittelverluste, Unkrautbekämpfungsmaßnahmen und Bahnschwellenimprägnierung einhergeht (Tz. 9).

Praktische Probleme bereitet auch die Frage, ob unterstellt werden darf, dass ein Kfz-Händler die Reparaturhistorie eines Gebrauchtwagens kennt, wenn der Hersteller über diese eine EDV-Datenbank führt. Der BGH973 verneint dies: Er geht von dem Grundsatz aus, dass den Verkäufer keine Pflicht zur Untersuchung des Gebrauchtwagens (Tz. 24), sondern nur eine Pflicht zur Sicht972 BGH ZIP 2017, 380; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. 973 BGH NJW 2014, 211.

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prüfung trifft (Tz. 24; dazu Rn. 348). Entsprechend ist dem Verkäufer die Reparaturhistorie nicht zwingend bekannt, es sei denn der Hersteller hat ihn zuvor zur Einblicknahme in die Datenbank gezwungen (Tz. 26). Aus ähnlichen Überlegungen heraus handelt ein Verkäufer nicht arglistig, wenn er die Sanierungsarbeiten an seinem Hausgrundstück nicht auf deren Erfolg hin kontrolliert hat.974 Allerdings bestehen auch hier Ausnahmen: Behauptet der Verkäufer, ihm seien keine Reparaturen (Unfallschäden) des Fahrzeugs bekannt, obwohl die Reparaturhistorie leicht zu überblicken ist (der Hersteller war einziger Vorbesitzer), handelt es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein,975 die stets einen Fall der Arglist darstellt (Rn. 463). Wird die Sache von zwei Personen verkauft und täuscht nur ein Verkäufer arglistig, rechnet der BGH im Rahmen des § 444 dem redlichen Verkäufer das Verhalten des arglistig täuschenden zweiten Verkäufers zu. Hier widerstreiten einander zwei Prinzipien: Dem redlichen Verkäufer gegenüber kommt eine Wissenszurechnung eigentlich nur unter den Voraussetzungen des § 166 (Stellvertretung) in Betracht. Die Normvoraussetzungen liegen jedoch regelmäßig im Verhältnis zum unredlich handelnden Käufer nicht vor. Der BGH betont demgegenüber jedoch den Käuferschutz: Dieser darf nicht davon abhängen, dass nur einer der beiden Verkäufer eine Täuschung verübt hat.976 Dies überzeugt. Zu leicht wären nämlich sonst Umgehungsstrategien durch den arglistig Handelnden möglich: Dieser bräuchte nur einen redlichen Mitverkäufer einzuschalten, um den Rechtsfolgen seines arglistigen Verhaltens entgehen zu können. Allerdings wird das arglistige Verhalten eines Herstellers dem Verkäufer nicht unmittelbar zugerechnet: Für die vorsätzliche Täuschung des Publikums durch die VW AG über die Abgaswerte ihrer Fahrzeuge sind deshalb die redlichen VW-Händler nicht unmittelbar verantwortlich.977 Die Zurechnung beschränkt sich in diesen Fällen auf die Rechtsfolge des § 434 Abs. 1 Satz 3. Der Unterschied zum Fall der beiden dem Käufer gegenübertretenden Verkäufer liegt darin, dass der Käufer in diesem Fall nicht von seinem Vertragspartner arglistig getäuscht wird, sondern von einem vertragsfremden Dritten, dem Hersteller. Diesem gegenüber kommen jedoch Ansprüche aus § 826 BGB in Betracht, die im Wege des Schadensersatzes praktisch eine „Rückabwicklung“ eigener Art ermöglichen: (LG Hildesheim 17.1.2017 – 3 O 139/16 = ZIP 2017, 332) Im Fall war die Motorsteuerung eines Kfz so programmiert, dass sie bei der Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand diese Situation erkannte und weniger Stickoxide abgab als im Echtbetrieb auf der Straße. Darin erkennt das LG einen vom Hersteller verübten Fall des § 826 BGB zu Lasten des Käufers. Im Wege des Schadensersatzes nach §§ 249ff. muss der Hersteller deshalb den Käufer so stellen, als wäre ein Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht zustande gekommen. Für andere Fälle des § 826 ist bereits anerkannt, dass die Norm zu einer „Rückabwicklung“ 974 BGH NJW 2016, 2315. 975 OLG Naumburg NJW 2014, 1113. 976 BGH ZIP 2016, 577, Tz. 13ff. und 19ff.; zur Gegenmeinung etwa MünchKomm/Wester-

mann § 444 Rn. 12. 977 Zutreffend Ring NJW 2016, 3121, 3124.

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eines Vertrages im Wege des Schadensersatzes führen kann.978 Problematisch erscheint dabei stets die Verursachung eines Vermögensschadens beim Käufer. Das LG erkennt diesen darin, dass der Käufer ebensowenig an einer rechtswidrigen Umgehung der Abgasnormen interessiert war wie an „Problemen“ mit dem Kraftfahrtbundesamt. Beide Irritationen gehen aber nicht notwendig mit Vermögensschäden einher (vgl. § 253 Abs. 1). Die Rechtsprechung sieht in anderen Konstellationen des § 826 den Vermögensschaden jedoch darin, dass dem Käufer eine mangelhafte Sache durch Täuschung „aufgeschwatzt“ wird.979

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Fraglich ist schließlich, ob die Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses voraussetzt, dass der verschwiegene Umstand für die Willensbildung des Käufers kausal geworden sein muss. (BGH 15.7.2011 – V ZR 171/10 = BGHZ 190, 272 = NJW 2011, 3640) K erwarb von Bauträger V eine in einer ehemaligen Industriebrache gelegene, sanierte Eigentumswohnung unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Nachträglich stellt sich heraus, dass V gegenüber der Bauordnungsbehörde eine sog. Baulast übernommen hatte. Darin verpflichtete sich V, die Fassade des Gebäudes nicht zu verändern. K, der ursprünglich nicht vorhatte, die Fassade zu verändern, erklärt den Rücktritt mit der Begründung, V habe ihm von der Baulast Mitteilung machen müssen. Kann er Rückzahlung des Kaufpreises verlangen? Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 3, 346 Abs. 1 setzt einen Sachmangel iSd. § 434 voraus. Dieser liegt bei Baubeschränkungen regelmäßig vor (Rn. 103). Fraglich ist nur, ob die Gewährleistung nicht nach § 444 ausgeschlossen war. Dies kommt wiederum nicht in Betracht, wenn V einen Mangel arglistig verschwiegen hatte.

Problematisch erscheint, dass die verschwiegene Beeinträchtigung den Käufer zunächst nicht konkret in der Nutzung der Kaufsache beeinträchtigt. Der BGH geht jedoch davon aus, dass für das Entstehen der Aufklärungspflicht nicht die konkreten Verwendungsabsichten des Käufers bei Vertragsschluss maßgeblich seien (Tz. 9). Denn gerade die Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Verkäufer führt dazu, dass nachträglich nicht mehr geklärt werden kann, ob der Käufer nicht doch eine (potenzielle) Verwendungsabsicht im einschlägigen Sinne hatte. Die Frage, ob ein Mangel den Käufer konkret in seinen Rechten beeinträchtigen muss, ist vor allem für den Rechtsmangel umstritten und dort zu verneinen (Rn. 149). Denn der Verkäufer stellt dem Käufer bei den vorvertraglichen Verhandlungen die Stellung eines Eigentümers in Aussicht (arg. e § 433 Abs. 1 Satz 1). Der Eigentümer darf wiederum mit der Sache nach Belieben verfahren (§ 903 Satz 1) und daher seine Verwendungsabsichten auch nachträglich ändern (§ 903 Satz 1). Häufig kann der Käufer konkrete Verwendungszwecke iSd. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 auch erst verfolgen, wenn ihn der Verkäufer zuvor über deren Erreichbarkeit aufgeklärt hat. Insoweit war K über die Baulast aufzuklären. Denn diese kann ihn bei der Weiterveräußerung an umbauwillige Dritte oder bei einer Sanierung beeinträchtigen.

978 Staudinger/Oechsler Rn. 102, 153; vgl. Meschede ZIP 2017, 215, 216ff. zur Haftung wegen Verletzung kapitalmarktrechtlicher Vorschriften im vorliegenden Fall. 979 BGHZ 57, 137, 142 = NJW 1972, 36; Staudinger/Oechsler Rn. 102.

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Fraglich ist jedoch die Kausalität zwischen der Verletzung der Offenbarungspflicht und dem eingetretenen Schaden. Dazu müsste die Offenbarung der Baulast den Käufer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vom Erwerb des Grundstücks abgehalten haben. Dies liegt vergleichsweise fern, weil ihn die Baulast zum damaligen Zeitpunkt nicht störte. Fraglich ist daher, ob § 444 voraussetzt, dass das arglistige Verschweigen des Verkäufers kausal für einen Willensentschluss des Käufers gewesen sein muss. Dies verneint der BGH im Hinblick auf den Wortlaut des § 444, der anders als der des § 123 Abs. 1 gerade kein Kausalitätserfordernis nahe lege. Ferner verweist er auf den Normzweck: § 444 wolle den Käufer ganz grundsätzlich vor einer unredlichen Haftungsfreizeichnung durch den Verkäufer schützen (Tz. 14). Die damit einhergehende Schlechterstellung des Verkäufers bei der Arglisthaftung lässt sich regelmäßig aus zwei Überlegungen heraus begründen: aus der von der Arglist ausgehenden besonderen Gefährdung des Opfers und aus der fehlenden Schutzwürdigkeit des Täuschenden. Hier dürfte der zweite Aspekt im Vordergrund stehen.

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e) Partielle Unwirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses bei Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung

Nach §§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444, 445 zeitigt ein Haftungsausschluss keine Folgen, wenn der Verkäufer eine Beschaffenheitsgarantie für die Kaufsache übernimmt (zur Beschaffenheitsgarantie Rn. 355ff.). Über den Wortlaut hinaus greift der Haftungsausschluss aber auch insoweit nicht, als der Verkäufer eine bloße Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 mit dem Käufer geschlossen hat: (KG 17.6.2011 – 7 U 179/10 = NJW-RR 2012, 290) Privatmann V bietet bei eBay ein Gebrauchtfahrzeug als „scheckheftgepflegt“ an und besteht auf einem Ausschluss der Gewährleistungshaftung. K erwirbt das Fahrzeug, stellt aber zu seiner Verwunderung fest, dass V ihm keinen Wartungsplan (sog. Scheckheft) vorlegen kann. Er verlangt den bereits entrichteten Kaufpreis zurück. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Zwischen den Parteien kam ein Kaufvertrag zustande. Das übereignete Kfz könnte nach § 434 Abs. 1 Satz 1 mangelhaft sein. Fraglich ist zunächst, ob die Äußerung des Verkäufers, das Fahrzeug sei „scheckheftgepflegt“, einen Antrag auf Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Käufer nach § 434 Abs. 1 Satz 1 beinhaltet. Dies setzt Rechtsbindungswillen des Verkäufers nach §§ 133, 157 voraus. Aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Käufers hat diese Äußerung jedoch erheblichen Einfluss auf den Entschluss des Käufers zum Vertragsschluss. Denn dieser geht davon aus, dass das Fahrzeug regelmäßig gewartet wurde und daher nicht unter den üblichen Verschleißerscheinungen leidet. Er wird die Äußerung des Verkäufers daher nicht als reine Wissenserklärung verstehen (vgl. zu dieser Problematik auch Rn. 108).

Fraglich ist jedoch, ob die Haftung hier nicht nach § 444 ausgeschlossen ist. Verneint man im vorliegenden Fall die Arglist des Verkäufers, kommt auch eine Beschaffenheitsgarantie des Verkäufers nicht in Betracht, weil dieser keine verschuldensunabhängige Einstandspflicht für die Beschaffenheit des Fahrzeugs

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übernehmen wollte. Gerade im Verhältnis zwischen Privatleuten verfährt die Praxis nämlich mit der Annahme von Beschaffenheitsgarantien sehr zurückhaltend (Rn. 356). Fraglich ist jedoch, ob der Haftungsausschluss nicht auch hinter einer Beschaffenheitsvereinbarung zurücktreten muss. Seit einer Entscheidung aus dem Jahre 2007 bejaht der BGH stets eine analoge Anwendung des § 444 zweiter Halbsatz zweite Alternative und zwar mit folgender Überlegung:980 Vereinbaren die Parteien einerseits einen Gewährleistungsausschluss, treffen sie andererseits aber eine Beschaffenheitsvereinbarung, stehen beide vertraglichen Regelungen gleichrangig nebeneinander. Eine widerspruchsfreie Koordinierung beider Vereinbarungen ist aber nur dadurch möglich, dass der Haftungsausschluss grundsätzlich bestehen bleibt, jedoch hinter der Beschaffenheitsvereinbarung so weit zurücktritt, wie deren Gegenstand reicht. Die Gegenauffassung wendet den Wortlaut des § 444 zweiter Halbsatz und den fehlenden Bindungswillens des Verkäufers ein: Dieser bestehe bei einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht in gleicher Weise wie bei einer Beschaffenheitsgarantie.981 Dennoch überzeugt die entsprechende Anwendung des § 444 zweiter Halbsatz.982 Denn der Normzweck dieses Ausnahmetatbestandes liegt im Selbstwiderspruch des Verkäufers: Dieser kann nämlich nach § 242 nicht einerseits eine erhöhte Bindung im Hinblick auf die Mängelfreiheit eingehen, andererseits aber die daraus resultierende Haftungsverantwortung ausschließen (venire contra factum proprium). Dieser Rechtsgedanke greift mit einer sachlichen Einschränkung auch beim Abschluss einer bloßen Beschaffenheitsvereinbarung: Die Beschaffenheitsvereinbarung begründet keine so umfassende Verantwortung des Verkäufers für die Beschaffenheit der Kaufsache wie die Beschaffenheitsgarantie. Sie setzt den Haftungsausschluss daher nur partiell und soweit außer Kraft, wie eine bestimmte Sachbeschaffenheit vereinbart ist. Eine im Schrifttum vertretene Auffassung will den zugrunde liegenden Rechtsgedanken noch erweitern: Öffentliche Äußerungen des Verkäufers iSd. § 434 Abs. 1 Satz 3 konkretisierten die Normalbeschaffenheit nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und müssten daher aufgrund des einheitlichen Mangelbegriffs ebenfalls einem Haftungsausschluss nach § 444 vorgehen.983 Dem wird man zustimmen müssen. Denn der Gedanke des venire contra factum proprium ist nicht auf den Fall der Abgabe einer Willenserklärung beschränkt. Äußerungen des Herstellers, die ebenfalls § 434 Abs. 1 Satz 3 unterfallen, begründen indes keine Bindung durch einen Selbstwiderspruch des Verkäufers, weil sie gerade nicht vom Verkäufer selbst abgegeben werden.

980 Grundlegend BGHZ 170, 86 = NJW 2007, 1346, Tz. 31; bestätigt in BGH NJW-RR 2011,

462, Tz. 12; BGH NJW 2011, 1217, Tz. 18; BGH NJW 2013, 1074, Tz. 19; BGH NJW 2013, 1733, Tz. 15. 981 Gsell, in: FS Eggert, 2008, 1ff.; dies. JZ 2013, 423; Gutzeit NJW 2007, 1350f. 982 Nach Faust JZ 2016, 1012 wird der Garantiebegriff in § 444 in einem anderen Sinne gebraucht als in § 443. 983 F. Hoffmann ZGS 2011, 299, 302ff.

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f) Die Rechtsfolgen des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses in der Lieferkette und § 285 Abs. 1

Das Recht des Grundstückskaufs ist von Haftungsausschlüssen geprägt (Rn. 435 und 429ff.), so dass sich das Gewährleistungsrecht hier auf eine bloße Arglisthaftung beschränkt (Rn. 473ff.).984 Probleme entstehen deshalb in einer Lieferkette, wenn die Haftungsausschlüsse teilweise wegen arglistiger Täuschung unwirksam sind:

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(BGH 20.12.1996 – V ZR 259/05 = NJW 1997, 652) V verkauft an Z ein Grundstück durch notariell beurkundeten Kaufvertrag unter Ausschluss der Gewährleistung. Er verschweigt dabei sanierungsbedürftige Altlasten des Grundstücks. Z entdeckt diese nicht und veräußert das Grundstück an K, ebenfalls durch notariell beurkundeten Kaufvertrag und unter Ausschluss der Gewährleistung. Als K auf die Altlasten aufmerksam wird, verlangt er von Z und V Schadensersatz. Ansprüche des K gegen Z aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 scheitern an der Wirksamkeit des Haftungsausschlusses nach § 444. Hier liegt vor allem kein Ausnahmefall iSd. § 444 zweiter Halbsatz vor, weil Z die Altlasten nicht arglistig verschwiegen hat. Das Wissen des V ist Z nämlich nicht nach § 166 zurechenbar (Rn. 349ff.).

Der BGH schützt den Zweitkäufer jedoch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (S. 652): Die Parteien des zweiten Kaufvertrags hätten den Fall einer möglichen Belastung des Grundstücks nicht bedacht, so dass eine unfreiwillige Regelungslücke bestehe. Diese hätten sie im Zweifel aber so geschlossen, dass der Zweitverkäufer dem Zweitkäufer die eigenen Ansprüche gegen den Erstverkäufer abgetreten hätte. Da aber im Verhältnis zwischen Erstverkäufer und Erstkäufer der Haftungsausschluss nach § 444 wegen arglistigen Verschweigens nicht greife, könne der Zweitkäufer unmittelbar gegen diesen vorgehen. Ob hier eine Drittschadensliquidation oder die Anwendung des § 285 Abs. 1 in Betracht kommen, hat das Gericht ausdrücklich offen gelassen (S. 652). Im Schrifttum ist vor allem die Anwendbarkeit des § 285 Abs. 1 umstritten, da in der Person des Zwischenverkäufers kein Fall des § 275 Abs. 1, sondern schlicht ein Haftungsausschluss vorliegt. Beide Fälle seien aber nicht vergleichbar, da der Zweitkäufer sich gerade auf einen Haftungsausschluss eingelassen habe.985 Dennoch überzeugt der vom BGH beschrittene Weg. Allgemein liegt nämlich den §§ 255, 285 Abs. 1 ein aus Treu und Glauben folgender, allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde: Erlangt der Verkäufer gegenüber dem Käufer den vollen Anspruch auf die vereinbarte Gegenleistung trotz einer Funktionsbeeinträchtigung, darf er nach Treu und Glauben einen gegen Dritte gerichteten Anspruch auf Ersatz dieser Beeinträchtigung nicht für sich behalten. Denn der Verkäufer würde sonst eine doppelte Kompensation erfahren: einmal durch den Kaufpreis und ein zweites Mal durch die Ersatzleistung. Nach Treu 984 U. Huber AcP 209 (2009) 143, 161. 985 Cordes/Mischke ZGS 2008, 92, 97f.; von Olshausen ZGS 2002, 194, 198; Jud, in: FS U. Hu-

ber, 2006, S. 365, 371; aA. Wackerbarth ZGS 2008, 341, 342.

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und Glauben muss der Verkäufer daher dem Käufer den Ersatzanspruch als Minus gegenüber der Kaufsache überlassen. Soweit der Zweitkäufer aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche des Zweitverkäufers gegen den Erstverkäufer geltend macht, stellt sich ferner die Frage, ob der Zweitverkäufer überhaupt einen Schaden erlitten hat. Denn dieser konnte die Sache an den Zweitkäufer weiterveräußern und aufgrund der Vereinbarung eines Gewährleistungsausschlusses den Kaufpreis sicher vereinnahmen. Teilweise werden deshalb die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation bejaht, so dass der Zweitverkäufer den Schaden des Zweitkäufers liquidieren können soll.986 Zweifel werden indes bereits an der für die Drittschadensliquidation erforderlichen Schadensverlagerung laut; denn der Schaden des Käufers entspreche nicht dem des Zwischenkäufers.987 Überzeugend erscheint dies nicht, wenn man den Schaden vorliegend auf die mit der Beseitigung der Altlasten verbundenen Vermögensopfer bezieht. Zweifel bestehen jedoch im Hinblick auf die Zufälligkeit der Schadensverlagerung. Teilweise wird hier so argumentiert: Aus Sicht des Erstverkäufers erscheine es als Zufall, ob sein eigener Vertragspartner, der Zweitverkäufer, oder dessen Partner, der Zweitkäufer, die Altlasten sanieren muss. Die Weiterveräußerung durch den Zweitverkäufer könne den Erstverkäufer dabei schadensrechtlich nicht entlasten.988 Denn Leistungen Dritter an das geschädigte Opfer verfolgten prinzipiell nicht den Zweck, den Schädiger zu entlasten, so dass sie im Rahmen einer normativen Schadensbetrachtung keine Berücksichtigung finden dürften.989 Man wird hier jedoch differenzieren müssen: Zunächst erscheint die Beschränkung der Verantwortung innerhalb einer Vertragskette auf die jeweiligen Vertragspartner gerade nicht als Zufall, sondern als Teil der für die Funktionsfähigkeit der Wertschöpfungskette zentralen Möglichkeit zur Risikobeschränkung auf den jeweiligen Vertragspartner (Rn. 349ff.). Schwer fällt auch der Vergleich der vorliegenden Fallgestaltung mit den Fällen der mittelbaren Stellvertretung, für die eine Drittschadensliquidation regelmäßig anerkannt ist (Rn. 1332; vgl. auch den Unterschied bei Rn. 508). Denn hier fehlt das für diese Fälle typische interessenwahrende Moment im Verhältnis zwischen Zweitverkäufer und Zweitkäufer. Nur dieses rechtfertigt aber die Drittschadensliquidation, weil der mittelbare Stellvertreter nur äußerlich als eigenständiges Glied in einer Vertragskette auftritt, wegen seiner Interessenbindung an den Geschäftsherrn jedoch eigentlich von vornherein nur diesem verpflichtet wird. Darin liegt aus Sicht des Schädigers wiederum genau der Zufall, der nicht haf-

986 Wackerbarth ZIP 1997, 2037, 2038f.; ders. ZGS 2008, 341, 346ff.; Pfister JuS 1976, 373, 374;

zurückhaltender MünchKomm/Westermann § 444 Rn. 9; kritisch Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 160, 163 (= BeckOK). 987 Wackerbarth ZGS 2008, 341, 347. 988 Cordes/Mischke ZGS 2008, 92, 93. 989 Kritisch Wackerbarth ZGS 2008, 341, 346, auf S. 348 wiederum zustimmend.

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tungsbefreiend wirken kann. Die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation liegen daher vergleichsweise fern.990 Doch tritt ein anderer Aspekt hinzu, den der BGH und die Befürworter einer Drittschadensliquidation zu Recht betonen: Der Erstverkäufer ist ein Vorsatztäter, der die Schädigung nicht nur des Erstkäufers billigend in Kauf genommen hat, sondern auch die der nachfolgenden Käufer in der Kette. Er kann sich schon aus diesem Grund nicht darauf berufen, nur mit dem Erstkäufer abzurechnen. Für diese Betrachtungsweise spricht, dass der Zweitkäufer gegen den Erstverkäufer wegen dieser Umstände unmittelbar auch aus § 826 vorgehen könnte. Dann erscheint es jedoch auch zulässig, den Erstverkäufer so zu behandeln wie in den Fällen der Drittschadensliquidation: Der Zweitkäufer kann daher aus abgetretenem Recht des Zweitverkäufers einen eigenen Schaden geltend machen.

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4. Verjährung

Die kaufrechtliche Verjährung weicht in ihren Voraussetzungen und in ihrer Rechtsfolge von der Regelverjährung ab: Sie beträgt im praktisch wichtigsten Fall des § 438 Abs. 1 Nr. 3 nur zwei Jahre und der Verjährungsbeginn liegt in einem objektiven Umstand, der Übergabe bzw. der Ablieferung der Kaufsache (§ 438 Abs. 2); er setzt also anders als § 199 Abs. 1 Nr. 2 kein subjektives Element voraus. Begründet wird dies gemeinhin mit der Überlegung, der Verkäufer dürfe zwei Jahre nach der Ablieferung „die Bücher schließen.“991 Auf ähnlichen Überlegungen beruhen indes auch die Zwecke der Regelverjährung. Die Sonderregelung des § 438 muss sich demgegenüber aus einem eigenen Zweck erklären. Nach der überzeugenden Auffassung von Leenen handelt es sich bei der kaufrechtlichen Verjährung um ein Institut der Risikoverteilung der Mängelfolgen zwischen Käufer und Verkäufer.992 Aus Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts993 setzt die Verjährung dabei missbräuchlichem Verhalten des Käufers („Moral Hazard“) Grenzen: Diesem wird verwehrt, die Folgen eigenen sorglosen Umgangs mit der Sache über einen gewissen Zeitrahmen hinaus nachträglich als Mangel zu deklarieren und dafür Ersatz vom Verkäufer zu verlangen. Belastungen dieser Art kalkuliert der Verkäufer nämlich andernfalls ex ante in den Kaufpreis ein und legt sie auf sämtliche Käufer wie in einem Versicherungssystem um, was wiederum die Wettbewerbsbedingungen verschlechtert.

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a) Die Tatbestände

Nach § 438 Abs. 1 Nr. 1 verjähren die in § 437 Nr. 1 und 3 bezeichneten Ansprüche in 30 Jahren, wenn der Mangel a) in einem dinglichen Recht eines Drit990 AA. Erman/Grunewald § 444 Rn. 4. 991 Ernst ZRP 2010, 1, 7; ebenso Bachmann AcP 211 (2011) 395, 415. 992 Allerdings zum alten Recht: Leenen, § 477 BGB – Verjährung oder Risikoverlagerung, 1997,

S. 12ff.; ders. JZ 2001, 552, 558. 993 Rühl AcP 207 (2007) 614, 620ff.

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ten besteht, aufgrund dessen die Herausgabe der Kaufsache verlangt werden kann, oder b) in einem sonstigen Recht, das im Grundbuch eingetragen ist. Lit. a der Norm betrifft die sog. Eviktionsfälle, bei denen Herausgabe des Besitzes aufgrund eines dinglichen Rechts verlangt werden kann. Regelmäßig begründet das Bestehen eines der in § 438 Abs. 1 Nr. 1 genannten Rechte einen Rechtsmangel iSd. § 435. Die weitgehende Verjährung entspricht § 197 Abs. 1 Nr. 1. Übrigens wird § 437 Nr. 2 bewusst nicht genannt, weil die Norm keine Ansprüche begründet, die allein der Verjährung unterliegen (§ 194 Abs. 1), sondern Gestaltungsrechte. Für sie gelten die Sonderregeln des § 438 Abs. 4 und 5. Nach § 438 Abs. 1 Nr. 2 verjähren die Ansprüche aus § 437 Nr. 1 und 3 bei einem Bauwerk und bei einer Sache, die entsprechend ihrer üblichen Verwendungsweise für ein Bauwerk verwendet worden ist und dessen Mangelhaftigkeit verursacht hat, in fünf Jahren. Der Zweck der Norm liegt in der Erleichterung der Regressmöglichkeiten von Bauhandwerkern gegenüber den Lieferanten von Baumaterialien.994 Verarbeitet der Bauhandwerker gegenüber dem Bauherrn selbst gestelltes Material, verjähren die Haftungsansprüche aus dem zugrunde liegenden Werkvertrag nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 erst nach fünf Jahren. Könnte der Bauhandwerker selbst nur binnen zwei Jahren Rückgriff auf seinen eigenen Lieferanten nehmen, würde eine dreijährige Schutzlücke entstehen. Dennoch schafft die Regelung keine völlige Angleichung der Verjährungsvorschriften, weil die kaufrechtliche Verjährung nach § 438 Abs. 2 mit der Ablieferung beginnt, die Verjährung gegenüber dem Bauhandwerker aber erst mit der Abnahme des Werks (§ 634a Abs. 2).995 Die Anwendung der Vorschrift ist auch nicht auf Bauhandwerker beschränkt, sondern kommt ferner in Betracht, wenn der Bauherr selbst die Sache erworben hat. (OLG München 9.7.2015 – 14 U 91/15 = NJW 2015, 3314) V verkauft dem K eine Fotovoltaikanlage und montiert sie auf dem Dach des Hauses von K. Wegen Verwendung zu langer Schrauben und einer zu schwachen Unterkonstruktion funktioniert die Anlage nicht richtig. Seit der Montage sind mehr als zwei Jahre vergangen. Nachdem V jede Kooperation verweigert hat, verlangt K Schadensersatz für die Reparatur bzw. den Austausch der Fotovoltaikanlage. In Betracht kommen Schadensersatzansprüche des K gegen V nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 und 3 aus einem Werklieferungsvertrag nach § 650 Satz 1 (zu diesem Rn. 1176).996 Sie könnten jedoch gem. § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwei Jahre nach der Montage verjährt sein, wenn nicht die fünfjährige Verjährung nach § 438 Abs. 1 Nr. 2 lit. a für Bauwerke greift.

Die Möglichkeit, dass es sich bei der Fotovoltaikanlage um ein Bauwerk nach § 438 Abs. 1 Nr. 2 lit. a handeln könnte, verneint das OLG, weil diese nicht selbst mit dem Erdboden fest verbunden ist (S. 3315). So hatte auch der BGH zuvor für den Sonderfall einer Fotovoltaikanlage entschieden, die auf dem Dach 994 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 227. 995 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 227, rechte Spalte, vierter Absatz. 996 Dazu ausführlich Schneidewindt NJW 2013, 3751ff.; vgl. jetzt auch zu einem Werkvertrag

über eine Fotovoltaikanlage: BGH NJW 2016, 2876.

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einer Scheune installiert war, die Scheune selbst aber nicht mit Strom belieferte.997 Das OLG sieht den zugrunde liegenden Rechtsgedanken auch dann als einschlägig an, wenn die Fotovoltaikanlage der Energieversorgung des Gebäudes dient, auf dem sie montiert ist. Denn der Hauptzweck einer solchen Anlage sei stets die Einnahmenerzielung und nicht die Stromversorgung (S. 3315). Vor allem aber sei eine körperliche, nicht aber eine wirtschaftliche Betrachtungsweise aus Gründen der Rechtssicherheit angezeigt (S. 3315). Der Errichtung eines Bauwerks iSd. § 438 Abs. 1 Nr. 2 lit. a können auch Umbauarbeiten an einem Gebäude gleichstehen, „wenn sie für Konstruktion, Bestand, Erhaltung und Benutzbarkeit des Gebäudes von wesentlicher Bedeutung sind.“998 Auch diese Möglichkeit verneint das OLG (S. 3315). Die Kritik stößt sich an der äußerlichen, formal begründeten Abgrenzung.999 Für diese spricht allerdings, dass es gerade für die Verjährung auf formal handhabbare Unterscheidungen ankommt. In der Sache liegt in dem Fall ansonsten eine teleologische Reduktion des § 438 Abs. 1 Nr. 2 lit. a nahe: Denn der Zweck der Norm – die Sicherung von Regressmöglichkeiten des Käufers gegenüber dem Baustofflieferanten – war hier nicht berührt! § 438 Abs. 1 Nr. 3 regelt den üblichen Lauf der Verjährung von zwei Jahren. Allerdings kann die Verjährungsfrist durch Rechtsgeschäft verkürzt werden. In einer solchen Vereinbarung liegt immer auch ein (partieller) Haftungsausschluss nach § 444.1000 Für diesen gelten folgende Wirksamkeitsvoraussetzungen: Für vorsätzliches Verhalten kann die Verjährung nie gekürzt werden (§ 202 Abs. 1). Handelt es sich um einen Verbrauchsgüterkauf (§§ 474ff.), kann nur beim Verkauf einer gebrauchten Sache die Verjährung auf ein Jahr verkürzt werden (§ 476 Abs. 2). Im Umkehrschluss aus § 309 Nr. 8 lit. bff. ergibt sich, dass in allen übrigen Fällen die Verjährung in AGB regelmäßig auf ein Jahr herabgesetzt werden kann.

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b) Kettenverjährung

Viel diskutiert ist der Einfluss der Nacherfüllung auf die Verjährung nach § 438 Abs. 1 Nr. 3. Nimmt der Verkäufer die Sache im Falle der Nachbesserung an sich und gibt sie später an den Käufer zurück, beginnt die Verjährung nicht etwa neu zu laufen. Denn nach § 438 Abs. 2 beginnt die Verjährung mit Übergabe bzw. Ablieferung der Sache. Dass damit allein die mangelhafte Kaufsache und nicht die durch Nacherfüllung in den Zustand nach § 433 Abs. 1 Satz 2 versetzte gemeint ist, liegt auf der Hand, weil es in der Norm ja gerade um Verjährung der Gewährleistungsrechte bei Lieferung einer mangelhaften Sache geht.1001 Der Kontakt zwischen Verkäufer und Käufer anlässlich eines NachbesBGH NJW 2014, 845, Tz. 21. BT-Drucks. 14/6040, S. 227; BGH NJW 2014, 845, Tz. 21. Lakkis NJW 2014, 829, 830; Schneidewindt NJW 2013, 3751, 3752ff. BGHZ 170, 31 = NJW 2007, 674 = JZ 2007, 792, Tz. 24; Augenhofer JZ 2007, 792, 793; aA. BAG NJW 2005, 3305, 3306 und NJW 2006, 795, 796. 1001 OLG Celle ZGS 2006, 396. 997 998 999 1000

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§ 2 Der Kaufvertrag

serungs- oder Nachlieferungsversuchs kann ferner eine Verjährungshemmung wegen Schwebens von Verhandlungen iSd. § 203 auslösen. Dafür spricht der Zweck des § 203: Die Norm soll verhindern, dass der Verkäufer den Käufer durch Verzögerungs- und Hinhaltetaktiken in die Verjährung treiben kann.1002 Zugleich soll sie zur außergerichtlichen Einigung ermutigen. Deshalb wird zu Recht die Auffassung vertreten, dass die Norm auch dort analog anzuwenden ist, wo gerade nicht der im Tatbestand vorausgesetzte Meinungsaustausch über die Leistungsstörung zustande kommt, weil der Verkäufer nicht durch Verzögerung der Nacherfüllungsmaßnahmen die Verjährung herbeiführen können soll.1003 Die Hemmungswirkung wird nach § 213 auf alle Gewährleistungsansprüche des Käufers erstreckt; diese müssen jedoch denselben Mangel betreffen.1004 Im Fall der Nachlieferung geht der BGH von einem Neubeginn der Verjährung als Regelfall aus.1005 Dies wird im Schrifttum mit der Überlegung begründet, in der Nachlieferung liege ein Anerkenntnis in anderer Weise (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 letzter Fall); auch handele es sich bei dem nachgelieferten Stück um die abgelieferte Sache iSd. § 438 Abs. 2.1006 Ob die Nachlieferung aber stets diese Bedeutung hat, erscheint zweifelhaft. In anderem Zusammenhang sieht der BGH eine Nacherfüllungsmaßnahme nur im Ausnahmefall als ein konkludentes Anerkenntnis an, nämlich „wenn der Verkäufer aus der Sicht des Käufers nicht nur aus Kulanz oder zur gütlichen Beilegung des Streits, sondern in dem Bewusstsein handelt, zur Mängelbeseitigung verpflichtet zu sein. Erheblich sind hierbei vor allem der Umfang, die Dauer und die Kosten der Mängelbeseitigungsmaßnahme.“1007

Hierbei kommt es auf die Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Käufers an: Insbesondere der wirtschaftliche Umfang der Nacherfüllungsmaßnahme kann dabei das Auslegungsergebnis nach §§ 133, 157 beeinflussen. Gerade beim massenhaften Handel mit Konsumgütern, wo Angestellte des Verkäufers die Kaufsache ungeprüft zurücknehmen und eine Ersatzsache stellen, lässt der Verkäufer daher regelmäßig nicht den Willen erkennen, die Frage nach dem Nacherfüllungsgrund außer Streit zu stellen.1008 Hinzu tritt die rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers, dem Käufer zwei Jahre Verjährungsfrist (gegenüber sechs Monaten nach altem Recht) einzuräumen. Durch eine groß-

1002 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 111, linke Spalte unten. 1003 Auktor NJW 2003, 120, 122; Gramer/Thalhofer ZGS 2006, 250; Krämer ZGS 2003, 379,

382; zurückhaltender MünchKomm/Westermann § 438 Rn. 41. 1004 BGH NJW 2016, 2493. 1005 BGHZ 164, 196 = NJW 2006, 47, 48, Tz. 18. 1006 F. Graf von Westphalen ZGS 2002, 19, 21; Haas, in: Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/ Wendtland, Kap. 5 Rn. 332f.; vgl. ferner Arnold ZGS 2002, 438, 440; Ernst/Gsell ZIP 2000, 1410, 1420f.; BeckOK/Faust § 438 Rn. 59; Stodolkowitz ZGS 2010, 448, 450. 1007 BGH NJW 2006, 47, Tz. 16. 1008 MünchKomm/Westermann § 438 Rn. 41.

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zügige Anwendung des § 212 Abs. 1 Nr. 1 darf diese Frist nicht regelmäßig im Sinne einer Kettenverjährung1009 verlängert werden.1010 c) Verjährungsbeginn

Die Verjährung beginnt bei Grundstücken mit der Übergabe, dh. der einverständlichen Besitzübertragung auf den Käufer. Bei beweglichen Sachen ist die Ablieferung maßgeblich. Dazu muss der Verkäufer die Sache aus seiner Verfügungsmacht entlassen und der Käufer tatsächliche Verfügungsgewalt so an ihr begründen, dass eine tatsächliche Möglichkeit zur Untersuchung der Kaufsache entsteht.1011 Die Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses des Verkäufers zugunsten des Käufers (§ 868) allein genügt dazu regelmäßig nicht. Beim Verkauf einer Forderung kommt es auf die Übertragung an (arg. e § 453 Abs. 2) und beim Kauf eines Besitzrechts (zB. eines Dauerwohnrechts) ist die Übergabe nach § 453 Abs. 3 entscheidend.

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d) Vorsatz

Bei Arglist des Verkäufers verlängert sich die Haftung nach § 438 Abs. 3 auf drei Jahre (§ 195). Auch der Fristbeginn richtet sich dann nicht nach § 438 Abs. 2, sondern nach § 199. Dies ergibt sich aus den Materialien1012 sowie aus der systematischen Stellung der Absätze 2 und 3 des § 438. Ein arglistiges Verschweigen des Verkäufers kommt nur in Betracht, wenn diesen eine Aufklärungs- oder Offenbarungspflicht trifft (ausführlicher Rn. 443). Dabei gelten folgende Grundsätze: Den Käufer trifft das Risiko, sich von der Kaufsache falsche Vorstellungen zu machen bzw. uninformiert zu sein (caveat emptor). Aufgrund des Interessengegensatzes zwischen den Vertragsparteien kann der Käufer vom Verkäufer nicht erwarten, über alle Einzelheiten der Kaufsache ins Bild gesetzt zu werden. Offenbarungspflichten bestehen daher nur ausnahmsweise, unter folgenden beiden Voraussetzungen: Der später verschwiegene Umstand muss so erheblichen Einfluss auf die Wertbildung der Kaufsache haben, dass eine Vertragsvereitelung droht, und der Käufer muss nach der Verkehrsauffassung eine Aufklärung durch den Verkäufer erwarten dürfen. Dies ist nach Treu und Glauben (§ 242) der Fall, wenn der Verkäufer erkennen kann, dass der Käufer nicht in der Lage ist, den Mangel selbst zu entdecken. Die Vorschrift gilt erst recht für aktive Täuschungen des Verkäufers; dies impliziert § 438 Abs. 3, indem die Norm auf den Sonderfall der unterlassenen Aufklärung abstellt. Bemerkenswert sind vor allem die Fälle der Angaben ins Blaue hinein (Rn. 447). 1009 Zu dieser etwa Menges ZGS 2008, 457ff. 1010 Ähnlich OLG Bamberg ZfSch 2006, 387, Tz. 43; Auktor NJW 2003, 120, 121; anders aller-

dings: ders./Mönch NJW 2005, 1686, 1687; Gramer/Thalhofer ZGS 2006, 250, 252; Mansel/Budzikiewicz, Das neue Verjährungsrecht, 2002, § 7 Rn. 12. Vgl. auch zur Beendigung der Hemmungswirkung bei Verfahrensstillstand im Mahnverfahren nach § 204 Abs. 2 Satz 2 Köper ZGS 2005, 60ff. 1011 BGHZ 93, 338, 345; MünchKomm/Westermann § 438 Rn. 25. 1012 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 230, linke Spalte.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Hier behauptet der Verkäufer eine Eigenschaft der Sache, obwohl er gar nicht weiß, ob die Kaufsache über diese Eigenschaft verfügt. In diesen Fällen kennt der Verkäufer zwar nicht die Unrichtigkeit seiner Auskunft, weiß aber, dass seine Auskunft auf so unsicheren Grundlagen beruht, dass die Gefahr der Unrichtigkeit besonders groß ist. Dies muss für den Vorsatzvorwurf ausreichen.1013 e) Rechtsfolgen der Verjährung 464

Mit Eintritt der Verjährung erwächst dem Verkäufer ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 214 Abs. 1. Allerdings kann das bereits Geleistete nicht nach § 813 Abs. 1 Satz 1 zurückgefordert werden (vgl. § 214 Abs. 2 und § 813 Abs. 1 Satz 2). Nach Eintritt der Verjährung ist die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 218 Abs. 1 Satz 1 unwirksam. Allerdings kann der Käufer dem Kaufpreisanspruch des Verkäufers nach § 433 Abs. 2 die Einrede der Mangelhaftigkeit nach § 438 Abs. 4 Satz 2 entgegenhalten. 5. Konkurrenzen a) Culpa in contrahendo

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Die Haftung aus culpa in contrahendo (c.i.c.) entfaltet neben der kaufrechtlichen Gewährleistung eine große praktische Bedeutung. Dogmengeschichtlich repräsentiert sie eine ältere Form der Sachmängelhaftung. Denn die in der Lieferung einer mangelhaften Kaufsache liegende Fragestellung lässt sich rechtlich auf zwei unterschiedliche Weisen fassen: als Störung des von den Parteien vereinbarten Wertgleichgewichts von Leistung und Gegenleistung (subjektives Äquivalenzverhältnis) oder als Aufklärungspflichtverletzung des Verkäufers über Mängel der Sache: K hat ein Gebrauchtfahrzeug von V für 7.000 € erworben. Als sich herausstellt, dass das Fahrzeug einen von V arglistig verschwiegenen Unfallschaden hat, verlangt K den Kaufpreis zurück. Im Rahmen des Anspruchs aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 beruht der Grund für die Rückabwicklung auf einem Mangel, also der Störung des subjektiven Äquivalenzverhältnisses: Denn die Istbeschaffenheit der Kaufsache bleibt hinter der vereinbarten Sollbeschaffenheit zurück und wiegt daher den Kaufpreis nach der Vorstellung der Parteien nicht auf. Da hier Nacherfüllung nicht in Betracht kommt (Rn. 171f.), muss der Verkäufer den Käufer im Wege des Rücktritts so stellen, als habe der Leistungsaustausch nicht stattgefunden. Im Rahmen des Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 liegt der Grund für die Rückabwicklung hingegen in der vorsätzlichen Verletzung einer Aufklärungspflicht des Verkäufers gegenüber dem Käufer im vorvertraglichen Stadiun. Weil der Käufer den Kaufvertrag bei zutreffender Aufklärung im Zweifel nicht geschlossen hätte, muss der Verkäufer ihn im Wege des Schadensersatzes so stellen, als sei der Vertrag nie geschlossen worden (negatives Interesse).

1013 BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839; zu Recht kritisch Faust JZ 2007, 101, 102; BGH NJW-

RR 1987, 436, 437; Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 75ff., 86; vgl. zur grundsätzlichen Kritik: Assmann JuS 1986, 885, 890; Honsell JuS 1976, 621, 628.

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Das Marktrecht der kurulischen Ädilen (Rn. 56) erfasste den Fall der Mängelhaftung noch als eine vom Verkäufer zu vertretende Aufklärungspflichtverletzung.1014 Dies hing damit zusammen, dass das römische Recht keinen Gattungskauf kannte und sich daher ausschließlich am Institut der Stückschuld orientierte.1015 Bei der Stückschuld aber liegen die den späteren Mangel begründenden Negativmerkmale regelmäßig bereits bei Vertragsschluss vor.1016 Unter diesen Umständen ist es leicht möglich, die Verkäuferhaftung aus dem Vorwurf unterbliebener Aufklärung über den Mangel zu begründen. Durch eine Arbeit Lewin Goldschmidts aus dem Jahre 1874 rückte aber der im Handelsrecht bedeutendere Gattungskauf ins Zentrum der Überlegungen.1017 Bei diesem lässt sich die Mängelhaftung nicht mehr aus einer Verantwortung für unterbliebene Aufklärung bei Vertragsschluss rechtfertigen: Denn bei Vertragsschluss steht die erst später zu konkretisierende Kaufsache noch gar nicht fest (arg. e § 243 Abs. 2). Deshalb hat sich die moderne Sachmängelhaftung systematisch von der Dogmatik einer Aufklärungspflichtverletzung wegbewegt (Ausnahme: §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2). Dennoch blieb für die Fälle der Stückschuld die alternative Begründungsmöglichkeit einer Verkäuferverantwortung aus Aufklärungspflichtverletzung erhalten: Sie mündet heute in der Frage, wann und in welchem Umfang der Anspruch aus culpa in contrahendo, §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 241 Abs. 2 (c.i.c.) neben die Sachmängelhaftung aus § 437 treten kann.1018 Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Nach hM. kommt eine Haftung aus c.i.c. bei fahrlässiger Falschaufklärung über Mängel nicht in Betracht; Verantwortung begründet nur die vorsätzliche Begehungsweise (Rn. 467). In diesem Zusammenhang leistet der Mangelbegriff des § 434 eine zentrale systematische Abgrenzung: Denn klärt der Verkäufer den Käufer über einen Mangel nicht richtig auf, ist die c.i.c. bei fahrlässiger Begehungsweise seitens des Verkäufers durch § 437 ausgeschlossen. Betrifft die Aufklärungspflichtverletzung hingegen keinen Mangel, ist der Weg zur c.i.c. eröffnet.1019 Daraus folgt eine weitere Unterscheidung: Liegt ein Mangel vor, hat der Käufer gegenüber dem Verkäufer einen Anspruch, im Wege der Sekundäransprüche so gestellt zu werden, als sei der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden (positives Interesse im weitesten Sinne). Liegt kein Mangel vor, eröffnet ihm die c.i.c. einen Anspruch darauf, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, als sei der 1014 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 168. 1015 Ernst, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung,

114 (1997) 272, 300f.; ders. ZEuP 1999, 583, 590ff.; vgl. auch Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber, 2006, S. 73, 75. 1016 Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 176. 1017 Goldschmidt ZHR 19 (1874) 98ff.; dazu Altmeppen/Reichard, in: FS U. Huber, 2006, S. 73, 78; vgl. auch die zentrale Entscheidung RGZ 86, 90 – Kawamatta-Sendai. 1018 Dazu und zur Konkurrenz mit den §§ 119ff.: Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 137ff. 1019 Besonders deutlich Ostendorf JZ 2011, 822f.

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Vertrag nie geschlossen worden (negatives Interesse). Bestehen daher im Einzelfall Zweifel, ob ein Mangel vorliegt oder nicht, kann in der Bestimmung der geeigneten Rechtsfolge ein wichtiges Argument für oder gegen die Annahme eines Mangels liegen. Dies veranschaulicht folgender Fall1020 (vgl. bereits Rn. 96): (Court of Appeal London vom 22.2.2004 = ZEuP 2006, 889 – House of Horrors) V verkauft dem K ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück für 500.000 €, verschweigt dabei jedoch, weil er es nicht für bedeutsam hält, dass in dem Haus vor vielen Jahren ein besonders grausam ausgeführter Mord begangen worden war. Denn sämtliche äußere Spuren der Tat sind restlos beseitigt. Nachdem K von dem Mord erfahren hat, erklärt er die Minderung und fordert 50.000 € vom bereits gezahlten Kaufpreis zurück. Dies entspräche dem geminderten Wiederverkaufswert. Der Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 Satz 1, 346 Abs. 1 setzt einen Mangel der Kaufsache voraus.

Die Voraussetzungen eines Sachmangels sind hier deshalb nicht leicht zu klären, weil die mögliche Abweichung von der Sollbeschaffenheit nicht in den physikalischen Gegebenheiten der Kaufsache wurzelt, sondern nur in ihrem schlechten Ruf, dem zudem auch etwas Irrationales anhaftet. Wie an anderer Stelle ausgeführt, stellt ein möglicherweise geminderter Wiederverkaufswert als solcher noch keinen Mangel dar, wenn der Weiterverkauf nicht geschuldet war (Rn. 96). Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob es zur Normalbeschaffenheit eines Hauses gehört, dass dieses keine belastende Vorgeschichte aufweist. Denn sofort müsste die Frage beantwortet werden, welcher Grad der Empfindlichkeit auf der Käuferseite vom Verkäufer jeweils zu berücksichtigen ist. Die damit verbundenen überaus subjektiven, teilweise auch irrationalen Momente sprechen eher dafür, dass dem Verkäufer weniger die Nichteinhaltung von Qualitätsstandards (Normalbeschaffenheit) vorgeworfen werden kann, als eher der Umstand, dass er dem Käufer kein freies Entscheidungsrecht über das Zustandekommen des Vertrages eingeräumt hat. Man wird in Fällen dieser Art klar unterscheiden können: Der Käufer hat zweifellos ein Recht, selbst vor Vertragsschluss darüber zu entscheiden, ob er ein solches Haus erwerben will oder nicht. Diese Möglichkeit hat ihm der Verkäufer durch sein Schweigen genommen. Dann muss dem Käufer die verpasste Möglichkeit, sich gegen den Vertrag zu entscheiden, nachträglich im Wege des Schadensersatzes eingeräumt werden. Dies spricht für einen Anspruch aus c.i.c. und damit gegen die Annahme eines Mangels. K kann also vorliegend nicht mindern, sondern nur nach c.i.c. den gesamten Kaufpreis (dazu Rn. 476) im Wege des Schadensersatzes Zug um Zug gegen Rückauflassung des Grundstücks verlangen.1021

1020 Auf diesen macht Stöber ZEuP 2006, 891ff. aufmerksam; dort zugleich auch eine einge-

hende rechtsvergleichende Analyse. 1021 AA. Stöber ZEuP 2006, 891, 899f.

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Über das Verhältnis von c.i.c. und Gewährleistungshaftung im Fall vorsätzlicher Aufklärungspflichtverletzung äußert sich der BGH ganz grundsätzlich in der sog. Asbest-Entscheidung (vgl. auch Rn. 443):

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(BGH 27.3.2009 – V ZR 30/08 = BGHZ 180, 205 = NJW 2009, 2120 – Asbest)1022 V verkauft K durch notariell beurkundeten Vertrag ein Hausgrundstück unter Ausschluss der Gewährleistung. Er erwähnt dabei nicht, dass in die Fassade Asbestplatten eingelassen sind. Als K von diesem Umstand erfährt, verlangt er den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückauflassung des Grundstücks zurück. Dem Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 könnte ein Haftungsausschluss iSd. § 444 entgegenstehen. Die Norm setzt allerdings voraus, dass V den Mangel nicht arglistig verschwiegen hat. Der Vorwurf arglistigen Verschweigens kann wiederum nur erhoben werden, wenn V eine Aufklärungspflicht verletzt hat.

Aufklärungspflichten des Verkäufers gegenüber dem Käufer entstehen im Kaufrecht wegen des Interessengegensatzes der Parteien nur ausnahmsweise, und zwar unter zwei Voraussetzungen (ausführlich Rn. 443): Der aufzuklärende Umstand muss aus Sicht des Käufers so schwer wiegen, dass eine Vertragsvereitelung droht; gleichzeitig muss der Käufer nach der Verkehrssitte eine Aufklärung durch den Verkäufer erwarten dürfen. Dies ist der Fall, wenn der Verkäufer erkennt, dass der Käufer sich nicht selbst schützen kann, weil er nicht aus eigener Kraft in der Lage ist, den Mangel zu entdecken. Vorliegend bejaht der BGH die erforderliche Schwere, weil der Käufer konkreten Gesundheitsgefahren ausgesetzt ist, wenn er am erworbenen Haus Fassadenbohrungen für das Anbringen von Außenlampen und einer Überdachung vornimmt (Tz. 9f.). Vom Verkäufer aber darf er nach der Verkehrssitte Aufklärung erwarten, weil die in die Fassade eingelassenen Platten für ihn nicht zu erkennen sind. Der Haftungsausschluss war vorliegend also nicht wirksam vereinbart. Die Voraussetzungen des Anspruchs liegen im Übrigen wohl vor, da K dem V angesichts der arglistigen Täuschung insbesondere keine Frist zur Nacherfüllung setzen musste (Rn. 255).

Gleichzeitig bejaht der BGH auch einen Anspruch aus c.i.c. (Tz. 17ff.). Zwar sei dieser grundsätzlich durch das Kaufrecht verdrängt, wenn sich die vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzung auf ein Beschaffenheitsmerkmal der Kaufsache beziehe (Tz. 19). Allerdings legt das Gericht überzeugend dar, dass sich im Vorsatzfall die Voraussetzungen der Haftung aus § 437 in allen kritischen Punkten denjenigen aus c.i.c. anpassen (Tz. 24): (1) Denn der Verkäufer kann sich in diesem Fall nicht mehr auf die Haftungsausschlussgründe nach §§ 444, 442 Abs. 1 Satz 2 berufen, weil diese bei vorsätzlichem Handeln nicht anwendbar sind. Folglich besteht hier nicht die Gefahr einer Normumgehung über die c.i.c. (2) Die Verjährung beider Ansprüche ist in diesem Fall nach § 438 Abs. 3 Satz 1 gleichgeschaltet.

1022 Vgl. jetzt auch BGH NJW 2013, 1671, Tz. 21ff. (Fall unter Rn. 99).

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(3) Das Erfordernis einer Nachfristsetzung nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 kann nicht umgangen werden, da der Käufer bei vorsätzlicher Täuschung durch den Verkäufer keine Nachfrist setzen muss (vgl. dazu Rn. 255). Man wird hier Folgendes ergänzen müssen: Ein Wertungswiderspruch droht zunächst auch im Hinblick auf § 284. Im Rahmen der Mängelhaftung kann der Käufer – anders als auf der Grundlage der c.i.c. – sein negatives Interesse nicht vollständig liquidieren, sondern nur die Aufwendungen, die er billigerweise im Vertrauen auf den Erhalt der Sache getätigt hat.1023 Die strengere Haftung erscheint jedoch in dieser Hinsicht aufgrund der vorsätzlichen Begehungsweise des Verkäufers gerechtfertigt. Ferner müssen Wertungswidersprüche zum Rücktrittsrecht vermieden werden. Denn die c.i.c. stellt aus Käufersicht eine Alternative zu den §§ 346ff. dar. Dann müssen deren auf Verkäuferschutz gerichtete Institute entsprechende Anwendung finden. Dies erfolgt praktisch über den Vorteilsausgleich (Rn. 475). Die Kritik meldet grundsätzliche Bedenken an einer freien Konkurrenz der c.i.c. mit dem Mängelgewährleistungsrecht an, weil in den Fällen der Falschauskunft des Verkäufers über einen Mangel schon tatbestandlich keine Verletzung einer Informationspflicht vorliege. Denn das Gesetz schütze die Rechte des Käufers in anderer Weise als durch Begründung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.1024 Der BGH fasst das Verhältnis von Gewährleistungshaftung und c.i.c. jedoch nicht als Tatbestands-, sondern als Konkurrenzproblem auf, wobei im Vorsatzfall das Spezialitätsverhältnis entfällt und die zunächst verdrängte c.i.c. zur Anwendung gelangt.1025 Normen wie § 438 Abs. 3, die das Gewährleistungsrecht bei vorsätzlichem Verhalten des Verkäufers dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht annähern, bestätigen diese Grundannahme. Zu Lasten des Verkäufers greift dabei das Prinzip „fraus omnia corrumpit“:1026 Die vorsätzliche Begehungsweise lässt sämtliche Schutzinstitute zugunsten des Täters entfallen; dazu zählt aber auch der durch ein Konkurrenzverhältnis vermittelte Schutz. Die Kritik wirft schließlich die Frage nach dem praktischen Bedürfnis für einen Anspruch aus c.i.c. im Vorsatzfall auf, da § 437 den Fall der Verkäuferarglist ja bereits erfasse.1027 Der folgende Fall gibt darauf eine Antwort: (BGH 16.12.2009 – VIII ZR 38/09 = NJW 2010, 858 – Fliegender Zwischenhändler) Verbraucher K hat von Händler V einen gebrauchten Audi erworben, der laut Kaufvertrag einen Kilometerstand von 201.000 km aufweisen sollte. Im Kfz-Brief sind der ursprüngliche Halter des Fahrzeugs sowie V eingetragen. V verschwieg dem K jedoch, dass er das Fahr1023 Dazu und zum Folgenden: Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 240; BeckOGK/Höpfner § 437 Rn. 30ff. 1024 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 226ff.; kritisch auch Köster Jura 2005, 145, 147; Maier-Reimer, in: Eckert/Delbrücker, Reform des deutschen Schuldrechts, 2003, S. 61, 92; Mertens AcP 203 (2003) 818, 830; G. Müller, in: FS Hadding, 2004, S. 199, 215f. 1025 Ausführlich dazu etwa Mertens AcP 203 (2003) 818, 822f. 1026 Ähnlich Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 240. 1027 H. Roth JZ 2009, 1174, 1175.

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zeug nicht direkt vom eingetragenen Halter, sondern von einem im Kfz-Brief nicht eingetragenen Zwischenhändler (sog. „fliegender Zwischenhändler“) erworben hatte. Später stellt sich heraus, dass das Fahrzeug bereits eine Laufleistung von 340.000 km erbracht hatte. K verlangt von V den gezahlten Kaufpreis zurück und Ersatz der zwischenzeitlich erbrachten Aufwendungen für die Reparatur des Kfz.

Auf den denkbaren Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 geht der BGH nicht weiter ein. Denn dies hätte vorausgesetzt, dass der Nichterwerb von einem sog. „fliegenden Zwischenhändler“ Gegenstand einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 gewesen wäre oder der Normalbeschaffenheit nach § 434 Abs. 1 Satz 2 entsprochen hätte. Diese Fragen lässt das Gericht offen, weil der Verkäufer seine Aufklärungspflicht gegenüber dem Käufer vorsätzlich verletzt habe (Tz. 21), und bejaht deshalb unmittelbar einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 wegen vorsätzlicher Verletzung einer Aufklärungspflicht. Denn beim Erwerb von einem solchen Zwischenhändler liege regelmäßig der Verdacht nahe, dass es zu Manipulationen des Kilometerzählers oder einer sonstigen unsachgemäßen Behandlung gekommen sei (Tz. 16).1028 Die Ursächlichkeit der unterlassenen Aufklärung für den Kaufvertragsschluss durch den Käufer wird hier übrigens – wie stets in den Fällen der Verletzung einer Aufklärungspflicht – nach der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens im Zweifel bejaht (Tz. 18; zur zugrunde liegenden Lehre Rn. 1300f.). Die praktische Bedeutung der Haftung aus c.i.c. liegt also in Fällen wie dem vorliegenden gerade darin, dass sich mit ihrer Hilfe Schwierigkeiten bei der Konkretisierung des Mangelbegriffs umgehen lassen. Dies erscheint zunächst paradox, weil der für die Haftung aus c.i.c. erforderliche Nachweis vorsätzlichen Handelns der Gegenseite üblicherweise zu den größten prozessualen Herausforderungen zählt. Dies trifft allerdings nicht auf alle kaufvertraglichen Konstellationen zu (vgl. bereits Rn. 446f.): Denn belastet der Mangel den Käufer in seinen Folgen nur ausreichend schwer, entsteht eine Aufklärungspflicht des Verkäufers, wenn der Käufer den Mangel nicht selbst erkennen kann (Rn. 443). Lässt sich dann aber aufgrund von Erfahrungssätzen annehmen oder – wie hier – direkt erkennen, dass dem Verkäufer der Umstand bekannt gewesen sein musste, ist der Vorwurf arglistiger Täuschung vglw. leicht begründbar. In einem Fall wie dem vorliegenden erübrigt sich dadurch die Klärung so problematischer Fragen wie derjenigen, ob schon der Verdacht eines Mangels diesem gleichzustellen ist (Rn. 98) und wie dieser Umstand etwa auf der Grundlage des § 441 Abs. 3 kapitalisiert werden kann. Nach den Grundsätzen der Asbest-Entscheidung scheidet die Haftung aus c.i.c. jedoch dann aus, wenn der Verkäufer bei Vertragsschluss den Käufer in fahrlässiger Weise falsch über einen späteren Mangel aufgeklärt hat.1029 Kon1028 Dazu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. 2802. 1029 BGH NJW 2009, 2120, Tz. 19; vgl. ebenfalls BGH NJW 2010, 858, Tz. 20; BGH NJW-RR

2011, 462, Tz. 16.

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sequenterweise bedeutet dies jedoch, dass die c.i.c. überall dort anwendbar ist, wo der Verkäufer im Stadium der Vertragsverhandlungen über einen Umstand täuscht, der nach Gefahrübergang nicht zum Mangel werden kann: (BGH 12.3.2008 – VIII ZR 253/05 = NJW 2008, 1517) V verkauft K ein Gebrauchtfahrzeug. Im Kaufvertrag heißt es „Unfallschäden lt. Vorbesitzer Nein“. Später stellt sich heraus, dass das Kfz doch einen Unfallschaden hatte, V aber den Vorbesitzer nicht richtig verstanden hatte. Kann K vom Vertrag zurücktreten? Dies setzt nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 einen Mangel des Kfz iSd. § 434 voraus. Dieser könnte auf der Abweichung der Istbeschaffenheit des Kfz von einer zwischen den Parteien getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung beruhen. Dies setzt wiederum voraus, dass ein objektiver Beobachter in der Position des K die Formulierung „Unfallschäden lt. Vorbesitzer Nein“ als Antrag auf Vereinbarung einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 verstehen darf.

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Der BGH verneint den Rechtsbindungswillen des Verkäufers, weil dieser auf die Auskunft eines Dritten verweist und nicht selbst zu einem möglichen Unfallschaden Stellung bezieht. Deshalb handele es sich um eine bloße Wissenserklärung und keine Willenserklärung (Tz. 13). Dieses Auslegungsergebnis erscheint zunächst bedenklich (dazu bereits Rn. 108),1030 weil der Verkäufer mit der Aussage des Vorbesitzers für sein eigenes Angebot wirbt und durch einen Disclaimer wie „lt. Vorbesitzer“ nur allzu leicht die eigene Verantwortung ausschließen könnte. Kann der Verkäufer nichts über die Unfallfreiheit sagen, muss er schweigen, darf aber nicht mit dieser werben! Folgt man indes der Auffassung des BGH, wird der Weg frei für einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, wenn der Verkäufer die Angaben des Vorbesitzers nicht richtig und vollständig wiedergegeben hat (Tz. 16). Der Käufer hat dann einen Anspruch, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, als sei der Vertrag nie zustande gekommen. Die Entscheidungsgründe zeigen eindrucksvoll, wie sehr die Praxis den Anspruch aus c.i.c. gelegentlich dem Gewährleistungsrecht vorzieht. Das Recht des Unternehmenskaufs liefert dafür ein weiteres Beispiel (Rn. 105). Besondere Bedeutung entfaltet die Arglisthaftung auf der Grundlage der c.i.c. vor allem auch beim Grundstückskauf.1031 Weil beim Verkauf eines nicht mehr neu bebauten Grundstücks regelmäßig die Gewährleistungsrechte vollständig ausgeschlossen werden können (Rn. 435), kommt eine Haftung nur dann in Betracht, wenn der Gewährleistungsausschluss wegen eines arglistigen Verschweigens durch den Verkäufer keine Wirksamkeit entfaltet (§ 444 zweiter Halbsatz erste Alternative). Eigentlich wäre damit der Weg zu § 437 frei, doch bevorzugt die Praxis auch hier die Liquidierung einschlägiger Schäden über die c.i.c.:

1030 Zu Recht kritisch Faust JZ 2007, 101, 102; vgl. auch die Entscheidung BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839. 1031 U. Huber AcP 209 (2009) 143, 161; aus Sicht der Praxis Redeker NJW 2012, 2471ff.

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(BGH 11.11.2011 – V ZR 245/10 = NJW 2012, 846; vgl. auch den Fall unter Rn. 147) V hat K ein Grundstück mit einer Fläche von 739 m2 durch notariell beurkundeten Vertrag verkauft, in dem die Gewährleistungsrechte ausgeschlossen wurden. Bei den vertraglichen Vorverhandlungen hatte K das Grundstück des V näher besichtigt. Der Vorgarten des Grundstücks ist durch einen Zaun umrundet, der zT. auf dem Nachbargrundstück steht; insbesondere das Gartentor befindet sich daher nicht auf dem verkauften Grundstück. V wies darauf nicht hin. Allerdings überließ er K neben einer Reihe von Finanzierungsunterlagen auch einen Aktenordner mit weiteren Unterlagen, ua. einem Lageplan, in dem auf die richtigen Grundstücksgrenzen aufmerksam gemacht wurde. Als K nach Vertragsschluss das Problem erkennt, verlangt er den Kaufpreis zurück, Zug um Zug gegen Rückauflassung des Grundstücks. Hier käme zunächst ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 in Betracht, wenn der Haftungsausschluss aus § 444 infolge arglistigen Verschweigens eines Mangels durch V keine Wirksamkeit entfalten würde. In ständiger Rechtsprechung verneint der BGH jedoch, dass die abweichende Grundstücksgröße einen Sachmangel darstellt (Tz. 9; problematisch, dazu Rn. 481). Folgt man dem, ist neben der c.i.c. auch der Weg zu §§ 313 Abs. 3 Satz 1, 346 Abs. 1 eröffnet (Rn. 480ff.). Der BGH geht in Vorsatzfällen jedoch regelmäßig von einem Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) aus, der hier infolge einer arglistigen Täuschung durch V begründet sein kann.

Das Gericht bejaht zunächst die beiden Voraussetzungen für das Entstehen einer Aufklärungspflicht (Tz. 6; Rn. 443): Die fehlenden Grundstücksteile bedeuteten zunächst eine erhebliche Abweichung von den Vorstellungen des Käufers im Hinblick auf die Kaufsache. Dieser erscheint vor allem deshalb besonders schutzwürdig, weil gerade der Verkäufer bei ihm falsche Vorstellungen geweckt hat: Durch die Einfriedung des Gartens musste beim Käufer die Erwartung entstehen, der ganze Garten sei mitverkauft. Der Fall erinnert an die aus dem Darlehensrecht bekannte besondere Gefährdung der Vertragsgegenseite durch den Aufklärungspflichtigen (Rn. 677). Fraglich ist nur, ob der Verkäufer durch Überlassung der Informationen „im Aktenordner“ seiner Aufklärungspflicht Genüge getan hat. Dies verneint der BGH (Tz. 7): Durch Überlassung von Unterlagen erfüllt der Verkäufer seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn er berechtigterweise davon ausgehen darf, dass der Käufer sie im Hinblick auf sein Interesse an der Beschaffenheit und nicht nur aus allgemeinem Informationsinteresse gründlich durchlesen wird. Dies ist hier aber nicht der Fall, weil der Käufer keinen Anlass hat, den Aktenordner sorgfältig zu studieren. Dieses Urteil fügt sich in eine Reihe neuerer Entscheidungen, die dem Aufklärungspflichtigen die Möglichkeit verwehren, seine Pflichten durch Übergabe komplexer Prospekte oder durch Überlassung umfangreicher schriftlicher Unterlagen zu erfüllen (vgl. Rn. 444; aber auch Rn. 1312). Diese Tendenz überzeugt. Denn so wird verhindert, dass der Aufklärungspflichtige der Gegenseite Vertragsinhalte durch Überlassung umfassender Schriftsätze in den Fällen unterschieben kann, in denen er aufgrund der Lebenserfahrung sicher davon ausgehen darf, dass die Gegenseite sie aufgrund persönlicher Überforderung nicht genau studieren wird. Andernfalls verkehrte sich die Wirkung umfangreicher Prospekte in ihr Gegenteil: Sie richteten sich gegen den Aufklä-

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rungsberechtigten. Genügt es nämlich, Gegenstände der Aufklärungspflicht unter einer Vielzahl nichtssagender Informationen zu verstecken, verliert dieser nicht nur seine Ansprüche aus c.i.c., sondern hat uU. auch im Rahmen des § 442 Abs. 1 Satz 2 beim Haftungsausschluss wegen grob fahrlässiger Unkenntnis das Nachsehen. Eine Parallele zum Rechtsgedanken des § 307 Abs. 1 Satz 2 (Transparenzgebot) liegt in solchen Fällen nahe!1032 Die c.i.c. ist nach Auffassung des BGH hier anwendbar, weil die Grundstücksgröße keinen Mangel darstellt (Tz. 17; Rn. 481). Unproblematisch ist es zunächst nicht, dass das Gericht im Gegensatz zur Vorinstanz den Verkäufervorsatz bejaht (Tz. 10). Denn die missglückte Aufklärung durch Überlassung des Aktenordners könnte auch als bewusste Fahrlässigkeit einzuordnen sein. Der BGH argumentiert jedoch so (Tz. 10): Für einen bedingten Vorsatz spreche, dass der Verkäufer nicht davon ausgehen durfte, dass ein normaler Käufer durch die Überlassung des Aktenordners aufgeklärt worden wäre. Dies überzeugt: Der Unterschied zwischen bewusster Fahrlässigkeit und Vorsatz liegt nämlich in der Inkaufnahme des Schadenseintritts bei der Gegenseite im Vorsatzfall. Der Verkäufer hat vorliegend aber keinen ernstzunehmenden Versuch unternommen, dem Käufer die Möglichkeit zu eröffnen, den auf ihn zukommenden Schaden abzuwenden. Er hat diesen also in Kauf genommen. Praktisch gewährt der Anspruch aus c.i.c dem Käufer eine alternative Möglichkeit zur Rückabwicklung des Kaufvertrags: Denn der Käufer wird im Wege des Schadensersatzes so gestellt, als wäre der Kaufvertrag nicht geschlossen worden. Das Prinzip der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 hat dabei allerdings nur zur Folge, dass der Käufer seine eigene Leistung (Kaufpreis) zurückerhält. Eine Pflicht zur Rückgewähr der Gegenleistung (Kaufsache) entsteht auf diese Weise nicht. Die Gegenansprüche werden jedoch nach einer im Schrifttum vertretenen und überzeugenden Auffassung über das Prinzip der Vorteilsausgleichung berücksichtigt.1033 Dies entspricht der Vorgehensweise der Rechtsprechung im Fall des § 284 (Rn. 411). Danach stellen die Gegenleistung selbst und ihre Nutzungsmöglichkeit Vorteile dar, die der Käufer allein aufgrund des schädigenden Ereignisses empfangen hat, so dass der erforderliche innere Zusammenhang zwischen Vor- und Nachteilen besteht.1034 Die Art des Vorteilsausgleichs muss sich dabei in systematischer Anlehnung an die §§ 346ff. vollziehen, wenn Wertungswidersprüche vermieden werden sollen. Denn die c.i.c. darf nur deshalb neben das Gewährleistungsrecht treten, weil sie dessen Schutzprinzipien nicht unterläuft (Rn. 468). Dies wäre aber dann der Fall, wenn der in §§ 346ff. verbürgte Verkäuferschutz über die c.i.c. umgangen werden könnte. Ansprüche des Verkäufers auf Nutzungsersatz entfallen deshalb nicht schon dann, wenn dieser vorsätzlich ge1032 Weiterführend dazu Stöhr AcP 216 (2016) 558, der auch empirische Erkenntnisse, etwa

sprachwissenschaftliche Einsichten, berücksichtigen will: S. 571ff. 1033 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 231. 1034 Thiele AcP 167 (1967) 193ff.

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handelt hat. Denn auch im Rahmen des § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 kommt es auf ein Verkäuferverschulden nicht an! Deshalb muss der aus c.i.c. vorgehende Käufer nicht nur die Kaufsache zurückgewähren, sondern etwa auch Wertersatz nach §§ 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 347 Abs. 1 analog im Wege des Vorteilsausgleichs leisten. Schließlich modelliert die Praxis auch die Rechtsfolgen einer „Minderung“ über die c.i.c. nach. Dabei werden jedoch die Systemgrenzen zT. gesprengt: (OLG München 26.7.2006 – 7 U 2128/06 = OLGR München 2007, 198) V hat K alle Gesellschaftsanteile an einem Unternehmensträger verkauft. Bei den Verhandlungen gehen beide von einem bestimmten Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT = earnings before interest and taxes) für das laufende Jahr aus. K ermittelt diesen selbst, bemerkt aber nicht, dass er den Wert zu hoch ansetzt, weil er die Rechnungsabgrenzungsposten nicht richtig bildet. Deshalb erweist sich der an V gezahlte Kaufpreis als um 2 Mio. € zu hoch. Nachdem K auf den Fehler aufmerksam geworden ist, verlangt er diese Summe zurück. Ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4, 346 Abs. 1 kommt mangels Sachmangels nicht in Betracht, wenn man der hier vertretenen Auffassung folgt, dass Angaben zur aktuellen Gewinnsituation nicht unter § 434 Abs. 1 Satz 1 fallen (Rn. 104f.). Denkbar ist jedoch ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.). Im Stadium der Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1) hat V wohl eine Aufklärungspflicht mindestens fahrlässig verletzt: Mit der Rechnungslegung seines eigenen Unternehmens vertraut, hätte er erkennen können, dass K hier ein für die Wertbestimmung der Kaufsache erheblicher Fehler unterlaufen war, gegenüber dem er sich nicht schützen konnte, weil er mit den Kennzahlen nicht in gleicher Weise vertraut war wie V.

Das zentrale Problem dieser Fälle liegt indes in der haftungsbegründenden Kausalität.1035 Verlangt der Käufer nämlich im Wege der c.i.c., so gestellt zu werden, als sei der Vertrag insgesamt nicht zustande gekommen, muss er beweisen, dass er bei zutreffender Aufklärung tatsächlich nicht mit dem Verkäufer kontrahiert hätte. Hier hilft die Rechtsprechung regelmäßig mit der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (Rn. 470, 1300f.): Sie geht von dem Erfahrungssatz aus, dass der Käufer sich auf eine zutreffende Aufklärung durch den Verkäufer hin vollständig vom Geschäft distanziert hätte. Vorliegend aber nimmt der Käufer nicht insgesamt vom Vertrag Abstand, sondern nur von der Höhe der vereinbarten Gegenleistung, soweit diese nämlich den Wert der Kaufsache übersteigt. Deshalb muss der Käufer beweisen, dass der Kaufvertrag bei pflichtgemäßer Aufklärung durch den Verkäufer auch zu einem niedrigeren Kaufpreis abgeschlossen worden wäre. In manchen Konstellationen bereitet dies keine Mühe, etwa wenn der Verkäufer selbst die Leistung auch zu dem geforderten niedrigeren Kaufpreis anbietet (Beispiel: Rn. 811). Vorliegend setzt eine „Minderung“ jedoch voraus, dass sich nicht nur der Käufer, sondern auch der Verkäufer auf einen anderen Kaufpreis eingelassen hätte. Der BGH ver-

1035 Dazu und zum Folgenden: Kersting JZ 2008, 714, 716ff.; ders., Die Dritthaftung für Infor-

mationen im Bürgerlichen Recht, 2007, S. 345ff. sowie zuvor Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 174f.

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zichtet gelegentlich auf diesen Nachweis mit der Begründung, dieser sei ohnehin kaum zu führen.1036 Gegen diese Art von „Beweiserleichterung“ sprechen jedoch grundsätzliche Bedenken aus der Dogmatik des Schadens- und Beweisrechts.1037 Diese führen zur Frage nach dem Haftungsgrund der c.i.c.: Die c.i.c. beruht nach einer Auffassung auf dem Schutz der Privatautonomie, weshalb der Berechtigte bei Verletzung einer Aufklärungspflicht nur durch völlige Aufhebung der vertraglichen Bindung im Wege des Schadensersatzes geschützt werden könne.1038 Der BGH jedoch folgt einer von Stoll1039 entwickelten Überlegung, nach der die c.i.c. aus den enttäuschten Leistungserwartungen des Käufers heraus begründet ist. Im reduzierten Kaufpreis drückt sich für den BGH daher die nur teilweise Enttäuschung der berechtigten Käufererwartungen aus.1040 Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform die Leistungserwartungen des Käufers über § 437 schützt und nicht über die c.i.c (Rn. 465). Bei der c.i.c kann es daher nur um den Schutz vor ungewollter vertraglicher Bindung gehen, nicht aber um einen Interessenausgleich bei Lieferung einer mangelhaften Kaufsache. Über das Quasi-Minderungsrecht wird dem Käufer zudem auf der Grundlage der c.i.c. ein Anspruch auf das positive Interesse eröffnet: Denn er kann einerseits am Vertrag festhalten und andererseits Schadenspositionen liquidieren, die wegen der nicht vertragsgemäßen Erfüllung entstanden sind. Dies zeigt sich an der Art der Schadensberechnung, die sich nach dem älteren Schrifttum an der Minderung orientiert1041 und damit dem Schadensersatzanspruch aus § 281 Abs. 1 Satz 1 entspricht. Der Ersatz des positiven Interesses hingegen widerspricht den teleologischen Strukturen der c.i.c. zwar nicht vollständig, sondern kommt etwa in den Fällen der grundlosen Aufkündigung von Vertragsverhandlungen in Betracht. Er darf indes nicht in Verbindung mit der vorliegenden „Beweiserleichterung“ zum Regelfall werden. b) Anfechtungstatbestände

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Die Anfechtungstatbestände des § 119 Abs. 1 werden durch das Kaufrecht nicht verdrängt, weil beide Institute auf ganz unterschiedlichen Schutzzwecken und damit Sachvoraussetzungen beruhen. Anders liegt der Fall des § 119 Abs. 2, soweit es um einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Kauf1036 BGH NJW 1989, 1793, 1794f.; BGHZ 114, 87 = NJW 1991, 1819, 1820. 1037 Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 201ff.; Kersting, Die Dritthaftung

für Informationen im Bürgerlichen Recht, 2007, S. 345ff.; ders. JZ 2008, 714, 717. 1038 Kersting JZ 2008, 714, 717. 1039 Stoll, in: FS Riesenfeld, 1983, S. 275, 281, 284f.; ders. JZ 1999, 95f.; kritisch dazu: Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 70; S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 73. 1040 BGH NJW 2006, 3139, 3141. 1041 Canaris AcP 200 (2000) 273, 316ff.; Prölls ZIP 1981, 337, 346; Stoll, in: FS Riesenfeld, 1983, S. 275, 285; aA. Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 194ff. Die Gegenauffassung tendiert zur Anwendung des § 251: Kersting JZ 2008, 714, 719f.; Medicus, in: FS Lange, 1992, S. 539, 555; Mertens ZGS 2004, 67, 70f.

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sache geht. Dieser Tatbestand wird regelmäßig, soweit es um das Anfechtungsrecht des Käufers geht, durch die §§ 434ff. verdrängt, weil der Käufer sich andernfalls auch noch bei grob fahrlässiger Unkenntnis vom Mangel und entgegen § 442 Abs. 1 Satz 2 vom Vertrag lösen und das Nachfristsetzungserfordernis des § 323 Abs. 1 über die Leistungskondiktion umgehen könnte. Hinzu tritt die gegenüber § 438 Abs. 1 Nr. 3 längere Verjährung eines Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion), der regelmäßig infolge Anfechtung entsteht (§ 142 Abs. 1).1042 Die Gegenansicht stellt auf den fehlenden Anreiz des Käufers zur Anfechtung ab. Durch die Nacherfüllung und die Institute des § 437 sei er nämlich regelmäßig besser geschützt als durch die Anfechtung.1043 Gerade in den erwähnten kritischen Fällen, also etwa bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers vom Mangel (§ 442 Abs. 1 Satz 2), überzeugt dieses Argument jedoch nicht; denn hier besteht gerade ein umgekehrter Anreiz zur Ausübung des Anfechtungsrechts. So bleibt es bei dem Grundsatz, dass die sachlichen Schranken der Mängelgewährleistung nicht im Wege der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 übergangen werden dürfen. Fraglich ist ferner, ab welchem Zeitpunkt der Ausschluss greift. Nach hM. wird § 119 Abs. 2 spätestens im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§§ 446f.) durch die §§ 434ff. verdrängt. Umstritten ist, ob eine Verdrängung auch vor diesem Zeitpunkt, nämlich bereits ab Vertragsschluss, in Betracht kommt. Vor Gefahrübergang finden die §§ 434ff. regelmäßig keine Anwendung, so dass sich das Konkurrenzproblem vermeintlich nicht stellen kann. Praktisch geht es jedoch um Fälle, in denen ein unbehebbarer „Mangel“ iSd. § 323 Abs. 4 aus Sicht eines objektiven Beobachers in der Position des Käufers offensichtlich ist (Rn. 195, 382). In diesen Fällen kann das Nacherfüllungserfordernis nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 nur umgangen werden, wenn der Mangel überhaupt behebbar ist. Deswegen beschränken manche Autoren die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 nur bei Behebbarkeit des Mangels.1044 Allerdings stellt § 442 Abs. 1 Satz 2 im Anschluss an Satz 1 für die grob fahrlässige Unkenntnis vom Mangel auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Diese Norm könnte also durch eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 auch vor Gefahrübergang umgangen werden. Dieser Gesichtspunkt sowie das Interesse an einem Gleichlauf der Verjährungsfristen spricht für eine Verdrängung des § 119 Abs. 2 durch die §§ 434ff. im Kaufrecht schlechthin: Mit Abschluss eines Kaufvertrags ist § 119 Abs. 2 daher im Hinblick auf Irrtümer über verkehrswesentliche Eigenschaften der Kaufsache ausgeschlossen.1045 Bei Irrtümern über die Person des Verkäufers, die ebenfalls § 119 Abs. 2 unterfallen, 1042 Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 241; Medicus/Petersen BR Rn. 142; vgl. im Übrigen BeckOGK/Höpfner § 437 Rn. 12ff.; MünchKomm/Armbrüster § 119 Rn. 29ff. mwN.; ähnlich, wenngleich im Falle der möglichen Nacherfüllung einschränkend Schur AcP 204 (2004) 883ff. 1043 Bamberger/Roth/Faust § 437 Rn. 182 (= BeckOK); P. Huber, in: FS Hadding, 2005, S. 105, 108ff. 1044 MünchKomm/Westermann § 437 Rn. 53. 1045 Flume, AT – Das Rechtsgeschäft, S. 485; MünchKomm/Armbrüster § 119 Rn. 32; Reinicke/Tiedtke Rn. 799; offenlassend Medicus/Petersen BR Rn. 143.

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dürfte es hingegen darauf ankommen, ob diese zu einem Mangel nach § 434 führen; dann ist die Anfechtung ausgeschlossen. Ist dies nicht der Fall, kommt auch hier eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 in Betracht. Umstritten ist, ob eine Anfechtung des Kaufvertrags durch den Verkäufer auf der Grundlage des § 119 Abs. 2 in Betracht kommt. Dies wird zu Recht bejaht, wenn der Verkäufer dadurch keine Sachmängelhaftungsrechte des Käufers vereitelt.1046 Das Problem, ob darüber hinaus eine Anfechtung möglich ist, führt zu den Grundlagen des § 119 Abs. 2 und dort zu der Frage, ob § 119 Abs. 2 einen Sachverhaltsoder einen Motivirrtum betrifft.1047 Wieder anders liegt der Fall der arglistigen Täuschung nach § 123. Hier tritt die Anfechtung neben das Gewährleistungsrecht.1048 Denn den Betrüger schützt das Konkurrenzverhältnis von § 437 zum Anfechtungsrecht nicht. Hier gilt vielmehr das Prinzip „fraus omnia corrumpit“1049, der Betrug lässt alle Schutzvorkehrungen zugunsten der Betrüger entfallen (Rn. 470). Dafür spricht – wie im Falle der vorsätzlich begangenen c.i.c. (Rn. 468) –, dass keine Wertungswidersprüche zwischen Kaufrecht und allgemeinem Leistungsstörungsrecht drohen, weil die Rechtsfolgen einander angenähert sind: Die Verjährung folgt nun § 438 Abs. 3, das Nachfristsetzungserfordernis ist entbehrlich (Rn. 255ff.) und § 442 Abs. 1 Satz 2 greift hier nicht (vgl. den Normwortlaut). c) Wegfall der Geschäftsgrundlage

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Ein Mangel der Kaufsache kommt regelmäßig nicht als Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 in Betracht. Denn dazu zählen nach § 313 Abs. 1 nur Umstände, die nicht einseitig in den Risikobereich einer der beiden Vertragsparteien fallen. Nach der kaufvertraglichen Risikoverteilung trägt der Verkäufer die Nachteile eines Mangels aber bis zum Verjährungseintritt allein (vgl. § 437). Das Institut kann aber dort eine Rolle spielen, wo die Parteien über einen Umstand streiten, der nicht unter den Mangelbegriff des § 434 subsumiert werden kann: (BGH 30.9.2011 – V ZR 17/11 = BGHZ 191, 139 = NJW 2012, 373) Die Gemeinde G und der Privatmann P vereinbaren durch notariell beurkundeten Vertrag den Tausch zweier Grundstücke. Das Grundstück der Gemeinde hat dabei eine Fläche von 28.699 m2. Die von P verkaufte Grundstücksfläche ist noch nicht katastermäßig vermessen und wird mit „ca. 28.699 m2“ verkauft. Sie ist auf einem dem Kaufvertrag beigefügten, privat erstellten Plan eingezeichnet. Beide Parteien schließen im Vertrag die Gewährleistung, insbesondere 1046 BGH NJW 1988, 2597 – Leibl/Duveneck. 1047 Korth, Minderung beim Kauf, 2010, S. 124ff.; vgl. ferner die Arbeiten von Harke, Irrtum

über wesentliche Eigenschaften, 2003; Schermaier, Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB, 2000. 1048 BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839, Tz. 8ff.; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 242; BeckOGK/ Höpfner § 437 Rn. 28ff.; kritisch Petersen Rn. 94; vgl. auch Mertens AcP 203 (2003) 818, 845f. mit Nachweis zum alten Recht; zustimmend ua.: S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997, S. 336f.; Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung aus culpa in contrahendo, 1999, S. 29ff. 1049 Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 12.

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für die Grundstücksgröße, aus. Nachträglich stellt sich heraus, dass das Grundstück des P nur eine Fläche von 18.632 m2 hat. Deshalb fordert G den P zur Anpassung des Vertrages auf. Als P dies ablehnt, tritt G vom Vertrag zurück und verlangt ihr Grundstück zurück. In Betracht kommt ein Anspruch der G gegen P aus § 313 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 346 Abs. 1 auf Rückgewähr des Grundstücks. Der Anspruch setzt zunächst eine wirksame vertragliche Einigung voraus, woran man wegen fehlender Bestimmtheit des Vertragsgegenstandes zweifeln könnte. Der BGH bejaht indes eine wirksame Einigung trotz der fehlenden Vermessung und der fehlerhaften Angabe „ca. 28.699 m2“ (Tz. 9f.). Weichen nämlich die Einzeichnung der Fläche und die Bezifferung ihrer Größe voneinander ab, wird das Grundstück durch die Einzeichnung bestimmt (Tz. 9). Der BGH sieht aber § 313 Abs. 1 als anwendbar an, auch wenn er die Voraussetzungen eines Rücktritts nach Abs. 3 Satz 1 der Norm nicht unmittelbar bejaht, sondern zunächst noch von einer Verhandlungspflicht der Parteien ausgeht (Tz. 22ff.).

Zunächst stellt das Gericht fest, dass § 313 ausgeschlossen ist, wenn es um mangelbedingte Leistungsstörungen geht, weil sonst eine Umgehung der §§ 437ff. droht (Tz. 12). Die zu geringe Grundstücksgröße stelle jedoch keinen Mangel dar, da sich der Wille der Beteiligten allein auf das eingezeichnete Grundstück, nicht aber auf ein Grundstück mit einer Fläche von 28.699 m2 bezogen habe (Tz. 13).1050 Die zugrunde liegende Überlegung beruht jedoch auf einer Rechtsprechung, die vor der Schuldrechtsreform erging.1051 Danach konnten Quantitätsmängel im bürgerlichen Recht nicht ohne weiteres als Mangel liquidiert werden, sondern stellten einen Fall der Nichterfüllung dar, weil schlicht zu wenig (oder zu viel) geliefert worden war. Es überzeugt indes nicht, dass das Gericht diese Rechtsprechung nicht am Maßstab des § 434 Abs. 3 überprüft: Die Norm soll ja gerade Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Nicht- und Zuweniglieferung vermeiden und ist nach hM. vor allem im Fall der verdeckten Minuslieferung anwendbar (Rn. 238), die hier vorliegt. Nach neuem Recht verfängt die Unterscheidung zwischen einem zu kleinen und einem mangelhaften Grundstück daher nicht mehr. Dafür spricht auch ein systematischer Vergleich mit dem Recht der Wohnraummiete. Denn dort stellen negative Flächenabweichungen bei der vermieteten Wohnung sehr wohl einen Sachmangel dar (Rn. 847). Sieht man von dieser Kritik für die weiteren Überlegungen ab und verneint einen Mangel, stellt sich die Frage, warum das Gericht den Käufer nicht aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) haften lässt, da diese ja bei fahrlässiger Verletzung einer Aufklärungspflicht anwendbar ist, wenn nur der Gegenstand der Aufklärung keinen Mangel darstellt (Rn. 472). Die Antwort dürfte vorliegend darin liegen, dass beide Tauschpartner gleichermaßen von der Größenabweichung überrascht wurden und dem Mangel gleichermaßen nah oder fern standen. Die Konstellation erinnert daher eher an den Fall des gemeinsamen Motivirrtums nach § 313 Abs. 2, bei dem die isolierte Anfechtung nach § 119 Abs. 2 wegen der Zufallsergebnisse im Be1050 Vgl. auch BGH NJW 2012, 846, Tz. 9; zustimmend Teichmann JZ 2012, 421. 1051 BGH NJW-RR 2004, 735.

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§ 2 Der Kaufvertrag

reich der Haftung nach § 122 Abs. 2 ausgeschlossen ist.1052 Hinzu tritt ein weiterer Punkt: Der BGH verpflichtet die Tauschpartner zu Neuverhandlungen über das Tauschverhältnis und mögliche Ausgleichsleistungen, bevor der Rücktritt nach § 313 Abs. 3 Satz 1 in Betracht kommt. In § 313 Abs. 1 und 3 ist aber ein Stufenverhältnis zwischen Vertragsanpassung und Vertragsauflösung angelegt.1053 Fraglich ist nur, ob daraus echte Neuverhandlungspflichten zwischen den Parteien abgeleitet werden können.1054 So sehr die Annahme einschlägiger Pflichten in eine von Mediation und vorgerichtlicher Klärung bestimmte rechtspolitische Diskussion passt, so wenig lässt sich der rechtliche Inhalt dieser Pflichten präzisieren.1055 Beispiel G muss mit P im vorliegenden Fall neu verhandeln. P bietet als Ausgleichszahlung 200 € an. V hält dies für eine Unverschämtheit und tritt nun zurück. Haben beide ihre Neuverhandlungspflicht erfüllt?

Das Ergebnis der Verhandlungen muss – der Natur dieser „Pflichten“ entsprechend – zunächst offen sein. Wenn sich wie im Beispiel die Frage stellt, ob eine Seite ihre Pflicht erfüllt, dh. wirklich zur Sache verhandelt, oder eine Verhandlung nur vorgespiegelt hat, müsste aber eigentlich auf inhaltliche Kriterien zurückgegriffen werden. Regelmäßig stellt sich dann die Frage, worin genau ein ernstzunehmendes Verhandlungsangebot liegt. Aus einer Norm wie § 307 Abs. 3 geht jedoch hervor, dass die von den Parteien ausgehandelten bzw. auszuhandelnden Hauptleistungspflichten keiner Inhaltskontrolle unterliegen können, weil sonst Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung (Wettbewerbsfreiheit, subjektive Preis- und Wertbildung usw.) infrage gestellt würden. Weil daher keine normativen Kriterien für die Erfüllung von Neuverhandlungspflichten bestehen, erscheint deren normativer Charakter selbst zweifelhaft. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat jedenfalls bewusst auf die Einführung solcher Pflichten verzichtet.1056 Eine Beratungs- und Verhandlungspflicht der Bank als Darlehensgeberin findet sich jetzt allerdings in § 504a Abs. 2, wenn einem Verbraucher über längere Zeit ein Überziehungskredit in erheblichem Umfang gewährt wurde; auch dort sind die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung nicht eindeutig (Rn. 652a). Schließlich sehen die neu geschaffenen §§ 650bf. eine Verhandlungspflicht und eine begleitende Beratungspflicht vor, wenn der Besteller im Bauvertrag eine Vertragsänderung verlangt. Die Verletzung der Pflicht kann in diesem Fall mittels Anordnung nach § 650b Abs. 2 1052 Teichmann JZ 2012, 421. 1053 Kritisch zu diesem und für einen Direktanspruch auf Rückgewähr aus §§ 313 Abs. 3, 346

Abs. 1: Loyal AcP 214 (2014) 746, 784ff. 1054 Horn, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I, 1981,

S. 551, 640ff.; ders. AcP 181 (1981) 255, 283f.; Lüttringhaus AcP 213 (2013) 266, 295ff.; Nelle, Neuverhandlungspflichten, 1994. 1055 Zur grundlegenden Kritik: Martinek AcP 189 (1998) 329ff.; Thole JZ 2014, 443, 446f. und vorliegend Teichmann JZ 2012, 421, 422ff. 1056 Dazu Teichmann JZ 2012, 421, 422.

C. Rechte des Verkäufers

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durchgesetzt werden (Rn. 1132). Diese Unterschiede zeigen, dass eine endgültige Systematisierung des Rechts der Vertragsanpassung noch nicht gelungen ist.1057 Weil der BGH auch hier von einer Neuverhandlungspflicht ausgeht, wendet er zunächst § 323 Abs. 2 Nr. 1 nicht auf § 313 an: Denn vorliegend hatte der Tauschpartner ja eine Anpassung des Vertrages gegenüber der Gemeinde verweigert. Der BGH erkennt in § 313 Abs. 1 jedoch eine Spezialregelung, auf die das Rücktrittsrecht nicht passe (Tz. 26). Die fehlende Kooperationsbereitschaft der anderen Seite führe daher nur dann zum Rücktrittsrecht aus § 313 Abs. 3 Satz 1, wenn das Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar sei und auf den Berechtigten in diesem Fall weitere Nachteile zukämen (Tz. 24).1058 Zur Rückabwicklung kommt es aber im vorliegenden Fall aus anderen Gründen: Weil die Gemeinde keinen Eventualantrag gestellt hat, sondern eindeutig vom Vertrag zurücktreten wolle, sei sie mit der Rückabwicklung einverstanden, was den Vertrag dann in ein Rückabwicklungsverhältnis nach § 313 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 346 Abs. 1 übergehen lasse (Tz. 27).

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C. Rechte des Verkäufers I. Der Kaufpreisanspruch 1. Überblick

Mit Abschluss des Kaufvertrages erwirbt der Verkäufer gegen den Käufer einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2). Dem Käufer steht gegen diesen Anspruch nicht die Einwendung der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 zu, weil er selbst über kein Geld verfügt. Unter der Geltung des § 279 BGB aF. hatte die Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass für Geld – eine unbegrenzt vorhandene Gattung – die Einwendung der Unmöglichkeit nicht greifen könne.1 Der sozialdemokratische Reformgesetzgeber scheute sich indes, den Satz „Geld hat man zu haben“ ausdrücklich in das Gesetz zu schreiben, so dass die entsprechende Regelung jetzt in § 276 Abs. 1 im Rahmen der Übernahme des Beschaffungsrisikos zu finden ist.2 Dies erscheint systematisch nicht überzeugend, da es in erster Linie um eine im Rahmen des § 275 Abs. 1 oder 2 angesiedelte Frage geht und nicht darum, ob auf der Grundlage der Unmöglichkeit ein Verschuldensvorwurf erhoben oder eine Garantiepflicht aktiviert werden kann. Das Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung (vgl. bereits mit praktischem Fall Rn. 354) ergibt sich allerdings ganz grundsätzlich aus der Existenz der Zwangsvollstreckung und des Insolvenzverfahrens: Beide Verfah-

1 057 Dazu A. Schneider, Vertragsanpassung im bipolaren Dauerschuldverhältnis, 2016, S. 353ff. 1058 Im Anschluss an BGH NJW 1969, 233, 234. 1 RGZ 140, 14; BGHZ 7, 346, 354. 2 Canaris JZ 2001, 499, 518f.

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§ 2 Der Kaufvertrag

ren kämen nie zustande, wenn der Schuldner sich gegenüber Zahlungsforderungen mit den Gegenrechten aus § 275 Abs. 1 und 2 verteidigen könnte.3 2. Preisgefahr a) § 326 Abs. 1 Satz 1 485

Wird die Leistung des Verkäufers unmöglich (§ 275 Abs. 1 und 2, Rn. 61ff.), geht nach § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz der Anspruch auf die Gegenleistung unter. Eine teleologische Reduktion der Norm wird im Schrifttum teilweise für den vorliegenden Fall erwogen: V tauscht den ihm gehörenden 7-jährigen Trakehner-Wallach (Wert: 20.000 €) gegen das 6jährige Morgan Horse des K (Wert: 25.000 €). Das Morgan Horse des K wird jedoch vor Durchführung des Tauschs von Unbekannten entwendet, weil K es schlecht beaufsichtigt hat. Nun ist es nicht mehr auffindbar. V verlangt von K daher Zahlung von 25.000 €, Zug um Zug gegen Übereignung seines Trakehner-Wallachs.

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Der Tauschberechtigte berechnet hier den Schadensersatz nach der Surrogationstheorie (Rn. 362), indem er die eigene Leistung weiterhin anbietet und anstelle der Gegenleistung Ersatz in Geld verlangt (Anspruchsgrundlage: §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1, 480). Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist dies allerdings nicht möglich: Denn der Tauschberechtigte werde nach § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz von der Gegenleistung frei, weil beim Tauschverpflichteten Unmöglichkeit eingetreten sei. Um dem Tauschberechtigten dennoch die Vorteile des ursprünglichen Tauschgeschäftes zu erhalten, soll § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz bei einem Vertretenmüssen des Tauschverpflichteten teleologisch reduziert werden, damit eine Schadensberechnung nach der Surrogationstheorie möglich bleibt.4 Vorzugswürdig erscheint indes die Gegenauffassung, nach der § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz einer Schadensberechnung nach der Surrogationstheorie nicht entgegensteht. Die Norm regelt allein die Preisgefahr und damit den Untergang der Primärleistungspflicht, nicht aber die Art der Schadensberechnung. Denn auch wenn der Schadensersatzberechtigte nach § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz frei wird, steht ihm doch weiterhin im Rahmen der Berechnung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs die Möglichkeit zu, die eigene Leistung freiwillig im Wege des Schadensersatzes zu erbringen.5 Eine Ausnahme gegenüber der Regel des § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz bilden die §§ 446f. Sie bürden dem Käufer die Preisgefahr auf, also das Risiko, zur Zahlung des Kaufpreises auch dann verpflichtet zu sein, wenn die Leistung des Verkäufers unmöglich geworden ist und keine der beiden Vertragsseiten diesen Umstand zu vertreten hat. BGHZ 107, 92, 102; Canaris JZ 2001, 499, 519. MünchKomm/Ernst § 326 Rn. 14; ihm folgend Schmidt-Recla ZGS 2007, 181, 184. Staudinger/Schwarze § 326 Rn. B 35ff. im Anschluss an Faust, in: Huber/Faust, § 3 Rn. 206; Kaiser NJW 2001, 2425, 2428; ähnlich Arnold ZGS 2003, 427, 431. 3 4 5

C. Rechte des Verkäufers

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b) § 446

Nach § 446 Satz 1 geht die Preisgefahr mit der Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Die Norm wurde bereits im Zusammenhang mit der Bedeutung des Gefahrübergangs für den Mangelbegriff behandelt (Rn. 80ff.). Hier genügt deshalb folgender Hinweis: Übergabe bedeutet Verschaffung des unmittelbaren Besitzes (§ 854 Abs. 1) an der Kaufsache, nicht die Übereignung. Zugrunde liegt die Überlegung, dass der Käufer ab Besitzerlangung die Kaufsache gebrauchen und nutzen kann; auch stehen nun ihm und nicht mehr dem Verkäufer alle Einwirkungsmöglichkeiten offen. Im Regelfall des § 433 Abs. 1 Satz 1 schuldet der Verkäufer deshalb grundsätzlich auch die Verschaffung unmittelbaren Besitzes und nicht nur die Einräumung eines Besitzkonstituts nach § 930 (Rn. 63). Hervorhebung verdient ferner, dass die Lieferung einer irreparabel mangelhaften Sache nicht die Rechtsfolgen einer Teilunmöglichkeit auslösen kann.

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K hat von V einen Gebrauchtwagen für 7.500 € gekauft. Dieser weist einen Unfallschaden auf (damit verbundene Werteinbuße: 500 €).

Im Gemeinen Recht wurde die Lieferung einer unter irreparablen Mängeln leidenden Kaufsache der Teilunmöglichkeit gleichgesetzt.6 Nach § 326 Abs. 1 Satz 2 geht der Gegenleistungsanspruch im Falle der Schlechtleistung jedoch nicht einfach nach § 326 Abs. 1 Satz 1 unter, wenn dem Schuldner (Verkäufer) die Nacherfüllung unmöglich ist. Denn dann bliebe der Anspruch auf den Kaufpreis teilweise erhalten, soweit gerade nicht Teilunmöglichkeit eingetreten ist. § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz wirkte dann nämlich wie eine Minderung kraft Gesetzes. Dies hat der Gesetzgeber bewusst vermeiden wollen, weil die Minderung als Gestaltungsrecht geregelt ist (§§ 437 Nr. 2; 634 Nr. 3), das neben andere Ansprüche und Rechte des Käufers tritt.7 Die Preisgefahr geht nach § 446 Satz 3 auch bei Annahmeverzug auf den Käufer über (im Einzelnen bereits Rn. 85ff.). Dieser tritt unter den Voraussetzungen der §§ 293ff. ein. In engem Zusammenhang damit steht das Zurückweisungsrecht des Käufers, also das Recht des Käufers, die Annahme der mangelhaften Sache abzulehnen. Liegen dessen Voraussetzungen vor, gerät der Käufer nicht in Annahmeverzug, wenn er die Entgegennahme der Kaufsache verweigert (Rn. 85ff.).

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c) § 447 aa) Überblick

Nach § 447 Abs. 1 geht die Preisgefahr auf den Käufer über, wenn der Verkäufer die verkaufte Sache auf sein Verlangen hin nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort versendet. Der Gefahrübergang tritt dabei in dem Zeitpunkt ein, in Ernst, in: FS U. Huber, 2006, S. 165, 170f. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 189; S. Lorenz JZ 2001, 742, 743; daran anschließend DaunerLieb, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 2 Rn. 23.

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§ 2 Der Kaufvertrag

dem der Verkäufer die Sache dem Spediteur, dem Frachtführer oder der sonst zur Ausführung der Versendung bestimmten Person oder Anstalt ausgeliefert hat. Die Norm regelt die Verteilung der Preisgefahr bei Versendungskäufen. Es sind dies regelmäßig Fälle der Schickschuld, bei denen der Ort der letzten Leistungshandlung (= Absenden) beim Verkäufer liegt, der Ort, an dem die Erfüllungswirkung (= Übereignung) eintreten soll, hingegen beim Käufer. Eine neuere Ansicht versteht Gefahrtragungsnormen wie § 447 Abs. 1 als verschuldensunabhängige Schadensersatznormen.8 Damit lässt sich die Abweichung der Rechtsfolge des § 447 von der des § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz systematisch erklären, nicht jedoch, dass der Verkäufer gegenüber dem Käufer keine Ansprüche auf entgangenen Gewinn (§ 252) oder Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2) geltend machen kann, wenn ihm Schäden dieser Art ausnahmsweise durch den Transportunfall entstehen sollten.

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Entsprechend ihrem Charakter als Gefahrtragungsregel findet die Norm nur Anwendung, wenn der Untergang oder die Verschlechterung der Kaufsache von keiner Seite zu vertreten ist. Hat daher der Verkäufer den Untergang der Kaufsache zu vertreten, bleibt es bei der Regel des § 326 Abs. 1 Satz 1. Bei einem Vertretenmüssen des Käufers aber muss die Norm erst recht Anwendung finden: Denn trägt der Käufer die Preisgefahr nach § 447 Abs. 1 bei schuldlosem Handeln, ist ihm dieselbe Rechtsfolge zuzumuten, wenn er den Eintritt der tatsächlichen Voraussetzungen der Norm zu vertreten hat. Die Norm ist mit einer Ausnahme (§ 475 Abs. 2) nicht auf Verbrauchsgüterkäufe (§ 474 Abs. 1; zu den Gründen Rn. 419a) anwendbar. Ganz grundsätzlich zieht die Rechtsfolge des § 447 Abs. 1 eine weitreichende, aber konsequente Folgerung aus der Parteivereinbarung: Einigen sich beide Seiten auf eine Schickschuld, so endet die Verantwortlichkeit des Verkäufers mit dem Versenden der Kaufsache. Der Transport und seine Folgen fallen also nicht mehr in seinen Verantwortungsbereich.9 Fraglich ist, ob § 475 Abs. 2 beim Verbrauchsgüterkauf abbedungen werden kann. Für diese Möglichkeit spricht, dass das Freizeichnungsverbot (§ 476 Abs. 1 Satz 1) in der systematischen Ordnung der Vorschriften auf § 475 Abs. 2 folgt und dass die VerbrGüterKRiL hier keine Vorgaben macht. Der BGH lässt sich davon jedoch zu Recht nicht leiten: Denn nach dem Wortlaut des § 476 Abs. 1 Satz 1 sind Vorschriften „dieses Untertitels“ nicht abdingbar.10 Nach einer im Schrifttum verbreiteten Auffassung fällt allerdings der Versandhandel nicht unter § 447 Abs. 1. Hierfür werden ganz unterschiedliche Gründe genannt: So versende hier der Verkäufer die Ware nicht an einen anderen als den „üblichen“ Ort; auch erfolge die Versendung nicht auf Verlangen des Käufers.11 M. F. Müller JZ 2016, 1099, 1101. MünchKomm/Westermann § 447 Rn. 2. BGH NJW 2003, 3341; BGH NJW 2014, 454; Haas, in: Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/ Wendtland, Kap. 5 Rn. 452; aA.: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. XXXIV; MünchKomm/Lorenz § 474 Rn. 44. 11 OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 957, 958; Borges DB 2004, 1815, 1816; Brüggemeier WM 2002, 1376, 1386; Medicus/Petersen BR Rn. 275; aA. etwa Erman/Grunewald § 447 Rn. 4. 8 9 10

C. Rechte des Verkäufers

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Der BGH geht indes zu Recht von der Anwendbarkeit des § 447 Abs. 1 auch auf den Versandhandel aus.12 Ausschlaggebend dürfte sein, dass der Gesetzgeber in § 475 Abs. 2 eine bestimmte Art der Verteilung der Preisgefahr im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs ausnehmen wollte, nicht aber eine Geschäftsbranche. Deswegen kommt es weniger auf den Wortlaut des § 447 Abs. 1 an, als auf die der Schickschuld eigene, besondere Gefahrenlage. bb) Betroffene Risiken

Fraglich ist ferner, welche Risiken § 447 Abs. 1 unterfallen:

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Zoohändler K bestellt beim Importeur V einen exotischen Kaiserfisch (Pomacanthus Imperator). Das Tier geht auf dem Transport an Altersschwäche ein.

Nach einer Auffassung betrifft § 447 Abs. 1 nur spezifische Transportrisiken.13 Weil der Käufer die Versendung verlangt habe, müsse er genau die Gefahren tragen, die entstanden wären, wenn er die Kaufsache am Ort des Verkäufers abgeholt hätte. Die Gegenauffassung argumentiert zunächst mit dem Wortlaut des § 447 Abs. 1, der eine solche Einschränkung nicht kennt.14 Hinzu tritt die Funktion des § 447 Abs. 1, die Preisgefahr zwischen den Parteien so zu verteilen, wie es der Interessenlage bei der Schickschuld entspricht. Für diese zweite Auffassung spricht der systematische Bezug zu § 446: Danach ist § 447 Abs. 1 keine Norm des Transportrechts, sondern eine allgemeine Risikoverteilungsnorm.15 Dies spricht dafür, dass in ihr nicht nur spezifische Transportrisiken verteilt werden. Die Versendung muss an einen anderen Ort als den Erfüllungsort erfolgen. Die Norm folgt der Verteilung von Leistungs- und Erfüllungsort bei der Stückschuld. Der Ort der letzten Leistungshandlung (= das Versenden) liegt hier beim Verkäufer, der Ort, an dem die Erfüllung eintreten soll (= Übereignung), beim Käufer. Gemessen an diesem Regelungsanliegen ist der Wortlaut des Tatbestandsmerkmals „Erfüllungsort“ in § 447 Abs. 1 nicht zutreffend gewählt (besser: Leistungsort). Von größerer Bedeutung erscheint, dass mit dem Versenden noch keine Erfüllung iSd. § 362 Abs. 1 eintritt. Denn diese setzt nach § 433 Abs. 1 Satz 1 Eigentumsverschaffung, dh. Einigung und Übergabe, voraus. Die Willenserklärung des Versenders nach § 929 Satz 1 wird dem Empfänger aber häufig erst durch die Transportperson als Bote übermittelt; auch erfolgt die Übergabe erst am Ort des Käufers. Fraglich ist, ob § 447 Abs. 1 anwendbar ist, wenn der Verkäufer die Kaufsache nicht selbst versendet, sondern in den Liefervorgang eine Geheißperson einschaltet.

12 BGH NJW 2003, 3341; ähnlich S. Lorenz ZGS 2003, 421, 422; Mankowski EWiR 2003, 351, 352; BeckOGK/Tröger § 447 Rn. 10. 13 RGZ 93, 330; Fischer, Probleme des Versendungskaufs, 1963, S. 23; MünchKomm/Westermann § 447 Rn 19f. 14 Larenz II/1 § 42 IIc. 15 Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 408; Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 26.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Internethändler V verkauft K eine Waschmaschine, die an die Adresse des K versendet werden soll. V bezieht diese bei L, der sie vom Ort seiner Niederlassung aus, der vom Ort des V verschieden ist, direkt an K versendet. Unterwegs wird die Ware ohne Vertretenmüssen des V oder L zerstört. Fraglich ist, ob § 447 Abs. 1 hier anwendbar ist.

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Die Behandlung dieser Fälle ist umstritten. Bei Versendung von einem anderen Ort als dem Leistungsort soll § 447 Abs. 1 nach einer Auffassung keine Anwendung finden, wenn der Käufer nicht damit einverstanden ist.16 Gegen die Maßgeblichkeit dieses Kriteriums spricht jedoch, dass der mit den Gegebenheiten des Fernabsatzhandels vertraute Kunde in vielen Fällen mit der Einschaltung eines weiteren Subunternehmers einverstanden ist, weil er nicht damit rechnet, dass der Verkäufer sämtliche Waren selbst bevorratet. Die überzeugendere Gegenansicht stellt deshalb für die Anwendbarkeit der Norm darauf ab, ob mit der Art der Versendung eine Risikoerhöhung für den Käufer verbunden ist und ob sich diese gerade im eingetretenen Schaden verwirklicht.17 Lässt sich dies – wie vorliegend – verneinen, findet § 447 Abs. 1 Anwendung. Fraglich ist weiter, ob § 447 Abs. 1 auch Anwendung findet, wenn die Versendung innerhalb derselben politischen Gemeinde erfolgt (sog. Platzgeschäft). Dies bejaht die hM. überzeugend mit der Begründung, dass das Tatbestandsmerkmal „Ort“ ohnehin nur die konkrete Stelle bezeichnen kann, an der die Ware übergeben werden soll. Entscheidend kommt es nur darauf an, dass überhaupt eine Versendung stattfindet.18 Die Gegenansicht, nach der die Norm nur auf den Distanzkauf zugeschnitten sei,19 vermag nicht zu überzeugen: Innerhalb einer Großstadt können größere und unfallträchtigere Distanzen zu überwinden sein als im ländlichen Bereich zwischen zwei benachbarten Gemeinden. Umstritten ist schließlich, ob § 447 Abs. 1 auch Anwendung findet, wenn der Verkäufer in Abweichung von der zuvor getroffenen Vereinbarung selbst oder eine von ihm eingeschaltete Hilfsperson die Sache zum Käufer transportiert. Zunächst kann sich in diesen Fällen die Frage einer Haftung nach § 447 Abs. 2 stellen: Die Unternehmer V und K hatten vereinbart, dass V die Sache mit dem Paketdienst P übersenden soll. Kurzfristig bittet V seinen Angestellten A jedoch, die Kaufsache bei K vorbeizubringen. A wird dabei in einen allein durch D verschuldeten Straßenverkehrsunfall verwickelt, bei dem die Sache untergeht. K geht jetzt nach § 447 Abs. 2 gegen V mit der Begründung vor, dass die Kaufsache nicht zerstört worden wäre, wenn V sie vereinbarungsgemäß mit P versandt hätte.

RGZ 111, 23, 25; BGH NJW 1965, 1324; BGH WM 1978, 978; Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 15; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 395. 17 Grunewald § 7 Rn. 45; Soergel/Huber, 12. Aufl. 1991, § 447 Rn. 20; Wertenbruch JuS 2003, 625, 627; BeckOGK/Tröger § 446 Rn. 26. 18 Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 6; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 394; Medicus/Petersen BR Rn. 275; MünchKomm/Westermann § 447 Rn. 7. 19 Soergel/Huber, 12. Aufl. 1991, § 447 Rn. 24. 16

C. Rechte des Verkäufers

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Bei § 447 Abs. 2 handelt es sich um eine Anspruchsgrundlage, die ein Vertretenmüssen voraussetzt.20 In Fällen der vorliegenden Art muss jedoch im Anschluss an die Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056) die Frage gestellt werden, ob sich die Pflichtwidrigkeit des Verkäufers gerade in dem eingetretenen Schaden ausgewirkt hat. Dies ist wiederum zu verneinen, wenn der jeweilige Angestellte den Untergang nicht zu vertreten hat. Zwar wäre es ohne den konkreten Transport durch diesen Angestellten nicht zur Begegnung mit dem schuldhaft handelnden Unfallverursacher gekommen. Doch liegt darin nur ein wenig überzeugendes Kausalitätsargument. Eine Pflichtverletzung nach § 447 Abs. 2 kommt nur in Betracht, wenn der eingetretene Schaden in einem Sorgfaltswidrigkeitszusammenhang mit der verletzten Pflicht steht; denn nur dann stellt die Pflichtverletzung einen Sachgrund dar, den Verkäufer für den Schaden haften zu lassen. Dies ist jedoch im Beispiel nicht der Fall: Hier kam es höchstens zur Zerstörung anlässlich einer Pflichtverletzung des Verkäufers, nicht aber zur Beschädigung durch die Pflichtverletzung des Verkäufers. Der Anspruch aus § 447 Abs. 2 besteht daher nicht. § 447 Abs. 2 ist im Übrigen nicht auf Verbrauchsgüterkäufe anwendbar (§ 475 Abs. 3 Satz 2).

Die Anwendbarkeit des § 447 Abs. 1 wird in den Fällen des Eigentransports teilweise mit folgenden Überlegungen verneint:21 Beim Verkäufer handele es sich nicht um die in § 447 Abs. 1 vorausgesetzte selbstständige Transportperson. Die Norm passe auch deshalb nicht, weil die Kaufsache den Gefahrenbereich des Verkäufers noch nicht verlassen habe. Nach zutreffender hM. findet § 447 Abs. 1 dennoch Anwendung, wobei vor allem folgender Sachzusammenhang zu beachten ist:22 § 447 Abs. 1 ist nur anwendbar, wenn die Kaufsache aufgrund eines von keiner Seite zu vertretenden Umstandes, nämlich durch Realisierung einer Gefahr, untergegangen ist. Die Anwendung des § 447 Abs. 1 kommt also nur dort in Betracht, wo sich der Gefahrenbereich des Verkäufers gar nicht auf die Beeinträchtigung der Kaufsache ausgewirkt hat, weil der Verkäufer weder eigenes Verschulden noch ein Verschulden des Erfüllungsgehilfen über § 278 zu vertreten hat. Zwar schuldet der Verkäufer den Transport aufgrund der vertraglichen Vereinbarung nicht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verkäufer den Transport freiwillig übernimmt (arg. e § 269 Abs. 3). Doch ist der Verkäufer bei einem Eigentransport dennoch nach Treu und Glauben verpflichtet, die Sache sorgfältig zu transportieren. Bei einer Schutzpflichtverletzung haftet er daher für eigenes Vertretenmüssen bzw. für das seiner Hilfspersonen

Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 413; teilweise aA. Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 57. Vgl. G. Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf, 1982, S. 81; Medicus/Petersen BR Rn. 275; Wertenbruch JuS 2003, 625, 628. 22 Larenz II/1 § 42 II c; Esser/Weyers § 8 III 3 b; Oetker/Maulzsch § 2 Rn. 403; MünchKomm/ Westermann § 447 Rn. 16; Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 39; Hüffer JuS 1988, 123, 130; Grunewald § 7 Rn. 47; Lorenz/Riehm Rn. 479; Reinicke/Tiedtke Rn. 169. 20 21

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§ 2 Der Kaufvertrag

nach § 278 Satz 1.23 Damit der Käufer schließlich nicht gegenüber der ursprünglich getroffenen Transportvereinbarung benachteiligt wird, muss der Verkäufer in diesem Fall als Transportperson nach §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB ohne Vertretenmüssen haften (Rn. 500). Denn steht dem Empfänger dieser Anspruch bei vertragsgemäßer Versendung über einen Frachtführer zu, darf sich seine Rechtslage nicht verschlechtern, wenn der Verkäufer selbst den Transport entgegen der ursprünglichen Vereinbarung übernimmt. cc) Die Grundkonstellation der Drittschadensliquidation 496

Wird die transportierte Sache zerstört, kann § 447 Abs. 1 eine zufällige Schadensverlagerung bewirken. Denn die Preisgefahr geht nach § 447 Abs. 1 auf den Käufer über, bevor dieser Eigentum erwirbt. Dadurch kommt es zu einer Spaltung zwischen der Eigentümerstellung auf der einen Seite und der Belastung mit der Preisgefahr und den wirtschaftlichen Schäden des Sachuntergangs auf der anderen. V verkauft Unternehmer K eine Schleifmaschine, die durch den Paketdienst P transportiert werden soll. D verschuldet einen Straßenverkehrsunfall, in den das Fahrzeug des P verwickelt wird, wobei die Maschine zerstört wird. Welche Ansprüche bestehen gegenüber D? K kann gegenüber D nicht nach § 7 Abs. 1 StVG oder § 823 Abs. 1 vorgehen, da er noch nicht Eigentümer der Maschine geworden ist. V stehen beide Ansprüche grundsätzlich zu, doch stellt sich die Frage, ob er einen Schaden erlitten hat.

Als Eigentümer der Kaufsache hat der Verkäufer einen Anspruch gegenüber dem Drittschädiger (meist aus §§ 7 Abs. 1 StVG; 823 Abs. 1); nur scheint ihm kein nach der Differenzhypothese berechenbarer Schaden entstanden zu sein: Zwar scheidet das Eigentum aus dem Vermögen des Verkäufers aus. An seine Stelle tritt aber wegen § 447 Abs. 1 der mit dem Käufer vereinbarte Kaufpreisanspruch. Dies entspricht genau den ursprünglichen Plänen des Verkäufers: Dieser wollte das Eigentum an der Kaufsache verlieren und dafür den Kaufpreis seinem Vermögen einverleiben. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung verkürzt diese Darstellung das Problem. Denn der Schaden des Verkäufers sei normativ zu berechnen. Danach könne es den Schädiger nicht entlasten, dass der Verkäufer nach § 447 Abs. 1 den Anspruch auf die Gegenleistung behalte.24 Geht man davon aus, kann der Verkäufer auch in der vorliegenden Konstellation einen normativen Eigenschaden gegenüber dem Drittschädiger geltend machen. Die hM. bejaht indes die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation. Danach kann der Verkäufer den Eigenschaden des Käufers gegenüber dem Dritten wie einen eigenen auf der Grundlage seines An-

Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 406; MünchKomm/Westermann § 447 Rn. 16; aA. Faust DB 1991, 1556, 1559. 24 Hagen JuS 1970, 442; Esser/Schmidt § 34 IV 1.1.; Büdenbender NJW 2000, 986, 989ff.; Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 50f. 23

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spruchs geltend machen.25 Dies überzeugt. Denn die MM. kann dem Umstand nicht Rechnung tragen, dass es hier um den Schaden des Käufers, nicht den des Verkäufers geht. Beispiel im Anschluss an den Ausgangsfall: K entgeht ein Gewinn, weil er einen Auftrag mangels Schleifmaschine nicht wahrnehmen kann. Dieser Schaden (§ 252) wäre im Vermögen des V nie entstanden. Geht man daher von einem normativen Eigenschaden des V aus, den V gegenüber D geltend machen muss, kann der entgangene Gewinn nicht liquidiert werden. Darf V jedoch im Wege der Drittschadensliquidation den Schaden des K gegenüber D geltend machen, muss dieser auch den entgangenen Gewinn ersetzen.

Der Ansatz der MM. wirkt sich auch auf die Folgefrage aus, ob der Schaden des Verkäufers durch die Höhe des Kaufpreisanspruchs begrenzt ist. Bejaht man einen Eigenschaden des Verkäufers, so bildet der Kaufpreis die Höchstgrenze dessen, was dem Verkäufer entgeht, wenn § 447 Abs. 1 keine Anwendung findet.26 Es geht indes in den vorliegenden Fällen nicht um einen Eigenschaden des Verkäufers, sondern um den (Dritt-)Schaden des Käufers. Denn aus Sicht des Schädigers erweist es sich als Zufall, dass der Käufer noch nicht Eigentum erworben hat, den Schaden aber bereits wie ein Eigentümer zu tragen hat. Weil der Schädiger sich sein Opfer nicht aussuchen kann, muss er den Schaden des Käufers tragen, so dass seine Ansprüche nicht durch einen Kaufpreisanspruch gedeckelt sind, auf dessen Begründung er im Übrigen keinen Einfluss hatte und dessen Höhe für ihn zufällig erscheint.27 Tatbestandsvoraussetzung der Drittschadensliquidation ist eine zufällige Schadensverlagerung. Die Schadensverlagerung setzt voraus, dass eine Person einen Anspruch gegen den Schädiger, aber keinen Schaden hat, die andere Person hingegen einen Schaden aber keinen Anspruch. Zufällig ist die Schadensverlagerung, wenn der Rechtsgrund für die Verlagerung nicht die Entlastung des Schädigers bezweckt. Der Zweck der Gefahrtragungsnorm des § 447 Abs. 1 liegt aber nicht in der Entlastung des Schädigers, sondern in der Verteilung der Preisgefahr zwischen Käufer und Verkäufer. Die Lehre von der Drittschadensliquidation ist gerade anhand der vorliegenden Konstellation entwickelt worden.28 Der Gläubiger darf daher nicht – wie es der Regel entspricht – seinen eigenen Schaden geltend machen (Lehre vom Gläubigerinteresse),29 sondern muss den Schaden eines Dritten geltend machen (Lehre vom Drittschadensinteresse). 25 RGZ 62, 331, 334; BGHZ 40, 91, 100; 51, 91, 94f.; von Caemmerer ZHR 127 (1965) 241, 269; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, 1996, S. 83f.; Larenz I § 27 IV b; Medicus/Petersen BR Rn. 838; Oetker JuS 2001, 833, 834; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 412; Reinicke/Tiedtke Rn. 171. 26 Staudinger/Beckmann § 447 Rn. 51; Peters AcP 180 (1980) 329, 336ff. 27 Ähnlich Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 412. 28 RGZ 62, 331, 334; BGHZ 40, 91, 100; 51, 91, 94f.; von Caemmerer ZHR 127 (1965) 241, 269; Büdenbender, Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, 1996, S. 83f. 29 Vgl. nur BGHZ 40, 91, 100; Oetker JuS 2001, 833, 834 mwN.

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V kann daher über seine Ansprüche aus §§ 7 Abs. 1 StVG; 823 Abs. 1 den Schaden des K gegenüber D als eigenen geltend machen. Die so entstehende Forderung kann K wiederum von V nach § 285 Abs. 1 herausverlangen. Denn die Schuld des V aus § 433 Abs. 1 Satz 1 ist nach § 275 Abs. 1 erloschen. An ihre Stelle tritt der Ersatzanspruch. Diesen darf V nicht selbst geltend machen, da er sonst doppelt kompensiert werden würde: Zu seinem Anspruch aus § 433 Abs. 2 träte die Ersatzleistung des Dritten hinzu. Im Ergebnis steht daher K von vornherein ein Anspruch gegen V aus § 285 Abs. 1 iVm. § 7 Abs. 1 StVG bzw. § 823 Abs. 1 und den Grundsätzen über die Drittschadensliquidation zu.

dd) § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB 498

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Tatbestandsvoraussetzung der Drittschadensliquidation ist die zufällige Schadensverlagerung vom Verkäufer auf den Käufer. Von einer Verlagerung kann indes nur die Rede sein, wenn der Käufer gegenüber dem Drittschädiger keinen eigenen Anspruch hat, um seinen Schaden zu liquidieren. Nach § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB kann der Empfänger einer von einem Frachtführer transportierten Ladung aber bei Beschädigung, verspäteter Lieferung oder Verlust des Guts die Ansprüche aus dem Frachtvertrag im eigenen Namen gegen den Frachtführer geltend machen. Es ist umstritten, ob diese Norm bloß eine gesetzliche Prozessstandschaft begründet30 oder einen eigenen Anspruch nach § 425 Abs. 1 HGB.31 Handelte es sich um eine gesetzliche Prozessstandschaft, so stünde dem Empfänger (Käufer) nur das Recht zu, den Anspruch des Auftraggebers (Verkäufers) gegenüber dem Frachtführer im eigenen Namen geltend zu machen. Dann bliebe es bei der Ausgangskonstellation: Ein Anspruch des Auftraggebers würde nämlich die Anwendung der Grundsätze über die Drittschadensliquidation (Geltendmachung des Drittschadens) voraussetzen. Für diese Auslegung spricht zunächst der Wortlaut des § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB, nicht aber der Zweck: Der Frachtvertrag wurde bereits vor seiner Novellierung durch das Transportrechtsreformgesetz als gesetzlicher Fall des Vertrages zugunsten Dritter (§ 328) angesehen.32 An diesem Zustand wollte auch die Transportrechtsnovelle nichts ändern.33 § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB räumt daher dem Empfänger einen eigenen Anspruch nach § 425 HGB ein. Bei § 425 Abs. 1 HGB handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung. Die Norm setzt voraus, dass die Sache in der Zeit von der Übernahme durch den Frachtführer bis zur Ablieferung (oder Überschreitung der Lieferfrist) verloren geht oder beschädigt wird. Dieser Anspruch verdrängt alle übrigen Ansprüche des Käufers (§ 434 HGB), was hinnehmbar erscheint, weil er mit den Ansprüchen aus §§ 7 StVG, 823 Abs. 1 gleichwertig ist. Daraus folgt für die Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation: Soweit dem Käufer ein Anspruch aus §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB zusteht, kommt eine 30 31 32 33

Büdenbender NJW 2000, 986, 988, Fn. 15; Schroiff JuS 2000, 624. Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 31 Rn. 61; Oetker JuS 2001, 833, 836. Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 31 Rn. 60. Oetker JuS 2001, 833, 836.

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allgemeine Drittschadensliquidation wegen einer durch § 447 Abs. 1 bedingten Schadensverlagerung nicht in Betracht. Abwandlung des Ausgangsfalles (Rn. 496): V verkauft dem Unternehmer K eine Schleifmaschine, die durch den Paketdienst P transportiert werden soll. Auf dem Transportweg wird das Fahrzeug des P in einen Straßenverkehrsunfall durch Verschulden eines Unbekannten verwickelt. Dieser entfernt sich unerlaubt vom Unfallort und ist nicht mehr zu ermitteln. Nun geht es um die Ansprüche gegenüber P. K kann hier gegenüber V nach § 285 Abs. 1 Abtretung der Ansprüche des V gegen P aus Vertrag bzw. § 7 Abs. 1 StVG bzw. § 823 Abs. 1 verlangen. Fraglich ist nur, ob diese Ansprüche überhaupt bestehen. Denn problematisch ist abermals, dass V kein Eigenschaden entstanden ist, den beide Normen voraussetzen und den V gegenüber P liquidieren könnte. Eine Liquidation des bei K eingetretenen Drittschadens ist ihm indes nur möglich, wenn eine Schadensverlagerung vorliegt. Zwar hat V hier einen Anspruch gegen P ohne Eigenschaden, doch sieht es bei K anders aus: K hat einen Eigenschaden und einen Anspruch aus §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB. Eine Schadensverlagerung liegt deshalb nicht vor und damit fehlt die entscheidende Voraussetzung einer allgemeinen Drittschadensliquidation.

Allerdings kommt in dieser Konstellation der in § 421 Abs. 1 Satz 3 HGB geregelte gesetzliche Fall der Drittschadensliquidation zum Tragen.34 Nach dieser Norm macht es für die Geltendmachung des Anspruchs aus § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB keinen Unterschied, ob Empfänger oder Absender im eigenen oder fremden Interesse handeln. Die Norm erlaubt dem Absender (Verkäufer) also ausdrücklich, den Schaden des Empfängers (Käufer) im fremden Interesse geltend zu machen. Dies entspricht dem Zweck des § 421 Abs. 1 Satz 3 HGB. Die Norm will den Frachtführer entlasten: Aus seiner Sicht soll es keinen Unterschied machen, ob Verkäufer und Käufer einen Versendungskauf vereinbart haben (dann erleidet der Käufer einen Schaden durch den erfolglosen Transport) oder eine Bringschuld (dann erleidet der Verkäufer einen Schaden). Diese Umstände sind nämlich für den Frachtführer regelmäßig nicht erkennbar. Deshalb sind Verkäufer und Käufer Gesamtgläubiger nach § 428, mit der Wirkung, dass die Leistung an einen von beiden zum Erlöschen der Verbindlichkeit führt (§ 428 Abs. 1 Satz 1).35 Soweit sie Ansprüche gegenüber dem Frachtführer geltend machen, ohne einen eigenen Schaden erlitten zu haben, sind sie durch § 421 Abs. 1 Satz 2 und 3 HGB zur Liquidation des Drittschadens der jeweils anderen Seite legitimiert. K kann daher nach § 285 Abs. 1 von V Herausgabe von dessen Anspruch gegen P aus §§ 421 Abs. 1 Satz 3, 425 HGB verlangen. Dieser Anspruch besteht, weil V den Drittschaden des K im eigenen Namen gegenüber P liquidieren darf.

Der persönliche Anwendungsbereich des § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB ist sehr weit: Er ist nicht auf Ist-Kaufleute nach § 1 Abs. 1 HGB beschränkt, sondern 34 RegE BT-Drucks. 13/8445, S. 55; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 31 Rn. 61; Oetker JuS 2001, 833, 836, 839; aA. Homann JA 1999, 978, 982ff. 35 Zutreffend Oetker JuS 2001, 833, 840; aA. Homann JA 1999, 978, 983.

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erfasst nach § 407 Abs. 3 Satz 2 HGB auch Kleingewerbetreibende. Die Norm stellt allein darauf ab, ob ein gewerbsmäßiger Transport stattfindet.36 Es kommt also nicht darauf an, dass der Transport der Kaufsache zentraler Gegenstand des Gewerbes ist, sondern dass er zur Ausführung eines anderen Handelsgewerbes selbstständig, planmäßig und dauerhaft vorgenommen wird. Fraglich ist deshalb, ob auch der (nicht geschuldete) Transport durch den Verkäufer selbst §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB unterfällt. Teilweise wird eine analoge Anwendung der Norm erwogen:37 Zwischen Käufer und Verkäufer werde zwar neben dem Kaufvertrag kein eigener Transportvertrag geschlossen, andererseits aber nehme der Verkäufer den Transport zur Verfolgung seiner gewerblichen Zwecke im Übrigen vor. Die Gegenmeinung stellt hingegen darauf ab, dass der Verkäufer den Transport gar nicht schulde.38 Entscheidend kommt es jedoch auf folgende Überlegung an: Hatten die Kaufvertragsparteien ursprünglich den Transport durch einen professionellen Frachtführer vereinbart, darf der Käufer durch den Eigentransport des Verkäufers nicht die Ansprüche aus §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB verlieren. Denn dadurch würde sich seine Lage gegenüber der vertraglichen Vereinbarung verschlechtern. Die §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB sind daher in einem solchen Fall anwendbar (vgl. auch Rn. 495). II. Die Abnahmepflicht 501

Den Käufer trifft schließlich die Pflicht, die Kaufsache abzunehmen (§ 433 Abs. 2 zweiter Fall). Ihr Zweck liegt in der Entlastung des Verkäufers von Aufbewahrungs- und Obhutspflichten.39 Die Abnahmepflicht stellt regelmäßig eine Nebenleistungspflicht dar, die kraft vertraglicher Vereinbarung jedoch auch zur Hauptleistungspflicht erhoben werden kann.40 Ein typisches Beispiel dafür liefert der Räumungsverkauf. Dafür spricht, dass es dem Verkäufer bei einem Räumungskauf gerade darum geht, dass seine Lager geleert werden. Durch Gewährung eines Rabatts auf den ursprünglich geforderten Kaufpreis entlohnt der Verkäufer daher den Käufer dafür, dass dieser ihm die Kaufsache abnimmt. Verletzt der Käufer die Abnahmepflicht, drohen Ansprüche wegen zu vertretender Pflichtverletzung und aus Annahmeverzug: K hat im Rahmen eines Räumungsverkaufs bei V ein Fernsehgerät gekauft. Dort lässt er das Gerät zunächst bis zur vereinbarten Abholung am nächsten Tag zurück. K meldet sich allerdings nicht mehr und wird in den nächsten Tagen von V mehrmals vergebens zur Abholung aufgefordert. K erklärt, er habe noch keinen Stellplatz für das Gerät gefunden. Da V sein Geschäft kurze Zeit später endgültig schließt, lagert er das Gerät bei D ein. Dort geht

36 37 38 39 40

Dazu Oetker JuS 2001, 833, 835. Offen lassend Oetker JuS 2001, 833, 836. So auch Oetker JuS 2001, 833, 836. Staudinger/Beckmann § 433 Rn. 213. Vgl. statt vieler Staudinger/Beckmann § 433 Rn. 223.

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es durch leicht fahrlässiges Verhalten des D unter. V verlangt den Kaufpreis und Ersatz der gegenüber D entstandenen Verwahrungskosten. In Betracht kommt zunächst ein Kaufpreisanspruch des V gegen K nach § 433 Abs. 2. Dieser könnte jedoch gem. § 326 Abs. 1 Satz 1 untergegangen sein. Die V treffende Lieferpflicht aus § 433 Abs. 1 Satz 1 (Rn. 63) ist eine Hauptleistungspflicht, bei deren Unmöglichkeit grundsätzlich § 326 Abs. 1 Satz 1 Anwendung findet und der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 433 Abs. 2) untergeht. Ihre Erfüllung ist V mit dem Untergang der Kaufsache nach § 275 Abs. 1 unmöglich geworden, da Konkretisierung nach § 300 Abs. 2 und regelmäßig auch § 243 Abs. 2 eingetreten ist. Deshalb würde K eigentlich nach § 326 Abs. 1 erster Halbsatz von der Pflicht zur Zahlung des Kaufpreises frei. Etwas Anderes könnte sich jedoch aus § 446 Satz 3 ergeben (die Norm ist gegenüber § 326 Abs. 2 Satz 1 spezieller). Voraussetzung ist, dass K in Annahmeverzug geraten ist. Da zwischen den Parteien eine Holschuld vereinbart war (§ 269 Abs. 1), geriet K durch das wörtliche Angebot des V in Annahmeverzug (§ 295 Satz 1). Für das leicht fahrlässige Verhalten des D muss V wegen § 300 Abs. 1 nicht nach § 278 Satz 1 einstehen. Deshalb ist § 446 Satz 3 anwendbar und die Preisgefahr geht auf K über. K schuldet daher weiterhin den Kaufpreis. Die Lagerkosten kann V zunächst nach § 304 verlangen. In Betracht käme jedoch auch ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 iVm. 286 (Verzögerungsschaden). Denn nach § 433 Abs. 2 zweiter Fall ist der Käufer zur Abnahme der Kaufsache verpflichtet. Diese Pflicht war hier kraft vertraglicher Vereinbarung am Folgetag fällig (§ 271 Abs. 2). Die telefonischen Aufforderungen enthielten auch Mahnungen iSd. 286 Abs. 1 Satz 1, wobei K den Verzug zu vertreten hat (§ 276 Abs. 1). Er haftet daher für den durch die Verzögerung entstandenen Schaden.

Auf die Abnahmepflicht finden also die Vorschriften über den Gläubiger- und Schuldnerverzug parallele Anwendung:41 Nimmt der Käufer nicht rechtzeitig ab, verletzt er daher nicht nur eine Obliegenheit iSd. §§ 293ff., sondern auch eine echte Verpflichtung, die den Weg zu Ansprüchen wegen Verzugs eröffnet. Abzulehnen ist schließlich die Auffassung, nach der die Abnahmepflicht die Rechtsgrundlage für den Verkäuferanspruch auf zweite Andienung darstelle (Rn. 217). III. Rückgriffsrechte des Verkäufers gegenüber dem Lieferanten 1. Überblick

Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hatte ursprünglich auf der Grundlage des nationalen Rechts in den §§ 478f. aF (Version 2002). ein System des Rückgriffs zwischen Unternehmern innerhalb einer Lieferkette geschaffen. Zugrunde lag eine Marktordnungsidee:42 Die wirtschaftlichen Folgen der besonders strengen Haftung beim Verbrauchsgüterkauf (§§ 474ff.) sollten innerhalb der Warenwirtschaft nicht von der Einzelhandelsstufe getragen werden, auf der Kaufsachen idR. an Verbraucher veräußert werden. Hatte der Einzelhändler daVgl. nur Staudinger/Beckmann § 433 Rn. 226ff.; MünchKomm/Westermann § 433 Rn. 73. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 247. Vgl. die Vorüberlegungen von H. Roth, in: Ernst/Zimmermann, S. 225, 250f.; Ernst/Gsell ZIP 2000, 1410, 1421f.; H.P. Westermann, in: Schulze/ Schulte-Nölke, S. 109, 138.

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her eine konkrete Sache bereits mangelhaft von seinem Lieferanten bezogen, sollte der Lieferant auch den Schaden tragen, der dem Einzelhändler gerade durch die Ansprüche des Verbrauchers nach §§ 474ff., 437 entstanden war. Dieser Gedanke erfuhr 2017 im Zuge der Aufarbeitung der EuGH-Entscheidung in Sachen „Weber/Putz“ (Rn. 175) eine Weiterung. Zuvor hatte die Entscheidung BGHZ 200, 337 = NJW 2014, 2183 (Rn. 178) für rechtspolitischen Unmut gesorgt, weil infolge des beschränkten Anwendungsbereichs der §§ 478f. aF. (Version 2002) der Einzelhandel die Folgen der erweiterten Nacherfüllungspflicht zu tragen hatte (nunmehr § 439 Abs. 3).43 Deshalb weitete der Gesetzgeber die bisherige Sonderregelung der §§ 478f. aF. zu einem allgemeinen Rückgriffsinstitut innerhalb der Lieferkette nach §§ 445af. aus. Für den Rückgriff kommt es nun nicht mehr darauf an, ob der erste Vertrag in der Kette mit einem Verbraucher geschlossen wurde. Im Mittelpunkt stehen folgende Schutzvorkehrungen für den Verkäufer gegenüber seinem Lieferanten: (1) Muss der Verkäufer die Sache infolge ihrer Mangelhaftigkeit vom Käufer zurücknehmen oder trägt er die Rechtsfolgen einer Minderung, kann er bei seinem Lieferanten Rückgriff nehmen, ohne eine Frist zur Nacherfüllung setzen zu müssen (§ 445a Abs. 2). (2) Die Aufwendungen, die der Verkäufer nach § 439 Abs. 2 und 3 für die Nacherfüllung gegenüber dem Käufer aufbringen muss, kann er vom Lieferanten ersetzt verlangen (§ 445a Abs. 1). (3) Zugunsten des Verkäufers greift die Beweislastumkehr nach § 477, wobei die Sechsmonatsfrist ab Gefahrübergang auf den Verbraucher zu laufen beginnt (§ 478 Abs. 1). (4) Ein Haftungsausschluss zwischen Lieferant und Verkäufer ist nur wirksam, wenn dem Verkäufer ein gleichwertiger Anspruch eingeräumt worden ist (§ 478 Abs. 2). (5) Die Verjährung der Ansprüche des Verkäufers gegen den Lieferanten ist gehemmt: Die Verjährung tritt frühestens zwei Monate nachdem der Verkäufer die Ansprüche des Käufers erfüllt hat ein (§ 445b Abs. 2). Die §§ 445af., 478 finden keine Anwendung auf gebrauchte Sachen; dies mag rechtspolitisch unbefriedigend sein, beruht aber auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, die nicht im Wege der Auslegung korrigiert werden kann.44 Die Abgrenzung zwischen neuen und gebrauchten Sachen entspricht jener in § 474 Abs. 2 Satz 2 (Rn. 441). 2. Die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung (§ 445a Abs. 2) 504

Nach § 445a Abs. 2 kann der Verkäufer unter erleichterten Voraussetzungen auf seinen Lieferanten zurückgreifen. Musste er nämlich die verkaufte und neu hergestellte Sache als Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen, oder hat der 43 44

RegE BR-Drucks. 123/16, S. 1f. Vgl. mwN. die Beiträge von Jacobs JZ 2004, 225 und Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681.

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Käufer den Kaufpreis gemindert, braucht der Verkäufer gegenüber dem Lieferanten keine Nachfrist nach §§ 281, 323 Abs. 1 zu setzen. Die Norm bezweckt, dass der Verkäufer nach Inanspruchnahme durch den Käufer die Kaufsache „möglichst problemlos an seinen Lieferanten ‚durchreichen‘, also weitergeben kann.“45 § 445a Abs. 2 ist anwendbar, wenn der Verkäufer die Kaufsache aufgrund ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen muss. Unter den Begriff der Rücknahme fallen sowohl der Erhalt infolge Käuferrücktritts nach §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 als auch infolge der Durchführung des großen Schadensersatzanspruchs nach §§ 437 Nr. 2, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 3.46 Fraglich ist jedoch, ob der Verkäufer gegenüber Lieferanten im Rahmen des § 445a Abs. 2 an die Sekundäransprüche gebunden ist, die der Käufer ihm gegenüber geltend gemacht hat: Lieferant L hat dem Verkäufer V eine Sache geliefert, die dieser an den Käufer K verkauft hat. K mindert wegen eines Mangels den Kaufpreis. V erklärt darauf gegenüber L den Rücktritt ohne Fristsetzung. In Betracht kommt ein Anspruch des V gegen L auf Rückgewähr des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1. Fraglich ist, ob V dem L eine Frist nach § 323 Abs. 1 setzen muss. Diese könnte nach § 445a Abs. 2 entbehrlich sein.

§ 445a Abs. 2 sieht nicht ausdrücklich vor, dass der Verkäufer durch die Minderung des Käufers in seinem weiteren Vorgehen gegenüber dem Lieferanten gebunden ist. Eine im Schrifttum geäußerte Auffassung befürwortet jedoch eine teleologische Reduktion der Norm. Denn der Erleichterungszweck des § 445a Abs. 2 verbiete es, dass der Verkäufer gegenüber dem Lieferanten mehr erlange, als der Käufer von ihm fordere. Deshalb soll die Nachfristsetzung im Verhältnis des Verkäufers zu seinem Lieferanten nur dann entbehrlich sein, wenn der Verkäufer denselben Sekundäranspruch verfolge.47 Überzeugender erscheint allerdings die Gegenmeinung, die den Lieferanten über die allgemeinen Institute, insbesondere das Rücktrittsrecht, ausreichend geschützt sieht.48 Denn hier sind zwei Konstellationen vorstellbar: Tritt der Käufer vom Vertrag zurück und entscheidet sich der Verkäufer gegenüber dem Lieferanten für die Minderung, nimmt der Verkäufer den Lieferanten weniger intensiv in Anspruch, als ihm dies möglich ist (arg. e §§ 323 Abs. 5 Satz 2, 441 Abs. 1 Satz 2). Ein Zwang zum Gleichlauf würde daher aus Sicht des Lieferanten einen falschen Anreiz gegenüber dem Verkäufer setzen, vom Rücktrittsrecht auch in diesem Fall Gebrauch zu machen. Mindert hingegen der Käufer und tritt der Verkäufer gegenüber dem Lieferanten zurück (so der vorliegende Fall), richRegE BT-Drucks. 14/6040, S. 247, rechte Spalte; Hervorhebung durch den Autor. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 247. Bitterich JR 2004, 485, 488; Böhle WM 2004, 1616ff.; Maultzsch JuS 2002, 1171, 1173; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 577. 48 Auch zum Folgenden: Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 683; MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 22; Lepsius AcP 207 (2007) 340, 352ff. 45 46 47

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tet sich der Schutz des Lieferanten nach § 346. Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob der Verkäufer gegenüber dem Lieferanten zunächst nach § 346 Abs. 1 zur Herausgabe der Sache in natura verpflichtet ist und nur im Falle der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 oder 2 Satz 1 frei wird, oder ob der Verkäufer dem Lieferanten bereits deshalb nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 haftet, weil sich die Kaufsache nicht in seinem Vermögen befindet (Rn. 282ff.). In jedem Fall ist der Lieferant entweder über § 346 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 geschützt. Einer zusätzlichen Beschränkung des § 445a Abs. 2 bedarf es deshalb nicht. Weil die Minderung in § 445a Abs. 2 ausdrücklich erfasst ist, findet die Norm auch auf den kleinen Schadensersatzanspruch (§ 281 Abs. 1 Satz 1) Anwendung.49 Denn dieser beruht letztlich auf einer Kombination aus Minderung und Schadensersatz. Fraglich ist ferner, ob ein Zurücknehmen iSd. § 445a Abs. 2 auch dann vorliegt, wenn der Verkäufer durch Wahl des Käufers zur Nachlieferung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 verpflichtet wird: V hat die von L gelieferte Sache an K verkauft. Auf Nachfristsetzung des K hin nimmt V die Sache wegen Mängeln zurück und erklärt gegenüber L den Rücktritt, ohne eine Frist nach § 323 Abs. 1 zu setzen.

Im Falle der Nachlieferung wird die zuerst gelieferte Sache zum Gegenstand eines Rückgewähranspruchs nach § 439 Abs. 5. § 445a Abs. 2 erscheint schon deshalb unmittelbar anwendbar. Der Fall ist nicht zuletzt auch in den Materialien erwähnt.50 Dennoch wird die Anwendbarkeit des § 445a Abs. 2 im Schrifttum bestritten. Nach einer Auffassung stehen § 445a Abs. 2 und Abs. 1 in einem Exklusivitätsverhältnis, wobei die Rechtsfolgen der Nacherfüllung ausschließlich in § 445a Abs. 1 geregelt seien.51 Dies überzeugt nicht.52 Neben Wortlaut und Entstehungsgeschichte spricht vor allem der Normzweck für die Anwendbarkeit des § 445a Abs. 2: Denn auch in den Fällen der Nachlieferung geht es darum, dem Verkäufer das Durchreichen hin zu seinem Lieferanten zu erleichtern. In der Sache macht es nämlich keinen Unterschied, ob der Verkäufer sich auf das Nacherfüllungsverlangen des Käufers nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 einlässt und die alte Sache nach § 439 Abs. 5 zurücknimmt, oder ob er die Nacherfüllung verweigert und damit eine zwangsweise Rückabwicklung nach §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 riskiert.53 Eine andere Beurteilung würde gegenüber dem Verkäufer nur den falschen Anreiz setzen, die Nacherfüllung gegenüber dem Käufer im Zweifel zu verweigern, um den Käufer zum Rücktritt zu veranlassen.54 Nach der Gegenansicht besteht dieses Problem jedoch nicht, da Bamberger/Roth/Faust § 478 Rn. 16(= BeckOK); Erman/Grunewald § 478 Rn. 5; MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 18; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 569; Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 682. 50 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 247, rechte Spalte unten; dazu Salewski ZGS 2008, 212, 213. 51 Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 8 Rn. 87. 52 Ähnlich Jacobs JZ 2004, 225, 229. 53 Zweifelnd Nietsch AcP 210 (2010) 722, 735f. 54 So auch Lepsius AcP 207 (2007) 340, 350. 49

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der Verkäufer die vom Lieferanten gestellte Ersatzsache einfach an den Käufer weiterreichen könne.55 Dagegen spricht jedoch, dass der Verkäufer die Ersatzsache häufig benötigt, bevor er die mangelhafte Sache an den Lieferanten zurückgibt.56 Im Übrigen trifft den Verkäufer keine Obliegenheit, den Hersteller in die Nacherfüllung einzuschalten (vgl. dazu noch Rn. 514).57 Für dieses Ergebnis spricht ferner, dass dem Verkäufer ein unternehmerischer Spielraum bei der Einschätzung der Frage verbleiben muss, welchen Weg er bei der Nacherfüllung gegenüber seinem eigenen Kunden einschlägt. § 445a Abs. 2 ist daher auf den Fall der Nachlieferung anwendbar. § 445a Abs. 2 setzt ferner voraus, dass der Verkäufer die Kaufsache gerade als Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen muss: K hat bei Internethändler V eine Kaufsache im Wege eines Fernabsatzgeschäfts bezogen. Nachdem sich innerhalb der Widerrufsfrist ein Mangel zeigt, übt K lieber das Widerrufsrecht nach § 312g aus, um lästige Nachbesserungsversuche zu vermeiden. V verlangt, nachdem er die Sache zurückgenommen hat, von seinem eigenen Lieferanten Rückzahlung der an diesen gezahlten 500 € ohne Nachfristsetzung. Der Rückgewähranspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 hängt hier wiederum vom Nachfristsetzungserfordernis des § 323 Abs. 1 ab, das nach § 445a Abs. 2 entbehrlich sein kann.

§ 445a Abs. 2 setzt voraus, dass der Verkäufer die Kaufsache infolge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen musste. Dies ist hier nicht der Fall, weil der Grund für die Rückabwicklung nicht im Mangel, sondern im Fernabsatzwiderrufsrecht lag. Würde § 445a Abs. 2 auch hier angewendet, könnte der Verkäufer den Lieferanten mit den besonderen Risiken der von ihm praktizierten Absatzform belasten. Darum geht es nach dem Schutzzweck der Norm allerdings nicht.58 Das Tatbestandsmerkmal „musste“ setzt ferner voraus, dass der Verkäufer einem fälligen, einredefreien Anspruch des Käufers nachgegeben hat: V hat die von L gelieferte Waschmaschine an K verkauft. K moniert einen Lagerschaden, worauf K die Maschine zurücknimmt und gegenüber L den Rücktritt ohne Nachfristsetzung erklärt. Nachträglich stellt sich heraus, dass der Lagerschaden auf einer Fehlbehandlung durch K beruhte.

In Fällen der vorliegenden Art liegen die Sachvoraussetzungen eines Käuferrücktritts nicht vor, so dass der Verkäufer die Sache nicht iSd. § 445a Abs. 2 zurücknehmen muss. Andererseits muss sich der Lieferant redlicherweise zugutehalten lassen, dass der Verkäufer regelmäßig kein Fachmann ist und daher im Einzelfall nicht zuverlässig zwischen Sachmangel und Fehlgebrauch unterscheiden kann (Rn. 348). Das Problem spiegelt im Übrigen die Fragestellung des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens durch den Käufer (Rn. 212ff.) wider. Wie dort den Käufer wird man hier den Verkäufer aufgrund fehlenden Sachver55 Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 682; ähnlich Bitterich JR 2004, 485, 486; Salewski ZGS 2008, 212, 214. 56 Nietsch AcP 210 (2010) 722, 734. 57 MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 18. 58 Ähnlich MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 17.

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§ 2 Der Kaufvertrag

standes regelmäßig nur zu einer Evidenzkontrolle (Sichtprüfung) für verpflichtet halten, wobei ihm im Zweifel eine Rückfrage beim Hersteller oder Lieferanten zuzumuten ist. Ansonsten trägt der Lieferant das in der Person des Verkäufers liegende Diagnose- und Prognoserisiko hinsichtlich der Ursachen der Funktionsstörung. Erbringt der Verkäufer gegenüber dem Käufer jedoch Reparaturmaßnahmen von vornherein auf einer Kulanzbasis, um etwa die Kundenbindung zu stärken, greift § 445a Abs. 2 nicht.59 Von einem Teil des Schrifttums wird dem Verkäufer auch nicht abverlangt, sich gegenüber dem eigenen Kunden auf die Einrede der Verjährung nach § 214 zu berufen.60 Dagegen spricht vermeintlich, dass der Verkäufer nicht Freigiebigkeit zu Lasten des Lieferanten walten lassen darf.61 Allerdings ist § 214 vom Gesetzgeber bewusst als Einrede ausgestaltet. Die Verjährungsinteressen des Verkäufers erscheinen dagegen in § 445b Abs. 2 Satz 2 abschließend geregelt.62 Ein weiteres Problem entsteht infolge der unterschiedlichen Zeitpunkte des Gefahrübergangs in den Rechtsverhältnissen zwischen Lieferant und Verkäufer bzw. Verkäufer und Käufer. Hier bereiten insbesondere die Werbeaussagen des Herstellers nach § 434 Abs. 1 Satz 3 Bedenken: Hersteller L hat V Armbanduhren der Marke X geliefert. Kurze Zeit später startet L eine Werbekampagne, in der die Uhren als ideales Accessoire für Taucher („wasserdicht bis zu einer Tauchtiefe von 20 m“) beworben werden. Bei der Lieferung durch L war davon gegenüber V noch nicht die Rede. V veräußert auf die Kampagne hin eine Uhr an K, der wegen Wasserschäden, die V nicht beheben kann, vom Vertrag zurücktritt. V erklärt nun den Rücktritt gegenüber L und verlangt den von ihm gezahlten Kaufpreis zurück. Der Anspruch des V gegen L auf Rückgewähr des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 setzt voraus, dass die Uhr mangelhaft war. Daran bestehen Zweifel, weil im Verhältnis zwischen L und V im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nach § 434 Abs. 1 Satz 1 die erhöhte Wasserdichtigkeit nicht nach § 434 Abs. 1 Satz 3 geschuldet war.

Nachträgliche Werbeaussagen dieser Art erhöhen die Anforderungen an die Sollbeschaffenheit, nachdem der Gefahrübergang im Verhältnis zwischen Lieferant und Verkäufer stattgefunden hat. Der Gesetzgeber hat dieses Problem in den Materialien erwähnt und dabei erkannt, dass eine sachlich nicht fundierte Werbeaussage zwar nicht nachträglich die Sollbeschaffenheit im Verhältnis zwischen Lieferant und Verkäufer ändere, wohl aber eine eigene Pflichtverletzung des Lieferanten gegenüber dem Verkäufer iSd. § 280 Abs. 1 Satz 1 darstelle, die zum Schadensersatz führen müsse.63 Probleme entstehen jedoch, wenn nicht der Lieferant des Verkäufers selbst die Werbeaussagen trifft, sondern ein vorgelagertes Glied in der Kette:

59 Lepsius AcP 207 (2007) 340, 347; Nietsch AcP 210 (2010) 722, 731; Erman/Grunewald § 478 Rn. 4; MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 19. 60 Lepsius AcP 207 (2007) 340, 354. 61 Erman/Grunewald § 478 Rn. 3f. 62 Harke ZGS 2004, 14ff.; Bamberger/Roth/Faust § 479 Rn. 10 (= BeckOK). 63 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 248, beginnend in der linken Spalte unten.

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Hersteller H liefert an den Lieferanten L und dieser an den Verkäufer V, der die Kaufsache an K veräußert. Nach Gefahrübergang auf V und vor Gefahrübergang auf K setzt H eine sachlich unbegründete Werbeaussage in die Welt. Hier war die Sache aus Sicht des V noch nicht mangelhaft iSd. § 434 Abs. 1 Satz 3; aus Sicht des K ist sie es aber sehr wohl.

In den Materialien findet sich die Überlegung, der Hersteller hafte hier dem ersten Händler aus § 280 Abs. 1 Satz 1, und diese Haftung entfalte Schutzwirkungen gegenüber allen übrigen Händlern.64 Überzeugender erscheint dagegen die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation:65 Denn § 434 Abs. 1 Satz 3 bewirkt eine für den Hersteller zufällige Schadensverlagerung. Die nachträgliche, sachlich unfundierte Werbeaussage des Herstellers bedeutet bereits gegenüber dem ersten Händler in der Kette (im Beispiel: L) eine Pflichtverletzung. Nur erleidet dieser Händler keinen Schaden, weil ihn sein Abnehmer (im Fall: V) selbst nicht aus §§ 437, 434 Abs. 1 Satz 3 in Anspruch nehmen kann. Soweit die Werbeaussage nach Gefahrübergang auf die nachgeschalteten Händler erfolgt ist, hat der erste Händler in der Kette keine mangelhafte Sache geliefert. Ihm ist auch keine sonstige Pflichtverletzung iSd. § 280 Abs. 1 Satz 1 vorwerfbar. Diese Verlagerung des Schadens – weg vom eigenen Vertragspartner und hin auf einen Dritten – erscheint für den Hersteller aber zufällig, weil § 434 Abs. 1 Satz 3 nicht seine Entlastung in der Lieferkette bezweckt. Die Konstellation erinnert an die Fallgruppe der mittelbaren Stellvertretung (Rn. 1332). Diese passt innerhalb einer Lieferkette vor allem deshalb, weil hier die Vertragsverhältnisse zwischen Lieferant und Abnehmer sich nicht auf einen bloßen Kaufvertrag beschränken, sondern regelmäßig in Vertriebsverträge iSd. § 675 Abs. 1 integriert sind, im Rahmen derer ein interessenwahrendes Moment dominiert (vgl. den Unterschied zu Fall Rn. 455). In diesem liegt wiederum der eigentliche Grund für die Zufälligkeit der Schadensverlagerung. Richtiger Auffassung nach geht aber im Zweifel die Drittschadensliquidation der Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte vor (str., Rn. 870). Im Beispiel muss V gegenüber L einen Anspruch aus § 285 Abs. 1 auf Abtretung der Schadensersatzansprüche des L gegenüber H aus § 280 Abs. 1 Satz 1 geltend machen (zur Anwendbarkeit des § 285 Rn. 453). L hat zwar keinen Schaden durch die unrichtige Werbeaussage des H (= Pflichtverletzung) erlitten. Als Rechtsfolge der Drittschadensliquidation kann er jedoch den Schaden des V gegenüber H im eigenen Namen geltend machen.

Eine ähnlich gelagerte Fragestellung kann bei Montagemängeln entstehen, weil hier der Gefahrübergang besonders weit hinausgeschoben ist: V verkauft K einen Möbelbausatz für einen Schlafzimmerschrank. Wegen einer Fehlinformation in der Montageanleitung kann K den Schrank nicht montieren und erklärt – nachdem die Nacherfüllungsbemühungen des V aus dem gleichen Grund gescheitert sind – den 64 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 248; so auch Bamberger/Roth/Faust § 478 Rn. 12 (= BeckOK); MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 23a. 65 Jacobs JZ 2004, 225, 228.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Rücktritt. V nimmt daraufhin gegenüber seinem Lieferanten L Rückgriff. Dieser will sich nach § 434 Abs. 2 Satz 2 damit entlasten, dass V den Schrank jetzt – nach Überlassung einer ordnungsgemäßen Montageanleitung – jederzeit ordnungsgemäß montieren könne.

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Der Wortlaut des § 434 Abs. 2 Satz 2 ist bewusst im Perfekt gehalten. Entlastend wirkt es nur, wenn die Sache fehlerfrei montiert worden ist. Der Lieferant kann deshalb die Montage nicht mehr nachholen, wenn der Verkäufer auf ihn Rückgriff nimmt. Ausreichend und entscheidend erscheint, dass die Montage des Verkäufers beim Käufer fehlgeschlagen ist.66 Fraglich ist, ob § 445a Abs. 2 auf einen vom Verkäufer provozierten Käuferrücktritt anwendbar ist. V hat die von L bezogene Sache an K geliefert. Als K den V auf einen Mangel aufmerksam macht, verweigert dieser die Nacherfüllung iSd. § 323 Abs. 2 Nr. 1, ohne sich mit den Anliegen des K auseinanderzusetzen. Auf den anschließenden Rücktritt des K nimmt V die Sache zurück und tritt nun seinerseits ohne Nachfristsetzung gegenüber L zurück.

Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung kommt es für die Anwendbarkeit des § 445a Abs. 2 allein auf die positiv normierten Sachvoraussetzungen an. Ein herausforderndes Verhalten durch den Verkäufer falle dabei nicht ins Gewicht.67 In Fallgestaltungen wie der vorliegenden liegt jedoch der Einwand des venire contra factum proprium aus § 242 nahe: Der Verkäufer darf den Rücktritt nicht erst herausfordern, um dann vor seinen Folgen über § 445a Abs. 2 Schutz zu suchen. In engem Zusammenhang damit steht die Frage, ob § 445a Abs. 2 über den Vorsatzfall hinaus teleologisch für den Fall zu reduzieren ist, dass der Verkäufer den Käuferrücktritt infolge Fahrlässigkeit verursacht hat: L hat V eine bewegliche Sache geliefert, die dieser an K veräußert hat. Die Nacherfüllungsbemühungen, die V auf Nachfristsetzung des K hin vornimmt, schlagen mangels technischer Erfahrung des V fehl. Als K darauf gegenüber V vom Kaufvertrag zurücktritt, erklärt auch V dem L den Rücktritt, ohne eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt zu haben.

Teilweise wird die Auffassung vertreten, im Rahmen des § 445a Abs. 2 könne dem Lieferanten ein Vertretenmüssen des Verkäufers, das zum Fehlschlagen der Nacherfüllungsbemühungen nach § 440 führt, nicht angelastet werden.68 Insoweit ist allerdings zu differenzieren: Regelmäßig können von einem Verkäufer nicht dieselben technischen Kenntnisse erwartet werden wie vom Hersteller selbst (dazu oben Rn. 348). Will der Lieferant oder der letztendlich verantwortliche Hersteller vermeidbaren Rücktrittserklärungen des Käufers und einem Regress nach § 445a Abs. 2 entgehen, so muss er selbst einen Nacherfüllungsdienst bereithalten, auf den der Verkäufer zurückgreifen kann. Verletzt der Verkäufer die danach verbleibende elementare Sorgfaltspflicht, diesen Dienst einzuschalten, muss eine Einschränkung des § 445a Abs. 2 erwogen wer66 67 68

Ebenso P. Huber, in: Huber/Faust, § 12 Rn. 58. Bamberger/Roth/Faust § 478 Rn. 18 (= BeckOK); Lepsius AcP 207 (2007) 340, 357. Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 8 Rn. 90.

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den. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der Nacherfüllungsgrund, der Mangel, in den Verantwortungsbereich des Lieferanten fällt und nicht in den des Verkäufers. Letztlich bleibt wegen der Unteilbarkeit der Rechtsfolge des § 445a Abs. 2, die anders als etwa § 254 keine Quotelung erlaubt, nur eine Alles-oder-Nichts-Entscheidung: Überwiegt der Beitrag des Lieferanten zum Mangel, findet § 445a Abs. 2 Anwendung; wäre der Fehler hingegen leicht nach §§ 437 Nr. 1, 439 im Wege der Nachlieferung zu beheben gewesen, dürfte § 445a Abs. 2 seinem Schutzzweck nach nicht passen.69 Ferner stellt sich die Frage, ob der Käufer als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers gegenüber dem Lieferanten nach § 278 Satz 1 fungiert, wenn an der Kaufsache weitere Schäden entstehen:

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V hat eine Sache von Lieferant L bezogen und an Käufer K veräußert. Wegen eines Mangels erklärt K wirksam den Rücktritt. Weil er die Sache nicht sorgfältig verpackt, wird diese beim Rücktransport zu V beschädigt. Als V gegenüber L den Rücktritt erklärt, macht dieser einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen der Beschädigung und daraus resultierender weiterer Vermögensschäden geltend. Der Wertersatzanspruch aus §§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 deckt das Anspruchsziel des L nicht vollständig ab. Deshalb kommen Ansprüche des L gegen V wegen Verletzung einer vorwirkenden Schutzpflicht in Betracht (str.; aA.: §§ 346 Abs. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2; Rn. 315). Diese setzen insbesondere voraus, dass V das Verschulden des K nach § 278 Satz 1 zurechenbar ist.

Teilweise wird die Anwendbarkeit des § 278 Satz 1 auf das Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer bejaht.70 Dies überzeugt schon deshalb nicht, weil der Verkäufer den Käufer nicht zur Wahrnehmung von Schutzpflichten gegenüber dem Lieferanten einschaltet. Es wurde bereits erörtert, dass durch die Anwendung des § 278 Satz 1 die vertragliche Risikosteuerung in Absatzketten nicht unterlaufen werden darf (vgl. auch Rn. 349ff.). Denn diese Norm wirkt wie ein Sonderfall eines Einwendungsdurchgriffs (vgl. dazu auch Rn. 351, 686, 719): Der Gläubiger kann nämlich aus einer Leistungsstörung im Vertrag seines eigenen Schuldners mit dem Erfüllungsgehilfen nach § 278 Satz 1 rechtliche Vorteile herleiten, durch die sich seine Lage im Vertrag mit dem Schuldner verbessert. In der Absatzkette würde die Anwendung der Norm bewirken, dass der Verkäufer dem Käufer für das Verschulden der Vertreter sämtlicher vorgelagerter Handels- und Wertschöpfungsstufen haften würde. Der Warenabsatz wäre daher für ihn ein in seinen Risiken unkalkulierbares und vor allem auch nicht versicherbares Geschäft. Entsprechend haftet der Verkäufer dem Lieferanten nicht für ein Käuferverschulden nach § 278 Satz 1. Fraglich ist schließlich, inwieweit der Verkäufer dem Lieferanten Nutzungsersatz schuldet:

Gegen eine Berücksichtigung des Verschuldens Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 684. Bitterich JR 2004, 485, 488. Vgl. zur Lieferung an Dritte Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 377 Rn. 19f.

69 70

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§ 2 Der Kaufvertrag

V musste die mangelhafte Kaufsache von K zurücknehmen, konnte aber von K einen Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 iHv. 500 € erlangen. Diesen verlangt L von ihm heraus.

Teilweise wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, der Verkäufer schulde dem Lieferanten den vom Käufer empfangenen Nutzungsersatz unmittelbar aus § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1.71 Die Norm stellt jedoch keinen Abschöpfungsanspruch dar, sondern eröffnet dem Lieferanten nur ein Recht auf die Nutzungen, die der Verkäufer tatsächlich gezogen hat. Deren Berechnung erfolgt im Übrigen gemäß § 346 Abs. 2 Satz 2 anhand des zwischen Käufer und Verkäufer vereinbarten Kaufpreises. Dieser liegt aber auf der Einzelhandelsstufe regelmäßig höher als auf der Großhandelsstufe (Handelsspanne!). Deshalb kann jeder Beteiligte von seinem Vertragspartner gesondert Nutzungsersatz verlangen. Nimmt der Lieferant den Verkäufer schließlich nach § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 in Anspruch, kommt es im Rahmen des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 nur auf das „Eigenverschulden“ des Verkäufers selbst an. Das Vertretenmüssen des Käufers wird dem Verkäufer hingegen nicht in analoger Anwendung des § 278 Satz 1 zugerechnet (Rn. 511). 3. Der Aufwendungsersatzanspruch aus § 445a Abs. 1 513

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Leistet der Verkäufer auf Verlangen des Käufers Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1, muss er die hierfür erforderlichen Aufwendungen im Verhältnis zum Käufer nach § 439 Abs. 2 selbst tragen. Das damit einhergehende Vermögensopfer kann er gegenüber dem Lieferanten im Wege des Schadensersatzes nach § 280 Abs. 1 Satz 1 nur liquidieren, wenn der Lieferant den Mangel der Kaufsache zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2). Nur wenn der Verkäufer für den Lieferanten als Absatzmittler auftritt und diesem durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1 verbunden ist, kommt auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670 in Betracht, der kein Vertretenmüssen voraussetzt.72 Die dadurch in den übrigen Fallkonstellationen entstehende Lücke schließt der Aufwendungsersatzanspruch nach § 445a Abs. 1, der ebenfalls kein Vertretenmüssen voraussetzt und eine selbstständige Anspruchsgrundlage darstellt.73 Der Verkäufer kann danach vom Lieferanten Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Verhältnis zum Käufer nach § 439 Abs. 2 und 3 zu tragen hatte, wenn der zugrunde liegende Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf den Verkäufer vorhanden war. Ein Ersatz kommt zunächst nur für diejenigen Aufwendungen in Betracht, die der Verkäufer gegenüber dem Käufer „zu tragen hatte“. Der Aufwendungsersatzanspruch nach § 445a Abs. 1 reicht also nicht weiter als die gesetzliche Kostentragungspflicht nach § 439 Abs. 2 und Abs. 3. Wo der Verkäufer sich 71 72 73

Mischke/Neuß/Vollmert ZGS 2007, 217, 218. Vgl. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 248; F. Graf von Westphalen DB 1999, 2553, 2555ff. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 248.

C. Rechte des Verkäufers

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über die Grenze des § 439 Abs. 2 bis 4 hinaus kulant zeigt, kann er keinen Rückgriff auf den Lieferanten nehmen.74 Zu weit geht sicherlich die Auffassung, der Verkäufer könne in diesen Fällen überhaupt keinen Ersatz verlangen.75 Vielmehr spricht der Rechtsgedanke des § 254 Abs. 2 Satz 1 dafür, den Anspruch gegen den Lieferanten auf die in § 439 Abs. 4 Satz 3 bzw. § 475 Abs. 4 Satz 2 und 3 vorausgesetzte Kostenhöhe zu beschränken; was darüber liegt, kann der Verkäufer von ihm nicht verlangen.76 Fraglich ist, wie der Verkäufer im Falle eines Nachlieferungsverlangens des Käufers verfahren muss, um seinen Aufwendungsersatzanspruch zu erhalten: Die von Lieferant L bezogene Sache hat V an K verkauft. K verlangt Nachlieferung wegen Mängeln der Sache. V bezieht daher eine Ersatzsache bei D und stellt L die Kosten in Rechnung. L verweigert die Zahlung mit der Begründung, er hätte die Sache günstiger liefern können als D.

Teilweise wird die Ansicht vertreten, der Verkäufer müsse die Ersatzsache möglichst beim Lieferanten der ersten Sache beziehen.77 Begründet wird dies mit der Überlegung, dem Lieferanten stehe ein Recht zur zweiten Andienung aus § 439 Abs. 1 zu. Tatsächlich setzt schon § 445a Abs. 2 im Rahmen der Nachlieferung keine Bezugspflicht beim alten Lieferanten voraus (Rn. 506); Ähnliches muss dann auch für § 445a Abs. 1 gelten.78 Überzeugend erscheint jedoch die Überlegung, dass der Zweck des § 445a Abs. 1 – die möglichst störungsfreie Weiterleitung der nach § 439 Abs. 2 verauslagten Aufwendungen – nicht zu einer vermeidbaren Kostenerhöhung beim Lieferanten führen darf. In diesem Zusammenhang wird im Schrifttum zu Recht auf die Erforderlichkeit der Aufwendungen abgestellt.79 Dies entspricht einem allgemeinen, § 670 zugrunde liegenden Rechtsgedanken (dazu Rn. 1284):80 Denn das Recht einer Person, Vermögensentscheidungen zu treffen, deren Folgen ein anderer zu tragen hat, ist wohl immer durch den Erforderlichkeitsmaßstab begrenzt. Die Aufwendungen des Verkäufers müssen daher vor allem auch im Interesse des durch sie Belasteten, des Lieferanten, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Die Entscheidung darüber trifft der Verkäufer aus einer Ex-Ante-Perspektive heraus.81 74 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 249: zur Entbehrlichkeit eines Vertretenmüssens; RegE BRDrucks. 123/16 S. 42: zum Charakter als Anspruchsgrundlage. 75 Maultzsch JuS 2002, 1171, 1173; Oetker/Maultzsch § 2 Rn. 581. 76 Bitterich JR 2004, 485, 487; Jacobs JZ 2004, 225, 230; Matthes NJW 2002, 2505, 2507; Schubel ZIP 2002, 2061, 2066; Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 684; Tröger ZGS 2003, 296, 299. 77 Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 8 Rn. 90; NK-BGB/Büdenbender § 478 Rn. 30ff.; Böhle NJW 2003, 3680, 3681. 78 Ebenso Bitterich JR 2004, 485, 487; Jacobs JZ 2004, 225, 230; Schubel ZIP 2002, 2067f.; Tröger ZGS 2003, 296, 298f.; Soergel/Wertenbruch § 478 Rn. 125. 79 MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 32, allerdings Unterschied gegenüber § 670 betonend. 80 Nietsch AcP 210 (2010) 722, 732. 81 Erman/Grunewald § 478 Rn. 15; Lepsius AcP 207 (2007) 340, 362f.; Schubel ZIP 2002, 2061, 2066; aA. MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 32: gegen unbegründete Aufwendungersatzansprüche kann sich der Lieferant nach § 439 Abs. 4 verteidigen; andere Tendenz auch bei Marx BB 2002, 2566, 2570.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Ist die Beschaffung beim Lieferanten daher innerhalb der Nacherfüllungsfrist möglich und erspart sie ihm ansonsten anfallende Aufwendungen, so mindert sich der Ersatzanspruch des Verkäufers, wenn er die Sache von einem Dritten bezieht. In engem Zusammenhang damit steht die Frage, ob der Verkäufer im Falle der Nachlieferung nach § 439 Abs. 1 zweiter Fall den Aufwendungsersatzanspruch nach § 445a Abs. 1 nur geltend machen darf, wenn er dem Lieferanten zuvor eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.82 Dies ist entsprechend dem Wortlaut der Norm und der hier vertretenen Auffassung zu verneinen: Denn § 445a Abs. 2 (also der Wegfall des Nachfristsetzungserfordernisses) ist auch bei einem Zurücknehmen nach § 439 Abs. 5 wegen Nachlieferung einschlägig (Rn. 506). Allerdings wirkt es analog § 254 Abs. 2 Satz 1 anspruchsmindernd, wenn der Verkäufer eine vom Lieferanten bereitgehaltene Nacherfüllungsmöglichkeit nicht in Anspruch nimmt und dadurch eine Kostensteigerung provoziert. Fraglich ist, ob § 445a Abs. 1 auch die sog. unternehmerischen Gemeinkosten erfasst. Darunter fällt etwa der Arbeitslohn für Mitarbeiter des Verkäufers, die mit der Bearbeitung des Nacherfüllungsverlangens des Käufers befasst sind. Solche Kosten sollen nicht ersetzbar sein, wenn sie als Sowieso-Kosten (also auch im Falle der Mangelfreiheit der Kaufsache) angefallen wären.83 Nach der Gegenmeinung darf dem Unternehmer nicht die Möglichkeit verwehrt werden, Einrichtungen sinnvoll auszunutzen, die für die Nacherfüllung geschaffen werden.84 Die Problematik erinnert an den Ersatz sog. Vorhalte- bzw. Vorsorgekosten (allgemein: Fangprämie bei Ladendiebstahl), bei deren Ersatz die hM. ebenfalls sehr zurückhaltend verfährt. Allgemeine Verwaltungskosten zur Schadensabwehr sind danach regelmäßig nach § 249 Abs. 1 nicht ersetzbar, da sie nicht durch den Schädiger verursacht wurden, sondern bereits zuvor aufgebracht werden mussten. Das Argument, der Schädiger (hier also der Lieferant) provoziere solche Kosten geradezu durch sein Fehlverhalten, wird vom BGH in anderem Zusammenhang nicht anerkannt, weil dem Schadensrecht der Grundsatz inhärent sei, dass jeder nur für den selbst verursachten Schaden einzustehen habe.85 Deshalb dürfte auch im Rahmen des § 445a Abs. 1 ein Ersatz zu verneinen sein. Unter § 445a Abs. 1 fallen Untersuchungskosten86 des Verkäufers und nach zutreffender Auffassung auch Prozesskosten.87 Die herrschende Gegenauffassung will Prozesskosten indes nur auf der Grundlage eines Schadensersatzanspruchs des Lieferanten ersetzen.88 Dies steht aber nicht einmal im Interesse des So Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 8 Rn. 90 am Ende. Böhle NJW 2003, 3680, 3681; Bamberger/Roth/Faust § 478 Rn. 24 (= BeckOK); Marx BB 2002, 2569f.; Tröger ZGS 2003, 296, 297; MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 30. 84 Jacobs JZ 2004, 225, 231. 85 BGHZ 75, 230 = NJW JZ 1980, 99, 100; Staudinger/Schiemann § 249 Rn. 116. 86 Lepsius AcP 207 (2007) 340, 361. 87 Lepsius AcP 207 (2007) 340, 365f. 88 MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 30; Matthes NJW 2002, 2505, 2507; Schubel ZIP 2002, 2061, 2066; Soergel/Wertenbruch § 478 Rn. 134; H.P. Westermann NJW 2002, 241, 252. 82 83

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Lieferanten, weil dann gegenüber dem Verkäufer ein ökonomischer Anreiz gesetzt wird, gegenüber dem Käufer nachzugeben und auf den Lieferanten Rückgriff zu nehmen. Das Problem und seine Lösung liegen daher eher im Erforderlichkeitsmaßstab (dazu oben Rn. 514). Hatte der Rechtsstreit aus Verkäufersicht und ex ante betrachtet keine ernsthafte Aussicht auf Erfolg, fehlt es bereits an der Geeignetheit der entsprechenden Aufwendungen. Der Aufwendungsersatzanspruch verjährt nach zwei Jahren ab Ablieferung der Sache (§ 445b Abs. 1). Gemeint ist die Ablieferung durch den Lieferanten beim Verkäufer.89 Die Verjährungsfrist des § 445b Abs. 2 hat der Gesetzgeber unabhängig von § 438 bestimmt. Daher verändert sich die Frist nach § 445b Abs. 2 nicht schon dann, wenn die Verjährungsfrist nach § 438 etwa aufgrund vertraglicher Vereinbarung des Verkäufers mit dem Käufer verlängert ist.90 Fraglich ist schließlich, ob der Verkäufer gegenüber dem Lieferanten eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf drei Jahre in AGB vereinbaren kann. Der BGH bejaht dies, wenn der Verkäufer die Waren über einen längeren Zeitraum verkauft (hier: Baumarkt), weil dann Mängelansprüche der Kunden auch noch nach zwei Jahren auftreten können.91

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4. Die Rügeobliegenheit nach § 377 HGB

Nach § 445a Abs. 4 bleibt die kaufmännische Rügeobliegenheit vom Rückgriffsrecht des Verkäufers unberührt. Unternehmer L liefert Unternehmer V ein Notebook, das dieser an den Verbraucher K verkauft. Erst im Dauerbetrieb bei K – und nicht schon vorher bei V – zeigt sich, dass die Prozessorkühlung nach zweistündigem Betrieb ausfällt. Der Schaden ist irreparabel. K lässt sich indes Zeit, den Schaden bei V anzuzeigen, weil er mit Anderem beschäftigt ist. Erst nach einem halben Jahr erklärt er V gegenüber den Rücktritt. Dieser zeigt den zugrunde liegenden Mangel noch am selben Tag dem L an. Als V gegenüber L den Rücktritt erklärt und den gezahlten Kaufpreis herausverlangt, verweigert L die Rückgewähr des Kaufpreises unter Hinweis auf § 377 Abs. 2 und 3 HGB.

Noch im RegE war erwogen worden, die Rechtsfolge des § 377 Abs. 2 bzw. 3 HGB nicht auf den Rückgriff des Verkäufers anzuwenden.92 Auf die Stellungnahme des Bundesrates hin wurde dieses Vorhaben jedoch aufgegeben.93 Um die Hintergründe dieser Entscheidung zu verstehen, muss man sich Gegenstand und Zweck des § 377 HGB vor Augen führen: Zum Schutz des Verkäufers94 bestimmt § 377 Abs. 1 HGB bei einem beiderseitigen Handelskauf RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 250. Tiedtke/Schmitt ZIP 2005, 681, 685. BGH NJW 2006, 47, Tz. 10f. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 249. RegE BT-Drucks. 14/6857, S. 41; dazu etwa Nietsch AcP 210 (2010) 722, 745. BGH NJW 2016, 2645, Tz. 21: allerdings ist der Käufer nur zu zumutbaren Untersuchungen verpflichtet (Tz. 22); Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 29 Rn. 42; K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 29 Rn. 36. 89 90 91 92 93 94

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§ 2 Der Kaufvertrag

(§§ 343, 345 HGB), dass der Käufer die Ware unverzüglich zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, diesen auch unverzüglich zu rügen hat. Die Norm soll dem Verkäufer die Möglichkeit eröffnen, drohenden Schaden abzuwenden, rasch untergehende Beweise zu sichern und die Last der aus dem Mangel resultierenden Sekundäransprüche des Käufers in seiner Rechnungslegung zu berücksichtigen. Den Käufer trifft indes keine echte Rügepflicht, sondern nur eine Obliegenheit (zu den Gründen Rn. 348). Handelt er nämlich nicht unverzüglich, so erleidet er nur einen Rechtsnachteil nach § 377 Abs. 2 erster Halbsatz HGB: Die Ware gilt als genehmigt. Damit passt sich die im Vertrag ursprünglich geschuldete Sollbeschaffenheit der Kaufsache der Istbeschaffenheit an. Es kommt also zu einer Vertragsänderung kraft Gesetzes, die die Haftungsansprüche aus § 437 entfallen lässt, weil nunmehr kein Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 vorliegt. Dieser systematische Zusammenhang zeigt sich vor allem im Rahmen der ungerügten Mehrlieferung (Rn. 144). Kommt man auf § 445a Abs. 4 zurück, fällt es in der Tat schwer, einzusehen, dass ein Kaufmann deshalb in Bezug auf § 377 Abs. 2 HGB gegenüber seinem unternehmerisch organisierten Lieferanten begünstigt sein soll, weil er selbst an einen Verbraucher verkauft hat; die Anwendbarkeit der Vorschrift überzeugt daher.95 Fraglich ist nur, wie das Tatbestandsmerkmal unverzüglich in § 377 Abs. 1 HGB auszulegen ist. Wollte man dem Verkäufer das Verhalten des Verbrauchers nach § 278 Satz 1 analog zurechnen, käme es auf den Zeitpunkt an, in dem der Verbraucher auf den Mangel aufmerksam wird. Doch diese Norm ist im Bereich des § 445a richtiger Auffassung nach schon aus allgemeinen Gründen nicht anwendbar (vgl. Rn. 511). Weitere Überlegungen treten hinzu: Der Lieferant muss zunächst redlicherweise davon ausgehen, dass der Verkäufer keinen Einfluss auf das Verhalten des Verbrauchers hat und deswegen auch für dessen Säumnis nicht nach § 278 Satz 1 einstehen kann. Im Übrigen ermutigt die lange Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 den Verbraucher gerade zu einer unaufgeregten Vorgehensweise, gegen die sich der Verkäufer wegen § 476 Abs. 2 nicht durch vertragliche Vereinbarung schützen kann. Schließlich hat der Gesetzgeber selbst darauf verzichtet, die in Art. 4 Abs. 1a der VerbrGüterKRiL vorgesehene Rügeobliegenheit des Verbrauchers umzusetzen, die einen Teil dieser Problematik hätte entschärfen können. All dies spricht gegen eine analoge Anwendung des § 278 Satz 1 und so kommt es für die Unverzüglichkeit der Rüge wohl allein auf die Reaktion des Verkäufers im Anschluss an die Mängelanzeige durch den Verbraucher an. Der Lieferant kann in jedem Einzelfall nachträglich auf die bereits eingetretene Rechtsfolge des § 377 Abs. 2 HGB verzichten. Ein unbeschränkter formularmäßiger Ausschluss der Rügeobliegenheit verstößt jedoch gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, weil er entgegen der Schutzzwecke der gesetzlichen Regelung

95 Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 8 Rn. 93; vgl. auch Ernst/Gsell ZIP 2001, 1389, 1401.

C. Rechte des Verkäufers

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dem Verkäufer das Risiko einer verzögerten Entdeckung von Sachmängeln aufbürdet.96 Das Zusammenspiel von Rügeobliegenheit nach § 377 Abs. 1 HGB und Nacherfüllungsverlangen nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 folgt ferner einem einfachen Prinzip: Die Anforderungen an jedes dieser beiden Institute ändern sich nicht dadurch, dass diese nebeneinander angewendet werden. (OLG Düsseldorf 26.11.2004 – 16 U 45/04 = NJW-RR 2005, 832) K bestellte bei V Bettwäsche (beide sind Kaufleute iSd. § 1 HGB). Die Wäsche soll aus 50% Baumwolle und 50% Polyester in der Farbqualität X bestehen. Der von V gelieferte Stoff bestand jedoch aus 40% Baumwolle und 60% Polyester und war von der minderen Farbqualität Y. K rügte allein die Stoffzusammensetzung. Geliefert wurde daraufhin ein anderer Stoff, bestehend aus 50% Baumwolle und 50% Polyester, in Farbqualität Y. Darauf wartete die K mit einer neuerlichen Beanstandung zwei Wochen. Kann sie nun erneut Nachlieferung eines Stoffes der Farbqualität X bei einer Zusammensetzung von 50% Baumwolle und 50% Polyester verlangen? In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Zwischen den Parteien kam ein Kaufvertrag zustande. Die von V ursprünglich geliefert Ware entsprach im Hinblick auf die Stoff- und die Farbqualität nicht der Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 und war deshalb mangelhaft.

Fraglich ist, ob wegen der Beschränkung der ersten Rüge auf die Stoffzusammensetzung die in falscher Farbe ausgeführte Erstlieferung nach § 377 Abs. 2 erster Halbsatz HGB genehmigt wurde. Das OLG Düsseldorf geht davon aus, dass bei einer Kaufsache, die zwei Mängel beinhaltet, die rechtzeitige Rüge eines Mangels den Zwecken des § 377 Abs. 1 HGB genügt (S. 833). Dies überzeugt; denn es kommt nicht darauf an, ob der Verkäufer sich wegen eines oder wegen zweier Mängel auf Sekundäransprüche einstellen muss, Beweise zu sichern hat usw. Die Rüge nach § 377 Abs. 1 HGB dient nämlich nicht dazu, dem Verkäufer, wie eine Mahnung (§ 286 Abs. 1 Satz 1), noch einmal seine vertraglichen Pflichten vor Augen zu führen; diese muss er selbst kennen. Deshalb wurde hier entsprechend den Voraussetzungen des § 377 Abs. 1 HGB gerügt; eine Genehmigung nach § 377 Abs. 2 erster Halbsatz HGB ist nicht eingetreten. Für K entstand deshalb nach seiner Wahl ein Anspruch auf Nachlieferung gemäß §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 zweiter Fall. Fraglich ist jedoch, ob der Vertrag daraufhin im Wege der Nachlieferung erfüllt wurde. Denn auch die gelieferte Ersatzsache entsprach nicht der Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien nach § 434 Abs. 1 Satz 1. Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn die Nachlieferung der Ersatzsache nach § 377 Abs. 2 erster Halbsatz HGB als genehmigt gilt.

Fraglich ist, ob der Käufer auch die Nachlieferung rügen muss. Dies bejaht das OLG Düsseldorf (S. 833) ebenfalls überzeugend. Denn auch im Hinblick auf die Ersatzsache ist der Schutzzweck des § 377 HGB berührt: Der Verkäufer muss auch diesbezüglich Klarheit darüber erlangen, ob er sich auf weitere SeBGH NJW 1991, 2633, 2634f.; OLG Brandenburg ZGS 2011, 484; aA. MünchKomm/Lorenz § 478 Rn. 59.

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§ 2 Der Kaufvertrag

kundäransprüche des Käufers einstellen und Beweise sichern muss. Dies gilt für die Nachlieferung ebenso wie für die mangelhafte Erstlieferung. Deshalb gilt die Nachlieferung vorliegend nach § 377 Abs. 2 erster Halbsatz HGB als genehmigt. Damit ist der Anspruch aus § 439 Abs. 1 durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 erloschen.

5. Haftungsausschluss im Verhältnis zwischen Lieferant und Verkäufer 522

§ 478 Abs. 2 schließt systematisch an § 476 Abs. 1 Satz 1 an: Soweit Rechte des Verbrauchers nicht durch vertragliche Vereinbarung mit dem Verkäufer ausgeschlossen werden können, können entsprechende Rechte des Verkäufers auch gegenüber seinem Lieferanten nicht von vornherein im Wege einer vertraglichen Vereinbarung ausgeschlossen werden. Die Vorschrift ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil sie zwischen Unternehmern die vertragliche Gestaltungsfreiheit einschränkt und das Kaufrecht zwingend ausgestaltet. Begründet wird dies mit dem Anliegen des Gesetzgebers, die wirtschaftlichen Lasten des Verbraucherschutzes (vgl. §§ 474ff.) nicht einseitig der Einzelhandelsstufe aufzuerlegen.97 Eine Ausnahme besteht jedoch nach § 478 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz, wenn dem Einzelhändler ein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird. Dem Gesetzgeber schweben dabei recht vage „pauschale Abrechnungssysteme“ vor, deren Ausgestaltung er der Praxis überlassen will.98 Im Schrifttum wird vor allem ein Anspruch des Verkäufers auf planmäßige Einschaltung des Lieferanten bei der Nacherfüllung gegenüber dem Käufer als gleichwertig verstanden.99 Dafür spricht zunächst ein gemeinsames sachliches Interesse von Lieferant und Verkäufer. Wegen der im Vergleich geringeren Sachkompetenz des Verkäufers (Rn. 507) ist dieser daran interessiert, dass der Lieferant seinen Sachverstand in den Nacherfüllungsvorgang einbringt. Übernimmt der Lieferant aber die volle Verantwortung bei der Abwicklung des Nacherfüllungsvorgangs und trägt er die dem § 445a Abs. 1 entsprechenden Lasten, erscheinen die Rückgriffserleichterungen nach §§ 445af. entbehrlich, weil der Verkäufer durch das Nacherfüllungsbegehren und die mangelbedingten Sekundäransprüche des Käufers nicht belastet wird und deshalb auch nicht auf den Lieferanten Rückgriff nehmen muss. 6. Beweislastverteilung und Ablaufhemmung der Verjährung

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§ 478 Abs. 3 erstreckt für den Verbrauchsgüterkauf die Beweislastverteilung des § 477 auf das Verhältnis zwischen Verkäufer und Lieferant. Begründet wird dies mit der Überlegung, dass der Letztverkäufer, der die Vermutung des § 477 gegenüber dem Käufer nicht widerlegen kann, in aller Regel auch gegenüber 97 98

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 249, rechte Spalte. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 249, rechte Spalte; vgl. auch H.P. Westermann JZ 2001, 530,

541. 99

Nietsch AcP 210 (2010) 722, 730.

C. Rechte des Verkäufers

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dem Lieferanten nicht erfolgreich den Nachweis der Mangelhaftigkeit der Kaufsache führen wird.100 Der Lauf der Sechsmonatsfrist des § 477 beginnt allerdings im Zeitpunkt des Übergangs der Gefahr auf den Verbraucher (§ 478 Abs. 1). Auf diese Weise sorgt § 478 Abs. 1 für einen Parallellauf der Sechsmonatsfristen: Nur solange der Verkäufer im Verhältnis zum Käufer die Beweislast zu tragen hat, wird sie dem Lieferanten im Verhältnis zum Verkäufer auferlegt. § 445b Abs. 2 regelt schließlich für sämtliche Kaufverträge eine Ablaufhemmung von zwei Monaten für die Verjährung der Ansprüche aus §§ 437, 445a Abs. 1. Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass der Verkäufer gegen den Lieferanten wegen Ablaufs der Zweijahresfrist (§§ 438 Abs. 1 Nr. 3, 445b Abs. 1) praktisch nicht mehr vorgehen kann. Deshalb tritt die Verjährung frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Verkäufer die Ansprüche des Käufers erfüllt hat. Allerdings besteht auch insoweit eine Obergrenze von fünf Jahren (§ 445b Abs. 2 Satz 2).

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7. Anwendung in der Lieferkette

Die Kette der Kaufverträge, die vom Hersteller bis zum Verbraucher der Kaufsache reicht, durchläuft verschiedene Wertschöpfungsstufen auf den Ebenen der Warenfertigung sowie des Groß- und Einzelhandels. Nimmt der Letztverkäufer auf seinen Lieferanten Rückgriff, stellt sich die Frage nach dessen Regressmöglichkeiten auf den eigenen Vorgänger in der Kette. Hier trifft § 445a Abs. 3 eine Regelung. Danach sollen die Abs. 1 und 2 des § 445a in der Lieferkette Anwendung finden. Umstritten ist zunächst, ob der Regress beim Hersteller der Kaufsache endet oder sich über diesen hinaus auch auf die Zulieferer erstreckt. Dies wird teilweise mit dem Argument bejaht, dass andernfalls eine Regressfalle für den Hersteller drohe.101 Dies überzeugt schon deshalb nicht, weil der Zulieferer noch kein Verbrauchsgut in den Verkehr bringt; er ist daher für die „neu hergestellte Sache“ nicht selbst verantwortlich, sondern nur für eine Teilkomponente zu dieser. Fraglich ist weiter, ob der Wortlaut des § 445a Abs. 3 der Möglichkeit entgegensteht, hinsichtlich der Verjährung die Ablaufhemmung des § 445b Abs. 2 anzuwenden. Dagegen und für die Anwendbarkeit des § 445b Abs. 2 spricht jedoch, dass § 445a Abs. 3 die Rechtsfolge des § 445a Abs. 1 für anwendbar erklärt. Für die Rechtsfolge des § 445a Abs. 1 aber trifft § 445b Abs. 2 gerade wiederum eine Regelung. Zu § 478 aF. (Version 2002; nun § 445a Abs. 3) wurde noch das Problem erörtert, ob Abs. 5 anwendbar sei, wenn die Sache letztlich gar nicht an einen Verbraucher verkauft wurde (Vorauflage Rn. 527). Dieses Problem ist durch die Neuregelung des § 445a Abs. 3 entfallen, weil dieser einen Verbrauchsgüterkauf nicht mehr zwingend voraussetzt. 100 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 248. 101 Ball ZGS 2002, 49, 52; Büdenbender, in: Dauner-Lieb/Lepa/Heidel/Ring, § 8 Rn. 100; Heß

NJW 2002, 253, 259f.; Tröger AcP 204 (2004) 115, 122.

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§ 2 Der Kaufvertrag

D. Sonderformen des Kaufs 528

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Beim Kauf auf Probe nach §§ 454f. vereinbaren die Parteien, dass die Billigung der Kaufsache im Belieben des Käufers stehen soll. Der Kaufvertrag ist im Zweifel unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung geschlossen (§ 454 Abs. 1 Satz 2). Die Norm stellt zunächst nur eine Auslegungsregel dar. Stets kommen auch andere Auslegungsergebnisse auf der Grundlage von §§ 133, 157 in Betracht. So weist etwa Larenz darauf hin, dass die Billigung des Käufers häufig die eigentlich zum Vertragsschluss führende Willenserklärung darstellt.1 In solchen Konstellationen gibt zunächst der Verkäufer eine bindende Willenserklärung ab, die der Käufer annehmen kann. Erfolgt die kaufvertragliche Einigung dagegen aufgrund einer Warenprobe, kommt zwischen den Parteien regelmäßig eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 dahingehend zustande, dass die Kaufsache in ihrer Beschaffenheit der Warenprobe entsprechen muss.2 Der Begriff „Kauf auf Probe“ beflügelt gelegentlich zu Sprachspielen: Als Kauf zur Probe wird der Kauf angesehen, bei dem der Käufer den Willen bekundet, weitere Sachen desselben Typs zu erwerben, wenn die gekaufte Sache behagt.3 Sonderlich weit führen solche Differenzierungen nicht; denn im Einzelfall kommt es für die Konkretisierung der Pflichten allein auf eine Auslegung des Parteiwillens nach §§ 133, 157 an. Das Wiederkaufsrecht in den §§ 456ff. regelt den Fall, dass sich der Verkäufer in einem ersten Kaufvertrag das Recht vorbehält, durch Erklärung einen Rückkauf hinsichtlich des Kaufgegenstandes zustande zu bringen. Je nach Interessenlage können die Regelungen über das Wiederkaufsrecht auch auf das praktisch wesentlich bedeutendere Wiederverkaufsrecht angewendet werden.4 Die Vereinbarung solcher Retour- oder Remissionsrechte dient der Risikoabsicherung des Käufers vor allem im Hinblick auf den Warenabsatz oder die Restverwertung beim Finanzierungsleasing.5 (BGH 7.11.2001 – VIII ZR 213/00 = NJW 2002, 506) H betreibt einen Großhandel mit Schallplatten. Darin wird ihm vom Lieferanten L ein „Retour-Recht“ als „100%-iges Rückgaberecht“ im Rahmen einer „Konditionsvereinbarung für 1996“ eingeräumt. Als H eine Lieferung von CDs im Jahre 1997 zurückgeben will, lehnt L dies ab.

Der BGH ordnet – noch von altem Recht ausgehend – die Vereinbarung nicht als vertragliches Rücktrittsrecht ein, sondern als Wiederverkaufsrecht, weil der Lieferant nach dem Verständnis der Parteien nicht das Risiko des zufälligen Untergangs der Kaufsache beim Händler tragen wolle (S. 506). Dieses Argument ist allerdings wegen des durch die Schuldrechtsreform eingeführten § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 mittlerweile entfallen: Denn danach hat der Händler dieses 1 2 3 4 5

Larenz II/1 § 44 I. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 207; OLG Frankfurt ZGS 2011, 382. Larenz II/1 § 44 I. Dazu Stoppel JZ 2007, 218. Stoppel JZ 2007, 218, 219f.

D. Sonderformen des Kaufs

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Risiko auch bei der Ausübung eines vertraglichen Rücktrittsrechts zu tragen, ohne sich nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 entlasten zu können (vgl. den Normwortlaut; im Übrigen kennt hier der Käufer den Rücktrittsgrund; vgl. Rn. 312). Die hM. geht in Fällen wie dem vorliegenden dennoch von einem Wiederverkaufsrecht, als aufschiebend bedingtem Kaufvertrag, aus.6 Immer schon hatte die Gegenauffassung die Einräumung eines Gestaltungsrechts bevorzugt.7 Der Unterschied liegt in der Frage, ob die Begründung des Wiederverkaufsrechts der Form des Erstvertrages genügen muss, was von der hM. im Hinblick auf den Schutzzweck der Formgebote zu Recht bejaht wird.8 In Vertriebsverträgen kann ein Wiederverkaufsrecht auch ohne ausdrückliche Vereinbarung aus einer nachvertraglichen Treuepflicht resultieren, wenn der Hersteller den Händler zur Bildung eines Warenlagers verpflichtet.9 Ist die Höhe des Kaufpreises nicht vereinbart, erscheint es zweifelhaft, ob § 456 Abs. 2 analog Anwendung finden kann; denn nach dieser Norm ist der im ursprünglichen Kaufvertrag vereinbarte Preis auch für den Wiederkauf maßgeblich.10 Diese Norm entspricht jedoch zu stark dem am Verkäuferinteresse orientierten Wiederkaufsrecht. Bei diesem kann der Verkäufer und Wiederkäufer aber frei darüber entscheiden, ob und wie lange er die Kaufsache beim Käufer belässt. Beim Wiederverkaufsrecht entscheidet hingegen der Käufer und Wiederverkäufer, so dass er in entsprechender Anwendung der §§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 347 Abs. 1 einen um den Wert der Nutzungen erhöhten Kaufpreis schuldet.11 Das Vorkaufsrecht nach §§ 463ff. vermittelt die Befugnis, vom Verkäufer den Abschluss eines Kaufvertrages zu verlangen, wenn dieser mit einem Dritten einen Kaufvertrag über den einschlägigen Gegenstand geschlossen hat (§ 463). Das zentrale Problem bei der Anwendung dieses Instituts liegt in der Frage, wann Verkäufer und Käufer durch eine von ihnen gewählte Konstruktion das Vorkaufsrecht des Berechtigten umgehen. Dieses Problem begegnet auch beim Vorkaufsrecht des Mieters nach § 577 (Rn. 901): (BGH 27.1.2012 – V ZR 272/10 = NJW 2012, 1354) B gehört eine Eigentumswohnung auf der Grundlage eines Wohnungs- und Teilerbbaurechts. Ihm steht ein dingliches Vorkaufsrecht für alle Fälle des Verkaufs des Erbbaugrundstücks zu. Als der Eigentümer des Grundstücks in Insolvenz fällt, bietet der Insolvenzverwalter V dem B den Miteigentumsanteil an, der seinem Wohnungs- und Teilerbbaurecht entspricht. Dies lehnt B jedoch im Hinblick auf die Höhe der Kaufpreisvorstellungen des V ab. V überträgt daraufhin das gesamte Grundstück unentgeltlich auf die X-GmbH & Co. KG, die kurze Zeit vor dem Erwerb von V gegründet worden ist und deren einziger Gesellschafter V ist. Kurze Zeit später veräußert V seinen Anteil an der X-GmbH an die K-AG (K) zu einem Kaufpreis von rund 7,5 Mio. €. Nun übt B das Vorkaufsrecht gegenüber V aus. V lehnt dies aus mehreren RGZ 121, 367, 369f.; BGHZ 47, 387, 391; BGH WM 1966, 1267; Stoppel JZ 2007, 218, 222. Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965, S. 67 und 237; Larenz II/1, S. 147f.; Schubert JR 2004, 23. 8 BGH WM 1998, 126, 128; Stoppel JZ 2007, 218, 222. 9 Stoppel JZ 2007, 218, 222. 10 Bejahend Bamberger/Roth/Faust § 456 Rn. 15 (= BeckOK). 11 Stoppel JZ 2007, 218, 223f. 6 7

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§ 2 Der Kaufvertrag

Gründen, vor allem unter Hinweis auf § 471, ab und macht hilfsweise die Einrede aus § 467 Satz 2 geltend. Für die K ist mittlerweile Eigentum in das Grundbuch eingetragen worden. Fraglich ist daher, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts durch B zulässig ist.

Die Ausübung des Rechts aus § 463 setzt voraus, dass der aus dem Vorkaufsrecht Verpflichtete mit einem Dritten einen Kaufvertrag über den Gegenstand des Vorkaufsrechts geschlossen hat. Vorliegend hat der Insolvenzverwalter Gesellschaftsanteile veräußert. Zur Vermeidung von Umgehungen wendet der BGH § 463 aber auch auf Vertragsgestaltungen an, „die bei materieller Betrachtung einem Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts so nahe kommen, dass sie ihm gleichgestellt werden können, und in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses ‚eintreten‘ kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen“ (Tz. 8). Überzeugend geht das Gericht davon aus, dass die unentgeltliche Übertragung der Kaufsache auf eine neu gegründete Gesellschaft und die zeitnahe Veräußerung ihrer Anteile in dieser Kombination die Wirkungen eines Kaufvertrags über den Gegenstand des Vorkaufsrechts herbeiführen sollen (Tz. 11). Problematisch erscheint jedoch, ob das Vorkaufsrecht nicht nach § 275 Abs. 1 untergegangen ist, weil die Käuferin mittlerweile Eigentum am Grundstück erworben hat. Dies lehnt der BGH unter Hinweis auf den Umstand ab, dass Unmöglichkeit voraussetze, dass der Verkäufer das Eigentum am Grundstück vom Käufer nicht mehr zurückerlangen könne (Tz. 13). Nach § 1098 Abs. 2 hat das dingliche Vorkaufsrecht, das hier ebenfalls bestand, die Wirkung einer Vormerkung. Dies führt dazu, dass aus Sicht des B der Erwerb durch die K nach § 883 Abs. 2 relativ unwirksam war. Diese relative Unwirksamkeit bezieht sich aber nur auf das Verhältnis B-K, nicht auf das Verhältnis V-K!

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So stellte sich vor allem die Frage, ob das Vorkaufsrecht wegen § 471 in der Insolvenz ausgeschlossen war. Der Berechtigte hatte vorliegend jedoch nicht nur ein schuldrechtlich gesichertes Vorkaufsrecht nach § 463 erworben, sondern dieses war auch durch Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts nach §§ 1094ff. abgesichert.12 Die Funktion dieses beschränkten dinglichen Rechtes besteht darin, die Rechte des Käufers aus § 473 gegenüber gutgläubigen Dritten abzusichern (§ 1098 Abs. 1 Satz 1). Die dem Berechtigten vermittelte dingliche Rechtsstellung führt auch dazu, dass er in der Insolvenz nicht wie ein einfacher Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) gestellt ist, sondern wie ein Absonderungsberechtigter (§ 50 InsO): Nach § 1098 Abs. 1 Satz 2 kann das Vorkaufsrecht aus § 463 daher auch bei einem Verkauf aus der Insolvenzmasse ausgeübt werden. Eine Verteidigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters kann sich vorliegend aber noch aus § 467 Satz 2 ergeben. Wird nämlich der Gegenstand des Vorkaufsrechts gemeinsam mit anderen Sachen zu einem Gesamtpreis verkauft, kann der Verkäufer verlangen, dass der Vorkaufsberechtigte alle Sachen erwirbt, wenn eine Trennung nicht ohne Nachteil für ihn selbst möglich ist. Der BGH 12

Zum Verhältnis beider jetzt BGH NJW 2014, 622.

E. Der Tauschvertrag

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stellt bei der Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Nachteil“ allerdings keinen Wertvergleich zwischen dem Verkauf des ganzen Grundstücks und dem Verkauf nur eines Miteigentumsanteils an den Vorkaufsberechtigten an, sondern legt das Tatbestandsmerkmal zum Schutz des Vorkaufsberechtigten restriktiv aus (Tz. 18): Dort, wo der Verkäufer mit der Ausübung des Vorkaufsrechts für einen Miteigentumsanteil rechnen muss, stehen ihm die Vorteile eines kompletten Verkaufs der Sache von vornherein nicht zu. Insoweit entsteht ihm auch kein Nachteil. B hat daher einen Anspruch aus § 463 gegen V und muss einen nach § 467 Satz 1 zu berechnenden, anteiligen Kaufpreis zahlen.

Dogmatisch beruht das Vorkaufsrecht nach der Rechtsprechung auf einem Kaufvertrag, der doppelt bedingt ist: durch den Verkauf des Gegenstandes seitens des Verpflichteten und die Ausübung des Vorkaufsrechts seitens des Berechtigten.13 Nach anderer Auffassung ist das Vorkaufsrecht ein Gestaltungsrecht.14 Tatsächlich ist der Widerspruch zwischen beiden Auffassungen gering, da in der von der Rechtsprechung angenommenen Potestativbedingung (Ausübung durch den Berechtigten) zugleich die von der Gegenauffassung verlangte Gestaltungswirkung liegt. Die vertragliche Begründung des Vorkaufsrechts bedarf allerdings der Form, die der spätere Kaufvertrag hat.15 Dies gilt gerade im Bereich des § 311b Abs. 1 Satz 1: Denn für den Verkäufer und Vorkaufsverpflichteten tritt bereits dadurch eine aufschiebend bedingte Verkaufspflicht ein, auf deren endgültiges Entstehen er keinen Einfluss hat. Aus diesem Grund bedarf die Ausübung selbst nicht mehr der Form des zustande kommenden Kaufvertrages (§ 464 Abs. 1 Satz 2).

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E. Der Tauschvertrag Beim Tauschvertrag (§ 480) verpflichten sich beide Seiten zur Übereignung von Rechten oder Sachen; eine Zahlungspflicht wie beim Kauf fehlt. Nach § 480 finden auf diesen Vertragstyp die Regeln über den Kaufvertrag entsprechende Anwendung (vgl. den Fall eines Grundstückstauschs unter Rn. 480ff.). Probleme bereitet vor allem der Fall einer mangelbedingten Minderung nach §§ 437 Nr. 2, 441: Ist die Gegenleistung weniger wert als die Tauschsache, kommt eine Minderung im wörtlichen Sinne nicht in Betracht, wohl aber eine Ausgleichszahlung der Partei, die die Leistungsstörung veranlasst hat.1 Wird der Rücktritt ausgeübt, entstehen Probleme bei der Berechnung des Wertersatzes nach § 346 Abs. 2 Satz 2 (vgl. dazu Rn. 287f.). Praktisch bedeutsam sind vor allem die Fälle der Inzahlungnahme eines Gebrauchtfahrzeugs (vgl. dazu bereits Rn. 236): 13 14 15 1

BGHZ 29, 107, 109; 32, 375, 377. Vgl. etwa Larenz II/1 § 44 III. Larenz II/1 § 44 III. Larenz II/1 § 46.

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§ 2 Der Kaufvertrag

(Im Anschluss an BGH 30.11.1983 – VIII ZR 190/82 = BGHZ 89, 126 = NJW 1984, 429) K wollte bei Fahrzeughändler V einen gebrauchten Mercedes im Wert von umgerechnet 3.000 € kaufen. Nach der Vereinbarung der Parteien sollte K seinen eigenen gebrauchten BMW dabei mit 2.350 € in Zahlung geben und den Restbetrag in bar begleichen. Kurz vor Übergabe geht der BMW jedoch unter. V verlangt nun den verbleibenden Kaufpreis iHv. 3.000 €.

Die typologische Einordnung der Inzahlungnahme einer gebrauchten Sache beim Kauf ist umstritten. Von ihr hängt der Inhalt der Erfüllungs- und der Rückgewährpflichten ab. Der BGH geht hier wie in der Leitentscheidung zum Thema2 von einem Kaufvertrag zwischen den Parteien aus, im Rahmen dessen dem Käufer das Recht zusteht, einen vertraglich festgelegten Teil des Kaufpreises durch Hingabe eines Gebrauchtwagens zu tilgen (S. 429f.). Mache der Käufer von dieser Ersetzungsbefugnis Gebrauch, führe dies zu einer Leistung an Erfüllungs statt iSd. § 364 Abs. 1. Fällt aber die Ersatzsache fort, kann der Käufer von der Ersetzungsbefugnis keinen Gebrauch machen und schuldet den Kaufpreis. Die Gegenansicht3 erkennt in der Inzahlungnahme einer gebrauchten Sache hingegen einen gemischten Vertrag aus Kauf und Tausch. Sie wirft dem BGH vor, zu einseitig auf die Interessenlage des Verkäufers abzustellen. Denn der Käufer habe den vollen Listenpreis mglw. nie zahlen wollen, sondern diesen nur wegen der Anrechnungsmöglichkeit akzeptiert. Auch könnten ihm in anderen Fällen die Vorteile, die er durch eine besonders hohe Anrechnung herausgehandelt habe, verloren gehen. Vorliegend verwirft der BGH diese Einwände zunächst mit der Überlegung, dass Ereignisse, die zum Untergang der in Zahlung zu gebenden Sache führten, stets aus der Sphäre des Käufers resultierten. Wolle der Käufer die Wirksamkeit des Vertrages von der Inzahlunggabe abhängig machen, müsse er eben eine auflösende Bedingung mit dem Verkäufer vereinbaren (S. 430). Aus Sicht beider Parteien stehe jedoch der Erwerb des vom Fahrzeughändler angebotenen Fahrzeugs im Mittelpunkt der Überlegungen, während die Inzahlungnahme typischerweise nicht in das Pflichtensynallagma aufgenommen werde (S. 430). Daraus folgt (S. 430): Der Käufer hat eine Ersetzungsbefugnis, aber keine Pflicht, der Verkäufer muss die Ersetzung der Kaufpreiszahlung durch Übereignung der Sache dulden, kann sie aber nicht verlangen. Diese Betrachtungsweise überzeugt: Denn regelmäßig schließt der Fahrzeughändler den Kaufvertrag nicht, um den in Zahlung gegebenen Kundenwagen zu erhalten. Letzteres ist eher ein Service, den er anbieten muss, um in der Konkurrenz zu anderen Händlern wettbewerbsfähig zu bleiben (so auch S. 430). Damit ist auch nicht notwendigerweise eine Benachteiligung des Käufers verbunden: Dieser darf nämlich auch nach Abschluss des Kaufvertrages sein Altfahrzeug an einen Dritten veräußern, wenn dieser bereit ist, einen über dem Anrechnungsbetrag liegenden Kaufpreis zu zahlen. Denn der VerkäuBGHZ 46, 338 = NJW 1967, 553, 554; vgl. auch BGHZ 175, 286 = NJW 2008, 2028, Tz. 13. Vgl. Mayer-Maly, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 673ff.; Medicus NJW 1976, 54, 56; Medicus/Petersen BR Rn. 756; Oehler JZ 1979, 787, 788; Honsell Jura 1983, 523, 524f. 2 3

E. Der Tauschvertrag

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fer erwirbt ja keinen Anspruch auf den Kundenwagen, sondern der Kunde nur eine Ersetzungsbefugnis. (Abwandlung von Rn. 536) Die Inzahlungnahme des dem K gehörenden BMW gelingt. Wegen eines Unfallschadens am Mercedes erklärt K den Rücktritt. Er verlangt von V Zahlung von 3.000 € gegen Rückgabe des Mercedes. V hält dagegen, dass er dem K nur 650 € und die Rückgabe des BMW (bzw. Wertersatz) schulde.

Fraglich ist in diesem Fall, was genau der Kunde zurückverlangen kann, wenn er den Rücktritt wirksam erklärt hat: sein Fahrzeug bzw. dessen Wert oder den Anrechnungsbetrag. Zu Recht stellt der BGH auf den Wortlaut des § 346 Abs. 1 ab. Danach muss der Händler die empfangene Leistung zurückgewähren: dies ist aber der Gebrauchtwagen4 (vgl. dazu auch Rn. 287). Umgekehrt stellt sich die Frage, was der in Zahlung nehmende Verkäufer bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages bzw. im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung verlangen kann: (BGH 19.12.2012 – VIII ZR 117/12 = NJW 2013, 1733) In 2004 verkauft V dem K einen Neuwagen und nimmt dabei dessen gebrauchten Audi A6 für 19.421 € in Zahlung. Den Audi hatte K selbst erst 2003 gebraucht erworben. Im Ankaufsschein beantwortet K die Frage nach möglichen Unfallschäden mit „keine“. Im Kaufvertrag über das Fahrzeug wurde schließlich die Gewährleistung ausgeschlossen. Tatsächlich war K zuvor beim Ausparken des Audis mit der Autotür eines anderen Fahrzeugs kollidiert, als dessen Fahrer gerade aussteigen wollte. Den dabei am Audi entstandenen Sachschaden iHv. 2.919,12 € ließ er nicht fachgerecht, sondern nur behelfsmäßig für 819,89 € reparieren. V seinerseits verkauft den Audi an den Dritten D weiter, dem dieser Schaden auffällt und der deshalb von V Rückabwicklung verlangt. V verweigert diese unter Bestreiten der Beanstandung des D und wird deshalb auf Klage des D hin rechtskräftig zur Rücknahme des Fahrzeugs gegen Rückgewähr des Kaufpreises verurteilt. Von K verlangt V nun im Wege des Schadensersatzes die Rücknahme des Audi gegen Rückgewähr der 19.421 € sowie Schadensersatz iHd. ihm gegenüber D entstandenen außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch des V gegen K aus §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 (Tz. 13). Der Unfallschaden begründet einen Mangel iSd. § 434 Abs. 1 (BGH Tz. 14; dazu Rn. 122), der im Wege der Nacherfüllung nicht zu beseitigen ist; insbesondere kommt bei einem gebrauchten Fahrzeug eine Nachlieferung regelmäßig nicht in Betracht (Rn. 172). Dieser Mangel lag auch bei Vertragsschluss vor und war K bekannt, sodass dieser nach § 311a Abs. 2 Satz 2 Verantwortung trägt. Der zwischen den Parteien vereinbarte Haftungsausschluss hat dabei wegen des arglistigen Verschweigens des Mangels durch K keinen Bestand (§ 444 zweiter Halbsatz erster Fall). Hier ginge dem Haftungsausschluss im Übrigen auch die zwischen V und K getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung („Unfallschäden: keine“) vor (BGH Tz. 15; dazu Rn. 450). Fraglich ist jedoch, in welcher Höhe V von K Schadensersatz verlangen kann.

Der BGH spricht dem Verkäufer einen Zahlungsanspruch iHd. Kaufpreises zu, der durch die Inzahlungnahme des Fahrzeugs ersetzt worden war (Tz. 13). Auf diese Weise erlangt der Verkäufer im Wege der schadensrechtlichen RückabIn diesem Sinne BGHZ 89, 126, 134f.; hM.; vgl. nur Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 71; Schulin 4 JZ 1984, 379.

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§ 2 Der Kaufvertrag

wicklung statt der Ersatzsache eine Barleistung. Die Prozesskosten muss der Käufer jedoch nicht ersetzen, da sie von ihm nicht verursacht wurden. Denn der Verkäufer hat sich gegenüber dem Dritten auf einen „erkennbar aussichtslosen Prozess“ eingelassen (Tz. 16). Er hätte auf die Behauptung des Dritten hin das Fahrzeug fachmännisch untersuchen und sich im Anschluss auf das Rücktrittsverlangen des Dritten einlassen müssen (Tz. 16). K hat die Prozesskosten iSd. Äquivalenztheorie verursacht (der verschwiegene Unfallschaden kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der in den Kosten liegende Schaden entfällt). Diese Ursache ist K jedoch nicht objektiv zurechenbar, weil die Risikoentscheidung des V den Zurechnungszusammenhang durchbricht. Wenn V sich auf einen erkennbar aussichtslosen Prozess einlässt, gefährdet er sein Vermögen durch eine eigenverantwortliche Entscheidung, für die K keine Verantwortung trägt.

F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus I. Widerrufsrechte 1. Überblick 538

Nach den Vorgaben der VerbRRiL gewährleistet das BGB Verbraucherschutz durch die Verbesserung der Informations- und Entscheidungsmöglichkeiten des Verbrauchers. Dies entspricht dem sog. Disclosure-Prinzip (dazu Rn. 1287f.). Durch vorvertragliche Information soll dem Verbraucher zunächst eine selbstbestimmte Entscheidung über den Vertragsschluss ermöglicht werden (§ 312d). Nicht immer kann der Verbraucher diese jedoch bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses treffen: Bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (AGAV) wird der Verbraucher bei Vertragsschluss möglicherweise überrascht oder steht unter psychologischem Druck (Erwägungsgrund 37 Satz 3 VerbRRiL); beim Fernabsatzvertrag kennt er die Ware noch nicht und kann erst nach deren Erhalt eine vernünftige Entscheidung treffen (Erwägungsgrund 37 Satz 2 VerbRRiL); beim Verbraucherdarlehen überblickt er die auf ihn zukommende Gesamtbelastung bei Vertragsschluss noch nicht sicher (Erwägungsgründe 27 und 34 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG). In diesen und anderen Fällen eröffnet das Widerrufsrecht eine nachträgliche Lösungsmöglichkeit vom Vertrag: Das Widerrufsrecht verschiebt damit die Verbraucherentscheidung über das Zustandekommen eines Vertrages auf einen Zeitpunkt nach Vertragsschluss. Deshalb ist der Verbraucher bei Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 Satz 1 an seine Willenserklärung nicht mehr gebunden. Stattdessen findet eine Rückabwicklung über die Spezialnormen der §§ 357ff. statt, die die allgemeinen Rücktrittsvorschriften (§§ 346ff.) verdrängen (§ 361 Abs. 1). Der abschließende Charakter der §§ 357ff. erklärt sich wiederum aus dem Prinzip der Vollharmonisierung des Verbraucherschutzes (dazu Rn. 36a) gem. Art. 4 VerbRRiL. Die Richtlinie sieht nämlich nicht nur einen Mindestschutz für Verbraucher vor, sondern setzt dem Konsu-

F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus

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mentenschutz auch Höchstgrenzen, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten durch unterschiedliche Regelungen zu vermeiden (Erwägungsgründe 5 und 6). Die Setzung der Höchstgrenzen zielt also auf eine Ordnung der Marktverhältnisse iS. der Kräfte des freien Wettbewerbs (Marktordnungsrecht). Vor der Umsetzung der VerbRRiL war etwa diskutiert worden, ob der Unternehmer für eine fehlerhafte Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht auf Schadensersatz haften könnte1 (vgl. für das Verbraucherdarlehen Rn. 688). Das Prinzip der Vollharmonisierung und § 361 Abs. 1 dürften dem weitgehend entgegenstehen, da die Rechtsfolgen des §§ 249ff. zu leicht über das Regelungsprogramm der Richtlinie hinausgehen könnten. Im Einzelfall gilt für die Ausübung des Widerrufsrechts und seine Rechtsfolgen folgende systematische Struktur: (1) Das Bestehen des Widerrufsrechts wird in einer Spezialnorm geregelt (zB. § 485). (2) Über die Art seiner Ausübung entscheidet einer der Spezialtatbestände der §§ 356ff. (im Beispiel: § 356a). Dieser wird stets durch die allgemeine Regelung des § 355 Abs. 1 Satz 2 bis 5 und Abs. 2 ergänzt. (3) Die Ausübung des Widerrufsrechts führt dann zur allgemeinen Rechtsfolge des § 355 Abs. 3, die aus der Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen besteht. (4) Diese wird ergänzt durch besondere Rechtsfolgen, die in den §§ 357ff. geregelt sind (im Beispiel: § 357b). Die Schutzwirkung des Instituts verdeutlicht die Frage, ob auch ein nichtiger Vertrag widerrufen werden kann: (BGH 25.11.2009 – VIII ZR 318/08 = BGHZ 183, 235 = NJW 2010, 610) K erwirbt von V telefonisch einen Pkw-Innenspiegel mit einer für Deutschland codierten Radarwarnfunktion zum Preis von 1.129,31 €. Nach Lieferung übt K den Fernabsatzwiderruf aus und verlangt sein Geld zurück. V verweist auf die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts.

Die Anwendbarkeit des Fernabsatzwiderrufs nach § 312g ist für den Käufer deshalb praktisch bedeutsam, weil eine Leistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall an § 817 Satz 2 scheitern würde. Folgt man nämlich der hM. und geht von der Sittenwidrigkeit eines Kaufvertrags über ein Radarwarngerät aus,2 greift die Sperrwirkung des § 817 Satz 2 zu Lasten des Verbrauchers.3 Gegen die Widerrufsmöglichkeit könnte zunächst sprechen, dass ein nichtiger Vertrag von vornherein nicht besteht und daher auch nicht nach §§ 355 Abs. 3, 357 rückabgewickelt werden kann.4 Der BGH knüpft hingegen an die von Theodor Kipp entwickelte Lehre von den Doppelwirkungen5 an (Tz. 18): Diese erlaubt wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen von Unwirksamkeits- und Nichtig1 2 3 4 5

Aus heutiger Sicht: Eichel ZfPW 2016, 52ff.; Singbartl/Zintl NJW 2016, 1848. Vgl. bereits BGH NJW 2005, 1490; vgl. im Übrigen nur Staudinger/Lorenz § 817 Rn. 28. Dazu wiederum teilweise kritisch Klöhn AcP 210 (2010) 804ff. Staudinger/Thüsing § 312d Rn. 10. Kipp, in: FS Martitz, 1911, S. 211ff.

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keitsgründen deren kumulative Geltendmachung: Ebenso wie ein bereits nach § 119 Abs. 1 erfolgreich angefochtenes Rechtsgeschäft nachträglich noch nach § 123 Abs. 1 angefochten werden kann, um die Haftung aus § 122 Abs. 1 zu vermeiden, muss vorliegend auch ein nichtiges Geschäft widerrufen werden können, um dem Verbraucher die Rückabwicklung entgegen § 817 Satz 2 zu ermöglichen. Der im Vorfeld vertretenen weiteren Gegenauffassung, die dem Verbraucher diese Möglichkeit im Falle des Vertretenmüssens der Nichtigkeit verwehren wollte,6 ist der BGH zu Recht nicht gefolgt (Tz. 20 und zuvor Tz. 17). Denn der dem Verbraucher vorwerfbare Sittenverstoß steht in keinem inneren Verhältnis zu dessen Schutzbedürftigkeit nach den Regeln über den Fernabsatz. Vor allem ist das Fernabsatzwiderrufsrecht nicht an Sachgründe gebunden. Deshalb kann dem Verbraucher gegenüber im Regelfall auch nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242) erhoben werden: Bedarf der Widerruf nämlich keines Sachgrundes, ist der Verbraucher auch an einer willkürlichen Ausübung nicht gehindert. Der Verkäuferschutz vollzieht sich deshalb auf einer anderen Ebene, nämlich über die Haftung nach § 357 Abs. 7 und 8.7 Der BGH beachtet allein, und auch nur im Einzelfall, den Einwand arglistig schädigenden Verhaltens durch den Verbraucher.8 Dagegen kennt der EuGH den Missbrauchseinwand vor allem in den Fällen, in denen ein Recht in betrügerischer Weise erlangt worden ist; weniger entwickelt ist seine Rechtsprechung dazu, unter welchen Voraussetzungen ein redlich erworbenes Recht zu einem späteren Zeitpunkt missbräuchlich ausgeübt wird.9 Abweichend von dieser Linie kommt jedoch bei der Ausübung des ewigen Widerrufsrechts beim Verbraucherdarlehen eine Vewirkung in Betracht (Rn. 663). Eine weitere Auffassung kritisiert, dass die durch das Widerrufsrecht bewirkte Verhaltenssteuerung und der Schutz vor vertraglicher Bindung bei einem nichtigen Vertrag gar nicht erreicht werden könnten.10 Dem wird man aber gerade im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 817 Satz 2 widersprechen müssen: Der Verbraucher wird durch das Widerrufsrecht vor der faktischen Bindungswirkung geschützt, die von den Kondiktionssperren der §§ 814, 817 Satz 2 ausgeht. Dieser Gedanke greift erst recht in anderen Fällen, wenn die Verkäuferseite für den Nichtigkeitsgrund verantwortlich ist: Hier muss sich der Verbraucher zum eigenen Schutz immer auch auf sein Widerrufsrecht berufen können. Kaufverträge können nach § 312b (AGAV) und § 312c (Fernabsatzverträge) auf der Grundlage des § 312g widerrufen werden. Die Ausübung des Widerrufsrechts ist ohne Angabe von Sachgründen möglich (§ 355 Abs. 1 Satz 4) und richtet sich nach § 356. Hier bleibt dem Käufer eine Frist von 14 Tagen (§ 355 6 MünchKomm/Masuch, 5. Aufl. 2007, § 355 Rn. 28; aA. MünchKomm/Fritsche § 355 Rn. 32f. 7 Ausführlich Mankowski JZ 2016, 787ff.; Beneke ZIP 2016, 1897. 8 BGH NJW 2016, 1951, Tz. 16 und 20; ähnliches dürfte für den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens gelten: Petersen JZ 2010, 315f. 9 Rieländer AcP 216 (2016) 763, 777 und 789ff. 10 Ludwig ZGS 2010, 490ff.

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Abs. 2 Satz 1), die beginnt, wenn er die Ware erhalten hat (§ 356 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) und der Verkäufer seinen Informationspflichten nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bzw. Art. 246b EGBGB § 2 Abs. 1 nachgekommen ist. Wurde nicht richtig über das Widerrufsrecht belehrt, beträgt die Frist 12 Monate und 14 Tage ab Erhalt der Kaufsache, wenn der Kaufvertrag bereits geschlossen wurde (vgl. nur § 356 Abs. 3 Satz 2). Das vormals mögliche „unendliche Widerrufsrecht“ bei unterbliebener ordnungsgemäßer Belehrung besteht also nicht mehr. Fraglich ist, ob die Widerrufsbelehrung auch vor Vertragsschluss erfolgen kann: (BGH 23.9.2010 – VII ZR 6/10 = BGHZ 187, 97 = NJW 2010, 3503; abgewandelt) Verbraucher K erhält von einem Vertreter des Unternehmers V am 2.4.2008 einen Hausbesuch, in dessen Verlauf er einen Antrag auf Abschluss eines Vertrages über Versorgungsleistungen (Strom, Wasser, Gas) unterschreibt. Dabei wird K über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt. Am 9.4.2008 erhält K von V eine Annahmeerklärung, worauf er am 21.4.2008 erklärt, er werde die Bestellung gern noch „etwas nach hinten schieben.“ Im Juni 2008 erklärt K dann die Stornierung der Bestellung. V besteht auf Erfüllung.

Für den AGAV-Widerruf nach § 312g Abs. 1 bleiben dem Verbraucher nach § 355 Abs. 2 Satz 1 14 Tage. Für den Fristbeginn sind bei Verträgen über Versorgungsleistungen zwei Ereignisse maßgeblich: erstens der Vertragsschluss nach § 356 Abs. 2 Nr. 2 und zweitens die ordnungsgemäße Belehrung nach § 356 Abs. 3 Satz 1. Der BGH lässt vorliegend noch nach altem Recht den Lauf der Widerrufsfrist mit der Willenserklärung des K (2.4.2008) beginnen (Tz. 13). Dies ist nun wegen der vollharmonisierenden Wirkung des Art. 9 Abs. 2 lit. a VerbRRiL nicht mehr möglich. Die Norm stellt wie § 356 Abs. 2 Nr. 2 auf den Vertragsschluss als Beginn der Widerrufsfrist ab, wobei Art. 9 Abs. 1 dem Verbraucher nur eine Frist von 14 Tagen ab diesem Zeitpunkt einräumt. Eine Veränderung des Fristverlaufs durch Vorverlegung ihres Beginns verstößt wohl gegen das Prinzip der Vollharmonisierung. Fraglich ist, ob der Verbraucher seinerseits den Widerruf vor Vertragsschluss erklären darf. Der BGH sah dies grundsätzlich als möglich an, zog jedoch eine Grenze dort, wo der Widerruf vor Abgabe der Willenserklärung des Verbrauchers erklärt wurde (Tz. 14). Dies liegt in der Sache nahe; denn aus Sicht des Verbrauchers macht es keinen Sinn, den Vertragsschluss abzuwarten, wenn die eigene Entscheidung bereits getroffen ist. Allerdings steht dem abermals das Zusammenspiel von Art. 9 Abs. 1 und 2 VerbRRiL entgegen. Man kann dem Sachanliegen jedoch in anderem Zusammenhang Rechnung tragen: Sendet der Käufer auf einen vorgezogenen Widerruf die Kaufsache innerhalb der 14-Tages-Frist zurück, dürfte dies als eindeutige Erklärung des Widerrufs iSd. § 355 Abs. 1 Satz 3 gelten, wenn dem Verkäufer zuvor ein ausdrücklicher „Widerruf“ verfrüht zugegangen ist. Ein Widerruf des Verbrauchers vor Abgabe der eigenen Willenserklärung bleibt jedoch unmöglich. Er stünde einem nach § 361 Abs. 2 verbotenen Verzicht auf das Widerrufsrecht gleich. Eigene Probleme entstehen, wenn im Einzelfall die rechtlichen Voraussetzungen eines Widerrufsrechts nicht vorliegen. Fraglich ist etwa, ob der Un-

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§ 2 Der Kaufvertrag

ternehmer den Verbraucher in diesem Fall darüber aufklären muss, dass aufgrund eines gesetzlichen Ausnahmetatbestandes (vgl. den Katalog des § 312g Abs. 2) kein Widerrufsrecht besteht. Bejaht man dies, könnte der Verbraucher zwar nicht mit der Wirkung des § 355 Abs. 1 Satz 1 widerrufen, darf jedoch den Unternehmer wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) in Anspruch nehmen. Da dieser Anspruch wiederum auf das negative Interesse gerichtet ist, käme eine Rückabwicklung des Vertrages im Wege des Schadensersatzes in Betracht. Damit erweiterte sich jedoch die Rückabwicklungsmöglichkeit des Verbrauchers in einen Bereich, in dem nach den Vorstellungen des Gesetzgebers kein Widerrufsrecht bestehen soll. Dies widerspricht dem Vollharmonisierungsprinzip des Art. 4 VerbRRiL.11 Fraglich ist ferner, ob zwischen den Parteien ein vertragliches Widerrufsrecht vereinbart wird, wenn der Unternehmer in seinen AGB den Verbraucher über das Bestehen eines gesetzlichen Widerrufsrechts belehrt, dessen rechtliche Voraussetzungen tatsächlich jedoch nicht vorliegen. Der BGH verneint diese Möglichkeit aus Erwägungen heraus, die an die Erörterung des vorerwähnten Problems erinnern: Die gesetzlichen Voraussetzungen eines Widerrufsrechts dürfen nicht über eine zu großzügige Auslegung gemäß §§ 133, 157 über die im Gesetz vorgesehenen Fälle hinaus erweitert werden.12 Maßgeblich erscheint dabei die objektive Auslegung von AGB: Diese orientiert sich ja nicht an der Sicht eines objektiven Beobachters in der Position der Vertragsgegenseite nach §§ 133, 157, sondern an der objektiven Warte eines Durchschnittskunden (arg. e § 305c, Tz. 21). Ein durchschnittlicher Kunde geht jedoch anlässlich der Widerrufsbelehrung nicht davon aus, dass der Unternehmer einen Antrag nach § 145 unterbreitet, sondern nur, dass er nur seinen vermeintlichen, tatsächlich nicht bestehenden gesetzlichen Pflichten genügen will (Tz. 23ff.). Dann aber fehlt auf Verkäuferseite der Rechtsbindungswille. Eine fehlerhafte bzw. fehlende Widerrufsbelehrung verlängert die Widerrufsfrist auf 12 Monate und 14 Tage (§ 356 Abs. 3 Satz 2). Zur Vermeidung von Fehlern kann der Unternehmer die gesetzliche Musterwiderrufsbelehrung (etwa Anlage 1 zu Art. 246a EGBGB) verwenden. Diese begründet nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB die unwiderlegliche Vermutung einer rechtmäßigen Belehrung. Dennoch bleiben in der Praxis Gestaltungsrisiken, wenn etwa Teile des Musters im Wege des Baukastenprinzips verwendet werden.13

11 Vgl. aber BGH WM 2012, 221, Tz. 13ff., der im Rahmen des § 3a UWG von einem anderen Verständnis ausgeht. 12 BGH ZIP 2012, 262, Tz. 17; zuvor bereits Corzelius EWiR 2009, 243, 244; Münscher WuB I E 1.–5.03; aA. noch OLG Nürnberg WM 2012, 650; Ebnet NJW 2011, 1029, 1030f. 13 Schürnbrand JZ 2015, 974, 979f.

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2. Rechtsfolgen a) Überblick

Der Widerruf bewirkt zunächst, dass der Verbraucher an seine auf den Abschluss des Verbrauchervertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden ist (§ 355 Abs. 1 Satz 1). Nach § 355 Abs. 3 findet zusätzlich eine Rückabwicklung statt, deren Einzelheiten in § 357 geregelt sind. Nach § 355 Abs. 3 Satz 1 ist der Verbraucher zur unverzüglichen Rücksendung der Ware verpflichtet, wofür ihm § 357 Abs. 1 eine Höchstfrist von 14 Tagen einräumt. Diese beginnt für den Verbraucher nach § 355 Abs. 3 Satz 2 mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Den weiteren Inhalt der Rückgewährpflicht regelt § 357 Abs. 5 bis 9. Auch die Rückgewährpflicht des Unternehmers folgt aus § 355 Abs. 3 Satz 1 und ist innerhalb von 14 Tagen zu erfüllen (§ 357 Abs. 1). Die Frist beginnt jedoch für ihn im Zeitpunkt des Zugangs der Widerrufserklärung (§ 355 Abs. 3 Satz 2); die weiteren Rechtsfolgen sind in § 357 Abs. 1 bis 4 geregelt. Diese Regelungen sind abschließend (§ 361 Abs. 1; Rn. 538) und verdrängen das allgemeine Rücktrittsrecht (§§ 346ff.). Neben die Rückgewährpflicht kann jedoch ein Schadensersatzanspruch aus c.i.c. treten:

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(BGH 5.7.2016 – XI ZR 254/15 = ZIP 2016, 1815) Verbraucher K hat einen Anteil an einer BGB-Gesellschaft (Fonds) erworben (dazu Rn. 555ff.), wobei er über Chancen und Risiken durch Verkäufer V nicht ausreichend aufgeklärt wurde. Zunächst übt er sein AGAVWiderrufsrecht erfolgreich aus. Daneben kann ihm jedoch auch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) wegen der durch V begangenen schuldhaften Aufklärungspflichtverletzung zustehen. Auf diesen Anspruch muss er sich allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung (Rn. 224ff.) die Leistungen des Unternehmers anrechnen lassen, die dieser in Erfüllung der Rückgewährpflicht erbracht hat (Tz. 21ff.).

b) Die Rückgewährpflicht

Die Rückgewährpflicht des Verbrauchers (§ 355 Abs. 3 Satz 1, Rn. 543) ist unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1) zu erfüllen; die 14-Tages-Frist begründet nur den äußersten zeitlichen Rahmen. Aus § 357 Abs. 4 Satz 1 folgt, dass der Verbraucher zur Vorleistung verpflichtet ist: Der Unternehmer kann die Rückzahlung nämlich bis zu dem Zeitpunkt verweigern, in dem er die Waren entweder wieder zurückerhalten hat oder in dem der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er die Waren zurückgeschickt hat. Das Gesetz trifft ebenso wie Art. 14 VerbRRiL keine Regelung über die Rechtsfolge einer verspäteten Lieferung. Allerdings gibt Erwägungsgrund 48 Satz 2 VerbRRiL zu verstehen, dass in diesem Fall „Sanktionen“ greifen müssen. In Betracht kommt eine Verzugshaftung nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 2.14 Ferner trägt der Verbraucher grundsätzlich die Kosten der Rücksendung, wenn er zuvor vom Unternehmer in diesem Sinne belehrt

14

RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 64; MünchKomm/Fritsche § 357 Rn. 11.

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wurde (§ 357 Abs. 6 Satz 1). Den Ersatz der Kosten für die ursprüngliche Lieferung regelt hingegen § 357 Abs. 2. (EuGH 15.4.2010 – C-511/08 = Slg. 2010, I-3047 – Heinrich Heine) Das Versandhaus V sendet den Kunden die im Fernabsatz bestellte Ware ohne Erhebung von Versandkosten zu. In einer AGB-Klausel behält es sich jedoch das Recht vor, die Versandkosten im Fall der Ausübung des Fernabsatzwiderrufsrechtes noch nachträglich geltend zu machen. Die AGB-Klausel könnte wegen Verstoßes gegen §§ 361 Abs. 2, 134 nichtig sein, wenn durch sie § 357 Abs. 2 umgangen wird.

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Nach § 357 Abs. 2 Satz 1 muss der Verkäufer dem Verbraucher auch „Zahlungen für die Lieferung“ (Transportkosten) zurückerstatten. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Verbraucher – abweichend vom Angebot des Verkäufers – eine andere Art der Lieferung gewünscht hat (zB. Expresslieferung; so Erwägungsgrund 46 Satz 3 VerbRRiL). Der EuGH lässt sich bei seiner Entscheidung – noch vor Inkrafttreten der VerbRRiL – von dem Gedanken leiten, dass das Widerrufsrecht nicht durch wirtschaftliche Belastungen des Verbrauchers zu einem rein formalen Recht herabgestuft werden darf (Tz. 54) und wiederholt dabei ein Argument, das auch von den Entscheidungen in Sachen „Weber/ Putz“ (Rn. 175) und „Messner“ (Rn. 547) her bekannt ist.15 Die nachträgliche Auferlegung der Lieferkosten hat erkennbar Sanktionscharakter und entfaltet im Hinblick auf die Ausübung des Widerrufsrechts prohibitive Wirkung. Die Regelung widerspricht aus heutiger Sicht § 357 Abs. 2 und ist nach §§ 361 Abs. 2, 134 nichtig. Der Leistungsort für die Rückgewähr bestimmt sich grundsätzlich nach § 269 Abs. 1, so dass die Rücksendepflicht als Schickschuld erscheint.16 Übernimmt der Unternehmer die Kosten der Rücksendung nach § 357 Abs. 6 Satz 2, beeinflusst dies den Leistungsort nicht (§ 269 Abs. 3). Eine Holschuld entsteht bei einem AGAV unter den Voraussetzungen des § 357 Abs. 6 Satz 3, wenn die Ware ursprünglich an die Haustür des Verbrauchers geliefert wurde und wegen ihrer Beschaffenheit nicht zurückgesendet werden kann. Nach § 355 Abs. 3 Satz 4 trägt der Unternehmer die Gefahr des zufälligen Untergangs bei der Rücksendung der Ware. Verbraucher K hat einen Surroundkopfhörer bei Unternehmer V per Fernabsatzvertrag bestellt. Nach der Lieferung des Geräts widerruft er seine Willenserklärung wirksam und sendet den Kopfhörer auf eigene Kosten mit dem Paketdienst P an V zurück, der K darüber eine Quittung ausstellt. Auf dem Transport wird das Fahrzeug des P durch alleiniges Verschulden des X in einen Straßenverkehrsunfall verwickelt. Der Kopfhörer geht dabei unter. Den Kaufpreis will V dem K jedoch nicht zurückerstatten, sondern beruft sich stattdessen auf sein Zurückbehaltungsrecht nach § 357 Abs. 4 Satz 1. Fraglich ist, ob V dem auf den Kaufpreis bezogenen Rückgewähranspruch des K aus § 357 Abs. 1 das Zurückbehaltungsrecht aus § 357 Abs. 4 Satz 1 entgegenhalten kann. Der Verbrauchsgüterkauf gem. § 474 Abs. 1 wurde wirksam nach §§ 312g, 356 widerrufen, 15 Zustimmend Grohmann/Gruschinske ZGS 2010, 250ff.; im Vorfeld: Braun ZGS 2008, 129; Pfeiffer ZGS 2008, 48. 16 Staudinger/Kaiser § 357 Rn. 9.

F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus

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sodass V zur Rückgewähr des Kaufpreises verpflichtet ist (§ 355 Abs. 3 Satz 1). Gegen ein Zurückbehaltungsrecht aus § 357 Abs. 4 Satz 1 spricht, dass K durch die Quittung des P den Nachweis erbringen kann, dass er die Ware zurückgesendet hat (§ 357 Abs. 4 Satz 1 zweiter Fall). Weil V die Rücksendegefahr nach § 355 Abs. 3 Satz 4 trägt, hätte er die Sache in diesem Fall auch in der Weise „zurückerhalten“, die ihm gegenüber K zusteht. V darf also den Kaufpreis nicht zurückbehalten.

Durch die Regelung des § 355 Abs. 3 Satz 4 treten dieselben Probleme wie im Anwendungsbereich des § 447 Abs. 1 auf (im Einzelnen Rn. 496ff.). Gegenüber P hat V einen Anspruch aus §§ 421 Abs. 1 Satz 2, 425 Abs. 1 HGB (Frachtführerhaftung). Gegenüber X stellt sich die Frage, ob V einen Eigenanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG geltend machen kann. Dies setzt voraus, dass er (noch) Eigentümer der Ware ist. Nach §§ 133, 157 ist jedoch beim Fernabsatzvertrag – trotz bestehender Widerrufsmöglichkeit – davon auszugehen, dass der Veräußerer an den Erwerber nach § 929 Satz 1 Volleigentum überträgt, wenn dieser die Gegenleistung erbracht hat. Denn übt der Verbraucher sein Fernabsatzwiderrufsrecht nicht aus, soll das Eigentum nach dem Willen der Parteien iSd. § 929 Satz 1 dauerhaft beim Verbraucher verbleiben. Scheitert der Rücktransport der Kaufsache zum Unternehmer, erwirbt dieser das Eigentum auch nicht zurück, da die Voraussetzungen des § 929 Satz 1 (vgl. vor allem die dort vorausgesetzte Übergabe) noch nicht vorliegen. Konsequenterweise kommt es dann zu einer zufälligen Schadensverlagerung, weil K als Eigentümer die Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1 StVG gegenüber X geltend machen kann, aber keinen Eigenschaden hat. Er darf dabei wie im Fall des § 447 Abs. 1 den Drittschaden des V gegenüber X liquidieren (Drittschadensliquidation). V kann darauf die so entstehenden Ansprüche nach § 285 Abs. 1 von K herausverlangen.

Dieser Zusammenhang erklärt den Zweck des § 357 Abs. 4 Satz 2: Der Gefahrübergang auf den Unternehmer findet nach dieser Norm dann nicht mit Absendung der Ware statt, wenn der Unternehmer zuvor angeboten hat, die Ware beim Verbraucher abzuholen. So kann der Unternehmer die Gegenleistungsgefahr im eigenen Interesse steuern. c) Die Nutzungsersatzhaftung des Verbrauchers

§ 357 Abs. 8 und 9 regelt Ansprüche des Unternehmers auf Wertersatz für die aus der gelieferten Kaufsache gezogenen Nutzungen, nach § 100 also für Früchte und insbesondere Gebrauchsvorteile (vgl. Rn. 277). Die beiden Normen ersetzen den Tatbestand des § 346 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 für den Sonderbereich der Widerrufsfolgen (§ 361 Abs. 1). Die Nutzungsersatzhaftung nach § 357 Abs. 8 erfasst einerseits Dienstleistungen, andererseits die Lieferung von Versorgungsleistungen (Wasser, Gas, Strom, Fernwärme) in nicht bestimmten Mengen oder nicht abgrenzbarem Volumen. Das Merkmal „Dienstleistungen“ fungiert als Oberbegriff für Leistungen nicht gegenständlicher Art;17 dies folgt aus der Gegenüberstellung mit „Waren“ in Art. 2 Nr. 5 VerbRRiL und ergibt sich aus folgender Überlegung: Anders als eine Ware kann 17

MünchKomm/Fritsche § 357 Rn. 38.

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§ 2 Der Kaufvertrag

der Unternehmer solche Leistungen nicht nach § 355 Abs. 3 Satz 1 in natura zurückerhalten, sondern nur in Gestalt einer Ausgleichszahlung (Nutzungsersatz). Die Erwägungsgründe 19 (digitale Inhalte) und 50 (Dienstleistungen) der VerbRRiL äußern sich zum Regelungszweck. Es geht um eine Lösung des Interessenkonflikts: Der Verbraucher ist einerseits an einem sofortigen Tätigwerden des Unternehmers interessiert (telefonisch bestellte Elektrizitätslieferung), soll aber andererseits nicht durch ein vorzeitiges Tätigwerden des Unternehmers in eine Wertersatzhaftung gedrängt werden. Auf der anderen Seite steht der Unternehmer, der keinen Wertverlust erleiden möchte, wenn er auf Kundenwunsch tätig wird. Deshalb schuldet der Verbraucher Nutzungsersatz nur, wenn er vom Unternehmer ausdrücklich ein Tätigwerden vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt hat (§ 357 Abs. 8 Satz 1) und vom Unternehmer über die Rechtsfolge seines Verlangens (Haftung auf Nutzungsesatz) belehrt wurde (§ 357 Abs. 8 Satz 2). Bei einem AGAV muss die Übermittlung sogar auf einem dauerhaften Datenträger erfolgen (§ 357 Abs. 8 Satz 3), damit die Zustimmung nicht in derselben Überrumpelungssituation ebenso unbedacht und leichthin abgegeben wird wie die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung. § 357 Abs. 8 Satz 4 und 5 ziehen eine Konsequenz aus der BGH-Rechtsprechung zu § 346 Abs. 2 Satz 2 (dazu Rn. 286): Der Wert der gezogenen Nutzungen richtet sich grundsätzlich dann nicht nach dem vereinbarten Kaufpreis, wenn die Gefahr besteht, dass der Verbraucher sich nicht durch eine autonome Entscheidung verpflichtet hat, sondern wie bei jedem AGAV überrumpelt wurde. Erscheint daher der vereinbarte Kaufpreis unverhältnismäßig hoch, ist der Wertersatz auf der Grundlage des Marktwertes der Dienstleistung zu berechnen. Erwägungsgrund 50 Satz 2 VerbRRiL fordert indes, dass der Unternehmer für die Übergangszeit „angemessen bezahlt“ wird. Auf Verdienste über Marktniveau hat er hingegen keinen zwingenden Anspruch. Eine Sonderregelung trifft § 356 Abs. 4 für Dienstleistungen, die bis zum Ablauf der Widerrufsfrist vollständig erbracht werden: Stimmt der Verbraucher – ausreichend belehrt – ihrer vorzeitigen Erbringung zu, erlischt sein Widerrufsrecht.

Bei Verträgen über digitale Inhalte, die nicht auf einem Datenträger geliefert werden (vgl. dazu § 312g Abs. 2 Nr. 6; Rn. 574), schuldet der Verbraucher keinen Wertersatz (§ 357 Abs. 9). Hier ist der Unternehmer über § 356 Abs. 5 geschützt: Stimmt der Verbraucher der Lieferung vor Ablauf der Widerrufsfrist ausdrücklich zu, erlischt sein Widerrufsrecht. Eine zentrale Rechtsfolge ergibt sich jedoch erst im Umkehrschluss aus § 357 Abs. 8 und 9 iVm. § 361 Abs. 1. Über diese Regelungen hinaus schuldet der Verbraucher keinen Wertersatz für die von ihm gezogenen Nutzungen; er haftet höchstens für den beim Verkäufer eingetretenen Wertverlust nach § 357 Abs. 7: (EuGH 3.9.2009 – C-489/07 = Slg. 2009, I-7315 – Messner) Verbraucherin K hatte über das Internet von Unternehmer V ein gebrauchtes Notebook für 278 € erworben. Eine seriöse Belehrung über das Fernabsatzwiderrufsrecht und eine Haftung auf Nutzungsersatz bei Ingebrauchnahme erfolgten nicht. Nachdem K dem V acht Monate später Mitteilung von

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einem Defekt des Displays machte, lehnte dieser Nacherfüllung ab. K widerrief nun aufgrund ihres Fernabsatzwiderrufsrechts. V verlangt daraufhin Nutzungsersatz iHv. 316,80 €. Dies entspreche der Miete eines vergleichbaren Geräts über acht Monate.

Der EuGH wollte vor Inkrafttreten der VerbRRiL durch Begrenzung des Nutzungsersatzes verhindern, dass das Widerrufsrecht zu einem rein formalen Recht verkommt, weil seine Ausübung für den Verbraucher mit einer erheblichen Kostenlast verbunden ist (Tz. 19). Die Nutzungsersatzpflicht des Verbrauchers sah er in einem systematischen Zusammenhang mit dessen Prüfungsbefugnis: „Das Widerrufsrecht soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren“ (Tz. 20). Deshalb muss seiner Ansicht nach auf Wertersatz dort gehaftet werden, wo der Verbraucher die Sache auf eine mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Weise benutzt hat (Tz. 26). An die Stelle dieser auf den Einzelfall abstellenden Lösung hat der europäische Gesetzgeber eine Pauschalregelung treten lassen, die höhere Rechtssicherheit verbürgt. K haftet vorliegend nicht nach § 357 Abs. 8 Satz 1, da sie eine Ware bezogen hat. Andere Nutzungsersatzansprüche kennt § 357 nicht; der Rückgriff auf sonstige Anspruchsgrundlagen ist nach § 361 Abs. 1 nicht möglich. Die Norm sperrt vertragliche ebenso wie bereicherungsrechtliche Ansprüche.18 K haftet allerdings nach § 357 Abs. 7 für den Wertverlust, der am Notebook dadurch entstanden ist, dass sie dieses über die Zwecke einer Warenprüfung hinaus benutzt hat (dazu sogleich Rn. 548). Dieser Anspruch wird aber auf der Grundlage der Werteinbuße des Notebooks berechnet, die infolge der halbjährigen Benutzung eingetreten ist, nicht aber auf der Grundlage der Vorteile, die K aus der Benutzung des Notebooks zufallen.

d) Die Haftung für Wertverlust

Die Haftung nach § 357 Abs. 7 bildet den Tatbestand des § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 für das Recht der Widerrufsfolgen mit einer bedeutsamen Ausnahme nach: Es wird auch für den Wertverlust durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme gehaftet.19 Dies führt zu einer wichtigen Konsequenz: Gebrauchsvorteile, die nach § 357 Abs. 8 nicht im Wege des Nutzungsersatzes abgeschöpft werden, können jedenfalls insoweit zum Ersatz führen, als die Sache infolge ihres Gebrauchs durch den Verbraucher an Wert verloren hat. Fortführung des Beispiels von Rn. 547: Hat das Notebook infolge des Gebrauchs durch K 300 € an Wert verloren, muss K diese unter den Voraussetzungen des § 357 Abs. 7 ersetzen.

§ 357 Abs. 7 eröffnet aber keine allgemeine Wertersatzpflicht, sondern orientiert sich im Anschluss an die VerbRRiL an den Grundsätzen der Messner-Entscheidung (Rn. 547). Während der Übergangsphase zwischen dem Vertrags18 19

RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 64. MünchKomm/Fritsche § 357 Rn. 26.

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schluss und dem Ablauf der Widerrufsfrist darf der Verbraucher die Sache nur insoweit benutzen, als dies zur „Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise“ nötig ist (§ 357 Abs. 7 Nr. 1; Erwägungsgrund 47 Satz 1 und Art. 14 Abs. 2 VerbRRiL). Verletzt der Verbraucher diese Pflicht, soll er das Widerrufsrecht nach dem Willen des Unionsgesetzgebers nicht verlieren, sondern nur auf den objektiven Wertverlust haften (Erwägungsgrund 47 Satz 2). Die Haftung setzt eine vorausgehende Belehrung des Verbrauchers durch den Unternehmer über sein Widerrufsrecht voraus (§ 357 Abs. 7 Nr. 2, Art. 14 Abs. 2 Satz 2 VerbRRiL). (BGH 3.11.2010 – VIII ZR 337/09 = BGHZ 187, 268 = NJW 2011, 56 – Wasserbett) Verbraucher K bestellt bei Unternehmer V im Internet ein Wasserbett zu einem Kaufpreis von 1.265 €. Bei Vertragsschluss wird K eine PDF-Datei übersendet, in der K iSd. § 357 Abs. 7 Nr. 2 belehrt wird. K befüllt das Wasserbett und übt später fristgerecht sein Widerrufsrecht aus. Gegen den Rückgewähranspruch rechnet V mit einem Ersatzanspruch iHv. 1.007 € auf, weil das Bett nicht mehr veräußerlich sei; verwerten lässt sich nur noch dessen Heizung. Gegen den Anspruch des K auf Rückgewähr des Kaufpreises aus § 357 Abs. 1 kann V möglicherweise mit einem Wertersatzanspruch nach § 357 Abs. 7 iHv. 1.007 € aufrechnen. Dazu müsste der Wertverlust auf einen Umgang mit der Ware zurückzuführen sein, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware nicht notwendig war.

Der BGH geht davon aus, dass ein im zerlegten Zustand übersandtes Möbel im Rahmen der Prüfung ausgepackt und aufgebaut werden dürfe (Tz. 21). Die Gegenauffassung will das Prüfungsrecht hingegen beschränken: Dieses reiche nur so weit, wie eine Warenbesichtigung auch im Ladenlokal möglich sei; dort aber sei nicht immer ein Musterexemplar aufgebaut.20 Diese Auffassung findet sich nun auch in Erwägungsgrund 47 Satz 3 und 4: „Wenn er Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren feststellen will, sollte der Verbraucher mit ihnen nur so umgehen und sie nur so in Augenschein nehmen, wie er das in einem Geschäft tun dürfte. So sollte der Verbraucher beispielsweise ein Kleidungsstück nur anprobieren, nicht jedoch tragen dürfen.“

Ausschlaggebend dürfte jedoch der Zweck des Fernabsatzwiderrufsrechts sein (Rn. 572): Dieses steht dem Verbraucher im Rahmen eines Fernabsatzvertrages zu, weil er die Ware vor Vertragsschluss nicht sehen konnte. Deshalb eröffnet ihm dieses Recht die Möglichkeit, das Festhalten am Vertrag von der Prüfung der Beschaffenheit der Kaufsache nach § 434 Abs. 1 abhängig zu machen (Erwägungsgrund 37 Satz 1 und 2 VerbRRiL). Bei einem Wasserbett kann eine solche Prüfung aber nicht ohne Befüllung stattfinden. Dagegen lässt sich nicht anführen, Wasserbetten seien für eine vollumfängliche Prüfung nicht geeignet, weshalb der Verbraucher Rücksicht nehmen müsse. Denn der Gesetzgeber hat in § 312g Abs. 2 (Art. 16 VerbRRiL) bereits dem Umstand Rechnung getragen, 20 Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus § 357 Rn. 11f.; Föhlisch, Das Widerrufsrecht im Onlinehandel, 2009, S. 346f.; Kaestner/Tews WRP 2005, 1335, 1346.

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dass bestimmte Waren sich nicht zu einer Prüfung mit anschließender Rücksendung eignen. Außerhalb dieser Sondertatbestände stellen Nachteile der Warenprüfung durch den Verbraucher keine rechtlich relevanten Argumente dar.21 Deshalb erscheint die der Prüfung dienende Handlung auch nicht immer auf die in einem Ladenlokal bestehenden Prüfungsmöglichkeiten beschränkt; denn der Ladenkäufer findet regelmäßig Ausstellungsstücke vor (zB. ein voll montiertes Wasserbett), anhand derer er die Funktionalität der Kaufsache überprüfen kann. Diese Möglichkeit hat der Fernabsatzkäufer nicht. Eine Grenze der Prüfungsmöglichkeit des Fernabsatzkäufers besteht folglich dort, wo im Rahmen eines hypothetischen Vergleichs auch dem Ladenkäufer keine Möglichkeit der Vergewisserung über die Funktionsfähigkeit der Kaufsache zugestanden hätte: (BGH 12.10.2016 – VIII ZR 55/15 = NJW 2017, 878) Verbraucher K erwirbt einen Katalysator und baut ihn in sein Fahrzeug ein. Auch hier kommt es für die Frage, ob noch eine Warenprüfung vorliegt, auf den hypothetischen Vergleich mit dem Ladenkäufer an (Tz. 21ff.), wobei dessen Besserstellung durch Ausstellungsstücke im Laden berücksichtigt werden muss (Tz. 23). Die Funktionsfähigkeit eines Katalysators hätte aber auch ein Ladenkäufer nicht überprüfen können (Tz. 25ff.). Folglich steht auch dem Fernabsatzkäufer eine entsprechende Prüfungsmöglichkeit nicht zu.22

Diese Grundsätze gelten auch für den AGAV-Widerruf. Bei diesem soll das Widerrufsrecht keine Prüfungsmöglichkeit eröffnen, sondern den Verbraucher vor den Folgen einer Überrumpelung schützen (Erwägungsgrund 37 Satz 3). Denn passt der Grundgedanke des § 357 Abs. 7 auch hier: Ob der Verbraucher sich selbst in Folge einer Überrumpelung für benachteiligt hält, hängt von einem Urteil über die erworbene Kaufsache ab, das er nach Vertragsschluss trifft. Scheint ihm der Abschluss nachträglich als günstig und hat sich die Überrumpelung auch ansonsten nicht zu seinem Schaden ausgewirkt, wird er den Widerruf nicht ausüben. Um die Folgen der Überrumpelung beurteilen zu können, darf der Verbraucher auch im Falle eines AGAV die Sache so prüfen, dass er einen Eindruck von ihrer Beschaffenheit gewinnt. Fraglich ist, wie der Verbraucher haftet, wenn er die Ware außerhalb des Prüfvorgangs beschädigt. Beispiel 1 Infolge nachlässigen („fahrlässigen“) Umgangs beschädigt K die von V im Rahmen eines Fernabsatzgeschäfts gelieferte Sache. Hier liegt die Lösung im Wortlaut des § 357 Abs. 7 Nr. 1: Der Wertverlust ist hier auf einen Umgang mit der Sache zurückzuführen, der zur Prüfung der Beschaffenheit der Ware nicht notwendig war! Nachlässigkeiten sind nie für eine Prüfung notwendig und daher durch diese nicht gerechtfertigt. Probleme bereitet ferner der zufällige Untergang der Kaufsache beim Verbraucher: Beispiel 2 Die im Rahmen eines AGAV erworbene Sache wird K bei einem Einbruchsdiebstahl durch einen Unbekannten entwendet. 21 22

Offenlassend Staudinger/Kaiser § 357 Rn. 48. Zustimmend R. Koch/Rupp EWiR 2017, 77; H. Hoffmann NJW 2017, 525.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Es entspricht einem in § 346 Abs. 2 angelegten Prinzip, dass der Rücktrittsschuldner für den zufälligen Untergang der Kaufsache nicht haftet (Rn. 312). Dieses Prinzip ist in § 355 Abs. 3 Satz 4 für die Rücksendung speziell geregelt (Rn. 545).23 Dem lässt sich auch auf der Grundlage des § 357 Abs. 7 Nr. 1 Rechnung tragen, weil kein Umgang (so auch Art. 14 Abs. 2 Satz 1 VerbRRiL) des Käufers mit der Sache im Normsinne vorliegt, sondern ein vom Käufer nicht gesteuerter Vorgang. e) Die Anwendbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft 555

Im Gesellschaftsrecht findet die Rückabwicklung nicht auf der Grundlage der §§ 346ff. oder der §§ 355 Abs. 3, 357 Abs. 1 statt, sondern im Rahmen einer Auseinandersetzung ex nunc (Artt. 11ff. Publizitätsrichtlinie 2009/101/EG). Diese kann für den Gesellschafter bei Ausübung des Widerrufsrechts sogar verlustreich enden. Der EuGH hält die zugrunde liegende Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft dennoch für anwendbar: (EuGH 15.4.2010 – C-215/08 = Slg. 2010, I-2947) K hat im Wege eines AGAVs einen Anteil an der A-GbR als Kapitalanlage gegen eine Einlage iHv. 10.000 € erworben. Als er sein Widerrufsrecht ausübt, weist das Vermögen der A insgesamt einen Verlust auf. Auf K entfiele eine Verlustbeteiligung von 2.000 €. Wie ist die Rechtslage? In Betracht kommt ein Anspruch des K gegenüber A aus § 355 Abs. 3 Satz 1, 357 Abs. 1, 312g Abs. 1. Fraglich ist, ob überhaupt ein Verbrauchervertrag nach § 312 Abs. 1 vorliegt. Denn dieser setzt eine entgeltliche Leistung des Unternehmers voraus (zu diesem Merkmal Rn. 562). Beim Erwerb der Mitgliedschaft an einer Gesellschaft kann aber nicht streng zwischen Leistung und Gegenleistung unterschieden werden. Denn der Gesellschafter erbringt eine Einlage nach § 705, die in das Gesellschaftsvermögen fließt und ihm daher mittelbar wieder selbst zugutekommt. Nach Auffassung des EuGH stellt der Beitritt jedoch dann einen entgeltlichen Vertrag dar, „wenn der Zweck eines solchen Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, sondern Kapital anzulegen“ (Tz. 34). Denn aus Sicht des Verbrauchers liegt kein Sachunterschied darin, ob er sein Geld im Erwerb einer Immobilie oder im Erwerb eines Anteils an einer Gesellschaft anlegt, die Eigentümerin einer bestimmten Immobilie ist (geschlossener Immobilienfonds; ausführlicher noch Rn. 664).

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Fraglich ist, ob bei Ausübung des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 1 die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar ist. Danach führt die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags (§ 705) nicht zur Rückabwicklung der Gesellschaft ex tunc führen, sondern nur zu einer Auflösung ex nunc. Der ursprüngliche Nichtigkeits- oder Unwirksamkeitsgrund wird zur Grundlage einer außerordentlichen Kündigung nach § 723 Abs. 1 Satz 1.24 Der Zweck dieser geänderten Rechtsfolge liegt darin, zu verhindern, dass eine als Rechtsträger im Verkehr auftretende Gesellschaft aufgrund rechtsgeschäftlicher Wirksamkeitshinder23 Anders jetzt Art. 13 Abs. 3 lit. c des Vorschlags für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes COM(2015) 635 final. 24 Vgl. die grundlegende Schrift von Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002.

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nisse nachträglich mit Ex-tunc-Wirkung verschwindet. Denn der nachträgliche Wegfall eines Vertragspartners oder Haftungsschuldners aus § 823 Abs. 1 läuft zentralen Prinzipien des Gläubigerschutzes zuwider: Nach einem in §§ 733f. geregelten Prinzip müssen nämlich aus dem verbleibenden Gesellschaftsvermögen immer erst die Ansprüche der Gläubiger befriedigt werden und erst im Anschluss daran die der Gesellschafter. So wird verhindert, dass die Gesellschafter zunächst durch die Gründung der Gesellschaft im Verkehr ein Risiko erzeugen und anschließend – wenn sich dieses realisiert – zu Lasten der übrigen Verkehrsbeteiligten aus diesem Risiko desinvestieren. Aus diesem Grund muss die Gesellschaft auch bei einem Gründungsfehler so lange aufrecht erhalten werden, bis alle Gläubiger befriedigt sind. Ferner wird auf diese Weise auch die Gleichbehandlung der Gesellschafter sichergestellt, verhindert sie doch ein Windhundrennen der Gesellschafter um eine schnellstmögliche Desinvestition. Denn rechtsgeschäftliche Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Gesellschaftsvertrages oder – wie hier – gegen den Beitritt zu einer Gesellschaft betreffen meist nicht nur einzelne Gesellschafter, sondern eine Vielzahl, wenn nicht gar alle Sozii. Deshalb darf nicht ein Teil der Betroffenen iH. der erbrachten Einlagen zu Lasten des anderen Teils aus der Gesellschaft austreten. Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft beruht daher auf einem allgemeinen Prinzip des Gesellschaftsrechts, das auf das französische Gesellschaftsrecht zurückgeht und fast überall in Europa anerkannt ist; es liegt auch den Artt. 11ff. der Publizitätsrichtlinie 2009/101/EG zugrunde.25 Der EuGH wendet es deshalb auch auf den Fall des Verbraucherwiderrufs an (Tz. 50) und formuliert den tragenden Gedanken so: „Insbesondere ermöglicht es eine solche Regel zum einen dem Verbraucher, der seinen Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft widerruft, seine Anteile zurückzugeben und gleichzeitig einen Teil der Risiken zu übernehmen, die untrennbar mit jeder Kapitalanlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind. Zum anderen erlaubt sie es außerdem den Mitgesellschaftern und/ oder Drittgläubigern, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht die finanziellen Folgen des Widerrufs dieses Beitritts tragen zu müssen …“ (Tz. 49; Hervorhebung durch den Verf.).

Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft kennt drei Voraussetzungen, unter denen der Gesellschaftsvertrag bzw. der Beitritt zum Gesellschaftsvertrag trotz eines Wirksamkeitshindernisses aufrechterhalten wird: (1) Der Gesellschaftsvertrag muss auf einem tatsächlichen, nicht notwendig rechtsgeschäftlich wirksamen Konsens der Gesellschafter beruhen, (2) die Gesellschaft muss in Vollzug gesetzt sein (dh. sie muss eigenes Vermögen gebildet haben oder im Verkehr gegenüber Unbeteiligten als Rechtsträger aufgetreten sein) und (3) es dürfen im Einzelfall keine übergeordneten Interessen entgegenstehen.

25

Dazu und zum Folgenden auch Oechsler NJW 2008, 2471, 2472ff.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Die Lehre dürfte auch unter der VerbRRiL fortgelten. Denn Erwägungsgrund 14 Satz 2 stellt ganz allgemein fest, dass die Richtlinie nicht die Wirksamkeit des Vertragsschlusses regelt, um den es bei der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft geht. Fraglich ist, ob der Austritt des Gesellschafters vorliegend sogar eine Verlustdeckungspflicht des Verbrauchers nach § 722 Abs. 1 auslösen kann. Denn beim Austritt des Anlegers verbleibt hier kein Restguthaben, sondern ein Debet. Der BGH hat die Verlustdeckungspflicht in konsequenter Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft für die vorliegende Fallkonstellation bejaht.26 Denn auch hier greift der Rechtsgedanke, dass der Gesellschafter nicht auf Kosten der Gläubiger der Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter einseitig desinvestieren kann. Einseitig erscheint der Austritt aber auch dann, wenn der Gesellschafter die anteilmäßig auf ihn entfallenden Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht begleicht. f) Keine Haftung im Übrigen

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Nach § 361 Abs. 1 (Art. 14 Abs. 5 VRRL) trifft den Verbraucher keine über § 357 hinausgehende Haftung. Daraus wurde bereits aufgrund der alten Rechtslage abgeleitet, dass dem Verbraucher grundsätzlich keine Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Beschädigung der Sache auferlegt werden dürfen.27 Eine Ausnahme besteht richtiger Auffassung nach nur für § 826, der auf der Ausnahme für Vorsatz (exceptio doli) beruht.28 Dafür spricht die Rechtsprechung des EuGH, wonach sich niemand in betrügerischer Absicht auf das Europarecht berufen darf (vgl. auch Rn. 255).29 Hinzu tritt die Haftung aus Verzug (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 2) bei Überschreitung der 14Tage-Frist des § 357 Abs. 1. Eigene Ansprüche dürften sich im Hinblick auf das Verbraucherverhalten nach Ausübung des Widerrufsrechts ergeben.30 K hat den Fernabsatzvertrag mit Unternehmer V widerrufen. Den bestellten Porzellanteller verpackt er jetzt so lieblos, dass er auf dem Rücktransport zerbricht.

In Fällen dieser Art passt die Haftungssperre gem. § 361 Abs. 1 (Art. 14 Abs. 5 VerbRRiL) aus einer Reihe von Gründen nicht: Einerseits weiß der Verbraucher jetzt, dass er die Kaufsache dem Unternehmer zurückgewähren muss. Deshalb muss er mit ihr wie mit fremdem Eigentum verfahren. Trüge er hier gar keine Verantwortung, würde ein Anreiz zu opportunistischem Verhalten gesetzt. Andererseits kann eine Haftung für Vertretenmüssen ab diesem ZeitBGHZ 186, 167 = NJW 2010, 3096, Tz. 10ff. Bamberger/Roth/Grothe § 357 Rn. 25: allerdings für eine Haftung aus § 826; teilweise aA. Staudinger/Kaiser § 357 Rn. 57. 28 Ring, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Kommentar, § 12 Rn. 152. 29 Vgl. nur EuGH NZG 2003, 262, Tz. 136 – Inspire Art; EuGH 09.03.1999-C-212/97 = Slg. 1999, I-1459, Tz. 24 – Centros; EuGH 12.05.1998-C-367/936 = Slg. 1998, I-2843, Tz. 20 – Kefalas. 30 Singbartl/Zintl NJW 2016, 1848, 1849. 26 27

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punkt die Verbraucherentscheidung über die Ausübung des Widerrufsrechts nicht mehr beeinflussen; denn diese ist bereits gefallen. Der Grundgedanke der Messner-Entscheidung, eine wirtschaftliche Aushöhlung des Verbraucherwiderrufs durch eine umfangreiche Verbraucherhaftung zu vermeiden (Rn. 547), passt jetzt nicht mehr. Eine Haftung erscheint daher möglich und geboten. II. Der Widerruf von AGAV 1. Überblick

Das Recht des Widerrufs von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (AGAV) hat einen fundamentalen Wandel erfahren. Die allein am Verbraucherschutz orientierte Haustürgeschäfterichtlinie (85/577/EWG) nahm noch die Perspektive des Verbrauchers ein und räumte diesem besondere Rechte für den Fall ein, dass er buchstäblich an der eigenen Haustür von unternehmerischen Geschäftsinteressen überrumpelt wurde. Der Wechsel zum Prinzip der Vollharmonisierung durch die VerbRRiL 2011/83/EU trägt neben dem Verbraucherschutz gleichrangig auch dem unternehmerischen Interesse an einer Begrenzung des Verbraucherschutzes iSd. Wettbewerbsfreiheit Rechnung (Rn. 538, 36a). Dies erklärt, warum nun im Tatbestand dieses Verbrauchervertrages die unternehmerische Perspektive in den Mittelpunkt rückt: Besondere Verantwortung trägt der Unternehmer nur, wenn er außerhalb seiner Geschäftsräume mit dem Verbraucher kontrahiert. Nach wie vor schützt das Europarecht den Verbraucher vor Überrumpelung durch den Unternehmer in einer ungewohnten Geschäftssituation und vor der dabei bestehenden Gefahr der unsachlichen Beeinflussung. Durch die Widerrufsfrist soll dem Verbraucher die Möglichkeit eröffnet werden, den Vertragsinhalt noch einmal zu überdenken und daraufhin eine rationale Entscheidung über die Aufrechterhaltung der vertraglichen Bindung zu treffen (Erwägungsgrund 37 Satz 3 VerbRRiL). Die gesetzliche Regelung (§ 312b Abs. 1, Art. 2 Nr. 8) umfasst vier abschließende, in einem Alternativverhältnis stehende Fallkonstellationen: (1) Der Vertrag wird außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geschlossen (§ 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). (2) In einer solchen Situation gibt der Verbraucher nur ein Angebot ab (§ 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). (3) Der zentrale Auffangtatbestand liegt in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. Der Vertrag kommt gerade nicht in einer einschlägigen Situation zustande, der Verbraucher wurde jedoch unmittelbar zuvor in einer solchen Lage persönlich und individuell angesprochen. (4) Schließlich fallen auch Ausflüge (Kaffeefahrten!) darunter, die der Unternehmer organisiert hat, um gegenüber dem Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen Werbung treiben zu können (§ 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4).

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2. Der Anwendungsbereich im Einzelnen 561

Der AGAV ist zunächst ein Verbrauchervertrag iSd. § 312 Abs. 1 Satz 1 und setzt daher voraus, dass ein Vertrag zwischen einem Unternehmer (§ 14) und einem Verbraucher (§ 13) geschlossen wird. (BGH 13.3.1991 – XII ZR 71/90 = NJW-RR 1991, 1074) V besucht die Gärtnerei des G und trifft die dort angestellte Ehefrau E, die er für die Geschäftsinhaberin hält. Er verkauft E einen Blumenautomaten; tatsächlich hat G der E aber keine Handlungsvollmacht erteilt. Als sich die Dinge klären, verlangt V von E Zahlung des Kaufpreises. Diese widerruft nach § 312g Abs. 1.

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Hier kommt ein Anspruch des Verkäufers gegen die Ehefrau aus § 179 Abs. 1 in Betracht, da diese nicht Handlungsbevollmächtigte iSd. § 54 Abs. 1 HGB war und im Umkehrschluss aus § 56 HGB bei Ladenangestellten auch keine Scheinvollmacht für den Ankauf besteht.31 Nach Auffassung des BGH muss das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 jedoch auch einem vollmachtlos handelnden Vertreter zustehen, der aus § 179 Abs. 1 haftet (S. 1075). Dem Garantiecharakter der Haftung nach § 179 Abs. 1 stehe dies jedenfalls nicht entgegen. Überzeugend erscheint in diesem Zusammenhang die Überlegung, dass der Vertreter seine Haftung aus § 179 Abs. 1 ja auch durch Anfechtung nach § 119 analog abwenden kann, wenn er im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung bei „Abschluss“ des Vertrages einem Willensmangel unterlegen wäre (S. 1075).32 Wenn daher der Geschäftsgegner bei Zustandekommen des Vertrages mit einem Widerrufsrecht des Vertretenen hätte rechnen müssen, besteht kein Grund, dieses dem Vertreter vorzuenthalten. Auch die VerbRRiL regelt das Vertretungsrecht nicht (Erwägungsgrund 16), so dass es bei diesen Grundsätzen bleibt. Vorliegend hätte jedoch bei einem Vertragsschluss mit dem Vertretenen kein Verbrauchervertrag nach § 312 Abs. 1 vorgelegen, weil dieser als Unternehmer iSd. § 14 gehandelt hätte. Dann steht das Widerrufsrecht auch dem falsus procurator nicht zu. Die Frage des persönlichen Anwendungsbereichs von § 312 Abs. 1 ist auch bei Bürgschaften berührt. Denn hier stellt sich die Frage, ob es darauf ankommt, dass der Bürge selbst als Verbraucher iSd. § 13 auftritt, oder ob das Geschäft, für dessen Verbindlichkeiten er sich verbürgt, den Anforderungen des § 312 Abs. 1 genügt: (BGH 14.5.1998 – IX ZR 56/95 = BGHZ 139, 21 = NJW 1998, 2356) B hat sich für die Verbindlichkeiten seiner Eltern iHv. umgerechnet 50.000 € verbürgt. Der Vater betreibt ein Unternehmen. Die Mutter aber ist der Schuld als Privatperson beigetreten. Zur Bürgschaftserklärung kam es im Hause der Eltern.

Die zentrale Frage liegt darin, ob die Bürgschaft eine entgeltliche Leistung des Unternehmers iSd. § 312 Abs. 1 zum Gegenstand hat. Legt man die Maßstäbe BGH NJW 1988, 2109; aA. Hoffmann JZ 2012, 1156, 1160f. Vgl. dazu etwa Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 23 Rn. 6; zur Bedeutung der Willensbildung des Vertreters beim Haustürwiderruf Hoffmann JZ 2012, 1156, 1157ff. 31 32

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des § 516 an, muss die Frage zunächst verneint werden: Denn der Gläubiger erbringt gegenüber dem Bürgen keine Leistung, für die der Bürge ein Entgelt schuldet. Allerdings setzt die Definitionsnorm des Art. 3 Abs. 1 VerbRRiL die Entgeltlichkeit des Verbrauchervertrages nicht voraus. Der deutsche Gesetzgeber entnimmt diese Tatbestandsvoraussetzung jedoch den in der Richtlinie aufgeführten Typen von Verbraucherverträgen, die sämtlich eine Gegenleistung voraussetzen (Art. 2 Nr. 5 (Kaufvertrag) und Nr. 6 (Dienstleistungsvertrag)).33 Hinzu tritt ein weiteres Argument: Art. 3 Abs. 4 VerbRRiL erlaubt dem Gesetzgeber ganz grundsätzlich, AGAV mit einer Gegenleistung von bis zu 50 € vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Dies impliziert die Möglichkeit, unentgeltliche AGAV ganz vom Anwendungsbereich auszuschließen. Deshalb entspricht das Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit in § 312 Abs. 1 – entgegen der im Schrifttum geäußerten Kritik34 – durchaus den Richtlinienvorgaben. Der Wortlaut „entgeltliche Leistung des Unternehmers“ setzt voraus, dass der Unternehmer die Sachleistung erbringt, der Verbraucher hingegen ein Entgelt schuldet. Dabei verfolgt das Tatbestandsmerkmal der „Entgeltlichkeit“ jedoch andere Funktionen als etwa im Falle des § 516. Dort geht es um den Schutz vor übereilter Abgabe eines Leistungsversprechens, bei dessen Erfüllung für den Schenkenden ein Verlust droht. In § 312 Abs. 1 aber kommt der Marktordnungscharakter des Verbraucherschutzrechts (Rn. 538) zum Ausdruck. Von einem echten Markt, den es zu ordnen gilt, lässt sich aber nur dort sprechen, wo ein Angebot auf eine entgeltliche Nachfrage trifft. Dort, wo Waren und Dienstleistungen verschenkt werden, herrschen andere ökonomische Gesetze.35 Entsprechend ist der Begriff der Entgeltlichkeit iSd. § 312 Abs. 1 allerdings auch in einem sehr weiten Sinne zu verstehen. Es genügt, dass der Gläubiger (Unternehmer) das Darlehen gegenüber dem Hauptschuldner (Darlehensnehmer) nur auszahlt, wenn der Bürge im Gegenzug die akzessorische Haftung übernimmt: Die Haftung ist also „das Entgelt“ iSd. § 312 Abs. 1 für die Leistung des Unternehmers.36 Dass diese Leistung vom Unternehmer nicht gegenüber dem Verbraucher, sondern einer anderen Person (dem Hauptschuldner) erbracht wird, ist wegen der Möglichkeit des § 362 Abs. 2 unerheblich. Dem EuGH galt der Bürge nach altem Recht gerade deswegen als besonders schutzwürdig, weil er keine direkte Gegenleistung für sein Versprechen erhalte. Andererseits sollte das Widerrufsrecht nicht anwendbar sein, wenn der Bürge selbst als Unternehmer handelte oder wenn die Bürgschaft eine Schuld absicherte, die der Hauptschuldner im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit eingegangen war.37 Mit Blick auf § 312 Abs. 1 erscheint es nicht sonderlich RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 45. Schwab/Hromek JZ 2015, 271, 273; Schärtl JuS 2014, 577, 578. Ganz grundlegend zum Funktionieren des Marktmechanismus in diesem Zusammenhang v. Hayek, The Use of Knowledge in Society, 35 American Economic Review 519 und 525 (1945). 36 Schwab/Hromek JZ 2015, 271, 274. 37 EuGH 17.3.1998 – C-45/96, Tz. 22f. = Slg. 1998, I-1199. 33 34 35

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überzeugend, dass die Anwendbarkeit des § 312 Abs. 1 vom Rechtscharakter der Hauptschuld abhängen sollte, geht es doch allein um eine mögliche Überrumpelung des Bürgen, nicht aber des Hauptschuldners.38 Für den BGH war die Entscheidung im konkreten Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV jedoch bindend. Er ist ihr jedoch später nicht gefolgt, sondern hat auf die damals bestehende Möglichkeit eines erweiterten Verbraucherschutzes abgestellt.39 Dies ist wegen der vollharmonisierenden Wirkung des Art. 4 VerbRRiL allerdings nicht mehr möglich, so dass die Frage nun wieder offen ist. Folgt man der Linie des EuGH, erscheint eine Widerrufsmöglichkeit deshalb zweifelhaft, weil der Bürge sich zum Teil für die Schuld eines Verbrauchers und zum Teil für die Schuld eines Unternehmers verbürgt hat. Nach Auffassung des BGH darf es dem Bürgen aber nicht zugutekommen, wenn er sich nicht nur für einen Unternehmer, sondern zusätzlich auch für einen Verbraucher verbürgt hat (S. 2357). Dies erscheint im Anschluss an die Entscheidung des EuGH konsequent. Auch die Neuregelung des Widerrufs von Wohnraummietverträgen (§ 312 Abs. 4) berührt die Frage der Entgeltlichkeit. (OLG Koblenz 9.2.1994 – 4 W-RE-456/93 = NJW 1994, 1418) Vermieter V besucht den Mieter M in dessen Mietwohnung und trägt an ihn ein Mieterhöhungsverlangen nach § 558 um 25 € pro Monat heran. M willigt ein. Fünf Monate später widerruft M seine Willenserklärung jedoch, da er nicht zutreffend über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei. Der in Betracht kommende AGAV-Widerruf (§ 312g Abs. 1) ist zunächst auf Mietverträge anwendbar (§ 312 Abs. 4 Satz 1).

Das Widerrufsrecht findet nach § 312 Abs. 4 Satz 2 jedoch nicht auf die Begründung eines Wohnraummietverhältnisses Anwendung, wenn der Mieter die Wohnung zuvor besichtigt hat. Erwägungsgrund 26 und Art. 3 Abs. 3 lit. f VerbRRiL nehmen die Wohnraummiete ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus. § 312 Abs. 4 beruht daher allein auf nationalem Recht und erklärt sich aus der Absicht des Gesetzgebers, den Mieter davor zu schützen, aufgrund einer Überrumpelung an der eigenen Haustür einem Mieterhöhungsverlangen zuzustimmen oder – gravierender noch – einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Diesen Überrumpelungsschutz sah er als Ergänzung des Wohnraummietrechts.40 Das kritische Tatbestandsmerkmal in § 312 Abs. 4 Satz 1 liegt in der unternehmerischen Stellung des Vermieters iSd. §§ 312 Abs. 1, 14. Bei einem Vermieter sind regelmäßig die Zahl der von ihm vermieteten Objekte und die Komplexität der damit verbundenen Tätigkeit entscheidend.41 Ein Vermieter, der den Mieter persönlich wegen eines Mieterhöhungs38 Vgl. dazu auch Lorenz NJW 1998, 2937, 2939f.; Frings ZIP 1996, 1193; Pfeiffer ZBB 1992, 1; Reinicke/Tiedtke ZIP 1998, 893. 39 BGHZ 165, 363 = NJW 2006, 845, Tz. 13; BGH NJW 2007, 2110, Tz. 27. 40 RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 48. 41 Mediger NZM 2015, 185, 187 im Anschluss an BGHZ 149, 80, 86f. = NJW 2002, 368; kritisch Streyl NZM 2015, 433.

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verlangens aufsucht, dürfte aller Lebenserfahrung nach diesen professionellen Organisationsgrad noch nicht erreicht haben; denn unternehmerisch tätige Vermieter senden Mieterhöhungsverlangen per Post! Ein Fernabsatzgeschäft liegt darin aber nur, wenn dieser Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt (§ 312c Abs. 1). Dies dürfte bei professionell organisierten Vermietungsgesellschaften zu bejahen sein.42 Ferner stellt sich die Frage, ob eine entgeltliche Leistung des Unternehmers anzunehmen ist. Entsprechend den dargestellten Grundsätzen (Rn. 562) kann es dabei nicht um die Frage gehen, ob der Änderungsvertrag selbst eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat, sondern nur, ob sich die Änderung auf einen entgeltlichen Vertrag bezieht. Scharfer Kritik im Schrifttum begegnet schließlich die Rechtsfolge der Norm, die im Extremfall dazu führen kann, dass der Mieter nach § 357 Abs. 8 nicht auf Nutzungsersatz haftet und – weil nicht ausreichend belehrt – bis zu 12 Monate und zwei Wochen (§ 356 Abs. 3 Satz 2) umsonst bzw. zur ursprünglich vereinbarten Miete (im Falle eines widerrufenen Änderungsvertrages) wohnen kann.43 Nach bisherigem Recht stellten sich ähnliche Probleme im Arbeitsrecht, wenn der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer am Arbeitsplatz eine Vertragsänderung vereinbarte. Nach Auffassung des BAG gilt im Arbeitsrecht ganz grundsätzlich das Prinzip, dass ein Arbeitnehmer nicht gehindert sei, sich durch „gute Worte oder ein lukratives Abfindungsangebot“ zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages bewegen zu lassen.44 Nunmehr unterfallen diese Vereinbarungen nicht mehr § 312b Abs. 1, da sie in den Geschäftsräumen des Unternehmers getroffen werden.45 Die Überrumpelungsgefahr wurde früher auch bei Vertragsverhandlungen mit nahen Angehörigen zum Problem: (BGH 17.9.1996 – XI ZR 164/95 = BGHZ 133, 254 = NJW 1996, 3414) Die Pfarrsekretärin P wurde in ihrer Wohnung von ihrem Sohn S aufgesucht und zum Kauf einer darlehensfinanzierten Beteiligung an einem Fonds des V für einen Kaufpreis iHv. 10.000 € überredet. S war von V mit der Akquisition von Anlegern beauftragt worden.

Der BGH hatte zuvor in einem ähnlichen Fall einen Haustürwiderruf mit dem Argument verneint, dessen Normzweck liege nicht im Schutz vor dem psychologischen Druck und den Überredungskünsten eines nahen Angehörigen.46 Eine Ausnahme sah er jedoch vorliegend darin begründet, dass der Sohn durch die Vertragsgegenseite eingeschaltet worden sei. Dann bestehe kein Grund, einem nahen Angehörigen, der in dieser Situation in die Gefahr einer ÜberrumpeKritisch Mediger NZM 2015, 185, 189f. Streyl NZM 2015, 433ff.; kritisch auch Hau NZM 2015, 435ff. BAG NJW 1994, 1021; Boemke NZA 1993, 537; Ehrich DB 1992, 2239, 2244. Schwab/Hromek JZ 2015, 271, 272; Koch GPR 2014, 128, 129; Janal WM 2012, 2314, 2315; Tacou ZRP 2009, 140, 141. 46 BGH NJW 1987, 184; dazu auch Mörsdorf ZIP 2012, 845ff. 42 43 44 45

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lung gerate, den Schutz des Widerrufsrechts zu versagen (S. 3414f.).47 Die Prüfung der Verbrauchermotive und der daraus resultierenden individuellen Schutzwürdigkeit des Verbrauchers passt indes nicht mehr zum neuen Recht. Dieses zielt auf Marktordnung (Rn. 538, 36a) und legt damit objektive Maßstäbe zugrunde. Dazu passt der pauschale Charakter der Regelungen von Art. 2 Nr. 8 VerbRRiL und § 312b Abs. 1. Nunmehr dürfte es allein darauf ankommen, ob eine persönliche und individuelle Ansprache des Verbrauchers iSd. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 vorliegt, die später zum Vertragsschluss führt. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, sodass ein Widerrufsrecht besteht. Kausalitätsprobleme entstehen in den Fällen des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, wo der Vertrag selbst nicht in einer AGAV-Situation geschlossen, der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor in einer solchen Situation durch den Unternehmer angesprochen wird: (BGH 24.3.2009 – XI ZR 456/07 = NJW-RR 2009, 1275) Verbraucher K erwarb einen Anteil am Immobilienfonds V. Diesen finanzierte er über die D-Bank durch Darlehen. Zu beiden Verträgen kam es, weil ein Vertreter der D den K am 2.7. in dessen Haus aufsuchte und dabei die Rohdaten des Anlageerwerbs und des Darlehensvertrages erörterte. Bei einem zweiten Besuch am 23.7. wurden dann die Einzelheiten besprochen. Der Vertrag selbst wurde am 29.7. in den Geschäftsräumen der D abgeschlossen. Fraglich war, ob hier noch ein Widerruf in Betracht kam.

Wegen der langen Zeitspanne zwischen Hausbesuch und Vertragsschluss stellte sich in Konstellationen dieser Art bereits nach altem Recht die Frage, ob die für eine Haustürsituation typische Überrumpelungsgefahr kausal für den Vertragsschluss geworden war. Dies hatte der BGH für möglich gehalten (Tz. 19). Im Wortlaut des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (Art. 2 Nr. 8 lit. c VerbRRiL) ist die Kausalität allerdings keine Tatbestandsvoraussetzung mehr. An ihre Stelle tritt eine persönliche und individuelle Ansprache, die unmittelbar vor dem Vertragsschluss erfolgt sein muss. Nach Erwägungsgrund 21 Satz 5 VerbRRiL liegt Unmittelbarkeit nicht vor, „wenn der Verbraucher Zeit gehabt hatte, vor Vertragsschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken“. Der europäische Gesetzgeber hat dabei ein Negativbeispiel vor Augen: Ein Handwerker besucht den Verbraucher in seinen Räumen, nimmt das Aufmaß oder entwickelt eine Schätzung des Auftragswertes, während der Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers zustande kommt (Erwägungsgrund 21 Satz 4 VerbRRiL). Dies zeigt, dass hinter dem Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit in Verbindung mit einer den Verbraucher individualisierenden Ansprache eine Kausalitätsvermutung steht: Das Gesetz vermutet unter diesen Voraussetzungen unwiderleglich, dass die Ansprache für den Vertragsschluss kausal war. Der zeitliche Rahmen für die Vermutung lässt sich dabei durch ein systematisches Argument aus § 355 Abs. 2 Satz 1 (Art. 9 Abs. 1 VerbRRiL) näher konkretisieren: Für die Ausübung des

47

Anders die Entscheidung BGH NJW 2007, 3272.

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Widerrufsrechts, das ja die möglichen Folgen einer Überrumpelung ausräumen soll (Rn. 560), räumt das Gesetz dem Verbraucher 14 Tage, gerechnet vom Zeitpunkt nach § 356 Abs. 2 und 3, ein. Dann dürfte auch die zeitliche Unmittelbarkeit iSd. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zu bejahen sein, wenn zwischen der letzten Ansprache des Verbrauchers und dem Vertragsschluss kein größerer Zeitraum liegt: Denn dann stand dem Verbraucher nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Zeit zur Verfügung, um die Folgen einer Überrumpelung zu vermeiden. Vorliegend wurde K erst am 23.7. mit dem eigentlichen Angebot in der AGAV-Situation konfrontiert. Bis zum 29.7. hatte er keine 14 Tage Zeit, um die Angebotsbedingungen selbst oder unter Zuhilfenahme Dritter zu überprüfen.

Nach altem Recht (§ 312 Abs. 3 Nr. 1 aF.) war der AGAV-Widerruf ausgeschlossen, wenn der Verbraucher den Unternehmer zu einem Hausbesuch bestellt hatte. Weil die Initiative vom Verbraucher ausging, schien eine Überrumpelung gerade ausgeschlossen. Der europäische Gesetzgeber der VerbRRiL lehnt diesen Rechtsgedanken bewusst ab (Erwägungsgrund 21 Satz 2 letzter Halbsatz), wobei als Sachgrund vermutet wird, der Unternehmer könne sich sonst zu leicht eine Bestellung erschleichen und damit den Verbraucherschutz umgehen.48 Die vom Verbraucher provozierte AGAV-Situation führt allerdings noch in zwei Sonderfällen zum Ausschluss des Widerrufsrechts. Im Fall des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 (Art. 16 lit. h VerbRRiL) richtet der Verbraucher an den Unternehmer die ausdrückliche Aufforderung, dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten durchzuführen. Die zweite Ausnahme findet sich in § 312g Abs. 2 Satz 2 (Art. 3 Abs. 3 lit. g VerbRRiL) und betrifft die vorherige Bestellung des Unternehmers zu Verhandlungen über Reiseleistungen iSd. § 651a. Die Ausnahme wird jedoch ihrerseits durch § 312 Abs. 7 Satz 2 RegE-Reiserecht eingeschränkt. Vom Unternehmer organisierte Ausflüge regelt schließlich § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4: (BGH 21.6.1990 – I ZR 303/88 = NJW 1990, 3265) U vertreibt Wollwaren, Betten und Kissen im Rahmen von Wanderlagerveranstaltungen an Endverbraucher. Für die in angemieteten Hotels oder Gaststätten abgehaltene Veranstaltung wirbt er mit Zeitungsinseraten und Handzetteln. Die Veranstaltung wird durch einen Vortrag über die Produkte des U eingeleitet, zu dem Kaffee und Kuchen serviert werden. Im Anschluss ist Gelegenheit zur Besichtigung der Waren und deren Bestellung. Der Verbraucherschutzverein V sieht es als unrechtmäßig an, dass U die Käufer nicht über ihr Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 gem. Art. 246a EGBGB § 1 Abs. 2 informiert.

Ein Verbraucherschutzverein kann nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG geltend machen, dass der Unternehmer entgegen § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a UKlaG nicht über das AGAV-Widerrufsrecht belehrt. Der Tatbestand beschränkt sich bewusst auf Ausflüge (Art. 2 Nr. 8 lit. d VerbRRiL; früher: Freizeitveranstaltungen). Dies erschließt sich im systematischen 48

Schwab/Hromek JZ 2015, 271, 276.

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§ 2 Der Kaufvertrag

Zusammenhang mit dem weiten Begriff des Geschäftsraums iSd. § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Art. 2 Nr. 9 VerbRRiL). Nach Erwägungsgrund 22 VerbRRiL fallen darunter Räumlichkeiten wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt (Satz 1), ferner Markt- und Messestände (Satz 2) sowie saisonale Verkaufsstände an einem Ski- oder Badeort (S. 3). Nicht als Tätigkeit in Geschäftsräumen gilt hingegen die Nutzung öffentlich zugänglicher Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen durch den Unternehmer sowie das Wirken in Privaträumen oder an Arbeitsplätzen (S. 4). Dem Unternehmer werden schließlich die Geschäftsräume seines Repräsentanten zugerechnet (S. 5).

Vom Schutzzweck her betrachtet kennzeichnet den Geschäftsraum, dass ein objektiver Beobachter mit Verbraucherstatus dort nicht überrascht (überrumpelt) wird bzw. unter einen psychologischen Druck gerät, wenn man ihn auf eine geschäftliche Gelegenheit oder einen Vertragsschluss anspricht. Geht man davon aus, erinnern die von U angemieteten Räume zunächst an Stände, die für eine zeitlich begrenzte Verkaufsaktion genutzt werden. Wichtiger noch erscheint, dass kein Verbraucher überrascht wird, wenn er auf die Werbung des U hin diese Räumlichkeiten besucht und dort in geschäftlichen Angelegenheiten angesprochen wird.

Der Ausflug stellt in diesem Zusammenhang einen Ausnahmetatbestand dar. Er ist in der VerbRRiL nicht weiter definiert, dürfte jedoch nach dem natürlichen Wortsinn zunächst eine vom Unternehmer organisierte Beförderungsleistung zum Gegenstand haben und an einen Ort führen, an dem auf den Verbraucher psychologischer Kaufdruck ausgeübt werden kann. Ein einschlägiges Beispiel liefert die sog. Kaffeefahrt.49 Hier kann der Verbraucher durch die vermeintliche Großzügigkeit des Unternehmers unter moralischen Druck geraten, diesem bei der anschließenden Verkaufsveranstaltung entgegenzukommen. Vorliegend scheidet sowohl ein Fall des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als auch ein Ausflug nach Nr. 3 aus. Eine Belehrung war danach nicht erforderlich. 3. Konkurrenzen 571

Die Konkurrenzprobleme des alten Rechts vermeidet die Neuregelung im Anschluss an die Grundsätze der Heininger-Entscheidung des EuGH.50 Fernabsatz- und AGAV-Geschäft führen deshalb weitgehend zu identischen Rechtsfolgen (vgl. den Widerruf nach § 312g Abs. 1). Auf die Unterscheidung kommt es nur noch für Einzelfragen an (vgl. etwa §§ 312f Abs. 1 und 2, 312 Abs. 2 Nr. 12). Dann aber spielt es eine Rolle, dass beim Fernabsatzgeschäft (§ 312c Abs. 1) der Vertrag ausschließlich durch Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (§ 312c Abs. 2) zustande kommt. Dies ist im Fall des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 (persönliche Ansprache des Verbrauchers in einer AGAV-Situa49 50

OLG Düsseldorf MDR 1999, 985. EuGH 13.12.2001 – C-481/99 = Slg. 2001, I-9945 – Heininger.

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tion, Vertragsschluss in einer Fernabsatzsituation) gerade nicht der Fall. Nach § 312g Abs. 3 gehen schließlich die Widerrufsrechte nach § 495 und §§ 506 bis 513 dem AGAV- und Fernabsatzwiderruf vor. III. Fernabsatzgeschäft, Online-Warenhandel und E-Commerce Das Recht der Fernabsatzverträge (§§ 312c bis 312h) geht auf die Richtlinie 97/ 7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz zurück, beruht aber in seiner Neufassung auf den Artt. 6ff. VerbRRiL. Es schützt den Verbraucher vor aggressiven Verkaufsmethoden im Fernabsatz.51 Hinzu tritt die Überlegung, dass der Verbraucher bei Geschäften, die ohne persönlichen Kontakt zum Verkäufer oder dessen Angestellten stattfinden, regelmäßig keine Gelegenheit hat, die Ware selbst in Augenschein zu nehmen. Das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 soll ihm Gelegenheit geben, sich diesbezüglich ein Urteil zu bilden und den Kaufvertrag notfalls noch einmal zu revidieren.52 (BGH 12.11.2015 – I ZR 168/14 = WM 2016, 968) Verbraucher V hat mit der Bank B einen Schuldbeitritt (Rn. 696f.) zu einer Darlehensschuld vereinbart. Hier besteht kein Fernabsatzwiderrufsrecht, weil V den Vertragsgegenstand überhaupt nicht wie ein Ladenkäufer besehen kann (Tz. 29)!

Allerdings kann diese Schutzzwecküberlegung nicht vollständig erklären, warum sich das Fernabsatzwiderrufsrecht auf Verbrauchsgüter (vertretbare Sachen iSd. § 91) beschränkt, die allerorten in Ladenlokalen zu besichtigen sind und gerade nicht auf Unikate, die der Verbraucher vorher noch nie zu Gesicht bekam (arg. e § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1). Deshalb vermutet man hinter dem Fernabsatzwiderruf immer auch ein ökonomisches Lenkungsinteresse an der Vermeidung positiver externer Effekte beim Warenvertrieb.53 Denn der Internetanbieter spart regelmäßig die Kosten für das Ladenlokal, in dem die Ware präsentiert wird (Miete, Lohnkosten usw.). Dies ist oft nur deshalb möglich, weil andere Verkäufer den einschlägigen Aufwand treiben und die Kunden dort mit der Ware unmittelbar vertraut machen (zB. Parfums). Aus Sicht dieser traditionellen Händler besteht deshalb die Gefahr, dass die Kunden die Ware zwar bei den Inhabern von Ladenlokalen in Augenschein nehmen, anschließend aber beim Internethändler bestellen, der seinen Kostenvorteil an sie weitergeben kann. Investitionen, die in die Verkaufsstätte getätigt werden, wirken sich deshalb nicht zwingend in der Marktbeziehung zwischen Händler und Kunde aus, sondern kommen auch Dritten (etwa Internetanbietern) zugute (= Externalisierung von Kosten); diese erzielen dadurch einen Kostenvorteil (positive Externalisierung; Trittbrettfahrereffekt). Dem wirkt das Fernabsatzwiderrufsrecht in51 Vgl. bereits ABl. EG Nr. C 156 vom 23.06.1992, S. 14, Erwägungsgrund 4; Fernabsatzrichtlinie, Erwägungsgrund 5. 52 Bodewig DZWiR 1997, 447, 448. 53 Bodewig DZWiR 1997, 447, 448.

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soweit entgegen, als es die Fernabsatzhändler mit einem spezifischen, nicht unerheblichen Kostenfaktor belastet und so die Investition in ein Ladenlokal wieder lohnenswerter macht. Die Wasserbett-Entscheidung des BGH legt davon ein beredtes Zeugnis ab (Rn. 549). Von einem Fernabsatzvertrag iSd. § 312c Abs. 1 kann nur die Rede sein, wenn der Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen ist. Dabei ist der Begriff der Fernkommunikationsmittel in § 312c Abs. 2 definiert. Die Regelbeispiele (Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, Rundfunk, Teledienste und Mediendienste) sind bewusst nicht abschließend, um neue Kommunikationsformen mit einschließen zu können.54 Es kommt also nicht notwendig auf den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien an. Voraussetzung ist jedoch die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zur Herbeiführung des Vertragsschlusses; danach darf es also vor Vertragsschluss nicht zum persönlichen Kontakt zwischen Unternehmer und Verbraucher gekommen sein. Erfolgt dieser jedoch nach Vertragsschluss, ist § 312c Abs. 1 seinem Wortlaut und Zweck nach anwendbar. Umgekehrt fällt ein AGAV mit telefonischer Nachbearbeitung nicht unter § 312c Abs. 1.55 § 312c Abs. 1 ist ferner nur anwendbar, wenn der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems erfolgt. Damit sollen Geschäfte ausgeschlossen werden, die zufällig oder gelegentlich mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln zustande kommen.56 Die Merkmale „Organisation“ und „System“ setzen einen planmäßigen, auf Dauer angelegten Einsatz der einschlägigen Mittel voraus. Dieser wird für den Verkäufer zum persönlichen Zurechnungskriterium. Beachtung verdient, dass der Unternehmer selbst nicht Betreiber oder Eigentümer des Vertriebssystems sein muss. Das alte Recht differenzierte noch zwischen Geschäften, die nicht als Fernabsatzgeschäfte anzusehen waren, und solchen, die zwar hier eingeordnet werden konnten, für die aber das Widerrufsrecht nicht galt. Beide Fallgruppen sind nun in § 312g Abs. 2 zusammengefasst. Betroffen sind vor allem Rechtsgeschäfte, bei denen die Rückabwicklung aufgrund der Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes ausgeschlossen erscheint. Dies sind Verträge über Waren, die nach Kundenspezifikationen angefertigt oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind, aber auch leicht verderbliche Waren bzw. solche, die nicht für eine Rücksendung geeignet sind (Nr. 1). Ähnliches gilt für die Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierten (Nr. 7). Diese sind im Zeitpunkt der Rücksendung praktisch wertlos. Ausgenommen sind auch Audiound Videoaufzeichnungen sowie Software, die der Verbraucher entsiegelt hat (Nr. 6). Die Norm ist nicht analog auf den Fall der online heruntergeladenen

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Bodewig DZWiR 1997, 447, 448. Micklitz ZEuP 1999, 875, 876f. Micklitz ZEuP 1999, 875, 877.

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Aufzeichnungen und Software anwendbar.57 Dagegen spricht das Prinzip der Vollharmonisierung (Art. 4 VerbRRiL, Rn. 538) ebenso wie der Vorrang der Spezialregelung des § 357 Abs. 9 (Rn. 547). Schließlich sind Wett- und Lotteriedienstleistungen ausgenommen (Nr. 12), weil der Verbraucher nicht mit Hilfe des Fernabsatzwiderrufs das eingegangene Risiko nachträglich annullieren darf. Ein beinahe klassisch zu nennendes Problem dreht sich um den Begriff der Versteigerung nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 10: (BGH 3.11.2004 – VIII ZR 375/03 = NJW 2005, 53) V handelt mit Gold- und Silberschmuckstücken und stellt am 7.9.2002 bei eBay ein Diamant-Armband von 15 Karat ab 1 € zur Versteigerung (Laufzeit der Versteigerung: eine Woche). K gibt am 14.9.2002 mit 252,51 € das höchste Gebot ab, verweigert jedoch nachträglich die Abnahme und Bezahlung des Armbands. In Betracht kommt ein Anspruch des V gegen K aus § 433 Abs. 2. Ein Kaufvertrag kam zwischen den Parteien zustande. Fraglich ist, ob dieser nach § 355 Abs. 1 Satz 1 untergegangen ist. Die Voraussetzungen eines Fernabsatzgeschäfts nach § 312c Abs. 1 liegen vor.

Fraglich ist, ob die Widerrufsmöglichkeit nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 ausgeschlossen ist, weil es sich um eine öffentlich zugängliche Versteigerung handelt. Der BGH verneinte die Frage nach altem Recht, weil der Ausnahmetatbestand seinem Zweck nach nicht auf Internetversteigerungen passe (S. 54f.): Der Fernabsatzwiderruf schütze einen Verbraucher, der die Ware nicht vor Abschluss des Kaufvertrags in Augenschein nehmen könne. Ein vergleichbares Schutzbedürfnis bestehe auch bei Internetauktionen. Die Kritik58 erkannte hingegen als weiteren Zweck der Nr. 10, den Bietern strategische Spielräume gegenüber dem Versteigerer zu nehmen; während der Versteigerer nämlich nicht auf das zweithöchste Gebot ersatzweise zurückgreifen kann, sondern neu versteigern muss, ist das Höchstgebot für den Bieter wegen der Widerrufsmöglichkeit nach § 312g Abs. 1 völlig risikolos. Dies leistet sog. Spaßbietern Vorschub und erschwert den Betrieb von Versteigerungen immens. Der neu gefasste Wortlaut des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 10 und das Prinzip der Vollharmonisierung nach Art. 4 VerbRRiL sprechen jedoch eindeutiger als bisher für die Betrachtungsweise des BGH. § 312i setzt Verhaltenspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr um, die durch die Richtlinie des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (2000/31/EG, E-Commerce-Richtlinie)59 begründet wurden.60 Die Norm gilt auch im Verhältnis von Unternehmern untereinander. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Abs. 1 („Kunden“) sowie aus einem Umkehrschluss aus Abs. 2 Satz 2 und entspricht den Zum alten Recht noch: RegE BT-Drucks. 14/2658, S. 44; Wendehorst DStR 2000, 1311, 1316. 58 Spindler MMR 2005, 40, 42. 59 ABl. EG Nr. L 178 vom 17.07.2000, S. 1. 60 Dazu Brüggemeier/Reich BB 2001, 213; Grigoleit WM 2001, 597; Krebs DB 2000, Beilage 14 zu Heft Nr. 48. 57

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§ 2 Der Kaufvertrag

Vorgaben in der Richtlinie.61 Sie erfasst Verträge, bei denen die Erfüllung der Leistungspflicht in einer Fernabsatzsituation (§ 312c Abs. 1) bewirkt wird. Dies folgt weniger aus dem Wortlaut des unglücklich gefassten § 312i Abs. 1, sondern eher aus der komplizierten Verweisung in Art. 2 lit. a E-CommerceRichtlinie, wonach eine E-Commerce-Dienstleistung „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“ darstellt.62 In Betracht kommt etwa der Download einer Datei oder eine elektronische Dienstleistung (Online-Banking), nicht aber die Bestellung eines Buches (vgl. die Bedeutung des Unterschieds im Maklerrecht, Rn. 1253a). Die Norm stellt eine Reihe von Verhaltenspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr auf. Soweit der Anbieter diese verletzt und davon die Interessen von Verbrauchern betroffen werden, kommen Verbandsklagen auf der Grundlage von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UKlaG und Abmahnungen auf der Grundlage von § 3a UWG in Betracht. Im Einzelnen treffen den Anbieter nach § 312i Abs. 1 Satz 1 folgende Pflichten: (1) Der Anbieter muss geeignete technische Mittel zur Korrektur von Eingabefehlern vor Abgabe der Bestellung zur Verfügung stellen (Nr. 1). (2) Ferner muss der Anbieter dem Kunden die Informationen nach Art. 246c EGBGB zur Verfügung stellen (Nr. 2) und den Zugang der Bestellung auf elektronischem Wege unverzüglich bestätigen (Nr. 3). Er muss dem Kunden die Möglichkeit verschaffen, die Vertragsbestimmungen einschließlich der AGB bei Vertragsschluss abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern (Nr. 4). (3) § 312i Abs. 1 Satz 2 begründet schließlich noch eine unwiderlegliche Vermutung für den Zugang von Bestellungen und Empfangsbestätigungen. Diese gelten als zugegangen, wenn die Parteien, für die sie bestimmt sind, sie unter gewöhnlichen Umständen abrufen können. Damit werden die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 für diese Fälle festgelegt. Der Anwendungsbereich der Norm ist eröffnet, wenn ein Unternehmer sich zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages eines Telemediums bedient (vgl. § 2 Telemediengesetz). Darunter fällt der typische Internetverkehr. § 312j Abs. 1 und 2 regelt im Anschluss an Art. 8 Abs. 3 VerbRRiL Informationspflichten des Betreibers kommerzieller Webseiten. Zum besseren Schutz vor Kostenfallen hat der Gesetzgeber schließlich § 312i Abs. 3 und 4 eingefügt. Danach hat der Unternehmer die Bestellsituation bei einem Vertrag so zu gestalten, dass der Verbraucher ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet (sog. „Buttonlösung“). Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, ist die Pflicht des Unternehmers aus Satz 1 nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Diese Normen werden von zwei Tatbeständen im Rahmen des § 312a be61 62

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 170. MünchKomm/Wendehorst § 312i Rn. 8ff. und 15ff.

F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus

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gleite: Eine Abänderung des vereinbarten Entgelts muss mit dem Verbraucher ausdrücklich vereinbart werden (Abs. 3). Das Entgelt für die Benutzung von Servicenummern des Unternehmers beschränkt sich auf die durch die Nutzung des Telekommunikationsdienstes entstehenden Kosten (Abs. 5). Trotz der Vielzahl der Regelungen bleiben Probleme in Fällen wie dem vorliegenden: (BGH 4.3.2004 – III ZR 96/03 = BGHZ 158, 201 = NJW 2004, 1590 – Dialer) Durch Unachtsamkeit im Internet hat sich Verbraucher V einen sog. Dialer heruntergeladen. Bei jeder erneuten Einwahl ins Internet loggt das Programm den V nun bei dem Mehrwertdiensteanbieter U ein, der diverse Dienstleistungen auf seiner Seite bereitstellt und nach Zeiteinheiten abrechnet. Dieser hat mit der Herstellung des Dialers nichts zu tun. Nach einem Monat verlangt U von V einen fünfstelligen Betrag als Vergütung.63

Verträge dieser Art kommen regelmäßig durch Realofferte zustande (vgl. auch Rn. 58):64 Der Dienstleister bietet seine Leistungen real zum Abruf auf seiner Website an und kontrahiert mit dem Kunden, wenn dieser sie in Anspruch nimmt. Bisher stellte sich in diesen Fällen die Frage, ob der Kunde mit potenziellem Erklärungsbewusstsein handelte. Dies hängt davon ab, ob er infolge Verschuldens nicht erkennen kann, dass er hier bei der Einwahl in das Internet eine Willenserklärung abgibt.65 Dabei kann das Verschulden an das Herunterladen des Dialers, an das Fehlen von Virenschutz oder an die fehlende Überwachung der Einwahldateien anknüpfen. Alle drei Möglichkeiten verneint der BGH, der den Fall allerdings ausschließlich anhand der Systemvorgaben des Telekommunikationsgesetzes (TKG) löst.66 Nach § 312j Abs. 4 kommt der Vertrag nur dann zustande, wenn der Vertragsschluss den Anforderungen des Abs. 3 genügt. Dafür muss der Kunde ausdrücklich die Entgeltlichkeit der Dienste des Anbieters bestätigen. Nach Auffassung des Gesetzgebers bedarf es dazu „einer Erklärung des Verbrauchers, die sich gerade auf den Umstand der Zahlungspflichtigkeit bezieht.“67 Fraglich ist, ob es dabei auf die Erkenntnismöglichkeit eines objektiven Beobachters in der Position des gutgläubigen Anbieters ankommt; dann könnte eine solche Erklärung auch durch einen Dialer generiert werden. Nach alternativem Verständnis ist hingegen maßgeblich, dass der Verbraucher bei der Abgabe positiv erkennt, dass er sich auf der betreffenden Website zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet. Für die erste Betrachtungsweise spricht § 157, für die zweite jedoch der Schutzzweck des § 312j Abs. 3 Satz 1, der den Kunden gerade vor Übervorteilungen dieser Art schützen will. Sie dürfte daher maßgeblich sein.

Der Fall liegt tatsächlich aufgrund des Inkassomandates der Telekom nach § 15 Telekommunikations-Kundenschutzverordnung komplizierter; dazu Oechsler Jura 2012, 422ff. 64 BGH NJW 2005, 3636, 3637; vgl. auch das Verhältnis der Buttonlösung zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Viele Problem der Buttonlösung werden bereits im Wege der Auslegung gelöst, etwa, wenn im Einzelfall kein Vertragsschluss vorliegt: Fervers NJW 2016, 2289ff. 65 Dazu Oechsler Jura 2012, 422ff. 66 BGHZ 158, 201, 209f. = NJW 2004, 1590, 1592f. – Dialer. 67 RegE BT-Drucks. 17/7745, S. 11. 63

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412 578a

§ 2 Der Kaufvertrag

Nach dem Scheitern des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht präsentierte die Kommission am 9.12.2015 schließlich einen Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren.68 Der Vorschlag lehnt sich an die VerbrGüterKRiL an und bringt folgende Besonderheiten: Die Richtlinie zielt zunächst nach Art. 3 auf Vollharmonisierung. Neben allgemeinen Regeln über die Vertragsgemäßheit der Kaufsache (Art. 4 bis 7) dehnt Art. 8 Abs. 3 die Beweislastumkehr für Mängel (§ 477) auf zwei Jahre aus. Art. 10 Abs. 2 passt den Umfang der Nacherfüllungspflicht in den Einbaufällen der Rechtsprechung des EuGH in Sachen „Weber/Putz“ (Rn. 175) an. Art. 13 Abs. 3 lit. c belastet den Verbraucher schließlich im Gegensatz zu § 355 Abs. 3 Satz 4 mit der Haftung für den zufälligen Untergang der Vertragsware (vgl. dazu Rn. 545 und 554), wobei Art. 13 Abs. 3 lit. d eine Deckelung der Haftung als Ausgleich vorsieht. IV. Teilzeit-Wohnrechte

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Die §§ 481ff. treffen Sonderregelungen für den Timesharingvertrag.69 Nach der Definition des § 481 Abs. 1 Satz 1 geht es dabei um Verträge, durch die ein Unternehmer einem Verbraucher gegen Zahlung eines Gesamtpreises das Recht verschaffen soll, für die Dauer von mehr als einem Jahr ein Wohngebäude mehrfach für einen bestimmten oder zu bestimmenden Zeitraum zu Übernachtungszwecken zu nutzen. Der europaweite Vertrieb von Rechten an Ferienwohnungen hatte zu Missbräuchen geführt, auf die die EG mit der Richtlinie 94/ 47/EG zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien70 reagierte. Die Umsetzung erfolgte zunächst durch das Teilzeit-Wohnrechtegesetz (TzWrG), das 1997 in Kraft trat.71 Die Richtlinie 2008/122/EG folgt darauf dem Konzept der Vollharmonisierung. Durch die Schuldrechtsreform sind die einschlägigen Vorschriften in das BGB integriert worden. Der Schutzzweck der §§ 481ff. erklärt sich aus dem besonderen Vertragsgegenstand: Die Verträge sind regelmäßig komplex, belasten den Verbraucher mit einem hohen Kostenvolumen und berühren uU. ausländische Rechtsordnungen. Der geschäftlich unerfahrene Verbraucher kann insbesondere den Wert der Immobilie auf dem örtlichen Markt nicht richtig einschätzen. Da nach Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom IVO aber für diese Verträge an den Belegenheitsort des Grundstücks angeknüpft wird, entfalten die deutschen Regelungen eher geringe Bedeutung, weil es meist um Ferienimmobilien in südlicheren Gefilden geht. 68 COM(2015) 635; dazu Maultzsch JZ 2016, 236; Schroeter/von Göler DB 2016, 754; Staudenmayer NJW 2016, 2719. 69 Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 3, 1993, S. 259ff. 70 ABl. EG Nr. L 280 vom 29.10.1994, S. 83. 71 Vgl. dazu Martinek NJW 1997, 1393; Mögle NJW 2000, 103.

F. Verbraucherschutz durch Widerruf im Kaufrecht und darüber hinaus

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Der für das Timesharing charakteristische Leistungsaustausch kann auf unterschiedlicher rechtlicher Grundlage vereinbart werden: Entweder erwirbt der Verbraucher Rechte an der Immobilie selbst (Mit-, Sondereigentum) oder er erlangt Mitgliedschaftsrechte an einer Gesellschaft, die ihrerseits Eigentümerin der Immobilie ist; schließlich kommt auch die Vereinbarung eines rein persönlichen (schuldrechtlichen) Duldungsanspruchs des Verbrauchers auf Benutzung gegenüber dem Eigentümer in Betracht. Stets wird der zugrunde liegende Austauschvertrag von den §§ 481ff. erfasst (§ 481 Abs. 2 Satz 1). § 481 Abs. 1 Satz 1 bestimmt den gesetzlichen Anwendungsbereich: (1) Die gesetzliche Regelung gilt nur für Rechte an Wohngebäuden (nicht an Segelyachten, Wohnmobilen usw.). (2) Die Laufzeit des Vertrages muss mehr als ein Jahr betragen. (3) Diese Wohngebäude müssen nach dem Vertrag zu Übernachtungszwecken benutzt werden, deren zeitlicher Umfang entweder im Vertrag bestimmt oder zu bestimmen ist, wobei eine mehrfache Benutzung vorgesehen sein muss. (4) Die Gegenleistung muss in einem Gesamtpreis bestehen. Dies nähert die Regelung dem Kaufrecht an. Mietverträge, bei denen periodische Zahlungspflichten fällig werden, sind dem Anwendungsbereich entzogen.72 (5) Die Vorschriften gelten nur im Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern und nicht auch dann, wenn der Verbraucher, der unter ungünstigen Bedingungen von einem Unternehmer erworben hat, die Rechte nun seinerseits weiterveräußert und einen anderen Erwerber benachteiligt.73 Der Schutz des Verbrauchers vollzieht sich in drei Schritten: (1) Im Vorfeld der vertraglichen Einigung verpflichtet § 482 Abs. 1 den Unternehmer zur Aushändigung eines Prospekts (vgl. Art. 242 § 1 EGBGB). Die Sprache des Prospekts richtet sich nach dem Wohnsitz des Verbrauchers bzw. kann vom Verbraucher bestimmt werden (§ 483 Abs. 1 Satz 3). (2) Der Teilzeit-Wohnrechtevertrag bedarf der Schriftform, soweit nicht der strengere § 311b Abs. 1 Satz 1 Anwendung findet (§ 484 Abs. 1). Der Prospektinhalt wird dabei zum Pflichtinhalt des Vertrages (§ 484 Abs. 2 Satz 1). Allerdings können Änderungen gegenüber dem Prospekt vereinbart werden (§ 484 Abs. 2 Satz 1), wobei die Änderungen vor Vertragsschluss in Textform mitgeteilt werden müssen, damit sie zum Vertragsinhalt werden (§ 484 Abs. 2 Satz 3). Die Vertragssprache richtet sich wieder nach dem Wohnsitz des Verbrauchers bzw. nach dessen Wahl (§ 483 Abs. 1). Im Rahmen der notariellen Beurkundung muss dem Verbraucher eine beglaubigte Übersetzung in der gesetzlich vorgeschriebenen Sprache überreicht werden (§ 483 Abs. 2). Wird der vorgeschriebenen Vertragssprache nicht genügt, ist der Vertrag nach § 483 Abs. 3 nichtig, auch wenn die Form des § 311b Abs. 1 Satz 1 beachtet wurde.

72 73

Martinek NJW 1997, 1393, 1394. Martinek NJW 1997, 1393, 1394.

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§ 2 Der Kaufvertrag

(3) Nach Zustandekommen des Vertrages steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu (§ 485). Dessen Ausübung richtet sich nach § 355 Abs. 1 und 2 iVm. § 356a. Die Rechtsfolgen regelt § 357b. Verboten sind schließlich Anzahlungen auf Teilzeit-Wohnrechteverträge (§ 486). Die Vorschriften der §§ 481ff. sind zugunsten des Verbrauchers zwingend (§ 487).

G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring 1. Grundlagen 584

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Das Factoring eröffnet eine Möglichkeit der Refinanzierung für unternehmerisch organisierte Verkäufer, die ihren Käufern Kredit einräumen. Besteht ein Verkäufer gegenüber dem Käufer nicht auf sofortiger Erfüllung, sondern räumt ihm ein Zahlungsziel ein (§ 271 Abs. 2), muss er sich nämlich für den Zeitraum bis zur Fälligkeit auf andere Weise Finanzmittel beschaffen, um neue Ware einkaufen und sein Unternehmen auch im Übrigen betreiben zu können. Dabei kommt ihm die gegen seinen Schuldner gerichtete Forderung zugute: Er kann sie entweder an einen Spezialisten verkaufen (echtes Factoring) oder sie als Kreditsicherheit im Wege der Sicherungszession benutzen, um von einem Darlehensgeber einen entsprechend günstigeren Kredit zu erhalten (unechtes Factoring). In der englischen Geschäftssprache wird als „Factor“ ein Agent bezeichnet, der für ein anderes Unternehmen auftritt. Das Factoring als Vertragstyp besteht im gewerbsmäßigen Ankauf bzw. in der gewerbsmäßigen Geltendmachung von Forderungen. Die in der Bundesrepublik erzielten Umsätze der Branche liegen übrigens im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich. Die beiden bereits erwähnten wirtschaftlichen Erscheinungsformen des Factoring unterscheiden sich danach, ob der Factor die Delkredere-Funktion wahrnimmt. Dabei geht es um die Übernahme des Bonitätsrisikos des Drittschuldners, also der Gefahr, dass der Schuldner des Factorkunden infolge Vermögensverfalls nicht zahlen kann. Übernimmt der Factor dieses Risiko, liegt ein echtes Factoring vor. Die ganz hM. nimmt in diesem Fall an, dass der Factor die zugrunde liegende Forderung in der Form des Rechtskaufs nach §§ 433, 453 erwirbt.1 Nicht durchgesetzt hat sich die darlehensvertragliche Einordnung des echten Factorings:2 Nach dieser erfolgt die Forderungsabtretung nur an Erfüllungs statt. Mit ihr sei eine atypische Rückzahlungsvereinbarung verbunden, auf die § 365 und damit die Regeln über den Forderungskauf entsprechende Anwendung fänden. Dies überzeugt indes nicht: Übernimmt der Factor das Ausfallrisiko und verzichtet auf jegliche Rückgriffsmöglichkeit gegen seinen Kunden, scheidet ein wie auch immer gearteter Rückzahlungsanspruch aus eiVgl. BGHZ 69, 254, 257f.; 58, 364, 366 f; 72, 15, 20 = NJW 1978, 1972; BGHZ 100, 353, 358 1 = NJW 1987, 1878; vgl. Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. IV, 1976, S. 546; Bd. V, 1982, S. 805 und Bd. VI, 1986, S. 332ff. Canaris NJW 1981, 249, 250; Larenz/Canaris II/2, S. 88ff. 2

G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring

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nem Darlehensvertrag (§ 488 Abs. 1 Satz 2) von vornherein aus. Die praktischen Unterschiede gegenüber der hM. sind allerdings erkennbar gering, da auch nach dieser Auffassung über § 365 die Vorschriften über den Forderungskauf anwendbar sind.3 Beim unechten Factoring fehlt die Delkredere-Funktion. Konkret bedeutet dies, dass der Factor einen Rückzahlungsanspruch geltend machen kann, wenn er aus der abgetretenen Forderung wegen Zahlungsunfähigkeit des Drittschuldners keine Befriedigung erlangt (§ 365). Beim unechten Factoring handelt es sich daher um einen Gelddarlehensvertrag nach §§ 488ff.,4 im Rahmen dessen die abgetretene Forderung zum einen als Kreditsicherheit zum Einsatz kommt und zum anderen die Darlehensrückzahlung planmäßig durch den Einzug der Forderung gegenüber dem Drittschuldner erfolgen soll. Diese rechtliche Unterscheidung zwischen echtem und unechtem Factoring betrifft allerdings nur die Behandlung der im Einzelfall zedierten Forderung. Tatsächlich handelt es sich beim Factoringvertrag selbst um einen Rahmenvertrag mit Dauerschuldcharakter, der erst die Voraussetzung für die ständige Zusammenarbeit zwischen Factor und Kunde schafft: In Erfüllung der Pflichten aus dem Factoringvertrag kommt es zu massenhaften und andauernden Forderungskaufverträgen, verbunden mit meist antizipiert erklärten Zessionen und Zahlungen des Factors an den Kunden. Zu eng erscheint dabei die Auffassung, es handele sich dabei um einen Krediteröffnungsvertrag mit einer Mischung aus darlehens- und geschäftsbesorgungsrechtlichen Elementen.5 Zum einen fehlt dem echten Factoring nach hier vertretener Auffassung der Darlehenscharakter, zum anderen gewichtet diese Auffassung die das Factoring kennzeichnenden Dienstleistungselemente nicht zutreffend. Ein Teil des Schrifttums geht daher von einem Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Einschlag aus (§§ 675 Abs. 1, 611).6 Die überwiegende Meinung will sich soweit nicht festlegen und erkennt im Factoring einen Typenkombinationsvertrag eigener Art.7 Die Kernaussage dieser Auffassung besteht darin, dass sich geschäftsbesorgungs-, kauf-, dienst- und werkvertragliche Elemente so überlagern, dass je nach Lage des Einzelfalls die jeweils analogiefähige Norm im Rahmen der §§ 433ff. ermittelt werden muss. Dies überzeugt angesichts der Komplexität und ständigen Fortentwicklung der Leistungsinhalte des Factoring. Larenz/Canaris II/2, S. 89. Vgl. nur BGHZ 58, 364, 367; 100, 353, 358; vgl. dazu Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. IV, 1976, S. 546, 548, 554, 599; Bd. V, 1982, S. 796; Canaris NJW 1981, 249, 250f.; Larenz/Canaris II/2, S. 87. Larenz/Canaris II/2, S. 87. 5 Vgl. insbes. Ehling, Zivilrechtliche Probleme der vertraglichen Ausgestaltung des Inland6 Factoring-Geschäfts in Deutschland, 1977, S. 202f. Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. IV, 1976, S. 554f.; ders. BB 7 1976, 425, 431; Klaas NJW 1968, 1502, 1506; Rödl BB 1967, 1301f.; Blaurock ZHR 142 (1978) 325, 327. 3 4

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§ 2 Der Kaufvertrag

2. Abtretungsprobleme 588

Das Factoring beruht auf der massenhaften Abtretung von Forderungen. Zu Leistungsstörungen kommt es folglich stets dort, wo der Zession gesetzliche Verbote entgegenstehen: (BGH 10.7.1991 – VIII ZR 296/90 = BGHZ 115, 123 = NJW 1991, 2955, leicht verändert) A betreibt eine Arztpraxis. Mit Factor F schließt er einen Factoringvertrag. Darin verpflichtet sich A zur Abtretung aller gegen seine Patienten gerichteten Forderungen und zur Überlassung der für die Einziehung erforderlichen Unterlagen. Die Zession wird bereits jetzt antizipiert für alle künftigen Forderungen aus Patientenbehandlungen erklärt. F verspricht dem A, auf die Forderungen 95% des Nominalwertes auszuzahlen und übernimmt die Delkredere-Funktion. Einige Zeit später begründet A gegenüber dem privat versicherten P anlässlich der Behandlung eines Furunkels eine Forderung iHv. 400 €. Als F sich einen Monat später an P mit einer „Forderung wegen Furunkelbehandlung“ wendet, verweigert dieser die Zahlung.

Der BGH leitet aus § 203 Abs. 1 und Abs. 2 StGB gesetzliche Abtretungsverbote ab, wenn den Anschlusskunden (Zedenten) eine Geheimhaltungspflicht trifft und der Schuldner des Anschlusskunden (Drittschuldner) der Zession nicht zugestimmt hat.8 Denn beim Factoring verpflichtet sich der Anschlusskunde typischerweise, dem Factor die zur Einziehung der verkauften Forderungen erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Dazu zählen die Informationen, die für eine Identifizierung der Forderung erforderlich sind. Beinhalten diese Privatgeheimnisse iSd. § 203 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB, ist das Factoring ohne Einwilligung der Betroffenen rechtswidrig. Wegen des hohen Rangs der in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützten Rechtsgüter komme es im Rahmen des § 134 nicht darauf an, ob sich die Beteiligten des Verstoßes bewusst seien; es genüge bereits der objektive Verstoß (S. 2957). Dass der Verstoß gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts, der Zession, führen soll, ist indes keine Selbstverständlichkeit: Denn die Verfügung über die Forderung ist gegenüber dem einzelnen Rechtskauf (§§ 433, 453) und gegenüber dem zugrunde liegenden Factoringvertrag als Rahmenvertrag, innerhalb dessen die Rechtskäufe stattfinden, abstrakt. So überzeugt auch die Begründung des Gerichts nicht, der Abschluss des Kaufvertrages, die Abtretung der Forderung und die Übergabe der Abrechnungsunterlagen bildeten ein einheitliches, untrennbares Ganzes.9 Entscheidend ist wohl die Überlegung, dass der Schuldner sich unter Umständen gegenüber dem Factor mit Einwendungen verteidigen muss, die intimste Details berühren können.10 Dann muss der Schutzzweck der verletzten Normen gerade auch die Zession erfassen, weil sie das Tatmittel des Geheimnisverrats darstellt. Die Rechtsprechung wurde zwischenzeitlich auch auf anwaltliche Honorarforderungen übertragen, später 8 Grundlegend BGH NJW 1991, 2955; BGH NJW 1993, 1638; BGH NJW 2014, 141, Tz. 9ff.; dazu etwa C. Berger NJW 1995, 1584. 9 So bereits BGH NJW 1991, 2955, 2957; kritisch zu Recht C. Berger NJW 1995, 1584, 1587. 10 BGH NJW 1991, 2955, 2958.

G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring

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aber durch § 49b Abs. 4 Satz 1 BRAO erheblich gelockert.11 Große Bedeutung entfaltet in diesem Zusammenhang § 2 Abs. 2 Rechtsdienstleistungsgesetz. Denn danach ist der als eigenständiges Geschäft betriebene Einzug fremder Forderungen eine nach § 3 erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung. Der Forderungskauf wird davon nicht erfasst, wobei der Unterschied zum Inkasso darin liegt, dass die Forderung beim Kauf endgültig auf den Erwerber übertragen wird und dieser das wirtschaftliche Risiko ihrer Beitreibung trägt.12 Als problematisch erweist sich auch die Vereinbarung rechtsgeschäftlicher Abtretungsverbote:

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Bank B ist Anschlusskundin des Factors F und hat diesem ua. eine Forderung gegen den Firmenkunden U aus einem Darlehensvertrag zediert. Was B und F nicht bedenken, ist, dass in den AGB des U ein Abtretungsverbot nach § 399 zweiter Fall vorgesehen ist. Als F dem U die Forderungsabtretung anzeigt, überweist dieser dennoch an B. Kann F Zahlung von U verlangen? Dies ist nicht der Fall, wenn F gegenüber U nach § 362 Abs. 1 erfüllt hat. In Betracht kommt diese Möglichkeit zunächst deshalb, weil die Zession der B an F an § 399 zweiter Fall gescheitert sein könnte.

Da die Zession nach § 398 ohne Mitwirkung des Schuldners erfolgt, eröffnet § 399 zweiter Fall dem Schuldner die Möglichkeit, die Abtretung kraft rechtsgeschäftlicher Vereinbarung auszuschließen (pactum de non cedendo). Dann entsteht die Forderung nach ständiger Rechtsprechung und hM. als unabtretbar; in Abweichung von § 137 Satz 1 kann der Gläubiger nicht über die Forderung verfügen.13 Dies gilt jedoch nicht im Anwendungsbereich des § 354a Abs. 1 HGB, der vor allem mit Blick auf die Factoring-Wirtschaft geschaffen wurde. Nach Satz 1 der Norm ist eine Abtretung einer Geldforderung trotz Vereinbarung nach § 399 wirksam, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft für beide Seiten ein Handelsgeschäft darstellt (§ 343 HGB; beide Parteien müssen Kaufleute nach §§ 1ff. HGB sein) oder der Schuldner eine juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen ist. Eine Ausnahme besteht nach § 354a Abs. 2 HGB, wenn eine Bank Gläubigerin aus einem Darlehensvertrag ist. Die Norm wurde durch das Risikobegrenzungsgesetz14 eingeführt und soll verhindern, dass Banken ihre Darlehensforderungen isoliert, dh. ohne Berücksichtigung der aus dem Darlehensvertrag resultierenden Einwendungen abtreten können. Mit einem Darlehensgeber kann daher nach wie vor ein Abtretungsverbot iSd. § 399 vereinbart werden. Im Fall (Rn. 589) geht daher die Abtretung zwischen B und F ins Leere, weil sie gegen § 399 verstößt. Gläubigerin blieb daher die B. An sie kann weiterhin gezahlt werden. Doch auch bei wirksamer Zession kann U nach § 354a Abs. 1 Satz 2 HGB an B zahlen. Zunächst: BGH NJW 1993, 1638; jetzt: BGHZ 171, 252 = NJW 2007, 1196. BGHZ 122, 115 = NJW 2014, 847, Tz. 16ff. Vgl. nur BGHZ 13, 179, 184 und BGHZ 112, 387ff.; Blaurock ZHR 142 (1978) 325, 331; Mummenhoff JZ 1979, 425, 426f.; aA.: etwa Canaris, in: FS Serick, 1992, S. 9ff.; Larenz/Canaris II/2, S. 99; Scholz NJW 1960, 1837. 14 BGBl. 2008 I, S. 1666. 11 12 13

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§ 2 Der Kaufvertrag

§ 354a Abs. 1 HGB trägt Kompromisscharakter; denn auch bei wirksamer Zession kann der Schuldner nach Satz 2 der Norm mit befreiender Wirkung an den Altgläubiger leisten, wobei abweichende Vereinbarungen unwirksam sind (Satz 3). Die Befreiungswirkung tritt – anders als die des § 407 – unabhängig von der Gutgläubigkeit des Schuldners ein.15 Die Norm eröffnet dem Schuldner somit ein echtes Wahlrecht, an wen er leisten möchte. Sie dient zugleich dem Schutz des Schuldners: Denn Abtretungsverbote erleichtern ihm häufig die Abrechnung mit dem Gläubiger und ersparen komplizierte Prüfungen, ob Zessionen des Gläubigers an Dritte wirksam waren und welche Forderung nun welchem Prätendenten zuzuordnen ist. Allerdings besteht die Gefahr von Schädigungen des Zessionars auf der Grundlage von Satz 2: Ist der Zedent in Insolvenz gefallen und leistet der Schuldner an ihn, kann der Zessionar nur eine Insolvenzforderung zur Masse anmelden und geht praktisch leer aus. Deshalb steht die Ausübung des Wahlrechts unter einem aus § 826 abgeleiteten Schädigungsverbot:16 Der Schuldner darf sich durch Zahlung an den Zedenten stets vor der Gefahr einer nicht befreienden Leistung schützen. Bestehen jedoch aus seiner Sicht im Hinblick auf die Forderungszuständigkeit des Zessionars keine vernünftigen Zweifel, darf er den Zessionar nicht durch Leistung an den Zedenten schädigen. Andernfalls ist seiner Zahlung die befreiende Wirkung zu versagen. In für den Forderungskauf typischer Weise trägt der Factor das mit der Forderung verbundene Bonitätsrisiko, dh. das Risiko, dass der Schuldner solvent ist.17 Eine nach wie vor ungeklärte Frage liegt in den Zurechnungsmaßstäben für die Veritätshaftung des Anschlusskunden gegenüber dem Factor: Anschlusskunde A – ein Antiquitätenhändler – hat dem Drittschuldner D eine antike Vase für 30.000 € verkauft. Diese Forderung tritt A an den Factor F ab; D erfährt davon nichts. Später erwirbt A von D eine Münzsammlung im Wert von 35.000 €; die Kaufpreisforderung ist sofort fällig. Jetzt erst wendet sich F an D und verlangt Zahlung. D aber rechnet gegenüber A auf. Was kann F von A verlangen? In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch des F gegenüber A aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283 Satz 1. Zwischen den Parteien kam ein Forderungskauf nach §§ 433, 453 Abs. 1 zustande. Fraglich ist, ob Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 eingetreten ist, weil D mit der Wirkung des § 389 aufgerechnet hat. Die allgemeinen Aufrechnungsvoraussetzungen (Gegenseitigkeit der Forderungen, Gleichartigkeit, Fälligkeit der Gegenforderung, mit der aufgerechnet wird, und Erfüllbarkeit der Hauptforderung) liegen im Verhältnis D-A vor. Wegen § 406 erster Fall führt die Zession der Forderung des A an F für D nicht dazu, dass die Aufrechnungslage entfällt. Nach § 389 geht die Forderung daher rückwirkend zum Zeitpunkt des Bestehens der Aufrechnungslage unter; dieser liegt nach Vertragsschluss. Ein Fall des §§ 283 Satz 1, 275 Abs. 1 liegt daher vor; die Zession geht nachträglich ins Leere, weil die Forderung erloschen ist. Fraglich ist, ob A dies zu vertreten hat.

Die Haftung für das Bestehen der abgetretenen Forderung (Veritätshaftung) richtet sich bei vor Vertragsschluss bestehenden Einwendungen nach § 311a 15 16 17

BT-Drucks. 12/7912, S. 2, 25; E. Wagner WM 1996, Sonderbeilage Nr. 1, S. 1, 10f. Nach Saar ZIP 1999, 988, 994: § 242. BGH NJW 2014, 847, Tz. 18.

G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring

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Abs. 2 Satz 1; wie das Beispiel zeigt, kommen die §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 283 Satz 1 bei nachträglichen Einwendungen als Anspruchsgrundlage in Betracht. Nach altem Recht haftete der Forderungsverkäufer in diesen Fällen aus Garantie, also ohne Verschulden, was mit der besonderen Schutzwürdigkeit des Käufers begründet wurde. Da sich die Forderung als Kaufgegenstand der allgemeinen Anschauung entzieht, ist der Käufer allein auf das Wort des Verkäufers angewiesen. Dieser musste deshalb nach altem Recht auch für sein Wort einstehen.18 Die rechtlichen Grundlagen für diese Garantiehaftung (§ 437 BGB aF.) sind nun entfallen: Nach einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers wird auch für die Verität nach §§ 311a Abs. 2 Satz 2 und 280 Abs. 1 Satz 2 nur bei Vertretenmüssen gehaftet.19 Begründet wird dies mit der pauschalen Behauptung, das Garantieprinzip führe zu Ergebnissen, die unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten keineswegs zu überzeugen vermögen.20 Der Fall beweist gerade das Gegenteil: Sicherlich handelt der Anschlusskunde nicht „schuldhaft“, wenn er mit dem Drittschuldner weitere Geschäfte betreibt und dabei eine Aufrechnungslage erzeugt. Dies ist vielmehr gerade Teil seiner beruflichen Tätigkeit, die ihm auch der Factor nicht verbieten kann. Andererseits leuchtet es nicht ein, dass der Factor den gezahlten Kaufpreis und sonstige Schäden (Inkassokosten usw.) nicht vom Anschlusskunden verlangen können soll. Denn er hat keine Möglichkeit, das Veritätsrisiko zu steuern, sondern ist ganz auf die Auskünfte des Anschlusskunden und dessen Verhalten angewiesen. Deshalb eröffnet hier der Wortlaut des § 276 Abs. 1 den Weg zu einer weiter gehenden Haftung: Denn nach §§ 311a Abs. 2 Satz 2 und § 280 Abs. 2 Satz 2 kommt es auf Vertretenmüssen an. Zu vertreten hat der Verkäufer nämlich nicht nur Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern auch eine strengere Haftung, die entweder im Vertrag ausdrücklich bestimmt ist oder durch den sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, konkretisiert werden kann. Sollte die Rechtsprechung an der besonderen Schutzwürdigkeit des Forderungskäufers festhalten, steht der Annahme einer Garantieübernahme für das Veritätsrisiko nichts entgegen.21 Wer dennoch die Veritätshaftung als echte Verschuldenshaftung ansieht, wird sich mit der Lehre von der analogen Anwendung des § 122 Abs. 1 im Fall des § 311a Abs. 2 Satz 1 auseinandersetzen müssen: Das enttäuschte Vertrauen in das Bestehen des Lieferanspruchs des Anschlusskunden (und Forderungsverkäufers) wird dabei dem enttäuschten Vertrauen eines Anfechtungsgegners in die Wirksamkeit des Vertrages gleichgesetzt. Dann ist der Verkäufer aus Garan18 BGHZ 161, 90 = NJW 2005, 359, 361 – FlowTex; BGH NJW 1970, 556, 557; Larenz II/1 § 45 I; Esser/Weyers § 4 IV 2. 19 Vgl. die einschlägige Stelle im RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 202, linke Spalte. 20 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 165, rechte Spalte. 21 Vgl. vor allem den ersten Teil der Arbeit von Bannier, Die schuldrechtlichen und wechselrechtlichen Haftungsprobleme bei der Forfaitierung von Exportforderungen, 2005; ferner Zimmer NJW 2002, 1, 3; ähnlich Schulz, in: H.P. Westermann (Hrsg.), Das Schuldrecht 2002, 2002, S. 17ff., 76.

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§ 2 Der Kaufvertrag

tiehaftung nur zum Ersatz des negativen Interesses des Forderungskäufers verpflichtet.22 Die Analogie wird im Schrifttum jedoch teilweise mangels Regelungslücke abgelehnt,23 was mit Blick auf § 276 Abs. 1 überzeugt. 3. Kollision zwischen Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt a) Grundlagen 593

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In der Praxis stehen Factor und Anschlusskunde in einer dauernden Geschäftsverbindung, in deren Rahmen die Forderungen des Kunden fortwährend und in großem Umfang abgetreten werden. Dabei werden die Forderungen häufig lange vor Entstehung der Forderung antizipiert zediert: Denn ist der Rechtsgrund einer Forderung bereits absehbar, kann diese als künftige Forderung abgetreten werden. Auf diese Weise kommt es zu einer Kollision mit den Lieferanten des Anschlusskunden, die Ware unter verlängertem Eigentumsvorbehalt liefern: Diese Lieferanten behalten sich nämlich das Eigentum an der Ware unter der Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung vor (§ 449). Zugleich ermächtigen sie den Anschlusskunden zur Weiterveräußerung der Ware nach § 185 Abs. 1 unter der Bedingung, dass entweder der Zweitkäufer in bar zahlt oder dass die aus der Veräußerung resultierende Forderung des Anschlusskunden gegen diesen antizipiert abgetreten wird.24 Die im Factoringvertrag vereinbarte Forderungsabtretung gerät dann in Konflikt mit der im verlängerten Eigentumsvorbehalt vereinbarten Forderungsabtretung. Das Problem ist aus dem Kreditsicherungsrecht bekannt und begegnet dort bei der Kollision von verlängertem Eigentumsvorbehalt des Warenlieferanten und kreditsichernder Globalzession zugunsten einer Bank. Prinzipiell gilt dabei das sog. Prioritätsprinzip: Von mehreren, aufeinander folgenden Abtretungen ist die erste wirksam.25 Näher besehen handelt es sich dabei nicht um ein Prinzip, sondern eine einfache Konsequenz aus dem Umstand, dass der Inhaber die Forderung nur einmal nach § 398 abtreten kann und zugunsten eines späteren Zessionspartners kein gutgläubiger Erwerb stattfindet. Dies führt regelmäßig zu einer einseitigen Bevorzugung des Globalzessionars. Denn Globalzessionen, die meist mit Geldkreditgebern abgeschlossen werden, erstrecken sich über die gesamte Laufzeit der Darlehen, mithin über einen oft in Jahren bemessenen Zeitraum. Entsprechend liegen die Abtretungserklärungen häufig weit in der Zeit zurück. Sie gehen daher den Abtretungserklärungen gegenüber den Warenlieferanten, die täglich oder wöchentlich neu liefern, regelmäßig vor und RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 165; Canaris JZ 2001, 499, 507f. Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Kommentar, § 2 Rn. 91. Vgl. Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 8. Aufl. 2012, Rn. 1676ff.; vgl. dazu auch Rüssmann AcP 172 (1972) 520; ders. JuS 1972, 169. 25 BGHZ 30, 149, 150 = NJW 1959, 1533, 1536; BGH NJW 1982, 571; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. IV, 1976, S. 349, 357, 382; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 8. Aufl. 2012, Rn. 1694. 22 23 24

G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring

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können diese deshalb systematisch leerlaufen lassen. Eine Globalzession verstößt daher nach Rechtsprechung des BGH gegen § 138 Abs. 1, wenn sie den Kreditnehmer dazu verleitet, Waren unter Vereinbarung eines verlängerten Eigentumsvorbehalts weiterzuveräußern, obwohl er die daraus resultierende Forderung nicht wie versprochen an den Vorbehaltslieferanten abtreten kann (Vertragsbruchtheorie).26 Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfällt, wenn die Globalzession die Forderungen der Vorbehaltslieferanten ausnimmt; dabei genügt jedoch nicht eine bloße Verpflichtung des Sicherungsnehmers gegenüber dem Kreditnehmer, hinter den Ansprüchen des Sicherungsgebers zurückzutreten (obligatorischer Teilverzicht), sondern die einschlägigen Forderungen müssen von vornherein von der Abtretung ausgenommen sein (dingliche Teilverzichtsklausel).27 b) Die Rechtslage beim echten Factoring

Die hM. wendet die dargestellten Grundsätze auf das echte Factoring nicht an.28 Denn bei der Kollision von Globalzession aufgrund echten Factorings und einem verlängerten Eigentumsvorbehalt geht es richtiger Auffassung nach nicht um einen Konflikt zweier Kreditgeber, sondern es stellt sich die Frage, ob der Warenlieferant als Vorbehaltsverkäufer in seinen Interessen durch die Zwischenschaltung eines Factors beeinträchtigt wird. Dies wiederum wird mit folgender Argumentation verneint: Der Vorbehaltsverkäufer ermächtigt den Anschlusskunden (Vorbehaltskäufer) regelmäßig nach § 185 Abs. 1 zur Einziehung der Forderungen gegenüber dem Zweitkäufer bei Barzahlung. Dies ist erforderlich, weil der Vorbehaltskäufer stets Bargeschäfte abschließen können muss; der Verkäufer kann den Vorbehaltskäufer nicht zur Kreditierung gegenüber den Kunden zwingen. Auch kennt der Vorbehaltsverkäufer die Kunden des Vorbehaltskäufers nicht und will nicht den Aufwand treiben, der für einen eigenhändigen Forderungseinzug erforderlich wäre. Wenn der Vorbehaltskäufer gegenüber dem Vorbehaltsverkäufer aber beim Weiterverkauf auf Barzahlung bestehen kann, ist es ihm auch ohne weiteres gestattet, die Forderung aus dem Kaufvertrag gegen Bargeld weiterzuverkaufen: Denn ob der Käufer einen Kaufpreis in bar für die Vorbehaltsware erzielt oder für die Forderung aus ihrem Verkauf, macht keinen Unterschied. Dass der Factor meist an den Anschlusskunden nicht den Nominalbetrag der Forderung auszahlt, sondern als Risikoabschlag einen Teil einbehält (Disagio), kann der Vorbehaltsverkäufer verkraften, weil die Forderung des Vorbehaltskäufers gegenüber dem Zweit26 Dazu grundlegend BGHZ 30, 149, 153 = NJW 1959, 1533; vgl. noch BGH NJW 1983, 2502, 2504; H. Graf von Lambsdorff/Skora NJW 1977, 701, 706; Berghaus, Kollision zwischen Factoring-Globalzession und verlängertem Eigentumsvorbehalt, 1989, S. 98ff. 27 BGH NJW 1974, 942, 943; BGH NJW 1979, 365; vgl. dazu Finger DB 1982, 475, 478. 28 Vgl. dazu die weichenstellenden Entscheidungen: BGHZ 69, 254, 258 = NJW 1977, 2207, 2208; BGHZ 72, 15 = NJW 1978, 1972 mit Anm. Blaurock, dort 1974; Vorarbeiten von Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. IV, 1976, S. 575f., 602f.; Bd. V, 1982, S. 803, 856; später dann ders. BB 1979, 845ff.; ders. NJW 1981, 794.

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§ 2 Der Kaufvertrag

käufer regelmäßig höher sein dürfte, als die Forderung des Vorbehaltslieferanten gegenüber dem Vorbehaltskäufer (Handelsspanne!). Trotz kritischer Gegenstimmen29 verdient die hM. Zustimmung. Anders als im Fall der globalen Sicherungszession tritt beim Factoring nämlich kein weiterer Kreditgeber neben den Vorbehaltsverkäufer. Die Gefahr, dass der Vorbehaltskäufer das erhaltene Entgelt nicht zur Begleichung seiner Schulden gegenüber dem Warenlieferanten, sondern anderweitig verwendet (Weiterleitungsrisiko), hat der Warenlieferant indes ohnehin zu tragen; sie ist Folge des verlängerten Eigentumsvorbehalts. c) Die unechte Factoring-Globalzession

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Die Rechtslage beim unechten Factoring wird durch die hM.30 hingegen so beurteilt wie die Kollision einer globalen Sicherungszession mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt. Letztlich handelt es sich beim unechten Factoring um ein Darlehen mit modifizierter Rückzahlungsabrede (§ 365, oben Rn. 586). Der Factor tritt demnach als weiterer Gläubiger neben den Vorbehaltslieferanten und schmälert potentiell dessen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten. Nimmt der Factor also die Forderungen der Vorbehaltslieferanten nicht durch dingliche Teilverzichtsklauseln aus, haftet er bei ihrem Einzug aus § 816 Abs. 2.31 Die Gegenauffassung differenziert nicht zwischen echtem und unechtem Factoring, sondern allein danach, ob der Anschlusskunde einen Barvorschuss vom Factor empfangen hatte, für den ein Rechtsgrund besteht. Dagegen spricht, dass der Vorbehaltsverkäufer in einer „Doppelinsolvenz“ von Anschlusskunde und Drittschuldner beim unechten Factoring schlechter gestellt wäre: Vom Anschlusskunden erhielte der Lieferant den Vorschuss nicht heraus, und der Factor könnte seinen Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 in der Insolvenz des Anschlusskunden als Forderung anmelden. Das Argument, der Fall sei wenig wahrscheinlich, trifft dabei nicht den Kern: Denn offenbar verteilt die Theorie vom Barvorschuss das Insolvenzrisiko im Verhältnis zwischen Factor und Vorbehaltslieferant nicht nach den Prinzipien der (sachenrechtlichen) Güterrechtsordnung, sondern einseitig zugunsten des Factors. Das Wahrscheinlichkeitsargument ist auch deshalb schwach, weil das Absenken der stets auch präventiv wirkenden Schutzstandards die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu Lasten des Betroffenen gerade negativ beeinflusst. Im Übrigen kann der Factor sehr wohl angesichts der Globalzession als Hauptinsolvenzgläubiger auftreten und die Insolvenzmasse praktisch abschöpfen.32 29 Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, 8. Aufl. 2012, Rn. 1692ff.; Canaris NJW 1981, 1347, 1350; ders., Bankvertragsrecht, Rn. 1685; ders. NJW 1981, 249f. 30 BGHZ 82, 50, 60f. = NJW 1982, 164, 166; BGHZ 100, 353, 358 = NJW 1987, 1878, 1879; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. IV, 1976, S. 581ff., 603; Bd. V, 1982, S. 816ff., 855, 857; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 286ff. 31 Zu einem anderen Ergebnis gelangt die Theorie von Canaris NJW 1981, 249, 250; vgl. auch Larenz/Canaris II/2, S. 92ff., die sich aber in der Praxis nicht durchgesetzt hat. Vgl. auch Blaurock NJW 1978, 1974, 1975; Rödl BB 1967, 1301, 1303. 32 Kunth BB 1981, 334, 335.

G. Die Refinanzierung des Verkäufers durch das Factoring

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4. Insolvenzfestigkeit

In der Insolvenz des Anschlusskunden stellt sich aus Sicht des Factors die Frage, ab wann er eine Forderung zu Lasten der Masse sicher erworben hat. (BGH 10.12.2009 – IX ZR 1/09 = NJW-RR 2010, 558) Über das Vermögen des Anschlusskunden A ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. A hatte zuvor mit dem Factor F eine Globalzession im Rahmen eines echten Factorings vereinbart. Danach werden die Forderungen aufschiebend bedingt durch den Ankauf der Forderung durch F abgetreten. Zu einem späteren Zeitpunkt, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, liefert L eine Maschine unter verlängertem Eigentumsvorbehalt an A. A veräußert diese an K für einen Kaufpreis von 40.000 €, der in drei Monaten fällig ist. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zahlt K an A auf diese Forderung 38.000 €. F stellt sich nun die Frage, ob er die Forderung nach § 47 InsO aussondern kann. § 47 InsO setzt voraus, dass die Forderung dem F gehört und daher nicht in die Masse fällt. Der Wirksamkeit der Zession könnte jedoch das Verfügungsverbot aus §§ 80, 81 InsO entgegenstehen.

Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Verfügung des Insolvenzschuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse unwirksam, wenn sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Fraglich ist deshalb, wann der Insolvenzschuldner verfügt hat: im Zeitpunkt der antizipierten aufschiebend bedingten Zession oder bei Eintritt der aufschiebenden Bedingung, die zur Wirksamkeit führt. Der BGH stellt hier zu Recht auf den Zeitpunkt der antizipierten Zession ab (Tz. 25): Denn in diesem Zeitpunkt vereinbaren die Beteiligten bereits den Rechtsübergang. Die Verfügungsbefugnis des Insolvenzschuldners muss nach § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO nur bei Abschluss des Verfügungstatbestandes, nicht aber bei Eintritt des Verfügungserfolges bestanden haben (Tz. 25). Das eigentliche Problem des Falles liegt jedoch darin, dass die aufschiebende Bedingung im Abschluss eines Kaufvertrages zwischen dem Anschlusskunden und dem Factor bestand. Die entsprechende Einigung erfolgte dabei nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens: Im Abschluss des Kaufvertrags liegt indes keine Verfügung. Denn diese betrifft nur die Übertragung, Belastung, Aufhebung und Inhaltsänderung eines Rechts (Tz. 26). Allerdings scheitert der Rechtserwerb dennoch an § 91 InsO: Nach Abs. 1 dieser Norm können Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch dann nicht wirksam erworben werden, wenn keine Verfügung des Insolvenzschuldners zugrunde liegt. Der BGH bejaht die Anwendbarkeit der Norm (Tz. 27): Entscheidend kommt es darauf an, dass der Anschlusskunde vorliegend den Rechtserwerb des Factors noch (durch Untätigkeit) verhindern konnte, indem er keinen Kaufvertrag mit diesem abschloss. Die Zession war daher nach § 91 Abs. 1 InsO unwirksam, so dass F die Forderung nicht erwerben konnte. Ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO steht ihm daher nicht zu.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte I. Überblick 599

Eine Vertragsseite räumt der anderen Kredit ein, wenn sie die eigene Leistung erbringt, gegenüber der anderen Seite aber nicht auf sofortiger Erfüllung der Gegenleistung besteht. In Abweichung von der Regel des § 271 Abs. 1 wird der Gegenseite vielmehr eine Leistungszeit, ein Termin oder ein Zahlungsziel für die Rückführung des überlassenen Wertes eingeräumt. Der Kreditgeber schuldet folglich eine Vorleistung, und zugunsten des Kreditnehmers ist die Einrede aus § 320 (Zug um Zug) teilweise außer Kraft gesetzt. Wirtschaftlich gesehen verschafft der Kredit dem Kreditnehmer zusätzliche Kaufkraft: Denn dieser erhält die Leistung, kann aber auch mit den für die Finanzierung der Gegenleistung benötigten Mitteln wirtschaften. Die Schuldrechtsreform jedoch hat den Kredit als Systembegriff aufgegeben und an seine Stelle die einzelnen Erscheinungsformen in der Praxis treten lassen.1 Es handelt sich um das Gelddarlehen (§§ 488ff.) und das Sachdarlehen (§§ 607ff.), wobei dem Gelddarlehen einzelne Kreditgeschäfte gleichgestellt werden: – das Verbraucherdarlehen (§§ 491ff.), – die Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 506ff.) und – die Ratenlieferungsverträge (§ 510). Einige bedeutende Regelungen finden sich schließlich im allgemeinen Schuldrecht (§§ 358 bis 359a). II. Das Gelddarlehen 1. Überblick

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Nach § 488 Abs. 1 Satz 1 wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer den vereinbarten Geldbetrag (Valuta) zur Verfügung zu stellen und auf Zeit zu überlassen (vgl. § 488 Abs. 3 Satz 1). Den Darlehensnehmer trifft die Pflicht, das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen (§ 488 Abs. 1 Satz 2). Die eigentliche Gegenleistung des Darlehensnehmers für die Überlassung der Valuta liegt jedoch in der Zahlung eines Zinses (§ 488 Abs. 1 Satz 2).

1

RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 252.

II. Das Gelddarlehen

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2. Zustandekommen des Vertrages a) Konsensualvertrag

Ein Grundlagenproblem des Darlehensvertrages liegt darin, dass die Verpflichtung des Darlehensnehmers zur Rückzahlung der Darlehenssumme (Valuta) nur entstehen kann, wenn er diese zuvor vom Darlehensgeber auch tatsächlich (real) empfangen hat (§ 488 Abs. 1 Satz 2). Wäre es anders und würde der Darlehensnehmer mit der „Rückzahlung“ beginnen, bevor die Valuta überhaupt an ihn geflossen ist, würde sich der Darlehensvertrag nämlich in sein Gegenteil verkehren: Der Darlehensnehmer würde gegenüber dem Darlehensgeber vorleisten, ohne auf Erfüllung der Gegenleistung zu bestehen, und diesem dadurch Kredit einräumen. Aus dem Darlehen des Darlehensgebers an die Adresse des Darlehensnehmers würde rasch ein Darlehen des Darlehensnehmers an den Darlehensgeber! Deshalb setzt der Rückzahlungsanspruch des Darlehensnehmers ein reales Element voraus: die Auszahlung der Valuta. Früher wurde deshalb die Auffassung vertreten, der Darlehensvertrag komme nicht durch die Willenserklärungen der Parteien, sondern erst durch den Realakt der Auszahlung zustande (Realvertrag).2 Dafür sprach das römisch-rechtliche Vorbild des „mutuum“.3 Schon immer beruhte dieses Verständnis jedoch auf einer Verkürzung der Pflichten des Darlehensgebers. Diese bestehen nämlich nicht nur in der Auszahlung, sondern auch in der Überlassung der Darlehensvaluta. Als Grund für die Überlassungspflicht kommt aber nur die vertragliche Einigung, nicht jedoch der Realakt der Auszahlung in Betracht.4 Im Wortlaut des § 488 Abs. 1 folgt der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform deshalb der Theorie vom Konsensualvertrag.5 Dies hat weitreichende Folgen: Vor der Schuldrechtsreform entsprach es einer gefestigten Auffassung, dass eine Zinszahlungspflicht nur für den Zeitraum nach Auszahlung der Valuta vereinbart werden konnte, weil die darlehensvertraglichen Pflichten erst dann überhaupt entstehen konnten. Unter der Geltung des Konsensualprinzips kann eine Zinszahlungspflicht nun auch für den Zeitpunkt vor Empfang der Valuta vereinbart werden:6 Bereitstellungszinsen oder andere Nichtabnahmeentschädigungen, die bei verspätetem Abruf des Darlehens durch den Darlehensnehmer fällig werden, stellen daher die geschuldete Gegenleistung, nicht aber eine Entschädigung eigener Art dar, wie noch nach altem Recht angenommen wurde (dazu Rn. 621). Aus ähnlichen Gründen ist die Darlehenskündigung vor Auszahlung der Valuta möglich (vgl. § 490 Abs. 1).7 Vgl. nur RGZ 108, 146; BGH NJW 1975, 443; vgl. dazu K. Schmidt JuS 1975, 397. Engel, in: Andrés Santos/Baldus/Dedek (Hrsg.), Vertragstypen in Europa, 2011, S. 45ff.; Staudinger/Freitag § 488 Rn. 9ff. So vor allem MünchKomm/Westermann, 3. Aufl. 1997, Vor § 607 Rn. 7; K. Schmidt JuS 4 1975, 397; Larenz II/1 § 51 1. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 252, rechte Spalte; Staudinger/Mülbert § 488 Rn. 12; 5 BeckOGK/Binder § 488 Rn. 8ff. Mülbert WM 2002, 465, 469ff. und 471. 6 Für die ordentliche Kündigung Mülbert WM 2002, 465, 469; anders noch BGH WM 1983, 7 358. 2 3

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

Dennoch hat die Realvertragstheorie eine letzte Spur im Gesetz hinterlassen: Denn der Anspruch auf Rückzahlung der Valuta entsteht erst, wenn diese dem Darlehensnehmer tatsächlich zur Verfügung gestellt worden ist (vgl. den Wortlaut von § 488 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz). Dem Darlehensnehmer steht also nicht etwa die Einrede aus § 320 zu, wenn der Darlehensgeber die Darlehenssumme nicht ausreicht, sondern ihn trifft von vornherein keine Leistungspflicht. Während im Vergleich die Kaufpreisforderung nach § 433 Abs. 2 bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrages entsteht, setzt der Rückzahlungsanspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz neben der vertraglichen Einigung auch den Realakt des Zurverfügungstellens der Valuta voraus (zu den Gründen Rn. 601). b) Sittenwidrigkeit und bereicherungsrechtliche Rückabwicklung

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Das Gesetz sieht ursprünglich im Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 eine gesetzliche Grenze für Darlehensverbindlichkeiten vor. Deren Anforderungen sind jedoch so hoch, dass die Norm in der Praxis nur eingeschränkte Bedeutung entfaltet. Die Höhe dieser Anforderungen erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte der Lehre vom Wuchergeschäft. Im Anschluss an die Ethik des griechischen Philosophen Aristoteles wurde spätestens in der Scholastik des Hochmittelalters ein allgemeines Wucherverbot begründet,8 wobei Wucher abweichend vom heutigen Begriffsverständnis mit der Forderung jeder Art von Entgelt für das Darlehen gleichgesetzt wurde. In den agrarisch geprägten Verhältnissen des Mittelalters fungierte das Darlehen häufig allein als Konsumenten- und nicht als Investitionskredit. Wer unter diesen Umständen ein Entgelt für die Überlassung von Geld forderte, bereicherte sich praktisch an den Ärmsten. Dogmatisch wurde das Wucherverbot übrigens mit einer ersten Geldtheorie überhaupt begründet, dem Konventionalismus: Der Wert des Geldes beruht danach auf einer Übereinkunft der Menschen und erscheint als etwas künstlich Geschaffenes. Geld konnte nach diesem Verständnis keine Früchte tragen wie die von Gott geschaffenen, natürlichen Dinge (nummus nummum parere non potest).9 § 138 Abs. 2 spiegelt in seinen Voraussetzungen die hierzu konträre Beurteilung des liberal denkenden BGB-Gesetzgebers: Dieser wandte sich vollständig von den Vorstellungen ab, die der Lehre vom Wucherverbot zugrunde gelegen hatten, und bejahte stattdessen das Recht der Vertragsparteien, die Gegenleistung in einem Darlehen frei auszuhandeln. Das Verbot überhöhter Darlehenszinsen beschränkte er folglich auf extreme Ausnahmefälle.10 Diese konkreti8 Lesenswert Endemann, Die nationalökonomischen Grundlagen der canonistischen Lehre, in: Hildebrandts Jahrbücher, Bd. 1 (1863), S. 26; ders., Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, 2 Bände, Neudruck, 1962; vgl. auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 105ff. 9 Endemann, Die Nationalökonomischen Grundlagen der canonistischen Lehre, in: Hildebrandts Jahrbücher, Bd. 1(1863), S. 26, 41. 10 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 62ff.

II. Das Gelddarlehen

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siert der Normtext so: Im Vertrag muss erstens ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen. Für dieses muss zweitens die Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen kausal geworden sein. Drittens muss dies mit Wissen und Wollen des Wucherers erfolgt sein, weil die Norm voraussetzt, dass dieser die Notlage des Darlehensnehmers ausbeutet.11 Für sämtliche Voraussetzungen trägt der Darlehensnehmer die Beweislast, wenn er sich auf die Nichtigkeit beruft. Zeitweise wurde jedoch von Autoren aus den Kreisen des BVerfG die Ansicht vertreten, § 138 Abs. 2 könne auch dann Anwendung finden, wenn eines der Tatbestandsmerkmale „übererfüllt“ sei und im Gegenzug die tatsächlichen Voraussetzungen eines anderen nicht vorlägen (sog. Sandhaufentheorem).12 In eine ähnliche Richtung weist die Auffassung, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 138 Abs. 2 bildeten ein bewegliches System, bei dem nie alle Merkmale in gleicher Intensität vorliegen müssten, sondern eine wertende Gesamtbetrachtung maßgeblich sei.13 Praktisch durchgesetzt hat sich keiner dieser Ansätze. Insbesondere der BGH lehnt die Möglichkeit ab, durch eine großzügige Auslegung des § 138 Abs. 2 die gesetzgeberische Wertentscheidung in Bezug auf den Ausnahmecharakter der Norm zu unterlaufen: (BGH 12.3.1981 – III ZR 92/79 = BGHZ 80, 153 = NJW 1981, 1206) Die 19-jährige DN ist Mithaftende aus einem Darlehen, das Darlehensgeber DG mit ihrem Verlobten geschlossen hat. Der vereinbarte Darlehenszins lag über dem Doppelten der Sätze, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses marktüblich waren. Das erstinstanzlich entscheidende OLG Stuttgart hatte die Auffassung vertreten, die Tatbestandsmerkmale des § 138 Abs. 2 seien in Grenzen variabel, sodass die von DN nicht beweisbare fehlende Unerfahrenheit durch die Auffälligkeit des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung aufgewogen werde.

Der BGH lehnt diese Art der Argumentation ab (S. 1207). Der Wuchertatbestand liegt seiner Auffassung nach nur vor, wenn alle in § 138 Abs. 2 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.14 In diesem Zusammenhang erscheint es jedoch als nicht völlig widerspruchsfrei, dass das Gericht zugleich die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 nach der Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft bejaht (S. 1207f.). Die Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft (Rn. 59) überwindet auch beim Darlehensvertrag15 die Schwierigkeit der Konkretisierung des § 138 Abs. 2, indem sie bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 an das auffällige Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung eine zweifache Beweiserleichterung knüpft: Wegen des auffälligen Missverhältnisses wird nämlich erstens vermutet, Vgl. zu diesem letzten Erfordernis nur MünchKomm/Armbrüster § 138 Rn. 154. Bender, in: GS Rödig, 1978, S. 34; vgl. BGHZ 80, 153, 159. Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 70ff., 254 und 373. Ähnlich streng zuvor Canaris ZIP 2008, 709, 717; Rittner DB, 1980, Beilage Nr. 16, 13. Vgl. MünchKomm/Berger § 488 Rn. 106ff.; Staudinger/Freitag § 488 Rn. 133ff.; BeckOGK/Binder § 488 Rn. 142ff. 11 12 13 14 15

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dass der Darlehensvertrag nur zustande gekommen ist, weil der Darlehensnehmer in außergewöhnlicher Weise schutz- und wehrlos war. Zweitens wird vermutet, dass der Darlehensgeber diese Situation beim Vertragsschluss bewusst ausgenutzt hat (zur Kritik an einer möglichen Umgehung des § 138 Abs. 2 vgl. bereits Rn. 59). Beide Vermutungen knüpfen an einfache, rationale Erfahrungssätze an: Nur ein in einer Notlage befindlicher oder besonders unerfahrener Darlehensnehmer lässt sich nämlich im Zweifel auf ein solches Darlehen ein. Ferner erkennt ein professioneller Darlehensgeber, der die Marktzinsen kennt, im Zweifel in der Bereitschaft, solche Bedingungen zu akzeptieren, eine besondere Notlage oder Schutzlosigkeit der Gegenseite und nutzt diese für den eigenen Vorteil aus. Für die Bestimmung des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung orientiert sich die Praxis an Zinsstatistiken: früher an dem monatlich veröffentlichten Schwerpunktzinssatz der Bundesbank, heute an der EWU-Zinsstatistik, deren Eignung zu diesem Zweck jedoch nicht unzweifelhaft ist.16 Für die Prüfung im Rahmen des § 138 Abs. 1 kommt es auf die Höhe der marktüblichen Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Denn nur dann können die Vertragsparteien ihr Verhalten am Maßstab der guten Sitten orientieren (Rn. 241). Dem so ermittelten Wert stellt die Rechtsprechung den vom Darlehensnehmer geschuldeten effektiven Jahreszins gegenüber. Nach § 6 PAngV handelt es sich dabei um die Gesamtbelastung des Darlehensnehmers pro Jahr. In diese fließen etwa sämtliche mit dem Darlehen verbundenen Überweisungs-, Bearbeitungs-, Kontoführungskosten und die Kosten der Immobilienbewertung ein. In einem ersten Schritt wird so die tatsächliche Belastung des Darlehensnehmers ermittelt; in einem zweiten Schritt wird diese Belastung in Jahreszinsen umgerechnet. Ein wesentliches Indiz für die Sittenwidrigkeit liegt in dem Ausmaß, in dem der effektive Jahreszins den marktüblichen Zinssatz übersteigt: (BGH 13.3.1990 – XI ZR 252/89 = BGHZ 110, 336 = NJW 1990, 1595) DG hatte DN ein Gelddarlehen gegen einen effektiven Jahreszins von 29,3% gewährt. Der marktübliche Zinssatz lag zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei 16,64%.

Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen einer relativen und einer absoluten Überschreitung des Marktzinses. Im Beispiel entspricht der vereinbarte effektive Jahreszins 176% des Marktzinses; er übersteigt den Marktzins daher relativ um 76%. Absolut betrachtet (29,3% –16,64%) liegt ein Übersteigen von 12,66 Prozentpunkten vor.

Zunächst hat die Rechtsprechung ein relatives Übersteigen des Marktzinses von 100% zwar nicht als absolute Grenze, jedoch als einen zentralen Richtwert für die Sittenwidrigkeit angesehen.17 Dahinter steht die auf das römische Recht zurückgehende Lehre von der laesio enormis (Rn. 60).18 Diese Bewertung führt 16 17 18

Reifner VuR 2005, 370; vgl. zum Schwerpunktzins: BGH NJW 1987, 2220, 2221. BGHZ 104, 102, 104f. = NJW 1988, 1659. Ablehnend noch BGHZ 80, 153, 156.

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aber zu Gerechtigkeitsproblemen, wenn der Marktzins besonders niedrig liegt. Denn dann kommt das Erreichen des Doppelten vergleichsweise rasch in Betracht. In Niedrigzinsphasen kommt es daher auf eine Betrachtung im Einzelfall an. Liegt der marktübliche Zinssatz hingegen außergewöhnlich hoch, kann auch ein Zins weit unterhalb des Doppelten die Schutzwürdigkeit des Darlehensnehmers iSd. § 138 Abs. 1 begründen.19 Deshalb stellt der BGH wie vorliegend in einer Hochzinsphase auf eine starre Grenze ab und bejaht ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bei einer absoluten Überschreitung des marktüblichen Zinssatzes von zwölf Prozent (S. 1596). Zwar steigen in Hochzinsphasen auch die Refinanzierungskosten der Darlehensgeber und die Gefahr des Ausfalls der Darlehensnehmer wegen Insolvenz liegt daher höher. Dem stehen nach Ansicht des Gerichtes aber relativ konstante Betriebskosten und Gewinnspannen im Kreditgewerbe gegenüber (S. 1596). Für den Wert von 12% fehlt es zwar an einem konkreten Anhalt im Gesetz; er schafft jedoch Rechtssicherheit. Das den Sittenverstoß rechtfertigende subjektive Element besteht darin, dass der Darlehensgeber erkannt oder sich leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der Darlehensnehmer nur wegen seiner wirtschaftlich schwächeren Lage, Rechtsunkundigkeit oder Geschäftsungewandtheit auf die Vertragsbedingungen eingelassen hat. Dies wird zu Lasten des Darlehensgebers vermutet, wenn es sich beim Darlehensnehmer um einen „Privatkonsumenten“ handelt.20 Ist das Darlehen wegen Sittenwidrigkeit nichtig, vollzieht sich die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht, und zwar nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). Dabei ist der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückgewähr der Valuta zunächst auf Wertersatz nach § 818 Abs. 2 gerichtet. Eine erste Frage liegt darin, ob der Rückgewähr nicht § 817 Satz 2 entgegensteht. Die Regelung ist nur im Zusammenhang mit § 817 Satz 1 zu verstehen. Nach dieser Norm ist der Empfänger wiederum zur Herausgabe verpflichtet, wenn der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt war, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen hat. Nach § 817 Satz 2 dagegen ist die Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt. In den Fällen des § 138 Abs. 1 fällt der Sittenverstoß hingegen allein dem Darlehensgeber zur Last, nicht aber dem übervorteilten Darlehensnehmer. Die hM. wendet § 817 Satz 2 jedoch über den Wortlaut hinaus („gleichfalls“) auch dann an, wenn allein dem Leistenden ein Sittenverstoß zur Last fällt, dem Leistungsempfänger hingegen nicht. Die Begründung liegt auf der Hand: Der Leistungsempfänger darf bei sittengemäßem Verhalten nicht schlechter stehen als bei einer sittenwid-

Dazu Emmerich JuS 1988, 925, 928f. BGHZ 98, 178, 174 = NJW 1986, 2564; kritisch Mayer-Maly, in: 2. FS Larenz, 1983, S. 395, 403ff.

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rigen Empfangnahme. Darf er bei letzterer die Leistung behalten, steht ihm diese Befugnis bei rechtmäßigem Verhalten erst recht zu.21 Nach § 817 Satz 2 ist die Rückforderung der Leistung ausgeschlossen. Die Leistung des Darlehensgebers besteht wiederum in der Überlassung der Valuta auf Zeit. Daraus folgt, dass die Rückforderung nicht dauerhaft ausgeschlossen ist, sondern in den Zeitabschnitten verlangt werden kann, in denen auch bei einem wirksam vereinbarten Darlehensvertrag Fälligkeit eingetreten wäre.22 Deshalb kann der Darlehensgeber die Valuta im Wege der Leistungskondiktion nur insoweit herausfordern, wie dies dem ursprünglich geplanten, aber nicht wirksam vereinbarten Tilgungsplan entspricht, also in Gestalt der ursprünglich vereinbarten Raten. Fraglich ist, ob der Darlehensnehmer sich gegenüber dem Darlehensgeber im Einzelfall auch auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 berufen kann. Die Rechtsprechung verneint dies wegen § 819 Abs. 1, der den Entreicherungseinwand bei Kenntnis von der Rechtsgrundlosigkeit ausschließt. Denn der Darlehensnehmer hat zwar möglicherweise keine Kenntnis von der Nichtigkeit des Darlehens nach § 138 Abs. 1, er weiß aber aufgrund der vertraglichen Tilgungsvereinbarung, dass er die Valuta an den Darlehensgeber zurückführen muss.23 Diese Überlegung erinnert an den Rechtsgedanken des § 991 Abs. 2 und die Problematik des sog. Fremdbesitzerexzesses. Denn auch hier gilt: Es schadet nicht, dass der Besitzmittler keine Kenntnis von der Nichtigkeit des Besitzrechts hat, solange er nur davon ausgeht, dass er die Sache aus anderen Gründen (nämlich aufgrund eines vermeintlich endenden Besitzrechts) zurückgeben muss. Problematisch ist schließlich, ob der Darlehensnehmer für die Vorteile der durch § 817 Satz 2 analog bedingten Überlassung der Valuta einen Nutzungsersatz nach § 818 Abs. 1 und 2 schuldet. Dies wird teilweise auf der Grundlage einer Leistungskondiktion des Darlehensgebers bejaht.24 Nach dieser Auffassung hat der Darlehensnehmer keinen Anspruch auf unentgeltliche Überlassung der Valuta. Folgt man dem, ist der objektive Wert der Valutanutzung nach § 818 Abs. 2 geschuldet. Dieser entspricht dem marktüblichen Zins. Die Rechtsprechung verneint jedoch überzeugend eine Entgeltpflicht des Darlehensnehmers.25 Dafür spricht ein Argument, das an den Rechtsgedanken erinnert, der auch dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von AGB zugrunde liegt: Vorformulierte Klauseln, die die Vertragsgegenseite in unangemessener Vgl. etwa Medicus/Petersen BR Rn. 696. Vgl. nur BGH NJW-RR 1994, 291; Pamp, in: Bankrechts-Handbuch, § 82 Rn. 146ff.; aA. Bodenbenner JuS 2001, 1172, 1174; BeckOGK/Binder § 488 Rn. 161. 23 BGHZ 83, 293, 295; aA. Reuter/Martinek S. 590. 24 MünchKomm/Berger § 488 Rn. 126f.; MünchKomm/Schwab § 817 Rn. 37; Reuter/Martinek S. 590f.; ähnlich Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988, S. 118f., 126. 25 Vgl. etwa BGH NJW 1993, 2108; BGH NJW 1989, 3217; Pamp, in: Bankrechts-Handbuch, § 82 Rn. 152. 21 22

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Weise benachteiligen (§ 307 Abs. 1 Satz 1) und deshalb unwirksam sind, werden nämlich von der Rechtsprechung nicht teilweise und insoweit aufrecht erhalten, wie sie rechtmäßig sind. Denn andernfalls würde gegenüber dem Verwender ein Anreiz gesetzt, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten, um zu versuchen, rechtswidrige Klauselinhalte gegenüber der anderen Seite faktisch durchzusetzen. Der Versuch, unter Inkaufnahme eines Rechtsverstoßes Maximalbedingungen gegenüber der anderen Seite durchzusetzen, wäre folglich risikolos, weil ein Teil der Klausel gültig bliebe (vgl. näher dazu Rn. 951f.). Ein ähnlicher Gedanke greift auch hier: Hätte der Darlehensgeber immer einen Anspruch auf den marktüblichen Zins auf der Grundlage des § 818 Abs. 2, wäre sein Versuch risikolos, einen gegen § 138 Abs. 1 verstoßenden Zinssatz faktisch gegenüber dem Darlehensnehmer durchzusetzen. Dass andererseits der Darlehensnehmer davon profitiert, dass dem Darlehensgeber ein Anspruch auf Nutzungsersatz versagt wird, ist in § 817 Satz 2 unvermeidbar angelegt: Dort darf ja der sittenwidrig handelnde Empfänger den mit der Leistung verbundenen Vorteil endgültig behalten. Erkennbar stuft das Gesetz das Interesse an einer Verhinderung der Rückabwicklung höher ein als die damit einhergehende, sachlich nicht gerechtfertigte Begünstigung des Leistungsempfängers. Eigene Probleme wirft die Anwendung des § 138 Abs. 1 beim Umschuldungsdarlehen auf: (BGH 15.1.1987 – III ZR 217/85 = BGHZ 99, 333 = NJW 1987, 944) DG hat an DN ein Darlehen mit einer Gesamtdarlehenssumme von 24.792 € gewährt. 35,65% dieser Summe entfielen auf die von DN geschuldeten effektiven Zinsleistungen; diese Gegenleistung überstieg die Höhe des marktüblichen Zinssatzes um mehr als das Doppelte. DN leistete zunächst Zahlungen iHv. insgesamt 8.839 €, bis ihm DG ein Umschuldungsdarlehen anbietet. Die Nettodarlehenssumme des Umschuldungsdarlehens beträgt nun 16.700 €; der Zinssatz entspricht dem Marktüblichen. Von dieser Valuta werden DN allerdings nur 3.068,32 € ausgezahlt, während der Restbetrag iHv. 13.631,68 € der vorzeitigen Ablösung des Erstdarlehens dient. Nach Abschluss des Umschuldungsdarlehens erfährt DN von der möglichen Sittenwidrigkeit des Erstdarlehens und beruft sich nun auf die Nichtigkeit des Umschuldungsdarlehens nach § 138 Abs. 1.

Kraft ihrer Privatautonomie (§ 311 Abs. 1) können die Parteien jede bereits bestehende Verbindlichkeit durch Vereinbarung in ein Darlehen umwandeln (sog. Vereinbarungsdarlehen).26 Hier handelt es sich um den Sonderfall eines Umschuldungsdarlehens, bei dem eine alte Darlehensschuld durch eine neue abgelöst wird. Fraglich ist, ob sich dabei die Sittenwidrigkeit des Erstdarlehens nach § 138 Abs. 1 auf das in einer zeitlichen Kette nachstehende Umschuldungsdarlehen erstreckt; die Metapher einer Krankheitsübertragung kommt dabei in den Sinn. Diese Möglichkeit scheidet allerdings aus, wenn der Abschluss des Umschuldungsdarlehens eine Bestätigung des Erstdarlehens nach § 141 Abs. 2 beinhaltet. Der BGH verneint diese Möglichkeit jedoch, da der Darlehensnehmer die Nichtigkeit des Erstdarlehens nach § 138 Abs. 1 bei Abschluss des Um26

Staudinger/Freitag § 488 Rn. 73ff.

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schuldungsdarlehens nicht kannte (S. 945).27 Dies leuchtet zunächst ein, doch bestehen an der Anwendbarkeit des § 141 Abs. 2 darüberhinausgehende, ganz grundsätzliche Zweifel. Die Bestätigung nach § 141 Abs. 2 setzt nämlich voraus, dass der Nichtigkeitsgrund im Zeitpunkt der Bestätigung nicht mehr andauert; denn die Parteien können die Nichtigkeitsfolge nicht durch bloße Wiederholung des Rechtsgeschäfts umgehen.28 Durch Abschluss des Umschuldungsdarlehens ändert sich indes nichts am sittenwidrigen Inhalt des Erstdarlehens; sein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 dauert nach wie vor an. Schon deshalb kann das Erstdarlehen nicht durch den Abschluss des Umschuldungsdarlehens „bestätigt“ werden. Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob der Nichtigkeitsgrund sich vom Erst- auf das Umschuldungsdarlehen erstreckt. Im Schrifttum wird das Umschuldungsdarlehen teilweise als Sonderfall der Novation (Neubegründung des Schuldverhältnisses) eingeordnet: Während bei einer abstrakten Novation die neu begründete Forderung vom alten Schuldgrund unabhängig sei (vgl. §§ 780f.) und nur nach § 812 Abs. 2 kondiziert werden könne, setze sich bei der kausalen Novation der alte Schuldgrund fort, was für eine Fortgeltung der Nichtigkeitsgründe spreche.29 Nach Ansicht des BGH bestimmt sich jedoch die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts allein nach seinem Inhalt und nicht nach dem Inhalt eines anderen Rechtsgeschäfts (S. 945).30 Dahinter steht ein allgemeiner Gedanke: Einwendungsdurchgriffe von einem Rechtsgeschäft auf ein anderes stellen besonders begründungsbedürftige Ausnahmefälle dar (arg. e § 359 Satz 1). Auf eine solche Ausnahme erkennt das Gericht allerdings dann, wenn der Darlehensgeber die Sittenwidrigkeit des Erstdarlehens kennt und „mit dem neuen Kreditvertrag das Ziel verfolgt hat, sich den unberechtigten Gewinn aus dem sittenwidrigen Erstvertrag zu sichern“ (S. 945). Dies leuchtet ein: Denn in diesem Fall ist das Umschuldungsdarlehen eine „Tatwaffe“, mit der ein sittenwidriger Zustand iSd. § 138 Abs. 1 weiter aufrechterhalten wird. Geht der Darlehensgeber hingegen nicht mit einem vergleichbaren Vorsatz vor, kommt eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1) in Betracht. Denn war dem Darlehensgeber die Wucherähnlichkeit des Erstdarlehens unbekannt, so befand er sich mit dem Darlehensnehmer beim Abschluss des Umschuldungsdarlehens in einem beiderseitigen Motivirrtum (§ 313 Abs. 2): Beide Vertragsseiten wussten nicht, dass der gegen den Darlehensnehmer gerichtete Rückzahlungsanspruch nach § 817 Satz 2 gesperrt war und der Darlehensnehmer daher keine Zinsen schuldete. Bei Kenntnis dieser Sachlage hätten beide Seiten folglich im Rahmen des Umschuldungsdarlehens auch eine niedrigere Nettodarlehenssumme vereinbart. Nach Auffassung des Gerichts hat der Darlehensneh27 28 29 30

Vgl. auch Canaris WM 1986, 1453; Derleder JZ 1983, 81, 84. BGHZ 50, 102, 108; Staudinger/Roth § 141 Rn. 17. Staudinger/Mülbert § 488 Rn. 75. Ähnlich etwa MünchKomm/Berger § 488 Rn. 136.

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mer demnach einen Anspruch auf Anpassung der Vertragsbedingungen an den Fall, dass er nur die tatsächlich bestehenden Zahlungsverpflichtungen umgeschuldet hätte (S. 945f.).31 Üblicherweise wird die Regelung des § 313 Abs. 2 mit der Überlegung gerechtfertigt, dass es beim beiderseitigen Motivirrtum nicht dem Zufall überlassen bleiben kann, welche Seite des Rechtsgeschäfts von ihrem Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 zuerst Gebrauch macht und wer deshalb als Anfechtungsgegner in die Haftung nach § 122 gezwungen wird.32 Wie der vorliegende Fall zeigt, taugen als sog. subjektive Geschäftsgrundlage aber auch Motive, die nicht nach § 119 Abs. 2 erheblich sind.33 Denn vorliegend unterliegen die Parteien einem gemeinsamen Rechtsfolgenirrtum, der – tritt er nur bei einer Vertragsseite auf – regelmäßig nicht zur Anfechtung berechtigt.34

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3. Die Leistungspflichten des Darlehensnehmers a) Rückzahlungspflicht

Die aus § 488 Abs. 1 Satz 2 begründete Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens hängt von drei Tatbestandsvoraussetzungen ab: Der Darlehensvertrag muss wirksam zustande gekommen sein, das Darlehen muss ausgezahlt sein (zu den Gründen Rn. 601) und die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs muss eingetreten sein. Denn aus der Hauptflicht des Darlehensgebers, dem Darlehensnehmer die Valuta auf Zeit zu überlassen, folgt, dass die allgemeine Bestimmung über die Leistungszeit (§ 271 Abs. 1) keine Anwendung finden kann. Deshalb tritt die Fälligkeit der Rückzahlungspflicht nur auf der Grundlage des vereinbarten Tilgungsplans und ansonsten bei ordentlicher oder außerordentlicher Kündigung des Darlehensvertrages ein (§§ 489f.). Die ordentliche Kündigungsfrist beträgt bei einem entgeltlichen Darlehen regelmäßig drei Monate (§ 488 Abs. 3 Satz 2).

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b) Zinszahlungspflicht und Zinsanpassungsklauseln

In § 488 Abs. 1 Satz 2 wird vorausgesetzt, dass das Darlehen im Zweifel entgeltlich gegen Zahlung eines Zinssatzes gewährt wird (vgl. auch § 488 Abs. 3 Satz 3). Die Höhe des Zinssatzes bleibt in den Grenzen des § 138 Abs. 1 und 2 (Rn. 603ff.) Vereinbarungssache. Eigene Probleme entstehen jedoch bei einer „Dynamisierung“ des Zinses in den AGB des Darlehensgebers. Grundsätzlich sieht die Rechtsprechung es nicht als unangemessene Benachteiligung des Darlehensnehmers an, wenn der Darlehensgeber in seinen AGB eine Zinsanpassungsklausel vorsieht. Denn gerade bei einem langfristigen Vertrag müsste er sich sonst durch Risikoaufschläge bei Vertragsschluss vor langfristigen Verän31 32 33 34

BGH NJW 1987, 944, 945f. Kritisch allerdings Medicus/Petersen BR Rn. 162. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 176, rechte Spalte. Flume, AT – Das Rechtsgeschäft, § 23, 4d, S. 465; Medicus/Petersen BR Rn. 133.

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derungen schützen, die dann vielleicht gar nicht eintreten. Berücksichtigt er solche Änderungen daher über eine Zinsanpassungsklausel zugunsten beider Seiten und auch nur dann, wenn sie sich tatsächlich auswirken, nützt dies dem Darlehensnehmer unmittelbar.35 Diese Überlegungen gelten übrigens auch für den umgekehrten Fall des Einlagengeschäfts, wenn die Bank Darlehensnehmer, ihr (privater) Kunde aber Darlehensgeber ist: (BGH 21.12.2010 – XI ZR 52/08 = NJW-RR 2011, 625) S hat bei der B-Bank einen Sparvertrag geschlossen. In den AGB der B wird vereinbart, dass für Sparkonten „jeweils durch Aushang im Kassenraum der kontoführenden Stelle bekannt gegebene Zinsen“ gelten. Da S diese Bedingung für unwirksam und die von B gezahlten Zinsen für zu niedrig hält, verlangt sie Nachzahlung. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 erster Fall (zur Rechtsnatur des Sparvertrages Rn. 637). Fraglich ist, ob sich die Zinsabrede nach den AGB der B richtet. Dies ist nicht der Fall, wenn die zugrunde liegende AGB-Klausel gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist.

Der eigentlichen Inhaltskontrolle ist hier die Frage vorangestellt, ob die Zinsanpassungsklausel nicht nach § 307 Abs. 3 Satz 1 der Inhaltskontrolle entzogen ist. Die etwas umständlich formulierte Norm will eine richterliche Äquivalenzkontrolle von Hauptleistungspflichten („Preiskontrolle“) verhindern. Denn in einer Marktwirtschaft bleibt die Festlegung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung unterhalb der Grenze des § 138 Abs. 1 den Parteien (Privatrechtssubjekten) überlassen (Rn. 617). In einer vorangegangenen Entscheidung hatte der BGH daher die Inhaltskontrolle eines variablen Zinssatzes abgelehnt und die Inhaltskontrolle auf die Modalitäten der Zinsberechnung beschränkt.36 § 315 Abs. 3 Satz 1 sieht hingegen vor, dass ein Leistungsbestimmungsrecht nach billigem Ermessen ausgeübt werden muss (Satz 1). Diese Voraussetzung unterliegt wiederum der richterlichen Kontrolle (Satz 2). Die Rechtsprechung anerkennt daher einen Anspruch auf Billigkeitskontrolle des in AGB ausbedungenen Anpassungsmechanismus’.37 Ausgehend davon stellt der BGH drei Regeln für Zinsanpassungsklauseln auf, die sämtlich darauf abzielen, dem Sparer die Vorteile einer für ihn günstigen Zinsentwicklung zu erhalten: (1) Der Referenzzins muss danach in zugänglichen Medien zu ermitteln sein und von unabhängigen Stellen nach einem von vornherein festgelegten Verfahren ermittelt werden, sodass die Bank nicht einseitig begünstigt wird (Tz. 21). Bei der Wahl des geeigneten Wertes ist ferner der lang- oder kurzfristige Charakter der Anlage zu berücksichtigen. Für einen langjährigen Sparvertrag darf daher nicht der Zinssatz für kurzfristige Darlehen gewählt werden (Tz. 22). (2) Die Anpassungsschwellen, von denen an eine Zinsänderung vorzunehmen ist, und der Anpassungszeitraum, für den sie gelten soll, müssen beBGH NJW 2009, 2051, Tz. 23. BGHZ 185, 165 = NJW 2010, 1742, Tz. 16. Die bis zum Ende der Rn. folgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung und nicht den Ausgangsfall. 37 BGHZ 198, 111 = NJW 2013, 3647, Tz. 43f.; BGH NJW 2014, 1877, Tz. 25; dazu Büdenbender NJW 2013, 3601, 3605; BeckOGK/Binder § 488 Rn. 266ff. 35 36

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stimmt sein (Tz. 24), sodass der Sparer von vornherein erkennen kann, wann eine Änderung auf ihn zukommt. (3) Schließlich muss das Verhältnis des vereinbarten Zinssatzes zum Referenzwert dem Äquivalenzprinzip genügen: Zinserhöhungen und -senkungen müssen sich zugunsten und zuungunsten beider Vertragsseiten auswirken können (Tz. 26). In einer weiteren Entscheidung hielt der BGH daher folgende Klausel eines Energieversorgers für unwirksam: Das Unternehmen „behält sich eine Änderung der Preise […] vor.“ Hier blieb völlig offen, ob auch eine Kostensenkung nachvollzogen werden sollte.38 Dies kann aber bei der Inhaltskontrolle, wo der Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung nach § 305c Abs. 2 greift, nicht einfach unterstellt werden. Wendet man diese Regeln auf den vorliegenden Fall an, erfüllt die AGB-Bestimmung die Voraussetzungen für die Wahl des Referenzzinssatzes ebenfalls nicht (Tz. 11).39 Denn für den Sparer ist die Zinsentwicklung in keiner Weise kalkulierbar und hängt bei Zugrundelegung der kundenfeindlichsten Auslegung nach § 305c Abs. 2 allein von der Willkür der Bank ab. Auch den übrigen Voraussetzungen genügt die vorliegende Klausel nicht; dies gilt insbesondere für das vorerwähnte Äquivalenzprinzip.

Fraglich ist jedoch, welche Konsequenzen daraus für den Kunden zu ziehen sind. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion verbietet es, unwirksame AGB-Klauseln mit einem Teilinhalt aufrechtzuerhalten, um dem AGBVerwender keinen Anreiz zur Gestaltung rechtswidriger AGB zu liefern (Rn. 951f.). Das Problem präsentiert sich hier jedoch aus gegenläufiger Sicht, weil der Darlehensgeber einen erheblichen Nachteil erleidet, wenn die vom Darlehensnehmer gestellte, unwirksame Zinsanpassungsklausel nicht durch eine andere Regelung ersetzt wird: Mangels vertraglicher Grundlage kann er dann nämlich überhaupt keine Zinserhöhung vom Darlehensnehmer verlangen; der AGB-Verstoß des Darlehensnehmers würde dadurch gerade „belohnt“. Fraglich ist deshalb, wie der lückenhafte Vertrag zu ergänzen ist. Eine Kontrolle nach dem bereits vorgestellten § 315 Abs. 3 Satz 2 (Rn. 615) scheidet aus (Tz. 13f.).40 Denn die Norm regelt allein das Leistungsbestimmungsrecht des Gläubigers; als Darlehensnehmerin kommt der Bank aber eine solche Befugnis nicht zu. Das Gericht schließt die Vertragslücke daher im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (dazu auch Rn. 27ff. und Rn. 1321ff.) und ersetzt das von den Parteien vereinbarte Verhältnis aus Leistung und Gegenleistung durch ein vom Richter zu bestimmendes, meist am Marktniveau ausgerichtetes Äquivalenzverhältnis (Tz. 17). Im Fall ist der Anspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 erster Fall auf Nachzahlung begründet, wenn die tatsächlich von B entrichteten Zinsen unterhalb des Marktniveaus lagen.

BGH NJW-RR 2010, 1202, Tz. 19. Die Tz. beziehen sich nun wieder auf den Ausgangsfall BGH NJW-RR 2011, 625. Anders bei Versorgungsverträgen über Wasser, Gas und Strom mit Monopolisten: BGHZ 178, 362 = NJW 2009, 502, Tz. 46f. und 30f. 38 39 40

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

Zinsanpassungsklauseln stellen nur einen Teilausschnitt aus der Gesamtproblematik der Preisanpassungsklauseln dar. Bei diesen erzwingt die äußere Interessenlage oft auch aus anderen Gründen eine Abkehr vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. (BGH 14.3.2012 – VIII ZR 113/11 = BGHZ 192, 372 = NJW 2012, 1865) Energieversorger V hatte mit dem Kunden K im Jahre 1981 einen Gaslieferungsvertrag geschlossen. In diesem war eine letztlich unwirksame Preisanpassungsklausel vorgesehen. Die Unwirksamkeit macht K im Jahre 2009 geltend und verlangt nun Rückzahlung für 27 Jahre.

Der BGH lehnt einen so weit zurückgreifenden Rückforderungsanspruch ab und schließt die durch die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel entstandene Regelungslücke abermals im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (Tz. 19ff.). Die Parteien selbst hätten von Anfang an vereinbart, dass der Preis angepasst werden sollte (Tz. 20). Anknüpfend an diesen Willen sei eine ergänzende Vertragsauslegung möglich: Danach kann der Kunde die Unwirksamkeit der Klausel nicht geltend machen, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung beanstandet hat. (Tz. 21). Zu dieser Frist gelangt der BGH in Analogie zu verschiedenen Präklusionsnormen aus dem Energieversorgungsrecht (Tz. 32). Zugrunde liegt aber ein allgemeiner Gedanke: Die Rückabwicklung über die Laufzeit des gesamten Vertrages bedeute eine „nicht mehr hinnehmbare Störung des vertraglichen Verhandlungsgleichgewichts“ (Tz. 23). Das subjektive Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung werde erheblich gestört, wenn eine Rückabwicklung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses möglich sei (Tz. 26). Dies blieb aber nicht das letzte Wort in der Sache: Denn der EuGH hatte in einer Entscheidung aus dem Jahre 2012 das in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/ EWG enthaltene Verbot geltungserhaltender Reduktion mit einem „Abschreckungseffekt“ begründet, „der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben.“41 In einer Folgeentscheidung sieht der BGH jedoch keinen Konflikt zwischen dieser Rechtsprechung und der vorliegend betriebenen ergänzenden Vertragsauslegung: Die ergänzende Vertragsauslegung schließe nämlich eine Lücke im Vertrag, ändere aber, anders als die geltungserhaltende Reduktion, einen bestehenden Klauselinhalt nicht ab.42 Diese Abgrenzung erscheint jedoch sehr formal:43 Denn es macht in der Sache keinen Unterschied, ob ein Gericht eine Klausel inhaltlich auf das zulässige Maß reduziert (geltungs41 EuGH, 14.6.2012 – C 618/10 = NJW 2012, 2257 – Banco Español de Crédito, Tz. 69: Hervorhebung d.d. Verf.; dazu Büdenbender NJW 2013, 3601. 42 BGH NJW 2013, 991 Tz. 26ff.; vgl. ab Tz. 34 zur Begründung mit dem Erfordernis inhaltlicher Ausgewogenheit; ferner BGHZ 205, 43 = NJW 2015, 2566, Tz. 27ff.; BGH NJW 2015, 1167; BGH NJW 2014, 3639; BGH NJW 2014, 2708; BGH NJW 2016, 3589; BGH NJW 2017, 320. 43 Kühne NJW 2015, 2546, 2547f.; Thomas AcP 209 (2009) 85, 121; anders Uffmann NJW 2015, 1215, 1218.

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erhaltende Reduktion), oder ob es die unangemessene Klausel kassiert und an ihre Stelle eine dem zulässigen Maß verpflichtete Ersatzregelung treten lässt (ergänzende Vertragsauslegung). Näher liegt es, das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion teleologisch zu reduzieren. Den entscheidenden Sachgesichtspunkt nennt der BGH selbst (Tz. 36f.): Bei langfristig angelegten Energielieferverträgen wissen beide Seiten, dass sich die Kalkulationsgrundlagen in die eine oder andere Richtung ändern können. Trüge hier der Lieferant das alleinige Gestaltungsrisiko hinsichtlich der Preisanpassungsklausel, müsste er die damit einhergehenden wirtschaftlichen Unsicherheiten bei Vertragsschluss einpreisen und den Kunden mit einem pauschalen Sicherheitszuschlag für den Fall steigender Einkaufspreise belasten. Der springende Punkt ist, dass der Kunde in einem solchen Fall den Sicherheitsaufschlag auch dann tragen müsste, wenn dieser am Ende gar nicht benötigt würde, weil die Einkaufspreise des Lieferanten nicht gestiegen sind. Die Kaufsache würde daher in jedem Fall über Marktwert (Marktwert plus Sicherheitsaufschlag) veräußert, was die Preisbildung auf dem Markt erheblich stören würde. Die Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung beseitigt diesen schädlichen Anreiz, weil der Verkäufer sein Gestaltungsrisiko nicht zu Lasten des Käufers „einpreisen“ muss.44 Der vom BGH gefundene Kompromiss trägt daher den Besonderheiten des Dauerschuldverhältnisses im Ergebnis überzeugend Rechnung.45 c) Kontrollfähige Nebenleistungspflichten

Bereits am Begriff des effektiven Jahreszinses nach § 6 PAngV (Rn. 605) zeigt sich, dass die Gegenleistung des Darlehensnehmers nicht allein in der Zahlung des Zinses besteht, sondern in einer meist unübersichtlichen Summe kleinerer Zahlungspflichten. Bezüglich dieser stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 eröffnet ist: (BGH 7.6.2011 – XI ZR 388/10 = BGHZ 190, 66 = NJW 2011, 2640)46 Der Verbraucherschutzverband V geht gegen folgende AGB der Bank B vor: „Zu den Darlehenskosten zählt auch eine Kontoführungsgebühr von 2,00 € monatlich.“ Diese Gebühr entsteht dadurch, dass B als Darlehensgeberin die Valuta vor der Auszahlung an den Darlehensnehmer auf ein eigenes Konto einstellt. V kann nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 1 UKlaG gegen die Klausel vorgehen, wenn B AGB verwendet, die wegen Verstoßes gegen die §§ 307 bis 309 unwirksam sind. In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1.

§ 307 Abs. 3 Satz 1 beschränkt die Inhaltskontrolle auf Klauseln, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Die Norm nimmt damit vor allem die vertraglichen Hauptleistungspflichten aus, weil diese auf Vereinbarungen der Parteien beruhen und nicht auf

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BGH NJW 2013, 991 Rn. 22. Etwa Erman/Roloff § 309 Nr. 1 Rn. 16; kritisch etwa Uffmann NJW 2012, 2225ff. Vgl. an neueren Entscheidungen auch BGH NJW 2012, 2571; BGH NJW 2012, 2337.

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Gesetzesregelungen, von denen abgewichen werden kann.47 Der Zweck der Norm liegt darin, die Festlegung des Wertverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (subjektives Äquivalenzverhältnis) der richterlichen Überprüfung zu entziehen.48 In einer Marktwirtschaft erfolgt die Wertschöpfung nämlich dadurch, dass ein Angebot auf eine Nachfrage trifft, nicht aber indem Gerichte bestimmen, zu welchem Preis ein Angebot zu bedienen ist. Ganz abgesehen von den Schwierigkeiten, im Rahmen einer Marktwirtschaft ein Iustum pretium, einen gerechten Preis, zu bestimmen, findet unterhalb der durch § 138 gezogenen Schwellen daher keine richterliche Preiskontrolle statt.49 Auch aus § 315 Abs. 3 Satz 2 (Rn. 615) entnimmt die Rechtsprechung grundsätzlich keine einschlägige Ermächtigungsgrundlage.50 Entsprechend bezieht sich § 307 Abs. 3 Satz 1 regelmäßig nur auf die im Synallagma stehenden Hauptleistungspflichten (vgl. § 320). Davon zu unterscheiden sind sog. kontrollfähige Nebenleistungspflichten. Diese beeinflussen das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht unmittelbar, sondern schränken die zunächst vereinbarten Hauptleistungspflichten (nachträglich) wieder ein oder modifizieren sie. Ihre inhaltliche Kontrolle muss aufgrund des Zwecks von § 307 Abs. 3 Satz 1 möglich bleiben und ist folglich nicht durch die Norm gesperrt (Tz. 19). In seiner Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen geht der EuGH dabei von folgender Unterscheidung aus: Hauptleistungspflichten definieren den Vertrag als solchen, während Nebenpflichten akzessorisch zu diesen hinzutreten.51 Dies spiegelt die alte Lehre von der natura contractus (Rn. 3f.) wider: Die Hauptleistungspflichten konkretisieren die essentialia negotii des Vertrages, die Nebenpflichten aber entsprechen dem, was ein objektiver Beobachter in der Position des Gläubigers berechtigterweise erwarten darf, wenn er auf auf die Erfüllung der Hauptleistungspflichten vertraut. Der BGH begründet vorliegend sehr ausführlich, dass die Führung eines eigenen Kontos, auf dem die Valuta vor ihrer Auszahlung aufbewahrt wird, keine Hauptleistungspflicht des Darlehensgebers iSd. § 307 Abs. 3 Satz 1 darstellt, sondern eine kontrollfähige Nebenleistungspflicht, die die Hauptleistungspflicht des Darlehensgebers nach § 488 Abs. 1 Satz 1 – die Auszahlung der Va-

47 Vgl. nur Staudinger/Coester § 307 Rn. 283f.; MünchKomm/Wurmnest § 307 Rn. 1. Die Norm erfasst im Übrigen sog. deklaratorische Klauseln, die sich unmittelbar am Gesetzestext orientieren und schon deshalb keine unangemessene Benachteiligung darstellen können (vgl. beide Autoren mwN. ebenda). 48 Kritisch dazu J. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, 1986, S. 59ff. Für die hM. im vorgestellten Sinne vgl. wiederum mwN.: Staudinger/Coester § 307 Rn. 283f.; MünchKomm/ Wurmnest § 307 Rn. 1. 49 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 105ff. 50 BGH NJW 2013, 1077, Rn. 33 mwN. 51 EuGH NJW 2014, 2335 – Kásler, Tz. 49f.; EuGH NJW 2015, 1811 – Van Hove/CNP Assurances SA, Tz. 31ff.; dazu Armbrüster NJW 2015, 1788.

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luta – ermöglichen soll (Tz. 22ff.). Deshalb ist die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 eröffnet. Bei kontrollfähigen Nebenleistungspflichten konkretisiert der XI. Senat des BGH den Tatbestand der unangemessenen Benachteiligung in § 307 Abs. 1 Satz 1 durch einen Rechtssatz, der bereits durch seine Schlichtheit überzeugt: Eine Bank hat keinen Anspruch auf eine Vergütung für eine Tätigkeit, zu der sie entweder kraft Gesetzes oder aufgrund einer vertraglichen Nebenbestimmung bereits verpflichtet ist, oder wenn diese Tätigkeit allein dem eigenen Interesse der Bank dient (Tz. 33). Vorliegend ist die Führung eines Darlehenskontos Teil des nach § 488 Abs. 1 Satz 1 geschuldeten Auszahlungsverfahrens. Wie der Darlehensgeber die Bereitstellung und Auszahlung der Valuta technisch bewerkstelligt, bleibt ihm allein überlassen. In jedem Fall erhält er für die Auszahlung der Valuta bereits eine Gegenleistung in Gestalt des vom Darlehensnehmer geschuldeten Zinses (§ 488 Abs. 1 Satz 2). Vorliegend fordert die Bank daher praktisch ein zweites Entgelt für dieselbe Leistung. Darin liegt eine unangemessene Benachteiligung ihrer Kunden. Die Klausel verstößt folglich gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 (Tz. 33). Nicht immer ist die Rechtslage jedoch so eindeutig. Dies zeigt der Fall der Abschlussgebühr beim Bauspardarlehen. Bausparkassen erheben von den Sparern nicht selten eine Abschlussgebühr, um die Kosten der Außendienstmitarbeiter und der Kundenwerbung abzudecken. Ausgehend von der Entscheidung zur Kontoführungsgebühr der darlehensgewährenden Bank (Rn. 617) würde man zunächst von einem Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 ausgehen: Denn der Abschluss weiterer Verträge mit anderen Sparern scheint allein Sache der Bausparkasse zu sein, wenn diese weiterhin im Geschäft bleiben will. Dann dürfte die Bausparkasse die Gebühr vom Sparer nicht erheben. Doch wird diese Betrachtungsweise der besonderen Interessenlage beim Bauspardarlehen nicht gerecht: Denn dieses beruht auf einer Solidargemeinschaft der Sparer, bei der die Sparer der Kasse Einlagen zunächst unterhalb einer marktüblichen Verzinsung zur Verfügung stellen, um später die Vorteile eines günstigen Bauspardarlehens in Anspruch nehmen zu können. Die Einlagen neuer Sparer finanzieren dabei aber die günstigen Bauspardarlehen der ihnen zeitlich vorangehenden Sparer. Die Akquisition neuer Sparer durch Außendienstmitarbeiter erfolgt daher immer auch im Interesse des Sparers selbst, weshalb die Erhebung der Gebühr vom BGH als angemessen angesehen wird.52 Aus einem ähnlichen Verständnis heraus schützt § 312a Abs. 3 Satz 2 den Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften vor einer Überrumpelung durch entgeltliche Nebenleistungen, indem die Norm stets eine ausdrückliche Vereinbarung verlangt.

52 BGHZ 187, 360 = NJW 2011, 1801, Tz. 45ff.; zuvor Baums, in: FS Nobbe, 2009, S. 815, 834; Habersack WM 2008, 1857, 1858; Krepold BKR 2010, 108, 109.

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4. Leistungsstörungen a) Nichtabnahme des Darlehens 621

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Nach hM. trifft den Darlehensnehmer die Pflicht zur Abnahme des Darlehens, wenn der Darlehensvertrag für den Darlehensgeber ein Anlagegeschäft darstellt.53 Diese Voraussetzung ist bei längerfristigen, von Kreditinstituten gewährten Darlehen regelmäßig zu bejahen. Eine entsprechende Pflichtverletzung des Darlehensnehmers führt folglich zum Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1. Unverkennbar ist indes, dass diese dogmatische Figur der Nichtabnahmeentschädigung eng mit der heute nicht mehr herrschenden Theorie vom Darlehen als Realvertrag (Rn. 601) verknüpft ist:54 Danach kommen darlehensvertragliche Pflichten erst mit der Auszahlung der Valuta an den Darlehensnehmer und nicht bereits mit der Einigung über den Darlehensvertrag zustande. Deshalb bedarf eine vor dem Auszahlungszeitpunkt liegende Abnahmepflicht einer eigenen Begründung. Geht man indes mit der heute herrschenden Konsensualvertragstheorie davon aus, dass die Zinszahlungspflicht des Darlehensnehmers bereits mit Vertragsschluss entsteht, gerät der Darlehensnehmer schlicht in Annahmeverzug, wenn er das Darlehen nicht abnimmt, und schuldet die vereinbarte Gegenleistung (§ 488 Abs. 1 Satz 2) nach § 326 Abs. 2 Satz 1 dritter Fall.55 Dies stellt indes eine Minderheitenposition dar. Durch Bejahung eines Annahmeverzugs werden ferner Folgeprobleme im Hinblick auf das Fristsetzungserfordernis nach § 281 Abs. 1 Satz 1 vermieden. Denn in § 281 Abs. 2 fehlt eine Ausnahme für das relative Fixgeschäft, § 323 Abs. 2 Nr. 2 vergleichbar, weshalb sich die Frage stellt, ob der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer gegenüber zunächst eine Nachfrist setzen muss, bevor er die Nichtabnahmeentschädigung verlangen kann (vgl. allgemein dazu Rn. 344). Nach hM. erfasst der durch die Nichtabnahme verursachte Schaden die Refinanzierungskosten des Darlehensgebers, also die Kosten für die Aufnahme und Bereitstellung der an den Darlehensnehmer weiterzureichenden Mittel sowie den entgangenen Gewinn. Der Schaden kann dabei als Zinsmargenschaden berechnet werden, der sich aus der Differenz zwischen vereinbartem Darlehenszins und Refinanzierungskosten, abzüglich ersparter Aufwendungen des Darlehensgebers zusammensetzt.56 Es kommt auch eine Berechnung als Zinsverschlechterungsschaden oder Kapitalmarktschaden in Betracht. Dieser beruht auf dem Nachteil des Darlehensgebers, nur geringere Zinseinkünfte zu erzielen, wenn er die Valuta zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückgewähr auf dem Markt anlegt und gegenüber dem Darlehensnehmer mit seinen Zinsansprüchen ausfällt. Allerdings muss der Darlehensgeber sich den BGH NJW 1991, 1817; vgl. Bruchner/Krepold, in: Bankrechts-Handbuch, § 80 Rn. 1 mwN. Staudinger/Freitag § 488 Rn. 217ff. Ähnlich Staudinger/Freitag § 488 Rn. 219; Mülbert WM 2002, 465, 470f. Vgl. dazu BGH NJW 1997, 2875; Bruchner/Krepold, in: Bankrechts-Handbuch, § 80 Rn. 10. 53 54 55 56

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Vorteil der sofortigen Verfügbarkeit im Rahmen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen.57 Zur Vermeidung einschlägiger Berechnungsschwierigkeiten vereinbaren die Vertragsparteien häufig eine Vertragsstrafe für die Nichtabnahme (§ 340 Abs. 1 Satz 1), nämlich die Verpflichtung zur Zahlung von Bereitstellungszinsen. Dieselben Maßstäbe gelten, wenn man – wie hier – von der Anwendbarkeit des § 326 Abs. 2 Satz 1 dritter Fall ausgeht; denn auch in diesem Fall muss sich der Darlehensgeber einschlägige Ersparnisse nach § 326 Abs. 2 Satz 2 anrechnen lassen. b) Zahlungsverzug des Darlehensnehmers

Der Verzug des Schuldners mit der Rückzahlung der Valuta und der Zahlung des vereinbarten Zinses führt zu einem Anspruch des Darlehensgebers auf Ersatz des durch die Verzögerung entstandenen Schadens nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286. Zur Höhe der Zinsen beim Verbraucherdarlehen verhält sich § 497. Bleiben die Zahlungen ganz aus, entsteht dem Darlehensgeber unter den weiteren Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 Satz 1 ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281. Beim Verbraucherdarlehen kommt zugleich das Kündigungsrecht nach § 498 in Betracht. Liegen auch die Voraussetzungen des § 490 Abs. 1 vor, kann nach dieser Norm außerordentlich gekündigt werden.

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c) Nichtauszahlung des Darlehens

In der Nichtauszahlung des Darlehens liegt eine Pflichtverletzung des Darlehensgebers, die bei endgültiger Verweigerung der Leistung einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 begründet, bei Verzögerung der Auszahlung einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286.

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d) Isolierte Abtretung von Darlehensforderung und Grundschuld

Im Vorfeld der großen Finanzmarktkrise ab 2007 wurde es bei deutschen Banken üblich, Forderungen aus Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen (§ 491 Abs. 3) nebst den bestellten Kreditsicherungen an Investoren weiterzuveräußern, um das Ausfallrisiko zu streuen. Verbraucher DN hat mit Bank DG einen Darlehensvertrag geschlossen. Der Anspruch von DG aus § 488 Abs. 1 Satz 2 wird durch eine erstrangige Briefgrundschuld (§§ 1191, 1192 Abs. 1, 1116 Abs. 1) gesichert. Über den Sicherungszweck der Grundschuld haben die Parteien eine Sicherungsvereinbarung geschlossen. Später verkauft (§ 453) und überträgt (§§ 1192 Abs. 1, 1154 Abs. 1) DG die Briefgrundschuld an den Investor I, ohne auf die Sicherungsvereinbarung hinzuweisen bzw. die gesicherte Forderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 nach § 398 abzutreten. I verlangt nun von DN Zahlung iHd. Nominalsumme der Grundschuld. DN wendet ein, er habe einen großen Teil der Verbindlichkeit aus § 488 Abs. 1 Satz 2 bereits getilgt.

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Dazu Bruchner/Krepold, in: Bankrechts-Handbuch, § 80 Rn. 11.

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Die isolierte Abtretung der Darlehensforderung und der sie sichernden Grundschuld konnte wegen der empfindlichen Nachteile für den Darlehensnehmer eine Schutzpflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 des Darlehensgebers bedeuten, die zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber der darlehensgebenden Bank berechtigte und eine umfangreiche Rechtsprechung nach sich zog (vgl. die Voraufl. an dieser Stelle). Das Risikobegrenzungsgesetz58 hat mit Einführung des § 1192 Abs. 1a die Rechtslage verändert: Ist die Grundschuld zur Sicherung eines Anspruchs verschafft worden (Sicherungsgrundschuld), können Einreden, die dem Eigentümer auf Grund des Sicherungsvertrags mit dem bisherigen Gläubiger gegen die Grundschuld zustehen oder sich aus dem Sicherungsvertrag ergeben, jedem Erwerber der Grundschuld entgegengesetzt werden; § 1157 Satz 2 findet insoweit keine Anwendung (§ 1192 Abs. 1a zweiter Halbsatz). DN kann I also die Einrede der Erfüllung (§ 362 Abs. 1) nach § 1192 Abs. 1a entgegenhalten. e) Schutzpflichtverletzungen (Aufklärungspflichten, Bankgeheimnis) 628

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Grundsätzlich muss der Darlehensgeber den Darlehensnehmer nicht über Risiken aufklären, die die Verwendung der Valuta betreffen. Denn der Darlehensnehmer trägt das mit dem Darlehen einhergehende Verwendungsrisiko (grundsätzlich Rn. 116 und 671). Im Rahmen der Aufarbeitung der sog. Schrottimmobilienkrise (Rn. 673) entwickelte die Rechtsprechung des XI. Senats des BGH jedoch auf Druck des EuGH eine weitreichende Haftung aus culpa in contrahendo, die teilweise die Rechtsfolgen eines Einwendungsdurchgriffs surrogiert. Auf sie wird im Zusammenhang mit dem Einwendungsdurchgriff noch näher einzugehen sein (Rn. 671ff.). Vorliegend interessiert die Frage, wie Aufklärungspflichten und andere Schutzpflichten aus § 241 Abs. 2 im Bankrecht überhaupt begründbar sind. Ein Grundlagenproblem des Bankvertragsrechts besteht nämlich darin, dass das Verhältnis zwischen Bank und Kunde auf einer Vielzahl von Einzelgeschäften beruht (Girovertrag, Sparvertrag, Effektengeschäfte, Anlageberatung usw.), auf deren Grundlage im Wirtschaftsleben rein tatsächlich eine dauerhafte Geschäftsverbindung entsteht. Deren rechtliche Einordnung ist umstritten. Nach der Lehre vom allgemeinen Bankvertrag59 wird zwischen Kunde und Bank bei Abschluss des ersten Vertrages zugleich ein allgemeines Vertragsverhältnis geschlossen, das die einzelnen Bankrechtsgeschäfte wie ein Rahmen umfasst und aus dem Schutzpflichten entstehen können, die über die einzelnen Geschäfte hinausgehen und sich auf neue erstrecken. Die von Canaris begründete Gegenansicht sieht darin allerdings eine rechtsgeschäftliche Fiktion und

BGBl. 2008 I, S. 1666. Vgl. die neuere Darstellung bei Hopt, in: Bankrechts-Handbuch, § 1 Rn. 15ff. und den klassischen Beitrag von Pikart WM 1957, 1238.

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geht im Anschluss an die Lehre von der dauernden Geschäftsverbindung60 davon aus, dass mit Aufnahme der Geschäftsverbindung zwischen Kunde und Bank ein gesetzliches Schuldverhältnis zustande kommt, das Schutzpflichten iSd. § 241 Abs. 2 begründet (gesetzliches Schutzpflichtverhältnis). Der Grund für die Entstehung der Pflichten liegt im Schutz des gegenseitigen Vertrauens der Vertragsparteien. Das so hergeleitete gesetzliche Schutzpflichtverhältnis soll entstehen, wenn erste Geschäftskontakte stattfinden (§ 311 Abs. 2 Nr. 1), es soll neben den Rechtsgeschäften der Parteien fortbestehen, wenn diese sich einigen, und nachwirken, wenn die letzten vertraglichen Leistungsaustausche beendet sind.61 Das inhaltliche Anliegen dieser Konzeption besteht darin, die gegenüber der Bank begründeten Schutzpflichten auf den Vertrauensschutz des Kunden zurückzuführen. So wird der Schutzzweckzusammenhang zwischen dem Geltungsgrund der Schutzpflicht (Vertrauen des Bankkunden) und ihrer Rechtsfolge (Bankenhaftung) im Einzelfall deutlich. Doch überzeugt die gesetzliche Herleitung der Schutzpflichten nicht: Denn die Lehre führt zu einer künstlichen Aufspaltung zwischen Bankverträgen und Schutzpflichten. So soll etwa das Bankgeheimnis einer gesetzlichen Schutzpflicht entspringen,62 doch können die Parteien ohne Weiteres rechtsgeschäftliche Abreden über den Umfang und die praktische Durchführung des Bankgeheimnisses treffen (Rn. 631).63 In einem solchen Fall stellt sich dann die Frage, ob und woraus genau die Bank zur Geheimhaltung verpflichtet ist: aus einer ungeschriebenen Gesetzesnorm oder aus der Vereinbarung, die vielleicht längst gekündigt ist und deshalb als Grund für das Entstehen der Schutzpflicht nicht mehr taugt. Diese Einwände zeigen eines: Der Haftungsgrund für die Schutzpflichtverletzung liegt zwar im Vertrauensschutz des Kunden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein außervertragliches Institut. Vielmehr kennt das Bürgerliche Recht ein in § 242 angelegtes Prinzip (ausführlich Rn. 3f.), wonach rechtsgeschäftliche Verpflichtungswirkungen nicht nur im Willen der Parteien, sondern auch im gegenseitigen Vertrauen auf die Willenserklärungen ihren Geltungsgrund finden: Das Leistungsversprechen der Bank legt nicht nur durch seinen ausdrücklichen Inhalt den Umfang der Hauptleistungspflichten fest, sondern ist auch Vertrauensgrundlage für den Kunden. Er kann davon ausgehen, dass die Bank in verkehrsüblicher Weise alle Hindernisse aus dem Weg räumen wird, die der Erfüllung ihres Versprechens im Wege stehen, und dass sie Die Lehre entstammt dem amerikanischen Recht und wurde erstmals von Müller-Graff, Rechtliche Auswirkungen der dauernden Geschäftsverbindung im amerikanischen und deutschen Recht, 1974, in die deutsche Dogmatik eingeführt; vgl. dazu auch Oechsler RabelsZ 60 (1996) 93. Heute liegt ihre Bedeutung vor allem in der Begründung besonderer, auch jenseits von § 15 Abs. 2 HGB anerkannter Vertrauenstatbestände und in der Erwirkung von Rechtspositionen, die zwar nie ausdrücklich vereinbart waren, aber sich durch gegenseitiges Einspielen eingestellt haben (Geschäftsverbindungsbrauch). Vgl. dazu K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 20. 61 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 12ff. 62 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 42f. 63 Hopt, in: Bankrechts-Handbuch, § 1 Rn. 49. 60

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andernfalls durch Haftung nach Maßgabe des § 276 für die Nichterfüllung Verantwortung übernehmen wird. Als Hindernisse, die der Erfüllung des Leistungsversprechens entgegenstehen, kommen aber auch Beeinträchtigungen der Integritätssphäre des Kunden in Betracht (vgl. § 241 Abs. 2). Und dies führt die gesamte Fragestellung auf den Problemkern zurück: Vereinbart der Kunde mit der Bank ein Gelddarlehen, stellt sich aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Kunden die Frage, in welchem Umfang und mit welchen Rechtsfolgen die Bank durch ihr Leistungsversprechen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Die Rechtsprechung setzt diesen Gedanken recht pragmatisch um und stellt im Einzelfall die Frage, ob die Bank eine Schutzpflicht verletzt hat. Dabei geben die Erwartungen eines objektiven Beobachters in der Position des Kunden den Maßstab vor: (BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 = BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830) Medienunternehmer K macht gegen die D-Bank (D) Schadensersatz wegen des Zusammenbruchs seiner Firmengruppe geltend: Die Unternehmensgruppe von K befand sich zu Beginn des Jahres 2002 in finanziellen Schwierigkeiten, was allgemein bekannt war. Da schloss die dem K zu 100% gehörende T-GmbH & Co. KGaA (T) mit der D einen Darlehensvertrag über 700.000 €. Am 3.2.2002 gab der Vorstandssprecher der D (V) über die finanzielle Lage des K und seiner Unternehmensgruppe ein Fernsehinterview, in dem folgende Äußerung fiel: „Was man alles darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen.“ Am 8.4.2002 stellte die T neben zahlreichen anderen Unternehmen der K-Gruppe Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. K macht nun Ansprüche aus abgetretenem Recht der T, aber auch aus eigenem Recht mit der Begründung geltend, durch das Fehlverhalten der D sei seine Unternehmensgruppe zusammengebrochen. Denn nach diesem Interview habe er keine Bankkredite mehr erhalten. Er fordert daher Schadensersatz von D und V. Hier kommt zunächst ein Anspruch der T gegen D aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen Verletzung des Bankgeheimnisses in Betracht.

Das Bankgeheimnis64 ist eine Ausprägung der in § 241 Abs. 2 geregelten Pflicht der Bank, auf die Vermögensinteressen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen (Tz. 38). Kundenbezogene Tatsachen und Wertungen, die dem Kreditinstitut im Rahmen der Geschäftsverbindung zu Kunden bekannt werden, sind danach vertraulich zu behandeln (Tz. 35). Fraglich ist, ob die darlehensgebende Bank vorliegend ein Geheimnis des Kunden weitergegeben hat. Dies kann ja nur in einer Tatsache bestehen, die nicht allgemein bekannt ist. Zweifel bestehen deshalb, weil der Vorstandsvorsitzende keine spezifischen Informationen über die Finanzlage des Darlehensnehmers preisgegeben hat und dessen finanzielle Schwierigkeiten im Allgemeinen bekannt waren. Der BGH stellt vorliegend für das Bankgeheimnis jedoch auf den Verständnishorizont der durch das Interview adressierten Öffentlichkeit ab (Tz. 41). Diese misst den Äußerungen des 64 Vgl. dazu Hopt, in: Bankrechts-Handbuch, § 1 Rn. 55f.; Petersen, Das Bankgeheimnis zwischen Individualschutz und Institutionsschutz, 2004.

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Darlehensgebers deshalb besondere Bedeutung bei, weil dieser sich vor der Vereinbarung des Darlehens Einblicke in die Finanzlage des Darlehensnehmers verschaffen konnte. In diesem Kontext erscheint aber auch die vergleichsweise allgemein gehaltene Äußerung als Preisgabe von Informationen über die Finanzlage des Darlehensnehmers, die der Öffentlichkeit zuvor nicht bekannt waren. Darin wiederum liegt bereits eine Verletzung des Bankgeheimnisses. Bemerkenswert und auch überzeugend an dieser Einschätzung erscheint vor allem, dass es nicht darauf ankommt, ob vorliegend das verratene „Geheimnis“ der Wahrheit entsprach oder nicht. Denn auch wenn sich die finanzielle Lage des Darlehensnehmers zum damaligen Zeitpunkt so dramatisch präsentierte, wie es in der Interviewäußerung anklingt, darf der Kunde erwarten, dass die Bank ihm nicht durch ihre Äußerungen möglicherweise noch bestehende Finanzierungschancen nimmt. An dieser Stelle zeigt sich der vorgestellte methodische Zusammenhang: Im Darlehensvertrag verspricht die darlehensgebende Bank ausdrücklich nur die Auszahlung des Darlehens (§ 488 Abs. 1 Satz 1). Dieses Versprechen wird aber zur Rechtsgrundlage weiterer Erwartungen des Darlehensnehmers nach § 242, wobei der Maßstab eines objektiven Beobachters maßgeblich ist. Deshalb kann sich die Bank nicht auf die Auszahlung der Valuta beschränken, sondern muss sich auch im Übrigen so verhalten, dass dem Kunden die wirtschaftlichen Vorteile des Darlehens nicht in sonstiger Weise genommen werden. Das gerade ausgezahlte Darlehen nutzt dem Darlehensnehmer aber nichts, wenn dieser sich wegen des Verhaltens der Bank ansonsten nicht mehr auf dem Markt refinanzieren kann. Denn dann ist seine Insolvenz unvermeidlich. Weil der Bank aber das Verhalten ihres Vorstandssprechers nach § 31 zurechenbar ist, liegt in der Presseäußerung – gleichgültig, ob man darin eine Verletzung des Bankgeheimnisses erkennen will oder nicht – eine Schutzpflichtverletzung der Bank gegenüber ihrem Kunden nach § 241 Abs. 2.

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K selbst kann übrigens aus dem Darlehensvertrag der D mit seinem Tochterunternehmen keine Schutzwirkungen für Dritte herleiten, da er nicht Empfänger des Darlehens war und deshalb nicht in Leistungsnähe geriet (Tz. 51ff.). Der Vorstandssprecher V selbst haftet der T für einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 (Tz. 88ff.). Er kann sich im Rahmen der Konkretisierung der Rechtswidrigkeit nicht auf sein Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen, weil er der T gegenüber vertraglich zur Geheimhaltung verpflichtet war. Eine Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der T oder des K wegen der Prangerwirkung der Äußerung des Vorstandssprechers (im Anschluss an BGH NJW 1994, 1281 – Heberger) hat der BGH allerdings verneint (Tz. 111).

5. Kündigung und Vorfälligkeitsentschädigung

Nach § 488 Abs. 3 Satz 1 hängt die Rückerstattung der Valuta von der Fälligkeitsvereinbarung im Vertrag ab. Fehlt diese, können beide Parteien mit einer Frist von drei Monaten kündigen (§ 488 Abs. 3 Satz 2). Davon unabhängig besteht ein ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers nach § 489

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

Abs. 2 mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten, wenn kein festes Entgelt vereinbart ist. Absatz 1 der Norm räumt darüber hinaus bei Darlehen mit gebundenem Sollzinssatz in zwei weiteren Fällen ein ordentliches Kündigungsrecht ein: (1) Nach Nr. 1 greift das Kündigungsrecht für den Fall, dass die Zinsbindung endet. Dann soll dem Darlehensnehmer ein Druckmittel hinsichtlich Neuverhandlungen über den Zins gegenüber dem Darlehensgeber zustehen.65 (2) Nr. 2 eröffnet ein Kündigungsrecht nach zehn Jahren Laufzeit. Damit wird die allgemeine Handlungsfreiheit des Darlehensnehmers geschützt. Dieses zweite Kündigungsrecht nutzen vor allem die Bausparkassen während der durch die Währungspolitik der Europäischen Zentralbank eingeleiteten Niedrigzinsphase. Beim Bausparvertrag (Rn. 620) gewährt der Bausparer in einer ersten Phase der Bausparkasse ein Darlehen zu einem vglw. günstigen Zins, um dann in einer zweiten Phase ein Bauspardarlehen zu vglb. günstigen Zinsen in Anspruch zu nehmen. Während der Niedrigzinsphase der Jahre 2015 und 2016 waren jedoch die den Sparern in der ersten Phase gewährten Zinsen im Vergleich mit den üblichen Marktzinsen so hoch, dass diese ihr Geld bei der Bausparkasse stehen ließen, um an den Zinsen zu verdienen. § 489 Abs. 2 Nr. 2 eröffnet den Bausparkassen in diesem Fall einen Weg aus dem Vertrag. Voraussetzung ist allerdings ein echter Empfang des Darlehens iSd. Norm; dieser liegt noch nicht im Eintritt der Zuteilungsreife.66

Daneben eröffnet § 490 Abs. 1 ein außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensgebers bei Vermögensverschlechterung des Darlehensnehmers und über § 490 Abs. 3 ist das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 anwendbar (Rn. 636a). § 490 Abs. 2 sieht ferner ein praktisch bedeutsames außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers vor Fälligkeit wegen berechtigten Interesses vor:67 (BGH 1.7.1997 – XI ZR 267/96 = BGHZ 136, 161 = NJW 1997, 2875) M und F haben bei DG gemeinsam zwei Darlehen über 95.000 € und 42.500 € aufgenommen, die durch Grundschulden an ihrem Haus gesichert sind. Mit Wirkung vom 1.1.1991 hatten sie für eine Festschreibungszeit bis zum 31.12.2000 einen jährlichen Zinssatz von 9,35% vereinbart. Im Sommer 1993 wollten M und F wegen ihrer bevorstehenden Scheidung die Grundpfandrechte vorzeitig zurückführen, um das Haus veräußern zu können. DG erklärt sich dazu nur bei Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung iHv. 18,38% der jeweiligen Darlehensrestforderung bereit. Die Höhe der Entschädigung berechnet DG anhand der am Kapitalmarkt für festverzinsliche Wertpapiere erzielbaren Rendite von 6,15%. M und F zahlen die so berechnete Entschädigung unter Vorbehalt der Nachprüfung, weil DG andernfalls nicht in die Löschung der Grundpfandrechte einwilligen würde. Nachträglich fordern sie einen Teilbetrag zurück. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). DG könnte einen Teil der Entschädigung ohne Rechtsgrund erlangt haben. Der AnMünchKomm/Berger § 489 Rn. 8. BGH 22.2.2017 – XI ZR 185/16; OLG Bamberg ZIP 2016, 2259; OLG Stuttgart ZIP 2016, 910; OLG Hamm ZIP 2016, 306; zu dieser Thematik auch Tröger/Kelm NJW 2016, 2839; Buhl/ Münder NJW 2016, 1991. 67 Vgl. auch Mülbert WM 2002, 465, 473ff. 65 66

II. Das Gelddarlehen

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spruch ist hier nicht nach § 814 ausgeschlossen, da gerade unter Vorbehalt gezahlt wurde. Fraglich ist, in welcher Form die Darlehensverträge beendigt wurden und inwiefern durch die einschlägigen Vereinbarungen der Parteien ein Rechtsgrund für die Vorfälligkeitsentschädigung geschaffen wurde.

Die Vereinbarung einer Festzinsbindung beinhaltet zugleich den Verzicht auf das ordentliche Kündigungsrecht des Darlehensnehmers (arg. e § 489 Abs. 1 Nr. 1). Nach § 490 Abs. 2 Satz 1 kann der Darlehensnehmer jedoch einen Darlehensvertrag, bei dem der Sollzinssatz gebunden und das Darlehen durch ein Grund- oder Schiffspfandrecht gesichert ist, unter Einhaltung der Dreimonatsfrist des § 488 Abs. 3 Satz 2 vorzeitig kündigen, wenn seine berechtigten Interessen dies gebieten und seit dem vollständigen Empfang des Darlehens sechs Monate abgelaufen sind. Fraglich ist, ob vorliegend ein berechtigtes Interesse vorhanden ist. Der BGH hatte noch nach der alten Gesetzeslage ein außerordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers verneint, da die Verwendbarkeit des Darlehens einseitig in seinen Risikobereich falle (S. 2876). Allerdings billigte er den Darlehensnehmern einen Anspruch auf Zustimmung des Darlehensgebers zur vorzeitigen Ablösung des Darlehens gegen Vorfälligkeitsentschädigung zu. Der Regelung des § 490 Abs. 2 Satz 1 liegt – wie der Entscheidung des BGH – die Überlegung zugrunde, dass die Schutzbedürftigkeit des Darlehensgebers abnimmt, wenn er durch Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung so gestellt wird, als sei der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden. Dennoch muss er sich nicht in jedem Fall auf das Ansinnen des Darlehensnehmers einlassen, weil der dem Darlehensvertrag zugrunde liegende Tilgungs- und Verzinsungsplan für ihn eine bedeutende Kalkulationsgrundlage darstellt. Deshalb bedarf der Darlehensnehmer eines berechtigten Interesses. Davon geht der BGH vorliegend aus, weil der Darlehensgeber für die Weiterveräußerung der beliehenen Sache anerkennenswerte Gründe geltend machen kann, die der Darlehensgeber nicht vereiteln dürfe (S. 2876f.).68 Diesen Prinzipien ist das außerordentliche Kündigungsrecht (!) nach § 490 Abs. 2 Satz 1 gegen Vorfälligkeitsentschädigung (Satz 3) nachgebildet.69 Im Schrifttum ist umstritten, ob es sich um ein echtes Kündigungsrecht handelt,70 oder um eine Sonderkonstellation des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.71 Für die zweite Sichtweise wird vor allem die Pflicht zur Vorfälligkeitsentschädigung angeführt, die auf eine Vertragsanpassung wie im Fall des § 313 Abs. 1 hindeute, während man ausgehend von einer Kündigung darin eine § 326 Abs. 2 Satz 2 vergleichbare Entschädigungsleistung erkennen kann. Gegen einen Wegfall der Geschäftsgrundlage spricht jedoch, dass das mit dem Darlehen verbundene Ver68 BGHZ 136, 161, 165ff.; zur Kritik Canaris, in: FS Zöllner, Bd. II, 1998, S. 1055; Medicus EWiR 1997, 921; Köndgen ZIP 1997, 1645. 69 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 255. 70 Bruchner/Krepold, in: Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 65; MünchKomm/Berger § 490 Rn. 28. 71 Staudinger/Mülbert § 490 Rn. 58.

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wendungsrisiko (Rn. 671) nicht – wie beim Risiko des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 üblich – von keiner Seite zu tragen ist, sondern in die Verantwortungssphäre des Darlehensnehmers fällt. Bedeutsam erscheint die Unterscheidung vor allem deswegen, weil bei der Konkretisierung des besonderen Interesses vglw. einseitig auf die Motive des Darlehensnehmers Rücksicht genommen werden kann, während die Interessen des Darlehensgebers im Rahmen der Vorfälligkeitsentschädigung berücksichtigt werden. Nach § 490 Abs. 2 Satz 3 liegt ein besonderes Interesse insbesondere vor, wenn der Darlehensnehmer ein Bedürfnis nach einer anderweitigen Verwertung der zur Sicherung des Darlehens beliehenen Sache hat. Daraus schließt die hM. dass es bei einem besonderen Interesse regelmäßig um den Erhalt der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Darlehensnehmers gehen muss.72 Dies spricht für einen Sonderfall der Kündigung und gegen die Anwendbarkeit des § 313. In der vorliegenden Konstellation liegen daher die Voraussetzungen des § 490 Abs. 2 Satz 1 vor.

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Bei wirksamer Ausübung des Kündigungsrechts hat der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber nach § 490 Abs. 2 Satz 3 denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht (Vorfälligkeitsentschädigung). § 502 Abs. 1 regelt dabei den Höchstumfang der Entschädigung beim Verbraucherdarlehensvertrag. Ansonsten beruht die Berechnung in der Praxis auf verschiedenen Methoden, orientiert sich jedoch an der Ermittlung der gesicherten Zinserwartungen des Darlehensgebers:73 Hierbei existiert eine Aktiv-Aktivund eine Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode. Die Aktiv-Passiv-Methode beruht auf der Summe der vom Darlehensnehmer geschuldeten Zinsleistungen, abzüglich der Rendite, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der Mittel in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt.74 Die Aktiv-Aktiv-Methode basiert hingegen auf der Annahme, dass die vorzeitig zurückgezahlte Valuta als mit Grundpfandrechten gesichertes Darlehen verwendet wird.75 Auf der Grundlage der Aktiv-Aktiv-Methode lässt sich als Schaden die Differenz zwischen dem vereinbarten Darlehenszins und den Refinanzierungskosten der Bank errechnen (Zinsmargenschaden). Dieser Betrag ist um eine Prämie für das entfallende Risiko aus dem abgelösten Darlehen und die ersparten Verwaltungskosten zu kürzen. Darüber hinaus kann ein Zinsverschlechterungsschaden entstehen, wenn die Bank das vorzeitig zurückerhaltene Kapital nur zu einem niedrigeren Vertragszins auf dem Markt platzieren kann.76

72 MünchKomm/Berger § 490 Rn. 26; Bruchner/Krepold, in: Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 65; Staudinger/Mülbert § 490 Rn. 64. 73 BGHZ 136, 161, 167. Vgl. dazu nur Bruchner/Krepold in: Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 74ff. 74 Vgl. dazu: BGH NJW 1997, 2875, 2878; OLG Frankfurt ZIP 2012, 666, 667. 75 Bruchner/Krepold, in: Bankrechts-Handbuch, § 79 Rn. 95. 76 BGHZ 136, 161, 169f.

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Im Fall entspricht die pauschale Berechnung der DG jedenfalls nicht den dargestellten Grundsätzen: Unklar bleibt, ob die von DG zur Berechnung herangezogene Anlageart Referenzcharakter hat und inwieweit DG die infolge der Vorfälligkeit erzielten Vorteile anrechnet. Berechnet DG daher den Schaden zu hoch, ist die Leistungskondiktion in Höhe der zu hoch gezahlten Entschädigung begründet.

In engem Zusammenhang mit der Regelung des § 490 Abs. 2 Satz 3 steht das Problem der Provokation einer außerordentlichen Kündigung des Darlehensgebers durch den Darlehensnehmer. (BGH 19.1.2016 – XI ZR 103/15 = NJW 2016, 1379) Die beiden Verbraucher DN schlossen mit der Bank DG einen zum 30.11.2016 endfälligen Darlehensvertrag über ein grundschuldgesichertes Darlehen iHv. 1.142.429,50 € zu einem effektiven Jahreszins von 5,06%. In 2010 geraten die DN jedoch in Verzug, sodass DG den Darlehensvertrag am 8.6.2010 fristlos kündigt. Gegenüber den DN macht sie ua. einen nach § 490 Abs. 2 Satz 3 analog berechneten Schadensersatzanspruch iHv. 24.569,18 € geltend.

Im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1, 314 Abs. 4 kann der Darlehensgeber den ihm konkret entstandenen Schaden (etwa entgangener Gewinn nach § 252) berechnen (vgl. § 497 Abs. 1 Satz 2).77 Daneben ist jedoch auch eine abstrakte Schadensberechnung möglich (Tz. 20). Fraglich ist nur, ob diese analog der Regelung über die Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 erfolgen kann. Dafür spricht folgende Überlegung: Provoziert der Darlehensnehmer durch seinen Zahlungsverzug eine vorzeitige Kündigung durch den Darlehensgeber, soll er nicht besser stehen, als wenn er selbst aufgrund eines berechtigten Interesses vor Fälligkeit nach § 490 Abs. 2 Satz 1 gekündigt hätte.78 Der BGH folgt dem jedoch nicht, sondern sieht § 497 Abs. 1 Satz 1 als abschließende Sonderregel an (Tz. 23ff.). Nach dieser hat der Darlehensnehmer bei Verzug den geschuldeten Betrag nach § 288 Abs. 1 zu verzinsen. Begründet wird dies mit der Enstehungsgeschichte der Norm, die auf eine „(Prozess-)Vereinfachung“ (Tz. 27) ziele – ein Zweck, der nicht erreicht werden könne, wenn unter Rückgriff auf den Vertragszins eine Vorfälligkeitsentschädigung als Berechnungsmaßstab zugrunde gelegt werde. Die damit verbundene Besserstellung des vertragsbrüchigen Darlehensnehmers gegenüber einem nach § 490 Abs. 2 Satz 1 vorgehenden, vertragstreuen Vertragspartner entspricht nach Auffassung des Gerichts dem Willen des Gesetzgebers (Tz. 30). Damit setzt der BGH jedoch einen gefährlichen Anreiz zum Vertragsbruch in Niedrigzinsphasen. In diesen kann dem Darlehensnehmer daran gelegen sein, das Darlehen vorzeitig zu beenden, um sich auf dem Markt zu wesentlich günstigeren Konditionen neu einzudecken. Steht ihm in dieser Situation kein berechtigtes Interesse nach § 490 Abs. 2 Satz 1 Staudinger/Freitag § 488 Rn. 245. Vgl. hier nur Bunte NJW 2016, 1626ff.; Canaris EuZW 1991, 257; Knöpfel NJW 2014, 3125, 3126; zur herrschenden Gegenauffassung: Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 8. Aufl., § 497 Rn. 30; Jungmann, in: Bankrechts-Handbuch, § 81 Rn. 490; Überblick über den Meinungsstand BGH Tz. 22. 77 78

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zur Seite, verweigert er schlicht die Zahlung und provoziert die Kündigung nach § 498 und den vergleichsweise niedrigen Schadensersatz nach § 497 Abs. 1 Satz 1. Dass unter diesen Umständen der Prozessökonomie Vorrang vor dem Schutz der Vertragstreue eingeräumt wird, begegnet zu Recht Unverständnis.79 6. Das Sparbuch a) Rechtliche Einordnung 637

Die Entgegennahme von Einlagen stellt ein klassisches Bankgeschäft dar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Kreditwesengesetz (KWG)). Die Kreditinstitute nehmen dabei Gelder von Nichtbanken aufgrund typisierter Verträge entgegen, ohne bankübliche Sicherheiten zu stellen. Die Praxis unterscheidet drei Arten der Einlage: die Sichteinlage, bei der das Kreditinstitut auf Verlangen des Einlegenden auszahlen muss, die Termineinlage, die feste Anlage von Geldern bis zu einem bestimmten Datum (Festgeld), und die hier interessierende Spareinlage. Deren Rechtsgrundlagen waren ursprünglich im KWG geregelt, wurden aber 1993 durch die 4. KWG-Novelle wesentlich liberalisiert und sind nun vor allem in § 21 Abs. 4 RechKredVO80 zu finden: Danach müssen Spareinlagen als Kündigungsgelder mit einer Mindestkündigungsfrist von drei Monaten hereingenommen werden; es muss eine Urkunde über die Spareinlage ausgestellt sein (Sparbuch), und das Konto darf nicht für den Zahlungsverkehr bestimmt sein.81 Während bei der Sichteinlage das Kreditinstitut die Gelder für den jederzeit abrufberechtigten Einleger verwaltet, oder besser: verwahrt, und deshalb von einer unregelmäßigen Verwahrung iSd. § 700 auszugehen ist, erkennt die hM. im typischen Sparvertrag ein Darlehen nach § 488: Denn wirtschaftlich steht die Nutzung der vom Sparer überlassenen Valuta durch die Bank im Vordergrund und nicht etwa die Aufbewahrung des Geldes für den Sparer.82 b) Verträge zugunsten Dritter

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Sparverträge können als Verträge zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1) ausgestaltet sein. Ob dies der Fall ist und unter welchen Voraussetzungen dem Dritten der Anspruch auf Auszahlung der Spareinlage nach § 488 Abs. 1 Satz 2 zusteht, stellt eine Auslegungsfrage dar, die im Einzelfall auf der Grundlage der §§ 133, 157 zu klären ist. (BGH 9.11.1966 – VIII ZR 73/64 = BGHZ 46, 198 = NJW 1967, 101) X hinterlässt nach ihrem Tod ein Sparbuch, das auf den Namen ihrer minderjährigen Enkelin D ausgestellt ist und sich auf eine mit der Bank B vereinbarte Spareinlage bezieht. E, die Alleinerbin der X, Bunte NJW 2016, 1626ff. Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute (Kreditinstituts-Rechnungslegungsverordnung) vom 11.12.1998, BGBl. 2008, I, S. 3658. Dazu Schürmann, in: Bankrechts-Handbuch, § 70 Rn. 12. 81 Dazu Schürmann, in: Bankrechts-Handbuch, § 70 Rn. 10ff., 14ff. 82 BGHZ 64, 278, 284; Schürmann, in: Bankrechts-Handbuch, § 70 Rn. 19; aA., für unregelmäßige Verwahrung OLG München WM 1983, 1294. 79 80

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hat das Sparbuch an sich genommen. X hatte D gegenüber die Existenz der Spareinlage verschwiegen, allerdings vage angekündigt, D könne sich in nächster Zeit auf eine Zuwendung seitens der X einstellen. Deshalb wendet sich D nach dem Tod der X an E und erfährt vom Sparbuch. E verweigert indes die Herausgabe. In Betracht kommt ein Herausgabeanspruch der D gegen E nach § 985, wenn D das Eigentum am Sparbuch nach § 952 erworben hat. Voraussetzung ist, dass sie die im Sparbuch verbriefte Forderung gegen B aus §§ 488 Abs. 1 Satz 2, 328 Abs. 1 erworben hat.

In Fällen der vorliegenden Art stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Dritte bereits zu Lebzeiten des Sparers einen Anspruch nach § 328 Abs. 1 gegenüber der Bank auf die Forderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 erworben hat. Diese Frage ist durch Auslegung nach §§ 133, 157 zu klären, wobei mangels ausdrücklich erklärten Willens die äußeren Umstände und die Interessenlage der Parteien den Ausschlag geben. Dabei reicht das Anlegen des Sparbuchs auf einen fremden Namen regelmäßig nicht aus, wenn der Sparer den Besitz am Buch behält (S. 102f.). Denn das Sparbuch ist ein Namenspapier mit Inhaberklausel nach § 808 (dazu noch Rn. 642); die Darlehensnehmerin wird daher regelmäßig nur dann frei, wenn sie die Einlage an den Besitzer des Sparbuchs zurückgewährt (§ 808 Abs. 1 Satz 1). Wenn der Dritte, auf dessen Namen das Sparbuch ausgestellt ist, nicht im Besitz des Wertpapiers ist, kann er daher auch nicht selbständig auf die Spareinlage zugreifen. Dies spricht dafür, dass der Darlehensgeber sich in diesem Fall die Entscheidung über die Begünstigung des Dritten zu Lebzeiten offen halten will.83 Regelmäßig geht es dem Sparer darum, den Lebenswandel des Dritten bis zum Zeitpunkt der endgültigen Zuwendung zu beobachten bzw. die Entscheidung offen zu lassen, ob er sich die Zuwendung an den Dritten finanziell leisten kann. Vorliegend kam daher ein Forderungserwerb nach § 328 Abs. 1 nicht in Betracht.

Eine hiervon zu unterscheidende Frage ist, ob der Anspruch des Dritten im Todesfall nach § 331 entstanden ist (S. 102). Die Norm ist als Auslegungsregel konzipiert, die voraussetzt, dass zwischen den Parteien ein Vertrag zugunsten Dritter zustande gekommen ist, bei dem das Recht des Dritten erst im Todesfall entsteht.84 Die Verneinung der Voraussetzungen des § 328 Abs. 1 führt dabei nicht automatisch dazu, dass auch der Fall des § 331 nicht in Betracht kommt. Denn die Gründe, die gegen einen Drittanspruch zu Lebzeiten sprechen, können mit dem Tod des Sparers entfallen sein. Vorliegend bejaht auch der BGH die Voraussetzungen der Norm (S. 102): Im Rahmen des § 331 fällt jetzt stärker ins Gewicht, dass die Dritte mit dem Sparer verwandt und im Sparbuch benannt ist. Denn das zu Lebzeiten bestehende Interesse des Sparers, die Entscheidung zugunsten des Dritten offen zu lassen, ist nun entfallen. Ein eigenes Problem liegt jedoch in der Frage, ob ein Sparvertrag nach § 331 der Form der §§ 2301 Abs. 1 Satz 1, 2232 (= Niederschrift eines Notars) genü83 Vgl. nur Canaris NJW 1973, 825; Soergel/Hadding § 328 Rn. 76; MünchKomm/Gottwald § 328 Rn. 59. 84 Soergel/Hadding § 331 Rn. 1.

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gen muss. Die Norm findet unmittelbar auf die Schenkung des Erblassers Anwendung, die unter der Bedingung erfolgt, dass der Bedachte den Erblasser überlebt. Im Fall des § 331 beruht die Zuwendung jedoch auf einem Leistungsversprechen des Darlehensnehmers (Bank) und nicht des Schenkers zugunsten des Bedachten. Teilweise wird § 2301 Abs. 1 Satz 1 auch auf diesen Fall mit der Begründung angewendet, die erbrechtlichen Formvorschriften dürften nicht auf der Grundlage des § 331 umgangen werden. Andernfalls drohe die wirtschaftliche Aushöhlung des Nachlasses zu Lasten der Nachlassinsolvenzgläubiger, und zwar insbesondere dadurch, dass der Bedachte im Todeszeitpunkt Vollrechtsinhaber werde. Damit stehe er außerhalb der in § 327 InsO festgelegten Rangfolge und werde ungerechtfertigt begünstigt.85 Dieser Auffassung stehen indes der Wortlaut des § 331 Abs. 1 und die anderen dogmatischen Grundlagen dieser Norm entgegen (S. 102).86 § 331 trägt dabei den Interessen des Sparers insoweit Rechnung, als dieser sich nicht wie im Fall des § 2301 Abs. 1 Satz 1 bereits bei Abschluss des Sparvertrages auf einen späteren Anspruchsberechtigten festlegen muss. Auch scheint das Argument einer Auszehrung der Insolvenzmasse nicht schlagkräftig. Denn eine Schenkung des Erblassers können die Insolvenzgläubiger im Wege der Insolvenzanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO mit der Rechtsfolge des § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO rückgängig machen. Geht man daher vorliegend von einem Fall des § 331 aus, stellt sich die Folgefrage, ob die Erbin die Vollziehung dieses Versprechens noch verhindern kann. Dies hängt vom Valutaverhältnis zwischen dem Sparer und der Dritten (Begünstigten) ab. Dieses bildet den Rechtsgrund für den Anspruch der Dritten aus §§ 328 Abs. 1, 331. Regelmäßig handelt es sich hier um ein Schenkungsversprechen (§ 516 Abs. 1). In der Nennung der Dritten im Sparvertrag erkennt der BGH ein Angebot des Sparers an die Dritte auf Abschluss eines Schenkungsvertrages, das die Dritte im Regelfall konkludent annimmt.87 Doch bedarf das Schenkungsversprechen zunächst der Form der notariellen Beurkundung (§ 518 Abs. 1), die regelmäßig nicht gewahrt ist. Allerdings ist wiederum § 518 Abs. 2 zu beachten: Durch Bewirkung der Leistung tritt nämlich Heilung des Formmangels ein. Geschuldete Leistung ist in diesen Fällen die Forderung aus dem Sparvertrag gegenüber dem Kreditinstitut. Da die Forderung der Dritten gemäß § 331 im Todesfall entsteht, tritt in diesem Zeitpunkt auch Heilung ein.88 Problematischer sind indes die Fälle, in denen der Dritte nichts von der Begünstigung weiß und deshalb das Schenkungsversprechen nicht annehmen kann. Dann ist der Dritte zwar Inhaber des Anspruchs aus §§ 328 Abs. 1, 331, doch kann dieser gegen die Bank gerichtete Anspruch mangels Rechtsgrundes nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) kondiziert werden, Kipp/Coing, Erbrecht, 14. Aufl. 1990, § 81 V 1 und 2 c; Medicus/Petersen BR Rn. 396f. BGHZ 41, 95, 96f.; 66, 8, 12f. Vgl. auch BGHZ 46, 198, 203. Dazu ausführlich Soergel/Hadding § 331 Rn. 13; MünchKomm/Gottwald § 331 Rn. 6ff.; Staudinger/Jagmann § 331 Rn. 22.

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weil der Schenkungsvertrag noch nicht zustande gekommen ist. Der in der Benennung des Dritten im Sparbuch liegende Antrag des Sparers auf Abschluss eines Schenkungsvertrages kann dem Dritten indes noch nach dessen Tod zugehen (§ 130 Abs. 2), wobei dem Kreditinstitut je nach Lage des Falles Botenmacht zur Überbringung dieser Willenserklärung gegenüber dem Begünstigten eingeräumt sein kann.89 Allerdings kann der Erbe die Willenserklärung noch bis zu ihrem Zugang nach § 130 Abs. 1 Satz 2 widerrufen.90 Vorliegend ist der E deshalb ein Fehler unterlaufen. Hätte sie das von X unterbreitete Angebot auf Abschluss eines Schenkungsvertrags (§ 516) vor allen sonstigen Erklärungen nach § 130 Abs. 1 Satz 2 widerrufen und erst danach D auf den Sparvertrag aufmerksam gemacht, wäre der Schenkungsvertrag nicht zustande gekommen. Die Forderung der D gegen B aus §§ 328 Abs. 1, 331, 488 Abs. 1 Satz 2 hätte dann nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) von E herausverlangt werden können. Stattdessen hat E die D über die auf ihren Namen laufende Spareinlage unterrichtet. Damit ist der Antrag der X auf Abschluss eines Schenkungsvertrages der D zugegangen (§ 130 Abs. 2) und kann nun nicht mehr von E widerrufen werden. Im Herausgabeverlangen der D nach § 985 wird man zugleich ihre konkludente Annahme dieses Antrags erkennen können. Ihr Anspruch gegen B aus §§ 328 Abs. 1, 331, 488 Abs. 1 Satz 2 ist nun nicht mehr rechtsgrundlos und kann nicht von E kondiziert werden.

Auf das Widerrufsrecht nach § 130 Abs. 1 Satz 2 kann der Erblasser bereits zu Lebzeiten bei der Begründung der Einlageforderung nach § 397 verzichten. Lässt sich dies durch Auslegung nach §§ 133, 157 feststellen, gilt dieser Verzicht auch gegenüber dem Erben,91 und dieser kann den Vollzug nicht in der dargestellten Weise verhindern.92 c) Wertpapiercharakter und Liberationsfunktion des Sparbuchs

Das Sparbuch ist nach hM. ein Namenspapier (Rektapapier), das nach schuldrechtlichen Prinzipien übertragen wird („Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier.“). Dafür spricht, dass der Berechtigte im Papier namentlich genannt wird und dass die Übertragung der Forderung nach § 488 Abs. 1 Satz 2 nicht durch Übereignung des Papiers erfolgt, sondern durch Zession nach § 398. Der Wertpapiercharakter des Sparbuchs ist allerdings umstritten. Denn ein Wertpapier liegt nur vor, wenn eine verbriefte Forderung ausschließlich durch Vorlage des Papiers geltend gemacht werden kann. Die Verbindung von Papier und Forderung folgt für das Sparbuch nicht aus dem Gesetz, wird aber aufgrund der üblicherweise gestellten Bankbedingungen bejaht93 und gilt übri89 BGH NJW 2008, 2702, Tz. 24ff.; Soergel/Hadding § 331 Rn. 14; MünchKomm/Gottwald § 331 Rn. 9. 90 BGH NJW 2008, 2702, Tz. 27. 91 BGH WM 1976, 1130, 1132. 92 Vgl. dazu und zu alternativen Lösungsmodellen: Soergel/Hadding § 328 Rn. 16 mwN. sowie Harder FamRZ 1976, 418. 93 BGHZ 64, 287; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1181; MünchKomm/Habersack § 808 Rn. 25; Staudinger/Marburger § 808 Rn. 49; zur Kritik: Kümpel WM 1981, Sonderbeilage Nr. 1, S. 1, 14ff.; Schraepler NJW 1973, 1864; Welter WM 1987, 1117, 1119.

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gens auch für die neueren Sparkarten.94 Der Eigentumserwerb erfolgt nach § 952 Abs. 1 Satz 1 kraft Gesetzes, und zwar als Folge der Zession der Guthabenforderung. Der jeweilige Inhaber der Forderung ist deswegen stets auch Eigentümer des Sparbuchs. Die wertpapierrechtliche Bedeutung des Sparbuchs liegt in seiner Liberationsfunktion nach § 808 Abs. 1 Satz 1: An den Inhaber des Sparbuchs kann die Darlehensnehmerin (Bank) jeweils mit befreiender Wirkung leisten. In der Praxis wird das Sparbuch zudem mit der Bestimmung ausgegeben, dass die im Sparbuch versprochene Leistung an jeden Inhaber der Urkunde mit befreiender Leistung bewirkt werden kann (sog. Inhaberklausel). Das Sparbuch ist damit ein qualifiziertes Legitimationspapier, das gelegentlich bildlich auch als „hinkendes Inhaberpapier“ bezeichnet wird: Anders als beim Inhaberpapier nach § 793 darf Erfüllung der verbrieften Forderung nicht wegen der Inhaberschaft am Papier verlangt werden, doch kann der Schuldner mit befreiender Wirkung an den Inhaber des Sparbuchs leisten: (BGH 24.4.1975 – III ZR 147/72 = BGHZ 64, 278 = NJW 1975, 1507) S unterhält bei Bank B ein Sparkonto, über das ein Sparbuch ausgestellt worden ist. Darin ist Folgendes vereinbart: „Beträge bis zu 500 € können innerhalb von 30 Kalendertagen ohne Kündigung des Sparvertrages zurückgezahlt werden. Bei einer darüber hinausgehenden Rückzahlung ist eine dreimonatige Kündigungsfrist zu beachten.“ Dem S wurde das Sparbuch von D gestohlen. Dieser legt es bei B vor und hebt insgesamt 4.500 € vom Sparkonto des S ab. S verlangt von B, dem Sparkonto den abgebuchten Betrag iHv. 4.500 € wieder gutzuschreiben. In Betracht kommt ein Anspruch des S gegen B auf richtige Kontoführung nach §§ 675 Abs. 1, 666. Zwischen den Parteien kam ein Sparvertrag iSd. § 488 zustande. Die damit verbundene Kontoführungspflicht hat geschäftsbesorgungsvertraglichen Charakter (vgl. auch Rn. 1341). Fraglich ist, ob das Konto von B unrichtig geführt worden ist. Dies kommt in Betracht, wenn B durch die Auszahlung an D gegenüber S iHv. 4.500 € freigeworden ist. Dies ist wiederum der Fall, wenn B die Forderung des S aus § 488 Abs. 1 Satz 2 iH. der Auszahlung nach § 362 Abs. 1 erfüllt hat. Eine Erfüllung könnte unter den Voraussetzungen des § 808 Abs. 1 Satz 1 eingetreten sein.

Bei Namenspapieren iSd. § 808 Abs. 1 Satz 1 wird der Schuldner frei, wenn er die in der Urkunde versprochene Leistung an den Inhaber bewirkt. Fraglich ist zunächst, ob die Bank hier die in der Urkunde versprochene Leistung bewirkt hat. Der BGH verneint dies, da die Bank bei der Auszahlung die Sparbedingungen nicht eingehalten hat. Denn sie habe insbesondere die dreimonatige Kündigungsfrist für die Spareinlage nicht beachtet (S. 1508). Die Kritik wendet dagegen ein, dass die Legitimationswirkung des § 808 Abs. 1 Satz 1 nicht von der Fälligkeit der Verbindlichkeit abhängen könne. Denn nach § 271 Abs. 2 dürfe der Schuldner im Zweifel auch vor Fälligkeit erfüllen. Dies spreche dafür, dass auch die vorzeitige Leistung als die in der Urkunde versprochene angesehen werden müsse.95 Der BGH folgt dem nicht, sondern geht davon aus, dass die Vereinbarung über die Fälligkeit des Sparguthabens nicht allein dem Schutz des MünchKomm/Habersack § 808 Rn. 24; C.H. Hofmann WM 2005, 1305, 1306. Grundsätzlich Flume JZ 1959, 538; ders. DB 1961, 337; ders. JZ 1965, 182; vgl. auch: Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1187; Dunz JuS 1962, 139f.

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III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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Schuldners (Bank), sondern auch dem Schutz des Gläubigers (Sparer) diene, sodass § 271 Abs. 2 keine Anwendung finde (S. 1502). Gerade dies kann nicht überzeugen, denn der Sparer erhält von der Bank einen höheren Zinssatz vor allem deshalb, weil er die Valuta für die vertraglich vereinbarte Zeit bei der Bank belässt. Die Fälligkeitsvereinbarung sichert daher allein der Bank die Gebrauchsvorteile an der Valuta zu, bezweckt aber nicht den Schutz des Sparers vor unberechtigten Auszahlungen. Nach ganz hM. ist § 808 Abs. 1 Satz 1 im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen der Liberationsfunktion allerdings zu weit gefasst: Bei Vorsatz, aber auch bei grober Fahrlässigkeit ist die Norm nicht anwendbar.96 Dies lässt sich im systematischen Vergleich mit dem Wechselgesetz (WG) begründen. Der Wechsel ist in besonderem Maße auf Verkehrsfähigkeit hin konzipiert, sodass der Vertrauensschutz besondere Bedeutung genießt (vgl. Artt. 16, 17 WG). Wenn aber hier bereits grob fahrlässige Unkenntnis von der fehlenden Berechtigung bei der Zahlung schadet (Art. 40 Abs. 3 Satz 1 WG), kann die Liberationswirkung des Sparbuchs nicht stärker sein. Dadurch relativiert sich schließlich auch der Streit um die Befreiungswirkung bei vorzeitiger Rückerstattung der Einlage: In diesen Fällen stellt sich nämlich regelmäßig die Frage, ob das auszahlende Kreditinstitut grob fahrlässig die fehlende Berechtigung des Zahlungsempfängers nicht erkannt hat. Dies ist regelmäßig zu bejahen, wenn sich dem Kreditinstitut bei der Auszahlung Verdachtsmomente durch die Ungewöhnlichkeit der äußeren Umstände geradezu aufdrängen mussten. Vorliegend kommt dies in Betracht, sodass § 808 Abs. 1 Satz 1 in jedem Fall zugunsten der Bank keine Anwendung findet.

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Im Fall hat daher B das Konto nicht richtig geführt. Aus §§ 675 Abs. 1, 666 kann S von B verlangen, dass auf dem Konto eine Gutschrift iHv. 4.500 € erfolgt.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag 1. Überblick

Die Sonderregelungen über das Verbraucherdarlehen gehen auf die Verbraucherkreditrichtlinie 87/102/EWG zurück. In ihrer aktuellen Fassung (Richtlinie 2008/48/EG) zielt sie auf Vollharmonisierung des Verbraucherdarlehensrechts (Art. 22 Abs. 1). Sie wird ergänzt durch die nur mindestharmonisierende Richtlinie 2014/17/EU über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher, mit der der europäische Gesetzgeber auf Auswüchse im Immobilienkreditwesen während der Finanzkrise ab 2007 reagiert. Ihre Umsetzung bedingt in § 491 eine Unterscheidung zwischen Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen (Abs. 2) und Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen (Abs. 3). Von letzteren werden wiederum in einer weiteren, 2017 erwarteten NeuregeVgl. hier nur: Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1185; MünchKomm/Habersack § 808 Rn. 28; Soergel/Welter § 808 Rn. 3, 28.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

lung sog. Immobilienverzehrkreditverträge (künftig § 491 Abs. 3 Satz 3) ausgenommen, eine in Deutschland noch eher seltene Darlehensform.97 Für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge existieren Sonderregelungen wie das Koppelungsverbot der §§ 492af., das verhindern soll, dass Kreditinstitute den Abschluss des Darlehnsvertrages nutzen, um dem Darlehensnehmer andere Finanzprodukte (Anlageinstitute wie Wertpapiere, Sparverträge usw.) oder Finanzdienstleistungen (sämtliche Finanzprodukte, die von Kreditgebern mit Darlehen vertrieben werden; zB. Lebensversicherungen) anzudienen.98 In der folgenden Darstellung stehen die vertragsrechtlichen Institute im Vordergrund. Sie gewährleisten den Verbraucherschutz durch folgende, zentrale Rechtsfolgen: (1) Die Informations- und Formvorschriften der §§ 491a, 492 iVm. der Verweisungsnorm des § 506 sorgen dafür, dass der Verbraucher bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses über die auf ihn zukommende effektive Belastung informiert wird (§ 491a) und dass sich die Informationen später auch in der schriftlichen Fassung des Darlehensvertrages wiederfinden (§ 492). Verbraucherschutz wird daher vor allem im Wege der Verbraucherinformation (disclosure = Aufdeckung der vertragsimmanenten Risiken; Rn. 1287f.) betrieben. Der Formverstoß führt allerdings nicht zur Nichtigkeit nach § 125 Satz 1, sondern zu den abgestuften Rechtsfolgen der §§ 494, 507 Abs. 2. In die gleiche Richtung zielt die Beratungspflicht bei Inanspruchnahme von Überziehungskrediten (§§ 504af.) und die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung nach §§ 505aff. (2) Aus der Kenntnisnahme von den Risiken des Verbraucherdarlehens kann der Verbraucher nach Vertragsschluss, wenn ihm sämtliche Informationen vorliegen, durch sein Widerrufsrecht nach § 495 Konsequenzen ziehen und den Vertrag nach § 357a rückabwickeln. (3) Wegen der lang andauernden und schwer überschaubaren finanziellen Belastung eröffnet nur der qualifizierte Zahlungsverzug des Verbrauchers dem Darlehensgeber ein Recht zur Beendigung des Darlehens (§ 498). (4) Nimmt ein Teilzahlungsverkäufer die finanzierte Sache wieder an sich, ist der Darlehensnehmer durch die Rücktrittsfiktion des § 508 Satz 5 geschützt (Rn. 703ff.). (5) Besonderen Gefahren begegnet der Verbraucher schließlich beim drittfinanzierten Teilzahlungskauf: Damit er nicht das Darlehen zurückführen muss, obwohl der Vertrag über die Sachleistung widerrufen und in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelt worden ist, eröffnen ihm die §§ 358ff. die Möglichkeit, Einwendungen aus dem Kaufvertrag auch gegenüber dem Darlehensgeber geltend zu machen (Einwendungsdurchgriff) bzw. die Rechtsfolgen seines Verbraucherwiderrufsrechts auf beide Verträge zu erstrecken (Widerrufsdurchgriff).

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BT-Drucks. 18/10935, S. 38f. BT-Drucks. 18/5922, S. 81f.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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2. Der Anwendungsbereich der Verbraucherschutznormen

Die Sondernormen über den Verbraucherdarlehensvertrag setzen zunächst voraus, dass der Darlehensgeber Unternehmer iSd. § 14 ist. Die Darlehenshingabe muss deshalb in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit erfolgt sein.

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(OLG Düsseldorf 10.2.1995 – 17 U 191/94 = NJW-RR 1996, 759) Der im Druckereigeschäft tätige Unternehmer V hat Verbraucher K eine in seinem Unternehmen nicht mehr benötigte, gebrauchte Linotype-Druckmaschine gegen Ratenzahlung verkauft und nimmt den mittlerweile säumigen K wegen ausstehender Raten in Anspruch. K übt jedoch das ihm vermeintlich zustehende Widerrufsrecht nach § 495 aus. Ein Anspruch des V gegen K auf Zahlung der Teilzahlungsraten nach § 433 Abs. 2 kommt nicht in Betracht, wenn K gemäß §§ 506 Abs. 1, 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 den – Widerruf erklären konnte. § 495 Abs. 1 ist gemäß § 506 Abs. 1 nur anwendbar, wenn es sich bei V um einen Unternehmer handelt.

Das OLG geht davon aus, dass bei einem unter § 506 Abs. 1 fallenden, unternehmerisch organisierten Darlehensgeber die Kredittätigkeit im Vordergrund stehen müsse. Nur von diesem Personenkreis könnten Fachkenntnisse im Hinblick auf die Darlehensvergabe erwartet werden. Vorliegend habe der Darlehensgeber aber nicht ständig Druckmaschinen gegen Vereinbarung eines Teilzahlungspreises verkauft (S. 759). Die Auffassung des Gerichts widerspricht indes der Entstehungsgeschichte des Verbraucherkreditgesetzes, das nur die altruistische, nicht kommerzielle Darlehensvergabe aus dem Anwendungsbereich heraushalten wollte.99 Ausschlaggebend für die Anwendbarkeit der §§ 491ff. ist daher nicht die Fachkenntnis des Darlehensgebers, sondern seine professionelle gewerbliche Organisation, die ihm eine höhere Verantwortung gegenüber dem organisatorisch unterlegenen Verbraucher auferlegt; der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit muss daher nicht in der Darlehensvergabe selbst liegen.100 Als Darlehensnehmer kommt in erster Linie ein Verbraucher iSd. § 13 in Betracht (vgl. dazu ausführlich Rn. 414ff.). Treten mehrere Darlehensnehmer gleichzeitig auf, ist umstritten, ob auf die persönlichen Voraussetzungen jedes einzelnen abzustellen ist (Einzelbetrachtung) oder auf eine Gesamtbetrachtung. Praktisch bedeutsam wird dies in den Fällen, in denen ein Verbraucher neben einem gewerblichen Darlehensnehmer einem Darlehensvertrag beitritt. Hier wendet die hM. die §§ 491ff. im Wege einer Einzelfallbetrachtung an, beurteilt also das Vertragsverhältnis des Darlehensgebers gegenüber dem Verbraucher unabhängig von dem Vertragsverhältnis des Darlehensgebers gegenüber dem unternehmerisch organisierten Darlehensnehmer (Rn. 697).101 Nach der Lehre von der Gesamtbetrachtung braucht sich der Darlehensgeber bei einem 99 RegE BT-Drucks. 11/5462, S. 17. 100 BGHZ 179, 126 = ZIP 2009, 261, Tz. 17f.; Staudinger/Kessal-Wulf § 491 Rn. 4; Münch-

Komm/Schürnbrand § 491 Rn. 6. 101 BGHZ 133, 71, 76f.; BGH NJW 2017, 243, Tz. 15f.; Staudinger/Kessal-Wulf § 491 Rn. 20;

MünchKomm/Schürnbrand § 491 Rn. 14.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

typisch gewerblichen Darlehen nicht auf den Sonderhorizont eines Verbrauchers einzulassen, weil andernfalls ein Mindestmaß an Rechtssicherheit nicht gewährleistet wäre.102 Dies ist indes mit den Zwecksetzungen der §§ 491ff., im Rahmen derer der individuelle Schutz des Darlehensnehmers im Vordergrund steht, schwer zu vereinbaren und dürfte heute nicht mehr § 512 Satz 2 entsprechen, der eine Umgehung des Verbraucherschutzes verhindern will. Schließlich widerspricht die Lehre dem Prinzip der Einzelwirkung bei der Gesamtschuld nach § 425.103 Nach diesem wirken Tatsachen im Zweifel nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Bestand und Inhalt jeder Einzelforderung werden also jeweils isoliert betrachtet. Erklären einzelne Verbraucher den Widerruf und verbleibt damit nur ein Teil der ursprünglichen Darlehensnehmer in der vertraglichen Bindung, verändert sich jedoch das Kreditrisiko für den Darlehensgeber. Die Praxis trägt dem durch analoge Anwendung des § 139 Rechnung: Im Zweifel ist danach der ganze Vertrag rückabzuwickeln.104 In Abweichung vom allgemeinen Verbraucherschutzrecht (Rn. 418) finden die §§ 491ff. nach § 513 auch Anwendung auf natürliche Personen, die sich ein Darlehen, einen Zahlungsaufschub oder eine sonstige Finanzierungshilfe für die Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gewähren lassen oder zu diesem Zweck einen Ratenlieferungsvertrag schließen (Existenzgründer). Allerdings gilt hier eine Höchstgrenze: Die Norm ist nicht mehr anwendbar, wenn der Nettodarlehensbetrag oder Barzahlungspreis 75.000 € übersteigt. (BGH 3.11.1999 – VIII ZR 35/99 = NJW-RR 2000, 719) LN betreibt bereits seit längerem einen Getränkeeinzel- und Großhandel, bei dem er Kaltgetränke über die Theke vertreibt. Mit LG schließt er einen Finanzierungsleasingvertrag in den Formen des § 506 Abs. 2 über einen Heiß- und Kaltgetränkeautomaten mit Rücknahmeeinrichtung für Pfandflaschen. Auf der Vertragsurkunde hat LN im Namen seiner Firma unterzeichnet. Bei der Gewerbepolizei meldet er die „Aufstellung von Versorgungsautomaten“ als eigenes Gewerbe an. Später übt er bzgl. dieses Vertrages jedoch das ihm vermeintlich zustehende Widerrufsrecht nach §§ 495, 506 Abs. 1 aus. LG besteht hingegen auf Zahlung der Leasingraten. Der Anspruch des LG aus § 535 Abs. 2 analog (dazu Rn. 717) scheitert hier an § 355 Abs. 1 Satz 1, wenn LG den Leasingvertrag wirksam nach §§ 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1, 495 Abs. 1 widerrufen konnte. Bei LG handelt es sich um einen Unternehmer. Fraglich ist, ob LN nach § 513 als Existenzgründer anzusehen ist.

Problematisch ist, ob von der Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit iSd. § 513 ausgegangen werden kann, obwohl der Leasingnehmer bereits in einem anderen Bereich gewerblich tätig war. Dies verneint eine im Schrifttum vertretene Auffassung mit der Überlegung, der Gewerbetreibende sei angesichts seiner geschäftlichen Erfahrenheit nicht mehr wie ein Verbraucher schutzbedürf102 MünchKomm/Ulmer, 4. Aufl. 2004, § 491 Rn. 39ff. 103 BGH NJW 2017, 243, Tz. 19; so auch Staudinger/Kessal-Wulf § 491 Rn. 20. 104 BGH NJW 2017, 243, Tz. 22.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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tig.105 Der BGH wendet die Norm jedoch entsprechend ihrem Wortlaut auch dann an, wenn das Darlehen zum Betrieb einer neuen gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit aufgenommen wird (S. 719).106 Er handelt sich damit Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Konkretisierung der Neuheit der Tätigkeit ein. So soll die echte Existenzgründung voraussetzen, dass die neue Tätigkeit von der alten klar abgegrenzt ist und nicht im Zusammenhang mit ihr steht, wobei es auf das äußere Erscheinungsbild ankommen soll (S. 719). Vorliegend habe der Leasingnehmer mit der alten Firma unterzeichnet und damit zu erkennen gegeben, dass er den Getränkeautomaten lediglich zur Ausweitung des bereits bestehenden Betriebs erwerbe. Auf die gewerbepolizeirechtliche Anmeldung könne es hingegen nicht ankommen (S. 719f.). Überzeugender erscheint die Gegenansicht:107 § 513 schützt danach den geschäftsunerfahrenen Darlehensnehmer vor typischen Darlehensrisiken. Bei der Gründung eines Zweitunternehmens ist dieser Schutzzweck aber meist nicht mehr berührt. Wer bereits unternehmerisch tätig ist, hat sich nämlich regelmäßig mit den praktischen Spielregeln der Finanzierung vertraut gemacht. Neu sind für ihn höchstens die Risiken, die von dem neuen, zu finanzierenden Geschäft ausgehen. Diese fallen aber in sein allgemeines Darlehensverwendungsrisiko (Rn. 671). § 513 passt daher bei der Gründung eines Zweitunternehmens grundsätzlich nicht. Der Nettodarlehensbetrag darf nach § 513 die Summe von 75.000 € nicht übersteigen. Fraglich ist, ob verschiedene Einzeldarlehen des Existenzgründers zusammenzurechnen sind. Dies wird teilweise dann bejaht, wenn die Darlehensverträge mit demselben Darlehensgeber abgeschlossen werden und eine wirtschaftliche Einheit zwischen den Darlehen besteht.108 Die Gegenauffassung stellt dagegen auf den Wortlaut ab und verneint die Anwendung des § 513 nur im Falle eines echten Rechtsmissbrauchs bzw. bei dem Versuch einer Erschleichung der Normvoraussetzungen.109 Für sie spricht der von der ersten Auffassung verwendete, jenseits von § 358 Abs. 3 Satz 2 aber unklare Begriff der wirtschaftlichen Einheit. In § 491 Abs. 2 Satz 2 sind einzelne Darlehensgeschäfte vom sachlichen Anwendungsbereich ganz ausgenommen. Beachtung verdient § 491 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, der eine Mindestschwelle für den Nettodarlehensbetrag (200 €) voraussetzt. Eine Parallele findet sich für den Teilzahlungskauf in § 506 Abs. 4.

105 Staudinger/Kessal-Wulf § 512 Rn. 9 mwN.; vgl. hier nur Scholz DB 1993, 261, 263; Böhner NJW 1992, 3135, 3136. 106 Vgl. auch BGH NJW 2002, 2029, 2030. 107 Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl. 2016, § 513 Rn. 7; Kessal-Wulf, in: FS Tolksdorf, 2014, S. 67, 74f. 108 Lwowski, in: WM-FG Heinsius, 1991, S. 49, 50; MünchKomm/Schürnbrand § 512 Rn. 7 mwN. 109 OLG Brandenburg NJW 2006, 159; Staudinger/Kessal-Wulf § 512 Rn. 4; Reinking/Nießen ZIP 1991, 79, 81.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

3. Formerfordernisse, Beratungs- und Prüfpflichten sowie die Rechtsfolgen ihrer Verletzung 651

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Der Verbraucherdarlehensvertrag unterliegt zum Schutz des Verbrauchers der qualifizierten Schriftform nach Maßgabe des § 492 Abs. 1. Die umfangreichen Pflichtangaben nach Abs. 2 der Norm sollen den Darlehensnehmer vor der auf ihn zukommenden Effektivbelastung warnen. Derselben Form unterliegt nach § 492 Abs. 4 Satz 1 auch die Vollmacht, die ein Darlehensnehmer zum Abschluss eines Verbraucherdarlehens erteilt. Dies bedeutet eine Abweichung vom Prinzip des § 167 Abs. 2, wonach die Vollmacht grundsätzlich ohne Beachtung der Form des Hauptgeschäftes erteilt werden kann. § 492 Abs. 4 Satz 1 zielt erkennbar auf Umgehungsschutz: Es soll vermieden werden, dass der Verbraucher eine für die Darlehensgeberseite tätige Person in formloser Weise umfangreich bevollmächtigt; die diesem gegenüber abgegebenen Belehrungen und Informationen laufen dann nämlich ins Leere.110 Die Rechtsfolgen des Formverstoßes unterwirft § 494 einer Sonderregelung, die § 125 Satz 1 verdrängt. Danach führt die Verletzung der Schriftform oder das Fehlen von Pflichtangaben zwar nach § 494 Abs. 1 zur Nichtigkeit. Eine Heilung erfolgt jedoch, wenn der Darlehensnehmer das Darlehen empfängt (Abs. 2). Dann vollzieht sich zugleich eine umfangreiche Vertragsänderung kraft Gesetzes: Geschuldet ist jetzt nur noch der gesetzliche Zinssatz (§ 246), wenn der Sollzinssatz (Nominalzinssatz iSd. § 489 Abs. 5), der effektive Jahreszins (§ 6 PAngV; Rn. 605) oder der Gesamtbetrag im Vertrag nicht angegeben ist (Abs. 2 Satz 2). Beim Gesamtbetrag handelt es sich um die Summe aus Nettodarlehensbetrag (Valuta) und den Gesamtkosten des Darlehensnehmers (Art. 247 § 3 Abs. 2 Satz 1 EGBGB). Ist der Sollzinssatz nur zu niedrig angegeben, verändert sich der effektive Jahreszins entsprechend (Abs. 3). Die Regelung trägt dem Schutz des Darlehensnehmers wesentlich effizienter Rechnung als die Rechtsfolge des § 125 Satz 1: Denn würde der Formverstoß zur Nichtigkeit des Darlehensvertrages führen, wäre der Darlehensnehmer einer sofort fälligen Leistungskondiktion des Darlehensgebers nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall iHd. des Nettodarlehensbetrags ausgesetzt, die er im Zweifel nicht finanzieren kann. Auch trägt die Vertragsanpassung dem Umstand Rechnung, dass der Darlehensnehmer das Darlehen für eigene Zwecke nutzen kann. Dann schuldet er auch ein Entgelt zu marktüblichen Bedingungen. Durch eine ähnliche Regelungstechnik schützen die §§ 504ff. den Darlehensnehmer beim Entstehen einer Darlehensverbindlichkeit durch Überziehungskredit, also durch ein Verbraucherdarlehen, das durch Überziehung eines Girokontos gewährt wird (§ 504 Abs. 1 Satz 1). Diese Darlehen zeichnen sich (wegen fehlender Kreditsicherung) durch besonders hohe Kontokorrentzinsen aus und stellen häufig den Einstieg in eine dauerhafte Verbraucherverschuldung dar. Davor soll der Verbraucher durch Information über die auf ihn zukommende 110 BT-Drucks. 14/7052, S. 201.

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Effektivbelastung (§ 504 Abs. 1 Satz 1 iVm. Art. 247 § 16 EGBGB), durch eine Beschränkung der Kündigungsfolgen (§ 504 Abs. 2) und vor allem durch eine Beratungspflicht der Bank über eine Umschuldungsmöglichkeit (§ 504a) geschützt werden. Letztere entsteht, wenn der Darlehensnehmer ununterbrochen über einen Zeitraum von sechs Monaten mehr als 75% des vertraglich eingeräumten Überziehungskreditvolumens in Anspruch nimmt (§ 504a Abs. 1). Gegenstand der Beratungspflicht sind kostengünstigere Finanzierungsalternativen und der Hinweis auf die Möglichkeit einer allgemeinen Schuldnerberatung (§ 504a Abs. 2). Die Norm beruht nicht auf europäischem Recht. Auch hat der Gesetzgeber auf eine einschneidende Rechtsfolge – etwa ein Pflichtangebot der Bank zu einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag (§ 491 Abs. 2 Satz 1) anstelle des teuren Überziehungskredits oder eine Schadensersatzpflicht – bewusst verzichtet.111 Daran zeigen sich die typischen Schwächen sog. Verhandlungspflichten, bei denen regelmäßig unklar bleibt, wann sie überhaupt verletzt sind und welche Rechtsfolgen sie zeitigen (Rn. 482). Unterbreitet die Bank kein Angebot, kommt immerhin eine Abmahnung auf der Grundlage von § 3a UWG in Betracht. Eine andere Regelung erfährt allerdings der Fall der bloß geduldeten Überziehung: Duldet die Bank eine – eigentlich nicht vertraglich vereinbarte – Überziehung des Girokontos, muss sie über die daraus resultierenden Belastungen informieren und ebenfalls ein Beratungsgespräch nach § 504a anbieten (§ 505 Abs. 1 und 2). Verletzt sie diese Pflichten, darf sie nur die Rückzahlung der Valuta, nicht aber sonstige Kosten oder Zinsen verlangen (§ 505 Abs. 3). Auch die §§ 505aff. beziehen sich auf den Abschluss des Verbraucherdarlehens und ziehen dabei die Konsequenz aus folgender Entscheidung:112 (EuGH 27.3.2014 – C-565/12 = NJW 2014, 1941 – Kalhan) Am 4. Mai 2011 schloss DN mit der Bank DG einen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag iHv. 38.000 Euro ab, rückzahlbar in 60 Monatsraten zu je 730,46 Euro bei einem festen jährlichen Sollzinssatz von 5,60% und einem effektiven Jahreszins von 5,918%. DG hat die Kreditwürdigkeit von DN zuvor nicht geprüft. DN ist aber durch die Rückzahlungsansprüche völlig überfordert und wendet gegen die Ansprüche von DG die unterlassene Kreditwürdigkeitsprüfung ein. Der Rückzahlungsanspruch sei daher „verwirkt“.

Die für das Verfahren entscheidende Frage lautete, ob die in Art. 8 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48 EG geregelte vorvertragliche Verantwortung für eine Kreditwürdigkeitsprüfung eine Obliegenheit darstellt, der die Bank im eigenen Interesse und zur Verhinderung bankenaufsichtsrechtlicher Maßnahmen nachkommt, oder ob diese als echte vorvertragliche Pflicht auch den Verbraucher schützt. Entgegen einer anderslautenden Tendenz im deutschen Recht (Rn. 689)113 verfolgt die Norm aus Sicht des EuGH den Zweck, „einen wirksamen Schutz der Verbraucher vor der unverantwortlichen Gewährung von 111 RegE BT-Drucks. 18/5922, S. 95f.; MünchKomm/Schürnbrand § 505a Rn. 15. 112 RegE BT-Drucks. 18/5922, S. 96f. 113 Vgl. noch BR-Drucks. 848/08, S. 152f.; MünchKomm/Schürnbrand § 505a Rn. 1.

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Krediten, die ihre finanziellen Möglichkeiten überschreiten und zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führen können“ (Tz. 43; Hervorhebung d.d. Verf.), zu bewirken. Das Gericht verlangt deshalb scharfe Sanktionen der Pflichtverletzung, die nicht allein in der Verwirkung des Anspruchs auf die vertraglich vereinbarten Sollzinsen liegen könnten (Tz. 52ff.). Diese Vorgaben setzt das deutsche Recht durch zwei Rechtsfolgen um: Bei mangelhafter Kreditwürdigkeitsprüfung schuldet der Darlehensnehmer nicht mehr den vertraglich vereinbarten gebundenen Sollzins, sondern nur noch die besonders niedrigen marktüblichen Sätze für besonders sichere, als Kapitalanlageformen gehandelte Obligationen (§ 505d Abs. 1). Hinzu tritt die weitreichende Rechtsfolge des § 505d Abs. 2: Der Darlehensgeber kann aus einer Pflichtverletzung des Darlehensnehmers, die im Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag steht, keine Ansprüche herleiten, wenn die Pflichtverletzung auf einem Umstand beruht, der im Rahmen einer ordnungsgemäßen Kreditwürdigkeitsprüfung erkannt worden wäre und dazu geführt hätte, dass der Darlehensvertrag nicht hätte geschlossen werden dürfen. Nach Auffassung des Gesetzgebers erklärt sich die Norm aus dem Grundsatz unzulässiger Rechtsausübung: Die mangelhafte Kreditwürdigkeitsprüfung stelle eine Pflichtverletzung des Darlehensgebers dar, aus der er keine Sekundäransprüche herleiten könne. Dies betrifft: „Ansprüche auf Verzugszinsen oder Rechtsverfolgungskosten ebenso wie etwaige sonstige materiell-rechtliche Ansprüche auf Ersatz weitergehender Schäden wegen Nichterfüllung. Anderes gilt für Ansprüche auf zivilprozessualer Grundlage wie etwa für den zivilprozessualen Kostenerstattungsanspruch nach den §§ 91ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) oder den Anspruch auf Ersatz von Kosten der Zwangsvollstreckung nach § 788 ZPO. Das Kündigungsrecht des Darlehensgebers für den Fall einer Pflichtverletzung seitens des Darlehensnehmers wird dagegen nicht berührt, soweit es nicht bereits durch § 499 Absatz 3 BGB eingeschränkt ist. Ein Anspruch des Darlehensgebers auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung scheidet demgegenüber ebenfalls aus.“114

Die dogmatische Einordnung des § 505d Abs. 2 als Fall unzulässiger Rechtsausübung setzt eine in §§ 505a bis 505c begründete Rechtspflicht des Darlehensgebers voraus, den Darlehensnehmer vor sich selbst und vor allem vor der eigenen finanziellen Überforderung zu schützen. In finanziellen Entscheidungen ist der Verbraucher jedoch frei; jenseits der §§ 105ff. existiert keine wirtschaftliche Geschäftsunfähigkeit von Verbrauchern (vgl. auch Rn. 1374); die Bank fungiert hier auch nicht als Betreuer außerhalb des Familienrechts.115 Bei Inkrafttreten der Norm erregte daher folgende fiktive Fallgestaltung öffentliches Aufsehen: Der vermögende 70jährige Rentner DN will im Herbst 2016 bei der Bank DG ein Darlehen für den seniorengerechten Umbau seines Hauses aufnehmen. Das Darlehen soll grundschuldgesichert sein und über 10 Jahre laufen. 114 RegE BT-Drucks. 18/5922, S. 103 auch zum Folgenden; Hervorhebungen nur hier. 115 MünchKomm/Schürnbrand § 505a Rn. 1: Die Norm weist deutlich über das Informations-

modell hinaus.

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Nach § 505a Abs. 1 Satz 2 darf der Darlehensgeber den Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag aber nur abschließen, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung die Wahrscheinlichkeit hervorgeht, dass der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen, die im Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag stehen, vertragsgemäß nachkommen wird (vgl. auch § 505b Abs. 2 Satz 2). Die durchschnittliche Lebenserwartung eines deutschen Mannes liegt in 2016 jedoch bei etwas über 78 Jahren. Deshalb ist eine Erfüllung der Pflichten aus § 488 Abs. 1 Satz 2 durch DN selbst unwahrscheinlich. Nahe liegt daher die Befürchtung, dass der Erbe des DN gegen seine Haftung aus § 1967 für die Darlehensschuld Einwendungen aus § 505d Abs. 1 und 2 geltend machen wird. Dies lässt es für DG ratsam erscheinen, den Vertragsschluss mit DN zu verweigern. Dieses Problem hat den Gesetzgeber zu einer weiteren Reform im Recht der Wohnimmobilien-Verbraucherdarlehensverträge für das Jahr 2017 veranlasst.116 Auf der Grundlage des künftigen § 505e sollen die Bundesministerien durch VO vorgeben dürfen, inwieweit Faktoren wie das Alter des Darlehensnehmers im Rahmen der erwähnten Wahrscheinlichkeitsprüfung in Ansatz gebracht werden können bzw. müssen.

Diese komplizierten Zusammenhänge und ihre Weiterungen werfen erneut die Frage auf, ob die §§ 505a bis 505c notwendig als Fall der Aufklärungspflichtverletzung verstanden werden müssen, oder ob sie nicht eher ein wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument mit beschränktem Zweck darstellen, das die kreditgebende Seite für eine finanzielle, nicht aber eine altersbedingte Überforderung in die Mitverantwortung nimmt: Eine teleologische Reduktion des § 505a Abs. 1 Satz 2 in diesem Sinne erscheint jedenfalls möglich. Denn eine Pflicht zur Aufklärung des Verbrauchers über dessen eigene Vermögensverhältnisse widerspricht zudem der allgemeinen Dogmatik der Aufklärungspflichten: Diese entstehen zu Lasten einer Vertragsseite nur dort, wo die Gegenseite sich nicht selbst schützen kann (Rn. 443, 1278). § 505d Abs. 1 und 2 setzen daher eher einen ökonomischen Anreiz, der die Banken zur Zurückhaltung bei der Kreditvergabe an erkennbar finanzschwache Verbraucher bewegen soll. Eine Sanktion für Pflichtverletzungen stellen sie nicht dar. Fraglich ist, wer im Rahmen des § 505d Abs. 2 die Beweislast für die Kausalität zwischen der mangelhaften Kreditwürdigkeitsprüfung des Darlehensgebers und dem späteren Zustandekommen des Vertrags trägt. Weil die Rechtsfolge für den Darlehensnehmer günstig ist, trägt dieser die Last im Ausgangspunkt.117 Dafür spricht auch folgende gesetzgeberische Überlegung: Der Darlehensnehmer hat die in § 505d Abs. 2 erwähnte Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 Satz 2 nicht zu vertreten, wenn der Darlehensgeber seine vermeintliche Pflicht aus § 505a verletzt.118 Nach § 280 Abs. 1 Satz 2 wiederum trägt der Darlehensnehmer die Beweislast für fehlendes Vertretenmüssen der eigenen Pflichtverletzung. Allerdings beruht die in § 505d Abs. 2 vorausgesetzte hypothetische Entscheidung des Darlehensgebers auf einer inneren Tatsache, über 116 RegE BT-Drucks. 18/10935, S. 40f. 117 MünchKomm/Schürnbrand § 505d Rn. 16; aA. Buck-Heeb NJW 2016, 2065, 2068. 118 RegE BT-Drucks. 18/5922, S. 103; § 505d Abs. 2 setzt selbst kein Vertretenmüssen voraus:

Buck-Heeb NJW 2016, 2065, 2068.

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die der Darlehensnehmer nicht aus eigener Kenntnis Beweis führen kann. Dieser Umstand und das Verständnis der §§ 505aff. als wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument legen es nahe, dass der Darlehensgeber die sekundäre Darlegungslast (dazu Rn. 1147) trägt und substantiieren muss, warum er bei hypothetischer Betrachtungsweise trotz vorhandener Indizien für eine Kreditunwürdigkeit einen Darlehensvertrag mit der anderen Seite geschlossen hätte. Eine Unklarheit beinhaltet auch § 505d Abs. 3. Danach findet § 505d Abs. 1 und 2 keine Anwendung, soweit der Mangel der Kreditwürdigkeitsprüfung darauf beruht, dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig Informationen iSd. § 505d Abs. 1 und 2 unrichtig erteilt oder vorenthalten hat. Beispiel DN, dem sein Arbeitsverhältnis zum Jahresende gekündigt wurde, nimmt im August des entsprechenden Jahres ein Darlehen über eine fünfstellige Eurosumme (Laufzeit drei Jahre) zur Finanzierung einer Antarktisreise auf. DG hat DN keine Fragen hinsichtlich der Fortdauer seines Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage von § 505b Abs. 1 gestellt, sondern auf die Schufa-Auskunft vertraut.

Das Tatbestandsmerkmal „vorenthalten“ in § 505d Abs. 3 legt eine allgemeine Offenbarungspflicht des Darlehensnehmers gegenüber dem Darlehensgeber über alle Umstände nahe, die für die Kreditwürdigkeitsprüfung relevant sind. Zweifel nährt nur der in dieser Norm in Bezug genommene § 505b, der den Darlehensnehmer nur auf Ermittlung des Darlehensgebers hin zur Auskunft verpflichtet (Abs. 1, Abs. 3 Satz 1). Dafür, dass der Darlehensnehmer jedoch auch aus eigener Initiative relevante Umstände offenbaren muss, spricht ein Argument aus § 499 Abs. 3 Satz 2: Enthält der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber wissentlich Informationen vor, die für die Kreditwürdigkeitsprüfung relevant sind, besteht ein Kündigungsrecht. Das Bestehen einer Offenbarungspflicht leuchtet auch deshalb ein, weil das Gesetz nicht dem Eingehungsbetrug nach § 263 StGB Vorschub leisten will. Bei grob fahrlässigem Verhalten des Darlehensnehmers kann der Darlehensgeber hingegen nicht kündigen (§ 499 Abs. 3 Satz 1 und arg. e Satz 2); doch entfällt die Sperrwirkung des § 505d Abs. 2 nach Abs. 3 der Norm, der auch grobe Fahrlässigkeit erfasst.119 4. Der Einwendungsdurchgriff gemäß § 359 Satz 1 und außerhalb dieser Norm 653

Beim drittfinanzierten Teilzahlungskauf tritt der Verbraucher zwei Vertragspartnern gegenüber: dem Verkäufer und dem Darlehensgeber, mit dessen Hilfe er den Kaufpreis gegenüber dem Verkäufer finanziert. In der Praxis hat sich sehr früh die Auffassung durchgesetzt, der Käufer dürfe unter bestimmten Voraussetzungen Einwendungen, die zunächst nur gegenüber dem Verkäufer aus dem 119 RegE BT-Drucks. 18/5922, S. 103f.

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Kaufvertrag bestehen, auch gegenüber dem Darlehensgeber geltend machen.120 Denn treten Verkäufer und Darlehensgeber während der Vertragsverhandlungen als Einheit gegenüber dem Käufer auf, entstehen Folgeprobleme, wenn einer der beiden Verträge rückabgewickelt werden muss: Kann der Käufer etwa aufgrund eines Mangels der Kaufsache gegenüber dem Verkäufer zurücktreten, bliebe er weiterhin aus dem Darlehensvertrag zur Tilgung und Zinszahlung verpflichtet, wenn das Darlehen als eigenständiges Geschäft angesehen würde. Das Gesetz löst diesen Konflikt über das Institut des Einwendungsdurchgriffs bei Verbundenheit von Darlehen und Teilzahlungskauf (§ 359 Satz 1). Kauf- und Darlehensvertrag sind danach verbunden, wenn sie eine wirtschaftliche Einheit iSd. § 358 Abs. 3 Satz 2 bilden. Liegt diese Voraussetzung vor, kann der Darlehensnehmer auf der Grundlage des § 359 Satz 1 die Zahlungen auf die Forderungen des Darlehensgebers nach § 488 Abs. 1 Satz 2 einstellen, wenn ihm aus dem Kaufvertrag ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Verkäufer zusteht. Die praktische Bedeutung des echten Einwendungsdurchgriffs nach § 359 Satz 1 tritt heute deutlich hinter der des Widerrufsdurchgriffs nach § 358 Abs. 1 zurück. Denn in den Fällen des AGAV-, Fernabsatz- und Verbraucherdarlehensvertrages kann der Verbraucher sich meist leichter über die Widerrufsrechte nach §§ 312g, 495 vom Vertrag lösen als unter den Voraussetzungen des § 359 Satz 1, weil diese Rechte nicht an Sachgründe gebunden sind. Die Lehre von der wirtschaftlichen Einheit ist jedoch im Zusammenhang mit der Lehre vom Einwendungsdurchgriff entstanden, sodass dieser am Anfang der Überlegungen stehen soll. Nach § 359 Satz 1 kann der Verbraucher die Rückzahlung des Darlehens verweigern, soweit Einwendungen aus dem verbundenen Vertrag ihn gegenüber dem Unternehmer, mit dem er den verbundenen Vertrag geschlossen hat, zur Verweigerung seiner Leistung berechtigen würden. Was ein verbundener Vertrag ist, legt dabei § 358 Abs. 3 Satz 1 fest: Ein Absatzgeschäft (Vertrag über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung) und ein Darlehensvertrag sind danach verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. (BGH 5.5.2015 – XI ZR 406/13 = BGHZ 205, 249 = NJW 2015, 2414) DG gewährt DN ein entgeltliches Darlehen, das zum Ende der Laufzeit in voller Höhe fällig ist (endfälliges Darlehen). Die Tilgung wurde während der Laufzeit ausgesetzt. Stattdessen trat DN dem DG die Ansprüche aus einer Kapitallebensversicherung mit der Versicherung V ab, deren Fälligkeit auf den Zeitpunkt der Endfälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs fiel. Die Kapitallebensversicherung war in 180 monatlichen Raten zu erbringen. DN hat das Darlehen mittlerweile wirksam widerrufen und fühlt sich daher auch nicht mehr an den Vertrag über die Lebensversicherung mit V gebunden. Die Einwendung der fehlenden Bindung an den Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag nach §§ 495 Abs. 1, 355 Abs. 1 Satz 1 kann DN der V nach § 358 Abs. 2 nur entgegenhalten, wenn der Versicherungsvertrag einen verbundenen Vertrag iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 darstellt. 120 Vgl. bereits RGZ 152, 283; BGHZ 3, 257; 5, 373; Abeltshauser ZIP 1990, 693ff.

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Der Fall verdeutlich die Bedeutung des Wortlauts von § 358 Abs. 3 Satz 1: Das Darlehen muss danach der Finanzierung des anderen Vertrages dienen. Die Kapitallebensversicherung wird durch das Darlehen jedoch nicht finanziert (Tz. 27). Eine analoge Anwendung der Norm lehnt der BGH wegen ihrer Sonderstellung ab (Tz. 30f.). Dies erscheint mit Blick auf andere Entscheidungen des BGH (Rn. 668) nicht unzweifelhaft, findet aber nun eine Bestätigung in der vollharmonisierenden Wirkung des Art. 3 lit. n i iVm. Art. 22 Abs. 1 Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG, wo dem nationalen Recht eine einschlägige Definition vorgegeben ist. Für diese Betrachtungsweise spricht im Ausgangspunkt auch die Durchbrechung des Prinzips der Relativität der Schuldverhältnisse. Es entspricht einem zentralen Grundsatz des Vertragsrechts, dass eine Vertragsseite durch den Vertragsschluss mit der anderen ihre Risiken auf die in der Person der Gegenseite liegenden Unwägbarkeiten und die Gefahren des konkret vereinbarten Leistungsaustauschs beschränken kann. Diese grundlegende Möglichkeit der Risikosteuerung ginge verloren, wenn sich die Vertragsseite auch mit Einwendungen Dritter auseinandersetzen müsste. Die Rechtsfolge des § 359 Satz 1 durchbricht dieses Prinzip, indem sie die Rechte aus dem Vertrag über die Sachleistung an das rechtliche Schicksal des Darlehensvertrags knüpft. Der Grund für diese Durchbrechung wiederum liegt in der wirtschaftlichen Einheit beider Verträge – ein Begriff, den das Gesetz nicht definiert (vgl. das Tatbestandsmerkmal „insbesondere“ in § 358 Abs. 3 Satz 2), jedoch in § 358 Abs. 3 Satz 2 anhand zweier Regelbeispiele erläutert: Danach ist eine wirtschaftliche Einheit insbesondere anzunehmen, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung des Verbrauchers finanziert, oder im Falle der Finanzierung durch einen Dritten, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Fälle stellt sich deshalb die Frage, wofür diese beiden Regelbeispiele genau stehen. Worum es beim Begriff der wirtschaftlichen Einheit von Darlehen und Absatzgeschäft genau geht, zeigt sich bei der Abgrenzung des verbundenen zum isolierten Anschaffungsdarlehen: Beispiel DN wendet sich an DG wegen eines Gelddarlehens. DG erfragt dessen Verwendungszweck. Als er erfährt, dass DN mit der Valuta den Kaufpreis für ein Kfz gegenüber V finanzieren will, besteht DG darauf, dass das Fahrzeug an ihn zur Sicherheit übereignet wird. DG tritt daraufhin mit V in Kontakt. Beide verständigen sich darüber, dass die Darlehensvaluta unmittelbar von DG an V ausgezahlt werden soll, damit V im Gegenzug das Eigentum an DG übertragen kann. DN ist gegenüber DG mit dieser Auszahlungsmodalität einverstanden. Was DN nicht weiß ist, dass DG und V ständig bei der Finanzierung von Fahrzeugkäufen zusammenarbeiten. Fraglich ist, ob DN und DG nur ein isoliertes Anschaffungsdarlehen vereinbart haben oder zwischen dem Darlehen und dem Kaufvertrag ein Verbund iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 besteht, weil beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden.

Im Anschluss an die Regelbeispiele des § 358 Abs. 3 Satz 2 konkretisiert die hM. den Begriff der wirtschaftlichen Einheit regelmäßig durch einen Katalog

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von Indizien.121 Nach § 358 Abs. 2 Satz 2 zweiter Fall kommt es zunächst darauf an, ob sich der Darlehensgeber bei Vorbereitung und Abschluss des Vertrags des Unternehmers bedient. Die Verteilung von Werbematerialien oder Antragsformularen des Darlehensgebers durch den Verkäufer sind einschlägige Beispiele. Vorliegend führt dies nicht weiter. Doch liegen hier andere Umstände vor, die üblicherweise als Indikatoren für eine wirtschaftliche Einheit angesehen werden: – Offensichtlich arbeiten Darlehensgeber und Teilzahlungsverkäufer ständig bei der Absatzfinanzierung zusammen (dauernde Geschäftsverbindung); – der Darlehensgeber stellt in der Beratung einen Zusammenhang zwischen Darlehen und Kauf her; – er lässt sich die Kaufsache zur Sicherheit übereignen und – zahlt die Valuta direkt an den Teilzahlungsverkäufer aus, sodass der Darlehensnehmer keine eigenständige Verfügungsmacht über diese hat. Allerdings ist die Indizwirkung dieser Umstände im Einzelnen umstritten. So stellen die Sicherungsübereignung und die Auszahlung der Darlehenssumme an den Verkäufer höchstens schwache Hinweise dar, weil ein solches Verhalten allein durch die Kreditsicherungsinteressen des Darlehensgebers motiviert sei und hinsichtlich der Einheit der Verträge wenig besage.122 Auch soll nicht jedes Wissen des Darlehensgebers um den Verwendungszweck des Darlehens schaden.123 Dafür spricht ein Umkehrschluss aus § 360 Abs. 2 Satz 2: Die Norm geht nämlich davon aus, dass die Voraussetzungen eines Widerrufsdurchgriffs nach § 358 Abs. 2 und 3 gerade nicht vorliegen, wenn die vom Verkäufer zur erbringende Leistung im Darlehen genau angegeben ist. Schließlich wird auch die Indizwirkung einer dauernden Zusammenarbeit zwischen Darlehensgeber und Verkäufer im Rahmen einer laufenden Geschäftsverbindung bezweifelt, wenn der Käufer von dieser im Einzelfall keine Kenntnis besitze, weil er dann nicht mit einer wirtschaftlichen Einheit rechne.124 Der Katalog der prägenden Merkmale, aber auch die Kritik an ihm lässt jedoch die Frage offen, worauf diese Indizien verweisen, worin also der Zweck der wirtschaftlichen Einheit genau besteht. Dass die hM. in diesem Punkt eher einsilbig ist, liegt in der sog. Trennungstheorie begründet. Diese geht davon aus, dass Verkäufer und Darlehensgeber auch in den Fällen des § 358 Abs. 3 Satz 1 zwei voneinander rechtlich zu trennende, eigenständige Verträge (Darlehens- und Kaufvertrag) abschließen. Maßgeblich soll dabei der in den AGB von Verkäufer und Darlehensgeber zum Ausdruck gebrachte Parteiwille

121 MünchKomm/Habersack § 358 Rn. 42f.; Staudinger/Herresthal § 358 Rn. 131f. 122 Dauner-Lieb WM 1991, Sonderbeilage Nr. 6, S. 1, 15; Canaris ZIP 1980, 7709, 21; Münch-

Komm/Habersack § 358 Rn. 43; Staudinger/Herresthal § 358 Rn. 132f. 123 Abeltshauser ZIP 1990, 693, 697. 124 Emmerich JuS 1971, 273, 277f.

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sein.125 Dies erklärt, warum in § 358 Abs. 3 Satz 2 nur von einer wirtschaftlichen, nicht von einer rechtlichen Einheit der Verträge die Rede ist. Damit verbunden ist aber ein Paradoxon: Die Einheit von Darlehen und Kaufvertrag soll zwar keine rechtliche sein, zeitigt aber dennoch Rechtsfolgen.126 Auf dieses Dilemma antworten die verschiedenen Einheitstheorien, die von einer rechtlichen Einheit als Verbund zweier Verträge ausgehen127 bzw. von einem neuen dreigliedrigen Typus des Austauschvertrages128 oder auch von einem gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss von Verkäufer und Darlehensgeber.129 Die Schwäche dieser Ansätze liegt in der Verlegenheit, diese kühnen Konstruktionen auf den Parteiwillen zurückzuführen: Gerade der Verbraucher überblickt die komplizierten Interessenverflechtungen zwischen Kredit- und Absatzwirtschaft am wenigsten. Er kann daher solch komplizierte Konstruktionen im Zweifel mangels einschlägiger Kenntnisse gar nicht wollen. Das eigentliche Problem der Trennungstheorie und der verschiedenen Einheitslehren liegt jedoch darin, dass sie die Rechtsfolge des § 359 Satz 1 aus dem Parteiwillen ableiten wollen. Rechtsgeschäftliche Pflichten beruhen jedoch nicht nur auf dem ausdrücklichen Willen der Parteien, sondern auch darauf, dass eine Willenserklärung ihrerseits einen Tatbestand für schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite bilden kann (Rn. 3f.). Einfacher formuliert: Der Schuldner ist nicht nur insoweit verpflichtet, als er ein ausdrückliches Versprechen abgibt (§ 241 Abs. 1 Satz 1), sondern auch insoweit, als der Gläubiger im Vertrauen auf dieses Versprechen berechtigte Erwartungen an dessen Erfüllung hat (§ 242). Bei § 358 Abs. 3 geht es aber nicht um den Willen der drei Beteiligten, sondern um den Schutz der berechtigten Erwartungen des Verbrauchers, die durch die Leistungsversprechungen von Darlehensgeber und Verkäufer geweckt wurden. Immer schon wurde die Auffassung vertreten, der Grund für den Einwendungsdurchgriff liege im Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium).130 Gerade dies scheint bei näherer Betrachtungsweise plausibel: Darlehensgeber und Verkäufer erscheinen nämlich vor allem dann nach §§ 358 Abs. 3 Satz 1, 359 Satz 1 verantwortlich, wenn sie bei der Vereinbarung der Hauptleistungspflichten gegenüber dem Verbraucher den Eindruck erweckt haben, in seinem Sinne zusammenzuwirken, ihm – schlichter formuliert – eine „Paketlösung“ anzubieten. Sie geraten daher in ei125 Abeltshauser ZIP 1990, 693, 694; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1397; Larenz, in: FS Mi-

chaelis, 1972, S. 193, 201f.; von Reinersdorff, Zur Dogmatik des Einwendungsdurchgriffs, 1984, S. 90. 126 Dazu Heermann AcP 200 (2000) 1, 15f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 344, 359ff. 127 Gernhuber, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 455, 470ff. 128 Vollkommer, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 703, 712ff.; ders./Koch Jura 1980, 469, 477. Ähnlich wohl auch Raiser RabelsZ 33 (1969) 457, 473. 129 Emmerich JuS 1971, 273, 279; vgl. auch den Ansatz von Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, 1998, S. 50ff., aus § 320 BGB: do ut des ut det. 130 Abeltshauser ZIP 1990, 693, 699; von Reinersdorff, Zur Dogmatik des Einwendungsdurchgriffs, 1984, S. 97ff.

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nen Selbstwiderspruch, wenn sie diesen Eindruck in ihren AGB nachträglich entkräften wollen und gegenüber dem Verbraucher bei der ersten im Kaufvertrag auftretenden Leistungsstörung eine gemeinsame Verantwortung ablehnen. Für die wirtschaftliche Einheit iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 kommt es folglich darauf an, ob Darlehensgeber und Verkäufer bei den Vertragsverhandlungen und der anschließenden vertraglichen Einigung Vertrauen in eine gemeinsame Verantwortung für das Gelingen von Finanzierung und Sachverschaffung geschaffen haben oder nicht. Ausgehend von diesem Zweck lassen sich deshalb die einzelnen Merkmale für eine wirtschaftliche Einheit richtig einordnen und anwenden: Zum Beispiel (Rn. 655): DG hat durch seine Erkundigungen über den Verwendungszweck des Darlehens gegenüber DN nicht den Eindruck erweckt, gemeinsam mit V Verantwortung im Leistungsstörungsfall zu übernehmen. Aus Sicht des DN ging es DG nämlich nur darum, die Risikostruktur des Darlehens zu ermitteln und mögliche Kreditsicherheiten in Erfahrung zu bringen. Deshalb spricht auch die Sicherungsübereignung der Kaufsache nicht für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit: DN konnte erkennen, dass DG nur auf einer Kreditsicherheit bestand. Auch die Verhandlungen des DG mit V und die Auszahlung des Darlehens an V konnten keinen anderen Eindruck begründen: Der Kaufpreis floss nur deshalb an V, damit dieser zur Sicherungsübereignung an DG bereit war (§ 320!). Hätte DG an DN gezahlt, wäre DG im Übrigen die Gefahr eingegangen, dass DN das Geld abredewidrig einem anderen Verwendungszweck zugeführt hätte; dann aber hätte DG das Sicherungseigentum von V nie erhalten! Dass DG und V schließlich häufiger miteinander kooperieren, war DN nicht bekannt und konnte deshalb keine Erwartungen im Hinblick auf eine wirtschaftliche Einheit von Darlehen und Kaufvertrag wecken.

Nach der Gegenauffassung kann § 358 Abs. 3 nicht auf Vertrauensschutz beruhen, weil der Verkäufer sonst die Rechtsfolge des Einwendungsdurchgriffs (§ 359 Satz 1) durch einseitige Erklärung gegenüber dem Verbraucher zerstören könne.131 Diese Auffassung setzt indes den Vertrauensschutz mit einer Rechtsscheinhaftung gleich. Die Rechtsscheinhaftung bildet jedoch nur einen Teil der Vertrauenshaftung. Vorliegend geht es um etwas ganz anderes: Das Verbot des Selbstwiderspruchs (venire contra factum proprium) nach § 242 beruht nämlich auf einer Selbstbindung aus Gründen des Vertrauensschutzes:132 Wenn Darlehensgeber und Verkäufer gegenüber dem Verbraucher den Eindruck einer „Paketlösung“ erwecken, schaffen sie zugunsten des Verbrauchers einen Vertrauenstatbestand, an den sie gebunden sind. Gegenstand dieser Bindung ist, dass nachfolgende Erklärungen, die diese Bindung infrage stellen sollen, wegen des Verbots des Selbstwiderspruchs nach § 242 oder auch nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 unbeachtlich sind.

131 MünchKomm/Habersack § 359 Rn. 25; ähnlich Fuchs AcP 199 (1999) 305, 318. 132 Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, 1956, S. 28; Canaris, Die

Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, 1971, S. 270f., 287ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 79ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 212f.

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Diesen Zusammenhang verdeutlich die Lehre von der protestatio facta contraria: Im „Falschparkerfall“ stellt eine Person ihr Fahrzeug auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz der Gemeinde ab und schließt bereits dadurch mit der Gemeinde einen Vertrag. Die nach dem Einparken abgegebene Erklärung, nicht zahlen zu wollen, da der Gemeingebrauch an der Parkfläche nicht wirksam aufgehoben sei, steht nach hM. dazu in einem Widerspruch und ist deswegen unbeachtlich.133 Die Gegenauffassung kritisiert, dass nach diesen Maßstäben auch Kaufverträge mit Ladendieben zustande kommen müssten, weil auch diese fremde Rechtsgüter beanspruchten.134 Damit verweist sie jedoch auf den zentralen Unterschied beider Fälle: Der Dieb schafft durch sein äußeres Verhalten kein Vertrauen in eine Selbstbindung, der Parkplatznutzer hingegen schon.135 Bei dem durch Selbstbindung vermittelten Vertrauensschutz stellt sich stets die Frage, ob eine Seite ein Maß an Verantwortung übernimmt, das zwangsläufig von einer rechtlichen Bindung begleitet sein muss. Die Bindung kann dann nicht nachträglich durch einseitige Erklärung zerstört werden. Gerade so ist es auch im Fall des § 358 Abs. 3.

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Eine Metapher, jedoch keine Antwort auf den Regelungszweck des § 358 Abs. 3 beinhaltet die Auffassung, beim Einwendungsdurchgriff bilde die Erfüllung des Kaufvertrages die Geschäftsgrundlage des Darlehensvertrages.136 Denn offen bleibt, nach welchen Sachvoraussetzungen dem Verbraucher „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann“ (§ 313 Abs. 1). Die Antwort auf die Frage nach dem Geltungsgrund des Einwendungsdurchgriffs hat dabei große praktische Bedeutung: Solange nämlich der Normzweck des § 358 Abs. 3 offen bleibt, muss § 359 Satz 1 als abschließende Sonderregelung des Einwendungsdurchgriffs verstanden werden,137 weil es keinen klar definierten Normzweck gibt, der es erlaubte, das Institut des Einwendungsdurchgriffs auf andere Fälle anzuwenden. Geht man indes davon aus, dass der Einwendungsdurchgriff auf dem Verbot des Selbstwiderspruchs beruht, kommt er auch außerhalb des § 359 Satz 1 in Betracht. Dies verdeutliche folgender Fall: (BGH 8.7.2009 – VIII ZR 327/08 = NJW 2009, 3295) Arzt LN least von LG im Wege des Finanzierungsleasing eine TV-Multimedia-Empfangsanlage mit Fernbedienung, die im Wartezimmer des LN installiert wird. Die monatliche Leasingrate beträgt 189,90 €. In den von LG gestellten AGB heißt es: „Leistungsstörungen im Verhältnis des Leasingnehmers zu Dritten berühren die Zahlungspflichten des Leasingnehmers nicht.“ Auf der Anlage lief das Programm des Senders V, der LN dafür eine monatliche Subvention von 170 € zahlte. 133 BGHZ 21, 319, 333ff.; Bork, AT, 3. Aufl. 2011, Rn. 744; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, S. 76; kritisch Medicus/Petersen Rn. 189, 191; Medicus/Petersen AT Rn. 249; Oechsler/Mihaylova Jura 2016, 833, 834. 134 Medicus, AT, 10. Aufl. 2010, Rn. 249; Leenen, AT-Rechtsgeschäftslehre, 2. Aufl. 2015, § 8 Rn. 61; Wolf/Neuner, AT, 10 Aufl. 2012, § 37 Rn. 47. 135 Medicus/Petersen Rn. 191. 136 MünchKomm/Habersack § 359 Rn. 27; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1422; Larenz, in: FS Michaelis, 1972, S. 201, 203f.; kritisch Fuchs AcP 199 (1999) 305, 319f. 137 So die hM.: BGHZ 168, 1 = NJW 2006, 2099, Tz. 25; BGH NJW 2004, 1376, 1378; MünchKomm/Habersack § 359 Rn. 20; aA. etwa Canaris ZIP 1993, 401, 411f.; Reinking FLF 1993, 174, 175; Staudinger/Herresthal § 359 Rn. 21.

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Beide Verträge wurden dem LN gemeinsam von X vermittelt. Als über das Vermögen des Senders V das Insolvenzverfahren eröffnet wird und die Zahlungen stocken, stellt LN auch die Zahlung der Leasingraten ein. LG besteht gegenüber LN hingegen auf Fortsetzung der Zahlungen. In Betracht kommt ein Anspruch des LG gegen LN aus § 535 Abs. 2 analog. Fraglich ist, ob LN diesem nach § 359 Satz 1 die Einwendung entgegenhalten kann, der Sponsoringvertrag mit V sei wegen Nichtleistung nach §§ 323 Abs. 1, 346 in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelt worden.

Auf den ersten Blick liegt die Überlegung nahe, den Leasingvertrag, auf den die Regelung über den Einwendungsdurchgriff (§ 359 Satz 1) gem. § 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 Anwendung findet, als das Absatzgeschäft anzusehen und den „Sponsoringvertrag“ als das Darlehen (dazu noch Rn. 735). Dies lässt § 506 Abs. 2 aber nicht zu: Denn diese Norm bezieht sich nur auf Finanzierungsgeschäfte, die dem Gelddarlehen vergleichbar sind. Diese Finanzierungsgeschäfte wiederum treten in § 359 Satz 1 an die Stelle des Darlehens, nicht des Absatzgeschäftes! Deshalb kommt es vorliegend darauf an, ob das Finanzierungsleasing den „Sponsoringvertrag“ finanziert und nicht umgekehrt. Weil diese Möglichkeit offensichtlich ausscheidet, kommt eine Anwendung des § 359 Satz 1 nicht in Betracht (Tz. 15). Stattdessen begründet der VIII. Senat einen Einwendungsdurchgriff aus allgemeinen Überlegungen heraus, und zwar jenseits von § 359 Satz 1 (Tz. 17). Diese Möglichkeit lehnt – wie gerade gesehen – der XI. Senat des BGH (Rn. 654) mit der hM. (Rn. 659) wegen des vermeintlich abschließenden Charakters von § 359 Satz 1 ab. Vorliegend sieht jedoch der VIII. Senat die im Sachverhalt erwähnte AGB-Klausel wegen ihres überraschenden Charakters nach § 305c Abs. 1 als nicht einbezogen an (Tz. 16ff.). Denn dem Leasinggeber sei bekannt gewesen, dass der Leasingnehmer (Arzt) sich auf den Erwerb der TVAnlage nur wegen deren weitgehender Kostenneutralität eingelassen habe (Tz. 17). In der Tat wird man dem Leasinggeber hier das Wissen des Vertragsvermittlers nach § 166 Abs. 1 zurechnen müssen. Wegen dieses Wissens aber habe der Leasinggeber den Antrag des Leasingnehmers nach §§ 133, 157 nur so verstehen können, dass ein Gesamtgeschäft aus Leasing- und „Sponsoringvertrag“ zustande kommen sollte (Tz. 17): „Die wirtschaftliche Einheit des Vertrages wurde durch die Annahme des Angebots des Beklagten [des Leasingnehmers, Ergänzung des Verf.] aus dessen maßgeblicher Sicht zum Vertragsinhalt“ (Tz. 17). Deshalb habe der Leasingnehmer nicht damit rechnen müssen, bei einem Zahlungsausfall des Fernsehsenders die Leasingraten aus eigenen Mitteln aufbringen zu müssen. Eine Zahlungspflicht sei daher ausgeschlossen (Tz. 18). Die Entscheidung überzeugt, weil sie den zentralen Rechtsgedanken des Einwendungsdurchgriffs in den Mittelpunkt der Begründung treten lässt: Es ist der gegen § 242 verstoßende Selbstwiderspruch eines Leasinggebers, der der Vertragsgegenseite gemeinsam mit einem Finanzier zunächst eine „Paketlösung“ aus Sachverschaffung und Finanzierung in Aussicht stellt, bei Auftritt

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von Leistungsstörungen auf der Seite des Finanziers daraus aber keine Konsequenz ziehen will. Die vom Leasinggeber gestellte AGB-Klausel, durch die eine Trennung beider Sphären vereinbart werden und dem Arzt das Risiko der Vertragstreue des Senders aufgebürdet werden sollte, kann danach keine Wirkung entfalten; im Zweifel verstößt sie gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2, weil sie eine Kardinalpflicht des Vertrages (Rn. 25, 435) nachträglich einschränkt oder ausschließt. Dogmatisch ordnet der BGH das Problem im Bereich der Auslegung der Willenserklärungen nach §§ 133, 157 ein, was wegen der Konkurrenz mit der vermeintlich abschließenden Regelung des § 359 Satz 1 verständlich erscheint. Tatsächlich zeigt der Fall deutlich, dass der Einwendungsdurchgriff auch jenseits von § 359 Satz 1 ein allgemeines, auch zugunsten von Unternehmern anwendbares Rechtsinstitut darstellt, das auf den vorgestellten Überlegungen (Rn. 657) beruht. Ganz allgemein ist das zivilrechtliche Denken im Vertragsrecht vom Modell des zweigliedrigen Austauschvertrages geprägt. Auch in der Sprache des vorliegenden Buches tritt der Verkäufer regelmäßig dem Käufer gegenüber. Wenig Raum ist deshalb für komplexere Strukturen, an denen die Beteiligten nicht nur auf zwei Seiten zusammenwirken. So begegnet man bei der rechtlichen Beurteilung dieser Strukturen etwa dem Argument, der Verbraucher dürfe durch den Abschluss eines drittfinanzierten Teilzahlungskaufs nicht schlechter stehen als in dem Fall, dass ihm nur eine Person als Finanzier und Verkäufer gegenüberstehe.138 Genau besehen fehlt diesem Satz jedoch die Rechtsgrundlage: Denn lässt sich der Verbraucher gleich auf zwei Vertragspartner ein, geht er ein besonderes Risiko ein, das ihm nicht schon deshalb abgenommen werden kann, weil es auf den Märkten auch eine weniger risikoreiche Rechtsgeschäftsalternative gibt. Niemand würde wohl behaupten, dass ein Mieter nicht schlechter behandelt werden dürfe als ein Entleiher, weil es sich jeweils um zwei eigenständige Formen des Leistungsaustauschs handelt. Deshalb ist auch der zweigliedrige (bipolare) Austauschvertrag kein Leitbild iSd. § 307 Abs. 2 Nr. 1, an dem komplexere Strukturen gemessen werden könnten. Im modernen Wirtschaftsleben vollziehen sich vielmehr immer komplizierter werdende Arbeitsteilungsprozesse zwischen Absatzwirtschaft, Kreditwirtschaft und sonstigen Finanzdienstleistern (zB. Kreditkartenunternehmen), von denen alle Beteiligten, auch der Verbraucher, profitieren. Damit geht eine jeweils ganz eigene Risikoverantwortung einher, die sich zum Teil vom Urbild des zweigliedrigen Leistungsaustauschs lösen muss.139

138 RegE BT-Drucks. 11/5462, S. 23; Larenz, in: FS Michaelis, 1972, S. 193, 201, 211. 139 Vgl. dazu nur Heermann AcP 200 (2000) 1, 16ff.; Rohe, Netzverträge – Rechtsprobleme

komplexer Vertragsverbindungen, 1998; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 411ff.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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5. Das Widerrufsrecht und der Widerrufsdurchgriff bei wirtschaftlicher Einheit

Das Widerrufsrecht des Darlehensnehmers nach § 495 Abs. 1 eröffnet dem Verbraucher die Möglichkeit, aus der Information über die Effektivbelastung des Verbraucherdarlehens (§ 492 Abs. 2) Konsequenzen zu ziehen. Übt der Darlehensnehmer sein Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 innerhalb der durch §§ 355 Abs. 2 Satz 1, 356b gesetzten Frist aus, ist er an seine Willenserklärung nicht mehr gebunden (§ 355 Abs. 1 Satz 1), und es findet eine Rückabwicklung nach § 357a statt. Von großer praktischer Bedeutung ist dabei § 357a Abs. 3. Danach schuldet der Darlehensnehmer für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens Nutzungsersatz iHd. vereinbarten Sollzinses. Diese Norm beendet das als „Widerrufsjoker“140 bezeichnete Problem, das sich in der durch die Europäische Zentralbank eingeleiteten extremen Niedrigzinsphase einstellte: Die Voraussetzungen der rechtmäßigen Belehrung über die Verbraucherwiderrufsrechte aus §§ 312g und 495 waren lange Zeit unklar, wobei geringste Fehler das Widerrufsrecht ewig fortbestehen ließen.141 Dies nutzten Darlehensnehmer aus, um mit Hilfe des Widerrufsrechts den ihnen unvorteilhaft erscheinenden Darlehensvertrag zu beenden und sich zu Niedrigzinsen auf den Märkten neu einzudecken. Ihnen kam dabei entscheidend eine Rechtsprechung des BGH zum Nutzungsersatz entgegen, die Bank und Verbraucher nach unterschiedlichen Grundsätzen gem. §§ 346 Abs. 2 Nr. 1, 347 Abs. 1 haften ließ: Hinsichtlich der Zahlungen, die die Bank vom Verbraucher empfangen hatte, wurde tatsächlich vermutet, dass sie von der Bank als professioneller Kapitalanlegerin zu einer Rendite iHd. Verzugszinses (§ 288) angelegt werden konnten. Der Verbraucher hingegen haftete lediglich auf einen monatlich ermittelten Wertersatz nach Maßgabe des jeweiligen Marktzinses für vergleichbare Darlehen, womit der Nutzungsersatz in einer Niedrigzinsphase entsprechend günstig ausfiel.142 Damit wurde die Vertragsbeendigung nach §§ 495, 355 Abs. 1 Satz 1 auch Jahre nach Vertragsschluss zu einem profitablen Geschäft. Die Kritik kritisierte vergeblich das offensichtlich Fehlen eines inneren Zusammenhangs zwischen dem Schutzzweck der Verbraucherwiderrufsrechte und der Rechtsfolge des § 355 Abs. 1 Satz 1. Den entwickelten Lösungsansätzen143 ist der BGH am Ende nicht gefolgt.144 Er zieht allenfalls die Möglichkeit einer Verwirkung des ewigen Widerrufsrechts als Möglichkeit in Betracht: Die Verwirkung eines Rechts beruht auf dem Rechtsgedanken unzulässiger Rechtsausübung (§ 242) und setzt voraus, dass die Gegenseite auf die Nichtausübung eines bestehenden Rechts durch den Berechtigten vertrauen darf. Vertrauenstatbestand ist dabei das Verstreichen einer nicht unerheblichen Zeit seit der Entstehung des Rechts (Zeitmoment) und ein auf dem Verhalten des Berechtigten beruhender Eindruck, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werden wird (Umstandsmoment). Im Hinblick auf letzteren verfährt der BGH jedoch streng: Die ununterbrochene Vertragstreue des Verbrauchers begründet das Umstandsmoment ebensowenig wie die Geringfügigkeit des vorangegangenen Belehrungs140 Schnauder NJW 2015, 2689; vgl. auch statt vieler die Darstellung bei Piekenbrock/Rodi WM

2015, 1085, 1087; Servais NJW 2014, 3748. 141 Zur Neuregelung durch Art. 229 § 38 Abs. 3 EGBGB etwa Omlor NJW 2016, 1265ff. 142 BGH NJW 2015, 3441, Tz. 7; Leitentscheidung: BGHZ 180, 123 = NJW 2009, 3572,

Tz. 19f. 143 OLG Stuttgart ZIP 2015, 2211, 2214; dazu auch Schnauder NJW 2015, 2689; andererseits: OLG Düsseldorf NJW 2014, 1599; Duchstein NJW 2015, 1409. 144 BGH NJW 2015, 3441, Tz. 7.

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fehlers durch die Bank.145 Mit der Nutzungsersatzhaftung nach § 357a Abs. 3 ist nun für Neuverträge der zentrale Anreiz für eine einschlägige Ausübung des Widerrufsrechts entfallen.

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Nach §§ 514f. gilt das Widerrufsrecht auch für unentgeltliche Darlehensverträge und Finanzierungshilfen (§§ 514f.). Die Regelungen gehen unmittelbar auf eine Anregung des Bundesrates zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie zurück und beziehen sich auf vorliegenden Fall:146 (BGH 30.9.2014 – XI ZR 168/13 = BGHZ 202, 302 = NJW 2014, 3719) DN erwirbt von V zwei Türen für 6.389,15 €. In den Geschäftsräumen des V unterschreibt er einen Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrages mit DG über eine Darlehenssumme in gleicher Höhe. Diesen Antrag nimmt DG später an. Der Vertrag sieht eine 0%-Finanzierung vor: DN muss die Darlehenssumme zurückzahlen, schuldet aber keine Zinszahlungen. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen DG und V zahlt DG an V allerdings nur 5.973,86 € aus. V hat nämlich iHd. Differenzbetrages einen Rabatt gegenüber seinem Baustofflieferanten erzielt, den er an DG „weitergibt“. Nachdem bei den Türen Mängel aufgetreten sind, tritt DN wirksam vom Kaufvertrag mit V zurück und steht auf dem Standpunkt, zur Rückzahlung des Darlehens an DG nicht verpflichtet zu sein. In Betracht kommt ein Anspruch von DG gegenüber DN auf Rückzahlung des Darlehens aus § 488 Abs. 1 Satz 2. Diesem kann DN die Einrede der Mangelhaftigkeit nach §§ 359 Satz 1, 320, 434 entgegenhalten, wenn der Kaufvertrag mit dem Darlehen iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 verbunden ist.

Fraglich ist, ob die vereinbarte 0%-Finanzierung Gegenstand eines Darlehensvertrags iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 ist. § 515 lässt daran – sofern von der Unentgeltlichkeit des Darlehens ausgeht – keinen Zweifel. Fraglich ist allerdings, ob es dieses Verweises überhaupt bedarf, weil ein unentgeltliches Darlehen vorliegt. Die Unentgeltlichkeit hatte der BGH bejaht (Tz. 18 und 20). Begründet wurde dies mit der Überlegung, die Rückzahlungspflicht des Darlehensnehmers beschränke sich auf den ausgezahlten Betrag (Valuta). Bewusst ließ das Gericht außer Betracht, dass der Darlehensgeber gegenüber dem Verkäufer einen geldwerten Vorteil in Gestalt des Mengenrabattes erzielte, der bei normalem Verlauf der Dinge an den Käufer (den Darlehensnehmer) weitergegeben worden wäre. Überzeugender argumentiert daher die Gegenauffassung:147 Nach ihr schuldet der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber sehr wohl ein Entgelt; er tilgt dieses nur einvernehmlich dadurch, dass er dem Darlehensgeber seinen Anspruch auf Mengenrabatt gegen den Verkäufer aus dem Kaufvertrag wirtschaftlich betrachtet „überlässt“. Da der Darlehensgeber die Valuta direkt an den Verkäufer auszahlt, realisiert sich nämlich der Vorteil des Mengenrabatts unmittelbar in seiner eigenen Person: Der Darlehensgeber muss nämlich an den Verkäufer nur den Differenzbetrag (Kaufpreis abzüglich des Mengenrabatts) 145 BGH NJW 2016, 3512, Tz. 37ff.; vgl. auch BGH NJW 2016, 3518, Tz. 39ff. 146 BR-Drucks. 359/15 (Beschluss) S. 3f.; dazu MünchKomm/Schürnbrand § 514 Rn. 4; zu

weiteren Problemen der Neuregelung Bülow/Artz ZIP 2016, 1204. 147 Riehm NJW 2014, 3692, 3695; zur Stellung des Dritten im Erfüllungsprozess: Staudinger/ Bittner § 267 Rn. 28f.; MünchKomm/Krüger § 267 Rn. 14.

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auszahlen, kann aber vom Darlehensnehmer (Käufer) die volle Summe (entspricht der Höhe des Kaufpreises) zurückfordern. Geht man davon aus, liegt in den vorliegenden Fällen ein entgeltliches Darlehen vor und die §§ 514f. regeln weitgehend ein Scheinproblem. Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach § 495 Abs. 1 aus, kann er sich zugleich von einem mit dem Darlehen in einer wirtschaftlichen Einheit (Rn. 654ff.) stehenden Absatzgeschäft lösen. Da auch die Absatzgeschäfte aus einer Reihe von Gründen widerrufen werden dürfen (vgl. §§ 312g (AGAV, Fernabsatzgeschäfte), 485 (Teilzeit-Wohnrechtegeschäfte, 650l (Verbraucherbauverträge)), kann es beim drittfinanzierten Teilzahlungskauf aus Sicht des Verbrauchers zu einer Konkurrenz der Widerrufsrechte kommen. Diesen Konflikt lösen die § 358 Abs. 1 und 2 so auf: Widerruft der Verbraucher das Absatzgeschäft, wird auch das mit diesem in einer wirtschaftlichen Einheit stehende Darlehen rückabgewickelt (Abs. 1). Hat der Darlehensnehmer hingegen den Verbraucherdarlehensvertrag nach § 495 Abs. 1 widerrufen, ist er auch an das dazu in wirtschaftlicher Einheit stehende Absatzgeschäft nicht gebunden (Abs. 2). (BGH 1.3.2011 – II ZR 297/08 = NJW 2011, 2198) Verbraucher DN kaufte einen Anteil an der E-Wohnungsbaugenossenschaft e.G., um unter Inanspruchnahme der staatlichen Eigenheimzulage Wohnungseigentum zu erwerben. Den Kauf finanzierte DN über die Bank DG, die sich der E bei der Vertragsanbahnung mit DN bedient hatte. Nach Auszahlung des Darlehens an E widerruft DN gegenüber DG den Darlehensvertrag wirksam aufgrund § 312g Abs. 1 und verlangt Rückzahlung der bereits erbrachten Tilgungs- und Zinszahlungen von DG. In Betracht kommt ein Anspruch des DN gegen DG aus §§ 358 Abs. 4 Satz 1, 355 Abs. 3 Satz 1. Zwischen DN und DG kam ein Darlehensvertrag zustande. Dieser ist angesichts des wirksamen Widerrufs des DN gegenüber DG (§ 312g Abs. 1) nach § 358 Abs. 4 Satz 5 einheitlich über DG rückabzuwickeln, wenn der Erwerb des Genossenschaftsanteils und der Darlehensvertrag verbundene Verträge darstellen.

Nach § 358 Abs. 3 Satz 1 kann ein Darlehen nur mit einem Vertrag über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung eine wirtschaftliche Einheit bilden. Bei diesem Vertragstyp lassen sich die im Synallagma stehende Leistung und die Gegenleistung klar voneinander abgrenzen. Dies trifft auf den Beitritt zu einer Gesellschaft nicht zu. Denn hier ist die dem Beitretenden auferlegte Zahlungspflicht nicht eine Leistung, die der Gegenseite zufließt. Vielmehr gelangt sie als Einlage (vgl. die Grundnorm § 705 zweiter Halbsatz) in das Vermögen der Gesellschaft und kommt dabei mittelbar auch dem Beitretenden wieder zugute. Denn mit den als Einlage zur Verfügung gestellten Finanzmitteln wird die Gesellschaft in Zukunft weiter wirtschaften. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. bereits Rn. 555)148 wendet der BGH § 358 Abs. 3 Satz 1 dennoch in den Fällen an, in denen der Erwerb eines Anteils an der Gesellschaft als reine Kapitalanlage fungiert (Tz. 12ff.). Für 148 EuGH, Urt. v. 15.4.2010 – C-215/08 = Slg. 2010, I-2947, Tz. 34.

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diese Betrachtungsweise sprechen zwei Argumente: Dem Beitretenden geht es in Fällen der vorliegenden Art nicht um den Erwerb eines Mitgliedschaftsrechts; denn er hat weder ein Interesse, auf den laufenden Geschäftsbetrieb der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, noch wird ihm die dafür erforderliche Rechtsstellung verliehen. Zum anderen aber kann es keinen Unterschied machen, ob ein Kapitalanleger einen Anteil an einer Genossenschaft erwirbt, die Eigentümerin einer Immobilie ist und daraus Erträge erwirtschaftet, oder ob er selbst eine Immobilie erwirbt (etwa eine Eigentumswohnung). In beiden Fällen handelt es sich um eine Kapitalanlage. Diese liegt immer vor, wenn eine Person einer anderen finanzielle Mittel überlässt, damit die andere Person daraus eine Rendite erwirtschaftet und diese dem Kapitalgeber überlässt (Rn. 1287). Die Rechtsfolgen der Ausübung des Widerrufs regelt § 358 Abs. 4. Nach Satz 5 ist zu unterscheiden, ob das Darlehen bereits dem Unternehmer zugeflossen ist oder nicht. Vor der Auszahlung vollzieht sich die Rückabwicklung im jeweiligen Leistungsverhältnis: Der Darlehensvertrag wird im Verhältnis von Darlehensnehmer und Darlehensgeber nach §§ 357, 346ff. rückabgewickelt, der finanzierte Kauf hingegen im Verhältnis von Verbraucher und Verkäufer nach §§ 358 Abs. 4 Satz 1, 357, 346ff. Anders beurteilt sich die Rechtslage, wenn das Darlehen dem Unternehmer zugeflossen ist. Dann tritt der Darlehensgeber nach § 358 Abs. 4 Satz 5 in die Rechte und Pflichten des Verkäufers ein.149 Auf diese Weise schützt das Gesetz den Verbraucher davor, die Darlehensvaluta zunächst vom Verkäufer zurückfordern und dann an den Darlehensgeber zurückgewähren zu müssen. Dies rechtfertigt sich aus zwei Überlegungen:150 Der Verbraucher hat regelmäßig keine freie Verfügungsmacht über das Darlehen; dieses ist vielmehr zweckgebunden und wird vom Darlehensgeber idR. unmittelbar an den Verkäufer ausgezahlt. Ferner ist beim drittfinanzierten Teilzahlungskauf regelmäßig nicht der Verkäufer, sondern der Darlehensgeber federführend. Eine Mindermeinung will in dieser Norm zum Schutz des Verbrauchers einen Fall des gesetzlichen Schuldbeitritts des Darlehensgebers zum Kaufvertrag erkennen: Danach soll der Verbraucher wählen dürfen, ob er den Verkäufer oder den Darlehensgeber in Anspruch nimmt.151 Der Vorteil dieser Sichtweise liegt darin, dass dem Verbraucher nicht das Insolvenzrisiko des Darlehensgebers aufgebürdet wird, sondern er sich bei dessen Vermögensverfall weiterhin an den Verkäufer halten kann. Die hM. stellt hingegen auf den Normwortlaut ab („tritt […] ein“). Nach ihrer Vorstellung will die Norm verhindern, dass die im Synallagma stehenden Rechte und Pflichten des Verbrauchers auf zwei Personen aufgespalten werden. Dabei überzeugt das Argument, dass dem Verkäufer bei einem Schuldbeitritt des Darlehensgebers auch weiterhin seine eigenen Rechte gegenüber dem Verbraucher zustünden: Der 149 BGHZ 180, 123 = NJW 2009, 3572, Tz. 26; BGHZ 131, 66 = NJW 1995, 3386, 3388. 150 MünchKomm/Habersack § 358 Rn. 82; Staudinger/Kessal-Wulf, Bearbeitung 2012, § 358

Rn. 67. 151 Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl. 2016, § 495 Rn. 381ff.

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Verbraucher sähe sich daher weiterhin den Ansprüchen von zwei Prätendenten ausgesetzt. Deshalb sprechen die besseren Argumente dafür, dass nach § 358 Abs. 4 Satz 5 die Rechte und Pflichten des Verkäufers aus dem nicht wirksamen Kaufvertrag kraft Gesetzes auf den Darlehensgeber übergehen; dieser wird auch in einem Prozess aktiv- und passivlegitimiert.152 Aus dem Dreipersonenverhältnis Verkäufer-Darlehensgeber-Verbraucher wird so ein Zweipersonenverhältnis, im Rahmen dessen sich Darlehensgeber und Verbraucher gegenüberstehen. Im Beispielsfall (Rn. 664) liegen nicht nur die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 1 vor, sondern auch die des § 358 Abs. 4 Satz 5, weil das Darlehen bereits ausgezahlt war. DN kann daher von DG sowohl die Rückabwicklung des Darlehens- als auch des Kaufvertrags verlangen, weil DG in die Rechte und Pflichten der E eintritt.

Die zentrale Anwendungsfrage des § 358 Abs. 4 Satz 5 besteht im Einzelfall darin, in welchem Zeitpunkt das Darlehen dem Unternehmer zugeflossen ist: (BGH 11.10.1995 – VIII ZR 325/94 = BGHZ 131, 66 = NJW 1995, 3386) DN hat im Autohaus V einen Neuwagen gekauft und dabei 2.500 € angezahlt. Der Restkaufpreis wurde von dem Kreditinstitut DG finanziert, das sich der Mitwirkung des V beim Abschluss des Darlehensvertrages bedient. Im Darlehensvertrag wurde DN über das Widerrufsrecht ordentlich belehrt. DN widerrief den Darlehensvertrag innerhalb der gesetzlichen Frist in einem Schreiben, das an V gerichtet war; dieses ging am 13.3. ein. Mit Datum desselben Tages erreichte V ein Verrechnungsscheck des DG iHd. Kaufpreissumme (= Darlehensvaluta). Hier stellte sich die Frage, ob DN die gegenüber V geleistete Anzahlung iHv. 2.500 € von DG zurückverlangen kann.

Ein Anspruch aus §§ 358 Abs. 4 Satz 1, 355 Abs. 3 Satz 1, 357a Abs. 1 auf Rückgewähr der Anzahlung iHv. 2.500 € steht dem DN gegenüber DG nur zu, wenn die Voraussetzungen des § 358 Abs. 4 Satz 5 vorliegen. Dazu müsste DN zunächst wirksam widerrufen haben. Der Widerruf ist allerdings gegenüber V erklärt worden. Soweit es um die wirksame Ausübung des Widerrufs geht, sieht das Gericht den Verkäufer im Falle des verbundenen Geschäfts grundsätzlich als Empfangsboten des Darlehensgebers an (S. 3387). Deshalb stellt sich die Frage, ob bei Wirksamwerden des Widerrufs das Darlehen bereits dem Verkäufer zugeflossen war. Nach Auffassung des BGH ist die Rechtsfolge des § 358 Abs. 4 Satz 5 so einschneidend, dass sie dem Verkäufer nur zuzumuten ist, wenn dieser die Darlehensvaluta so empfangen hat, dass bei einem wirksamen Kaufvertrag Erfüllung der Kaufpreisschuld eingetreten wäre. Dies setzt voraus, dass der Betrag im Zeitpunkt des Zugangs des Widerrufs (dann wird dieser ja erst iSd. § 358 Abs. 4 Satz 5 wirksam) ausgezahlt, gutgeschrieben oder verrechnet ist. Bei der Übersendung eines Schecks ist dies noch nicht der Fall, weil der Berechtigte nur eine abstrakte Verbindlichkeit gegenüber dem Darlehensgeber, nicht aber einen echten Zufluss von Zahlungsmitteln gewärtigt. Aber auch 152 BGHZ 131, 66 = NJW 1995, 3386, 3388.

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wenn die Auszahlung und der Widerruf zeitlich zusammenfallen, ist die Norm nicht anwendbar, weil der Normwortlaut voraussetzt, dass das Darlehen „bereits“, also zuvor, zugeflossen ist (S. 3388). Dem liegt auch die Überlegung zugrunde, dass der Rückgriff des Darlehensgebers auf den Verkäufer im Gesetz nicht geregelt und daher mit Unsicherheiten belastet ist; deshalb muss der Darlehensgeber die Voraussetzungen des § 358 Abs. 4 Satz 5 sicher steuern können (S. 3388). Der Nachteil dieser Sichtweise liegt darin, dass die Person des Anspruchsgegners für den Verbraucher nur dann feststeht, wenn er in Erfahrung bringt, wann genau das Darlehen an den Verkäufer ausgezahlt wurde. Dabei handelt es sich aber um eine Information aus dem Innenverhältnis zwischen Verkäufer und Darlehensgeber, die dem Verbraucher nicht unmittelbar zugänglich ist. Die Rechtsprechung räumt deshalb dem Dritten einen Auskunftsanspruch gegen den Darlehensgeber ein (S. 3288). Dies bedeutet jedoch, dass der Verbraucher im Zweifel zunächst den Darlehensgeber auf Auskunft verklagen muss, um in einem Folgeprozess möglicherweise gegen den Verkäufer vorgehen zu müssen. Nicht geregelt ist die Frage, wie im Anschluss an die Rückabwicklung nach § 358 Abs. 4 Satz 5 der Regress des Darlehensgebers gegen den Verkäufer stattfindet. Im Hinblick auf den Wert der Darlehensvaluta erlaubt der BGH hier eine Durchgriffskondiktion des Darlehensgebers gegen den Verkäufer aus § 812 Abs. 1 Satz 1 (wohl zweiter Fall).153 Darin liegt jedoch ein Bruch mit der herrschenden Dogmatik des Leistungsbegriffs im Bereicherungsrecht.154 Denn der Darlehensgeber zahlt auf eine Anweisung des Darlehensnehmers hin. Dies hat grundsätzlich zur Folge, dass die Rückabwicklung in den jeweiligen Leistungsverhältnissen (Darlehensgeber-Darlehensnehmer und Darlehensnehmer-Verkäufer) stattfinden muss. Nach einer Auffassung soll der Widerruf des Verbrauchers jedoch auch die bereicherungsrechtliche Anweisung erfassen.155 Dann läge aber immer noch eine fehlerhafte Anweisung vor, die bereicherungsrechtlich so behandelt wird wie die wirksam erteilte.156 Erwogen wird auch eine „Eigenleistung des Darlehensgebers auf die fremde Schuld“, die § 267 unterfallen soll, sodass ein eigenständiges Leistungsverhältnis zwischen Darlehensgeber und Verkäufer entstehe.157 Im Falle des § 267 liegt aber gerade kein Leistungsverhältnis zwischen dem Zahlenden und dem Zahlungsempfänger vor; auch zahlt der Darlehensgeber hier erkennbar auf eine fremde Schuld. Diese Überlegungen zeigen, dass vorliegend eine Regelungslücke besteht, die durch analoge Anwendung des § 358 Abs. 4 Satz 5 im Wege eines actus contrarius zu schließen ist: Wie der Darlehensgeber im Verhältnis zum Verbraucher zunächst an die Stelle des Verkäufers rückt, tritt er danach im Verhältnis 153 BGHZ 133, 254 = NJW 1996, 3414, 3416. 154 Vgl. hier nur Medicus/Petersen BR Rn. 675ff.; MünchKomm/Schwab § 812 Rn. 52ff. 155 Erwogen von Staudinger/Kessal-Wulf, Bearbeitung 2012, § 358 Rn. 71; nun auch Staudin-

ger/Herresthal § 358 Rn. 218ff. 156 Medicus/Petersen BR Rn. 676. 157 Ebenfalls Staudinger/Kessal-Wulf, Bearbeitung 2012, § 358 Rn. 71.

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zum Verkäufer in die Position des Verbrauchers ein.158 Denn nur so können die Folgen der ganz eigenartigen Neuordnung der Rechtsverhältnisse durch § 358 Abs. 4 Satz 5 am Ende ausgeglichen werden. § 360 regelt Fälle des zusammenhängenden Vertrages. Dies sind Verträge, die die Voraussetzungen eines verbundenen Vertrages nach § 358 Abs. 3 nicht erfüllen (§ 360 Abs. 1 Satz 1), bei denen aber dennoch die Rechtsfolgen des Widerrufsdurchgriffs (nicht aber des Einwendungsdurchgriffs nach § 359 Satz 1159) passen. § 360 Abs. 2 Satz 2 regelt den Spezialfall, in dem die Leistung des Unternehmers aus dem widerrufenen Vertrag in dem Darlehensvertrag genau angegeben ist. Dem Gesetzgeber geht es dabei um eine „eine Identifizierbarkeit des Vertragsgegenstandes. Eine bloße Typenbeschreibung ist daher noch nicht ausreichend.“160 Durch den präzisen Bezug des Darlehensvertrags auf den Warenabsatzvertrag wird beim Verbraucher Vertrauen161 im Hinblick auf die zusammenhängende Erfüllung bzw. Rückabwicklung der Verträge geschaffen.162 Teilweise wird dafür auf eine sachenrechtliche Bestimmtheit zumindest im Fall der Stückschuld abgestellt.163 Wegen der unterschiedlichen Zwecksetzung des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes erscheint dies jedoch fraglich. Die Anforderungen daran dürften jedoch in jedem Fall hoch sein. Eine Spezifizierung der Leistung des Unternehmers nach Abschluss des Darlehensvertrages kommt dabei in keinem Fall in Betracht.164 § 360 Abs. 1 Satz 1 erweitert den Widerrufsdurchgriff auf Verträge, die einen Bezug zum widerrufenen Vertrag aufweisen. Die europarechtlichen Vorgaben der Norm beziehen sich vor allem auf Fernabsatzverträge, worauf der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich jedoch nicht beschränken will.165 Beispiel K bestellt beim Internethändler V im Wege des Fernabsatzgeschäfts eine Fotokamera und dazu gleich einen Ersatzakku, den ein Drittanbieter auf der Website des V immer dann inseriert, wenn dort eine Fotokamera dieses Typs bestellt wird. Später widerruft K gegenüber V den Kaufvertrag über die Fotokamera nach § 312g Abs. 1.

Auf die Verhältnisse des Darlehensgeschäfts gewendet, geht es um Verträge, die der Erfüllung des Darlehensvertrages dienen, wie die Vereinbarung von Versicherungs- und Kontoführungsverträgen oder auch einer Restschuldversicherung.166 Die Rechtsprechung des BGH schränkt die Bedeutung der Norm in diesem Bereich jedoch durch die unmittelbare Anwendung des § 358 Abs. 3 ein: 158 Dauner-Lieb WM 1991, Sonderbeilage Nr. 6, S. 1, 21; wohl im Schrifttum hM., vgl. MünchKomm/Habersack § 358 Rn. 89. 159 Dazu RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 68. 160 RegE BT-Drucks. 16/11643, S. 73. 161 MünchKomm/Habersack, 6. Aufl., § 359a Rn. 4: Rechtsschein. 162 Im Ergebnis wohl ähnlich Habersack, in: FS Picker, 2010, S. 327f., 333f. 163 MünchKomm/Habersack § 360 Rn. 11; Staudinger/Herresthal § 360 Rn. 24. 164 RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 68. 165 RegE BT-Drucks. 17/12637, S. 67. 166 Staudinger/Herresthal § 360 Rn. 18.

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(BGH 15.12.2009 – XI ZR 45/09 = BGHZ 184, 1 = NJW 2010, 531- Restschuldversicherung) Verbraucher DN vereinbart ein Allgemein-Verbraucherdarlehen mit der Bank DG; durch einen Teil der Valuta wurde eine Restschuldversicherung getilgt, die DN mit Versicherungsträger X abgeschlossen hatte. Diese sicherte den Rückzahlungsanspruch der DG gegen DN im Falle des Todes, der Arbeitsunfähigkeit oder der Arbeitslosigkeit von DN ab. Der Vertragsschluss über das Darlehen und die Restschuldversicherung erfolgten zeitgleich, wobei sich die Restschuldversicherung ausdrücklich auf den Darlehensvertrag zwischen DG und DN bezog. DG hatte DN über sein Widerrufsrecht nach § 495 belehrt, allerdings keine Belehrung nach Art. 247 § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b EGBGB über die Rechte aus § 358 erteilt. Kann DN das Darlehen noch nach einem halben Jahr widerrufen? Das Widerrufsrecht nach § 495 könnte nach § 356b Abs. 2 Satz 1 noch nicht erloschen sein. Die Belehrung nach Art. 247 § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b EGBGB ist gemäß § 492 Abs. 2 zu erteilen. Deshalb ist auf ihre Versäumnis § 356b Abs. 2 Satz 1 anwendbar. Wird sie versäumt, beginnt die Widerrufsfrist erst mit der Nachholung der Belehrung nach § 492 Abs. 6 zu laufen.

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Die Belehrung nach Art. 247 § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. b EGBGB muss allerdings nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 1 vorliegen. Diese Norm wiederum setzt voraus, dass das Darlehen der Finanzierung der Restschuldversicherung iS. dieser Vorschrift „dient“. Die Vorinstanz hatte noch kritisiert, dass die Restschuldversicherung der Rückzahlung des Darlehens diene und nicht umgekehrt.167 Für den BGH ist hingegen der Normzweck ausschlaggebend, den Verbraucher in den Fällen des verbundenen Geschäfts von dem Aufspaltungsrisiko zu entlasten (Tz. 25; wesentlich strenger allerdings: Rn. 654). Dafür spricht zunächst, dass für die Anwendung des § 358 Abs. 3 Satz 1 die von den Parteien verfolgten Finanzierungszwecke nicht den Ausschlag geben dürfen, sondern höchstens als Indizien für die wirtschaftliche Einheit dienen können.168 Auch überzeugt die Argumentation mit der Schutzbedürftigkeit des Darlehensnehmers im Hinblick auf das Aufspaltungsrisiko. Fraglich ist dennoch, ob diese weitgehende Rechtsprechung mit der vollharmonisierenden Funktion des Art. 3 lit. n der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/ EG zu vereinbaren ist (Art. 22). Zu beachten ist im systematischen Zusammenhang mit § 360 Abs. 2 Satz 1 ferner, dass der Abschluss von Immobilien-Verbraucherdarlehensverträgen nach § 492a Abs. 1 Satz 1 nicht an den Erwerb sonstiger Finanzprodukte (zB. Lebensversicherung) gekoppelt werden darf. Bei einem Verstoß ist nämlich der koppelnde Vertrag (nicht das Immobiliardarlehen) nach Abs. 2 der Norm nichtig (Ausnahmen nach § 492b). Bemerkenswert erscheinen schließlich noch die Fälle, in denen der Verbraucher trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 1 nur das Darlehen widerrufen möchte und nicht das Absatzgeschäft. Dies muss zum Schutz des Verbrauchers möglich sein. Denn möglicherweise will er das Absatzgeschäft aufrechterhalten und kann es auf andere Weise finanzieren.169 167 OLG Köln ZIP 2009, 710, 712; kritisch Sänger/Wigand ZGS 2009, 447. 168 Ähnlich Bülow LMK 2010, 298835. 169 Pfeiffer ZGS 2008, 409ff.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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6. Die Nachbildung des Einwendungs- und Widerrufsdurchgriffs beim Immobiliardarlehen a) Überblick

Eine nicht äußerlich im Vordergrund stehende, dennoch zentrale Rechtsfolge des Einwendungsdurchgriffs nach § 359 Satz 1 besteht darin, dass der Darlehensnehmer einen Teil seines auf die Darlehensvaluta bezogenen Verwendungsrisikos auf den Darlehensgeber abwälzen kann. Denn ob der Darlehensnehmer mit der Valuta seine Ziele gegenüber einem Drittunternehmer erreicht, oder ob er bspw. wegen Leistungsstörungen diesem gegenüber scheitert, fällt grundsätzlich in seinen eigenen Verantwortungsbereich und nicht in denjenigen des Darlehensgebers. Die in § 359 Satz 1 liegende Ausnahme von dieser Regel beruht auf der Durchbrechung des Prinzips der Relativität der Schuldverhältnisse (Rn. 654) und weicht auch von einem weiteren Grundsatz des BGB ab: Denn den §§ 119 Abs. 2, 313 Abs. 2, 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lässt sich der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, dass einseitige Vorstellungen, Wünsche und Pläne einer Vertragspartei auf den Inhalt vertraglicher Rechte und Pflichten keinen Einfluss haben (vgl. bereits Rn. 116). Die Frage, ob der Darlehensnehmer ausnahmsweise einen Teil seines Verwendungsrisikos auf den Darlehensgeber abwälzen kann, stellt sich vor allem im Bereich der Immobiliardarlehen unter eigenen Vorzeichen. Denn § 358 Abs. 3 Satz 3 beschränkt hier die Fälle wirtschaftlicher Einheit auf Ausnahmekonstellationen. Nach dieser Norm ist beim finanzierten Erwerb eines Grundstücks eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn der Darlehensgeber selbst das Grundstück verschafft oder wenn er über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinaus den Erwerb des Grundstücks oder grundstücksgleicher Rechte durch Zusammenwirken mit dem Unternehmer fördert, indem er sich dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu Eigen macht, bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernimmt, oder den Veräußerer einseitig begünstigt. Über die tragenden Gründe des § 358 Abs. 3 Satz 3 herrscht bis heute wenig Klarheit. Der II. Senat des BGH rechtfertigte die Norm vorübergehend aus dem Umstand, dass hier ein Notar die Parteien, bspw. bei der Bestellung von Grundpfandrechten, belehre,170 was jedoch nicht zwingend ist, wenn die zur Bestellung führenden Erklärungen der Parteien nicht notariell beurkundet, sondern – was ausreicht – nur beglaubigt werden.171 Der Gesetzgeber führt den Unterschied auf die Eigenarten der Immobiliardarlehen zurück.172 Historisch liegt jedoch eine Sonderentwicklung zugrunde, deren Voraussetzungen heute weitgehend vergessen sind.173 Ursprünglich waren die im Reisegewerbe abge170 BGH NJW 2004, 2736, 2739. 171 So der XI. Senat BGH WM 2005, 72, 74. 172 BT-Drucks. 14/9266, S. 46; Staudinger/Herresthal § 358 Rn. 143; vgl. auch MünchKomm/

Habersack § 358 Rn. 50. 173 Schnauder JZ 2007, 1009, 1018f.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

schlossenen Darlehensverträge nach § 134 iVm. § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO aF. nichtig. Solange dieses absolute Verbot bestand, gab es kein praktisches Bedürfnis für einen Widerrufs- oder Einwendungsdurchgriff bei Immobiliardarlehen im Haustürgeschäft oder bei AGAV.174 Ein Regelungsinteresse entstand paradoxerweise erst mit der Einführung des auf Verbraucherschutz gerichteten Widerrufsrechts beim Verbraucherdarlehen. Denn dadurch entfiel das absolute Verbot aus der GewO, obwohl die Immobiliarkredite nicht vollständig dem Widerrufsrecht unterlagen. Dies ermöglichte den sog. Strukturvertrieb (Netzwerkmarketing), im Rahmen dessen Immobilien nebst Immobiliardarlehen massenhaft über Vermittler auf den Markt gebracht werden.175 Im Hinblick auf die besondere Gefährdung des Verbrauchers durch sog. „Drücker“ unterscheiden sich Allgemein-Verbraucherdarlehen und Immobiliar-Verbraucherdarlehen aber nicht. Beide Male wird dem Verbraucher das Versprechen einer „Paketlösung“ aus Sachverschaffung und Finanzierung suggeriert, im Konfliktfall aber nicht eingelöst (Rn. 657). Die Praxis war jedoch lange Zeit an § 358 Abs. 3 Satz 3 als abschließende Sonderregelung des Aufspaltungsrisikos bei Immobiliardarlehen gebunden.176 Erst im Gefolge der sog. Schrottimmobilien-Krise leitete der EuGH eine Änderung ein. Der deutsche Gesetzgeber hatte durch Gewährung hoher Steuervorteile private Investoren zum Wiederaufbau der Immobilienlandschaft in Ostdeutschland veranlasst. Diese wurden dort nicht selten durch Immobilienverkäufer übervorteilt, die mit Banken bei der Finanzierung zusammenwirkten. Ein zufälliger nachträglicher Schutz kam diesen Anlegern zugute, als der EuGH in der Heininger-Entscheidung das Haustürwiderrufsrecht entgegen der damaligen deutschen Gesetzeslage auf diese Verträge für anwendbar erklärte.177 Weil die Anleger darüber nicht belehrt worden waren, konnten sie nun noch nachträglich von diesem Widerrufsrecht Gebrauch machen. Zunächst erscheint die Ausübung des Haustürwiderrufsrechts bei einem Darlehen jedoch als Danaergeschenk, weil durch seine Ausübung gem. § 355 Abs. 3, 357a Abs. 1 eine Rückgewährpflicht in voller Höhe der Valuta für den Verbraucher fällig wird. Die damit verbundene Last kann der Verbraucher meist nicht finanzieren und steht damit schlechter da als vor Ausübung des Widerrufsrechts. In der sog. Schulte-Entscheidung erzwang der EuGH im Hinblick auf diese Gefahr einen effizienten Verbraucherschutz:178 „In einem Fall, in dem der Verbraucher, wenn das Kreditinstitut ihn über sein Widerrufsrecht belehrt hätte, es hätte vermeiden können, sich den Risiken auszusetzen, die mit Kapitalanlagen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art verbunden sind, verpflichtet Artikel 4 der Richtlinie [85/577/EWG, Ergänzung des Verfassers] daher die Mitgliedstaa174 BGH JZ 1981, 138. 175 Schnauder JZ 2007, 1009, 1018. Vgl. zum Strukturvertrieb nur die erste deutschsprachige

Studie: U. Paul, Chance Strukturvertrieb – von der Basis bis zur Spitze, 1993. 176 Auch heute noch etwa MünchKomm/Habersack § 358 Rn. 50. 177 EuGH, Urt. v. 13.12.2001 – C-481/99, Slg. 2001, I-9945 – Heininger. 178 EuGH, Urt. v. 25.10.2005 – C-350/03, Slg. 2005, I-9215 = NJW 2005, 3551 – Schulte.

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ten, dafür zu sorgen, dass ihre Rechtsvorschriften die Verbraucher schützen, die es nicht vermeiden konnten, sich solchen Risiken auszusetzen, in dem sie Maßnahmen treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen der Verwirklichung dieser Risiken tragen“ (Tz. 101).

Von der Sache her verlangt der EuGH, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Freistellung für den Fall treffen, dass sich der Verbraucher bei rechtzeitiger Belehrung durch den Widerruf des Darlehens vor seiner Auszahlung an den Verkäufer hätte schützen können. Diesen Vorgaben trug der BGH nach und nach durch eine Haftung des Darlehensgebers für Aufklärungspflichtverletzung aus culpa in contrahendo, §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 Rechnung. Ausgehend vom Grundsatz, dass der Darlehensnehmer das Risiko der Verwendung der Darlehensvaluta zu tragen hat (Rn. 671), hatte der BGH die eigene Rechtsprechung zur Begründung von Aufklärungspflichten im Sonderfall bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1990 in vier Fallgruppen systematisiert:179 Ausnahmsweise können danach Aufklärungspflichten des Darlehensgebers gegenüber dem Darlehensnehmer iSd. § 241 Abs. 2 entstehen, (1) wenn der Darlehensgeber im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb des Anlagenprojekts über seine Rolle als Darlehensgeber hinausgeht, (2) wenn er einen zu den allgemeinen wirtschaftlichen Risiken des Anlageprojekts hinzutretenden besonderen Gefährdungstatbestand schafft oder dessen Entstehung begünstigt, (3) wenn er sich in einen schwerwiegenden Interessenkonflikt zu Lasten des Darlehensnehmers verwickelt oder (4) wenn er in Bezug auf spezielle Risiken des finanzierten Geschäfts einen konkreten Wissensvorsprung vor dem Darlehensnehmer hat.

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b) Überschreitung der Rolle eines Darlehensgebers

Die Fallgruppe einer Rollenüberschreitung knüpft an die Dogmatik der Berufshaftung an,180 die ihrerseits auf die sog. mensorische Klage des römischen Rechts zurückgeht.181 Ausgangspunkt ist der Schutz des Vertrauens in die beruflichen Fähigkeiten eines Experten; kann der Experte diesem Vertrauen nicht gerecht werden, haftet er entweder unmittelbar oder ist zumindest zur Aufklärung über diesen Umstand verpflichtet und deshalb wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht verantwortlich. In der Sache geht es um Fälle, in denen die Bank unmittelbar beim Vertrieb der Immobilie tätig wird und daher aus Sicht des Darlehensnehmers auch Verantwortung für das finanzierte Geschäft 179 BGH NJW-RR 1990, 876, 877; BGHZ 167, 239 = NJW 2006, 2099, Tz. 41; Überblick bei BeckOGK/Binder § 488 Rn. 168ff. 180 Zu diesem Zusammenhang Schnauder JZ 2007, 1009, 1011. 181 Digesten 11.6 – Si mensor falsum modum dixerit. Dazu grundlegend: Lammel AcP 179 (1979) 337, 347; W. Lorenz, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 575, 591; Gawaz, Bankenhaftung für Sanierungskredite, 1997, S. 140ff.; Hirte, Berufshaftung, 1996.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

selbst übernimmt. Eine erste Gegenauffassung182 bezweifelt die Bedeutung des Vertrauensschutzes im einschlägigen Zusammenhang und ordnet die Rollenüberschreitung daher vor allem als eine rechtsgeschäftliche Übernahme von Verantwortung für das Geschäft ein. Da diese Verantwortung aber nie auf einer expliziten Willenserklärung der Bank und damit einem Rechtsgeschäft über die Verantwortung beruht, verweist eine weitere Auffassung auf die vermeintliche Rechtsnatur des Darlehens als unselbständige Geschäftsbesorgung. Wesentlich für die Geschäftsbesorgung sei die Machtbefugnis einer Vertragsseite im Rechts- und Geschäftskreis der anderen zu handeln.183 Dies sei jedoch auch im Rahmen des Darlehens der Fall, ohne dass diese Einwirkungsbefugnis typenprägend werde. Deshalb komme es entscheidend darauf an, ob der Darlehensgeber im Geschäftsbereich des Darlehensnehmers Einfluss nehme.184 Dies sei etwa der Fall, wenn er wisse, dass der Zahlungsempfänger seinerseits die Zahlungen eingestellt habe oder wenn er erkenne, dass das finanzierte Geschäft notwendig scheitern müsse.185 Im Vergleich erscheint die Begründung einer Aufklärungspflicht aus Vertrauensschutz des Verbrauchers im Ansatz überzeugend. Die zugrunde liegende Lehre leistet vor allem einen wichtigen Beitrag bei der Begründung von Aufklärungspflichten im Austauschvertrag (Rn. 443 und 680). Im Dreieck zwischen Darlehensgeber, Darlehensnehmer und Zahlungsempfänger lassen sich Geschäftskreise allerdings im Einzelfall nicht immer so sicher abgrenzen, dass Einwirkungsmöglichkeiten einem der Beteiligten ausschließlich und mit haftungsbegründender Konsequenz zugeordnet werden könnten. In der Sache dürfte die Verantwortung des Darlehensgebers daher eher auf der Vermeidung eines Selbstwiderspruchs iSd. § 242 (venire contra factum proprium) beruhen: Der Darlehensgeber kann nicht einerseits Vertrauen des Darlehensnehmers in das finanzierte Geschäft einwerben, indem er bei dessen Zustandekommen und Abwicklung Verantwortung übernimmt, andererseits aber eine Verantwortung nach § 241 Abs. 2 bei Entstehung eines Schadens ablehnen. Die Fallgruppe steht in engem Zusammenhang mit der Regelung des § 358 Abs. 3 Satz 3 zweiter Fall. Denn ausnahmsweise kommt auch beim Immobiliardarlehen ein Einwendungs- bzw. Widerrufsdurchgriff bei Rollenüberschreitung ua. dann in Betracht, wenn der Darlehensgeber über die Zurverfügungstellung des Darlehens hinaus den Erwerb des Grundstücks durch Zusammenwirken mit dem Unternehmer fördert, indem er sich dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu Eigen macht, indem er bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernimmt oder den Veräußerer einseitig begünstigt. Dieser Regelung wird man zweierlei Bedeutung zumessen dürfen: Einerseits kann sie die c.i.c. nicht verdrängen. Denn letztere 182 183 184 185

Hopt AcP 183 (1983) 608, 641 und 645. Schnauder JZ 2007, 1009ff. im Anschluss an die Typenlehre Iseles. Schnauder JZ 2007, 1009, 1012. Schnauder JZ 2007, 1009, 1013f.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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setzt zusätzlich ein Vertretenmüssen voraus; auch schließt die c.i.c nach der Vorstellung der Rechtsprechung gerade Lücken im Bereich des § 358 Abs. 3 Satz 3 (Rn. 674). Andererseits kann es jedoch an dem im Rahmen der c.i.c. vorausgesetzten Schaden fehlen, wenn der Verbraucher bereits durch den gesetzlichen Einwendungsdurchgriff ausreichend geschützt ist. c) Verantwortlichkeit für einen besonderen Gefährdungstatbestand

Aufklärungspflichten im Hinblick auf die Risiken des finanzierten Geschäfts können sich für den Darlehensgeber vor allem auch dann ergeben, wenn er den Darlehensnehmer einer Gefahr aussetzt, die über die für den Darlehensvertrag typischen Risiken hinausgeht und die ihre Ursache im finanzierten Geschäft hat. (BGH 20.3.2007 – XI ZR 414/04 = NJW 2007, 2396) V kauft Altbauwohnungen auf, saniert diese und verkauft sie an Kapitalanleger weiter. Auf diese Weise erwarb auch DN eine Wohnung von V in einem Mehrfamilienhaus in S-Stadt durch notariell beurkundeten Vertrag. Den Kauf finanzierte DN durch ein Darlehen der Bank DG. Im Darlehensvertrag verpflichtete sich DN, einem Mietpool der Vermieter dieses Gebäudes beizutreten. In diesen bringen sämtliche Vermieter des Wohngebäudes ihre Mieteinnahmen ein. Diese werden später wieder auf sämtliche Poolteilnehmer verteilt. Als in dem Gebäude einige Wohnungen leer stehen, vermindert sich die Ausschüttung an DN entsprechend. Dieser sieht sich darüber nicht ausreichend informiert und besteht gegenüber DG auf der Einstellung weiterer Zahlungen und der Rückgewähr des Geleisteten. Gegen den Anspruch der DG gegen DN aus § 488 Abs. 1 Satz 2 könnte DN im Hinblick auf noch ausstehende Zahlungen mit einem Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) aufrechnen. Ferner könnte er im Hinblick auf die bereits erbrachten Zahlungen einen Anspruch haben, nach § 249 Abs. 1 so gestellt zu werden, als wäre der Darlehensvertrag nie zustande gekommen. Voraussetzung ist, dass DG im vorvertraglichen Stadium nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 eine Aufklärungspflicht verletzt hat.

Eine Aufklärungspflicht kann durch eine besondere Gefährdung entstanden sein, der der Darlehensnehmer durch den Zwang zum Beitritt in den Mietpool ausgesetzt war. Beim Mietpool handelt es sich um eine Innengesellschaft nach §§ 705ff., im Rahmen derer die Mieteinkünfte gesamthänderisch verwaltet und entsprechend einem zuvor vereinbarten Verteilungsschlüssel iSd. § 722 Abs. 1 an die beteiligten Vermieter ausgeschüttet werden. Da der Mietpool gerade das Leerstandsrisiko des einzelnen Vermieters auffangen soll, wird auch derjenige Vermieter bei der Ausschüttung bedacht, dessen Wohnung im Referenzraum nicht vermietet war. Auf diese Weise trägt der Darlehensnehmer im vorliegenden Fall das Leerstandsrisiko für alle Wohneinheiten innerhalb der Immobilie mit. Trotz dieses zunächst ungewöhnlichen Umstandes verneint der BGH eine zur Aufklärungspflicht führende besondere Gefährdung. Diese setze nämlich stets voraus, dass die Bank ihr eigenes wirtschaftliches Wagnis auf den Kunden verlagere (Tz. 19). Der Mietpool sei für den Anleger und Vermieter aber nicht nur nachteilig, sondern mindere auch dessen Risiko, wenn die eigene Wohnung leer stehe. Obwohl in diesem Fall keine Miete an den Anleger fließe, erhalte er eine Ausschüttung aus dem Pool. Die damit verbundene Abfederung

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

des Leerstandsrisikos senke wiederum die Finanzierungskosten des Darlehensnehmers gegenüber der Bank, da sich das Ausfallrisiko der Bank bei einem Leerstand der Wohnung verringere. Dieser Umstand wiederum komme dem Darlehensnehmer durch bessere Darlehensbedingungen (= geringere Risikoaufschläge auf den Zins) zugute (Tz. 19). Im vorliegenden Fall entstand daher keine Aufklärungspflicht der DG. Der Anspruch des DN aus c.i.c. ist daher unbegründet. Folglich besteht der Anspruch der DG gegen DN aus § 488 Abs. 1 Satz 2 ungeschmälert fort.

Ausgehend von den vorgestellten Überlegungen muss die Bewertung anders ausfallen, wenn die Bank erkennen kann, dass der Mietpool im Zeitpunkt des Beitritts des Vermieters bereits überschuldet ist (Tz. 27ff.): Dann gewärtigt der Vermieter durch den Beitritt von vornherein nur Nachteile und keine Vorteile. Gerade wegen dieser ungleichen Chancenverteilung muss ihn die Bank dann über die Lage aufklären.186 Der Fall zeigt deutlich, dass der Anknüpfungspunkt für die Aufklärungspflicht weniger im Risiko des Darlehensnehmers als im korrespondierenden Vorteil der Bank besteht. Zugrunde liegt ein Rechtsgedanke, der § 307 Abs. 1 Satz 1 und allgemeiner noch § 242 zu entnehmen ist: Eine Vertragsseite darf danach ihre Interessen nicht einseitig auf Kosten der anderen verwirklichen. Selbst außergewöhnliche Risiken, auf die der Darlehensnehmer nicht vorbereitet ist, verpflichten daher nicht zur Aufklärung, wenn deren Folgen ihm (auch) nutzen. d) Schwerer Interessenkonflikt 678

Aufklärungspflichten des Darlehensgebers können schließlich dadurch entstehen, dass dieser sich beim finanzierten Geschäft in einen schweren Interessenkonflikt gegenüber dem Darlehensnehmer verwickelt. (BGH 5.4.2011 – XI ZR 365/09 = NJW-RR 2011, 1064) DN erwirbt von der V-Gruppe, die in großem Umfang Anlageobjekte im Immobilienbereich vertreibt, eine noch zu renovierende Eigentumswohnung. Zur Finanzierung nimmt DN ein Darlehen bei der Bank DG auf, die der V zur gleichen Zeit wegen bestehender Liquiditätsschwierigkeiten Darlehen und Provisionsvorschüsse gewährt hatte und in einem Beirat der V vertreten war, wo deren finanzielle Schwierigkeiten umfassend erörtert wurden. V fällt einige Zeit nach der Auszahlung des Darlehens durch DG in Insolvenz. DN verweigert gegenüber DG weitere Zahlungen und fordert die geleisteten Beträge zurück. Gegen den Anspruch der DG gegen DN aus § 488 Abs. 1 Satz 2 kommt im Hinblick auf die noch ausstehenden Zahlungen eine Aufrechnung mit einem Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) in Betracht. Wegen der bereits erbrachten Zahlungen kann DN uU. nach § 249 Abs. 1 verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Darlehensvertrag nicht abgeschlossen worden. Voraussetzung ist die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nach § 241 Abs. 2.

Auch wenn der Darlehensnehmer das Risiko der Verwendung der Valuta allein zu tragen hat, kommt vorliegend eine Aufklärungspflicht ausnahmsweise in Be186 Bestätigt in BGH NJW 2008, 3059, Tz. 11.

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tracht, weil sich die Bank möglicherweise in einem schweren Interessenkonflikt befand. Der BGH bejaht dies, weil die Bank gegenüber dem Zahlungsempfänger ein „erhebliches und insolvenzgefährdetes Kreditengagement“ verfolgt (Tz. 8) und dieses auf den Darlehensnehmer abwälzt (Tz. 9). Denn nur ein anhaltender Absatzerfolg des Zahlungsempfängers verhindert eine Gefährdung der an ihn ausgereichten Darlehen der Bank; Leistungen, die der Darlehensnehmer an den Zahlungsempfänger erbringt, können so an die Bank weiterfließen und die Darlehensschuld des Zahlungsempfängers tilgen (Tz. 13). In einer solchen Situation entsteht eine besondere Verantwortung der Bank gegenüber dem Darlehensnehmer, die nicht erst beginnt, wenn in der Person des Zahlungsempfängers ein Insolvenzgrund vorliegt, sondern bereits dann, wenn dieser sich in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten befindet (Tz. 10). Zugunsten des Darlehensnehmers greift dabei die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (Rn. 1300f.): Denn der Darlehensnehmer hätte den Darlehensvertrag erfahrungsgemäß nicht abgeschlossen, wenn er von den Solvenzproblemen des Zahlungsempfängers erfahren hätte (Tz. 16). Der Anspruch des DN gegen DG aus c.i.c. besteht. DN braucht daher keine weiteren Zahlungen an DG zu leisten und kann die erbrachten Zahlungen von DG zurückfordern.

Erhält die Bank vom Zahlungsempfänger verdeckte Provisionsleistungen, die aus dem vom Darlehensnehmer (Anleger) gezahlten Kaufpreis finanziert werden, kommt ebenfalls ein Interessenkonflikt in Betracht. In der Praxis wird dies jedoch in erster Linie bei einer Anlageberatung durch die Bank bejaht, weil ein unter dem Eindruck einer konkreten Verdienstmöglichkeit erteilter Rat vom Anleger anders eingeschätzt wird als der vermeintlich unparteiisch erteilte (Rn. 1298). Beim Abschluss eines Darlehensvertrages spielt dieses Moment hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Denn dass die Bank sich beim Abschluss des Darlehensvertrages von eigenen Interessen leiten lässt, liegt auf der Hand. Dass sie diese auch gegenüber dem Zahlungsempfänger (Verkäufer der Anlage) verfolgt, fügt keinen die Aufklärungspflicht neu begründenden Umstand hinzu. Aufklärungspflichten können jedoch in diesem Fall wegen eines konkreten Wissensvorsprungs der Bank um den Wert der Anlage entstehen (Rn. 681).

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e) Wissensvorsprung aa) Institutionalisiertes Zusammenwirken

In der praktisch bedeutendsten der vier Fallgruppen wird die Entstehung einer Aufklärungspflicht der Bank durch deren Wissensvorsprung gegenüber dem Darlehensnehmer begründet. In der Leitentscheidung187 reagierte der BGH auf die sog. Schulte-Entscheidung des EuGH (Rn. 673) und schuf einen Mindestschutz für Verbraucher, die über ihr AGAV-Widerrufsrecht (früher: Haustürwiderrufsrecht) bei Immobiliardarlehen nicht ausreichend aufgeklärt worden waren (Rn. 673f.). Im Ergebnis geht auch diese Rechtsprechung von einer Haf187 BGHZ 168, 1 = NJW 2006, 2099, Tz. 51ff.

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tung aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) aus, wenn der Darlehensnehmer vom Zahlungsempfänger arglistig getäuscht wurde und die Bank mit dem Zahlungsempfänger institutionell zusammenwirkte. Dann wird nämlich vermutet, dass die Bank die Arglist des Zahlungsempfängers kannte: (BGH 24.3.2009 – XI ZR 456/07 = NJW-RR 2009, 1275) Als DN eine Immobilie von V als Anlageobjekt erwirbt, ist im Kaufvertrag vereinbart, dass X eine Mietgarantie für die Wohnung über mehrere Jahre übernehmen soll. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist X jedoch bereits insolvent. Dies weiß V, teilt es jedoch DN nicht mit. Zur Finanzierung des Kaufpreises schließt DN einen Darlehensvertrag mit der Bank DG. Später stellt sich heraus, dass diese einen Rahmenvertrag mit V über den gemeinsamen Vertrieb von Immobilien abgeschlossen hatte. DN verweigert weitere Zahlungen an DG und verlangt von dieser sämtliche erbrachten Leistungen zurück. Abermals kommt ein Freistellungsanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 in Betracht (vgl. zum Anspruchsinhalt jeweils Rn. 677 und 678). Dieser setzt die Verletzung einer Aufklärungspflicht nach § 241 Abs. 2 in einem vorvertraglichen Stadium nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 voraus.

Hier könnte eine Aufklärungspflicht durch einen Wissensvorsprung der Bank über die Insolvenz der Mietgarantin entstanden sein. Die Bedeutung des Wissensvorsprungs für die Entstehung von Aufklärungspflichten wurde bereits erörtert (vor allem Rn. 443; vgl. auch Rn. 675) und soll daher nur kurz resümiert werden: Im Regelfall ist es Aufgabe des Darlehensnehmers, seine eigenen Rechte zu wahren; insbesondere trägt er das Verwendungsrisiko des Darlehens, also das Risiko, dass das finanzierte Geschäft für ihn wirtschaftlich ungünstig verläuft (Rn. 671). Diese Rechtslage ändert sich jedoch, wenn der Darlehensgeber aufgrund einer tatsächlichen Machtstellung einseitig in die Rechtsgüter und rechtlich geschützten Interessen des Darlehensnehmers eingreifen kann. Denn diese einseitige Machtstellung lässt eine gegenläufige Interessenwahrungspflicht des Darlehensgebers zugunsten des Darlehensnehmers entstehen, sodass der tatsächlichen Machtausübung des Darlehensgebers rechtliche Schranken gesetzt sind.188 Diese Art von tatsächlicher Machtstellung, dem Darlehensnehmer zu schaden, resultiert jedoch in erster Linie aus einem Wissensvorsprung (Rn. 443): Wenn der Darlehensgeber die Schäden des Darlehensnehmers aus dem finanzierten Geschäft klar überblickt, der Darlehensnehmer hier aber in Unwissenheit bleibt, besteht die große Gefahr, dass der Darlehensgeber sich auf Kosten der rechtlich geschützten Interessen des Darlehensnehmers einen Vorteil verschafft, wenn er diesen nicht über die Gefahren aufklärt. Diese Machtstellung setzt wiederum Kenntnis des Darlehensgebers von den einschlägigen Gefahren voraus. Regelmäßig lässt sich ein tatsächliches Wissen der Bank nicht beweisen. Doch greift eine Vermutung, dass die Bank über das arglistige Verschweigen der Insolvenz der Mietgarantin durch den Zahlungsempfänger unterrichtet ist, wenn sie mit diesem institutionell zusam188 Dazu Schnauder JZ 2007, 1009, 1013f. mit Verweis auf die Arbeiten von Isele, Geschäftsbesorgung – Umrisse eines Systems, 1935; dazu auch Erman/Ehmann, 12. Aufl. 2007, Vor § 662 Rn. 26ff.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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menwirkt (Tz. 36). Eine institutionelle Zusammenarbeit liegt vor, wenn eine enge, planmäßige Zusammenarbeit zwischen Darlehensgeber und Geschäftspartner besteht. Das Institut wird mit Blick auf den Erfahrungssatz verständlich, der an es geknüpft ist: Es muss sich um eine Zusammenarbeit zwischen Bank und Anlageverkäufer handeln, die so eng ist, dass die Bank nach der Lebenserfahrung über das Verhalten des Anlageverkäufers unterrichtet ist. Der Abschluss eines Rahmenvertrags zwischen Darlehensgeber und Geschäftspartner hat dabei wie im vorliegenden Fall starke Indizwirkung. Es genügt aber auch die planmäßig unternommene Finanzierung der vom Geschäftspartner initiierten Geschäfte (Tz. 37). Wird erst einmal das Wissen der Bank um die arglistige Täuschung des Darlehensnehmers durch den Zahlungsempfänger vermutet, entsteht wegen des daraus resultierenden Wissensvorsprungs zu ihren Lasten eine Aufklärungspflicht: Die Bank musste daher vorliegend den Darlehensnehmer über die Insolvenz der Mietgarantin aufklären. Die unterbliebene Aufklärung stellt eine objektive Pflichtverletzung iSd. § 241 Abs. 2 dar, die die Bank im Zweifel zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2). Nach der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (Rn. 1300f.) wird dieses Verhalten schließlich im Zweifel auch kausal für den Schaden des Darlehensnehmers. Denn es liegt auf der Hand, dass der Darlehensnehmer – von der Bank auf die Insolvenz der Mietgarantin hingewiesen – den Immobilienerwerb und damit auch den Abschluss des Darlehensvertrages zu seiner Finanzierung unterlassen hätte. Deshalb hat der Darlehensnehmer im Wege des Schadensersatzes einen Anspruch, so gestellt zu werden, als seien Kauf- und Darlehensvertrag nie zustande gekommen. Zentraler Gegenstand der arglistigen Täuschung sind häufig auch die sog. weichen Kosten des Immobilienerwerbs und verdeckte Provisionen. Im Fall Rn. 680 hatte V DN einen Prospekt überlassen. Darin waren die Bürgschaftsgebühr iHv. 500 € und die Finanzierungsvermittlungs- und Unterlagenbeschaffungsgebühr iHv. 350 € nicht eigens ausgewiesen, sondern pauschal mit anderen Kosten in die Position „Kosten für den Grunderwerb“ eingestellt.

Der BGH sieht in der Bezeichnung dieser Kosten als „Grunderwerb“ eine arglistige Täuschung, da es sich um sog. weiche Kosten handele, dh. Aufwendungen außerhalb der Anschaffungs- und Herstellungskosten. Der springende Punkt ist, dass diese nicht unmittelbar in das Anlageobjekt einfließen und deshalb auch nicht wertsteigernd wirken, sondern aus Sicht des Anlegers endgültig verloren sind (Tz. 29). Durch den unrichtigen Ausweis entstehen beim Anleger daher falsche Vorstellungen darüber, inwieweit der von ihm gezahlte Kaufpreis der Immobilie selbst zugutekommt und dabei wertsteigernd wirkt bzw. den wahren Wert abbildet. Im Prospekt wurden ferner die von V an den Vertriebsagenten Y zu zahlenden Vertriebsprovisionen mit rund 900 € angegeben. Tatsächlich erhielt Y aber insgesamt 2.800 € an Vertriebsprovisionen von V. Die restlichen 1.700 € wurden ebenfalls der Position „Kosten für den Grunderwerb“ zugeschlagen.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

Auch diese Verschleierung von Provisionen wird im Rahmen der Arglisthaftung als problematisch angesehen, weil sie dem Anleger die Möglichkeit nimmt, die Wertverhältnisse richtig einzuschätzen. Wie im Fall der weichen Kosten kann er nicht erkennen, welcher Teil der von ihm aufgebrachten finanziellen Mittel dem Anlageobjekt unmittelbar zugutekommt und dessen Wert fördert und welcher Teil an Dritte ausgeschüttet wird und daher unwiederbringlich verloren ist (Tz. 31).189 Innenprovisionen, die darüber hinaus an die Bank zurückfließen, mit der der Verbraucher zunächst zu tun hatte, können im Rahmen der Anlageberatung Aufklärungspflichten auslösen (Rn. 679 und Rn. 1298). bb) Sonderfall sittenwidrig überteuerter Immobilien 682

Die Lehre vom institutionalisierten Zusammenwirken begründet also eine Beweiserleichterung zugunsten des Darlehensnehmers, soweit es um die tatsächlichen Voraussetzungen einer Aufklärungspflicht des Darlehensgebers geht. Liegt ein institutionalisiertes Zusammenwirken vor, wird zu Lasten der Bank vermutet, dass sie über das Tun ihres Geschäftspartners unterrichtet ist. Ein daraus resultierender Wissensvorsprung der Bank lässt eine haftungsbegründende Aufklärungspflicht nach § 241 Abs. 2 entstehen. Die Haftung wegen Wissensvorsprungs kommt aber nicht nur in diesen Fällen in Betracht. Dies zeigen die Fälle der sittenwidrig überteuerten Immobilien: (BGH 29.4.2008 – XI ZR 221/07 = NJW-RR 2008, 1226) DN erwarb zu Steuersparzwecken im Jahre 1993 von V eine Eigentumswohnung für rund 65.000 € in der Stadt Dessau. Vergleichbare Wohnungen wurden dort zum damaligen Zeitpunkt für höchstens 32.000 € gehandelt. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm DN bei der Bank DG ein Darlehen iHv. 65.000 € auf. DN legte der DG bei dieser Gelegenheit den Verkaufsprospekt des V vor. DG vertrieb zum damaligen Zeitpunkt selbst Eigentumswohnungen und bebaute Grundstücke in Dessau. Die Valuta zahlte DG später an V aus. Als DN auf die Überteuerung der eigenen Immobilie aufmerksam wird, verweigert er weitere Zahlungen an DG und fordert die an DG erbrachten Leistungen zurück. In Betracht kommt ein Freistellungsanspruch (zum Anspruchsinhalt jeweils Rn. 677 und 678) des DN gegen DG aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.), der die Verletzung einer Aufklärungspflicht nach § 241 Abs. 2 voraussetzt.

Eine Aufklärungspflicht der Darlehensgeberin kann sich auch hier wegen eines Wissensvorsprungs der Bank ergeben. Gegenstand ist die sittenwidrige Höhe des Kaufpreises. Bei einem Grundstückserwerb geht der BGH – in unausgesprochener Anlehnung an das römisch-rechtliche Prinzip der laesio enormis190 – von einem groben Missverhältnis iSd. § 138 Abs. 1 aus, wenn der Wert der Leistung doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (Rn. 605 und 60).191 Zugrunde liegt der Erfahrungssatz, dass sich ein Käufer auf einen so ungewöhnlich hohen Kaufpreis nicht ohne Not bzw. erhebliche Orientierungs189 Dazu auch BGHZ 186, 96 = NJW-RR 2011, 270, Tz. 17ff. 190 Dazu etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 61f. 191 BGHZ 146, 298 = NJW 2001, 1127, 1129.

III. Der Verbraucherdarlehensvertrag

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schwierigkeiten hinsichtlich der örtlichen Wertverhältnisse einlässt und ein Verkäufer daher im Zweifel diese persönlichen Schwierigkeiten ausbeutet.192 Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass die Bank nicht institutionell mit dem Zahlungsempfänger zusammengewirkt hatte. Dennoch soll der Bank bereits grob fahrlässige Unkenntnis von der Überteuerung schaden, da sie in derselben Stadt im Immobilienvertrieb tätig war und so die Preislage selbst einschätzen konnte. Aufgrund des Prospekts konnte sie daher anhand Alter, Lage und Ausstattung der Wohnung die Überteuerung erkennen (Tz. 18 und 22). Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass die Lehre vom institutionalisierten Zusammenwirken im Grunde nur eine Reaktion auf eine besondere Beweisnotlage des Darlehensnehmers hinsichtlich eines vorsätzlichen Verhaltens des Darlehensgebers darstellt. Diese Rechtsprechung hindert den Darlehensnehmer nicht daran, den direkten Beweis über die rechtswidrige Ausnutzung eines Wissensvorsprungs durch den Darlehensgeber zu führen. Allerdings verfährt die Rechtsprechung in einer weiteren Entscheidung seltsam inkonsequent: Hier arbeitete die Bank einerseits mit dem Verkäufer institutionell zusammen; andererseits hatte dieser die Immobilie zu einem sittenwidrig überteuerten Preis angeboten. Jetzt aber soll die Bank nicht haften: Aus einem institutionalisierten Zusammenwirken mit dem Zahlungsempfänger folge nämlich nicht, dass sie dessen Kalkulation so durchschaue, dass sie auf ein nach § 138 Abs. 1 relevantes grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung aufmerksam werde.193 Dies überzeugt nicht, wenn man die Lehre vom institutionalisierten Zusammenwirken auf den ihr zugrunde liegenden Erfahrungssatz zurückführt (zur zugrundeliegenden Dogmatik des Anscheinsbeweises Rn. 1072): Wenn Darlehensgeber und Zahlungsempfänger dauerhaft eng zusammenarbeiten, liegt es erfahrungsgemäß nahe, dass der Darlehensgeber von unrichtigen Auskünften des Zahlungsempfängers gegenüber dem Darlehensnehmer ebenso erfährt wie von einem arglistigen Verschweigen eines wichtigen Umstandes (vgl. Rn. 680). Derselbe Erfahrungssatz spricht aber auch dafür, dass die Bank im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit die Kalkulation des Verkäufers im Zweifel durchschaut, zumal Banken über eigene Erfahrung beim Immobilienvertrieb verfügen.

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cc) Beschränkung auf arglistiges Verhalten des Geschäftspartners

Fraglich ist schließlich, warum die Lehre vom institutionalisierten Zusammenwirken die Beweisführung des Darlehensnehmers nur in den Fällen einer vom Zahlungsempfänger verübten arglistigen Täuschung erleichtert: (BGH 19.10.2010 – XI ZR 376/09 = NJW-RR 2011, 263) Verbraucher DN hat einen Anteil an der V-KG (V) erworben, die einen Immobilienfonds betreibt. Zur Finanzierung des Anteilserwerbs nahm er ein Darlehen bei der Bank DG auf, wobei die Valuta direkt an die V ausgezahlt wurde. Beim Erwerb des Anteils hatten die Geschäftsführer der V den DN fahr192 BGHZ 146, 298 = NJW 2001, 1127, 1128. 193 BGH NJW 2008, 640, Tz. 16.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

lässig falsch beraten. Weil aber DG und V ständig zusammenarbeiteten, verweigert DN nun jegliche Zahlung gegenüber DG und verlangt die an diese geleisteten Beträge zurück. Abermals hängt der Befreiungsanspruch des DN gegenüber DG nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (zum Anspruchsinhalt vgl. jeweils Rn. 677 und 678) von einer Aufklärungspflichtverletzung der DG gegenüber DN ab. Eine Aufklärungspflicht der DG ist hier nur bei einem Wissensvorsprung gegenüber DN begründbar. Dessen Nachweis ist tatsächlich nicht möglich. Eine Vermutung für einen Wissensvorsprung der DG kommt jedoch in Betracht, wenn diese mit V institutionalisiert zusammengewirkt hat.

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Problematisch erscheint, dass der Geschäftspartner sich nur fahrlässig und nicht vorsätzlich verhalten hat. Die Beweiserleichterung für einen Wissensvorsprung bei institutionalisiertem Zusammenwirken soll hingegen nur im Falle eines arglistigen Verhaltens des Zahlungsempfängers eingreifen. Diese eigentümliche Einschränkung leitet das Gericht aus gesellschaftsrechtlichen Prinzipien ab: Im Mittelpunkt steht dabei die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705ff.), an der der Anleger einen Anteil erwirbt. Ist dieser Gesellschaft ein fahrlässig falsches Verhalten ihrer Organe zurechenbar, kann der falsch beratene Anleger und Gesellschafter nicht ohne Weiteres desinvestieren. Dem Beitretenden haftet in diesen Fällen nur der handelnde Vertreter persönlich, nicht aber die Gesellschaft, weil die übrigen Gesellschafter (in aller Regel ebenfalls Kleinanleger) auf die Beitrittsverhandlungen keinen Einfluss nehmen konnten und der Eintretende nicht ihnen, sondern allein dem Organwalter der Gesellschaft vertraut hat (Tz. 17).194 Nur im Falle vorsätzlicher Täuschung steht dem Getäuschten nach der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft (Rn. 555ff.) ein Kündigungsrecht zu, weil er bei einem gewöhnlichen Rechtsgeschäft nach § 123 Abs. 1 anfechten könnte (Tz. 17). Nur in diesem Fall entsteht also eine Einwendung, die überhaupt auf das Darlehensverhältnis durchgreifen kann. Diese Argumentation überzeugt für das Gesellschaftsrecht, bereitet jedoch zunächst Schwierigkeiten, wenn der Anleger statt eines Anteils an einem Immobilienfonds nach § 705 unmittelbar eine Immobilie erwirbt. Denn dann geht die fehlerhafte Beratung durch den Verkäufer entweder in eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 ein oder sie wird – weil die Sachmängelhaftung nicht greift – zum Gegenstand eines Anspruchs aus c.i.c. Dass auch in diesem Fall die Lehre vom institutionalisierten Zusammenwirken nicht anwendbar ist und der Bank trotz der engen Zusammenarbeit mit dem Verkäufer das Wissen um dessen Fehlleistungen nicht zugerechnet wird, erklärt sich höchstens noch aus dem Bestreben nach einer Gleichbehandlung der Anlageformen. Zufälligkeiten der Transaktionsform (Anteilskauf/Immobilienkauf) sollen offensichtlich die Beweislage nicht berühren. Die Entscheidung erscheint auch aus einem zweiten Grund bemerkenswert. Denn der BGH verneint die Anwendung des § 278 Satz 1: Soweit es um die Erfüllung der Aufklärungspflicht der Darlehensgeberin gegenüber dem Darlehensnehmer geht, ist der Zahlungsempfänger nicht ihr Erfüllungsgehilfe. Be194 BGH WM 1973, 863, 865; BGHZ 71, 284, 286ff.; 156, 46, 51f.; BGH WM 2008, 391, Tz. 7.

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gründet wird dies im Hinblick auf das vom Darlehensnehmer zu tragende Verwendungsrisiko (Tz. 14): Würden die Voraussetzungen des § 278 Satz 1 hier großzügiger gehandhabt, wäre die Darlehensgeberin für jede fahrlässige Falschberatung durch den Zahlungsempfänger verantwortlich und müsste für sämtliche beim Darlehensnehmer geweckten Erwartungen einstehen. Besonders überzeugt das Argument, dass es der Vorschrift des § 359 Satz 1 nicht bedürfte, wenn § 278 Satz 1 regelmäßig im Verhältnis zwischen Darlehensgeber und Zahlungsempfänger anwendbar wäre (Tz. 17).195 In der Tat erscheint § 278 Satz 1 als ein Sonderfall des Einwendungsdurchgriffs (vgl. dazu auch Rn. 351, 511 und 719): Denn aus der zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfe resultierenden Sonderrechtsbeziehung und den dort auftretenden Leistungsstörungen kann der Gläubiger in seinem Rechtsverhältnis zum Schuldner Rechtsfolgen ableiten. Dies erscheint indes nur dort zulässig, wo das Schuldverhältnis zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfe von vornherein in die Erfüllung des Vertrages zwischen Gläubiger und Schuldner einbezogen ist. Diese Voraussetzung liegt aus Sicht des Darlehensnehmers im Verhältnis zwischen Darlehensgeber und Zahlungsempfänger aber nicht vor. f) Verletzung der Widerrufsbelehrungspflicht; keine Wertermittlungspflicht

Nach §§ 356b Abs. 2 iVm. § 492 Abs. 2 iVm. Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB hängt der Beginn der Widerrufsfrist von der Belehrung über dieses ab. Die Normen begründen darüber hinaus nach Auffassung des BGH eine echte Pflicht zur Widerrufsbelehrung, deren Verletzung einen Anspruch aus c.i.c. (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) entstehen lässt.196 In den AGAVFällen scheitert dieser Anspruch jedoch regelmäßig an der Kausalität: Denn kommt das Darlehen unter den in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 benannten Umständen zustande, nachdem sich der Darlehensnehmer bereits gegenüber dem Zahlungsempfänger im zu finanzierenden Geschäft rechtlich gebunden hat, kann die Verletzung der Widerrufsbelehrungspflicht nicht mehr kausal für den im finanzierten Geschäft erlittenen Schaden werden.197 Auch wendet die Rechtsprechung die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (Rn. 1300f.) nicht an (Tz. 34).198 Soweit das Verhältnis zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer betroffen ist, würde man in der Widerrufsbelehrung wohl zunächst nur eine Obliegenheit erkennen können, weil der Darlehensnehmer bei unterlassener Belehrung ausreichend durch die dem Darlehensgeber gemäß § 356b Abs. 2 auferlegten Nachteile geschützt ist. Erst in den Fällen des § 358 Abs. 1 und 2, in denen der zu Belehrende nicht nur das laufende Geschäft infrage stellen kann, 195 Nobbe WM 2007, Sonderbeilage Nr. 1, S. 2, 33. 196 BGH NJW 2008, 1585, Tz. 21 – Crailsheimer Volksbank. 197 BGH NJW 2008, 1585, Tz. 23 – Crailsheimer Volksbank; BGHZ 169, 109 = NJW 2007, 357,

Tz. 42. 198 BGH NJW 2008, 1585, Tz. 34 – Crailsheimer Volksbank; BGHZ 169, 109 = NJW 2007, 357, Tz. 43.

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sondern sich mglw. vor viel weiterreichenden Folgen aus einem verbundenen Geschäft gegenüber Dritten schützen darf, entfaltet die Widerrufsbelehrung den für eine echte Pflicht charakteristischen persönlichen und sachlichen Schutzzweck. Außerhalb der §§ 505aff. stellen die Wertermittlungsgebote der Banken hingegen reine Obliegenheiten dar: (BGH 23.10.2007 – XI ZR 167/05 = NJW 2008, 640) Im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen ermittelt die Bank DG den Wert der von DN zu erwerbenden Immobilie, weil an dieser ein Grundpfandrecht bestellt werden soll. Sie stellt dabei den Beleihungswert mit 60.000 € deutlich zu hoch fest. DN lässt sich daher gegenüber dem Verkäufer V auf ähnliche Wertangaben ein und erleidet einen Verlust, weil er einen zu hohen Kaufpreis akzeptiert. Kann er die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert von DG verlangen? In Betracht kommt eine Haftung für eine fahrlässige Falschauskunft aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (zum Anspruchsinhalt vgl. jeweils Rn. 677 und 678).

Zu Recht geht der BGH jedoch davon aus, dass die fehlerhafte Ermittlung des Beleihungswertes keine Pflichtverletzung der Bank gegenüber dem Darlehensnehmer darstellt (Tz. 15): Denn Banken ermitteln den Beleihungswert nur im eigenen Interesse und im Interesse der Sicherheit des Bankensystems, nicht aber für den Kunden. Dies gilt selbst dann, wenn die Bank den Beleihungswert bewusst besonders großzügig ansetzt, weil sie hofft, dadurch die Immobilie teuer veräußern zu können. Denn der Erwerber ist nicht davor geschützt, ungünstig zu kontrahieren (arg. e § 307 Abs. 3 Satz 1). Erst wenn die Grenze des § 138 Abs. 1 durchbrochen ist, kann er auf den Schutz der Rechtsordnung hoffen. Die realistische Ermittlung des Beleihungswertes ist daher keine (zivilrechtliche) Pflicht, sondern nur eine Obliegenheit des Darlehensgebers; denn ihr fehlt der für eine Pflicht charakteristische persönliche und sachliche Schutzzweck. Daran ändert auch die Einführung der §§ 505aff. nichts: Diese Normen stellen ein wirtschaftspolitisch motiviertes Lenkungsinstrument gegen die Verbraucherverschuldung dar, begründen aber keine Pflicht der Bank, den Verbraucher vor sich selbst zu schützen (str. Rn. 652bf.). 7. Rückforderungsdurchgriff? 690

Die Rechtsprechung zur culpa in contrahendo, die die Rechtsfolge des Einwendungsdurchgriffs in Teilen surrogiert (Rn. 671ff.), beeinflusst auch die Behandlung des sog. Rückforderungsdurchgriffs. Dabei geht es außerhalb des Immobiliardarlehens um die Frage, ob der Käufer wegen der ihm gegenüber dem Verkäufer zustehenden Einwendung nach § 359 Satz 1 die bereits gezahlten Raten nach § 813 Abs. 1 Satz 1 vom Darlehensgeber zurückverlangen kann oder nur die künftige Zahlung verweigern darf: (BGH 10.11.2009 – XI ZR 252/08 = BGHZ 183, 112 = NJW 2010, 596) Verbraucherin DN hat einen Anteil an der V-GbR (V) erworben. Im Prospekt über den Anlageerwerb war jedoch die Zahlung einer Innenprovision iHv. rund 1.700 € aus ihrer Einlageleistung iHv.

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50.000 € an diverse Absatzmittler verschwiegen worden. Der Erwerb war über ein Darlehen der Bank DG finanziert worden, wobei der Anteilskauf und das Darlehen iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 miteinander verbunden waren. Nach Aufdeckung der Provisionszahlung verweigert DN nicht nur weitere Zahlungen an DG, sondern verlangt auch die geleisteten Zahlungen aus § 813 Abs. 1 Satz 1 zurück. Der Anspruch aus § 813 Abs. 1 Satz 1 setzt voraus, dass der Forderung der DG aus § 488 Abs. 1 Satz 2 eine Einwendung entgegensteht, durch welche die Geltendmachung dauerhaft ausgeschlossen ist. In Betracht kommt insoweit § 142 Abs. 1 iVm. § 123 Abs. 1, weil V die DN arglistig über die Zahlung der Innenprovision getäuscht hat. Daraus resultiert allerdings gegenüber DG nur dann eine Einwendung, wenn DN die Anfechtungsfolgen entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 358 Abs. 4 Satz 5 auch gegenüber DG geltend machen kann, weil Darlehen und Anlageerwerb iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 miteinander verbunden sind.

Der BGH verneint den Rückforderungsdurchgriff heute199 aus mehreren Gründen. Da der Beitritt zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705ff.) nach der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 nur zu einer außerordentlichen Kündigung mit der Wirkung ex nunc berechtigt (dazu Rn. 355ff.), seien die Zahlungen an die Darlehensgeberin zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Darlehensnehmerin noch keine Einwendung gegenüber der Zahlungsempfängerin, der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, zugestanden habe. Erst mit der Kündigung des Beitritts zur Anlagegesellschaft entstehe eine in die Zukunft wirkende Einwendung, die allein im Rahmen des § 359 Satz 1 beachtlich sei (Tz. 49). Vorübergehend hatte jedoch der II. Zivilsenat des BGH einen Rückforderungsanspruch in analoger Anwendung der Vorgängernorm des § 358 Abs. 4 Satz 5 anerkannt.200 Dem folgt der XI. Senat des BGH aus allgemeinen Gründen nicht: § 359 Satz 1 begründe nur ein Recht auf Zahlungsverweigerung, nicht aber ein Rückforderungsrecht (Tz. 55), und schütze den Verbraucher vor dem Aufspaltungsrisiko für die Zukunft, nicht aber hinsichtlich bereits geleisteter Zahlungen (Tz. 56). Schließlich sei die Anlegerin durch die Rechtsprechung des BGH zur Haftung der Darlehensgeberin aus culpa in contrahendo bei institutionellem Zusammenwirken bereits ausreichend geschützt (Tz. 57). Allerdings überzeugt der Hinweis auf die Rechtsprechung zur Haftung des Darlehensgebers in den Fällen des institutionalisierten Zusammenwirkens zunächst nur für die Fälle des Immobiliardarlehens, in denen diese unmittelbar anwendbar ist. Wegen ihrer gegenüber §§ 358 bis 360 subsidiären Bedeutung kann sie bei der Finanzierung des Erwerbs beweglicher Sachen keine Bedeutung entfalten (Rn. 674). Hier sprechen indes allgemeine Überlegungen gegen einen Rückforderungsdurchgriff. Das Schrifttum stellt vor allem auf den Normwortlaut des § 813 Abs. 1 Satz 1 ab. Danach muss die Einrede der Leistung entgegenstehen, also im Zeitpunkt der Leistung bestehen. Ein Rücktritt wegen Mangelhaftigkeit der Sache nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 wirkt sich aber 199 Vgl. dagegen noch BGH NJW 1980, 1155f. 200 BGHZ 156, 46 = NJW 2003, 2821, 2823f.

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erst später aus und steht der ursprünglichen Leistung nicht entgegen.201 Dies gilt – trotz der Fiktion des § 142 Abs. 1 – auch für den Fall der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Denn eine analoge Anwendung des § 358 Abs. 4 Satz 5 kommt aus einem weiteren Grund nicht in Betracht: Die in ihren Rechtsfolgen sehr weitreichende Norm setzt voraus, dass der Darlehensgeber es selbst in der Hand hat, den Ablauf der vierzehntägigen Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 abzuwarten und daher dem Anwendungsbereich des § 358 Abs. 4 Satz 5 zu entgehen, oder auszuzahlen und bei der Rückabwicklung anstelle des Verkäufers in den Kaufvertrag einzutreten (dazu bereits Rn. 665). Diese tatsächliche Entscheidungsmöglichkeit hat er in den vorliegenden Fällen nicht und würde daher ohne seinen Willen den Folgen des § 358 Abs. 4 Satz 5 ausgesetzt. Dies geht zu weit. 8. Kündigung bei qualifiziertem Zahlungsverzug 692

§ 498 Abs. 1 Satz 1 knüpft die Kündigung wegen Zahlungsverzugs des Darlehensnehmers an ein materielles (Nr. 1) und an ein formales Kriterium (Nr. 2): Der Verbraucher muss mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen in Verzug geraten, und diese müssen einen bestimmten Prozentsatz vom Nettodarlehensbetrag erreichen (Nr. 1). Indem das Gesetz den Umfang des Verzugs ins Verhältnis zur geschuldeten Gesamtleistung setzt, stellt es auf die Schwere der Pflichtverletzung des Verbrauchers im Verhältnis zum Gesamtumfang seiner Pflichten ab. Dabei gilt ein einfacher Zusammenhang: Je höher der vom Verbraucher aufzubringende Gesamtbetrag ausfällt, desto eher bedeutet der Verzug mit einer einzelnen Rate noch keine schwere Pflichtverletzung. Die Norm entfaltet vor allem beim Finanzierungsleasing praktische Bedeutung und soll dort noch dargestellt werden (Rn. 750). Gleichzeitig muss der Darlehensgeber den Darlehensnehmer in qualifizierter Weise mahnen (Nr. 2). Diese Mahnung darf nicht mit der Kündigung verbunden werden.202 IV. Sonstige Finanzierungshilfen 1. Überblick

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Mit der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber den „Kredit“ als systembildenden Begriff im BGB aufgegeben. Deshalb wird nunmehr zwischen Gelddarlehen (§§ 488, 498 Abs. 1) und Finanzierungshilfen (§ 506) unterschieden. Letztere erfassen drei Typen von Geschäften: den entgeltlichen Zahlungsaufschub (§ 506 Abs. 1), das Finanzierungsleasing (§ 506 Abs. 2) und die Teilzahlungsgeschäfte (§ 506 Abs. 3).

201 Lieb, in: Hadding/Hopt (Hrsg.), Das neue Verbraucherkreditgesetz, 1991, S. 115, 120f.; Reinking/Nießen ZIP 1991, 634, 636; MünchKomm/Habersack § 359 Rn. 75. 202 BGH NJW 1996, 2367, 2368.

IV. Sonstige Finanzierungshilfen

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2. Der entgeltliche Zahlungsaufschub

Nach § 506 Abs. 1 findet ein Teil der Normen über das Verbraucherdarlehen auch auf den entgeltlichen Zahlungsaufschub Anwendung, wenn der Barzahlungspreis bei mindestens 200 € liegt (§§ 506 Abs. 4 Satz 1, 491 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) und der Vertrag eine Laufzeit von mehr als drei Monaten aufweist (§§ 506 Abs. 4 Satz 1, 491 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3).203 In Abgrenzung vom Darlehen setzt ein Zahlungsaufschub die Einräumung von Kaufkraft ohne Überlassung einer Geldsumme voraus.204 Den praktisch bedeutsamsten Fall stellt die Stundung einer fälligen Forderung dar.205

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(BGH 16.11.1995 – I ZR 177/93 = NJW 1996, 457) G leitet eine Heilpraktikerschule. Den Teilnehmern der oft mehrwöchigen Kurse wird die Möglichkeit eröffnet, die gesamte Kursgebühr durch einmalige Vorauszahlung zu entrichten oder durch monatliche Zahlungen, deren Summe höher ist als die der Vorauszahlung. Kann ein Kursteilnehmer, nachdem er sich für die Teilzahlungsvariante entschlossen hat, nach §§ 495, 506 Abs. 1 widerrufen?

Zu Recht wendet das Gericht § 506 Abs. 1 nicht auf diesen Fall an (S. 458). Denn im Dienstvertrag wird der Lohn erst nach Erbringung der Dienstleistung, also post numerando, fällig (§ 614 Satz 1). Ist die Dienstleistung wie hier nach Teilabschnitten (Kursmonaten) bemessen, wird auch der Lohn erst nach dem jeweiligen Abschnitt fällig (§ 614 Satz 2). Die „Ratenzahlung“ spiegelt daher den gesetzlich geregelten Fall der Entlohnung bei Eintritt der Leistungszeit, während die Möglichkeit zur Bezahlung der Gesamtsumme eine von § 614 abweichende Vereinbarung darstellt, zu der der Schulbetreiber hier nur einen besonderen finanziellen Anreiz setzt (S. 458). Vereinbarungen des Gläubigers mit einem Schuldner über eine spätere Zahlung müssen jedoch nicht immer eine Stundung, also eine Veränderung der Leistungszeit nach § 271 Abs. 2 zum Gegenstand haben, sondern können auch auf einem pactum de non petendo beruhen, einer Vereinbarung darüber, dass ein eigentlich fälliger Anspruch zurzeit nicht geltend gemacht wird.206 Der Vorteil dieser Vereinbarung für den Gläubiger liegt darin, dass die Verzugsvoraussetzungen gegen den Schuldner nach wie vor durch eine Mahnung nach § 286 Abs. 1 Satz 1 eintreten können. Scheitert das Nachholen der Leistung, kann der Gläubiger so für den gesamten Zeitraum den Verzögerungsschaden geltend machen. § 506 Abs. 1 setzt dagegen einen entgeltlichen Zahlungsaufschub voraus. Zahlt der Verbraucher wiederum an den Darlehensgeber ein Entgelt für das Hinauszögern der Leistung, darf er mehr erwarten als ein Stillhalten. Hier dürfte dann nach §§ 133, 157 im Zweifel eine echte Stundung vereinbart sein. Für unentgeltliche Finanzierungshilfen trifft nun § 515 eine Sonderregelung (Rn. 663a). 203 Künftig werden diese Anwendungsvoraussetzungen wohl in § 312 geregelt werden; vgl. RegE VRRL-G. 204 MünchKomm/Schürnbrand § 506 Rn. 4. 205 Staudinger/Kessal-Wulf § 506 Rn. 2; MünchKomm/Schürnbrand § 506 Rn. 4. 206 MünchKomm/Krüger § 271 Rn. 18.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

3. Die entsprechende Anwendung auf persönliche Sicherungsgeber (Schuldbeitritt, Vertragsübernahme, nicht aber Bürgschaft) 696

Der BGH wendet die Normen über das Verbraucherdarlehen (§§ 491ff.) auch auf den Schuldbeitritt an: (BGH 5.6.1996 – VIII ZR 151/95 = BGHZ 133, 71 = NJW 1996, 2156) Die X-GmbH hatte von L zum Betrieb ihres Gewerbes ein Kfz für eine Laufzeit von 43 Monaten geleast. Auf den Leasingvertrag ist § 506 Abs. 2 anwendbar. Der Geschäftsführer der X-GmbH G ist den auf dieser Grundlage entstandenen Verbindlichkeiten beigetreten.207 Fraglich ist, ob er diesen Beitritt noch nach § 495 Abs. 1 widerrufen kann. In Betracht kommt ein Anspruch des L gegen G aus § 535 Abs. 2 analog. Fraglich ist jedoch, ob der Schuldbeitritt des G zu dem zwischen L und X geschlossenen Finanzierungsleasingvertrag nach § 535 analog (str., vgl. Rn. 717) wirksam ist. Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 ist G an seine zum Schuldbeitritt führende Willenserklärung nicht gebunden, wenn er diese nach §§ 512 Satz 2, 506 Abs. 2 Satz 1 iVm. Abs. 1 Satz 1, 495 Abs. 1 wirksam widerrufen konnte.

Der im Gesetz nicht geregelte Schuldbeitritt hat zur Folge, dass der Beitretende neben dem Primärschuldner für die von diesem begründeten Verbindlichkeiten gesamtschuldnerisch haftet.208 Dabei handelt es sich weder um ein Verbraucherdarlehen nach § 491, noch um einen entgeltlichen Zahlungsaufschub nach § 506 Abs. 1, da der Beitretende vom Gläubiger keinen Zahlungsaufschub erlangt, sondern lediglich einem Geschäft beitritt, in dem einem Dritten im weitesten Sinne Kredit gewährt worden ist (S. 2157). Der BGH geht jedoch davon aus, dass der Schuldbeitritt einem Darlehensvertrag gleichzustellen sei (S. 2157): Denn der Beitretende hafte wie ein Darlehensnehmer, habe aber auf das Zustandekommen der Darlehensverbindlichkeit keinen Einfluss. Deshalb sei er sogar schutzwürdiger als der ursprüngliche Darlehensnehmer. Diese wenig dogmatische, in der Sache aber überzeugende Überlegung lässt sich heute vielleicht am ehesten auf § 512 Satz 2 zurückführen: Die §§ 491ff. könnten nämlich leicht umgangen werden, wenn der (nachträgliche) Beitritt eines Verbrauchers zu einem mit einem Unternehmer vereinbarten Darlehen nicht erfasst würde. Die Gegenansicht verweist auf die Ungleichbehandlung von Schuldbeitritt und Bürgschaft (§§ 765ff.) in diesem Punkt; denn auf die Bürgschaft finden die §§ 491ff. keine Anwendung (zu Letzterem Rn. 701). Einige Formen des Schuldbeitritts, insbesondere der sog. Sicherungsbeitritt, stünden der Bürgschaft näher als dem Schuldbeitritt.209 Fraglich ist allerdings, ob es sich bei diesen Formen nicht statt um Schuldbeitritte eher um Bürgschaften nach §§ 765ff. handelt (Näheres dazu Rn. 1373). Begründet der Schuldbeitritt aber eine gesamtschuldnerische Haftung nach § 421, gilt das Prinzip der begrenzten 207 Beachte in diesem Zusammenhang das Verbot des § 309 Nr. 11 lit. a, auf das BGHZ 133, 71, 73 kurz eingeht. 208 Larenz I § 35 II. 209 MünchKomm/Schürnbrand § 491 Rn. 57; ders., Der Schuldbeitritt zwischen Gesamtschuld und Akzessorietät, 2003, S. 58ff. und 66ff.

IV. Sonstige Finanzierungshilfen

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Einzelwirkung nach § 425 Abs. 1: Außer in den Fällen der §§ 422 bis 424 haftet der Beitretende eigenständig für sich. Er steht damit dem Hauptschuldner näher als ein Bürge, der nur akzessorische Verantwortung trägt (§ 767 Abs. 1 Satz 1). Der Schutzzweck des § 512 Satz 2 lässt es daher nicht zu, den Schuldbeitretenden von der Anwendung der §§ 491ff. auszunehmen. Die Entscheidung bestätigt auch die Lehre von der Einzelfallbetrachtung bei der Beteiligung mehrerer „Darlehensnehmer“ (Rn. 647): Für die Anwendbarkeit der §§ 491ff. muss danach jeder Schuldner einzeln im Hinblick auf die in seiner Person vorliegende Verbrauchereigenschaft eingeordnet werden. Auch wenn hier die Hauptschuldnerin (die GmbH) Unternehmerin ist und ihre Verpflichtung aus dem Leasingvertrag daher nicht unter § 506 Abs. 2 fällt, verdient der Schuldbeitretende als Verbraucher iSd. § 13 (Rn. 415) den Schutz der Norm (S. 2157).

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Vorliegend kann G seinen Schuldbeitritt nach §§ 512 Satz 2, 506 Abs. 2 Satz 1 iVm. Abs. 1 Satz 1, 495 Abs. 1 mit der Rechtsfolge des § 355 Abs. 1 Satz 1 widerrufen. Der Zahlungsanspruch des L gegenüber ihm besteht daher nicht.

Im Anschluss an diese Überlegungen ist fraglich, ob die Formnichtigkeit des Schuldbeitritts nach §§ 494 Abs. 1, 492 Abs. 1, 506 Abs. 1 durch Auszahlung des Darlehens geheilt werden kann. Dies wird zu Recht mit der Überlegung verneint, dass der Beitretende durch die Auszahlung – anders als ein Darlehensnehmer – keinen Vorteil erlangt.210 Schließlich ist auch im Falle der Kündigung des Leasingvertrages nach §§ 506 Abs. 2, 498 eine Inanspruchnahme des Beitretenden nur dann möglich, wenn auch gegenüber ihm die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind.211 Der Fall berührt schließlich auch das Problem der krassen finanziellen Überforderung (s. dazu Rn. 1374ff.). Die §§ 491ff. finden im Übrigen auch im Falle der Vertragsübernahme beim Finanzierungsleasing entsprechende Anwendung: (BGH 26.5.1999 – VIII ZR 141/98 = BGHZ 142, 23 = NJW 1999, 2664) Unternehmer LN hatte als Leasingnehmer mit dem Leasinggeber LG einen Finanzierungsleasingvertrag iSd. § 506 Abs. 2 über ein Fahrzeug abgeschlossen, das er für seinen Betrieb nutzte. Auf Vorschlag des Ü vereinbaren LN, LG und Ü, dass Ü anstelle des LN in den Finanzierungsleasingvertrag eintreten und LN aus diesem entlassen werden solle. Ü aber verwendet das Fahrzeug ausschließlich für private Zwecke. Am Ende der Restlaufzeit des Vertrages zerstört Ü das Fahrzeug in einem Straßenverkehrsunfall. Nun verlangt LG die ausstehenden Leasingraten und die Erfüllung des Restwertanspruchs. Ü beruft sich auf die Nichtigkeit der Vertragsübernahme nach § 125, weil der Vertrag unstreitig nicht der Form der §§ 506 Abs. 1 und 2, 492 Abs. 1 genügt habe. LG besteht gegenüber Ü auf dem Anspruch aus § 535 Abs. 2 analog (str.; Rn. 717).

Bei der Vertragsübernahme handelt es sich um ein Verfügungsgeschäft unter drei Beteiligten: dem Austretenden, dem Übernehmer und der Vertragsgegen210 BGH NJW 1997, 3169; MünchKomm/Schürnbrand § 494 Rn. 20. 211 BGH NJW 2002, 133, 137; OLG Karlsruhe WM 1997, 1340; Bülow/Artz ZIP 1998, 629,

635; MünchKomm/Schürnbrand § 498 Rn. 22.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

seite.212 Auch hier stellt sich die Frage der Anwendbarkeit der §§ 491ff. Diese gliedert sich wiederum in zwei Teilfragen: Problematisch ist zum einen, ob die §§ 491ff. überhaupt auf die Vertragsübernahme passen. Der BGH bejaht dies mit Blick auf den Schutzzweck der Normen: Denn im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers dürfe es keinen Unterschied machen, wie dessen Pflicht begründet werde – originär durch Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags oder durch Übernahme einer bereits bestehenden Leasingverbindlichkeit (S. 2666).213 Zweitens ist problematisch, ob die §§ 491ff. auf eine Vertragsübernahme analog § 415 passen. Die Schuldübernahme, dh. die Übernahme einer Forderung, nicht eines ganzen Vertrages, kann nach §§ 414f. in zwei Formen vereinbart werden: als Vertrag zwischen Gläubiger und Übernehmer (§ 414) sowie als Vertrag zwischen Altschuldner und Übernehmer, dem der Gläubiger nur zustimmt (§ 415). In Anlehnung an diese Möglichkeiten besteht bei der echten Vertragsübernahme das Modell einer dreiseitigen Einigung zwischen sämtlichen Beteiligten, aber auch die Möglichkeit einer an § 415 erinnernden Einigung zwischen Altschuldner und Übernehmer unter Zustimmung des Gläubigers (S. 2666). Im Schrifttum wird dieser zweite Fall problematisiert: Denn hier sei der Darlehensgeber nicht am Vertragsschluss beteiligt, sondern genehmige diesen nur im Wege einer Verfügung nach § 185 Abs. 1. Dann aber fehle es an der in § 491 vorausgesetzten Einigung zwischen einem unternehmerisch verfassten Darlehensgeber und einem Darlehensnehmer mit Verbraucherstatus über ein Darlehen. Deshalb komme nur eine entsprechende Anwendung des § 491 in Betracht.214 Aus heutiger Sicht wiegen diese Bedenken (offenlassend BGH S. 2666) nicht schwer; denn ohnehin kommt in den Fällen der Vertragsbzw. Schuldübernahme nur eine analoge Anwendung der §§ 491ff. aufgrund des Rechtsgedankens von § 512 Satz 2 in Betracht. Für diese kann es aber nicht darauf ankommen, in welcher Form sich die Vertragsübernahme vollzieht, weil ein Umgehungsschutz sonst nicht zu leisten wäre: Zu leicht könnte ein unternehmerisch organisierter Darlehensnehmer als erster Vertragspartner vorgespannt werden, der sich dann mit dem eigentlichen Darlehensnehmer, dem Verbraucher, in der Form des § 414 (analog) einigen würde. Deshalb müssen die §§ 491ff. auf sämtliche Formen der Vertragsübernahme analoge Anwendung finden. Ausgehend von der rechtlichen Behandlung von Schuldbeitritt und Vertragsübernahme würde man erwarten, dass mit der Bürgschaft nicht anders verfahren wird als mit dem Schuldbeitritt. Doch lehnt dies der BGH im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH215 ab: Er sieht die Rechte des Bürgen daher ab212 Larenz I § 35 III. 213 Zustimmend etwa Staudinger/Kessal-Wulf § 491 Rn. 22. 214 Ulmer/Timmann, in: FS Rowedder, 1994, S. 503, 514; Grziwotz MDR 1997, 432, 434; dazu

auch Staudinger/Kessal-Wulf § 491 Rn. 22. 215 EuGH, Urt. v. 23.3.2000 – C-208/98, Slg. 2000, I-1741, Tz. 25ff. – Berliner Kindl.

V. Die Teilzahlungsgeschäfte

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schließend über die Schriftform des § 766 und die besonderen auf Bürgenschutz zielenden Institute der §§ 768ff. und § 771 gewahrt.216 (BGH 21.4.1998 – IX ZR 258/97 = BGHZ 138, 321 = NJW 1998, 1939) Leasinggeberin G schloss mit der S-GmbH (S) einen Leasingvertrag mit Restwertgarantie nach § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 über einen Baukran. Dazu musste der Gesellschafter und GmbH-Geschäftsführer B eine selbstschuldnerische Bürgschaft abgeben. Die Form des § 766 wurde dabei gewahrt. Als die S in Vermögensschwierigkeiten gerät und G den Leasingvertrag wegen Zahlungsverzugs kündigt, verlangt sie von B Zahlung der ausstehenden, infolge Vorfälligkeit abgezinsten Leasingraten iHv. 22.000 €. B aber beruft sich auf die Formvorschriften für „Verbraucherdarlehen“. Fraglich ist, ob der Anspruch der G aus § 765 Abs. 1 an der Formnichtigkeit des Bürgschaftsvertrages nach § 494 Abs. 1 scheitert. Auf den vorliegenden Leasingvertrag mit Restwertgarantie finden nach § 506 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 die §§ 492 und 494 Abs. 1 Satz 1 Anwendung. § 492 Abs. 1 Satz 1 aber setzt, anders als § 766 Satz 1, die Schriftform des Vertrages und nicht nur der Willenserklärung des Bürgen voraus, die hier ja gewahrt war. So stellt sich die Frage, ob § 492 Abs. 1 auf die Bürgschaft analoge Anwendung findet.

Der BGH hat dies verneint. Insbesondere lehnt er eine parallele Behandlung von Bürgschaft und Schuldbeitritt ab. Denn der Schuldbeitretende haftet gesamtschuldnerisch nach §§ 421, 425, der Bürge hingegen akzessorisch nach § 767 Abs. 1 Satz 1 (S. 1940). Hinzu treten zwei weitere Gründe (S. 1941): Zum einen wird der Bürge durch die Rechtsprechung zu § 766 Satz 1 vor den spezifischen Gefahren der Bürgschaft geschützt (vgl. gerade Rn. 1384ff.). Zum anderen passt die Formvorschrift des § 492 ihrem Zweck nach nicht auf die Bürgschaft. Diese Norm und die vorvertragliche Informationspflicht nach § 491a sollen dem Verbraucher vor allem einen Vergleich mit den Darlehenskonditionen anderer Anbieter ermöglichen, sodass er sich vor der vertraglichen Bindung bzw. auch kurz danach (§ 495!) noch einmal in Richtung eines besseren Angebotes umorientieren kann. Der Bürge aber hat eine solche Entscheidungsmöglichkeit nicht, da er sich der Verbindlichkeit des Hauptschuldners anschließt. Ihn würden die Informationen nach §§ 491a, 492 daher nicht so efffektiv schützen wie die Rechtsprechung zur Zweckerklärung der Bürgschaft (S. 1941; zu dieser Rn. 1359ff.). Man wird jedoch ergänzen müssen, dass gerade das letzte Argument auch für den Schuldbeitretenden gilt! V. Die Teilzahlungsgeschäfte Bei Teilzahlungsgeschäften handelt es sich nach § 506 Abs. 3 um Verträge, die die Lieferung einer bestimmten Sache oder die Erbringung einer bestimmten anderen Leistung gegen Teilzahlungen zum Gegenstand haben. Im Mittelpunkt stehen Kaufverträge, bei denen in Abweichung von §§ 433 Abs. 2, 271 Abs. 1 der Kaufpreis nicht sofort und in voller Höhe, sondern über eine Laufzeit von mehr als drei Monaten (§§ 506 Abs. 4, 491 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) bei einem Bar216 BGH NJW 1998, 1939, 1940f.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

kaufpreis von mindestens 200 € (§§ 506 Abs. 4, 491 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) erbracht wird. § 507 passt die Formvorschrift des § 492 und ihre Folge nach § 494 an die Besonderheiten dieser Transaktionsform an, § 508 regelt das Rückgaberecht. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Rücktrittsfiktion des § 508 Satz 5: (Im Anschluss an LG Itzehoe 11.11.2010 – 7 O 302/09 = Juris) Darlehensnehmer DN schließt mit Darlehensgeber DG einen Vertrag über ein Darlehen iHv. 51.028,03 €, das in 35 gleichbleibenden Monatsraten à 1.201,98 € und einer Restrate iHv. 8.958,73 € zurückzuzahlen ist. Damit finanziert DN die Anschaffung eines Pkw von Verkäufer V, dessen sich DG beim Abschluss des Darlehensvertrages bedient hat. Als DN in Verzug gerät, fordert DG den DN auf, den Wagen zu einem ihrer Vertragshändler zu bringen, was auch erfolgt. DG macht darauf im Mahnverfahren (§§ 688ff. ZPO) ihre Forderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 geltend und erlangt gegen DN einen Vollstreckungsbescheid (§ 699 ZPO), gegen den dieser rechtzeitig Einspruch (§ 700 ZPO) erhebt. Der Einspruch nach §§ 700 Abs. 1, 338 Satz 1 ZPO ist begründet, wenn die Forderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 nicht besteht. Diese könnte vorliegend durch eine Wiederansichnahme der Sache nach § 508 Satz 5 untergegangen sein. Zwischen DG und V liegen die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 1 und 2 zweiter Fall vor.

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Nach § 508 Satz 5 gilt die Wiederansichnahme der Sache als Ausübung des Rücktrittsrechts. Dasselbe gilt nach § 508 Satz 6 im Fall des § 358 Abs. 3, wenn der Darlehensgeber die Sache wieder an sich nimmt. Problematisch ist vorliegend, dass der Darlehensgeber keinen eigenen Besitz an der Sache begründet, sondern diese dem Verkäufer überlässt. Das Tatbestandsmerkmal ist jedoch entsprechend dem Normzweck sehr weit auszulegen. Denn § 508 Satz 5 schützt den Verbraucher davor, einerseits mit dem Besitz die Nutzungsmöglichkeit an der Kaufsache einzubüßen, andererseits aber weiterhin zur Zahlung verpflichtet zu bleiben.217 Deshalb kommt es für die Wiederansichnahme nicht auf die Besitzbegründung beim Verkäufer an, sondern auf den Besitzverlust beim Verbraucher. Ähnliches gilt im Fall des § 508 Satz 6: Es geht nicht darum, dass der Darlehensgeber selbst Besitz begründet, sondern dass dem Verbraucher der Besitz als Nutzungsgrundlage entzogen wird.218 Fraglich ist jedoch, ob dem Verkäufer im Fall des § 508 Satz 5 bzw. dem Darlehensgeber in dem des Satzes 6 ein materieller Rücktrittsgrund nach §§ 508 Satz 1, 498 Satz 1 zustehen muss. Vorliegend war der Darlehensnehmer (Käufer) nur in Verzug geraten. Der Rücktritt nach §§ 508 Satz 1, 498 Satz 1 ist aber an qualifizierte Verzugsvoraussetzungen gebunden. Für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 498 Satz 1 spricht nach hM. der Wortlaut des Satzes 5, nach dem die Wiederansichnahme nur als Ausübung des Rücktrittsrechts gilt.219 Ge217 Dies hatte RGZ 139, 205, 207f. bereits für eine der Vorgängernormen herausgearbeitet. 218 Siehe dazu näher MünchKomm/Schürnbrand § 508 Rn. 62. 219 RegE BT-Drucks. 11/5462, S. 28; OLG Oldenburg WM 1996, 19f.; OLG Köln WM 1998,

381, 382; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl. 2016, § 508 Rn. 30; Erman/Saenger § 508 Rn. 66; Staudinger/Kessal-Wulf § 508 Rn. 33; Bamberger/Roth/Möller § 508 Rn. 18 (= BeckOK § 508 Rn. 5).

VI. Der Ratenlieferungsvertrag

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gen diese Auffassung lässt sich jedoch der Normzweck des § 508 Satz 5 und 6 anführen, den Verbraucher vor einer Doppelbelastung (Besitzverlust und Bestehenbleiben der Rückzahlungspflicht) zu schützen.220 Gerade wenn die Wiederansichnahme ohne Rücktrittsgrund erfolgt, erscheint der Verbraucher besonders schutzbedürftig. Der durch den Verkäufer veranlasste Verlust der Nutzungsmöglichkeit muss deshalb stets zum Untergang des Zahlungsanspruchs gegenüber dem Käufer führen – gleichgültig, ob die Entziehung der Kaufsache berechtigt oder unberechtigt war. Geht man davon aus, ist der Einspruch des DN begründet. Denn der Anspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 ist durch Rücktritt nach § 508 Satz 6 untergegangen.

Vollstreckt der Verkäufer in die Kaufsache selbst, kann sich der Verbraucher mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO verteidigen.

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Beispiel Unternehmer V hat Verbraucher K einen Pkw gegen Teilzahlung nach § 506 Abs. 3 verkauft und unter Eigentumsvorbehalt (§ 449 Abs. 1) übereignet. Als K in qualifizierten Verzug nach § 498 Abs. 1 Satz 1 gerät, erwirkt V im Wege des Mahnverfahrens einen Vollstreckungsbescheid (§ 699 ZPO) gegen K und vollstreckt nach Ablauf der Einspruchsfrist gem. § 808 ZPO wegen seiner Geldforderung aus § 433 Abs. 2 in den Pkw selbst. K erhebt daraufhin die Vollstreckungsgegenklage. § 767 Abs. 1 ZPO setzt eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den titulierten Anspruch selbst voraus; in entsprechender Anwendung des § 767 Abs. 2 muss diese bei einem Vollstreckungsbescheid nach Ablauf der Einspruchsfrist gem. §§ 700 Abs. 1, 339 ZPO entstanden sein (§ 796 Abs. 2 ZPO).

Vorliegend kommt eine Einwendung nach § 508 Satz 5 in Betracht. Auch in der Pfändung der Kaufsache durch den Teilzahlungsverkäufer liegt eine Wiederansichnahme. Denn der Besitzverlust führt auch hier zu der Doppelbelastung, vor der die Norm den Verbraucher gerade schützen soll. Dagegen ließe sich noch einwenden, dass der Käufer zwar den Besitz verliert, durch die Verwertung der Sache aber auch von seiner Kaufpreisschuld frei wird. Doch bleibt eine Doppelbelastung insoweit bestehen, als er die bereits gezahlten Raten nicht wiedererlangt! Dies allein rechtfertigt die Anwendung des § 508 Satz 5.221 Deshalb sind nach Ablauf der Einspruchsfrist die Sachvoraussetzungen des titulierten Anspruchs entfallen. Die Klage nach § 767 Abs. 1 ZPO ist daher begründet.

VI. Der Ratenlieferungsvertrag Der in § 510 geregelte Ratenlieferungsvertrag steht in einem eher äußerlichen systematischen Zusammenhang zum Verbraucherdarlehen und den sonstigen Finanzierungshilfen. Teilweise stellen Ratenlieferungsverträge jedoch Sonderformen des AGAV- oder Fernabsatzgeschäftes dar. Auf diese Sonderfälle ist 220 MünchKomm/Schürnbrand § 508 Rn. 44f.; Habersack/Schürnbrand JuS 2002, 833, 835f.; Karollus JuS 1993, 820, 824; Müller-Laube JuS 1982, 797, 802; Oetker/Maultzsch § 3 Rn. 114. 221 BGHZ 15, 241 = NJW 1955, 139, 140.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

§ 510 nach Abs. 2 der Norm nicht anwendbar. In den übrigen Fällen begründet § 510 Abs. 2 für den Verbraucher ein Widerrufsrecht, dessen Ausübung § 356c regelt und das zu den Rechtsfolgen der §§ 355, 357c führt. Die Norm schützt den Verbraucher vor dem übereilten Eingehen einer längerfristigen Bindung durch Einräumung eines eigenen Widerrufsrechts. Als Ratenlieferungsvertrag werden dabei in § 510 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Fälle von Dauerschuldverhältnissen und ähnlichen Rechtsverhältnissen enumeriert. Nr. 1 erfasst vor allem sog. Teillieferungsverträge. Dabei handelt es sich nicht um echte Dauerschuldverhältnisse, da der Gesamtumfang der von beiden Seiten zu erbringenden Leistungen sich nicht aus der Laufzeit des Vertrages ergibt, sondern bereits bei Vertragsschluss feststeht und diese nur in Teillieferungen bzw. Raten erbracht werden müssen. Ursprünglich schwebte dem Gesetzgeber als Anwendungsfall der entgeltliche Bezug mehrbändiger Lexika vor.222 Nr. 2 bezieht sich vor allem auf sog. Sukzessivlieferungsverträge. Der Sukzessivlieferungsvertrag unterscheidet sich vom Teillieferungsvertrag dadurch, dass er „dauernd läuft“, während beim Teillieferungsvertrag die Gesamtmenge von vornherein feststeht. Als einschlägiges Beispiel kommt das Zeitschriftenabonnement in Betracht.223 Den praktisch bedeutendsten Anwendungsfall beinhaltet indes Nr. 3. Die Norm betrifft die Verpflichtung zum wiederkehrenden Erwerb oder Bezug von Sachen. Es handelt sich regelmäßig um Rahmenverträge, in denen die Parteien Verpflichtungen zum Abschluss einer Vielzahl von einzelnen Kaufverträgen begründen.224 Darunter fallen alle Formen des Warenvertriebs durch Absatzmittler, die dauerhaft in ein Vertriebssystem des Produzenten integriert sind (Handelsvertreter, Vertragshändler, Franchisenehmer, Bierlieferungsvertrag).225 Denn im Vertriebsvertrag verpflichtet sich der Absatzmittler gegenüber der Systemzentrale (Prinzipal) zum Bezug der später auf dem Markt zu vertreibenden Waren. Der Vertrag schafft zugleich einen rechtlichen Rahmen, in Erfüllung dessen einzelne Kaufverträge abgeschlossen werden: (BGH 14.12.1994 – VIII ZR 46/94 = BGHZ 128, 156 = NJW 1995, 722 – Ceiling Doctor, abgewandelt) K schließt mit V einen auf zehn Jahre befristeten „Lizenzvertrag“ über das Reinigungssystem „Ceiling Doctor“ ab, mit dessen Hilfe sich Gebäudeinneneinrichtungen angeblich besonders gründlich reinigen lassen. Im Lizenzvertrag erhält K das exklusive Recht, das Reinigungssystem in Bremen zu vertreiben. Er schuldet dafür eine einmalige Lizenzgebühr iHv. 50.000 € und monatliche Franchise-Gebühren und verpflichtet sich, den Markt für „Ceiling Doctor“ in Bremen durch Werbeanstrengungen „aufzubauen“ (erste Kündigungsmöglichkeit: nach zwei Jahren Vertragslaufzeit). Zugleich werden die Bedingungen vereinbart, unter denen K das Reinigungsmittel bei V während der Laufzeit des Vertrages beziehen muss. Eine Widerrufsbelehrung fehlt im Vertrag. K verweigert die Zahlung der Franchisegebühr fünf Monate nach Vertragsschluss und widerruft den Vertrag.

222 223 224 225

Dazu Meier ZfPW 2016, 233ff.; MünchKomm/Schürnbrand § 510 Rn. 15. MünchKomm/Schürnbrand § 510 Rn. 21. MünchKomm/Schürnbrand § 510 Rn. 24. Vgl. dazu die Entscheidungen BGHZ 109, 314 und BGHZ 129, 371, 378.

VII. Das Sachdarlehen

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In Betracht kommt ein Zahlungsanspruch des V nach §§ 675 Abs. 1, 611 Abs. 1. Dem könnte jedoch die Rechtsfolge des § 355 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehen, wenn K nach § 510 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 wirksam widerrufen hat.

Beim hier vorliegenden Franchisingvertrag handelt es sich richtigerweise um einen atypischen Vertrag, der Elemente des Geschäftsbesorgungsvertrages mit Dienstleistungscharakter (§§ 675, 611) und anderen Elementen kombiniert.226 Darin geht der Franchisenehmer gegenüber dem Franchisegeber eine Verpflichtung zum wiederkehrenden Bezug der Franchiseware ein. Auf diesen Vertragstyp ist § 510 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 prinzipiell anwendbar (S. 723). Fraglich ist nur, ob der Franchisenehmer Verbraucher war. In Betracht kommt ein Fall der Existenzgründung (§ 513). Dazu müsste der Franchisevertrag der Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Franchisenehmers dienen. Vorliegend war streitig, ob dies beim Franchisevertrag aus Sicht des Franchisenehmers überhaupt möglich ist: Im älteren Schrifttum (Nachweis in der Entscheidung S. 723) war die Auffassung vertreten worden, die Entstehung der Bezugspflicht des Franchisenehmers führe bereits zur Ausübung des Gewerbes, womit eine Existenzgründungsphase beim Franchising praktisch verneint wurde. Zugrunde lag wohl die wirtschaftliche Überlegung, dass der Franchisenehmer nicht einen eigenen Betrieb aufbaut, sondern sich einem vom Franchisegeber vorverkauften Produkt-Markt-Konzept anschließt (dazu Rn. 1280). Dagegen wendet sich der BGH jedoch im Hinblick auf den Wortlaut der Norm (S. 723). Auch der Zweck des § 513, den Anfänger bei der Geschäftsaufnahme vor den Belastungen der Bindung in besonderer Weise zu schützen, spricht für diese Betrachtungsweise. § 510 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist darüber hinaus nicht auf sog. Wiederkehrschuldverhältnisse anwendbar: Bei diesen wiederholen sich ähnliche vertragliche Leistungsaustausche, ohne dass eine Rechtspflicht zu dieser Wiederholung besteht. Der Gas- oder Strombezug sind einschlägige Beispiele.227 Der Vertrag bedarf im Übrigen der Schriftform (§ 510 Abs. 1 Satz 1), die aber unter den Voraussetzungen des § 510 Abs. 1 Satz 2 und 3 durch elektronische Übermittlung ersetzt werden kann.

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VII. Das Sachdarlehen Beim Sachdarlehen (§§ 607ff.) gewährt der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer eine vertretbare Sache (§ 91) entsprechend der Spezifizierung der Parteien im Vertrag. Der Darlehensnehmer erwirbt Eigentum an dieser Sache und schuldet dafür ein Darlehensentgelt und die Rückerstattung einer anderen Sache von gleicher Art und Güte. Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Sonderregelung für das Sachdarlehen zwei Anwendungsfälle vor Augen: Die Wertpapierleihe und die Überlassung von zurückzugebenden Mehrwegverpackun226 Vgl. nur Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 2, 1992, S. 69. 227 MünchKomm/Schürnbrand § 510 Rn. 24.

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§ 3 Der Darlehensvertrag und sonstige Finanzierungsgeschäfte

gen.228 Bei der Wertpapierleihe handelt es sich um ein Sachdarlehen, dessen Gegenstand Wertpapiere sind.229 In Betracht kommen etwa Aktien. Die Parteien vereinbaren dabei, dass der „Entleiher“ Eigentum an den einzelnen Stücken erwirbt. Im Gegenzug verpflichtet er sich gegenüber dem „Verleiher“ zu einer „Leihgebühr“ und zur Rückerstattung vergleichbarer Stücke (Aktienurkunden) im Zeitpunkt der vertraglich vereinbarten Fälligkeit. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Geschäfte liegt darin, dass der Darlehensnehmer („Entleiher“) die Stimmrechte aus den Aktien in der Hauptversammlung der Gesellschaft ausüben kann, ohne für deren Erwerb die volle Gegenleistung aufbringen zu müssen (sog. Empty Votes). Auch kann er mit diesen Papieren seine eigenen Verkäuferpflichten gegenüber Dritten aus § 433 Abs. 1 Satz 1 bedienen, ohne gegenüber dem „Verleiher“ (Darlehensgeber) zunächst den vollen Kaufpreis zahlen zu müssen. Die Wertpapierleihe eignet sich grundsätzlich auch zur Spekulation auf fallende Wertpapierkurse (sog. „Leerverkäufe“): Der Entleiher verkauft dabei die Papiere an Dritte und deckt sich selbst im Wege der Wertpapierleihe ein. Er hofft, dass die Kurse unter dem Verkaufsdruck nachgeben werden und er sich deswegen günstiger eindecken kann, um die Rückgewähransprüche des Verleihers zu befriedigen. Freilich setzt § 30h Abs. 1 WpHG dieser Praxis Grenzen. Der Fall der zurückzugewährenden Mehrwegverpackung lässt sich nicht in jedem Fall unter § 607 Abs. 1 Satz 1 fassen. Die hM. sieht das Flaschenpfand zunächst als irreguläres Pfandrecht in Form einer Barkaution an.230 Im Einzelfall kann vor allem die Anspruchsberechtigung Fragen aufwerfen: (BGH 13.11.2009 – V ZR 255/08 = NJW-RR 2010, 1432) G vertreibt Mineralwasser in Mehrwegflaschen aus Kunststoff. Dabei werden an sie häufig auch Flaschen zurückgegeben, die die Konkurrentin S in den Verkehr bringt. Die Flaschen der S tragen die Aufschrift „Pfand“. G will der S deren Flaschen gegen Auszahlung des Pfandes zurückgeben. S hält sich diesbezüglich nicht für verpflichtet und verweist G auf die Möglichkeit der Verpressung der Flaschen. Wenn nämlich Flaschen der G an S zurückgegeben werden, verpresst S diese. Hat G einen Zahlungsanspruch bei Andienung der Flaschen an S?

Der BGH bejaht einen Anspruch aus einem Zahlungsversprechen eigener Art. Der Aufdruck „Pfand“ beinhalte ein Zahlungsversprechen gegenüber jedem Dritten, der die Flasche an den Hersteller zurückgibt (Tz. 15).231 Dass der Abfüller bzw. Hersteller das zuvor vereinnahmte Pfand zurückzahlen müsse, entspreche dem durch die Verpackungsverordnung begründeten System, nach dem die Flaschen auch an Dritte zurückgegeben werden können, die Pfandflaschen ähnlicher Art in den Verkehr bringen (Tz. 17). Dabei komme es nicht darauf an, dass ein Hersteller seine Verpflichtungen aus der Verpackungsverordnung bereits dann erfülle, wenn die Flaschen an einen Händler zurückgelangt 228 229 230 231

Vgl. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 259. MünchKomm/Berger § 607 Rn. 6ff.; Staudinger/Freitag § 607 Rn. 21ff. Staudinger/Wiegand § 1204 Rn. 59. Zuvor bereits BGH NJW 2007, 2912, Tz. 9f.

VII. Das Sachdarlehen

507

seien (Tz. 18). Sondern hier müsse zwischen den Händlern und Herstellern ein Innenausgleich stattfinden, damit nicht ein Händler mehr an Flaschenpfand auszahlen müsse, als er eingenommen habe (Tz. 19). Dies überzeugt. Eine eigene Frage liegt darin, ob der Käufer Eigentum an einer Pfandflasche erwirbt oder nicht. Bei nicht unterscheidbaren Einheitsflaschen soll ein Flaschendarlehen iSd. § 607 zustande kommen: Der Käufer erwirbt dann Eigentum, der Verkäufer einen Rückübereignungsanspruch, der durch das Pfand gesichert ist.232 Ist hingegen der Hersteller der Flasche eindeutig zu identifizieren (Individualflaschen), soll der Hersteller Eigentum an der Flasche behalten, sodass nur eine Leihe gegenüber dem Käufer anzunehmen ist.233 Im Schrifttum wird kritisiert, dass die Bejahung von Herstellereigentum zumindest auf der Endverbraucherstufe, also beim Erwerb durch private Konsumenten, nicht der Verkehrssitte entspreche. Dort rechneten die beteiligten Verkehrskreise nicht mit dem Bestehen einer echten Rückgabepflicht.234 Der BGH aber geht davon aus, dass es dem Käufer des Getränks nicht freigestellt sei, ob er die Flaschen an den Hersteller zurückgebe. Vielmehr solle das Herstellereigentum den Rücklauf der Flaschen sicherstellen. Dass der Endverbraucher in der Praxis nicht befürchten müsse, auf Herausgabe der Flasche in Anspruch genommen zu werden, beruhe allein auf dem Charakter des Getränkevertriebs als Massengeschäft. Dieser Umstand rechtfertige jedoch nicht den Schluss, dem Erwerber sei eine „Ersetzungsbefugnis“ eingeräumt und es stehe ihm frei, das Pfand verfallen zu lassen.235

232 BGH NJW 1956, 298; Dürkes BB 1956, 25, 27; MünchKomm/Berger § 607 Rn. 11ff.; vgl. auch Staudinger/Freitag § 607 Rn. 30ff. 233 OLG Köln NJW-RR 1988, 373; zur Kritik auch Martinek JuS 1989, 268. 234 Martinek JuS 1987, 514ff.; Staudinger/Freitag § 607 Rn. 31. 235 BGHZ 173, 159 = NJW 2007, 2913, Tz. 19.

710

§ 4 Leasinggeschäfte I. Grundlagen 1. Überblick 711

Das Finanzierungsleasing ermöglicht steuerlich begünstigte Investitionen in unternehmerisches Anlagevermögen. IdR. ergreift der Leasingnehmer die Initiative und wendet sich an einen Händler (Lieferanten). Mit diesem handelt er die Bedingungen für den Erwerb der späteren Leasingsache durch einen Leasinggeber aus. Auf der Grundlage eines Vertragsangebots des Lieferanten bemüht sich der Leasingnehmer dann um einen Leasinggeber, der den Vertrag mit dem Lieferanten abschließt.1 Darauf kommt ein Finanzierungsleasingvertrag zwischen dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer zustande. Der Leasinggeber erwirbt nun die Sache vom Lieferanten und überlässt sie dem Leasingnehmer auf Zeit und meist gegen monatliche Ratenzahlung. Auf diese Weise kommen ein Kaufvertrag zwischen Lieferant und Leasinggeber und ein Leasingvertrag zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer zustande. Eine erste Besonderheit des Finanzierungsleasings liegt darin, dass Leasingnehmer, Lieferant und Leasinggeber einander in einer Dreipersonenkonstellation gegenüberstehen, bei der jedoch der Leasingnehmer und der Lieferant einander nach hM. nicht vertraglich verbunden sind: Dies erscheint deshalb nicht konsequent, weil gerade diese beiden Beteiligten das Leistungsdreieck initiieren und sich auch später, wenn der Leasinggeber die Sache dem Leasingnehmer überlassen hat, über Fragen der Nacherfüllung, Wartung usw. ins Benehmen setzen müssen. Die hM. schließt diese Lücke, indem sie dem Leasinggeber erlaubt, seine eigenen Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Lieferanten an den Leasingnehmer abzutreten (sog. Abtretungskonstruktion; Rn. 722ff.).2 2. Das Vollamortisationsprinzip

712

Eine weitere Besonderheit, die das Finanzierungsleasing von allen anderen Vertragstypen, auch anderen Leasingtypen, unterscheidet, liegt darin, dass es beide Seiten des Leasingvertrages darauf anlegen, durch die Summe der Leasingraten und Sonderleistungen des Leasingnehmers sämtliche Anschaffungsund Finanzierungskosten des Leasinggebers voll abzudecken (sog. VollamortiMartinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 34; vgl. auch MünchKomm/Koch Leasing 1 Rn. 39f. Vgl. an dieser Stelle nur die Sicht der hM. bei MünchKomm/Koch Leasing Rn. 42f.; Sitt2 mann-Haury, Die Auswirkung einer mangelbedingten Rückabwicklung des Liefervertrags auf den Finanzierungsleasingvertrag, 2014, S. 49ff.

I. Grundlagen

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sationsprinzip). Üblicherweise ist es Sache des Darlehensgebers oder Vermieters, die Höhe der geforderten Gegenleistung so zu kalkulieren, dass sich der vertragliche Leistungsaustausch für ihn nicht als verlustreicher Prozess gestaltet. Beim Finanzierungsleasing aber geht es beiden Seiten darum, dass das wirtschaftliche Eigentum an der Leasingsache iSd. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO dem Leasinggeber zugerechnet wird.3 Denn damit verbinden sich für den Leasingnehmer entscheidende wirtschaftliche Vorteile bei der steuerlichen Veranlagung. Um diese zu erzielen, orientiert sich die Praxis an zwei Erlassen des Bundesfinanzministers, dem Vollamortisationserlass vom 19.4.19714 und dem Teilamortisationserlass vom 22.12.19755. Entgegen dem Wortlaut regeln beide Erlasse, unter welchen Voraussetzungen in einem Leasingvertrag dem Vollamortisationsprinzip Genüge getan ist. Nur wird die volle Kostendeckung jeweils auf unterschiedliche Weise bewerkstelligt: Bei den unter den Vollamortisationserlass fallenden Typen geschieht dies durch die Summe der Leasingraten (zuzüglich Kauf- oder Verlängerungsoption). Beim Teilamortisationsmodell bewirkt die Summe der Leasingraten allein nicht die volle Amortisation. Hinzutreten müssen vielmehr typische Abschlussleistungen des Leasingnehmers. Diese sind auch in § 506 Abs. 2 Satz 1 normiert: die auf Erwerb der Leasingsache gerichtete Bezugspflicht des Leasingnehmers bei Vertragsende (§ 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1), das Andienungsrecht des Leasinggebers, also die Befugnis, dem Leasingnehmer die Leasingsache zu verkaufen, (§ 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) und die Garantie eines Restwertes der Leasingsache durch den Leasingnehmer (§ 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3). Das Vollamortisationsprinzip hat konkret die Frage entstehen lassen, wie die Lasten aus der Verpflichtung des Leasinggebers gegenüber dem Lieferanten zum Nutzungsersatz nach § 346 Abs. 2 Satz 1 im Falle der Nachlieferung auf den Leasingnehmer abgewälzt werden können. Beispiel Leasinggeber LG hat von V ein Kfz erworben, das er Leasingnehmer LN im Wege des Finanzierungsleasings überlässt. Nachdem drei Monate später ein Mangel auftritt, verlangt LN aufgrund der ihm von LG abgetretenen Rechte Nachlieferung von V nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. V liefert an LN darauf eine Ersatzsache und erhält die ursprünglich gelieferte zurück. V verlangt nun von LG Wertersatz für die von LN gezogenen Nutzungen an dieser ersten Sache. Nachdem LG diesen entrichtet hat, fordert er den entsprechenden Betrag von LN aufgrund einer Klausel in den von ihm gestellten AGB. Der Anspruch besteht, wenn die von LG gestellte Erstattungsklausel nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist.

Der Fall ist zunächst eng verbunden mit der in der Quelle-Entscheidung des EuGH thematisierten Frage nach dem Nutzungsersatz bei der Nachlieferung (Rn. 224). Bekanntlich schloss der BGH im Anschluss an die EuGH-RechtspreGrundlegend BFH NJW 1970, 1148; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 20ff.; Martinek, in: 3 Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 5ff. BStBl. I 1971, S. 264 = BB 1971, 506f. 4 BB 1976, 72ff. 5

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chung eine Nutzungsersatzhaftung bei Nachlieferung im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs aus.6 Dies ist mittlerweile im Verbot des § 475 Abs. 3 Satz 1 (Rn. 224) umgesetzt. Weder die Rechtsprechung des BGH noch das Verbot des § 475 Abs. 3 Satz 1 greifen jedoch zugunsten des regelmäßig unternehmerisch organisierten Leasinggebers im Verhältnis zum Lieferanten. Deshalb stellt sich die Frage, ob die Erstattungsklausel wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Leasingnehmers gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstößt. Dies setzt voraus, dass der Leasinggeber durch die Erstattungsklausel einseitig seine eigenen Interessen auf Kosten derjenigen des Leasingnehmers durchsetzt. Dagegen spricht zunächst die Überlegung, dass die alleinige Wertersatzhaftung des Leasinggebers im Falle der Nachlieferung durch den Lieferanten mit dem Vollamortisationsprinzip unvereinbar sein könnte. Denn durch sie mindert sich der aus der Summe der Leasingraten und der Sonderleistungen erzielbare Gesamtbetrag. Dieser droht daher unterhalb der Vollamortisationsschwelle zu bleiben, was wiederum die Gefahr erhöht, dass das wirtschaftliche Eigentum an der Leasingsache dem Leasinggeber nach Maßgabe der Leasingerlasse nicht zugerechnet werden kann. Im Schrifttum ist umstritten, wie dieser Frage zu begegnen ist: Nach einer Auffassung soll deshalb in dem zwischen Lieferant und Leasinggeber vereinbarten Kaufvertrag das Gewährleistungsrecht auf bloße Nachbesserung beschränkt werden.7 Dagegen kann allerdings sprechen, dass dem Leasinggeber der Ausschluss der eigenen Sachmängelgewährleistung im Leasingvertrag nur möglich ist, wenn er dem Leasingnehmer die vollständigen Gewährleistungsrechte eines Käufers ohne Einschränkungen abtritt (dazu noch unten Rn. 733 und 737).8 Deshalb wird befürwortet, die Kosten des Nutzungsersatzes auf den Leasingnehmer unter Anrechnung der Vorteile für den Leasinggeber (dieser erhält ja vom Lieferanten eine Ersatzsache mit längerer Lebenszeit als die ursprünglich gelieferte) abzuwälzen.9 Hierzu existieren wiederum ergänzende und kritische Stimmen: Werde am Ende ein Mehrerlös bei einer Weiterveräußerung der Leasingsache erzielt, müsse der Leasingnehmer an diesem beteiligt werden.10 Teilweise wird auch vertreten, der Leasingvertrag beginne erst mit der Überlassung der Ersatzsache, während für den vorangegangenen Zeitraum nur eine Nutzungsentschädigung eigener Art verlangt werden dürfe.11 Insgesamt herrscht Skepsis, ob eine vorformulierte Beteiligung des Leasingnehmers an den Kosten der Nacherfüllung einer Prüfung am Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 standhält.12 6 BGH NJW 2009, 427, Tz. 25 im Anschluss an EuGH, Urt. v. 17.4.2008 – C-404/06 = Slg. 2008, I-2685, Tz. 33f. – Quelle. 7 So MünchKomm/Koch Leasing Rn. 107. 8 Offen lassend, ob dies noch gewährleistet ist BGH NJW 2006, 1066, Tz. 17. 9 H. Beckmann FLF 2002, 46, 51; Godefroid BB 2002, Beilage 5, S. 2, 6f. 10 F. Graf von Westphalen ZGS 2007, 219, 226f. 11 Reinking ZGS 2002, 229, 232. 12 Arnold, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 589, 605; Löbe BB 2003, Beilage 6, S. 7, 10; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. L425; F. Graf von Westphalen ZIP 2006, 1653, 1658; Zahn DB 2002, 985, 987f.

I. Grundlagen

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Dagegen wird man jedoch einwenden müssen, dass gerade auch dem Leasingnehmer an der Erreichung der Vollamortisation gelegen ist. Die Erstattungsklausel trägt somit gerade den Interessen sowohl des Leasinggebers als auch des Leasingnehmers Rechnung. Solange eine AGB-Klausel den Leasingnehmer nur an den §§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 347 Abs. 1 zu ersetzenden Nutzungen beteiligt und ihn auch an den Vorteilen der Nachlieferung teilhaben lässt, kann sie daher keine unangemessene Benachteiligung beinhalten und müsste der Inhaltskontrolle standhalten. Geht man davon aus, ist die AGB-Klausel nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam. Deshalb steht LG gegen LN ein Anspruch auf Ersatz der an V entrichteten Zahlung zu.

Das Vollamortisationsprinzip beeinflusst vor allem die ergänzende Vertragsauslegung, wenn sich im Finanzierungsleasingvertrag Lücken zeigen: (BGH 31.10.2007 – VIII ZR 278/05 = NJW 2008, 989)13 LN hat bei LG einen Porsche geleast. Dieser musste laut Leasingvertrag von LN zugunsten von LG vollkaskoversichert werden. LG war im Leasingvertrag ferner ein Andienungsrecht nach § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 eingeräumt worden. Aufgrund Verschuldens des LN wird der Porsche zu einem späteren Zeitpunkt schwer beschädigt. Die Versicherung zahlt an LG die Summe von 36.718,32 €. LN macht daher von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, worauf LG das im Vertrag vereinbarte Andienungsrecht ausübt. Danach erwirbt LN von LG das beschädigte Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 20.516,36 €. Wäre der Leasingvertrag ordnungsgemäß erfüllt worden, hätte LG insgesamt 68.505,24 € vereinnahmt. Infolge der vorzeitigen Vertragsbeendigung steht er jetzt besser: Denn LN hatte bereits 11.739,20 € an LG an Sonderzahlungen und Leasingraten entrichtet. Hinzu tritt der von LN gezahlte Kaufpreis iHv. 20.516,36 € sowie die Versicherungsleistung iHv. 36.718,32 €. Den Differenzbetrag zwischen der ursprünglich geschuldeten Gesamtsumme iHv. 68.505,24 € und den von LG insgesamt erzielten Einnahmen iHv. 68.973,88 €, also 468,64 €, verlangt LN von LG heraus. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) auf Herausgabe der 468,64 €. Die 68.973,88 € hat LG durch Leistung des LN (die Versicherungssumme aufgrund eines Vertrags nach § 328 Abs. 1 und „Anweisung“ des LN nach § 362 Abs. 2) erhalten. Für die Sonderzahlungen und die Leasingraten findet sich der Rechtsgrund jeweils im Leasingvertrag. Für den Kaufpreis iHv. 20.516,36 € liefert der zwischen LG und LN geschlossene Kaufvertrag eine Rechtsgrundlage. Fraglich ist nur, ob die Versicherungssumme ohne Rechtsgrund gezahlt worden ist.

Der BGH erkennt jedoch für die Versicherungsleistung einen Rechtsgrund im Leasingvertrag. Er begründet dies zunächst mit dem Rechtsgedanken des § 285 Abs. 1 (Tz. 17): Bei der Versicherungsleistung handele es sich um einen Ersatz, den der Leasingnehmer dafür erlangt habe, dass er die Leasingsache nur noch teilweise, dh. beschädigt, herausgeben könne. Die Kritik wendet ein, dass § 285 Abs. 1 nicht nur Kausalität zwischen Unmöglichkeit und der Ersatzleistung, sondern auch Identität zwischen geschuldetem Gegenstand und Ersatzgegenstand voraussetze.14 In der Tat stellt § 285 Abs. 1 keine allgemeine Rechtsgrund13 14

Vgl. den ähnlich gelagerten Fall BGH NJW 2011, 3709. Martinek/Omlor JZ 2008, 413, 414.

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lage für Surrogationen jedweder Art dar. Der BGH geht diesen Bedenken jedoch ebenfalls nach: Er lässt die Frage offen, ob der Rechtsgedanke des § 285 Abs. 1 auch dann passt, wenn die Versicherungssumme über den Wiederbeschaffungskosten liegt (Tz. 18), und fügt ein zweites gewichtigeres Argument an: Er stellt nämlich die Frage, wem der Leasingvertrag die Chancen einer Gewinnmitnahme einräumt, und argumentiert hier aus dem Andienungsrecht des Leasinggebers (Tz. 19). Weil dieser bei Vertragsende nur das Recht, nicht aber die Pflicht zur Andienung habe, könne er einen Mehrerlös bei der Weiterveräußerung realisieren. In anderen Fallkonstellationen, etwa bei einem Bezugsrecht des Leasingnehmers zu einem vertraglich vorausgesetzten Restwert, liege der Fall entsprechend anders (Tz. 20).15 Dies überzeugt. II. Vertragsabschluss und -inhalt 1. Vertragsanbahnung und Vertragsschluss 715

Wie bereits ausgeführt (Rn. 711) ergreift der künftige Leasingnehmer bei der Anbahnung des Leasinggeschäfts häufig die Initiative und setzt sich mit dem Lieferanten in Verbindung, spezifiziert die Leasingsache und handelt die Einzelheiten des Liefervertrages aus. Auf der Grundlage eines Verkaufsangebotes gewinnt er dann einen Leasinggeber. Auf der Grundlage des sog. Eintrittsmodells schließen Leasingnehmer und Lieferant zunächst selbst den Kaufvertrag ab; der vom Leasingnehmer ausgewählte Leasinggeber tritt dann später anstelle des Leasingnehmers in diesen Vertrag im Wege der Vertragsübernahme ein.16 Zur Absicherung des Leasingnehmers vor einer unerwünschten Bindung kann das Zustandekommen des Kaufvertrages in diesem Fall durch den Abschluss des Leasingvertrages aufschiebend bedingt werden (Leasingfinanzierungsklausel).17 Fehlt es am Vertragsschluss zwischen Leasingnehmer und Lieferant, kommt ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 zustande. In diesem stellt sich häufig die Frage, ob ein Verhalten des Lieferanten dem späteren Leasinggeber nach § 123 Abs. 1 und 2 bzw. nach § 278 Satz 1 zurechenbar ist: (BGH 30.3.2011 – VIII ZR 94/10 = NJW 2011, 2874) Leasingnehmer LN hat durch Vermittlung des Lieferanten V ein Kfz von Leasinggeber LG geleast. Anlässlich der Vorverhandlungen rät V dem LN ohne Wissen des LG zum Abschluss eines Werbevertrages mit ihm selbst. Auf dessen Grundlage könne V dem LN Zuschüsse zu den Leasingraten gewähren, wenn LN für V neue Kunden werbe. Die zu zahlenden Sätze legt V in seinen AGB schriftlich nieder. Allerdings verweigert V später die versprochenen Zahlungen, als LN dem V neue Kunden zuführt. LN ficht deshalb den Leasingvertrag wegen arglistiger Täuschung an, verweigert die Zahlung und verlangt Rückerstattung der gezahlten Leasingraten.

15 16 17

So auch Martinek/Omlor JZ 2008, 413, 416. MünchKomm/Koch Leasing Rn. 41. MünchKomm/Koch Leasing Rn. 41.

II. Vertragsabschluss und -inhalt

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In Betracht kommt ein Anspruch des LN gegen LG aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion), wenn der Leasingvertrag wirksam nach §§ 142 Abs. 1 iVm. 123 Abs. 1 angefochten wurde.

Fraglich ist allerdings, ob der Lieferant im Verhältnis zum Leasinggeber als Dritter iSd. § 123 Abs. 2 anzusehen ist; dann wäre dessen Täuschung dem Leasinggeber nur zurechenbar, wenn dieser sich über sie leicht fahrlässig in Unkenntnis befände. Alternativ kommt die unmittelbare Anwendung des Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung aus § 123 Abs. 1 in Betracht. Nach Auffassung des BGH findet § 123 Abs. 1 jedoch nur Anwendung, wenn der Lieferant mit Wissen und Wollen des Leasinggebers als dessen Repräsentant und Vertrauensperson aufgetreten ist (Tz. 15). Dies liegt in der vorliegenden Konstellation zunächst deshalb nahe, weil der Leasinggeber den Lieferanten offensichtlich in die Vertragsanbahnung gegenüber dem späteren Leasingnehmer einbezogen hat. Zunächst zieht der BGH in der Tat auch eine Parallele zu § 278 Satz 1 (dazu noch Rn. 718f.), schränkt aber die aus der Einschaltung des Lieferanten abzuleitenden Rechtsfolgen ein: Die Verantwortlichkeit des Leasinggebers bei der Einschaltung des Lieferanten zwecks Vertragsanbahnung sei nach § 123 Abs. 1 sachlich auf den Leasingvertrag beschränkt und erfasse nicht den davon zu trennenden Werbevertrag (Tz. 16). Die Anwendung des § 358 Abs. 3 lehnt das Gericht mit der logischen Überlegung ab, dass hier keine Einwendungen vom Sachverschaffungsvertrag (Werbevertrag) auf den Finanzierungsvertrag (Leasingvertrag) durchgreifen würden. Denn der Leasingvertrag diene nicht der Finanzierung des Werbevertrages (Tz. 20). Auch will das Gericht seine im Bereich der Schrottimmobilien-Rechtsprechung entwickelte Figur der Haftung bei institutionalisiertem Zusammenwirken (Rn. 680f.) nicht anwenden, wobei es dies aus der fehlenden Verbrauchereigenschaft des Leasingnehmers im konkreten Fall begründet (Tz. 19). Dafür spricht auch, dass ein objektiver Beobachter in der Position des Leasingnehmers nicht erwarten darf, dass der Leasinggeber für sämtliche Fehlleistungen des Lieferanten Verantwortung übernimmt, auch wenn er letzteren bei der Vertragsanbahnung eingeschaltet hat. Auf den Finanzierungsleasingvertrag ist schließlich auch die Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 (Rn. 604ff.) in modifizierter Form anwendbar.18 Der Vertrag ist folglich nach § 138 Abs. 1 nichtig, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und der Leasinggeber die darauf gründende Vermutung einer verwerflichen Gesinnung nicht widerlegen kann.

716

2. Der Streit um die Rechtsnatur des Finanzierungsleasings

Die ganz hM. teilt das Finanzierungsleasing in zwei voneinander zu unterscheidende Verträge auf: den Liefervertrag zwischen dem Lieferanten und dem Lea18

Grundlegend BGHZ 128, 255, 261ff.; Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 38ff.

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singgeber und den Finanzierungsleasingvertrag zwischen dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer (zur Gegenauffassung vor allem auch unten Rn. 727 und 737f.).19 Streitig war lange Zeit, wie die Vereinbarung zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer zu typisieren ist. Der Leasinggeber ist gegenüber dem Leasingnehmer nämlich einerseits dazu verpflichtet, die Sache vom Lieferanten zu erwerben; dies bedeutet vor allem, dass er die erforderliche Finanzierung des Erwerbs organisieren muss (Finanzierungspflicht). Hat der Leasinggeber die Sache aber vom Lieferanten zu Eigentum erworben, muss er sie dem Leasingnehmer zum Gebrauch überlassen (Gebrauchsüberlassungspflicht). Wer die Finanzierungspflicht des Leasinggebers in den Mittelpunkt der rechtlichen Bewertung rückt, wird das Finanzierungsleasinggeschäft als einen Sonderfall des Kreditgeschäfts mit Geschäftsbesorgungscharakter ansehen.20 Dafür spricht auch die systematische Erfassung des Finanzierungsleasing in § 506 Abs. 2 (Rn. 744). Der BGH aber ordnet das Finanzierungsleasing als eine atypische Form des Mietvertrages (§§ 535ff.) ein.21 Allerdings hat der Streit erheblich an Bedeutung verloren, seit der BGH die Finanzierungsfunktion des Finanzierungsleasing, also das miet-atypische Element in den Vordergrund der rechtlichen Bewertung rückt und sich damit von der einseitigen Schwerpunktsetzung im Mietrecht löst.22 Festzuhalten bleibt, dass keine der beiden Pflichtenkomponenten den Leistungsgegenstand des Finanzierungsleasings allein und abschließend bestimmt. Deshalb dürfte es sich um einen Vertrag sui generis handeln,23 auf den sowohl die §§ 535ff. als auch das Darlehensrecht (vgl. § 506 Abs. 2) Anwendung finden, je nachdem, ob die einzelnen Normen ihrem Zweck nach auf die gestellte Rechtsfrage passen (zum methodischen Hintergrund Rn. 15ff.). 3. Die Lieferung 718

Nach Abschluss beider Verträge (Liefervertrag, Finanzierungsleasingvertrag) übergibt der Lieferant die Leasingsache idR. unmittelbar dem Leasingnehmer. Die AGB des Leasinggebers sehen für diesen Fall vor, dass der Leasingnehmer schriftlich die Abnahme und Übernahme der Leasingsache bestätigen und dabei die Mangelfreiheit, Gebrauchs- und Funktionstauglichkeit der gelieferten

19 BGH NJW 1977, 847f.; Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, 1995, S. 136, Fn. 38; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1797; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 43 mwN. 20 Grundlegend Canaris AcP 190 (1990) 410, 446: gemischttypischer Vertrag aus Elementen des Geschäftsbesorgungs- und Darlehensvertrags; vgl. auch Larenz/Canaris II/2 § 66 II. 21 Erstmals BGH NJW 1977, 195, 196; vgl. auch die Bestätigung in BGHZ 68, 118, 123 = NJW 1977, 848, 849; dem folgt die hM. Vgl. hier nur Flume DB 1971, 2ff.; J. Hager AcP 190 (1990) 324, 335ff.; Reinicke/Tiedtke Rn. 1684; Sannwald, Der Finanzierungsleasingvertrag über bewegliche Sachen mit Nichtkaufleuten, 1982, S. 89; Zahn DB 2002, 985, 991. 22 Vgl. BGHZ 112, 65 = NJW 1990, 3016, 3017. Zu dieser Einschätzung: MünchKomm/Koch Leasing Rn. 30; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 36f. 23 So bereits Lieb DB 1988, 946; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 32; Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 31; jeweils mwN.

II. Vertragsabschluss und -inhalt

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Sache bescheinigen muss. Diese Bestätigung ist dem Leasinggeber zu übersenden und hat als Quittung iSd. § 368 große praktische Bedeutung.24 (1) Die Bestätigung stellt klar, dass der Leasinggeber seine Pflicht gegenüber dem Leasingnehmer nach § 362 Abs. 1 erfüllt hat. Deshalb werden die Leasingraten nun fällig.25 (2) Ferner erklärt der Leasingnehmer mit der Abnahmebestätigung, dass er die Leasingsache in funktionsfähigem Zustand erhalten hat, also dass ihm der Vertragsgegenstand gebrauchstauglich überlassen wurde. Damit findet § 363 Anwendung und dem Leasinggeber obliegt nun im Verhältnis zum Lieferanten die Beweislast für Mängel, ebenso wie dem Leasingnehmer im Verhältnis zum Leasinggeber.26 (3) Ein darüber hinausgehendes Anerkenntnis (Rn. 1418ff.) im Verhältnis zwischen Leasinggeber und Lieferant ist mit der Bestätigung nicht verbunden.27 Allerdings kann die oberflächliche Prüfung durch den Leasingnehmer zum Haftungsausschluss des Leasinggebers gegenüber dem Lieferanten nach § 377 Abs. 2 HGB führen (str.; Rn. 729). (4) Nicht nur deshalb kann eine unrichtige Bestätigung zur Haftung des Leasingnehmers gegenüber dem Leasinggeber führen: (BGH 20.10.2004 – VIII ZR 36/03 = NJW 2005, 365) LN hat LG den Entwurf eines Lieferund eines Leasingvertrages über einen Schnellmontagekran vorgelegt. Diesen hat Lieferant V entworfen, der in beiden auch als Bezugsquelle genannt wird; der Kaufpreis beträgt rund 90.000 €. Zeitgleich mit diesem Antrag gibt LN die Bestätigung ab, den Kran bereits „in einem ordnungsgemäßen, mangelfreien, funktionsfähigen und fabrikneuen Zustand übernommen zu haben.“ Daraufhin nimmt LG den Antrag an, und schließt einen Leasingvertrag mit LN ab. LG zahlt schließlich den Kaufpreis an V aus. Nachträglich stellt sich jedoch heraus, dass V den Kran gar nicht an LN geliefert hatte und sich auch jetzt säumig zeigt. LN verteidigt sich damit, dass V ihm erklärt habe, der Abschluss des Leasingvertrages sei eine reine Formsache und der Kran werde demnächst geliefert. Als die Lieferung endgültig ausbleibt und LG den Kaufpreis vom zahlungsunfähigen V nicht zurückerlangen kann, verlangt er von LN Schadensersatz. In Betracht kommt ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Fraglich ist, ob LN eine Pflicht nach § 241 Abs. 2 verletzt hat.

Der BGH geht davon aus, dass die Abgabe einer falschen Bestätigung durch den Leasingnehmer die Verletzung eine Nebenpflicht darstellt (S. 366). Fraglich ist jedoch, ob den Leasinggeber hier ein Mitverschulden traf, weil der Lieferant als sein Erfüllungsgehilfe nach § 278 Satz 1 anzusehen ist (§ 254 Abs. 2 Satz 2). Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Lieferant nur insoweit Erfüllungsgehilfe des Leasinggebers ist, als es gerade um die Auslieferung der Leasingsache an den Leasingnehmer geht (S. 366). Die Abgabe der falschen Übergabebestä-

24 25 26 27

Vgl. dazu Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 122ff. BGH NJW 1993, 1381, 1383; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 74. MünchKomm/Koch Leasing Rn. 75. BGH NJW-RR 1990, 1462, 1465; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 76.

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tigung, zu der der Leasingnehmer hier durch den Lieferanten verleitet worden war, berührt hingegen nicht die Verbindlichkeiten des Leasinggebers gegenüber dem Leasingnehmer, zu deren Erfüllung er sich des Lieferanten bedient (S. 366). Zwar tätigt der Lieferant gegenüber dem Leasingnehmer eine Äußerung über die baldige Auslieferung der Leasingsache; nach Auffassung des BGH durfte der Leasingnehmer auf diese jedoch nicht vertrauen. So bleibt es bei der Verletzung der vorvertraglichen Nebenpflicht des Leasingnehmers, die Vollständigkeit und Mangelfreiheit der Leasingsache zu überprüfen (S. 366f.). Die Anwendung des § 278 Satz 1 bei der Auslieferung der Leasingsache an den Leasingnehmer hat weitere Konsequenzen. Sie führt dazu, dass der Leasinggeber bei einem Fehlschlagen der Lieferung dem Leasingnehmer auf Schadensersatz für ein Vertretenmüssen des Lieferanten haftet. Hier bestehen jedoch Einschränkungen: (BGH 30.9.1987 – VIII ZR 226/86 = NJW 1988, 198, vereinfacht) LG hat von V eine Computeranlage erworben und an den Verbraucher LN verleast. LN hatte zuvor V ausgesucht und die Computeranlage näher spezifiziert. Die Anlage wird von V auch an LN ausgeliefert, worauf LN gegenüber LG die Mangelfreiheit bestätigt. Als sich später dennoch Mängel zeigen, kommt es zwischen LN und V zum Streit. Dabei entfernen Mitarbeiter von V sämtliche Festplatten bei LN. LN beendet darauf die Zahlung der Leasingraten. LG stellt nun aufgrund einer Kündigung nach §§ 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1, 498 die Gesamtsumme der Raten fällig. Die Gesamtfälligstellung setzt nach §§ 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1, 498 Satz 1 Nr. 1 voraus, dass LN in Verzug ist. Verzug aber liegt nach § 286 Abs. 4 nur vor, soweit LN die Verzögerung der Teilzahlungen zu vertreten hat. Daran könnte es vorliegend fehlen, wenn LG und nicht LN der durch V veranlasste Gebrauchsentzug an der Leasingsache nach § 278 Satz 1 zurechenbar ist. Durch das Entfernen sämtlicher Festplatten hat V dem LN die übliche Gebrauchsmöglichkeit an der Computeranlage entzogen, ohne dass dafür ein Rechtfertigungsgrund erkennbar ist. Fraglich ist, ob LG dieses Verhalten des V nach § 278 Satz 1 zu vertreten hat.

Wiederum geht der BGH davon aus, dass die Leasinggeberin den Lieferanten bei der Auslieferung der Leasingsache als Erfüllungsgehilfen nach § 278 Satz 1 einschaltet (S. 199). Mit der Ablieferung beim Leasingnehmer endet dieser Vorgang jedoch. Soweit die Leasinggeberin darüber hinaus aus § 535 Abs. 1 zur dauerhaften Überlassung der Leasingsache an den Lieferanten verpflichtet sei, trete der Lieferant nicht mehr als ihr Erfüllungsgehilfe auf (S. 199). Insoweit habe die Leasinggeberin das Leistungshindernis auch nicht zu vertreten. Hier zeigt sich eine Tendenz, dem Leasingnehmer die Möglichkeit zu untersagen, aus dem Rechtsverhältnis zwischen Leasinggeber und Lieferant über § 278 Satz 1 Einwendungen zur Verbesserung seiner eigenen Rechtsstellung im Leasingvertrag abzuleiten. Einmal mehr (vgl. Rn. 351 (Kauf) und Rn. 686 (Darlehen)) zeigt sich, dass § 278 Satz 1 letztlich einen Einwendungsdurchgriff eigener Art trägt, der nur ausnahmsweise zulässig ist, nämlich, wenn das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Gehilfe in die Erfüllung des Rechtsverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner einbezogen ist. In dem für das Finanzierungsleasing charakteristischen Dreiecksverhältnis ist das Rechtsver-

II. Vertragsabschluss und -inhalt

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hältnis zwischen Leasinggeber und Lieferant aber nur in einem sachlich sehr beschränkten Umfang in die Erfüllung des Leasingvertrags zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer integriert. Deshalb greifen Einreden aus dem Liefervertrag zwischen Lieferant und Leasinggeber auch nur ganz ausnahmsweise mit anspruchsbegründender Wirkung auf den Leasingvertrag zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer durch. Die vorliegende Entscheidung ist in einer weiteren Hinsicht bemerkenswert. Denn hier stellt sich auch die Frage, in welchem Umfang der Leasinggeber dem Leasingnehmer zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet ist. Deutlich zeigt sich, dass die übliche Bejahung der Gebrauchsüberlassungspflicht des Leasinggebers aus § 535 Abs. 1 Satz 128 nicht überzeugen kann: Denn der Leasinggeber hat keine originäre Gebrauchsüberlassungspflicht wie ein echter Vermieter: Zwar verbietet es der Leasingvertrag, dass der Leasinggeber die Sache während der Laufzeit vom Leasingnehmer herausverlangt oder dass er ihm in sonstiger Weise den Besitz streitig macht. Andererseits trägt der Leasinggeber aber keine Verantwortung dafür, dass der Lieferant diese Gebrauchsüberlassung während der Laufzeit des Leasingvertrages nicht stört. Während beim Mietvertrag grundsätzlich jede Störung des Gebrauchs der Mietsache, die nicht vom Mieter selbst herrührt, einen Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 begründet (Rn. 846), ist dies beim Finanzierungsleasing anders. Hier muss sich der Leasingnehmer eigenständig gegenüber dem Lieferanten zur Wehr setzen.

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4. Die Verteilung von Leistungs- und Gegenleistungsgefahr

In Finanzierungsleasingverträgen kann idR. die Sachgefahr, also das Risiko eines zufälligen Untergangs und einer zufälligen Verschlechterung des Leasingobjekts, ebenso auf den Leasingnehmer übergewälzt werden wie die Gegenleistungsgefahr, die Gefahr nämlich, die Leasingraten trotz zufälligen Untergangs der Sache entrichten zu müssen. Diese Risikoverteilung gilt als leasingtypisch und verstößt daher nicht gegen § 307 Abs. 1 Satz 1.29 Denn der Leasingnehmer hat die Sache in seinem Besitz und nutzt sie während ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer. Bereits mit der Zuweisung dieser Nutzungsmöglichkeit verbindet sich eine entsprechende Gefahrenverantwortung. Hinzu kommt, dass sich die Leasingsache auch dauerhaft im Gefahrenbereich des Leasingnehmers befindet. Überlegungen, wie sie in anderem Zusammenhang auch § 446 Satz 1 zugrunde liegen, gebieten daher eine Risikotragungslast des Leasingnehmers. Als Kompensation für die aus der Gefahrenverantwortung erwachsenden Härten hat der Leasingnehmer aber ein außerordentliches Kündigungsrecht im Falle des Un-

28 Vgl. BGHZ 96, 103, 109; 81, 298, 305; Emmerich JuS 1990, 1, 5; vgl. auch MünchKomm/ Koch Leasing Rn. 88. 29 Ebenroth DB 1978, 2109, 2111; differenzierend Flume DB 1972, 53, 56ff.; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 145ff.

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tergangs der Sache.30 Macht der Leasingnehmer davon Gebrauch, entsteht eine sofort fällige Pflicht zur Ausgleichszahlung.31 Damit verbindet sich für den Leasingnehmer der Vorteil, dass der Leasinggeber sich ersparte Aufwendungen nach § 326 Abs. 2 Satz 2 anrechnen lassen muss, weil er die Gegenleistung vorzeitig erhält und daher auch früher wieder anlegen kann. III. Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant 1. Die Bedeutung der Abtretungskonstruktion 722

Im Regelfall kommt das Finanzierungsleasing auf Initiative des Leasingnehmers und des Lieferanten zustande (Rn. 711). Diese beiden Seiten müssen auch während der Laufzeit des Leasings zusammenwirken, wenn etwa beim Leasingnehmer Informationsbedarf über die Funktionalität der Leasingsache entsteht, im Wege der Nacherfüllung die Beseitigung von Mängeln verlangt wird oder die Leasingsache schlicht gewartet werden muss. Der Leasinggeber als Finanzier kommt für den Leasingnehmer mangels technischen Verständnisses nicht ernsthaft als Ansprechpartner in Betracht. Nach dem Verständnis der hM. besteht zwischen dem Lieferanten und dem Leasingnehmer aber keine eigene vertragliche Beziehung; das Finanzierungsleasing spaltet sich vielmehr auf in den Kaufvertrag zwischen dem Lieferanten und dem Leasinggeber und den Finanzierungsleasingvertrag zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer (Rn. 717). Dadurch entsteht im Vergleich zur wirtschaftlichen Interessenlage und praktischen Handhabung der Erfüllung eine Lücke. Diese schließt die hM., indem sie die sog. Abtretungskonstruktion in den AGB der Leasinggeber zulässt. Darin schließt der Leasinggeber die eigene Gewährleistungshaftung aus und tritt stattdessen die ihm zustehenden Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag mit dem Lieferanten an den Leasingnehmer ab.32 Diese dogmatische Konstruktion wird der Interessenlage der Parteien nicht in jeder Hinsicht gerecht; ihre grundsätzliche Kritik soll im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Nacherfüllung erfolgen (Rn. 726f.). Hier stehen zunächst einige, die hM. bewegende, praktische Fragen der dogmatischen Konstruktion im Mittelpunkt.

BGH NJW 1987, 377, 379; BGH WM 1992, 2063; BGH NJW 1996, 2367; BGH NJW 1998, 2284; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1755; Larenz/Canaris II/2, S. 112; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 149ff.; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 88ff. 31 BGH NJW 1988, 198, 200. 32 Vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit die Entscheidungen: BGHZ 68, 118 = NJW 1977, 848, 849f.; vgl. ferner BGH NJW 2014, 1583, Tz. 13; BGHZ 81, 298 = NJW 1982, 105; BGHZ 94, 44 = NJW 1985, 1535; BGHZ 106, 304 = NJW 1989, 1279; BGHZ 114, 57, 61 = NJW 1991, 1746. Vgl. zum Nachweis der umfangreichen hM. an dieser Stelle nur: MünchKomm/Koch Leasing Rn. 101; Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 63ff. sowie Sittmann-Haury, Die Auswirkung einer mangelbedingten Rückabwicklung des Liefervertrags auf den Finanzierungsleasingvertrag, 2014, S. 49ff. mit eigenem Ansatz S. 233ff. 30

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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Die Abtretungsklauseln verstoßen zunächst nicht gegen § 309 Nr. 8 lit. b aa. Nach dieser Norm ist eine vorformulierte Klausel unwirksam, durch die bei Verträgen über Lieferungen neu hergestellter Sachen und über Werkleistungen die Ansprüche gegen den Verwender wegen eines Mangels ausgeschlossen bzw. auf die Einräumung von Ansprüchen gegen Dritte beschränkt werden. Nach dem Verständnis der hM. ist der Leasingvertrag nämlich nicht auf eine Lieferung iSd. Norm gerichtet. Denn dieses Tatbestandsmerkmal bezieht sich auf § 433 Abs. 1 Satz 1; der Leasinggeber ist jedoch nur zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet. Hinzu tritt die Überlegung, dass die Klausel eine wichtige Lücke in der dogmatischen Konstruktion des Finanzierungsleasings schließt, weil sie dem Leasingnehmer unmittelbare Rechte gegenüber dem Lieferanten einräumt, die für die Funktionsfähigkeit des Leasings unabdingbar sind. Deshalb scheidet auch ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 aus.33 Ein eigenes Problem stellt die Abtretbarkeit der Einzelrechte aus § 437 mit Blick auf § 399 erster Fall dar. Denn die Norm untersagt die Abtretung, wenn diese nicht ohne Veränderung des Inhalts des Rechts erfolgen kann. Insbesondere sog. forderungsbezogene Gestaltungsrechte können aber nicht ohne die zugrunde liegende Forderung abgetreten werden.34 Die Rechtslage ist dabei im Einzelnen zT. sehr kompliziert. Die Fristsetzungsbefugnisse nach §§ 281 Abs. 1 Satz 1, 323 Abs. 1 haben selbst keine gestaltende Wirkung; eine Gestaltungswirkung kommt aber dem Schadensersatzverlangen (§ 281 Abs. 4) bzw. der Rücktrittserklärung nach § 323 Abs. 1 zu. Diese können nach §§ 413, 398 nur gemeinsam mit der zugrunde liegenden (künftigen) Forderung übertragen werden.35 Immer ist jedoch auch eine Ermächtigung des Leasingnehmers durch den Leasinggeber zur Ausübung dieser Rechte nach § 185 Abs. 1 möglich. Weitere Konstruktionsprobleme wirft die Nachlieferung im Falle des Mangels der Leasingsache auf. Nach der Konstruktion der hM. steht dem Leasinggeber gegenüber dem Lieferanten ein Anspruch auf Übereignung der Leasingsache aus § 433 Abs. 1 Satz 1 zu. Wird dieser durch Lieferung einer mangelhaften Sache nicht vollständig erfüllt, verwandelt er sich nach Wahl des Leasinggebers (=Käufers) in einen Nachlieferungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 zweiter Fall. Ist dem Leasingnehmer das Bestimmungsrecht nach § 439 Abs. 1 abgetreten bzw. ist er zu dessen Ausübung ermächtigt, erwächst ihm jedoch daraus nur das Recht, Nachlieferung an den Leasinggeber zu verlangen.36

33 BGHZ 94, 180, 187 = NJW 1985, 1547, 1549; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 153ff. 34 Zur Unterscheidung mwN. Staudinger/Busche § 401 Rn. 35 und § 413 Rn. 13. 35 BGHZ 68, 118, 124 = NJW 1977, 848, 849; Hiddemann WM 1978, 834, 839; MünchKomm/ Koch Leasing Rn. 101. 36 BGHZ 81, 298, 305 = NJW 1982, 105; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 106.

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2. Kritik an der Abtretungskonstruktion und Inhalt der Nacherfüllung 726

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Durch die Abtretung der Sachmängelansprüche des Leasinggebers an den Leasingnehmer erwirbt der Leasingnehmer keine eigenen Gewährleistungsrechte gegenüber dem Lieferanten, sondern nur abgeleitete Rechte des Leasinggebers. Darin liegt ein zentrales Defizit der Abtretungskonstruktion, dessen Folge sich bspw. zeigt, wenn der Leasingnehmer fordert, dass der Lieferant die Leasingsache im Wege der Nachbesserung nach § 439 Abs. 1 so verändern soll, dass sie sich in seinen Betrieb einfügt.37 Formal gesehen hat der Lieferant nämlich nur einen Kaufvertrag mit dem Leasinggeber. Deshalb muss er sich nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 auch nur auf die im Kaufvertrag mit dem Leasinggeber vorausgesetzten Verwendungszwecke einlassen und nicht auf die langfristigen Gebrauchsüberlassungsinteressen des Leasingnehmers. Angesichts der dem Lieferanten bekannten Interessenlage liegt es nahe, ihm nach § 242 eine Berufung auf die formale Ordnung der Verträge beim Finanzierungsleasing zu versagen. Jedoch sind damit keineswegs alle Probleme ausgeräumt. In vielen Fällen versagt die Abtretungskonstruktion ihren Dienst, weil sie dem Leasingnehmer eigene Rechte gegen den Lieferanten versagt. Dies zeigt sich ua. an folgenden Problemen: (1) Nachlieferungsansprüche kann der Leasingnehmer nicht für sich, sondern nur zugunsten des Leasinggebers geltend machen (Rn. 725). (2) Bei der arglistigen Täuschung des Leasingnehmers durch den Lieferanten in der Vertragsanbahnungsphase erwirbt der Leasingnehmer nur die Gewährleistungsrechte des nicht getäuschten Leasinggebers (Rn. 728). (3) Wird die Sache vom Lieferanten geliefert, trifft den Leasinggeber die Rügeobliegenheit nach § 377 HGB auch dann, wenn die Sache unmittelbar an einen Leasingnehmer geht, der nicht Kaufmann ist (Rn. 729). (4) Weil der Leasinggeber nach der Abtretungskonstruktion verpflichtet ist, dem Leasingnehmer die Sache zu überlassen, stellt sich die Frage, ob er für das Vertretenmüssen des Lieferanten bei den vertraglichen Vorverhandlungen, bei der Ablieferung und während der Zeit der Gebrauchsüberlassung gemäß § 278 Satz 1 verantwortlich ist (Rn. 718f. und Rn. 730). (5) Ist die gelieferte Leasingsache mangelhaft und entsteht dem Leasingnehmer dadurch ein Nutzungsausfallschaden, weil er zB. mit der Leasingsache einen Gewinn iSd. § 252 nicht realisieren kann, helfen ihm die abgetretenen Ansprüche des Leasinggebers aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 nicht. Denn im Zweifel hätte der Leasinggeber diesen Gewinn nicht erzielen können. Aus Rechten des Leasinggebers kann der Leasingnehmer seinen Eigenschaden nicht liquidieren (Rn. 741). Diese Schwierigkeiten zeigen, dass dem Leasingnehmer eigene Rechte gegenüber dem Lieferanten zustehen müssen.38 Deshalb wird die von der hM. befürwortete Aufspaltung des Finanzierungsleasings auf zwei Verträge ohne 37 38

Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 65a; Zahn DB 2002, 985ff. Zum Problem auch MünchKomm/Koch Leasing Rn. 106.

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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Direktansprüche des Leasingnehmers gegen den Leasinggeber in Frage gestellt.39 Einige der erwähnten Probleme des Finanzierungsleasings (allerdings nicht die Gewährleistungsfrage, Rn. 737) lassen sich einfach dadurch in den Griff bekommen, dass man davon ausgeht, dass der Leasinggeber mit dem Lieferanten einen Kaufvertrag schließt, in welchem dem Leasingnehmer Rechte nach § 328 Abs. 1 eingeräumt werden: Dabei handelt es sich um den Anspruch auf Übergabe (nicht Übereignung) der Leasingsache aus § 433 Abs. 1 Satz 1 und die Haftungsansprüche, deren Inhalt § 437 angenähert ist, die den Leasingnehmer aber nicht einem Käufer gleichstellen, sondern an seine besondere Stellung als Gebrauchs- und Nutzungsberechtigter angepasst sind.40 Im Hinblick auf die Gewährleistungsansprüche muss dieses Modell um einige weitere Überlegungen ergänzt werden, um das Finanzierungsleasing rechtlich so zu verstehen, wie auch die Parteien es auffassen: als einheitliches Geschäft. 3. Die arglistige Täuschung des Leasingnehmers durch den Lieferanten

Die Überlegenheit eines einheitlichen Verständnisses des Finanzierungsleasings zeigt sich im Falle der arglistigen Täuschung des Leasingnehmers durch den Lieferanten in der Anbahnungsphase (vgl. auch oben Rn. 715): (BGH 16.9.1981 – VIII ZR 265/80 = BGHZ 81, 298 = NJW 1982, 105) LN wendet sich wegen einer Funkanlage an den Lieferanten V. Auf die Frage des LN nach der Reichweite gibt V bewusst eine unrichtige Auskunft. Später schaltet LN den Leasinggeber LG ein. Dieser schließt mit V einen Kaufvertrag über die Funkanlage und einen Finanzierungsleasingvertrag über diese mit LN. Zweieinhalb Jahre nach Übergabe der Kaufsache durch V an LG stellt sich die Täuschung heraus. Kann hier LN noch Nacherfüllung verlangen? Der an LN abgetretene Anspruch des LG gegen V aus §§ 437 Nr. 1, 439 ist eigentlich nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 verjährt, wenn nicht § 438 Abs. 3 Satz 1 greift, weil V arglistig über den Mangel getäuscht hat.

Geht man von der herrschenden Abtretungskonstruktion aus, erwirbt der Leasinggeber vom Lieferanten die Gewährleistungsrechte aus § 437, ohne selbst durch diesen getäuscht worden zu sein und ohne dass ihm die Täuschung des Leasingnehmers etwa nach § 166 Abs. 1 zurechenbar wäre. Denn der Leasingnehmer vertritt den Leasinggeber bei der Vertragsanbahnung nicht nach § 164. Zu diesem Zeitpunkt ist der Leasinggeber in das Geschäft ja noch gar nicht involviert. Nach Auffassung des BGH darf sich der Lieferant jedoch nicht „auf das formelle Auseinanderfallen von … [B]erechtigtem und Getäuschtem“ berufen, sodass die arglistige Täuschung dem Leasinggeber doch durch Erweiterung seiner Gewährleistungsrechte zugute kommt (S. 106). Dann findet auch im Fall § 438 Abs. 3 Anwendung. Darin liegt jedoch ein Bruch mit der 39 Vgl. an dieser Stelle nur die Arbeiten von: Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, 1998, S. 111ff.; Rohe, Netzverträge, 1998, S. 53ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 388ff. 40 Ähnlich Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 79.

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Grundannahme der Abtretungskonstruktion: Danach ist die Trennung zwischen Liefervertrag und Leasingvertrag keine „Formalie“, sondern Ausgangspunkt für die Bestimmung der Rechte und Pflichten der Vertragsbeteiligten. Geht man dagegen – wie hier vorgeschlagen (Rn. 727) – davon aus, dass der Leasingnehmer mit Abschluss des Kauf- und Leasingvertrages einen eigenen Anspruch nach § 328 Abs. 1 erwirbt, dessen Inhalt an § 437 angenähert ist, lässt sich die Anwendung des § 438 Abs. 3 widerspruchsfrei bejahen: Denn der Lieferant hat den unmittelbar Berechtigten arglistig getäuscht. 4. Die Rüge nach § 377 Abs. 1 HGB 729

Ähnliche Probleme stellen sich bei der Anwendung der Rügeobliegenheit nach § 377 Abs. 1 HGB. Nach § 377 Abs. 2 HGB verliert ein Kaufmann (§§ 1ff. HGB) seine Gewährleistungsrechte, wenn er einen Mangel nicht sofort nach der Ablieferung rügt (Rn. 518ff.). Wird die Sache unmittelbar an den Leasingnehmer ausgeliefert und handelt es sich bei diesem nicht um einen Kaufmann, stellt sich die Frage, worauf es ankommt: auf den Verbraucherstatus des Leasingnehmers oder die Kaufmannseigenschaft des Leasinggebers? Der BGH stellt darauf ab, dass der Leasinggeber Partei des Kaufvertrages mit dem Lieferanten ist und wendet § 377 HGB an.41 Darin liegt zunächst ein Widerspruch zur Behandlung der arglistigen Täuschung des Leasingnehmers durch den Lieferanten: Während das Gericht dort die Aufspaltung in Getäuschten und Gewährleistungsberechtigten als Zufall ansieht, auf den sich der Lieferant nicht berufen kann (Rn. 728), erscheint diese Aufspaltung bei der Anwendung des § 377 HGB in vollem Umfang beachtenswert. Gegen die Anwendbarkeit des § 377 HGB wird aber auch das naheliegende Argument angeführt, dass der Lieferant sich von vornherein auf ein Leasingdreieck unter Beteiligung eines nichtkaufmännischen Leasingnehmers einlässt; dann aber könne er nicht auf einer Rüge nach § 377 HGB bestehen.42 Nach einer Auffassung soll § 377 daher teleologisch reduziert werden,43 nach der anderen ist die Norm in den vorliegenden Fällen konkludent abbedungen.44 Gegen die erste Lösung spricht jedoch, dass das Problem nicht in § 377 HGB, sondern in der Abtretungskonstruktion liegt, gegen die zweite, dass man dem Lieferanten regelmäßig nicht unterstellen kann, dass er auf den für ihn günstigen § 377 HGB verzichten will.45 Diese Probleme stellen sich nicht, wenn der Leasingnehmer eigene Gewährleistungsrechte nach § 328 Abs. 1 aus dem Liefervertrag zwischen Leasinggeber und Lieferant erwirbt (Rn. 727). Fehlt ihm als Drittem dann die Kaufmannseigenschaft, kann er diese Rechte nicht nach § 377 Abs. 2 HGB verlieren. BGHZ 110, 130, 141 = NJW 1990, 1290. Canaris AcP 190 (1990) 410, 429; J. Hager AcP 190 (1990) 324, 348ff.; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 80 mwN. 43 Canaris AcP 190 (1990) 410, 428ff. 44 J. Hager AcP 190 (1990) 324, 348ff. 45 Ähnlich MünchKomm/Koch Leasing Rn. 80. 41 42

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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5. Die Anwendbarkeit des § 278 Satz 1 im Verhältnis von Leasinggeber und Lieferant

Geht man davon aus, dass der Leasingnehmer eigene Ansprüche aus § 328 Abs. 1 aus dem zwischen Lieferant und Leasinggeber geschlossenen Kaufvertrag erwirbt (Rn. 727), bedeutet dies keine prinzipienlose Vermischung der Risiko- und Verantwortungssphären. Vielmehr hilft diese dogmatische Konstruktion gerade dabei, die Anwendungsschranken einer Norm wie § 278 Satz 1 richtig einzuordnen. Die Rechtsprechung verfährt mit der Zurechnung eines Lieferantenverschuldens gegenüber dem Leasinggeber nach § 278 Satz 1 zu Recht sehr vorsichtig: Grundsätzlich schaltet der Leasinggeber den Lieferanten nur bei der Auslieferung der Kaufsache an den Leasingnehmer ein. Diese Verantwortung endet regelmäßig mit der Besitzbegründung durch den Leasingnehmer (Rn. 718f.). Dies wird auf der Grundlage einer an § 328 Abs. 1 ausgerichteten Dogmatik noch leichter verständlich: (BGH 15.6.2011 – VIII ZR 279/10 = NJW 2011, 2877)46 LN will für sein Unternehmen einen Beamer im Wert von 8.500 € leasen. Mit seinem Anliegen begibt er sich zum Lieferanten V, der einen Kaufvertrag für einen späteren Leasinggeber gemeinsam mit LN vorbereitet. Im Kaufvertragsentwurf ist zugunsten von LN eine für V bereits jetzt bindende, innerhalb von 12 Monaten nach Vertragsschluss auszuübende Rückkaufoption vorgesehen. Danach kann LN dem V den Beamer in diesem Zeitraum für 6.112 € andienen. Kurze Zeit später findet LN auch die LG als Leasinggeberin, die den Beamer von V erwirbt und ihn an LN für eine Monatsmiete von 199 € und eine Restwertgarantie bei Vertragsende iHv. 2.000 € verleast. Als LN seine Rückkaufoption gegenüber V ausübt, stellt er auch die Zahlung der Leasingraten gegenüber LG ein. LG stellt nach Eintritt des qualifizierten Verzugs sämtliche Leasingraten fällig. LN wirft der LG vor, dass V ihn nicht darüber aufgeklärt habe, dass bei Ausübung der Rückkaufoption die Leasingraten weiter gezahlt werden müssten. Deshalb will LN keine weiteren Leasingraten an LG zahlen und sieht sich insbesondere nicht verpflichtet, die vermeintlich insgesamt fällig gestellten Raten zu entrichten. In Betracht kommt ein Anspruch des LG gegen LN aus §§ 535 Abs. 2 analog (str.; Rn. 717), 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1, 498 auf Zahlung der gesamten fällig gestellten Mietraten. Zwischen den Parteien kam ein Finanzierungsleasingvertrag nach § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zustande. Dieser ist nicht durch Ausübung der Rückkaufoption beeinträchtigt; denn die Option vermittelt LN nur ein eigenständiges Andienungsrecht gegenüber V, berührt aber die Rechte und Pflichten aus dem Leasingvertrag nicht. LN geriet deshalb mit den fälligen Mietraten in Verzug nach § 498. LN hat den Verzug dabei nach § 286 Abs. 4 zu vertreten. LG steht folglich ein Anspruch auf Zahlung der Leasingraten gegenüber LN zu.

Das Problem des Falles liegt in der Frage, ob der Leasingnehmer mit einem Schadensersatzanspruch gegen den Leasinggeber aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) aufrechnen kann, weil der Lieferant ihn vor Vertragsschluss nicht über das Fortlaufen der Leasingraten bei Ausübung der Rückkaufoption informiert hat und das zugrunde liegende Ver46

Vgl. jetzt auch BGH 26.8.2014 – VIII ZR 335/13 (Juris) = EWiR 2015, 79 (Moseschus).

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tretenmüssen dem Leasinggeber nach § 278 Satz 1 zurechenbar ist. Die fehlende Aufklärung über die rechtliche Selbständigkeit von Leasing- und Kaufvertrag kann durchaus eine Schutzpflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 darstellen, weil der Leasingnehmer die Folgen der komplizierten Trennung der Verantwortungssphären nicht selbst durchschaut (Tz. 18). Fraglich ist nur, ob die vom Lieferanten zu vertretende Pflichtverletzung auch dem Leasinggeber zurechenbar ist. Dies kommt nur in Betracht, wenn dem Leasinggeber ein Vertretenmüssen des Lieferanten nach § 278 Satz 1 zuzurechnen ist. Dann müsste sich der Leasinggeber vorliegend des Lieferanten zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient haben. Dagegen spricht die Überlegung, dass der Leasinggeber im Zeitpunkt der Vorverhandlungen zwischen Lieferant und Leasingnehmer gegenüber dem Leasingnehmer noch gar nicht vertraglich gebunden war. Mit anderen Worten bestand noch keine Verbindlichkeit gegenüber dem Leasingnehmer, die der Leasinggeber mit Hilfe des Lieferanten hätte erfüllen können. Allerdings lässt sich dagegen einwenden, dass sich der Leasinggeber die Verhandlungsbemühungen des Lieferanten zu einem späteren Zeitpunkt zu Eigen macht, indem er den Finanzierungsleasingvertrag mit dem Leasingnehmer schließt. Wenn der Leasinggeber daher vom Verhalten des Lieferanten profitiert, muss er – so könnte man daher folgern – nach § 278 Satz 1 auch für die von diesem Verhalten ausgehenden Risiken einstehen. Der BGH zieht diese Konsequenz zumindest nicht in dieser Allgemeinheit und beschränkt den Anwendungsbereich des § 278 Satz 1 stattdessen auf die Fälle, in denen der Leasinggeber den Lieferanten konkret bei der Anbahnung von Geschäften mit dem späteren Leasingnehmer einschaltet, indem er ihm etwa Prospekte oder Vertragsformulare überlässt bzw. wenn der Leasinggeber einen vom Lieferanten ausgefüllten Leasingvertrag ohne Weiteres entgegennimmt (Tz. 19). Nur dann betraue er den Lieferanten mit Aufgaben, die normalerweise in seinen eigenen Geschäftsbereich fallen (Tz. 19). Dies wird jedoch für den vorliegenden Fall verneint. Dieser Gedanke überzeugt gerade, wenn man davon ausgeht, dass der Leasingnehmer gegenüber dem Lieferanten eigene Rechte nach § 328 Abs. 1 erwirbt (Rn. 727). Denn dann verhandelt der Leasingnehmer mit dem Lieferanten im Stadium der Vertragsanbahnung im eigenen Interesse, weil es um die spätere Begründung eigener Rechte gegen den Lieferanten geht. Bei dieser Interessenlage liegt es fern, dass der Leasinggeber für das Verhalten des Lieferanten wie für das eines Erfüllungsgehilfen einzustehen hätte. Denn Auskünfte des Lieferanten zum Andienungsrecht des Leasingnehmers gegenüber dem Lieferanten beziehen sich erkennbar nicht auf den Finanzierungsleasingvertrag und erfolgen daher nicht in Erfüllung einer Verbindlichkeit des Leasinggebers. 6. Keine Anwendbarkeit der §§ 474ff

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Handelt es sich beim Leasingnehmer um einen Verbraucher, stellt sich die Frage, ob mit der Abtretungskonstruktion nicht gerade die §§ 474ff. umgangen

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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werden, sodass diese nach § 476 Abs. 1 Satz 2 entsprechende Anwendung finden müssen.47 (BGH 21.12.2005 – VIII ZR 85/05 = NJW 2006, 1066) Privatmann LN interessiert sich für einen von V zum Verkauf angebotenen gebrauchten Pkw (Kaufpreis: 23.500 €). Er schaltet darauf den unternehmerisch organisierten Leasinggeber LG ein, der das Fahrzeug von V übernimmt. In dem Kaufvertrag werden sämtliche Gewährleistungsrechte ausgeschlossen. Anschließend kommt zwischen LG und LN ein Leasingvertrag zustande. Darin schließt LG die eigene Gewährleistung aus und tritt stattdessen an LN seine gegenüber V bestehenden „Gewährleistungsrechte“ ab. Als LN den V auf einen Mangel des Fahrzeugs aufmerksam macht, verweigert dieser die Nacherfüllung. Darauf erklärt LN den Rücktritt und verlangt Rückzahlung des Kaufpreises an LG, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs. Der an LN abgetretene Anspruch des LG aus § 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 kann hier an einem Haftungsausschluss nach § 444 scheitern. Fraglich ist, ob diesem nicht § 476 Abs. 1 Satz 2 entgegensteht.

Der BGH geht nicht davon aus, dass die leasingtypische Abtretungskonstruktion eine Umgehung der Regelung des Verbrauchsgüterkaufs nach § 476 Abs. 1 Satz 2 bedeutet. Denn die Vereinbarung des Leasingvertrages verfolge nicht den Zweck, den Eintritt der Rechtsfolgen des § 476 Abs. 1 Satz 1 zu verhindern (Tz. 11). Vielmehr habe der Leasingnehmer keinen Kaufvertrag mit dem Lieferanten schließen können oder wollen und sich aus diesem Grund für das Finanzierungsleasing als Alternative entschieden (Tz. 14). Im Rahmen des Finanzierungsleasings erwerbe er aber die Rechtstellung eines Käufers auch nicht dadurch, dass ihm die Käuferrechte des Leasinggebers abgetreten werden (Tz. 15). Die Nichtanwendbarkeit des § 476 Abs. 1 Satz 2 entspricht der heute hM.48 Diskutiert wird jedoch die Frage, ob § 476 Abs. 1 Satz 1 nicht insoweit auf das Finanzierungsleasing ausstrahlt, als der Leasinggeber verpflichtet ist, dem Leasingnehmer Gewährleistungsrechte abzutreten, die in ihrem Umfang dem in § 476 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzten Maß entsprechen.49 Der BGH wählt auch hier einen anderen Weg: Wenn nämlich der Leasinggeber dem Leasingnehmer die eigenen Gewährleistungsrechte nicht endgültig, vorbehaltlos und unbedingt abtritt, ist die Abtretungskonstruktion wegen unangemessener Benachteiligung des Leasingnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam (Tz. 17).50 Praktisch bedeutet dies, dass der Leasinggeber seine Eigenhaftung aus dem Finanzierungsleasingvertrag nicht ausschließen kann, sondern nach §§ 536ff. Verantwortung trägt (Tz. 17f.).51 47 So F. Graf von Westphalen ZIP 2006, 1653, 1655f.; ders. ZGS 2002, 89, 90; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn. L167ff.; Müller-Sarnowski DAR 2002, 485, 488; Omlor ZGS 2008, 220. 48 MünchKomm/Koch Leasing Rn. 68; MünchKomm/Lorenz § 475 Rn. 33; Habersack BB 2003, BB-Special Nr. 6, S. 2, 5f.; Tiedtke/Möllmann DB 2004, 583, 586; Kebler/Müller ZBB 2002, 107, 111f. 49 So etwa Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 65. 50 BGH NJW 1987, 1072; BGHZ 109, 139, 143 = NJW 1990, 314. 51 Zustimmend MünchKomm/Lorenz § 475 Rn. 34.

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Auch vom hier vertretenen dogmatischen Standpunkt eines Eigenanspruchs des Leasingnehmers aus § 328 Abs. 1 (Rn. 727) beurteilt sich die Lage nicht anders. Denn dem Leasingnehmer wird nicht die Stellung eines Käufers nach § 437 eingeräumt. Die ihm zustehenden Rechte orientieren sich zwar an dieser Norm, sind jedoch insoweit beschränkt, als ihm nur die Stellung eines Gebrauchs- und Nutzungsberechtigten zusteht. Vereinbart der Leasinggeber jedoch mit dem Lieferanten, dass dem Leasingnehmer keine Rechte nach § 328 Abs. 1 zustehen sollen, verletzt er eine gegenüber dem Leasingnehmer bestehende Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2. Daraus erwächst dem Leasingnehmer ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Leasinggeber aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, der nach § 249 Abs. 1 auf Befreiung von allen Verbindlichkeiten aus dem Leasingvertrag gerichtet ist. 7. Keine Anwendbarkeit des § 359

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Fraglich ist schließlich, ob das Finanzierungsleasing als Gegenstand eines Widerrufsdurchgriffs nach § 358 Abs. 1 bzw. eines Einwendungsdurchgriffs nach § 359 Satz 1 in Betracht kommt. Der Streit um diese Frage liegt in der Verweisung von § 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 auf die §§ 358 bis 360 begründet. (BGH 22.1.2014 – VIII ZR 178/13 = NJW 2014, 1519) V schließt mit Verbraucher LN einen Kaufvertrag über ein Kfz (Kaufpreis: 20.000 €). In diesen soll später LG als Käuferin anstelle des LN eintreten (Eintrittsmodell; Rn. 715). Gleichzeitig richtet LN an die Leasingbank LG einen entsprechenden Antrag auf Abschluss eines Finanzierungsleasingvertrags. LG nimmt diesen Antrag an, sodass ein Kaufvertrag zwischen V und LG und ein Finanzierungsleasingvertrag zwischen LG und LN zustande kommen. Später widerruft LN den Finanzierungsleasingvertrag jedoch wirksam nach §§ 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1, 495. Darauf verlangt V von LN Zahlung des Kaufpreises iHv. 20.000 €, weil der Eintritt von LG anstelle des LN in den Kaufvertrag endgültig gescheitert ist. LN beruft sich jedoch auf § 358 Abs. 2. Der zwischen V und LN nach § 433 Abs. 2 entstandene Kaufpreisanspruch könnte nach § 358 Abs. 2 Satz 1 mit Wirkung für die Zukunft entfallen sein, wenn LN seine auf Abschluss des Finanzierungsleasingvertrags mit LG gerichtete Willenserklärung wirksam nach §§ 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 iVm. Abs. 1 Satz 1, 495 Abs. 1, 355 Abs. 2, 356b widerrufen hat. Nach § 358 Abs. 2 wäre LN dann auch an die zum Kaufvertrag mit V führende Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn der Kaufvertrag zwischen LN und V ein mit dem zwischen LG und LN geschlossenen Finanzierungsleasingvertrag verbundenes Geschäft iSd. § 358 Abs. 3 Satz 1 darstellt. Die Norm müsste nach § 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 anwendbar sein.

§ 506 Abs. 1 Satz 1 verweist ausdrücklich auf die §§ 358 bis 360. Fraglich ist allerdings, wie diese Verweisung zu verstehen ist. Zum Zeitpunkt der Entscheidung ging das Schrifttum davon aus, es handele sich um eine Rechtsfolgenverweisung, wenn die Parteien ein Eintrittsmodell (Rn. 715) vereinbart hätten (Nachweis der mittlerweile größtenteils wieder aufgegebenen Auffassungen unter Tz. 14). Folgt man dem, genügt für die Anwendung des § 358 Abs. 3, dass ein Eintrittsmodell vereinbart wurde. Die weiteren Normvoraussetzungen wä-

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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ren dann nicht mehr zu prüfen. Gerade dies überzeugt jedoch im Vergleich mit dem zentralen Anwendungsfall des § 358 Abs. 3, dem Vertragsverbund, nicht. Beim Vertragsverbund ist der Verbraucher an zwei Verträgen gleichzeitig beteiligt: dem Kaufvertrag und dem Darlehen. Entsprechend schützen ihn § 358 Abs. 1 und 2 sowie § 359 Satz 1 vor dem typischen Aufspaltungsrisiko, nämlich der Gefahr, über die Sach- und die Finanzierungsleistung mit zwei voneinander unabhängigen Vertragspartnern abrechnen zu müssen (Rn. 657, 668). Diese Gefahr besteht jedoch beim Finanzierungsleasing nicht: Denn vor dem Eintritt des Leasinggebers in den Kaufvertrag ist der Leasingnehmer dem Lieferanten durch den Kaufvertrag verpflichtet, danach dem Leasinggeber durch den Finanzierungsleasingvertrag. Er tritt jedoch nicht beiden Parteien gleichzeitig als Vertragsgegenseite gegenüber. Durch Abschluss des Finanzierungsleasingvertrags mit LG wurde LN aus dem Kaufvertrag mit V entlassen und schuldete nun ausschließlich LG die Leistungen aus dem Leasingvertrag. Mit Widerruf des Finanzierungsleasingvertrags nach §§ 506 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1, 495 endete diese Verpflichtung wieder und an ihrer Stelle lebten seine kaufvertraglichen Pflichten gegenüber V wieder auf.

Nach der hier vertretenen Auffassung (Rn. 727) hat der Leasingnehmer zwar auch bei Abschluss des Finanzierungsleasingvertrages eigene Ansprüche gegen den Lieferanten; diese gründen jedoch auf einem einheitlichen Vertrag zwischen den Parteien. Eine Rechtsfolgenverweisung kommt folglich nicht in Betracht. Der BGH geht daher überzeugend von einer Rechtsgrundverweisung aus und prüft auch die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 1 (Tz. 16ff.). Die Norm passt aber bereits ihrem Wortlaut nach nicht; denn der Finanzierungsleasingvertrag dient nicht der Finanzierung des Kaufvertrags (vgl. Rn. 654). Zwar tritt der Leasinggeber nach seiner Verpflichtung im Finanzierungsleasingvertrag in den Kaufvertrag ein und übernimmt dort die Pflichten des Leasingnehmers gegenüber dem Lieferanten. Der BGH sieht darin jedoch keine den Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 Satz 1 genügende Finanzierungsleistung: Vielmehr diene der Kaufvertrag der Erfüllung der im Finanzierungsleasingvertrag begründeten Gebrauchsüberlassungspflicht des Leasinggebers (Tz. 18). Ferner fehlt es an den Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit nach § 358 Abs. 3 Satz 2, weil dem Leasingnehmer ja nicht zwei Gläubiger gegenübertreten, auf deren Zusammenwirken er schutzwürdig vertrauen darf (s. oben). Auch passt die Rechtsfolge des § 358 Abs. 4 Satz 5 (Rn. 665) nicht, gemäß derer der Darlehensgeber in den Kaufvertrag eintritt und gegenüber dem Verbraucher einheitlich Verantwortung für die Rückabwicklung der Sachverschaffungs- und der Finanzierungsleistung übernimmt. Denn beim Finanzierungsleasingvertrag trägt der Leasinggeber die Sachverschaffungs- und Finanzierungspflichten von vornherein einheitlich gegenüber dem Leasingnehmer (Tz. 20).52 Die Gegenauffassung stellt auf den Wortlaut des § 358 Abs. 3 Satz 2 „insbesondere“ und 52

Sittmann-Haury JZ 2014, 798, 800.

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den des § 506 Abs. 1 ab, der ja ausdrücklich auch § 358 in Bezug nimmt. Der Gesetzgeber muss also einen entsprechenden Anwendungsfall für den Einwendungsdurchgriff beim Finanzierungsleasing vorgesehen haben. Das Eintrittsmodell kommt nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung dafür am ehesten in Frage: Zwar sei der Leasingnehmer nicht gleichzeitig dem Leasinggeber und dem Lieferanten verpflichtet, seine Verantwortung pendele jedoch zwischen beiden.53 Dieser Betrachtungsweise steht jedoch entgegen, dass der Leasingnehmer bei der vorliegenden Variante des Eintrittsmodells auf eigene Gefahr (Rn. 762) handelt: Hier bringt der Leasingnehmer den Lieferanten und den Leasinggeber zusammen, ergreift also die Initiative (Rn. 715). Dann muss er sich im Kaufvertrag ausreichend vor den Rechtsfolgen eines Scheiterns seines Gesamtkonzepts absichern, kann aber nicht die Rechtsfolge des § 358 Abs. 2 zur Hilfe nehmen, wenn der Finanzierungsleasingvertrag auf seine Veranlassung hin scheitert. LN bleibt V gegenüber zur Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 verpflichtet, weil die Rechtsfolge des § 355 Abs. 1 Satz 1 nicht nach § 358 Abs. 2 auf den Kaufvertrag übergreift.

8. Der Rücktritt wegen eines Mangels der Leasingsache 736

Hat der Lieferant eine mangelhafte Kaufsache geliefert und liegen die Voraussetzungen nach §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 vor, kann der Leasingnehmer nach der herrschenden Abtretungskonstruktion den Rücktritt erklären und vom Lieferanten aus abgetretenem Recht (Rn. 722ff.) Rückzahlung des Kaufpreises nebst Nutzungsersatz (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) an den Leasinggeber verlangen. Denn der Leasingnehmer geht gegen den Lieferanten nur auf der Grundlage abgetretener Rechte des Leasinggebers vor; diese verändern ihren Inhalt infolge der Zession nicht (arg. e § 399 erster Fall). Fraglich ist daher, wie der Leasingnehmer vor weiteren Zahlungen an den Leasinggeber geschützt werden kann und wie er die bereits gezahlten Leasingraten zurückerhält. Die Rechtsprechung geht von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage des Finanzierungsleasingvertrages aus, der nach altem Recht sogar ex tunc, also rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses hin erfolgte, mit der Konsequenz, dass die Leasingraten aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) zurückgefordert werden konnten.54 Dies lässt sich unter der Geltung des § 313 Abs. 3 Satz 1 nicht mehr aufrecht erhalten; doch verschlechtert sich die Rechtsstellung des Leasingnehmers durch eine Rückabwicklung des Vertrages nach § 346 nicht, da der Rücktritt nach § 313 Abs. 3 Satz 1 in seinen Rechtsfolgen § 818 weitgehend angenähert ist (Rn. 269ff.).55 Danach muss der LeaFinkenauer/Brand JZ 2013, 273, 276f. Vgl. die zentrale Entscheidung BGHZ 68, 118 = NJW 1977, 848 und repräsentativ für viele folgende BGHZ 114, 57, 62ff. = NJW 1991, 1746. 55 OLG Frankfurt MDR 2009, 497; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 112; Tiedtke/Möllmann DB 2004, 583, 588; Reinicke/Tiedtke Rn. 1725. 53 54

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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singnehmer den Leasinggegenstand an den Leasinggeber zurückübertragen und schuldet Nutzungsersatz, wenn die Voraussetzungen des §§ 346 Abs. 2 Satz 1 bzw. 347 Abs. 1 vorliegen; der Leasinggeber muss die gezahlten Leasingraten zurückgewähren und schuldet ebenfalls Nutzungsersatz für das in Gestalt der Leasingraten überlassene Kapital. Der zentrale Kritikpunkt an diesem Verständnis liegt nicht in der dogmatischen Konstruktion, sondern darin, dass der Leasinggeber das Insolvenzrisiko des Lieferanten tragen muss.56 Denn kann der Leasingnehmer den an ihn abgetretenen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises wegen der Insolvenz des Lieferanten nicht realisieren, lebt die Eigenhaftung des Leasinggebers wieder auf.57 Dabei entfaltet die mietvertragliche Rechtsnaturbestimmung des Finanzierungsleasing nach hM. eine besondere Bedeutung. Ordnet man nämlich den Finanzierungsleasingvertrag als atypische Miete gemäß §§ 535ff. ein, so haftet der Leasinggeber eigentlich nach §§ 536ff. wie ein Vermieter für die Mangelfreiheit einer Mietsache (§§ 536f.). Nur ausnahmsweise darf sich der Leasinggeber von seiner Verantwortung durch die Abtretung der Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Lieferanten befreien. Diese Ausnahme wird jedoch hinfällig, sobald die abgetretenen Haftungsansprüche wirtschaftlich nicht vollwertig sind, sondern wegen der Insolvenz des Lieferanten ins Leere gehen (Rn. 733).58 Die im Schrifttum vertretene Gegenauffassung verteilt das Insolvenzrisiko anders.59 Danach ist der Leasingnehmer aufgrund der Abtretung der Gewährleistungsansprüche nicht nur zur Ausübung des Rücktritts, sondern auch zum Empfang des vom Lieferanten zurückzuzahlenden Kaufpreises berechtigt. Dh. der Leasingnehmer ist Inhaber des Anspruchs aus § 346 Abs. 1 auf Rückzahlung des Kaufpreises. Der Leasinggeber muss zwar als Eigentümer die Leasingsache an den Lieferanten zurückübereignen, doch gilt der Leasingnehmer als vom Leasinggeber nach § 185 Abs. 1 ermächtigt, die Rückübereignung im Zuge der Durchführung der Rückabwicklung vorzunehmen. Der Finanzierungsleasingvertrag zwischen Leasinggeber und -nehmer bleibt vom Vorliegen eines Mangels zunächst unberührt. Mit wirksamer Ausübung des Rücktritts steht dann sowohl dem Leasinggeber als auch dem Leasingnehmer ein fristloses Kündigungsrecht ex tunc zu. Die Frage ist in der Praxis längst im Sinne der hM. entschieden, sodass an dieser Stelle nur die methodische Kritik interessiert, die vielleicht ähnliche Fehlentwicklungen in der Zukunft zu verhindern hilft. Denn man wird dem herrschenden Verständnis – vereinfacht ausgedrückt – vorwerfen müssen, dass 56 Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 175ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 404ff. 57 BGHZ 81, 298 = NJW 1982, 105. 58 Vgl. BGHZ 68, 118 = NJW 1977, 848, 850; BGH NJW 1982, 105; BGH NJW 1986, 1744, 1746. 59 Lieb JZ 1982, 561, 563; ders. DB 1988, 2495, 2499; Canaris NJW 1982, 305, 306, 309. Vgl. auch den Alternativansatz von Koch, Störungen beim Finanzierungs-Leasing, 1981, S. 121ff.

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es Ursache und Wirkung verkehrt. Als Ursache für die Verteilung des Insolvenzrisikos erscheint der hM. die mietvertragliche Rechtsnaturbestimmung des Finanzierungsleasings und als Folge die subsidiäre Eigenverantwortlichkeit des Leasinggebers für Mängel der Leasingsache. Gerade dies überzeugt nicht: Denn ob das Mietrecht überhaupt auf das vorliegende Problem anwendbar ist, hängt davon ab, ob die in §§ 535ff. geregelte Interessenlage mit derjenigen des Finanzierungsleasings korrespondiert. Dagegen spricht aber bereits, dass der Leasinggeber die Leasingsache nicht in einer für den Vermieter typischen Art und Weise überlassen muss (Rn. 720). Weitere Überlegungen legen es nahe, dass der Leasingnehmer das Insolvenzrisiko des Lieferanten zu tragen hat. Regelmäßig sucht der Leasingnehmer den Lieferanten im Vorvertragsstadium aus (Rn. 711) und bringt damit erst die in dessen Person liegenden Insolvenzrisiken ins Spiel. Ferner kann der Leasingnehmer von einem typischen Finanzier wie dem Leasinggeber (oft eine Bank) keine Gewährleistungsverantwortlichkeit für die Beschaffenheit der Leasingsache erwarten: Hierzu fehlt es dem Leasinggeber erkennbar an eigener Kompetenz; durch den ganzen äußeren Ablauf des Leasinggeschäftes wird aber klar, dass Leasingnehmer und Lieferant sich über die Funktionsfähigkeit der Kaufsache direkt ins Benehmen setzen. Dann muss dies auch im Falle der Insolvenz des Lieferanten gelten. Geht man davon aus, passt eine Eigenhaftung des Leasinggebers aus §§ 536ff. von vornherein nicht. Aus diesen Normen lässt sich daher nichts für die Verteilung des Insolvenzrisikos ableiten. Vielmehr kommt nur eine Rückabwicklung in Betracht, die den Besonderheiten des Finanzierungsleasings als echtem dreigliedrigem Vertrag Rechnung trägt. Diese erinnert stark an die kündigungsrechtliche Betrachtung:60 Während im Verhältnis Leasingnehmer-Lieferant das Modell des § 328 Abs. 1 anwendbar erscheint (Rn. 727), greifen hier nun andere Gesichtspunkte. Hat ausnahmsweise der Leasinggeber das Risiko einer mangelhaften Lieferung durch den Lieferanten gegenüber dem Leasingnehmer übernommen (von der Rechtsprechung regelmäßig unterstellt), gehen sämtliche Pflichten des Leasingnehmers gegenüber dem Leasinggeber unter und es findet eine Rückabwicklung im Verhältnis Leasingnehmer-Leasinggeber und konsequenterweise Leasinggeber-Lieferant, jeweils nach §§ 346ff., statt. Trägt der Leasinggeber das Insolvenzrisiko des Lieferanten hingegen nicht (Regelfall), kommt es zu einer Abwicklung im Verhältnis des Leasingnehmers zum Lieferanten. Der Leasingnehmer kann – auf der Grundlage des § 328 Abs. 1 – „Rückgewähr“ des vom Leasinggeber gezahlten Kaufpreises an sich selbst fordern, und zwar Zug um Zug gegen Rückgabe der Leasingsache und Wertersatz für gezogene Nutzungen. Dem Leasinggeber bleibt der Leasingnehmer in diesem Fall aber weiterhin die Leasingraten schuldig. Als Zwischenergebnis schuldet der Leasingnehmer dem Leasinggeber zunächst die Leasingraten, erhält aber vom Lieferanten den Kaufpreis. Mit diesem kann der Leasingnehmer eine Ersatzsache erwerben, trägt aber dabei das Risiko, die Anschaffungs- und Finanzierungkosten des Leasinggebers weiterhin durch seine Zahlungen amortisieren zu müssen. Im Verhältnis zum Leasinggeber hat der Leasingneh-

60 Zum Folgenden bereits Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 401ff.

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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mer schließlich ein Sonderkündigungsrecht, und zwar in Anlehnung an die Fälle des zufälligen Untergangs der Leasingsache (Rn. 721): Der Leasingnehmer kann durch Kündigung die Summe aller Leasingraten fällig stellen und dabei den Zinsvorteil in Abzug bringen, den der Leasinggeber durch vorzeitige Vereinnahmung aller Raten erzielt. Zieht man den vom Lieferanten zurückerhaltenen Kaufpreis in Betracht, haftet er nach einer Saldierung der Positionen praktisch nur für die Finanzierungskosten des Leasinggebers!

Eine eigene Frage liegt schließlich darin, wann der Leasingnehmer bei Vorliegen eines Rücktrittsgrundes die Zahlung der Leasingraten einstellen darf: (BGH 16.6.2010 – VIII ZR 317/09 = NJW 2010, 2798) Der Verbraucher LN least ein Kfz, das zuvor LG vom Lieferanten V bezogen hat. Nachdem sich Mängel zeigen, lehnt V die von LN geforderte Nacherfüllung ab. Kann LN nun die Leasingraten gegenüber LG verweigern? Dem Anspruch des LG aus § 535 Abs. 2 analog (str.; vgl. Rn. 717) könnte LN hier möglicherweise ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 entgegensetzen.

Nach der Rechtsprechung des BGH entfällt die Geschäftsgrundlage des Finanzierungsleasingvertrags (siehe dazu Rn. 736) nicht einfach dadurch, dass sich der Leasingnehmer auf die Mangelhaftigkeit der vom Lieferanten übergebenen Sache beruft. Vielmehr tritt diese Rechtsfolge erst ein, wenn der Leasingnehmer gegen den Lieferanten aufgrund der abgetretenen Rechte Klage erhoben hat (Tz. 24 und 26). Dafür spricht, dass der Leasingnehmer den Leasinggeber andernfalls in sämtliche, häufig nur vorübergehenden, Abwicklungsprobleme und Streitigkeiten mit dem Lieferanten durch Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach § 320 hineinziehen könnte. Erst mit der Klageerhebung gibt der Leasingnehmer die Ernsthaftigkeit seines Willens zur Vertragsbeendigung gegenüber dem Leasinggeber deutlich zu erkennen. Deshalb ist im vorliegenden Fall vom Standpunkt der hM. aus die Geschäftsgrundlage des Finanzleasingvertrags noch nicht entfallen.61 In einer neueren Entscheidung geht der BGH62 sogar noch einen Schritt weiter: Auch wenn der Lieferant zwischenzeitlich in Insolvenz gefallen ist, muss der Leasingnehmer den Anspruch auf Nacherfüllung und die Sekundärrechte gegen den Lieferanten zunächst im Insolvenzverfahren verfolgen und für den Fall, dass deren Erfüllung verweigert wird, notfalls auch einklagen. Notfalls ist eine Anmeldung zur Insolvenztabelle zu betreiben (Tz. 17). Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo die Gesellschaft des Lieferanten wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde (Tz. 16). Die Prozesskosten des Leasingnehmers, die dieser nicht mehr vom Lieferanten zurückerhält, muss ihm aber der Leasinggeber ersetzen (Tz. 28). Aus diesem Erfordernis ergibt sich eine weitere Konsequenz:63 Während der Zeit des Klageverfahrens gegen den Lieferanten braucht der Leasingnehmer die LeasingBGH NJW 2014, 1583, Tz. 14ff. im Anschluss an BGHZ 97, 135 = NJW 1986, 1744, 1745; ähnlich H. Beckmann WM 2006, 952, 956f.; MünchKomm/Koch Leasing Rn. 114; Zahn DB 2002, 985, 986f. 62 BGH NJW 2014, 1583; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. 63 BGH NJW 2016, 397; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. 61

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raten gegenüber dem Leasinggeber nicht zu entrichten (Tz. 20). Diese verjähren jedoch nicht, sondern sind während des zwischen Leasingnehmer und Lieferant geführten Prozesses nach § 205 gehemmt (Tz. 18). 9. Der Ersatz des Nutzungsausfallschadens beim Leasingnehmer 741

Bei Mangelhaftigkeit der Leasingsache kann dem Leasingnehmer ein Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfallschadens (dazu Rn. 377) entstehen, wenn er die Leasingsache nur verspätet in Betrieb nehmen kann.64 Problematisch ist jedoch das Vertretenmüssen des Leasinggebers im Rahmen des einschlägigen Anspruchs aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1. Nach der Rechtsprechung des BGH ist dem Leasinggeber das Lieferantenverschulden gem. § 278 Satz 1 zuzurechnen, soweit es um die Auslieferung der Leasingsache geht (Rn. 718f. und 730). Dies spräche grundsätzlich für die Anwendbarkeit der Norm beim Ersatz des Nutzungsausfallschadens. Bedenken bereitet dennoch, dass der Leasingnehmer den Lieferanten ausgesucht hat und das in dessen Person liegende Loyalitätsrisiko überhaupt erst in den vertraglichen Leistungsaustausch eingebracht hat. Auf der Grundlage der herrschenden Abtretungskonstruktion käme immerhin noch in Betracht, dass der Leasingnehmer aus abgetretenem Recht des Leasinggebers gegen den Lieferanten vorgeht und daher seinen Schaden nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 liquidiert. Allerdings kann der Leasingnehmer über §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 nur den Schaden des Leasinggebers, nicht aber seinen eigenen geltend machen. Vom hier vertretenen Standpunkt aus (Rn. 727) kann der Leasingnehmer dagegen unmittelbar gegenüber dem Lieferanten und in entsprechender Anwendung des § 437 Nr. 3 vorgehen: Denn gegenüber dem Lieferanten hat der Leasingnehmer einen eigenen Anspruch aus § 328 Abs. 1 auf rechtzeitige Überlassung einer mangelfreien Leasingsache. 10. Die Anwendung des § 7 Abs. 1 StVG im Verhältnis zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer

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Über die Anwendung des § 7 Abs. 1 StVG beim Finanzierungsleasing versuchen die Leasinggeber gelegentlich ihre Rechte gegenüber dem Leasingnehmer auszuweiten: (BGH 7.12.2010 – VI ZR 288/09 = BGHZ 187, 379 = NJW 2011, 996) LN hat von LG ein Kfz geleast, mit dem er in einen Straßenverkehrsunfall verwickelt wurde, den der andere Beteiligte allein verschuldet hat. Dennoch verlangt LG von LN Ersatz für das völlig zerstörte Fahrzeug.

In Betracht kommt ein Anspruch des LG gegen LN aus § 7 Abs. 1 StVG. Der Leasingnehmer ist typischerweise Halter iSd. § 7 Abs. 1 StVG, weil er – wenngleich nicht als Eigentümer – die wirtschaftlichen Vorteile aus der Lea64

Dazu von Hall ZGS 2010, 541, 542.

III. Rechte und Pflichten zwischen Leasingnehmer, Leasinggeber und Lieferant

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singsache zieht und über deren Verwendung tatsächlich bestimmt (Tz. 5). Fraglich ist nur, ob die dem Leasinggeber zugefügte Eigentumsverletzung iSd. § 7 Abs. 1 StVG durch den Betrieb des Kfz zurechenbar verursacht wurde. An einer Kausalität iSd. Äquivalenztheorie (conditio-sine-qua-non-Theorie) besteht kein Zweifel. Ob die Ursachensetzung durch den Leasingnehmer aber zurechenbar ist, bestimmt sich nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm (Rn. 1056). Nach einer Auffassung umfasst der Schutzzweck der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auch die Beschädigung der Leasingsache selbst, da Leasingnehmer und Leasinggeber bewusst eine Aufspaltung des Eigentums in eine wirtschaftliche Nutzungsfunktion und eine Sicherungsfunktion betrieben hätten.65 Die Gegenauffassung, der auch der BGH folgt (Tz. 9ff.),66 sieht den Schaden am Fahrzeug selbst nicht als von der Haftung erfasst an. Dafür spricht, dass durch die Betrachtungsweise der ersten Auffassung das subjektive Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung beim Finanzierungsleasing durch die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG zerstört werden kann: Der Leasinggeber könnte hier über die vereinbarten Rechte und Pflichten hinaus noch eine garantieähnliche Ausfallhaftung gegenüber dem Leasingnehmer beanspruchen. Mit anderen Worten: Neben eine mögliche Restwertgarantie (§ 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) des Leasingnehmers träte hier noch zusätzlich die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG. Schon wegen dieser Gefahr muss § 7 Abs. 1 StVG zurücktreten. Ohnehin zielt die Norm eher darauf, einen Ausgleich für diejenigen Verkehrsteilnehmer zu schaffen, die ohne ihren Willen der Betriebsgefahr eines fremden Fahrzeugs ausgesetzt sind. Dieser Zweck passt nicht auf den Leasinggeber, der in den Gebrauch des Kfz durch den Leasingnehmer einwilligt und sich deshalb mit Blick auf das eigene geschäftliche Fortkommen den hier vorausehbaren Folgen der Betriebsgefahr bewusst aussetzt. (BGH 10.7.2007 – VI ZR 199/06 = BGHZ 173, 182 = NJW 2007, 3120) Anders als im Fall unter Rn. 742 tragen nun LN und der andere Verkehrsteilnehmer D jeweils die Hälfte der Schuld am Verkehrsunfall. Kann LG von D vollen Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 verlangen?

Der BGH bejaht den Anspruch in voller Höhe, weil der Leasinggeber sich das Verschulden des Leasingnehmers nicht nach § 17 Abs. 2 StVG zurechnen zu lassen braucht. Die Norm sei nur auf den Halter anwendbar (Tz. 6ff.). Auch § 9 StVG könne nicht analog auf den Anspruch aus § 823 Abs. 1 angewendet werden (Tz. 11); § 254 Abs. 1 setze hingegen eine Sonderverbindung voraus und sei deshalb ebenfalls nicht einschlägig (Tz. 12).67 Mittlerweile regelt § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG einen Teil der Problematik: Danach ist der Ausgleich zwischen dem Halter des einen und dem Eigentümer des anderen Kfz ausgeschlossen, wenn ein unabwendbares Ereignis iSd. § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG vorliegt. 65 Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 3. Aufl. 1997, § 7 StVG Rn. 218; aufgegeben mit der 4. Aufl. 2007, § 3 Rn. 252, Fn. 409. 66 Vgl. nur Geyer NZV 2005, 565, 568; Heß NZV 2007, 610, 611f.; Hohloch NZV 1992, 1, 5; zur umfangreichen Kommentar- und Handbuchliteratur vgl. die zitierte Entscheidung Tz. 8. 67 Kritisch M. Becker ZGS 2008, 415ff.

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IV. Verbraucherschutz und Vertragsbeendigung 1. § 506 Abs. 2 744

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Finanzierungsleasingverträge qualifizieren sich unter den Voraussetzungen des § 506 Abs. 2 Satz 1 als sonstige Finanzierungshilfen. Die Norm erfasst die Fälle der Bezugspflicht des Leasingnehmers (Nr. 1), des Andienungsrechts des Leasinggebers (Nr. 2; Rn. 749) und der Restwertgarantie (Nr. 3; Rn. 745). In allen drei Konstellationen bewirkt nicht allein die Summe der Leasingraten volle Amortisation, sondern es muss eine der drei erwähnten Sonderleistungen oder -verpflichtungen des Leasingnehmers hinzutreten (Rn. 712). Ausgehend vom Zweck der Norm, das Vollamortisationsleasing zu erfassen, dürfte § 506 Abs. 2 analog aber auch auf den Fall anwendbar sein, dass die Summe sämtlicher Leasingraten beim Leasinggeber volle Deckung der Anschaffungs- und Finanzierungskosten bewirkt. Problematisch ist die Einordnung des Kraftfahrzeugleasings nach dem Kilometerabrechnungsvertrag. Bei diesem Vertragstyp wird häufig für eine zwei- bis dreijährige Laufzeit eine Kilometer-Gesamtfahrleistung vereinbart, die der Kalkulation der Leasingraten zugrunde gelegt wird. Der Leasingnehmer muss das Kfz am Ende der Grundlaufzeit des Vertrages in einem ordentlichen Erhaltungszustand zurückgeben; nicht verschleißbedingte und nicht versicherte Beschädigungen sind dabei vom Leasingnehmer zu tragen (Minderwertausgleich). Mehr- oder Minderkilometer erfahren bei Vertragsbeendigung eine finanzielle Abgeltung. Diesen Vertragstyp behandelt der BGH als echtes Finanzierungsleasing.68 Dies stellt deshalb keine Selbstverständlichkeit dar, weil die Parteien die Erreichung voller Amortisation nicht ausdrücklich vereinbaren, sondern die zwischen ihnen getroffene Vereinbarung über den Erhaltungszustand der Leasingsache als verschuldensunabhängige Garantiehaftung iSd. § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ausgelegt wird: (BGH 17.7.2013 – VIII ZR 334/12 = NJW 2014, 1171)69 LG schließt mit LN einen Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung über einen VW Caddy. Die Laufzeit beträgt 36 Monate. In den von LG gestellten AGB heißt es: „IV.1: Die Leasing-Raten, eine vereinbarte Sonderzahlung und eine Mehrkilometerbelastung … sind Gegenleistungen für die Gebrauchsüberlassung … XVI.2: Bei Rückgabe muss das Fahrzeug in einem dem Alter und der vertragsgemäßen Fahrleistung entsprechenden Erhaltungszustand, frei von Schäden sowie verkehrs- und betriebssicher sein. XVI.3: Entspricht das Fahrzeug diesem Zustand nicht, ist der Leasingnehmer zum Ersatz des entsprechenden Schadens verpflichtet.“ Bei Rückgabe des Fahrzeugs durch LN verlangt LG wegen entdeckter Schäden 3.335 €. LN wendet ein, dass LG das Fahrzeug trotz dieser Schäden in Höhe des kalkulierten Restwerts an D veräußern konnte, sodass ihm kein Schaden entstanden sei. Im Übrigen sei ihm (LN) keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gewährt worden. 68 69

BGH NJW 1996, 2033, 2034f.; BGH NJW 1998, 1637, 1639. Ähnlich BGH NJW 2014, 2420, Tz. 15; BGH NJW 2014, 2421, Tz. 15ff.

IV. Verbraucherschutz und Vertragsbeendigung

535

In Betracht kommt ein Anspruch des LG gegen LN auf Zahlung von 3.335 € aus der Vereinbarung über den Minderwertausgleich (Klausel Nr. XVI.2). Das Fahrzeug blieb hinter den darin festgesetzten Qualitätsanforderungen zurück. Fraglich ist, ob LG nachweisen muss, dass ihm aus diesem Grund auch ein Schaden entstanden ist.

Nach Auffassung des BGH handelt es sich beim Anspruch auf Minderwertausgleich jedoch nicht um einen Schadensersatz-, sondern um einen Erfüllungsanspruch des Leasinggebers (Tz. 10). Diesem komme nämlich insoweit Amortisationsfunktion zu, als er an die Stelle des Anspruchs auf Rückgabe des Fahrzeugs in vertragsgerechtem Erhaltungszustand trete (Tz. 11). Folglich hänge seine Durchsetzung nicht vom Nachweis eines Schadens iSd. Differenztheorie ab (Tz. 11). Auch wenn man von einem Schadensersatzanspruch des Leasinggebers aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 ausgeht, spricht für diese Betrachtungsweise, dass durch die Rückgabe des fehlerhaften Fahrzeugs bereits ein Schaden iSd. § 249 Abs. 1 im Vermögen des Leasinggebers entstanden war und der Leasingnehmer sich nicht auf die günstige Weiterverwertung des Kfz als Reserveursache berufen darf. Schließlich muss der Leasinggeber dem Leasingnehmer auch keine Gelegenheit zur Nacherfüllung einräumen, wenn er die Sache zum vorgesehenen Vertragsende in nicht vertragsgemäßem Zustand zurückgibt.70 Ausschlaggebend ist das Interesse des Leasinggebers an einer pünktlichen Rückgabe; der Leasingnehmer darf sich daher nicht über den Rückgabetermin hinaus Zeit für Nacherfüllungsmaßnahmen nehmen (Tz. 12). Eine zweite Andienungsbefugnis kommt daher nur bei vorzeitiger Rückgabe der Leasingsache in Betracht; alternativ dazu muss der Leasingnehmer die Sache selbst vor der Rückgabe untersuchen und sie in den vertragsgemäßen Zustand bringen (Tz. 12). Dies alles überzeugt. Kritik begegnet jedoch ein anderer Umstand: Vorliegend haben die Parteien nicht ausdrücklich eine Garantiehaftung vereinbart, sondern – legt man das Prinzip des § 305c Abs. 2 zugrunde – eher eine Beschaffenheitsvereinbarung im Hinblick auf den Rückgabeanspruch aus § 546 Abs. 1 analog. Deren Verletzung löst den in der Klausel erwähnten Schadensersatzanspruch (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2) aus, der seinerseits von einem Vertretenmüssen des Leasingnehmers abhängt. Dagegen lässt die Rechtsprechung den Leasingnehmer ohne Vertretenmüssen auf den Minderwert haften, konstruiert also entgegen § 305c Abs. 2 eine Garantieverpflichtung des Leasingnehmers.71 Auf das Finanzierungsleasing ist schließlich auch das Widerrufsrecht des § 495 über § 506 Abs. 1 und 2 anwendbar (vgl. die Beispiele Rn. 638, 696).

Kritisch Reinking DAR 2013, 126ff. Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 91; aA. der BGH in ständiger Rechtsprechung: BGH NJW 1996, 2033; BGH NJW 1998, 1637. 70 71

746

536

§ 4 Leasinggeschäfte

2. Die ordentliche Vertragsbeendigung 747

748

Der BGH wendet das ordentliche Kündigungsrecht des § 542 Abs. 1 analog an.72 Wenn der Leasingnehmer die Sache nach Ablauf des Leasingvertrags nicht rechtzeitig zurückgibt, stellt sich die Frage, ob der Leasinggeber die pauschalisierte Entschädigung nach § 546a analog verlangen kann. Dies wird wegen der vermeintlich mietrechtlichen Natur des Finanzierungsleasings von der Praxis bejaht.73 Tatsächlich passt die Norm jedoch ihrem Zweck nach nicht auf das Finanzierungsleasing (Rn. 20). Ihr liegt nämlich die an § 346 Abs. 2 Satz 2 erinnernde gesetzgeberische Vorstellung zugrunde, dass Vermieter und Mieter den Wert der Gebrauchsvorteile durch die Vereinbarung der Miethöhe selbst festgelegt haben und deshalb auch bei der Überziehung der Gebrauchszeit daran festgehalten werden können. Beim Finanzierungsleasing aber hat die Sache zu Vertragsende regelmäßig ihre wirtschaftliche Lebensdauer erreicht. Dass die Leasingraten, die nach dem Vollamortisationsprinzip berechnet sind, weiter fließen sollen, leuchtet auch deshalb nicht ein, weil der Leasinggeber zum Vertragsende volle Amortisation erreicht hat. Nach der Gegenmeinung sind deshalb bereinigte Leasingraten geschuldet,74 die sich auf den Umfang der konkreten, vom Leasingnehmer unberechtigt erzielten Vorteile beschränken. Beim Teilamortisationsmodell (oben Rn. 712) werden zum Vertragsende Abschlussleistungen fällig (vgl. § 506 Abs. 2). Üblich sind ua. die Mehrerlösbeteiligung und der Restwertausgleichsanspruch, die von der Sache her auf die Garantie eines bestimmten Marktwerts der Leasingsache durch den Leasingnehmer am Stichtag hinauslaufen (Rn. 745). Dabei handelt es sich nicht um Ersatzansprüche, die analog § 548 Abs. 1 Satz 1 verjähren, sondern um Hauptleistungspflichten des Leasingnehmers, die zur Vollamortisation beitragen (Rn. 745). Fraglich ist insbesondere, wie sich der Restwertausgleichsanspruch berechnet. (BGH 4.6.1997 – VIII ZR 312/96 = NJW 1997, 3166) LG hat LN ein Kfz für drei Jahre verleast. LN ist verpflichtet, das Kfz mit einem Restwert iHv. 20.000 € zurückzugeben. In seinen AGB behält sich LG das Recht vor, den tatsächlich bestehenden Wert der Leasingsache anhand der Schätzung des Händlereinkaufspreises durch einen Sachverständigen zu bestimmen, falls keine Einigung zwischen den Parteien über den aktuellen Restwert der Leasingsache zustande kommen sollte. Ist diese Klausel wirksam? Die Klausel könnte nach § 307 Abs. 1 Satz 1 wegen unangemessener Benachteiligung des LN unwirksam sein, wenn LG den Händlereinkaufspreis gerade nicht als Bemessungsgrundlage für den Restwert ansetzen darf. Die Angemessenheit hängt hier von dem ab, was der LN gegenüber dem LG nach § 242 im Hinblick auf eine faire Abrechnung berechtigterweise erwarten darf.

BGH NJW 1990, 247, 248. BGH NJW 2007, 1594, Tz. 9; einschränkend zuvor BGH NJW-RR 2005, 1081; vgl. zuvor BGH NJW 1989, 1730; BGH NJW 1991, 221, 222. 74 Canaris AcP 190 (1990) 412f. und 441f.; Tiedtke ZIP 1989, 1437ff.; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 193f. 72 73

IV. Verbraucherschutz und Vertragsbeendigung

537

Nach § 242 ist der Leasinggeber gegenüber dem Leasingnehmer zur bestmöglichen Weiterverwertung der Leasingsache verpflichtet (S. 3167).75 Deshalb darf der Leasinggeber sich nicht einfach auf eine Schätzung verlassen oder sich darauf beschränken, die Leasingsache einem Händler zu dessen Einkaufspreis zu überlassen (S. 3167). Er muss sich vielmehr bemühen, einen Überblick über konkurrierende Angebote zu gewinnen, und zugunsten des Leasingnehmers die beste Verkaufsmöglichkeit wahrzunehmen. Die Interessen des Leasingnehmers sind aber dann gewahrt, wenn dieser selbst das Kfz zum geschätzten Händlereinkaufspreis erwerben darf: Dann kann er nämlich in Eigeninitiative durch Weiterveräußerung den tatsächlichen Marktwert realisieren (S. 3167).76 Eine weitere Abschlussleistung bildet beim Teilamortisationsmodell das Andienungsrecht des Leasinggebers nach § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2: Dem Leasinggeber steht dabei das Recht zu, dem Leasingnehmer die Leasingsache zu einem vorher festgelegten Kaufpreis anzubieten. Fraglich ist, ob darin bereits der Abschluss eines aufschiebend bedingten Kaufvertrages gesehen werden kann, oder ob der Leasingnehmer nur einen bindenden Antrag nach § 145 auf Abschluss eines Kaufvertrages abgibt, den der Leasinggeber annehmen kann. Der BGH hat die Frage offen gelassen.77 Gegen die Möglichkeit zur Abgabe eines isolierten Antrags wird vor allem die langzeitige Bindung des Leasinggebers als Argument genannt: Diese widerspreche § 147 Abs. 2, und damit § 307 Abs. 2 Nr. 1, bzw. könne gegen § 308 Nr. 1 verstoßen.78 Dies überzeugt jedoch nicht: Denn es spielt keine Rolle, wie der Leasingnehmer dem Leasinggeber Vollamortisation verschafft, durch Zahlung eines Restwertausgleichs oder durch Abnahme der Sache. Beide Male handelt es sich um Leistungshandlungen, die beim Leasinggeber die vertraglich geschuldete Vollamortisation bewirken und daher von vornherein als Hauptleistungspflichten des Leasingnehmers geschuldet sind.79 Deshalb kommt ausnahmsweise auch eine längere Bindung des Leasingnehmers an ein isoliertes Angebot auf Erwerb der Leasingsache in Betracht.

749

3. Die außerordentliche Vertragsbeendigung

Der neben § 314 speziellere und bedeutendste Fall der außerordentlichen Kündigung ist in § 498 geregelt. Er knüpft an den Zahlungsverzug des Leasingnehmers an. Nach Satz 1 Nr. 1 muss der Leasingnehmer mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise und mindestens zehn Prozent (bei einer Vertragslaufzeit über drei Jahre mit fünf Prozent) des Nenn75 BGH Schaden-Praxis 2015, 98, Tz. 7; dazu auch Dornis ZGS 2010, 109, 110; MünchKomm/ Koch Leasing Rn. 133. 76 AA. Dornis ZGS 2010, 109, 112ff., weil der vermögenslose Leasingnehmer benachteiligt werde. 77 BGH NJW 1997, 452. 78 Kurstedt DB 1981, 2525, 2529; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 1988, S. 333ff. 79 F. Graf von Westphalen ZIP 1983, 1021; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 1988, S. 334; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 196.

750

538

§ 4 Leasinggeschäfte

betrags des Darlehens in Verzug geraten sein. Beim Finanzierungsleasing existiert indes kein Nennbetrag des Darlehens. Fraglich ist deshalb, was darunter zu verstehen ist: Beispiel LN hat bei Lieferant V ein Kfz ausgesucht, das LG von V erwirbt und an LN verleast (Laufzeit 37 Monate, monatliche Leasingrate 1.000 €). Zugleich war LN verpflichtet, bei Vertragsschluss eine Sonderzahlung iHv. 10.000 € zu erbringen und eine Restwertgarantie iHv. 10.000 € zu übernehmen. LN zahlt zwei Raten nicht und reagiert auch auf eine Fristsetzung des LG nach § 498 Satz 1 Nr. 2 nicht. Da erklärt LG die Kündigung. Auf eine später erfolgende Wiederaufnahme der Zahlungsleistungen reagiert LG nicht mehr. Ist der Vertrag wirksam gekündigt?

Der BGH hat entschieden, dass es auf die Summe der Bruttoleasingraten ankommt.80 Dafür spricht der Zweck des § 498: Nach dieser Norm kann der Leasinggeber nur bei einem besonders schwer wiegenden Verzug den Vertrag kündigen. Die Parallele zum Kündigungsrecht des Vermieters bei einem Zahlungsverzug des Mieters (§ 543 Abs. 2 Nr. 3) ist hier zum Greifen nahe (Rn. 1002ff.). In beiden Normen wird das vom Schuldner zu vertretende „Verzugsvolumen“ in Bezug zum Gesamtumfang der von ihm abzutragenden Schuld gesetzt. Bei einem Zahlungsverzug kann daher der Vorwurf der Pflichtverletzung gegenüber dem Leasingnehmer umso schwerer erhoben werden, je größer seine Gesamtbelastung aus dem Vertrag ist. Versteht man als Summe der Bruttoleasingraten nur die während der Laufzeit des Vertrages geleisteten Raten, beträgt der Referenzwert 37.000 €. Dann war LN angesichts eines Rückstands von 2.000 € bereits mit mehr als fünf Prozent (5 X 370 = 1.850) in Verzug. Rechnet man indes die Sonderzahlung hinzu, hat er diese kritische Grenze (5 X 470 = 2.350) noch nicht erreicht. Ähnliche Ergebnisse stellen sich ein, wenn man den Restwertausgleich hinzurechnen könnte.

Das Gericht spricht sich jedoch gegen die Berücksichtigung von Sonderzahlungen des Leasingnehmers bei Vertragsschluss und übrigens auch gegen die Berücksichtigung des kalkulierten Restwerts aus, da dadurch für den Leasinggeber die Wartezeit bis zur Kündigung zu lang würde.81 Für die Einrechnung der bereits geleisteten Sonderzahlungen spricht jedoch, dass der Leasingnehmer durch sie seine Loyalität gegenüber dem Vertrag zum Ausdruck gebracht hat, weshalb sein Zahlungsrückstand auch zu ihnen ins Verhältnis gesetzt werden muss.82

80 81 82

BGH NJW 2001, 1349, 1351. BGH NJW 2001, 1349, 1351; so etwa auch MünchKomm/Schürnbrand § 498 Rn. 15. Martinek/Oechsler ZBB 1993, 97, 101ff.

V. Sonstige Leasingformen

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V. Sonstige Leasingformen Einen Sonderfall des Mietverhältnisses nach § 535 stellt das Operatingleasing dar.83 Bei diesem geht es um kurzfristige Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungsverträge, die insbesondere nicht auf Vollamortisation des Leasinggebers gerichtet sind. Auch fehlt häufig die für das Finanzierungsleasing charakteristische Dreiecksbeziehung. Im Kfz-Leasing ist das Null-Zins-Leasing (Zero-Bond-Leasing) typisch, bei dem der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Vertragsablauf in Höhe eines vorher festgelegten Restwerts erwerben kann. Die Besonderheit liegt darin, dass dem Kunden dann kein besonderer Leasing-Zins in Rechnung gestellt wird.84 KfzLeasing ist häufig auch Herstellerleasing. Damit bezeichnet man das Zusammenfallen von Leasinggeber und Lieferant in einer Person bzw. in einer wirtschaftlichen Einheit. Vgl. zum Kilometerabrechnungsvertrag bereits Rn. 745. Eigene Geschäftsbranchen bilden das Immobilienleasing85 und das Sale-andlease-back-Verfahren: Bei letzterem veräußert der Eigentümer die ihm gehörende Sache an einen Leasinggeber und least sie von diesem zurück.86 Im Mittelpunkt steht die Finanzierungsfunktion. Der Eigentümer und spätere Leasingnehmer will durch die Veräußerung Liquidität schöpfen und seine finanzielle Belastung auf die laufenden Leasingraten beschränken.

83 Flume DB 1972, 1, 2; Larenz/Canaris II/2, S. 100; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, 1993, S. 53. 84 Paschke BB 1987, 1193; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 1988, S. 284. 85 Vgl. hier nur Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 101 Rn. 17 mwN. 86 Ebenroth JuS 1985, 425, 426; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, 1988, S. 283.

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§ 5 Unentgeltliche Verträge I. Grundlagen 1. Die Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Auftrag 754

Das BGB kennt fünf Typen des unentgeltlichen Vertrages: die Schenkung nach §§ 516ff., den Auftrag nach § 662ff., die Leihe nach §§ 598ff., die Verwahrung im Falle des § 690 und das unentgeltliche Darlehen nach §§ 514f. Das Auftragsrecht stellt dabei einen Auffangtatbestand für alle nicht in Sonderregeln erfassten unentgeltlichen Rechtsgeschäfte dar.1 Nach § 662 verpflichtet sich der Beauftragte durch die Annahme eines Auftrags, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen. Nach hM. hat der hier vorausgesetzte Begriff der Geschäftsbesorgung deshalb nicht dieselbe Bedeutung wie in § 675 Abs. 1 (so die herrschende Trennungstheorie; dazu Rn. 1276); er umfasst also nicht nur die auf Interessenwahrnehmung gerichteten Geschäfte, sondern jede Art von Tätigkeit, auch unentgeltliche Dienst-, Werk-, Maklerleistungen usw. Das Auftragsrecht bildet folglich die Grenze zwischen der unverbindlichen, bloßen Gefälligkeit und dem zwar unentgeltlichen, aber dennoch verbindlichen Rechtsgeschäft. Dabei gilt es, drei unterschiedliche Bedeutungsinhalte auseinanderzuhalten: (1) Der Auftrag nach §§ 662ff. stellt regelmäßig ein Rechtsgeschäft dar und kann insoweit auch als vertragliches Gefälligkeitsschuldverhältnis bezeichnet werden, was allerdings im Folgenden zur Vermeidung weiterer Begriffsverwirrung unterbleibt. (2) Als bloße Gefälligkeit bezeichnet die hM. ein Entgegenkommen der Person gegenüber einer anderen, das gerade nicht die Schwelle zum Auftrag nach § 662 überschreitet und daher rechtlich unverbindlich ist. (3) Eine im Schrifttum vertretene Auffassung siedelt jenseits der Alternative Rechtsgeschäft und Gefälligkeit ein Gefälligkeitsverhältnis als eigenes gesetzliches Schuldverhältnis an (Rn. 756). Die Abgrenzungsschwierigkeiten verdeutlicht dabei folgender Fall: (BGH, 23.7.2015 – III ZR 346/14 = BGHZ 206, 254 = NJW 2015, 2880) G ist die Großmutter der X. X wiederum nimmt als Spielerin der Mannschaft des Amateurfußballvereins S an Wochenendturnieren teil, zu denen sie gewöhnlich durch G transportiert wird. Bei einer dieser Fahrten verunglückt G. Wegen des dabei entstehenden Schadens nimmt G den S in Anspruch. In Betracht kommt ein Anspruch der G gegen S auf Schadensersatz aus § 670 analog. Dies setzt das Bestehen eines Auftragsverhältnisses zwischen G und S voraus. 1

Zu den historischen Hintergründen Esser/Weyers § 35 I 1 c.

I. Grundlagen

541

Nach hM. hat der Auftragnehmer nicht nur einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen (= freiwillige Vermögensopfer) nach § 670. Er kann darüber hinaus vom Auftraggeber auch Ersatz der Schäden verlangen, die sich aus der Realisierung der für die Geschäftsführung spezifischen Gefahren ergeben (vgl. Tz. 5). Der Anspruch setzt kein Verschulden voraus, wobei die Herleitung im Einzelnen umstritten ist. Maßgeblich dürfte der § 670 zugrunde liegende Gedanke der Schadloshaltung des Auftragnehmers sein: Diesem sind geschäftsbesorgungsspezifische Schäden ebenso zu ersetzen wie Aufwendungen, damit die Erledigung des Auftrags für ihn nicht mit Vermögensopfern verbunden ist, sondern vermögensmäßig neutral bleibt (str.; im Einzelnen Rn. 1285). Fraglich war vorliegend, ob der Transport zum Amateurfußballturnier auf einer reinen Gefälligkeit der Großmutter oder auf einem Auftragsverhältnis beruhte. Der BGH grenzt Auftrag und Gefälligkeit danach ab, ob der Leistende den Willen hatte, sich rechtlich zu binden (Rechtsbindungswille; Tz. 8). Im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Ein Rechtsbindungswille ist danach zu bejahen, wenn „für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat“ (Tz. 8). Ausschlaggebend sind konkret der „Wert einer anvertrauten Sache, die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann …“2 Vorliegend lehnt der BGH einen Rechtsbindungswillen des Vereins aus überzeugenden Gründen ab: Der Verein hatte nämlich umgekehrt keinen Anspruch gegenüber der Großmutter auf Transport der Enkelin; diese konnte auch von einem anderen Familienmitglied transportiert werden (Tz. 11). Bei Nichttransport – so wird man ergänzen müssen – hätte der Verein auch keinen Schadensersatzanspruch iH. eines verpassten Preisgeldes geltend machen können. Schließlich erhielt die Großmutter auch für die Transporte in der Vergangenheit keinen Aufwendungsersatz (Fahrgeld; Tz. 11). Positiv wird man in anderen Fällen von Rechtsbindungswillen hingegen überall dort ausgehen dürfen, wo eine Person eine Aufgabe übernimmt, die so stark die rechtlichen Interessen einer anderen berührt, dass die Übernahme der Verantwortung nicht ohne rechtliche Bindung möglich ist. Beispiel Verwaltung von Geldern, die die Schüler eines Abiturjahrgangs zur Finanzierung der Abschlussfeier aufgebracht haben.3

Vorliegend übernimmt die Großmutter aber keine Verantwortung für den Verein, die zwingend eine rechtliche Bindung an dessen Interessen voraussetzt. Da2 3

BGHZ 21, 102, 107. Dazu Oechsler/Mihaylova Jura 2016, 833, 835.

542

§ 5 Unentgeltliche Verträge

für geht es bei den Wochenendturnieren einfach um zu wenig. Umgekehrt nimmt der Verein auch die Großmutter nicht zielgerichtet für seine Interessen in Anspruch, sodass es jeweils am Bindungswillen fehlt. Beachtung verdient ferner, dass der BGH Ansprüche wegen Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 683 Satz 1, 670 verneint (Tz. 9). Dies rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass die Verneinung des Rechtsbindungswillens zu einer grundsätzlichen Entscheidung zwischen Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit der Tätigkeit des Auftragnehmers führt (Tz. 9). Diese darf nicht über die Anwendung der §§ 677ff. unterlaufen werden Folgt man dem, fehlt das in § 683 Satz 1 vorausgesetzte objektive Interesse des Geschäftsherrn an einer zum Aufwendungsersatz führenden Fremdgeschäftsführung durch den Fahrer; denn dessen Verhalten ist für den Geschäftsherrn unverbindlich. Dann hat er kein Interesse, dass im Rahmen des § 683 Satz 1 für ihn dennoch eine Verpflichtung begründet wird. Aus derselben Überlegung heraus kommt auch ein (mutmaßlicher) Wille des Geschäftsherrn iSd. § 683 Satz 1 nicht in Betracht.4

755

Die Abgrenzung zwischen Auftrag und Gefälligkeit durch Feststellung eines Rechtsbindungswillens verläuft indes keineswegs immer sicher und vorhersehbar. Die Gegenauffassung verwirft daher die rechtsgeschäftliche Lösung des Problems, weil diese aus einem eher fiktiven Willen der Parteien heraus begründet werde, und stellt die Frage, ob im Einzelfall ein gesetzliches Schuldverhältnis zustande kommt. Denn zwischen den Parteien komme ein gesetzliches Gefälligkeitsverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 in Betracht, das keine Leistungsansprüche, sondern Schutzpflichten iSd. § 241 Abs. 2 begründe. Das Problem dieses Ansatzes liegt jedoch in der Tatbestandsbildung. So soll das gesetzliche Gefälligkeitsverhältnis durch den Vollzug der Gefälligkeit infolge eines zuvor gewollten und gezielten Kontaktes entstehen.5 Dieses Kriterium erscheint indes noch wesentlich unpräziser als der Rechtsbindungswille. Im Beispiel (Rn. 754) hatte die Großmutter nach aller Lebenserfahrung wahrscheinlich nur sporadischen Kontakt mit den Vertretern des Vereins. Fraglich ist deshalb, welche Art von Kontakt für die Begründung eines Schuldverhältnisses ausreicht. Diese Abgrenzung erscheint – da es Möglichkeiten der Kontaktaufnahme in beinahe unbegrenzten Intensitätsstufen gibt – wesentlich schwieriger als diejenige, ob die Großmutter eine Verantwortung für den Verein übernimmt, die eine rechtsgeschäftliche Bindung voraussetzt.

Auch lässt das Anknüpfen an die pseudo-rechtsgeschäftliche Kontaktaufnahme den Grund für diese Haftung unentschlossen zwischen Rechtsgeschäft und Delikt schwanken. Daraus ist aber kein Schutzzweck ableitbar, mit Hilfe dessen eine Haftungsbegrenzung im Einzelfall begründet werden könnte. Dasselbe gilt für eine neuere Auffassung, nach der es für die Begründung eines Schuldverhältnisses darauf ankommen soll, ob die erbrachte Gefälligkeit wesentliche, Staudinger/Bergmann Vorbem. zu §§ 677ff. Rn. 111: Es fehlt am „Geschäft“; ähnlich Bam4 berger/Roth/Gehrlein § 677 Rn. 1 (=BeckOK); offenlassend BGH Tz. 9. Vgl. den Gesetzgeber der Schuldrechtsreform RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 163; Schwerdt5 ner NJW 1971, 1673, 1675; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 77ff.; MünchKomm/Emmerich § 311 Rn. 48f.

I. Grundlagen

543

vom Deliktsrecht nicht geschützte Vermögensinteressen gefährdet.6 Denn dieser Ansatz zielt zu sehr auf das Ergebnis, und folgt der Logik, dass eine Anspruchsgrundlage dort bestehen muss, wo zuvor ein Schaden aufgetreten ist. Damit werden indes fundamentale Wertungen der Privatrechtsordnung infrage gestellt. Von Savigny sah das Wesen des Schuldverhältnisses in der „Herrschaft über eine fremde Person“. Diese Herrschaft kann nie über eine Person insgesamt, „sondern nur über einzelne Handlungen derselben, die also aus ihrer Freiheit ausscheidend und unserem Willen unterworfen gedacht werden.“ Jede Obligation ist also eine Beschränkung der natürlichen Freiheit einer Person, die „nicht weiter, als es das wahre Bedürfnis des Verkehrs erfordert, durch Rechtsinstitute anerkannt und geschützt werden soll.“7 Die Begründung eines Schuldverhältnisses stellt also stets einen rechtfertigungsbedürftigen Sondertatbestand, nicht aber den Normallfall dar (vgl. auch Rn. 1317). Dieses dogmatische Grundverständnis schützt die Freiheit der Privatrechtssubjekte: Diese sind außerhalb der §§ 823ff. gegenüber Fremden nur im Ausnahmefall und unter strengen Voraussetzungen gebunden, nicht aber schon dann, wenn andere im gegenseitigen Umgang mit ihnen einen Schaden erleiden.8 Der praktische Unterschied zwischen diesem strengen Verständnis und einer großzügigen Bejahung von Schuldverhältnissen liegt darin, dass unterhalb der Schwelle eines Vertrages nach § 662 nicht für fahrlässig zugefügte, reine (primäre) Vermögensschäden gehaftet wird, also für Schäden, die nicht in den Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 fallen. Auf sie findet § 278 Satz 1 keine Anwendung und die Beweislastverteilung für das Vertretenmüssen bzw. Verschulden gestaltet sich nicht so günstig wie nach § 280 Abs. 1 Satz 2. Dieses Grundverständnis vom individuellen Freiheitsschutz muss vergegenwärtigt werden, um zu verstehen, warum der BGH konsequent zwischen rechtsgeschäftlicher Verpflichtung und unverbindlicher Gefälligkeit unterscheidet, daneben aber ein gesetzliches Gefälligkeitsverhältnis nicht anerkennt: (BGH 4.8.2010 – XII ZR 118/08 = NJW 2010, 3087) G überlässt dem S seinen Motorroller für eine Probefahrt. Dieser überlässt den Roller wiederum dem X, der in einen Unfall verwickelt wird. Zwischen den Beteiligten ist nicht klar, ob zwischen G und S ein Leihvertrag über den Motorroller zustande kam. G verlangt von S Schadensersatz. G kann gegen S ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 zustehen, wenn S gegen eine aus dem Rechtsgedanken des § 603 Satz 2 resultierende Pflicht verstoßen hat.

Nach § 603 Satz 1 darf der Entleiher von der geliehenen Sache keinen anderen als den vertragsmäßigen Gebrauch machen. Ohne Erlaubnis des Verleihers ist er nicht berechtigt, den Gebrauch der Sache einem Dritten zu überlassen (Satz 2). Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, S. 251ff. Von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts, Erster Band, 1851, S. 4 und 7f.; dazu auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 33ff. Ähnlich Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, 2007, 8 S. 330f.; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2013, S. 259ff. 6 7

756

544

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

Satz 2 erinnert nicht ohne Grund an § 540 Abs. 1 Satz 1 (Untermiete). Die unbefugte Überlassung an Dritte stellt nach § 603 Satz 2 schon deshalb eine Überschreitung des Gebrauchsrechts durch den Entleiher dar, weil dieser die Sache den Einwirkungen eines für den Verleiher unbekannten Dritten überlässt und damit das Risiko ihrer Beschädigung in einer vom Verleiher nicht gesteuerten Art und Weise verändert. Der BGH wendet diese Norm aber nur auf die echte Leihe nach § 598 an, deren Zustandekommen Rechtsbindungswillen voraussetzt (Tz. 14). Fehlt dieser, kommt eine vertragsähnliche Haftung für ein gesetzliches Gefälligkeitsverhältnis nicht in Betracht, sondern die Ansprüche des Eigentümers richten sich allein nach Deliktsrecht (Tz. 13).9 Da aber der Dritte hier nicht als Verrichtungsgehilfe des Inanspruchgenommenen iSd. § 831 Abs. 1 Satz 1 in Betracht kommt, geht die Forderung des Eigentümers ins Leere. Dies überzeugt. Umgekehrt schließt das Familienrecht die mit den Defiziten der §§ 823ff. einhergehende Regelungslücke durch großzügige Anwendung des Auftragsrechts: Als ein Ehegatte die von ihm betreute Hausratsversicherung heimlich kündigt und deshalb dem anderen Ehegatten bei einem Einbruch ein nicht versicherter Schaden entsteht, haftet der für die Kündigung Verantwortliche seinem Partner aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 662.10 Einen Sonderfall der Konkretisierung des Rechtsbindungswillens in der Praxis stellen die Fälle des stillschweigend geschlossenen Anlageberatungsvertrags dar. Von ihm geht die Rechtsprechung regelmäßig aus, wenn eine Bank oder ein anderer mit dem Effektengeschäft vertrauter Unternehmer einem Gesprächspartner Informationen über eine Kapitalanlage erteilt. Hier steht das Schutzbedürfnis der Kapitalanleger so stark im Vordergrund, dass die Bejahung des Rechtsbindungswillens praktisch die Regel bildet (dazu noch Rn. 1294ff.). 2. Der Einfluss der Unentgeltlichkeit auf den Haftungsmaßstab a) Keine allgemeine Haftungsbeschränkung

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Einige Typen des unentgeltlichen Austauschvertrags kennen Haftungsbeschränkungen: Bei der Schenkung hat der Schuldner nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 521), dasselbe gilt für den Verleiher nach § 599. Im Rahmen der unentgeltlichen Verwahrung haftet der Verwahrer nach § 690 nur für die eigenübliche Sorgfalt, was wegen § 277 zu einem vergleichbaren Haftungsmaßstab führt. Fraglich ist, ob diese Tatbestände auf einem allgemeinen, dem BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken beruhen. Ein vergleichbares Privileg fehlt allerdings für den Auftrag. Weil diese Norm im System der unentgeltlichen Rechtsgeschäfte als Auffangtatbestand fungiert (Rn. 754), wiegt die dahinter stehende gesetzgeberische Systementscheidung nicht leicht. Teilweise wird dennoch die Auffassung vertreten, dass diese Entscheidung nur die 9 10

Vgl. aber auch Medicus/Petersen BR Rn. 368. OLG Bremen NJW 2015, 495.

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Behandlung von Gefälligkeiten mit Treuhandcharakter beeinflusse. In allen übrigen Fällen bestehe eine Gesetzeslücke, die im Wege der Rechtsanalogie zu §§ 521, 599, 690 geschlossen werden könne.11 Allerdings setzt das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsbesorgung in § 662 anders als im Fall des § 675 Abs. 1 nach der herrschenden Trennungstheorie keinen Treuhandcharakter voraus (Rn. 754), weswegen an dieser Unterscheidung Zweifel bleiben. Nach anderer Auffassung verdankt sich das Fehlen eines Haftungsprivilegs beim Auftrag hingegen keiner Systementscheidung des Gesetzgebers, sondern einer Zufälligkeit: Der Gesetzgeber habe das römisch-rechtliche Mandatum im Auftragsrecht regeln wollen, dabei aber eine Abgrenzung des Mandatum von anderen Geschäften durch das Kriterium der höheren Art der Tätigkeit (vgl. heute § 627) vermeiden wollen. Die Entscheidung für ein entgeltliches oder unentgeltliches Auftragsverhältnis sei längere Zeit in der Schwebe gewesen und erst am Ende der Beratungen zugunsten der Unentgeltlichkeit geklärt worden; dabei aber sei die Frage des Haftungsprivilegs nicht mehr bedacht worden.12 Diese Überlegungen haben Gewicht, können aber die objektiv bestehenden Systemvorgaben nicht ungeschehen machen: Ein allgemeines Prinzip der Haftungsbeschränkung bei unentgeltlicher Tätigkeit ist dem BGB danach nicht bekannt. Unstreitig gilt dies im Straßenverkehr, wo es um die Anwendung der ähnlich gelagerten §§ 708, 1359 und § 1664 Abs. 1 geht, weil dort kein Spielraum für individuelle Sorglosigkeit verbleibt (dazu noch Rn. 763). Den sich daraus ergebenden Härten begegnet der BGH gelegentlich dadurch, dass er einerseits von einem Rechtsbindungswillen ausgeht, andererseits aber dessen Rechtsfolgen beschränkt: (BGH 6.7.1995 – III ZR 176/94 = NJW 1995, 3389) Künstler K hat bereits eine Zusage der Galerie der Stadt S, seine Gemälde dort für zwei Monate ausstellen zu dürfen; allerdings wurde der mit Künstlern übliche Leihvertrag noch nicht geschlossen. Später wird die Galerie auf Beschluss der S geschlossen. K macht gegenüber S den entgangenen Gewinn im Hinblick auf die ursprünglich zu erwartende Verkaufsgelegenheit als Schaden geltend. Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 setzt das Zustandekommen eines Vertragsverhältnisses zwischen Künstler und Stadt voraus.

Der BGH geht angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung von einem Vorvertrag zu einem später abzuschließenden Ausstellungsvertrag aus, weil Termine und Ausleihbedingungen im Einzelnen noch nicht geklärt waren; den Ausstellungsvertrag selbst sieht das Gericht als Leihvertrag nach § 598 an (S. 3389). Der BGH schränkt jedoch den Umfang der von der Stadt eingegangenen Rechtsbindung ein (S. 3389): Auch wenn die Tätigkeit der Stadt mehr als eine Gefälligkeit darstelle und die Grenze zur rechtsgeschäftlichen Bindung überschreite, könne man nicht zwingend davon ausgehen, dass sie sich auch im Hinblick auf Schadensersatzansprüche bei einfachem Verschulden habe binden wollen. Wenn sie einem unbekannten Künstler entgegenkomme und ihn gegenüber ge11 12

Medicus/Petersen BR Rn. 369. Esser/Weyers § 35 I 1 c.

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werblichen Galeristen interessant mache, dürfe der Künstler nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass die Stadt auf ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde verzichten bzw. bei jedem Scheitern der Ausstellung auf vollen Schadensersatz haften wolle. Die Entscheidung schließt zunächst an ein zentrales Prinzip der Zivilrechtsordnung an. Die Bindungswirkung unentgeltlicher Verträge ist sachlich beschränkt und vermittelt dem Gläubiger nicht denselben Schutz wie ein entgeltliches Schuldverhältnis.13 Dies zeigt eine Reihe von Rechtsfolgen: (1) Hat der Beschenkte das Eigentum einer Sache kraft guten Glaubens nach §§ 932ff. erworben, muss er es dennoch dem früheren Eigentümer herausgeben (§ 816 Abs. 1 Satz 2). (2) Nutzungen, die er aus der Sache gezogen hat, muss er trotz seiner Gutgläubigkeit ebenfalls nach Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung herausgeben (§ 988). (3) Ganz allgemein ist sein Vertrauen nicht geschützt, allein mit dem Schenkenden auf der Grundlage des Schenkungsvertrages abrechnen zu können. Stets muss er sich auf mögliche Einwendungen desjenigen einstellen, von dem der Schenkende den Bereicherungsgegenstand ohne Rechtsgrund erlangt hat (§ 822). (4) In der Insolvenz des Schenkenden muss er mit Rückforderungsansprüchen rechnen (§§ 528f., § 143 Abs. 1 iVm. § 134 InsO): Eine unentgeltliche Verfügung unterliegt nämlich der Insolvenzanfechtung (und der Gläubigeranfechtung nach § 4 AnfG). Vorliegend ergänzt der BGH dieses Prinzip um einen stillschweigend vereinbarten Haftungsausschluss. Darin liegt die Alternative des BGH zur Annahme eines allgemeinen, aus §§ 521, 599, 620 folgenden und eine Haftungsbeschränkung begründenden Rechtsgedankens bei unentgeltlichen Schuldverhältnissen. Der sachliche Unterschied besteht darin, dass die Annahme eines stillschweigenden Haftungsausschlusses bei der Auslegung nach §§ 133, 157 größere Flexibilität im Einzelfall lässt. Insbesondere kann der Haftungsausschluss aus Sicht des BGH davon abhängen, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht (Rn. 763ff.). b) Schutzpflichtverletzungen in unentgeltlichen Verträgen

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Fraglich ist, ob die Haftungsprivilegien der §§ 521, 599, 690 im Einzelfall auch Schutzpflichten umfassen: (BGH 20.11.1984 – IVa ZR 104/83 = BGHZ 93, 23 = NJW 1985, 794 – Kartoffelpülpe) S überlässt G unentgeltlich Kartoffelpülpe zur Fütterung von Bullen. Diese stammt als Abfall aus seiner Kartoffelchipsproduktion. Die Tiere erkranken in der Folgezeit, weil die Pülpe Vgl. auch BGH NJW 1974, 1705, 1706f. – Lotteriegemeinschaft, wo ein Mitglied das Los mit der später erfolgreichen Ziffernkombination nicht abgibt, den anderen dafür aber nicht haftet; dazu Medicus/Petersen BR Rn. 372; Medicus/Petersen AT Rn. 192f.; Oechsler/Mihaylova Jura 2016, 833, 839.

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mit Enzymen behandelt ist und G ihnen daher eigentlich nur eine kleinere Menge hätte verfüttern dürfen. Den so entstandenen Schaden verlangt G von S.

§ 521 beschränkt die Haftung des Schenkenden auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Zu einer weiteren Privilegierung führt die Haftungsbeschränkung nach § 524 Abs. 1. Danach haftet der Schenkende für einen mangelbedingten Schaden nur, wenn er ihn arglistig verschweigt. Die geschenkte Sache war allerdings vorliegend nicht mangelhaft; denn die Pülpe erschien grundsätzlich zur Verfütterung geeignet. Sie musste nur in anderen Dosen verabreicht werden (S. 795). Deshalb kam vor allem eine Haftung des Schenkenden aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) oder aus „positiver Forderungsverletzung“ (§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2) wegen Verletzung einer vertraglichen Aufklärungspflicht durch den Schenkenden in Betracht (S. 795). Fraglich war, ob § 521 auch auf diese Anspruchsgrundlagen Anwendung findet. Der BGH folgt einer im Schrifttum vertretenen Auffassung,14 wonach „Freigiebigkeit der einen Seite nur zu den Vertragserwartungen des Begünstigten in Beziehung gesetzt werden kann“ (S. 791) und lehnt die Gegenauffassung ab, wonach § 521 seinem Zweck nach auch die Verantwortung für Schutzpflichtverletzungen und die ihnen teilweise ähnlichen unerlaubten Handlungen iSd. § 823 Abs. 1 beeinflusst.15 Der BGH verfolgt dabei jedoch eine differenzierte Linie: § 521 ist seiner Auffassung nach nur dort nicht anwendbar, „wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die nicht im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand stehen“ (S. 795). Vorliegend passe die Norm ihrem Zweck nach, da es sich um einen Schaden handele, der durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Pülpe entstehe (S. 795). Der weitergehenden Auffassung, die § 521 überhaupt nicht auf Schutzpflichtverletzungen anwenden will,16 folgt das Gericht nicht: Denn andernfalls drohe ein Wertungswiderspruch zu § 524 (S. 795). Das Argument leuchtet zunächst ein, führt aber im Einzelfall zu schwierigen Abgrenzungsfragen. Aus heutiger Sicht liegt den §§ 521, 524 die Vorstellung zugrunde, dass die eine Vertragsseite dem „geschenkten Gaul nicht zu tief ins Maul schauen“ darf, weil ihre Erwartungen aufgrund der Unentgeltlichkeit deutlich herabgesetzt sind. Andererseits bedeutet dies jedoch nicht, dass der Beschenkte dem Schenkenden seine sonstigen Rechtsgüter im Rahmen der §§ 521, 524 freiwillig ausliefert. Denn jeder Fremde haftet dem anderen nach § 823 Abs. 1 für die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter, ohne dass es darauf ankommt, ob der Geschädigte eine Gegenleistung erbracht hat oder nicht. Diese Überlegungen sprechen eher für die vorgestellte, weitergehende Auffassung: §§ 521, 524 sind danach teleologisch zu reduzieren und finden keine Anwendung auf Mangelfolgeschäden, 14 Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, 1972, S. 335; Larenz II/1 § 47 II a; vgl. auch Esser/Weyers § 12 II 2; Gerhardt JuS 1970, 597; Stoll JZ 1985, 384, 385f.; Thiele JZ 1967, 649. 15 Canaris JZ 1965, 475, 481; MünchKomm/Koch § 521 Rn. 5; Staudinger/Chiusi § 521 Rn. 10. 16 Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, 1972, S. 332ff.

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auf vertragliche Schutzpflichtverletzungen und insbesondere nicht auf die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter iSd. § 823 Abs. 1. Im vorliegenden Fall kommt daher eine Haftung des S sowohl aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 als auch aus § 823 Abs. 1 in Betracht.

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Das Problem setzt sich bei der Leihe im Hinblick auf den Anwendungsbereich des § 599 fort. Der Verleiher hat nach dieser Norm nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gegenüber dem Entleiher zu vertreten. Auch hier wird die Nichtanwendbarkeit auf Schutzpflichten von einer Auffassung befürwortet,17 von einer anderen mit Blick auf das altruistische Verhalten des Verleihers verneint.18 Diese zweite Überlegung erscheint vor allem mit Blick auf ein sich etablierendes Prinzip plausibel, gemeinnütziges Handeln bei der Haftung zu privilegieren (arg. e § 31a).19 Ferner fehlt die vermittelnde Auffassung nicht, die danach differenzieren will, ob die Schutzpflichtverletzung in Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand steht (dann soll § 599 angewendet werden) oder nicht.20 (BGH 9.6.1992 – VI ZR 49/91 = NJW 1992, 2474) V und E sind Einsteller auf derselben Reitanlage und miteinander befreundet. Als das Pony der reitunerfahrenen E erkrankt ist, stellt V ihr sein eigenes Reitpferd für eine Reitstunde zur Verfügung. Als E dem lustlos trabenden Pferd auf Anleitung des Reitlehrers die Gerte gibt, buckelt dieses und wirft E ab. E erleidet erhebliche Verletzungen und verlangt Schadensersatz nebst Schmerzensgeld von V.

Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 598 verneint der BGH vorliegend, da zwischen den Parteien kein zum Vertrag führender Rechtsbindungswille bestanden habe (S. 2475), und erwägt allein eine Haftung aus § 833 Satz 1. Der BGH geht übrigens davon aus, dass die Entleiherin nicht auf eigene Gefahr gehandelt habe. Bei Handeln auf eigene Gefahr findet eine teleologische Reduktion des § 833 Satz 1 statt (vgl. S. 2474). Die typische Gefahr des Reitens ist jedoch von § 833 Satz 1 stets erfasst. Ein haftungsausschließendes Handeln auf eigene Gefahr kommt hingegen nur in Betracht, wenn der Reitende Gefahren eingeht, die über einen gewöhnlichen Ritt hinausgehen (Zureiten, Dressurreiten, Springen; S. 2472). Der BGH geht zunächst mit der hM.21 davon aus, dass sich bei einer echten Leihe der Haftungsmaßstab des § 599 auch im Rahmen der Haftung aus § 823 Abs. 1 durchsetze, wenn diese mit vertraglichen Ansprüchen aus § 280 Abs. 1 Satz 1 konkurriere (S. 2475). Ob dies jedoch auch für die verschuldenslose Haftung aus § 833 Satz 1 gilt, wird nicht eigens angesprochen. Die Möglichkeit eiEtwa Grundmann AcP 198 (1998) 457, 466ff.; Jauernig/Mansel § 599 Rn. 2; Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, 1972, S. 346ff. 18 Etwa Bamberger/Roth/Wagner § 599 Rn. 2 (= BeckOK); Erman/F. Graf von Westphalen § 599 Rn. 1. 19 Dazu Armbrüster/Hohendorf JZ 2017, 221ff. 20 Staudinger/Reuter § 599 Rn. 2; MünchKomm/Häublein § 599 Rn. 3. 21 Knütel NJW 1978, 297, 298; Medicus, in: FS Odersky, 1996, S. 589, 597ff.; Staudinger/Reuter § 599 Rn. 3; aA. MünchKomm/Häublein § 599 Rn. 4. 17

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ner analogen Anwendung des § 599, die hier vor allem auch wegen des fehlenden Abschlusses eines Leihvertrages in Betracht kam, lehnt das Gericht nämlich ab: Haben die Parteien keinen Leihvertrag geschlossen, gelte § 599 auch nicht entsprechend (S. 2475; vgl. auch die Parallelentscheidung zu § 603 Satz 2 Rn. 756). Denn die Reduzierung des Haftungsmaßstabes in § 599 beruhe auf einem Äquivalenzgedanken: Der Unentgeltlichkeit der Leihe stehe eine reduzierte Haftungsverantwortlichkeit entgegen; auf diese müsse der Entleiher sich jedoch durch Willenserklärung einlassen, was vorliegend unterblieben sei. c) Konkludenter Haftungsausschluss in unentgeltlichen Verträgen

Wo eine ausdrückliche Haftungsbeschränkung fehlt, geht die Rechtsprechung unter bestimmten Umständen von einem zwischen den Beteiligten konkludent vereinbarten Haftungsausschluss aus. Maßgeblich ist dabei eine ergänzende Vertragsauslegung auf der Grundlage des § 157. Zugrunde liegen häufig dieselben Schutzzwecke, die auch die Lehre vom allgemeinen, den §§ 521, 599, 690 zugrunde liegenden Rechtsgedanken verfolgt (Rn. 758). Die Rechtsprechung unterscheidet sich von dieser Lehre jedoch dadurch, dass sie den Haftungsausschluss von einem im Einzelfall fehlenden Versicherungsschutz abhängig macht: (BGH 10.2.2009 – VI ZR 28/08 = NJW 2009, 1482) Die beiden Medizinstudentinnen G und S beschließen, ihr Praktikum miteinander in Südafrika zu verbringen. Dort mieten sie gemeinsam ein Kfz, das sie abwechselnd gebrauchen. Wegen Unkenntnis der Versicherungslage in Südafrika (das Land kennt keine Pflichtversicherung des Halters) schließen sie keine Haftpflichtversicherung ab. Auf einer Wochenendfahrt steuert S den Wagen, in dem G als Beifahrerin sitzt. Als S von einem Feldweg auf die Nationalstraße 7 einbiegt, missachtet sie das Linksfahrgebot und stößt mit einem anderen Kfz zusammen. Dabei wird G erheblich verletzt. G verlangt daraufhin von S rund 19.000 € Heilbehandlungskosten und ein Schmerzensgeld iHv. 20.000 €. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, wobei der BGH von einer Wahl deutschen Rechts durch G und S ausgeht (Tz. 10). Durch die dauerhafte gemeinsame Nutzung des Fahrzeugs haben G und S gegenseitigen Rechtsbindungswillen. Weil ihren Interessen eine gleiche Zweckrichtung zukommt, ist vom Abschluss eines Gesellschaftsvertrages nach § 705 auszugehen (Tz. 10).

Auf Unfälle im Straßenverkehr ist allerdings § 708 nicht anwendbar, weil hier nach einer geläufigen Formel kein Spielraum für individuelle Sorglosigkeit verbleibt (Tz. 13). Dies gilt auch für vergleichbare Haftungsbeschränkungen wie § 1359 und wohl auch die §§ 521, 599, 690. Der BGH begründet diese in der Praxis wichtige Weichenstellung in einer früheren Entscheidung so: „Den Fahrgästen ist nicht, nur weil sie sich gesellschaftlich verbunden haben, mangels abweichender Abreden aufzuerlegen, daß sie ihr Leben und ihre Gesundheit von dem Fahrzeuglenker mit geringerer Sorgfalt behandeln lassen müßten, als dies nach dem allgemein gültigen objektiven Maßstab erforderlich wäre. Das liefe dem ständigen gesetzgeberischen Bestreben, den Gefahren des Straßenverkehrs nicht zuletzt durch strenge Haftungsbestimmungen entgegenzuwirken, völlig zuwider. An eine derartige Ausdehnung der Vorschrift auf ein noch weithin unbekanntes Gebiet, das seiner Natur nach keinen Spielraum für in-

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dividuelle Sorglosigkeit erlaubt, kann bei der Aufnahme der Bestimmung in das Bürgerliche Gesetzbuch schlechterdings nicht gedacht worden sein. Es handelt sich um eine Norm, die nur die Regelung der vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Gesellschaftern im Auge hat, und selbst auf diesem Gebiet läßt sich die rechtspolitische Zweckmäßigkeit der Bestimmung bezweifeln … Danach verbietet es sich, der Vorschrift ein weites und ganz andersartiges Anwendungsfeld zu eröffnen, wo die körperliche Unversehrtheit der Gesellschafter auf dem Spiele steht und sich die Bestimmung deshalb in nicht gewollter Weise völlig unangemessen auswirken müßte … Es besteht kein sachlicher Grund, den Kraftfahrer nach den allgemeinen Vorschriften haften zu lassen, wenn er zu dem Verletzten in keinen besonderen Rechtsbeziehungen steht oder wenn es sich um die Fahrt eines Vereins handelt, jedoch gewisse Verstöße gegen die Verkehrsregeln hinzunehmen, wenn dadurch ein Mitgesellschafter verletzt worden ist. Im Straßenverkehr rechtfertigt es sich hier wie in den genannten übrigen Fällen nicht, persönlichen Eigenarten des Fahrers Rechnung zu tragen; soweit sie von den Mitfahrenden als gefährlich erkannt und in Kauf genommen werden, genügt die Möglichkeit der Schadensteilung nach § 254 BGB“.22

Der BGH geht jedoch im vorliegenden Fall auf der Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung von der Vereinbarung eines wechselseitigen Haftungsverzichts für einfache Fahrlässigkeit aus (Tz. 15ff.). Die Vereinbarung nach § 705 weise nämlich insoweit eine Lücke auf, als die Gesellschafterinnen nicht an das Haftpflichtrisiko gedacht hätten. Wäre dies der Fall gewesen, hätte keine von beiden ein Ansinnen der anderen Seite auf Vereinbarung eines Haftungsausschlusses für leichte Fahrlässigkeit versagen dürfen. Während nämlich der Fahrer bei Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes nicht erwarten dürfe, dass der Mitfahrer ihm gegenüber einen Haftungsverzicht erkläre, liege dies im vorliegenden Fall anders (Tz. 15). Der BGH beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf die zwischen den Gesellschafterinnen bestehende Gefahrengemeinschaft (Tz. 22). Wie noch zu erörtern ist, weist diese Argumentation insbesondere im Hinblick auf das versicherungsrechtliche Trennungsprinzip eigene Probleme auf (Rn. 767). Im Fall stellte sich noch die Frage, ob die Fahrerin S leicht oder grob fahrlässig gehandelt hatte. Grobe Fahrlässigkeit setzt nach Auffassung des Gerichts einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die verkehrsüblichen Sorgfaltsanforderungen voraus. Die Sorgfaltsanforderungen müssen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein; es muss dasjenige unbeachtet bleiben, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen. Subjektiv muss es sich um eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung handeln (Tz. 34). Dies verneint der BGH vorliegend, da gerade bei einem Abbiegevorgang in einem auf Linksverkehr basierenden Verkehrssystem ein automatisiertes Verhalten des an den Rechtsverkehr gewohnten Fahrers zu Tage treten könne, der auch bei einer gewissen Fahrpraxis mit dem Linksverkehr immer wieder zu einem Fehlverhalten führen könne (Tz. 37). Der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 scheitert daher an einem zwischen G und S vereinbarten Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit. Dieser erfasst auch mögliche Ansprüche aus § 823 Abs. 1.

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BGHZ 46, 313 = NJW 1967, 558, 559 (Hervorhebungen durch den Verfasser).

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Konkludente Haftungsbeschränkungen nimmt die Praxis ansonsten auch im Hinblick auf eine leicht fahrlässig begangene Beschädigung eines Neufahrzeugs bei einer Probefahrt durch den Kaufinteressenten an, wenn dem Verkäufer der Abschluss einer Kaskoversicherung zumutbar ist.23 Grundsätzlich besteht aber auch bei Gefälligkeitsfahrten kein Haftungsausschluss.24 Auch wenn die Beteiligten einander ansonsten nicht vertraglich verbunden sind, bejaht der BGH die Vereinbarung eines konkludenten Haftungsausschlusses bei der gemeinsamen Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen:

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(BGH 29.1.2008 – VI ZR 98/07 = NJW 2008, 1591) G und S nahmen mit ihren Kfz am sog. „Akademischen“, einer Motorsportveranstaltung auf dem Hockenheimring, teil. Auf regennasser Fahrbahn fuhr S auf den Wagen des G auf. G verlangt von S Schadensersatz, weil S haftpflichtversichert sei und die Versicherung den Schaden abdecke.

Fraglich ist auch hier, ob die Ansprüche aus § 7 StVG bzw. § 823 Abs. 1 nicht konkludent ausgeschlossen sind, soweit das Verhalten des Täters leichte Fahrlässigkeit nicht überschreitet. Zwar setzt gerade der Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG keinen Verschuldensvorwurf voraus, doch könnte auch er für gewisse Verhaltensweisen anderer Verkehrs- bzw. Rennteilnehmer ausgeschlossen sein. Nach Auffassung des BGH ist bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichem Gefahrenpotenzial, im Rahmen derer typischerweise auch bei Einhaltung der Wettbewerbsregeln oder bei geringfügigen Regelverletzungen die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung besteht, die Haftung der Wettbewerber untereinander ausgeschlossen. Voraussetzung ist jedoch, dass der eingetretene Schaden nicht versichert ist und dass er aufgrund einer nicht gewichtigen Regelverletzung verursacht wird (Tz. 8). Den Grund sieht das Gericht darin, dass es angesichts der Gefährlichkeit solcher Wettbewerbe regelmäßig vom Zufall abhänge, welcher Teilnehmer den Schaden verursache und welcher ihn erleide (Tz. 8). Man wird ergänzen dürfen, dass ein Teilnehmer in Selbstwiderspruch gerät, wenn er sich einerseits auf die Gefahren eines solchen Wettbewerbs einlässt, andererseits aber leichtes Fehlverhalten eines anderen Beteiligten zum Anlass für Ersatzansprüche nimmt. Hier dürfte deshalb auch der Grundsatz des venire contra factum proprium (§ 242) anwendbar sein. Kein Haftungsausschluss kommt jedoch nach Auffassung des Gerichts in Betracht, wenn der Verletzer eine Schadensdeckung durch Haftpflichtversicherung vorweisen kann (Tz. 12): Denn der Grund für den Haftungsausschluss liege darin, dass dem schädigenden Teilnehmer ein besonderes Haftungsrisiko zugemutet werde, obwohl der Geschädigte die besonderen Risiken der Veranstaltung in Kauf genommen habe und ihn die Verantwortung als Schädiger genauso hätte treffen können. Sei der Schädiger jedoch haftpflichtversichert, fehle es an der Bereitschaft der anderen Seite, sich auf einen Haftungsverzicht einzulassen. Dass der Versicherte dabei seinen Schadensfreiheitsrabatt einbüße, müsse hingenommen werden. 23 24

BGH NJW 2009, 279; dazu Nugel NZV 2011, 1, 4. Nugel NZV 2011, 1, 4.

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An dieser Begründung stört indes die Verletzung des versicherungsrechtlichen Trennungsprinzips:25 Denn das Haftpflichtverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer muss streng von dem Deckungsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber getrennt werden. Nur so kann verhindert werden, dass das Bestehen von Haftpflichtversicherungsschutz zur Tatbestandsvoraussetzung des Haftungsfalles und damit zum eigenen Auslöser wird. Gerade diese Gefahr wird durch die vorliegende Rechtsprechung jedoch nicht vermieden.26 3. Leihe und Verwahrung

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Leihe und Verwahrung entfalten vor allem als Besitzmittlungsverhältnisse iSd. § 868 praktische Bedeutung. Die Leihe (§§ 598ff.) erscheint dabei als das unentgeltliche Spiegelbild des Mietvertrages (vgl. bereits Rn. 756). Der Entleiher erwirbt ein Besitz- und Gebrauchsrecht nach § 598; allerdings muss der Verleiher den Gebrauch nur „gestatten“ und nicht wie in § 535 Abs. 1 Satz 1 „gewähren“. Darin kommt bereits die eingeschränkte Verantwortlichkeit des Verleihers angesichts des Fehlens einer Gegenleistung zum Tragen. Diese findet auch im Haftungsprivileg des § 599 ihren Ausdruck (Rn. 758) sowie in der auf Vorsatz beschränkten Mängelhaftung nach § 600. Den Entleiher trifft eine Obhutspflicht, die durch die §§ 602, 603 konkretisiert wird: Er haftet nicht für Abnutzungen, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch der Sache entstehen (§ 602), trägt aber nach § 601 Abs. 1 die gewöhnlichen Erhaltungskosten der Sache und hat einen Anspruch auf Ersatz der sonstigen Verwendungen nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 601 Abs. 2). Darin liegt eine Rechtsgrundverweisung auf die §§ 677ff.27 Einen Grenzfall zwischen Leihe und Miete stellt das unentgeltliche schuldrechtliche Wohnrecht auf Lebenszeit dar (Rn. 773). Die Verwahrung (§§ 688ff.) unterscheidet sich von der Leihe dadurch, dass dem unmittelbaren Besitzer nur ein Besitzrecht iSd. § 986, nicht aber ein Gebrauchsrecht eingeräumt wird. Das Gesetz regelt sowohl den Fall der entgeltlichen (§ 689) als auch den der unentgeltlichen Verwahrung (§ 690). In beiden Fällen trifft den Verwahrer die Pflicht zu „Raum und Obhut“.28 Praktische Probleme wirft die Unterscheidung zwischen Mietvertrag und entgeltlichem Verwahrungsvertrag auf. Regelmäßig geht es dabei um die Frage, ob aus Garantie nach § 536a Abs. 1 erster Fall oder nur im Falle eines Vertretenmüssens wie im Rahmen von §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 gehaftet wird. Die Verwahrung unterscheidet sich von der Miete dadurch, dass den unmittelbaren Besitzer eine Obhutspflicht im Rang einer Haupt(leistungs)pflicht trifft, wähBGH NJW 2006, 289, Tz. 18; BGH NJW-RR 2001, 1311. Ähnlich kritisch Faust JuS 2008, 838ff.; aA. Schimikowski RuS 2008, 189f. Vgl. zum Parallelproblem bei § 829 Staudinger/Oechsler § 828 Rn. 52 und § 829 Rn. 45ff. 27 Staudinger/Reuter § 601 Rn. 4. 28 Larenz II/1 § 58. 25 26

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rend bei der Miete die Gebrauchsüberlassung an den unmittelbaren Besitzer im Vordergrund steht.29 Regelmäßig wird man dann von einer Obhutspflicht ausgehen können, wenn der Schuldner die Sache so abschirmt, dass auch der Gläubiger (Hinterleger) selbst nicht unmittelbaren Zugang zu ihr hat. Allerdings ist diese Unterscheidung nicht frei von Paradoxien: Denn dort, wo eine besonders weit reichende Obhutspflicht besteht, haftet der Schuldner für die Beschädigung der Sache milder, nämlich nur für Vertretenmüssen, dort wo sie fehlt, ist er auch aus Garantie verantwortlich. Die Ursache dieses Widerspruchs liegt im problematischen Normzweck des § 536a Abs. 1 erster Fall (dazu auch Rn. 865 und 868). (BGH 18.12.1974 – VIII ZR 187/73 = BGHZ 63, 333 = NJW 1975, 645) Hotelier H bietet dem angereisten Gast G einen hoteleigenen Parkplatz an. Dort ist ein Schild mit der Aufschrift „Parken auf eigene Gefahr!“ aufgestellt. Durch das Umstürzen einer morschen Buche wird das Fahrzeug von Gast G beschädigt. G verlangt von H Ersatz des Schadens. Wegen § 701 Abs. 4 ist hier die Garantiehaftung des Gastwirtes nach § 701 Abs. 1 (Rn. 1430) nicht anwendbar (S. 646). H haftet dem G jedoch aus § 536a Abs. 1 erster Fall ohne Verschulden, wenn zwischen den Parteien ein Mietvertrag zustande kam. Denn der Mangel des Parkplatzes iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 – die Gefahr durch den geschädigten Baumstamm – lag bereits vor Vertragsschluss vor.

Der BGH sieht die Überlassung des Parkplatzes als Nebenvereinbarung des Beherbergungsvertrages an, der vor allem durch mietrechtliche Elemente geprägt sei. Deshalb finde die strenge Haftung des § 536a Abs. 1 Anwendung (S. 646). Dies überzeugt, weil die Überlassung des Parkplatzes die Erfüllung einer Nebenpflicht neben der Vermietung des Hotelzimmers darstellt. Auch wenn für den Gebrauch des Parkplatzes kein gesondertes Entgelt erhoben wird, leistet der Gast dieses häufig über den Hotelpreis mit. Die Kritik verweist dagegen auf folgenden vermeintlichen Wertungswiderspruch: Hätte das Hotel über keinen eigenen Parkplatz verfügt und hätte der Gast sein Fahrzeug deshalb auf einem von einem Dritten betriebenen, bewachten Parkplatz abgestellt, hätte der Dritte als Verwahrer trotz Übernahme einer Obhutspflicht nach § 280 Abs. 1 nur bei Vertretenmüssen gehaftet. Dann könne der Gast vorliegend nicht stärker geschützt sein, zumal er auf die fehlende Überwachung des Parkplatzes hingewiesen worden sei.30 Dieses Argument überzeugt nicht, da die unterschiedliche Behandlung beider Fälle – wie gerade ausgeführt – durch die strenge Haftung des § 536a Abs. 1 erster Fall bedingt ist. Nach der überzeugenden Auffassung des BGH haftet H daher dem G nach § 536a Abs. 1 erster Fall.

Bei der Abgrenzung zwischen Miete und Verwahrung kommt es schließlich auf die Besitzverhältnisse an: Bei der Verwahrung begründet der Verwahrer unmittelbaren Besitz an der verwahrten Sache und mittelt diesen dem Hinterle29 30

Vgl. etwa MünchKomm/Henssler § 688 Rn. 45. Ähnlich Larenz II/1 § 58.

770

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

ger. Bei der Miete überlässt der Vermieter dem Mieter regelmäßig den unmittelbaren Besitz an der Mietsache, der ihn nach §§ 868f. für den Vermieter ausübt (vgl. zum folgenden Fall auch Rn. 19). (OLG Oldenburg 4.1.2011 – 12 U 91/10 = ZGS 2011, 383) G hat sein Pferd in der Reitanlage des S in einer Box aufgestallt. In dem von ihm geschuldeten monatlichen Entgelt sind die Fütterung, die Boxenreinigung und die Einstreu eingeschlossen. In der Nacht vom 14. zum 15.10.2007 tritt das Pferd mit dem rechten Hinterbein ein Gitter aus der Boxenumwandung ein, gerät mit dem Fuß in die so entstehende Lücke und verletzt sich so schwer, dass G ein Schaden iHv. 13.500 € entsteht. Später stellt sich heraus, dass die Boxenumwandung vom Hersteller H stammte und entgegen den Empfehlungen der Reiterlichen Vereinigung unzureichend im Holzrahmen verschweißt war. Von außen war dies nicht zu erkennen. G macht nun einen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber S geltend. In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch des G gegen S. Dieser ist entweder aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 688 (Verwahrung) oder aus § 536a Abs. 1 erster Fall (Miete) begründet.

Das Gericht erkennt in der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung Elemente des Miet-, Kauf-, Dienst- und Verwahrungsvertrages (S. 383). Allerdings geht es davon aus, der Eigenart des Vertrages werde grundsätzlich nur „die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrags liegt“ (S. 383). Hier dominiere aber das Verwahrungselement, weil der Betreiber der Reitanlage nicht nur eine Box zur Verfügung stelle, sondern auch für das Pferd sorgen müsse (S. 384). Weil ein Vertretenmüssen des Stallwirts aber vorliegend nicht ernsthaft in Betracht kommt – das Sicherheitsdefizit war ja von außen nicht zu erkennen –, gehen die Ansprüche des Eigentümers (aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 688 und § 823 Abs. 1) ins Leere. Die hier angewandte Methode der Schwerpunktsetzung nach der Absorptionstheorie wurde bereits an anderer Stelle kritisiert (Rn. 19). Vorliegend erscheint fraglich, ob die Hauptpflicht des Stallwirts tatsächlich in der Obhut für das Tier lag. Dies wird man angesichts der Art der Benutzung der Einstellbox gerade verneinen müssen. Denn der Eigentümer hatte an dieser ein gewöhnliches Besitz- und Gebrauchsrecht. Dies zeigt sich bereits daran, dass ihm während der Öffnungszeiten jederzeit ein vom Stallwirt nicht kontrollierter oder gemittelter Zugang zur Box und zum eigenen Pferd möglich war. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von der Verwahrung eines Wertgegenstandes in einem Bankschließfach. Weil der Eigentümer vorliegend nach der Verkehrsanschauung unmittelbarer Besitzer seines Pferdes bleibt (§ 854 Abs. 1), hat er auch an der Box, in der dieses abgestellt ist, eine solche Besitzstellung. Im Verhältnis zum Stallwirt kommt allenfalls Mitbesitz (§ 866) in Betracht, kaum aber mittelbarer Besitz (§§ 868f.) in dem Sinne, dass der Stallwirt den Besitz an Box und Pferd dem Eigentümer mittelte. Dies alles deutet auf eine miettypische Gebrauchsüberlassung der Box gegenüber dem Eigentümer hin und nicht auf eine Verwahrung des Pferdes durch den Stallwirt. Hält man daher entgegen der Auffassung des OLG § 536a Abs. 1 vorliegend für anwendbar, haftet S ohne Verschulden, weil der Mangel vor Vertragsschluss bereits vorlag.

II. Die Schenkung

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II. Die Schenkung 1. Überblick

Für die Schenkung kennzeichnend ist die Unentgeltlichkeit der Leistung des Schenkenden. Aus ihr resultieren eine Reihe besonderer Rechtsfolgen: (1) Das Schenkungsversprechen bedarf der Form des § 518 Abs. 1, wobei eine He der Formnichtigkeit nach § 518 Abs. 2 in Betracht kommt. (2) Der Schenkende haftet nach §§ 521 bis 524 für Rechts- und Sachmängel nur beschränkt (Rn. 761). (3) Der Beschenkte muss das Geschenk nach §§ 528f. bei Verarmung des Schenkenden zurückgewähren. (4) Der Schenkende kann die Schenkung wegen schwerer Verfehlung des Beschenkten oder groben Undanks nach §§ 530ff. widerrufen und das Geschenk herausverlangen (§ 531 Abs. 2).

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2. Unentgeltliche Bereicherung a) Bereicherung

Nach § 516 Abs. 1 liegt eine Schenkung nur vor, wenn der Schenkende den Beschenkten bereichert und beide Parteien darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgen soll. Die Bereicherung setzt einerseits die Übertragung eines Vermögensgegenstands voraus, andererseits, dass zwischen dem Vermögen des Schenkenden und dem Vermögen des Beschenkten klar unterschieden werden kann. Daraus resultieren folgende Probleme:

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aa) Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung

Die Überlassung einer Sache zum Gebrauch genügt regelmäßig nicht für eine Schenkung. Denn § 516 Abs. 1 setzt die Übertragung eines Vermögensgegenstandes voraus. Dies ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Norm, wohl aber im Umkehrschluss aus § 517: (BGH 11.12.1981 – V ZR 247/80 = BGHZ 82, 354 = NJW 1982, 820)31 Nach dem Tod der X vereinbaren die Erben mit deren ehemaliger Haushaltshilfe H, die X bis zum Tod gepflegt hat, dass ihr bestimmte Wohnräume eines in den Nachlass fallenden Gebäudes „zur Benutzung als Wohnung unentgeltlich und auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt“ werden sollen. Darüber wird eine privatschriftliche Vereinbarung getroffen. Fraglich ist, ob auf diese die Formvorschrift des § 518 Abs. 1 Anwendung findet.

Der BGH hatte vor dieser Entscheidung ein auf den Besitz und die Nutzung einer Wohnung gerichtetes Schenkungsversprechen (schuldrechtliches Wohnrecht) anerkannt, weiter aber eine Heilung nach § 518 Abs. 2 für möglich gehalten, wenn der Schenkende dem Beschenkten die Wohnung bereits überlassen hatte. Begründet wurde dies mit der Überlegung, der Schenkende habe alles ge-

31

BGH NJW 2016, 2652.

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tan, was von seiner Seite zur Bewirkung der Leistung erforderlich sei.32 In der vorliegenden Entscheidung distanziert sich das Gericht von dieser Rechtsprechung und kommt zu dem Schluss, dass die vorübergehende unentgeltliche Gebrauchsüberlassung eine Leihe nach § 598 darstelle. Begründet wird dies mit § 517 (S. 821): Nach dieser Norm liegt eine Schenkung nicht vor, wenn jemand zum Vorteil eines anderen einen Vermögenserwerb unterlässt. Für das vorliegende Wohnrecht sei es aber charakteristisch, dass dem Eigentümer aufgrund der Gebrauchsüberlassung an die Haushälterin bestimmte Vermögensvorteile (Miete, Vorteile des Eigengebrauchs) entgingen.33 Nicht ohne Grund ist das Gericht in der älteren Entscheidung zunächst vor diesem Schritt zurückgeschreckt: Denn die Leihe nach §§ 598ff. kommt durch formloses Leistungsversprechen zustande, obwohl sie für den Verleiher Effektivbelastungen zeitigen kann, die denen der Schenkung in nichts nachstehen müssen. Das Preußische Allgemeine Landrecht sah deshalb auch für die Leihe eine besondere Form vor,34 und das ältere Schrifttum hielt die Leihe nach §§ 598ff. für einen Realvertrag, der nur dann zustande kam, wenn die Sache vom Verleiher an den Entleiher übergeben worden war.35 Eine weitere Ansicht will daher zum Schutz des Verleihers die Formvorschrift des § 518 analog anwenden, wenn die Leihe zu einem vergleichbaren Vermögensopfer führe.36 Dies wird indes zu Recht abgelehnt,37 weil die Schenkung die endgültige Zuwendung eines Vermögensgegenstandes voraussetzt, der Verleiher sich hingegen durch Vereinbarung einer Zeit für die Gebrauchsüberlassung nach § 604 Abs. 1 oder durch Rückforderung nach § 604 Abs. 3 schützen kann. Der BGH will dem Verleiherschutz vorliegend über § 242 Rechnung tragen: Sollte sich für den Verleiher ein zunächst nicht zu übersehendes Risiko des Geschäfts abzeichnen, könne ihm ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§ 314) zustehen (S. 821). Danach kommt der Leihvertrag zwischen den Erben und H wirksam zustande, sodass H ein Besitz- und Gebrauchsrecht an der Wohnung zusteht. Den Erben steht lediglich ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 im Falle des Eintritts unvorhersehbarer, außerordentlicher Belastungen zu.

bb) Unbenannte Zuwendungen 774

An einer Bereicherung iSd. § 516 Abs. 1 und damit an einer Schenkung fehlt es auch bei sog. unbenannten Zuwendungen unter Eheleuten (ehebedingte Zuwendungen). Hier mangelt es nicht an der Zuwendung eines Vermögensgegenstandes, wohl aber daran, dass die Beteiligten nicht zwischen dem Abfluss aus dem Vermögen des Schenkenden und dem Zufluss im Vermögen des Beschenkten unterscheiden. 32 33 34 35 36 37

BGH NJW 1970, 941; kritisch etwa Reinicke NJW 1970, 1447. Vgl. auch Reinicke JA 1982, 326. ALR, Teil I, Tit. 21, § 233: Precarium. Dazu Larenz II/1 § 50. Reinicke JA 1982, 326, 329; Slapnicar JZ 1983, 325, 330f. Knütel AcP 184 (1984) 188, 191f.; MünchKomm/Häublein § 598 Rn. 9.

II. Die Schenkung

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Beispiel Die Ehe von A und B beruhte auf dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach § 1363 Abs. 1 und ist rechtskräftig geschieden worden. Dem A ist im Scheidungsbeschluss ein Zugewinnausgleich iHv. 20.000 € zuerkannt worden. Nun macht die B ihm folgende weitere Rechnung auf: Sie verlangt von ihm diverse Aufwendungen erstattet, die sie aus ihrem Vermögen finanziert hat und die dem gemeinsamen Eheleben dienten: „Samstagseinkäufe: 110 mal 50 €, Kauf eines Kompaktradios für die Küche für 30 € usw.“ Dabei beruft sie sich auf die schweren Eheverfehlungen des B (§§ 531 Abs. 2, 530 Abs. 1).

Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft beruht auf dem Prinzip der Gütertrennung zwischen den Ehegatten (§ 1363 Abs. 2 Satz 1). Während der Zeit der ehelichen Gemeinschaft machen sich die Ehepartner diesen Umstand jedoch oft nicht hinreichend klar: Typische Anschaffungen des Ehealltags werden zum Nutzen beider getätigt und können daher nicht so verstanden werden, dass der Vermögenswert aus dem Vermögen eines Partners ausscheidet und in das Vermögen des anderen gelangt. Soweit daher eine Zuwendung nicht ausdrücklich von einem Ehegatten als Schenkung benannt wird, sondern eben unbenannt bleibt, findet das Schenkungsrecht keine Anwendung. Denn die in § 516 vorausgesetzte Trennung der Vermögen von Schenkendem und Beschenktem wird in diesen Fällen nicht ausreichend gewahrt.38 Hinter dieser Lehre wird häufig der Einfluss eines gesellschaftlichen Anschauungswandels vermutet,39 doch bestehen schlicht zwingende Systemvorgaben im BGB: Der Vermögensausgleich zwischen den im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehegatten erfolgt nämlich nicht ohne Grund ausschließlich durch den Zugewinnausgleich nach §§ 1372ff. Damit wird der Wertzuwachs im Vermögen der Ehegatten untereinander pauschal erfasst und verteilt. Dies entbindet die Gerichte von der Aufgabe, hinsichtlich jeder einzelnen unbenannten Zuwendung zu entscheiden, inwieweit deren Wert im Vermögen des Zuwendenden verblieben ist und inwieweit sie in das Vermögen des Bedachten gelangt ist. Das Beispiel zeigt den praktischen Sinn einer solchen Regelung, und die Normstruktur des § 516 Abs. 1 liefert den dazu passenden dogmatischen Anknüpfungspunkt: Unbenannte Zuwendungen stellen daher grundsätzlich keine Schenkungen iSd. § 516 Abs. 1 dar. Geht man davon aus, dass die Eheleute sich die Trennung ihrer Vermögen und daher den in § 516 Abs. 1 vorausgesetzten Zu- und Abfluss eines Vermögenswertes bei Alltagsgeschäften nicht verdeutlichen, besteht eine Ausnahme gerade dort, wo Zuwendungen das alltägliche und übliche Maß deutlich übersteigen. Denn hier fehlt es regelmäßig nicht am Bewusstsein, dass ein Wert aus dem Vermögen des Zuwendenden ab- und dem Vermögen des Empfängers zufließt. Die Rechtsprechung bejaht daher in solchen Fällen die Möglichkeit ei38 BGH NJW 2015, 1014, Tz. 15; grundlegend Lieb, Die Ehegattenmitarbeit im Spannungsfeld zwischen Rechtsgeschäft, Bereicherungsausgleich und gesetzlichem Güterstand, 1970, S. 112ff.; Joost JZ 1985, 10; Deubner FamRZ 1968, 351; Kühne FamRZ 1968, 356; Staudinger/ Chiusi § 516 Rn. 87; MünchKomm/Koch § 516 Rn. 60f. 39 Kollhosser NJW 1994, 2313, 2314f.; MünchKomm/Koch § 516 Rn. 61.

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ner schuldrechtlichen Abwicklung über das Schenkungsrecht, sofern mit ihr keine Vereitelung der Zwecksetzung des Zugewinnausgleichs nach §§ 1372ff. verbunden ist: (BGH 8.7.1982 – IX ZR 99/80 = BGHZ 84, 361 = NJW 1982, 2236) M und F leben als Eheleute im Stand der Gütertrennung (§ 1414). F hat während dieser Zeit ein bebautes Grundstück für 65.000 € im eigenen Namen ersteigert; M hat im Innenverhältnis ca. 30.000 € zur Finanzierung beigesteuert. Nun wird die Ehe geschieden. F bewohnt das Haus mit den gemeinsamen Kindern weiter. M verlangt die 30.000 € von F zurück. Zu Recht verneint der BGH Ansprüche aus Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 2 erster Fall (Condictio ob causam finitam; S. 2236): Denn die eheliche Lebensgemeinschaft ist nicht Rechtsgrund für die Mitfinanzierung des Grundstückserwerbs. Vor allem aber tilgte der Ehemann durch die Überlassung der Geldsumme keine Verbindlichkeit aus der Ehe.40 Auch verneint der BGH in diesem Fall eine Condictio ob rem gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall (S. 2236), was vorübergehend anders gesehen wurde (dazu noch Rn. 779).41 Stattdessen bejaht er einen Anspruch auf Rückgewähr wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 3 Satz 1). Über die vorliegenden Zuwendungen können die Ehegatten nämlich „rechtsgeschäftliche Beziehungen eigener Art“ begründet haben (S. 2236). Vorausgesetzt wird zunächst, dass der gesetzliche Zugewinnausgleich nicht zur Anwendung komme und der Wert der Zuwendungen im Vermögen des anderen Ehegatten noch vorhanden sei (S. 2237). Diese Art der Rückabwicklung bejaht der BGH indes nur bei Vorliegen besonderer Umstände: Abhängig von der „Dauer der Ehe, dem Alter der Parteien, Art und Umfang der erbrachten Leistungen, der Höhe der dadurch bedingten und noch vorhandenen Vermögensmehrung und von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen“ muss die Aufrechterhaltung der bestehenden Vermögensverteilung unzumutbar sein, was vorliegend bejaht wird (S. 2237).

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Die Kritik bemängelt eine Scheinbegründung auf Grundlage rechtsgeschäftlicher Fiktionen im Einzelfall: Wann und in welchem Umfang eine rechtsgeschäftlich begründete Rückgewährpflicht bestehe, werde vom Ergebnis her entschieden.42 Dagegen spricht, dass die Ehegatten bei umfangreichen Vermögensverfügungen regelmäßig ein Bewusstsein für den Ab- und Zufluss von Vermögenswerten entwickeln und daher die Annahme eines Rechtsbindungswillens iSd. § 516 Abs. 1 nicht fernliegt. Der BGH geht übrigens nicht immer von einem Schenkungsvertrag nach § 516, sondern gelegentlich auch vom Zustandekommen einer Ehegatteninnengesellschaft iSd. § 705 aus. Diese kommt insbesondere in Betracht, wenn die Eheleute durch planvolle und zielstrebige Zusammenarbeit während der Ehe einen erheblichen Vermögenszuwachs (zB. Erwerb mehrerer Grundstücke) erzielen.43 Die vorgestellten Rechtsgrundsätze erfassen auch das Verhältnis eines Ehegatten zu seinen Schwiegereltern: 40 Ähnlich Lieb, Die Ehegattenmitarbeit im Spannungsfeld zwischen Rechtsgeschäft, Bereicherungsausgleich und gesetzlichem Güterstand, 1970, S. 120. 41 Dazu Joost JZ 1985, 10ff. 42 Vgl. auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 6. Aufl. 2010, § 19 V. 43 BGH NJW 1999, 2962; vgl. auch BGHZ 8, 249; 31, 201; BGH NJW 1982, 170; dazu etwa Medicus/Petersen BR Rn. 690a; MünchKomm/Koch § 516 Rn. 62.

II. Die Schenkung

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(BGH 21.7.2010 – XII ZR180/09 = NJW 2010, 2884)44 M überlässt ihrem Schwiegersohn S 128.000 €, damit dieser auf dem ihm allein gehörenden Grundstück ein Haus errichten kann. Als die Ehe des S mit der Tochter der M (F) scheitert, verlangt M das Geld zurück. In Betracht kommt ein Anspruch der M gegen S aus §§ 346 Abs. 1, 313 Abs. 3 Satz 1. Fraglich ist, ob zwischen den Parteien überhaupt ein Schenkungsvertrag nach § 516 zustande gekommen ist.

Der BGH bejaht eine Schenkung, weil die zugewendete Summe aus dem Vermögen der Schwiegermutter ausgeschieden und in das des Schwiegersohnes eingegangen sei (Tz. 12). Damit verweist die Begründung noch einmal auf den tragenden Gedanken der Rechtsprechung: An einer Schenkung fehlt es im Falle unbenannter Zuwendungen, weil diese den beiden Vermögen der Ehegatten nicht eindeutig im Sinne eines Zu- und Abflusses zugeordnet werden. Im Verhältnis der Schwiegermutter zu ihrem Schwiegersohn und angesichts der Größenordnung der Zuwendung stellt sich dieses Problem hingegen nicht: Hier sind sich beide Seiten jederzeit über die Vor- und Nachteile einer Zuwendung für das eigene Vermögen im Klaren. Auch schärft die Höhe des zugewendeten Betrages eine entsprechende Wahrnehmung der Beteiligten. In einer neueren Entscheidung geht das OLG Bremen (NJW 2016, 83f.) besonders weit: Die Schwiegereltern hatten einen Betrag auf das Konto der eigenen Tochter überwiesen. Darin lag nach Ansicht des Gerichts ein auch an den Schwiegersohn gerichteter Antrag auf Abschluss eines Schenkungsvertrages nach § 516 Abs. 1, weil dieser mit seiner ec-Karte Zugriff auf das Konto hatte. Das Geld wurde bestimmungsgemäß zur Ablösung von gemeinsamen Hausbauschulden der Eheleute verwendet. Die Annahme der Schenkungsofferte durch den Schwiegersohn (Ehemann) soll dabei durch seine Zustimmung zum Aufhebungsvertrag über die Altdarlehen abgegeben worden sein. In Fällen dieser Art kommt jedoch eher eine Kettenschenkung Eltern-Tochter und Tochter-Ehemann in Betracht.

Vorliegend lag danach keine unbenannte Zuwendung, sondern eine Schenkung iSd. § 516 Abs. 1 vor. Der BGH geht weiter davon aus, dass dieser Schenkung als Geschäftsgrundlage die Vorstellung zugrunde gelegen habe, dass die Ehe der eigenen Tochter mit dem Schwiegersohn Bestand haben werde und die zugewendete Summe daher dem eigenen Kind dauerhaft zugutekomme (Tz. 12). In einer späteren Entscheidung wird er ergänzen, dass die Scheidung nicht automatisch zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führt, soweit Schenkungen der Schwiegereltern betroffen sind: Hier kommt es vielmehr auf die bereits genannten (Rn. 775) Kriterien an45 sowie darauf, ob die Vorstellungen der Schwiegereltern vielleicht sogar erreicht wurden.46 In jedem Fall tritt der Rücktrittsgrund nach § 313 Abs. 3 Satz 1 eigenständig neben die besonderen Rückforderungsgründe aus §§ 527, 528, 530. So kann ein Rücktrittsrecht nach § 313 Abs. 3 Satz 1 auch dann bestehen, wenn die Voraussetzungen der §§ 527, 528, 530 nicht vorliegen (Tz. 15). Die Praxis erspart sich auf diese Weise vor allem die Prüfung 44 Vgl. ferner BGH NJW 2015, 1014; BGH NJW 2015, 690; BGHZ 184, 190 = NJW 2010, 2202. 45 BGH NJW 2015, 1014, Tz. 20f. 46 BGH NJW 2015, 690, Tz. 28

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einer schweren Verfehlung bzw. eines groben Undanks (§ 530 Abs. 1) im Umgang zwischen Ehepartner und Schwiegeltern. In anderen Fällen – etwa bei einer Grundstücksschenkung – kommt auch ein Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. Rückübertragung des Grundstücks in Betracht.47 Ein praktisches familienrechtliches Problem besteht ferner darin, dass der Tochter ein Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1378 Abs. 1 gegenüber dem bedachten Schwiegersohn zusteht. Fraglich ist, ob dieser den Vermögensausgleich zwischen Ehegatten abschließend auch insoweit regelt, als Rückgewähransprüche Dritter betroffen sind. Dafür spricht die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme des Schwiegersohns und Ehemanns aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und des Zugewinnausgleichs. Nach Auffassung des BGH treffen die Regelungen über den Zugewinnausgleich jedoch nur im Verhältnis der Eheleute eine abschließende Regelung, nicht aber im Verhältnis zu den Schwiegereltern (Tz. 18). Der Gefahr einer Doppelbelastung trägt er durch Anpassung der Regelungen über den Zugewinnausgleich Rechnung: Zuwendungen dieser Art fließen regelmäßig in das Anfangsvermögen des Bedachten (§ 1374) und sind deshalb nicht ausgleichspflichtig (Tz. 20). Allerdings kann F benachteiligt sein, weil der Rückforderungsanspruch der M in das Endvermögen (§ 1375) des S eingeht und daher von F hälftig mitzutragen ist (Tz. 22). Dem will der BGH dadurch vorbeugen, dass in das Anfangsvermögen des S nur eine um den Rückforderungsanspruch der M geminderte Zuwendung eingestellt wird (Tz. 23).

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Bemerkenswert erscheint, dass der BGH in einer allgemein gehaltenen Bemerkung auch die Condictio ob rem nach § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall als Anspruchsgrundlage in Betracht zieht (vgl. zur Dogmatik dieser Anspruchsgrundlage noch unten Rn. 800). Diese gewährt einen Bereicherungsanspruch, wenn der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt. Auch die Schwiegereltern können nach Auffassung des Gerichts mit der Zuwendung ehebezogene Zwecke verfolgen, auf die sich der bedachte Schwiegersohn durch Annahme der Zuwendung einlasse. Kommt danach eine Zweckabrede über die Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft zustande, liegt im Fall der Scheidung eine Zweckverfehlung und daher ein Fall der Condictio ob rem vor (Tz. 30). Voraussetzung für eine Zweckabrede sei aber positive Kenntnis des Empfängers von den Zweckvorstellungen des Zuwendenden (Tz. 31). Zweifel bestehen jedoch im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis von § 313 und Condictio ob rem. § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall ist nämlich bei einem Vertrag ausgeschlossen, der über ein eigenes Leistungsstörungsrecht verfügt.48 Denn in einem solchen Fall führt der Fortfall des (Leistungs-)Zwecks (vgl. § 366 Abs. 1) nicht zur Rechtsgrundlosigkeit nach § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall, sondern löst das Leistungsstörungsrecht dieses Vertrages aus und sei es nur das sehr rudimentäre Leistungsstörungsrecht des § 313 Abs. 1 und 3. Deshalb BGH NJW 2015, 1014, Tz. 23ff.; Verjährung nach § 196 in 10 Jahren: Tz. 35ff. Weitere Nachweise bei Scherpe JZ 2014, 659, 660f. mit eigener abweichender Auffassung auf S. 661. 47 48

II. Die Schenkung

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bleibt für die Condictio ob rem nur dort Raum, wo die bezweckte Leistung von der anderen Seite nicht aufgrund Vertrages geschuldet ist, sondern der Leistungsempfänger durch eine Zuwendung zu einem freiwilligen Verhalten, auf das kein Anspruch besteht, motiviert werden soll. Ob außergewöhnliche Zuwendungen während Ehe und Partnerschaft aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Bedachten einschlägige Anreize (zB. in Richtung ehelicher Treue) setzen, erscheint als offene Frage. In neueren Entscheidungen des BGH spielt die Condictio ob rem keine Rolle mehr; die vorgestellte Auffassung zu ihrer Anwendbarkeit wird aber auch nicht ausdrücklich aufgegeben.49 b) Unentgeltlichkeit aa) Remuneratorische Schenkungen und Schenkungen mit Anreizwirkung

§ 516 Abs. 1 setzt voraus, dass beide Teile darüber einig sind, dass die Bereicherung unentgeltlich erfolgt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn mit der Zuwendung nicht die Erlangung einer Gegenleistung erstrebt wird und die Bereicherung auch nicht der Erfüllung einer Verbindlichkeit dient.50 (BGH 28.5.2009 – Xa ZR 9/08 = NJW 2009, 2737) G ist Trainer einer Ringermannschaft. S, der Hauptsponsor des Vereins, verspricht ihm mündlich 5.000 € für den Fall, dass er die Mannschaft zur Meisterschaft führt. Als dies gelingt, beruft sich S auf die Formnichtigkeit seines Versprechens nach §§ 518 Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1. G fordert allerdings die 5.000 €.

Der BGH verneint die Unentgeltlichkeit der Bereicherung und damit die Möglichkeit eines formbedürftigen Schenkungsvertrages. Zwar stelle das Erreichen der Meisterschaft keine Gegenleistung für den Sponsor dar (Tz. 9), doch werde hier eine besondere Bemühung des Trainers entlohnt: In Betracht komme die Entlohnung für eine noch zu erbringende künftige Leistung (Tz. 10), durch die ein Leistungsanreiz gesetzt werde (Tz. 12). Der BGH vergleicht den Fall mit den arbeitsrechtlichen Gratifikationen (zB. Weihnachtsgeld), die ebenfalls nicht unentgeltlich gewährt würden, weil sie den Arbeitnehmer zu höheren Leistungen anspornen sollten (Tz. 12). Dass die Entlohnung erst bei Eintritt eines bestimmten Erfolges (Meisterschaft) gezahlt werde, hält das Gericht aufgrund eines systematischen Arguments aus §§ 657, 661 (Auslobung, Preisausschreiben) für unschädlich, weil auch in diesen Fällen eine Bindung im Hinblick auf die Erreichung eines Erfolges möglich sei (Tz. 10). Eine ähnliche Betrachtungsweise ist aus dem Gesellschaftsrecht bekannt: Erbringt der Gesellschafter gegenüber seiner Gesellschaft Leistungen, zu denen er nach der Satzung nicht verpflichtet ist, handelt er dennoch nicht unentgeltlich. Denn eine solche Leistung causa societatis „wird regelmäßig vor dem Hintergrund abgegeben, dass sich der Gesellschafter von ihr eine Stärkung der Gesellschaft und

49 50

BGH NJW 2015, 1014; BGH NJW 2015, 690. MünchKomm/Koch § 516 Rn. 24; Staudinger/Chiusi § 516 Rn. 38.

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damit mittelbar eine Verbesserung seiner durch die Mitgliedschaft vermittelten Vermögenslage oder auch nur immaterielle Vorteile verspricht.“51 Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestand darin, dass zwischen Leistung und Gegenleistung kein Synallagma iSd. § 320 bestand: Einerseits hatte der Zuwendende keinen Anspruch auf ein bestimmtes Tätigwerden des Empfängers, andererseits ist der Empfänger, wenn er die Zuwendung verdienen will, zu einer Vorleistung verpflichtet. Das Versprechen des Zuwendenden erzeugt also nur einen Anreiz zu einer Vorleistung. Richtiger Auffassung nach setzt die Entgeltlichkeit allerdings auch kein Synallagma aus Leistung und Gegenleistung voraus.52 Es genügt vielmehr, wenn der Zuwendung der einen Seite ein Verhalten auf der anderen Seite gegenübersteht, das für den Zuwendenden deswegen einen besonderen Wert hat, weil es nicht alltäglich ist und er es nicht einfach ohne Entgelt erwarten darf. Als Beispiel wird im Schrifttum etwa auch der Fall eines Elternteils genannt, der dem anderen eine Zahlung für den Fall verspricht, dass er auf das Sorgerecht für ein gemeinsames Kind verzichtet.53 Die vorliegende Fallgestaltung erinnert insbesondere an die Zweckabrede iSd. § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall (Condictio ob rem), bei der ein Teil den anderen durch die Zuwendung zu einem Verhalten veranlassen will, auf das er keinen Anspruch hat bzw. das er vernünftigerweise nicht ohne Anreizsetzung erwarten kann (Rn. 800).54 Hier wie dort passt § 518 Abs. 1 seinem Schutzzweck nach nicht, weil der Zuwendende nicht einseitig etwas aus seinem Vermögen weggibt, sondern dafür den sonst nicht erreichbaren Erfolg erhält. Der Anspruch des G gegen S ist daher begründet.

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Dem Beispielsfall ähnlich erscheint die sog. remuneratorische Schenkung. Dabei gewährt der Schenkende dem Beschenkten eine vertraglich nicht geschuldete Zuwendung für bereits geleistete Arbeit.55 Hier bereitet die Abgrenzung zwischen Belohnung und Entlohnung besondere Schwierigkeiten: Soll der Zuwendung Entlohnungscharakter zukommen, gibt der Zuwendende dem Empfänger anlässlich der Zuwendung ein Angebot auf nachträgliche Vertragsänderung ab, das der Empfänger durch Entgegennahme der Zuwendung konkludent annimmt. Will der Zuwendende den Empfänger jedoch belohnen, gibt er einen Antrag auf Abschluss eines neben dem Hauptvertrag bestehenden Schenkungsvertrags nach § 516 ab, dessen Formnichtigkeit durch den Zufluss der Zuwendung nach § 518 Abs. 2 geheilt wird. Insbesondere im Arbeitsrecht neigt die Rechtsprechung im Zweifel zur Bejahung der Entgeltlichkeit, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Gratifikationen (Weihnachtsgeld usw.) zuBGH 18.9.2012 – II ZR 50/11 = WM 2013, 26, Tz. 19. Kleinschmidt JZ 2009, 1121, 1122. Grunewald ZGS 2010, 164f. unter Hinweis auf RG WarnR 1915, Nr. 102 (Sorgerecht) und BGH NJW 1968, 1543 (Scheidung). 54 Medicus/Petersen BR Rn. 691f. 55 BGH LM § 516 Nr. 15; Haase JR 1982, 197; MünchKomm/Koch § 516 Rn. 31; Staudinger/ Wimmer-Leonhardt, Bearb. 2005, § 516 Rn. 72, teilweise aA. Staudinger/Chiusi § 516 Rn. 52. 51 52 53

II. Die Schenkung

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wendet, und begründet dies mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.56 Streitig ist dagegen, ob das sog. Trinkgeld als Entgelt (Entlohnung) oder als Schenkung (Belohnung) aufzufassen ist. Teilweise wird es als nachträgliche Zusatzvergütung angesehen.57 Nach anderer Auffassung handelt es sich um ein Anstandsgeschenk nach § 534, das nicht im Wege des Widerrufs wegen groben Undanks oder schwerer Verfehlungen zurückgefordert werden kann.58 bb) Gemischte Schenkung

Eigene Fragen wirft die Behandlung der gemischten Schenkung auf. Bei ihr sind sich die Parteien darüber einig, dass der Zuwendung des Schenkenden zwar eine Gegenleistung gegenübersteht, dass diese jedoch nicht dem vollen Verkehrswert der Zuwendung entspricht. (BGH 18.10.2011 – X ZR 45/10 = NJW 2012, 605) M verkauft und überträgt das ihr gehörende Hausgrundstück mittels notariell beurkundeten Vertrages nebst Auflassung vom 6.9.2002 auf ihren Sohn S. Dieser hatte im Vorfeld bereits 116.000 € in das Haus investiert. S übernimmt im Übergabevertrag ferner eine Pflegeverpflichtung für seine Mutter und räumt dieser ein Wohnrecht ein. Als M im März 2003 in ein Pflegeheim zieht, veräußert S das Gebäude für 215.000 € und zahlt dabei M für den Verzicht auf das Wohnrecht 18.000 €. T, Träger der Sozialhilfe, geht gegen S vor, weil T von April 2005 bis September 2007 Sozialhilfeleistungen gegenüber M iHv. 45.325,35 € erbracht hat. In Betracht kommt ein Zahlungsanspruch der M gegen S aus §§ 528 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2, den T nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Deckung von Pflegeheimkosten auf sich überleiten kann. Voraussetzung ist, dass S und M einen Schenkungsvertrag geschlossen haben.

Im Mittelpunkt des Falles steht die Frage der Unentgeltlichkeit der Zuwendung nach § 516 Abs. 1. Nach Auffassung des BGH kann der Schenkende die Rückgabe des Hausgrundstücks nur verlangen, wenn der unentgeltliche Charakter des Rechtsgeschäfts den entgeltlichen überwiegt (Tz. 15). Fordert der Schenkende aber nur die Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung, muss der Beschenkte alles herausgeben, was er über den Wert der eigenen Leistung hinaus an Gegenwert empfangen hat (Tz. 15). Für die Unentgeltlichkeit kommt es auf der subjektiven Ebene darauf an, dass die Parteien sich der Wertdifferenz bewusst waren und sich entsprechend auf die Unentgeltlichkeit iSd. § 516 Abs. 1 geeinigt haben (Tz. 17). Dies wird vermutet, wenn das Wertverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung durch eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz gekennzeichnet ist (Tz. 19). Das der Mutter eingeräumte Wohnrecht stellt dabei keine Gegenleistung dar, sondern mindert den Wert des übereigneten Grundstücks von vornherein (Tz. 22). Als „Gegenleistung“ kommt aber der Verzicht des Sohnes auf seine Bereicherungsansprüche aus §§ 951 Abs. 1, 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Verwendungskondiktion) wegen der in das Haus erbrachten Investitionen in Betracht 56 57 58

Vgl. hier nur BAG NJW 1967, 2425; BAGE 1, 36. Larenz II/1 § 47 I. MünchKomm/Koch § 516 Rn. 31 und § 534 Rn. 4; Staudinger/Chiusi § 534 Rn. 17.

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

(Tz. 23). Eine solche „Gegenleistung“ entspricht zwar nicht dem in § 320 vorausgesetzten Fall, sie stellt aber für die Mutter ein Motiv dar, das Eigentum am Grundstück auf den Sohn zu übertragen, was wiederum zur Bejahung der Entgeltlichkeit in § 516 Abs. 1 genügt. Dies soll wiederum nicht gelten, wenn der Sohn durch diese Investitionen seine eigene Wohnsituation in dem Haus verbessert hat und ihm der damit verbundene Vorteil durch das Bewohnen unmittelbar zugute kam (Tz. 25). Denn zwischen den Beteiligten kam dann ein Leihverhältnis über den überlassenen Wohnraum zustande (Tz. 26), aus welchem dem Sohn nur bei vorzeitiger Beendigung durch den Verkauf Ansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 2 erster Fall (Condictio ob causam finitam) zustehen konnten (Tz. 28). Hinzu treten die in der Entscheidung nur beiläufig erwähnten Pflegeleistungen, deren Wert ex ante zu kapitalisieren ist (von den Parteien geschätzte Dauer und Intensität der Pflege). Hier greift insbesondere nicht der Rechtsgedanke des § 1835 Abs. 3, wonach nur professionell erbrachte Arbeitsleistungen als Vermögenswert angesetzt werden können (Rn. 402). Denn § 37 Abs. 3 SGB V sieht die Behandlungspflege durch eine professionelle Pflegeeinrichtung als nachrangige Leistung an, wenn eine im Haushalt lebende Person diese nicht übernehmen kann (vgl. dazu auch Rn. 1029). Dadurch wird die Tätigkeit des professionell organisierten Pflegedienstes mit der eines Laien ausdrücklich gleichgestellt, was es rechtfertigt, den Pflegeleistungen des Laien einen eigenen Vermögenswert zuzuerkennen. Der BGH macht vorliegend nur Berechnungsvorgaben und verweist die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die Vorinstanz zurück. Soweit die Zuwendung des Hauses unentgeltlich erfolgte, hat T einen Anspruch aus §§ 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII iVm. 528 Abs. 1 Satz 1 (zu diesem vgl. noch unten Rn. 792ff.).

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Die vorgestellte Entscheidung folgt der heute herrschenden Zweckwürdigungstheorie.59 Das RG hatte die gemischte Schenkung noch in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil trennen wollen und etwa den Widerruf wegen groben Undanks nach §§ 531 Abs. 2, 530 Abs. 1 in seinen Rechtsfolgen auf den die Gegenleistung übersteigenden Mehrwert beschränkt (Trennungstheorie).60 Demgegenüber hatte das Oberste Gericht für die Britische Zone entschieden, dass der Anspruch auf Herausgabe der Hauptleistung als solche gerichtet sei, wenn der Schenkungscharakter überwiege (Einheitstheorie).61 Die Zweckwürdigungstheorie verweigert hingegen von vornherein eine Festlegung, sondern will eine einheitliche oder trennende Behandlung abhängig vom wirtschaftlichen Zweck der Schenkung und den Interessen der Parteien vornehmen. Soweit die zwischen den Parteien ausgetauschte Hauptleistung teilbar ist (Lieferung mehrerer Gattungssachen), kommt eine Anwendung der Schenkungsnormen nur auf den unentgeltlichen Teil in Betracht. In Fällen der Unteil59 60 61

MünchKomm/Koch § 516 Rn. 39; ähnlich wohl Staudinger/Chiusi § 516 Rn. 76. RGZ 68, 326, 328f.; 148, 236, 238ff.; 163, 257, 260f. OGHZ 1, 258, 261f.; 2, 160, 165.

II. Die Schenkung

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barkeit kommt es darauf an, ob eine Norm aus dem Bereich der §§ 516ff. ihrem Zweck nach auf den Vertrag passt, weil dort der unentgeltliche Teil überwiegt, oder ob überhaupt ein unentgeltlicher Teil vorhanden ist. Keine weiteren Erkenntnisse liefert der Hinweis, dass es sich bei der gemischten Schenkung um den Fall einer Vertragstypenverschmelzung handelt, weil Elemente des Kaufs und der Schenkung unentwirrbar ineinander übergingen.62 Denn im konkreten Einzelfall können die Normen der §§ 433ff. bzw. §§ 516ff. nur dann auf die gemischte Schenkung angewendet werden, wenn sie ihrem Zweck nach auf die Vereinbarung der Parteien passen. Danach ergibt sich folgendes Bild: (1) Die Formvorschrift des § 518 Abs. 1 findet nach überzeugender Auffassung stets dann Anwendung, wenn der unentgeltliche Teil nicht vernachlässigenswert gering ist.63 Nach der herrschenden Gegenauffassung bedarf nur der unentgeltliche Teil der Form, was im Fall der Formlosigkeit über § 139 zur vollständigen Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen soll.64 Dies überzeugt aber nur, wenn der unentgeltliche Teil vom entgeltlichen ohne inhaltliche Änderungen abtrennbar ist. Hängen die Regelungen zusammen, wird ihre Bedeutung, über die ja zu belehren ist, nur im Zusammenhang sämtlicher Rechte und Pflichten verständlich. Deshalb dürfte im Hinblick auf den Umfang der Beurkundung ein ähnliches Verständnis greifen wie im Falle des § 311b Abs. 1 Satz 1. Sämtliche Abreden, die mit dem beurkundungspflichtigen Teil eine rechtliche Einheit bilden, unterliegen daher selbst der Beurkundungspflicht.65 (2) Im Sachmängelhaftungsrecht kann es für die Anwendbarkeit der §§ 523f. oder des § 437 vernünftigerweise nur auf den Schwerpunkt des Vertrages im Bereich der Unentgeltlichkeit oder Entgeltlichkeit ankommen, wenn der Vertrag nicht wie im Fall des § 323 Abs. 5 Satz 1 in verschiedene voneinander unabhängige Teile untergliedert werden kann (Rn. 235).66 Denn die gelegentlich befürwortete Spaltung von Schadensersatzansprüchen und ähnlichen sekundären Käuferrechten67 zerstört das von den Parteien vereinbarte Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung (subjektives Äquivalenzverhältnis). Normen wie §§ 323 Abs. 5 Satz 2, 346 Abs. 2 Satz 2 und 441 Abs. 3 wollen dieses aber gerade auch im Rahmen der Sekundäransprüche des Käufers aufrechterhalten.68 (3) Für die Anwendbarkeit des § 521 (Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) kann wie für § 524 (Mängelhaftung nur bei Vorsatz) ebenfalls nur der Leistungsschwerpunkt des Vertrages ausschlaggebend sein: Überwiegt danach der entgeltliche Charakter, kommt die entsprechende Haftungsmilderung nicht

Vgl. nur Larenz/Canaris II/2 § 63 III 1 a. Larenz/Canaris II/2 § 63 III 1 b; Medicus/Petersen BR Rn. 381. RGZ 148, 236, 240f.; Ernst, in: FS Picker, 2010, S. 139, 172; BeckOK/Gehrlein § 516 Rn. 14; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, Bearb. 2005, § 516 Rn. 212. 65 Ähnlich MünchKomm/Koch § 518 Rn. 4; Staudinger/Chiusi § 516 Rn. 81. 66 MünchKomm/Koch § 516 Rn. 44; BeckOK/Gehrlein § 516 Rn. 16. 67 MünchKomm/Koch § 516 Rn. 46 und 45; auch BeckOK/Gehrlein § 516 Rn. 16. 68 So etwa für § 441 Abs. 3 Staudinger/Chiusi § 516 Rn. 84. 62 63 64

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

in Betracht.69 Die Gegenauffassung, die eine Quotelung des leicht fahrlässig verursachten Schadens in Erwägung zieht,70 würde in einem Schadensersatzprozess nicht enden wollende Streitigkeiten über die wahren Wertverhältnisse des geschenkten Gegenstandes heraufbeschwören. Beispiel S „schenkt“ seinem Neffen B den eigenen gebrauchten Pkw, von dem er weiß, dass die Handbremse nicht mehr funktioniert, gegen Zahlung von 2.000 €. Wegen der Fehlfunktion der Handbremse rollt das Fahrzeug gegen das Garagentor des B und zerstört dieses. Lag der Verkehrswert des Fahrzeugs bei ca. 3.000 €, ist § 521 nach der hier vertretenen Auffassung nicht anwendbar. Müsste indes die Zahlung des B von 2.000 € in ein Verhältnis zum „wahren Wert“ des Pkw gesetzt werden, drohte ein Streit um jedes Funktionsdefizit des Fahrzeugs und seine Auswirkung auf den Marktwert.

(4) Dieses Beispiel zeigt im Übrigen, dass bei der Rückforderung nach § 528 eine Trennung von entgeltlichem und unentgeltlichem Teil dann in Betracht kommt, wenn nur ein Teil der Schenkung dem Werte nach zurückgefordert wird, nicht aber, wenn es um die ganze Sache geht.71 (5) Auch im Rahmen des § 530 Abs. 1 (schwere Verfehlung, grober Undank) kommt es darauf an, ob der Vertrag insgesamt eher entgeltlichen oder unentgeltlichen Charakter hat.72 Die Gegenauffassung will Situationen vermeiden, die für den Schenkenden vermeintlich unzumutbar sind, und stellt deshalb eine Interessenabwägung an.73 Doch erscheint dafür nach dem Zweck des § 530 Abs. 1 Satz 1 kein Raum: Auf den vorhandenen oder fehlenden Bestand eines Vertrages muss sich die Gegenseite sicher einstellen können. Deshalb kommt der Widerruf nur bei (überwiegender) Unentgeltlichkeit in Betracht. (6) Schließlich findet die auf der Grundlage des § 138 Abs. 1 entwickelte Lehre vom wucherähnlichen Geschäft (Rn. 59 und Rn. 604ff.) auf eine gemischte Schenkung keine Anwendung. Beispiel S, der um die klamme Situation seines Neffen N weiß, kauft diesem einen älteren Pkw für 7.000 € ab (Verkehrswert: 3.000 €).

Zwar beruht auch die gemischte Schenkung häufig auf einem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Dieses trägt jedoch nicht die beiden Beweiserleichterungen, die für die Lehre vom wucherähnlichen Rechtsgeschäft prägend sind. Denn dort folgt aus der Vereinbarung eines groben Missverhält69 Dazu mwN., allerdings distanziert: MünchKomm/Koch § 516 Rn. 44; BeckOK/Gehrlein § 516 Rn. 16. 70 MünchKomm/Koch § 516 Rn. 46: allerdings nur bei Schäden an der Sache selbst, nicht bei der Verletzung sonstiger Rechtsgüter. 71 So auch Larenz/Canaris II/2 § 63 III 1 c; teilw. weitergehend mit einer Abwendungsmöglichkeit nach § 528 Abs. 1 Satz 2 MünchKomm/Koch § 516 Rn. 41. 72 BGHZ 30, 120 = NJW 1959, 1363; MünchKomm/Koch § 516 Rn. 44; Staudinger/Chiusi § 516 Rn. 82. 73 Larenz/Canaris II/2 § 63 III 1 d.

II. Die Schenkung

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nisses, dass im Zweifel eine Notsituation der übervorteilten Partei bestand und dass diese von der anderen Seite in verwerflicher Gesinnung ausgenutzt wurde. Im Falle der gemischten Schenkung wird jedoch der Erfahrungssatz, der diesen beiden Beweiserleichterungen zugrunde liegt, durch die verfolgte Schenkungsabsicht erschüttert. 3. Formvorschriften a) § 518

Nach § 518 Abs. 1 Satz 1 bedarf das Schenkungsversprechen zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung. Der Zweck der Norm liegt vor allem im Schutz vor übereilten Schenkungsversprechen und der Beweisbarkeit des Versprechensinhalts.74 Diese Schutzzwecke entfallen, wenn die Schenkung bereits bewirkt ist (§ 518 Abs. 2). Dies ist etwa im Fall der Handschenkung so, bei der das Schenkungsversprechen und seine Erfüllung in einen Zeitpunkt fallen. Fraglich ist im Übrigen, was mit Bewirken der Leistung iSd. § 518 Abs. 2 gemeint ist:75 der Eintritt der Erfüllungswirkung (so die im Schrifttum hM.)76 oder die Vornahme der Leistungshandlung (so der BGH).77 Für die Maßgeblichkeit der Leistungshandlung spricht der in § 518 Abs. 1 Satz 1 angelegte Übereilungsschutz. Der Wortlaut („Bewirkung“) knüpft aber systematisch eher an die §§ 267 Abs. 1 Satz 1, 362 Abs. 1 und damit den Eintritt der Erfüllungswirkung an. Dafür spricht auch der in § 518 Abs. 1 Satz 1 verfolgte Warnzweck; dieser erübrigt sich erst, wenn das Vermögensopfer beim Schenkenden eingetreten ist. Deshalb kommt es wohl eher auf den Eintritt der Erfüllungswirkung zu Lasten des Schenkenden an.

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b) § 2301

Bei der Schenkung auf den Todesfall erhöht § 2301 Abs. 1 die Anforderungen an die zu beachtende Form. Die Norm setzt eine Schenkung voraus, die unter der aufschiebenden Befristung (§ 163) des Versterbens des Schenkenden und der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1) des Überlebens des Beschenkten steht. Hier reicht nicht nur die notarielle Beurkundung, sondern das Schenkungsversprechen muss auch den Formerfordernissen der Verfügung von Todes wegen genügen (§§ 2232, 2247). In diesem Bereich spielt der berühmte Bonifatius-Fall:78 (RG 28.10.1913 – VII 271/13 = RGZ 83, 223) Am 21.8.1910 stirbt der katholische Pfarrer P. Durch notarielles Testament mit dem Datum des Vortages hat er angesichts seiner tödlichen Mot. II S. 293; MünchKomm/Koch § 518 Rn. 1; Staudinger/Chiusi § 518 Rn. 2: Weiterer Zweck soll die Beweissicherung sein. 75 Dazu Martinek/Röhrborn JuS 1994, 564f. 76 MünchKomm/Koch § 518 Rn. 9ff.; Ernst, in: FS Picker, 2010, S. 139, 173; Esser/Weyers § 12 II 1; Herrmann MDR 1980, 883ff.; Reinicke NJW 1970, 1447ff. 77 BGH WM 1960, 1032, 1034; BGH NJW 1970, 941, 942; BGH NJW-RR 1989, 1282. 78 Martinek/Röhrborn JuS 1994, 473 und 564; Otte Jura 1993, 643. 74

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

Erkrankung E wirksam zur Erbin eingesetzt. An diesem Tag übergab er ferner einige ihm gehörende Wertpapiere im Wert von 70.000 Reichsmark dem Pfarrkurat D, weil er sie angesichts des nahen Todes dem B-Verein schenken wollte. D überbringt die Papiere dem BVerein aber erst am 25.10.1910. E verlangt deshalb Herausgabe der Papiere vom B-Verein. In Betracht kommt eine Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall. Sie setzt voraus, dass der B-Verein das Eigentum an den Papieren ohne Rechtsgrund erlangt hat. B könnte das Eigentum an den Wertpapieren nach § 929 Satz 1 als vermögenswertes Etwas erlangt haben.79 P hatte über den Boten D seine Übereignungserklärung an den BVerein gesandt. Sie wurde durch seinen Tod nicht unwirksam (§ 130 Abs. 2). Mit dem Erbfall wird D allerdings nun als Bote der Erbin E tätig (§ 1922 Abs. 1). E stand bis zum Zugang beim B-Verein ein Widerrufsrecht nach § 130 Abs. 1 Satz 2 zu. Dieses hat sie jedoch in Unkenntnis der Sachlage nicht ausgeübt. Deshalb kam mit der (konkludenten) Annahmeerklärung des B-Vereins nach § 151 Satz 1 im Rahmen des § 929 Satz 1, die trotz des Todes des P nach § 153 möglich blieb, die Übereignung der Papiere zustande. Der Eigentumserwerb des B-Vereins ist durch Leistung, aber ohne Rechtsgrund erfolgt, wenn kein wirksamer Schenkungsvertrag nach § 516 zustande kam.

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Fraglich ist, ob die Schenkung der Formvorschrift des § 2301 Abs. 1 Satz 1 genügen musste. Nach dieser Norm finden auf ein Schenkungsversprechen, welches unter der Bedingung erteilt wird, dass der Beschenkte den Schenkenden überlebt, die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung. Das RG geht davon aus, dass P die Schenkung angesichts seiner tödlichen Erkrankung auf den eigenen Todesfall vornehmen wollte, wobei er vom „Überleben“ des Vereins als sicher ausging (S. 226f.). Danach wäre § 2301 Abs. 1 Satz 1 anwendbar. Dies wird teilweise anders beurteilt: Die Schenkung sei nur in Anbetracht des eigenen Todes erfolgt (cogitatione mortis); der Schenkende habe aber mit der Möglichkeit des Vollzugs zu Lebzeiten gerechnet: Die Schenkung sollte also vom Tod unabhängig sein.80 Hier überzeugt die Sichtweise des RG eher: Wer angesichts einer schweren Erkrankung einen Tag vor seinem Ableben eine Schenkung in die Wege leitet, wird kaum damit rechnen, dass diese zu Lebzeiten vollzogen wird, wenn er diesbezüglich keine besondere Vorkehrungen trifft.81 Im Übrigen setzt § 2301 Abs. 2 gerade voraus, dass auch eine Schenkung auf den Todesfall zu Lebzeiten des Erblassers vollzogen werden kann. Fraglich ist ferner, ob die im Wortlaut des § 2301 Abs. 1 vorausgesetzte „Überlebensbedingung“ vorlag. Teilweise wird dies wegen der „Unsterblichkeit“ des Vereins als juristischer Person problematisiert.82 Allerdings kann auch ein Verein seine Rechtsfähigkeit verlieren (§ 74 Abs. 1). Dies entspricht zivilrechtlich dem Tod einer natürlichen Person, sodass § 2301 Abs. 1 anwendbar bleibt. Nach § 2301 Abs. 1 ist eine Schenkung auf den Todesfall unwirksam, wenn sie nicht den Formvorschriften über die Verfügung von Todes wegen genügt. Von der Sache her kam die Schenkung wohl einem Vermächtnis gleich Ausführlich dazu Martinek/Röhrborn JuS 1994, 473. Martinek/Röhrborn JuS 1994, 564, 566. So auch Medicus/Petersen BR Rn. 393. Medicus/Petersen BR Rn. 393; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung Schreiber Jura 1995, 159ff.

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II. Die Schenkung

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(§§ 2147ff.; so RG S. 227), das nur durch Testament (vgl. die Formvorschriften der §§ 2232, 2247) oder Erbvertrag (Formvorschrift des § 2276) angeordnet werden kann. All dies kommt hier nicht in Betracht. Nach § 2301 Abs. 2 finden jedoch die Vorschriften über Schenkungen unter Lebenden Anwendung, wenn der Schenkende die Schenkung durch Leistung des zugewendeten Gegenstands vollzieht. Auch hier wird wie im Fall des § 518 Abs. 2 die Auffassung vertreten, der Vollzug könne nicht gleichbedeutend mit dem Eintritt des Schenkungserfolges sein. Denn dann liege ja bereits eine Schenkung nach § 516 vor. Deshalb genüge eine unwiderrufliche schuldrechtliche Bindung des Erblassers zu Lebzeiten, nicht aber der Rechtsverlust.83 Dabei wird allerdings die Zwecksetzung des § 2301 Abs. 2 verkannt: Die Norm will eine Umgehung der für das Vermächtnis erforderlichen Formvorschriften verhindern und stellt deshalb darauf ab, dass das Vermögensopfer sich noch zu Lebzeiten des Erblassers auswirkt und gerade nicht wie ein Vermächtnis das Vermögen des Erben belastet (S. 227).84 Geht man davon aus, liegen die Voraussetzungen des § 2301 Abs. 2 im Fall nicht vor, weil der Erblasser das Eigentum zu Lebzeiten nicht verloren hatte (S. 227ff.; vgl. noch einmal im Detail Rn. 787).85

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Im Fall genügte daher die Schenkung der Form des § 2301 Abs. 1 nicht und war auch nicht nach § 2301 Abs. 2 geheilt. Der gegen den B-Verein gerichtete Bereicherungsanspruch ist daher begründet.

Fraglich ist schließlich, unter welchen Voraussetzungen Forderungen auf den Todesfall formlos geschenkt werden können: (BGH 29.11.2011 – II ZR 306/09 = BGHZ 191, 354 = ZIP 2012, 326) Der mittlerweile verstorbene Verleger S räumte der B-Stiftung zu Lebzeiten eine Unterbeteiligung an seinem Gesellschaftsanteil an der V-GmbH & Co. KG für den eigenen Todesfall ohne Entgelt ein. In der notariell beurkundeten Vereinbarung ist vorgesehen, dass S als Inhaber des Gesellschaftsanteils die B über jede geschäftliche Handlung mit besonderer Bedeutung informieren soll. Den Gesellschaftsanteil selbst erwirbt mit Eintritt des Erbfalls Erbe E. Dieser vertritt die Auffassung, die Unterbeteiligung der B sei nicht entstanden, sodass B auch kein Anspruch auf Beteiligung an dem Gewinn aus dem Gesellschaftsvertrag zustehe. Dagegen besteht B gegenüber E auf ihrem Gewinnbeteiligungsanspruch. In Betracht kommt ein Anspruch der B gegen E aus § 232 Abs. 1 HGB analog auf Beteiligung am Gewinn der V-GmbH & Co. KG. Unmittelbar setzt die Norm eine Beteiligung an einem Handelsgewerbe iSd. § 1 Abs. 2 HGB voraus. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Das Gericht wendet die Norm jedoch analog auf den Fall an, dass eine Person sich an den Gewinnen beteiligt, die eine andere aus einem Gesellschaftsanteil bezieht (Tz. 19). Der Gewinnbeteiligungsanspruch kann aber nur bestehen, wenn die Unterbeteiligung in der Person der B wirksam entstanden ist. S hat die Gewinnbeteiligung der B im Wege der Schenkung auf den Todesfall zugewendet, die der Form des § 2301 Abs. 1 Satz 1 unterliegt. Diese ist vorliegend nicht gewahrt. Der Formmangel könnte jedoch nach §§ 2301 Abs. 2, 518 Abs. 2 geheilt worden sein. Dazu müsste der Schenkende die Schenkung bewirkt (§ 518 Abs. 2) haben. 83 84 85

Brox/Walker, Erbrecht, 27. Aufl. 2016, Rn. 750ff.; Martinek/Röhrborn JuS 1994, 564, 566. So auch Medicus/Petersen BR Rn. 393. So auch Medicus/Petersen BR Rn. 393.

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

Die Unterbeteiligung an einem Gesellschaftsanteil beruht auf einer Innengesellschaft nach §§ 705ff., auf die – wie gerade erwähnt – die Regelungen über die Stille Gesellschaft (§§ 230ff. HGB) entsprechende Anwendung finden (Tz. 19). Die Übergänge zwischen Schuldrecht und Gesellschaftsrecht sind hier jedoch fließend: Die Gewinnbeteiligung kann sowohl auf einem einfachen Anspruch iSd. § 194 Abs. 1 (= Forderung) beruhen, als auch auf einem Mitgliedschaftsrecht an einer Stillen Gesellschaft zwischen dem Gewinnberechtigten und dem gewinnausschüttenden Unternehmer nach § 232 Abs. 1 HGB. Die Mitgliedschaft vermittelt wiederum ein absolut geschütztes Recht, das in gewissem Umfang dem Eigentum nach § 903 Satz 1 vergleichbar ist.86 Konkret stellt sich hier die Frage, ob die Schenkung nach §§ 2301 Abs. 2, 518 Abs. 2 bewirkt ist. Der BGH lehnt die Möglichkeit einer Bewirkung der Schenkung bei rein schuldrechtlichen Beteiligungen ab. Denn mangels dinglicher Mitberechtigung stehe dem Bedachten in solchen Fällen nicht mehr als ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Schenkenden zu (Tz. 21).87 Folgt man den Überlegungen im Bonifatius-Fall, leuchtet dieses Ergebnis ein: Denn die Heilung nach § 2301 Abs. 2 setzt voraus, dass die Schenkung noch das Vermögen des Erblassers belastet und nicht das des Erben (Rn. 789). Eine einfache Forderung gegen den Erblasser besteht aber nach dem Erbfall schlicht gegen den Erben fort (§ 1967) und belastet also dessen Vermögen. Deshalb kommt hier keine Bewirkung iSd. §§ 2301 Abs. 2, 518 Abs. 2 in Betracht. Vorliegend bejaht der BGH den Schenkungsvollzug jedoch, weil der Bedachte eine echte mitgliedschaftsrechtliche Position erworben habe. Der Unterschied zwischen einer schuldrechtlichen Gewinnbeteiligung und einer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung erweist sich nach Auffassung des Gerichts an den Auskunftsrechten, die der Stiftung eingeräumt wurden; diese spiegelten die Stellung der Stiftung als Gesellschafterin wider (Tz. 23 und 25). Mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags über die Unterbeteiligung sei deshalb die Schenkung vollzogen worden, weil das Mitgliedschaftsrecht durch die Stiftung erworben wurde (Tz. 18). Dies überzeugt vor allem deshalb, weil sich diese Informationsrechte nicht allein auf den konkret erzielten Jahresüberschuss beziehen, sondern die gesamte Geschäftspolitik der GmbH & Co. KG betreffen. Ihrem Umfang nach gehen die Auskunftsrechte also deutlich über das hinaus, was ein einfacher Gläubiger vom Schuldner an Aufklärung über den erzielten Gewinn erwarten darf. S hat daher B eine mitgliedschaftliche Rechtsstellung und nicht nur eine persönliche (schuldrechtliche) Forderung zugewendet. Mit der Einräumung dieser Rechtsstellung wurde die Schenkung iSd. §§ 2301 Abs. 2, 518 Abs. 2 bewirkt. Der Formmangel ist dadurch geheilt und das Mitgliedschaftsrecht in der Position der B entstanden. Dann aber ist der Gewinnbeteiligungsanspruch nach § 232 Abs. 1 HGB analog entstanden.

86 87

Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 117ff. Vgl. dazu nur Soergel/Hadding/Kießling § 705 Rn. 12.

II. Die Schenkung

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4. Rückforderungsrechte des Schenkenden und des Trägers der Sozialhilfe

Der Schenkende kann dem Schenkungsversprechen die Einrede des Notbedarfs nach § 519 entgegensetzen. Ist es bereits zur Erfüllung gekommen, steht ihm im Falle der Verarmung ein Rückforderungsrecht nach § 528 Abs. 1 Satz 1 nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zu. Der Rückforderungsanspruch setzt voraus, dass der Schenkende nach der Vollziehung der Schenkung nicht mehr in der Lage ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten oder seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nachzukommen. Besondere Bedeutung erlangt das Rückforderungsrecht beim Regress des Trägers der Sozialhilfe (vgl. bereits Rn. 783):

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(BGH 19.7.2011 – X ZR 140/10 = BGHZ 190, 281 = NJW 2011, 3082) S hat B 1995 ein Grundstück geschenkt. Der Eintragungsantrag beim Grundbuchamt wurde vom beurkundenden Notar im Dezember 1995 gestellt, die Eintragung selbst erfolgte am 26.3.1996. T, Träger der Sozialhilfe, geht seit dem 3.2.2006 aus übergeleitetem Recht gegen B vor, da S seit diesem Zeitpunkt in einem Pflegeheim untergebracht ist und wegen Bedürftigkeit Sozialhilfeleistungen beansprucht. Mit Aussicht auf Erfolg? In Betracht kommt ein Anspruch des S gegen B aus §§ 528 Abs. 1 Satz 1, 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 1 auf Herausgabe des Grundstücks, den T nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Deckung von Pflegeheimkosten auf sich überleiten kann. Zwischen S und B kam ein Schenkungsvertrag nach § 516 zustande, der im Falle einer möglichen Formnichtigkeit des Schenkungsversprechens nach § 518 Abs. 1 Satz 1 gem. § 518 Abs. 2 geheilt ist. S ist ferner nicht mehr in der Lage, seinen Unterhalt zu bestreiten.

Der Anspruch auf Herausgabe des Geschenks geht jedoch nach § 529 Abs. 1 letzter Fall unter, wenn zur Zeit des Eintritts der Bedürftigkeit 10 Jahre seit der Leistung des geschenkten Gegenstandes vergangen sind. Fraglich ist, ob es vorliegend auf den Eintragungsantrag im Dezember 1995 oder auf die Eintragung im März 1996 ankam. Der BGH stellt zu Recht auf den Eintragungsantrag ab; denn zu diesem Zeitpunkt ist der Vermögensgegenstand (das Grundstückseigentum) bereits aus dem wirtschaftlichen Vermögen des Schenkenden ausgegliedert worden (Tz. 18). Dafür spricht, dass der Beschenkte ein Anwartschaftsrecht, also eine unzerstörbare Rechtsposition, erworben hat, wie sich aus § 878 und § 91 Abs. 2 InsO ergibt (Tz. 24). Zusätzliche Voraussetzung für das Entstehen eines Anwartschaftsrechts des Erwerbers ist dabei stets, dass der Beschenkte selbst oder der beurkundende Notar den Eintragungsantrag gestellt hat, damit der Schenkende diesen nicht noch einmal zurückziehen kann.88 Das Widerrufsrecht ist deshalb durch Fristablauf nach § 529 Abs. 1 untergegangen. Greift das Rückforderungsrecht ausnahmsweise durch, hat der Träger der Sozialhilfe nach Auffassung des BGH89 nicht in jedem Fall einen Anspruch auf eine Geldleistung des Beschenkten, sondern muss es akzeptieren, dass der Beschenkte den Gegenstand der Schenkung selbst an ihn herausgibt (Tz. 16). Dies 88 89

Medicus/Petersen BR Rn. 468. BGH NJW 2010, 2655; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung.

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

ist deshalb nicht unproblematisch, weil § 528 Abs. 1 Satz 1 die Bereicherungshaftung ausdrücklich nur „soweit“ reichen lässt, wie die Bedürftigkeit des Schenkenden besteht. Dies legt eigentlich eine Teilherausgabe nahe, die der Schenkende regelmäßig in Gestalt eines Zahlungsanspruchs nach §§ 528 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 geltend machen könnte. Ausgehend davon erscheint der Anspruch auf Rückgewähr der geschenkten Sache in natura aus §§ 528 Abs. 1 Satz 1, 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 1 nicht zwingend. Maßgeblich ist aus Sicht des BGH jedoch der Normzweck des § 528 Abs. 1 Satz 1: Die Regelung schütze durch die milde Bereicherungshaftung einerseits das Vertrauen des Beschenkten in die Beständigkeit der Schenkung, andererseits aber diene es auch dem Interesse der Allgemeinheit, dass der Schenkende nicht infolge zu großer Freigiebigkeit den öffentlichen Kassen zur Last falle (Tz. 16). Gebe der Beschenkte daher die geschenkte Sache an den Schenkenden zurück (im Fall handelte es sich um ein Ackergrundstück im Wert von rund 7.000 €), stelle er den Zustand wieder her, der vor der Schenkung bestand (Tz. 16). Hier bleibt allerdings ein Einwand: Denn der Beschenkte haftet nach §§ 528 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 auch auf Wertersatz für die gezogenen Nutzungen, die nicht nach § 818 Abs. 1 in natura herausgegeben werden können. Diese Haftung ist nicht mit der Rückgabe der geschenkten Sache abgetan, sondern begründet eine auf Geld lautende Forderung. Zumindest diesen Anspruch kann der Schenkende isoliert geltend machen, wenn er an der geschenkten Sache selbst nicht interessiert ist. Nach § 529 Abs. 1 kann der Beschenkte auch einwenden, dass der Schenkende die Bedürftigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hat. Die Norm spiegelt noch die ursprüngliche Interessenlage, die nicht von den Regressinteressen öffentlicher Träger bestimmt war. Danach beruhte § 528 Abs. 1 Satz 1 auf einem Billigkeitsausgleich, der dem Schenkenden trotz Verarmung im Falle grober Fahrlässigkeit und bei Vorsatz versagt war.90 Deshalb wird § 529 Abs. 1 erster Fall heute sehr eng ausgelegt: Die Norm greift nur, wenn das Vertrauen des Beschenkten in den Bestand der Schenkung schutzwürdig ist.91 Daran fehlt es selbstverständlich in den Fällen des kollusiven Zusammenwirkens zwischen den Parteien des Schenkungsvertrages, um Vermögenswerte dem Zugriff der Sozialhilfeträger zu entziehen. 5. Das Widerrufsrecht wegen groben Undanks

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Ein besonderes Widerrufsrecht, das nicht zur Anwendung der §§ 355ff. führt, sondern einen Rückgewähranspruch nach § 531 Abs. 2 iVm. §§ 812ff. begründet, hat der Schenkende, wenn sich der Beschenkte durch eine grobe Verfeh-

MünchKomm/Koch § 528 Rn. 1f.; ähnlich Staudinger/Chiusi § 528 Rn. 1 und 3. MünchKomm/Koch § 529 Rn. 2; großzügiger bei Annahme desselben Normzwecks Staudinger/Chiusi § 529 Rn. 1. 90 91

II. Die Schenkung

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lung gegenüber dem Schenkenden oder einem nahen Angehörigen des groben Undanks schuldig macht: (BGH 19.1.1999 – X ZR 60/97 = NJW 1999, 1623) Die Eheleute S teilten das auf ihrem Grundstück errichtete Wohnhaus in zwei Eigentumswohnungen und übertrugen das Eigentum an einer Wohnung je zur Hälfte an die eigene Tochter T und deren Ehemann B, ohne ein Entgelt dafür zu fordern. T und B hatten allerdings zuvor in einen Anbau zu dieser Wohnung investiert, der ihnen mitübertragen wurde. Von B fordern die S jetzt die Rückauflassung nach §§ 531 Abs. 2, 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 1 mit folgender Begründung: B hatte in dieser Wohnung randaliert, der T mit dem Handballen einen Schlag in den Rücken versetzt, sie am Arm gepackt und beschimpft, den Autoschlüssel weggenommen und ihr die weitere Benutzung des Wagens untersagt.

Der Schenkende hat keinen allgemeinen Rechtsanspruch auf Dankbarkeit gegenüber dem Beschenkten. Nach der Konstruktion des § 530 Abs. 1 trifft den Beschenkten jedoch die Obliegenheit zu einer durch „Rücksichtnahme geprägte(n) Dankbarkeit“ (S. 1624). Kommt er dieser nicht nach, entfällt die Geschäftsgrundlage der Schenkung: § 530 erscheint daher als Sonderfall gegenüber § 313.92 Bei der Auslegung des § 530 Abs. 1 geht es um Verstöße des Beschenkten gegen Erwartungen des Schenkenden, die ihrerseits durch die Sozialmoral geprägt werden. Wie bereits der Wortlaut des § 530 Abs. 1 nahelegt, können Verfehlungen gegen einen nahen Angehörigen sich auch gegen den Schenkenden selbst richten. Dies setzt indes idR. voraus, dass der Angehörige noch dem Haushalt des Schenkenden angehört. Mit der Heirat des Angehörigen ändert sich allerdings nach Auffassung des BGH der Gegenstand der berechtigten Erwartungen des Schenkenden. Denn das gegenseitige Zusammenleben der Ehegatten vollziehe sich in eigener Verantwortung. Verhaltensweisen, die Ausdruck der Zerrüttung der Ehe seien, könne der Schenkende daher grundsätzlich nicht als groben Undank gegen sich selbst bewerten (S. 1624). Praktisch stehen bei § 530 Abs. 1 Fälle schwerer körperlicher Misshandlung, schwerer Beleidigungen, vorsätzlicher Vermögensschädigungen, grundloser Strafanzeigen oder grundloser Pflegschafts- oder Betreuungsanträge im Vordergrund.93 In einer neueren Entscheidung bejaht der BGH die Voraussetzungen des § 530 Abs. 1 gegenüber einem Sohn, der eine von seiner Mutter erteilte General- und Betreuungsvollmacht ohne Rücksprache mit dieser dazu benutzte, einen Heimvertrag für die Mutter abzuschließen und den häuslichen Notruf abzumelden, wobei er ohne weiteres Geschäftsunfähigkeit unterstellte.94 Die autonomiefeindliche Ausübung der Vorsorgevollmacht stellt – wie der Fall zeigt – einen praktisch besonders relevanten Anwendungsfall von § 530 Abs. 1 dar,95 der zur Überleitung der Ansprüche nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf den Sozialversicherungsträger führen kann. 92 93 94 95

Ähnlich MünchKomm/Koch § 530 Rn. 1; Staudinger/Chiusi § 530 Rn. 1. Kurzer Überblick bei G. Müller NJW 2014, 3024. BGH NJW 2014, 3021, Tz. 25. G. Müller NJW 2014, 3024.

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§ 5 Unentgeltliche Verträge

Das Widerrufsrecht aus § 530 Abs. 1 ist in den Fällen der §§ 532, 534 ausgeschlossen. Bedeutsam erscheint zunächst der Fall der Verzeihung nach § 532 Satz 1 erster Fall. Vergleichbar den §§ 2337, 2343 geht es um ein rein tatsächliches Verhalten des Schenkenden. Eine Ausnahme besteht auch im Falle der Anstandsschenkung nach § 534: Erschien die Schenkung durch eine sittliche (nicht eine rechtliche) Pflicht von vornherein geboten, kann sie nicht wegen groben Undanks zurückgefordert werden. Dies wird etwa im Verhältnis zu bedürftigen, nahen Angehörigen angenommen, aber auch bei Geschenken, die nach der Verkehrsauffassung nicht zurückgefordert werden können (zB. Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke),96 oder bei remuneratorischen Schenkungen, wenn der Beschenkte dem Schenkenden etwa Pflegeleistungen unter erheblichen, schweren Opfern erbracht hat und nicht zuletzt dadurch in eine Notlage gerät.97 6. Schenkkreise

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Schenkkreise führen zu einem Problem bei der Anwendbarkeit des § 817 Satz 2: (BGH 10.11.2005 – III ZR 72/05 = NJW 2006, 45)98 B fordert den S neben 50 anderen Personen auf, ihm 50 € zu schenken, und rechnet S dabei vor, dass auch er, wenn er in gleicher Weise vorgehe, Einnahmen iHv. 2.500 € erzielen könne. S zahlt die Summe zunächst. Als er jedoch bemerkt, dass dieses System nicht funktioniert, verlangt er von B die 50 € zurück. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). Die zugewendeten 50 € stellten eine Leistung des S an B dar, die eine nach § 518 Abs. 2 wirksame Handschenkung erfüllen sollte. Der Schenkungsvertrag ist allerdings nichtig, wenn ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 vorliegt.

Schenkkreise der vorliegenden Art verstoßen gegen § 138 Abs. 1, weil sie darauf beruhen, dass die Initiatoren und ersten Mitspieler einen vglw. sicheren Gewinn erzielen, während die Mehrheit der nachfolgenden Teilnehmer ihren Spieleinsatz verlieren, weil aller Voraussicht nach nicht ausreichend neue Mitspieler geworben werden können, um die für die Finanzierung des Gesamtsystems erforderliche, breite Basis zu schaffen (deshalb auch Schneeballsystem).99 Problematisch ist dabei die Anwendbarkeit der Kondiktionssperre des § 817 Satz 2. Weil sich beide Parteien an einem sittenwidrigen System beteiligt haben, darf der Zuwendende eigentlich das Geleistete nicht im Wege der Leistungskondiktion herausverlangen. Der BGH geht jedoch davon aus, dass der Zweck des § 138 Abs. 1 in diesem Fall eine andere Betrachtungsweise gebietet. Denn das Telos dieser Norm würde verfehlt, wenn die Initiatoren des Schenkkreises ihren Gewinn behalten dürften (S. 46). In der Tat würde durch die Rechtsfolge des § 817 Satz 2 ein falscher ökonomischer Anreiz zur Einrichtung solcher Systeme ge96 97 98 99

MünchKomm/Koch § 534 Rn. 4; Staudinger/Chiusi § 534 Rn. 17. BGH NJW 1986, 1926. Vgl. auch BGH NJW 2012, 3366; BGH NJW-RR 2009, 345. BGH NJW 1997, 2314, 2315; dazu M. Möller ZGS 2010, 348, 349.

II. Die Schenkung

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setzt, weil die Initiatoren sich ihres Gewinns sicher sein könnten. Deshalb erscheint eine teleologische Reduktion des § 817 Satz 2 geboten. Allerdings ist der Zweck dieser Norm umstritten. Historisch bezog sie sich wohl auf die Anspruchsgrundlage des § 817 Satz 1 (Beamtenbestechung).100 Überholt erscheint heute die Vorstellung, die Norm verfolge Strafzwecke.101 Während die hM. auf den Aspekt der Rechtsschutzverweigerung abstellt,102 rückt eine im Schrifttum vertretene Auffassung vor allem den Präventionsgedanken in den Vordergrund.103 Aber auch bei der Spezial- und Generalprävention handelt es sich um Strafzwecke (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), die im Zivilrecht, wo es um einen Interessenausgleich zwischen den Parteien geht, systemfremd erscheinen. So überzeugt vorliegend eher der Gedanke der Rechtsschutzverweigerung: Weil § 817 Satz 2 im Zweifel dem außerhalb der Rechtsordnung agierenden Täter die Inanspruchnahme von Rechten zur Durchsetzung seiner Ziele verweigert, kann die Norm nicht dazu instrumentalisiert werden, die Vorteile einer sittenwidrigen Tat zu sichern. Deshalb gebietet der Normzweck, den Anwendungsbereich der Norm über ihren Wortlaut hinaus zu beschränken (teleologische Reduktion). S steht daher ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) gegenüber B zu. Dieser ist nicht durch § 817 Satz 2 gesperrt.

7. Sonderformen der Schenkung

Bei der Schenkung unter Auflage (§§ 525 bis 527) verpflichtet der Schenkende den Beschenkten zu einer Gegenleistung. Dennoch liegt kein entgeltliches Geschäft vor, weil die Gegenleistung aus dem geschenkten Gegenstand heraus erbracht wird. Ein typisches Beispiel sind Übergabeverträge (Beispiel in Rn. 783).104 Ein Bauernhof, ein Unternehmen oder ein Grundstück werden vom Veräußerer auf den Erwerber übertragen mit der Verpflichtung, dass der Erwerber zugunsten des Veräußerers bestimmte Handlungen mit dem übertragenen Gegenstand vornimmt (Einräumung eines Wohnrechts zugunsten des Veräußerers, Nießbrauchsbestellung usw.).105 Das Gesetz räumt dem Schenkenden in § 525 Abs. 1 einen Vollziehungsanspruch ein, wenn dieser selbst geleistet hat. Unterbleibt die Erfüllung der Auflage, so steht dem Schenkenden unter den Voraussetzungen des Rücktritts (!) ein Rückgewähranspruch nach §§ 812ff. zu 100 Dazu Wazlawik ZGS 2007, 337, 339f. Nach Heck AcP 124 (1925) 1, 36ff. folgt die Norm

einem Gleichgewichtsgedanken und ist deshalb nur bei beiderseitigem Sittenverstoß anwendbar. Honsell, Die Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, 1974, S. 80ff. sieht sie als Sonderfall der Condictio ob rem. 101 Vgl. die Darstellung von Klöhn AcP 201 (2010) 804, 815 mwN. 102 BGHZ 35, 103, 107; 36, 395, 399; Dauner JZ 1980, 495, 499; Flume, AT – Das Rechtsgeschäft, § 18 10a, S. 390. 103 Canaris, in: FS Steindorff, 1990, S. 519, 523; Klöhn AcP 201 (2010) 804, 817 und 820ff.; MünchKomm/Schwab § 817 Rn. 9. 104 BGHZ 107, 1456 = NJW 1989, 2122. 105 Larenz/Canaris II/2 § 68 I 3 d; Reuter/Martinek § 5 III 1 b; Esser/Weyers § 49 II.

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(§ 527). Vor der Schuldrechtsreform war ein Rücktritt nur bei Vertretenmüssen des Schuldners möglich, sodass auch der Rückgewähranspruch aus § 527 Abs. 1 im Ergebnis verschuldensabhängig ausgestaltet war. Der neugeschaffene § 323 Abs. 1 kennt kein Erfordernis des Vertretenmüssens mehr; es genügt daher, wenn eine Frist zur Vollziehung der Auflage ergebnislos abgelaufen ist.106 In den Fällen des § 526, wenn der Beschenkte die Vollziehung der Auflage verweigern kann, bedarf es dieser Frist wegen der regelmäßig erfolgten ernsten und endgültigen Erfüllungsverweigerung nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 nicht. Die Zweckschenkung unterscheidet sich von der Schenkung unter Auflage dadurch, dass der Schenkende keinen Anspruch auf Erreichung eines bestimmten Zwecks erwirbt. (BGH 23.9.1983 – V ZR 67/82 = NJW 1984, 233) Die Geschwister A und B haben das Hausgrundstück der Eltern als Miterben geerbt. A schenkt B seinen bei Teilung der Erbengemeinschaft anfallenden Miteigentumsanteil, damit das Haus in der Familie bleibe. Später schließt B einen Kaufvertrag über das Hausgrundstück mit einem Dritten. A verlangt Rückauflassung des Miteigentumsanteils von B.

Der BGH bejaht vorliegend eine Condictio ob rem (§ 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall, S. 233). Bei dieser beruht die Rechtsgrundlosigkeit darauf, dass der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt. Wird in einem Vertrag aber ein Erfolg geschuldet, löst dessen Ausbleiben idR. das Leistungsstörungsrecht aus (vgl. als Beispiel § 631 Abs. 2 einerseits und §§ 633 Abs. 2, 634 andererseits). Nur ausnahmsweise führt der Nichteintritt des Erfolges daher zur Rechtsgrundlosigkeit. Diesen Ausnahmefällen liegen Erfolge zugrunde, auf deren Eintritt der Gläubiger keinen vertraglichen Anspruch hat. Regelmäßig geht es dabei um Fälle, bei denen eine Seite mit der Leistung für die andere einen Anreiz zu einem Verhalten setzt, das sie nicht iSd. § 194 Abs. 1 fordern darf. Bei der Zweckschenkung lehnt die hM. deshalb die Anwendbarkeit der Condictio ob rem ab: Denn vereitelt der Beschenkte die Erreichung des Zwecks, greift in Gestalt eines Anspruchs wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313) ein eigenes Leistungsstörungsrecht, das die Condictio ob rem verdrängt. Dies gilt jedoch nur, wenn sich der Schenkungszweck nicht als einseitiges und daher unbeachtliches Motiv des Schenkenden (arg. e contr. § 119 Abs. 2) erweist, sondern dem Vertrag von beiden Seiten zugrunde gelegt wird und daher Geschäftsgrundlage iSd. § 313 Abs. 2 ist.107 § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall ist dann nicht anwendbar, weil der Nichteintritt des Erfolges keine Rechtsgrundlosigkeit nach sich zieht. Der BGH bejaht vorliegend dennoch einen Anspruch des A aus § 812 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall unter der (noch zu klärenden) Voraussetzung, dass sich die Geschwister tatsächlich (nicht rechtlich!) darin einig waren, dass die Schwester das Haus selbst bewohnen sollte 106 Staudinger/Chiusi § 525 Rn. 63ff. 107 Vgl. vor allem den Grundlagenbeitrag von von Caemmerer, in: FS Rabel, 1954, S. 333, 345ff.

sowie Larenz/Canaris II/2 § 68 I 3 a; Reuter/Martinek, 1. Aufl. 1983, § 5 III 2 c; Esser/Weyers § 49 II; vgl. auch Koppensteiner/Kramer § 7 III 1.

II. Die Schenkung

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(S. 233). Dann wäre eine Zweckabrede iSd. Norm zustande gekommen. Auf eine tatsächliche Einigung kommt es deshalb an, weil eine rechtliche Einigung nach § 311b Abs. 1 Satz 1 der notariellen Beurkundung bedurft hätte. Überzeugender erscheint indes ein Anspruch des A aus § 313 Abs. 3 Satz 1 auf Rückübertragung des Miteigentumsanteils. Voraussetzung ist, dass beide Geschwister der Schenkung nach § 313 Abs. 2 die gemeinsame Vorstellung zugrunde gelegt haben, dass B das Haus selbst bewohnen würde. Auch darin liegt ein tatsächlicher Akt, der nicht der Form des § 311b Abs. 1 Satz 1 bedarf.

Zweckschenkung und Schenkung unter Auflage müssen schließlich von der bedingten Schenkung (§§ 158ff.) abgegrenzt werden. Hier steht das Behaltendürfen des Beschenkten unter der Bedingung, dass er eine Gegenleistung erbringt. Unterbleibt diese, kommen Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung bzw. auch ein eigenständiger vertraglicher Rückgewähranspruch in Betracht.108 Die Unterscheidung dürfte von der Rechtsnatur der Bedingung abhängen: War der Schenkungsvertrag aufschiebend bedingt, war die Zuwendung von vornherein rechtsgrundlos, wenn die Bedingung endgültig nicht eintritt. Dann erscheint ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) begründet. Bei einer auflösenden Bedingung des Schenkungsvertrages kommt hingegen § 812 Abs. 1 Satz 2 erster Fall in Betracht. War wiederum der Schenkungsvertrag unbedingt geschlossen, der zugewendete Vermögensgegenstand jedoch unter einer Bedingung übertragen, ist er entweder nie in das Vermögen des Beschenkten gelangt (endgültiger Nichteintritt der aufschiebenden Bedingung), oder ist nachträglich wieder beim Schenkenden angefallen (Eintritt der auflösenden Bedingung). Ist die Sache jedoch in einem solchen Fall beim Beschenkten untergangen, kann der Schenkende Ansprüche aus dem untergegangenen Eigentum (§ 823 Abs. 1, da § 993 Abs. 1 zweiter Halbsatz nicht vorliegt) und eventuell Schadensersatzansprüche aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 516 (Rn. 761) geltend machen.

108 Medicus/Petersen BR Rn. 376.

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§ 6 Miete und Pacht I. Grundlagen 802

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Der Anwendungsbereich des Mietvertrages erfasst viele Lebensbereiche – von der Miete eines Gebrauchsgegenstandes (Kraftfahrzeug, DVD) bis zur Geschäftsraummiete –, wird aber dennoch durch ein Thema besonders geprägt: die Wohnraummiete. Dies mag man an dem Umstand ermessen, dass im Sommer 2012 in Deutschland rund 40 Millionen Wohnungen gezählt wurden, von denen 24 Millionen vermietet waren.1 Gegenüber Kauf- und Werkvertrag unterscheidet sich die Miete zunächst durch ihren Dauerschuldcharakter. Drei Besonderheiten des Wohnraummietrechts, das auch nachfolgend im Vordergrund stehen soll, springen dabei jedoch besonders ins Auge. Stärker als andere Vertragstypen wird das Mietrecht des BGB durch die Drittwirkung der Grundrechte geprägt. Dies beginnt bereits mit der Entscheidung des BVerfG, das Besitzrecht des Mieters als Eigentum iSd. Art. 14 Abs. 1 GG anzuerkennen,2 und führt zu folgender, bemerkenswerter Einschränkung der Vermieterrechte: „Allerdings fordert die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in jedem Fall die Erhaltung des Zuordnungsverhältnisses und der Substanz des Eigentums … Diese werden nicht in Frage gestellt, wenn das Grundeigentum nicht als ein prinzipiell jede mögliche und wirtschaftlich vernünftige Nutzung umfassendes Recht angesehen wird … Aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Grundeigentums läßt sich kein Anspruch auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten herleiten, die dem Eigentümer den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen … So wenig der Eigentümer als Vermieter einen Anspruch hat, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen …, so wenig hat er bei jedwedem wirtschaftlichem Nachteil einen Anspruch auf Räumung …“3

Forderungen nach einem „Grundrecht auf Wohnen“4 gehen darüber sogar noch hinaus; auch wird teilweise in Anlehnung an das Arbeitsrecht auf den personalen Charakter des Mietvertrags bei der Konkretisierung der Rechte und Pflichten abgestellt,5 was indes nicht immer den Anforderungen der praktischen Rechtsanwendung entspricht (Rn. 809; 896). Das Verständnis einer sozialen Bindung des Eigentums hat in Deutschland eine lange, in das 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition. Bereits nach den Vorstellungen von Gierkes, der vor allem im Bereich des Dauerschuldverhältnisses geforscht hat, trägt das Ei1 2 3 4 5

BR-Drucks. 313/12, S. 13. BVerfGE 89, 1, 5ff. BVerfGE 84, 382 = NJW 1992, 361, 362. Derleder WuM 2009, 615ff. Weller JZ 2012, 881, 883ff.

I. Grundlagen

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gentum „Schranken in seinem Begriff“,6 ein Verständnis, das sich bei der Konkretisierung des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG bis auf den heutigen Tag auswirkt. In der praktischen Fallanwendung beeinflussen die Grundrechte etwa den Inhalt der Gebrauchsüberlassungs- und Duldungspflichten des Vermieters (Rn. 818) oder spielen bei der Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 eine bedeutende Rolle (Rn. 997ff.). Zweitens fungiert das Mietrecht vor allem auch als Marktordnungsrecht, indem es die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionen in den Wohnungsmarkt schafft. Der Gesetzgeber des Mietrechtsänderungsgesetzes 2013 orientierte sich daran etwa bei der Einführung von Normen zur Bekämpfung des Mietnomadentums (Rn. 843). Ähnliche Tendenzen finden sich auch gelegentlich in der Rechtsprechung: Diese trägt zur Bekämpfung des Mietnomadentums bei, indem sie dem Vermieter eine in AGB vorformulierte Regelung gestattet, nach der der Mieter auch auf eine Mängelanzeige hin die Miete zunächst ungeschmälert weiterzahlen muss und wegen der Minderung auf einen gesondert geltend zu machenden Rückgewähranspruch gegenüber dem Vermieter verwiesen wird (Rn. 842). Ein anderes Verständnis begegnet beim Gesetzgeber der Mietrechtsnovelle von 2015, der durch die Mietpreisbremse in den Preisbildungsmechanismus der Wohnungsmärkte eingreifen will, um „[j]unge[n] Familien … den Wunsch [zu erfüllen,] in einem urbanen Umfeld zu leben“.7 Das Einfrieren der Mieten gefährdet jedoch die wettbewerbliche Signalfunktion des Preises: Denn hohe Mieten locken Investitionen in Wohnraum an und liefern der Nachfrageseite einen Anreiz, andere, erschwinglichere Alternativen in Betracht zu ziehen. Beides mindert den Preisdruck auf den Wohnmärkten.8 Drittens ist für das Recht der Wohn- und Geschäftsraummiete ein latentes und besonders hohes Konfliktpotenzial zwischen den Vertragsparteien prägend: Kleinste Rechtsfragen werden zum Austragungsort eines allgemein schwelenden Interessenkonflikts und münden in gerichtlich ausgetragene Streitigkeiten; die zahlreichen Verfahren um unrichtige Wohnflächenangaben des Vermieters liefern dafür ein erstes Beispiel (Rn. 847). Die Rechtsprechung reagiert darauf idR. mit der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen und vor allem der Präklusion von Rechten. Bei keinem Vertragstyp des BGB hat etwa die Verwirkung eine größere systematische Bedeutung als bei der Miete (zur Minderung Rn. 838; zum Zurückbehaltungsrecht Rn. 860; zu Betriebskosten Rn. 944ff.; zum Geschäftsverbindungsbrauch Rn. 1009). Sind die Gerichte dagegen unvorsichtig genug, den Schutzbereich einer Norm, wie etwa den der Formvorschrift des § 550, nachträglich zugunsten einer Vertragspartei auszu-

Von Gierke: Deutsches Privatrecht II: Sachenrecht, 1905, S. 358: „Das deutsche Eigentum 6 trägt Schranken in seinem Begriff.“ Darauf weisen im Zusammenhang mit dem Mietrecht bereits Rolfs/Schlüter JZ 2009, 693, 694 hin. RegE BT-Drucks. 18/3121, S. 11. 7 Zur Kritik: Artz NJW 2015, 1573; Börstinghaus NJW 2015, 1553; Leuschner NJW 2014, 8 1929.

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§ 6 Miete und Pacht

weiten, provozieren sie eine Flut von Verfahren über kleinste Details der Normkonkretisierung (Rn. 808). Insoweit erinnert die Raummiete an das ebenfalls konfliktträchtige Nachbarschaftsverhältnis nach §§ 906ff. und § 1004. Möglicherweise sind die vorrechtlichen Ursachen der Streitbereitschaft in beiden Lebensbereichen gleich. Denn auch bei der Raummiete überschneiden sich die räumlichen Lebensbereiche zweier Personengruppen: der des Eigentümers (Vermieters) und der des Besitzers (Mieters mit seinem Haushalt). Zu den anthropologischen Voraussetzungen menschlicher Existenz zählt aber eine entschieden territoriale Prägung, die aggressive Reaktionen auf Beeinträchtigungen des eigenen Lebensraums bedingt.9 Deshalb kann man den Fall der Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2) aus vorrechtlicher Sicht auch als einen Konflikt um den Lebensraum verstehen.

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Dieser Zusammenhang hilft verstehen, warum die Praxis bisweilen äußerst pragmatisch rechtliche Konfliktmöglichkeiten abschneidet, etwa, wenn sie nur sehr geringe Anforderungen an die Begründung der Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 3 stellt (Rn. 991f.). Erwähnung verdient abschließend, dass das Mietrecht in seiner äußeren Gestalt durch die große Mietrechtsreform des Jahres 2001 geprägt wurde.10 Diese gliederte das Mietrecht in drei Teile: In einem allgemeinen Teil finden sich Regelungen für alle Mietverträge (§§ 535ff.), gefolgt von Sonderregelungen für die Wohnraummiete (§§ 549ff.) einerseits und für die Mietverhältnisse über andere Sachen (Geschäftsraummiete, Grundstücke, Schiffe, §§ 578ff.) andererseits. Auf die Geschäftsraummiete finden die ausdrücklich in § 578 Abs. 2 aufgeführten Normen und zusätzlich die in § 578 Abs. 1 genannten Regelungen über die Wohnraummiete Anwendung. Der allgemeine Teil des Mietrechts gilt für Wohn- und Geschäftsraummiete uneingeschränkt, soweit sich in den §§ 549ff. und den §§ 578ff. keine Sonderregelungen finden. Die Abgrenzung zwischen Wohnraum- und Geschäftsraummiete kann dabei im Einzelfall Probleme bereiten: (BGH 16.7.2008 – VIII ZR 282/07 = NJW 2008, 3361) Die M-GmbH (M) mietet von V ein Reihenhaus. Der zwischen den Parteien vereinbarte Mietzweck besteht darin, dass der Geschäftsführer der M dieses Haus bewohnen und die Geschäfte der M von dort aus führen soll. V kündigt den Mietvertrag gegenüber der M am 3.1.2006 mit Wirkung zum 31.3.2006. M verweigert darauf die Räumung. Der Räumungsanspruch des V nach § 546 Abs. 1 setzt voraus, dass die Kündigung nach §§ 578 Abs. 2, 573c Abs. 1 wirksam war. Vorliegend stellt sich die Frage, ob das Mietverhältnis nach § 573c Abs. 1 Satz 1 als Wohnraummiete bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats zum übernächsten Kalendermonat gekündigt werden kann oder ob die Kündigung nach der Regelung für die Geschäftsraummiete gemäß § 580a Abs. 2 nur zum dritten Werktag eines Kalendervierteljahres bis zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres zulässig ist (Tz. 10).

9 Desmond Morris, The Naked Ape – An unabashed look at the human species, 1967, diverse unveränderte Folgeauflagen, Chapter 5: Fighting. 10 Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts vom 19. Juni 2001, BGBl. I 2001, S. 1149; zu den Zielsetzungen RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 35ff.

II. Der Vertragsschluss

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Die Wohnraummiete setzt eine Miete zum Zweck des eigenen Bewohnens voraus; ist vom Mieter eine Überlassung der Wohnung an Dritte bezweckt, liegt diese Voraussetzung regelmäßig nicht vor (Tz. 11). Die GmbH kann aber als juristische Person keine eigenen Wohnzwecke verfolgen (dazu noch Rn. 986), sondern handelt zu Geschäftszwecken; dies gilt auch, wenn sie die Wohnung ihrem Geschäftsführer als natürliche Person überlässt (Tz. 12). Deshalb liegt eine Geschäftsraummiete vor und die Kündigung ist in dieser Form unzulässig. Im Jahre 2014 hat sich die Rechtsprechung des BGH zur Beurteilung der gemischten Nutzung geändert (Beispiel: Der Mieter bewohnt die Räume und betreibt darin seine Rechtsanwaltspraxis).11 Mietverhältnisse dieser Art werden einheitlich als Wohn- oder Geschäftsraummiete eingeordnet. Die ältere Rechtsprechung gab der sicheren Abgrenzung den Vorzug und ging im Zweifel von einer gewerblichen Nutzung aus, wenn der Mieter in den Räumen seinen Lebensunterhalt erwirtschaftete. Die neuere Rechtsprechung setzt nun stärker auf Einzelfallgerechtigkeit und stellt auf den tatsächlichen, allerdings im Einzelfall schwer konkretisierbaren Schwerpunkt der Nutzung ab. II. Der Vertragsschluss 1. Die Form des § 550

Die Einigung über das Zustandekommen eines Mietvertrags ist formlos wirksam. Eine Ausnahme regelt § 550 für die Wohnraummiete. Wird nämlich ein Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen, gilt er nach Satz 1 der Norm zunächst für unbestimmte Zeit. Jedoch ist in diesem Fall eine Kündigung frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung des Wohnraums zulässig (Satz 2). Die Norm verfolgte ursprünglich eine schlichte, an § 566 (Kauf bricht nicht Miete) ausgerichtete Zwecksetzung. Nachträglich hat ihr die Rechtsprechung jedoch neue Schutzzwecke unterlegt und damit ein eigenes Problemfeld entstehen lassen: (BGH 7.3.2007 – XII ZR 40/05 = NJW 2007, 1817) V verpflichtet sich in einem Vorvertrag, dem M ein noch zu errichtendes Altersheim mit 180 Betten gegen Entgelt zur Nutzung zu überlassen. M kündigt diesen Vertrag jedoch nach § 550 Satz 2, weil der Plan, der das Mietobjekt genau beschreibt, dem Mietvertrag nicht als Anlage beigefügt gewesen sei. V verlangt Ersatz ihrer Planungsaufwendungen, weil M den Abschluss des Mietvertrages verweigere. Der Anspruch der V gegen M aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 setzt voraus, dass M eine vertragliche Pflicht verletzt hat. Dies ist nicht der Fall, wenn M den Vorvertrag nach § 550 Satz 2 wirksam kündigen konnte.

Die Anwendbarkeit des § 550 Satz 2 auf einen Vorvertrag hängt vom Normzweck ab. Dieser bezieht sich in seiner ursprünglichen Bedeutung auf die Regelung des § 566 (Kauf bricht nicht Miete): Durch die Schriftform soll gewähr11 BGHZ 202, 39 = NJW 2014, 2864, Tz. 33f.; Abweichung von BGH NJW-RR 1986, 877; kritisch Fritz NJW 2015, 1064, 1066.

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leistet werden, dass der Rechtsnachfolger (Käufer der Mietwohnung) sicher erkennen kann, welche Rechte dem Mieter ihm gegenüber zustehen. Sind diese Rechte nicht vollständig dokumentiert, besteht die Rechtsfolge zwar nicht in einem Einwendungsausschluss des Mieters, jedoch entsteht ein Sonderkündigungsrecht nach § 550 Satz 2.12 Davon lässt sich auch der BGH vorliegend leiten: Weil § 566 auf den Vorvertrag keine Anwendung finde, passe vorliegend auch § 550 Satz 2 nicht (Tz. 14). Bemerkenswert erscheint, dass der Gläubiger wegen des eingeschränkten Zwecks von § 550 aus einem formlosen Vorvertrag einen Anspruch auf Abschluss eines formbedürftigen Mietvertrags erwerben kann (Tz. 15). Im Übrigen soll auch die Bezeichnung „Altersheim mit 180 Betten“ den Anforderungen des § 550 Satz 1 genügen, denn dadurch werde der Gegenstand des Mietvertrags für einen möglichen Rechtsnachfolger ausreichend individualisiert (Tz. 11). Die „Kündigung“ des M erfolgt daher ohne Grund. Die in der Leistungsverweigerung liegende Pflichtverletzung iSd. § 241 Abs. 2 hat M nach Maßgabe des § 280 Abs. 1 Satz 2 zu vertreten. Der Anspruch der V besteht.

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Die Wirkungsweise der Norm im Fall einer unter § 566 fallenden Rechtsnachfolge verdeutlicht die folgende Entscheidung: (BGH 4.4.2007 – VIII ZR 223/06 = NJW 2007, 1742) K erwarb von V ein an M mit schriftlichem Vertrag vermietetes Hausgrundstück. Nach Eintragung in das Grundbuch kündigt er dem M wegen Eigenbedarfs. M entgegnet, dass aufgrund einer zusätzlichen mündlichen Vereinbarung mit V der Eigenbedarf als Kündigungsgrund ausgeschlossen sei. Der Räumungsanspruch des K nach § 546 Abs. 1 setzt voraus, dass die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 wirksam erfolgt ist. Dazu darf diese Kündigungsmöglichkeit nicht zu Lasten des Vermieters ausgeschlossen sein. Prinzipiell ist dies möglich (arg. e contr. § 573 Abs. 4).

Der BGH wendet auf den Ausschluss der Eigenbedarfskündigung § 550 Satz 1 an, weil der Rechtsnachfolger ein Recht habe, von wesentlichen Kündigungsbeschränkungen zu erfahren (Tz. 18). Deshalb bleibt die Eigenbedarfskündigung zwar ausgeschlossen, der Erwerber hat aber jetzt nach § 550 Satz 2 ein Sonderkündigungsrecht. Aus diesem systematischen Zusammenhang leitet sich im Schrifttum die Forderung ab, das Kündigungsrecht nach § 550 Satz 2 auf den Fall des § 566 zu beschränken.13 Dem ist jedoch der BGH nicht gefolgt und anerkennt einen weitergehenden Normzweck des § 550 Satz 1. Wie jede andere Formvorschrift verfolge auch diese eine Beweis- und Warnfunktion für die Parteien des Mietvertrages selbst. Denn hätte der Gesetzgeber mit der Norm allein den Erwerber nach § 566 schützen wollen, hätte es nahegelegen,

12 Ganz hM.; vgl. etwa BGH NJW 2007, 1817, Tz. 11; Lammel, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 418, 419ff. sowie Breiholdt/Breiholdt ebenda, S. 391, 392 und Krüger ebenda, S. 410, 412 mwN. 13 Breiholdt/Breiholdt, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 391, 392ff.; Fritz NJW 2010, 1050, 1053; ders. NJW 2011, 1048, 1052; kritisch Jacoby NZM 2011, 1.

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die Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich auf diesen zu beschränken.14 Dies hat zu nicht wenigen Folgestreitigkeiten geführt, in denen kleinste Formfehler zur Begründung eines Sonderkündigungsrechts vorgeschoben wurden: In einem Fall wollte der Geschäftsraummieter nach § 550 Satz 2 sogar kündigen, weil die Flur- und die Hausnummer im Mietvertrag nicht genannt waren.15 Die Rechtsprechung begegnet dieser Tendenz zu einer Ausweitung des § 550 Satz 2 mit der sog. „Auflockerungsrechtsprechung“.16 Diese senkt die Anforderungen an die Form, schadet aber damit dem Rechtsnachfolger in den Fällen des § 566, weil dieser auf eine umfassende und transparente Dokumentation angewiesen ist. Systematisch überzeugend kann das Problem nur im Rahmen einer teleologischen Reduktion des § 550 Satz 2 auf den Fall der Rechtsnachfolge nach § 566 gelöst werden. 2. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und Aufklärungspflichten a) Aufklärungspflichtverletzung des Vermieters

Als Rechtsgeschäft unterliegt der Mietvertrag den allgemeinen Regelungen der §§ 105ff. In der Praxis entfalten dabei gerade die Fälle der arglistigen Täuschung besondere Bedeutung. (BGH 6.8.2008 – XII ZR 67/06 = BGHZ 178, 16 = NJW 2009, 1266) M mietete von V ein Bürogebäude mit mehreren Etagen an. V verschwieg dabei, dass die Nutzung der im Souterrain gelegenen Räume bauordnungsrechtlich für den dauernden Aufenthalt von Menschen nicht genehmigt war und diese daher nur als Büronebenräume vermietet werden konnten. M hatte diese Räume mit Zustimmung der V vorübergehend an D untervermietet. Als es einige Jahre nach Vertragsschluss zwischen V und M zum Streit um diverse Zahlungspflichten kommt, wird M zufällig auf die fehlende Genehmigung aufmerksam und erklärt die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Er verlangt jetzt sämtliche an V gezahlten Mietraten zurück. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). V hat die Mietraten von M durch Leistung erlangt; fraglich ist, ob dies auch rechtsgrundlos erfolgte.

Der BGH stand hier vor der Frage, ob § 123 Abs. 1 bei einem bereits vollzogenen Mietvertrag nicht durch die spezielleren §§ 536ff. verdrängt wird. Mit der Überlassung der Mietsache ist der Mietvertrag nämlich in Vollzug gesetzt. An die Stelle der allgemeinen Leistungsstörungsregelungen treten jetzt die §§ 536ff.; das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1, das vor Vollzug wegen Nichtüberlassung 14 Vgl. etwa BGH NJW 2008, 2178, Tz. 16f.; kritisch dazu etwa: Krüger, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 410, 414ff.; Lammel, ebenda, S. 418, 424ff. 15 BGH NJW 2009, 2195, Tz. 26f.; vgl. auch BGH NJW 2016, 311, Tz. 20: nicht schriftlich niedergelegte Änderung der Miethöhe, die für den Erwerber nach § 566 sogar günstig ist; BGH NJW 2015, 2648: Erfordernisse des § 126; BGH NJW 2013, 1083: Wechsel des Mieters führt zu mehreren, unklar ineinander greifenden Urkunden; dazu Börstinghaus NZM 2011, 101, 103. 16 Dargestellt bei Börstinghaus NZM 2011, 101, 103; Fritz NJW 2011, 1048, 1049; vgl. etwa die Entscheidung BGH NJW 2010, 1518.

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der Mietsache innerhalb der gesetzten Frist ausgeübt werden kann,17 wird nun durch die mietrechtliche Kündigung ersetzt (§ 542 Abs. 1). Vorliegend stellt sich deshalb die Frage, ob ein über mehrere Jahre vollzogenes Mietverhältnis überhaupt noch nach §§ 812ff. rückabgewickelt werden kann. Alternativ kommt die Möglichkeit in Betracht, dass ein fehlerhafter Mietvertrag, vergleichbar einer fehlerhaften Gesellschaft (Rn. 555ff.) oder einem fehlerhaften Arbeitsverhältnis, für die Vergangenheit aufrechterhalten werden muss und nur für die Zukunft durch ein Sonderkündigungsrecht beseitigt werden kann.18 Der BGH belässt es vorliegend bei der Ex-tunc-Wirkung der Anfechtung nach § 142 Abs. 1. Zur Begründung beruft er sich auf den gegenüber den §§ 536ff. eigenständigen Regelungszweck des § 123 Abs. 1, der im Schutz der Entschließungsfreiheit des Mieters liege (Tz. 25). Für eine Analogie zur Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft fehle es an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte: Denn weder liege eine intensive Leistungsbeziehung mit starkem Persönlichkeitsbezug und Eingliederung in eine soziale Organisation vor, wie beim fehlerhaften Arbeitsverhältnis,19 noch sei das Verkehrsschutzbedürfnis der Gläubiger berührt, ihren Schuldner nicht einfach zu verlieren (Tz. 38).20 Dies überzeugt.21 Denn die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft zielt auf den Schutz der Verkehrsbeteiligten vor der rückwirkenden Vernichtung eines Rechtsträgers, der zuvor Adressat von Rechten und Pflichten im Geschäftsverkehr war (Rn. 556). Weil die BGB-Gesellschaft lange Zeit im deutschen Recht nicht als Rechtsträger angesehen wurde, hatte die Rechtsprechung des Reichsgerichts diese eigentliche Rechtfertigung der Lehre umgeformt und das Verbot der Rückabwicklung dieser Gesellschaftsform mit den Abwicklungsschwierigkeiten einer vollzogenen Gesellschaft begründet. Daraus ist dann in einer eher als problematisch zu bezeichnenden Rechtsfortbildung die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis entstanden.22 Abwicklungsschwierigkeiten allein rechtfertigen es daher nicht, dem arglistig Getäuschten zu verwehren, nach § 123 Abs. 1 die Konsequenz aus dem an ihm verübten Betrug zu ziehen. Deshalb führt der Weg im vorliegenden Fall zu einer Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht. Da sich Kondiktionen aus einem synallagmatischen Verhältnis gegenüberstehen, wendet der BGH die Saldotheorie an (zur Kritik Rn. 271) und gelangt zu einer einheitlichen Verrechnung der wechselseitig empfangenen Vorteile (Tz. 49). Dazu zählen auch die üblicherweise umgelegten Betriebskosten (Tz. 53). Ein vom Mieter durch gestattete Untervermietung erzielter Gewinn muss allerdings im Anschluss an

Vgl. etwas Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 542 Rn. 176. In diese Richtung etwa Gsell DWW 2010, 122, 126: Miete als „sozialer Tatbestand“; zuvor Fruth WuM 1991, 9; ähnlich wohl BeckOGK/H. Schmidt § 535 Rn. 158. 19 AA. wohl Weller JZ 2012, 881, 883ff. 20 BGHZ 82, 299, 307f.; 99, 244, 248f. 21 Ebenso MünchKomm/Häublein § 535 Rn. 13; Bamberger/Roth/Ehlert § 535 Rn. 139 (= BeckOK § 535 Rn. 138a) mwN. 22 Dazu Oechsler NJW 2008, 2471, 2473. 17 18

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die Rechtsprechung zur Zuweisung der Untermiete an den Mieter (Rn. 828ff.) nicht herausgegeben werden (Tz. 50). Arglistig ist ein Verschweigen allerdings nur dann, wenn eine Aufklärungspflicht des Vermieters besteht. Wie der Kauf- und Darlehensvertrag beruht auch der Mietvertrag auf einem Interessengegensatz, weshalb der Mieter keine umfassende Interessenwahrung durch den Vermieter erwarten darf. Deshalb kommt es darauf an, dass ein Umstand für den Mieter von so zentraler Bedeutung ist, dass bei Nichtaufklärung eine wirtschaftliche Vertragsvereitelung droht und der Mieter nach der Verkehrsauffassung Aufklärung erwarten darf.23 Dies ist vor allem bei einem Wissensvorsprung des Vermieters und erkennbarer geschäftlicher Unerfahrenheit des Mieters der Fall (zu den Gründen Rn. 443).24 Auf den Leerstand in einer Ladenpassage aber – um ein Gegenbeispiel zu nennen – braucht der Vermieter von Geschäftsräumen den Mieter nicht hinzuweisen.25 Bei der Vermietung von Unfallersatzwagen bestehen schließlich spezifische Aufklärungspflichten des Vermieters über die Ersatzfähigkeit der Mietkosten durch die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners: (BGH 28.6.2006 – XII ZR 50/04 = BGHZ 168, 168 = JZ 2007, 783) Nach einem Straßenverkehrsunfall mietet der Geschädigte M bei dem Mietwagenunternehmen V für 18 Tage einen Unfallersatzwagen zum „Standardtarif“ für insgesamt 2.137,95 € an. Die Versicherung des Schädigers ersetzt indes nur die üblichen 746,97 €. Den Differenzbetrag verlangt V von M. Gegen den Anspruch des V gegen M aus § 535 Abs. 2 kann M möglicherweise mit einem Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) aufrechnen. Dazu müsste V im Stadium der Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1) eine Aufklärungspflicht nach § 241 Abs. 2 verletzt haben.

Der BGH stellt für die Begründung einer Aufklärungspflicht auf die geschäftliche Unerfahrenheit des Mieters ab und gelangt zu folgender Interessenabwägung (S. 786): Wegen des dem Mietvertrag zugrunde liegenden Interessengegensatzes muss ein Kfz-Vermieter den Mieter nicht regelmäßig auf seinen günstigsten Tarif hinweisen. Wenn der künftige Mieter ihm jedoch im Zusammenhang mit einem Unfallschaden gegenübertritt, hat er diesen darüber aufzuklären, dass die Versicherung die mit dem gewählten Tarif verbundenen Mietkosten voraussichtlich nicht in voller Höhe ersetzen wird. Das Schrifttum kritisiert, dass der Mieter sich selbst über die Ersatzfähigkeit des Tarifes erkundigen müsse.26 Dagegen spricht jedoch ein systematisches Argument aus §§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 313 Abs. 2: Kennt eine Vertragsseite die Verwendungsabsicht der anderen und legen beide Seiten diese dem Vertrage stillschweigend zu-

23 Dazu etwa Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 535 Rn. 62; Gsell DWW 2010, 122, 123 und 128f. 24 BGH NJW 2006, 2618, 2619; BGH NJW-RR 2009, 1101, 1102. 25 BGH WM 2000, 1012, 1017; dazu Gsell DWW 2010, 122, 128. 26 Rehm JZ 2007, 786, 787f.

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grunde, muss erstere die Absichten der Gegenseite bei der Erfüllung des Vertrages berücksichtigen. Bemerkenswert erscheinen schließlich vorliegend die Überlegungen des Gerichts zur Schadenshöhe: Denn der Schaden soll in Höhe des nicht ersatzfähigen Betrages bestehen (S. 786). Die auf diese Weise bewirkte „Minderung“ der Miete im Wege der c.i.c. erscheint aber vor allem im Hinblick auf die Kausalität von Aufklärungspflichtverletzung und Schaden problematisch: Der Mieter muss nämlich beweisen, dass er – zutreffend über die Höhe der ersatzfähigen Miete aufgeklärt – den Vermieter zu einem Abschluss in Höhe einer ersatzfähigen Fahrzeugmiete hätte bewegen können (zu diesem Problem bereits Rn. 476). Dieser Nachweis kann ausnahmsweise dann geführt werden, wenn der Vermieter auch Tarife anbietet, die ein Haftpflichtversicherer ersetzt. V hat daher eine Aufklärungspflicht gegenüber M nach § 241 Abs. 2 verletzt, was er nach § 280 Abs. 1 Satz 2 zu vertreten hat. M ist iH. der nicht durch die Haftpflichtversicherung ersetzten Kfz-Miete ein Schaden entstanden. Mit diesem Schadensersatzanspruch kann M gegenüber der Mietforderung des V aus § 535 Abs. 2 aufrechnen (§ 389).

b) Aufklärungspflichtverletzung des Mieters 813

Aus parallelen Überlegungen heraus hängen Aufklärungspflichten des Mieters gegenüber dem Vermieter von der Gefahr einer wirtschaftlichen Vertragsvereitelung für den Vermieter und dessen fehlender Fähigkeit zum Selbstschutz ab. Zu Recht wird unter diesen Voraussetzungen die Auffassung vertreten, der Mieter brauche den Vermieter nicht über die eigenen Rauchgewohnheiten zu informieren;27 denn deren Folgen reichen grundsätzlich nie so weit, dass sie nicht im Wege der Schönheitsreparatur beseitigt werden könnten (vgl. auch Rn. 960). Deshalb fehlt es schon an der Gefahr einer wirtschaftlichen Vertragsvereitelung. Umstritten ist jedoch, ob der Mieter über die eigenen finanziellen Schwierigkeiten bzw. eine bevorstehende Insolvenz aufklären muss. Richtigerweise ist dies zu bejahen, wenn die finanzielle Leistungsfähigkeit zur Entrichtung der Miete gegenwärtig oder in absehbarer Zeit nicht ausreichen wird.28 Die Gegenmeinung, die auf die Selbstschutzmöglichkeit des Vermieters durch eigene Recherchen abstellt,29 verkennt, dass der Mieter durch das Verschweigen einer akuten Finanznot beim Vertragsschluss einen Eingehungsbetrug nach § 263 Abs. 1 StGB begeht. Richtiger Auffassung nach hat der Mieter dagegen ein Recht zur Lüge, wenn seine grundrechtlich geschützten Belange betroffen sind (Kinderwunsch, Partei-, Religionszugehörigkeit).30 Hier empfiehlt sich eine Orientierung an den Maßstäben der §§ 19ff. AGG: Wo diese Normen eine Diskriminierung erlauben, muss auch dem Vermieter ein Fragerecht verbleiben. Einen Sonderfall berührt folgende Entscheidung: 27 28 29 30

Gsell DWW 2010, 122, 127. LG Bonn NZM 2006, 177; Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 536 Rn. 64. Gsell DWW 2010, 122, 126f. Gsell DWW 2010, 122, 127.

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(BGH 11.8.2010 – XII ZR 192/08 = GuT 2010, 338 = NZM 2010, 786 – Thor Steinar II) V hat mit M einen Mietvertrag über Geschäftsräume abgeschlossen, dabei aber dem V nicht offenbart, dass er Textilien der Marke „Thor Steinar“ vertreiben will. Diese werden in der Öffentlichkeit mit rechtsradikalen Gruppierungen in Verbindung gebracht und dürfen deshalb etwa im Bundestag und in deutschen Fußballstadien nicht getragen werden. Kann V sich vom Mietvertrag nach § 123 Abs. 1 lösen?

Der BGH bejaht hier ausnahmsweise eine Aufklärungspflicht des späteren Mieters gegenüber dem Vermieter auf der Grundlage von Treu und Glauben (§ 242; Tz. 20). Voraussetzung sind „gravierende Auswirkungen“ des aufklärungsbedürftigen Umstandes für das Mietverhältnis (Tz. 26). Diese erkennt der BGH darin, dass der Vermieter selbst in den Ruf einer rechtsradikalen Einstellung geraten und dass es zu gewalttätigen Protesten im Bereich seiner Immobilie kommen kann (Tz. 25). Allerdings setzt die Begründung einer Aufklärungspflicht zusätzlich voraus, dass der Vermieter sich nicht selbst durch eigene Recherche schützen kann (Tz. 21). Bei der Geschäftsraummiete obliegt es dem Vermieter wiederum grundsätzlich selbst, sich über mögliche Gefahren zu erkundigen, die mit dem Abschluss des Mietvertrags einhergehen (Tz. 22). Vorliegend musste der Vermieter jedoch angesichts der Vertragsverhandlungen mit dem Mieter keinen Verdacht schöpfen, dass dieser Waren vertreiben würde, „die nahezu ausschließlich rechtsradikalen Kreisen zugeordnet werden“ (Tz. 27). Die Kritik verweist auf die übliche Risikoverteilung bei der Geschäftsraummiete: Danach trägt der Mieter das Geschäftsrisiko, woraus ein Recht zur freien und vom Vermieter unbeeinflussten Sortimentsgestaltung folgt, der Vermieter aber das Vermietungs- und Leerstandsrisiko.31 Dies spricht vermeintlich gegen die Möglichkeit, dass die Sortimentsgestaltung zum Gegenstand einer Aufklärungspflicht des Mieters werden könnte. Ferner wird eingewendet, dass der Mieter wegen Art. 4 GG nicht über die eigene Weltanschauung aufklären müsse.32 Darum geht es allerdings vorliegend nicht: Auslöser der Aufklärungspflicht ist nicht die Weltanschauung des Mieters, sondern die mit dem Vertrieb der Waren verbundene konkrete Gefahr von Beeinträchtigungen des Eigentums auf Vermieterseite. Diese können sich durch Demonstrationen, Boykotte und Blockaden der Immobilie ergeben, aber auch durch die Schädigung des geschäftlichen Rufs des Vermieters, die ihrerseits zu Kündigungen anderer Mieter, aber auch zu Schwierigkeiten bei der Neuvermietung führen kann. Diese Folgen stellen aus Sicht des Vermieters einen gewichtigen Umstand dar, über den er vor Vertragsschluss vom Mieter aufgeklärt werden muss. Die Anwendung des § 123 Abs. 1 erscheint daher gerechtfertigt. Die Weltanschauung des Mieters rechtfertigt – wie bereits erwähnt – keine vorzeitige Lösung des Vermieters vom Vertrag:

31 32

Börstinghaus NZM 2011, 101, 104 im Anschluss an BGH NJW-RR 2011, 1017. Gsell DWW 2010, 122, 128.

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§ 6 Miete und Pacht

(BGH 9.3.2012 – V ZR 115/11 = JZ 2012, 686) M ist Bundesvorsitzender der NPD und hat bei V ein Wochenende in einem Wellness-Hotel gebucht. Als V nachträglich auf die Identität des M aufmerksam wird, will er M noch vor diesem Wochenende den Besuch aufgrund seines Hausrechts untersagen.

Hier kann sich der Vermieter uU. als Eigentümer auf sein aus § 903 Satz 1 folgendes Hausrecht berufen und nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 einen in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch geltend machen. Grundsätzlich hält es der BGH ohne Verstoß gegen die §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 21 AGG für möglich, dass der Vermieter den Abschluss eines Mietvertrages wegen der politischen Weltanschauung des Mieters verweigert, weil die Normen eine politische Orientierung des Mieters als Diskriminierungsgrund nicht verbieten (Tz. 9). Vorliegend hat sich der Vermieter gegenüber dem Mieter jedoch bereits vertraglich gebunden und damit auf die Ausübung seines Hausrechtes verzichtet. Dann kommt auch ein Unterlassungsanspruch nur noch ausnahmsweise bei besonders schwerwiegenden Gründen in Betracht. Dazu zählt die politische Überzeugung des Mieters selbst nicht (Tz. 13ff.). Die Möglichkeit einer Anfechtung des Mietvertrags nach § 123 Abs. 1 wegen unterbliebener Offenbarung der eigenen Weltanschauung wird vorliegend erst gar nicht erörtert (wohl aber § 119 Abs. 2 verneint, Tz. 12). Denn es liegt auf der Hand, dass ein Mieter die eigene Weltanschauung als solche nicht aufdecken muss. Dafür streiten sowohl die Drittwirkung der Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 GG) als auch der Schutz der politischen Partei des Mieters nach Art. 21 GG: Solange diese nicht verboten ist, darf eine Parteimitgliedschaft nicht zum Grund für die Ausübung des Hausrechts gemacht werden, wenn der Vermieter sich bereits vertraglich gegenüber dem Mieter gebunden hat.33 III. Die Mieterrechte 1. Der Gebrauchsüberlassungsanspruch des Mieters a) Inhalt aa) Dauerschuldcharakter 815

Mit Zustandekommen des Mietvertrages erwirbt der Mieter einen gegen den Vermieter gerichteten Anspruch auf Gebrauchsüberlassung (§ 535 Abs. 1 Satz 1). Das Gesetz verpflichtet den Vermieter, dem Mieter die Sache zum Gebrauch zu gewähren: Der Vermieter ist nicht nur zur bloßen Gestattung des Sachgebrauchs verpflichtet (vgl. den Gegensatz zu § 598), sondern muss aktiv die Voraussetzungen des Gebrauchs schaffen.34 § 535 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert die daraus entstehende Pflicht inhaltlich: Der Vermieter hat dem Mieter die Sache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen 33 Dazu auch Mörsdorf JZ 2012, 688, 691, der dem Urteil grundsätzlich zustimmt, die fehlende grundrechtliche Würdigung jedoch kritisiert. 34 Mot. II S. 369f.; BGHZ 19, 85, 93f.

III. Die Mieterrechte

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und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Die durch den Dauerschuldcharakter geprägte Rechtsnatur dieser Pflicht verdeutlicht folgender Fall: (BGH 17.2.2010 – VIII ZR 104/09 = BGHZ 184, 253 = NJW 2010, 1292) Mieterin M verlangt im Jahr 2002 von Vermieter V eine Schallschutzisolierung der von X bewohnten und ebenfalls von V angemieteten Dachgeschosswohnung, weil jeder dort getätigte Schritt in ihrer Wohnung deutlich zu vernehmen ist. Nach einem Mieterwechsel verfolgt M ihre Forderung zunächst nicht weiter. Im Jahre 2006 erhebt sie die Forderung auf Schallschutzisolierung jedoch erneut. V wendet jetzt Verjährung ein. In Betracht kommt ein Anspruch der M gegen V aus § 535 Abs. 1 Satz 2. Fraglich ist, ob V die Einrede nach § 214 zusteht, weil mittlerweile nach §§ 195, 199 Verjährung eingetreten ist.

Problematisch erscheint, ob der Anspruch auf Mängelbeseitigung aus § 535 Abs. 1 Satz 2 überhaupt der Verjährung unterliegt. Denn der Vermieter muss dem Mieter die Sache während der gesamten Vertragslaufzeit zum Gebrauch überlassen. Nach einer Auffassung muss indes zwischen dem Stammrecht des Mieters auf Gebrauchsüberlassung und dem daraus ableitbaren Anspruch auf Beseitigung eines konkreten Mangels unterschieden werden.35 Während das Stammrecht unverjährbar sei, unterliege der daraus abgeleitete Mängelbeseitigungsanspruch durchaus der Verjährung. Aus ähnlichen Überlegungen heraus wird im Schrifttum auch § 199 Abs. 5 analog angewendet. Nach dieser Norm liegt der Beginn der Verjährung beim Unterlassungsanspruch im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung. Der der Norm zugrunde liegende Rechtsgedanke passe aber auch auf den Dauerschuldcharakter der Pflicht aus § 535 Abs. 1 Satz 2.36 Nach dieser Ansicht beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem die Mängelbeseitigungspflicht entsteht, und verjährt nach § 195. Der BGH schließt sich einer anderen Auffassung an (Tz. 17):37 Bei § 535 Abs. 1 Satz 2 handelt es sich danach um eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung, die sich nicht in der einmaligen Überlassung der Mietsache erschöpft, sondern darauf gerichtet ist, die Mietsache während der gesamten Mietzeit in einem gebrauchstauglichen Zustand zu erhalten. Deshalb entsteht diese Pflicht „während dieses Zeitraums gleichsam ständig neu, auch soweit sie darauf gerichtet ist, bereits aufgetretene Mängel zu beseitigen“. Hinzu tritt die Überlegung, dass die Einrede der Verjährung nach § 214 hier ihrem Schutzzweck nach nicht passt (Tz. 18): Denn der Vermieter muss nicht davor geschützt werden, wegen einer Inanspruchnahme aufgrund lange zurückliegender Sachverhalte in Beweisnot zu geraten; die Störung besteht ja gegenwärtig fort. Auch kann durch Verjährung kein Rechtsfrieden entstehen, weil dieser gerade durch die anhaltende Stö-

Lehmann-Richter NJW 2008, 1196, 1198. Feuerlein WuM 2008, 385, 386. Streyl WuM 2009, 630f.; Both GE 2009, 238, 239; Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 535 BGB Rn. 217; MünchKomm/Häublein § 535 Rn. 107.

35 36 37

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§ 6 Miete und Pacht

rung weiterhin beeinträchtigt ist.38 Eine Verjährung des Anspruchs aus § 535 Abs. 1 Satz 2 scheidet daher aus. Der Inhalt der Gebrauchsüberlassungspflicht aus § 535 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert sich aus einer Abwägung des berechtigten Interesses des Vermieters an der Vermeidung eines vertragswidrigen Gebrauchs (§ 540) und des Interesses des Mieters an einer möglichst autonomen Gestaltung des eigenen Lebensraums. Der Vermieter darf dabei dem Mieter insbesondere nicht einseitig einen bestimmten Lebensstil aufzwingen (Rn. 954 und 960). Eine Klausel in den AGB des Vermieters, die den Mieter zu autofreiem Wohnen verpflichten will, ist deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam.39 (BGH 20.3.2013 – VIII ZR 168/12 = NJW 2013, 1526) Zu dem mit M geschlossenen Wohnraummietvertrag hat V AGB gestellt, in denen dem Mieter die Haltung von Hunden und Katzen untersagt wird. Hat M dennoch einen Anspruch auf die Duldung der Haltung eines Hundes durch V? In Betracht kommt ein einschlägiger Anspruch des M gegen V aus § 535 Abs. 1 Satz 2. Fraglich ist, ob die entgegenstehende AGB-Klausel nach §§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 wegen Unvereinbarkeit mit dem Leitbildcharakter des § 535 Abs. 1 Satz 2 unwirksam ist.

Im Gegensatz zur Kleintierhaltung (Hamster usw.)40 sind Vermieterbelange durch die Haltung von Hunden und Katzen grundsätzlich berührt (Tz. 17), doch rechtfertigen diese kein schrankenloses Verbot: Nach dem Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung (§ 305c Abs. 2) würde der Vermieter vorliegend sogar die Haltung von Blindenhunden verbieten (Tz. 18)! Der BGH sieht daher die Vermieterinteressen als ausreichend gewahrt an, wenn in den AGB für die Hunde- und Katzenhaltung ein Erlaubnisvorbehalt vorgesehen ist (Tz. 17ff.). Wegen der Unwirksamkeit der Klausel besteht ein grundsätzlicher Anspruch des M aus § 535 Abs. 1 Satz 2, der im Rahmen der Interessenabwägung zu konkretisieren ist; denn hier geraten die individuellen Interessen des V und des M in Konflikt und müssen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ausgeglichen werden (Tz. 19). Maßgeblich sind dabei die Größe der Wohnung, die Art des Tieres und die Angewiesenheit des Mieters auf das Tier (Tz. 19).

Ein ähnlich strukturierter Konflikt zeigt sich beim Besichtigungsrecht des Vermieters: (BGH 4.6.2014 – VIII ZR 289/13 = NJW 2014, 2566) M hat von V ein Grundstück zu Wohnzwecken gemietet. Nachdem V während eines bei M angekündigten Besuchs die Rauchmelder überprüft hat, will sie auch die übrigen Räume im Haus inspizieren, was ihr M verweigert. Der Aufforderung, das Haus zu verlassen, leistet V keine Folge. Darauf umfasst M die V mit den Armen am Oberkörper und trägt sie zur Haustür hinaus. Wegen dieses Vorfalls erklärt V die Kündigung auf der Grundlage von § 543 Abs. 1 und § 573 Abs. 2 Nr. 1. Zustimmend daher auch Artz ZJS 2010, 256f. LG Münster NJW 2015, 94. Die Tierhaltung kann nicht kategorisch untersagt werden: BGH NJW 1993, 1061, 1062; BGH NJW 2013, 1526; BeckOGK/H. Schmidt § 535 Rn. 326ff.; Pletzer NZM 2014, 329. 38 39 40

III. Die Mieterrechte

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Der schuldhaften, nicht unerheblichen Verletzung der Vertragspflichten iSd. § 573 Abs. 2 Nr. 1 könnte hier ein Notwehrrecht des Mieters nach § 227 entgegenstehen, das auf einer Verletzung seines Anspruchs aus § 535 Abs. 1 Satz 2 beruht (Tz. 13). Dem Vermieter steht nämlich kein anlassloses Besichtigungsrecht zu (Tz. 16); gegen dieses spricht das alleinige Gebrauchsrecht des Mieters nach § 535 Abs. 1 Satz 2 (Tz. 18). Nur bei Bestehen eines konkreten Sachgrundes muss der Mieter dem Vermieter Zugang zu den Mieträumen gewähren; dieser folgt regelmäßig aus dem Interesse des Vermieters an einer Bewirtschaftung des Objektes (Tz. 20). Dass die Entfernung der V in einer demütigenden Art und Weise erfolgte (Tz. 13), hat diese durch ihr Verhalten selbst provoziert. Eine Kündigung nach §§ 573 Abs. 2 Nr. 1, 543 Abs. 1 kam daher nicht in Betracht.

Auf der Grundlage des § 535 Abs. 1 Satz 2 entscheidet sich auch die Frage, ob der Mieter eine Videoüberwachung des Eigentums durch den Vermieter dulden muss. Eine anlasslose, generelle Überwachung kommt dabei nicht in Betracht. Der BGH gestattet einem Eigentümer zwar grundsätzlich die Videoüberwachung, schränkt dieses Recht jedoch ein, wenn Dritte (etwa wegen der Einstellung des Kamerawinkels) befürchten müssen, dadurch regelmäßig aufgenommen und abgebildet zu werden.41 Die Videoüberwachung berührt dabei Rechte des Mieters nach § 6b Bundesdatenschutzgesetz (Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen) und §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (Recht am eigenen Bild). Ohne Zustimmung des Mieters ist die Videoüberwachung daher grundsätzlich nicht zulässig.42 Etwas anderes ist nur zur Abwendung konkreter, gegenwärtiger Gefahren und beschränkt auf sicherheitsrelevante Teile des Gebäudes vorstellbar. bb) Instandhaltung und Instandsetzung (Kleinreparatur- und Beteiligungsklauseln)

Der Anspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 umfasst sowohl die Verschaffung als auch die Erhaltung des Gebrauchs. Entsprechend wird zwischen Instandsetzung und Instandhaltung der Mietsache unterschieden. Die Instandsetzungspflicht, dh. die Pflicht, die Mietsache überhaupt in einen gebrauchstauglichen Zustand zu versetzen, ist eine Hauptleistungspflicht des Vermieters, die bei der Wohnraummiete nach dem Leitbild des § 535 Abs. 1 Satz 2 gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 nicht einfach in AGB abbedungen werden kann.43 Die Instandhaltung bezieht sich hingegen auf den Erhalt der laufenden Gebrauchsfähigkeit der Sache; hier ist der Mieter an den Lasten zu beteiligen, weil er die Mietsache durch vertragsgemäßen Gebrauch (§ 538) ja auch abnutzt. Auf die Abgrenzung

BGH NJW-RR 2012, 140, Tz. 9. OLG Köln NJW 2009, 1827; KG NZM 2009, 736; Elzer NJW 2013, 3537. Staudinger/Emmerich § 535 Rn. 131; vgl. auch Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 535 BGB Rn. 71. 41 42 43

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§ 6 Miete und Pacht

kommt es dort an, wo der Mieter an den Kosten von Reparaturmaßnahmen beteiligt werden soll: (BGH 7.6.1989 – VIII ZR 91/88 = BGHZ 108, 1 = NJW 1989, 2247)44 V hat bei Abschluss des mit M vereinbarten Mietvertrags folgende AGB gestellt: „Nr. 1 Der Mieter hat die Kosten der auch ohne Verschulden des Mieters notwendigen Reparaturen an den ihm überlassenen Zentralheizungs- und Warmwasserversorgungsanlagen, an Öfen, Herden, Spültischen, Tischen, Türen, Schlössern, Fenstern, Gas- und Wasserleitungen … bis einschließlich 50 € im Einzelfall auf sich zu nehmen und Nr. 2 sich bei größerem Aufwand an dem Betrag zu beteiligen.“

Ob Kleinreparaturklauseln (im Beispiel Nr. 1) eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 bewirken, beurteilt sich gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 danach, ob die Abweichung von § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 mit dem Gerechtigkeitsgehalt dieser Normen vereinbar ist. Aus Sicht des BGH liegt die Rechtfertigung solcher Klauseln in „der Sicherung des für Dauerschuldverhältnisse besonders wichtigen Rechtsfriedens“, da Streitigkeiten über die Frage vermieden werden, ob der Mieter die Reparaturbedürftigkeit der Mietsache zu vertreten hat und aus § 280 Abs. 1 Satz 1 haftet oder ob ein Mangel aufgetreten ist, den der Vermieter beseitigen muss (S. 2248). Daraus folgen allerdings auch sachliche Schranken: Höhenmäßig darf die Klausel nur Bagatellschäden erfassen, und diese müssen sich auf Teile der Mietwohnung beziehen, die „häufig dem Zugriff des Mieters ausgesetzt sind“ (S. 2248). Diese Beschränkung ergibt sich auch dadurch, dass der Mieter nach dem gesetzlichen Modell (arg. e §§ 538, 541) in Bezug auf die Mietsache nur zur Obhut und nicht zur aktiven Reparatur verpflichtet ist. Ausdrücklich offen gelassen hat das Gericht die Frage, ob die disziplinierende Wirkung, die von einer solchen Selbstbeteiligung für den Mieter beim Umgang mit der Mietsache ausgeht (Präventionsfunktion, S. 2248), die Klausel zusätzlich rechtfertigt. Soweit daher einzelne Gegenstände wie Wasser- und Gasleitungen nicht dem direkten Zugriff des Mieters unterliegen, bedeutet dessen Inanspruchnahme eine unangemessene Benachteiligung; das gleiche gilt für den Fall, dass keine höhenmäßige Beschränkung für den Fall mehrerer, dicht aufeinander folgender Kleinreparaturen vorhanden ist, weil der Mieter das aus dem Mietvertrag resultierende Gesamtrisiko nicht einschätzen kann. Vorliegend hält Nr. 1 der AGB des V deshalb bei kundenfeindlichster Auslegung nach § 305c Abs. 2 der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 nicht stand, weil die vom BGH vorausgesetzte Differenzierung fehlt.

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Beteiligungsklauseln (im Beispiel Nr. 2) beurteilt der BGH hingegen im Hinblick auf den Gerechtigkeitsgedanken des § 535 Satz 1 und 2 besonders streng (S. 2249f.), weil durch sie dem Alter und dem Abnutzungsgrad der vermieteten Gegenstände aus Sicht des Mieters eine haftungsverschärfende Bedeutung zukommt. Die Möglichkeit, durch schonenden Umgang Einfluss auf die Repara44

Fortgeführt in BGHZ 118, 194 = NJW 1992, 1759.

III. Die Mieterrechte

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turanfälligkeit zu nehmen, sei für den Mieter spürbar geringer, weshalb er das Gesamtrisiko seiner finanziellen Verantwortlichkeit wesentlich schwerer einschätzen könne. Im Zweifel sind solche Klauseln daher unwirksam. Praktisch bereitet die Abgrenzung zwischen Instandsetzung und Instandhaltung jedoch Schwierigkeiten. Ua. deshalb rechtfertigt sich eine Beteiligungspflicht des Mieters insoweit, als es um die Beseitigung von Bagatellschäden geht (Obergrenze bei 50 bis 100 €)45 und diese in dem Bereich entstanden sind, auf den der Mieter typischerweise beim Gebrauch der Mietsache einwirkt. cc) Einfluss der Grundrechte

Unter dem Einfluss der Grundrechte entstehen auf der Grundlage von § 535 Abs. 1 Satz 2 besondere Duldungspflichten des Vermieters. Dieser darf einen Gebrauch des Mieters nicht stören, der der Verwirklichung grundrechtlich geschützter Positionen dient: (BVerfG 9.2.1994 – 1 BvR 1687/92 = BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147 – Parabolantenne I) M ist türkischer Staatsbürger und verlangt von V, das Anbringen einer Parabolantenne auf dem Dach seines Mietwohnhauses zu dulden. V verweigert dies mit der Begründung, demnächst werde die Wohnanlage an das Kabelnetz angeschlossen. M wendet dagegen ein, dass die Programme türkischer Sender darüber nicht zu empfangen seien. Dagegen erklärt V, wenn er M das Anbringen einer Parabolantenne gestatte, müsse er dies allen übrigen Mietern ebenfalls erlauben. Vor den Zivilgerichten ist M unterlegen und wendet sich nun im Wege der Verfassungsbeschwerde an das BVerfG.

Das BVerfG legt den Inhalt des § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) aus. Dieses umfasst das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen zu informieren. Als allgemein zugänglich sieht das Gericht eine Informationsquelle dann an, wenn sie geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen (S. 1147f.). Dem stehe indes das Eigentumsrecht des Vermieters nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG entgegen, der sich grundsätzlich gegen die negative optische Veränderung des Erscheinungsbildes der Mietwohnung durch Parabolantennen zur Wehr setzen könne. Verfassungsrechtlich unbedenklich erscheint es dem Gericht deshalb, das Informationsrecht des Mieters im Regelfall auf einen Kabelanschluss zu beschränken. Dies gelte allerdings nicht für Ausländer, die über das Kabelprogramm die Programme ihres Heimatlandes nicht empfangen können. Mieter mit ausländischem Lebenshintergrund hätten daher einen Anspruch, sich über das Geschehen in ihrem Heimatland zu informieren und so die kulturelle und sprachliche Verbindung zu diesem aufrechtzuerhalten (S. 1148). Problematisch daran erscheint, dass auf der Grundlage dieser Argumentation aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ein Teilhaberecht im Drittverhältnis zwischen Privaten abgeleitet wird.

45

Staudinger/Emmerich § 535 Rn. 132.

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§ 6 Miete und Pacht

Diese Rechtsprechung hat in der Folgezeit Weiterungen nach sich gezogen.46 Der Vermieter muss die Errichtung einer Parabolantenne auf dem Balkon bei einer Mietwohnung mittlerweile grundsätzlich hinnehmen, auch wenn diese mit einem Breitbandkabelanschluss ausgestattet ist: Wenn weder eine Substanzverletzung noch eine nennenswerte ästhetische Beeinträchtigung zu besorgen ist, soll die Aufstellung nämlich nicht verboten sein.47 dd) Konkurrenzschutz

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Bei der Geschäftsraummiete besteht ein zentraler Inhalt der vom Vermieter nach § 535 Abs. 1 Satz 1 geschuldeten Gebrauchsgewähr im Schutz des Mieters vor Konkurrenten: (BGH 7.12.1977 – VIII ZR 101/76 = BGHZ 70, 79 = NJW 1978, 585 – Praxisräume) V vermietete M, Fachärztin für Innere Medizin, Räume im zweiten Obergeschoss eines Geschäftshauses in G „zum Betrieb einer Arztpraxis“. Zwei Jahre später vermietete V im ersten Obergeschoss desselben Hauses Praxisräume an D, ebenfalls Facharzt für Innere Medizin. M beantragt Feststellung, dass ihr durch die Vermietung der Räume an D dem Grunde nach ein von V zu ersetzender Schaden entstanden ist. In dem zwischen V und M geschlossenen Mietvertrag findet sich keine Vereinbarung über Konkurrenzschutz (Konkurrenzschutzklausel). Fraglich ist, ob M ein Schadensersatzanspruch gegen V aus § 536a Abs. 1 zweiter Fall zusteht. Dies setzt voraus, dass die Vermietung an D einen nachträglichen Mangel iSd. § 536 Abs. 1 entstehen lässt. Dies hängt davon ab, ob V der M aus dem Mietvertrag Konkurrenzschutz schuldet.48

Der BGH billigt dem Mieter auch ohne ausdrückliche Vereinbarung einen Anspruch auf Konkurrenzschutz gegen den Vermieter aus § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 zu (S. 586). Die vom Vermieter geschuldete Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs bedeutet danach, dass der Vermieter den Mieter im Gebrauch der Räume nicht behindern darf. Eine Behinderung könne aber auch in der Vermietung andere Räume des Hauses oder auf unmittelbar angrenzenden Grundstücken an Konkurrenzunternehmen liegen (S. 586). Das Gericht räumt ein, dass die Lage der Praxisräume für einen Arzt möglicherweise nicht die gleiche Bedeutung hat wie für einen Verkaufsladen, geht im Verhältnis der Ärzte dennoch nicht von Sonderregeln aus: Auch hier könne neben der eigenen Tüchtigkeit des Arztes bzw. der Anzahl der Überweisungen von anderen Ärzten vor allem die Erreichbarkeit für „Laufkundschaft“ eine Rolle spielen (S. 586f.). Deshalb habe der Vermieter vorliegend seine Pflichten verletzt. Danach ist nachträglich ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 entstanden, den V zu vertreten hat. Den dadurch verursachten Schaden muss V dem M nach § 536a Abs. 1 zweiter Fall ersetzen. Vgl. auch BVerfG NJW 1994, 2143 – Parabolantenne II; BVerfG NJW 2013, 2180. BGH NJW-RR 2007, 1243. Zum Zusammenhang zwischen Konkurrenzschutz und Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 vgl. BGHZ 195, 50 = NJW 2013, 44, Tz. 28ff. und Tz. 38; BGH NJW 2012, 844; kritisch GhassemiTabar NJW 2013, 47; hinsichtlich der Dogmatik des Mangelbegriffs; zustimmend Fritz NJW 2013, 1138, 1140. 46 47 48

III. Die Mieterrechte

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Im Übrigen schützt die Praxis den Mieter nicht vor jeder Art von Konkurrenz, sondern nur vor Mitbewerbern, die dieselben Hauptartikel anbieten; ein Überschneiden im Bereich des Nebenartikelangebots muss der Mieter hinnehmen. Konkurrenzbeziehungen hat der BGH etwa zwischen einer Drogerie und einem Supermarkt mit Drogerieabteilung bejaht, während eine Überschneidung zwischen einer Apotheke und einer Drogerie mit Selbstbedienung verneint wurde.49 Die Kritik verweist hingegen auf den liberalen, auf Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit gerichteten Geist des BGB, der keine Pflicht des Vermieters kenne, die Gewinnerzielungsmöglichkeiten des Mieters zu verbessern.50 Doch setzt bisweilen auch der Wettbewerb einen Gebietsschutz vor Konkurrenten voraus, und zwar dann, wenn die Verhaltensmöglichkeiten der Wettbewerber untereinander durch vertragliche oder gesetzliche Bindung so stark vereinheitlicht sind, dass sie sich im Wettbewerb nicht in legaler Weise voneinander abheben können.51 Dies gilt gerade auch für die Angehörigen freier Berufe, die strengen Verhaltensregeln (zB. Wettbewerbsverboten) durch Standesrecht und Gesetz unterliegen. Fehlt im Mietvertrag eine ausdrückliche Vereinbarung über den Konkurrenzschutz, kann dieser im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach § 157 begründet sein. Eine entsprechende Regelungslücke im Vertrag kann durch Ermittlung dessen geschlossen werden, „was die Parteien zwar nicht erklärt haben, was sie aber in Anbetracht des gesamten Vertragszwecks erklärt haben würden, wenn sie den offengebliebenen Punkt in ihren Vereinbarungen ebenfalls geregelt hätten und hierbei die Gebote von Treu und Glauben und der Verkehrssitte beachtet hätten“.52 Die dogmatischen Grundlagen dieses Instituts und die Kritik an ihnen wurden bereits dargestellt (Rn. 27ff.). Grenzen des Konkurrenzschutzes bestehen dort, wo der Mieter selbst in eine latente Konkurrenzsituation hineinmietet. (BGH 11.1.2012 – XII ZR 40/10 = NJW 2012, 844) M hat im Geschäftshaus des V Räume zum Betrieb eines Optiker- und Hörgerätegeschäfts gemietet. Im Mietvertrag ist eine Konkurrenzschutzklausel vorgesehen, die V verbietet, Räume innerhalb des Gebäudes zum Betrieb eines weiteren Optiker- und Hörgerätegeschäfts zu vermieten. Bereits bei Vertragsschluss betreibt A, ein Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, seine Praxis als weiterer Mieter des V. Als am 1.5.1989 der Gesetzgeber durch Änderung von § 126 SGB V den Ärzten gestattet, Hörgeräte an ihre Patienten im sog. verkürzten Versorgungsweg abzugeben, macht auch A davon Gebrauch. M geht daraufhin gegenüber V von einer Mietminderung aus und verlangt von diesem, A zur Unterlassung der Abgabe der Geräte anzuhalten. Die Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall setzt einen nachträglich eintretenden Mangel der Mietsache, also eine Negativabweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit der Mietsache, voraus. Fraglich ist, ob die von V geschuldete Sollbeschaffenheit der Geschäftsräume darin besteht, dass A die Abgabe von Hörgeräten an seine Patienten unterlässt. BGH WM 1968, 699: Nebenartikel; OLG Frankfurt NJW 1982, 707: Drogerie; allgemein Staudinger/Emmerich § 535 Rn. 24; allgemeiner MünchKomm/Häublein § 535 Rn. 139ff. 50 MünchKomm/Voelskow, 3. Aufl. 1995, §§ 535, 536 Rn. 77 mwN. 51 Zum Franchising Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 2, 1992, S. 172ff. 52 BGHZ 16, 71, 76; 7, 231, 235; 9, 273, 278. 49

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Der BGH verneint die Erstreckung des Konkurrenzschutzes auf den durch Gesetzesänderung nachträglich erweiterten Tätigkeitsbereich des Arztes. Für eine ergänzende Vertragsauslegung fehle es nämlich an einer Regelungslücke im Vertrag und es bestehe die Gefahr, dass die Vermieterpflichten im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung hier nachträglich erheblich erweitert würden (Tz. 24). Der Mieter habe nämlich vom Vermieter keinen Konkurrenzschutz vor der Abgabe von Hörgeräten im verkürzten Wege erwarten dürfen (Tz. 28ff.). Vielmehr sei ihm klar gewesen, dass im Mietgebäude eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen betrieben wurde und dass der Arzt sämtliche Leistungen erbringen würde, zu denen er berechtigt war (Tz. 30). Schließlich betreibe der Arzt kein Hörgerätegeschäft iSd. der Konkurrenzschutzklausel (Tz. 31). Die Entscheidung überzeugt im Ergebnis, nicht aber in der Begründung. Denn der Mietvertrag hatte durchaus eine Regelungslücke: Durch Vereinbarung der Konkurrenzschutzklausel wollten die Parteien verhindern, dass im Gebäude Hörgeräte an Endkunden vertrieben werden; den vorliegenden Fall haben sie aber gerade nicht vorhergesehen und daher nicht geregelt. Fraglich ist deshalb, in welchem Sinne die Lücke zu schließen ist. Dies hängt von der Beantwortung der Frage ab, welche Partei des Mietvertrages das Risiko einer nachträglichen Änderung der Rechtslage trägt: der Vermieter oder der Mieter. Denn beide mussten wohl – anders als der BGH meint – bei Vertragsschluss nicht damit rechnen, dass es zwischen dem Tätigkeitsbereich des Arztes und dem des Mieters zu Überschneidungen kommen würde. Aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Mieters liegt es allerdings auf der Hand, dass der Vermieter nicht nur ihm gegenüber vertraglich gebunden ist, sondern dass er nach § 535 Abs. 1 Satz 1 auch dem Arzt den ungestörten Gebrauch der Räume für seine Tätigkeit gewähren muss. Da der Tätigkeitsbereich des Arztes gegenüber dem Vermieter keiner vertraglichen Beschränkung unterliegt, kann der Vermieter diesem die Ausweitung seiner Tätigkeit auch nicht nach § 541 untersagen (vgl. als Gegenbeispiel Rn. 963). Dies spricht für eine Risikozuweisung an den Mieter und gegen einen Mangel. ee) Barrierefreiheit 824

Nach § 554a Abs. 1 Satz 1 kann der Mieter schließlich vom Vermieter die Zustimmung zu baulichen Veränderungen verlangen, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder den Zugang zu ihr erforderlich sind. Die Norm räumt einen Anspruch auf Vertragsänderung und Ausweitung der Gebrauchsgewährpflicht nach § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 ein, die in der Praxis bislang jedoch noch keine große Rolle gespielt hat.53

53

Dazu etwa Rips, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 502, 503.

III. Die Mieterrechte

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b) Einbeziehung Dritter aa) Rechte von Angehörigen und der in einem auf Dauer angelegten Haushalt mit dem Mieter Lebenden

Austauschverträge begründen üblicherweise nur persönliche Rechte. Deshalb gelten auch die aus ihnen resultierenden Pflichten nur inter partes, also zwischen den beiden Parteien, die einander Leistungsversprechen abgegeben haben. Die Wohnraummiete beschränkt sich indes nicht auf einen punktuellen Leistungsaustausch, sondern wird häufig zur Lebensgrundlage des Mieters und seiner Angehörigen. Unstreitig stehen dabei dem Ehegatten des Mieters ein Mitbenutzungs- und Besitzrecht gegenüber dem Eigentümer aus § 328 Abs. 1 iVm. § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 zu.54 Für die eingetragene Lebenspartnerschaft sorgt § 11 Abs. 1 LebenspartnerschaftsG für eine Gleichstellung. Im Hinblick auf nichteheliche Partner reagiert das Schrifttum teilweise immer noch zurückhaltend.55 Hier sind allerdings zwei Fragen zu unterscheiden: Zunächst kann einem Partner ein Mitbenutzungsrecht nicht schon dann zustehen, wenn ihn der Mieter entgegen der vertraglichen Einigung mit dem Vermieter nachträglich in die Wohnung aufnimmt. Denn der Mieter selbst überschreitet in diesem Fall sein Besitzrecht, wenn er zuvor mit dem Vermieter keine Vertragsänderung vereinbart hat (arg. e § 540 Abs. 1 Satz 1). Diese Schranke gilt jedoch ganz allgemein für sämtliche später aufgenommene Dritte (auch Eheleute usw.). Im Übrigen erscheint eine Differenzierung zwischen Ehegatten und nichtehelichen Partnern aber überholt. In der Mietrechtsreform von 2001 hat der Gesetzgeber nämlich ausdrücklich die Rechte derjenigen Personen als Angehörige stärken wollen, die mit dem Mieter in einem auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt leben. Darunter ist eine Lebensgemeinschaft zu verstehen, „die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen“.56 Dies zeigt sich vor allem am vertraglichen Eintrittsrecht dieser Personengruppe gegenüber dem Vermieter beim Tod des Mieters nach § 563 Abs. 2 Satz 3 (zum Recht des Ehegatten vgl. Abs. 1 der Norm). Diese Vorschrift, die dem Angehörigen ein Recht auf Fortsetzung des Mietvertrages gibt, ändert die gesetzliche Erbfolge nach § 1922 Abs. 1 und begründet eine Sonderrechtsnachfolge: Vertragspartner des Wohnraummietverhältnisses wird kraft Gesetzes nicht der Erbe des Mieters, sondern dessen Lebensgefährte. Auch der BGH geht mittlerweile in anderem Zusammenhang von einer Rechtsgemeinschaft zwischen den nichtehelichen Partnern aus,57 wes-

54 55 56

Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 535 Rn. 83ff. mwN. Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 535 Rn. 89ff.; Paschke WuM 2008, 59, 61f. RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 38; dazu Streyl, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 709,

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BGHZ 177, 193 = NJW 2008, 3277, 3278.

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halb ein Mitbenutzungs- und Besitzrecht grundsätzlich auch diesen Partnern zustehen muss.58 Ferner werden Familienmitglieder, Haushaltsangehörige, aber auch Hausangestellte oder sonstige Hilfspersonen, die nach dem Inhalt des Mietvertrages bestimmungsgemäß an dem Gebrauch der Mietsache teilhaben, als Dritte in die Schutzwirkungen des Mietvertrages einbezogen, weil ihnen gegenüber eine Obhutspflicht des Mieters besteht.59 Diese lässt eine sog. Wohl-und-Wehe-Beziehung entstehen. Die Rechtsfolgen dieser Entscheidung werden noch im Zusammenhang mit dem Schadensersatzanspruch aus § 536a Abs. 1 erster Fall näher besprochen (Rn. 869). Insbesondere Arbeitnehmer können darüber hinaus eine Rechtsstellung aus einem Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1) herleiten: (BGH 19.9.1973 – VIII ZR 175/72 = BGHZ 61, 227 = NJW 1973, 2059) M hatte auf dem bebauten Grundstück des V eine Fläche und einen Raum als Warenlager gemietet. D, ein angestellter Verkäufer des M, hatte einen Wagen mit zwei Propangasflaschen auf der gemieteten Fläche abgestellt. Durch ausströmendes Gas entstand eine Explosion, die das Haus des V stark beschädigte. V kündigt das Mietverhältnis sofort aus wichtigem Grund und verlangt sieben Monate nach Rückgabe des Warenlagers und der Grundstücksfläche von D Schadensersatz. D aber beruft sich auf Verjährung nach §§ 214 Abs. 1 iVm. 548 Abs. 1 Satz 1.

In Betracht kommt ein Anspruch des Vermieters gegen den Angestellten aus § 823 Abs. 1. Fraglich ist, ob dieser gem. § 548 Abs. 1 Satz 1 verjährt ist. Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 verjähren Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache in sechs Monaten. Diese Verjährung erfasst zunächst regelmäßig die mit §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 konkurrierenden Ansprüche aus § 823 Abs. 1 (Rn. 966). Nach § 548 Abs. 1 Satz 2 beginnt der Lauf der Verjährung in dem Augenblick, in dem der Vermieter die Mietsache zurückerhält. Der BGH bemüht vorliegend die Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. Diese setzten voraus, dass der Gläubiger aus dem Vertrag mit dem Dritten in einer Wohl-und-Wehe-Beziehung steht. Der BGH bejaht dies vorliegend auch im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (S. 2061), wofür regelmäßig die Fürsorge- und Schutzpflicht des Arbeitgebers aus § 618 spricht (vgl. auch Rn. 866). Auf dieser Grundlage gelangt der BGH zu einer eigentümlichen Ausweitung der Drittwirkungen des Vertrages: Es sei nicht einzusehen, „warum dem Dritten zwar das Recht zustehen soll, vom Vermieter Schadensersatz zu verlangen, daß er aber für den Fall, daß er den Vermieter schädigt, nicht wie der Mieter sich auf die kurze Verjährung soll berufen können“ (S. 2061). Die Zubilligung des Schadensersatzanspruchs des Dritten beruhe nämlich auf dem Gedanken, dass es mit der Gerechtigkeit nicht vereinbar wäre, dem Dritten, der die Mietsache bestim58 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 38, vorletzter Absatz; MünchKomm/Häublein § 535 Rn. 51ff.; Theesfeld, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 717ff. 59 BGHZ 49, 278, 279; 49, 350, 353; 61, 227, 233; 77, 116, 124.

III. Die Mieterrechte

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mungsgemäß gebrauche und durch sie zu Schaden komme, einen vertraglichen Ersatzanspruch zu versagen. Deshalb könne es ebenso wenig hingenommen werden, wenn die Hilfsperson des Mieters, die vertragsgemäß mit der Mietsache zu schaffen hat und dabei einen Schaden verursacht, sich nicht auf die kurze Verjährung berufen könne (S. 2061). Als haftungsbegründend wird dabei weniger die Wohl-und-Wehe-Beziehung angesehen als vielmehr der Umstand, dass Vermieter und Mieter bei Vertragsschluss davon ausgehen mussten, dass Angestellte des Mieters auf der gemieteten Fläche und dem Raum zugegen sein würden und dort Schäden verursachen könnten (S. 2061). Offen bleibt, warum hier die Verjährung nicht schlicht durch analoge Anwendung des § 548 Abs. 1 auf den Arbeitnehmer des Mieters erstreckt wird: Der in der Norm vorausgesetzte Regelungskonflikt zwischen Vermieter- und Mieterinteressen, insbesondere im Hinblick auf die Verderblichkeit von Beweisen (Rn. 966), passt ja eigentlich auch im Verhältnis zu den Angestellten des Mieters. Doch reicht das Problem weiter: Beschäftigt der Mieter Arbeitnehmer, dürfen diese sich auch auf andere Mieterbefugnisse gegenüber dem Eigentümer berufen: Dies gilt etwa für das Recht, Gebrauchsspuren an der Sache zu hinterlassen (§ 538), das sonstigen Dritten nicht zusteht, oder die Befugnis, die Sache zu besitzen, ohne dass der Vermieter in jedem Fall nach § 540 Abs. 1 Satz 1 zustimmen muss. Diese Befugnisse entsprechen weitgehend der im Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1) vorausgesetzten Rechtsstellung, auch wenn die meisten der dem Arbeitnehmer eingeräumten Rechte nicht in dessen eigenem Interesse, sondern im Interesse des Arbeitgebers und Mieters eingeräumt sind. Bei der Konkretisierung der Gebrauchsüberlassungspflicht nach § 535 Abs. 1 Satz 2 kommt es deshalb entscheidend darauf an, dass Vermieter und Mieter bei Vertragsschluss die Tätigkeit von Arbeitnehmern in den Mieträumen gemeinsam vorausgesetzt haben. In diesem Fall gilt § 548 Abs. 1 Satz 1 unmittelbar: Denn diese Arbeitnehmer leiten ein Gebrauchsrecht gegenüber dem Vermieter aus dem Mietvertrag nach § 328 Abs. 1 ab. Auf dieses muss wie auf das Gebrauchsrecht des Mieters selbst die Verjährung nach § 548 Abs. 1 unmittelbar Anwendung finden. bb) Untermiete

Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ist der Mieter ohne die Erlaubnis des Vermieters nicht berechtigt, den Gebrauch der Mietsache einem Dritten zu überlassen, insbesondere sie weiterzuvermieten. Diese Norm beruht, wie § 603 Satz 2 zeigt, auf einem allgemeinen Rechtsgedanken der Verträge über die Gebrauchsüberlassung: Der Eigentümer hat ein Interesse daran, zu kontrollieren, wer seine Sache gebraucht (Rn. 756). Für ein Verschulden des Untermieters haftet der Mieter dem Vermieter übrigens nach § 540 Abs. 2, einer Norm, die der Regelung des § 278 Satz 1 in den Rechtsfolgen praktisch gleichsteht.60 „Dritte“ sind allerdings nicht die Familienmitglieder und Haushaltsangehörigen des Mieters:61 Ihnen 60 61

Staudinger/Emmerich § 540 Rn. 37. BGH NJW 2013, 2507, Tz. 7.

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darf die Mietsache ohne Pflichtverletzung überlassen werden; konsequenterweise haftet der Mieter für ihr Vertretenmüssen nach § 278 Satz 1 und nicht nach § 540 Abs. 2. § 553 Abs. 1 gewährt dem Wohnraummieter einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Gebrauchsüberlassung an Dritte, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat. Dies ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dann der Fall, wenn ein Lebenspartner zum Zwecke der Bildung und Fortführung eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts aufgenommen wird. Den §§ 563ff. lasse sich die Wertentscheidung entnehmen, neben Ehe und Familie auch den auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt zu schützen (Rn. 825).62 Die unberechtigte Untervermietung stellt einen vertragswidrigen Gebrauch iSd. § 541 dar und kann sowohl eine Kündigung, als auch einen Schadensersatzanspruch des Vermieters rechtfertigen (dazu Rn. 961). Fraglich ist, ob der Vermieter darüber hinaus einen Anspruch auf die an den Mieter geflossene Untermiete hat: (BGH 13.12.1995 – XII ZR 194/93 = BGHZ 131, 297 = NJW 1996, 838)63 M hat ohne Erlaubnis des V einen Teil der von V gemieteten Wohnung dem U gegen Entgelt überlassen. Als V dies erfährt, verlangt er das von U an M gezahlte Entgelt von M heraus.

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Der vom Vermieter geltend gemachte Anspruch zielt auf Abschöpfung des Erlangten und nicht auf Schadensersatz. Deshalb nützt es dem Vermieter nichts, dass die unberechtigte Untervermietung zugleich eine Pflichtverletzung iSd. § 280 Abs. 1 Satz 1 bedeutet. Denn als Schaden kann der Vermieter nur zusätzliche Abnutzungen und Beeinträchtigungen durch den Untervermieter liquidieren, nicht aber die gezahlte Untermiete als solche herausverlangen. Der Schaden des Vermieters liegt auch nicht in entgangenem Gewinn nach § 252. Nach § 252 Satz 2 kann der Vermieter nämlich nur den Gewinn herausverlangen, den er nach den Umständen erwarten durfte. Der Vermieter hätte jedoch durch die Untervermietung keinen Gewinn in der hier geforderten Höhe erzielen können, weil allein der Mieter den Vertrag über die Untermiete abschließt und daraus Einnahmen erzielt, nicht der Vermieter. Aus diesem Grund führen auch die Schadensersatzansprüche aus §§ 989, 990 analog nicht weiter, ganz abgesehen davon, dass Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis bei der Überschreitung des Besitzrechtes durch den Mieter aus gutem Grund nicht angewendet werden (S. 840; Stichwort: „nicht so berechtigter Besitzer“; vgl. auch Rn. 830a):64 Denn das Leistungsstörungsrecht des Mietvertrages regelt die Verteilung der Rechte und Pflichten der Parteien so, dass eine für die Analogie erforderliche Regelungslücke fehlt. Über die entsprechende Anwendung der §§ 989, 990 darf kein alternatives Leistungsstörungsrecht eröffnet werden. Auch ein Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nach § 816 Abs. 1 Satz 1 kommt nicht in Betracht (S. 840). Zunächst beinhaltet die Miete keine Verfü62 63 64

BT-Drucks. 11/4553, S. 49. Vgl. die Entscheidung des VIII. Senats: BGH NJW 1964, 1853. Bereits zuvor BGHZ 59, 51, 58; vgl. etwa Söllner JuS 1967, 449.

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gung, denn darunter fällt allein die Übertragung, Belastung, Änderung oder Aufhebung eines Rechts. Befürwortet wird jedoch teilweise eine analoge Anwendung des § 816 Abs. 1 Satz 1, und zwar mit dem Argument, der Mieter eigne sich den Gebrauchswert der Sache durch die Untervermietung zu.65 Dagegen spricht, dass die unberechtigte Untervermietung nicht in bestehende Gebrauchsmöglichkeiten des Vermieters eingreift; denn der Vermieter hat das Gebrauchsrecht mit Abschluss des Mietvertrages auf den Mieter übertragen.66 Der BGH stellt mit ähnlichen Argumenten auf die fehlende Vergleichbarkeit beider Fälle ab: Im unmittelbaren Anwendungsfall des § 816 Abs. 1 Satz 1 erzielt ein Nichtberechtigter einen Gegenwert, der an die Stelle des untergegangenen oder beschädigten Eigentums tritt (Rechtsfortwirkungsprinzip der Eingriffskondiktion). Dies lässt sich für die Untermiete nicht behaupten. Denn der Eigentümer selbst hätte die Sache nicht an einen Dritten weitervermieten dürfen (S. 840). Fraglich ist allerdings, ob die Voraussetzungen einer Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall vorliegen. Dies wird teilweise mit der Begründung bejaht, dass die Befugnis des Mieters sich auf das im Mietvertrag eingeräumte Besitz- und Gebrauchsrecht beschränke. Eine darüber hinausgehende Nutzung der Mietsache greife daher in die Rechte des Vermieters ein und brauche von diesem nur gegen ein zusätzliches Entgelt gestattet zu werden (§ 553 Abs. 2).67 Der BGH verneint dies mit dem lapidaren Argument, die Untervermietung sei, auch wenn sie unberechtigt erfolge, ein dem Mieter und nicht dem Vermieter zugewiesenes Geschäft (S. 840). Der Meinungsstreit führt zur Frage nach der genauen Bestimmung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des Eingriffs. Der Eingriff wird nach heute herrschendem Verständnis nicht allein durch eine rechtswidrige Handlung des Bereicherungsschuldners konkretisiert, sondern auch dadurch, dass der von diesem erlangte Vermögenswert gerade dem Bereicherungsgläubiger zugewiesen ist (Lehre vom Zuweisungsgehalt des Rechts).68 § 540 Abs. 1 Satz 1 weist dem Vermieter jedoch die Untermiete nicht als Vermögenswert zu; denn bei seiner Entscheidung über die Erlaubnis nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ist er aufgrund von § 553 Abs. 1 nicht frei, sondern zugunsten berechtigter Mieterinteressen gebunden. In der Sache entscheidet daher allein der Mieter über das Zustandekommen der Untervermietung und ihre Ausgestaltung. Deshalb handelt der Mieter vorliegend zwar rechtswidrig, greift aber nicht in den Zuweisungsgehalt eines Vermieterrechts ein; dies reicht für die Bejahung eines Eingriffs nicht aus.69 Diederichsen NJW 1964, 2296; Staudinger/Emmerich § 540 Rn. 31. Söllner JuS 1967, 449, 452. Larenz/Canaris II/2 § 69 I 2a; neuerdings etwa Koch/Wallimann JZ 2016, 342, 343ff. Vgl. nur von Caemmerer, in: FS Rabel I, 1954, S. 352, 396ff.; Larenz/Canaris II/2 § 69 I 1 b; Reuter/Martinek, 1. Aufl. 1983, § 7 III; Medicus/Petersen BR Rn. 704ff.; zur heute überholten Rechtswidrigkeitslehre: Kellmann, Grundsätze der Gewinnhaftung, 1969; Kleinheyer JZ 1970, 471. 69 Söllner JuS 1967, 449, 453. 65 66 67 68

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Die Gegenauffassung gelangt übrigens wegen § 818 Abs. 2 nicht zur Herausgabe der vollen Miete als Gewinn – dies wäre nur über § 816 Abs. 1 Satz 1 möglich –, sondern allein zu einem Wertersatzanspruch. Die Entscheidung über den Zuweisungsgehalt beeinflusst schließlich auch die Auslegung, ob der Mieter sich ein fremdes Geschäft iSd. §§ 687 Abs. 2 Satz 1, 681 Satz 2, 667 anmaßt oder nicht. Denn ist das Geschäft dem Mieter im Rahmen des § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Eingriffskondiktion) zugewiesen, kann es für den Mieter auch nicht objektiv fremd iSd. § 687 Abs. 2 Satz 1 sein und umgekehrt.

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Die Rückabwicklung eines erlaubten Untermietverhältnisses kann Probleme der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung in einem Dreipersonenverhältnis erzeugen: (BGH 19.9.2014 – V ZR 269/13 = NJW 2015, 229) Die deutsche Stadt V vermietete langfristig ein ihr gehörendes Rennbahngelände an den Rennbahnverein M. Im Einverständnis mit V vermietete M den Innenbereich der Rennbahn im Jahre 1996 als Golfplatz an die ULimited, und zwar bis 2025. Nach Vertragsende sollte U sämtliche Baulichkeiten, die zum Betrieb des Golfplatzes errichtet wurden, beseitigen. M war alternativ dazu vorbehalten, die bauliche Anlage gegen angemessene Entschädigung von U zu übernehmen. U errichtete in der Folge auf dem von ihr gemieteten Gelände einen Golfplatz. In 2008 wurde über das Vermögen von M das Insolvenzverfahren eröffnet, in dessen Rahmen auch das Untermietverhältnis mit U beendet wurde. Danach endete auch das Mietverhältnis zwischen V und M. U verlangt jetzt von V für die auf dem Gelände befindliche bauliche Anlage Zahlung von 500.000 €. Zu Recht? Hinweis: In der Insolvenz bleiben Mietverhältnisse über Wohnraum und Grundstücke zunächst nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen, gleichgültig, ob der Insolvenzschuldner Mieter ist oder Vermieter. Sonderregelungen ergeben sich jedoch aus dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 Satz 1 InsO): Als Gläubiger des Insolvenzschuldners muss der andere Vertragspartner aus dem Mietvertrag wie alle übrigen mit einer Beschneidung seiner Rechte iSd. Gleichbehandlung rechnen. Ist der Insolvenzschuldner daher Mieter, kann sein Insolvenzverwalter das Mietverhältnis jederzeit unter Beachtung einer Dreimonatsfrist kündigen (§ 109 Abs. 1 InsO). Andererseits ist die Kündigung durch den Vermieter in diesem Fall nach § 112 InsO stark eingeschränkt. Ist der Insolvenzschuldner hingegen Vermieter, besteht kein Sonderkündigungsrecht; Vorausverfügungen über die Mietforderung aus § 535 Abs. 2 sind jedoch in ihrer Wirkung eingeschränkt (§ 110 InsO).

Im Verhältnis zwischen Vermieter und Untermieter kommen vorliegend keine vertraglichen Ansprüche in Betracht. Auch scheitert die Geltendmachung (§ 1000!) eines Aufwendungsersatzanspruchs wegen nützlicher oder notwendiger Verwendungen (§§ 994 Abs. 1, 996) aus einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (§§ 987ff.), weil die Untermieterin im Zeitpunkt der Vornahme der Verwendungen berechtigte Besitzerin war: Als sie die Golfplatzanlage errichtete, stand ihr aus dem Untermietvertrag ein Besitzrecht gegenüber der Mieterin und dieser wiederum ein Besitzrecht gegenüber der Vermieterin zu. Insgesamt war die Untermieterin daher nach § 986 Abs. 1 Satz 1 gegenüber der Vermieterin zum Besitz berechtigt (Tz. 16f.). Der BGH wendet auch nicht die Lehre vom nicht mehr berechtigten Besitzer (Rn. 1155) an. Denn es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke (Tz. 18). Ferner kommt eine Verwendungskondiktion nach §§ 951 Abs. 1 Satz 1, 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Rn. 885) nicht in Betracht: Der BGH verneint diese mit der Überlegung, dass

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das Auseinanderfallen von Vermieter- und Untervermieterposition dem Untermieter keine Vorteile bringen dürfe: Wegen der Insolvenzeröffnung wäre der Untermieter ja mit seiner Verwendungskondiktion gegen den Untervermieter praktisch ausgefallen; dann darf er jetzt nicht durch Inanspruchnahme des Vermieters besser stehen. Andernfalls würde das in der Person des Untervermieters liegende Insolvenzrisiko vom Untermieter auf den Vermieter verlagert (Tz. 23). Eher überzeugt, dass es an dem bei der Verwendungskondiktion vorausgesetzten Unmittelbarkeitskriterium (§ 812 Abs. 1 Satz 1: „auf Kosten“) fehlt: Bei der Nichtleistungskondiktion werden Gläubiger und Schuldner so bestimmt, dass Gläubiger die Person ist, aus deren Vermögen die Bereicherung unmittelbar abfließt, und Schuldner die Person, in deren Vermögen sie unmittelbar eingeht. Die Vorteile der baulichen Anlage hat bei ihrer Errichtung aber nicht der Vermieter – trotz der Rechtsfolge des § 946 (Eigentumserwerb durch Einbau) –, sondern der Mieter erlangt, weil dieser das Grundstück vom Untermieter zurückerhält und dann die darauf getätigten Verwendungen für sich nutzen kann (Tz. 25). Dafür spricht, dass M frei darüber entscheiden konnte, ob er die Golfanlage übernimmt oder nicht. Nach einer weiteren Auffassung vertraut der Vermieter darauf, die baulichen Anlagen (wenn überhaupt) vom Mieter durch Leistung zurückzuerhalten, und ist deshalb durch das Subsidiaritätsprinzip (§ 812 Abs. 1 Satz 1: „in sonstiger Weise“) vor Inanspruchnahme durch den Untermieter geschützt.70

cc) Verhältnis der Mieter untereinander

Fraglich ist, wie sich das Verhältnis der Mieter untereinander gestaltet: (BGH 9.10.1968 – VIII ZR 173/66 = NJW 1969, 41) M und D haben jeweils Geschäftsräume bei V gemietet. D schließt seine Räume in den Weihnachtsferien und sichert dabei die über dem Putz liegende Wasserleitung nicht vor Frostschäden. Dadurch kommt das Wasserleitungssystem zu Schaden, wodurch M später beim Gebrauch seiner Räume behindert wird und einen Schaden erleidet, den er von D ersetzt verlangt.

Der BGH verneint die Möglichkeit, dass der Vertrag zwischen Vermieter und Mieter Schutzwirkungen zugunsten der übrigen Mieter entfalten könnte (S. 41). Er stellt dabei das Anliegen in den Vordergrund, die Grenzen zwischen Deliktsund Vertragsrecht nicht zu verwischen und den Kreis der schutzwürdigen Dritten zu beschränken. Die Einbeziehung Dritter in den vertraglichen Schutzbereich komme nach dem Willen der Vertragsparteien nur dann in Betracht, wenn sie dem Vermieter persönlich nahe stünden. Dies sei im Hinblick auf andere Mieter nicht der Fall, denn der Vermieter sei nicht für das Wohl und Wehe des Mieters verantwortlich (S. 41). Deshalb kämen nur Ansprüche aus den §§ 823ff. in Betracht (S. 41f.). Längst ist die Rechtsprechung beim Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte allerdings über das Erfordernis einer Wohl-undWehe-Beziehung bei der Begründung von Drittwirkungen hinweggegangen (Rn. 1320ff.), sodass man die Entscheidung aus heutiger Sicht wohl anders rechtfertigen muss. Für die Einbeziehung anderer Mieter fehlt es schlicht an der 70

Fervers NJW 2015, 232.

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beim Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte vorausgesetzten Vorhersehbarkeit: Ein Mieter hat beim Vertragsschluss mit dem Vermieter nämlich keine Möglichkeit, das in der Person anderer Mieter liegende Haftungsrisiko durch Vereinbarung mit dem Vermieter zu steuern: Er hat schon kein Einsichtsrecht in andere Mietverträge und würde daher regelmäßig überrascht, wenn ein Mieter außergewöhnliche Haftungsrisiken begründete, weil er etwa in den gemieteten Räumen besonders wertvolle Dinge aufbewahrte. Schließlich kann sich ein Mieter nicht durch vertragliche Vereinbarung mit dem Vermieter davor schützen, dass später neue Mieter in das Gebäude einziehen, die hohe Haftungsrisiken mit sich bringen. Gegenüber anderen Mietern bleibt daher nur ein Anspruch wegen Verletzung des Rechts zum Besitz iSd. des § 823 Abs. 1. Das Recht zum Besitz kommt aufgrund seiner Eigentumsähnlichkeit als sonstiges Recht iSd. § 823 Abs. 1 in Betracht: Verleiht nämlich der Besitz bereits als solcher eine Ausschlussbefugnis nach § 861, so wächst ihm die ansonsten fehlende Nutzungsfunktion iSd. § 903 Satz 1 dann zu, wenn der Eigentümer dem Besitzer ein Besitzrecht einräumt.71 Dies hat vor allem zur Konsequenz, dass im Verhältnis der Mieter untereinander § 278 Satz 1 keine Anwendung findet und es bei der Regelung des § 831 Abs. 1 Satz 1 bleibt. 2. Überblick über das mietvertragliche Gewährleistungsrecht 832

Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat das Leistungsstörungsrecht der Miete nicht an die Systemvorgaben im Kauf- und Werkvertragsrecht angepasst. Deshalb tritt im Fall der Schlechtleistung an die Stelle der §§ 275ff. ein eigenes Leistungsstörungsrecht, bei dem die verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters nach § 536a Abs. 1 erster Fall besonders heraussticht. Tritt ein Mangel der Mietsache auf (§ 536 Abs. 1 Satz 1), führt dies zunächst kraft Gesetzes zu einer Aufhebung oder Minderung der Miete (§ 536 Abs. 1 Satz 1 und 2). Gleichzeitig zwingt § 536c Abs. 1 Satz 1 den Mieter zur Anzeige des Mangels gegenüber dem Vermieter. Unterbleibt die Mängelanzeige, verliert der Mieter nach § 536c Abs. 2 Satz 2 seine Ersatzansprüche insoweit, als der Vermieter den Mangel und seine Folgen bei rechtzeitiger Anzeige hätte beseitigen können. Dem Mieter stehen ansonsten drei sekundäre Rechtsbehelfe zu: Schadensersatz in den drei Fällen des § 536a Abs. 1, Aufwendungsersatz für die selbst vorgenommene Mängelbeseitigung nach § 536a Abs. 2 und Aufwendungsersatz nach Maßgabe des § 539 Abs. 1 und § 284.

71 Im Ergebnis ebenso BGH NJW 1969, 41; Medicus/Petersen BR Rn. 607; Larenz/Canaris II/ 2 § 76 II 4f.

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3. Die Minderung a) Überblick

Liegt ein Mangel der Mietsache vor, tritt nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 je nach Umfang eine vollständige (Satz 1) oder teilweise (Satz 2) Befreiung von der Miete kraft Gesetzes ein. Das für das Kaufrecht prägende Prinzip des Vorrangs der Nacherfüllung ist im Mietrecht ebenfalls verwirklicht: Durch die Mängelanzeige nach § 536c Abs. 1 (Rn. 840) muss der Mieter dem Vermieter Gelegenheit zur Mängelbeseitigung geben, will er nicht die für ihn günstigen Minderungsfolgen nach § 536c Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 einbüßen. Eine Besonderheit gegenüber dem Kaufrecht stellt die Erheblichkeitsschwelle des § 536 Abs. 1 Satz 3 dar. Nach dieser Norm bleibt eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit der Mietsache zum vertraglich vorausgesetzten Gebrauch außer Betracht. Die Rechtsprechung erklärt dies mit der Überlegung, dass die Geltendmachung kleinerer Mängel gegen Treu und Glauben (§ 242) verstoße.72 Systematisch dürfte sich die Schwelle aus dem sofortigen, gesetzlichen Eintritt der Minderungsfolgen erklären. Hilft der Vermieter nämlich auf eine Mängelanzeige zeitnah (innerhalb weniger Stunden) ab, kann dennoch der bereits eingetretene Gebrauchsnachteil des Mieters nicht mehr rückgängig gemacht werden. Um diesen soll aber kein Streit entstehen, wenn er nicht ins Gewicht fällt. Der Normzweck will daher, typisch für das Mietrecht (Rn. 805), Konfliktfelder zwischen den Parteien ausräumen. Deswegen entspricht die in § 536 Abs. 1 Satz 3 normierte Erheblichkeitsschwelle auch nicht § 323 Abs. 5 Satz 2, sondern schließt nur ganz geringe Beeinträchtigungen aus, etwa die Beeinträchtigung durch eine während der Sommermonate nicht funktionierende Heizung.73 Die Bestimmung der Höhe des nach § 536 Abs. 1 Satz 2 zu veranschlagenden Betrags ist aus Sicht des Mieters mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Zu welchem Bruchteil ein zugiges Fenster oder eine Geruchsbelästigung aus dem Badewannenabfluss den Wohnwert mindert, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Maßgeblich sind dabei die Schwere des Mangels sowie der Grad und die Dauer der Gebrauchsbeeinträchtigung,74 wobei die Bruttomiete ausschlaggebend ist.75 Dies wäre hinzunehmen, geriete der Mieter nicht allzu leicht in ein Pflichtendilemma: Denn behält er auf der Grundlage des § 536 Abs. 1 Satz 2 einen zu geringen Betrag ein, droht ihm nach der Rechtsprechung des BGH ein Verlust weitergehender Ansprüche durch Verwirkung (Rn. 838). Macht er hingegen einen zu hohen Betrag geltend, schafft er bei schuldhaftem Verhalten einen Kündigungsgrund nach §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 573 Abs. 2 Nr. 1 (Zahlungsverzug) mit der Folge einer auf § 546 Abs. 1 gestützten 72 BGH NJW-RR 2004, 1450, 1451; kritisch Looschelders, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 141, 143. 73 BGH NJW 2011, 514. 74 OLG Dresden NZM 2002, 165; Lögering NZM 2010, 113. 75 BGHZ 163, 1 = NJW 2005, 466.

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Räumungsklage. Hier schützt vor allem die Zahlung der Miete unter Vorbehalt iSd. § 814 (Rn. 1003). Kommt es schließlich bedingt durch die Minderung zu Überzahlungen, steht dem Mieter ein Rückforderungsrecht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) bzw. Satz 2 erster Fall (Condictio ob causam finitam) zu. Darin liegt ein Unterschied zu den §§ 441 Abs. 4, 638 Abs. 4, die einen eigenen vertraglichen Rückabwicklungsanspruch über § 346 Abs. 1 begründen. Das Mietrecht kennt jedoch in § 556b Abs. 2 Satz 1 eine auf das Bereicherungsrecht verweisende Sonderregelung.76 Für den Mieter hat die Anwendung des § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall den Nachteil, dass der Vermieter sich auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 berufen kann. Die Kondiktion des Mieters ist ferner ausgeschlossen, wenn der Mieter den Mangel bei Abschluss des Vertrages kennt (§ 536b Satz 1). Tritt der Mangel erst später auf und ist er dem Mieter bekannt, greift bei einer vorbehaltlosen Zahlung der Miete die Kondiktionssperre des § 814, weil der Mieter mit dem Mangel auch die Rechtsgrundlosigkeit kennt (vgl. auch Rn. 1003). Energiepolitische Zwecke verfolgt § 536 Abs. 1a, der die Minderung für die Dauer von drei Monaten ausschließt, wenn der Vermieter eine energetische Modernisierung nach § 555b Nr. 1 vornimmt. Der Gesetzgeber der Mietrechtsreform 2013 will den Mieter auf diese Weise an den Kosten der sog. „energiepolitischen Wende“ beteiligen.77 Problematisch ist, in welchem Umfang zu mindern ist, wenn der Vermieter sowohl aus energetischen, als auch aus sonstigen Gründen modernisiert. Hier kommt nach hM. eine anteilige Minderung in Betracht.78 b) Ausschluss des Minderungsrechts wegen Verwirkung

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Nach einer nicht unproblematischen, teilweise revidierten BGH-Rechtsprechung droht dem Mieter die Verwirkung seiner aus § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 entstehenden Rechte, wenn er die Miete trotz eines Mangels vorbehaltlos zahlt. (BGH 16.7.2003 – VIII ZR 274/02 = BGHZ 155, 380 = NJW 2003, 2601) M hat von V eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus gemietet. Er zeigt V Ruhestörungen an, die ein weiterer Mieter in diesem Haus ständig verursacht. Zunächst behält er deshalb 35 € von seiner Miete im Zeitraum von Juli 1997 bis März 1998 ein, zahlt diesen Betrag jedoch auf Aufforderung des V „unter Vorbehalt“ nach. Als die Ruhestörungen nicht enden, behält M einen Betrag iHv. 45 € ein. V verlangt Zahlung der vollen Miete, weil M sein Minderungsrecht eingebüßt habe. Der Anspruch des V aus § 535 Abs. 2 könnte nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 gemindert sein. In der durch einen weiteren Mieter verursachten Ruhestörung liegt ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1. Denn unter den Mangelbegriff fallen sämtliche Gebrauchsbeeinträchtigungen, sofern sie nicht gerade aus dem Verantwortungsbereich des Mieters resultieren Vgl. bereits BGHZ 127, 245, 252f.; Staudinger/Weitemeyer § 556b Rn. 6. BR-Drucks. 313/12, S. 3f. Staudinger/Emmerich § 536 Rn. 10c; Hinz NZM 2013, 209, 213f.; vgl. auch Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536 Rn. 67. 76 77 78

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(dazu Rn. 845f.). Fraglich ist allerdings, ob M das Minderungsrecht nicht durch Entrichtung der Miete verwirkt hat.

Vor der Mietrechtsreform von 2001 entsprach es der Rechtsprechung des BGH zu § 536b (damals § 539 BGB aF.), dass der Mieter bei vorbehaltloser Zahlung über einen Zeitraum von sechs Monaten sein Minderungsrecht automatisch verlor.79 Durch diese an § 548 Abs. 1 erinnernde Frist sollte dem Streit der Parteien um einen Mangel und dessen Folgen enge Grenzen gesetzt werden (Rn. 805). Die Kritik hatte immer schon auf ein systematisches Gegenargument aus § 536c Abs. 2 Satz 2 hingewiesen. Der Mieter büße seine Gewährleistungsrechte für die nach Vertragsschluss eintretenden Mängel allein bei unterlassener Mängelanzeige, nicht aber aus sonstigen Gründen ein; die Norm regele den Rechtsverlust damit abschließend.80 Der Gesetzgeber der Mietrechtsreform 2001 hatte das Problem ebenfalls gesehen und schloss sich dieser Kritik in der Begründung des Regierungsentwurfs an. Er verwies dabei auf die allgemeinen Verwirkungsvoraussetzungen des § 242, die nur in Betracht kämen, wenn über einen sehr langen Zeitraum die volle Miete in Kenntnis des Mangels gezahlt wurde.81 Eine Regelung der Frage ist indes unterblieben. In der vorliegenden Entscheidung gibt nun auch der BGH seine alte Rechtsprechung auf. Er stellt nicht mehr starr auf die Sechsmonatsfrist ab und wendet auch § 536b nicht mehr an (S. 2602f.). Der Mieter verliert das Minderungsrecht daher nur noch unter den allgemeinen Voraussetzungen eines Verzichts (§ 397) oder der Verwirkung (§ 242) (S. 2603). Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung, bei dem der Rechtsinhaber gegenüber dem Schuldner einen Vertrauenstatbestand dahingehend setzt, ein ihm zustehendes Recht nicht auszuüben.82 Aus Sicht des BGH kann die Verwirkung nicht allein auf dem Fortlaufen eines Dauerauftrags über die Miete gründen (S. 2603), sondern bedarf wohl der darüber hinausgehenden, aktiven Setzung eines Vertrauenstatbestandes oder einer gewissen Dauerhaftigkeit der unveränderten Entrichtung der Miete. Allgemeine Schranken für eine Verwirkung könnten sich allerdings aus dem Verschlechterungsverbot des § 536 Abs. 4 ergeben: Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum darf danach vertraglich nicht zum Nachteil des Mieters von den übrigen Regelungen des § 536 abgewichen werden. Nach einer Auffassung ist die Norm nicht auf die Vertrauenshaftung anwendbar.83 Der Dogmatik des Vertrauensschutzes entspricht indes die Überlegung, dass eine Person durch Setzung eines Vertrauenstatbestandes (Wissenserklärung) nicht mehr verlieren kann als durch ein Rechtsgeschäft (Willenserklärung; Übersicht bei BGHZ 155, 380 = NJW 2003, 2601. Wichert ZMR 2000, 65. RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 41. In BGH NJW-RR 1992, 267 war gerade dies der Fall gewesen. 82 Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 223; Lehmann-Richter, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 134, 135; Piekenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung und Verwirkung, 2006, S. 155ff. 83 Lehmann-Richter, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 134, 140. 79 80 81

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vgl. auch Rn. 419).84 Unabhängig davon schützt sich der Mieter am wirksamsten vor den Rechtsfolgen einer Verwirkung, indem er die Miete unter Vorbehalt weiterzahlt.85 Damit wendet er zugleich die Kondiktionssperre des § 814 ab (Rn. 1003).86 § 536b erinnert in Satz 1 und 2 an den gesetzlichen Haftungsausschluss nach § 442 Abs. 1.87 Liegt danach ein Mangel bei Vertragsschluss vor, stehen dem Mieter die Rechte aus §§ 536 bis 536a bei Mangelkenntnis nicht zu (Satz 1). Dasselbe gilt bei grob fahrlässiger Unkenntnis, wobei eine Rückausnahme für den Fall des arglistigen Verschweigens durch den Vermieter besteht (Satz 2). Eine eigene Regelung beinhaltet Satz 3: Nimmt der Mieter nämlich eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, kann er die Rechte aus den §§ 536 und 536a nur geltend machen, wenn er sie sich bei der Annahme vorbehält. Dies erinnert an den Fall des § 640 Abs. 3. Durch das Zusammenspiel der §§ 536b, 536c tritt eine Zäsur im Mängelhaftungsrecht ein: In Bezug auf Mängel bei Vertragsschluss führt Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis beim Mieter zum Rechtsverlust, wenn die Rechte nicht vorbehalten werden (§ 536b Satz 3). Bei nachträglich bekannt werdenden bzw. auftretenden Mängeln ist hingegen die Mängelanzeige nach § 536c für den Rechtserhalt erforderlich: (BGH 5.11.2014 – XII ZR 15/12 = BGHZ 203, 148 = NJW 2015, 402) M hat von V Geschäftsräume über eine Laufzeit von 10 Jahren gemietet, in denen er eine Arztpraxis betreibt. Während dieser Zeit zeigen sich Mängel in der Raumlufttechnik, die M anzeigt, V aber nicht behebt. Nach Ablauf der 10 Jahre übt M eine Verlängerungsoption des Vertrages um weitere 5 Jahre aus, behält sich aber die Rechte wegen der Mängel nicht vor. Der Vertrag kommt danach über weitere 5 Jahre zustande. M mindert jetzt die Miete; V beruft sich demgegenüber auf § 536b Satz 1. Fraglich ist, ob die Rechte des M aus § 536 Abs. 1 Satz 1 nach § 536b Satz 2 ausgeschlossen sind.

Das Problem des Falles liegt darin, dass dem Mieter der Mangel bei Ausübung der Verlängerungsoption bekannt ist. § 536b Satz 1 wäre anwendbar, wenn in der Ausübung der Option ein Vertragsschluss iSd. Norm läge. Der BGH verneint dies und stellt auf die Funktion der §§ 536b, 536c ab, eine Zäsur zwischen den beiden Phasen der Mängelhaftung zu ziehen (Tz. 17). Danach liegt kein Mangel bei (erstmaligem) Vertragsschluss iSd. § 536b Satz 1 vor, sondern ein später auftretender Mangel, also ein Fall des § 536c (Tz. 37). Die Option sieht das Gericht dabei als ein von Beginn an eingeräumtes Gestaltungsrecht an, dessen Ausübung lediglich zur Folge habe, dass der Mietvertrag mit demselben Inhalt fortgeführt wird (Tz. 21). Die Nichtanwendung des § 536b Satz 1 ent84 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 6 Rn. 23; Oechsler, in: FS Canaris, Bd. 1, 2007, S. 925, 939f. 85 Wetekamp, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 151, 152. 86 BGHZ 179, 137 = NJW 2009, 363; zweifelnd Lögering NZM 2010, 113, 114. 87 BGH NJW 2015, 402, Tz. 29; Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, Bd. 2, 1899, S. 126f. und 201.

III. Die Mieterrechte

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spricht dem Normzweck: Wer trotz Mangelkenntnis vorbehaltlos anmietet, gibt zu erkennen, dass der vertragsgemäße Gebrauch (§ 536 Abs. 1 Satz 1) nicht über die bekannten Gebrauchsbeeinträchtigungen der Mietsache hinausgehen soll. Die Norm wurzelt nicht ohne Grund historisch im Rechtsverzicht (Tz. 29). Vorliegend hat der Mieter den Mangel jedoch bereits beim Vermieter angezeigt. Mit der Ausübung der Verlängerungsoption schafft er keine davon abweichende Vertrauensgrundlage (Tz. 30, 34). c) Schutz vor Missbrauch des Minderungsrechts und vor Beschränkung bei der Geschäftsraummiete

Im Rahmen der Geschäftsraummiete (§ 578 Abs. 2) lässt der BGH eine Modifikation bzw. Beschränkung des Minderungsrechts wegen der besonderen Interessenlage und zur Verhinderung von Missbräuchen zu: (BGH 23.4.2008 – XII ZR 62/06 = BGHZ 176, 191 = NJW 2008, 2497) M mietete von V Räume zum Betrieb eines Therapiezentrums. Später begannen auf dem Nachbargrundstück Bauarbeiten, die mit erheblichen Lärm- und Erschütterungsbelastungen verbunden waren. M minderte daraufhin die Miete während der Bauzeit. V verweist hingegen auf eine Klausel in den von ihm gestellten AGB. Diese lautet: „Eine Minderung der Miete ist ausgeschlossen, wenn durch Umstände, die der Vermieter nicht zu vertreten hat, die gewerbliche Nutzung der Räume beeinträchtigt wird.“ M fragt, ob er die Miete mindern kann. In Betracht kommt eine Minderung der Miete nach § 536 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall. Die Lärm- und Erschütterungsbelastungen bedeuten eine erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung und damit einen Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1. Fraglich ist allerdings, ob das Minderungsrecht nicht durch die AGB-Klausel ausgeschlossen ist.

Der BGH hält die vom Vermieter gestellte Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 für unwirksam. Denn diese schließe bei ungünstigster Auslegung das Minderungsrecht ganz aus (Tz. 20). Allerdings anerkennt der BGH ein berechtigtes Interesse des Vermieters an einem pünktlichen und vollständigen monatlichen Mieteingang, weil sich der Vermieter selbst bei der Bewirtschaftung der Räume finanzieren muss. Behält der Mieter die Miete jedoch von vornherein ein, entsteht für den Vermieter eine Deckungslücke bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung. Davor darf er sich schützen (Tz. 19). Deshalb erlaubt der BGH eine Beschränkung der Minderung, die den Mieter zur sofortigen Entrichtung der Miete verpflichtet und ihn im Hinblick auf eine mangelbedingte Überzahlung auf einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) verweist. Die Kritik wendet ein, dass der Vermieter die Miete durch die Gebrauchsgewährung an einem volltauglichen Objekt erst verdienen müsse und dass die Liquiditätsinteressen des Mieters deutlich zurückgestellt würden. Ferner sei die Vorauszahlung des Mieters nicht insolvenzgesichert.88 Diese Einwände überzeugen beim Vergleich der gegenseitigen Interessen nicht: Dass der Vermieter einer Gewerbeimmobilie auf eine gewisse Stetigkeit der Mieteinnahmen angewiesen ist, liegt wegen seiner eigenen Belas88

M. Schwab, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 65, 66ff.

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tungen (Steuervorauszahlungen, Abgaben, Investitionen in die Immobilie usw.) auf der Hand. Liquiditätsinteressen des Mieters stehen dem nicht entgegen, denn dieser hat redlicherweise bereits in Höhe der Miete disponiert; dass die Miete im Einzelfall wegen eines Mangels nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 herabgesetzt ist, beinhaltet daher eher einen unerwarteten Liquiditätszufluss. Das Argument der fehlenden Insolvenzsicherung der Vorauszahlung wiegt allerdings nicht leicht. Nur steht dem die Überlegung gegenüber, dass die Vorauszahlungspflicht des Mieters typische Konflikte im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter vermeiden hilft, die sich aus dem Vorschützen von Mängeln durch den Mieter bei eigenem Liquiditätsengpass ergeben können: Dann trägt nämlich der Vermieter das Insolvenzrisiko des Mieters bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Fälligkeit der Miete in voller Höhe. Die Parallelfrage bei der Wohnraummiete ist Teil des Problemkomplexes „Mietnomadentum“: Beispiel Mieter M hatte eigentlich nie ernstlich die Absicht, Miete zu zahlen. Als V ihm daher nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a wegen Verzugs mit den Mietraten kündigt, behauptet M, die gemietete Wohnung sei schlecht isoliert und es komme daher zur Schimmelbildung.89 Bis darüber durch das Gericht auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens entschieden ist, lebt M kostenfrei in der Wohnung; denn die dann aufgelaufene Miete wird er voraussichtlich nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können.

Die Übertragung der Rechtsprechung zur Geschäftsraummiete scheitert hier am Verschlechterungsverbot des § 536 Abs. 4. Verlangt der Vermieter Räumung wegen Zahlungsverzugs des Mieters, kann das Prozessgericht unter den Voraussetzungen des § 283a Abs. 1 ZPO vom Mieter Sicherheit in Höhe der ab Klageerhebung fällig werdenden Miete verlangen (etwa durch Einzahlung auf ein Sonderkonto). Dieser Betrag kann später an den Vermieter im Falle des Obsiegens ausgekehrt werden (§ 283a Abs. 3 ZPO). Erbringt der Mieter diese Sicherheitsleistung dagegen nicht, kann die Räumung der Wohnung im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 940a Abs. 3 ZPO angeordnet werden. § 283a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO setzt allerdings voraus, dass die Klage in der Hauptsache hohe Aussicht auf Erfolg hat. Dies übersteigt idR. die Erkenntnismöglichkeiten einer summarischen Prüfung im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz. Hinzu kommt, dass Nr. 2 der Norm eine Abwägung der Interessen verlangt, bei der der Bestandsschutz des Mieters deutlich ins Gewicht fällt. Wegen dieser hohen Anforderungen spielt die Norm in der Praxis bislang keine große Rolle.90

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Vgl. dazu jetzt auch BGH NJW 2012, 2882. OLG Celle NJW 2013, 3316; LG Berlin NJW 2014, 1188; Börstinghaus NJW 2013, 3265ff.

III. Die Mieterrechte

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d) Der Mangel als Voraussetzung der Minderung aa) Sachmängel

Auch im Mietrecht gilt der subjektive Mangelbegriff auf der Grundlage des § 536 Abs. 1 Satz 1. Die Norm setzt in ihrer ersten Alternative voraus, dass die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel haben muss, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt. Der vertragsgemäße Gebrauch ergibt sich dabei aus den Vereinbarungen der Parteien im Mietvertrag (vgl. vor allem § 536 Abs. 2), aber auch aus dem, was ein objektiver Beobachter in der Position des Mieters auf der Grundlage des § 535 Abs. 1 Satz 2 vom Vermieter im Hinblick auf die Gebrauchstauglichkeit erwarten kann. § 536 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall spiegelt dabei die besondere Interessenlage eines Dauerschuldverhältnisses wider. Denn ein solcher Mangel kann auch während der Mietzeit, also nach Übergabe der Mietsache, entstehen: (BGH 15.10.2008 – XII ZR 1/07 = NJW 2009, 664) M hat durch Vertrag vom 18.12.2003 von V im 6. Obergeschoss eines 13-stöckigen Bürohochhauses Räume zum Betrieb einer radiologischen Praxis gemietet. Seit März 2005 mindert er die Miete. Als Grund nennt er einen seit Vertragsschluss sprunghaft gestiegenen Publikumsverkehr im Gebäude. Ursprünglich war der Zugang zum Büroturm durch ein Codekartensystem gesichert, sodass nur den Besitzern dieser Codekarte bzw. gemeldeten Besuchern der Zugang möglich gewesen war. Nachdem aber die Arbeitsgemeinschaft der Bundesagentur für Arbeit des Landkreises Heilbronn nebst Drogenberatungsstelle und Schuldnerberatung im Januar 2005 Räume im Büroturm gemietet hätten, stehe der Eingang werktäglich von 8–12 Uhr offen, sodass ein außerordentlich hohes Publikumsaufkommen zu verzeichnen sei. Dabei sei etwa der Spiegel innerhalb des Hauptaufzugs beschädigt worden. V weist darauf hin, dass er im Eingangsbereich Sicherheitspersonal beschäftige. M fragt, ob die Miete gemindert sei. Die Minderung des Anspruchs aus § 535 Abs. 2 nach § 536 Abs. 1 Satz 2 setzt einen Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 voraus.

Der BGH konkretisiert hier die Sollbeschaffenheit nach ihrer Eignung für den vertragsgemäßen Gebrauch (Tz. 17). Dabei soll die abstrakte Gefahr des Eindringens Unbefugter noch nicht genügen, soweit der Betrieb der Praxis des Mieters störungsfrei aufrechterhalten werden kann (Tz. 21). Auch sei es nicht zwingend, dass die Zerstörung des Aufzugspiegels durch einen Unbefugten erfolgt sei (Tz. 22). Diese Betrachtungsweise überzeugt: Für den Mieter stellen die Öffnung des Gebäudes und die Anziehung von teilweise nicht unproblematischem Publikum sicherlich eine Belästigung und auch ein Imageproblem gegenüber den eigenen Patienten dar. Aus Sicht seiner Patienten sinkt der von der baulichen Anlage ausgehende Eindruck der Exklusivität, der zuvor bestand. Interessen dieser Art sind jedoch regelmäßig nicht kapitalisierbar (arg. e § 253 Abs. 1). Solange deshalb der Zugang des Mieters und seiner Geschäftspartner zu den Praxisräumen nicht gehindert ist und der Betrieb dort ungestört möglich bleibt, ist die Grenze zu der in § 536 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzten Gebrauchsbeeinträchtigung noch nicht überschritten. Dafür spricht auch die Erheblichkeitsschwelle des § 536 Abs. 1 Satz 3. Schließlich hat der Mieter gegenüber dem

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Vermieter auch keinen Anspruch auf eine bestimmte Art von Nebenmietern. Eine Ausnahme bildet hier nur der Konkurrenzschutz (Rn. 820ff.). Vorliegend kam daher eine Minderung der Miete nicht in Betracht.

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Nach § 536 Abs. 1 Satz 1 bedeutet grundsätzlich jede Gebrauchsbeeinträchtigung für den Mieter einen Mangel. Der Mieter muss dabei in der Mängelanzeige nach § 536c Abs. 1 Satz 1 gegenüber dem Vermieter lediglich die konkrete Gebrauchsbeeinträchtigung substantiieren, nicht aber deren Ursache.91 Auf ein Vertretenmüssen des Vermieters kommt es für den Mangel nicht an. Dennoch endet die Verantwortung des Vermieters dort, wo die Gebrauchsbeeinträchtigung allein auf ein Vertretenmüssen des Mieters zurückgeht. Über diesen Fall hinaus liegt ein Mangel auch nicht vor, wenn eine vom Mieter bewusst getroffene, rechtmäßige Entscheidung den Gebrauch beeinträchtigt: (BGH 15.12.2010 – VIII ZR 113/10 = NJW-RR 2011, 515) M hat eine Wohnung von V gemietet und wird durch das Energieversorgungsunternehmen E über einen von diesem eingerichteten Anschluss mit Strom beliefert. Wegen Zahlungsrückständen des M legte E den Anschluss vorübergehend still. Nachdem M die Rückstände ausgeglichen hatte, aktivierte E den Anschluss wieder, verlangte aber von M rund 90 € an Kostenersatz für die Sperrung und Entsperrung. Weil M diese verweigerte, sperrte E den Anschluss erneut und baute den Zähler gleich ganz aus. So war die Wohnung des M in den Monaten von Oktober 2008 bis Mai 2009 ohne Strom, was M dazu veranlasste, die Miete als Folge einer vermeintlichen Minderung um 50% zu kürzen. Durch Entscheidung der Bundesnetzagentur wurden die zweite Sperre durch E und der Ausbau des Zählers im Mai 2008 für rechtswidrig erklärt. V aber kündigte den Mietvertrag gegenüber M im Mai wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b und verlangt nun Räumung. Der Räumungsanspruch des V gegen M aus § 546 Abs. 1 setzt eine wirksame Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b voraus. Fraglich ist, ob M mit der Miete in Verzug geraten ist. Dies ist nicht der Fall, wenn M nach § 536 Abs. 1 Satz 2 nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten hatte. Voraussetzung ist ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1.

Der BGH verneint einen Mangel und bejaht den Räumungsanspruch. Grundsätzlich begründe die mit einer Unterbrechung der Stromversorgung verbundene Funktionsbeeinträchtigung zwar einen Mangel der Wohnung, doch sei eine Minderung ausgeschlossen, wenn der Mangel in der „Sphäre des Mieters“ liege (Tz. 18).92 Die Kosten für die Sperrung und Entsperrung rührten ausschließlich aus dem Strombelieferungsverhältnis des Mieters zum Energieversorger (Tz. 19). Die Entscheidung wirft die allgemeine Frage auf, welche Verursachungsbeiträge des Mieters zur Gebrauchsbeeinträchtigung der Entstehung eines Mangels iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehen. Hier liegt zunächst der Rechtsgedanke des § 326 Abs. 2 Satz 1 erster Fall nahe: Danach bleibt der Gläubiger trotz Unmöglichkeit der Leistung zur Gegenleistung verBGH NJW 2012, 382: Fäkalgerüche im Treppenhaus; vgl. auch BGH NJW 2012, 1647. So im Ergebnis bereits vor der Entscheidung und auch jetzt MünchKomm/Häublein § 536 Rn. 32. 91 92

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pflichtet, wenn er die Unmöglichkeit zu vertreten hat.93 Dieser Rechtsgedanke passt vorliegend jedoch ausnahmsweise nicht, weil das Mieterverhalten gegenüber dem Energieversorger rechtmäßig war und der Mieter daher die Gebrauchsbeeinträchtigung nicht iSd. § 276 Abs. 1 zu vertreten hatte. Deshalb liegt auch der Vergleich zum Annahmeverzug nach § 326 Abs. 2 Satz 1 zweiter Fall94 fern. Die vom BGH angedeutete und über ein Vertretenmüssen hinausgehende Sphärentheorie überzeugt ebenfalls nicht, da sie ein vorrechtliches Bild (räumliche Nähe) an die Stelle einer rechtlichen Wertung treten lässt (ausführlicher Rn. 1165). Dass Nähekriterien hier versagen, zeigt sich bereits daran, dass der Energieversorger regelmäßig auch Vertragspartner des Vermieters ist, diesem also genauso „nahesteht“ wie dem Mieter.95 Vorliegend erscheint eher der Rechtsgedanke aus § 537 Abs. 1 Satz 1 berührt. Denn grundsätzlich wird der Mieter nicht von der Entrichtung der Miete dadurch befreit, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert wird. Vorliegend besteht der in der Person des Mieters liegende Grund in der vom Mieter getroffenen Entscheidung, die Auseinandersetzung mit dem Versorger durch Nichtzahlung der geforderten Sperr- und Entsperrungsgebühr zu führen. Eine Alternative hätte darin bestanden, zunächst unter Vorbehalt zu zahlen und die Leistung anschließend wieder zu kondizieren. Dann wäre die zweite Sperre durch den Versorger verhindert worden. Auf der Grundlage des Prinzips von Treu und Glauben (§ 242) wird man ergänzen müssen, dass der Mieter diese Auseinandersetzung nicht auf Kosten des Vermieters nach § 536 Abs. 1 Satz 2 führen darf. Es bedeutet daher einen gegen Treu und Glauben (§ 242) verstoßenden Selbstwiderspruch, wenn er die Folgen seiner Auseinandersetzung mit dem Energieversorger nicht selbst tragen, sondern auf den Vermieter nach § 536 Abs. 1 Satz 2 abwälzen will. Über den Fall hinaus dürften deshalb die Voraussetzungen eines Mangels aus einem allgemeinen, aus § 537 Abs. 1 Satz 1 folgenden Rechtsgedanken heraus regelmäßig dann nicht vorliegen, wenn die Gebrauchsbeeinträchtigung auf eine freie Entscheidung des Mieters über den Umgang mit der Mietsache zurückgeht – gleichgültig, ob diese rechtmäßig oder unrechtmäßig ist. Im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 dann vorliegt, wenn unklar ist, ob eine Gebrauchsbeeinträchtigung auf die Beschaffenheit der Mietsache oder ein Verhalten des Mieters zurückgeht. (BGH 28.5.2008 – VIII ZR 271/07 = NJW 2008, 2432 – Fogging) Mieterin M hat Vermieter V auf Schwarzstaubablagerungen (Fogging) in der gemieteten Wohnung aufmerksam gemacht, die sich im Winter auf sämtlichen Decken der Wohnung ausbreiteten. Zwischen den Beteiligten ist unklar, worin die Ursache der Ablagerungen liegt. Naheliegende Gründe wie ein von M vorgenommener Anstrich oder der von ihr verlegte Teppichboden scheiden aus. M setzt V eine Frist zur Beseitigung der Ablagerungen, die dieser verstreichen lässt. Darauf

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Maultzsch JZ 2011, 429. AA. Maultzsch JZ 2011, 429, 431f. Maultzsch JZ 2011, 429, 432.

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verlangt sie von V einen Vorschuss auf die von einem Drittunternehmen veranschlagten Mängelbeseitigungskosten. Zu Recht? Der Anspruch aus § 536a Abs. 2, der in entsprechender Anwendung des § 669 auch auf Vorschuss gerichtet ist, setzt einen Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 voraus.

Der BGH orientiert sich am Wortlaut des § 536 Abs. 1 Satz 1. Ein Mangel liegt danach in jeder Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache. Dazu zählt auch die Staubablagerung. Erforderlich ist lediglich, dass der Mieter diese nicht zu vertreten hat, wobei Gebrauchsspuren in den Grenzen des § 538 keine Berücksichtigung finden (Tz. 9). Vorliegend aber scheide auch in Anbetracht des neuen Anstrichs und der Verlegung des Teppichs eine über den bloßen Gebrauch nach § 538 hinausgehende Einwirkung auf die Wohnung von Seiten des Mieters aus, und deswegen liege ein Mangel vor, mit dessen Beseitigung der Vermieter in Verzug geraten sei (Tz. 9). Die Praxis geht in diesem Zusammenhang häufig von einer Beweislastverteilung nach Verantwortungs- bzw. Gefahrenbereichen (Tz. 7 und 9) aus. Dies erscheint nicht restlos überzeugend.96 Denn nach dem Wortlaut des § 536 Abs. 1 Satz 1, der keine Einschränkung kennt, liegt ein Mangel in einer nachträglich auftretenden Gebrauchsbeeinträchtigung. Deshalb trägt der Vermieter die Beweislast, dass die Beeinträchtigung ausnahmsweise auf einen über § 538 hinausgehenden Umgang des Mieters mit der Mietsache zurückgeht. Der Mieter trägt im Einzelfall höchstens eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast (Rn. 1147), wenn mögliche Ursachen aus seinem Lebensbereich stammen und der Vermieter über diese keinen Beweis führen kann. Weil V die Verdachtsmomente für eine ihm zuzurechnende Ursachensetzung nicht ausräumen kann, liegt im Zweifel ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 erster Fall vor. Durch Verstreichenlassen der von M gesetzten Frist ist V daher nach § 286 Abs. 1 Satz 1 in Verzug geraten. Der Anspruch aus § 536a Abs. 2 ist damit entstanden.

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Für die in § 536 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte Sollbeschaffenheit sind die zugesicherten Eigenschaften iSd. § 536 Abs. 2 maßgeblich. Die Zusicherung entfaltet eine Doppelfunktion (Näheres unten Rn. 857). Hier interessiert, dass sie vor allem auch als Beschaffenheitsvereinbarung bei der Konkretisierung des Mangelbegriffs fungiert. Ein praktisches Beispiel für eine Abweichung der tatsächlichen Beschaffenheit der Wohnung von der vereinbarten stellt der Fall dar, dass die vermietete Wohnfläche nicht der im Mietvertrag bezeichneten entspricht. Das latent konfliktträchtige Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter (vgl. Rn. 805) entzündet sich häufig gerade an dieser Frage97 und hat eine komplizierte Rechtslage entstehen lassen. Zunächst regelt die Wohnflächenverordnung vom 25.11.2003,98 welche Flächen überhaupt eingerechnet werden dürfen und müssen bzw. welche nicht: Nach § 2 Abs. 2 ist etwa die Fläche eines Schwimmbades einzubeziehen, nach Abs. 3 der Norm die Fläche eines Kellerraums nicht. Nach § 3 Abs. 2 ist auch die Fläche der Tür- und Fensterrahmen 96 97 98

Dazu und zum Folgenden Gsell NZM 2010, 71, 78. Vgl. zunächst nur BGH NJW 2010, 1064; BGH NJW 2009, 3421; BGH NJW 2009, 2297. BGBl. 2003 I, S. 2346.

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mit einzurechnen usw. Wegen der hohen rechtlichen und technischen Anforderungen der Berechnung sind falsche Größenangaben regelmäßig Anlass zum Streit.99 Der BGH bemüht sich, diesen Konflikt auf verschiedene Weise einzudämmen. So sieht er etwa nur Abweichungen ab einer Größenordnung von 10% überhaupt als relevant an.100 So eröffnet er dem Vermieter weitreichende Möglichkeiten, einerseits mit der Wohnfläche zu werben, andererseits aber nicht für diese einzustehen. Dies ist nicht unproblematisch: (BGH 10.11.2010 – VIII ZR 306/09 = NJW 2011, 220) In dem zwischen M und V abgeschlossenen Wohnraummietvertrag wird die Wohnfläche mit 54,78 m2 angegeben. Gleichzeitig heißt es im Vertrag, dass diese Angabe möglicherweise auf Messfehlern beruhe und „nicht zur Festlegung des Mietgegenstands“ diene. Nachträglich stellt sich heraus, dass die Wohnfläche 41,53 m2 beträgt. M mindert daher die Miete iHv. 24%. Zu Recht?

Der BGH verneint den Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung über die Wohnfläche, da die Größenangabe nicht der Festlegung des Mietgegenstandes gedient habe (Tz. 15 und 17) und deshalb nicht als Beschaffenheit vereinbart worden sei (Tz. 17). Eine Minderung wird entsprechend abgelehnt. Vergleicht man diese Rechtsprechung etwa mit derjenigen zum Abschluss von Beschaffenheitsvereinbarungen im Gebrauchtwagenhandel (Rn. 108; vgl. aber auch Rn. 472), bleiben Zweifel, ob bei der Anwendung des § 157 einheitliche Maßstäbe angelegt werden. Denn Angaben des Vermieters über die Wohnfläche besitzen für den Mieter stets eine hohe wirtschaftliche Bedeutung. Die Wohnungen werden ja abhängig von der Wohnfläche in unterschiedliche Kategorien eingeteilt; die Höhe der Miete und der Betriebskosten orientiert sich gerade auch an der Wohnungsgröße. Der Vermieter kann daher kaum „unverbindliche“ Aussagen in diesem Punkt treffen. Bedenken begegnet daher auch das Argument, dass die Klausel „nicht zur Festlegung des Mietgegenstandes“ gedacht sei. Darin liegt eigentlich ein nach § 536 Abs. 4 unzulässiger Haftungsausschluss.101 Im Schrifttum ist auch die Frage erwogen worden, ob der Vermieter nicht aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) haftet, wenn seine Angabe nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung ist.102 Näher liegt die Anwendbarkeit des § 313 Abs. 2 (Wegfall der Geschäftsgrundlage bei beiderseitigem Motivirrtum), wenn man die Voraussetzungen eines Mangels verneint. Denn sowohl Vermieter als auch Mieter gehen hier von einer anderen Wohnfläche aus. Ist die Größenabweichung aber iSd. vorgestellten Rechtsprechung erheblich, muss eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 in Betracht kommen, die Miete also ebenso wie die Betriebskosten herabgesetzt werden (vgl. auch die Parallele zum Kaufrecht Rn. 480ff.). Das Interesse an einer Konfliktvermeidung allein rechtfertigt es nicht, dem Vermieter 99 Vgl. Darstellung bei Börstinghaus NZM 2011, 101, 109f.; Dittert, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 125ff. 100 BGH NJW 2011, 220, Tz. 14, BGH NJW 2010, 1745, Tz. 8. 101 Weller JZ 2011, 589, 591. 102 So bereits Weller JZ 2011, 589, 590f.

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Angaben in diesem kritischen Punkt zu erlauben, ohne dass bei deren Unrichtigkeit Haftungsfolgen drohen. Liegt keine Beschaffenheitsvereinbarung vor, schuldet der Vermieter die Gebrauchsüberlassung einer Mietsache von normaler Beschaffenheit. Diese konkretisiert sich nach dem, was ein objektiver Beobachter in der Position des Mieters im Hinblick auf die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache erwarten darf.103 Eine Parallele zum Fall des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 liegt dabei nahe. Die geschuldete Beschaffenheit hängt danach ua. vom erkennbaren Alter der Immobilie, in Grenzen aber auch von der Miethöhe ab. Eine Heizungsanlage muss danach dem bei Errichtung des Gebäudes üblichen Standard, nicht aber dem bei Abschluss des Mietvertrags üblichen entsprechen.104 Soll eine im Mietvertrag getroffene Beschaffenheitsvereinbarung eine Sollbeschaffenheit unterhalb der üblichen Normalbeschaffenheit konkretisieren, muss sie so bestimmt sein, dass der Mieter genau erkennen kann, worauf er sich einlässt: (BGH 10.2.2010 – VIII ZR 343/08 = NJW-RR 2010, 737) M hat von V eine Wohnung in einem sanierten Altbau angemietet. In den von V gestellten AGB heißt es: „Der Mieter ist berechtigt, in den Räumen Haushaltsmaschinen (zB. Wasch- und Geschirrspülmaschinen, Trockenautomaten) aufzustellen, wenn und soweit die Kapazität der vorhandenen Installationen ausreicht.“ M hält einen Teil der Monatsmiete zurück, weil die elektrische Spannung in der Wohnung so niedrig ist, dass er einen Staubsauger nicht betreiben kann, wenn die Waschmaschine läuft. V kündigt den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs und verlangt Räumung. Der Räumungsanspruch nach § 546 Abs. 1 besteht, wenn V wirksam nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a gekündigt hat. Dies setzt Verzug des Mieters mit einem nicht unerheblichen Teil der Miete in zwei aufeinanderfolgenden Terminen voraus. In Verzug gerät M mit der Miete wiederum nur, wenn diese in voller Höhe fällig war. Die Miete könnte jedoch nach § 536 Abs. 1 Satz 1 gemindert sein, was einen Mangel voraussetzt.

Der BGH bejaht einen Mangel der Wohnung und verneint daher einen Kündigungsgrund, weil der Mieter auch in einer modernisierten Altbauwohnung einen Anspruch auf einen Mindeststandard an Elektrizitätsversorgung habe. Dieser umfasse den Betrieb eines größeren Haushaltsgeräts (Waschmaschine) und gleichzeitig weiterer haushaltsüblicher Geräte (zB. Staubsauger, Tz. 33). Zwar könnten die Parteien eine andere Beschaffenheit der Mietwohnung vereinbaren. Diese Vereinbarung müsse jedoch „eindeutig“ sein (Tz. 34). Der hier verwendete Klauseltext sei viel zu unbestimmt, um erkennen zu lassen, dass die Beschaffenheit der Wohnung im Hinblick auf die Elektrizitätsversorgung unterhalb des Mindeststandards liege, und beeinflusse daher die Beschaffenheit nicht (Tz. 35). Die vom BGH zwingend vorausgesetzte Eindeutigkeit wird man wohl im Sinne einer Bestimmtheit der Vereinbarung verstehen müssen: Nur wenn für den Mieter klar ersichtlich ist, dass er sich auf einen niedrigeren Beschaffenheitsstandard einlässt, kommt eine solche Vereinbarung nach §§ 133, 157 wirksam zustande. Denn erst dann erkennt der Mieter, dass er nur eine un103 BGH NJW 2014, 685, Tz. 20. 104 BGH NJW 2014, 685, Tz. 20, 28; zuvor bereits BGH NJW 2013, 2417.

III. Die Mieterrechte

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terdurchschnittlich ausgestattete Wohnung erwarten darf und hat Anlass, mit dem Vermieter über eine entsprechend geringere Miethöhe zu verhandeln. Umgekehrt dürfte bei Vereinbarung der ortsüblichen Miete daher nach §§ 133, 157 der vom BGH konkretisierte Mindeststandard vereinbart sein. Entgegenstehende Bestimmungen in den AGB des Vermieters scheitern in einem solchen Fall am Verbot überraschender Klauseln (§ 305c Abs. 1), weil der Mieter nicht mit einer unterdurchschnittlichen Ausstattung rechnen muss, wenn ihm ein durchschnittliches Entgelt abverlangt wird (zum Zusammenhang zwischen Entgelt und Normalbeschaffenheit Rn. 119). Fraglich ist weiter, ob die Normalbeschaffenheit einer Mietwohnung oder eines gemieteten Geschäftsraums durch Arbeitsschutznormen und Immissionswerte konkretisiert wird.

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(OLG Frankfurt 19.1.2007 – 2 U 106/06 = NZM 2007, 330) M hat von V Geschäftsräume angemietet, in denen es im Sommer aufgrund Sonneneinstrahlung auch unterhalb einer Außentemperatur von 32 °C zu einer Raumtemperatur von über 26 °C kommt. Sie verweist V auf den damals geltenden § 6 Abs. 1 ArbeitsstättenVO aF. iVm. der Arbeitsstätten-Richtlinie des einschlägigen Bundeslandes und DIN 1946–2. Nach dieser soll bei einer Außentemperatur von 32 °C die Raumtemperatur 26 °C nicht übersteigen. Als V Sonnenschutzmaßnahmen verweigert, nimmt M diese selbst vor und verlangt Ersatz dieser Kosten. Der Anspruch aus § 536a Abs. 2 Nr. 1 setzt voraus, dass V mit der Beseitigung eines Mangels in Verzug ist.

Fraglich ist, ob Arbeitsschutznormen105 die geschuldete Beschaffenheit beeinflussen. Dies verneint das OLG mit überzeugender Begründung: Diese Normen sind nämlich an die Adresse des Arbeitgebers gerichtet und nicht an die des Vermieters. Deshalb erscheint es als Aufgabe des Arbeitgebers, die Räume in einen entsprechenden Zustand zu versetzen (S. 332).106 Die Sonneneinstrahlung als solche aber zählt wie die von ihr ausgehenden Folgen zum allgemeinen Lebensrisiko (S. 330f.). Auch bei einer anderen Betrachtungsweise, nach der solche Werte im Rahmen des § 536 Abs. 1 Satz 1 Indizcharakter entfalten können, hat der Mieter nur einen Anspruch auf Einhaltung der Grenzwerte, die bei Errichtung des Gebäudes galten, wenn er nichts anderes mit dem Vermieter vereinbart hat.107 Typische Sachmängel bei der Raummiete stellen schließlich Baumängel, aber auch mangelhafte Umweltbeziehungen dar:108 (BGH 27.3.1972 – VIII ZR 177/70 = NJW 1972, 944) M hat von V die Räume einer Gastwirtschaft gepachtet. In den nicht verpachteten Nebenräumen bricht ein Brand infolge eines Kurzschlusses aus. Dieser geht auf einen Montagefehler der Elektroleitungen zurück, 105 Zur Bedeutung von Arbeitsschutznormen in diesem Zusammenhang auch Fritz NJW 2011,

1048, 1049. 106 Ähnlich OLG Karlsruhe MDR 2010, 564; aA. OLG Naumburg NZM 2011, 35; OLG Ro-

stock NJW-RR 2001, 802; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1307. 107 Vgl. etwa OLG Karlsruhe MDR 2010, 564. 108 Vgl. neben den folgenden BGH MDR 1966, 497; Staudinger/Emmerich § 536 Rn. 26; Bei-

spiele auch bei MünchKomm/Häublein § 536 Rn. 14f.

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der bereits bei Vertragsschluss bestand. M verlangt von V Ersatz für die verbrannte Einrichtung. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 581 Abs. 2, 536a Abs. 1 erster Fall. Dazu müssten die von M gepachteten Räume mangelhaft gewesen sein.

Problematisch erscheint, dass die Mangelursache nicht in den vermieteten (verpachteten) Räumen selbst liegt, sondern in ihrem näheren Umfeld, also außerhalb des gemieteten Bereichs. Insbesondere im Hinblick auf die strenge Garantiehaftung des § 536a Abs. 1 erster Fall war lange Zeit umstritten, ob hier der Mangelbegriff anwendbar ist (S. 945). Der BGH bejaht dies jedoch aus guten Gründen. Aus Sicht des Mieters (Pächters), der nach § 535 Abs. 1 Satz 2 einen Anspruch auf elektrifizierte Räume hat, stellt es nämlich letztlich einen Zufall dar, ob der zur Zerstörung führende Elektromangel innerhalb der gemieteten Räumlichkeiten oder außerhalb liegt. Der Vermieter schuldet ihm in jedem Fall eine einwandfrei funktionierende Elektrik (S. 945). Die Rechtsprechung erkennt dabei in anderem Zusammenhang bereits in der bloßen Gefahr eines Umweltmangels einen Mangel: (BGH 9.12.1970 – VIII ZR 149/69 = NJW 1971, 424) M hat von V mehrere Räume in unmittelbarer Nähe eines Flusslaufs gemietet, in denen sie Tapetenkollektionen lagert. Aufgrund von Aufschüttungen an dem Flusslauf, die V vor Abschluss des Mietvertrages vorgenommen hat, kann es bereits bei normalem Hochwasser, mit dem stets zu rechnen ist, zu einer Überschwemmung kommen. Bereits in dieser Gefahr erkennt das Gericht einen Mangel der Mietsache.

Das zentrale Problem solcher Entscheidungen liegt in der Frage der Zurechenbarkeit des Mangels gegenüber dem Vermieter (vgl. zum Kaufrecht Rn. 98). Denn die mögliche Beeinträchtigung beruht zunächst auf der Lage des Grundstücks. Die Lagevor- und -nachteile sind dem Mieter aber vorliegend bekannt bzw. er muss sie im eigenen Interesse einschätzen können. Er kann wohl nicht einerseits ein Grundstück an einem Flusslauf mieten, andererseits aber den Vermieter wegen Hochwassergefahr in Anspruch nehmen. In Fällen dieser Art dürfte deshalb regelmäßig § 536b Satz 1 oder 2 (Rn. 839) anwendbar sein. Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich jedoch dadurch, dass der Vermieter den Lagenachteil durch eine eigene Handlung (die Aufschüttungen) in seinen Auswirkungen vergrößert hat. Hat der Mieter dies zuvor nicht erkannt oder konnte er es nicht erkennen, kommt ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 in Betracht. Im Hinblick auf die Anforderungen an die Konkretheit des Mangels greift dabei ein systematisches Argument aus § 536a Abs. 2: Der Mieter muss nicht abwarten, bis sich die Erdarbeiten des Vermieters zu seinen Lasten ausgewirkt und einen Schaden verursacht haben, wenn ein Schadenseintritt nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich ist. Vielmehr hat er bereits im Vorfeld einen Anspruch aus § 536a Abs. 2 auf Mangelbeseitigung durch den Vermieter oder auf Aufwendungsersatz für die Mangelbeseitigung durch Dritte, wenn sich der Vermieter in Verzug befindet. In diesem Zusammenhang stellt eine mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gebrauchsbeeinträchtigung auch einen Mangel dar.

III. Die Mieterrechte

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Bei der Geschäftsraummiete muss der Mieter die Vor- und Nachteile der Lage des Grundstücks tragen. Dies gilt gerade, wenn er infolge einer Veränderung Umsatzrückgänge zu beklagen hat:

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(BGH 1.7.1981 – VIII ZR 192/80 = NJW 1981, 2405) M betreibt einen Schuhladen in den von V gemieteten Räumen. Diese sind Teil eines von V betriebenen Einkaufszentrums. Die von V und M im Einkaufszentrum erwarteten Besucherzahlen werden nicht erreicht. Deshalb kündigt M nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 wegen Entziehung des vertragsgemäßen Gebrauchs.

Nach Auffassung des BGH kommt es für die Mangelhaftigkeit der Mietsache auf die Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung an. Maßgeblich für die Unmittelbarkeit sei der zum Vertragsinhalt erhobene Verwendungszweck der Mietsache. Bei einem Ladenlokal kommt daher ein Mangel in Betracht, wenn die Räume aufgrund ihrer baulichen Ausgestaltung nicht für den Betrieb eines Geschäftes geeignet sind oder wenn „der ungehinderte Zutritt des Publikums zu diesem Geschäft“ nicht gewährleistet ist (S. 2405). Ein Mangel liegt jedoch noch nicht vor, „wenn das kaufinteressierte Publikum ganz allgemein nicht in dem erwarteten Maße den Bereich, in dem sich das vermietete Ladenlokal befindet, besucht, etwa weil der Verkehrsstrom an dem Bereich, in dem das Ladenlokal liegt, weitgehend vorbeigeleitet wird oder die Bevölkerung aus sonstigen Gründen diesen Bereich nicht als Verkaufszentrum ‚annimmt‘“ (S. 2405). Den Mieter trifft deshalb das Geschäftsrisiko, dessen Folgen er nicht über den Mangelbegriff auf den Vermieter abwälzen kann. Allerdings kann der Vermieter eine bestimmte Mindestbesucherzahl nach § 536 Abs. 2 als Eigenschaft zusichern (S. 2405 und 2406. Ähnliches gilt für öffentliche Baumaßnahmen, die die gemietete Immobilie betreffen: Ohne ausdrückliche Vereinbarung schuldet der Vermieter dem Mieter nicht die Wahrung des Lärmpegels, der bei Abschluss des Mietvertrages bestand.109 Der Mieter muss auch die Erschwerung des Zugangs zur Immobilie hinnehmen, soweit der direkte Zugang zu den Geschäftsräumen nicht erheblich versperrt wird.110 Bei dem inhaltlich schwer zu fassenden Kriterium der Unmittelbarkeit dürfte es daher zum einen um die Frage gehen, in welchem Umfang der Mieter erwarten kann, dass der Vermieter für die Infrastruktur der Mietsache Verantwortung trägt. Dies hängt bei Fehlen einer einschlägigen Beschaffenheitsvereinbarung im Mietvertrag vor allem von den bestehenden Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten des Vermieters ab. Bei Einschränkungen des Gemeingebrauchs an Bürgersteigen und Straßen durch öffentliche Baumaßnahmen ist dies gerade nicht der Fall, wohl aber bei einer Blockade des Ladenzugangs durch Dritte, gegen die der Vermieter zugunsten des Mieters vorgehen muss. In diesem Zusammenhang ist bei Umweltmängeln umstritten, ob im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter die Duldungspflicht aus § 906 Abs. 1 Satz 1 analoge Anwendung findet. Nach § 906 Abs. 1 Satz 1 kann der Eigen109 BGH NJW 2013, 680, Tz. 10; dazu etwa Lehmann-Richter NZM 2012, 849. 110 OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1236.

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tümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Unwesentlich ist dabei vor allem die aufgrund einer spezialgesetzlichen Ermächtigung genehmigte Immission (§ 906 Abs. 1 Satz 2). (BGH 29.4.2015 – VIII ZR 197/14 = BGHZ 205, 177 = NJW 2015, 2177 – Schulhof-Bolzplatz) M hat seit 1993 eine Erdgeschosswohnung mit Terrasse von V gemietet, die neben einer Schule liegt. Die Schule errichtet 2010 in 20 m Entfernung zur Terrasse einen Bolzplatz, der laut Schulordnung montags bis freitags bis 18 Uhr benutzt werden darf. M mindert die Miete, weil Jugendliche den Platz auch außerhalb dieser Zeiten zum Fußballspiel nutzen.

Den für die Mietminderung nach § 536 Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Mangel verneint das Gericht. Die vertragsgemäße Beschaffenheit werde vorliegend nicht durch eine Beschaffenheitsvereinbarung konkretisiert, da die Parteien bei Vertragsschluss das Problem nicht vorhersahen (Tz. 10). Für die Bestimmung der Normalbeschaffenheit nach Treu und Glauben (§ 242; Tz. 18) komme es darauf an, dass der Vermieter – für den Mieter erkennbar – die vom Nachbargrundstück ausgehenden Lärmimmissionen nicht sicher verhindern kann (Tz. 21). Der BGH stellt daher im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157) die Frage, welche Regelung die Parteien als redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die tatsächlich nicht bedachte Entwicklung bewusst gewesen wäre (Tz. 24). Die Grenze der redlichen gegenseitigen Erwartungen zieht dabei § 22 Abs. 1a BImSchG (Tz. 26): Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, stellen im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen dar. Sie kann der Vermieter auf dem Nachbargrundstück daher nicht nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 verhindern, sondern muss sie nach § 906 Abs. 1 Satz 2 als unwesentliche Beeinträchtigungen dulden. Dann liegt auch im Rahmen des Mietvertrages kein Mangel vor (Tz. 27f. und 35). Umgekehrt indiziert die Überschreitung der Grenze des § 906 wegen der nun bestehenden Abwehrmöglichkeiten des Vermieters einen Mangel (Tz. 30ff.). Im Vorfeld der Entscheidung war die Frage des Einflusses von § 906 auf den Mangelbegriff umstritten; er wurde zT. skeptisch beurteilt, weil das Immissionsschutzrecht aufgrund seiner eigenen Regelungszwecke nicht in die Mieterrechte eingreifen könne.111 Man wird hier jedoch zwei Fälle unterscheiden müssen: Verspricht der Vermieter dem Mieter ausdrücklich einen Immissionsstandard, den er selbst nicht über seine Ansprüche aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 gegenüber Dritten durchsetzen kann, haftet er aus § 536 Abs. 1 Satz 1. Wie stets kann der Schuldner nämlich auf der Grundlage des § 311 Abs. 1 mehr versprechen, als er nach § 362 Abs. 1 halten kann! Fehlt 111 BayObLG NJW 1987, 1950, 1952; OLG München NJW-RR 1994, 654; ähnlich auch Staudinger/Emmerich § 536 Rn. 26f.

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eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung jedoch, sind die Erwartungen des Mieters an den vertragsgemäßen Gebrauch der Sache auf ein Durchschnittsmaß beschränkt (vgl. § 243 Abs. 1). Dieses wird wiederum sinnvollerweise durch §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 906 konkretisiert. Die Kehrseite des in § 536 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzten Mangelbegriffs liegt teilweise in den Duldungspflichten des Mieters (dazu Rn. 969ff.; vgl. auch Rn. 815a). Gewisse Beeinträchtigungen der Mietsache muss der Mieter hinnehmen. Die Mietrechtsreform 2013 weitet gerade die Duldungspflichten bei Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen in § 555a Abs. 1 und § 555d Abs. 1 beträchtlich aus. Dabei ist allerdings eine Differenzierung erforderlich: Wenn der Mieter die Störungen hinnehmen muss, bedeutet dies noch nicht, dass diese keinen Mangel darstellen. Denn Gegenstand der Duldungspflicht ist zunächst nur, dass der Mieter die Gebrauchsbeeinträchtigung nicht untersagen darf; den geminderten Gebrauchswert kann er uU. gleichwohl liquidieren. Dies erklärt die Ausnahmestellung des § 536 Abs. 1a: Bei einer energetischen Modernisierung der Mietwohnung (§ 555b Nr. 1) ist die Miete nämlich während der Zeit der Renovierungsarbeiten ausnahmsweise nicht gemindert (Rn. 837).

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bb) Rechtsmängel

§ 536 Abs. 3 führt zu einer Vereinheitlichung der Rechtsfolgen von Rechts- und Sachmängeln. Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn dem Mieter der Gebrauch der Mietsache durch Rechte eines Dritten ganz oder teilweise entzogen wird. Eine klassische Konstellation stellt die Doppelvermietung dar (vgl. auch Rn. 906): Beispiel V hat eine Mietwohnung in der Zeitung inseriert. Durch einen Zufall schließt V einen Mietvertrag mit M1, während die Ehefrau des V, die Abschlussvollmacht für V hat, zeitgleich einen Mietvertrag mit M2 abschließt. In seiner Verlegenheit überlässt V die Wohnung M2. Fraglich ist, welche Rechte M1 geltend machen kann.

Aus Sicht des letztlich übergangenen Mieters liegt zunächst kein Fall des § 311a Abs. 1 vor. Denn die Erfüllung der Gebrauchsüberlassungspflicht war nicht bereits bei Vertragsschluss unmöglich. Zwar kann der Vermieter die Wohnung nicht beiden Mietern zugleich überlassen, doch kann er beiden die Gebrauchsüberlassung versprechen. Hier greift auch kein Prioritätsprinzip, nach dem der erste Kontrahent begünstigt wäre, da es bei Abschluss des Mietvertrages nicht zu einer Rechtszuordnung wie im Fall der Zession kommt (dazu Rn. 594), sondern lediglich Vermieterpflichten begründet werden. Dem Vermieter bleibt es bei der Doppelvermietung überlassen, welchem Mieter gegenüber er erfüllt.112 Unmöglichkeit kann folglich erst dann eintreten, wenn der Vermieter die Wohnung einem Mieter zum Besitz überlässt und damit die Miete vollzieht.113 Wegen der nun geltenden beschränkten Kündigungsmöglichkeiten 112 BGH LM Nr. 4 zu § 541; Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536 BGB Rn. 286; Staudinger/ Emmerich § 536 Rn. 48. 113 BGH LM Nr. 4 zu § 541; differenzierend Staudinger/Emmerich § 536 Rn. 48f.

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(§ 573) kann der Vermieter den unmittelbaren Besitz an der Mietwohnung regelmäßig nicht mehr aus eigener Kraft zurückerhalten, um ihn dem übergangenen Mieter zu verschaffen. Deshalb wird man differenzieren müssen: Verweigert der begünstigte Mieter die Rückgabe kategorisch, liegt ein Fall des § 275 Abs. 1 vor; stellt er überzogene „Entschädigungsforderungen“ an den Vermieter für den Fall der Rückgabe, kommt aus Sicht des Vermieters ein Einrede aus § 275 Abs. 2 in Betracht. Es ist deshalb umstritten, ob ein Mieter vom Vermieter die Wohnung im Wege der einstweiligen Verfügung (Sonderfall der Leistungsverfügung nach §§ 940, 936, 916ff. ZPO) herausverlangen kann, bevor dieser sie einem der beiden Aspiranten überlässt.114 Weil nämlich die Besitzeinräumung die Position des einen Mieters gegenüber der seines Konkurrenten endgültig verbessert, besteht die Gefahr einer Vorwegnahme der Hauptsache durch die einstweilige Verfügung. Daher erscheint Zurückhaltung geboten.115 Ansonsten aber kann der übergangene Mieter dem begünstigten Konkurrenten die Sache nicht ohne Weiteres streitig machen. Denn der Begünstigte übt den Besitz aufgrund eines Rechtes aus und kann sich daher nach §§ 861, 862 und §§ 1007, 823 Abs. 1 verteidigen. Ausnahmsweise kommen Schadensersatzansprüche des übergangenen gegen den begünstigten Mieter aus § 826 wegen Verleitung des Vermieters zum Vertragsbruch in Betracht. Dabei entfaltet die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Vermieter und dem übergangenen Mieter zunächst keine Rechtsfolgen gegenüber dem an ihr nicht beteiligten, begünstigten Mieter. Dieser kann also keine Rechte des übergangenen Mieters „verletzen“. Sittenwidrig handelt er dennoch, wenn er den Vermieter zum Vertragsbruch gegenüber dem übergangenen Mieter bestimmt, etwa durch Zahlung eines besonderen Entgelts, durch Täuschung usw. Dann kann der übergangene Mieter aus § 826 nicht allein Zahlung einer Geldsumme, sondern auch Herausgabe des Besitzes an der Mietwohnung verlangen.116 Im Beispielsfall bleibt für M1 nur ein gegen V gerichteter Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283, wenn sein Anspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 1 infolge Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 oder 2 Satz 1 untergegangen ist. Verweigert M2 die Räumung der Wohnung gegenüber V kategorisch, liegt rechtliche Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 vor. Verlangt er dagegen von V für die Räumung eine „Entschädigungsleistung“, kommt es im Rahmen des § 275 Abs. 2 Satz 1 darauf an, ob diese im groben Missverhältnis zum Gläubigerinteresse des M1 steht. Fehlt es an einem groben Missverhältnis, kann der Anspruch des M1 gegen V nach § 535 Abs. 1 Satz 1 nicht durch Erhebung der Einrede aus § 275 Abs. 2 Satz 1 untergehen. M1 kann dann von V Überlassung der Wohnung verlangen.

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Fraglich ist ferner, ob ein Rechtsmangel voraussetzt, dass der Dritte das Recht iSd. § 536 Abs. 3 geltend macht, oder ob es genügt, dass dieses besteht: 114 So Kohler NZM 2008, 545. 115 Ähnlich Streyl NZM 2008, 878. 116 Vgl. ähnlich für den Doppelverkauf Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 228 mwN.

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(BGH 30.10.1974 – VIII ZR 69/73 = BGHZ 63, 132 = NJW 1975, 44) V vermietete sein bebautes Grundstück an M, der seinerseits mit Erlaubnis des V das Grundstück an U untervermietet und diesem zum Gebrauch überlässt. Kurz darauf kündigt V dem M aus wichtigem Grund fristlos. Fraglich ist, ob nun U seinerseits gegenüber M nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 wegen unterbliebener Gebrauchsgewährung kündigen kann.

Ein Rechtsmangel nach § 536 Abs. 3 muss nicht zwingend bereits vor Vollzug des Mietvertrages (Übergabe der Mietsache) vorliegen. Dies folgt aus dem weiten Wortlaut des § 536 Abs. 3 und aus der Gleichstellung von Rechts- und Sachmangel in § 536. Für den Sachmangel kommt nämlich gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall die Möglichkeit einer Entstehung nach Vertragsschluss in Betracht (S. 46). Fraglich ist nur, ob vorliegend der Eigentümer seine Ansprüche aus § 985 und § 546 Abs. 2 – beides Rechte iSd. § 536 Abs. 3 – gegenüber dem Untermieter ausüben muss, damit ein zur Kündigung berechtigender Rechtsmangel vorliegt. Davon geht der BGH mit der Überlegung aus, erst die Gebrauchsentziehung stehe der vom Vermieter geschuldeten Gebrauchsgewährung entgegen (S. 46). Dies entspricht letztlich auch dem Normwortlaut. Denn auch § 536 Abs. 3 setzt voraus, dass dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache durch das Recht eines Dritten ganz oder zum Teil entzogen wird. Im Vergleich dazu liegt ein Rechtsmangel beim Kaufvertrag bereits bei Bestehen eines hindernden Drittrechts vor; es kommt gerade nicht auf dessen Geltendmachung an (str.; Rn. 149). Dafür spricht das im Kaufrecht geltende Rechtsverschaffungsprinzip, wonach der Verkäufer dem Käufer Eigentum an der Kaufsache und damit umfassende Nutzungs- und Ausschlussbefugnisse an dieser (§ 903 Satz 1) schuldet. Der Mieter erwirbt hingegen von vornherein nur ein sachlich beschränktes Gebrauchsrecht. Nicht jedes abstrakt entgegenstehende Drittrecht bedeutet daher zugleich eine Störung des vertragsgemäß vorausgesetzten Gebrauchs. cc) Zugesicherte Eigenschaften

Die Schuldrechtsreform hat im Bereich des Kauf- und Werkvertragsrechts das Institut der zugesicherten Eigenschaft beseitigt; im alten Recht war die Zusicherung einer von Anfang fehlenden oder später entfallenden Eigenschaft durch den Verkäufer Grundlage für eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung. Diese Bedeutung hat das Institut im Mietrecht allerdings nur in eingeschränkter Weise. Nach § 536 Abs. 2 steht die Zusicherung einer Eigenschaft dem Mangel der Mietsache in den §§ 536f. gleich, mit dem einzigen Unterschied, dass § 536 Abs. 2 nicht auf § 536 Abs. 1 Satz 3 verweist und daher keine Erheblichkeitsschwelle voraussetzt: Liegt eine zugesicherte Eigenschaft nicht vor, ist folglich regelmäßig von einem Mangel auszugehen, ohne dass es auf eine konkrete Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit der Mietsache ankommt.117 Eigenständige Bedeutung erlangt die Zusicherung nach § 536 Abs. 2 dort, wo sie sich auf Eigenschaften bezieht, deren Fehlen nicht als Mangel der Kaufsache angesehen 117 MünchKomm/Häublein § 536 Rn. 22.

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wird. Allerdings ist die Zusicherungsfähigkeit von Eigenschaften nicht unbegrenzt: Diese müssen ihren Grund in der Beschaffenheit der Mietsache im weitesten Sinne haben. In Betracht kommt etwa die Zusicherung von Lagevorteilen bei der Geschäftsraummiete Rn. 851); schließlich kann ein Durchschnittsertrag der Mietsache zugesichert werden, wohl aber nicht Umsatzzahlen eines Unternehmens, weil diese nicht im Unternehmen selbst, sondern vor allem auch in der Marktentwicklung und der Unternehmensführung durch den Mieter/Pächter ihre Ursachen haben.118 Selbstverständlich können die Parteien auch Kennzahlen dieser Art fest als Soll vereinbaren. Dabei handelt es sich dann jedoch mangels Bezug zur Sachbeschaffenheit nicht mehr um Zusicherungen nach § 536 Abs. 2, sondern um selbständige Garantieversprechen (Beispiel Rn. 104). 4. Das Zurückbehaltungsrecht 858

Fraglich ist, ob neben der gesetzlichen Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 auch ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters nach § 320 an der Miete in Betracht kommt. Vordergründig würde man diese Frage verneinen, da die gesetzliche Minderung bereits eine Reduzierung der vom Mieter geschuldeten Leistung bewirkt. § 556b Abs. 2 Satz 1 setzt jedoch das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts im Mietrecht aus gutem Grund voraus. Die hM. begründet dieses mit der im Verhältnis zur Minderung ganz eigenen Zwecksetzung. (BGH 3.11.2010 – VIII ZR 330/99 = NJW-RR 2011, 447) M hat von V eine Wohnung gemietet. Er hat die jeweils am 3. eines Monats zu entrichtende Miete für März und April nicht gezahlt. V erklärt darauf die Kündigung, die er mit dem Zahlungsverzug des M begründet. M hingegen rechtfertigt die Nichtzahlung im Hinblick auf ein bestehendes Zurückbehaltungsrecht aus § 320 Abs. 1 Satz 1, denn die Wohnung sei von Schimmelsporen befallen. Davon erfährt V bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal. Kann V Räumung der Wohnung verlangen? Ein Anspruch des V gegen M aus § 546 Abs. 1 setzt eine wirksame Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a voraus. Der Eintritt des Zahlungsverzugs mit den Monatsraten für März und April hängt nach § 286 Abs. 1 Satz 1 davon ab, dass beide Monatsmieten fällig waren. Die Fälligkeit tritt jedoch nicht ein, wenn M die Einrede nach § 320 Abs. 1 Satz 1 zusteht (Tz. 8; Rn. 227).

Der BGH anerkennt grundsätzlich ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 Abs. 1 Satz 1 (Tz. 11). Denn anders als die Minderung dient dieses nicht dem Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts in der Vergangenheit, sondern wirkt in die Zukunft, indem es einen Anreiz gegenüber dem Vermieter auf Mangelbeseitigung setzt.119 Allerdings drängt sich bei Fallkonstellationen der vorliegenden Art der Verdacht auf, dass Mängel der Mietsache nur vorgescho118 MünchKomm/Häublein § 536 Rn. 23. 119 BGHZ 206, 25 = NJW 2015, 3087, Tz. 15; ganz hM.; vgl. nur Schmidt-Futterer/Eisenschmid

§ 536 BGB Rn. 409ff.; Staudinger/Emmerich § 536 Rn. 59ff.; Franke ZMR 2010, 663; Joachim DB 1986, 2649.

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ben sind, um den eigenen Zahlungsrückstand gegenüber einer Kündigung zu rechtfertigen. Eine Minderung könnte der Mieter im vorliegenden Fall nämlich für die beiden zurückliegenden Monate wegen § 536c Abs. 2 nicht (in voller Höhe) geltend machen, weil er den Mangel nicht angezeigt hatte und dem Vermieter daher keine Möglichkeit gab, diesen zu beseitigen. Die Rechtsfolge des § 536c Abs. 2 Satz 2 erfasst jedoch nicht das Zurückbehaltungsrecht, da dieses in die Zukunft wirkt (Tz. 11). Gerade wegen dieser zukunftsgerichteten Funktion steht dem Mieter daher das Zurückbehaltungsrecht nicht für bereits verstrichene Rechnungsabschnitte zu, in denen der Mangel nicht gerügt wurde. Denn der Zweck der aus § 320 fließenden Befugnis liegt darin, auf den Vermieter Druck in Richtung einer Mängelbeseitigung auszuüben (Tz. 12). Diese Druckausübung ist aber nicht möglich, wenn der Vermieter vom Mangel nichts weiß.120 Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts kommt danach nicht in Betracht. Damit liegen die Verzugsvoraussetzungen, insbesondere auch das Vertretenmüssen nach § 286 Abs. 4, vor und der Räumungsanspruch ist begründet.

Der BGH nimmt in der Entscheidung zu der streitigen Frage Stellung, ob der durch das Mietrechtsreformgesetz geschaffene § 556b Abs. 1 das Zurückbehaltungsrecht ausschließt.121 Denn diese Norm verpflichtet den Mieter zur Zahlung am 3. Werktag eines Monats. Allerdings setzt gerade Abs. 2 Satz 1 dieser Norm das Zurückbehaltungsrecht ausdrücklich voraus.122 Besondere Probleme bereitet die Bestimmung der Höhe des zurückzubehaltenden Betrages. Das Meinungsspektrum ist hier sehr breit: Es reicht von einem Mehrfachen des Mängelbeseitigungsaufwandes über eine analoge Anwendung des Druckzuschlags nach § 641 Abs. 3 (Rn. 1119f.) bis zu einem Mehrfachen des Minderungsbetrags nach § 536 Abs. 1 Satz 2.123 Der BGH124 lässt sich nicht auf eine feste Grenze ein (Tz. 59) und rückt stattdessen einige Wertungsüberlegungen in den Mittelpunkt: Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts darf nicht dazu führen, dass der Mieter gar keine Miete mehr zu zahlen braucht; weil es diese Rechtsfolge herbeiführen könnte, verstößt ein in AGB vorgesehenes, unbeschränktes Zurückbehaltungsrecht iHd. vierfachen Minderungsbetrags gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 (Tz. 60). Auch ist eine angemessene Relation zum Mangel zu wahren und der Druck auf den Vermieter in Rechnung zu stellen, der bereits von der Mietminderung nach § 536 Abs. 1 ausgeht (Tz. 64). Dies be120 Zustimmend Timme/Raue NZM 2011, 846, 848. 121 Dazu und mit Nachweis für den Streitstand Timme/Raue NZM 2011, 846, 847. 122 Dazu MünchKomm/Artz § 556b Rn. 8ff.; Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536 BGB

Rn. 382; Staudinger/Weitemeyer § 556b Rn. 15. 123 Dargestellt bei BGH NJW 2015, 3097 Tz. 52ff.: LG Saarbrücken NZM 1999, 757; Derleder

NZM 2002, 676, 680; Schmidt/Futterer/Eisenschmid § 536 Rn. 425f.: Mehrfaches der Mängelbeseitigungskosten; Soergel/Gsell § 320 Rn. 88: § 641 Abs. 3; Conrad MDR 2013, 1381, 1382; vgl. auch Schmidt NZM 2013, 705, 713: Mehrfaches des Minderungsbetrags. 124 BGHZ 206, 1 = NJW 2015, 3087: die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf dieses Urteil.

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dingt eine betragsmäßige Begrenzung des Zurückbehaltungsrechts und die Verpflichtung zu dessen schonender Ausübung (Tz. 64f.). Das Einbehalten von 80% der Miete sieht der BGH eindeutig als zu weitgehend an (Tz. 68). Reagiert der Vermieter nicht auf die Zurückbehaltung eines Teils der Miete, darf der Mieter den Betrag nicht ständig erhöhen, sondern muss auf Mängelbeseitigung klagen oder über § 536a Abs. 2 BGB vorgehen (Tz. 66). Nach Vertragsbeendigung endet das Zurückbehaltungsrecht unabhängig davon, ob der Mangel beseitigt wurde. Denn jetzt kann der Mieter keinen Druck mehr in diese Richtung auf den Vermieter ausüben; der Vermieter erwirbt daher einen Anspruch auf den Zurückbehaltungsbetrag (Tz. 61). Ganz allgemein besteht das Zurückbehaltungsrecht nach Treu und Glauben (§ 242) nur so lange, wie es seinen Zweck (Druckausübung) erfüllen kann (Tz. 63). Fraglich ist schließlich, ob das Zurückbehaltungsrecht in den Fällen des § 536b ausgeschlossen ist. Bei Mangelkenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis kann der Mieter ja keine Gewährleistungsrechte geltend machen. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung soll die Norm nicht unmittelbar auf das in die Zukunft wirkende Zurückbehaltungsrecht anwendbar sein; allerdings komme im Einzelfall eine Beschränkung nach Treu und Glauben gemäß § 320 Abs. 2 in Betracht.125 Überzeugender erscheint es indes, dass der Mieter in diesen Fällen auch für die Zukunft nichts herleiten kann: Denn hat er sich sehenden Auges und vorbehaltslos auf eine Beeinträchtigung der Mietsache eingelassen, passt sich die vom Vermieter geschuldete Beschaffenheit auch für die Zukunft entsprechend an. Durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts darf er den Vermieter nicht zu einer Verbesserung der Beschaffenheit anhalten; denn diese ist nicht geschuldet. Schließlich droht nach hM. ein Verlust des Zurückbehaltungsrechts bei jahrelangem widerspruchsfreiem Gebrauch der Mietsache.126 Dies erinnert an die Verwirkung der Minderung (Rn. 838), bedarf aber einer Präzisierung. Denn das Zurückbehaltungsrecht dient allein der Durchsetzung des Anspruchs auf die vom Vermieter nach § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 geschuldete Gebrauchsgewähr. Solange dieser Anspruch besteht, kann ihn der Mieter auch durch Ausübung des Rechts aus § 320 erzwingen. Ebenso wie aber der Anspruch auf Gewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs nach § 535 Abs. 1 Satz 1 nicht verjährt, sondern während der Laufzeit des Mietvertrags ständig neu entsteht (Rn. 815), muss auch der Mieter den Vermieter grundsätzlich noch lange Zeit nach Auftreten der Gebrauchsbeeinträchtigung dazu anhalten können, endlich die geschuldete Leistung zu erbringen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn sich der Inhalt der Vermieterpflichten aus § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 durch einen Geschäftsverbindungsbrauch verändert hat (dazu Rn. 1006): Typisch für eine dauernde Geschäftsverbindung erscheint es nämlich, dass die Parteien in der Praxis den Vertrag nicht immer konsequent entsprechend dem ursprünglich Vereinbarten erfüllen, sondern sich gegenseitig auf Modifikationen einlassen. 125 Franke ZMR 2010, 663, 664 im Anschluss an BGH NJW 1989, 3222, 3224. 126 OLG Hamm ZMR 2000, 93; Franke ZMR 2010, 663, 664; Sternel WuM 2002, 244, 250.

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Dadurch kann auch ein Vertrauenstatbestand entstehen, der die Pflicht des Vermieters aus § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 verändert. Es versteht sich, dass der Mieter den Vermieter in einem solchen Fall nicht durch Ausübung des Zurückbehaltungsrechts zu einer nicht mehr geschuldeten Leistungshandlung anhalten darf. 5. Der Mängelbeseitigungsanspruch

Im Mietrecht tritt bei Vorliegen eines Mangels die Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 kraft Gesetzes ein, ohne dass es auf Mängelbeseitigungsmaßnahmen durch den Vermieter ankommt. Denn diese können den bereits eingetretenen mangelbedingten Minderwert in Gegenwart und Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Doch droht dem Mieter der Verlust weiterer Ansprüche nach § 536c Abs. 2 Satz 2, wenn er dem Vermieter die Mängel nicht anzeigt und diesem folglich keine Möglichkeit einräumt, den Mangel zu beseitigen. Dies impliziert einerseits einen Mängelbeseitigungsanspruch des Vermieters und eröffnet diesem andereseits eine Befugnis zur zweiten Andienung. Der Anspruch folgt ferner aus einem Umkehrschluss aus § 536a Abs. 1 dritter Fall, Abs. 2 Nr. 1 und § 536c Abs. 2. Folgende Unterschiede bestehen gegenüber den §§ 437 Nr. 1, 634 Nr. 1: (1) Der Anspruch ist allein auf Mängelbeseitigung gerichtet. Das Überlassen einer Ersatzsache ist nicht vorgesehen. Ein Recht hierzu dürfte dem Vermieter jedoch im Ausnahmefall nach § 242 zustehen, wenn der Mieter keinen Nachteil erleidet (Kraftfahrzeugmiete). (2) Es fehlt ein §§ 439 Abs. 4, 635 Abs. 3 vergleichbares Leistungsverweigerungsrecht bei unverhältnismäßigen Kosten. Hier dürfte im Zweifel ein Rechtsgedanke aus § 251 Abs. 2 anwendbar sein (Rn. 188) (3) Der Mieter kann einen Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Mängelbeseitigung nur geltend machen, wenn der Vermieter mit der Mängelbeseitigung in Verzug ist (vgl. § 536a Abs. 1 dritter Fall). Nach § 281 Abs. 1 Satz 1 kommt es hingegen nur auf den Fristablauf, nicht aber auf das Vertretenmüssen der Verzögerung nach § 286 Abs. 4 an. Den Mieter trifft nach § 536c Abs. 1 Satz 1 die Pflicht und Obliegenheit, während der Mietzeit auftretende Mängel anzuzeigen. Darin liegt insoweit eine Rechtspflicht, als der Mieter den Vermieter vor einer Vergrößerung des Schadens schützen muss. Die Verletzung der Anzeigepflicht führt deshalb zu Schadensersatzansprüchen nach § 536c Abs. 2 Satz 1. Aus Sicht des Mieters liegt in der Anzeige aber auch eine Obliegenheit, weil ihr Versäumnis mit dem Verlust der Gewährleistungsrechte nach § 536c Abs. 2 Satz 2 verbunden ist. Nach der Rechtsprechung des VIII. BGH-Senats trägt der Vermieter im Rahmen des Anspruchs aus § 536c Abs. 2 Satz 1 die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Anzeigenpflichtverletzung des Mieters.127 In einer älteren Entscheidung hatte der für die Geschäftsraummiete zuständige XII. BGH127 BGH NJW 2013, 1299, Tz. 18ff.; ähnlich Gsell NZM 2010, 71, 73 und 78.

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Senat hingegen dem Mieter die Beweislast im Hinblick auf den Rechtsverlust wegen Anzeigepflichtverletzung nach § 536c Abs. 2 Satz 2 auferlegt.128 Dies bereitete Bedenken, weil § 536c Abs. 2 Satz 2 eine Einrede zugunsten des Vermieters begründet, was regelmäßig auch zu einer Beweislast dieser Vertragspartei führen muss. 6. Der Schadensersatzanspruch nach § 536a Abs. 1 a) Überblick und Ersatz des Schadens neben der Leistung 863

§ 536a Abs. 1 umfasst drei Fälle. Für Mängel, die bereits bei Vertragsschluss vorlagen, trifft den Vermieter eine im System des BGB singuläre Garantiehaftung (Rn. 865). Daneben treten zwei Fälle, die ein Vertretenmüssen des Vermieters voraussetzen. Die drei Normen zielen grundsätzlich auf Schadensersatz neben der Leistung, nicht aber auf Schadensersatz statt der Leistung (nach dem Verständnis der hM.; dazu Rn. 335ff.).129 Denn der typische mangelbedingte Minderwert der Mietsache wird durch die gesetzliche Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 aufgefangen und stellt für den Mieter keinen Vermögensschaden dar, da der Mieter von vornherein keine Miete schuldet. Dabei liegt es auf der Hand, dass „ein durch Minderung abgegoltener Vermögensverlust nicht noch einmal im Wege des Schadensersatzes geltend gemacht werden kann.“130 Allerdings umfasst das komplexe Institut des Schadensersatzes statt der Leistung in § 280 Abs. 3 auch bestimmte Mangelfolgeschäden, soweit diese nicht an absolut geschützten Rechtsgütern auftreten (Rn. 335ff.). Diese können nicht durch die Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 ausgeglichen werden, sondern müssen auf der Grundlage des § 536a Abs. 1 liquidiert werden. Insoweit erfasst die Norm also teilweise auch den Schaden statt der Leistung.131 b) Die Garantiehaftung nach § 536a Abs. 1 erster Fall aa) Überblick und Entstehungsgeschichte

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§ 536a Abs. 1 erster Fall setzt voraus, dass ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 bis 3 bei Abschluss des Mietvertrages vorhanden ist. Im Umkehrschluss aus Fall zwei und drei der Norm folgt, dass der Vermieter auf Schadensersatz haftet, ohne dass es auf ein Vertretenmüssen ankommt. Allerdings ist der Wortlaut des § 536a Abs. 1 nicht auf die Begrifflichkeiten des § 276 Abs. 1 abgestimmt: Vertretenmüssen bedeutet nämlich in § 276 Abs. 1 nicht nur Verschulden, sondern kann auch in einer weiterreichenden Haftung aus Garantie bestehen. In § 536a Abs. 1 erster Fall geht es jedoch schlicht darum, dass der Vermieter ohne Verschulden aus einer gesetzlichen Garantie haften muss. BGH NZM 2002, 217; Überblick über die Kritik bei BGH NJW 2014, 1298, Tz. 22ff. Ähnlich wie hier F. Graf von Westphalen NZM 2002, 368, 372; Oechsler NZM 2004, 881ff. BGHZ 92, 117, 180 = NJW 1985, 132. Looschelders, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 141, 149; zuvor bereits Arnold in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 591.

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Die strenge Garantiehaftung des § 536a Abs. 1 erster Fall beruht auf einer historischen Zufälligkeit: Die Einstandspflicht des Vermieters geht unmittelbar auf zwei römische Quellen zurück.132 Nach einer Ulpian-Stelle (D.19.2.19.1) haftet der Vermieter einer Kuhweide, auf der giftige Kräuter wachsen, für das durch Verzehr derselben eingegangene Vieh des Mieters nur bei Kenntnis von der Giftigkeit der Kräuter; hingegen hat der Vermieter schadhaft undichter Weinfässer auch ohne Kenntnis für den ausgelaufenen Wein ohne Vertretenmüssen einzustehen. Eine auf Vertrauensschutz abstellende Hypothese erklärte den Unterschied daraus, dass sich der Mieter der Weinfässer nicht selbst von der Dichte der Fässer überzeugen konnte und sich folglich auf das Wort des Vermieters verlassen musste.133 Weil der Vertrauensschutz nach verbreitetem Verständnis aber kein Institut der Rechtsgeschäftslehre ist (Rn. 6ff.), behalf man sich mit folgender historischer Spekulation: In einem frühen Stadium der Rechtsentwicklung habe der Vermieter vermeintlich in Fällen dieser Art Garantieversprechen ausdrücklich abgegeben, später seien diese dann regelmäßig als stillschweigend vereinbart angesehen worden.134 Windscheid lässt deshalb den Vermieter für Mängel haften, „wenn er die Abwesenheit derselben ausdrücklich oder stillschweigend zugesagt hat“.135 So wird § 536a Abs. 1 erster Fall heute als Fiktion einer rechtsgeschäftlichen Garantie kritisiert.136 Nach hier vertretenem Verständnis fungiert die Willenserklärung jedoch (auch) als Vertrauenstatbestand (Rn. 3f.). Die Erklärung des Schuldners konkretisiert nicht nur den Inhalt der Hauptleistungspflichten, sondern ist auch Grundlage eines schutzwürdigen Gläubigervertrauens: Der Gläubiger (Mieter) ist dabei im Rahmen der berechtigten Erwartungen geschützt, die ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer in seiner Position nach Treu und Glauben (§ 242) im Hinblick auf die Erfüllung der Verbindlichkeiten durch den Schuldner (Vermieter) hat. Das enttäuschte Mietervertrauen mündet entsprechend in eine (Garantie-)Verantwortung des Vermieters. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu passend, „[d]em Wesen des Miethvertrages entspreche es, dass dem Vermiether eine Garantiepflicht auferlegt werde für die Tauglichkeit der vermietheten Sache zu einem bestimmten Gebrauchszweck …“.137 Dieser Verständniszusammenhang eröffnet wiederum den Weg zur teleologischen Reduktion des § 536a Abs. 1

132 Lesenswert: Krampe, Die Garantiehaftung des Vermieters für Sachmängel – Ein Beitrag zur Kasuistik, 1980, S. 24ff. und Luig, in: FS Hübner, 1984, S. 121ff. 133 Honsell, Quod interest im bonae-fidei-iudicium – Studien zum römischen Schadensersatzrecht, 1969, S. 134; ähnlich Mayer-Maly, Locatio Conductio – Eine Untersuchung zum klassischen römischen Recht, 1956, S. 170. 134 Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, Bd. 2, 1901, S. 640. 135 Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. 1906, Nachdruck 1963, § 400, S. 739. 136 Diederichsen, AcP 165 (1965) 150, 167; Ergänzung durch den Verfasser; vgl. ferner MüllerErzbach, AcP 106 (1910) 309, 336. 137 Mugdan (Hrsg.), Die gesamten Materialien zum BGB, Bd. 2, 1899, S. 814; Ergänzung durch den Verfasser.

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erster Fall.138 Denn für den Umfang der Vermieterhaftung kommt es darauf an, was ein objektiver Beobachter in der Position des Mieters vom Vermieter an Einstandspflichten erwarten durfte. Nach Larenz ist das Mietervertrauen dort nicht geschützt, wo es sich um verborgene Mängel handelt, die sich jeder praktischen Feststellungsmöglichkeit entziehen: Der Vermieter eines Buches haftet etwa nicht dafür, dass der Vormieter an diesem Bazillen hinterlassen hat, mit denen sich der Nachmieter infiziert.139 Dies bedeutet nicht die Einführung eines Verschuldenselements, sondern die Zurückführung der Garantieverantwortung auf den Kernbereich dessen, was ein Mieter vom Vermieter nach Treu und Glauben (§ 242) an Sorgfaltsanforderungen erwarten darf. Diese Betrachtungsweise entspricht allerdings nicht der hM. (Rn. 868). bb) Tatbestand und Versuche der teleologischen Reduktion 866

Die entscheidende Sachvoraussetzung des § 536a Abs. 1 erster Fall liegt darin, dass der Mangel bereits bei Vertragsschluss vorhanden ist. (BGH 21.7.2010 – XII ZR 189/08 = NJW 2010, 3152) Die M-GmbH mietete in 2006 von der V-AG leerstehende Räume zum Betrieb eines Ladenlokals. Sie richtete diese ein und betrieb darin ein Elektronikgeschäft. Als die Angestellte A am 1.4.2011 eines der zu den Räumen gehörenden Ladenfenster auf Kippe stellen will, löst sich dieses aus dem Rahmen und fällt auf A. Durch die zerspringenden Glasscheiben erleidet diese erhebliche Schnittwunden am rechten Arm. Nachträglich stellt sich heraus, dass der Kippmechanismus des Fensters von Anfang an falsch montiert worden war, sodass es früher oder später zu einem solchen Unfall kommen musste. Dieser Defekt war allerdings durch die Aluminiumabdeckung des Rahmens nicht zu erkennen. V hatte das Haus im Jahre 2005 erworben. Damals war das Fenster bereits eingebaut. Steht A ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld iHv. 5.600 € gegenüber V zu?

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Der Anspruch der Angestellten gegen den Vermieter aus § 536a Abs. 1 erster Fall setzt zunächst voraus, dass der Mietvertrag Drittwirkungen entfaltet. Darauf ist noch näher einzugehen (Rn. 869ff.). Typischerweise ist die erforderliche Leistungsnähe in Bezug auf Angestellte zu bejahen, weil ein Angestellter des Mieters mit den Gefahren der Mietsache ebenso in Berührung kommt wie der Mieter selbst (Tz. 19). Gegenüber dem Angestellten bejaht das Gericht aber auch ein Gläubigerinteresse des Mieters an der Einbeziehung: Denn der Arbeitgeber unterhält aufgrund seiner Fürsorgepflicht eine Wohl-und-Wehe-Beziehung zu seinen Angestellten (Tz. 19). Nach § 618 ist er in besonderer Weise für den Schutz des Arbeitnehmers verantwortlich (Tz. 19). Diese Umstände waren für den Vermieter schließlich auch erkennbar. Entscheidend kam es jedoch auf die Frage an, ob der Mangel bereits bei Vertragsschluss vorlag. Dagegen könnte sprechen, dass der Kippmechanismus fünf Jahre lang problemlos funktionierte und erst im vorliegenden Fall den 138 Dies wird häufig gerade verkannt und dem Garantieprinzip entgegengehalten: Vgl. zT. sogar polemisch Canaris JZ 2001, 499, 506 sowie H. Roth JZ 2001, 543, 548. 139 Beispiel von Siber nach Larenz II/1 § 48 III b 3, S. 237; für eine entsprechende Haftungsbegrenzung auch Diederichsen AcP 165 (1965) 150, 167.

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Dienst versagte. Fraglich ist, worin genau der Mangel iSd. § 536a Abs. 1 erster Fall besteht: in der fehlerhaften Montage, die vor Vertragsschluss vorlag, oder im Sich-Lösen des Fensters nach Vertragsschluss. Das Problem erinnert an die aus § 477 bekannte Unterscheidung zwischen dem Mangel iSd. § 434 Abs. 1 Satz 1 und dem Sichzeigen des Mangels innerhalb der Sechsmonatsfrist seit Gefahrübergang (Rn. 161ff.). Der BGH nimmt hier folgende Abgrenzung im Hinblick auf das Herausfallen des Fensters vor: „Beruht dies allein auf Alterungs- oder Verschleißprozessen, entsteht der Mangel erst später mit dem Verschleiß. Nicht jedes später funktionsuntüchtig werdende Bauteil kann also bereits als im Zeitpunkt des Vertragsschlusses latent mangelhaft angesehen werden. War ein Bauteil aufgrund seiner fehlerhaften Beschaffenheit bei Vertragsschluss allerdings bereits in diesem Zeitpunkt für die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache ungeeignet und damit unzuverlässig, liegt ein anfänglicher Mangel vor.“ (Tz. 14).

Ein Mangel ist danach ursprünglich, wenn sich die zugrunde liegende Funktionsstörung bis zu einem Zeitpunkt vor Vertragsschluss zurückverfolgen lässt. Ein Baufehler ist daher auch dann ein ursprünglicher Mangel, wenn er sich deutlich später auswirkt (Tz. 15). Die Gegenauffassung sieht darin eine zu starke Beschneidung des Anwendungsbereichs von § 536a Abs. 1 zweiter Fall.140 Dem wird man jedoch entgegenhalten müssen, dass gerade auch diese Norm voraussetzt, dass der Mangel nach Vertragsschluss „entsteht“ und sich nicht etwa nur zeigt (vgl. noch einmal § 477). Im Umkehrschluss muss es daher für § 536a Abs. 1 erster Fall darauf ankommen, dass die wesentliche Ursache für den Mangel in einem Zeitpunkt vor Vertragsschluss gesetzt wurde. Dies ist vorliegend der Fall, sodass von einem Mangel bei Vertragsschluss auszugehen ist. Der Fall verdeutlicht die erheblichen Härten, die die Anwendung des § 536a Abs. 1 erster Fall für den Vermieter mit sich bringt. Die hier vertretene Auffassung von einer teleologischen Reduktion der Norm im Falle verborgener Mängel (Rn. 865)141 stellt dennoch eine Minderheitenposition dar.142 Wenig überzeugend erscheint die ebenfalls vertretene Einschränkung der Rechtsfolge des § 536a Abs. 1 erster Fall auf den Ersatz des negativen Interesses.143 Denn ein Schadensersatzanspruch, der an die Mangelhaftigkeit des Vertragsgegenstandes anknüpft, will den Mieter grundsätzlich im Wege der §§ 249ff. so stellen, als sei der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden (= positives Interesse). Die hM. begegnet dem Problem auf zwei Ebenen: Sie erlaubt erstens eine Abbedingung der Garantiehaftung zugunsten einer Haftung für Verschulden in den Vermieter-AGB.144 Wo 140 Schaub, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 168, 174. 141 Vgl. OLG Frankfurt WuM 1984, 78; im Anschluss an Larenz II/1 § 48 III b 3; Diederichsen

AcP 165 (1965) 150, 167. 142 Zur hM. Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536a BGB Rn. 7; Staudinger/Emmerich § 536a Rn. 4; Looschelders, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 141, 148. 143 Schreindorfer, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 180ff. 144 BGH NJW 2010, 3152, Tz. 22; BGH NJW-RR 1991, 74, 75; Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536a BGB Rn. 34; Staudinger/Emmerich § 536a Rn. 45; Herresthal, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 157, 167; MünchKomm/Häublein § 536a Rn. 21.

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ein solcher Ausschluss fehlt, behilft sie sich in Fällen des typengemischten Vertrags mit einer Anwendung der verschuldensabhängigen Haftung nach Verwahrungsrecht (Rn. 770). cc) Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte und Drittschadensliquidation 869

Fraglich ist, ob sich auch Dritte auf die erleichterte Vermieterhaftung nach § 536a Abs. 1 erster Fall berufen können. Darum geht es regelmäßig, wenn der Mieter Sachen in die Wohnung eingebracht hat, die im Eigentum Dritter stehen: (BGH 22.1.1968 – VIII ZR 195/65 = BGHZ 49, 350 = NJW 1968, 885, abgewandelt) M hat im Haus des V Geschäftsräume gemietet, in der sie ein Schallplattengeschäft betreibt. Diese Räume brannten aus. Ursache des Brandes war eine bereits vor Vertragsschluss vorhandene, nicht verschlossene, etwa 30 cm unterhalb der Decke befindliche Rauchrohröffnung in einem durch die gemieteten Räume führenden Kamin. In den Räumen befand sich ein Industriestaubsauger, den M von E gemietet hatte.145 M hat E alle Rechte gegenüber V aus dem Schadensfall abgetreten. E, der keine eigene vertragliche Beziehung zu V unterhält, verlangt nun von diesem Ersatz des ihm entstandenen Schadens. Ein eigener Anspruch des E gegen V aus § 536a Abs. 1 erster Fall setzt voraus, dass E als Dritter in die Schutzpflichten des Mietvertrages zwischen V und M einbezogen wurde.

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In der Entscheidung lässt der BGH offen, ob die Grundsätze über die Drittschadensliquidation zur Anwendung kommen, weil in jedem Fall die Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkungen für Dritte vorlägen (S. 887). Das zur Begründung der Drittwirkungen erforderliche Gläubigerinteresse entnimmt das Gericht dabei der Obhutspflicht des Mieters hinsichtlich des in die Mieträume eingebrachten fremden Eigentums. Zugleich bejaht es die Vorhersehbarkeit der Drittwirkungen für den Schuldner: Der Vermieter von Geschäftsräumen müsse sich darauf einrichten, dass die vom Mieter eingebrachten Sachen nicht diesem, sondern einem Dritten gehörten (S. 887). Die Schwäche dieser Argumentation liegt in der Begründung des Gläubigerinteresses. Dieses kann sicherlich nicht allein aus einer Obhuts- oder Aufbewahrungspflicht des Mieters hergeleitet werden, wenn andernorts nur Wohlund-Wehe-Beziehungen zur Begründung taugen (oben 826ff.). Bezeichnenderweise geht das Gericht auf diese Frage auch nicht näher ein. Als eigentlicher Grund für die Haftung des Vermieters gegenüber dem Dritten erscheint nämlich nicht die Obhutspflicht des Mieters, sondern die Zufälligkeit der Schadensverlagerung. Denn dem Vermieter kann es nicht zugutekommen, dass die zerstörte Sache zufällig nicht dem Mieter selbst, sondern einem Dritten gehörte. Vermietet er Geschäftsräume, muss er sich aufgrund des üblichen Geschäftsgebahrens darauf einstellen, dass dort auch Arbeitsgeräte und Waren eingelagert werden, an denen kein Mietereigentum besteht. Die in solchen Fällen eintre145 Hierin liegt eine Abwandlung gegenüber dem Originalfall, in dem es um Vorbehaltsware

ging, bei der sich jedoch das Fallproblem wegen § 446 Satz 1 nicht stellt; dazu sogleich.

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tende zufällige Schadensverlagerung auf einen Dritteigentümer führt wiederum zum zentralen Tatbestandsmerkmal der Drittschadensliquidation. Die Rechtsfolge dieses Instituts besteht nämlich darin, dass der Vertragspartner (hier der Mieter) den Schaden des Dritten wie einen eigenen geltend machen kann: Der Schaden des Dritten wird mit anderen Worten zum Anspruch des Mieters gegen den Vermieter gezogen. Wegen dieser milderen Rechtsfolge geht die Drittschadensliquidation der Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte auch richtiger Ansicht nach vor.146 Die Frage ist allerdings umstritten: Die im Schrifttum herrschende Gegenauffassung, der im vorliegenden Fall auch der VIII. Senat des BGH folgt, nähert sich dem Problem von den abstrakten Kategorien des Schadensrechts her: Dort steht dem mittelbar Geschädigten, dh. der Person, die die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nicht in ihrer Person erfüllt, nur ausnahmsweise (§ 844) ein Ersatzanspruch zu.147 Entsprechend soll die Liquidation eines Drittschadens als Ausnahmefall hinter dem Regelfall, der Geltendmachung eines Eigenschadens aus Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte, zurücktreten. Dabei wird jedoch nicht bedacht, dass über die Erstreckung von Drittwirkungen die Haftung des Schuldners (Vermieters) erheblich ausgeweitet wird, durch die Lehre von der Drittschadensliquidation hingegen nicht. Denn beim Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte haftet der Schuldner sowohl dem Gläubiger als auch zusätzlich dem Dritten (Haftungskumulation). Im Rahmen der Drittschadensliquidation ist der Schuldner hingegen nur für einen einzelnen, bestimmten Schaden verantwortlich, der zufälligerweise nicht beim Vertragspartner, sondern bei einem Dritten anfällt (zufällige Schadensverlagerung). Um die vorliegende Fallgestaltung zu erfassen, müssen daher die Kriterien des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte ausgeweitet werden, was die Gefahr in sich birgt, dass sich die Drittverantwortlichkeit des Schuldners auch in künftigen Folgefällen erweitert. Solange den Drittinteressen daher durch eine Drittschadensliquidation Rechnung getragen werden kann, erscheint dies überflüssig und gefährlich. Aus ähnlichen Gründen erkennt daher der XI. Senat des BGH in anderem Zusammenhang einen Vorrang der Drittschadensliquidation an (Rn. 1343).148 Tatbestandsvoraussetzung der Drittschadensliquidation ist eine zufällige Schadensverlagerung. Die Schadensverlagerung wird dadurch bemerkbar, dass der Vertragspartner des Schädigers einen Anspruch, aber keinen Schaden hat, der Eigentümer der Sache (Dritter) jedoch einen Schaden, aber keinen Anspruch (Rn. 496ff.). Vorliegend hat der Mieter zwar einen Anspruch aus § 536a Abs. 1 erster Fall. Da die Sache jedoch nicht ihm selbst gehört, hat er keinen Schaden. Der Eigentümer trägt den Schaden; nur sind außerhalb des § 536a 146 So von Caemmerer in: FS Wieacker, 1978, S. 311, 319; Soergel/Hadding Anh. § 328 Rn. 12. 147 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 21 I 5; Lange, in: Lange/Schiemann,

Schadensersatz § 8 IV, S. 485; MünchKomm/Oetker § 249 Rn. 293; Staudinger/Schiemann Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 66. 148 BGHZ 176, 281 = NJW 2008, 2245, Tz. 35f.

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Abs. 1 erster Fall verschuldensunabhängige Ansprüche gegen den Vermieter nicht in Sicht. Deshalb hat der Eigentümer keinen Anspruch. Die Schadensverlagerung muss schließlich zufällig erfolgen. Die Rechtsordnung kennt drei Fallgruppen der zufälligen Schadensverlagerung: die Gefahrtragungsnormen (Rn. 496ff.), den Fall der mittelbaren Stellvertretung (Rn. 1332) und die hier vorliegenden Obhutsfälle. Teilweise wird die Zufälligkeit der Verlagerung in den Obhutsfällen aus einem allgemeinen aus § 701 Abs. 2 folgenden Rechtsgedanken begründet:149 So wie der Gastwirt für Schäden an allen in seine Obhut genommenen Sachen ohne Verschulden verantwortlich sei, gleichgültig, ob sie seinem Vertragspartner oder einem Dritten gehörten, solle auch derjenige haften, der mit einem Obhutspflichtigen kontrahiere und damit rechnen müsse, dass dieser fremdes Eigentum in den Gefahrenbereich des vertraglichen Leistungsaustauschs einbringe. Überzeugender als der Rekurs auf diese Ausnahmenorm erscheint der bereits vorgestellte Gedanke: Ein Vermieter von Geschäftsräumen muss damit rechnen, dass in diesen Waren und Betriebsmittel eingelagert werden. Die Eigentumsverhältnisse an diesen erscheinen aus seiner Sicht als Zufall. Denn das Haftungsrisiko des Vermieters ist durch den Gebrauchszweck der Räume und deren Beschaffenheit (insbesondere Größe) begrenzt, nicht aber durch die Rechtszuständigkeit des Mieters an den eingebrachten Sachen. Die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation liegen danach im Fall vor. Es versteht sich, dass der Schaden des E zum Anspruch der M gezogen wird (deshalb Drittschadensliquidation) und nicht etwa E den Anspruch der M zu seinem Schaden ziehen kann. Das zweite bedeutete nämlich eine Legalzession der Ansprüche des Vertragspartners, die diesen in vielen Fällen schutzlos zurückließe. Hat M nämlich noch Ansprüche gegen E, wird sie den Anspruch gegen V nach § 320 nur Zug um Zug gegen die Erfüllung dieser Ansprüche an E abtreten. Vorliegend hat M ihren Anspruch gegenüber V bereits an E abgetreten. Andernfalls stünde E gegen M auch ein Anspruch aus § 285 Abs. 1 auf Abtretung dieses Anspruchs zu: Den Herausgabeanspruch des E aus §§ 546 Abs. 1, 985 kann M nämlich wegen Untergangs der Sache nach § 275 Abs. 1 nicht mehr erfüllen. An seine Stelle ist als Surrogat der Ersatzanspruch der M gegen V aus § 536a Abs. 1 erster Fall getreten. Diesen hat M an E gemäß § 398 Satz 1 abgetreten. Weil die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation erfüllt sind, liegen auch sämtliche Voraussetzungen dieses Anspruchs, insbesondere ein Schaden, vor. E kann daher von V Schadensersatz gemäß §§ 536a Abs. 1 erster Fall, 398 Satz 2 verlangen. Bejaht man hingegen mit der hM. ein Gläubigerinteresse des M, ist E in die Schutzwirkungen des Vertrages einbezogen, weil für V erkennbar war, dass in den Räumen gemietete Arbeitsgeräte eingelagert würden. Dann aber liegen die weiteren Voraussetzungen des § 536a Abs. 1 erster Fall vor, weil ein Mangel nach § 536 Abs. 1 Satz 1 bei Vertragsschluss bestand.

Die innere Rechtfertigung der Drittschadensliquidation liegt im Gedanken der schadensrechtlichen Vorteilsausgleichung: Die Aufspaltung von Ver149 Staudinger/Schiemann Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 72.

III. Die Mieterrechte

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tragsgläubiger und geschädigtem Dritten erscheint danach als ein durch den Schaden erlangter, „herauszugebender“ Vorteil des Schädigers.150 Dass uU. deliktsrechtliche Ansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger bestehen, hindert die Drittschadensliquidation im Übrigen nicht.151 Denn diese zielt auf einen Ausgleich für die beiden zentralen Nachteile der Haftung aus §§ 823ff.: die Beschränkung der Haftung für Dritte in § 831 Abs. 1 (im Gegensatz zu § 278 Satz 1) und die Einschränkung der Fahrlässigkeitshaftung auf die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 (im Gegensatz zu § 280 Abs. 1 Satz 1). Vorliegend kommt als eigener Gesichtspunkt die Garantieverantwortung aus § 536a Abs. 1 erster Fall hinzu, die dem Eigentümer einen vom Verschulden unabhängigen Anspruch eröffnet. An einer zufälligen Schadensverlagerung fehlt es hingegen, wenn der Mieter durch die Beschädigung der fremden Sache einen eigenen Schaden erleidet. Dies ist bei Vorbehaltsware (§ 449 Abs. 1) der Fall, weil das Anwartschaftsrecht des Mieters betroffen ist. Aber auch bei Einlagerung einer (noch) nicht dem Mieter gehörenden Kaufsache erleidet der Mieter einen Schaden, wenn die Preis- oder Gegenleistungsgefahr nach § 446 Satz 1 auf ihn übergegangen ist. Denn im Außenverhältnis zum Verkäufer schuldet der Mieter den Kaufpreis auch bei Untergang der Kaufsache, kann aber andererseits wegen § 275 Abs. 1 nicht die Lieferung einer Ersatzsache verlangen.

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dd) Anwendung des § 536a Abs. 1 erster Fall auf den unbehebbaren Mangel vor Vollzug der Miete

§ 536a Abs. 1 erster Fall ist auf Mängel anwendbar, die bei Vertragsschluss vorhanden sind. § 536 Abs. 1 Satz 1 wiederum setzt voraus, dass die Mietsache zum Zeitpunkt der Überlassung an den Mieter einen Mangel hat. Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn es zu einer Überlassung gar nicht kommt, weil der Mangel unbehebbar ist und der Mieter die Sache nicht will bzw. der Vermieter sie erst gar nicht zur Übergabe anbietet. Hier stellt sich vor allem die Frage nach der Anwendbarkeit des Anspruchs aus § 311a Abs. 2 Satz 1. Die damit verbundenen Probleme zeigt folgende Konstellation: M hat von V eine Wohnung zum 1.7.2012 gemietet. Vor Vertragsschluss hat V die Wohnung dem Vormieter D gegenüber so gekündigt, dass diese zum vertraglich geschuldeten Zeitpunkt dem M überlassen werden kann. Als M die Wohnung beziehen will, stellt sich allerdings heraus, dass D die Kündigung nicht akzeptiert und eine Räumung verweigert. Deshalb hat V mittlerweile eine Räumungsklage gegen D erhoben. V behauptet gegenüber M, er sei davon ausgegangen, dass D rechtzeitig ausziehe. Auf Nachfrage erklärt D, die Kündigung des V sei zu Unrecht erfolgt. M, der die Wohnung aus beruflichen Gründen braucht, macht einen Schaden gegenüber V geltend, weil er eine teurere Ersatzwohnung anmieten musste. Ein Anspruch des M gegen V nach § 536a Abs. 1 erster Fall setzt neben dem Abschluss eines Mietvertrags auch voraus, dass die Mietsache bei Vertragsschluss mangelhaft war. 150 Ähnlich Büdenbender JZ 1995, 920ff.; ders., Vorteilsausgleichung und Drittschadensliqui-

dation bei obligatorischer Gefahrentlastung, 1995; ähnlich Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, 1971; Peters AcP 180 (1980) 329. 151 BGH NJW 1985, 2411; Staudinger/Schiemann Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 72.

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Fraglich ist jedoch, ob es sich vorliegend um einen Rechtsmangel (§ 536 Abs. 3) oder einen Sachmangel (§ 536 Abs. 1 Satz 1) handelt. Für letzteren käme es auf eine Überlassung der Mietsache nach § 536 Abs. 1 Satz 1 an, die hier nicht vorliegt.

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Vor Überlassung der Mietsache kann grundsätzlich nur ein Rechtsmangel nach § 536 Abs. 3 geltend gemacht werden, weil sich dieser dauerhaft gegen das Gebrauchsrecht des Mieters richtet und nicht von einer konkreten Inbesitznahme durch den Mieter abhängt.152 Ein Rechtsmangel kommt vorliegend in Betracht, wenn die Kündigung des Vermieters gegenüber dem Vormieter rechtswidrig war. Dann wird dem Mieter die versprochene Gebrauchsmöglichkeit durch das Besitzrecht des Vormieters iSd. § 536 Abs. 3 entzogen.153 War die Kündigung hingegen rechtmäßig, steht der Gebrauchsmöglichkeit gerade kein Recht des Vormieters, sondern nur dessen tatsächliche Weigerung entgegen: Es handelt sich um eine tatsächliche Beeinträchtigung, also einen Sachmangel. Das zentrale Problem der Fallgestaltung liegt aber darin, dass der (Nach-)Mieter von seiner Außenwarte aus nicht beurteilen kann, ob die Kündigung gegenüber dem Vormieter rechtmäßig war oder nicht. Handelt es sich um einen Rechtsmangel (rechtswidrige Kündigung), muss ein Mangel iSd. § 536a Abs. 1 erster Fall bejaht werden. Handelt es sich um einen vor Überlassung bestehenden unbehebbaren „Sachmangel“ (rechtmäßige Kündigung), findet § 311a Abs. 2 Satz 1 Anwendung. Für den Mieter ist daher im Prozess gegen den Vermieter nicht zu unterscheiden, ob der eigene Klageanspruch ein Vertretenmüssen voraussetzt (§ 311a Abs. 2 Satz 2) oder nicht (§ 536a Abs. 1 erster Fall). Wegen der Kostenlast bei einer Klageabweisung (§ 91 ZPO) erscheint dies schwer hinnehmbar. Im alten Mietrecht hatte der BGH aus ähnlichen Erwägungen heraus erwogen, den Anwendungsbereich des § 536a Abs. 1 bei einem unbehebbaren Sachmangel auf den Zeitpunkt vor der Übergabe vorzuverlegen, dies jedoch später zugunsten einer Haftung aus c.i.c. aufgegeben.154 Deshalb verneint auch jetzt die im Schrifttum hM. die Vorverlagerung des § 536a Abs. 1 erster Fall mit folgenden Argumenten:155 Die Norm solle den Mieter nur vor Schäden schützen, die ihm durch die Überlassung der Mietsache entstünden; bis zum Zeitpunkt der Übergabe habe der Vermieter aber stets die Möglichkeit, die Mietsache zu verbessern. Auch beginne die Zahlungspflicht des Mieters wegen § 320 erst mit Übergabe, weswegen auch der Vermieter nicht früher zu haften brauche. Schließlich schaffe die Übergabe einen besonderen Vertrauenstatbestand zugunsten des Mieters, der erst die schärfere Garantiehaftung rechtfer152 Arnold, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 595; Emmerich NZM 2002, 362, 364; Horst DWW 2002, 1, 13. 153 Emmerich NZM 2002, 362, 364. 154 Für die Vorverlagerung: BGHZ 93, 142, 144f.; 99, 54, 57; BGH WuM 1992, 687; dagegen und für c.i.c. BGH NJW 1997, 2813, 2814. 155 Bolte ZGS 2002, 200, 202; Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 536 Rn. 4; Herresthal, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 157, 166; Oetker/Maultzsch § 5 Rn. 567; F. Graf von Westphalen NZM 2002, 368, 375.

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tige.156 Teilweise passen diese Argumente auf den unbehebbaren Mangel nicht. Denn hier besteht für den Vermieter keine Verbesserungsmöglichkeit; auch geht es nie darum, die Schadensersatzpflicht auf Zeiträume vorzuverlegen, in denen noch keine Leistungspflicht bestand. Überzeugender erscheint daher die Gegenmeinung.157 Denn für die Vorverlagerung der Haftung aus § 536a Abs. 1 erster Fall spricht ein Argument aus § 323 Abs. 4, dem Fall der offensichtlichen und unzumutbaren Leistungsgefährdung (Rn. 382, 478): Ebenso wie man nach dieser Norm vor Eintritt der Fälligkeit der Schuldnerleistung (also auch vor Übergabe) zurücktreten kann, muss der Schadensersatzanspruch nach § 536a Abs. 1 vor Übergabe greifen können.158 Insbesondere darf es der Vermieter nicht selbst in der Hand haben, ob er aus Verschulden haftet (keine Übergabe der Mietsache) oder aus Garantie (nach Übergabe der Sache). Ferner erschiene es verfehlt, wenn der Mieter den Besitz an der ungewollten Sache nur deshalb begründen müsste, um in den Anwendungsbereich des § 536a Abs. 1 erster Fall zu kommen.159 Denn es entspricht einem grundlegenden Prinzip des Sachmängelhaftungsrechts, dass ein Käufer sich die mangelhafte Sache nicht aufdrängen zu lassen braucht (Rn. 85ff.). Dennoch bleibt ein nicht auszuräumender Wertungswiderspruch: Bei anfänglichem, unbehebbarem Sachmangel haftet der Vermieter, wenn dem Mieter die Mietsache überlassen wurde, in jedem Fall aus Garantie (§ 536a Abs. 1 erster Fall). Ist die Mietsache hingegen gar nicht vorhanden, haftet er nur aufgrund eines Vertretenmüssens (§ 311a Abs. 2 Satz 1). Bei der schwerwiegenderen Leistungsstörung ist die Haftung daher milder. Dieses Problem beruht auf der verfehlten Haftungskonzeption des § 536a Abs. 1 erster Fall. Nimmt man diesen Widerspruch nicht hin, muss der Haftungsmaßstab des § 311a Abs. 2 an den des § 536a Abs. 1 erster Fall angepasst werden. Dann würde auch im Falle des § 311a Abs. 2 Satz 1 aus Garantie gehaftet. Dies dürfte allerdings einer Minderheitenposition entsprechen.160

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c) § 536a Abs. 1 zweiter Fall

§ 536a Abs. 1 zweiter Fall regelt das Auftreten eines Mangels, den der Vermieter zu vertreten hat, nach Vertragsschluss. (BGH 15.10.2008 – VIII ZR 321/07 = NJW 2009, 143) M hat eine Wohnung von V in einem Mehrfamilienhaus gemietet. In der Nachbarwohnung kam es durch einen elektronischen Defekt in der Dunstabzugshaube, der bei Vertragsschluss noch nicht vorlag, zu einem Brand. Dieser griff auch auf die Wohnung des M über und führte dort zur teilweisen Zer156 Oetker/Maultzsch § 5 Rn. 567. 157 MünchKomm/Ernst § 280 Rn. 84; MünchKomm/Häublein Vor § 536 Rn. 11; BeckOK/Eh-

lert § 536a Rn. 7; Looschelders, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 141, 149f.; Schaub, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 168, 172; vgl. Kandelhard WuM 2003, 3, 7, Fn. 82, allerdings auch S. 9. 158 Kandelhard WuM 2003, 3, 7, Fn. 82. 159 Derleder WuM 2002, 407. 160 Dazu mwN. Timme NZM 2003, 703; Oechsler NZM 2004, 881, 885.

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störung der Einrichtung. M verlangt von V Schadensersatz iHv. 2.600 €, weil V seine Brandschutzpflichten in der Nachbarwohnung vernachlässigt habe. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 536a Abs. 1 zweiter Fall. Dass es sich bei dem elektronischen Defekt in der Nachbarwohnung auch um einen Mangel der an M überlassenen Mietwohnung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 handelt, wird man deshalb bejahen müssen, weil gerade bei einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Mietwohnung die Umweltbeziehungen zur Beschaffenheit zählen (Tz. 10; vgl. auch Rn. 850). Der Ersatzanspruch setzt jedoch voraus, dass V den Mangel zu vertreten hat. In Betracht kommt der Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis des V, wenn dieser eine Pflicht zur Kontrolle der Nachbarwohnung verletzt hat.

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Der BGH geht zunächst davon aus, dass den Vermieter die vertragliche Nebenpflicht trifft, die Mietsache in verkehrssicherem Zustand zu erhalten, wobei sich diese Pflicht auf sämtliche Teile des Hauses erstreckt (Tz. 13). Sie umfasst ihrem Inhalt nach aber nicht eine regelmäßige Kontrolle der Elektrogeräte in sämtlichen Mietwohnungen (Tz. 17). Der Vermieter dürfe nämlich im Regelfall darauf vertrauen, dass Elektrogeräte und -leitungen in den Mietwohnungen betriebssicher seien (Tz. 18), es sei denn im Einzelfall bestünden besondere Verdachtsmomente für fehlende Betriebssicherheit (Tz. 19). Die Überlegungen des BGH orientieren sich dabei pragmatisch an den Besitzverhältnissen: Eine andere Betrachtungsweise würde den Vermieter nämlich zu ständigen Beeinträchtigungen des Besitzrechts des Mieters zwingen (Kontrollbesuche; Rn. 815a).161 Sie ist auch praktisch nicht ohne größeren Aufwand durchführbar, weil nicht jeder Vermieter über entsprechende Kenntnisse verfügt. Ein Gegenbeispiel liefert der Fall eines Vermieters, der die Wasserleitungen der Wohnung nicht auf eine Infektion mit Legionellen überprüft. Er haftet im Falle des Todes seines Mieters.162 In den Fällen des § 536a Abs. 1 zweiter Fall liegen häufig auch die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 vor. Dieser setzt jedoch eine Nachfristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 voraus, während bei § 536a Abs. 1 zweiter Fall die Mängelanzeige nach § 536c Abs. 1 eine ähnliche Funktion entfaltet (vgl. nämlich § 536c Abs. 2 Satz 2 Nr. 2). Der zentrale Unterschied zwischen § 536a Abs. 1 zweiter Fall und § 280 Abs. 1 Satz 1 liegt in der Beweislastverteilung: Der Vermutung zugunsten des Gläubigers nach § 280 Abs. 1 Satz 2 steht eine differenziertere Rechtsprechung im Hinblick auf § 536a Abs. 1 zweiter Fall zur Beweislastverteilung nach Verantwortungsbereichen gegenüber.163 Dies spricht für einen Vorrang des § 536a Abs. 1 zweiter Fall.164 (BGH 22.10.2008 – XII ZR 148/06 = NJW 2009, 142) M hatte eine Scheune des V gemietet, um darin seine Oldtimer abzustellen. Daneben betrieb V in der Scheune eine Reparatur161 Ähnlich Gsell NZM 2010, 71, 72. 162 BGH NJW 2015, 2111, Tz. 8. 163 BGH NJW 2006, 1061, Tz. 2 f; dazu Schaub, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 168,

173. 164 Schaub, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 168, 173f.

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werkstatt. Als V eines seiner Fahrzeuge dort repariert, fängt dieses Feuer und die ganze Scheune brennt nieder. Dadurch werden alle Fahrzeuge des M zerstört. Dieser verlangt von V Schadensersatz.

Der BGH verneint zunächst einen Schadensersatzanspruch aus § 536a Abs. 1 zweiter Fall, da der Brand nicht von einem Mangel der Scheune, sondern vom Fahrzeug des Vermieters ausgegangen sei (Tz. 11f.). Er hält es jedoch für möglich, dass eine objektive Pflichtverletzung des Vermieters (mangelnde Vorsichtsmaßnahmen bei der Fahrzeugreparatur) ebenfalls zum Schaden beigetragen habe. Die Beweislastverteilung nach § 280 Abs. 1 Satz 1 wendet das Gericht dabei erstaunlicherweise auf die objektive Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 und nicht nur auf den Vorwurf des Vertretenmüssens an (Tz. 15).165 Wenn sich der Vermieter nicht entlasten könne, was in der Entscheidung selbst – sie mündet in eine Rückverweisung an die Vorinstanz (§ 563 Abs. 1 ZPO) – offen bleibt, hafte der Vermieter nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 auf einen um einen Mitverschuldensanteil des Mieters gekürzten Schadensersatzanspruch. Diese Art der Anwendung des § 280 Abs. 1 Satz 2 bereitet Bedenken. Die im Schrifttum geäußerte Kritik weist ferner zu Recht darauf hin, dass bereits mit dem Brand der Scheune nachträglich eine Gebrauchsbeeinträchtigung an dieser und damit ein Mangel iSd. § 536 Abs. 1 Satz 1 eingetreten war. Daher hätte es näher gelegen, von einem Anspruch des Mieters aus § 536a Abs. 1 zweiter Fall auszugehen und auf die Frage des Vertretenmüssens die im Rahmen dieser Norm übliche Beweislastverteilung nach Verantwortungsbereichen anzuwenden; § 280 Abs. 1 Satz 2 konnte hingegen aus den erwähnten Gründen keine Anwendung finden.166 Zur Abgrenzungsfrage gegenüber dem Anspruch aus §§ 280, 283 kommt es schließlich auch in den Fällen der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit (Rn. 905). Ferner ist zu beachten, dass der Vermieter im Einzelfall durch die Zusicherung einer Eigenschaft eine Garantie für eine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung für nachträglich auftretende Mängel übernehmen kann (Rn. 857).

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d) § 536a Abs. 1 dritter Fall

Nach § 536a Abs. 1 dritter Fall haftet der mit der Mängelbeseitigung in Verzug geratene Vermieter. Der Norm fehlt neben §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 regelmäßig ein eigenständiger Anwendungsbereich.167 Beide Anspruchsgrundlagen dürften daher frei konkurrieren.

165 Im Anschluss an BGH ZMR 2005, 520. 166 Schaub, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 168, 174. 167 Schaub, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 168, 176.

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7. Aufwendungs- und Verwendungsersatz a) Überblick 880

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Der Mieter darf einen Mangel nach § 536a Abs. 2 in zwei Fällen selbst beseitigen: Beim Verzug des Vermieters mit der Mängelbeseitigung (Nr. 1) oder wenn die umgehende Beseitigung des Mangels zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Bestandes der Mietsache erforderlich ist (Nr. 2). Der erste Fall weicht insoweit von der Parallelnorm des § 637 Abs. 1 ab, als er Verzug und damit ein Vertretenmüssen des Vermieters voraussetzt (§ 286 Abs. 4). Nicht geregelt ist im Mietrecht der in § 637 Abs. 3 vorgesehene Anspruch auf Vorschuss, mit dem der Mieter gegen die monatliche Miete aufrechnen kann (§§ 387, 389). Die Rechtsprechung anerkennt den Vorschussanspruch jedoch als Teil des Aufwendungsersatzanspruchs bei berechtigter Selbstvornahme durch den Mieter (Rechtsgedanke des § 669!). Begründet wird dies mit der Überlegung, dass der Vermieter vom Mieter nicht verlangen könne, die eigentlich dem Vermieter obliegende Mängelbeseitigung auf eigene Kosten vorzunehmen.168 Die Regelung des § 536a Abs. 2 Nr. 2 bezieht sich hingegen erkennbar auf Notfälle.169 Sie eröffnet eine Eilkompetenz in Fällen, in denen Mängelbeseitigungsmaßnahmen keinen Aufschub dulden. Regelmäßig muss der Bestand der Mietsache betroffen sein und die mit der Benachrichtigung des Vermieters verbundene Verzögerung diesen gerade gefährden. Erst dann wird die umgehende Mängelbeseitigung notwendig iSd. Norm. Ein allgemeiner Aufwendungsersatzanspruch steht dem Mieter schließlich noch nach § 539 Abs. 1 zu. Nach dieser Norm kann der Mieter außerhalb von § 536a Abs. 2 vom Vermieter Aufwendungen auf die Mietsache nur nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt verlangen. Die bedeutendste Einschränkung der Norm liegt darin, dass sie eine Rechtsgrundverweisung auf die §§ 677ff. beinhaltet (zu den Gründen Rn. 884).170 Dies bedeutet vor allem, dass der Mieter die Aufwendungen mit Fremdgeschäftsführungswillen nach § 677 erbracht haben muss (vgl. nämlich § 687 Abs. 1). Damit wird der Aufwendungsersatzanspruch stark eingeschränkt. Dies zeigt der Fall der Vornahme ungeschuldeter Schönheitsreparaturen durch den Mieter aufgrund unwirksamer AGB des Vermieters (Rn. 955ff.). Im Zusammenspiel zwischen § 539 Abs. 1 und § 536a Abs. 2 kann daher der Mieter schließlich Aufwendungen für eine Mängelbeseitigung durch unberechtigte Selbstvornahme (die Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 liegen also gerade nicht vor), nicht nach §§ 539 iVm. §§ 683 bzw. 684 Satz 1 liquidieren; denn § 536a Abs. 2 entfaltet insoweit Sperrwirkung. Der BGH zieht hier Paral-

168 Vgl. etwa BGHZ 56, 136, 141 = NJW 1971, 1450. 169 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 41. 170 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 42; BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590, Tz. 16; Staudinger/

Emmerich § 539 Rn. 5; Schmidt-Futterer/Langenberg § 539 BGB Rn. 25; MünchKomm/Bieber § 539 Rn. 8.

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lelen zur Rechtsprechung im Kaufrecht.171 Die Gegenauffassung sieht hingegen § 539 Abs. 1 als Auffangtatbestand an, um beim Vermieter auch in den Fällen der eigenmächtigen Selbstvornahme die durch die Anstrengungen des Mieters ersparten Aufwendungen abschöpfen zu können.172 Auch dies spiegelt den Meinungsstand im Kaufrecht wider (Rn. 203ff.). b) Kündigung, Aufwendungsersatz und Verwendungsersatz nach § 284

Nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 kann der Mieter das Mietverhältnis fristlos kündigen, wenn ihm der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen worden ist. Mit diesem besonderen Lösungsrecht trägt das Recht dem Dauerschuldcharakter der Miete Rechnung: Denn dieser steht einer Rückabwicklung nach §§ 346ff. auf der Grundlage des § 323 entgegen. Solange allerdings die Mietsache noch nicht übergeben ist, konkurriert die Rücktrittsmöglichkeit nach § 323 Abs. 1 mit dem Kündigungsrecht nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. Andererseits verliert der Mieter das Kündigungsrecht, wenn die Mängelanzeige nach § 536c Abs. 1 Satz 1 unterbleibt (§ 536c Abs. 2 Nr. 3). Darüber hinaus setzt die Ausübung des Kündigungsrechts nach § 543 Abs. 3 Satz 1 voraus, dass der Mieter dem Vermieter eine angemessene Frist zur Abhilfe setzt und diese erfolglos verstreicht. Rechtsfolge der fristlosen Kündigung ist die Beendigung des Mietverhältnisses im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigungserklärung (Zugang). Der Mieter kann nach § 539 Abs. 2 die von ihm eingebrachte Einrichtung der Mietwohnung wegnehmen. Dabei muss er indes ein möglicherweise noch bestehendes Vermieterpfandrecht beachten (vgl. den Wortlaut des § 562a Satz 1 sowie § 289 StGB). Fraglich ist, inwieweit er Ersatz frustrierter Aufwendungen auf die Mietwohnung verlangen kann: Beispiel M hatte von V eine Dreizimmerwohnung nach § 575 Abs. 1 für fünf Jahre mit einem Optionsrecht auf Verlängerung für weitere fünf Jahre gemietet. Im Bad ließ er die aus seiner Sicht minderwertigen Wand- und Bodenkacheln abreißen und mit einer besonders hochwertigen Keramikfliese neu belegen (Kostenpunkt: 2.000 Euro). Ein halbes Jahr nach Übergabe kündigt M das Mietverhältnis wegen einer nicht abzustellenden und unerträglichen Lärmbelästigung gegenüber V fristlos. Er verlangt nun von V Ersatz der 2.000 € mit der Begründung, er habe sich auf eine mehrjährige Wohndauer eingerichtet und deshalb den nicht unerheblichen Betrag aufgewendet. Ansprüche aus § 536a Abs. 2 kommen nicht in Betracht, weil keiner der beiden Ersatztatbestände vorliegt. M kann von V möglicherweise nach § 539 Abs. 1 Aufwendungsersatz verlangen.

Der allgemeine Aufwendungsersatzanspruch des Mieters nach § 539 Abs. 1 deckt die Fälle ab, die von den Spezialtatbeständen des § 536a Abs. 2 nicht erfasst sind. Er führt zur analogen Anwendung der Vorschriften über die Ge171 BGH NJW 2008, 1216, Tz. 19 zur Sperre, Tz. 20ff. zu den Parallelen im Kaufrecht. 172 Herresthal/Riehm NJW 2005, 1457, 1460; ähnlich Gsell NZM 2010, 71, 74; Kuhn ZMR

2009, 175, 179; aA. Lange ZGS 2009, 442, 443f.

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schäftsführung ohne Auftrag. Dabei geht die ganz hM. – wie bereits erwähnt – von einer Rechtsgrundverweisung auf die §§ 677ff. aus (Rn. 881). Deshalb muss der Mieter die Aufwendungen auf die Mietsache (= Verwendungen) mit Fremdgeschäftsführungswillen nach § 677 erbracht haben. Konsequenterweise scheidet § 539 Abs. 1 aus, wenn der Mieter die Verwendungen für eigene Zwecke und im eigenen Interesse vornimmt, etwa um eine Mietwohnung nach seinen Vorstellungen auszustatten.173 Nicht selten dürfte der Anspruch auch an § 683 Satz 1 scheitern, weil die Verwendungen dem objektiven Interesse und dem subjektiven Willen des Vermieters nicht entsprechen. Hinter diesen Einschränkungen steht der Schutz des Räumungsanspruchs des Vermieters nach § 546 Abs. 1 vor wirtschaftlicher Aushöhlung. Wären die Anforderungen an den Verwendungsersatzanspruch des Mieters geringer, könnte dieser dem Vermieter auf jede Kündigung hin eine umfangreiche Rechnung über seine Investitionen in die Mietsache aufmachen. Dann stünde das Kündigungsrecht des Vermieters häufig nur auf dem Papier, weil der Vermieter das Zurückbehaltungsrecht des Mieters aus § 273 Abs. 2 nicht ablösen könnte. Durch Verwendungen auf die Mietsache könnte der Mieter sich daher faktisch eine dauerhafte Besitzposition sichern. Im Beispielsfall der fest mit der Mietwohnung verbundenen Kacheln steht dem Mieter möglicherweise jedoch ein Anspruch aus §§ 946, 951 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Verwendungskondiktion) zu.174 Dafür spricht ein systematisches Argument: Wenn der gutgläubige Eigenbesitzer iSd. §§ 994 Abs. 1, 996 Verwendungsersatz nach Maßgabe der §§ 1001f. verlangen kann, muss dies auch dem ebenfalls im eigenen Interesse handelnden Fremdbesitzer möglich sein, wenn dieser im Zeitpunkt der Verwendungen auf das Fortbestehen seines Besitzrechts vertrauen darf. Dieser Anspruch durchbricht den gerade vorgestellten Rechtsgedanken des § 539 Abs. 1 nicht, weil er auf der Rechtsfolgenseite nicht so weitreichend ist wie § 539 Abs. 1. Denn die hM. schützt den Vermieter als Bereicherungsschuldner nach § 818 Abs. 3 über die Grundsätze der aufgedrängten Bereicherung.175 In einem vergleichbaren Fall hat der BGH dem Bereicherungsschuldner erlaubt, der Kondiktion mit der Einrede aus § 1001 Satz 2 zu begegnen:176 Danach steht dem Besitzer kein Verwendungsersatzanspruch zu, wenn ihm der Eigentümer den Verwendungsgegenstand zurückgibt. Aus ähnlichen Überlegungen heraus erwächst dem Vermieter aus §§ 242, 539 Abs. 2 eine Einrede gegenüber den Verwendungsersatzansprüchen des Mieters aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall: Der Vermieter kann dem Mieter die Wegnahme des Verwendungsobjekts erlauben und damit alle Ansprüche abwehren. Das Wegnahmerecht nach § 539 Abs. 2 besteht aber 173 BGH NJW 1976, 2255; Staudinger/Emmerich § 539 Rn. 6. 174 Allgemeiner für einen Bereicherungsanspruch BGH NJW-RR 2006, 294, Tz. 24; Schmidt-

Futterer/Langenberg § 539 BGB Rn. 60. 175 Vgl. Larenz/Canaris II/2 § 72 IV. 176 BGHZ 23, 61.

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nur bei Einrichtungen, dh. beweglichen Sachen, die vom Mieter mit dem Mietobjekt körperlich verbunden worden sind und dem wirtschaftlichen Zweck des Mietobjektes dienen (Bsp. Waschbecken, Wandschränke, Badeöfen usw.).177 Scheidet eine Wegnahmemöglichkeit des Mieters aus, folgt der Bereicherungsausgleich entsprechend einem aus § 818 Abs. 2 und 3 folgenden Gerechtigkeitsgedanken: Weil der Bereicherungsgläubiger dem -schuldner die Bereicherung aufgedrängt hat, kommt es für die Frage der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 allein auf die Interessenlage des Bereicherungsschuldners an.178 Der Vermieter ist daher nur dann zum Ersatz verpflichtet, wenn er sich den Wert der Verwendungen des Mieters redlicherweise zu eigen machen kann. In der Praxis schuldet er danach Ersatz gem. § 818 Abs. 2 und 3 nur insoweit, als es zu einer Ertragswertsteigerung der Mieträume kommt.179 Scheidet dies aus, stellt sich die Frage, ob der Mieter frustrierte Aufwendungen nach § 284 liquidieren kann. Auch die Anwendung dieser Norm beinhaltet keine Durchbrechung des in § 539 Abs. 1 grundgelegten Vermieterschutzes (Rn. 884). Der Unterschied zwischen beiden Regelungen besteht nämlich darin, dass § 284 einen vom Vermieter zu vertretenden Mangel der Mietsache voraussetzt. Der Vermieter ist daher für die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses verantwortlich. Dies mindert seine Schutzwürdigkeit vor der Geltendmachung von Verwendungsersatzansprüchen durch den Mieter nach § 273 Abs. 2. § 284 setzt zunächst voraus, dass der Aufwendungsersatz anstelle Schadensersatzes statt der Leistung geltend gemacht wird. Das Tatbestandsmerkmal hat in § 284 eine eigene, vom Fall des § 280 Abs. 3 zu unterscheidende Bedeutung und soll Doppelkompensationen des wegen eines Mangels vorgehenden Gläubigers verhindern (Rn. 396): Der Mieter darf nicht einerseits das positive Interesse geltend machen, andererseits aber seine Investitionen über § 284 abziehen, weil dies bei einer ordnungsgemäßen Durchführung des Vertrages ja ebenfalls nicht möglich gewesen wäre. Deshalb befürwortet das Schrifttum die Anwendung des § 284 auch auf den Mietvertrag, wenn die Voraussetzungen des § 536a Abs. 1 vorliegen.180 Im Verhältnis zu den §§ 536a Abs. 2, 539, ist der Ersatzanspruch jedoch zwei bedeutsamen Einschränkungen unterworfen: Er hängt, wie bereits erwähnt, von einem Vertretenmüssen des Vermieters ab und der Mieter kann nur die Aufwendungen ersetzt verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Mietsache billigerweise treffen durfte. Soweit Verwendungen im Vertrauen auf den Erhalt der Mietsache getätigt wurden, besteht ein bedeutsamer Unterschied zum Kaufvertrag: Der Käufer kann vor Kenntnisnahme vom Mangel regelmäßig darauf vertrauen, dass die 177 Vgl. mwN. Staudinger/Emmerich § 539 Rn. 26. 178 Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988, S. 168ff.; Larenz, in:

FS von Caemmerer, 1978, S. 209, 224; Larenz/Canaris II/2 § 72 IV 2. 179 BGH WuM 2009, 113, Tz. 10; BGH NJW-RR 2006, 294, Tz. 24ff. 180 Vgl. die Stelle RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 143; NK-BGB/Arnold § 284 Rn. 13; Gsell NZM 2010, 71; Horst MDR 2007, 1117; Reim NJW 2003, 3662, 3663; Schmid WM 2010, 831; Oechsler NZM 2004, 647ff.; ders., in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 41ff.

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vom Verkäufer erworbene Sache endgültig in seinem Vermögen verbleiben wird und er daher dauerhaft wie ein Eigentümer über sie verfügen kann (§ 903 Satz 1). Dies ist beim Mietvertrag nicht so: Weil der Mieter weiß, dass der Mietvertrag einmal enden wird und die Mietsache zurückgegeben werden muss, ist sein Vertrauen auf den Erhalt der Leistung nicht in gleicher Weise schutzwürdig. Bei vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses kann er daher nach § 284 nur Ersatz für die Aufwendungen verlangen, die er „billigerweise machen durfte“: Wer aber bspw. ein Kraftfahrzeug für eine Woche mietet und zu diesem Zweck eine neue CD-Anlage einbaut, mag möglicherweise sogar im Vertrauen auf den Erhalt der Mietsache gehandelt haben. Kündigt er den Mietvertrag jedoch bereits nach zwei Tagen wegen eines Mangels, kann er keinen Verwendungsersatz verlangen, weil seine Aufwendungen auf die Sache von vornherein nicht billigerweise getätigt wurden. Im Tatbestandsmerkmal der „Billigkeit“ in § 284 kommt nämlich der allen Aufwendungsersatzansprüchen zugrunde liegende Erforderlichkeitsmaßstab zum Ausdruck, wie er deutlicher noch in § 670 geregelt ist (Rn. 403ff.): Er setzt daher die Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Verwendungen voraus. Aufwendungen dieser Größenordnung erscheinen aber mit Blick auf das zeitlich eng begrenzte Gebrauchsrecht des Mieters unverhältnismäßig und sind folglich nicht nach § 284 ersatzfähig. Anders liegen die Verhältnisse nur bei einer über längere Zeit laufenden Befristung des Mietverhältnisses: Hier darf der Mieter sich auf eine feste Laufzeit einrichten und investieren. Werden seine Erwartungen in die Dauer des Mietverhältnisses durch den Vermieter unterlaufen und sieht der Mieter sich zur Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gezwungen, kann er die frustrierten Aufwendungen vom Vermieter anteilmäßig für die entgangene Gebrauchszeit nach § 284 herausverlangen, wenn der Vermieter den Mangel zu vertreten hat. Im Fall konnte M ursprünglich davon ausgehen, die Wohnung für insgesamt zehn Jahre bewohnen zu können, ohne eine ordentliche Kündigung seitens des Vermieters fürchten zu müssen. Angesichts dieses langen Zeitraums scheint die Herrichtung der Badezimmerfliesen für 2.000 € keine übertriebene Investition. Durch die vorzeitige Kündigung entgehen M 9 ½ Jahre der eingeplanten Nutzungsdauer. Deshalb kann er von V aufgrund der vorgestellten Überlegungen Ersatz der insoweit frustrierten Aufwendungen iHv. 1.900 € verlangen.

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Konsequenterweise müssen auf den Anspruch aus § 284 jedoch die gesetzlichen Beschränkungen des Gewährleistungsrechts nach §§ 536b, 536c Abs. 2 Satz 2 entsprechende Anwendung finden. Die Verjährung richtet sich ferner nach § 548 Abs. 2.181 c) Verjährung nach § 548 Abs. 2

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Nach § 548 Abs. 2 verjähren Ansprüche des Mieters auf Ersatz von Aufwendungen oder auf Gestattung der Wegnahme der Einrichtung in sechs Monaten 181 Vgl. schließlich die Ansprüche aus culpa in contrahendo in diesen Fällen: Oechsler NZM

2004, 647, 650.

III. Die Mieterrechte

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nach der Beendigung des Mietverhältnisses. Der Zweck der Norm besteht nach den Vorstellungen des Gesetzgebers darin, „zeitnah zur Rückgabe der Mietsache eine möglichst schnelle Klarstellung über bestehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache zu erreichen.“182 Ein erstes Anwendungsproblem liegt darin, dass der Verjährungsbeginn in den Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Mietverhältnisses fällt. Deshalb läuft die knappe Verjährung uU. bereits vor dem Auszug des Mieters.183 Der Auszug ist aber Voraussetzung dafür, dass der Mieter überhaupt Verwendungsersatz vom Vermieter verlangen kann; denn vor diesem Zeitpunkt nutzt er den seinen Verwendungen entsprechenden wirtschaftlichen Vorteil ja noch selbst (arg. e § 1001 Satz 1 erster Fall). Eine erste Auffassung erkennt in dieser eigentümlichen Verkehrung von Fälligkeit und Verjährung eine Sanktionierung des Mieterverhaltens bei verspätetem Auszug.184 Eine weitere Meinung verweist darauf, dass es sich bei § 548 Abs. 2 um eine Sonderverjährung iSd. § 200 handele, im Rahmen derer die Verjährungsfrist vor Eintritt der Fälligkeit zu laufen beginne.185 Dies überzeugt eher als der Sanktionsgedanke, da der Verjährungsbeginn nicht von einer schuldhaften Verschleppung des Auszugs auf Mieterseite abhängt. Das Verhältnis der ordentlichen Verjährung nach §§ 195, 199 zur Sonderverjährung nach § 548 Abs. 2 ist ferner nicht unumstritten. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Sechsmonatsfrist zu der in § 195 regelmäßig vorausgesetzten Frist von drei Jahren verhält: Nach einer Auffassung stellt § 548 Abs. 2 eine Höchstverjährungsregel dar, die der Anwendung der §§ 195ff. nicht entgegensteht. Danach beginnt die Verjährungsfrist der Aufwendungsersatzansprüche im Einzelfall bereits während der Laufzeit des Vertrages und kann vor Ablauf der Höchstfrist nach § 548 Abs. 2 eingetreten sein.186 Die ganz hM. geht heute jedoch davon aus, dass § 548 Abs. 2 eine Sonderverjährung iSd. § 200 begründet.187 Nach § 200 beginnt die Verjährungsfrist von Ansprüchen, die nicht der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen, mit der Entstehung des Anspruchs. Deshalb findet eine normale Verjährung der Aufwendungsersatzansprüche nach §§ 195, 199 während der Laufzeit des Mietverhältnisses überhaupt nicht statt; für sie gilt allein die Sonderverjährung nach § 548 Abs. 2, die mit der Beendigung des Mietverhältnisses zu laufen beginnt. Auf diese Weise soll das bestehende Mietverhältnis möglichst vor Klageerhebungen zur Vermeidung des Verjährungseintrittes geschützt werden. 182 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 45, rechte Spalte; vgl. hier nur BGH NJW 2011, 1866, Tz. 15; Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 1 mwN. 183 BGH NJW 2006, 1588; BGH NJW 2005, 739. 184 OLG Bamberg NZM 2004, 342 und Jacoby, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 337, 341. 185 Schmidt-Futterer/Blank § 548 BGB Rn. 54. 186 Eckert NZM 2008, 313ff. 187 BGH NJW 2008, 2256, Tz. 16; Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 35; Fischinger ZGS 2008, 296, 299; Gsell NZM 2010, 71, 77; Erman/Lützenkirchen § 548 Rn. 13; vgl. auch RegE BTDrucks. 14/4553, S. 45; aA. etwa OLG Celle NJW 1962, 1918.

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Entsprechend diesem Zweck ist der Anwendungsbereich des § 548 Abs. 2 sehr weit. Er umfasst die Ansprüche aus §§ 536a Abs. 2, 539 Abs. 1, 284. Vgl. ferner die Sonderfälle nach § 578 Abs. 2 Satz 1. Auch Ansprüche wegen Schönheitsreparaturen im weitesten Sinne werden erfasst (vgl. zu dieser Problematik Rn. 949ff.). (BGH 28.5.2008 – VIII ZR 133/07 = NJW 2008, 2256)188 Im Wohnraummietvertrag zwischen M und V ist vereinbart, dass M eine monatliche Pauschale wegen möglichen Schönheitsreparaturbedarfs zahlt. Führt er tatsächlich Schönheitsreparaturen aus, kann er aus dem aufgrund seiner Zahlungen gebildeten Vermögensstock von V Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen. Am 13.9.2005 teilte M dem V mit, dass er Schönheitsreparaturen vorgenommen habe und verlangt für diese Aufwendungsersatz. V lehnte die Zahlung mit Schreiben vom 20.9.2005 ab, weil er das Grundstück, auf dem sich die Wohnung befindet, an E veräußert habe. Für E wird am 21.2.2006 Eigentum in das Grundbuch eingetragen. Am 21.8.2006 erhebt M Klage gegen V auf Ersatz der Schönheitsreparaturkosten. V tritt dem mit dem Verjährungseinwand entgegen. In Betracht kommt ein Anspruch des M gegen V auf Aufwendungsersatz auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarung der Parteien. Dieser könnte jedoch nach § 548 Abs. 2 verjährt sein.

Bedeutend für das Verständnis der Entscheidung erscheint zunächst, dass der Erwerber des Hausgrundstücks nicht für den Aufwendungsersatzanspruch haftet: Zwar tritt er nach § 566 in den Mietvertrag ein; die Norm aber bewirkt keine Rechtsnachfolge in Ansprüche des Mieters, die vor dem Erwerb gegen den Vermieter entstanden sind (Tz. 17; Rn. 894). Deshalb richten sich die Ansprüche gegen den alten Vermieter. Ist dabei § 548 Abs. 2 anwendbar, ist der Anspruch mit Ablauf des 21.8.2006 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2) verjährt, bevor die verjährungshemmende Wirkung der Klageerhebung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB iVm. § 167 ZPO greifen kann. Fraglich ist jedoch, ob der Mieter vorliegend die Rückzahlung einer Mietvorauszahlung geltend macht, die nicht unter § 548 Abs. 2 fällt, oder ob er Aufwendungsersatz iSd. § 548 Abs. 2 verlangt. Eine Mietvorauszahlung läge nur vor, wenn es sich bei der monatlich entrichteten Pauschale um „zurückzahlbare Vorleistungen“ handelt (Tz. 12). Allerdings wird dem Mieter nach der vorliegenden Konstruktion nicht der Gesamtbetrag zurückerstattet, der sich aus der Summe der von ihm zunächst erbrachten Pauschalraten errechnet, sondern nur der Teil, der seinen tatsächlichen Aufwendungen entspricht. Deshalb bedeutet die Geltendmachung der Schönheitsreparaturkosten einen echten Aufwendungsersatzanspruch, auf den § 548 Abs. 2 Anwendung findet (Tz. 13). Dennoch kommt der BGH dem Mieter hier zur Hilfe: Grundsätzlich wird der Beginn der Verjährungsfrist nach § 548 Abs. 2 objektiv bestimmt: Maßgeblich ist – wie bereits erwähnt – der Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses (Tz. 18). Allerdings beginnt die Sechsmonatsfrist im Falle des § 566 erst mit der Kenntnis des Mieters vom Vermieterwechsel zu laufen (Tz. 18). Im Anschluss an § 199 Abs. 1 Nr. 2 dürfte dem Mie188 Ähnlich jetzt für Instandhaltungspflichten: BGH NJW 2014, 920, Tz. 16.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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ter allerdings richtiger Auffassung nach auch grob fahrlässige Unkenntnis schaden (Beispiel: Die briefliche Benachrichtigung über den Vermieterwechsel landet ungeöffnet im Papierkorb).189 IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten 1. Wechsel des Vermieters durch Verkauf der Mietsache (§ 566)

Die Norm geht auf eine Tradition des preußischen und französischen Rechts zurück („Heuer geht vor Kauf“) und bezweckt historisch den Schutz des Mieters vor „Austreibung“ durch Verkauf des Grundstücks. In Verkehrung einer Rechtsparömie des in eine andere Richtung weisenden Gemeinen Rechts („Kauf bricht Miete“) ist die neu geschaffene gesetzliche Überschrift des § 566 entstanden.190 Entgegen der amtlichen Überschrift tritt die Rechtsfolge der Norm jedoch nicht im Anschluss an ein wirksames Kausalverhältnis (Abschluss eines Kaufvertrages) ein, sondern knüpft an den sachenrechtlichen Vollzug an („veräußert“). Dafür spricht folgende Überlegung: Erst wenn der Erwerber Eigentum am Grundstück erlangt hat, ist der Mieter ihm gegenüber auf ein Besitzrecht nach § 986 angewiesen, dessen Einzelheiten sich dann nach dem alten Mietvertrag richten müssen. Gemäß § 567 kommt eine entsprechende Anwendung im Falle der Belastung der Mietsache durch den Vermieter in Betracht, um Normumgehungen zu verhindern. In einigen Fällen begründet das Gesetz indes Sonderkündigungsrechte für den Erwerber: Hat der Eigentümer einen Nießbrauch an seiner Sache bestellt und der Nießbrauchsberechtigte diese vermietet, kann der Eigentümer bei Beendigung des Nießbrauchs den Mietvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nach § 1056 Abs. 2 beenden.191 Ein Kündigungsrecht hat auch der Ersteher eines Grundstücks in der Zwangsversteigerung nach § 57a ZVG; andernfalls wäre die Verwertung des Grundstücks oft praktisch nicht möglich. Aus ähnlichen Gründen besteht das Kündigungsrecht nach § 111 InsO. Nach § 566 Abs. 1 tritt der Erwerber anstelle des Veräußerers in die Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag ein. Die Norm bezieht sich nicht auf Rechte und Pflichten, die zwischen Veräußerer und Mieter nur anlässlich des Mietverhältnisses vereinbart wurden, inhaltlich aber keinen Bezug zu den §§ 535ff. haben. Verneint wird die Anwendbarkeit des § 566 daher auf ein zwischen Veräußerer und Mieter vereinbartes Ankaufrecht des Mieters.192 Umstritten ist, welche Rechtsstellung der Erwerber nach § 566 Abs. 1 einnimmt. Der BGH entschied die Frage an folgender komplizierter Konstellation:

189 190 191 192

Fischinger ZGS 2008, 296, 298. Staudinger/Emmerich § 566 Rn. 2f. Dazu BGH NZM 2012, 558. BGH NJW 2017, 254, Tz. 18.

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§ 6 Miete und Pacht

(BGH 29.1.1970 – VII ZR 34/68 = BGHZ 53, 174 = NJW 1970, 752) Es geht um Ansprüche von G gegen S1 und S2. Die beiden minderjährigen S1 und S2 sind Eigentümer eines Grundstücks, an dem für ihre Mutter M ein Nießbrauch besteht. In Ausübung ihrer Rechte aus dem Nießbrauch vermietet M die Räume an den Gastwirt D. Ihrem Lebensgefährten G, dem M noch Geld schuldet, tritt sie die Hälfte der gegen D gerichteten Forderungen aus § 535 Abs. 2 für das laufende Jahr ab. Kurze Zeit später verzichtet M jedoch formwirksam auf ihren Nießbrauch. G geht daraufhin gegen S1 und S2 vor und verlangt von diesen Ersatz in Höhe der ihm entgangenen Forderungen mit der Begründung, M habe auf den Nießbrauch nur verzichtet, um ihm seine Rechte zu nehmen und die einschlägigen Werte S1 und S2 zuzuwenden. Beide haben die Mietzinszahlungen für das ganze Jahr bereits vereinnahmt. In Betracht kommt zunächst ein Anspruch des G gegen S1 und S2 auf die ihm entgangenen Einnahmen aus § 816 Abs. 1 Satz 2. Dazu müsste M als Nichtberechtigte eine unentgeltliche Verfügung zugunsten von S1 und S2 getroffen haben. Der Verzicht auf den Nießbrauch (§§ 875, 1056 Abs. 2 Satz 2) stellt eine Verfügung dar, weil er zur Aufhebung des Rechts führt. M hat diese jedoch als Berechtigte, nämlich als Inhaberin des Nießbrauchs, getroffen. Der Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2 besteht daher nicht. Fraglich ist ferner, ob G gegen S1 und S2 einen Anspruch aus § 816 Abs. 2 geltend machen kann. Dazu müsste die Zahlung des D an S1 und S2 eine Leistung an Nichtberechtigte darstellen. Dies wäre der Fall, wenn der Verzicht der M auf den Nießbrauch nach § 138 Abs. 1 nichtig ist. Der BGH geht jedoch mit der heute hM.193 davon aus, dass bei einer Gläubigerbenachteiligung wie der vorliegenden die Tatbestände des Anfechtungsgesetzes (hier: §§ 3 Abs. 2, 4 AnfG) dem § 138 Abs. 1 vorgehen. Denn in diesen Tatbeständen unterstellt der Gesetzgeber, dass ein in Gläubigerbenachteiligungsabsicht eingegangenes Rechtsgeschäft zunächst wirksam zustande kommt und deshalb durch Gläubigeranfechtung nach § 11 AnfG in einen persönlichen Rückgewähranspruch an den Gläubiger verwandelt werden muss (S. 753f.). Deshalb stellt sich die Frage, ob ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Eingriffskondiktion) in Betracht kommt. S1 und S2 könnten durch die Einziehung der Forderungen aus § 535 Abs. 2 in die Zuständigkeit des G an diesen Forderungen eingegriffen haben. Dies setzt allerdings voraus, dass die Abtretung der Forderungen von M an G aus § 535 Abs. 2 auch nach dem Verzicht der M auf den Nießbrauch wirksam blieb. Die Rechtsfolgen des Untergangs des Nießbrauchs regeln die §§ 1056 Abs. 1 iVm. 566. Wenn S1 und S2 danach gemäß § 566 in die Rechtsstellung der M im Wege der Rechtsnachfolge einrückten, bestanden die alten Forderungen der M gegen den Gastwirt D weiter fort und sind nach wie vor an G abgetreten.

Nach Auffassung des BGH begründet § 566 Abs. 1 indes keine Sonderrechtsnachfolge des Erwerbers (Eigentümers) in die Rechtsstellung des Veräußerers (Nießbrauchsberechtigten), sondern führt zur Neubegründung von wechselseitigen Ansprüchen aus dem Mietvertrag in der Person des Erwerbers und des Mieters, für die lediglich die zuvor zwischen Mieter und Vermieter vereinbarten Bedingungen weitergelten (S. 753).194 Dies führt dazu, dass Dritte gegenüber dem Erwerber keinen Sukzessionsschutz genießen und insbesondere auch die §§ 404ff. nicht anwendbar sind.

193 Dazu Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 336ff. mwN. 194 Vgl. auch BGH NJW 2008, 2256, Tz. 17.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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Danach sind S1 und S2 völlig neu in den zwischen M und D geschlossenen Mietvertrag eingerückt und haben die Mietforderungen gegen D aus eigenem Recht (§§ 1056 Abs. 1 iVm. 566) neu erworben. Die von M unternommene antizipierte Zession der künftigen Mietforderungen aus § 535 Abs. 2, die nach dem Zeitpunkt der Beendigung des Nießbrauchs fällig werden sollten, schlägt daher fehl, weil die M bei Eintritt des jeweiligen Zeitabschnitts keine Gläubigerin mehr war. Praktisch bedeutet dies, dass G nur aufgrund der §§ 3 Abs. 2, 4 AnfG gegen S1 und S2 vorgehen kann. Liegen die Voraussetzungen der Normen (wie hier) nicht vor, geht sein Anspruch ins Leere.

Die Versagung eines Sukzessionsschutzes über § 566 Abs. 1 ist seit jeher kritisiert worden.195 Für die Kritik dürfte nicht zuletzt der Wortlaut der Norm sprechen. Dennoch überzeugt die Auffassung der Rechtsprechung. Denn der Schutzzweck des § 566 beschränkt sich darauf, den Mieter vor den Folgen eines Wechsels in der Position des Vermieters zu schützen. Dazu genügt, dass der Mietvertrag mit dem alten Inhalt in der Person des neuen Vermieters fortgeführt wird. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass der Mieter für seine Altansprüche in der Person des Erwerbers einen weiteren Schuldner erhält. Denn alle im Zeitpunkt des Vermieterwechsels begründeten Ansprüche gegen den Altvermieter bleiben dem Mieter erhalten. Von diesen kann sich der Altvermieter nicht einseitig lossagen, indem er das Mietobjekt veräußert. Es besteht daher kein Grund, warum der Erwerber dem Mieter für diese Ansprüche – ähnlich wie in den Fällen des §§ 1357 BGB, 25 Abs. 1 HGB – zusätzlich haften sollte. Dieses Verständnis des § 566 führt allerdings zu Problemen, wenn es um die Priorität des Vermieterpfandrechts nach § 562 (Rn. 923ff.) geht: (BGH 15.10.2014 – XII ZR 163/12 = BGHZ 202, 354 = NJW 2014, 3775) V-Alt hat mit M am 31.8.2006 einen Geschäftsraummietvertrag über Räume geschlossen, in die M später diverse bewegliche Sachen einbrachte. Am 6.10.2006 übereignete M diese Gegenstände an die Bank B zur Sicherheit. Am 22.12.2006 wiederum veräußerte und übereignete V-Alt das vermietete Grundstück an V-Neu. Als V-Neu sich wegen ausstehender Mietforderungen des M gegenüber B auf ein Vermieterpfandrecht nach § 566 an diesen Sachen beruft, steht B auf dem Standpunkt, ihr Sicherungseigentum gehe vor.

Das Vermieterpfandrecht entsteht nach §§ 1209, 1257 in dem Augenblick, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen des § 562 vorliegen. Fraglich ist, ob dies vorliegend im Zeitpunkt des Eigentumsübergangs an den neuen Vermieter der Fall war (also nach der Sicherungsübertragung an die Bank) oder im Zeitpunkt des ursprünglichen Einbringens der Pfandsache durch den Mieter (also während der Laufzeit des Mietvertrages mit dem alten Vermieter). Zunächst geht der BGH davon aus, dass der Grundstückserwerber keine Rechtsnachfolge des alten Vermieters antritt (Tz. 21, 23). Konsequenterweise entsteht dadurch das Vermieterpfandrecht in der Person des Erwerbers neu (Tz. 25). Dies hätte eigentlich zur Folge, dass der neue Vermieter kein Recht nach § 562 195 Staudinger/Emmerich § 566 Rn. 5 mwN.; vgl. auch Schmidt-Futterer/Streyl § 566 BGB Rn. 9ff.: Vertragsübernahme.

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§ 6 Miete und Pacht

Abs. 1 Satz 1 erwerben kann: Denn im Augenblick seines Eigentumserwerbs handelt es sich nicht mehr um Sachen des Mieters iSd. § 562 Abs. 1 Satz 1; diese gehören vielmehr der Bank. Diese Konsequenz zieht der BGH jedoch nicht. Vielmehr stellt er für die Entstehung des Pfandrechts des neuen Vermieters auf den Zeitpunkt des ursprünglichen Einbringens durch den Mieter ab (Tz. 16, 18ff.): Der neue Vermieter erwirbt das Pfandrecht daher unter denselben Voraussetzungen wie der alte. Begründen lässt sich dieses Ergebnis aus dem Zweck des § 566: Die Norm schützt den Mieter vor den Folgen des Eigentümerwechsels. Sie bezweckt aber keine Besserstellung der Bank als Sicherungsnehmerin (Tz. 25). Aus ihrer Sicht stellt der Eigentumswechsel eine Zufälligkeit dar, aus der sie keine Rechte für sich ableiten kann. Allerdings dürfen Dritte wie die Sicherungsnehmerin durch die Anwendung des § 566 auch nicht benachteiligt werden (Tz. 30). Daraus folgt nach Ansicht des BGH, dass „[e]ine Sicherungsübereignung der Sache im Zeitraum zwischen ihrer Einbringung in die Mieträume und dem Eigentumswechsel [nicht …] verhindert […], dass das Vermieterpfandrecht des Erwerbers die Sache erfasst.“ (Tz. 18). Nach dieser Betrachtungsweise bestehen das Vermieterpfandrecht des Veräußerers und das des Erwerbers nebeneinander und sind gleichrangig (Tz. 27);196 denn das Sicherungsinteresse des Veräußerers für die Mietschulden vor Eigentumsübergang und das Sicherungsinteresse des Erwerbers für die nach diesem Zeitpunkt entstehenden Mietforderungen sind gleich groß (Tz. 28). Im Schrifttum ist schließlich die Frage gestellt worden, wie sich eine Aufgabe des Vermieterpfandrechts nach §§ 1257 Satz 1, 1255 durch den Veräußerer gegenüber dem Mieter auf den Erwerber auswirkt. Gute Gründe sprechen für eine Wirkung auch zu Lasten des Erwerbers: Denn dieser tritt nach § 566 in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis (nicht nur aus dem Mietvertrag) ein. Ist die Aufgabe des Pfandrechts nicht aus dem schriftlichen Mietvertrag des Veräußerers mit dem Mieter zu entnehmen, ist der Erwerber durch das Sonderkündigungsrecht nach § 550 Satz 2 (Rn. 807) geschützt.197 Dass § 566 von der hM. nicht als Regelung der Rechtsnachfolge verstanden wird, lädt teilweise auch zum Rechtsmissbrauch ein: (BVerfG 12.9.2013 – 1 BvR 744/13 = NJW 2013, 3774) M hat von der V-GmbH eine Wohnung gemietet; als Eigentümerin ist im Grundbuch jedoch die E-Alt-GmbH eingetragen. Diese wechselt im Jahr 2000 ihre Firma in E-Neu-GmbH, woraufhin in das Grundbuch Eigentum an dem vermieteten Grundstück für die E-Neu-GmbH eingetragen wird. V und die E-Neu-GmbH gehören dem Land Nordrhein-Westfalen. Als M von V verlangt, gegen die Schimmelbildung in der Wohnung vorzugehen, wendet V ein, die Vermieterstellung im Jahre 2000 angesichts eines Eigentumswechsels von der E-Alt- auf die E-Neu-GmbH verloren zu haben. Sie sei deshalb nicht passivlegitimiert.

Das BVerfG wirft den Instanzgerichten, die der Argumentation der Vermieterin gefolgt waren, eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG vor 196 Blank/Börstinhaus/Blank § 566 Rn. 92. 197 Ähnlich Wilhelm JZ 2015, 346, 350f.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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(Tz. 12). Durch die Umfirmierung bleibt nämlich die Identität des Eigentümers und Vermieters unverändert (Tz. 20), sodass § 566 keine Anwendung findet. Wurde dem gewerblichen Zwischen(ver)mieter anlässlich der Umfirmierung vom Eigentümer gekündigt, tritt dieser selbst anstelle des Vermieters in den Mietvertrag ein (§ 565 Abs. 1 Satz 1). Im Regelfall des § 565 Abs. 1 Satz 1 vereinbart der Eigentümer einen Mietvertrag mit einem gewerblichen Zwischen(ver)mieter und erlaubt diesem die Untervermietung. Der Zwischen(ver)mieter vermietet die Wohnung darauf in einem zweiten Schritt an den Mieter. Leicht ließe sich auf diese Weise der Kündigungsschutz des Mieters umgehen, wenn der Eigentümer dem gewerblichen Zwischen(ver)mieter kündigte; denn auf einen gewerblichen Mieter findet der Kündigungsschutz nach § 573 keine Anwendung. Nach Ausspruch einer solchen Kündigung könnte aber auch der Mieter kein Besitzrecht mehr gegenüber dem Eigentümer aus § 986 Abs. 1 Satz 1 herleiten. Denn er leitet dieses nur über den Zwischen(ver)mieter ab, der nun seinerseits nicht mehr zum Besitz berechtigt ist. Zur Verhinderung von Umgehungen des Kündigungsschutzes lässt § 565 Abs. 1 Satz 1 daher in einem solchen Fall den Eigentümer in den Vertrag mit dem Mieter eintreten.

Die Verneinung eines Sukzessionsschutzes nach § 566 wirkt sich auch für den Erwerber ungünstig aus, wenn eine sog. gestreckte Kündigungslage besteht: Beispiel V hat eine Wohnung in dem ihm gehörenden Mehrfamilienhaus an M vermietet. Das Grundstück veräußert V an E. Dieser erwirbt das Eigentum am 1.5.2012. M ist mit den Mietraten für April 2012 und Mai 2012 in Verzug geraten. E kündigt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a und verlangt Räumung.

Die Kündigung setzt voraus, dass sich der Mieter in zwei aufeinanderfolgenden Terminen mit der Miete in Verzug befindet. Fraglich ist, ob dem Erwerber vorliegend der Verzug für April zuzurechnen ist. Da § 566 keine Rechtsnachfolge begründet, kann sich der Erwerber aber grundsätzlich nicht auf Kündigungsgründe berufen, die allein zugunsten des alten Vermieters vorlagen.198 Dies gilt nach hM. auch für die vorliegende Situation, bei der der Kündigungsgrund genau im Zeitpunkt des Übergangs des Vertragsverhältnisses eintritt. Der Kündigungsgrund muss jedoch vollständig in der Person des Erwerbers vorliegen, was hier nicht der Fall ist.199 Die Gegenauffassung will hingegen von einer partiellen Rechtsnachfolge des Eintretenden ausgehen, damit der Mieter nicht wegen des für ihn zufälligen Veräußerungsvorgangs besser steht.200 Dies überzeugt nicht: § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a typisiert einen Fall der Unzumutbarkeit für den Vermieter, der diesen hindert, am Vertrag festzuhalten (Rn. 1002). Aus Sicht des neuen Vermieters (Erwerbers) liegen die Voraussetzungen einer solchen Unzumutbarkeit aber noch nicht vor. Ferner erscheint ein Gegenschluss aus § 566a angezeigt: Die Erstreckung von Rechten und Pflichten aus dem alten 198 OLG Hamm NJW-RR 1992, 1164; Emmerich, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 722,

726. 199 Schmidt-Futterer/Streyl § 566 BGB Rn. 119; Sonnenschein ZMR 1992, 417, 424f. 200 Emmerich, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 722, 727f.

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Mietverhältnis beschränkt der Gesetzgeber auf wenige Ausnahmefälle (dazu noch Rn. 932). Fraglich ist schließlich, ob der Mieter der Rechtsfolge des § 566 widersprechen kann. Dies wird im Schrifttum teilweise in Anlehnung an § 613a Abs. 6 bejaht.201 Danach könnte dem Mieter kein neuer Vermieter gegen seinen Willen aufgezwungen werden. Die Gegenauffassung lehnt dies aus mehreren Gründen ab:202 Das Mietverhältnis sei nicht so personal ausgestaltet wie das Arbeitsverhältnis. Auch fehle es an einer Regelungslücke, weil der Gesetzgeber das Problem in den Sonderkündigungsrechten abschließend geregelt habe. Vor allem aber leide die Verkehrsfähigkeit von Grundstücken, wenn die Mieter sich aus den bestehenden Mietverhältnissen lösen könnten. Dies überzeugt. 2. Vertraglicher Ausschluss des Kündigungsrechts

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Das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach §§ 543, 569 kann dem Mieter grundsätzlich nicht durch Vereinbarung genommen werden.203 Dies entspricht für die Wohnraummiete bereits § 569 Abs. 5, ergibt sich jedoch für alle Dauerschuldverhältnisse aus einem allgemeinen Rechtssatz:204 Denn ein dauerhaftes Zusammenwirken der Vertragsparteien erscheint nur auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens möglich. Ist die Vertrauensgrundlage daher unrettbar zerstört, darf sich ein Vertragspartner stets für die Zukunft vom Vertrag lösen. Fraglich ist indes, inwieweit der Vermieter dem Mieter gegenüber das Recht zur ordentlichen Kündigung ausschließen kann:205 Der BGH misst dabei § 557a Abs. 3 Leitbildcharakter im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 zu.206 Durch diese Norm kann das ordentliche Kündigungsrecht für höchstens vier Jahre – gerechnet vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses an – ausgeschlossen werden. Eine bemerkenswerte Einschränkung nimmt das Gericht im vorliegenden Fall vor: (BGH 15.7.2009 – VIII ZR 307/08 = NJW 2009, 3506 – Studentenbude) Student M mietete zum 1.10.2006 ein Zimmer in dem von V betriebenen Studentenwohnheim. Das ordentliche Kündigungsrecht war im vorformulierten Mietvertrag bis zum 15.10.2008 ausgeschlossen. M kündigte jedoch bereits Mitte 2007 wegen angeblich gesundheitsgefährdender hygienischer Verhältnisse im gemeinschaftlich genutzten Sanitärbereich, ohne vorher abgemahnt zu haben. Ist die Kündigung wirksam? Eine außerordentliche Kündigung des M auf der Grundlage des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 scheitert daran, dass M der V keine Abhilfefrist nach § 543 Abs. 3 gesetzt hat. In Betracht kommt jedoch eine Umdeutung nach § 140 in eine ordentliche Kündigung. 201 Kühn NZM 2009, 4ff. mit Verweis auch auf BAGE 26, 301 = NJW 1975, 1378; vgl. auch EuGH NZA 1993, 169 = ZIP 1993, 221 – d’Urso: Ein Arbeitnehmer kann auf den Schutz der Richtlinie 77/187/EWG verzichten und hat ein Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitgebers. 202 Schmidt-Futterer/Streyl § 566 BGB Rn. 47. 203 BGH NJW 2012, 521 zu einer Vereinbarung über eine Staffelmiete. 204 Larenz I § 2 VI, S. 32; vgl. auch BGH NJW 2012, 521. 205 Dazu Börstinghaus ZGS 2009, 221ff. 206 BGH NJW 2011, 597, Tz. 8 im Anschluss an BGH NJW 2004, 3117.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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Fraglich ist, ob das ordentliche Kündigungsrecht hier für zwei Jahre ausgeschlossen werden konnte, oder ob der Ausschluss wegen unangemessener Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist. Dabei entfaltet § 573c Abs. 4, das Verschlechterungsverbot hinsichtlich der Fristen der ordentlichen Kündigung, ebenso wenig Leitbildcharakter nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 wie § 575 Abs. 4, das Verschlechterungsverbot im Hinblick auf den Inhalt von Zeitmietverträgen (Tz. 15). Allerdings erkennt der BGH eine unzumutbare Benachteiligung iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 darin, dass der Vermieter auf die Mobilitätsinteressen seines Mieters nicht ausreichend Rücksicht genommen habe (Tz. 18 und 20): Denn ein Studienverlauf berge stets Ungewissheiten; das Zimmer sei hier aber gerade im Hinblick auf eine Studienmöglichkeit gemietet worden. Dahinter müsse das Interesse der Vermieterin, eine erhöhte Mieterfluktuation in ihrer Anlage zu verhindern und eine nahtlose Weitervermietung der Wohnungen jeweils zu Semesterbeginn zu ermöglichen, zurückstehen. Die Kritik an dieser Entscheidung entzündet sich zunächst daran, dass die Verwendungsrisiken des Mieters zum Kündigungsgrund erhoben werden: Denn im Anschluss an die Entscheidung stellt sich die Frage, ob sich nur der Betreiber eines Studentenwohnheims oder auch jeder andere Vermieter, der Studenten bei sich einquartiert, auf die Mobilitätsinteressen seiner Mieter in ähnlicher Weise einrichten muss.207 Aus einem allgemeinen, aus §§ 119 Abs. 2, 313 Abs. 2, 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 resultierenden Rechtsgedanken folgt jedoch, dass sich eine Vertragsseite nicht auf die einseitigen Motive der anderen einstellen muss: Der Wunsch eines studentischen Mieters, das Mietverhältnis aufgrund erhöhter Mobilitätsinteressen beenden zu können, bleibe aber nur ein solches einseitiges Motiv.208 Dies zeigt nicht zuletzt der Vergleich zum Dienstvertragsrecht, wo die Mobilitätsinteressen eines Festnetzkunden kein vorgezogenes Kündigungsrecht rechtfertigen (Rn. 1038f.). Fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, welche Bedeutung § 310 Abs. 3 Nr. 3 erlangt. Nach dieser Norm müssen bei der Beurteilung der Unangemessenheit einer AGB-Klausel auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände berücksichtigt werden.209 Bei der Konkretisierung der Norm will das Schrifttum teilweise auch Verwendungsabsichten der Gegenseite berücksichtigen, soweit der AGB-Verwender diese erkennen könne.210 Ginge man davon aus, bräuchte sich ein Mieter nur als Student vorzustellen, um in den Genuss des § 307 Abs. 1 Satz 1 zu geraten. Da § 310 Abs. 3 Nr. 3 jedoch nicht in systematischen Widerspruch zu den §§ 119 Abs. 2, 313 Abs. 2 treten kann, dürfte der Anwendungsbereich der Norm nicht so weit gehen,211 sondern im Grunde nur das Regelungsprogramm der §§ 133, 157 wiederholen.

Niebling ZMR 2010, 96; Häublein ZJS 2009, 723, 725. Rüfner, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 828, 833. Dazu und zum Folgenden bereits Rüfner, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 828, 834. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 310 BGB Rn. 93. Rüfner, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 828, 835; zurückhaltenderes Verständnis bei Staudinger/Schlosser § 310 Rn. 72. 207 208 209 210 211

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Im vorliegenden Fall spielt möglicherweise der Sonderhorizont des Betreibers eines Studentenwohnheims eine Rolle. Dieses macht es sich in besonderer Weise zur Angelegenheit, den Studienwunsch seiner Mieter zu fördern. Über diesen Fall hinaus dürften Mobilitätsinteressen des Mieters, die nicht zum Vertragsgegenstand geworden sind, unbeachtlich sein. Dafür spricht auch ein historisches Argument: Vor der Mietrechtsreform im Jahre 2001 kannte das BGB ein Sonderkündigungsrecht für Berufsgruppen mit erhöhten Mobilitätsanforderungen (§ 570 BGB aF.), das abgeschafft wurde. Dieses kann der BGH nicht entgegen dem gesetzgeberischen Willen auf der Grundlage des § 307 Abs. 1 Satz 1 wieder einführen.212 Für Studenten- und Jugendwohnheime mindert übrigens § 549 Abs. 3 den Kündigungsschutz, um sog. Rotationssysteme zu ermöglichen. Diese stellen durch zeitliche Begrenzung der Mietverträge sicher, dass möglichst vielen Interessenten zu einer Wohnung, etwa bei Semesterbeginn, verholfen werden kann und deshalb eine Gleichbehandlung der Interessenten bei der Vergabe möglich ist.213 Für ein Studentenwohnheim im Normsinne kommt es dabei nicht auf formale Gesichtspunkte (wie die öffentlichrechtliche Widmung) an, sondern allein darauf, „dass ein Belegungskonzept praktiziert [wird], das an studentischen Belangen ausgerichtet ist und im Interesse der Versorgung vieler Studenten mit Wohnheimplätzen eine Rotation nach abstrakt-generellen Kriterien praktiziert.“214 Die Vereinbarung eines Zeitmietvertrags (befristeten Mietvertrags) nach § 575 zielt regelmäßig auf den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts. Dies gilt jedoch nicht bei Abschluss eines auflösend bedingten Mietvertrages, denn hier bleibt stets offen, ob das Mietverhältnis überhaupt jemals enden wird: Der BGH hat dies für die Pacht über einen Schießstand entschieden, die auflösend bedingt durch eine behördliche Untersagung der Nutzung erfolgt war.215 3. Mieterschutz bei der Bildung von Wohnungseigentum (§§ 577f.)

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Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter nach § 577 Abs. 1 Satz 1 zum Vorkauf berechtigt. Dieses Recht besteht nicht beim Verkauf an einen Familienangehörigen oder an einen Angehörigen des Vermieterhaushalts (Satz 2). Die Norm bezweckt den Schutz des Mieters vor Eigenbedarfskündigungen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 (dazu Rn. 986ff.). Dieser systematische Zusammenhang erklärt die Ausnahme beim Verkauf an Familienangehörige und Angehörige des Vermieterhaushalts. Zugunsten dieser Personen steht dem Vermieter stets das Kündi212 213 214 215

Rüfner, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 828, 831. MünchKomm/Bieber § 549 Rn. 29. BGH NJW 2012, 2881, Tz. 20; Ergänzungen durch den Verfasser. BGH NJW-RR 2009, 927, Tz. 14.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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gungsrecht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 zu, sodass der Mieter auch beim Verkauf an diese nicht schützenswert ist. Vor allem bei größeren Wohnkomplexen besteht jedoch die Gefahr, dass der Schutz des § 566 (Kauf bricht nicht Miete) dadurch unterlaufen wird, dass das Alleineigentum in Wohnungseigentum aufgeteilt und die Wohnungen an Käufer mit Eigenbedarf veräußert werden. Hier soll sich der Mieter durch den Kauf der selbst bewohnten Einheit schützen können. Wie stets bei Vorkaufsrechten (vgl. Rn. 531) kann es zum Konflikt bei der Frage kommen, ob der Vorkaufsfall vom Verpflichteten (Vermieter) durch eine bestimmte Gestaltung oder ein Verfahren zum Nachteil des Berechtigten (Mieter) umgangen wird (Umgehungsschutz). Im Falle der Umgehung findet das Vorkaufsrecht ebenfalls Anwendung. Vereitelt der Veräußerer (Vermieter) das Vorkaufsrecht des Mieters, kann der Mieter auch Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iHd. Differenz zwischen dem Verkehrswert der Wohnung und dem Kaufpreis abzüglich anfallender Erwerbskosten verlangen.216 Fraglich ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen eine rechtswidrige Vereitelung vorliegt: (BGH 22.6.2007 – V ZR 269/06 = NJW 2007, 2699) M hatte von V eine Wohnung in dessen Mehrfamilienhaus gemietet. Einige Jahre nach Vertragsschluss erwarb E das bebaute Grundstück von V und teilte dieses in Wohnungseigentum. Unter dem Eindruck einer drohenden Zwangsversteigerung veräußerte E die von M bewohnte Wohnung an seinen Vater K1. Dieser wiederum veräußerte sie kurze Zeit später an K2, dem V in keiner Weise nahesteht. M verlangt unter Ausübung des ihm vermeintlich zustehenden Vorkaufsrechts von K1 Auflassung. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch aus § 577 Abs. 1 Satz 1 iVm. 433 Abs. 1 Satz 1. Problematisch erscheint bereits, dass dieser nicht gegen den ersten Verkäufer des Wohnungseigentums (im Fall: E) gerichtet wird, sondern gegen den Zweitverkäufer (K1).

Das Problem des vorliegenden Falles liegt darin, dass § 577 Abs. 1 Satz 1 einerseits das Vorkaufsrecht auf den Erstverkauf beschränkt, einen Verkauf an einen Familienangehörigen aber nach § 577 Abs. 1 Satz 2 ausnimmt. Dadurch kann das Vorkaufsrecht durch „Zwischenschaltung“ eines Familienangehörigen umgangen werden. Der BGH verfährt dennoch sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, das Vorkaufsrecht auch gegenüber dem Zweitverkäufer auszuüben. § 577 Abs. 1 Satz 1 lasse sich nämlich die gesetzgeberische Vorstellung entnehmen, dass nur beim Erstverkauf nach der Umwandlung in Wohnungseigentum typischerweise die Gefahr einer Verdrängung des Mieters durch den Erwerber bestehe. Dann dürfe aber beim Zweitverkauf nicht in ähnlicher Weise in die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie der Parteien eingegriffen werden (Tz. 9). Eine Ausnahme bestehe nur, wenn der Familienangehörige beim Erstkauf kein eigenständiges Nutzungsinteresse an der Wohnung verfolge (Tz. 10). Aber selbst in diesem Fall müsse der Mieter seinen Anspruch gegenüber dem veräußernden Vermieter geltend machen (Tz. 11). Dabei mutet das Gericht dem 216 BGH NJW 2015, 1516, Tz. 20ff.; kritisch im Hinblick auf die Schadensberechnung: Sitt-

mann-Haury JZ 2015, 468.

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Mieter auch die Schwierigkeit zu, beim Verkauf mehrerer Wohnungen en bloc den auf seine Einheit entfallenden Teil des Kaufpreises herauszurechnen (Tz. 11). Eine Umgehungsabsicht wird jedoch vorliegend aufgrund der besonderen Situation verneint (Tz. 12). Dafür spricht, dass aus Sicht des Mieters nachvollziehbare Sachgründe des Vermieters für einen „Notverkauf“ an den Familienangehörigen bestanden, die nicht auf eine Umgehungsabsicht schließen lassen. Ähnlich restriktiv verfährt das Gericht in folgendem Fall: (BGH 22.11.2013 – V ZR 96/12 = BGHZ 199, 136 = NJW 2014,850) V-Alt ist Eigentümer eines Wohngebäudes mit vier Mietwohnungen, von denen eine an M vermietet wurde. Mit V-Neu1, V-Neu2, V-Neu3 und V-Neu4 führt V-Alt Vertragsverhandlungen über den Verkauf des Grundstücks und holt zu diesem Zweck eine Abgeschlossenheitsbescheinigung beim zuständigen Landratsamt ein. V-Neu1–4 kaufen und erwerben darauf das Grundstück von V-Alt als Miteigentümer und erklären bei demselben Notar die Teilnung nach § 3 WEG. M erklärt daraufhin gegenüber V-Alt, dass er das Vorkaufsrecht aus § 577 ausübe, und verlangt Auflassung des Eigentums an der von ihm bewohnten Wohnung zu einem Viertel des zwischen V-Alt und V-Neu1–4 vereinbarten Kaufpreises.

Problematisch ist, dass das Wohnungseigentum erst nach dem Verkauf des Grundstücks gebildet wurde. Eine Umgehungsabsicht unterstellt der BGH daher nur, wenn beim Veräußerer im Zeitpunkt des Verkaufs eine Umwandlungsabsicht bestand (Tz. 7) bzw. wenn der Veräußerer die Verpflichtung zur Aufteilung übernommen hat.217 Vorliegend könnte die Einholung der Abgeschlossenheitsbescheinigung für eine solche Absicht sprechen. Diese Bescheinigung wird nämlich nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WEG benötigt, um Sondereigentum an den Wohnungen zu bilden. Wohnungen müssen zu diesem Zweck baulich abgeschlossen sein, also durch Wände und Türen getrennte, eigene Wohneinheiten bilden (§ 7 Abs. 4 Satz 3 WEG). Der BGH lässt das Bemühen des Veräußerers um die Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung vorliegend nicht als Indiz für eine bei Vertragsschluss bestehende Umwandlungsabsicht genügen (Tz. 10). Denn im Zeitpunkt der Veräußerung fehle es an der Bestimmtheit der zu bildenden Eigentumswohnungen (Tz. 17) und der Verkäufer kenne die Teilungsabsichten der Erwerber nicht (Tz. 25). Schließlich passe auch die Rechtsfolge des § 577 Abs. 1 Satz 3 nicht (Tz. 21): Denn zwischen dem Mieter und dem Veräußerer könne kein Kaufvertrag zu denselben Bedingungen wie mit dem Erwerber zustande kommen. Der Mieter wolle ja nicht das Eigentum am gesamten Grundstück oder einen Miteigentumsanteil daran erwerben, sondern Sondereigentum an der Wohnung (Tz. 22). Der Kritik218 ist zuzugegeben, dass durch Gestaltungen der vorliegenden Art § 577 leicht unterlaufen werden kann. Für die Sichtweise des BGH spricht jedoch, dass der Fall der Teilung in Wohnungseigentum durch den Erwerber in § 577a besonders geregelt ist: Eine zu großzügige Anwendung des § 577 in diesem Fall würde den Schutz verdoppeln. 217 Bestätigt durch BGHZ 199, 136 = NJW 2014, 850. 218 Zur Kritik Klühs NZM 2013, 809.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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§ 577a setzt den Schutz des Mieters auch gegenüber dem Erwerber fort: Ist an vermieteten Wohnräumen nämlich nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und dieses veräußert worden, so kann sich ein Erwerber auf berechtigte Interessen iSd. § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen. Der Norm liegt ein ähnlicher Schutzzweck zugrunde wie dem Vorkaufsrecht nach § 577: Es soll verhindert werden, dass die Umwandlung in Wohnungseigentum systematisch mit dem Ziel der späteren Veräußerung an Erwerber mit Eigenbedarf erfolgt.219 (BGH 11.3.2009 – VIII ZR 127/08 = NJW 2009, 1808) M hat von V seit 1999 eine Wohnung in München in einem Gebiet iSd. Verordnung der Bayerischen Staatsregierung über die Gebiete mit gefährdeter Wohnungsversorgung gemietet. Im Jahre 2002 wurde das Eigentum am Hausgrundstück in Wohn- und Teileigentum umgewandelt. 2006 kündigte die V der M, weil sie deren Wohnung zur Unterbringung eines Au-pair-Mädchens benötige. Auf dieses sei sie zwecks Pflege ihrer beiden minderjährigen Kinder und einer 72 Jahre alten, pflegebedürftigen Schwiegermutter angewiesen. Kann V nach Ablauf der Kündigungsfrist Räumung verlangen? Hier kann dem Anspruch aus § 546 Abs. 1 entgegenstehen, dass die Kündigung auf der Grundlage von § 573 Abs. 1 durch § 577a Abs. 2 ausgeschlossen ist. Nach § 557a Abs. 2 Satz 1 verlängert sich die Frist nämlich auf bis zu 10 Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist. Dies bestimmt die Landesregierung aufgrund einer zu § 577a Abs. 2 Satz 2 erlassenen Landesverordnung über Gebiete mit gefährdetem Wohnraum.

Das Problem des Falles besteht darin, dass § 577a Abs. 1 nur die Fälle der Eigenbedarfs- (§ 573 Abs. 2 Nr. 2) und der Verwertungskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3) erfasst. Ein Eigenbedarf lag hier aber nicht vor. Denn dieser besteht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 darin, dass der Vermieter die Wohnung für sich oder seine Angehörigen benötigt. Das Au-pair-Mädchen stellt aber keine Haushaltsangehörige der Vermieterin dar. Allerdings benötigt die Vermieterin die Wohnung vorliegend, damit ihre Familienangehörigen gepflegt und beaufsichtigt werden können. Dies ist in § 573 Abs. 2 Nr. 2 aber nicht unmittelbar gemeint. Deshalb kommt vorliegend nur eine Kündigung auf der Grundlage von § 573 Abs. 1 Satz 1 in Betracht. Fraglich ist, ob § 577a analog auf diesen Fall anwendbar ist. Die Vorinstanz hatte dies in einem Erst-Recht-Schluss bejaht: Wenn schon der Eigenbedarf eines Angehörigen nicht innerhalb der Frist geltend gemacht werden könne, müsse dies für den Bedarf eines Nichtangehörigen erst recht gelten (Tz. 9). Der BGH orientiert sich indes an der engen Zwecksetzung und dem in der Norm aufgeführten Numerus clausus der Kündigungsgründe. Eine Analogie komme danach nicht in Betracht (Tz. 16f.).220 Dies überzeugt zumindest im vorliegenden Fall wegen der Nähe zu dem in § 573 Abs. 2 Nr. 2 geregelten Fall nicht: Hätte nämlich die Vermieterin ihre pflegebedürftige Schwiegermutter in der vom Mieter bewohnten Einheit einquartiert, das Au219 BT-Drucks. 11/6374, S. 5. 220 Kritisch MünchKomm/Häublein § 577a Rn. 24; aA. Staudinger/Rolfs § 577a Rn. 41.

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pair-Mädchen aber in der eigenen Wohneinheit untergebracht, wäre die Sperre anzuwenden gewesen. Zufälle dieser Art dürfen bei der Normanwendung nicht den Ausschlag geben. Dies führt zu der allgemeinen Frage, ob Ausnahmevorschriften überhaupt der analogen Anwendung zugänglich sind. Entgegen einer häufig vertretenen Auffassung muss dies bejaht werden: Denn auch Ausnahmevorschriften verfolgen einen Schutzzweck und der Gleichheitsgrundsatz gebietet, diesen auf die vom Schutzzweck erfassten, weiteren Ausnahmefälle entsprechend anzuwenden. Dies darf nur nicht so weit gehen, dass der Ausnahmecharakter der Norm aufgehoben wird.221 Vorliegend gebietet die Ähnlichkeit des Falles mit dem Ausnahmetatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 die analoge Anwendung des § 577a. 4. Konkurrenzen 903

Ein Kernproblem der §§ 536ff. liegt in der Konkurrenz zu den §§ 275ff. Im Anschluss an das ältere Recht vertreten einige Autoren die Auffassung, dass das Mietrecht eine abschließende Spezialregelung gegenüber dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht treffe, die ab Übergabe der Mietsache (Vollzug) anwendbar sei und auf die die §§ 275ff. grundsätzlich nicht angewendet werden könnten.222 Überzeugender erscheint die von der Gegenansicht verfolgte Tendenz, wonach die Schuldrechtsreform das allgemeine Leistungsstörungsrecht der Mängelgewährleistung so weit angenähert hat, dass die Übergänge fließend sind.223 Denn in Normen wie §§ 281 Abs. 1 Satz 3, 323 Abs. 5 Satz 2, 326 Abs. 1 Satz 2 ist der (Sach-)Mangel längst mitgeregelt. Gälte das strenge Spezialitätsprinzip, wäre etwa eine Norm wie § 284 auf die Miete nicht anwendbar, was dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, der sich bei der Schaffung der Norm an Fallbeispielen aus dem Mietrecht orientiert hat.224 Andererseits können Normen wie § 280 Abs. 1 Satz 1 nicht einfach mit § 536a Abs. 1 zweiter Fall frei konkurrieren, weil die Beweislast unterschiedlich verteilt ist (Rn. 878). Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform erkannte deutliche „Wesensunterschiede“ zwischen der Miete einerseits sowie dem Kauf- bzw. Werkvertrag andererseits und lehnte deshalb eine Anpassung der §§ 275ff. an die Miete als „nicht sinnvoll“ ab.225 Deshalb finden die §§ 275ff. auf das Mietrecht nur insoweit Anwendung, als sie dem System der §§ 536ff. im Einzelfall nicht entgegenstehen. Von der Sache her kommt es darauf an, ob das Mietrecht eine ausdrückliche Regelung oder einen allgemeinen Rechtsgedanken beinhaltet, der der Anwendung einer Norm 221 Larenz, Methodenlehre, S. 355. 222 Zum neuen Recht etwa Arnold, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 589, 590ff.; Börsting-

haus ZGS 2002, 102, 104; Horst DWW 2002, 6, 10; F. Graf von Westphalen NZM 2002, 368, 375. 223 Emmerich NZM 2002, 362, 363; ähnlich Derleder WuM 2002, 407; Gsell DWW 2010, 122,

125; Kandelhard WuM 2003, 3 und 14 = DWW 2003, 11: Thesen, erster Spiegelstrich. 224 Vgl. den Verweis auf BGHZ 99, 182 in RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 142, rechte Spalte unten. 225 BT-Drucks. 14/6857, S. 66f. Dazu Hau JuS 2003, 130, 131 und Gruber WuM 2002, 253, 254.

IV. Übergreifende Fragestellungen zu den Mieterrechten

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der §§ 275ff. entgegensteht. Ist dies nicht der Fall, können die Normen des allgemeinen Schuldrechts angewendet werden. Praktisch zeigt sich die Bedeutung insbesondere bei der Abgrenzung zwischen dem Anspruch aus § 311a Abs. 2 Satz 1 und § 536a Abs. 1 (vgl. oben Rn. 873ff.) sowie bei der Anwendung des § 284 im Mietrecht (vgl. oben Rn. 887ff.). Eigene Bedeutung hat § 275 Abs. 2 bei nachträglicher Unmöglichkeit und der Frage, ob eine Neuerrichtungspflicht des Vermieters besteht.

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(BGH 13.12.1991 – LwZR 5/91 = BGHZ 116, 334 = NJW 1992, 1036) V hatte M ein 44,20 ha großes landwirtschaftliches Anwesen verpachtet. Aufgrund ungeklärter Umstände brannten das Stallgebäude und der Wohntrakt bis auf die Umfassungsmauer ab. M mahnt den V zur Neuerrichtung des Gebäudes. Nach Ablauf einer von ihm gesetzten Frist verlangt er Ersatz des ihm entstandenen Verzögerungsschadens, weil V mit der Neuerrichtung nicht begonnen habe. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286. Fraglich ist, ob eine Pflicht des V bestand, mit der er in Verzug geraten konnte. Für die Landpacht begründet § 586 Abs. 1 einen dem § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 vergleichbaren Anspruch.

Nach Auffassung des BGH wird der Verpächter vorliegend wegen Unmöglichkeit von seiner Leistungspflicht frei: Bei einem von ihm nicht verschuldeten Untergang eines Gebäudes treffe den Verpächter keine Neuerrichtungspflicht (S. 1036f.). In einer neueren Entscheidung wendet das OLG Stuttgart in einem solchen Fall allein § 275 Abs. 1, nicht aber Abs. 2 an: Auch wenn das Gebäude versichert sei, bleibe der Vermieter in seiner Entscheidung frei, wie er die Versicherungssumme investiere.226 Dies geht zu weit, weil keine tatsächliche Unmöglichkeit vorliegt, sondern nur ein Missverhältnis zwischen Schuldneraufwand und Gläubigerinteresse. Hier gebietet insbesondere auch § 275 Abs. 2 Satz 2 – wie es in der BGH-Entscheidung anklingt –, ein Vertretenmüssen des Vermieters zu berücksichtigen. In ähnlichem Zusammenhang hat der BGH übrigens den Rechtsgedanken der Opfergrenze, so wie er dem neuen § 275 Abs. 2 Satz 1 zugrunde liegt, entwickelt: Dem Vermieter einer Wohnung wurde 1959 die Wiederherstellung der mitvermieteten „Komforteinrichtung“ nicht zugemutet, weil von deren Fehlen nur eine Beeinträchtigung des Gebrauchs und nicht dessen Aufhebung ausging. Das Gericht stellte fest, dass dem Vermieter „die Aufwendung jenseits der Opfergrenze liegender Kosten nicht zugemutet werden dürfe“.227 Auch kommt es bei der nachträglichen Zerstörung der Mietsache zu einer Konkurrenz der Ansprüche aus § 536a Abs. 1 zweiter und dritter Fall mit §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283. Die Unterschiede liegen – wie bereits ausgeführt (Rn. 877f.) – immer im Bereich der Beweislastverteilung, und es stellt sich die Frage, ob die vollständige Aufhebung der Gebrauchsmöglichkeit noch einen Mangel nach § 536 Abs. 1 Satz 1 darstellt oder einen Fall der Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1, weil mehr als eine Gebrauchsbeein226 OLG Stuttgart MDR 2010, 261f. 227 BGH NJW 1959, 2300, 2301.

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trächtigung vorliegt.228 Nach einer älteren Ansicht muss danach differenziert werden, ob die Zerstörung der Mietsache auf einen Mangel zurückzuführen ist oder nicht. Im ersten Fall bleibe es bei der Anwendung des § 536a Abs. 1.229 Zur Vermeidung unnötiger Abgrenzungsfragen hinsichtlich Teilunmöglichkeit und Mangel bietet sich hingegen in jedem Fall die Anwendung des § 536a Abs. 1 zweiter Fall an. Eigene Fragen wirft die Anwendung des § 285 Abs. 1 im Mietrecht auf: (BGH 10.5.2006 – XII ZR 124/02 = BGHZ 167, 312 = NJW 2006, 2323) V hat M ein 8000 m2 großes Grundstück als Parkplatz vermietet. Nach der Überlassung an M vermietet V einen Teil des Grundstücks an D zum Aufstellen von Verkaufsständen. M verlangt von V die Miete heraus, die dieser gegenüber D erzielt. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch des M gegen V aus § 285 Abs. 1 auf Herausgabe der von D vereinnahmten Miete. Dies setzt einen Fall des § 275 Abs. 1 bis 3 voraus. Die Zweitvermietung des Grundstücks und die damit gegen V gerichteten Ansprüche des D begründen jedoch nach der Überlassung der Mietsache an D wie bei der Doppelvermietung einen Rechtsmangel iSd. § 536 Abs. 3. Denn nun kann V die Sache dem D nicht mehr einfach entziehen und sie M überlassen (Rn. 854); Mieterrechte des D stehen dem entgegen. § 536 Abs. 3 verdrängt deshalb den allgemeineren § 275 Abs. 1 (Tz. 10).

Fraglich ist allerdings, ob § 285 Abs. 1 im Falle eines (Rechts-)Mangels Anwendung findet. Diese Norm gibt dem Gläubiger für den Fall, dass sein Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 wegen Unmöglichkeit von seiner Leistungspflicht frei wird, einen Anspruch auf den Ersatz (zB. die Versicherungssumme) oder den Ersatzanspruch, den sein Schuldner infolge des zur Unmöglichkeit führenden Umstandes erlangt hat. Die Anwendbarkeit des § 285 Abs. 1 wird jedoch teilweise verneint, weil die Norm durch das speziellere Gewährleistungsrecht der §§ 536ff. ausgeschlossen sei.230 Die Gegenauffassung befürwortet hingegen eine Analogie oder sogar die unmittelbare Anwendung.231 Zumindest für eine entsprechende Anwendung spricht der Schutzzweck des § 285 Abs. 1: Wer sich zu einer Leistung verpflichtet, verspricht vor allem auch nach Auffassung des BGH seinem Gläubiger die Herausgabe des Surrogats als ein Minus gegenüber der Erfüllung mit (Tz. 23ff.). Nach dem hier zugrunde liegenden dogmatischen Vorverständnis (Rn. 2ff.) beruht die Verpflichtungswirkung auf Vertrauensschutz: Der Gläubiger darf darauf vertrauen, dass der Schuldner jede Anstrengung unternehmen wird, um sein Leistungsversprechen soweit wie möglich zu erfüllen (vgl. Rn. 2). Gelingt ihm dies nicht in natura, muss er sich dem Ziel wenigstens durch Herausgabe des Surrogats nähern. Dieser Zweck passt auch, wenn das Leistungsversprechen aufgrund eines Mangels nicht eingehalten wer-

So Esser/Weyers § 15 II 2a. Larenz II/1 § 48 III b 2. Wiedemann EWiR 1991, 543f. Analogie für den Fall, dass die Gewährleistung ausgeschlossen ist: Tiedtke NJW 1992, 3213; anders: Eckhardt BB 1994, 1946, 1949; Lobinger JuS 1993, 453; von Ohlshausen ZGS 2002, 194; Schaper/Kandelhard NJW 1997, 837. 228 229 230 231

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den kann. Deshalb kommt die Norm vorliegend auch bei einem Rechtsmangel zur Anwendung. Die entscheidende Voraussetzung des § 285 Abs. 1 liegt aber in der Identität zwischen der geschuldeten Leistung und dem erlangten Ersatz. Nach § 285 Abs. 1 muss der Schuldner den Ersatz bzw. den Ersatzgegenstand nämlich „für den geschuldeten Gegenstand“ erhalten haben. Das Surrogat erscheint daher als sog. stellvertretendes Commodum. Der BGH versteht das Tatbestandsmerkmal der Identität ausgehend vom Zweck des § 285 Abs. 1: Dieser ziele auf die Herausgabe von Vermögenswerten, die einer Person zugeflossen seien, der sie aber aufgrund persönlicher Verpflichtungen zu einer anderen Person nicht gebührten (Tz. 25). Dieser Schutzzweck sei nur gewahrt, wenn der vom einen Vertragspartner erlangte Ersatz genau dem entspreche, was die andere Seite von ihm an Erfüllung beanspruchen könne, und daran fehle es vorliegend (Tz. 30): Denn der Vermieter habe dem Erstmieter nur die geringwertigere Nutzung als Parkplatz, den Zweitmietern hingegen die höherwertigere Nutzung als Marktplatz überlassen. Nach der überzeugenderen Gegenauffassung bedeutet Identität in § 285 Abs. 1 nicht notwendig Gleichwertigkeit.232 Offensichtlich geht es dem BGH allein um die Vermeidung einer Überkompensation. Dem hätte jedoch durch Kürzung des Ersatzanspruchs nach § 242 über die Grundsätze des Vorteilsausgleichs begegnet werden können. Weiter noch führt die Überlegung, der BGH erleichtere dem Vermieter den Vertragsbruch und leiste so der aus der ökonomischen Analyse des Vertragsrechts (Rn. 37ff.) stammenden Lehre vom effizienten Vertragsbruch Vorschub.233 Diese Lehre will die vertragliche Bindung dann aufheben und einen Bruch der Erfüllungspflicht erlauben, wenn dadurch wirtschaftliche Effizienzgewinne erzielt werden können. Wirklich durchdacht scheint der Ansatz allerdings nicht, weil mit dem Verzicht auf das Bindungsprinzip des § 241 Abs. 1 auch jede Planungssicherheit aufgegeben werden müsste: Jeder Mietvertrag könnte durch bessere Verwertungschancen des Vermieters gegenüber einer anderen Person als dem Mieter infrage gestellt werden, was eigene (Versicherungs-)Kosten des Mieters für einen möglichen Ausfall mit sich brächte. Ob dann im Einzelfall die Kosten für die gegenwärtig zu zahlende Versicherungsprämie die allokativen Vorteile eines effizienten Vertragsbruchs des Vermieters in der Zukunft rechtfertigen, erscheint stets als offene Frage. Konkurrenzfragen treten auch im Hinblick auf die culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) auf. Einen klassischen Anwendungsfall stellen falsche Angaben des Vermieters über die Betriebskosten dar (Rn. 937). Eine ältere Auffassung lehnt die c.i.c. in den Fällen der fahrlässigen Falschaufklärung des Mieters durch den Vermieter über Mängel der Miet-

232 MünchKomm/Emmerich § 285 Rn. 25; Lehmann JZ 2007, 525; Staudinger/Löwisch/Caspers § 285 Rn. 46. 233 Lesenswert Wackerbarth ZGS 2006, 369, 370f. mwN.

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sache ab.234 Dies entspricht der Rechtslage beim Kaufvertrag (Rn. 467). Diese Betrachtungsweise lässt sich jedoch nach einer neueren und überzeugenderen Ansicht nicht auf das Mietrecht übertragen, sodass auch in diesem Fall eine freie Konkurrenz der c.i.c. mit den §§ 536ff. in Betracht kommt.235 Ausschlaggebend ist die Überlegung, dass die c.i.c. die Ansprüche aus § 536a Abs. 1 nicht unterlaufen kann. Denn sie konkurriert mit dem Anspruch aus § 536a Abs. 1 erster Fall. Dieser setzt jedoch anders als die c.i.c. kein Verschulden voraus und hat deshalb ohnehin einen sehr viel weiteren Anwendungsbereich. Auch läuft die Verjährung beider Ansprüche parallel. Nur in den Fällen der §§ 536b Satz 2 und 536c Abs. 2 könnte der Mieter über die c.i.c. theoretisch mehr erreichen, sodass diese Haftungsbeschränkungen entsprechend auf den Anspruch aus c.i.c. angewendet werden müssen.236 5. Haftungsausschluss und Verjährung a) Ausschluss der Haftung des Vermieters 909 910

Der gesetzliche Haftungsausschluss nach §§ 536b Satz 1 und 536c Abs. 2 Satz 1 wurde bereits erörtert (Rn. 838ff.). Ein vertraglicher Haftungsausschluss kommt schließlich unter den Voraussetzungen des § 536d in Betracht. Für den Haftungsausschluss in AGB gilt vor allem § 309 Nr. 7 lit. a und b. Einen Sonderfall stellt die Abdingbarkeit des systemfremden § 536a Abs. 1 erster Fall in AGB dar (dazu Rn. 868). b) Haftungsfreistellung des Mieters bei der Kfz-Vermietung

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Bei der Kfz-Vermietung legt die Rechtsprechung eine dem Mieter gewährte Haftungsfreistellung nach §§ 133, 157 entsprechend den Prinzipien des Versicherungsvertragsrechts großzügig aus: (BGH 11.10.2011 – VI ZR 46/10 = BGHZ 191, 150 = NJW 2012, 222) Die gewerbliche Autovermietung V vermietete der Firmenkundin M ein Kfz unter folgender Bedingung: „Dem Mieter steht es frei, die Haftung aus Unfällen durch Zahlung eines besonderen Entgelts auszuschließen = vertragliche Haftungsfreistellung.“ Ausnahmsweise war dort aber trotz Zahlung eines solchen Entgelts eine Haftung für Schäden vorgesehen, wenn der Mieter „oder seine Erfüllungsgehilfen den Schaden durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit herbeiführen.“ A, Angestellter der M, verursachte grob fahrlässig einen Straßenverkehrsunfall unter Alkoholeinwirkung, der zum Totalschaden am Kfz führte. V fordert daher von M Schadensersatz für das Kfz, obwohl M ein Entgelt für die Haftungsfreistellung im vorgenannten Sinne gezahlt hat. Bei dem Anspruch der V gegen M aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283, 546 Abs. 1 stellt sich die Frage, ob M den Schaden zu vertreten hat. Dem könnte die vertragliche Haftungsfreistellung entgegenstehen, wenn diese nicht wirksam durch die Rückausnahme beschränkt ist. 234 Arnold, in: Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, S. 590; Börstinghaus ZGS 2002, 102, 104; Horst

DWW 2002, 6, 10; F. Graf von Westphalen NZM 2002, 368, 374. 235 Derleder WuM 2002, 407, 408: Emmerich NZM 2002, 362, 363; Gsell DWW 2010, 122, 125;

Oechsler NZM 2004, 881, 883. 236 Derleder WuM 2002, 407, 408.

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Der BGH sieht die Rückausnahme von der Freistellung als unvereinbar mit Grundgedanken der gesetzlichen Regelung an, von der diese Klausel gerade iSd. § 307 Abs. 2 Nr. 1 abweicht. Bei dieser „gesetzlichen Regelung“ handelt es sich vorliegend um die durch die Rechtsprechung geformten Prinzipien des Vollversicherungsrechts (Tz. 10). Nach diesen dürfe ein gewerblicher Mieter darauf vertrauen, dass eine entgeltliche Haftungsfreistellung ihn in ähnlicher Weise absichere wie die Vollkaskoversicherung den Eigentümer (Tz. 11). Dies überzeugt: Ein Vollversicherer kann nach § 81 Abs. 2 VVG die eigene Haftung im Falle grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers nicht vollständig ausschließen; denn ein Alles-oder-Nichts-Prinzip im Falle grober Fahrlässigkeit widerspreche dem System des VVG (Tz. 12).237 Die AGB-Klausel ist daher unwirksam. Die daraus entstehende Lücke schließt der BGH im Folgenden im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (Tz. 17):238 Grundsätzlich erscheint dies wegen des Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion von AGB nicht unproblematisch (Tz. 20; vgl. Rn. 616 und 951ff.). Danach darf eine gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksame Klausel gerade nicht so weit aufrechterhalten werden, wie diese den Anforderungen der Inhaltskontrolle entspricht. Denn dadurch würde gegenüber dem Verwender ein Anreiz gesetzt, bei der Gestaltung seiner AGB über den Rahmen des Erlaubten hinauszugehen, weil er jederzeit mit einer Reduktion seiner Klausel auf den Rahmen des Erlaubten rechnen könnte. Diese Zwecküberlegungen passen jedoch vorliegend nicht: Denn eine Unwirksamkeit der Haftungsfreistellung würde hier dem Verwender (Vermieter) einseitig nützen, weil der Haftungsausschluss für die Vertragsgegenseite vollständig entfiele, obwohl diese eine Gegenleistung dafür erbracht hat (vgl. auch Rn. 615f.). Den Zwecken der Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion ist deshalb Genüge getan, wenn nur die Rückausnahme in den AGB unwirksam ist, nicht aber der Haftungsausschluss (vgl. auch § 306 Abs. 1). Der BGH geht über dieses Ziel hinaus und hält auch die Rückausnahme in modifizierter Form zugunsten des Verwenders aufrecht, was wiederum im Hinblick auf das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion problematisch erscheint. Er begründet dies mit der Überlegung, die Lücke lasse sich nach § 306 Abs. 2 unmittelbar durch § 81 Abs. 2 VVG schließen (Tz. 16). Sind Bestimmungen in AGB nicht Vertragsbestandteil geworden, sieht § 306 Abs. 2 vor, dass sich der Inhalt des Vertrags nach den gesetzlichen Vorschriften richtet. § 81 Abs. 2 VVG bestimmt wiederum, dass der Versicherer im Falle grob fahrlässiger Schadensherbeiführung durch den Versicherungsnehmer berechtigt ist, seine Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens zu kürzen. Diese Norm ist jedoch keine gesetzliche Vorschrift iSd. § 306 Abs. 2, weil sie auf den Versicherer, nicht aber den Vermieter anwendbar ist, der nach den Grundsätzen der Rechtsprechung den Mieter wie ein Versicherer von der Haftung freistellen soll. Die Aufrechterhaltung 237 Vgl. zur Gegenauffassung etwa Günther/Spielmann RuS 2008, 133, 143. 238 Vgl. auch BGH NJW 2012, 2501 Tz. 24ff.

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der Rückausnahme kommt daher einer geltungserhaltenden Reduktion bedenklich nahe. Dies sieht der BGH anders (Tz. 20). Im Fall findet nach der Auffassung des BGH zu Lasten des M § 81 Abs. 2 VVG analog Anwendung. Dies bedeutet, dass M entsprechend der Schwere des Verschuldens des A, das er selbst nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung (Rn. 913) zu vertreten hat, den Schaden im Verhältnis zu V anteilig zu tragen hat.

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Die Haftungsfreistellung bei der Kfz-Vermietung folgt auch in allen übrigen Belangen den Prinzipien der Kfz-Vollversicherung. Entsprechend den Grundsätzen der versicherungsrechtlichen Repräsentantenhaftung braucht daher der Mieter für das Vertretenmüssen eines Dritten nicht voll einzustehen.239 Bedenklich ist es ferner, wenn die Haftungsfreistellung bei fehlendem Hinzuziehen der Polizei nach einem Unfall entfallen soll; denn auch dies ist mit § 81 Abs. 2 VVG nicht zu vereinbaren.240 Auch in anderem Zusammenhang folgt der BGH der Überlegung, dass die Auslegung (stillschweigend) vereinbarter Haftungsfreistellungen nach §§ 133, 157 sich am Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes orientiert (vgl. Rn. 763ff.). 6. Gleichbehandlungsgesetz

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Bedeutung für das Mietvertragsrecht entfaltet schließlich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Beispiel Die drei Studentinnen A, B und C haben die Wohnung „Am Taubertsberg 6 in Mainz, Appartement Nr. 12“ von V gemietet; dieser hat ihnen die Erlaubnis zur Untervermietung erteilt. Durch Aushang am schwarzen Brett im Fakultätsgebäude suchen sie eine neue Untermieterin. Darauf meldet sich der 56-jährige Sektenangehörige S, dessen Antrag auf Abschluss eines Untermietvertrages A, B und C sofort zurückweisen. S verlangt von A, B und C eine Entschädigung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 iVm. Satz 3 AGG für die immateriellen Einbußen, die er dadurch erlitten habe, dass er als Mann, als bekennender Heterosexueller und wegen seiner religiösen Überzeugung und seines Alters von A, B und C diskriminiert werde.

Das AGG setzt eine Reihe von arbeitsrechtlichen Richtlinien der EU um, daneben aber auch in den §§ 19ff. AGG die Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.241 Der Anspruch aus § 21 Abs. 2 Satz 1 AGG ist dabei seiner dogmatischen Struktur nach an § 280 Abs. 1 Satz 1 angelehnt:242 (1) Danach kommt anlässlich des Antrags des Benachteiligten regelmäßig ein vorvertragliches Schuldverhältnis iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 3 zustande. 239 240 241 242

BGHZ 181, 179 = NJW 2009, 2881. BGH NJW 2012, 2501, Tz. 22. ABl. EG Nr. L 373 vom 21.12.2004, S. 37. RegE BT-Drucks. 16/1780, S. 46.

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(2) Der Benachteiligende muss ferner gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des § 19 AGG verstoßen haben. Dieses verbietet eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse. Eine Diskriminierung aufgrund der politischen Orientierung ist hingegen gerade nicht erfasst (Rn. 814). Bestehen Zweifel, ob die ablehnende Entscheidung tatsächlich auf einer solchen verbotenen Diskriminierung beruht, muss der Benachteiligte nach § 22 AGG Indizien beweisen, die dies vermuten lassen. Der Gesetzgeber knüpft dabei an die Dogmatik des Anscheinsbeweises an:243 Beweist der Benachteiligte Tatsachen, die nach der allgemeinen Erfahrung auf eine Diskriminierung hinweisen, muss sich die Gegenseite entlasten. Aus Sicht des Benachteiligten genügt dabei zunächst nicht allein der Nachweis, dass er einer betroffenen Personengruppe angehört, sondern er muss Umstände darlegen, die nahelegen, dass die in § 19 AGG genannten Kriterien rechtswidrig angewendet wurden.244 Wenn S vorliegend das Alter von A, B und C und ihr Geschlecht darlegt, was zwischen den Parteien unstreitig ist und wohl überhaupt keines Beweises bedarf, liegt nach der Lebenserfahrung die Vermutung nahe, dass zumindest Alter und Geschlecht des S bei der Ablehnung seines Antrages eine Rolle gespielt haben.

Hinzu treten jedoch zwei weitere Voraussetzungen: Im Rahmen des allgemeinen zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots muss es um ein Massengeschäft iSd. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG gehen. Dieses liegt vor, wenn Schuldverhältnisse typischerweise ohne Ansehung der Person zu vergleichbaren Bedingungen zustande kommen und bei ihnen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat.245 Beispiele sind der Straßenverkauf, der Verkauf in einem Warenhaus oder durch einen Gebrauchtwagenhändler. Weist ein solcher Anbieter den Nachfrager wegen eines der in § 1 AGG genannten Kriterien zurück, erkennt ihm der Gesetzgeber das sachliche Interesse ab und nimmt ihn angesichts der mittelbaren Drittwirkung von Art. 3 GG in die Pflicht. A, B und C betreiben hier kein Massengeschäft. Schon deshalb scheitert der Anspruch des S nach § 21 Abs. 2 Satz 1 iVm. Satz 3 AGG an den Voraussetzungen § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG.

Zweitens kann eine Diskriminierung auch bei Massengeschäften im Mietrecht erlaubt sein, wenn dies zum Erhalt stabiler Bewohner- und angemessener Siedlungsstrukturen erforderlich ist (§ 19 Abs. 3 AGG) bzw. wenn zwischen den Mietern durch eine Wohngemeinschaft auf demselben Grundstück ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis entsteht (§ 19 Abs. 5 Satz 2). 243 RegE BT-Drucks. 16/1780, S. 47, linke Spalte. 244 Schmidt-Futterer/Blank Vor § 535 BGB Rn. 228. 245 Dazu etwa Schmidt-Futterer/Blank Vor § 535 BGB Rn. 182ff.

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Auch wegen § 19 Abs. 5 AGG ist der Anspruch aus § 21 Abs. 2 Satz 1 iVm. Satz 3 AGG nicht begründet. Der Anspruch des S besteht daher nicht.

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Der Benachteiligte hat in den übrigen Fällen einen Anspruch auf Beseitigung der Benachteiligung nach § 21 Abs. 1 AGG, was aber große Probleme bereitet, wenn die Sache bereits vermietet und der Besitz an den Mieter übergegangen ist. Dann kann der Vermieter sie dem anderen Mieter nicht einfach entziehen; der Anspruch aus § 21 Abs. 1 AGG wird in diesen Fällen an § 275 Abs. 1 scheitern. Der Benachteiligte kann aber daneben – wie gerade gesehen – nach § 21 Abs. 2 Satz 1 AGG Schadensersatz verlangen, wobei der Ersatz eines immateriellen Schadens iSd. § 253 Abs. 1 die größte Bedeutung entfaltet. Dem Gesetzgeber schwebte dabei ein Vergleich mit den Fällen der Entschädigung bei der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 vor, die dem Benachteiligten „Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung oder Zurücksetzung verschaffen“ soll.246 Außerdem kommt es bei der Bemessung der Entschädigungshöhe auf die Erzielung eines echten Hemmeffektes mit Abschreckungswirkung für zukünftige Fälle an. In Rede steht eine dreifache Monatsmiete.247 In einer Entscheidung des LG Köln ging ein homosexuelles Paar erfolgreich gegen einen Vermieter vor, der seine Villa ansonsten für private Feierlichkeiten zur Verfügung stellte, dem Paar die Räume jedoch für dessen Hochzeitsfeier verweigerte. Das Gericht sprach jedem Partner eine Entschädigung iHv. 850 € zu.248

V. Die Vermieterrechte 1. Der Anspruch auf die Miete a) Überblick 917

Der Mieter schuldet nach § 535 Abs. 2 die Zahlung der Miete als Hauptleistung. Die Vereinbarung einer unangemessen hohen Miete für Wohnraum bedeutet eine Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 WiStrG (vgl. zum Begriff der Unangemessenheit § 5 Abs. 2 WiStrG).249 In besonders schweren Fällen ist eine überhöhte Wohnraummiete als Mietwucher nach § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB strafbar. Daneben bleiben die § 138 Abs. 1 und 2 anwendbar. Die Nichtigkeit der Mietabrede erfasst jedoch gemäß § 139 nicht den Mietvertrag im Übrigen, weil der Mieter sonst sein Gebrauchsrecht verlieren würde, was ihm mehr schaden als nutzen würde. Im Zweifel dürfte in einem solchen Fall – kraft ergänzender Vertragsauslegung nach § 157 und vergleichbar § 632 Abs. 2 zweiter Fall – die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 2) geschuldet sein. 246 RegE BT-Drucks. 16/1780, S. 46, rechte Spalte; im Anschluss an: BGHZ 35, 363, 367f. – Ginsengwurzel; 39, 124, 130ff. – Fernsehansagerin; 128, 1, 15 – Caroline von Monaco. 247 Schmidt-Futterer/Blank Vor § 535 BGB Rn. 224; Hinz ZMR 2006, 826, 830. 248 LG Köln NJW 2016, 510. 249 Dazu und zum Folgenden Staudinger/Emmerich Vorbem zu § 535 Rn. 117.

V. Die Vermieterrechte

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b) Mietpreisbremse

Die §§ 556dff. zielen darüber hinaus auf eine Preiskontrolle beim Abschluss des Mietvertrages (zum Hintergrund Rn. 804). § 556d Abs. 1 findet auf die Miete von Wohnraum in einem Gebiet Anwendung, das durch Landesverordnung nach § 556d Abs. 2 als Gebiet mit angespanntem Wohnmarkt ausgewiesen ist. Das Land Berlin hat als erstes durch eine entsprechende VO die ganze Fläche des Bundeslandes in diesem Sinne deklariert.250 Deshalb darf dort die bei Vertragsschluss vereinbarte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 2) höchstens um 10 Prozent übersteigen (§ 556d Abs. 1) oder muss der im vorangegangenen Mietverhältnis vereinbarten Miete entsprechen (§ 556e Abs. 1). Das Anwendungsproblem der Norm liegt in der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Denn für deren Konkretisierung ist die Vermutungswirkung eines qualifizierten Mietspiegels entscheidend: Nach § 558d Abs. 3 wird nämlich vermutet, dass die in einem qualifizierten Mietspiegel bezeichneten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben. Um als qualifiziert zu gelten, muss der Mietspiegel gem. § 558d Abs. 1 nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden sein. Der Tatbestand der „wissenschaftlichen Grundsätze“ ist hingegen so unbestimmt, dass nach Einführung der §§ 556dff. im Jahre 2015 der Nachweis der Normvoraussetzungen praktisch kaum jemals gelungen ist,251 obwohl etwa die Erstellung des vom Berliner Senat herausgegebenen Berliner Mietspiegels einen erheblichen finanziellen Aufwand erforderte.252 Der BGH beschränkt sich in diesem Punkt auf abstrakte Kriterien:253 (1) Für den Mietspiegel dürfen nur Erkenntnisquellen genutzt werden, die die tatsächlichen und üblicherweise für vergleichbare Wohnungen gezahlten Mieten wiedergeben (Tz. 13). (2) Der Mietspiegel muss die Voraussetzungen des § 558d Abs. 1 unstreitig, offenkundig (§ 291 ZPO) oder nachweislich erfüllen; die Anerkennung durch die Gemeinde allein genügt nicht (Tz. 15). (3) Ferner ist eine Dokumentation zur Entstehung des Mietspiegels erforderlich (Tz. 16).254 Durch eine 2016 politisch angestoßene weitere Mietrechtsnovelle sollen die Kritierien weiter präzisiert werden. Nach § 556g Abs. 1 ist eine Vereinbarung insoweit unwirksam, als sie den zulässigen Rahmen der §§ 556d Abs. 1, 556e Abs. 1 übersteigt. Ausgenommen sind nach § 556f Satz 1 Wohnungen, die nach dem 1.10.2014 erstmals genutzt und vermietet wurden. Damit sollen Investitionen in den Wohnungsneubau nicht entmutigt werden.255 Offen bleibt jedoch, ob die Ausnahme nur für die Erstvermietung oder 250 Verordnung zur zulässigen Miethöhe bei Mietbeginn gemäß § 556d Absatz 2 BGB (Mietenbegrenzungsverordnung) vom 28. April 2015, GVBl. 2015, 101. 251 Verneinend LG Berlin NJW 2015, 3252; vgl. auch LG Berlin NJW 2015, 3248. 252 Börstinghaus NJW 2015, 3200. 253 BGH NJW 2014, 292: Auf diese Entscheidung beziehen sich die nachfolgenden Tz.; BGH NJW 2013, 775; BGHZ 197, 366 = NJW 2013, 2963. 254 BT-Drucks. 14/4553, S. 100. 255 RegE BT-Drucks. 18/3121, S. 21, 31.

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auch Folgevermietungen dieser Immobilien gilt. Auch hier soll die erwähnte Mietrechtsnovelle iSd. zweiten Alternative Klärung bringen. Grundsätzlich spricht gegen die Ausrichtung der Mietpreisbremse am qualifizierten Mietspiegel, dass mit diesem ein gewichteter Mittelwert für Mieten zugrunde gelegt wird, im Rahmen dessen Spitzenwerte tendenziell keine Berücksichtigung finden. Neumieten bewegen sich aber erfahrungsgemäß in diesem Bereich.256 Diesen Effekt rechtfertigte das BVerfG im Zusammenhang mit § 558 durch die Überlegung, dass er „zugleich die Ausnutzung von Mangellagen auf dem Wohnungsmarkt verhindert und Preisspitzen abschneidet“ und „eine solche Nutzung des Eigentums im Hinblick auf die soziale Bedeutung der Wohnung für die hierauf angewiesenen Menschen keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt“.257 Auf die Gefahren einer richterlichen Preiskontrolle für die Funktionsfähigkeit der Immobilienmärkte wurde bereits hingewiesen (Rn. 804). c) Mieterhöhung 918

Im Bereich der Geschäftsraummiete können Mieterhöhungen auf der Grundlage von Mietanpassungsklauseln in den AGB des Vermieters ausbedungen sein.258 Hier gelten ähnliche Grundsätze wie für die aus dem Kauf- und Darlehensrecht bekannten Preisanpassungsklauseln (vgl. Rn. 615f.). Diese Regelungen sind auch für den Mieter aus zwei Gründen vorteilhaft: Sie verhindern, dass der Vermieter bereits bei Vertragsschluss sicherheitshalber Kostensteigerungen einpreist, obwohl deren Voraussetzungen noch nicht konkret absehbar sind. Zugleich kann der Mieter an einem Sinken des Referenzwertes partizipieren. Der gewerbliche Mieter ist hier in erster Linie durch das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 geschützt. Der Verwender muss sich bei der Abfassung verständlicher Formulierungen bedienen (Tz. 21) sowie Zeitpunkt und Anlass für eine Mietanpassung (Tz. 21f.) eindeutig offenlegen. Es genügt dabei eine Anpassung innerhalb bestimmter Jahresfristen an eine ortsübliche Miete. Im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 müssen die Klauseln schließlich dem Äquivalenzprinzip genügen, dh. eine Anpassung in beide Richtungen, also auch zugunsten des Mieters, ermöglichen (Tz. 33). Problematisch erscheint deshalb, dass der XII. Senat des BGH eine Klausel für rechtmäßig hielt, die ausdrücklich nur eine Berechtigung des Vermieters, aber keine Verpflichtung zur Anpassung zugunsten des Mieters vorgesehen hatte. Das Gericht begründet dies mit der Überlegung, dass ein Anpassungsrecht nach § 315 Abs. 1 stets mit einer Anpassungspflicht korrespondiere (Tz. 36f.). Dies entspricht jedoch nicht dem Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung von AGB nach § 305c Abs. 2. Fehlt eine Mietanpassungsklausel, steht dem Vermieter der Weg über die Änderungskündigung offen: Danach kündigt er den Mietvertrag innerhalb der ordentlichen Kündigungsfrist (§ 580a) und gibt ein Angebot auf Abschluss ei256 Börstinghaus NJW 2015, 1553, 1555. 257 BVerfGE 37, 132 = NJW 1974, 1499, 1500. 258 BGH NJW 2012, 2187; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung.

V. Die Vermieterrechte

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nes neuen Mietvertrages mit erhöhter Miete ab. Diese Vorgehensweise ist bei der Wohnraummiete durch § 573 Abs. 1 Satz 2 verboten, um den Druck auf den Mieter zu mindern. Stattdessen nennt § 557 einen Numerus clausus von Abänderungsmöglichkeiten: Dazu zählt zunächst die individuell vereinbarte Mieterhöhung (Abs. 1), die den Parteien durch die gesetzlichen Regelungen nicht genommen wird.259 Verlangt daher der Vermieter eine höhere Miete und zahlt der Mieter diese ohne weitere Erklärungen, kommt eine Vereinbarung nach § 557 Abs. 1 zustande.260 Es ist umstritten, ob der Vermieter in diesen Fällen einen Anspruch auf schriftliche Zustimmungserklärung zu Beweiszwecken hat.261 Im Hinblick auf den durch § 550 Satz 1 verfolgten Schutzzweck (Rn. 807ff.) wird man dies jedoch bejahen müssen. Ferner können die Parteien eines der beiden gesetzlich vorgesehenen Mieterhöhungsverfahren im Mietvertrag vereinbaren (Abs. 2). Bei dieser zweiten Möglichkeit erhöht sich die Miete entweder innerhalb bestimmter Zeiträume (§ 557a: Staffelmiete), wobei es zum Schutz des Mieters vor allem auf die Bestimmtheit der Vereinbarung ankommt. Oder die Miete orientiert sich an dem vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Preisindex für die Lebenshaltungskosten aller privaten Haushalte in Deutschland (vgl. § 557b: Indexmiete). Ein dritter Weg besteht im Recht des Vermieters, vom Mieter die Zustimmung zu einer Mieterhöhung zu verlangen (§ 557 Abs. 3).262 Das Gesetz kennt drei Fälle: den Regelfall des § 558 und die Sonderfälle des § 559 (Mieterhöhung nach Durchführung baulicher Modernisierungsmaßnahmen; vgl. dazu Rn. 969f.) und des § 560 (Erhöhung der Betriebskosten). Der Mieter kann sich vor dem allgemeinen Mieterhöhungsverlangen nach § 558 und vor dem Verlangen nach einer Umlage von Modernisierungskosten durch das Sonderkündigungsrecht nach § 561 schützen. Der Anspruch auf Zustimmung zur Mieterhöhung aus § 558 ist wiederum nur innerhalb folgender gesetzlicher Grenzen möglich: (1) Obergrenze ist nach § 558 Abs. 1 Satz 1 die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 2), die in der Praxis anhand der für qualifizierte Mietspiegel geltenden Vermutungswirkung des § 558d Abs. 3 ermittelt wird (vgl. Rn. 917a). Der Verweis auf die ortsüblichen Marktergebnisse stellt den wettbewerblichen Ordnungsgedanken in den Mittelpunkt und verhindert eine eigene richterliche Preiskontrolle der Miethöhe. Dies sieht das BVerfG als zentral für die Verfassungsgemäßheit der Regelung an (Rn. 959).263 (2) Der Vermieter muss ferner die in § 558 Abs. 1 gesetzte zeitliche Grenze beachten. Der Anspruch auf Zustimmung zur Mieterhöhung entsteht erst nach Ablauf von 15 Monaten seit der letzten Mietänderung (Satz 1) und kann erst 259 260 261 262 263

Dazu Hau, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 631ff.; Maaß, ebenda, S. 640ff. Theesfeld, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 656f. Dazu Theesfeld, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 656, 657. Zur formalen Seite Börstinghaus NJW 2012, 2328. BVerfGE 37, 132 = NJW 1974, 1499, 1500.

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nach einem Kalenderjahr seit dem letzten Verlangen geltend gemacht werden (Satz 2). (3) Schließlich bildet die Kappungsgrenze nach § 558 Abs. 3 eine weitere sachliche Schranke. Die Miete darf sich innerhalb von drei Jahren nicht um mehr als 20% erhöhen (Satz 1). Diese Grenze ist nach Satz 2 auf 15% reduziert, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum in einer Gemeinde oder einem Gemeindeteil nicht sichergestellt ist, was durch Verordnung der Landesregierung zu bestimmen ist. Das Mieterhöhungsverlangen muss der Form des § 558a genügen. Wie aus § 558a Abs. 1 hervorgeht, genügt Textform nach § 126b (zB. eine E-Mail); Schriftform nach § 126 ist nicht erforderlich.264 Das formalisierte Verlangen soll den Mieter in die Lage versetzen, die Rechtmäßigkeit des Erhöhungsverlangens eigenständig zu überprüfen. Schließlich sieht § 558b Abs. 1 einen gesetzlichen Mindestzeitraum zwischen dem Zugang des Erhöhungsverlangens und dem Eintritt der Erhöhung vor, wenn der Mieter ihr zustimmt. Dem Mieter steht gemäß § 558b Abs. 2 Satz 1 zunächst eine zweimonatige Bedenkzeit ab Zugang des Erhöhungsverlangens zu. Stimmt er danach nicht zu, kann der Vermieter die Erteilung der Zustimmung zur Erhöhung einklagen. Für die Klageerhebung besteht eine Frist von weiteren drei Monaten (§ 558b Abs. 2 Satz 2). Beachtenswert ist ferner, dass dem Mieter wegen § 312 Abs. 4 Satz 1 ein Verbraucherwiderrufsrecht nach § 312g Abs. 1 zusteht, wenn die Vereinbarung über die Mieterhöhung in einer AGAV-Situation oder im Wege eines Fernabsatzgeschäfts zustande kommt (Rn. 564). Ein Grundlagenproblem berührt schließlich folgender Fall: (BGH 18.11.2015 – VIII ZR 266/14 = NJW 2016, 239: Im Wohnraummietvertrag zwischen V und M sind jeweils die Wohnungsgröße mit 156,95 m2 und die Monatsmiete mit 811,81 DM angegeben. Zu einem späteren Zeitpunkt stellt sich heraus, dass die tatsächliche Wohnungsgröße 210,43 m2 beträgt. In seinem Mieterhöhungsverlangen vom 24.5.2013 stützt sich V jetzt auf die größere Wohnfläche und verlangt eine dieser Fäche entsprechende Mieterhöhung. M vertritt die Auffassung, dies sei aufgrund der vertraglichen Vereinbarung ausgeschlossen.

Eine Abweichung der tatsächlichen gegenüber der vereinbarten Wohnungsgröße von mindestens 10% überschreitet die Erheblichkeitsschwelle des § 536 Abs. 1 Satz 3 für Mängel (Tz. 9; Rn. 847). In Abweichung von einer älteren Rechtsprechung265 wendet der BGH diese Schwelle nicht auf das Mieterhöhungsverlangen an, sondern legt hier allein die tatsächliche Größe zugrunde (Tz. 10). Dagegen ließe sich einwenden, dass die Parteien den Gebrauchswert der Wohnung und die dafür geschuldete Miete in ein subjektives Äquivalenzverhältnis gestellt haben (§ 346 Abs. 2 Satz 1).266 Umgekehrt ist jedoch zu be-

264 BGH NJW 2011, 295. 265 BGH NJW 2009, 2739. 266 Staudinger/Weitermeyer § 557 Rn. 65.

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achten, dass die Vereinbarung über die Wohnfläche keine Feststellungswirkung hat, die für eine der Seiten zu einem Rechtsverlust führt (Tz. 18).267 Dies führt vorliegend zwar nicht zu einer anteilmäßigen Erhöhung der vereinbarten Miete entsprechend der größeren Fläche; denn für eine solche Vertragsänderung kraft Gesetzes fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die Mieterhöhung nach § 558 Abs. 1 darf sich jedoch an den Sätzen für eine Wohnung mit der Fläche von 210,43 m2 orientieren.

d) Gegenleistungsgefahr bei persönlicher Verhinderung des Mieters und die Stellung von „Nachmietern“

Nach § 537 Abs. 1 Satz 1 trägt der Mieter das Risiko, die Miete weiterzahlen zu müssen, obwohl er aufgrund eines in seiner Person liegenden Grundes nicht in der Lage ist, die Mietsache zu gebrauchen. Die Norm bürdet dem Mieter damit das Verwendungsrisiko im Hinblick auf die Mietsache auf (Rn. 116). Die entsprechende Gefahrtragungspflicht endet jedoch nach § 537 Abs. 2 dann, wenn der Vermieter dem Mieter die Sache nicht zum Gebrauch überlassen kann, weil er einem Dritten Besitz eingeräumt hat. Fraglich ist, ob der Vermieter vom Mieter entgegen dem Wortlaut des § 537 Abs. 2 auch in diesem Fall ausnahmsweise die Differenz zwischen der ursprünglich vereinbarten und der vom zweiten Mieter erzielten niedrigeren Miete verlangen kann (Differenzmiete): (BGH 31.3.1993 – XII ZR 198/91 = BGHZ 122, 163 = NJW 1993, 1645) M hatte von V Räume zum Betrieb einer Bäckerei bis 30.6.1992 gepachtet (§ 581 Abs. 2). Weil die Geschäfte schlecht laufen, schließt er die Bäckerei jedoch vor Ablauf des Pachtvertrages im April 1988 und zahlt ab 1.5.1988 keine Pacht mehr, weil er zu Unrecht meint, der Vertrag sei einvernehmlich beendet worden. V widerspricht sofort, doch M zahlt weiterhin nicht. Am 1.9.1988 entfernt V daraufhin die mitverpachtete Geschäftseinrichtung und veräußert diese. Am 1.10.1988 verpachtet er die Räume an Apotheker A und teilt dies M mit. A zahlt allerdings monatlich 200 € weniger Pacht als mit M vereinbart war. V verlangt von M für den Zeitraum bis 1.10.1988 die volle Pacht, danach die Differenz zwischen der von A gezahlten und der mit M vereinbarten Pacht bis Juni 1992.

Unproblematisch greift § 537 Abs. 1 Satz 1 in solchen Fällen bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Verpächter das mitverpachtete Inventar des Ladenlokals entfernt. Nach der Entfernung kann sich der Pächter auf § 537 Abs. 2 analog berufen, weil der Verpächter ihm die Sache nicht mehr wie geschuldet zur Nutzung überlassen kann (S. 1647). Dafür spricht, dass der Schaden des Verpächters vorliegend nicht doppelt kompensiert werden darf: Er kann nicht einerseits die vereinbarte Pacht verlangen, andererseits durch Verkauf des Inventars Vorteile realisieren, die bei ordnungsgemäßer Durchführung des Pachtvertrages niemals erzielbar gewesen wären. Eigene Probleme wirft jedoch die Forderung der Differenzpacht für den Zeitraum ab Weiterverpachtung an den Apotheker bis zum vereinbarten Vertragsende auf. Denn hier steht § 537 Abs. 2 seinem Wortlaut nach der Forderung einer Differenzpacht entgegen.268 Der BGH erkennt zu267 Kraemer NZM 1999, 156, 160 und 162. 268 So OLG Düsseldorf OLGZ 1986, 333, 336; teilweise anders OLG Hamm NJW 1986, 2321.

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nächst der Anzeige des Verpächters, die Räume Dritten überlassen zu wollen, keine eigene Bedeutung im Rahmen des § 537 Abs. 2 zu, da sich der Inhalt des zwischen den Parteien vereinbarten Pachtvertrages nur durch vertragliche Vereinbarung der Parteien, nicht aber durch einseitige Erklärung einer Seite ändern könne (S. 1646). Beruft sich der Pächter indes in einem solchen Fall auf § 537 Abs. 2, kann ihm der Verpächter den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 entgegenhalten (S. 1646f.). Der Pächter könne aus dem Verhalten des Verpächters keine Rechte herleiten, wenn er selbst durch einen groben Vertragsbruch dazu Anlass gegeben habe, wie hier durch die Verweigerung der Pacht trotz Kenntnis des fortbestehenden Anspruchs des Verpächters. Dass der Verpächter in einer solchen Situation im beiderseitigen Interesse den Schaden zu minimieren suche, könne der Pächter ihm nicht entgegenhalten und aus dem eigenen Vertragsbruch keine Vorteile ableiten. Der Verpächter müsse jedoch durch entsprechende Anzeige seiner Sicht der Rechtslage und der Absicht der Weiterverpachtung eindeutige Verhältnisse schaffen und dem Pächter Gelegenheit zu einer vertragstreuen Reaktion geben (S. 1647).269 Für den Zeitraum vom 1.5. bis 31.8.1988 ist § 537 Abs. 1 anwendbar und die vereinbarte Pacht nach § 535 Abs. 2 in voller Höhe fällig. Für den September 1988 entfällt der Anspruch auf die Pacht nach § 537 Abs. 2 analog; der Verpächter kann sich hier durch Veräußerung des Inventars schadlos halten. Vom 1.10.1988 bis zum 30.6.1992 hat V gegen M einen Anspruch auf die Differenzpacht, wenn er M gegenüber seine Maßnahme angezeigt hat.

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Ist der Mieter dauerhaft am persönlichen Gebrauch der Mietsache verhindert, stellt sich die Frage, ob er die Zahlungspflicht durch Stellung eines Nachmieters abwenden kann. Zunächst trifft den Vermieter nicht ohne Weiteres aus § 254 Abs. 2 Satz 1 die Pflicht, die ungebrauchte Wohnung an Dritte weiterzuvermieten, um den Schaden des Mieters zu mindern. Denn dadurch würde ihn das Gesetz zur Auswechselung des Schuldners zwingen. Aus § 398 folgt zwar das Prinzip, dass ein Schuldner sich das Auswechseln des Gläubigers gefallen lassen muss, aus den §§ 414ff. geht aber ebenso hervor, dass ein Gläubiger den Wechsel in der Schuldnerposition nicht ungefragt hinzunehmen braucht. Auch der Vermieter ist im Mietvertrag nur das Insolvenzrisiko des Mieters eingegangen und muss es deshalb nicht hinnehmen, dass ihm das Insolvenzrisiko einer dritten Person aufgebürdet wird, solange der ursprüngliche Mietvertrag noch läuft. Der BGH bejaht die Möglichkeit der Stellung eines Nachmieters daher nur, wenn der Vermieter damit einverstanden ist.270 Ansonsten bleibt dem Mieter der Ausweg über das Sonderkündigungsrecht nach § 540 Abs. 1 Satz 2: (OLG Karlsruhe 25.3.1981 – 3 REMiet 2/81 = NJW 1981, 1741) M hat von V ein Einfamilienhaus für fünf Jahre gemietet. Nach einem Jahr erwirbt M ein eigenes Haus und möchte aus dem Vertrag entlassen werden. Er bietet V als Ersatzmieter Dr. Ing. X und Architekt Y an. V besteht gegenüber M auf Zahlung der Miete. 269 Vgl. auch BGH NJW 2000, 184. 270 BGH NJW 2015, 3780, Tz. 23.

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Auch das OLG stellt fest, dass der Gesetzgeber bewusst keine allgemeine Pflicht des Vermieters in das BGB aufgenommen hat, einen Nachmieter zu akzeptieren; nicht einmal der Fall des böswillig unterlassenen Erwerbs analog § 615 Satz 2 dritter Fall sei ins Gesetz übernommen worden (S. 1742). Allein das Prinzip von Treu und Glauben nach § 242 gebiete es dem Vermieter, den Mieter uU. aus dem Vertrag zu entlassen, wenn dieser höherrangige Interessen gelten machen könne, worunter eine schwere Erkrankung oder ein beruflich bedingter Ortswechsel zählten (S. 1742). Vorliegend habe sich der Mieter jedoch bewusst längerfristig gebunden und müsse an dieser Entscheidung festgehalten werden; sein Interesse an einer Änderung der Wohnsituation genüge daher für eine Vertragsbeendigung nicht (S. 1742f.). Doch hat es der Mieter stets in der Hand, über § 553 eine Lösung vom Vertrag herbeizuführen: Er kann vom Vermieter die Genehmigung zur Untervermietung an den „Nachmieter“ verlangen und bei deren Verweigerung nach § 540 Abs. 1 Satz 2 kündigen. Damit ist dem Vermieter gedient, weil ihm sein alter Mieter als primär für die Zahlung der Miete Verantwortlicher erhalten bleibt, während der Mieter sich durch die Untermiete refinanzieren kann. Auf das Recht nach § 553 Abs. 1 aber kann nach § 553 Abs. 4 nicht verzichtet werden. Das Kündigungsrecht nach § 540 Abs. 1 Satz 2 kann ferner nur individualvertraglich, nicht aber in AGB ausgeschlossen werden.271 Denn mit dem Verzicht auf diese Rechte geht der Mieter – wie gerade gesehen – eine gesteigerte Bindung an den Mietvertrag ein. e) Sicherung der Miete durch das Vermieterpfandrecht

Der Sicherung der Mietforderungen bei der Wohnraummiete und der Miete von Grundstücken (§ 578) dient das Vermieterpfandrecht nach § 562. Wie jedes Pfandrecht eröffnet es dem Vermieter ein Verwertungsrecht für den Fall, dass der Mieter seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommt. Das gesetzliche Pfandrecht entsteht an eingebrachten Sachen. Dies sind Sachen, die mit dem Willen des Mieters nicht nur vorübergehend in die Mieträume verbracht worden sind. Darunter fallen auch die in einem Geschäftsraum eingelagerten Waren, auch wenn diese bestimmungsgemäß zu einem späteren Zeitpunkt wieder aus dem Raum entfernt werden.272 Entscheidend ist nicht das unbefristete Verbringen in die gemieteten Räume, sondern das Einbringen für eine Dauer, die über einen flüchtigen Durchlauf hinausgeht und deshalb als zurechenbare Entscheidung des Mieters verstanden werden kann, die Sache in den Haftungsverband des Vermieterpfandrechts einzugliedern. Das Pfandrecht erfasst nach § 562 nur Sachen, die der Pfändung nach §§ 811ff. ZPO unterliegen. Schließlich setzt es Eigentum des Mieters an der Pfandsache voraus. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 562 Abs. 1 („an den eingebrachten Sachen des Mieters“) und ergibt sich aus der allgemeinen Überlegung, dass der Vermieter kein Recht hat, sich aus schuldnerfremdem Eigentum zu befriedigen. Ein gutgläubiger Erwerb des 271 BGH NJW 1995, 2034; Schmidt-Futterer/Blank § 540 BGB Rn. 67 mwN. 272 Staudinger/Emmerich § 562 Rn. 12.

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Vermieterpfandrechts kommt nach allgemeiner Meinung nicht in Betracht.273 Gegen ihn sprechen zwei Gründe: Zum einen folgt aus dem Wortlaut des § 1257 („über das … bestellte Pfandrecht“), dass die Normen über die Bestellung des Pfandrechts, also insbesondere die Regelung des gutgläubigen Erwerbs (§ 1207), nicht anwendbar sind. Im Übrigen handelt es sich bei § 562 um den Fall eines besitzlosen Pfandrechts, weshalb die übliche Vertrauensgrundlage für einen redlichen Erwerb, der Besitz des Erwerbers an der Sache, entfällt (vgl. § 1006). Beim Einbringen von Gegenständen in ein Warenlager kann es zur Kollision zwischen dem Vermieterpfandrecht und der Sicherungsübereignung auf der Grundlage eines Raumsicherungsvertrags kommen. Besondere Probleme entstehen in den Fällen des § 566 (dazu Rn. 894). Darüber hinaus gleicht die Rechtsprechung dabei strukturelle Nachteile des Vermieterpfandrechts gegenüber dem Sicherungseigentum aus: (BGH 12.2.1992 – XII ZR 7/91 = BGHZ 117, 200 = NJW 1992, 1156) M hat bei V eine Lagerhalle angemietet. Zur Sicherung eines Darlehens vereinbart M mit der Bank B die Übertragung aller „gegenwärtig und künftig zustehender Rechte (Eigentum, Miteigentum, Anwartschaftsrechte)“ an den in der Lagerhalle deponierten Waren. Als M in Zahlungsschwierigkeiten gerät, lässt der Gerichtsvollzieher auf Betreiben einzelner Gläubiger die in der Lagerhalle befindlichen Sachen ohne Ansehung der Eigentumsverhältnisse versteigern und hinterlegt den Erlös zugunsten von V und B. Darunter befinden sich auch Waren, die Lieferant L an M unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert hat. B hatte vor der Verwertung durch den Insolvenzverwalter den von M geschuldeten Restkaufpreis an L gezahlt. Fraglich ist nun, ob V von B den Erlös wegen noch ausstehender Mietforderungen verlangen kann. Anwendbar ist das rheinland-pfälzische Landeshinterlegungsgesetz (LHinG). V kann gegen B ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Eingriffskondiktion) zustehen. Dazu müsste B ein vermögenswertes Etwas erlangt haben. In Betracht kommt das Recht, nach § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LHinG die Herausgabe des Betrags an V dadurch zu verhindern, dass B der Auszahlung an V nicht zustimmt. Dieser Vorteil ist ohne Rechtsgrund erlangt, wenn B in den Zuweisungsgehalt eines Rechts des V eingegriffen hat. In Betracht kommt ein Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Vermieterpfandrechts nach §§ 562 Abs. 1, 578 Abs. 1 und 2, das dem Vermieter ein Verwertungsrecht an den eingebrachten Sachen des Mieters verschafft. Zwar ist dieses Recht durch die Versteigerung der Sachen selbst untergegangen. An seine Stelle tritt jedoch der für die verpfändete Sache erzielte Erlös. Dies entspricht gerade dem in der Eingriffskondiktion angelegten Prinzip der Rechtsfortwirkung: Die Kondiktion tritt danach an die Stelle eines untergegangenen Sachenrechts. Der Pfandrechtserwerb setzt allerdings voraus, dass es sich bei den eingebrachten Sachen um solche des M handelte.

Im Hinblick auf die versteigerten Waren muss man differenzieren: An Waren, die sich vor dem Abschluss des Raumsicherungsvertrages im Lager befinden und dem Mieter gehören, erwirbt der Vermieter ein Pfandrecht. Bei Vorbehaltsware, die zu diesem Zeitpunkt eingelagert wird, erstreckt sich das Pfandrecht auf das Anwartschaftsrecht.274 Denn dies entspricht gerade der Funktion des Anwartschaftsrechts: Es nimmt die Wirkungen des Volleigentums 273 Mot. II S. 404f.; BGHZ 34, 153 = NJW 1961, 502f.; Staudinger/Emmerich § 562 Rn. 3. 274 Vgl. bereits BGH NJW 1965, 1475 und statt vieler Staudinger/Emmerich § 562 Rn. 15.

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vorweg, solange nicht gerade der Bedingungseintritt nach § 449 Abs. 1 entgegensteht. Fraglich ist vorliegend nur, ob es sich um ein Anwartschaftsrecht des Mieters handelte. Denn in dem Zeitpunkt, in dem die Ware die Tür des Lagerraums passierte, könnte die zwischen Mieter und Bank vereinbarte antizipierte Sicherungsübereignung aufgrund eines Raumsicherungsvertrages wirksam geworden sein. Dann handelte es sich um ein Anwartschaftsrecht der Bank und nicht des Mieters. Im sog. Raumsicherungsvertrag überträgt der Darlehensnehmer an den Darlehensgeber das Eigentum und die Anwartschaftsrechte an allen in einem Raum aufbewahrten Gegenständen zur Sicherheit.275 Die zugrunde liegende Übereignung erfolgt durch antizipierte Einigung nach § 929 Satz 1 und antizipiertes Besitzkonstitut nach § 930, die beide dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz unterliegen. Dadurch, dass die Rechte an sämtlichen im Raum aufbewahrten Sachen übereignet werden, ist dieser Grundsatz gewahrt.276 Dies führt dazu, dass im Zeitpunkt des Verbringens der Sachen in den gemieteten Raum das Vermieterpfandrecht und die antizipierte Sicherungsübereignung insoweit kollidieren, als beide im selben Zeitpunkt entstehen: Die Sache ist im selben Zeitpunkt eingebracht iSd. § 562 Abs. 1 und wird zum Gegenstand der antizipierten Sicherungsübereignung aus dem Raumsicherungsvertrag. Aus Sicht des Vermieters stellt sich deshalb die Frage, ob es sich bei der Ware im Zeitpunkt des Einbringens noch um eine Sache des Mieters oder schon um eine der Sicherungsnehmerin (Bank) handelt. Dies lässt sich wegen der zeitgleichen Entstehung von Vermieterpfandrecht und Sicherungseigentum nicht mit denklogischen Mitteln beantworten; maßgeblich sind deshalb Wertungsüberlegungen. Im Ergebnis entscheidet sich der BGH dabei für einen Vorrang des Vermieterpfandrechts: Danach entsteht das Vermieterpfandrecht zunächst an der eingebrachten Sache. Erst danach erwirbt die Sicherungsnehmerin Eigentum an der Sache, das mit dem Vermieterpfandrecht belastet ist. Dafür nennt der BGH zwei Gründe (S. 1157): Würden die später eingelagerten Sachen nicht mehr vom Vermieterpfandrecht erfasst, käme es im Laufe der Zeit im Lager zu einer Vermischung von Sachen, die dem Vermieterpfandrecht unterliegen oder aber von ihm nicht erfasst werden. Das Gericht meint, dadurch würde der Bestimmtheitsgrundsatz hinsichtlich der zwischen Mieter und Sicherungsnehmerin getroffenen Übereignung verletzt und diese unwirksam. Dieses Argument ist allerdings nicht bedenkenfrei; denn weiterhin erwirbt die Bank an allen im Lager eingebrachten Sachen Eigentum bzw. Anwartschaftsrechte. Diese wären allerdings nur teilweise mit einem Pfandrecht belastet, was Fragen der Beweisbarkeit, nicht aber der Bestimmtheit aufwirft. Das Bestimmtheitserfordernis nach § 929 Satz 1 bezieht sich nämlich allein auf die Verfügungsgegenstände und nicht darauf, ob diese frei von Rechten Dritter sind. Schwerer wiegt jedoch das zweite Argument (S. 1157): Durch das Nebenein275 Vgl. etwa MünchKomm/Oechsler Anhang §§ 929–936 Rn. 7. 276 Dazu MünchKomm/Oechsler § 930 Rn. 24ff.

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ander von Vermieterpfandrecht und Sicherungsübereignung auf der Grundlage eines Raumsicherungsvertrages kann es zu einer Aushöhlung des Vermieterpfandrechts kommen. Ein Warenlager ist auf einen ständigen Wechsel von eingehender und ausgelieferter Ware hin angelegt. Der Raumsicherungsvertrag erstreckt sich aber regelmäßig über einen langen Zeitraum: Er erfasst sämtliche Ware, die nach seinem Abschluss in das Lager verbracht wird. Im Laufe der Zeit nimmt so die Menge der zuvor eingelagerten Ware ab, an der allein ein Vermieterpfandrecht besteht und es nimmt der Teil der Ware zu, die (auch) von der Sicherungsübereignung miterfasst wird. Da das Sicherungseigentum aber vor allem als Kreditsicherungsmittel von Banken eingesetzt wird, deren Forderungen üblicherweise diejenigen des Vermieters nach § 562 bei weitem übersteigen, geriete der Vermieter bei einer Verteilung des Erlöses pro rata stets ins Hintertreffen, wenn man das Sicherungseigentum und das Vermieterpfandrecht als gleichrangig ansähe.277 Nach der Gegenmeinung278 muss beiden Rechten gleicher Rang zukommen, da das Sicherungseigentum von fundamentaler Bedeutung für die Finanzierung des Mieters sei und diesem überhaupt erst die Erwirtschaftung der Miete ermögliche. Allerdings lässt sich dem entgegenhalten, dass der Sicherungsnehmer die Belastung des Sicherungsguts durch Vermieterpfandrechte bei der Bestimmung des Sicherungsvolumens leicht einkalkulieren kann, während der Vermieter diese Möglichkeit nicht hat, weil er keinen Einfluss darauf nehmen kann, welche Gegenstände in die gemieteten Räume verbracht werden. Die besseren Gründe sprechen daher für die Lösung des BGH. In der Entscheidung klärt das Gericht eine weitere Frage: Der Vermieter hatte nämlich ein Vermieterpfandrecht am Anwartschaftsrecht des Mieters erworben. Nachdem dieses auf die Bank übertragen worden war, zahlte diese nach § 267 den Restkaufpreis von den Vorbehaltslieferanten und führte so den Eintritt der aufschiebenden Bedingung aus dem Eigentumsvorbehalt herbei (§ 449 Abs. 1). Fraglich war entsprechend, ob sich das am ursprünglichen Anwartschaftsrecht bestehende Vermieterpfandrecht am Volleigentum der Bank fortsetzte. Nach älterem Verständnis kam es in dieser Situation darauf an, ob für den Anwartschaftsberechtigten und Sicherungsnehmer (Bank) ein Durchgangserwerb (belastet mit dem Vermieterpfandrecht) oder ein lastenfreier Direkterwerb stattfindet.279 Zu Recht misst der Gerichtshof diesen Begrifflichkeiten geringe Bedeutung bei und stellt stattdessen die Überlegung in den Vordergrund, dass die Übertragung des Anwartschaftsrechts wirtschaftlich den Stellenwert der Übertragung des Vollrechts einnehme. Hätte der Mieter aber von Anfang an Eigentum an der Sache gehabt, wäre ein Vermieterpfandrecht unmittelbar an diesem entstanden, sodass auch der Sicherungsnehmer nur mit einem 277 BGHZ 117, 200, 207; ähnlich etwa MünchKomm/Artz § 562 Rn. 18ff. 278 So etwa Fischer JuS 1993, 542, 544f.; von der Osten, in: Bub/Treier, Handbuch der Ge-

schäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl. 2014, III A Rn. 2206; Gnamm NJW 1992, 2806; Weber/ Rauscher NJW 1988, 1571, 1572. 279 Vgl. auch BGHZ 35, 85.

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Vermieterpfandrecht belastetes Eigentum hätte erwerben können. Es bedeutete aber einen Widerspruch, wenn der Sicherungsnehmer bei Übertragung des Anwartschaftsrechts besser stünde als bei Übertragung des Vollrechts. Deshalb müsse sich im Zeitpunkt des Bedingungseintritts das am Anwartschaftsrecht bestehende Vermieterpfandrecht am Eigentum des Sicherungsnehmers fortsetzen (S. 1156f.). Dies überzeugt.280 Im Ausgangsfall (Rn. 924) steht V gegen B ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Eingriffskondiktion) zu, weil B in den Zuweisungsgehalt des Vermieterpfandrechts des V nach § 562 eingegriffen hat. Als die Ware erstmals von M in das Lager verbracht wurde, hatte dieser nur ein Anwartschaftsrecht an ihr. Dieses ging zunächst auf B über, war aber mit dem Vermieterpfandrecht des V belastet. Als B den Restkaufpreis an L überwies, trat die aufschiebende Bedingung nach §§ 449 Abs. 1, 158 Abs. 1 ein und B erwarb (Sicherungs-)Eigentum an der Ware. An diesem setzte sich das Vermieterpfandrecht des V fort. Da nach hM. das Vermieterpfandrecht bei der Verwertung der Sache dem Sicherungseigentum vorgeht, muss B dem V den Teil des Erlöses überlassen, der den durch § 562 gesicherten Mietrückständen entspricht. Insoweit hat V gegen B einen Anspruch auf Zustimmung zur Herausgabe des Erlöses.

In einer weiteren Entscheidung stärkt der BGH das Vermieterpfandrecht schließlich gegenüber der Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. (BGH 14.12.2006 – IX ZR 102/03 = BGHZ 170, 196 = NJW 2007, 1588) M mietete bei V Büroräume und brachte dazu Anfang des Jahres 2000 eine Büroeinrichtung ein. Später gerät M in Vermögensverfall, sodass am 1.8.2001 der Insolvenzantrag gestellt und I zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt wird. Am 3.10.2001 wird das Insolvenzverfahren eröffnet. I ficht das Vermieterpfandrecht des V für die drei Monatsmieten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an und verwertet die Büroeinrichtung, ohne V wegen der Mieten für August bis Oktober 2001 befriedigt zu haben. Hat V einen Anspruch gegen I? In Betracht kommt ein Anspruch auf Befriedigung des V als absonderungsberechtigter Gläubiger aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO. Voraussetzung ist, dass V ein Absonderungsrecht aus einem gesetzlichen Pfandrecht nach § 50 Abs. 1 InsO erlangt hat. In Betracht kommt das Recht aus § 562 Abs. 1. Bei der Büroeinrichtung handelt es sich um von M eingebrachte Sachen. Dabei umfasst das Vermieterpfandrecht nach § 562 Abs. 2 auch die hier geltend gemachten Monatsmieten.

Fraglich ist allerdings, ob der Insolvenzverwalter das Vermieterpfandrecht nicht nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO mit der Wirkung des § 143 Abs. 2 InsO (= schuldrechtliche Rückabwicklung) anfechten kann. Die Norm erlaubt die Anfechtung einer Rechtshandlung, durch die der Schuldner dem Gläubiger eine Sicherung drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährt hat, wenn der Schuldner dabei zahlungsunfähig war und der Sicherungsnehmer die Zahlungsunfähigkeit kannte. Problematisch ist, ob der Mieter dem Vermieter die Sicherung drei Monate vor der Insolvenzeröffnung gewährt hat. Zu Recht stellt der BGH darauf ab, dass anfechtbar nur die Rechtshandlung ist, die das Sicherungsrecht entstehen lässt, nicht die Sicherung als solche, also das 280 Vgl. auch Medicus/Petersen BR Rn. 484.

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gesetzliche Pfandrecht. Beim Vermieterpfandrecht liegt die Rechtshandlung des Gewährens aber im Einbringen iSd. § 562 Abs. 1 (Tz. 10). Würde also eine Sache vom Mieter in dem von § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO umfassten Zeitraum neu in die Mieträume eingebracht, wäre eine Anfechtung begründet. Vorliegend stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der Rechtshandlung noch aus einem besonderen Grund: Denn das Vermieterpfandrecht sichert nach § 562 Abs. 2 auch künftige Forderungen. Fraglich ist daher, ob es für die Rechtshandlung auf das Einbringen oder auf das Entstehen der Forderung ankommt. Nach § 140 Abs. 1 InsO ist für die Rechtshandlung grundsätzlich der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Wirkungen der Handlung eintreten. Denn erst in diesem Zeitpunkt finden der Vermögensabfluss und mit ihm die Gefährdung der Insolvenzgläubiger statt. Sichert ein Pfandrecht eine künftige Forderung, wird es aber erst mit Entstehung dieser Forderung werthaltig (Tz. 17f.). Allerdings wendet der BGH hier § 140 Abs. 3 InsO analog an. Nach dieser Norm bleibt für den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung der Eintritt von Bedingungen und Befristungen außer Betracht. Die Norm passt zwar nicht unmittelbar auf das Vermieterpfandrecht; doch erscheint die einzelne vom Mieter geschuldete Monatsrate selbst als eine aufschiebend befristete Zahlungspflicht iSd. § 140 Abs. 3 InsO (Tz. 18). Dann muss auch das entsprechende Sicherungsrecht unter diese Norm fallen. Eine Insolvenzanfechtung kommt daher vorliegend nicht in Betracht. Die Insolvenzanfechtung des Vermieterpfandrechts durch I ist daher unwirksam. V steht der Anspruch aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO zu.

f) Sicherung der Miete durch Kaution aa) Rechtsnatur 928

Nach § 551 kann der Vermieter mit dem Mieter eine Sicherheitsleistung vereinbaren, die die Erfüllung der Verpflichtungen des Mieters sicherstellen soll. Die Norm regelt die Höhe (Abs. 1: maximal drei Monatsmieten) und die Zahlungsmodalität (Abs. 2). Sie zwingt den Vermieter, die als Sicherheit geleisteten Geldmittel für den Mieter rentierlich anzulegen (Abs. 3): Üblich ist etwa ein vom Vermieter geführtes Treuhandkonto. Nach § 551 Abs. 3 Satz 3 ist die Anlage vom Vermögen des Vermieters zu trennen. Die Trennung eröffnet dem Mieter nämlich ein Aussonderungsrecht in der Insolvenz des Vermieters (vgl. dazu Rn. 930). Während der Laufzeit des Mietvertrages hat der Vermieter dagegen keinen Zugriff auf die Kaution.281 Bereits mit Abschluss des Mietvertrages wird zugunsten des Mieters ein Rückzahlungsanspruch auf die Sicherheitsleistung begründet, dessen Geltendmachung zur Frage der Rechtsnatur der Kaution überleitet:282

281 BGH NJW 2014, 2496. 282 Grundlegend Kießling JZ 2004, 1146f.; vgl. auch Kandelhard NZM 2001, 696, 699.

V. Die Vermieterrechte

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Beispiel Nach Beendigung eines Wohnraummietvertrages zwischen V und M verlangt M seine Mietkaution – 350 € nebst Zinsen – heraus. V will das Geld jetzt noch nicht zurückgeben, da er Schlimmstes wegen einiger von M unerlaubt durchgeführter Umbaumaßnahmen befürchtet.

Eines leuchtet unmittelbar ein: Wenn der Vermieter die Kaution in Situationen wie der vorliegenden sofort herausgeben müsste, wäre sie für ihn nichts wert. § 551 will dem Vermieter nämlich gerade das Recht einräumen, mit seinen Schadensersatzansprüchen gegen den Mieter (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 1) gegenüber dem Anspruch des Mieters auf Rückgewähr der Kaution aufzurechnen (§ 389). Der BGH gewährt aus ähnlichen Überlegungen heraus dem Vermieter gegenüber dem Mieter sogar nach Vertragsende einen Anspruch auf Stellung der Mietkaution, wenn diese noch nicht geleistet wurde.283 Fraglich ist nur, wie das Behaltendürfen der Kaution nach Vertragsende dogmatisch begründet werden kann. Eine Einordnung der Kaution als unregelmäßige Verwahrung nach § 700 kommt nach der dargestellten Interessenlage von vornherein nicht in Betracht, weil der Mieter die Kaution nicht jederzeit nach § 695 herausverlangen kann. Auch ein Pfandrecht des Vermieters an dem Bargeld scheidet aus, weil der Vermieter unvermeidbar Eigentum an dem überlassenen Geld erwirbt (etwa durch Vermischung mit Barmitteln des Vermieters nach §§ 948 Abs. 1 iVm. 947 Abs. 2) und an eigenen Sachen kein Pfandrecht nach §§ 1204ff. entstehen kann (eine Norm wie § 1177 fehlt gerade). Häufiger noch tauscht der Vermieter die Barmittel bei einer Bank gegen eine Forderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 (Spareinlage).284 Auch ein echtes Darlehen nach § 488 Abs. 1 scheidet aus, weil die überlassenen Barmittel nicht in vollem Umfang zurückgezahlt werden müssen, wenn der Vermieter wegen Rückständen des Mieters auf diese Mittel zugreifen darf. Teilweise wird die Mietkaution daher als Fall der Sicherungsübereignung von Zahlungsmitteln angesehen, deren Rückzahlung sich nach dem zugrunde liegenden Sicherungstreuhandvertrag bestimmt.285 Näher liegt jedoch der gesetzliche Regelfall des Pfandrechts: Deshalb liegt wohl nur ein unregelmäßiges Darlehen vor, dessen vorzeitige Rückzahlung der Vermieter verhindern kann, weil ihm am Rückzahlungsanspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 ein Pfandrecht nach §§ 1273ff. zusteht. Das Besondere dieser Konstruktion liegt darin, dass der Vermieter ein Pfandrecht an einem gegen ihn gerichteten Anspruch erwirbt.286 Der BGH hat die Frage offen gelassen, ob es sich bei diesem Pfandrecht um ein unregelmäßiges Nutzungspfandrecht nach §§ 1273 Abs. 2, 1213 Abs. 1 handelt, geht jedoch davon aus, dass jedenfalls ein Nutzungsrecht vereinbart ist.287 In entsprechender Anwendung der §§ 1281, 1282 kann der Ver283 284 285 286 287

BGH NJW 2012, 996. Anders und für ein Pfandrecht nach § 1213: BayObLG NJW 1981, 994, 995. Zeibig, Die Mietkaution, 2012, passim. Kießling JZ 2004, 1146f. BGHZ 84, 345, 347f.

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mieter daher eine Auszahlung an den Mieter blockieren, solange ein Sicherungsinteresse besteht. Weil vorliegend ein Sicherungsinteresse des V bis zur endgültigen Klärung der Schadenslage besteht, kann V dem M eine Einwendung aus dem Rechtsgedanken der §§ 1281, 1282 entgegensetzen: Als Pfandnehmer des Anspruchs aus § 488 Abs. 1 Satz 2 kann er theoretisch Auszahlung an sich selbst und an M gleichzeitig verlangen (vgl. § 1281). Da eine Zahlung an sich selbst nicht ernsthaft in Betracht kommt, darf V die Zahlung solange aussetzen, bis feststeht, dass ihm keine Forderung gegenüber M aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 1 zusteht.

Die Praxis billigt dem Vermieter deshalb eine angemessene Überlegungs- und Abrechnungsfrist zu, die je nach Lage des Falles sechs Monate überschreiten kann.288 bb) Kein Zurückbehaltungsrecht 929

Wegen Mängeln der Mietsache steht dem Mieter die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts nach § 320 wegen der in die Zukunft gerichteten Druckwirkung zu (Rn. 858ff.). Dieses erstreckt sich jedoch nicht auf die nach § 551 geschuldete Kaution: (BGH 21.3.2007 – XII ZR 255/04 = NJW-RR 2007, 884) M hat mit V einen Mietvertrag über eine Gewerbeimmobilie geschlossen. Vor Übergabe stellt M jedoch eine Vielzahl erheblicher Mängel fest und weigert sich daher die Immobilie zu übernehmen und die Mietkaution iH. der zweifachen Monatsmiete, wie versprochen, auszuhändigen. V kündigt darauf nach § 543 Abs. 1 Satz 1 und verlangt Schadensersatz wegen entgangener Miete.

Die Kündigung nach § 543 Abs. 1 setzt eine schwere Pflichtverletzung voraus. Hier fällt zu Lasten des Mieters ins Gewicht, dass ihm an der Mietkaution kein Zurückbehaltungsrecht nach §§ 273, 320 zusteht (Tz. 25). Denn bei dieser handelt es sich um ein Recht des Vermieters, das diesen ohne Berücksichtigung möglicher Gegenrechte des Mieters absichern soll. Grundsätzlich stellt die Zurückbehaltung der Kaution daher einen Grund für die außerordentliche Kündigung dar. Vorliegend scheitert die Kündigung allein daran, dass der Vermieterin selbst wegen der zahlreichen Funktionsbeeinträchtigungen der Immobilie ein vertragsuntreues Verhalten zur Last fällt (Tz. 27).289 Bei der Wohnraummiete liegt nach § 569 Abs. 2a ein Grund für die außerordentliche Kündigung vor, wenn der Mieter mit einer Kaution in Höhe der zweifachen Monatsmiete in Verzug ist. Verzug setzt Fälligkeit voraus (§ 286 Abs. 1 Satz 1); diese scheitert wiederum nicht an § 320, da dem Mieter kein Zurückbehaltungsrecht an der Kaution zusteht. § 569 Abs. 2a ist vorliegend nicht anwendbar (vgl. § 578 Abs. 2 Satz 1 und 2). M hat die Kaution zwar zu Unrecht zurückgehalten. Wegen der eigenen Vertragsuntreue von V steht dieser jedoch kein Kündigungsrecht nach § 543 Abs. 1 zu. 288 BGH NJW 2016, 3231, Tz. 11ff.; Staudinger/Emmerich § 551 Rn. 29a. 289 Zustimmend Mohr ZMR 2010, 413, 417; bereits zuvor Franke ZMR 2010, 663, 665.

V. Die Vermieterrechte

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cc) Das Prinzip der Vermögenstrennung und die Aussonderung in der Insolvenz

Nach § 551 Abs. 3 Satz 3 muss die Anlage der Kaution getrennt vom Vermögen des Vermieters erfolgen. Der Gesetzgeber stellt sich vor, dass ein treuhänderisches Sonderkonto anzulegen ist, sodass dem Mieter in der Insolvenz des Vermieters ein Aussonderungsrecht bzw. in der Zwangsvollstreckung die Klage nach § 771 ZPO zusteht.290 Fraglich ist nur, welche Folgen der Verstoß gegen diese Pflicht durch den Vermieter nach sich zieht:

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(BGH 20.12.2007 – IX ZR 132/06 = NJW 2008, 1152) Mieterin M hat V eine Mietkaution durch Leistung eines Barbetrags iHv. 850 € gestellt. V hat das Geld nicht von seinem sonstigen Vermögen getrennt angelegt, sondern auf sein Bankkonto eingezahlt. Als V in Insolvenz fällt, will M die 850 € aussondern. Zu Recht?

Der BGH verneint die Voraussetzungen eines Aussonderungsrechts nach § 47 InsO zu Recht (Tz. 8). Denn die Norm setzt voraus, dass der Berechtigte mindestens aufgrund eines persönlichen Rechtes geltend machen kann, dass der Vermögensgegenstand nicht zur Masse gehört. Dies ist bei einer Sicherungstreuhand nur dann der Fall, wenn das Treugut bestimmt ist und klar vom übrigen Vermögen des Schuldners abgegrenzt werden kann (Tz. 6). Aus einer nicht durchgeführten Treuhandabrede können dem Treugeber daher keine Aussonderungsrechte zustehen (Tz. 7).291 Die Kaution ist folglich nur aussonderungsfähig, wenn sie auf einem eigens gekennzeichneten Sonderkonto aufbewahrt wird (Tz. 7). Denn nur dann ist sie als Vermögensgegenstand iSd. § 47 InsO identifizierbar. Der Schutz des Mieters vollzieht sich daher in einem Vorstadium: Kann der Vermieter dem Mieter nicht nachweisen, die Kaution entsprechend § 551 Abs. 3 Satz 3 zu verwalten, darf der Mieter die Miete nach § 320 in Höhe des Kautionsbetrages bis zum entsprechenden Nachweis zurückhalten (Tz. 8). In einer weiteren Entscheidung gesteht der BGH dem Mieter daher auch das Recht zu, die Kaution von vornherein nur so zu erbringen, dass sie vom Vermögen des Vermieters getrennt ist.292 dd) Anlegerentschädigung bei Spareinlagen

Bei der Verpfändung von Spareinlageforderungen kann sich die Frage stellen, gegenüber wem der Entschädigungsträger nach dem Einlagensicherungsgesetz (EinSiG)293 zur Entschädigung verpflichtet ist, wenn die Bank in Insolvenz fällt. (BGH 18.3.2008 – XI ZR 454/06 = BGHZ 176, 67 = NJW 2008, 1732) Die von M dem Vermieter V gestellte Kaution besteht in Form eines Sparvertrages, den M mit der B-Bank abgeschlossen hat; die Auszahlungsforderung des M ist dabei an V verpfändet. Nachdem B in Insolvenz gefallen ist, überweist der EinSiG-Entschädigungsträger (E) die Entschädi290 291 292 293

BT-Drucks. 9/2079, S. 10f.; dazu Feßler, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 448, 450. Vgl. hier nur OLG Schleswig ZIP 1989, 252. BGH NJW 2011, 59, Tz. 15ff. BGBl. 2015 I, S. 786.

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gungssumme auf Weisung des M auf ein Konto der S-Sparkasse, wo der Betrag mit einem Debet des M verrechnet wird. V verlangt von S Auszahlung des von E empfangenen Betrages. In Betracht kommt ein Anspruch des V gegen S aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall (Eingriffskondiktion). Erlangt hat S die Entschädigungssumme. Fraglich ist, ob dies durch Eingriff, dh. durch Verletzung des Zuweisungsgehalts eines Rechts des V, geschehen ist.

Der BGH verneint einen Anspruch, da der Vermieter an der Entschädigungsleistung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EinSiG kein Pfandrecht erwerbe. Der Entschädigungsanspruch stelle vielmehr einen selbständigen gesetzlichen Anspruch dar (Tz. 17): Dies zeige sich daran, dass seine Entstehung nicht allein vom Bestehen eines Anspruch gegen das insolvente Kreditinstitut abhänge, sondern auch von der Feststellung des Entschädigungsfalles durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nach § 10 Abs. 1 EinSiG. Allerdings folge der Anspruch gem. § 7 Abs. 1 EinSiG seinem Inhalt nach dem gesicherten Recht. Das Sparguthaben durfte nach § 1281 Satz 1 aber nur gemeinschaftlich an Forderungs- und Pfandgläubiger ausgezahlt werden. Dies überzeugt: Der Entschädigungsträger hat daher nicht an den Empfangsberechtigten gezahlt und ist noch gar nicht nach § 362 Abs. 1 frei geworden. Dies bedeutet, dass der Vermieter vorliegend Leistung des Entschädigungsträgers gemäß § 1281 verlangen kann (Tz. 19).294 Ansprüche gegen die Sparkasse bestehen hingegen nicht. ee) Rechtsnachfolge beim Verkauf der Mietwohnung gem. § 566a 932

Zum Schutz des Mieters bei Veräußerung der Mietwohnung durchbricht der Gesetzgeber schließlich das in § 566 (Kauf bricht nicht Miete) angelegte Prinzip, wonach diese Norm gerade keine Rechtsnachfolge des Erwerbers gegenüber dem alten Vermieter begründet (Rn. 894). So tritt der Erwerber nach § 566a Satz 1 im Hinblick auf die Kaution in die Rechte und Pflichten des Vermieters ein. Dies betrifft insbesondere den Rückgewähranspruch des Mieters nach Vertragsende. Dieser Anspruch des Mieters gegen den Erwerber hängt nicht davon ab, ob dem Erwerber die Kautionsmittel vom Vermieter überlassen wurden,295 und greift wegen § 57 ZVG auch dann, wenn das vermietete Grundstück in der Zwangsversteigerung erworben wurde.296 2. Der Anspruch auf Ersatz der Betriebs- und Heizkosten

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Nach § 535 Abs. 1 Satz 3 hat der Vermieter die Lasten der Sache zu tragen. Abweichend davon können die Parteien nach § 556 Abs. 1 Satz 1 vereinbaren, dass der Mieter Ersatz von Betriebskosten schuldet. Diese definiert § 556 Abs. 1 Satz 2 als Kosten, die dem Eigentümer durch das Eigentum oder durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Gebäudes, der Nebengebäude, Anlagen, Ein294 Zustimmend Zacher NZM 2009, 426, 427. 295 BGH NZM 2012, 81. 296 BGH NJW 2012, 1353.

V. Die Vermieterrechte

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richtungen und des Grundstücks laufend entstehen. Auch wenn diese Positionen in der politischen Diskussion als „zweite Miete“ bezeichnet werden und die Parteien die Betriebskosten in einer „Bruttomiete“ den Zahlungspflichten aus § 535 Abs. 2 zuschlagen können,297 handelt es sich in der Sache nicht um ein Entgelt für die Gebrauchsüberlassung, sondern um Aufwendungsersatzansprüche des Vermieters gegen den Mieter, die durch die Bereitstellung der Mietwohnung entstehen. Die Rechtsähnlichkeit zum Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 zeigt sich etwa daran, dass zu Lasten des Vermieters in Gestalt des Gebots der Wirtschaftlichkeit (§ 556 Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz) ein Erforderlichkeitsmaßstab gilt, der an § 670 erinnert. § 556 ist übrigens nur auf die Wohnraummiete anwendbar, nicht auf die Geschäftsraummiete (vgl. § 578 Abs. 2). a) Vereinbarung

Dass der Mieter Betriebskosten schuldet, sieht § 556 Abs. 1 Satz 1 als Ausnahmefall an, der einer besonderen Vereinbarung bedarf.298 Im Regelfall trägt nämlich der Vermieter diese Kosten nach § 535 Abs. 1 Satz 3. Im Gegensatz zu diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis stand eine Zeit lang die Rechtsprechung zur stillschweigenden Vereinbarung von Betriebskosten bei widerspruchsloser Zahlung durch den Mieter. Diese hat der BGH mittlerweile entschärft: (BGH 10.10.2007 – VIII ZR 279/06 = NJW 2008, 283) M hatte eine Wohnung von V gemietet und dabei diverse Betriebskosten übernommen, darunter die Kosten für die Hausreinigung, die Beleuchtung, die Sach- und Haftpflichtversicherung usw. V rechnet seit 2000 gegenüber M jedoch auch folgende Positionen ab: Kosten für den Kabelanschluss, für die Gartenpflege und für Allgemeinstrom. Bis 2003 zahlt M widerspruchslos. Jetzt verlangt er die nicht geschuldeten Betriebskosten für die drei letztgenannten Positionen iHv. rund 650 € zurück. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). Die 650 € hat M an V als vermögenswertes Etwas geleistet, doch stellt sich die Frage, ob dies ohne Rechtsgrund geschehen ist.

Ein Rechtsgrund kann nach § 556 Abs. 1 Satz 1 nur in der Vereinbarung der Parteien über die Betriebskosten liegen. Eine ausdrückliche Vereinbarung wurde zwischen den Beteiligten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Positionen nicht geschlossen. In Betracht kommt jedoch eine stillschweigende Vereinbarung über eine Vertragsänderung. In einer früheren Entscheidung ging der BGH vglw. lapidar davon aus, dass „eine Umlegung einzelner sonstiger Betriebskosten auch auf Grund jahrelanger Zahlung durch stillschweigende Vereinbarung erfolgen“ konnte.299 Davon nimmt das Gericht vorlie297 Dazu etwa Staudinger/Weitemeyer § 556 Rn. 10. 298 BGH NJW 2016, 1308: Es genügt die Begründung einer allgemeinen Übernahmepflicht in

AGB. 299 BGH NJW-RR 2004, 877 im Anschluss an BGH NJW-RR 2000, 1463f. – Hervorhebungen durch den Verfasser; vgl. auch das Urteil zur Rechtsanwaltshaftung: BGH NJW 2009, 987, Tz. 10.

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gend Abstand. Zwar geht es weiterhin von der Möglichkeit aus, dass der Mieter anlässlich einer vorbehaltlosen Zahlung zunächst nicht vereinbarter Betriebskosten einer Änderung des Mietvertrages zustimmt (Tz. 18). Es wendet jedoch jetzt die Regeln der Rechtsgeschäftslehre konsequenter an. Entscheidend kommt es darauf an, dass der Vermieter redlicherweise von einem Änderungswillen des Mieters ausgehen kann. Dafür reicht eine Nichtbeanstandung der Betriebskostenabrechnung allein nicht aus (Tz. 18). Auch muss der Mieter nicht stets von einem Änderungswillen des Vermieters ausgehen, wenn die Abrechnung nicht der vertraglichen Vereinbarung entspricht (Tz. 19). Gerade der Schutzzweck des § 556 Abs. 1 Satz 1 dürfte der Annahme einer stillschweigenden Änderungsvereinbarung regelmäßig entgegenstehen. Denn im Verhältnis Vermieter/Mieter gehen Unklarheiten wegen der Regel des § 535 Abs. 1 Satz 3 regelmäßig zu Lasten des Vermieters. Deshalb dürfen dem Mieter keine Vertragsänderungen wegen seines bloßen Schweigens untergeschoben werden. Im Fall ist daher der Anspruch des M begründet.

b) Umlagefähigkeit 935

Betriebskosten entstehen nach § 556 Abs. 1 Satz 2 durch das Eigentum bzw. durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes. Fraglich ist, wie intensiv der Zusammenhang zwischen der Entstehung dieser Kosten und dem Gebrauch der Wohnung durch den Mieter sein muss. Der BGH hat etwa einen im Erdgeschoss wohnenden Mieter an den Kosten des Aufzugs beteiligt, weil bei der Abrechnung eine einheitliche und generalisierende Betrachtungsweise möglich sei.300 Dahinter steht der Gedanke, dass der Vermieter die Kosten für Gemeinschaftseinrichtungen nicht nach dem konkretem Ge- oder Verbrauch abrechnen kann, die Möglichkeit einer Nutzung auch durch diesen Mieter jedoch nicht fernliegt (Besuch eines Bekannten in einem der oberen Stockwerke). Kommt jedoch eine Benutzung durch den Mieter gar nicht in Betracht – der Aufzug liegt in einem anderen Gebäudeteil, in dem sich der Mieter nicht aufhält, – darf er wegen der Betriebskosten nicht herangezogen werden.301 Ähnliche Maßstäbe gelten bei der Geschäftsraummiete, obwohl hier § 556 Abs. 1 Satz 2 nicht anwendbar ist. Deshalb entfaltet dort das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 eine entsprechende praktische Bedeutung: (BGH 3.8.2011 – XII ZR 205/09 = NJW 2012, 54) V ist Betreiber eines Einkaufszentrums, im Rahmen dessen er an M ein Ladenlokal vermietet hat. In den AGB zum Mietvertrag wird der Mieter zur Tragung von Betriebskosten verpflichtet. Dabei fallen Kosten für folgende beide Positionen an: „Centermanagement“ und „Verwaltungskosten“. Am Jahresende verlangt V von M 21.500 € für das Centermanagement und rund 2.500 € an Verwaltungskosten.

300 BGH NJW 2006, 3557. 301 BGH NJW 2009, 2068.

V. Die Vermieterrechte

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In Betracht kommt ein Anspruch des V aufgrund der Vereinbarung über die Betriebskostentragungspflicht des M. § 556 ist allerdings nach § 578 Abs. 2 und 1 auf die Geschäftsraummiete nicht anwendbar.

Die vorliegende Vereinbarung kann aber wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 unwirksam sein. Zu der in § 307 Abs. 1 Satz 2 statuierten Pflicht zur Klarheit und Durchschaubarkeit gehört es nämlich auch, dass die auf den Mieter zukommenden wirtschaftlichen Belastungen eindeutig zu erkennen sind (Tz. 12). Der BGH bejaht dies für den Begriff der Verwaltungskosten, weil diese in § 1 Abs. 2 Nr. 1 Betriebskostenverordnung (BetrKV) und § 26 Abs. 1 der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BV) definiert sind (Tz. 13). Eine Besonderheit besteht insoweit, als Verwaltungskosten im Bereich der Wohnraummiete anders als bei der Geschäftsraummiete gerade nicht umgelegt werden können. Nach Auffassung des BGH hindert dies jedoch nicht daran, für den Begriff der Betriebskosten im Bereich der Geschäftsraummiete auf die Vorschriften der II. BV und der BetrKV abzustellen (Tz. 13). Zwar muss die genaue Kostenhöhe in den AGB nicht angegeben werden, weil diese naturgemäß schwankt und der Vermieter ein schutzwürdiges Interesse an Variabilität hat. Solange der Vermieter die Kosten auf das Ortsübliche oder Notwendige beschränkt, genügt er daher den Pflichten aus § 307 Abs. 1 Satz 2 (Tz. 14). Problematisch erscheint allerdings vorliegend die Umlage der Kosten für das „Centermanagement“. In der Aufnahme dieser Position sieht das Gericht einen Verstoß gegen das Transparenzgebot, weil der Begriff inhaltlich gerade im Verhältnis zu den gleichfalls umgelegten Verwaltungskosten unklar bleibt und keine Eingrenzung der mit ihm einhergehenden Belastungen erlaubt (Tz. 15). Die Umlage von Kosten für das „Centermanagement“ entspreche auch nicht den Gebräuchen und Gepflogenheiten des Handelsverkehrs nach § 310 Abs. 1 Satz 2 (Tz. 16). Vorliegend geht der BGH nicht auf die Frage ein, ob die Klausel wegen teilweisen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 insgesamt unwirksam ist. Dafür spricht das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. Im Parallelfall der Schönheitsreparaturklausel verfährt der VIII. Senat entsprechend streng: Wird in die Liste der Schönheitsreparaturpflichten eine unzulässige Position aufgenommen, ist die gesamte Klausel unwirksam (sog. Gesamtinfektion; Rn. 951ff.). Dies müsste eigentlich auch im vorliegenden Fall entsprechend gelten.

Die BetrKV und die bereits erwähnte II. BV stellen Regelungen der sozialen Wohnraumförderung dar, denen die Rechtsprechung weit über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus Leitbildcharakter zukommen lässt. Allerdings hat der Bund im Wege der Förderalismusreform die Kompetenz bei der sozialen Wohnraumförderung zugunsten der Länder eingebüßt.302 Dies führte dazu, dass der Begriff der Betriebskosten nun aus dem alten Wohnraumförderungsrecht unmittelbar in § 556 Abs. 1 Satz 2 übernommen wurde, um weiter die Rechtseinheitlichkeit zu gewährleisten. Die Länder erlassen eigene Betriebs302 Dazu und zum Folgenden Staudinger/Weitemeyer § 556 Rn. 3.

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§ 6 Miete und Pacht

kostenverordnungen, wobei diejenige des Bundes wegen § 556 Abs. 1 Satz 3 bedeutsam bleiben wird (vgl. auch die Ermächtigung nach § 556 Abs. 1 Satz 4). c) Pauschalen und Vorauszahlungen (§ 556 Abs. 2) 937

Nach § 556 Abs. 2 Satz 1 können Betriebskosten als Vorauszahlung ausgewiesen werden. Vorauszahlungen dürfen dabei nur in angemessener Höhe vereinbart werden (§ 556 Abs. 2 Satz 2). Allerdings vermeidet die Rechtsprechung das Entstehen neuer Streitpunkte, indem sie auch ein Vermieterinteresse an einer technisch einfachen Abrechnungsweise anerkennt. Mietminderungen nach § 536 wirken sich etwa grundsätzlich auf die Gesamtmiete aus, also auch auf die umlagefähigen Betriebskosten. Allerdings ist der Vermieter nicht gehalten, die vom Mieter geschuldeten monatlichen Vorauszahlungen entsprechend einer möglichen Minderung herabzusetzen. Er kann die Minderung vielmehr bei der Endabrechnung berücksichtigen.303 Haben die Parteien Vorauszahlungen vereinbart, stellt sich die Frage, ob der Vermieter dem Mieter aus culpa in contrahendo auf Schadensersatz haftet, wenn er die Höhe der Vorauszahlungen entgegen § 556 Abs. 2 Satz 2 zu niedrig angesetzt und damit beim Mieter falsche Vorstellungen erzeugt hat. (BGH 9.12.2009 – XII ZR 109/08 = BGHZ 183, 299 = NJW 2010, 671) M hat von V Geschäftsräume gemietet. In den von V gestellten AGB werden diverse Betriebskosten auf M umgelegt und eine monatliche Vorauszahlung iHv. 250 € vereinbart. Weil dieser Satz zu niedrig bemessen ist, ergibt sich für 2004 eine Nachzahlungspflicht des M iHv. 4.117,76 €. M zeigt sich überrascht und will diesen Betrag nicht zahlen. Gegen den Anspruch des V aus der Betriebskostenabrede kann M möglicherweise mit einem Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) mit der Wirkung des § 389 aufrechnen. Voraussetzung ist, dass mit der Stellung der AGB im Stadium der Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1) eine Pflichtverletzung des V nach § 241 Abs. 2 einherging, weil in ihnen die Vorauszahlung zu niedrig bemessen und deshalb eine Aufklärungspflicht des V über die tatsächliche Höhe der Betriebskosten entstanden war, die er verletzt hat.

Der BGH verneint zunächst einen von der vorformulierten Klausel ausgehenden Überraschungseffekt iSd. § 305c Abs. 1 und sieht diese als wirksam einbezogen an (Tz. 12). Im Übrigen erkennt das Gericht auch keine Pflichtverletzung des Vermieters; denn durch die zu niedrig bemessene Vorauszahlung sei kein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand beim Mieter entstanden (Tz. 14f.).304 Man wird ergänzen müssen, dass ein Vermieter auch bei der Wohnraummiete nicht nach § 556 Abs. 2 Satz 1 verpflichtet ist, überhaupt einen Vorschuss zu erheben. Deshalb besteht auch keine Verpflichtung, einen Vorschuss in angemessener Höhe zu fordern. Dies gilt erst Recht bei der Geschäftsraummiete. Im Schrifttum ist die Plausibilität dieses Arguments kritisiert worden.305 Denn aus 303 BGH, Urt. v. 13.4.2011 – VIII ZR 223/10 = NJW 2011, 1806. 304 Im Anschluss an BGH NJW 2004, 1102; BGH NJW 2004, 2674. 305 Artz NZM 2004, 328ff.; Gsell DWW 2010, 122, 129; Wolst, in: Mietrechtsreformgesetz – Bi-

lanz, S. 611ff.

V. Die Vermieterrechte

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Sicht des Mieters mache es sehr wohl einen Unterschied, ob der Vermieter keine oder zu niedrige Vorauszahlungen erhebe. Der Mieter verlasse sich nämlich darauf, dass die Vorauszahlungen kostendeckend bemessen seien. Dies überzeugt indes nicht. Denn dem Mieter steht es jederzeit frei, sich beim Vermieter über die zu erwartende Gesamtbelastung zu erkundigen (Vorlage einer Abrechnung für das Vorjahr); auch müsste er für die Begründung eines Anspruchs aus c.i.c. beweisen, dass er andernorts zu günstigeren Betriebskosten hätte mieten können.306 Nach § 560 Abs. 4 kann jede Partei des Mietvertrages im Anschluss an eine Abrechnung von der Gegenseite Anpassung der Vorauszahlung auf eine angemessene Höhe vornehmen. Hier steht dem Interesse des Vermieters an einer möglichst unkomplizierten Abrechnung häufig das Interesse des Mieters entgegen, der anderen Seite kein unentgeltliches Darlehen bis zur nächsten Abrechnung zu überlassen. (BGH 28.9.2011 – VIII ZR 294/10 = NJW 2011, 3642) Aus der Betriebskostenabrechnung des V gegenüber M für 2008 ergibt sich eine Nachforderung zugunsten des V. Für 2009 verlangt V deshalb von M einen monatlichen Vorschuss, der sich wie folgt berechnet. V teilt den Endbetrag für 2008 durch 12 und erhebt einen monatlichen Sicherheitszuschlag von 10%. Besteht ein solcher Anspruch? Ein Anspruch des V gegen M aus § 560 Abs. 4 besteht, wenn die Vorauszahlung des Vorschusses in angemessener Höhe verlangt wird.

Das Tatbestandsmerkmal der angemessenen Höhe folgt in § 560 Abs. 4 und § 556 Abs. 2 Satz 2 denselben Voraussetzungen (Tz. 10). In § 560 Abs. 4 ist die Bezugnahme auf die letzte Abrechnung entscheidend. Grundsätzlich dürfen die Parteien den hier zugrunde gelegten Betrag zum Ausgangspunkt nehmen (Tz. 12 und 15). Allerdings stellt diese Bemessungsgrenze nur einen Orientierungspunkt dar und steht nicht der Berücksichtigung von Entwicklungen im neuen Jahr entgegen (Tz. 15). Wenn daher mit einer Kostensteigerung zu rechnen ist, kann der Vermieter diese bereits im Wege eines Aufschlags vorwegnehmen (Tz. 21). Einen abstrakten Sicherheitsaufschlag von 10% wie vorliegend soll er aber nicht fordern dürfen (Tz. 22). Für diese Betrachtungsweise spricht ein Rechtsgedanke aus den §§ 669, 670 (zu diesem Rn. 1284). Anders als die Miete nach § 535 Abs. 2 stellen die Betriebskosten kein vom Vermieter gefordertes Entgelt dar, sondern einen Anspruch auf Aufwendungsersatz für freiwillige Vermögensopfer, die der Vermieter Dritten gegenüber erbringen muss, um einen Gebrauch der Räume durch den Mieter zu ermöglichen. Wie im Fall der §§ 669, 670 ist der Vermieter aber zum Schutz des Ersatzpflichtigen an einen Erforderlichkeitsmaßstab gebunden, der ihm eine die Mieterinteressen schützende Prognose abverlangt. Vorliegend kritisiert der BGH, dass die Maßstäbe des Vermieters für den Mieter nicht nachvollziehbar seien (Tz. 18). Man wird ergänzen dürfen, dass eine Prognose vor allem auf Tatsachen und

306 Beide Überlegungen bereits bei Gsell DWW 2010, 122, 129f.

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einer rationalen Bewertung dieser für die künftige Entwicklung beruhen muss.307 Beides hätte der Vermieter hier gegenüber dem Mieter transparenter machen müssen. Der Anspruch des V aus § 560 Abs. 4 besteht daher nicht in der begehrten Höhe. Zwar darf V sich an der letzten Abrechnung orientieren. Der pauschale Zuschlag iHv. 10% ist in dieser Form jedoch nicht zulässig.

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Gerade mit Blick auf den Rechtsgedanken aus § 670 ist fraglich, ob auch eine unrichtige Abrechnung seitens des Vermieters zur Grundlage des Anspruchs aus § 560 Abs. 4 werden kann. Dies hat der BGH308 lange Zeit bejaht, um den Parteien eine klare Entscheidungsbasis zu liefern und langwierige Streitigkeiten über die richtige Bemessungsgrundlage zu vermeiden (Tz. 14). In Änderung seiner Rechtsprechung stellt er jetzt jedoch einerseits auf die Pflicht des Vermieters zu richtigen Abrechnung (Tz. 16) und – wichtiger noch – auf das Interesse an einer möglichst realistischen Bemessung der Vorauszahlungen (Tz. 15) ab. Dies entspricht dem Erforderlichkeitsprinzip des § 670 (Rn. 1284) und überzeugt. Danach kommt nur eine rechtmäßige Abrechnung als Grundlage des Anspruchs aus § 560 Abs. 4 in Betracht. Wie aus § 556 Abs. 2 Satz 1 folgt, können die Betriebskosten auch als Pauschale (Betriebskostenpauschale) abgerechnet werden, wenn dies zuvor vereinbart ist.309 Der BGH310 verweigert dem Mieter in einem solchen Fall einen allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Vermieter im Hinblick auf die tatsächliche Höhe der Betriebskosten, sondern hält ihn an seiner Entscheidung über die Vereinbarung einer Pauschale fest (Tz. 9). Dahinter stehen gerade die Zwecke der Pauschale: Diese erspart dem Vermieter die Mühen der Rechnungslegung, belastet ihn aber mit dem Risiko einer für ihn ungünstigen Kostenentwicklung. Diese Vorteile gingen verloren, wenn der Vermieter dennoch aufgrund eines allgemeinen Auskunftsanspruchs mit dem Mieter anlassunabhängig abrechnen müsse (Tz. 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Mieter geltend macht, bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses habe eine Differenz zwischen der Pauschale und den tatsächlichen Betriebskosten bestanden (Tz. 10). Denn darin liegt sein Risiko, wenn er sich auf eine Pauschale einlässt, ohne zuvor die Höhe der Betriebskosten in Erfahrung gebracht zu haben. Auch § 560 Abs. 3 räumt dem Mieter einen Anpassungsanspruch nur für nachträglich eintretende Differenzen ein (Tz. 10). Ein besonderer Auskunftsanspruch entsteht jedoch nach § 242, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine nachträgliche Ermäßigung der Betriebskosten bestehen, damit der Mieter seinen Anpassungsanspruch aus § 560 Abs. 3 durchsetzen kann (Tz. 11).

307 Grundlegend BGH NJW 1982, 2823, 2826 – BuM. 308 Die weiteren Zitate in dieser Rn. beziehen sich auf BGH NJW 2012, 2186. 309 M. Schmid, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 595ff. zu Betriebskostenpauschalen;

dazu auch Theesfeld, ebenda, S. 607ff. 310 BGH NJW 2012, 303; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung.

V. Die Vermieterrechte

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d) Abrechnung der Betriebskosten

Nach § 556 Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz ist jährlich über die Betriebskosten abzurechnen. Dabei gilt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nach § 556 Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz. Dieser erinnert an den Erforderlichkeitsmaßstab des § 670: Der Mieter hat nur geeignete und erforderliche (dh. die niedrigstmöglichen) Kosten zu tragen.311 Mit den Mehrkosten für eine schlecht gewartete Heizungsanlage wird er folglich nicht belastet. Dabei trägt der Mieter die Beweislast. Dieser genügt er nicht durch Verweis auf einen Betriebskostenspiegel für Deutschland, weil dieser keine für den Einzelfall repräsentativen Aussagen erlaubt.312 Die Betriebskosten sind gemäß § 556a Abs. 1 Satz 2 nach dem tatsächlichen Verbrauch abzurechnen. In einem Sonderfall hatte der Vermieter ein nicht geeichtes Messgerät verwendet, was eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 60 Abs. 1 Nr. 14, 31 Abs. 1 Nr. 1 Mess- und Eichgesetz darstellt. Weil aber ein Sachverständiger nachträglich die Funktionsfähigkeit des Gerätes bestätigt hatte, war der Verbrauch nach der Überzeugung des BGH richtig ermittelt worden.313

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(BGH 6.10.2010 – VIII ZR 183/09 = NJW 2010, 3645) In den AGB des V ist vorgesehen, dass die Kosten für die Kaltwasserversorgung nach Verbrauch abgerechnet werden. Die ebenfalls anfallende Grundgebühr für die Kaltwasserversorgung soll im Verhältnis der je Wohnung erfassten Verbrauchsmenge abgerechnet werden. Fraglich ist, ob diese Klausel wirksam gestellt werden kann.

Der BGH entnimmt der Klausel eine unangemessene Benachteiligung des Mieters nach § 307 Abs. 1 Satz 1. Zwar darf die Umlage der fixen Grundgebühr zunächst an den Verbrauch des Mieters anknüpfen, denn dies entspricht § 556a Abs. 1 Satz 2 (Tz. 14 und 16). Dass dabei minimale Lücken in der Verteilungsgerechtigkeit entstehen können, ist aus Gründen der Handhabbarkeit der Abrechnung hinzunehmen. Auch das Gesetz fordert keine absolute Verteilungsgerechtigkeit bei der Umlage solcher fixen Gebühren (Tz. 17). Allerdings muss sich die Klausel nach § 305c Abs. 2 an dem für den Vermieter ungünstigsten Auslegungsergebnis messen lassen: Danach aber bürdet der Vermieter dem Mieter das Leerstandsrisiko auf (Tz. 22ff.). Denn ist ein Teil der Wohnungen nicht vermietet, fällt dort kein Verbrauch an und die Gebühr muss dann anteilmäßig von den verbleibenden Mietern getragen werden. Das Leerstandsrisiko aber muss stets der Vermieter tragen und kann es nicht auf die Mieter abwälzen. Der Vermieter darf im Übrigen eine einfache Berechnungsart wählen. Zulässig ist zB. das sog. Abflussprinzip, nach dem der Vermieter die Kosten ersetzt verlangt, die er selbst im Referenzjahr an das Versorgungsunternehmen entrichtet hat, auch wenn dabei Leistungen abgerechnet werden, die nicht im Abrechnungsjahr erbracht wurden. Es besteht auch keine Pflicht zur genauen Zeitab311 So auch MünchKomm/M. Schmid/Zehelein § 556 Rn. 115ff.; vgl. zu diesem Grundsatz ferner BGH NJW 2015, 855. 312 BGH NJW 2011, 3028, Tz. 18. 313 BGH NJW 2011, 598.

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grenzung.314 Das Abflussprinzip greift allerdings nicht bei der Heizkostenabrechnung; denn hier gilt zwingend das Leistungsprinzip: Es dürfen nur die im Referenzzeitraum erbrachten Leistungen abgerechnet werden.315 Die Abrechnung nach der HeizkostenVO ist berüchtigt für ihre Kompliziertheit. Der BGH sah sich daher zur Feststellung genötigt, dass es der Vermieter nicht zu vertreten habe, wenn der Mieter die Abrechnung nicht verstehen könne.316 Die VO regelt in ihrer Fassung vom 9. Oktober 2009 nicht nur die Raummiete, sondern auch das Verhältnis zwischen Wohnungseigentümer und Eigentümergemeinschaft. Der Gesetzgeber wollte den einheitlichen Anwendungsbereich nicht durch eine teilweise Regelung im Mietrecht zerstören.317 Grob gesagt, muss der Vermieter die Heizkosten über Wärmezähler abrechnen, von denen allerdings nur bis zu 70% des Verbrauchs direkt auf die Verbraucher umgelegt werden können. Für den Rest gelten kompliziertere Verteilungsmaßstäbe (§§ 6 bis 9 VO); insbesondere sind nicht alle Positionen umlagefähig (§ 7 Abs. 2 bis 4 VO). e) Präklusion von Ansprüchen

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Durch das Mietrechtsreformgesetz wurde der Ausschlusstatbestand des § 556 Abs. 3 Satz 3 in das Gesetz eingefügt. Nach Ablauf der Abrechnungsfrist – dh. zwölf Monate nach Ende des Abrechnungszeitraums – ist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den Vermieter ausgeschlossen, es sei denn, der Vermieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten. Die Materialien verhalten sich zum Normzweck eher einsilbig, weisen aber auf die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „Nachforderung“ hin: Eine Rückerstattung zu viel entrichteter Betriebskostenvorschüsse durch den Mieter wird durch die Norm nicht ausgeschlossen.318 Der BGH sieht den Normzweck vor allem in einer Befriedungsfunktion (allgemeiner oben Rn. 805). Nach Ablauf von zwölf Monaten soll es zwischen den Parteien keinen Streit mehr über die Höhe der Betriebskosten geben dürfen.319 Dies schützt zum einen das laufende Mietverhältnis vor Dauerbelastungen, sorgt aber auch bei Vertragsbeendigung dafür, dass der Mieter mit dem alten Mietverhältnis abschließen kann. (BGH 12.1.2011 – VIII ZR 296/09 = NJW 2011, 843) Die Betriebskostenabrechnung, die V dem M für den Abrechnungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2006 am 6.7.2007 präsentiert, beinhaltet einen Überschuss zugunsten des M iHv. 152,60 €. Diesen Betrag verrechnet V mit der nächsten Monatsmiete. Später entdeckt er jedoch einen Fehler in der Abrechnung und korrigiert den Überschuss auf ein Guthaben des M von nur 14,52 €. Dies teilt er dem M am 11.12.2007 mit. Den zu Unrecht gutgeschriebenen Betrag iHv. 138,08 € bucht V auf314 BGH NJW 2008, 1300, Tz. 20ff.; vgl. BGH NJW 2016, 866: Auch müssen die Rechenschritte nicht angegeben werden. 315 BGH NJW 2012, 1141, Tz. 12. 316 BGH NJW 2012, 603. 317 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 35. 318 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 51. 319 BGH NJW 2011, 842, Tz. 15.

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grund der ihm erteilten Einzugsermächtigung vom Konto des M ab. Dieser verlangt den Betrag von V heraus. In Betracht kommt ein Anspruch des M aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion). Fraglich ist, ob die durch V erhobenen 138,08 € ohne Rechtsgrund geleistet worden sind. Tatsächlich stand M gegenüber V nur ein Erstattungsanspruch iHv. 14,52 € zu. Durch die falsche Abrechnung am 6.7. könnte V jedoch einen Rechtsgrund für die 138,08 € geschaffen haben.

In der vorbehaltlosen Gutschrift des Rückerstattungsbetrags könnte ein Angebot auf Abschluss eines kausalen (deklaratorischen) Schuldanerkenntnisses liegen (Tz. 14). Anders als das in § 780 geregelte abstrakte Schuldanerkenntnis lässt dieses keine neue Forderung neben den Anspruch aus dem Schuldverhältnis treten, sondern schafft den Schuldgrund so um, dass der zwischen den Parteien festgestellte Überschussanspruch außer Streit gestellt wird (Rn. 1419). Ob der Vermieter vorliegend eine solche Willenserklärung abgegeben hat, ist eine Frage der Auslegung nach §§ 133, 157. In Abkehr von einer älteren Rechtsprechung (Tz. 15) sieht der BGH nun aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Mieters die vom Gesetzgeber in § 556 Abs. 3 Satz 3 und Satz 5, 6 getroffene Wertentscheidung als abschließende Regelung an, die aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Mieters praktisch keinen Raum für die Annahme eines kausalen Schuldanerkenntnisses lässt (Tz. 18ff.). Denn der Gesetzgeber habe dem Problem der Abrechnungssicherheit in besonderer Weise Rechnung getragen: Erst zwölf Monate nach Abschluss des Rechnungszeitraums sei aus Vermietersicht die Geltendmachung einer Nachforderung ausgeschlossen (Satz 3). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Vermieter sich vorher durch seine Abrechnung in keiner Weise bindet, sondern diese noch abändern darf. Entsprechend stellt die vorbehaltlose Gutschrift gegenüber dem Mieter innerhalb des Zeitraums von § 556 Abs. 3 Satz 3 keinen Antrag auf Abschluss eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses dar. Im Bereich der Geschäftsraummiete findet § 556 Abs. 3 Satz 3 keine Anwendung (§ 578 Abs. 2). Hier läge es nach wie vor nahe, dass die vorbehaltlose Abrechnung einen Antrag auf Abschluss eines kausalen Schuldanerkenntnisses des Vermieters beinhaltet, den der Mieter durch Zahlung annimmt.320 Der XII. BGH-Senat verneint dies jedoch für den umgekehrten Fall der vorbehaltlosen Zahlung des Mieters auf die Betriebskostenabrechnung.321 Dies überzeugt; denn regelmäßig zahlt der Mieter in diesen Fällen nur, um Auseinandersetzungen zu vermeiden, behält sich aber eine nähere Prüfung vor. Die Präklusion des Vermieters mit Nachforderungen iSd. § 556 Abs. 3 Satz 3 hat Streit um die Bedeutung formeller Abrechnungsmängel entstehen lassen. Zur Vermeidung eines neuen Konfliktherdes legt der BGH großzügige Maßstäbe an:

320 Fritz NJW 2012, 980f. 321 BGH NJW 2014, 2780, Tz. 28.

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(BGH 12.1.2011 – VIII ZR 148/10 = NJW 2011, 842) Vermieterin V hat die Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2004 und 2005 jeweils am 16.12.2005 und 16.12.2006 erstellt und innerhalb des auslaufenden Jahres übermittelt. Beide Abrechnungen weisen jedoch hinsichtlich der Heiz- und Warmwasserkosten formelle Mängel auf. Deshalb ließ V die auf Heiz- und Warmwasserkosten gründenden Nachforderungen gegenüber Mieter M im Jahre 2007 fallen und rechnete die Beträge aus der geforderten Gesamtsumme heraus. Auf diese Weise errechnet sie Nachforderungen gegenüber M iHv. 662,98 € für 2004 und iHv. 1.350,82 € für 2005. Als V diese im Jahre 2008 gegenüber M einklagt, verteidigt dieser sich damit, V habe weder für 2004 noch für 2005 rechtmäßige Abrechnungen präsentiert und könne daher keine Nachforderungen geltend machen. Auch wendet er ein, mit V sei eine Betriebskostenpauschale vereinbart. Deshalb könne V nicht nachträglich einzelne Positionen auf diese Weise herausrechnen. Fraglich ist daher, ob die von V geltend gemachten Nachforderungen bestehen. V kann von M Ersatz der noch ausstehenden Betriebskosten aus § 556 Abs. 1 Satz 1 iVm. mit der getroffenen Vereinbarung über die Ersatzpflicht des M verlangen, wenn V mit dieser Forderung nicht nach § 556 Abs. 3 Satz 3 ausgeschlossen ist. Dies setzt voraus, dass V jeweils zwölf Monate nach Ablauf des Abrechnungszeitraums über die Betriebskosten mit M abgerechnet hat. Die Berichtigung in 2007 kommt dafür zu spät, da der Abrechnungszeitraum am 31.12.2005 endete und die Frist mithin am 31.12.2006 verstrich. Fraglich ist, ob die Ende 2005 und 2006 übermittelten, teilweise fehlerhaften Rechnungen den Anforderungen des § 556 Abs. 3 Satz 3 genügen.

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Der BGH lässt die beiden Rechnungen trotz ihrer Fehlerhaftigkeit ausreichen. Denn formale Mängel, die nur einzelne Abrechnungsposten beträfen, ließen die Abrechnung insgesamt nicht unwirksam werden (Tz. 13). Diese Betrachtungsweise, die in ein gewisses Spannungsverhältnis zum Erfordernis einer richtigen Abrechnung im Falle des § 560 Abs. 4 tritt (Rn. 938), wird insbesondere der Befriedungsfunktion des § 556 Abs. 3 Satz 3 und Satz 5, 6 gerecht (Rn. 805). Denn eine andere, etwa an § 139 orientierte Entscheidung würde den Streit um die Höhe der zu erstattenden Betriebskosten nur auf die Ebene der formalen Wirksamkeit der Abrechnung verlagern und damit einen neuen Kristallisationspunkt für Auseinandersetzungen entstehen lassen (Rn. 805). Solange der Mieter nachvollziehen kann, was der Vermieter im Hinblick auf welchen Abrechnungszeitraum höchstens verlangt, liegt danach eine Abrechnung iSd. § 556 Abs. 3 Satz 2 vor. Der vom Mieter vorliegend vorgetragene, aus der Vereinbarung einer Pauschale (§ 556 Abs. 2 erster Fall) resultierende Einwand ist grundsätzlich nicht unerheblich. Allerdings wurde er selbst nach § 556 Abs. 3 Satz 5, 6 zu spät erhoben. Denn dem Mieter bleiben für die Geltendmachung von Einwendungen nur zwölf Monate seit der Abrechnung (Tz. 15), wenn er die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten hat (Satz 6 zweiter Halbsatz). Der BGH bejaht jedoch ein Vertretenmüssen des Mieters, da dieser gehalten ist, sämtliche Einwendungen gegen die Abrechnung des Vermieters, auch deren vermeintliche Unwirksamkeit, rechtzeitig vorzubringen (Tz. 16). Entsprechend dem Zweck des § 556 Abs. 3 Satz 3 und Satz 5, 6 hängt der Anwendungsbereich der Norm nicht davon ab, dass die Parteien Vorauszahlungen nach § 556 Abs. 2 Satz 1 (Pauschalen) vereinbart haben. Jede Art der Ab-

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rechnung über die Betriebskosten ist von der Präklusionswirkung erfasst.322 Bereits in den Materialien zu § 556 Abs. 3 Satz 3 wird deutlich herausgestellt, dass die Abrechnung dem Mieter innerhalb der Zwölfmonatsfrist zugehen muss.323 Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Vermieter die Verspätung nicht zu vertreten hat. Dabei rechnet ihm der BGH ein Vertretenmüssen der Post nach § 278 Satz 1 zu.324 Darin scheint zunächst ein Widerspruch zu den Fällen zu bestehen, in denen dem sozialhilfebedürftigen Mieter die verspätete Entrichtung der Miete durch das Jobcenter nicht zugerechnet wird. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch im Tatbestandsmerkmal des Sich-Bedienens in § 278 Satz 1 (Rn. 1002). Vorliegend hat der Vermieter den Weg über die Post aus freien Stücken selbst gewählt und sich daher der Post zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient. An dieser Freiheit fehlt es dem Mieter, für den das Jobcenter die Miete zahlt. Er bedient sich des Jobcenters zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten nicht. f) Zwang zur Abrechnung bei der Geschäftsraummiete

§ 556 Abs. 3 Satz 3 bis 5 sind nicht unmittelbar auf die Geschäftsraummiete anwendbar (vgl. § 578 Abs. 2), wenngleich die Interessenlage dort vergleichbar ist. Hier kann sich der Mieter durch Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts in ähnlicher Weise verteidigen: (BGH 27.1.2010 – XII ZR 22/07 = BGHZ 184, 117 = NJW 2010, 1065) Vermieter V hat an M ein Ladenlokal vermietet. Die Betriebskostenabrechnung für die Jahre 1993 bis 2001 enthielten keine Abrechnung über die von M in der Vereinbarung übernommenen Kosten für Allgemeinstrom, Wartung der Heizung, Schädlingsbekämpfung und Hausverwaltung. Für das Jahr 2002 wurden diese am 15.02.2004 abgerechnet. Den Betrag von 12.294,50 € verlangt V nun vom M. Dieser verweigert die Geltendmachung als verspätet. Der Anspruch des V gegen M aus der von den Parteien getroffenen Vereinbarung über die Erstattung der Betriebskosten durch M könnte in entsprechender Anwendung des § 556 Abs. 3 Satz 3 ausgeschlossen sein. § 578 Abs. 2 verweist allerdings nicht auf diese Norm. Fraglich ist, ob sie analoge Anwendung findet.

Der BGH verneint die analoge Anwendbarkeit des § 556 Abs. 3 Satz 3 auf die Geschäftsraummiete, weil es dazu an einer Regelungslücke fehle (Tz. 22). Dafür spricht, dass der unternehmerische Mieter andere Möglichkeiten hat als der private, um den Vermieter zur Abrechnung zu zwingen. Aus ähnlichen Gründen verneint der BGH auch den Abschluss eines stillschweigenden Änderungsvertrags über eine Herabsetzung der Betriebskosten (Tz. 23ff.). Denn in der zunächst unterbliebenen Abrechnung liegt nach §§ 133, 157 keine entsprechende Willenserklärung des Vermieters (Tz. 26). Grundsätzlich führt Schweigen im Verkehr nämlich nicht zur Abgabe einer Willenserklärung. Auch eine Verwirkung durch bloße Untätigkeit des Vermieters kommt nicht in Betracht 322 BGH NJW 2011, 842, Tz. 15; aA. R. Breiholdt, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 523,

531f. 323 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 51. 324 BGH NJW 2009, 2197, Tz. 14f.

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(Tz. 41). Der BGH verweist den Geschäftsraummieter vielmehr auf einen Anspruch auf Abrechnung gegenüber dem Vermieter, der vglb. § 556 Abs. 3 Satz 2 zwölf Monate nach Ablauf des Abrechnungszeitraums fällig wird (Tz. 39). Diesen Anspruch dürfe der Mieter durch Zurückbehaltung der Vorauszahlungen für das laufende Jahr nach §§ 273 Abs. 1, 320 Abs. 1 Satz 1 durchsetzen.325 Vorliegend bleibt er jedoch zur Erstattung der Betriebskosten verpflichtet. g) Wärmecontracting 948

§ 556c ermöglicht die Umstellung auf das sog. Wärmecontracting. Dabei wird die Wärme nicht mehr mittels Zentralheizung durch den Vermieter zur Verfügung gestellt, sondern Fernwärme von einem externen Unternehmer bezogen.326 Zu diesem Zweck schließt der Vermieter mit einem externen Anbieter einen Rahmenvertrag über die Auslagerung der Heizung und Wärmeanlieferung. Die Regelung ermöglicht dem Vermieter den einseitigen Übergang von einer selbstverantworteten Versorgung auf eine Wärmelieferung, wenn damit keine erhöhte Belastung für den Mieter verbunden ist (§ 556c Abs. 1). Der BGH ging aber bereits vor Inkrafttreten der Regelung nach allgemeinen Grundsätzen davon aus, dass bei Mietverträgen, die auf die Zweite Berechnungsverordnung (II. BV) verweisen, die Umlage der Kosten für Wärmecontracting ohne Änderungsvertrag möglich ist.327 Die Umstellung von der Versorgung durch den Vermieter auf das Wärmecontracting kann dazu führen, dass unmittelbar ein Vertrag zwischen Lieferant und Mieter über die Versorgungsleistungen zustande kommt. In diesen muss der Mieter zwar durch Willenserklärung einwilligen. Verbraucht er jedoch die Wärmelieferung, nimmt er die Realofferte des Lieferanten durch eine eigene Willenserklärung an.328 Fehlt es daran, darf der Vermieter nur nach § 7 Abs. 2 HeizkostenVO abrechnen und bleibt dem externen Versorger selbst verpflichtet. 3. Schönheitsreparaturen a) Überblick

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Schönheitsreparaturen werden erforderlich, wenn durch das Abwohnen der Mietwohnung Dekorationsmängel entstehen. Da der Vermieter nach § 535 Abs. 1 Satz 2 dem Mieter die Wohnung in einem vertragsgemäßen Zustand zu überlassen hat, trifft die Pflicht zur Schönheitsreparatur in erster Linie ihn.329 Nach überzeugender hM. kann der Vermieter die Schönheitsreparaturpflicht dennoch auf den Mieter abwälzen. Begründet wird diese Möglichkeit mit der 325 326 327 328 329

KG ZGS 2010, 333. F.-G. Pfeifer, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 552. BGH NJW 2007, 3060. BGHZ 202, 158 = NJW 2014, 3150; BGH NJW-RR 2010, 516, Tz. 13. Vgl. nur Sonnenschein JZ 1991, 567.

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sog. Entgeltthese: Nachdem es zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland erste Versuche gegeben hatte, Schönheitsreparaturen auf Mieter abzuwälzen, regelte § 7 der Verordnung über die Mietbildung in Preußen von 1924, dass bei Berechnung der gesetzlichen Miete 4% von der Friedensmiete abzuziehen seien, wenn der Mieter die Schönheitsreparaturen übernommen habe.330 Dass die Pflicht des Mieters zur Schönheitsreparatur als Ersatz für eine andernfalls höher ausfallende Miete nach § 535 Abs. 2 fungiert, stellt auch heute noch einen bedeutenden Argumentationszusammenhang dar, der bei der Konkretisierung einschlägiger Mieterpflichten Beachtung findet und wohl auch für die Geschäftsraummiete Geltung beansprucht.331 Der BGH schließt jedenfalls daraus, dass die Pflicht zur Schönheitsreparatur wie die Pflicht zur Mietzahlung den Rang einer Hauptleistungspflicht des Mieters einnimmt.332 Allerdings trägt die Entgeltthese nicht in jedem Zusammenhang (vgl. Rn. 959).333 Die daran anknüpfende Kritik, die Entgeltthese sei in der Praxis längst aufgegeben und die Schönheitsreparaturpflicht des Mieters stelle (aufgrund Gewohnheitsrechts?) mittlerweile den Regelfall und keine Ausnahme zu § 535 Abs. 1 Satz 2 mehr dar,334 geht dennoch zu weit. Dies zeigt ein systematisches Argument aus § 994 Abs. 1 Satz 2: Nur der nichtberechtigte Besitzer muss den normalen, mit dem Sachgebrauch einhergehenden Erhaltungsaufwand der Sache tragen, weil er für den Sachgebrauch kein Entgelt entrichtet. Außerdem spricht für die Entgeltthese, dass die Entstehung der Schönheitsreparaturpflicht stets eine wirksame Vereinbarung zwischen den Parteien voraussetzt und diese sich nicht von selbst versteht. Durch Inhaltskontrolle der Vereinbarung kann der Mieter zudem wirksam vor einer unangemessenen Benachteiligung durch den Vermieter geschützt werden. b) Der Begriff der Schönheitsreparatur

Der Begriff der Schönheitsreparatur ist im BGB nicht geregelt. Die Rechtsprechung misst daher dem Katalog des § 28 Abs. 4 Satz 3 der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BV) Referenzcharakter zu. Dieser umfasst „das Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden, Heizkörper einschließlich Heizrohre, der Innentüren sowie der Fenster und Außentüren von innen“. (BGH 13.1.2010 – VIII ZR 48/09 = NJW 2010, 674) In dem zwischen Vermieter V und Mieter M geschlossenen formularmäßigen Wohnraummietvertrag verpflichtet V den M bei Beendigung des Mietverhältnisses zu folgenden Schönheitsreparaturen: Neben der Pflicht

330 Lesenswert dazu und zur Schönheitsreparatur: Emmerich, in: FS Bärmann und Weitnauer, 1990, S. 233, 234; Sonnenschein JZ 1991, 567. 331 OLG Celle NJW 2016, 3732. 332 BGH NJW 1977, 36; BGHZ 77, 301, 305; vgl. aber zu den scharfen Anforderungen im Einzelfall Kappes NJW 2006, 3031. 333 BGH NJW 2008, 2840, Tz. 13. 334 H. Schmidt, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 236, 243.

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zum Tapezieren und Streichen der Wände findet sich auch die Verpflichtung zur Versiegelung des Parketts. Als M bei Ende des Vertrages auch auf eine Fristsetzung durch V hin diese Tätigkeiten verweigert, verlangt V Schadensersatz, weil er die Maßnahmen durch einen Handwerksbetrieb vornehmen lässt. Ein Anspruch des V aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 setzt voraus, dass M durch seine Weigerung seine Pflicht zur Schönheitsreparatur verletzt hat. Dies kommt nicht in Betracht, wenn die einschlägige Vereinbarung in den AGB des Vermieters nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist. Nahe liegt dies, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der Regelung, von der sie abweicht, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1).

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Ausgehend vom Katalog des § 28 Abs. 4 Satz 3 der II. BV (Tz. 11) kann die Parkettversiegelung keine Schönheitsreparaturpflicht des Mieters darstellen (Tz. 9ff.). Dieses starre Verständnis befremdet zunächst, weil die II. BV nur bei preisgebundenem Wohnraum unmittelbar anwendbar ist (vgl. § 1 Abs. 1 II. BV). Erkennbar zielt die Rechtsprechung jedoch auf eine Befriedungsfunktion zwischen den Parteien (vgl. Rn. 805). Bliebe die Konkretisierung des Begriffs nämlich dem Einzelfall überlassen, wären der Fantasie des Vermieters bei der Gestaltung seiner AGB ebenso wenig Grenzen gesetzt wie den Einwänden des Mieters gegen die einzelnen ihm auferlegten Pflichten. Die Starre des Katalogs verbürgt darüber hinaus einen effizienten Mieterschutz, der den gesetzlichen Verschlechterungsverboten wie § 536 Abs. 4 vergleichbar ist. Deshalb fasst der BGH den Außenanstrich von Türen und Fenstern nicht unter den Begriff,335 wohl aber die Grundreinigung des Teppichbodens, weil diese dem Tatbestand des Streichens von Fußböden nahesteht, letzterer aber bei modernen Wohnungseinrichtungen keine Rolle mehr spielt.336 Im vorliegenden Fall lautete jedoch die zentrale Frage, ob die Aufnahme einer in § 28 Abs. 4 Satz 3 der II. BV nicht vorgesehenen Tätigkeit in die vorformulierte Liste der vom Mieter geschuldeten Schönheitsreparaturpflichten auch zur Unwirksamkeit der übrigen, eigentlich zulässigen Schönheitsreparaturpflichten führt. Der BGH bejaht dies vorliegend und geht dabei auf das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ein (Tz. 12). Vorformulierte Klauseln, die teilweise nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam sind, können danach nicht insoweit aufrechterhalten werden, wie die in ihnen vorgesehenen Rechtsfolgen rechtmäßig sind. Dieses in den §§ 305ff. nicht ausdrücklich geregelte Verbot entspricht der hM. und beruht vor allem auf folgender Überlegung:337 Der Versuch des AGB-Verwenders, rechtswidrige Klauseln gegenüber der anderen Seite faktisch durchzusetzen, darf nicht risikolos möglich sein. Dies wäre aber der Fall, wenn der Verwender sicher sein könnte, dass die Gerichte seine Klau335 BGH NJW 2009, 1408, Tz. 9ff.; LG Berlin NJW 2016, 579: auch nicht das Streichen der Einbaumöbel. 336 BGH NJW 2009, 510, Tz. 26. 337 Der Begriff stammt von Ulmer NJW 1981, 2025; vgl. für die Zwecke der vorliegenden Darstellung und die Argumente für diese Lehre: Augenhofer JZ 2007, 792, 793f.; Beyer ZGS 2009, 353, 356; J. Hager JZ 1996, 175ff.

V. Die Vermieterrechte

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sel in jedem Fall teilweise aufrechterhalten würden, indem sie ihre Rechtsfolgen auf das gesetzlich erlaubte Maß reduzierten. Im Übrigen kommt dem Richter nicht die Aufgabe zu, für den Verwender neue Klauseln zu entwerfen; auch entstünden in der Praxis regelmäßig Unsicherheiten über die Reichweite der Klauseln. Die Gegenauffassung338 will solche präventiven, auf den Ordnungsrahmen des Marktes zielenden Argumente höchstens in den Verbandsklagen nach §§ 1, 3 UKlaG zulassen, nicht aber in einem individuell geführten Rechtsstreit. Hier drohe nämlich die Gefahr, dass die Vertragsgegenseite von generalisierenden Marktordnungsbetrachtungen zu Unrecht profitiere. Dies wiege umso schwerer, als die Verwender die oft komplizierte Rechtslage nicht zuverlässig einschätzen könnten. Dem wird man indes entgegenhalten müssen, dass nach der Zwecksetzung der §§ 307ff. der Individualschutz regelmäßig neben einen Marktordnungsgedanken tritt (arg. e §§ 1, 3 UKlaG) und die inhaltlichen Konkretisierungsmaßstäbe schwerlich davon abhängen können, welcher Kläger sie gerade geltend macht. Schließlich lässt sich eine geltungserhaltende Reduktion auch nicht mit dem Prinzip des § 306 Abs. 1 rechtfertigen, wonach im Falle der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel der Vertrag im Übrigen erhalten bleibt.339 Denn die Norm regelt den Einfluss einer unwirksamen Klausel auf den Vertrag im Übrigen, nicht aber die Folgen einer Teilunwirksamkeit der einzelnen Klausel selbst. Obwohl sämtliche Senate des BGH sich zum Verbot geltungserhaltender Reduktion bekennen, existieren doch Tendenzen zu dessen Aufweichung.340 Grundsätzliche Bedenken weckt es stets, wenn die Gerichte an die Stelle der unwirksamen Klausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine Ersatzregelung treten lassen, wenngleich dafür im Einzelfall gewichtige Sachgründe des Verbraucherschutzes sprechen können (Beispiel: Rn. 616f., 912, 1043, 1150).341 Eine weitere, den vorliegenden Fall berührende Ausnahme wird im Falle der Teilbarkeit der unwirksamen AGB-Klausel angenommen: Konkret geht es um die Frage, ob eine rechtswidrige Klausel in einen unwirksamen und einen wirksamen Teil aufgespalten werden kann. Hier verfährt die Rechtsprechung vor allem im Bürgschaftsrecht im Hinblick auf Anlassverbindlichkeiten überaus großzügig (Rn. 1365).342 Der EuGH fordert jedoch zur Durchsetzung des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 338 MünchKomm/Basedow § 306 Rn. 12ff.; Canaris, in: FS Steindorff, 1990, S. 521ff.; vgl. auch Staudinger/Schlosser § 306 Rn. 22ff.; Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, 2010, passim; Bydlinski JZ 2009, 54f. 339 Teichmann JZ 2016, 1090, 1095; ähnlich Beyer, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 54, 60. 340 Vgl. dazu die Arbeit von Uffmann, Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, 2010. 341 Kritisch aus Sicht des VIII. Senats: Beyer ZGS 2009, 353, 362f. Vgl. zum grundlegenden Problem der ergänzenden Vertragsauslegung von AGB-Klauseln: Bejahend BGHZ 92, 393 = NJW 1985, 480, 481; MünchKomm/Basedow § 306 Rn. 15; kritisch dagegen Emmerich JuS 1981, 145; Eisenschmid WuM 1980, 242; Gräff NJW 1981, 48; Röchling WuM 1982, 171, 175. 342 BGHZ 130, 19 = NJW 1995, 2553, 2557. Im Arbeitsrecht wird die Frage der Teilbarkeit auch als „blue-pencil-test“ bezeichnet BAG NZA 2005, 1053, 1055.

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93/13/EWG) einen echten „Abschreckungseffekt“ (Rn. 616a).343 Bejaht man die Teilbarkeit der kritischen AGB-Klausel, ist diesem Erfordernis eigentlich nicht genügt. Nach der Vorstellung deutscher Gerichte soll die Teilung der Klausel in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil jedenfalls voraussetzen, dass der wirksame Teil sprachlich verständlich bleibt und aus sich heraus eine inhaltlich zulässige Regelung ergibt, sodass die Verbindung mit dem unwirksamen Teil nur von formaler Art erscheint.344 Die Kritik erkennt in der teilweisen Aufrechterhaltung jedoch gerade eine geltungserhaltende Reduktion.345 Nach einer weiteren Auffassung wird im Falle der Unwirksamkeit der Schönheitsreparaturklausel die entstandene Vertragslücke durch § 28 Abs. 4 Satz 3 der II. BV als dispositiver Vertragsnorm geschlossen: Der Mieter schuldet dann allein die dort vorgesehenen Schönheitsreparaturen.346 Diese Auffassung impliziert allerdings, dass die durch Unwirksamkeit der Klausel entstandene Lücke nicht gerade durch § 535 Abs. 1 Satz 2, die Gebrauchsüberlassungspflicht des Vermieters, zu schließen ist. Geht man jedoch von Letzterem aus, ist der Vermieter, nicht aber der Mieter für den Zustand der Wohnung verantwortlich (Rn. 949). § 28 Abs. 4 Satz 3 der II. BV eröffnet dann lediglich die Möglichkeit, von diesem Prinzip abzuweichen, begründet aber keine originäre Mieterpflicht. Vorliegend knüpft der BGH an die Rechtsprechung zur Teilbarkeit an (Tz. 13). Ausgehend von dieser müsste eigentlich eine Aufspaltung der Schönheitsreparaturklausel in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil bejaht werden.347 Denn die Klausel beinhaltet einen Katalog untereinander selbständiger Handlungspflichten, aus dem eine unwirksam vereinbarte Pflicht mühelos gestrichen werden könnte, ohne dass der Gegenstand der übrigen Pflichten unverständlich würde oder sich in seinem Inhalt änderte. Dennoch verneint der BGH die Teilbarkeit: Bei der Vornahme der Schönheitsreparaturen handele es sich um eine „einheitliche Rechtspflicht, die sich nicht in Einzelmaßnahmen oder Einzelaspekte aufspalten lässt“ (Tz. 15). In einer späteren Entscheidung verwendet er die Metapher von der „Gesamtinfektion“: Die unwirksame Festsetzung einer Schönheitsreparaturpflicht infiziert danach den gesamten Katalog und lässt diesen unwirksam werden.348 Diese Auffassung spiegelt die Zwecke wider, die dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zugrunde liegen.349 Denn jede andere Beurteilung führte nur dazu, dass der Verwender risikolos unzulässige Schönheitsreparaturpflichten in den Katalog aufnehmen und darauf setzen könnte, dass sich der Mieter gegen diese vielleicht nicht ge343 EuGH 14.6.2012 – C 618/10 = NJW 2012, 2257 – Banco Español de Crédito, Tz. 69; weniger weitreichend: EuGH 15.3.2012 – C-453/10 = NJW 2012, 1781, Tz. 33ff. 344 BGH NJW 2001, 292, 294. 345 Augenhofer JZ 2007, 792, 794; vgl. auch MünchKomm/Basedow § 306 Rn. 17ff. 346 Teichmann JZ 2016, 1090, 1096ff. 347 Etwa MünchKomm/Basedow § 306 Rn. 18. 348 BGH NJW 2015, 1874, Tz. 17. 349 So bereits Beyer, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 54, 57f. und 60.

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richtlich zur Wehr setzt.350 Daran zeigt sich, dass die Teilbarkeit von AGBKlauseln nicht von semantischen oder äußerlichen, gestalterischen Umständen abhängen kann. Denn andernfalls hätte es der Verwender in der Hand, durch entsprechende Formulierung seiner AGB das Verbot geltungserhaltender Reduktion zu unterlaufen. Teilbar erscheint eine Klausel daher nur dann, wenn sie partiell aufrechterhalten werden kann, ohne dass dem Verwender Anreiz gegeben wird, die Grenze des nach § 307 Abs. 1 Satz 1 Erlaubten in künftigen Fällen zu überschreiten. c) Inhaltliche Wirksamkeit aufgrund der Entgeltthese

Die regelmäßig vorformulierten Schönheitsreparaturpflichten müssen in der Praxis einer Prüfung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 standhalten. Bei der Beurteilung der Frage, ob von ihnen eine unangemessene Benachteiligung für den Mieter ausgeht, spielt die Entgeltthese eine zentrale Rolle (Rn. 949). Ausgehend von der Überlegung, dass die Schönheitsreparaturpflicht dem Mieter eine höhere Geldmiete erspart, ist die Auferlegung einer Schönheitsreparaturpflicht nur zulässig, wenn ein solcher Einspareffekt auch plausibel erscheint. Für unwirksam hält der BGH daher die Vereinbarung von Schönheitsreparaturpflichten, wenn diese einen starren Fristenplan vorsehen, den Mieter also nach bestimmten Zeitabständen (Jahren usw.) zur Renovierung zwingen, ohne dass es auf den Abnutzungsgrad ankommt. Ausgangspunkt der Begründung ist folgende Überlegung:351 Bei Vereinbarung einer Schönheitsreparaturpflicht wird die Miete in eine Nettomiete und die vom Mieter zu tragenden Renovierungsleistungen aufgespalten. Da aber kein Vermieter auf die Idee verfallen würde, eine gut erhaltene Wohnung nach starren Zeitabschnitten zu renovieren, hätte der Mieter – ohne Vereinbarung einer Schönheitsreparaturpflicht – auch keine Erhöhung der Miete wegen solcher Renovierungsleistungen zu befürchten. Deshalb darf dem Mieter auch keine Schönheitsreparaturpflicht dieses Inhalts auferlegt werden.352 Dieselben Überlegungen greifen, wenn der Mieter sich nicht zur Vornahme der Renovierungsarbeiten verpflichtet, sondern bloß zur Kostenbeteiligung (Abgeltungsklausel).353 Ähnliches gilt für eine Quotenabgeltungsklausel, dh. eine Zahlungspflicht des Mieters iH. eines Bruchteils des Wertes der Schönheitsreparaturen gegen Vertragsende, wenn diese noch nicht in vollem Umfang fällig sind: Hier muss dem Mieter die Möglichkeit offenstehen, den fehlenden Renovierungsbedarf im Einzelfall in einfacher Weise darzulegen.354 Aus ähnlichen Gründen muss der Mieter die Schönheitsreparaturen selbst vornehmen dürfen und kann nicht verpflichtet werden, einen Fachhand350 Kritisch Bydlinski JZ 2009, 54ff. mit allgemeinen Erwägungen zur Vertragsgerechtigkeit. 351 Dazu BGH NJW 2004, 2586, 2587; BGH NJW 2006, 3778, 3780; Beyer ZGS 2009, 353, 357. 352 Dies gilt auch für die Geschäftsraummiete: BGHZ 178, 158 = NJW 2008, 3772, Tz. 24ff. Als

zulässig wird hingegen eine Klausel angesehen, nach der die Schönheitsreparaturen „üblicherweise“ innerhalb bestimmter Fristen vorzunehmen sind: BGH NJW 2009, 62, Tz. 11. 353 BGH NJW 2006, 3778, Tz. 25; Beyer ZGS 2009, 353, 361. 354 BGHZ 204, 316 = NJW 2015, 1871, Tz. 29.

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werker einzuschalten; denn andernfalls ginge ihm der Vorteil, die Renovierungskosten senken zu können, verloren.355 Eine Vornahmeklausel, die dem Mieter Schönheitsreparaturen auferlegt, wenn er die Wohnung unrenoviert oder renovierungsbedürftig übernommen hat, ist ebenfalls unwirksam, weil sie den Mieter bei kundenfeindlichster Auslegung (§ 305c Abs. 2) dazu zwingt, die Gebrauchsspuren des Vorgängers zu beseitigen.356 Gerade dies bringt für den Vermieter erhebliche vertragliche Gestaltungsprobleme mit sich, weil in den AGB eine präzise Zustandsbeschreibung der Räume im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und eine Vereinbarung über ihre fehlende Renovierungsbedürftigkeit aufgenommen werden müssen.357 Aus anderen Gründen unwirksam sind schließlich Farbwahlklauseln (Vorgaben hinsichtlich der bei der Renovierung zu verwendenden Farben), weil einerseits der Vermieter kein schützenswertes Interesse an einer Farbgestaltung während der Laufzeit des Mietvertrages hat und andererseits diese Vorgaben die Freiheit des Mieters zu stark einschränken:358 Wegen § 535 Abs. 1 Satz 2 darf der Vermieter dem Mieter keinen bestimmten Lebensstil aufzwingen (Rn. 815a). Die Interessenlage gestaltet sich allerdings bei Vertragsende anders, sodass für diesen Zeitpunkt eine Farbwahlklausel vorgesehen werden kann (sog. Endrenovierungsklausel); dass dabei auf den Mieter bereits während der Laufzeit des Mietvertrags Druck zur Wahl der einschlägigen Farbe ausgeübt wird, nimmt die Rechtsprechung hin.359 Neuerdings wird die Verpflichtung des Mieters zur Schönheitsreparatur dann als zulässig angesehen, wenn der Vermieter sie mit einer konkreten Kompensation zugunsten des Mieters (zB. Erlass einer Monatsmiete) verbindet.360 d) Rückabwicklung bei nicht geschuldeter Schönheitsreparatur 955

Fraglich ist, welche Ansprüche dem Mieter zustehen, wenn er Schönheitsreparaturen aufgrund einer unerkannt unwirksamen Klausel im Mietvertrag vornimmt: (BGH 27.5.2009 – VIII ZR 302/07 = BGHZ 181, 188 = NJW 2009, 2590) Vermieter V hat Mieter M einen festen dreijährigen Fristenplan für die Vornahme von Schönheitsreparaturen vorgegeben. Als drei Jahre vergangen sind, führt M die geschuldeten Renovierungsarbeiten durch. Nachträglich verlangt er von V Ersatz der daraus entstandenen Kosten. In Betracht kommt zunächst ein Anspruch des M gegen V aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.), weil V dem M bei den Vertragsverhandlungen unwirksame AGB gestellt hat. 355 BGH NJW 2010, 2872, Tz. 21. 356 BGHZ 204, 302 = NJW 2015, 1594, Tz. 24ff. 357 Drettmann NJW 2015, 3694, 3695f.; zur Kritik auch Artz NJW 2015, 1573, 1577; nach LG

Berlin NJW 2016, 580 liegt die Beweislast für die Renovierungsbedürftigkeit nun beim Mieter, was BGH NJW 2015, 1554, Leitsatz 4 entspricht; kritisch dazu Graf von Westphalen NZM 2016, 10, 15ff. 358 BGH NJW-RR 2010, 666, Tz. 11; vgl. zuvor BGH NJW 2008, 2499; BGH NJW-RR 2009, 656; dazu Beyer ZGS 2009, 353, 358. 359 BGH NJW 2009, 62, Tz. 15; Beyer ZGS 2009, 353, 359. 360 LG Berlin NJW 2016, 579.

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Nach hM. bedeutet das Stellen unwirksamer AGB stets eine vorvertragliche Schutzpflichtverletzung (Tz. 10).361 Die Vereinbarung starrer Fristen für die Schönheitsreparatur ist aber nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam (Rn. 954). Im konkreten Fall musste das Gericht jedoch ein Vertretenmüssen des Vermieters verneinen, weil dieser sich bei der Gestaltung seiner AGB noch nicht auf die zwischenzeitlich geänderte Rechtsprechung einstellen konnte (Tz. 14). In anderen Fällen ist der Schadensersatzanspruch des Mieters darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als habe er die Schönheitsreparaturen nicht durchgeführt. Es stellt sich dann das Problem, wie Eigenleistungen des Mieters berücksichtigt werden können (Rn. 957). Ein Anspruch aus §§ 683 Satz 1, 818 Abs. 2, für den die Verweisung in § 539 Abs. 1 spricht, verneint der BGH im Hinblick auf den fehlenden Fremdgeschäftsführungswillen des Mieters (Tz. 20): Dieser werde nur im eigenen Rechts- und Interessenkreis tätig. Dass die Verbesserung der Mietsache auch dem Vermieter zugutekomme, führe nicht zu einer unmittelbaren Berührung der Vermieterinteressen, sondern sei Folge der Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit. Die Kritik362 verweist hingegen auf die Fälle des auch fremden Geschäfts, im Rahmen derer der Fremdgeschäftsführungswille des Geschäftsführers nach § 677 auch dann vermutet wird, wenn die Geschäftsführung sowohl dem Eigeninteresse des Geschäftsführers als auch dem Fremdinteresse des Geschäftsherrn dient.363 Auch der Mieter erbringe die Schönheitsreparatur nicht nur im eigenen Interesse, sondern unmittelbar am Eigentum des Vermieters. Die Verneinung des Fremdgeschäftsführungswillens führe aber dazu, dass der BGH der eigentlich unwirksamen Klausel durch die Hintertür doch noch zur Wirkung verhelfe.364 Dies überzeugt nicht: Denn die Ausweitung der Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens auf auch fremde Geschäfte im Bereich der §§ 677ff. ist selbst nicht unproblematisch und umstritten. Denn sie hat die Geschäftsführung ohne Auftrag vorübergehend in ein Instrument des allgemeinen Lastenausgleichs verwandelt.365 Ihre Anwendung im vorliegenden Fall ist daher abzulehnen. Dies gilt auch für die Überlegung, Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag kämen bei der Erfüllung unerkannt nichtiger Verträge in Betracht.366 Auch diese, im Bereich der §§ 677ff. vertretene Lehre erscheint in sich problematisch, da sie den Anspruch aus §§ 683 Satz 1, 670 zu einem alternativen Leistungsstörungsrecht für nichtige Verträge um361 BGH NJW 1988, 197, 198; BGH NJW 1984, 2816, 1817; Blank, in: FS Derleder, 2005,

S. 189, 198ff.; Börstinghaus WuM 2005, 675, 678; Gsell NZM 2010, 71, 73; dies. ZJS 2011, 277, 278; Lehmann-Richter WuM 2005, 747f.; Sternel ZMR 2008, 501f.; H. Schmidt WuM 2010, 191, 195; Schmidt-Futterer/Langenberg § 538 BGB Rn. 207. 362 Gsell NZM 2010, 71, 75. 363 Vgl. die Darstellung bei Medicus/Petersen BR Rn. 410ff. 364 So auch Schrader ZJS 2009, 426; ihm folgend Gsell NZM 2010, 71, 75. 365 Medicus/Petersen BR Rn. 412. 366 Lorenz NJW 2009, 2576 unter Hinweis auf BGH NJW 2000, 72, 73; ähnlich Gsell NZM 2010, 71, 75.

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funktioniert.367 Ihre Übertragung auf den vorliegenden Fall kommt daher nicht in Betracht. Überzeugender billigt der BGH dem Mieter daher einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) zu (Tz. 23), wobei vor allem die Bestimmung der Höhe des Wertersatzes nach § 818 Abs. 2 Probleme aufwirft. Der BGH geht bei einem Nichtfachmann davon aus, dass dessen Leistung nicht den Wert einer von einem Handwerker vorgenommenen Arbeit erreiche. Deshalb müsse das Gericht den Wert der Leistung nach § 287 ZPO schätzen (Tz. 24). Die Kritik368 hält diese Beschränkung für zweifelhaft, weil sie dem Vermieter zugutekomme. Dabei wird allerdings die systematische Vorgabe durch § 1835 Abs. 3 verkannt,369 wonach der aufgewendeten Arbeitskraft als solcher kein Eigenwert zukommt, wenn sie nicht zum Beruf oder Gewerbe des Handelnden gehört. Dies mag an mancher Fundamentalüberzeugung rütteln, entspricht aber der marktwirtschaftlichen Wertbildung, nach der ein ökonomischer Wert erst entsteht, wenn Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. Die Schmälerung des vom Vermieter zu leistenden Wertersatzes bei Eigenleistung des Mieters stellt demgegenüber einen tragfähigen Kompromiss dar. e) Verjährung der Ansprüche wegen Schönheitsreparatur

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Fraglich ist schließlich, ob § 548 Abs. 2 auf ungeschuldete Aufwendungen für Schönheitsreparaturen Anwendung findet. (BGH 4.5.2011 – VIII ZR 195/10 = NJW 2011, 1866) In den von Vermieter V gestellten AGB waren starre Fristen für Schönheitsreparaturen vorgesehen. Deshalb ließ Mieter M die Wohnung bei Beendigung des Mietverhältnisses und vor Rückgabe an V im Hinblick auf Schönheitsfehler renovieren. Die Kosten der unnötigen Renovierung verlangt M nun ein Jahr nach dem Auszug von V ersetzt. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion); vgl. Rn. 957. Fraglich ist allerdings, ob dieser nach § 548 Abs. 2 verjährt ist.

Nach § 548 Abs. 2 verjähren Aufwendungsersatzansprüche des Mieters in einem Zeitraum von sechs Monaten nach Vertragsbeendigung (vgl. dazu bereits Rn. 890ff.). Fraglich ist, ob der Mieter vorliegend Aufwendungen iSd. Norm getätigt hat. Nach einer Auffassung beschränkt sich das Tatbestandsmerkmal auf den Fall des § 670, erfasst aber nicht Ansprüche auf Schadensersatz oder wegen ungerechtfertigter Bereicherung, um die es hier vor allem geht.370 Die Gegenauffassung stellt auf den zentralen Gegenstand des Aufwendungsbegriffs ab, das freiwillige Vermögensopfer.371 Dem folgt der BGH mit einer am 367 368 369 370

Medicus/Petersen BR Rn. 412. Gsell NZM 2010, 71, 76. Medicus/Petersen BR Rn. 430. Ua. Blank NZM 2010, 97, 102; Eisenschmid WuM 2010, 459, 469f.; Wiek WuM 2010, 535,

537. 371 Ua. Gsell NZM 2010, 71, 76; S. Roth NZM 2011, 62; Schmidt-Futterer/Streyl § 548 BGB

Rn. 49; aA. jetzt Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 10 mit Hinweis zu Problemen bei der Abgrenzung gegenüber Erfüllungsansprüchen.

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Normzweck orientierten Überlegung: Das § 548 Abs. 2 zugrunde liegende Interesse an einer raschen Klärung der Ansprüche bestehe auch im vorliegenden Fall. Denn dabei gehe es in erster Linie darum, das laufende Mietverhältnis von Auseinandersetzungen freizuhalten (Tz. 15). Dies entspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers vom Zweck dieser Norm, „zeitnah zur Rückgabe der Mietsache eine möglichst schnelle Klarstellung über bestehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache zu erreichen.“372 Der Vermieter ist daran bereits aus Gründen der Beweissicherung interessiert, weil wichtige Augenscheinsobjekte untergehen, wenn in die Wohnung eine neue Mietpartei einzieht. f) Kein berechtigtes Mieterhöhungsverlangen infolge Unwirksamkeit der vorformulierten Schönheitsreparaturpflicht

Die Rechtsprechung zur Unwirksamkeit starrer Fristenpläne bei der Schönheitsreparatur hatte die Praxis überrascht. Es stellte sich die Frage, ob deren Folgen im Rahmen eines Mieterhöhungsverlangens nach § 558 Abs. 1 Satz 1 ausgeglichen werden konnten: (BGH 9.7.2008 – VIII ZR 181/07 = BGHZ 177, 186 = NJW 2008, 2840) In dem zwischen Mieter M und Vermieter V geschlossenen Mietvertrag war eine Schönheitsreparaturpflicht mit starrem Fristenplan vorgesehen. Als V auf die Unwirksamkeit dieser Klausel aufmerksam wird, macht er M ein Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages, in dem eine wirksame Schönheitsreparaturpflicht begründet werden soll. M lehnt dies ab. Darauf verlangt V von M die Zustimmung zu einer Mieterhöhung von 384,29 € auf 444,89 €. M ist nur zu einer Erhöhung auf 390,99 € bereit, weil dies der ortsüblichen Vergleichsmiete entspreche. Den weiteren Aufschlag errechnet V aus einem monatlichen Zuschlag von 0,71 € je Quadratmeter Wohnfläche für die von ihm selbst zu erbringenden Schönheitsreparaturen. Fraglich ist, ob das Verlangen des V berechtigt ist.

Nach § 558 Abs. 1 Satz 1 kann der Vermieter vom Mieter eine Zustimmung zur Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen. Fraglich ist, ob darüber hinaus ein Zuschlag gefordert werden darf, wenn im Einzelfall und entgegen der üblichen Vertragsgestaltung im Mietvertrag keine Schönheitsreparaturpflicht aufgenommen worden ist.373 Zugrunde liegt die Überlegung, dass die im Mietspiegel ausgewiesene ortsübliche Vergleichsmiete nicht repräsentativ für ein einzelnes Mietverhältnis ist, wenn in diesem anders als in den im Mietspiegel berücksichtigen Verträgen keine wirksame Schönheitsreparaturpflicht vereinbart wurde.374 Denn nach der Entgeltthese stellt die Schönheitsreparaturpflicht ja eine weitere Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung dar (Rn. 949, 954). Repräsentiert aber der Mietspiegel die Miete für den Fall der Vereinbarung einer Schönheitsreparaturpflicht, müsste der Referenzwert entsprechend ange372 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 45, rechte Spalte; vgl. hier nur BGH NJW 2011, 1866, Tz. 15; Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 1 mwN. 373 So zuvor etwa OLG Koblenz WuM 1985, 15; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2001, 945; OLG Karlsruhe NZM 2007, 481. 374 Bydlinski JZ 2009, 54.

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hoben werden. Der BGH ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt: Nach § 558 Abs. 1 Satz 1 bilde der Referenzwert die auf dem Markt durchsetzbare Miete. Es sei aber nicht ausgemacht, dass die Vermieter von den Mietern ein höheres Entgelt verlangen könnten, wenn keine Schönheitsreparaturen vereinbart worden sind (Tz. 12). Aus dem Entgeltcharakter der Schönheitsreparaturpflicht seien im Übrigen keine weiteren Schlussfolgerungen möglich; dieser diene allein als Rechtfertigung, bei der Anwendung des § 307 Abs. 1 Satz 1 vom Grundsatz des § 535 Abs. 1 Satz 1 abzuweichen (Tz. 13). Die Kritik wendet ein, dass der BGH sich damit von der Entgeltthese verabschiedet habe: Denn wenn aus dieser heraus keine Normkonkretisierung möglich sei, handele es sich auch nicht um den Normzweck.375 Dieser Einwand geht jedoch am Regelungszweck des § 558 Abs. 1 Satz 1 vorbei: Die zentrale Rechtfertigung für eine Preiskontrolle von Mieterhöhungen liegt vor dem Hintergrund des Eigentumsschutzes (Art. 14 GG) nämlich darin, dass sie an den Marktpreis (= ortsübliche Vergleichsmiete) als Referenz anknüpft.376 Deshalb fordert der BGH zu Recht, dass die Entgeltvorstellungen des Vermieters sich zuerst auf dem Markt durchgesetzt haben müssen, bevor sie eine Erhöhung nach § 558 Abs. 1 rechtfertigen können. Aus ähnlichen Überlegungen heraus lehnt der BGH auch einen Vertragsanpassungsanspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus § 313 Abs. 1 Satz 1 ab, da der Vermieter einseitig das Risiko der Unwirksamkeit der Schönheitsreparaturklausel zu tragen habe (Tz. 19). Ein Anspruch des V besteht daher nicht.

4. Ansprüche im Hinblick auf den Gebrauch der Sache durch den Mieter a) Vertragsgemäßer und vertragswidriger Gebrauch 960

Das Recht des Mieters zum Gebrauch der Mietsache wird durch das Normenpaar der §§ 538, 541 konkretisiert. Nach § 538 hat der Mieter Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt werden, nicht zu vertreten. Dagegen kann der Vermieter nach § 541 auf Unterlassung klagen, wenn der Mieter einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache trotz einer Abmahnung des Vermieters fortsetzt. (BGH 18.2.2015 – VIII ZR 186/14 = NJW 2015, 1239 – Düsseldorfer Raucher) Zwischen M und V besteht seit 40 Jahren ein Wohraummietverhältnis. M raucht dabei 15 Zigaretten pro Tag. V behauptet, dass infolge unzureichender Lüftung und mangelnden Leerens der Aschenbecher von der Wohnung des M Zigarettengestank in das Treppenhaus gelange und dort zu erheblichen Geruchsbelästigungen führe. Nach ergebnisloser Abmahnung des M erklärt V ihm die fristlose Kündigung wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens (§§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2).

375 H. Schmidt, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 236, 241. 376 BVerfGE 37, 132 = NJW 1974, 1499, 1500.

V. Die Vermieterrechte

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Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens (§ 569 Abs. 2) setzt voraus, dass eine Mietpartei die aus § 241 Abs. 2 resultierende Rücksichtnahmepflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt (Tz. 13).377 Die Formulierung erinnert an den in § 1 Abs. 2 StVO normierten Vertrauensgrundsatz. Danach hat, wer am Verkehr teilnimmt, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Beiden Instituten liegt ein allgemeines Rechtsprinzip zugrunde.378 Dabei liefert das gegenseitige Vertrauen der Verkehrsteilnehmer auf die Einhaltung von Mindeststandards des gegenseitigen Umgangs den dogmatischen Anknüpfungspunkt für das Entstehen von Rechtsregeln im Verkehr.379 Der Vertrauensgrundsatz konkretisiert in diesem Zusammenhang die Schutzwürdigkeit dieser Erwartungen und leitet diese aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) ab. Wer selbst auf die Integritätssphäre anderer im verkehrsüblichen Maße Rücksicht nimmt, ist deshalb in seinem Vertrauen auf das verkehrsübliche Verhalten anderer geschützt. Diese Überlegung passt auch auf das Verhältnis von Vermieter und Mieter: Der Vermieter muss sich auf den Lebenswandel des Mieters und die von ihm ausgehenden rechtmäßigen Beeinträchtigungen beim Gebrauch der Mietsache einstellen und darf dem Mieter keinen bestimmten Lebenswandel aufzwingen (Rn. 815a). Das Rauchen von 15 Zigaretten durch seinen Mieter muss er daher dulden (Tz. 14). Umgekehrt besteht aber auch eine Rücksichtnahmepflicht des Mieters: Diese umfasst einfache und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung einer Beeinträchtigung der übrigen Mieter (Beispiel: Lüften; Tz. 16). Darüber hinaus kann die Grenze des § 541 bei exzessivem Rauchen überschritten sein, wenn dieses zu einer Verschlechterung der Wohnung führt, die sich durch Schönheitsreparaturen nicht mehr beseitigen lässt (Tz. 15).380 Die vom Vermieter behauptete erhebliche Geruchsbelästigung hält das Gericht jedoch vorliegend angesichts der Menge der vom Mieter konsumierten Zigaretten nicht für plausibel (Tz. 24). Die Kündigung nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 ist daher unwirksam.

Eine Fallgruppe des vertragswidrigen Gebrauchs nach § 541 stellt die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 nicht gestattete Gebrauchsüberlassung an Dritte (Untermiete; dazu Rn. 828ff.) dar: (BGH 8.1.2014 – VIII ZR 210/13 = NJW 2014, 622) M mietet von V eine Zwei-ZimmerWohnung in Berlin für 235 € an und bittet um die Erlaubnis zur Untervermietung, da er die Wohnung nur alle 14 Tage am Wochenende zum Besuch seiner Tochter benötige. V erteilt Staudinger/Emmerich § 569 Rn. 24; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 569 Rn. 19. Vgl. nur Medicus/Petersen BR Rn. 652. Wolf/Neuner AT, 10. Aufl. 2012, § 10 Rn. 81f. Weiterführend BGHZ 204, 316 = NJW 2015, 1871, Tz. 12ff. und BGH NJW 2008, 1439, Tz. 22f.: Auch exzessives Rauchen kann unter bestimmten Voraussetzungen zum vertragsgemäßen Gebrauch zählen. 377 378 379 380

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die Erlaubnis unter der Bedingung, dass M den Untermietern Empfangsvollmacht für Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungsverlangen und sonstige von V ausgehende Willenserklärungen erteilt. Darauf vermietet M die Wohnung tageweise an bis zu vier Touristen und wirbt entsprechend im Internet. V verlangt die Unterlassung dieser Art der Untervermietung, worauf M nicht eingeht. V kündigt daraufhin den Mietvertrag. In Betracht kommt eine Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 wegen unbefugter Überlassung der Wohnung an Dritte. Fraglich ist, ob die von V nach § 540 Abs. 1 Satz 1 erteilte Erlaubnis gem. §§ 133, 157 die vorliegende Form der Untervermietung abdeckte.

Der BGH verneint dies wegen der untypischen Art der Untervermietung (Tz. 13): Gewöhnlich erfolge diese auf unbestimmte Zeit oder auf eine gewisse Dauer, was hier aber nicht vorlag. Auch konnte der Mieter die Untermieter nicht in der vom Vermieter gewünschten Art bevollmächtigen, was gegen die Zulässigkeit dieser Art von Untervermietung aus Sicht des Vermieters spricht. Der Mieter könnte jedoch gegenüber dem Vermieter die dolo-agit-Einrede (§ 242) erheben, wenn er diesem gegenüber einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis auch für diese Art der Untervermietung nach § 553 Abs. 1 Satz 1 hätte. Dagegen spricht jedoch die besondere Gefährdung der Vermieterinteressen: Angesichts der Vielzahl einander abwechselnder Touristen besteht die Gefahr, dass der einzelne sich für den Erhaltungszustand der Wohnung nicht in gleicher Weise verantwortlich fühlt wie ein auf Dauer in ihr lebender Untermieter. Vor allem entstehen dadurch Beeinträchtigungen der anderen Mieter, vor denen der Vermieter sich schützen darf. Aus wirtschaftspolitischen Gründen hat das Land Berlin zudem durch Änderung des „ZweckentfremdungsverbotGesetzes“381 diese Praxis untersagt, um die lokalen Hoteliers zu schützen. Die Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 war vorliegend wirksam.

Einen weiteren Anwendungsfall des § 541 stellt die Beschädigung der Mietsache dar. Diese wird im Einzelfall bejaht, wenn der Mieter eine in neutraler Dekoration übernommene Wohnung bei Mietende in einem ausgefallenen farblichen Zustand (rot, gelb, blau) zurückgibt.382 (BGH 21.5.2010 – V ZR 244/09 = NJW 2010, 2341) V hat an P ein etwas über 7000 m2 großes Grundstück für 6 Jahre verpachtet, auf dem P zunächst eine Baumschule betrieb. Später ging P zum Maisanbau über und ließ in diesem Zusammenhang insgesamt 4000 Liter „Biodünger“ durch D auf das Grundstück verbringen. Dieser war jedoch mit dem Gift PFT (perfluorierende Tenside) versetzt, das in den Boden gelangte. Das Grundstück darf deshalb bis zu einer grundlegenden Sanierung nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. V verlangt von P die Sanierung. P beruft sich auf Überschreitung der „Opfergrenze“.

Im vorliegenden Fall prüft der BGH zunächst den negatorischen Beseitigungsanspruch des Eigentümers und Verpächters aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 (Tz. 8). Er geht dabei der Frage nach, ob der Pächter sich auf Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 Satz 1 berufen kann (Tz. 9), und erörtert im Zusammenhang 381 Änderung vom 22.3.2016, GVBl. 2016, 115; zur Rechtswidrigkeit jetzt: VG Berlin 9.8.2016 – 6 K 91.16. 382 BGH NJW 2014, 143.

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mit § 275 Abs. 2 Satz 2 ein Vertretenmüssen (Tz. 14). Andere Senate des BGH bejahen in solchen Fällen einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 und stellen die Frage nach dem Vertretenmüssen im Rahmen des § 280 Abs. 1 Satz 2.383 Die Konstellation berührt erkennbar das Grundlagenproblem der Abgrenzung zwischen dem Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 und der verschuldensabhängigen Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1.384 Das Problem liegt darin, dass die nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 geschuldete Beseitigung der Störung in vielen Fällen nahe an eine Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 heranreicht. Naturalrestitution kann jedoch nur im Wege des Schadensersatzes, also grundsätzlich nur bei einem Vertretenmüssen, gewährt werden. Mit der Einführung des § 275 Abs. 2 Satz 2, den der BGH vorliegend auf den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 anwendet, hat der Streit jedoch erheblich an praktischer Bedeutung verloren. Denn problematisch sind regelmäßig nur die Fälle, in denen der Beseitigungsaufwand nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 für den Störer so hoch ist, dass er die Einrede aus § 275 Abs. 2 Satz 1 erhebt. Dann aber kommt es bei der Bestimmung des groben Missverhältnisses zwischen Gläubigerinteresse und Schuldneraufwand nach § 275 Abs. 2 Satz 2 ebenfalls auf ein Vertretenmüssen des Störers an. Im Rahmen des Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wirkt das Vertretenmüssen dabei ebenso anspruchsbegründend wie im Rahmen des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 nach § 275 Abs. 2 Satz 2. Vorliegend bejaht der BGH übrigens ein Vertretenmüssen mit der Überlegung, dass das Verbringen der stattlichen Menge von 4.000 Litern vergiftetem Biodünger innerhalb von 6 Jahren bei dieser Fläche dafür spreche, dass der Pächter hier an einer illegalen Entsorgung von Giftmüll mitgewirkt habe (Tz. 16). Dünge er aber das Grundstück mit Hilfe eines Dritten, sei dieser Erfüllungsgehilfe des Pächters im Hinblick auf die Wahrung der Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 (Tz. 19). Ähnliches muss dann im Rahmen des § 1004 Abs. 1 Satz 1 im Hinblick auf § 275 Abs. 2 Satz 2 gelten.

Im Schrifttum ist umstritten, an welche Pflichtverletzung die Schadensersatzhaftung des Mieters bei Beschädigung oder Zerstörung der Mietsache anknüpft. Nach einer Auffassung soll der Mieter wegen Verletzung der Rückgabepflicht aus § 546 Abs. 1 verantwortlich sein.385 Fälle wie die vorliegenden zeigen jedoch, dass es schlicht darum geht, dass der Mieter gegenüber dem Vermieter eine Schutzpflicht nach § 241 Abs. 2 verletzt hat. Dafür spricht, dass regelmäßig auch Vermieteransprüche aus § 823 Abs. 1 in Betracht kommen, im Rahmen derer allein die Integritätsbeeinträchtigung an der Sache des Vermieters im Vordergrund steht, nicht aber die Gefährdung eines Herausgabeanspruchs. Deshalb hängt der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 auch nicht von einer Nachfristsetzung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 im Hinblick 383 BGH NZM 2010, 442, Tz. 5 (Senat für Landwirtschaftssachen); BGH ZMR 2010, 431, Tz. 3 (IV. Senat). 384 Vgl. zu den unterschiedlichen Ansätzen: Staudinger/Gursky § 1004 Rn. 137ff. 385 Stieper ZGS 2011, 557, 558.

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auf die Rückgabepflicht aus § 546 Abs. 1 ab.386 Denn der Vermieter kann in diesen Fällen jederzeit nach § 823 Abs. 1 ohne Fristsetzung vorgehen; gegenüber dem eigenen Vertragspartner darf er aber auf der Grundlage des § 280 Abs. 1 Satz 1 nicht schlechter stehen als gegenüber einem Fremden auf der des § 823 Abs. 1 (vgl. Rn. 340).387 Auch der BGH verlangt nur die Fristsetzung nach § 250 für den Übergang vom Anspruch auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1) zum Geldersatz.388 b) Das Kündigungsrecht bei vertragswidrigem Gebrauch nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 und § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 963

Nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 steht dem Vermieter das Recht zur ordentlichen Kündigung zu, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Dazu zählt vor allem ein schwerwiegender vertragswidriger Gebrauch der Mietsache (vgl. auch die Fälle Rn. 960f.): (BGH 14.7.2009 – VIII ZR 165/08 = NJW 2009, 3157) M hat von V eine 2-Zimmer-Wohnung „zu Wohnzwecken“ gemietet, betreibt aber von dieser aus ein Büro als Immobilienmakler. Auf die Aufforderung des V, dies zu unterlassen, reagiert M nicht, worauf V wegen fortgesetzter gewerblicher Nutzung kündigt und Räumung verlangt. Der Räumungsanspruch nach § 546 Abs. 1 setzt eine wirksame Kündigung wegen vertragswidrigen Gebrauchs nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 voraus.

Im Vorfeld der Entscheidung hatte die Rechtsprechung bei der Konkretisierung der in § 573 Abs. 2 Nr. 1 vorausgesetzten nicht unerheblichen Vertragspflichtverletzung teilweise darauf abgestellt, ob die berufliche Tätigkeit den Schwerpunkt des Wohnungsgebrauchs darstellte389 bzw. ob von einer regelmäßigen, kommerziellen Nutzung durch den Mieter auszugehen sei.390 Vorliegend beschreitet der BGH jedoch einen anderen, überzeugenderen Weg: Danach kommt es für die Erheblichkeit der Vertragspflichtverletzung entscheidend darauf an, ob die berufliche Nutzung nach außen hin in Erscheinung tritt, indem der Mieter die Wohnung als seine Geschäftsadresse angibt, dort Kunden empfängt und Mitarbeiter beschäftigt (Tz. 13). Dadurch will das Gericht die Tätigkeit von Lehrern (Unterrichtsvorbereitung), Telearbeitern und Schriftstellern vom Anwendungsbereich des § 573 Abs. 2 Nr. 1 ausnehmen (Tz. 14), weil diese den Vermieter nicht stören. Vielmehr könne der Vermieter im Einzelfall nach Treu und Glauben verpflichtet sein, eine Erlaubnis zur teilgewerblichen Nutzung zu erteilen. Dies gelte insbesondere, wenn keine Mitarbeiter in der Wohnung beschäftigt würden und kein ins Gewicht fallender Kundenverkehr stattfinde (Tz. 15). In der Tat muss die Frage gestellt werden, welche schutzwürdigen Interessen der Vermieter an einer Unterbindung der gewerblichen 386 387 388 389 390

Anders Stieper ZGS 2011, 557, 559f. Oechsler NZM 2004, 881, 888; ähnlich Schmidt-Futterer/Streyl § 546a BGB Rn. 83. BGH NZM 2010, 442, Tz. 8f. LG Hamburg WuM 1985, 263. LG Berlin NJW-RR 1993, 907, 908.

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Tätigkeit des Mieters haben kann. Diese könnten einerseits in einem Anspruch auf eine höhere Miete bei gewerblicher Nutzung liegen, die den Sätzen im Bereich der Geschäftsraummiete entspricht. Zur Durchsetzung dieser Interessen ist § 573 Abs. 2 Nr. 1 aber wegen des Verbots des § 573 Abs. 1 Satz 2 schlicht ungeeignet; hier käme – bei nachträglich eintretender gewerblicher Nutzung – viel eher ein Vertragsanpassungsanspruch nach § 313 Abs. 1 in Betracht. Ansonsten darf der Vermieter aber – wie in der Entscheidung ausgeführt – verhindern, dass seine Immobilie über das beim privaten Bewohnen hinausgehende Maß beeinträchtigt wird. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Eine spektakuläre Weiterung erfuhr die Problematik im Falle einer als Tagesmutter tätigen Mieterin: (BGH 13.7.2012 – V ZR 204/11 = NJW-RR 2012, 1292) M ist Mieterin einer im Wohnungseigentum der V stehenden Wohneinheit. W, eine andere Wohnungseigentümerin, die derselben Gemeinschaft angehört, verlangt von V, gegen M vorzugehen, weil diese als Tagesmutter fünf Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren von 7.00 bis 19.00 Uhr betreut. Sie verweist dabei auf die Teilungserklärung über die Errichtung des Wohneigentums. In dieser heißt es: „Die Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung ist nur mit Zustimmung des Verwalters zulässig. Die Zustimmung darf nur aus wichtigem Grund verweigert werden. Als wichtiger Grund für die Verweigerung der Zustimmung gilt insbesondere, wenn die Ausübung des Gewerbes oder Berufs eine unzumutbare Beeinträchtigung anderer Wohnungseigentümer oder Hausbewohner befürchten lässt.“ Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat am 28.9.2009 der V die Tätigkeit ihrer Mieterin M durch Beschluss untersagt. Diesen hat V nicht angefochten. So stellt sich die Frage, ob ein Anspruch der W gegen V auf Einschreiten gegenüber M besteht. W kann ein Anspruch gegen V aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm. § 15 Abs. 3 WEG zustehen. Nach § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile und des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen, und, soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht.

Der BGH stellt vorliegend vor allem darauf ab, dass die Wohnungseigentümerin die Anfechtungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG nicht beachtet hatte, sodass der Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft ihr gegenüber bindend geworden sei (Tz. 9). Dagegen sprechen jedoch zwei Überlegungen: Auch dieser Beschluss kann wegen Verletzung der Grundrechte der Mieterin aus Art. 12 GG nach § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nichtig sein. Hinzu kommt, dass die Wohnungseigentümerin sich gegen die aus dem Beschluss resultierende Verpflichtung mit der Einwendung aus § 275 Abs. 1 verteidigen kann, wenn sie der Mieterin die Tätigkeit als Tagesmutter nicht nach § 541 untersagen darf bzw. wenn sie kein Kündigungsrecht nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 hat. In der Sache kommt es daher auf die Aussagen über den vertragswidrigen Gebrauch durch die Mieterin an. Dazu führt das Gericht aus, dass zum Wohnen auch die Möglichkeit zähle, neben den eigenen Kindern fremde Kinder zu betreuen, etwa bei regelmäßigen Besuchen von Freunden oder im Wege der Nachbarschaftshilfe. Hiervon sei jedoch die Nutzung der Wohnung zur werktäglichen Erbringung

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von Betreuungsdienstleistungen gegenüber Dritten in Form einer Pflegestelle für bis zu fünf Kleinkinder zu unterscheiden (Tz. 7). Geht man indes von der Rechtsprechung des VIII. Senates aus (Rn. 963), liegt darin nicht das entscheidende Kriterium. Vielmehr dürfte es darauf ankommen, ob die berufliche Tätigkeit der Tagesmutter nach außen in Erscheinung tritt: Dies ließe sich bejahen, weil die Kinder täglich von ihren Angehörigen abgegeben und abgeholt werden. Fraglich ist jedoch, inwieweit dadurch eine erhebliche Störung in der Wohnanlage entsteht. Fraglich ist ferner, ob der durch die Kleinkinder verursachte Lärm berücksichtigt werden darf. Dagegen spricht, dass die Gemeinschaft der Mieterin kaum untersagen könnte, fünf eigene Kinder mit vergleichbarer Lärmbelästigung in der Wohnung aufzuziehen! Hier entfaltet nämlich § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG, der unmittelbar nur in § 906 Abs. 1 Satz 2 anwendbar ist, Indizwirkung: Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen hervorgerufen werden, stellen im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung dar. Deshalb erscheint der Beschluss entgegen der Auffassung des BGH nach § 23 Abs. 4 WEG nichtig. Nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 steht dem Vermieter schließlich ein Kündigungsrecht in Sonderfällen des vertragswidrigen Gebrauchs zu, nämlich, wenn der Mieter die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet oder sie unbefugt Dritten überlässt. c) Die Verjährung nach § 548 Abs. 1

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Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 verjähren die Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache in sechs Monaten, wobei die Verjährung in dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Vermieter die Sache zurückerhält (Satz 2). Wie im Fall des § 548 Abs. 2 liegt der Zweck der Norm darin, „zeitnah zur Rückgabe der Mietsache eine möglichst schnelle Klarstellung über bestehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache zu erreichen.“391 Deshalb handelt es sich auch hier um eine Sonderverjährung nach § 200, die die Regelverjährung nach §§ 195, 199 weitgehend verdrängt (zu den Einzelheiten Rn. 890ff.). Deshalb sind der analogen Anwendung der Norm enge Grenzen gesetzt: (BGH 29.6.2011 – VIII ZR 349/10 = NJW 2011, 2717) M hatte von V eine Wohnung im Rahmen eines größeren Gebäudes gemietet, das der Wohnungseigentümergemeinschaft W gehört. Nach Kündigung des Mietvertrags zieht M am 28.6.2008 aus. Dabei beschädigt er den Aufzug des Gebäudes. W verlangt im Dezember 2009 Schadensersatz von M. Dieser beruft sich indes auf Verjährung. In Betracht kommt ein Anspruch der W – einer teilrechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705)392 – aus § 823 Abs. 1. Der im Gemeinschaftseigentum nach § 1 Abs. 5 WEG stehende Aufzug wurde von M rechtswidrig und schuldhaft beschädigt. Fraglich ist nur, ob M sich auf Verjährung nach § 548 Abs. 1 berufen kann. 391 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 45, rechte Spalte; vgl. hier nur BGH NJW 2011, 1866, Tz. 15; Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 1 mwN. 392 BGHZ 163, 154, 158ff.

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§ 548 Abs. 1 ist zunächst auch auf den Anspruch aus § 823 Abs. 1 anwendbar (Tz. 12),393 weil in den von § 548 Abs. 1 erfassten Fallkonstellationen stets vertragliche und deliktische Ansprüche miteinander konkurrieren. Der Normzweck des § 548 Abs. 1 würde daher schlicht leerlaufen, wenn nur vertragliche Ansprüche der kurzen Verjährung unterliegen würden. Problematisch ist jedoch, ob auch Ansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft der Verjährung nach § 548 Abs. 1 unterworfen sind. Nach Auffassung des BGH dient § 548 Abs. 1 der beschleunigten Klärung von Ansprüchen, weshalb der Anwendungsbereich der Norm eigentlich weit zu fassen sei (Tz. 12). Dieses Klärungsinteresse ist vorliegend jedoch nicht maßgeblich. Denn die Wohnungseigentümergemeinschaft hat sich dem Mieter gegenüber nicht vertraglich gebunden und muss daher keine Einschränkungen ihrer Rechte aus § 823 Abs. 1 dulden (Tz. 19ff.). Die Verjährung richtet sich daher nach §§ 195, 199. Dies zeigt, dass die Anwendung des § 548 wohl in beiden Absätzen eine wirksame Bindung der Parteien durch einen Mietvertrag voraussetzt. Kommt dieser etwa wegen Willensmängeln iSd. §§ 105ff. nicht zustande, dürfte die Normanwendung daher ebenfalls scheitern. Ansonsten wendet das Gericht die Norm jedoch auch zu Lasten Dritter an, die infolge enger wirtschaftlicher Verflechtung mit dem Vermieter ihr Eigentum dem Mieter zwecks Erfüllung der Vermieterpflicht zur Verfügung stellten: In einem Fall hatte der BGH § 548 Abs. 1 auf die Ansprüche einer MutterGmbH aus § 823 Abs. 1 angewendet. Deren Tochter-GmbH hatte dem Mieter ein Fahrzeug der Mutter-GmbH vermietet; beide Gesellschaften hatten zudem denselben Geschäftsführer.394 Für den Verjährungsbeginn kommt es schließlich darauf an, in welchem Zeitpunkt der Vermieter die Sache zurückerhält: (BGH 12.10.2011 – VIII ZR 8/11 = NJW 2012, 144) M hatte über 30 Jahre lang eine Wohnung des V bewohnt. Nachdem es zum Zerwürfnis kommt, kündigt M die Wohnung wirksam zum 30.9.2007. Am 1.7.2007 hat M die Wohnung allerdings bereits geräumt und will den Schlüssel V übergeben, der dies ablehnt. Darauf wirft M den Schlüssel noch am selben Tag in den Briefkasten des V. Am 19.3.2008 erhebt V Schadensersatzklage, weil M die Elektroinstallation in der Garage so verändert hat, dass diese nicht mehr sicher ist. M beruft sich auf Verjährung.

Nach § 548 Abs. 1 Satz 2 beginnt die sechsmonatige Verjährung in dem Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Sache zurückerhält. Üblicherweise setzt dies die Wiedererlangung des Besitzes durch den Vermieter voraus, weil erst die durch § 854 Abs. 1 vermittelte Sachherrschaft es dem Vermieter erlaubt, sich ein umfassendes Bild von Schäden iSd. Norm zu machen (Tz. 14). Dies war vorliegend eigentlich gewährleistet, da der Vermieter den Schlüssel vorzeitig zurückerhielt und damit vor allem auch die Garage inspizieren konnte. Dennoch braucht sich der Vermieter nach Ansicht des BGH nicht auf eine Vorverlagerung der Übergabe, sozusagen eine Übergabe auf Zuruf, einzulassen (Tz. 19). 393 Zuvor BGH NJW 2006, 2399; ganz hM.; vgl. nur Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 6 mwN. 394 Dazu BGHZ 116, 293 = NJW 1992, 1820, 1821.

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Deshalb beginnt die Verjährung erst zum regulären Vertragsende (Tz. 20). Man könnte dieser Betrachtungsweise einen Rechtsgedanken aus § 271 Abs. 2 entgegenhalten, wonach bei Vereinbarung einer Leistungszeit der Schuldner im Zweifel vorzeitig erfüllen darf. Eher passt jedoch ein Argument aus § 162 Abs. 2: Der Mieter kann einen früheren Verjährungsbeginn und damit ein vorzeitiges Verjährungsende nicht entgegen der im Vertrag vereinbarten Leistungszeit (§ 573d Abs. 1 Satz 1) erzwingen. Der Vermieter braucht sich nämlich nicht auf die unklaren Besitzverhältnisse während der Zwischenzeit einzulassen, weil er hier uU. den Vorwurf eines Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) von Seiten des Mieters riskiert. Entsprechend dem Normzweck bedeutet Zurückerhalten in § 548 Abs. 1 Satz 2 nicht dasselbe wie die Rückgabe nach § 546; deshalb wird teilweise vertreten, eine Räumung sei für den Verjährungsbeginn nicht erforderlich.395 Dafür spricht, dass der Mieter den Verjährungsbeginn durch zögerliche Räumung nicht beeinflussen darf. Der BGH396 lässt allerdings die Rückgabe der Schlüssel an den Hauswart nicht genügen: Dessen Kenntnis von der Besitzaufgabe des Mieters und der freien Begehbarkeit durch den Vermieter ist letzterem nämlich nicht nach § 166 Abs. 1 zuzurechnen, da der Hauswart nicht Vertreter des Vermieters in dieser Sache ist. Häufig entstehen Schadensersatzansprüche des Vermieters erst nach einer Fristsetzung gem. § 281 und dem anschließenden Schadensersatzverlangen nach § 281 Abs. 4. Da die Verjährungsfrist nach § 548 Abs. 1 Satz 1 sehr frühzeitig beginnt, könnte daher theoretisch die Rechtsfolge des § 214 eintreten, bevor der Schadensersatzanspruch überhaupt fällig ist.397 Dies entspricht jedoch der Parallelproblematik des § 548 Abs. 2 (Rn. 890) und ist aufgrund des Charakters von § 548 Abs. 1 als Sonderverjährung (§ 200) hinzunehmen. Schließlich finden auf § 548 Abs. 1 die allgemeinen Verjährungsregelungen Anwendung, etwa die über die Hemmung nach §§ 203ff.: Die kurzzeitige Rückgabe der Mietsache an den Mieter zwecks Durchführung der Schönheitsreparatur und ähnlichem begründet indes keine Hemmung.398 Nach § 548 Abs. 1 Satz 3 verjähren die Ersatzansprüche in jedem Fall mit der Verjährung des Anspruchs des Vermieters auf Rückgabe der Mietsache. Die Norm wiederholt im Grunde den Rechtsgedanken des § 217, ist aber von geringer praktischer Relevanz, da der Herausgabeanspruch aus § 546 gem. § 195 in drei Jahren verjährt.399

395 Krapf, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 344, 345. 396 BGH NJW 2014, 684, Tz. 17; dazu Streyl NJW 2014, 665. 397 BGHZ 162, 30 = NJW 2005, 739, 740; Jacoby, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 337,

338f. 398 OLG Düsseldorf DWW 2007, 246; Schmidt-Futterer/Streyl § 548 BGB Rn. 60. 399 Staudinger/Emmerich § 548 Rn. 38.

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5. Besondere Duldungsansprüche gegen den Mieter a) Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen

Allgemeine Duldungsansprüche gegen den Mieter entstehen durch Beschränkung seines Anspruchs auf Gebrauchsgewährleistung nach § 535 Abs. 1 Satz 2 (Rn. 815a). Nach § 555a Abs. 1 muss der Mieter ferner Maßnahmen dulden, die der Instandhaltung und Instandsetzung dienen. Diese Erhaltungsmaßnahmen hat der Vermieter dem Mieter nach § 555a Abs. 2 rechtzeitig anzukündigen, es sei denn sie wären nur mit unerheblichen Einwirkungen auf die Sache verbunden oder ihre sofortige Durchführung wäre zwingend erforderlich. Ähnliches gilt für Modernisierungsmaßnahmen (§ 555b). Hier ist die Maßnahme spätestens drei Monate vor ihrem Beginn in Textform anzukündigen (§ 555c). (BGH 28.9.2011 – VIII ZR 242/10 = NJW 2012, 63) Vermieter V will an der Westseite eines Münchener Mehrfamilienhauses Balkone anbringen. Von M fordert er Duldung der Anbringung und macht in diesem Zusammenhang folgende Vorankündigung: „Installation von Heizung und Elektroinstallation im betroffenen Wandbereich“. Ferner ist das Datum des Baubeginns, die mit 6 Wochen geplante Bauzeit sowie der Betrag der voraussichtlichen Mieterhöhung genannt. M verweigert die Duldung dieser Maßnahmen, da die Angaben zu unbestimmt seien. Die von V angestrebte Maßnahme führe nämlich zu einer Verlegung einer Sammelheizung, weshalb die Anzahl, die Bauart und der Ort der Aufstellung der Heizkörper sowie der horizontale und vertikale Verlauf der Rohrleitungen benannt werden müssten.

Mit seinen Einwänden kann der Mieter das Projekt des Vermieters kaum endgültig verhindern, wohl aber um mindestens die in § 555c Abs. 1 vorausgesetzten drei Monate verschieben. Ist nämlich die erste Ankündigung unwirksam, müssen nach einer zweiten ebenfalls drei Monate bis zum Beginn der Maßnahme abgewartet werden. Hier besteht die für das Mietrecht typische Gefahr, dass eine latente, nicht immer auf Sachgründen beruhende Konfliktbereitschaft zwischen den Vertragsparteien sich an einem Nebenaspekt entzündet (Rn. 805): Der Streit um die ungewollte, aber hinzunehmende Modernisierungsmaßnahme und die nach § 559 zu erwartende Mieterhöhung droht sich auf eine Auseinandersetzung um die Wirksamkeit ihrer Ankündigung zu verlagern. Vorliegend geht es nicht um eine Erhaltungsmaßnahme, da die Baumaßnahme weder der Instandhaltung noch der Instandsetzung (zu beiden Rn. 816f.) dient, sondern die Mietwohnung verändert werden soll. Nach § 555b dürfen aber auch Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden, die den Gebrauchswert der Mietsache nachhaltig erhöhen. Dies bejaht der BGH noch auf der Grundlage des § 554 Abs. 3, weil ein Balkonanbau im städtischen Bereich der Wohnwertverbesserung diene (Tz. 24). Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der Vermieter seiner Mitteilungspflicht nach § 555c Abs. 1 genügt hat. Die Norm setzt voraus, dass der Vermieter dem Mieter spätestens drei Monate vor Beginn der Maßnahme deren Art sowie den voraussichtlichen Umfang und den Beginn, die voraussichtliche Dauer und die zu erwartende Mieterhöhung nach § 559 in Textform mitteilt. Der BGH erkennt in der Mitteilungspflicht nach § 555c Abs. 1 zunächst keine inhaltliche Einschränkung der Duldungspflicht

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des Mieters nach § 555d Abs. 1, sondern nur einen ergänzenden Schutz des Mieters (Tz. 31). Daher genüge es, dass die Ankündigung bei Anlegung objektiver Maßstäbe geeignet sei, dem Mieter ein hinreichendes Bild von dem zu vermitteln, was mit der geplanten Balkonanbringung voraussichtlich an Änderungen auf ihn zukommt (Tz. 32). Dazu aber bedarf es der vom Mieter verlangten Angaben nicht. Durch Herabsetzung der Voraussetzungen an die Ankündigung der Modernisierungsmaßnahme wird so eine Verlagerung des Interessenkonflikts auf Verfahrensfragen verhindert. Welches Konfliktpotenzial selbst kleineren Modernisierungsmaßnahmen innewohnt, zeigt der Fall eines Vermieters, der zwei funkbasierte Lesegeräte in der Mietwohnung zur Bestimmung des Warm- und Kaltwasserbedarfs einbauen will. Der Mieter verwehrt ihm den Zugang, da er keine funkbetriebenen Geräte wünscht und die gesundheitlichen Auswirkungen von Funkwellen fürchtet. Im Katalog des § 555b fehlt eine ausdrückliche Ermächtigung für diesen Fall, da der Einbau von Lesegeräten nicht der Einsparung von Energie (Nr. 1 und 2) und der Verringerung des Wasserverbrauchs (Nr. 3) dient, sondern nur der Ermittlung des einschlägigen Verbrauchs. Deshalb leitet der BGH einen Anspruch aus § 4 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz HeizkostenVO wegen des Kaltwassergeräts her und bejaht im Übrigen einen Duldungsanspruch wegen der Wohnwertverbesserung (§ 555b Nr. 5). Die gesundheitlichen Befürchtungen weist er als naturwissenschaftlich unbegründet zurück.400 b) Die Umlage von Modernisierungskosten (§ 559 Abs. 1)

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Nach § 559 kann der Vermieter bei der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen die Miete um 11 Prozent401 der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen. Der Gesetzgeber mutet dem Mieter eine Beteiligung an Modernisierungskosten aber nicht zu, wenn diese ihm bei abstrakter Betrachtungsweise nicht persönlich nutzen. Deshalb kann er nicht an den Kosten beteiligt werden, wenn in Bezug auf die Mietsache nicht erneuerbare Primärenergie eingespart wird (Fall des § 555b Nr. 2) oder wenn durch die Modernisierungsmaßnahme neuer Wohnraum geschaffen wird (§ 555b Nr. 7). Die einschneidende Rechtsfolge des § 559 Abs. 1 versucht der Gesetzgeber durch eine Härtefallregelung in § 559 Abs. 4 abzumildern. Darüber hinaus steht dem Mieter ein Sonderkündigungsrecht nach § 555e zu, mit dem er sich nicht nur vor der erhöhten Miete schützen kann, sondern auch vor den mit der Modernisierungsmaßnahme einhergehenden Gebrauchsbeeinträchtigungen. Nach § 555a Abs. 3 schuldet der Vermieter dem Mieter schließlich Ersatz der Aufwendungen, die der Mieter infolge der Modernisierungsmaßnahme treffen

400 BGH NJW 2011, 3514, Tz. 12ff. zur Rechtsgrundlage und Tz. 25 zu der vermeintlichen Gesundheitsgefährdung; nun zum Anbringen von Rauchmeldern: BGH NJW 2015, 2487 und BGH NJW 2015, 2488. 401 Die 2016 angestoßene Mietrechtsnovelle will diesen Satz auf 8 Prozentpunkte senken.

V. Die Vermieterrechte

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muss. Umstritten ist das Verhältnis dieses Aufwendungsersatzanspruchs zur Umlage der Modernisierungskosten nach § 559 Abs. 1: (BGH 30.3.2011 – VIII ZR 173/10 = NJW 2011, 1499) V will in der von M gemieteten Wohnung einen Wasserzähler einbauen. Dies führt aufgrund der baulichen Gegebenheiten dazu, dass eine Neutapezierung der gerade erst von M renovierten Küche erforderlich wird. M verlangt deshalb einen Vorschuss für die in Eigenleistung entstehenden Aufwendungen für die Tapezierung iHv. 144,30 €, den V dem M auch gewährt. Nachträglich legt V jedoch 11% der 144,30 € und der sonstigen Aufwendungen für die Montage des Wasserzählers auf M als Modernisierungskosten um. Zu Recht? Der Anspruch des V beruht auf § 559 Abs. 1, weil der Einbau eines Wasserzählers eine Modernisierungsmaßnahme darstellt (Tz. 10), aufgrund derer eine nachhaltige Erhöhung des Gebrauchswertes der Wohnung nach § 555b Nr. 4 eintritt (Rn. 970). Die Tapezierarbeiten zählen dabei zu den Kosten der Maßnahme (Tz. 11).

Fraglich ist nur, ob der Aufwendungsersatzanspruch des Mieters gegen den Vermieter aus § 555a Abs. 3 nicht den Anspruch aus § 559 Abs. 1 verdrängt. Dies ist der Fall, wenn man § 555a Abs. 3 eine endgültige Entscheidung zu der Frage entnimmt, wer für bestimmte Kosten aufkommt.402 Der BGH folgt dieser Betrachtungsweise nicht, sondern stellt mit der Gegenauffassung403 darauf ab, dass es keinen Unterschied machen dürfe, ob der Vermieter die nach § 559 Abs. 1 angesetzten Mittel unmittelbar und selbst aufgewendet oder dem Mieter ersetzt habe (Tz. 15). Dies überzeugt, wenn man klar zwischen der Kostenentstehung und der Kostenumlage unterscheidet. Die Kosten der Modernisierungsmaßnahme entstehen allein beim Vermieter; dies stellt der Aufwendungsersatzanspruch nach § 555a Abs. 3 klar. Die Frage, welche der vom Vermieter zu tragenden Kosten aber auf den Mieter abgewälzt werden können, entscheidet sich wiederum allein nach § 559 Abs. 1. Diese Betrachtungsweise ist auch für den Mieter nicht unvorteilhaft: Durch Eigenleistung kann er nämlich die auf ihn umzulegenden Kosten der Modernisierungsmaßnahme gering halten. c) Störerhaftung des Mieters aus § 1004

Duldungsansprüche erwachsen dem Vermieter schließlich auch aus § 1004, wenn vom Mieterbesitz eine Störung ausgeht (vgl. bereits Rn. 960f.): (BGH 1.12.2006 – V ZR 112/06 = NJW 2007, 432) V hat eine Eigentumswohnung an M1 vermietet. Dieser baut in Absprache mit V, aber ohne Zustimmung der Miteigentümer nach § 22 Abs. 1 WEG den Balkon zu einem Wintergarten um. Mittlerweile ist das Mietverhältnis mit M1 beendet, und V hat einen neuen Mietvertrag mit M2 abgeschlossen. E, ein Miteigentümer, verlangt von M2 Duldung der Beseitigung des Wintergartens. Der Anspruch des E gegen M2 aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 beruht hier auf einer rechtswidrigen Eigentumsverletzung, weil bauliche Veränderungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG der Zustimmung des E bedürfen, die hier nicht vorlag. Fraglich ist allerdings, ob M2 Störer ist.

402 Staudinger/Emmerich § 559 Rn. 13a, 20a. 403 Schmidt-Futterer/Börstinghaus § 559 BGB Rn. 62; Mersson DWW 2009, 122, 128.

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Vorliegend kann die Störerhaftung nicht an eine Handlung des Nachmieters anknüpfen (Handlungsstörung); denn dieser hat den Wintergarten ja nicht selbst errichtet (Tz. 9).404 Fraglich ist jedoch, ob er als Zustandsstörer verantwortlich ist. Dies bejaht der BGH und knüpft dabei die Verantwortung nicht allein an das Besitzrecht bzw. in anderen Fällen an das Eigentum an (Tz. 11), sondern daran, dass der Zustandsstörer die Störung durch seinen maßgeblichen Willen aufrechterhalte (Tz. 12). Weil der Nachmieter aber die Beseitigung der Störung nach seinem Willen verhindere, sei er verantwortlich (Tz. 16f.). Hinzu tritt der Rechtsgedanke, dass der Nachmieter sein Besitzrecht gegenüber dem Eigentümer vom Vermieter ableite und daher keine weitergehenden Rechte als dieser haben könne (Tz. 18).405 Die Begründung der Zustandsstörerhaftung erfolgt im Schrifttum unterschiedlich. Teilweise knüpfen die Überlegungen an den Rechtsgedanken des § 908 an. Nach dieser Norm kann der Eigentümer Gefahrabwendungsmaßnahmen verlangen, wenn sein Grundstück durch den Einsturz eines Gebäudes bedroht ist. Schuldner ist in diesem Fall die Person, die nach §§ 836 Abs. 1, 837, 838 haftet, wenn es zum Schadenseintritt kommt. Verantwortlich ist danach in erster Linie der Grundstücksbesitzer (§ 836).406 Diese Überlegungen bestätigen die Verantwortlichkeit eines Besitzers, der eine Störung aufrechterhält. Die Gegenauffassung geht hingegen davon aus, dass allein der Eigentümer aufgrund seiner umfassenden Rechtsstellung aus § 903 Satz 1 verantwortlich sei, wenn von seinem Grundstück eine Gefahr für Andere ausgehe.407 Damit sind jedoch im Falle der Vermietung des Grundstücks praktische Durchsetzungsschwierigkeiten verbunden: Denn der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 würde sich gegen einen Eigentümer richten, der sich seinerseits erst gegenüber dem Besitzrecht des Mieters durchsetzen müsste. Dies ist wegen des vertragswidrigen Gebrauchs durch den Mieter zwar rechtlich möglich, bedeutet jedoch einen entbehrlichen Umweg. Bemerkenswert erscheint an dieser Entscheidung auch, dass der bei Vertragsschluss gutgläubige Nachmieter praktisch die Rechtsnachfolge der Störerhaftung des Vormieters antritt, wenn ihm der Eigentümer die tatsächlichen Voraussetzungen einer Störung nachträglich darlegt. Dadurch erlittene Nachteile kann der Mieter nur gegenüber dem Vermieter auf der Grundlage der §§ 536f. geltend machen. Wegen dieser weitreichenden Eingriffe in die Rechtsstellung des Mieters verfährt die Praxis im Hinblick auf den Inhalt des Beseitigungsanspruchs aus Zustandsstörerhaftung zurückhaltend: Den Nachmieter können nur Duldungspflichten, nicht aber echte Restitutionspflichten wie im Falle des von einem Vertretenmüssen abhängenden § 249 Abs. 1 treffen: In einem weiteren Fall wurde nämlich die Haftung des Mieters für die WiederanpflanZur Kritik am Konzept der Störerhaftung Staudinger/Gursky § 1004 Rn. 96ff. Zustimmend aufgrund der sog. Ursurpationslehre Katzenberger JZ 2008, 1129, 1131ff. Herrmann, Der Störer nach § 1004, 1987, S. 402ff. Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972, S. 129ff.; Staudinger/Gursky § 1004 Rn. 102 und 104 mwN. 404 405 406 407

V. Die Vermieterrechte

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zung von zwei Bäumen verneint, die der Vormieter rechtswidriger Weise entfernt hatte.408 d) Duldungspflichten der Mieter untereinander

Mieter können für sich grundsätzlich keine Schutzwirkungen aus den Mietverträgen ihres Vermieters mit anderen Mietern herleiten (Rn. 831). Duldungspflichten zwischen Mietern bestehen daher nur insoweit, als der eine Mieter gerade keinen negatorischen Beseitigungsanspruch wegen Besitzstörung (§ 862) gegen den anderen geltend machen kann. Wie im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter gilt auch bei der Konkretisierung des § 862 innerhalb des Mieterkreises der Vertrauensgrundsatz: Wer sich selbst rechtmäßig verhält, darf sich auf ein ähnliches Verhalten beim Mitmieter einstellen (Rn. 960). Maßgeblich ist jeweils der Erwartungshorizont eines objektiven Beobachters; dieser darf aber nur ein durchschnittliches Verhalten beim Mitmieter erwarten. Letztlich können die Grenzen des § 862 dabei nur im Wege der Abwägung zwischen den widerstreitenden Mieterinteressen ermittelt werden. Der BGH409 geht davon aus, dass sich Duldungspflichten auch aus dem Mietvertrag und einer dort in Bezug genommenen Hausordnung ergeben können (Tz. 8). Tabakrauch ist etwa in den Grenzen des § 906 hinzunehmen (Tz. 10). Auch ein durch das Rauchen gestörter Mieter muss auf das Recht des anderen, rauchenden Mieters Rücksicht nehmen, seine Wohnung vertragsgemäß zu nutzen (Tz. 16f.). Der Raucher muss dem Nachbarn allerdings auch Zeiträume freihalten, in denen dieser seinen Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen kann (Tz. 18).

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6. Der Anspruch auf Rückgabe der Mietsache; Räumungsanspruch a) Überblick

Nach § 546 Abs. 1 ist der Mieter verpflichtet, die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses an den Vermieter zurückzugeben. Dies ist nicht nur bei ordentlicher Beendigung des Mietverhältnisses (Fristablauf, ordentliche Kündigung), sondern auch im Falle der außerordentlichen Kündigung der Fall. Regelmäßig steht dem Vermieter dann auch ein Herausgabeanspruch aus § 985 zu, wenn er zugleich Eigentümer der Mietsache ist. Denn das Besitzrecht des Mieters nach § 986 Abs. 1 Satz 1 geht mit Beendigung des Mietverhältnisses unter. In der Praxis wird der Räumungsanspruch des Vermieters jedoch bevorzugt auf § 546 Abs. 1 gestützt, weil der Weg über § 985 keine Vorteile bringt: Auch im Rahmen des § 986 Abs. 1 Satz 1 müsste nämlich geprüft werden, ob der Mietvertrag noch fortbesteht und ein Recht zum Besitz verleiht.410

408 OLG München NZM 2003, 445. 409 BGH NJW 2015, 2023: die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. 410 Dazu Szabó, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 292, 299.

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b) Leistungsstörungen 977

Gibt der Mieter die Mietsache nicht zurück, so kann der Vermieter nach § 546a Abs. 1 für die Zeit der Vorenthaltung die vereinbarte oder die ortsübliche Miete verlangen (vgl. zum Finanzierungsleasing Rn. 747). Bei der Norm handelt es sich um einen Anspruch vertraglicher oder vertragsähnlicher Art, der an die Stelle des alten Anspruchs auf die Miete (§ 535 Abs. 2) tritt.411 (BGH 27.5.2015 – XII ZR 66/13, NJW 2015, 2795) V hat M Geschäftsräume für den Betrieb eines Lebensmittelgeschäfts vermietet und diesen Mietvertrag wirksam zum 31.5.2010 gekündigt. Im April 2011 wurde M rechtskräftig zur Räumung verurteilt. M räumte das Mietobjekt erst im April 2012. Den Entschädigungsansprüchen des V für den Zeitraum vom September 2011 bis April 2012 hält M entgegen, dass es in diesem Zeitraum aufgrund eines Mangels der Dachkonstruktion in fünf Fällen zu Wasserschäden in den Geschäftsräumen gekommen sei und macht insoweit eine Minderung geltend.

Eine Minderung des Entschädigungsanspruchs nach § 546a Abs. 1 gem. § 536 Abs. 1 Satz 1 analog schließt der BGH aus; denn die Mietminderung ist Rechtsfolge der Verletzung der Gebrauchsgewährleistungspflicht des Vermieters aus § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2, die nach Vertragsende nicht mehr besteht (Tz. 13). Die Gegenauffassung stellt dagegen auf das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung ab. Wenn der Vermieter eine Entschädigung iHd. vollen Miete beanspruche, müsse er auch die Mängel der Mietsache beseitigen.412 Dem hält der BGH den Zweck des § 546a Abs. 1 entgegen, Streitigkeiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs zu beenden (Tz. 20) und Druck auf den Mieter in Hinblick auf eine Räumung auszuüben (Tz. 21). Nur im Ausnahmefall komme daher nach Treu und Glauben (§ 242) eine Herabsetzung in Betracht, wenn nachvertragliche Pflichten zur Abwendung akuter und schwerwiegender Gefahren für Leib, Gesundheit und hohe Eigentumswerte bestünden (Tz. 26) und der Mieter während eines Streits um die Wirksamkeit der Kündigung aus nachvollziehbaren Gründen von einem Besitzrecht ausgehe; denn in allen übrigen Fällen hat er es selbst in der Hand, durch Räumung die Gefahr zu beseitigen (Tz. 27). § 546a Abs. 2 eröffnet dem Vermieter die Möglichkeit, einen weitergehenden Vorenthaltungsschaden geltend zu machen. Für die Wohnraummiete werden die Rechtsfolgen der Norm in § 571 modifiziert. Mit Eintritt des Verzugs nach § 286 Abs. 1 Satz 1 tritt schließlich die verschärfte Haftung nach § 287 Satz 2 ein: Der Mieter ist jetzt auch für den zufälligen Untergang der Mietsache verantwortlich. Die Norm beruht auf dem Rechtsgedanken, der Verzug erzeuge einen „Dauerzustand des Unrechts, der den Eintritt der Unmöglichkeit begünstigt“, für dessen Aufrechterhaltung der Schuldner einzustehen hat.413 Deshalb kommt es nicht darauf an, dass der Untergang der

411 BGHZ 68, 307 = NJW 1977, 1335, 1336. 412 Schmidt/Futterer/Streyl § 546a Rn. 69. 413 Das Zitat stammt aus Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, § 47 Rn. 404, worauf Staudin-

ger/Reuter § 602 Rn. 3 hinweist.

V. Die Vermieterrechte

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Mietsache adäquat kausal auf den Verzug zurückgeht.414 Nach vereinzelt vertretener Auffassung soll diese Zufallshaftung auch greifen, wenn der Mieter die Sache ohne Zustimmung des Vermieters nach § 540 Abs. 1 Satz 1 einem Dritten zum Gebrauch überlassen hat, weil auch hier ein Dauerzustand des Unrechts aufrechterhalten werde.415 Dagegen spricht jedoch die fehlende Vergleichbarkeit in einem wesentlichen Punkt: Der durch Verzug begründete Unrechtszustand besteht im Umkehrschluss aus § 286 Abs. 4 nur solange, wie der Mieter die Verzögerung zu vertreten hat: Das Vertretenmüssen muss sich also über den gesamten Zeitraum der Verzugshaftung erstrecken. Dies ist im Falle eines Verstoßes gegen § 540 Abs. 1 Satz 1 nicht notwendig so, wenn der Mieter sich vergeblich um die Rückgewinnung der Mietsache bemüht. Im Übrigen sprechen die Spezialregelungen der §§ 540 Abs. 2, 546 Abs. 2 gegen eine Regelungslücke im Gesetz. c) Zwangskauf?

Erfüllt der Mieter die Rückgabepflicht nach § 546 Abs. 1 nicht, soll der Vermieter nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung416 Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach § 281 Abs. 1 Satz 3 in der Gestalt schulden, dass er dem Vermieter die Mietsache zum Verkehrswert abzunehmen hat. Diese Lehre vom Zwangskauf überzeugt indes nicht (vgl. Rn. 330): Da es bei der Miete nicht um Eigentums-, sondern um Besitzverschaffung geht, wäre der Ersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 3 konsequenterweise auf Überlassung des dauerhaften Besitzes gegen den kapitalisierten Restgebrauchswert der Sache gerichtet.417 Aber auch dagegen spricht, dass auf den Mieter ein zu starker Druck ausgeübt würde, sich nicht gegen eine Kündigung zur Wehr zu setzen, über deren Wirksamkeit er sich auch als Laie im fahrlässigen Rechtsirrtum befinden kann.418 In diese Richtung weist auch § 571 Abs. 1 Satz 2: Ein über die pauschale Ersatzpflicht nach § 546a hinausgehender Schadensersatz kommt nur in Betracht, wenn es die Billigkeit erfordert, was nur in seltenen Ausnahmefällen denkbar ist.419 Schließlich verdient Beachtung, dass es sich bei § 281 Abs. 1 Satz 3 um eine Kombination aus den Rechtsfolgen des Rücktritts und des Schadensersatzes handelt (arg. e § 281 Abs. 5). Auf den Mietvertrag sind aber wegen 414 Vgl. nur MünchKomm/Ernst § 287 Rn. 3; kritisch Stieper ZGS 2011, 557, 563. 415 Stieper ZGS 2011, 557, 564: analoge Anwendung des § 287 Satz 2 bei Überlassung an einen

Dritten, weil auch hier ein Dauerzustand des Unrechts bestehe. 416 Vgl. auch die Materialien: BT-Drucks. 14/6040, S. 139; als erster noch im Gesetzgebungsverfahren: U. Huber, in: Ernst/Zimmermann, S. 31, 42, Fn. 29; Anwaltskommentar/Dauner-Lieb § 281 Rn. 1; Dedek, in: Henssler/Graf von Westphalen, § 281 Rn. 7; Ehmann/Sutschet S. 108; Emmerich NZM 2002, 362, 367; Klinck, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 302ff.; Riehm, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 311ff. 417 BGH NJW 2016, 3235, Tz. 20ff.; Schmidt-Futterer/Streyl § 546a BGB Rn. 86; M. Schwab NZM 2003, 50, 51f. 418 Beispiel bei M. Schwab NZM 2003, 50. 419 Gruber WuM 2002, 252, 253; ähnlich Schmidt-Futterer/Streyl § 546a BGB Rn. 86; einschränkend insoweit auch Klinck, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 302, 309.

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§ 6 Miete und Pacht

seines Dauerschuldcharakters das Rücktrittsrecht und seine Rechtsfolgen nur bis zum Gefahrübergang (= Übergabe der Mietsache) anwendbar, danach nicht.420 d) Durchsetzung des Räumungsanspruchs 980

Kündigt der Vermieter dem Mieter wirksam, kann ihm der mietrechtliche Sozialschutz die Durchsetzung seines Räumungsanspruchs erschweren. Denn der Mieter kann der Kündigung durch Widerspruch nach § 574 begegnen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn und seine Familie eine Härte bedeutet, die auch unter Berücksichtigung der Vermieterinteressen nicht zu rechtfertigen ist. Dann besteht ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574a Abs. 1 Satz 1, solange die Ausnahmesituation andauert. Auch in der Zwangsvollstreckung, also wenn der Vermieter mit seinem Räumungsanspruch bei Gericht bereits durchgedrungen ist und einen Räumungstitel (§ 885 ZPO) erlangt hat, kann der Mieter nach § 765a ZPO Vollstreckungsschutz wegen besonderer Härte verlangen. Die Norm gebietet es etwa, zwischen dem Therapieerfolg eines suizidgefährdeten Räumungsschuldners und den Interessen des Gläubigers an einem effizienten Rechtsschutzsystem eine Abwägung zu treffen.421 Die eigentliche Räumung, für die im Falle des § 721 Abs. 5 ZPO eine Frist von bis zu einem Jahr gesetzt werden kann, erfolgte bislang im aufwendigen Verfahren nach § 885 ZPO (vgl. auch § 794a ZPO). Dies erklärt das Interesse des Vermieters an einer kalten Räumung: (BGH 14.7.2010 – VIII ZR 45/09 = NJW 2010, 3434) Mieter M ist ab 19.2.2005 für mehrere Monate unauffindbar. V kündigt darauf am 20.4.2005 das Mietverhältnis wegen Verzugs des M mit den Mietraten für März und April und wirft die Kündigung in den Briefkasten des M. Als V weiterhin nichts von M hört, verschafft er sich Zugang zur Wohnung und räumt diese leer. Dabei entsorgt er einen großen Teil der Einrichtung und lagert besonders wertvolle Gegenstände ein. M, der mittlerweile zurückgekehrt ist, verlangt von V 61.000 € wegen der entsorgten Einrichtungsgegenstände. V lehnt dies ab und bestreitet insbesondere, dass die entsorgten Gegenstände diesen Wert erreicht hätten.

Ob hier die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Mieters wegen der untergegangenen Wohnungseinrichtung aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 bzw. aus § 823 Abs. 1 vorliegen, ist im Hinblick auf den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens an die Adresse des Vermieters nicht zweifelsfrei. Denn die Kündigung des Vermieters auf der Grundlage des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a war wohl wirksam: Wenn der Mieter keinen triftigen Grund für sein „Abtauchen“ darlegen und beweisen kann, hat er insbesondere den Zahlungsverzug nach § 286 Abs. 4 zu vertreten. Dann entfällt aber das Besitzrecht des Mieters mit der Kündigung, sodass zumindest Zweifel daran entstehen, ob das Eindringen des Vermieters in dessen Wohnung als rechtswidrig anzusehen ist. Zwar handelt auch derjenige rechtswidrig, der den Besitz einer Person ohne Besitz420 Bamberger/Roth/Grüneberg, 1. Aufl. 2003, § 281 Rn. 63. 421 BVerfG NJW 2014, 2266; BVerfG NJW 2016, 3090; BGH NJW 2014, 2288.

V. Die Vermieterrechte

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recht entzieht (§ 858 Abs. 1).422 Vorliegend lag jedoch ein Fall der Selbsthilfe nach § 229 nahe: Wegen der langen Abwesenheit des Mieters, deren Ende nicht abzusehen war, musste der Vermieter zwangsläufig Verantwortung für die Wohnung übernehmen (zB. zwecks Ablesens des Stromzählers oder zur Verhinderung von Schäden). Weil der Vorwurf des Vertretenmüssens aber notwendigerweise an ein rechtswidriges Verhalten anknüpft, bestanden erhebliche Zweifel an den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Mieters gegen den Vermieter. Der BGH leitet die Ersatzpflicht des Vermieters jedoch aus § 231 her, der verschuldensunabhängigen Haftung für rechtsirrig durchgeführte Selbsthilfemaßnahmen nach § 229 (Tz. 9). Die Norm setzt voraus, dass der Schuldner in der irrigen Annahme gehandelt hat, dass die für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit vorhandenen Voraussetzungen vorgelegen hätten. Das Eindringen in die Wohnung aber sieht er – unabhängig vom Bestehen eines Besitzrechts – als verbotene Eigenmacht nach § 858 Abs. 1 und damit als einen Rechtsverstoß an (Tz. 9). Hieran bestehen die gerade geäußerten Zweifel. Der BGH nimmt allerdings eine Pflicht des Vermieters an, die Räumung gegenüber dem Mieter stets auf dem Klageweg durchzusetzen (Tz. 10). Dafür lassen sich immerhin der Schutz des Besitzrechts des Mieters nach Art. 14 GG (Rn. 803) und das öffentliche Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens anführen. Geht man davon aus, liegen die Voraussetzungen des § 231 vor und es stellt sich die Frage, wer die Beweislast für den Wert der vernichteten Einrichtungsgegenstände trägt. Diese liegt nach Auffassung des Gerichts beim Vermieter: Bei der Räumung trage dieser eine nachvertragliche Obhutspflicht für die Einrichtungsgegenstände des Mieters und müsse sich daher bei deren Untergang entlasten (Tz. 14). Ist dies nicht möglich, haftet der Vermieter vorliegend in voller Höhe! Der Gesetzgeber versucht den Anliegen des Vermieters durch eine erleichterte Räumung nach § 885a ZPO im Anschluss an das sog. Berliner Modell Rechnung zu tragen.423 Dazu zählt eine erleichterte Dokumentation durch den Gerichtsvollzieher mit digitalen Fotografien (Abs. 2 Satz 2), eine Verwahrungspflicht des Vollstreckungsgläubigers (Abs. 3 Satz 1) und das Recht zur Vernichtung von Sachen, an denen offensichtlich kein Interesse mehr besteht (Abs. 3 Satz 2). Dabei hat der Gläubiger nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten (Abs. 3 Satz 3).

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7. Die ordentliche Kündigung durch den Vermieter

Außerhalb des Wohnraummiet- und Arbeitsrechts zeichnet sich die ordentliche Kündigung dadurch aus, dass sie nur an die Einhaltung der Fristen, nicht aber an Sachgründe gebunden ist. Die besondere Schutzwürdigkeit des Mieters bei 422 MünchKomm/Joost § 858 Rn. 8. 423 Dazu auch BGH NJW 2010, 1135.

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§ 6 Miete und Pacht

der Wohnraummiete, wo es ja regelmäßig um den Lebensmittelpunkt einer Person geht, bringt es mit sich, dass auch die ordentliche Kündigung nur bei Vorliegen eines Sachgrundes zulässig ist. § 573 Abs. 1 Satz 1 knüpft dabei die Kündigung ganz allgemein an ein berechtigtes Interesse. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird in Abs. 2 anhand von drei Beispielen typisiert. Liegen die Voraussetzungen eines der drei Tatbestände vor, überwiegt das Vermieterinteresse die Belange des Mieters, ohne dass es auf eine weitere Abwägung ankommt.424 Ein berechtigtes Interesse an der Kündigung besteht danach bei einer nicht unerheblichen Pflichtverletzung durch den Mieter (Nr. 1), bei Eigenbedarf des Vermieters (Nr. 2) oder bei vorrangigen Verwertungsinteressen des Vermieters (Nr. 3). Hinzu tritt der Sonderfall des § 573a. Diese Beispiele lassen wiederum Rückschlüsse auf die Konkretisierung des § 573 Abs. 1 Satz 1 in sonstigen Fällen zu (vgl. auch den Fall unter Rn. 902): (BGH 8.5.2012 – XI ZR 437/11 = NJW 2012, 2342) M hat von V, dem Gesamtverband der evangelischen Kirchengemeinden in der Stadt D, eine Wohnung angemietet. V kündigt diese nach § 573 Abs. 1 Satz 1, weil er dort eine von der örtlichen Diakonie betriebene Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen einrichten will. M lehnt dies ab, weil V zu der Unterhaltung einer solchen Stelle nicht verpflichtet sei.

Bei juristischen Personen kommt kein Eigenbedarf iSd. § 573 Abs. 2 Nr. 2 in Betracht (vgl. jedoch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts: Rn. 986). Ihnen kann jedoch ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 1 Satz 1 zustehen, wenn die Kündigung der Umsetzung von Aufgaben dient, an deren Erfüllung ein erhebliches öffentliches Interesse besteht (Tz. 12). Fraglich ist dabei, ob die juristische Person nur dann kündigen darf, wenn sie zur Erfüllung dieser Aufgaben unmittelbar verpflichtet ist. Der BGH verneint dies mit einem systematischen Argument aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 (Tz. 13): Auch in den Fällen der Eigenbedarfskündigung wegen des Wohnbedarfs eines Angehörigen des Vermieters komme es nicht auf eine Verpflichtung des Vermieters zur Deckung diese Bedarfs an. § 573 Abs. 1 Satz 1 müsse aber nach denselben inhaltlichen Maßstäben konkretisiert werden wie die drei Tatbestände des Abs. 2. Dies überzeugt. a) Kündigung wegen Mieterverhaltens (§ 573 Abs. 2 Nr. 1) 984

Nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 besteht ein berechtigtes Interesse an der Kündigung, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Die Norm konkurriert in den Fällen des Zahlungsverzugs des Mieters mit § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 (dazu Rn. 1005ff.). Bei vertragswidriger Überlassung an Dritte findet sich ferner in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ein Spezialtatbestand (Rn. 961). (BGH 25.10.2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428) M hat im Jahr 2000 eine Wohnung von V gemietet. Laut Mietvertrag schuldet er einen Betriebskostenvorschuss von rund 150 €. Trotz wiederholter Aufforderungen legt V keine Belege über die in 2001 bis 2003 424 BGH NJW 2017, 547, Tz. 37; MünchKomm/Häublein § 573 Rn. 34.

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entstandenen Betriebskosten vor. M wendet sich daher an den örtlichen Mieterverein. Dort empfiehlt man ihm, die laufenden Betriebskosten solange einzubehalten, bis V ihm die Belege präsentiert. M behält darauf die Vorschusszahlungen von März 2004 bis Januar 2005 ein. V nimmt dies zum Anlass einer Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 und verlangt Räumung. Der Anspruch des V aus § 546 Abs. 1 setzt voraus, dass die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 wirksam ist. Dies setzt eine schuldhafte, nicht unerhebliche Verletzung einer Vertragspflicht des M voraus. Nach hM. konkurriert § 573 Abs. 2 Nr. 1 in den Fällen des Zahlungsverzugs frei mit § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 (Rn. 1005ff.).

Probleme bereitete hier das in § 573 Abs. 2 Nr. 1 vorausgesetzte Mieterverschulden. Der BGH konzediert dem Mieter, dass er sich in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden habe, nachdem ihm vom Mieterverein ein falscher Rat erteilt worden sei (Tz. 14). Allerdings werde dem Mieter das Verschulden des Mietervereins nach § 278 Satz 1 zugerechnet; für seine Verantwortlichkeit spreche auch ein Rechtsgedanke, der der Zufallshaftung aus § 287 Satz 2 zugrunde liege (Tz. 16; Rn. 977). Im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 komme es nämlich nicht darauf an, dass den Mieter ein eigenes Verschulden treffe. Er müsse auch für das Verschulden Dritter einstehen, wenn ihm dies nach allgemeinen Grundsätzen zurechenbar sei. Dabei geht der BGH sehr weit: „Ein solches kann sich zum Beispiel auch aus einem schuldhaften erheblichen Fehlverhalten eines in der Wohnung lebenden […] Familienangehörigen des Mieters ergeben, selbst wenn den Mieter persönlich daran kein Verschulden trifft. Das besondere Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses wird in diesen Fällen dadurch begründet, dass die Beeinträchtigung aus dem allgemeinen Einflussbereich des Mieters herrührt. Dafür, dass dennoch ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses nur bei einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Vermieter und Mieter gerade durch ein persönliches Fehlverhalten des letzteren bestehen soll, […] bietet § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB keine Stütze. Dem entgegenstehenden Bestandsinteresse des Mieters, dessen Lebensmittelpunkt die Mietwohnung ist und für den ein Umzug mit nicht unbeträchtlichen Kosten und Unzuträglichkeiten verbunden ist, trägt die Vorschrift dadurch Rechnung, dass nicht schon jede Pflichtverletzung eine ordentliche Kündigung rechtfertigt, sondern eine nicht unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten vorliegen muss.“ (Tz. 18).

Gegen diese strenge Betrachtungsweise bestehen jedoch Bedenken: Der Bestandsschutz des Mieters mindert sich in den Fällen des § 573 Abs. 2 Nr. 1, weil der Mieter durch seine Pflichtverletzung die Vertrauensgrundlage zum Vermieter erschüttert (vgl. deshalb die Nähe zur außerordentlichen Kündigung Rn. 1005f.). Dies setzt voraus, dass ihm ein Verschulden Dritter nicht nur nach abstrakten Zurechnungsregeln zugerechnet werden kann (§§ 123 Abs. 2, 166 Abs. 1, 278 Satz 1 usw.), sondern dass er persönlich für das Drittverhalten verantwortlich ist. Denn nur dann kann der Vermieter das persönliche Vertrauen in den Mieter verlieren. Dieser Vertrauensverlust hängt dabei meist damit zusammen, dass in Zukunft keine Aussicht besteht, dass der Mieter das Verhalten dieser Personen ausreichend kontrolliert. Es genügt aber kaum, dass die Störung in der Vergangenheit aus der Mietersphäre hergerührt hat. Vorliegend hätte im Übrigen auch die schwere Vertragsverletzung des Vermieters berücksichtigt werden müssen.

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Wenn der Vermieter dem Mieter über drei Jahre eine ordentliche Abrechnung über die Betriebskosten verweigert, kann er sich kaum auf die Vertragsverletzung des Mieters berufen: Auf die Vertragsuntreue des anderen kann sich nur berufen, wer sich selbst nach § 242 vertragstreu verhalten hat, oder: „He who comes to equity must come with clean hands“! Ein weiteres Anwendungsproblem liegt in der Frage, ob der Kündigung eine Abmahnung vorausgehen muss. Dies wird von der hM.425 und dem BGH (Tz. 22ff.) verneint. Der Gesetzgeber hielt die Abmahnung nur bei der außerordentlichen Kündigung für erforderlich und nahm sie bewusst nicht in § 573 auf (Tz. 24).426 Nach Auffassung des BGH besteht auch kein praktischer Bedarf, weil der Mieter über das in § 573 Abs. 2 Nr. 1 vorausgesetzte Erheblichkeitskriterium (Tz. 26) und das Verschuldenserfordernis (Tz. 27) geschützt sei. Die überzeugendere Gegenauffassung verweist auf die systematische Parallele zu § 543 Abs. 3: Wenn der Vermieter selbst das in dieser Norm vorausgesetzte, schwere Fehlverhalten nur auf eine Abmahnung hin zum Anlass für eine Kündigung nehmen kann, kann bei dem im Vergleich leichter wiegenden Fehlverhalten in den Fällen der ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 kaum etwas Anderes gelten.427 b) Die Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2) aa) Eigenbedarf

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Nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 besteht ein berechtigtes Interesse an der ordentlichen Kündigung, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts (Rn. 996a) benötigt. (BGH 27.6.2007 – VIII ZR 271/06 = NJW 2007, 2845) M mietete von der V, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts iSd. § 705, am 21.2.1987 eine Erdgeschosswohnung in einem der V gehörenden Mehrfamilienhaus. Gesellschafter der V waren die Bewohner des Hauses. V war gegründet worden, um das Hausgrundstück zu kaufen, zu sanieren und den Mitgliedern darin eine Wohnmöglichkeit zu eröffnen. Das Grundstück selbst bildet das einzige Vermögen der Gesellschaft. Am 31.1.2005 kündigt die V dem M mit der Begründung, dass ihr Gesellschafter G schwer erkrankt sei und die von ihm bewohnte Dachwohnung nicht mehr bewohnen könne; er sei darauf angewiesen, in die von M bewohnte Erdgeschosswohnung einzuziehen. Der Räumungsanspruch nach § 546 Abs. 1 erfordert eine wirksame Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2.

§ 573 Abs. 2 Nr. 2 setzt voraus, dass der Vermieter die Räume als Wohnung benötigt. Wohnen können zunächst nur natürliche Personen. Für eine juristische Person oder einen teilrechtsfähigen Träger (OHG, KG, Gesellschaft bürgerlichen Rechts) ist eine Kündigung wegen Eigenbedarfs daher bereits begrifflich 425 BGH NJW 2008, 508, Tz. 22ff.; die folgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung; Staudinger/Rolfs § 573 Rn. 31 mwN. 426 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 44. 427 Schmidt-Futterer/Blank § 573 BGB Rn. 13; Looff ZMR 2008, 680, 685.

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ausgeschlossen (Rn. 806, 983).428 In diesen Fällen anerkennt die Rechtsprechung allerdings eine Kündigung wegen Betriebsbedarfs auf der Grundlage des § 573 Abs. 1 Satz 1: Voraussetzung ist, dass die Gesellschaft die an einen Betriebsfremden vermieteten Räume für eigene betriebliche Zwecke braucht. In Betracht kommt etwa der Fall, dass ein Mitarbeiter in die Räume einziehen soll429 (vgl. auch Rn. 983). Solche Gründe scheiden vorliegend aus. Der BGH bejaht hingegen einen echten Eigenbedarf der Gesellschaft (Tz. 15). Er begründet diesen aber nicht aufgrund eines gesteigerten persönlichen Bezugs der Gesellschaft zu ihren Mitgliedern (Tz. 13). Auch spiele es keine Rolle, dass die Gesellschaft bürgerlichen Rechts keine juristische Person, sondern nur ein teilrechtsfähiger Träger sei (Tz. 14). Das entscheidende Argument liegt für den BGH vielmehr in einem hypothetischen Vergleich mit dem Fall der einfachen Vermietermehrheit (Tz. 15). Seien mehrere natürliche Personen Vermieter (denkbar ist etwa eine Miteigentümer-, also Bruchteilsgemeinschaft am Grundstück nach §§ 1008, 741), rechtfertige der Eigenbedarf jedes einzelnen die Kündigung; dann dürften diese Personen aber nicht schlechter stehen, wenn sie in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisiert seien. Um Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden, stellt der BGH nicht darauf ab, ob das äußere Erscheinungsbild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch einige wenige Gesellschafter geprägt ist, die als natürliche Personen persönlich eng zusammenarbeiten (Tz. 16, personalistische Gesellschaft). Der hypothetische Vergleich mit der einfachen Vermietermehrheit führt zugleich zu einer Einschränkung: Die Gesellschaft darf nach Auffassung des BGH auch nicht besser stehen als eine einfache Vermietermehrheit; daher könne sie einen Eigenbedarf nur für Gesellschafter geltend machen, die ihr im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages angehörten (Tz. 17). In einer Folgeentscheidung wendet der BGH diese Grundsätze auch auf eine Gesellschaft an, die nach § 566 in den Mietvertrag eintritt, weil die Norm den Mieter nicht vor dem Eintritt einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts schütze. Dabei lässt der BGH die Frage offen, ob unter diesen Voraussetzungen an der Beschränkung der Eigenbedarfskündigung auf die ursprünglichen Gesellschafter festzuhalten sei.430 Deshalb kann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts analog § 573 Abs. 2 Nr. 2 kündigen, wenn ein Gesellschafter oder dessen Angehöriger entsprechenden Wohnungsbedarf hat. Die Kritik erkennt in der Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts für ihre Mitglieder ein Durchgriffsproblem, da der Rechtsträger in seiner Eigenständigkeit beiseitegeschoben werde und die hinter ihm stehenden Mitglieder zu Adressaten der gesetzlichen Rechtsfolgen 428 BGH NJW 2007, 2845, Tz. 18; Herrlein, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 752; Schürnbrand, ebenda, S. 792, 793. 429 BGH NJW-RR 2007, 1460, Tz. 12; MünchKomm/Häublein § 573 Rn. 39ff.; Herrlein, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 752, 753; Schürnbrand, ebenda, S. 792, 793. 430 BGH NJW 2009, 2738, Tz. 13 und 15.

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erhoben würden.431 Aus Sicht des Gesellschaftsrechts erscheint dies nur dort möglich, wo die Gesellschaft bürgerlichen Rechts personalistisch strukturiert und daher gegenüber ihren Mitgliedern als Verband nicht so verfestigt ist. Das Gegenbeispiel zu einer solchen personalistischen Gesellschaft stellt die kapitalistisch strukturierte Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar, die aus einer großen Anzahl anonymer Gesellschafter besteht und auf einen ständigen Wechsel der Mitglieder gerichtet ist. Auf sie passe die Eigenbedarfs-Rechtsprechung nicht.432 Diese Auffassung führt jedoch unvermeidbar zu den Abgrenzungsfragen, die der BGH aus gutem Grund gerade vermeiden will. Denn die verschiedenen Realtypen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind ganz unterschiedlich organisatorisch verfestigt: Der Anwendungsbereich der §§ 705ff. reicht von der Fahrgemeinschaft zwischen Arbeitskollegen bis zur Arbeitsgemeinschaft von Baukonzernen zwecks Errichtung einer Ladenpassage im Innenbereich einer deutschen Großstadt. Erkennbar will der BGH deshalb verhindern, dass die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 von der Unsicherheit abhängen, ob eine eher unternehmerisch verfestige Gesellschaft kündigt oder eine locker personalistisch geprägte. Für diese Betrachtungsweise spricht die besondere Befriedungsfunktion des Mietrechts (Rn. 805). In einer weiteren Entscheidung (BGH 29.3.2017 – VIII ZR 45/16) kündigt die Vermieterin dem Mieter, weil sie die Wohnung als Aktenlager für den Geschäftsbetrieb des Ehepartners nutzen will. Auf einen solchen Berufs- und Geschäftsbedarf ist § 573 Abs. 2 Nr. 2 nicht anwendbar (Tz. 10), wofür bereits der Normwortlaut („als Wohnung“) spricht; auch kommt eine Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 nicht in Betracht (Tz. 11 f.). Allerdings kann hier ein berechtigtes Interesse nach § 573 Abs. 1 Satz 1 bestehen. Dieses setzt – im Gegensatz zu den Tatbeständen des § 573 Abs. 2, in denen das berechtigte Interesse des Vermieters typisiert ist (Rn. 983), – eine Abwägung im Einzelfall voraus. Von besonderem Interesse erscheint, dass die Gründe des § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 auf diese Abwägung ausstrahlen (Tz. 38 ff.): Danach bewegt sich das Interesse des Vermieters einerseits im Rahmen einer der Nr. 2 vergleichbaren Eigennutzung und betrifft andererseits wie im Falle der Nr. 3 die wirtschaftliche Verwertung der Mietsache. Grundsätzlich ist ein solcher Geschäfts- oder Berufsbedarf daher anerkennenswert. Er wiegt allerdings im Einzelfall das Mieterinteresse nicht auf: Denn die Vermieterin will den bestehenden Geschäftsbetrieb des Ehepartners nur räumlich ausweiten. Letzterer ist für ein Aktenlager aber nicht zwingend auf Wohnräume angewiesen (Tz. 53). § 577a Abs. 1a begründet einen besonderen Kündigungsschutz für den Mieter, wenn die Immobilie nach der Überlassung der Räume an eine Personengesellschaft oder eine Vermietermehrheit veräußert wird. In einem solchen Fall kommt eine Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 durch die Erwerberin erst drei Jahre nach der Veräußerung in Betracht. Die Norm begegnet der Ge431 Schürnbrand, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 792, 793. 432 Schürnbrand, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 792, 799ff.

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fahr einer Umgehung der Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 durch einen zeitlich wirkenden Bestandsschutz. (BGH 14.12.2016 – VIII ZR 232/15 = NJW 2017, 547) Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705), bestehend aus vier Investoren, erwirbt eine Mietimmobilie in München, in der verschiedene Wohnungen an Privatleute vermietet sind. Nach und nach werden die einzelnen Mietverträge gekündigt, die Wohnungen saniert, in Wohnungeigentum umgewandelt und an Dritte veräußert. Dem Mieter der letzten, in der Immobilie verbleibenden Mietwohnung wird wegen Eigenbedarfs eines der vier Investoren gekündigt, weil dessen Tochter die Wohnung bewohnen will. Die Dreijahresfrist ist dabei gewahrt. Diese Kündigung sieht der BGH wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters als wirksam an. Das Gericht geht dabei auf das systematische Verhältnis von § 573 Abs. 2 Nr. 2 zu § 577a Abs. 1a ein. Zunächst legt die Norm grundsätzlich nahe, dass § 573 Abs. 2 Nr. 2 auf eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts Anwendung findet (Tz. 41). Im Umkehrschluss aus dem erweiterten Schutz nach § 577a Abs. 1a läge aber auch das Argument nahe, dass § 573 Abs. 2 Nr. 2 den Mieter grundsätzlich vor einer unüberschaubaren Zahl von Personen auf der Vermieterseite schützen will, die sämtlich zur Eigenbedarfskündigung berechtigt sind. Denn § 573 Abs. 2 Nr. 2 setzt seinem Wortlaut nach auf der Vermieterseite eine natürliche Person voraus. Bei dieser ist Zahl der wohnungsbedürftigen Angehörigen aber regelmäßig überschaubar. Das Gericht verneint jedoch eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 573 Abs. 2 Nr. 2 und stellt – seiner eigenen Rechtsprechungslinie folgend – die Gleichbehandlung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der Vermietergemeinschaft in den Mittelpunkt seiner Überlegungen (Tz. 25ff.; Tz. 48). Dieser rechtliche Gesichtspunkt spiegelt sich auch im Wortlaut des § 577a Abs. 1a Nr. 1 wider, wo beide Fälle gleich behandelt werden. Allerdings geht das dort verwendete Tatbestandsmerkmal „Personengesellschaft“ über die Rechtsprechung des BGH hinaus. Der BGH privilegiert im Hinblick auf die analoge Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 nur die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, nicht aber eine Personenhandelsgesellschaft (Tz. 52). Der Grund liegt in der angeblich fehlenden rechtlichen Verselbstständigung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber ihren Gesellschaftern (Tz. 19, 52). Dieses Argument ist jedoch wegen der Typenvielfalt der Gesellschaft nach § 705 (Rn. 988) schwer aufrechtzuerhalten. Entscheidend geht es auch in diesem Punkt darum, die Vermietergemeinschaft mit ihrem funktionalen Äquivalent im Gesellschaftsrecht gleichzubehandeln; dies ist aber allein die Gesellschaft nach § 705.

bb) Formelle Begründung der Eigenbedarfskündigung

Nach § 573 Abs. 3 Satz 1 sind die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Andere Gründe werden nach Satz 2 nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind. Fehlt die Begründung, ist die Kündigung nichtig.433 Dies ergibt sich bei konsequenter Anwendung von Satz 2. Fraglich ist allerdings, ob den Vermieter eine Begründungspflicht trifft. (BGH 15.12.2010 – VIII ZR 9/10 = NJW 2011, 914) V kündigt dem M den Wohnraummietvertrag unter Nennung des § 573 Abs. 2 Nr. 2, aber ohne weitere Erläuterung. M schaltet 433 BVerfG NJW 1992, 1379; BGH NJW 2011, 914, Tz. 10; vgl. im Übrigen nur Schmidt-Futterer/Blank § 573 BGB Rn. 215a; Staudinger/Rolfs § 573 Rn. 201. Allgemein zum Zusammenhang zwischen Begründung und Wirksamkeit von Gestaltungsrechten Büdenbender AcP 210 (2010) 611, 619.

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darauf einen Rechtsanwalt ein. V wiederholt darauf die Kündigung, begründet diese mit Eigenbedarf und erstreitet im anschließenden Rechtsstreit einen Räumungstitel. M verlangt jedoch die Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts auf die erste, unbegründete Kündigung hin (Kostenpunkt: 667,35 €). In Betracht kommt ein Anspruch des M gegen V aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2. Dazu müsste die fehlende Begründung eine Pflichtverletzung des V nach § 241 Abs. 2 darstellen, aufgrund derer die Anwaltskosten als Schaden adäquat kausal verursacht wurden.

Der BGH erkennt indes in der fehlenden Begründung der Kündigung keine Pflichtverletzung des Vermieters, sondern ordnet § 573 Abs. 3 Satz 1 als Fall einer Obliegenheit des Vermieters ein (Tz. 11). Zwar ziele die Begründung auf den Schutz des Mieters, weil dieser zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition erhalten und in die Lage versetzt werden solle, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu unternehmen (Tz. 10).434 Doch werde der Mieterschutz ausreichend durch § 125 Satz 1 gewahrt, wenn der Kündigung die Begründung fehlt (Tz. 10). Geht man davon aus, hat V keine Pflicht gegenüber M nach § 241 Abs. 2 verletzt. Der Anspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 geht daher ins Leere.

Die Kritik verweist auf die Schwierigkeiten des Mieters, die Voraussetzungen der Nichtigkeit nach § 125 Satz 1 zu erkennen, weshalb von einer Pflicht des Vermieters auszugehen sei und der Mieter einen Anwalt einschalten dürfe.435 Deutlich ist auch hier die auf Befriedung gerichtete Zielsetzung der Rechtsprechung zu erkennen (zum Problem Rn. 805). Sie will verhindern, dass jeder Kündigungsschutzprozess in einen Folgeprozess über die Frage mündet, ob der Mieter Rechtsverfolgungskosten wegen einer unzureichenden Kündigungsbegründung geltend machen kann. Daran überzeugt, dass der Mieter vorliegend die Gründe des Vermieters schlicht erfragen kann, bevor er einen Anwalt einschaltet. Erst wenn der Vermieter dazu nicht bereit ist, muss der Mieter einen gegen ihn gerichteten Vertragsbruch fürchten und darf einen Rechtsanwalt einschalten. Dieses Ziel lässt sich allerdings auch bei Annahme einer echten Begründungspflicht des Vermieters erreichen: Denn der Mieter muss den Vermieter im Hinblick auf diese Pflicht nach § 286 Abs. 1 Satz 1 mahnen, bevor der Vermieter in Verzug gerät und Rechtsverfolgungskosten liquidiert werden können. Geht man davon aus, kommt ein Anspruch des M nur aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 in Betracht. Weil M den V aber nicht auf die unbegründete Kündigung hin gemahnt hat (§ 286 Abs. 1 Satz 1), kam V nicht in Verzug, und der Anspruch ist unbegründet.

cc) Unzureichende Begründung des Eigenbedarfs 992

Die Befriedungsfunktion des Mietrechts (Rn. 805) gebietet es ferner, dass oberflächliche Begründungen des Eigenbedarfs durch den Vermieter nicht zum Kristallisationspunkt eigener Konflikte zwischen den Parteien werden: 434 RegE BT-Drucks. 6/1549, S. 6f. 435 Börstinghaus JurisPR-BGH ZivilR 4/2011 Anm. 3; Gsell ZJS 2011, 277, 278.

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(BGH 6.7.2011 – VIII ZR 317/10 = NJW-RR 2012, 14)436 V kündigt M durch ein Schreiben, in dem sie darauf hinweist, nach Ablauf eines Studiums in Neuseeland ihr Studium in München fortsetzen und in der vermieteten Wohnung einen eigenen Hausstand gründen zu wollen. In ihr ehemaliges Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung könne sie nicht zurück, weil dieses inzwischen von der Schwester genutzt werde. Dem Mieter genügt diese Begründung nicht, weil V nicht ausreichend auf ihre gegenwärtige Wohnsituation in München eingehe.

Der BGH lässt die Begründung anders als die Vorinstanz genügen, weil nur erforderlich sei, dass der Kündigungsgrund identifiziert und die tatsächlichen Gründe für den „Erlangungswunsch“ dargelegt würden (Tz. 9). Dies überzeugt, weil andernfalls die Gefahr besteht, dass der Konflikt zwischen Mieter und Vermieter in einen Streit um die Wahrung der Form der Begründung mündet. dd) Vortäuschung von Eigenbedarf

Gravierender erscheinen die Fälle der Vortäuschung von Eigenbedarf durch den Vermieter. Es versteht sich, dass unter diesen Voraussetzungen die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 wirkungslos ist. Ein Indiz dafür können bereits seit längerem bestehende Verkaufsabsichten des Vermieters sein.437 Probleme werfen nur die Haftung des Vermieters für mögliche Schäden des Mieters und ein daraus resultierender Anspruch auf Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 auf.

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(BGH 8.4.2009 – VIII ZR 231/07 = NJW 2009, 2059) M hatte ein Hausgrundstück von dem in den USA lebenden V gemietet. Im Juni 2001 kündigte V der M ohne Angabe eines Kündigungsgrundes im Schreiben. Erst nachträglich ergab sich durch anwaltliche Schreiben und Gespräche zwischen V und M, dass V das Haus angeblich selbst bewohnen wollte. Daraufhin einigten sich V und M durch Auflösungsvertrag vom 4.10.2002 darauf, dass M am 16.10.2002 ausziehen sollte. Als M am 9.11.2002 feststellt, dass das Hausgrundstück über einen Makler zum Verkauf angeboten wird, erklärt sie die Anfechtung des Aufhebungsvertrags. M verlangt die Wiedereinräumung des Besitzes am Haus und Schadensersatz für die vergeblich aufgewendeten Auszugs- und neuerlichen Einzugskosten.

Der BGH erkennt auf einen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, gerichtet auf Wiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung sowie auf Ersatz der Kosten für die Auszugs- und Wiedereinzugskosten (Tz. 11). Ausschlaggebend ist die Überlegung, dass die grundlose Kündigung eine Pflichtverletzung darstelle, die bei Vertretenmüssen zum Schadensersatz führe.438 Zumindest der Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes an der alten Wohnung könnte dem Mieter aber auch aus § 535 Abs. 1 Satz 1 zustehen, wenn die Kündigung des Mietvertrages unwirksam und der Aufhebungsvertrag nach §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 nichtig ist. Das Problem des Falles lag jedoch in der haftungsbegründenden Zurechnung. Denn die Kündigung war aus zwei Gründen unwirksam: Zum einen ge436 Ähnlich BGH NJW 2014, 2102. 437 BGH NJW 2016, 982. 438 Im Anschluss an die Entscheidungen BGHZ 89, 296 = NJW 1984, 1028; BGH NJW 2005,

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nügte sie der Form des § 573 Abs. 3 nicht, da sie keine Begründung enthielt (oben Rn. 991); zum anderen fehlte dem Vermieter der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 vorausgesetzte Sachgrund (Tz. 13). Weil der Mieter sich nicht auf die formale Unwirksamkeit der Kündigung berufen, sondern mit dem Vermieter einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat, könnte jedoch der Zurechnungszusammenhang zwischen der vom Vermieter begangenen Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden unterbrochen worden sein. Der BGH verneint dies, weil dem Mieter die Kündigungsgründe des Vermieters erst im Nachgang mitgeteilt worden seien (Tz. 13).439 Daran überzeugt, dass der Mieter nicht auf einer neuen, formal einwandfreien Kündigung bestehen muss, wenn diese für ihn auf dasselbe Ergebnis hinausläuft. Auch der Abschluss des Aufhebungsvertrages, der die Voraussetzungen eines Kündigungsrechts auf Vermieterseite praktisch außer Streit stellt, unterbricht die objektive Zurechnung nicht (Tz. 14): Denn hält der Mieter das Kündigungsverlangen des Vermieters für berechtigt, muss er sich auf eine einvernehmliche Lösung einlassen dürfen. Andernfalls würde man ihn stets zur streitigen Auseinandersetzung mit dem Vermieter zwingen. ee) Nachträglicher Wegfall des Eigenbedarfs 995

Fraglich ist schließlich, welche Rechte dem Mieter zustehen, wenn der Eigenbedarf des Vermieters nach der Kündigungserklärung wegfällt: (BGH 13.10.2010 – VIII ZR 78/10 = NJW 2010, 3775) V kündigt M wegen Eigenbedarfs. Vor Ablauf der Kündigungsfrist wird überraschend eine zweite Wohnung in demselben Haus frei. Diese vermietet V jedoch an einen Dritten und bietet sie M nicht an. M verweigert darauf die Räumung der Wohnung. Zu Recht? Der Räumungsanspruch des V gegen M aus § 546 Abs. 1 setzt eine wirksame Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 voraus. Eigenbedarf lag als Kündigungsgrund zunächst vor. Möglicherweise ist V jedoch die Berufung darauf nachträglich nach Treu und Glauben (§ 242) verwehrt.

Der BGH geht davon aus, dass die Vermieterin eine Pflicht aus § 241 Abs. 2 und damit das Gebot der Rücksichtnahme verletzt hatte (Tz. 14): Es bleibe ihr zwar unbenommen, die ursprüngliche Kündigung der ersten Wohnung weiterzuverfolgen, da sie selbst entscheiden dürfe, welche Einheit sie für sich nutzen wolle. Weil die Kündigung aber stark in die Lebensführung des Mieters eingreife, müsse die Vermieterin die für den Mieter mildeste Maßnahme wählen und diesem mindestens die Ersatzwohnung anbieten. Ist vorliegend jedoch die Wohnung bereits wieder an einen Dritten vermietet, kann V diesem nicht einfach kündigen, weil auch dieser Dritte den Schutz des § 573 genießt. Die Pflichtverletzung führt daher zu auf Geld gerichteten Schadensersatzansprüchen des M gegenüber V aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2.

Für diese Betrachtungsweise spricht, dass es für die Wirksamkeit der Kündigung wie bei jeder Willenserklärung auf den Zeitpunkt der Vornahme (Erklä439 Ähnlich jetzt für einen Räumungsvergleich: BGH NJW 2015, 2324, Tz. 16ff.

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rung) ankommt (Rn. 241). Besteht in diesem Zeitpunkt Eigenbedarf, wird die Kündigung nicht durch einen nachträglichen Wegfall dieses Kündigungsgrundes unwirksam. Verletzt der Vermieter daher seine Pflicht, dem Mieter die Ersatzwohnung anzubieten, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Eigenbedarfskündigung, sondern löst nur Schadensersatzpflichten des Vermieters aus.440 Dies leitet zu der Frage über, wie sich der Vermieter verhalten muss, wenn nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Ersatzwohnung frei wird. In solchen Fällen verneint der BGH eine Restitutionspflicht des Vermieters: Denn dem Vermieter würde eine nachvertragliche Treuepflicht mit unklarem Inhalt aufgebürdet.441 In der Tat setzt sich nach Ablauf der Kündigungsfrist die negative Vertragsfreiheit des Vermieters gegenüber den Beharrungsinteressen des Mieters endgültig durch. Denn andernfalls könnte der Vermieter auf unabsehbare Zeit an der Verwertung seiner Wohnung gehindert sein, wenn er einmal auf der Grundlage des § 573 Abs. 2 Nr. 2 gekündigt hat.

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ff) Missbrauchsfälle

Fraglich ist schließlich, ob es im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 eine Missbrauchsgrenze für luxuriösen Eigenbedarf gibt. (BGH 4.3.2015 – VIII ZR 166/14 = BGHZ 204, 216 = NJW 2015, 1590) Vermieter V benötigt die gegenüber M gekündigte Wohnung für seinen Sohn, der nach einem Maschinenbaustudium aus China zurückkommt und seinen Master am Heimatort machen will. In der Vierzimmerwohnung mit 100 m2 will er mit einem weiteren Studienkollegen wohnen, dem er nicht partnerschaftlich verbunden ist.

Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG schützt Vermieter und Mieter gleichermaßen (Tz. 13; dazu auch Rn. 803). Dem Vermieter vermittelt sie dabei jedoch das Recht, den Eigenbedarf selbst zu definieren (Tz. 14).442 Ein Missbrauch des Rechts aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 ist daher vor allem dort denkbar, wo der ernsthafte Wille des Vermieters, den Wohnbedarf einer nach der Norm privilegierten Person zu befriedigen, fehlt. Dies sind auch Fälle, in denen die Wohnung für eine Bedarfsbefriedigung gar nicht geeignet ist, etwa weil sie zu groß ist (Tz. 15). Allerdings besteht kein Erfahrungssatz, dass eine Wohnung von 100 m2 für einen Studenten oder Auszubildenden zu groß ist (Tz. 18ff.). Sähe man dies anders, würde das verfassungsrechtlich verbürgte Bestimmungsrecht des Vermieters in sein Gegenteil verkehrt: Ab einer gewissen Größenordnung müsste sich der Vermieter gegenüber dem Mieter für den Eigenbedarf rechtfertigen (Tz. 19). Das Gericht sieht auch insoweit keinen Missbrauch, als die zweite Person, die mit dem Sohn des Vermieters zusammenleben wird, nicht zum Personenkreis nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 gehört: Denn insoweit mache sich der Vermieter nur den Wohnbedarf des Angehörigen iS. der Norm zu eigen 440 BGH NJW 2017, 547, Tz. 55ff. 441 BGH NJW 2009, 1141, Tz. 9. 442 BVerfGE 68, 361, 373f. = NJW 1985, 2633, 2634f.

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(Tz. 26, 28). Das BVerfG hatte im gleichen Zeitraum über einen sog. Zweitwohnungsbedarf eines Vermieters zu entscheiden.443 Danach ist der Eigenbedarf nicht deckungsgleich mit dem Willen des Vermieters, die Räume bewohnen zu wollen, sondern es müssen vernünftige und nachvollziehbare Sachgründe hinzutreten (Tz. 28). Dabei muss allerdings nicht zwingend der Lebensmittelpunkt des Vermieters in die neue Wohnung verlagert werden, wenn der Vermieter diese nur selbst und auf Dauer bewohnen wird (Tz. 29, 31). Fraglich ist, ob sich der Vermieter später rechtsmissbräuchlich auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 beruft, wenn der Eigenbedarf bei Abschluss des Mietvertrages vorauszusehen war. (BGH 4.2.2015 – VIII ZR 154/14 = BGHZ 204, 145 = NJW 2015, 1087) V schließt am 14.4.2011 einen unbefristeten Wohnraummietvertrag mit M, den er am 28.2.2013 wegen Eigenbedarfs kündigt. V erklärt, seine Tochter sei nach einem einjährigen Australienaufenthalt mit dem Wunsch an ihn herangetreten, eine nahe gelegene Arbeitsstelle anzunehmen und dort ein berufsbegleitendes Studium aufzunehmen. M widerspricht der Kündigung: Da die Tochter im Juni 2012 ihr Abitur abgelegt habe, danach aber von August 2012 an ein einjähriges Auslandsstudium angetreten sei, sei der Eigenbedarf bei Vertragsschluss absehbar gewesen.

Rechtsmissbräuchlich iSd. § 242 ist die Eigenbedarfskündigung, wenn der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages positiv von seinem bereits bestehendem Eigenbedarf iSd. § 573 Abs. 2 Nr. 2 weiß: Die spätere Kündigung bedeutet in diesem Fall einen Selbstwiderspruch zur vorangegangenen Bereitschaft zum Vertragsschluss mit dem Mieter (venire contra factum proprium).444 Vorliegend kann dem Vermieter jedoch höchstens vorgeworfen werden, dass er bei vorausschauender Planung das Entstehen des Eigenbedarfs bei Vertragsschluss hätte erkennen können. Der BGH mutet ihm jedoch keine Bedarfsvorschau zu, da dies seinem Schutz aus Art. 14 GG widerspräche (Tz. 23). Dies überzeugt: Dem Mieter gegenüber ist der Vermieter insbesondere nicht zu einer sorgfältigen Lebensplanung in eigener Sache verpflichtet (Tz. 32). Deshalb erscheint auch nicht jede Art von Selbstwiderspruch des Vermieters missbräuchlich, solange auf der anderen Seite kein schutzwürdiges Vertrauen entstanden sei (Tz. 24). Ein Mieter, der einen unbefristeten Mietvertrag abschließt, ist aber grundsätzlich nicht vor der ordentlichen Kündigung wegen Eigenbedarfs geschützt (Tz. 40). Deshalb kommt eine Vermieterverantwortung bei leicht fahrlässiger Unkenntnis des künftigen Eigenbedarfs grundsätzlich nicht in Betracht (Tz. 27ff.), sondern erscheint abhängig von einem höheren Grad des Vermieterverschuldens (Tz. 25 und 38).445

443 BVerfG NJW 2014, 2417: Die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung; vgl.

auch BGHZ 103, 91 = NJW 1988, 904. 444 Ähnlich bereits BVerfGE 79, 292, 308f. 445 Ähnlich BGH NJW 2013, 1596, Tz. 14; vgl. den zT. divergierenden Meinungsstand bei

MünchKomm/Häublein § 573 Rn. 79; Schmidt-Futterer/Blank § 573 BGB Rn. 138.

V. Die Vermieterrechte

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c) Die Verwertungskündigung (573 Abs. 2 Nr. 3)

Zu einem scharfen Konflikt zwischen Vermietereigentum und Mieterbesitz kommt es im Fall des § 573 Abs. 2 Nr. 3. Danach besteht ein besonderes Interesse des Vermieters an der Kündigung des Mietverhältnisses, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Allerdings bleibt dabei die Möglichkeit, durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete zu erzielen, außer Betracht (zweiter Halbsatz). Der Vermieter kann sich ferner nicht darauf berufen, dass er die Mieträume im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder nach Überlassung an den Mieter erfolgten Begründung von Wohnungseigentum veräußern will (dritter Halbsatz). Der Anwendungsbereich der Norm beschränkt sich auf wenige, aus dem Alltagsgeschehen herausragende Fälle, in denen die Kündigung Teil eines grundlegenden Sanierungskonzeptes darstellt:

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(BGH 9.2.2011 – VIII ZR 155/10 = NJW 2011, 1135) V erwarb alle Gebäude einer in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts errichteten Hamburger Siedlung. Die Gebäude sind in einfacher Bauweise gehalten. Es dominieren gefangene Räume mit niedrigen Decken und schlechten Lichtverhältnissen. V hat bereits eine Reihe von Wohnblöcken in der Siedlung abreißen und durch Neubauten ersetzen lassen. Er hat auch M gekündigt, der allein eine Wohnung in einem noch stehenden Gebäude mit weiteren sieben leerstehenden Wohneinheiten zur Miete bewohnt. M hält die Kündigung des V nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 dennoch für unbegründet.

Eine Kündigung ist nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 zulässig, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Der BGH geht davon aus, dass der Abriss eine wirtschaftliche Verwertung darstellt (Tz. 17). Angemessen ist diese, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird (Tz. 17). Diese bejaht der BGH wegen des schlechten Bauzustands des Wohnblocks, der den heutigen Anforderungen an eine Wohnraumversorgung nicht entspreche. Erkennbar entwickelt das Gericht keine allgemeine Definition der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung. Dies spricht dafür, dass dem Vermieter ein aus Art. 14 Abs. 1 GG erwachsender Beurteilungsspielraum zukommt, der von den Gerichten nur begrenzt überprüft wird. Der Vermieter muss seiner Kündigung rationale Erwägungen zugrunde legen, die für eine wirtschaftliche Verwertung der Mietwohnung sprechen und von einem Gericht nachvollzogen werden können. Das zentrale Tatbestandsmerkmal der Norm, das auch den Mieterschutz bewirkt, liegt in den erheblichen Nachteilen durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter. Bereits in einer früheren Entscheidung hatte der BGH hier folgende Interessenabwägung vollzogen:446 Der Vermieter muss zunächst die Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG beachten 446 BGHZ 179, 289 = NJW 2009, 1200, Tz. 14.

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§ 6 Miete und Pacht

und hat nach der Rechtsprechung des BVerfG keinen absoluten Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen (vgl. dazu auch Rn. 803).447 Hinzu tritt die Überlegung, dass das Besitzrecht des Mieters als Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sei (vgl. auch dazu Rn. 803).448 In dieser vorangegangenen Entscheidung bejahte der BGH die erheblichen Nachteile, weil das zum Abriss stehende Gebäude aus dem Jahre 1914 stammte und auch bei einer Generalüberholung (Mindestkosten: 570.000 €) höchstens noch 15 bis 20 Jahre hätte genutzt werden können.

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Vorliegend knüpft der BGH an diese Rechtsprechung an (Tz. 19). Der Fall unterscheidet sich jedoch insoweit, als hier der Vermieter die Kosten einer alternativen Sanierung nicht dargelegt hat, sondern allein auf sein Gesamtkonzept für die Wohnsiedlung verweist, dem sich fast allein der Mieter widersetzte (Tz. 20). Dennoch geht das Gericht davon aus, dass der Vermieter nicht die Kosten eines alternativen Sanierungskonzepts darlegen müsse. Es genüge, dass er ein städtebauliches Gesamtkonzept verfolge, an dem er allein durch den Mieter gehindert werde (Tz. 22). Diese Begründung erscheint indes gefährlich weit: Denn sie erlaubt dem Vermieter uU. davon zu profitieren, dass sich die Mehrzahl der Mieter gegen seine Pläne nicht zur Wehr setzt. Dadurch kann § 573 Abs. 2 Nr. 3 zu einem gefährlichen Instrument in Großraumgebieten mit steigenden Mieten werden, weil es sich dort am ehesten lohnt, Altverträge zu kündigen und auf die Erzielung einer vielfachen Rendite nach Abschluss des Renovierungsprojektes zu setzen. Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang auf eine in § 573 Abs. 2 Nr. 3 angelegte Gefahr aufmerksam gemacht: nämlich die des systematischen Aufkaufs renovierungsbedürftiger Immobilien, weil § 572 Abs. 2 Nr. 3 dabei eine zusätzliche Rendite verspricht.449 Der Käufer einer maroden Mietimmobilie erwirbt diese regelmäßig zu einem Preis, der ihrem Minderwert entspricht. Ist aber der Minderwert eingepreist, realisiert der Erwerber durch die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 einen Vorteil, für den er uU. kein Entgelt entrichtet hat. Dies schafft einen gefährlichen Anreiz für Investoren, Kündigungsgründe iSd. § 573 Abs. 2 Nr. 3 durch aufwendige Stadtplankonzepte zu konstruieren. Dies wiederum legt es nahe, dem Erwerber einer Immobilie das Recht auf Verwertungskündigung nur zuzuerkennen, wenn es bereits seinem Vorgänger zugestanden hat. Ferner dürfte die Norm auch in dem Fall teleologisch zu reduzieren sein, dass der Vermieter die Immobilie durch eigenes Verschulden in den maroden Zustand gebracht hat.450

447 448 449 450

BVerfGE 84, 382 = NJW 1992, 361, 362. BVerfGE 89, 1 = NJW 1993, 2035, 2036. Rolfs/Schlüter JZ 2009, 693, 696. Rolfs/Schlüter JZ 2009, 693, 696.

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d) Die erleichterte Kündigung nach § 573a Abs. 1 Satz 1

§ 573a Abs. 1 Satz 1 erlaubt dem Vermieter eine erleichterte Kündigung im selbstbewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen. Bei der Anwendung dieser Norm geht es entscheidend um die Frage, was unter einer Wohnung zu verstehen ist. (BGH 17.11.2010 – VIII ZR 90/10 = NJW-RR 2011, 158) V kündigt den Mietvertrag mit Mieter M auf der Grundlage von § 573a Abs. 1 Satz 1. M widerspricht, weil sich in dem Gebäude nicht nur die von V und M bewohnten Wohnungen befänden. Vielmehr sei im Keller baurechtswidrig ein Raum nebst Bad und Küchenzeile eingerichtet. Diese Einheit war vor dem Erwerb des Hauses durch V an einen Dritten vermietet worden. Seit dessen Auszug nutzt V die Räume zur Einquartierung von Besuchern und als Arbeitszimmer. Kann V Räumung verlangen? Der Anspruch aus § 546 Abs. 1 setzt eine wirksame Kündigung nach § 573a Abs. 1 Satz 1 voraus. Die Kündigung kommt in Betracht, wenn sich in dem Gebäude nur zwei Wohnungen befinden. Es kommt also darauf an, ob das Ensemble der Kellerräume in diesem Zusammenhang als Wohnung berücksichtigt werden muss.

Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob die Kellerräume eine eigene Wohnung darstellen, ist nach Auffassung des BGH die Verkehrsanschauung (Tz. 8). Die Baurechtswidrigkeit der Räume stehe ihrer Einrechnung nach § 573a Abs. 1 Satz 1 nicht entgegen, soweit diese überhaupt genutzt werden könnten. Bei den Räumen handele es sich jeweils um einen selbständigen, räumlich und wirtschaftlich abgegrenzten Bereich (Tz. 9). Deshalb schade es auch nicht, dass der Vermieter die Räume in seinen Wohnbereich integriert hätte (Tz. 10f.). Dagegen bestehen jedoch Bedenken. Bereits im Ausgangspunkt kann es für die Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Wohnung“ nicht auf die Verkehrsauffassung, sondern nur auf den Normzweck ankommen. Dieser beruht aber auf dem Umstand, dass das in der Norm vorausgesetzte, enge Zusammenleben von Vermieter und Mieter ein erhöhtes gegenseitiges, persönliches Einvernehmen voraussetzt, auf dem der Vermieter als Eigentümer im Hinblick auf den Grundrechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG bestehen kann, das aber zugleich in seinen Voraussetzungen nicht justiziabel ist.451 Deshalb kann sich der Vermieter bei einer von ihm empfundenen „atmosphärischen Störung“ in diesen engen Verhältnissen leichter vom Vertrag lösen. Ausgehend davon kommen als Wohnungen iSd. Norm wohl nur die vom Eigentümer selbst und die von eigenständigen Mietparteien bewohnten Einheiten in Betracht. Dem Eigentümer darf mit anderen Worten nicht mehr als eine Mietpartei gegenüber stehen, damit er ein gesteigertes Interesse an der Harmonie der Wohnverhältnisse durchsetzen kann. Dies war aber hier der Fall, sodass die Kündigungsvoraussetzungen entgegen der Auffassung des BGH vorlagen und der Räumungsanspruch des Vermieters bestand.

451 Ähnlich Schmidt-Futterer/Blank § 573a BGB Rn. 1.

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e) Das Verbot der Teilkündigung 1001

Dem Vermieter ist es aus allgemeinen Gründen untersagt, das Mietverhältnis teilweise zu kündigen. (BGH 12.10.2011 – VIII ZR 251/10 = NJW 2012, 224) M hat bei V durch schriftlichen Vertrag eine Wohnung gemietet. Durch mündliche Vereinbarung mietete er auch eine Garage auf einem 150 Meter entfernten Grundstück des V. Als V das Garagengrundstück dem E veräußert und übereignet, erklärt E die Kündigung des Mietvertrages über die Garage und verlangt Räumung. M widerspricht.

Der BGH sah den Räumungsanspruch aus § 546 Abs. 1 als begründet an, weil der Vermieter nicht gegen das Verbot der Teilkündigung verstoßen habe. Die teilweise Kündigung eines einheitlichen Mietverhältnisses wird zu Recht als unzulässig angesehen (Tz. 11).452 Sie erinnert an den Fall des Teilrücktritts nach § 323 Abs. 5 Satz 1 (Rn. 234). Denn die Parteien des Mietvertrages stellen bei Vertragsschluss die Gesamtheit der jeweils geschuldeten Leistungen und Gegenleistungen in ein Wertgleichgewicht (subjektives Äquivalenzverhältnis). Dieses aber könnte durch eine Teilkündigung zerstört werden, wenn eine Seite die für sie besonders nachteiligen Teile kündigen, an den übrigen aber festhalten könnte. Aus Sicht des Kündigungsgegners wirkt eine solche Teilkündigung wie ein oktroyierter Änderungsvertrag. Vergleichbar dem Fall des § 323 Abs. 5 Satz 1 besteht dieses Verbot jedoch dort nicht, wo die Vereinbarung der Parteien in mehrere in sich abgeschlossene und voneinander unabhängige subjektive Äquivalenzverhältnisse teilbar ist, deren Wegfall das Wertgleichgewicht der anderen, verbleibenden nicht beeinträchtigt. Dies ist vorliegend der Fall, wenn Wohnungs- und Garagenmiete auf selbständigen Verträgen mit in sich abgeschlossenem Äquivalenzverhältnis aus Leistung und Gegenleistung beruhen. Dabei handelt es sich um eine auf der Grundlage von §§ 133, 157 zu beantwortende Auslegungsfrage, die der BGH aufgrund des Zustandekommens und der Formunterschiede beider Vereinbarungen vorliegend bejaht (Tz. 12ff.). 8. Die außerordentliche Kündigung nach §§ 543, 569 a) Der Zahlungsverzug des Mieters (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) 1002

Aus Sicht des Vermieters liegt der bedeutendste Grund für eine fristlose Kündigung im Zahlungsverzug des Mieters. Nicht jeder verschuldete Rückstand erlaubt jedoch die außerordentliche Kündigung. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 regelt in zwei Tatbeständen das erforderliche Verzugsvolumen; für die Wohnraummiete ist ergänzend § 569 zu beachten. Nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a muss der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils davon in Verzug sein. Erheblich ist der Mietrückstand bei der Wohnraummiete, wenn der Rückstand eine Mo452 Schmidt-Futterer/Blank § 542 BGB Rn. 87; Staudinger/Rolfs § 542 Rn. 93ff.; Wiek WuM 1997, 654.

V. Die Vermieterrechte

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natsmiete übersteigt (§ 569 Abs. 3 Nr. 1). Dies gilt entsprechend für die Geschäftsraummiete.453 Nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b kommt es darauf an, dass der Mieter in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. „Miete“ iS. dieser Vorschriften ist nicht nur die Grundmiete, sondern die Bruttomiete.454 Dazu zählen auch die Betriebskosten, Einmalzahlungen, mithin alle aus dem Vertrag vom Mieter geschuldeten Zahlungsleistungen. Der Verzug tritt bei der Wohnraummiete ohne Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 ein, wenn ein regelmäßiges Kalenderdatum für die Leistung bestimmt ist. Hier greift ergänzend die Auslegungshilfe des § 556b Abs. 1, wonach die Miete zu Beginn, spätestens bis zum dritten Werktag der einzelnen Zeitabschnitte, nach denen sie bemessen ist, zu entrichten ist. Eine Schutzvorkehrung für den Mieter liegt wiederum im Erfordernis des Vertretenmüssens des Zahlungsverzugs nach § 286 Abs. 4 (vgl. bereits Rn. 984). Wegen des objektiven Verschuldensbegriffs in § 276 Abs. 2 kommt ein fehlendes Verschulden bei einem Zahlungsverzug jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht.455 Erwogen wurde dies für den Fall, dass der Mieter noch vor der Kündigungserklärung Ratenzahlung angeboten hat456 oder unter schweren Depressionen litt (vgl. auch Rn. 1003).457 (BGH 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 = NJW 2009, 3781) In dem zwischen M und V vereinbarten Wohnraummietvertrag war die Entrichtung der Miete jeweils zum 3. eines Kalendermonats vorgesehen. Einige Zeit nach Vertragsschluss wird Mieter M jedoch von Sozialhilfe abhängig. Deshalb kommt das örtliche Jobcenter für seine Miete auf, sieht sich aber in einer Erklärung gegenüber V außerstande, diese am 3. eines Kalendermonats zu entrichten. So kommt es über mehrere Monate zu Überziehungen von jeweils bis zu 8 Tagen. Darauf kündigt V dem M und verlangt Räumung. Der Anspruch aus § 546 Abs. 1 setzt einen Kündigungsgrund voraus. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a ist hier nicht einschlägig, da M die Miete nur jeweils zu spät zahlt, nicht aber mit zwei aufeinander folgenden Mietzahlungen in Verzug gerät. In Anlehnung an diesen Tatbestand geht der BGH jedoch von einem wichtigen Grund nach § 543 Abs. 1 Satz 2 aus, wenn der Mieter ernsthaft ankündigt, in Zukunft nicht rechtzeitig zahlen zu wollen. Denn dann braucht der Vermieter das Eintreten der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a nicht abzuwarten (Tz. 20). Auch dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor, da das Eintreten der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a nicht zu erwarten ist. Deshalb stellt sich die Frage, ob wegen der ständigen Verspätung, mit der auch künftig zu rechnen ist, ganz allgemein die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind. Dies hängt vor allem vom Verschulden des M ab.

453 BGHZ 205, 300 = NJW 2015, 2419, Tz. 54ff. 454 BGH NJW 2007, 428, Tz. 9; BGH NJW 2008, 508, Tz. 13; BGH NJW 2010, 3228, Tz. 21;

BGH NJW 2010, 3020, Tz. 15.; Schmidt-Futterer/Blank § 543 BGB Rn. 84ff. 455 Dazu Hinz, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 758, 766f. 456 LG Hamburg WuM 2007, 74. 457 LG Hamburg WuM 2007, 709; aA. KG DWW 2008, 379: Das Gericht verlangt eine konkrete Darlegung, inwieweit der Gesundheitszustand des Mieters diesen an der rechtzeitigen Zahlung hinderte.

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§ 6 Miete und Pacht

Ein Verschulden des Mieters iSd. § 543 Abs. 1 Satz 2 kommt vorliegend insbesondere in Betracht, wenn sich der Mieter das Verschulden des Jobcenters nach § 278 Satz 1 zurechnen lassen muss. Dann müsste es sich beim Jobcenter um eine Person handeln, derer sich der Mieter zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten gegenüber dem Vermieter bedient. Der BGH lehnt dies mit der Überlegung ab, der Sozialhilfeempfänger (Mieter) schalte das Jobcenter nicht selbst ein, sondern dieses werde als Träger staatlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge nach Eintritt der Tatbestandsvoraussetzungen tätig. Auch die Beantragung der Hilfeleistung durch den Mieter genüge für eine Zurechnung nicht (Tz. 30). Die Kritik wendet ein, dass es im Rahmen des § 278 Satz 1 – anders als übrigens bei § 831 Abs. 1 Satz 1 – nicht auf das Bestehen von Weisungsbefugnissen zwischen Verantwortlichem und Erfüllungsgehilfen ankomme.458 Dem wird man entgegenhalten müssen, dass auch im Tatbestandsmerkmal des „Sich-Bedienens“ in § 278 Satz 1 vorausgesetzt ist, dass der Schuldner durch die Einschaltung des Erfüllungsgehilfen eine freie und bewusste Risikoentscheidung trifft, an die die Zurechnung für das Vertretenmüssen des Erfüllungsgehilfen erst anknüpft. Daran fehlt es vorliegend, weil der in Not geratene Mieter den für ihn einspringenden Leistungsträger nicht frei auswählen kann, sondern schlicht kraft Gesetzes an diesen verwiesen wird. Im Schrifttum ist ergänzend bemerkt worden, § 278 Satz 1 passe auf den vorliegenden Fall auch deshalb nicht, weil der in Not geratene Bürger seinen Geschäfts- und Risikobereich nicht freiwillig ausweite, wie es der Normzweck üblicherweise voraussetze.459 Dem liegt ein an das Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit erinnernder Gedanke zugrunde: Weitet der Schuldner seine Handlungsmöglichkeiten zu seinem Vorteil aus, muss er gerade die damit verbundenen Risiken tragen. Davon kann vorliegend aber nicht die Rede sein, wenn der Mieter das Fehlverhalten des Jobcenters in keiner Weise beeinflussen oder korrigieren kann. Deshalb überzeugt die Entscheidung.460 In einem neueren Fall kommt es allerdings zu einer anderen Beurteilung der Zurechnungsverhältnisse im Rahmen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3:461 Im entschiedenen Fall erreicht der Mietrückstand das in dieser Norm vorausgesetzte Verzugsvolumen, wobei sich der Mieter abermals auf seine finanzielle Abhängigkeit von Leistungen eines Trägers der Sozialversicherung beruft, der seinerseits in schuldhafter Weise säumig ist. Der BGH überträgt nun die zu § 543 Abs. 1 gebildeten Grundsätze nicht, weil § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 keinen Raum für die Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen lasse. Der Mieter hafte hier für die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit aus Garantie nach § 276 Abs. 1 („Geld hat man zu haben“; Rn. 354). Die Unterscheidung trägt ihre innere Rechtfertigung darin, dass § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 458 Rieble NJW 2010, 816, 817. 459 Rolfs/Schlüter, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 11, 15, allerdings auf S. 16 doch zur

Normanwendung gelangend. 460 Ebenso Wiek WuM 2010, 204, 206f. 461 BGHZ 204, 134 = NJW 2015, 1296, Tz. 18 und 21; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf

diese Entscheidung; vgl. auch BGH NJW 2016, 2805 zu einem Fall des § 543 Abs. 1 Satz 2.

V. Die Vermieterrechte

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die Voraussetzungen eines allgemeinen Kündigungsgrundes typisiert (typisierte Unzumutbarkeit),462 während § 543 Abs. 1 auf einer Einzelfallprüfung beruht, im Rahmen derer die individuelle Vertragstreue des Mieters anhand aller Einzelumstände, auch der individuellen Vorwerfbarkeit, geprüft wird. § 278 Satz 1 bleibt zwar auch im Rahmen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 unanwendbar; im Rahmen dieses typisierten Tatbestandes trägt der Vermieter jedoch nach § 276 Abs. 1 schlicht das Risiko der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit. Ein Vertretenmüssen liegt auch dann vor, wenn der Mieter die Mietminderung nach § 536 Abs. 1 Satz 2 zu hoch bestimmt: Ein Rechtsirrtum entlastet ihn hier nicht und eine fehlerhafte Beratung durch seinen Rechtsanwalt hat er nach § 278 Satz 1 zu vertreten.463 Die Gegenauffassung stellt darauf ab, dass der Mieter seine Rechte ohne Furcht vor einer Kündigung geltend machen können müsse.464 Die Fragestellung erinnert an die Fälle des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens und das dort anerkannte „Recht auf Irrtum“ des Käufers, der oft nicht weiß, ob die Funktionsstörung auf einem Mangel beruht oder nicht (Rn. 212f.). Der Vergleich zeigt aber auch die Unterschiede: Im Kaufrecht geht es um die regelmäßig überschaubaren Kosten eines nicht geschuldeten Nacherfüllungsversuchs, während im Fall des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sehr rasch große Beträge zustande kommen, für die der Vermieter während der Einbehaltungszeit das Insolvenzrisiko des Mieters trägt. Zu Recht ist daher die Frage gestellt worden, aus welchem Grund der Vermieter die Folgen einschlägiger Fehleinschätzungen des Mieters über längere Zeit tragen sollte.465 Näher liegt es, dass der Mieter sich rechtlich beraten lassen und gegebenenfalls seinen Anwalt in Regress nehmen muss. Dieser, nicht der Vermieter, trägt dann das endgültige Risiko einer Fehlberechnung. Allerdings legt die Praxis bei der Konkretisierung des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 teilweise zu scharfe Maßstäbe an. So soll der Verzug auch dann eintreten, wenn der Mieter die Miete zwar zahlt, aber unter einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorbehalt stellt.466 Dies geht jedoch über das Ziel hinaus, weil dem Mieter bei vorbehaltloser Überzahlung die Verwirkung der Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 1 oder 2 droht (Rn. 838) oder sein Verhalten als Abschluss eines stillschweigenden Änderungsvertrags über die Betriebskostenerstattung ausgelegt werden kann (Rn. 934). Im Übrigen bleibt dem Mieter schon wegen § 814 nur die Möglichkeit der Zahlung unter Vorbehalt. Der Vermieter ist in diesen Fällen dadurch geschützt, dass er die Miete bereits nutzen kann und vor allem nicht das Insolvenzrisiko des Mieters trägt.467 Die Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 2 Satz 2 ist ausgeschlossen, wenn der Vermieter vor der Kündigungserklärung vollständig befriedigt wird. Schließlich eröffnet § 569 Abs. 3 ein Nachholrecht im Wege der 462 463 464 465 466 467

Wiek, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, 1296, S. 281, 286f. BGH NJW 2012, 2882, Tz. 19ff. Blank WuM 2012, 501f. im Anschluss an BVerfGE 80, 48 = NJW 1989, 1917. Hinz NJW 2013, 337, 338f.; Selk NZM 2012, 797, 798. LG Hamburg ZMR 2010, 117, 118. Zutreffend Hinz, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 758, 767.

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§ 6 Miete und Pacht

Schonfristzahlung (Nr. 2; dazu Rn. 1007) und eine besondere Schonfrist nach erfolgreichem Mieterhöhungsverlangen (Nr. 3). Nimmt man den Vollstreckungsschutz des Mieters hinzu (Rn. 980), eröffnet die außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs für den Vermieter einen mitunter dornenreichen Weg. b) Die Parallelanwendung der §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 573 Abs. 2 Nr. 1 beim Zahlungsverzug des Mieters 1005

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Liegen beim Zahlungsverzug die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 vor, kommt auch eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 in Betracht, weil der Mieter uU. seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Fraglich ist aber, ob eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 auch unterhalb der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 genannten Verzugsschwellen möglich ist. Dies lehnt eine MM. mit der Überlegung ab, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 liege eine gesetzgeberische Wertentscheidung zu diesem Problemkreis zugrunde, die der Interessenlage beider Seiten abschließend Rechnung trage.468 Dafür spricht ein historisches Argument: Die Norm geht auf eine ältere, sondergesetzliche Regelung außerhalb des BGB zurück, die die Kündigung wegen Zahlungsverzugs abschließend regelte und eher zufällig in § 543 Abs. 2 eingegliedert wurde.469 Daraus lässt sich auf den gesetzgeberischen Willen schließen, den Zahlungsverzug abschließend in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zu regeln. Die Gegenauffassung verweist auf das heute bestehende systematische Verhältnis von außerordentlicher und ordentlicher Kündigung, nach dem eine ordentliche Kündigung gegenüber der außerordentlichen immer auch unter erleichterten Voraussetzungen in Betracht kommen muss.470 Geht man davon aus, dass der subjektive Wille des Gesetzgebers allein nicht bindend ist, sondern immer auch objektiven Eingang in den Gesetzestext gefunden haben muss, überzeugt die hM. Eine ordentliche Kündigung unterhalb der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gesetzten Schwellen ist daher möglich. Daran schließt sich die Frage an, ab welchem Verzugsvolumen die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 möglich ist. Teilweise wird jeder nicht nur ganz unerhebliche Verzug des Mieters für ausreichend angesehen.471 Weil § 573 Abs. 2 Nr. 1 indes eine erhebliche Pflichtverletzung voraussetzt, erscheint dies nicht überzeugend. Hinzu kommt der offene Tatbestand, der Anlass zu endlosem Streit im Einzelfall geben kann (vgl. Rn. 805). Eine vorzugswürdige weitere Auffassung stellt deshalb auf ein Argument aus § 569 Abs. 3 Nr. 1 ab. Die Norm konkretisiert den Fall des nicht unerheblichen Teils der Miete in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a für den Fall der Wohnraummiete mit 468 Schmidt-Futterer/Blank § 573 BGB Rn. 27. 469 Dazu und zum Folgenden Franke ZMR 1992, 81, 82; dazu auch Hinz, in: Mietrechtsreform-

gesetz – Bilanz, S. 758, 762. 470 Vgl. im Überblick zunächst Hinz, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 758, 762. 471 AG Berlin-Mitte GE 2007, 155; Lehmann-Richter/Stützer GE 2010, 889, 891; M. Schmid DWW 1982, 77, 84.

V. Die Vermieterrechte

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dem Volumen einer Monatsmiete. Erkennbar geht der Gesetzgeber insoweit von Erheblichkeit aus. Danach rechtfertigt ein Verzug mit einer Summe iH. einer Monatsmiete regelmäßig die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1.472 Der Sachunterschied zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 besteht vor allem darin, dass der Vermieter nicht das Verstreichen von zwei Monaten (lit. a) abwarten muss, wenn zu dem Rückstand mit einer Monatsmiete noch ein kleiner Betrag hinzukommt. Der BGH sieht schließlich den Fall der ständigen unpünktlichen oder unvollständigen Zahlung der Miete als eigenen Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 an. Eine Abmahnung durch den Vermieter setzt die Kündigung nach hM. nicht voraus.473 Dies überzeugt beim Zahlungsverzug – anders als bei sonstigen Kündigungsgründen (Rn. 985) – wegen der kalendermäßigen Bestimmtheit der Zahlungspflicht, die sich im Zweifel aus § 556b Abs. 1 ergibt. Fraglich ist schließlich, ob die Schonfristzahlung bzw. das Nachholrecht gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 auch bei der ordentlichen Kündigung Anwendung findet. Nach dieser Norm wird die Kündigung auch dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Dies gilt wiederum nicht, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2). Der BGH verneint die analoge Anwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 auf § 573 Abs. 2 Nr. 1, und zwar aus folgender Überlegung heraus:474 Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers475 dient § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Vermeidung von Obdachlosigkeit infolge einer außerordentlichen Kündigung. Diese Gefahr bestehe bei der ordentliche Kündigung jedoch in geringerem Maße, weil der Mieter die Kündigungsfrist zur Wohnungssuche nutzen könne. Einer nachträglichen Zahlung komme deshalb Bedeutung nur bei der Beurteilung der Frage zu, ob der Mieter seine Pflichtverletzung nicht nur unerheblich verschuldet habe (Tz. 20). Sie lasse dann nämlich das Fehlverhalten des Mieters in milderem Licht erscheinen, führe allerdings nicht automatisch zum Entfallen des Verschuldensvorwurfs. Dieser Effekt tritt übrigens nicht ein, wenn die Zahlung nur unter Vorbehalt erfolgt, obwohl kein Vorbehaltsgrund besteht.476 Der Gesetzgeber des Mietrechtsreformgesetzes 2001 ist auf den Vorschlag einer erweiterten Anwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 nicht eingegangen.477 Die Gegenauffassung betont das Erfordernis eines systematischen Gleichlaufs beider 472 Hinz, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 758, 763; Kinne ZMR 2001, 251, 255; Staudinger/Rolfs § 573 Rn. 47 mwN. 473 BGH NJW 2008, 508, Tz. 14 und 20ff. 474 BGH NZM 2005, 334, Tz. 13ff., 18; die folgenden Tz. bis zum nächsten Fallbeispiel beziehen sich auf diese Entscheidung. Vgl. daneben noch BGH NJW 2007, 428, Tz. 11. 475 RegE BT-Drucks. 14/45530, S. 64. 476 BGH NJW 2007, 428, Tz. 11. 477 Dazu Hinz, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 758.

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§ 6 Miete und Pacht

Kündigungen.478 Dies erscheint allerdings angesichts des beschränkten Normzwecks von § 569 Abs. 3 Nr. 2 nicht zwingend. Für die Gegenauffassung spricht auch nicht, dass der BGH das Kündigungsrecht aus § 573 Abs. 2 Nr. 1 in einer Sonderkonstellation doch unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus § 569 Abs. 3 Nr. 2 konkretisiert: (BGH 14.7.2010 – VIII ZR 267/09 = NJW 2010, 3020) Vermieter V hatte Mieter M fristlos nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a gekündigt, weil dieser in zwei aufeinander folgenden Monaten mit der Entrichtung der Miete iHv. mehr als einer Monatsmiete in Verzug geraten war. Der zwischen den Parteien geführte Prozess wurde durch beiderseitige Erledigungserklärung beendet, als der Träger der Sozialversicherung die beiden geschuldeten Monatsmieten nachträglich an V überwies. Die Kosten des Rechtsstreites wurden im Anschluss M auferlegt. Als M die außergerichtlichen Kosten des V in der Folgezeit nicht ersetzt, kündigt V ein weiteres Mal auf der Grundlage des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a und des § 573 Abs. 2 Nr. 1, weil die Höhe dieser Kosten das in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a vorausgesetzte Volumen erreichen.

1008

Der BGH hat in diesem Fall zunächst die Wirksamkeit der Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 verneint. Zwar stünde der Verzug mit der Erstattung der Prozesskosten des Vermieters in einem inneren Zusammenhang mit einer Pflichtverletzung des Mieters aus dem Mietverhältnis; denn sie gingen auf den Zahlungsverzug des Mieters mit der Miete zurück und stellten einen Teil des vom Mieter zu tragenden Verzugsschadens dar (Tz. 19). Dennoch stehe der Berücksichtigung dieser Pflichtverletzung der Rechtsgedanke des § 569 Abs. 3 Nr. 2 entgegen (Tz. 22): Denn mit dem Zweck der Norm, eine Obdachlosigkeit des Mieters zu verhindern, sei es nicht vereinbar, wenn der Vermieter den Rückstand des Mieters mit der Prozesskostenerstattung aus dem gerade abgewendeten Rechtsstreit zum Anlass nehmen könne, dem Mieter ein weiteres Mal zu kündigen. Der Gesetzgeber habe die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach dieser Norm nämlich gerade nicht von der Erstattung der Prozesskosten abhängig gemacht und dem Vermieter damit zugemutet, am Mietverhältnis auch dann festhalten zu müssen, wenn der Mieter diese nicht erstatten könne. Diese Wertung greife aber auch im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1, weil sonst die Obdachlosigkeit eines solchen Mieters, dem es erkennbar an Mitteln fehle, nicht abgewendet werden könne (Tz. 23). Der BGH erkennt darin keinen Widerspruch zur Nichtanwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 auf die ordentliche Kündigung (Tz. 24): Denn vorliegend gehe es um die eigenständige Frage, ob ein nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 fortgesetztes Mietverhältnis durch eine erneute Kündigung beendet werden könne. Diese Differenzierung leuchtet ein. Die Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 569 Abs. 3 Nr. 2 im Rahmen einer Anschlusskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 stellt kein Argument dar, diesen Schutzzweck auch im Rahmen einer nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 begründeten Primärkündigung zu berücksichtigen. 478 Blank, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 257, 264; Franke ZMR 1992, 81, 83; MünchKomm/Häublein § 573 Rn. 61.

V. Die Vermieterrechte

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Es versteht sich, dass deshalb nicht nur die Anschlusskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1, sondern erst recht die Kündigung des V nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ausgeschlossen ist; denn auf diesen Fall ist § 569 Abs. 3 Nr. 2 ja unmittelbar anwendbar (Tz. 26).

c) Die Bedeutung von Geschäftsverbindungsbräuchen beim Zahlungsverzug

Unter engen Voraussetzungen können die Vereinbarungen über die Fälligkeit der monatlichen Miete hinter einer langjährigen, in eine andere Richtung gehenden Übung der Vertragsparteien zurücktreten. Entscheidend kommt es darauf an, dass zugunsten des Mieters ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen wurde, dass der Vermieter bei der Anwendung des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 nicht die „Buchstaben“ des Vertrages, sondern die bisherige Erfüllungspraxis beachten wird. (BGH 4.5.2011 – VIII ZR 191/10 = NJW 2011, 2201) In dem 1983 zwischen V und M geschlossenen Mietvertrag war vorgesehen, dass die Miete bis zum dritten Werktag eines Monats zu überweisen war. Daran hielt sich M jedoch nicht, sondern überwies über Jahre hinweg zur Mitte des Monats, ohne dass dies von V beanstandet worden wäre. Anfang November 2007 mahnt V den M dann erstmals zu pünktlicher Zahlung. Die Novemberzahlung erfolgt am 16., die Dezemberzahlung am 11. Kalendertag. Darauf kündigt V dem M wegen unpünktlicher Mietzahlung.

Wiederum kommt eine Kündigung nach § 543 Abs. 1 Satz 1 wegen ständiger unpünktlicher Entrichtung der Miete in Betracht (Rn. 1002). Dennoch verneint der BGH die Wirksamkeit der Kündigung aus gutem Grund. Zwar dürfe zugunsten des Mieters nicht positiv berücksichtigt werden, dass dieser seine Pflichten in der Vergangenheit dauerhaft verletzt habe (Tz. 21). Allerdings verdiene Beachtung, dass der Vermieter die pünktliche Zahlung über Jahre hinweg nicht angemahnt habe. Unter diesen Voraussetzungen konnte der Mieter davon ausgehen, dass der Vermieter die Zahlung als Bagatelle ansehe und auf die wiederholte Verspätung nicht so reagieren würde wie im Normalfall des § 543 Abs. 1 Satz 1 (Tz. 21). Dies überzeugt. Denn in einem Dauerschuldverhältnis können durch eine bestimmte Praxis bei der Erfüllung der gegenseitigen Pflichten sog. Geschäftsverbindungsbräuche entstehen:479 Findet zwischen den Parteien eines Dauerschuldverhältnisses über Jahre hinweg eine immer gleiche Abwicklung von Erfüllungsvorgängen statt und lässt sich eine Seite dauerhaft auf eine vom Wortlaut des Vertrages abweichende Art der Erfüllung ein, bleibt dies nicht ohne Rechtsfolge: Es entstehen zwischen den Beteiligten neue Rechte und Pflichten im Wege der Erwirkung oder Verwirkung, die vom ursprünglich Vereinbarten abweichen können. Der Grund dafür liegt im Vertrauensschutz: Durch Akzeptanz der abweichenden Erfüllungsübung über einen längeren Zeitraum schafft der Gläubiger einen Vertrauenstatbestand, auf den sich 479 Dazu Müller-Graff, Rechtliche Auswirkungen einer laufenden Geschäftsverbindung im amerikanischen und deutschen Recht, 1974, S. 247ff.; Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 12; Larenz I, S. 122f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 262ff.

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§ 6 Miete und Pacht

der Schuldner verlassen kann. Es liegt auf der Hand, dass auch eine wiederholte Pflichtverletzung des Schuldners nicht zu einer Vertragsänderung führen kann, nur weil sie der Gläubiger nicht abmahnt. Erforderlich ist vielmehr eine ständige gemeinsame Übung der Vertragsparteien über einen erheblichen Zeitraum. Im vorliegenden Fall ließ sich daher der Vermieter ab einem nicht mehr genau zu bestimmenden, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt auf eine andere Art der Erfüllung der Pflicht aus § 535 Abs. 2 ein. Dies führt vorliegend nicht dazu, dass die ursprüngliche, anderslautende Vereinbarung nicht mehr gilt. Ein Geschäftsverbindungsbrauch hat sich jedoch insoweit gebildet, als der Vermieter diese Vereinbarung nicht unmittelbar durch eine Mahnung iSd. § 286 Abs. 1 Satz 1 durchsetzen kann, sondern den beim Mieter entstandenen Vertrauenstatbestand in qualifizierter Weise (Änderungsvereinbarung; Änderungskündigung, auf die § 573 Abs. 1 Satz 2 keine Anwendung findet) beseitigen muss. Dies ist hier noch nicht erfolgt. Im Fall liegen daher die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach § 543 Abs. 1 nicht vor.

d) Ausübungsfrist für die außerordentliche Kündigung 1010

Fälle wie der vorliegende werfen schließlich die Frage auf, ob § 314 Abs. 3 auf die Kündigung nach § 543 analoge Anwendung findet. Nach § 314 Abs. 3 muss der Berechtigte innerhalb einer angemessenen Frist ab Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund kündigen. Der für die Geschäftsraummiete zuständige XII. Senat des BGH wendet die Norm entsprechend an; der VIII. Senat hingegen nicht.480 Dafür spricht, dass der speziellere Wohnraumkündigungsschutz den § 314 als lex generalis verdrängt. Bei der Geschäftsraummiete besteht jedoch ein solches Konkurrenzverhältnis nicht, weil hier der Wohnraumkündigungsschutz keine entsprechende Anwendung findet (§ 578 Abs. 2). Abgesehen davon passt § 314 Abs. aber ganz grundsätzlich nicht auf Dauerzustände wie die Störung des Hausfriedens nach § 569 Abs. 2 oder Fälle typisierter Unzumutbarkeit wie in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3, sondern nur bei einem konkreten, punktuellen Fehlverhalten (§ 543 Abs. 1). Nur bei diesem komme es nämlich denklogisch in Betracht, dass das zu lange Abwarten einen Selbstwiderspruch bei der späteren Kündigung erzeuge.481 Dafür spricht, dass auch das Gesetz in § 543 Abs. 3 Satz 1 die Abmahnung auf den Fall der Pflichtverletzung beschränkt. Als überzeugendes Beispiel für die Unanwendbarkeit des § 314 Abs. 3 wird dabei gerade der Fall des Zahlungsverzugs des Mieters nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 angesehen: Hier müsse der Vermieter das weitere Verhalten des Mieters ohne Zeitdruck abwarten dürfen, bevor er die Kündigung erkläre.482

480 BGH NJW-RR 2007, 886, Tz. 21 (XII. Senat); BGH NZM 2016, 791, Tz. 14 (VIII. Senat). 481 Wiek, in: Mietrechtsreformgesetz – Bilanz, S. 281, 285ff. 482 Schmidt-Futterer/Blank § 543 BGB Rn. 127.

V. Die Vermieterrechte

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e) Die Form der außerordentlichen Kündigung

Das Gesetz kennt rudimentäre Anforderungen für die wirksame Ausübung des materiell bestehenden Kündigungsrechts. Nach § 543 Abs. 3 Satz 1 ist die Kündigung wegen einer Pflichtverletzung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig (vgl. dazu bereits oben Rn. 985). Bei der Wohnraummiete ist der zur Kündigung führende wichtige Grund nach § 569 Abs. 4 in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Wie bei der ordentlichen Kündigung (Rn. 992) besteht auch hier die Gefahr, dass sich das zwischen den Parteien vorhandene Konfliktpotenzial (Rn. 805) an Formfragen entzündet. Deswegen sind die formellen Anforderungen an die Begründung denkbar niedrig:

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(BGH 12.5.2010 – VIII ZR 96/09 = NJW 2010, 3015) Mieter M hatte im Zeitraum von Mai 2004 bis April 2007 nur eine herabgesetzte Miete gezahlt, weil er eine Minderung nach § 536 Abs. 1 Satz 2 behauptete, für die aus Sicht des Vermieters V jedoch kein Grund bestand. Deshalb kündigte V dem M wegen Zahlungsverzugs fristlos. In dem Schreiben listete sie die aus ihrer Sicht bestehenden Zahlungsrückstände auf. Der Räumungsanspruch aus § 546 Abs. 1 setzt eine wirksame Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b voraus.

Die Vorinstanz sah die Begründung als nicht ausreichend nach § 569 Abs. 4 an, während der BGH vorliegend keine Bedenken gegen die formale Wirksamkeit der Kündigung hat, weil für den Mieter deutlich werde, auf welchen Kündigungsgrund sich der Vermieter stütze (Tz. 26f.). Der Zweck des § 569 Abs. 4 besteht in der Tat allein darin, dass der Mieter erkennen kann, auf welchen Sachverhalt der Vermieter die fristlose Kündigung stützt.483 Deshalb muss der Vermieter nicht den genauen Zeitpunkt und den konkreten Mietrückstand für einzelne Monate benennen. Es genügt, dass der Mieter der Mitteilung entnimmt, von welchem Rückstand der Vermieter ausgeht und dass der Mieter diesen als Kündigungsgrund ansieht (Tz. 26). Praktisch bedeutet dies, dass der Vermieter nur den Zahlungsrückstand benennen und den Kündigungsgrund angeben muss (Tz. 27). Vorliegend ist die Kündigung des V daher wirksam.

f) Einschränkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung?

Es entspricht einem allgemeinen schuldrechtlichen Prinzip, dass sich eine Partei aus einem Dauerschuldverhältnis lösen können muss, wenn die Vertrauensgrundlage zur Vertragsgegenseite entfallen ist.484 Dieser Rechtsgedanke liegt auch § 314 zugrunde und wird für die Wohnraummiete in den §§ 543, 569 verwirklicht. Deshalb sind vertraglichen Abreden über die Erschwerung des Kündigungsrechts enge Grenzen gesetzt:

483 RegE BT-Drucks. 14/4553, S. 91 und BT-Drucks. 14/5663, S. 82. 484 Larenz I § 2 VI, S. 32.

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§ 6 Miete und Pacht

(BGH 8.2.2012 – XII ZR 42/10 = NJW 2012, 1431)485 M hat mit V am 17.4.2007 einen Vertrag über die Benutzung der Einrichtung des von V betriebenen Fitnessstudios abgeschlossen. In den von V gestellten AGB ist eine Laufzeit von 24 Monaten vorgesehen. Dem M ist jedoch im Krankheitsfalle ein außerordentliches Kündigungsrecht vorbehalten, wenn er durch ärztliches Attest Art und Umfang der Erkrankung und die Unmöglichkeit einer Benutzung der Einrichtung nachweist. Als M ernstlich erkrankt, kündigt er den Vertrag mit Schreiben vom 24.7.2008 und legt ein ärztliches Attest bei, das bestätigt, M könne keine Fitnessübungen mehr durchführen. V akzeptiert diese Kündigung wegen des unzureichenden Attests nicht und besteht weiter auf Zahlung. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 535 Abs. 2. Dieser setzt voraus, dass M hier nicht nach § 543 Abs. 1 Satz 1 fristlos kündigen konnte.

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Der BGH qualifiziert den Vertrag über die Benutzung eines Fitnessstudios als Gebrauchsüberlassungsvertrag, der im Einzelfall – wenn der Betreiber Einweisungen der Kunden, Übungsstunden mit diesen usw. schuldet – auch dienstvertragliche Elemente beinhalten kann (Tz. 17). Vorliegend spielen diese jedoch keine Rolle, da der Kunde nur die Geräte benutzen darf. Die Laufzeit von 24 Monaten hält der BGH für angemessen, wobei er § 309 Nr. 9 lit. a nicht unmittelbar anwendet, weil hier keine Dienstleistungen erbracht werden (Tz. 16). Bei der Konkretisierung des § 307 Abs. 1 Satz 1 entnimmt er der Norm allerdings den allgemeinen Rechtsgedanken, dass der Gesetzgeber der Vertragsgegenseite eine Bindungsdauer von zwei Jahren zumute (Tz. 24f.). Im Schrifttum wurde dagegen eingewendet, der Kunde könne selten über einen so langen Zeitraum hinweg voraussehen, ob er über die für das Training erforderlichen persönlichen Freiräume verfügen werde.486 Das zentrale Problem des Falles liegt jedoch in der Frage, ob die in den AGB des Studiobetreibers vorgesehene Beschränkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstößt. Der BGH geht davon aus, dass es einem allgemeinen, §§ 314, 543 und 626 zugrunde liegenden Rechtsgedanken entspreche, dass bei einem Dauerschuldverhältnis eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich bleiben müsse (Tz. 27).487 Die zugrunde liegende Lehre beruht allerdings auf der Einsicht, dass einem Dauerschuldverhältnis notwendigerweise ein Vertrauensverhältnis zugrunde liegen muss, bei dessen Zerrüttung erst ein Lösungsrecht entsteht.488 Darum geht es jedoch vorliegend nicht, denn aus Sicht des Kunden ist nicht das Vertrauen zum Vermieter zerrüttet, sondern der Mieter ist aus persönlichen Gründen an der Annahme der Leistung dauerhaft gehindert. Dass der Vermieter dem Mieter aber entgegen der Regelung des § 537 Abs. 1 auch für diesen Fall ein Kündigungsrecht einräumen muss, folgt nicht unmittelbar aus §§ 314, 543, 626, sondern ist viel eher eine Folge der hohen Bindungsdauer des Vertrages und erinnert an den Fall des 485 Ähnlich nun zur Kündigung durch einen Soldaten, der an einen anderen Standort versetzt wird: BGH NJW 2016, 3718. 486 Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl. 2009, Klauseln [Fitnessstudiovertrag] Rn. F 25; Ulmer/Brandner/Hensen/Christensen § 309 Nr. 9 BGB Rn. 14. 487 Zu dieser Thematik jetzt auch BGH NJW 2012, 521. 488 Vgl. dazu nur Larenz I § 2 VI, S. 32 mit Verweis auf die Rechtsprechung seit RGZ 78, 389.

V. Die Vermieterrechte

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§ 313 Abs. 1: Bei einer zweijährigen Verpflichtung erscheint es aus Sicht der Parteien nicht fernliegend, dass nachträglich ein von beiden Seiten zugrunde gelegter, für den Vertragsschluss zentraler und von keiner Seite zu vertretender Umstand entfallen kann: die Gesundheit des Kunden! Je länger der Vermieter den Mieter vertraglich bindet, umso eher muss er sich auf eine solche Entwicklung einstellen und dem Mieter ein Lösungsrecht eröffnen. Dieses aber schränkt die vorstehende Klausel zu stark ein: Bei Anwendung der kundenfeindlichsten Auslegung nach § 305c Abs. 2 besteht nämlich selbst im Falle der Schwangerschaft kein Kündigungsrecht (Tz. 31). Vor allem aber wird die Kündigung durch die Pflicht des Kunden erschwert, die eigene Krankheit offenbaren zu müssen (Tz. 34). Wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion ist deshalb die gesamte Kündigungsklausel hinfällig. Nach Auffassung des BGH kann M daher nach § 543 Abs. 1 Satz 1 kündigen. Nach hier vertretener Auffassung kommt – wenn eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 ausscheidet – eine Kündigung nach § 313 Abs. 3 Satz 2 in Betracht.

g) Rechtsverfolgungskosten bei der außerordentlichen Kündigung

Bei der ordentlichen Kündigung verneint der BGH den Pflichtcharakter der Kündigungsbegründung nach § 573 Abs. 3, um dem Ersatz von Rechtsverfolgungskosten vorzubeugen: Der Mieter darf danach einen Anwalt nicht schon deshalb einschalten, weil die Kündigung unklar oder gar nicht begründet ist (Rn. 971). Rechtsverfolgungskosten werden daher regelmäßig erst ab Verzugseintritt ersetzt. Selbst dann stellt sich jedoch die Frage, ob der Vermieter in einfach gelagerten Fällen einen Rechtsanwalt einschalten darf: (BGH 6.10.2010 – VIII ZR 271/09 = NJW 2011, 296) Mieter M gerät mit zwei Monatsmieten in Verzug. Vermieterin V, ein Unternehmen der Wohnungswirtschaft, schaltet einen Rechtsanwalt wegen der Kündigung ein, der 402,82 € in Rechnung stellt. Kann V diese Kosten von M erstattet verlangen? Grundsätzlich steht V gegenüber M ein Anspruch auf Ersatz des verzugsbedingten Vermögensschadens aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 zu. Fraglich ist nur, ob M den vorstehenden Schaden zurechenbar verursacht hat.

Der BGH geht vorliegend von einer Verletzung der Schadensminderungspflicht der Vermieterin aus § 254 Abs. 2 Satz 1 aus (Tz. 8). Die Voraussetzungen einer Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a hätten so eindeutig vorgelegen, dass sie keiner rechtsanwaltlichen Beratung bedurft hätte (Tz. 9). Dogmatisch gründet diese Argumentation des BGH in der objektiven Zurechnung des eingetretenen Schadens zur Pflichtverletzung. Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm489 setzt die Zurechnung des eingetretenen Schadens einen inneren Zusammenhang zum Zweck der verletzten Norm voraus (Rn. 1056). Hier aber hat die Pflichtverletzung des Mieters die Vermieterin nicht zur Einschaltung eines Rechtsanwaltes herausgefordert. 489 Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 1, 1936, S. 502ff.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 299f.; M. Wolf NJW 1967, 709ff.

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§ 6 Miete und Pacht

VI. Der Pachtvertrag Im Pachtvertrag verpflichtet sich der Verpächter, dem Pächter einen Gegenstand zum Gebrauch zu überlassen und den Genuss der Früchte, soweit sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft als Ertrag anzusehen sind, während der Pachtzeit zu gewähren (§ 581 Abs. 1 Satz 1). Der Begriff der Früchte folgt dabei § 99 (vgl. die Beispiele Rn. 277). Schwierigkeiten kann die Abgrenzung zum Mietvertrag bei der entgeltlichen Überlassung von Geschäftsräumen bereiten: Eine bloße Miete iSd. §§ 535ff. liegt wohl vor, wenn nur die Räume als solche zum Gebrauch überlassen werden. Weiter geht die Raumpacht, wenn die Räume bereits so ausgestattet sind, dass der Unternehmer seinen Betrieb unmittelbar aufnehmen kann, und deshalb Früchte ziehen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob der frühere Pächter ihm das Inventar überlassen hat oder der Verpächter.490 Entscheidend dürfte es darauf ankommen, dass die Vorschriften über das Inventar (§§ 582ff.; Rn. 1017), die das Pachtrecht vor allem prägen, ihrem Zweck nach auf den vertraglichen Leistungsaustausch passen.491 Bei der Unternehmenspacht werden dem Pächter die eingerichteten und ausgestatteten Räume sowie weitere Unternehmensbestandteile (zB. eine geschäftliche Bezeichnung nach § 5 Abs. 2 MarkenG oder ein Kundenstamm) überlassen. Die Bedeutung der Abgrenzung ist deshalb nicht sonderlich groß, weil gemäß § 581 Abs. 2 auf den Pachtvertrag im Wesentlichen Mietrecht Anwendung findet. Verpachtet werden kann auch ein Recht. Hier gewinnt das Pachtvertragsrecht zunehmend an Bedeutung: Beispiel Der Fußballverein F veranstaltet in seinem Stadion ein Spiel der Champions League. Zu diesem Zweck veräußert er die Fernsehübertragungsrechte an eine Sportrechteagentur. Diese wiederum vertreibt die Rechte an den Sender X.

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Nach hM. steht dem Eigentümer eines Stadions wegen seines Hausrechts ein Recht an der Fernsehübertragung der dort stattfindenden Spiele zu.492 Er kann also Kamerateams nach seiner Vorstellung zum Spiel zulassen oder nach § 1004 Abs. 1 fernhalten. Die Vermarktung dieses Rechts dürfte schuldrechtlich durch Verpachtung des Hausrechts an eine Sportrechteagentur erfolgen, die ihrerseits im Wege der Unterpacht (§§ 581 Abs. 2, 540) mit dem Fernsehsender über die Fernsehübertragungsrechte kontrahiert. Ein wesentlicher Unterschied zur Miete besteht darin, dass der Pächter häufig das Inventar der gepachteten Räume mit übernimmt. Das Gesetz verzichtete ursprünglich auf eine Definition des Inventarbegriffs.493 Nun ist dieser 490 Staudinger/Schaub Vorbem zu § 581 Rn. 34.; am Konzept der Raumpacht zweifelnd Larenz II/1 § 49 I. 491 BeckOGK/H. Schmidt § 535 Rn. 36. 492 Hinzu treten Abwehrrechte aus § 8 UWG; insgesamt BGHZ 110, 371, 383f. – Sportübertragungsrechte; dazu Bungart, Dingliche Lizenzen an Persönlichkeitsrechten durch Einräumung von Fruchtziehungs- und Aneignungsrechten, Diss. Potsdam 2005, passim; Petersen, Fußball im Rundfunk- und Medienrecht, 2001, S. 14f. 493 Mot. II S. 426.

VI. Der Pachtvertrag

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doch über die neue amtliche Überschrift des § 98 in das Gesetz gelangt; die dort aufgeführten Positionen geben einen (wenngleich nicht abschließenden) Überblick. Das Inventar umfasst alle beweglichen Sachen, die dem unternehmerischen Zweck des Grundstücks dienen und in räumlichem Verhältnis zu dem Grundstück stehen. Der Begriff erinnert an den des Zubehörs (§ 97). Auf die Eigentumsverhältnisse an den beweglichen Sachen kommt es hingegen nicht an.494 Da das Inventar im Eigentum des Verpächters oder eines Dritten verbleibt, treffen den Pächter besondere Obhutspflichten (§ 582 Abs. 1). Bei Beendigung der Pacht ist der Verpächter im Übrigen daran interessiert, das unternehmerisch betriebene Grundstück als funktionierende Einheit zurückzuerhalten. Das Gesetz sieht dazu zwei Wege vor: Der Pächter kann verpflichtet werden, einzelne Inventarstücke zu ersetzen, die infolge eines von ihm zu vertretenden Umstandes „in Abgang kommen“ (Umkehrschluss aus § 582 Abs. 2 Satz 1). Diese wegen der Notwendigkeit der Einzelfallprüfung sehr mühselige Vorgehensweise kann durch die Übernahme des Inventars zum Schätzwert ersetzt werden (§ 582a). In diesem Fall ist auch eine Verfügungsbeschränkung des Pächters hinsichtlich der Inventarstücke möglich (§ 583a). Der Pächter erwirbt an den Inventarstücken ferner ein Pfandrecht wegen seiner Ansprüche gegen den Verpächter (§ 583). Eine bemerkenswerte Besonderheit besteht darin, dass der Pächter nicht nur ein Pfandrecht an den dem Eigentümer gehörenden Inventarstücken erwirbt, sondern an allen, auch Dritten gehörenden Inventarstücken. Üblicherweise hat ein Gläubiger keinen Anspruch, durch Verwertung der Rechte Dritter befriedigt zu werden. Begründet wird diese pachtrechtliche Sonderregelung mit der Überlegung, dass das Pfandrecht den Pächter vor der Gefahr schützen will, infolge von Herausgabeansprüchen oder einer gegenüber dem Verpächter erwirkten Pfändung in der Verfügung über das Pachtinventar beeinträchtigt zu werden.495 Beachtenswert erscheint stets, dass der Verpächter eines Grundstücks nicht notwendig Eigentum an den vom Pächter darauf errichteten Gebäuden nach § 946 erwirbt. Da das Pachtverhältnis stets auf Zeit angelegt ist, kommt nämlich in Betracht, dass der Pächter das Gebäude nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grundstück verbunden hat und so ein Scheinbestandteil entsteht (§ 95 Abs. 1 Satz 2), der als bewegliche Sache eigenständig nach §§ 929ff. übereignet werden kann. Die Regeln über die Beendigung des Pachtverhältnisses sind leicht modifiziert (vgl. insoweit die Kündigungsfrist nach § 584 und den Ausschluss der Kündigungsgründe nach §§ 540 Abs. 1, 580 in § 584a). Bei verspäteter Rückgabe der Pachtsache ist der Pächter nicht nach § 546a, sondern nach § 584b verantwortlich: Er haftet dann nur für den Anteil an der Pacht, der dem Verhältnis der Nutzungen während dieser Zeit zu den Gesamtnutzungen eines Jahres entspricht. Die Sonderregelungen des Landpachtvertrages gemäß §§ 585ff. stellen ein Stück Landwirtschaftsrecht dar, das hier nicht Gegenstand sein kann. 494 Staudinger/Emmerich/Schaub Vorbem zu § 582–583a Rn. 5. 495 BGHZ 34, 153, 157 = NJW 1961, 502; MünchKomm/Harke § 583 Rn. 1.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag I. Grundlagen 1. Überblick 1019

Gegenstand des Dienstvertrages sind entgeltliche Dienste jeder Art (§ 611 Abs. 2). Eine bedeutsame Einschränkung des Anwendungsbereichs ergibt sich durch die Abgrenzung zum Werkvertrag. Werden dort Erfolge geschuldet (§ 631 Abs. 2), erfasst § 611 im Umkehrschluss alle übrigen Dienste, bei denen der Verpflichtete redlicherweise nicht den Eintritt eines bestimmten Erfolgs versprechen kann bzw. darf (dazu Rn. 1086ff.). Die §§ 611ff. sind vor allem auch durch das Individualarbeitsrecht geprägt. In den Sondernormen, die allein diesem Bereich zuzuordnen sind, werden Dienstberechtigter und Dienstverpflichteter als Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezeichnet (vgl. nur §§ 612a und 622). Ein Sonderfall des Dienstvertrages, der Behandlungsvertrag, ist nun in den §§ 630aff. geregelt (Rn. 1060ff.). 2. Die Dienstleistung

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§ 613 Satz 1 bestimmt, dass die Dienstleistung im Zweifel in Person zu erbringen ist. Aus Sicht des Schuldners kommt wie im Falle des § 664 Abs. 1 Satz 1 deshalb eine einseitige Substitution (Schuldnertausch ohne Mitwirkung des Gläubigers) nicht in Betracht. Darin drückt sich auch der sog. personale Einschlag des Dienstvertrages aus: Beim Dienstvertrag kommt es im Zweifel auf die Person des Schuldners selbst an; denn Grundlage des Vertrages ist regelmäßig das persönliche Vertrauen des Dienstberechtigten in die Person und die Fähigkeiten des Dienstverpflichteten.1 Hat der Patient daher aufgrund einer Wahlleistungsvereinbarung einen Anspruch auf Chefarztbehandlung, muss dieser nach §§ 630b, 613 Satz 1 die Behandlung in eigener Person vornehmen und kann sie nicht ohne Vertragsänderung einem Angestellten überantworten.2 Aus diesem personalen Einschlag heraus erklärt sich auch das Abtretungsverbot des § 613 Satz 2. Der Anspruch auf die Dienste ist danach im Zweifel auch durch den Gläubiger nicht übertragbar. Allerdings schränkt die Rechtsprechung die Norm entsprechend ihrem Wortlaut („im Zweifel“) auf höchstpersönliche Dienstpflichten ein: (BGH 18.7.2003 – IXa ZB 148/03 = NJW-RR 2003, 1555) Gläubiger G betreibt gegen Schuldner S die Zwangsvollstreckung wegen einer titulierten Geldforderung iHv. 165,25 €. 1 2

Vgl. nur Larenz II/1 § 52 II a und c. BGHZ 175, 76 = NJW 2008, 987, Tz. 7.

I. Grundlagen

751

Auf Antrag erlässt das zuständige Gericht einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinsichtlich einzelner Forderungen des S gegenüber Drittschuldnern D (§§ 829, 835 ZPO). Zurückgewiesen hat es jedoch einen Antrag des G auf Pfändung des Anspruchs „auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung aus dem Bankvertragsverhältnis“, weil dieser nicht abtretbar sei. Nachdem seine Beschwerde hiergegen beim LG erfolglos war, wendet G sich mit der Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO an den BGH.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung nach § 829 ZPO die Pfändbarkeit des Auskunftsanspruchs zu Unrecht verneint hat. Der Pfändbarkeit könnte zunächst § 613 Satz 2 entgegenstehen, wonach der Anspruch auf Dienste im Zweifel nicht abtretbar ist. Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung wiederum der Pfändbarkeit nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist. Der BGH bejaht jedoch die Übertragbarkeit der gepfändeten Ansprüche trotz § 613 Satz 2: Ansprüche auf Auskunftserteilung stellen danach Nebenansprüche zu den nach § 829 ZPO pfändbaren Geldforderungen dar, die allerdings auch nur gemeinsam mit diesen gepfändet werden dürfen (S. 1556). Auf diese Ansprüche ist § 613 Satz 2 aber bei einer gemeinsamen Pfändung nicht anwendbar, da sie der Durchsetzung von Geldforderungen dienen. Fehlt es der Hauptforderung an der in der Norm vorausgesetzten Höchstpersönlichkeit, greift dies auch auf die zur Durchsetzung dieser Forderung erforderlichen Nebenrechte über, wenn diese gemeinsam gepfändet werden (S. 1556).3 3. Die Vergütung

Im Dienstvertrag gilt die Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen Vergütung zu erwarten ist (§ 612 Abs. 1). Internetprovider erbringen jedoch Dienstleistungen auch im Austausch gegen Kundendaten und nicht gegen ein besonderes Entgelt. In solchen Fällen liegt ein unechter Dienstvertrag nach § 611 nahe, bei dem die Gegenleistung Tauschelemente beinhaltet.4 Wird hingegen eine Vergütung vereinbart, ist diese gemäß § 614 Satz 1 nach der Leistung der Dienste (post numerando) zu entrichten. Darin liegt eine Besonderheit des Dienstvertrags, die vor allem bei der Abgrenzung zu Teilzahlungsgeschäften gem. § 506 Abs. 3 zu beachten ist (Rn. 694). Fraglich ist stets, ob dem Dienstverpflichteten unter den Voraussetzungen des § 614 Satz 1 ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 zustehen kann. (BGH 17.2.2011 – III ZR 35/10 = BGHZ 188, 351 = NJW 2011, 2122) DV hat mit DB einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen und dabei folgende Klausel in seine AGB aufgenommen: „Ist der Kunde mit Zahlungsverpflichtungen in Höhe von mindestens 15,50 € in Verzug, kann DV den Mobilfunkanschluss des Kunden sperren.“ Ist die Klausel wirksam?

3 4

Vgl. auch BGHZ 84, 325 = NJW 1982, 2192, 2193. AA. Metzger AcP 217 (2017) 817ff.: Vertrag sui generis.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

In Betracht kommt ein Verstoß nach § 307 Abs. 1 Satz 1, weil die Klausel möglicherweise mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der sie abweicht, nicht vereinbar ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1).

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Die Sperrung eines Mobilfunkanschlusses bei Zahlungsverzug bedeutet die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts nach §§ 320, 321 (Tz. 27). Fraglich ist, ob die darin liegende Abweichung von § 614 Satz 1 mit dem Gerechtigkeitsgehalt dieser Norm zu vereinbaren ist. In anderem Zusammenhang hat der BGH den Mobilfunkvertrag bereits als Dienstvertrag eingeordnet.5 Dann ist der Dienstverpflichtete aber regelmäßig nach § 614 Satz 1 zur Vorleistung verpflichtet. Dennoch hält der BGH die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts für möglich: Der Mobilfunkvertrag erinnere nämlich an einen Dauerliefervertrag, bei dem der Schuldner ständig leistungsbereit sein müsse. Hier seien sämtliche Leistungen und Gegenleistungen synallagmatisch miteinander verknüpft, also auch die Entgeltspflicht für die in der Vergangenheit erbrachten Verbindungsaufbauten mit der Pflicht des Telekommunikationsdienstleisters zum Verbindungsaufbau in einem späteren Zeitabschnitt (Tz. 31).6 Deshalb könne der Dienstverpflichtete den weiteren Verbindungsaufbau zurückhalten, wenn der Dienstberechtigte in der Vergangenheit seine Entgeltspflichten nicht erfüllt habe. Nur am Schwellenwert für die Verbindungssperre nimmt der BGH vorliegend Anstoß: Im Anschluss an eine im Schrifttum vertretene Auffassung7 orientiert er sich an der Regelung des § 45k Abs. 2 Satz 1 TKG. Danach darf der Anbieter eine Sperre durchführen, wenn der Teilnehmer nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 75 € in Verzug ist und die Sperre zwei Wochen zuvor angedroht wurde. Die Regelung ist zwar auf Mobilfunkverträge nicht unmittelbar anwendbar, lässt aber eine gesetzgeberische Wertentscheidung in einem ähnlichen Sachzusammenhang erkennen (Tz. 33). Vorliegend hat der Dienstverpflichtete die Schwelle deshalb zu niedrig angesetzt; die Klausel ist daher insgesamt unwirksam. Unterhalb der Schwelle des § 138 Abs. 1 ist die Höhe der Vergütung nicht kontrollierbar. Doch überprüft der BGH auch hier sog. kontrollfähige Nebenabreden iSd. § 307 Abs. 3 Satz 1 (Rn. 617ff.) auf ihre Vereinbarkeit mit § 307 Abs. 1 Satz 1: (BGH 13.1.2011 – III ZR 78/10 = NJW 2011, 1726) DB beauftragt den Autohändler DV mit dem Verkauf seines gebrauchten Kfz für 12.300 € brutto. In den von DV gestellten AGB ist für den Verkaufsfall eine Provision von 10% des Verkaufspreises vorgesehen. Daneben schuldet DB eine wöchentliche Platzmiete iHv. 40 €. Das Fahrzeug kann in der Folgezeit nicht verkauft werden. DB verlangt es daher von DV heraus. DV verweigert die Herausgabe, weil ihm DB noch die Platzmiete iHv. insgesamt 1.960 € schulde. In Betracht kommt ein Anspruch des DB gegen DV aus §§ 675 Abs. 1, 611, 667 auf Herausgabe des Fahrzeugs. Fraglich ist, ob DV iHd. Platzmiete ein Zurückbehaltungsrecht

5 6 7

BGH NJW-RR 2011, 916, Tz. 8: Kombination aus DSL- und Mobilfunkvertrag. Im Anschluss an Schöpflin BB 1997, 106, 110; Köhler, Der Mobilfunkvertrag, 2005, S. 205. Ulmer/Brander/Hensen/A. Fuchs § 307 BGB Rn. 167 mwN.

I. Grundlagen

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nach § 320 Abs. 1 Satz 1 geltend machen kann; denn die einschlägige AGB-Klausel könnte wegen unangemessener Benachteiligung der Vertragsgegenseite gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam sein.

Der BGH ordnet den zwischen den Beteiligten zustande gekommenen Vertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Einschlag ein (Tz. 11). Insbesondere von einem Maklervertrag unterscheide sich die Vereinbarung dadurch, dass der Autohändler für den Eigentümer aktiv tätig werden müsse (Tz. 11). Ein erstes Problem liegt in der Kontrollfähigkeit der Klausel nach § 307 Abs. 3 Satz 1. Danach sind die von den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten der richterlichen Inhaltskontrolle entzogen, weil die Konkretisierung des Wertverhältnisses von Leistung und Gegenleistung allein der Parteidisposition überlassen bleiben muss (Näheres Rn. 617ff.). Vorliegend stellt die Platzmiete nach Auffassung des BGH indes kein Entgelt für die Hauptleistungspflicht des Händlers dar, nämlich die Veräußerung des Fahrzeugs, sondern erscheint als Gegenstand einer Nebenleistungspflicht des Auftraggebers. Denn wird das Fahrzeug verkauft, tritt die Platzmiete neben die eigentlich geschuldete Provision, sodass der Eigentümer ein zweites Mal zahlen muss (Tz. 20). Nebenentgelte dieser Art sind aber kontrollfähig, weil sie die zwischen den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten nachträglich uU. gerade in treuwidriger Weise modifizieren und damit die durch § 307 Abs. 3 Satz 1 geschützte vertragliche Einigung über die Hauptleistungspflichten aushöhlen oder wirtschaftlich scheitern lassen (Rn. 617). Eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 setzt wiederum voraus, dass der Verwender seine Interessen einseitig auf Kosten der Interessen der Vertragsgegenseite zu verwirklichen sucht. Dies bejaht der BGH, weil der Händler durch die Platzmiete das von ihm zu tragende Risiko der Verkäuflichkeit des Fahrzeugs auf den Kunden abwälzt. Der Kunde wende sich ja zunächst an den Händler, weil er selbst die Marktlage nicht einschätzen könne, und rechne im Allgemeinen nicht mit langen Standzeiten. Dagegen überblicke der Händler die Nachfrage und könne deshalb die Belegung der Standplätze eher einschätzen (Tz. 28). Durch die Entlohnung auf Provisionsbasis will der Auftraggeber zugleich auf den Händler im Sinne eines raschen Verkaufs einwirken (Tz. 21). Durch die Platzmiete aber beseitigt der Händler diesen Anreiz wieder, weil er auch bei unterbliebenem Verkauf verdient. Im Gegenteil geht von der Platzmiete für den Händler wohl ein der Erfüllung der Hauptleistungspflicht entgegenstehender Anreiz aus, den Verkauf des Fahrzeugs zeitlich zu verzögern. Deshalb trägt die Klausel den Entgeltinteressen des Händlers zu einseitig auf Kosten des Kunden Rechnung. Ein Anspruch auf die Platzmiete wurde nicht wirksam vereinbart, sodass DV kein Zurückbehaltungsrecht zusteht. Der Herausgabeanspruch des DB ist danach begründet.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

4. Leistungsstörungen 1024

Sieht man einmal von §§ 615f. ab, kennt der Dienstvertrag kein eigenes Leistungsstörungsrecht. Schadensersatzansprüche richten sich daher grundsätzlich nach § 280 Abs. 1 Satz 1 und Mängel der Dienstleistung stellen Pflichtverletzungen iSd. § 241 Abs. 2 dar. (OLG Bremen 13.3.2013 – 1 U 13/12 = NJW 2013, 2206) DB nimmt Tennisunterricht bei Trainer DV. In der fünften Einzelstunde spielen beide über einen Zeitraum von ca. 45 Minuten lange Bälle an der Grundlinie. Danach soll DB kurze Bälle am Netz annehmen. Als ein Ball des DV nicht gerade kommt, läuft DB ein paar Schritte rückwärts und tritt auf einen hinter ihm im Spielfeld liegenden Tennisball. Er stolpert über diesen und erleidet eine Patellarsehnenruptur im rechten Knie, die eine operative Versorgung erforderlich macht. Von DV verlangt DB Schadensersatz und Schmerzensgeld. In Betracht kommt ein Anspruch des DB gegen DV aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 611, 253 Abs. 1. Fraglich ist, ob DV eine Pflicht nach § 241 Abs. 2 verletzt hat.

Wegen des umfassenden Charakters der Dienstleistungspflicht fällt es im Einzelfall schwer, auf begrifflicher Ebene scharf zu unterscheiden, ob die geschuldete Dienstleistung mangelhaft erbracht oder aber eine Neben(leistungs)pflicht zur Dienstleistungspflicht verletzt wurde. Auf diese Unterscheidung kommt es jedoch nicht an, da in beiden Fällen § 241 Abs. 2 Anwendung findet. Das OLG geht von einer objektiven Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 aus (S. 2206). Wegen der Überlegenheit des Tennislehrers in allen fachlichen Belangen bei gleichzeitiger Unerfahrenheit des Schülers bestehe eine umfassende Verpflichtung des Trainers, alle für seine Schüler von der Sportausübung ausgehenden Gefahren zu beherrschen und weitestgehend zu vermeiden. Deshalb habe der Trainer die Übung nicht fortsetzen dürfen, nachdem Bälle im Bewegungsradius des Schülers liegen geblieben waren. Der Trainer (DV) hätte die Einheit abbrechen und den Schüler (DB) zum Entfernen der Bälle auffordern müssen. Das Vertretenmüssen von DV wird nach § 280 Abs. 1 Satz 2 vermutet, wobei sich DB allerdings ein erhebliches Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 zurechnen lassen muss (S. 2206).

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Bei der Konkretisierung des Mangelbegriffs wird man sich auch an § 434 Abs. 1 Satz 1 und 2 orientieren dürfen: Die Sollbeschaffenheit der geschuldeten Dienstleistung richtet sich entsprechend nach den Vereinbarungen der Parteien (Satz 1), dem von beiden ins Auge gefassten Verwendungszweck (Satz 2 Nr. 1) und, wenn beides nicht zu ermitteln ist, nach dem im Verkehr üblichen Standard (Satz 2 Nr. 2). Der für das Arbeitsrecht in Anlehnung an § 613 entwickelte und von § 276 Abs. 2 teilweise abweichende subjektive Leistungsmaßstab8 spielt bei der Haftung für freie Dienstleistungen, um die es hier allein geht, keine Rolle. Nach § 615 Satz 1 kann der Verpflichtete vom Dienstberechtigten die vertraglich vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Dienstberechtigte in Annahmeverzug gerät (§§ 293ff.); zugleich ist er zu einer Nachleistung der Dienste jedoch nicht verpflichtet. Die Norm beruht auf der Überlegung, dass 8

MünchKomm/Müller-Glöge § 611 Rn. 19.

I. Grundlagen

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der Dienstverpflichtete seine Leistung während einer bestimmten Zeit anbietet. Anders als beim Werkvertrag ist nicht die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges das Maß der geschuldeten Leistung, sondern die Zeit.9 Verstreicht diese, obwohl der Schuldner zur Erbringung der Dienste bereitstand, hat der Gläubiger keinen Anspruch auf Nachholung.10 Die Leistung des Dienstverpflichteten hat damit den Charakter einer absoluten Fixschuld. Beispiel Stammpatient DB vereinbart über eine Angestellte von Zahnarzt DV einen Termin für die jährliche Kontrolluntersuchung am 2.5.2012. DB erscheint jedoch nicht. Kann DV von DB hier ein Entgelt verlangen?

In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 630b, 615 Satz 1. Fraglich ist, ob der Behandlungsvertrag nach § 630a bereits anlässlich der Terminreservierung zustande kommt. Im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 ist zu bedenken, dass der Patient möglicherweise beim vereinbarten Termin gerade erst aufgrund eines persönlichen Eindrucks entscheiden will, ob er sich vertraglich gegenüber dem Arzt binden will oder nicht.11 Dann handelt er bei der Terminvereinbarung noch nicht mit Rechtsbindungswillen im Hinblick auf das Zustandekommen eines Behandlungsvertrages. Diese Interessenlage bestimmt das Verhalten vorliegend jedoch nicht, da aus Sicht des Stammpatienten eine so grundlegende Entscheidung nicht mehr zu treffen ist. Problematisch erscheint dennoch, dass die Höhe des Honorars sich erst durch die ärztliche Behandlung selbst ergibt: Welche Eingriffe der Zahnarzt im vorliegenden Fall schuldet, folgt ja erst aus der Kontrolluntersuchung selbst.12 Allerdings wäre das Honorar für die Kontrolluntersuchung selbst in jedem Fall angefallen und ist deshalb nach § 615 Satz 1 geschuldet. Außerhalb von staatlichen Gebührenordnungen dürfte dabei die Auslegungsregel des § 612 Abs. 2 eine Rolle spielen, wonach die übliche Vergütung geschuldet ist. Wegen § 296 braucht der Arzt in diesen Fällen seine Leistung auch nicht mehr anzubieten, sodass die Voraussetzungen des Annahmeverzugs vorliegen und vom Patienten die Kosten der vereinbarten Kontrolluntersuchung zu tragen sind (weiterer Fall zu § 615 unter Rn. 1032). Nach § 616 geht der Vergütungsanspruch des Verpflichteten nicht unter, wenn dieser für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Nach einer stark an arbeitsrechtlichen Erkenntniszielen orientierten hM. 9 Vgl. Staudinger/Richardi/Fischinger § 611 Rn. 1064; allgemein für das Dauerschuldverhältnis: Larenz I § 2 VI, S. 29f.; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 96ff. 10 Vgl. Dubovitskaya AcP 215 (2015) 581, 592f. 11 Muthorst ZGS 2009, 409, 411; aA. für eine sofortige Bindung: Natter MedR 1985, 258, 260f.; E. Schneider MDR 1999, 193, 194. 12 OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 1214 in einem obiter dictum; dazu auch Muthorst ZGS 2009, 409, 412f.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

beinhaltet die Norm eine aus der Fürsorgepflicht des Dienstberechtigten resultierende Ausnahme von dem aus § 326 Abs. 1 Satz 1 folgenden Grundsatz: „ohne Arbeit kein Lohn“.13 Nach § 619 zählen indes nur die §§ 617, 618 zu den unabdingbaren Fürsorgepflichten des Arbeitgebers, nicht aber § 616. Die Gegenauffassung ordnet die Norm deshalb als Erheblichkeitsschwelle im Leistungsstörungsrecht, vergleichbar § 323 Abs. 5 Satz 2, ein und erkennt in ihr eine Ausnahme vom Prinzip des § 326 Abs. 1 Satz 1.14 Im Bereich des Arbeitsrechts wird die Norm im Übrigen durch die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes weitgehend ersetzt. Nach § 618 ist der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen zugunsten des Arbeitnehmers verpflichtet. Verstöße gegen diese nach § 619 unabdingbare Norm führen unmittelbar zum Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 Satz 1. Praktische Bedeutung hat die Norm vor allem beim Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. Denn wegen § 618 steht der Arbeitnehmer zum Arbeitgeber in einer Wohl-und-Wehe-Beziehung (Rn. 866). 5. Die Kündigung a) Die ordentliche Kündigung nach § 621 und die fristlose Kündigung nach § 627

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Bei den freien Dienstverhältnissen entfaltet vor allem die Kündigung nach § 621 und § 627 große praktische Bedeutung. (BGH 9.6.2011 – III ZR 203/10 = BGHZ 190, 80 = NJW 2011, 2955) DV betreibt einen ambulanten Pflegedienst und hat einen entsprechenden Vertrag mit der pflegebedürftigen Rentnerin DB geschlossen. DV rechnet gegenüber DB monatlich ihren Pflegeaufwand ab, wobei die Summen von Monat zu Monat leicht variieren. In den von DV gestellten AGB ist eine Kündigungsfrist von 14 Tagen vorgesehen. Als DB in das Krankenhaus eingeliefert wird, kündigt diese den Vertrag allerdings mit sofortiger Wirkung gegenüber DV. Nach dem kurze Zeit später eintretenden Tod der DB verlangt DV von deren Erben eine Vergütung für die 14 Tage ab der Kündigung. Ein Anspruch aus §§ 611 Abs. 1 iVm. 1967 setzt voraus, dass der Dienstvertrag nicht mit sofortiger Wirkung gekündigt werden konnte. Dies könnte sich aus der in den AGB vorgesehenen 14-tägigen Kündigungsfrist ergeben. Voraussetzung ist jedoch, dass diese keine unangemessene Benachteiligung iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 beinhaltet und daher unwirksam ist. Dies wäre wiederum der Fall, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der Regelung, von der sie abweicht, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1).

Im Rahmen des § 307 Abs. 2 Nr. 1 prüft der BGH zunächst § 621 Nr. 5. Diese Norm erlaubt die sofortige Kündigung, wenn die Vergütung nicht nach Zeitabschnitten bemessen ist. Dagegen könnte jedoch die monatliche Abrechnung der Dienstverpflichteten gegenüber der Dienstberechtigten sprechen. Der BGH lässt dies jedoch nicht gelten, weil der Pflegedienst vorliegend keinen festen 13 Erman/Belling § 616 Rn. 1; Bamberger/Roth/Fuchs § 616 Rn. 1 (=BeckOK); Soergel/Kraft § 616 Rn. 2. 14 Staudinger/Oetker § 616 Rn. 15ff.; ähnlich MünchKomm/Henssler § 616 Rn. 2.

I. Grundlagen

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Monatssatz fordert, sondern nur den auf den Monat fallenden Pflegeaufwand abrechnet. Dies zeige sich an der – wenngleich geringfügigen – monatlichen Abweichung der abgerechneten Sätze (Tz. 14). § 621 folgt der Überlegung, dass es bei Zeitlohn dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht, wenn das Dienstverhältnis zum Ablauf eines Entlohnungsabschnitts beendet werden kann, weil damit Berechnungsschwierigkeiten wegen angebrochener Vergütungsabschnitte vermieden werden.15 Mit der Festlegung der zu vergütenden Perioden (Tage nach Nr. 1, Wochen nach Nr. 2 usw.) begrenzen die Parteien zugleich das gegenseitige Vertrauen in den Bestand des Vertragsverhältnisses. Sind überhaupt keine Zeitabschnitte in Bezug genommen, kann daher jederzeit gekündigt werden (Nr. 5). Vergütet werden müssen nur die bis dahin erbrachten Leistungen. Die Entscheidung des BGH überzeugt vor allem, weil diese Art der Vertragslösung der besonderen Interessenlage eines Pflegebedürftigen entspricht, die sich, wie der Fall gerade zeigt, ständig und dramatisch ändern kann, sodass die Pflegedienstleistungen nicht mehr benötigt werden. Für Übergangsfristen zugunsten des Dienstverpflichteten besteht hier regelmäßig kein anerkennenswertes Bedürfnis. Bejaht wird schließlich auch eine Kündigung nach § 627 Abs. 1. Nach dieser Norm ist eine sofortige Kündigung möglich, wenn der Dienstverpflichtete Dienste höherer Art zu leisten hat, die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Der BGH bejaht die Voraussetzungen der Norm, da die ärztliche Pflege im Krankenhaus – gleichgültig, ob sie von Hilfspersonen oder vom Arzt persönlich erbracht werde – eine Dienstleistung höherer Art darstelle (Tz. 17). Dann müsse auch die Tätigkeit des ambulanten Pflegedienstes, die eine Inanspruchnahme ärztlicher Pflegeleistungen zu vermeiden helfe, so eingeordnet werden (Tz. 17). Dabei will das Gericht nicht zwischen allgemeinen Pflegeleistungen und heilbehandelnden Pflegeleistungen unterscheiden (Tz. 18). Die Kritik hält gerade diese letzte Entscheidung für zu undifferenziert:16 Wenn überhaupt könne allenfalls die Behandlungspflege § 627 Abs. 1 unterfallen, nicht aber die sonstigen Pflegeleistungen (hauswirtschaftliche Versorgung, Grundpflege). § 37 Abs. 3 SGB V sehe aber auch die Behandlungspflege als nachrangige Leistung an, wenn eine im Haushalt lebende Person diese übernehmen könne. Wenn das Gesetz dem Laien die volle Erfüllung der Pflegepflichten in diesem Bereich zutraue, könne es dabei nicht um Dienste höherer Art iSd. § 627 Abs. 1 gehen. Der BGH vermische zu stark das Tatbestandsmerkmal der Dienstleistung höherer Art mit dem der besonderen Vertrauensstellung. Die Kritik überzeugt indes nicht. Denn tragender Grund des Kündigungsrechts aus § 627 Abs. 1 ist das besondere persönliche Vertrauen, das 15 So bereits die Vorkommission des Reichsjustizamtes bei den Beratungen des BGB; vgl. Jakobs/Schubert, Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung, Schuldrecht II, 1983, S. 797; MünchKomm/Hesse § 621 Rn. 2; Staudinger/Preis § 621 Rn. 4. 16 Bieback JZ 2012, 205, 206f.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

nicht nur Motiv für den Abschluss des Dienstvertrages, sondern auch Tatbestandsmerkmal des Dienstverhältnisses ist.17 Die Leistung muss daher so beschaffen sein, dass sie ohne persönliches Vertrauen in die Integrität und Leistungsfähigkeit des Dienstverpflichteten für den Dienstberechtigten wertlos ist und dieser Umstand für den Dienstverpflichteten auch erkennbar wird. Deshalb muss dieser sich auf eine jederzeitige Kündigung bei Vertrauensverlust einstellen, und es kommt nicht darauf an, dass die Kündigung gerade wegen des Vertrauensverlustes ausgeübt wird. Von diesen Sonderumständen ging der historische Gesetzgeber bei bestimmten Personengruppen aus (Ärzten, Lehrern, Rechtsanwälten).18 Die Erfassung der von dieser Personengruppe geschuldeten Leistungen als „Dienste höherer Art“ wiederholt damit den tragenden Gedanken der Norm nur, sodass bei der Anwendung des § 627 Abs. 1 von einem einheitlichen Tatbestand auszugehen ist. Bei diesem kommt es also darauf an, dass das persönliche Vertrauen des Dienstberechtigten gegenüber dem Dienstverpflichteten zentrale Voraussetzung für das Erbringen der Dienstleistung ist. Dieses wird man bei der Erbringung von Pflegeleistungen aber stets bejahen müssen, und zwar unabhängig vom Status des Dienstverpflichteten. Für die Wirksamkeit der Kündigung der DB kommt es also nicht darauf an, dass diese konkret durch eine Vertrauenseinbuße gegenüber DV begründet war. Vielmehr ist § 627 Abs. 1 bereits dann anwendbar, wenn der betroffene Dienstvertrag ganz allgemein auf einem besonderen Vertrauensverhältnis beruht. Dies war hier der Fall, sodass die Kündigung auch nach § 627 Abs. 1 wirksam war.

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Das Kündigungsrecht nach § 627 Abs. 1 besteht hingegen nicht bei einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen. (BGH 22.9.2011 – III ZR 95/11 = NJW 2011, 3575) DB betreibt ein größeres Unternehmen in Deutschland. Sie hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft DV für die Jahre 2009 bis 2011 mit der jeweils halbjährlich durchzuführenden Revision beauftragt und dabei Jahreshonorare iHv. ca. 60.000 € vereinbart. Bereits 2009 kündigt DB der DV jedoch, bevor diese überhaupt tätig werden konnte. DV bietet der DB darauf durch ein weiteres Schreiben im Ergebnis erfolglos die Durchführung der halbjährlichen Revision an und verlangt nun das vereinbarte Honorar. Ein möglicher Anspruch der DV gegen DB aus §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 setzt voraus, dass die DV die DB durch ihr Schreiben nach § 295 Satz 1 in Annahmeverzug versetzt hat. Dies ist nicht der Fall, wenn DB den Dienstvertrag gegenüber DV nach § 627 Abs. 1 wirksam gekündigt hat.

Für das in § 627 Abs. 1 vorausgesetzte besondere Vertrauen kommt es nach Auffassung des Gerichts auf eine abstrakte Betrachtungsweise an (Tz. 9): Die angebotenen Dienste müssen ganz allgemein und nicht nur im konkreten Fall ein besonderes Vertrauen in den zur Dienstleistung Verpflichteten vorausset17 Mugdan, Die gesammten Materialien zum bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 914; Staudinger/Preis § 627 Rn. 4; ähnlich MünchKomm/Henssler § 627 Rn. 2. 18 Mugdan, Die gesammten Materialien zum bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 913; Staudinger/Preis § 627 Rn. 1.

I. Grundlagen

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zen. Dies wird vorliegend bejaht, weil die Dienstleistung sich auf Bereiche des Dienstberechtigten bezieht, bei denen ein besonderes Interesse an Diskretion besteht (persönlicher Lebensbereich, aber auch der geschäftliche Bereich). Das Gericht nimmt dies insbesondere bei einer steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Tätigkeit des Dienstverpflichteten an, weil hier Einblicke in die Einkommens- und Vermögensverhältnisse gewährt werden. Dem entspreche ein erhöhtes Interesse des Dienstberechtigten an Loyalität und Zuverlässigkeit des Dienstverpflichteten (Tz. 9). Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen wendete aber vor allem ein, in einem Dauerschuldverhältnis mit festen Bezügen zum Dienstberechtigten zu stehen, das nach dem Wortlaut des § 627 Abs. 1 gerade nicht jederzeit gekündigt werden kann. Ausgehend vom Normzweck verneint der BGH vor allem die Dauerhaftigkeit des zwischen den Beteiligten bestehenden Vertragsverhältnisses. Denn der Ausnahmetatbestand innerhalb von § 627 Abs. 1 ziele auf Fälle, in denen die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des Dienstberechtigten hinter dem Vertrauen des Dienstverpflichteten auf dauerhafte Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Existenz zurücktreten müsse (Tz. 11). Dies setzt voraus, dass der Dienstverpflichtete sich persönlich in erheblichem Umfang an den Dienstberechtigten gebunden hat und diesem einen erheblichen Teil seines Leistungsvermögens zur Verfügung stellt. Die Materialien zum BGB erwähnen den Fall eines Syndikus, Leibarztes oder Hofmeisters.19 Daran fehle es vorliegend, weil der Dienstverpflichtete nur einen geringen Teil seiner Kapazitäten an den Dienstberechtigten binde und diesem letztlich neben einer Vielzahl anderer Interessenten vglw. unpersönliche Standardleistungen anbiete (Tz. 12). Danach kommt eine Kündigung auch hier in Betracht. DB ist daher wegen der zuvor wirksam erklärten Kündigung nicht in Annahmeverzug nach § 295 Satz 1 geraten. Der Anspruch aus §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 besteht folglich nicht. (BGH 18.2.2016 – III ZR 126/15 = NJW 2016, 1578) DB hat mit der Kindertagesstätte DV am 1.9.2013 einen Vertrag bis zum 30.4.2015 über die Aufnahme seines Sohnes (geb. 2012) geschlossen. Die AGB der DV sehen eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit zum Monatsende mit einer Frist von zwei Monaten vor; sonstige Kündigungsmöglichkeiten sind ausgeschlossen. Bereits am 19.9.2013 erklärt DB, dass er die Dienste von DV nicht mehr in Anspruch nehmen wolle. DV verlangt die Vergütung für die mittlerweile verstrichenen Monate Oktober und November 2013 sowie jeweils 90 Euro als Verpflegungs- und Pflegemittelpauschale für die beiden Monate. Ein Anspruch aus § 615 Satz 1 (Rn. 1025) kommt vorliegend in Betracht, weil ein Dienstvertrag (§ 611) vorliegt (Tz. 24). Dienstleistungen hat DV jedoch in den beiden Monaten nicht erbracht. DB müsste sich deshalb im Annahmeverzug (§ 293) befunden haben. Dies scheidet bei einer wirksamen Kündigung nach § 627 Abs. 1 allerdings aus.

Das Kündigungsrecht aus § 627 Abs. 1 kann zunächst nicht in AGB ausgeschlossen werden (Tz. 24); denn es beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, dass Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund, insbesondere bei Vertrauens19 Mugdan, Die gesammten Materialien zum bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 913, 1256; Staudinger/Preis § 627 Rn. 4.

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verlust, kündbar sein müssen (vgl. auch Rn. 1037):20 Ein Ausschluss des § 627 Abs. 1 würde den Dienstberechtigten ansonsten auch bei vollständigem Vertrauensverlust in die Person des Dienstverpflichteten zu dauerhafter Kooperation mit diesem zwingen. Ob vorliegend Dienste höherer Art erbracht wurden, lässt der BGH jedoch offen, weil er von einem dauernden Dienstverhältnis mit festen Bezügen ausgeht (Tz. 24). Charakteristisch für das Dauerschuldverhältnis im engeren Sinne (hier: dauerndes Dienstverhältnis) ist jedoch zunächst die bei Vertragsschluss offene Laufzeit: Der Umfang von Rechten und Pflichten entwickelt sich dabei in der Zeit.21 Vorliegend hatten sich die Parteien hingegen auf eine feste Laufzeit geeinigt. Darauf kommt es dem BGH – ausgehend vom Normzweck – jedoch zu Recht nicht an (Tz. 26): Die Ausnahme in § 627 Abs. 1 bezieht sich auf den Fall der Existenzsicherung durch eine feste Vereinbarung der Entlohnung (Tz. 25). Das Element der Dauer macht in diesem Zusammenhang vor allem das Interesse an einer Existenzsicherung auf der Seite des Dienstverpflichteten plausibel: Umgekehrt liegt ja gerade bei einer kurzfristigen, vorübergehenden Tätigkeit eine mit ihr bezweckte Existenzsicherung denklogisch fern. Ferner kommt es für die Ausnahme darauf an, dass der Dienstleistungsvertrag einen erheblichen Anteil der Mittel des Dienstverpflichteten bindet (Tz. 27) und auf einer festen Entlohnung beruht (Tz. 25). Die Plätze innerhalb einer Kindertagesstätte sind begrenzt, wobei die Pflege der einzelnen Kinder einen ganz erheblichen Teil der disponierten Arbeitszeit in Anspruch nimmt (Tz. 28). Ein dauerndes Dienstverhältnis mit festen Bezügen liegt daher vor. Allerdings muss sich DV nach § 615 Satz 2 ersparte Aufwendungen anrechnen lassen. Aufwand für Pflege und Verpflegung brauchte er in den beiden Monaten zugunsten von DB nicht zu erbringen und kann ihn folglich nicht verlangen (Tz. 42).

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Zum Versuch der Normumgehung der §§ 627f. kommt es gelegentlich bei Partnerschaftsberatungsverträgen. Auf diese wendet der BGH die Norm über die Heiratsvermittlung nach § 656 Abs. 1 analog an (Rn. 1273). Danach begründet auch der Vertrag über die Partnerschaftsberatung oder -vermittlung keine klagbare Forderung, sondern nur eine Naturalobligation (§ 656 Abs. 1 Satz 1). Hat eine Partei allerdings ihre Leistung erbracht, kann sie diese nicht mehr zurückfordern (Satz 2). Deshalb fordern die Partnerschaftsberatungsinstitute häufig von der anderen Seite Vorschüsse, die wegen § 656 Abs. 1 Satz 2 nicht mehr kondiziert werden können. Ferner haben sie ein großes Interesse an der werkvertraglichen Einordnung ihrer Verträge, weil der Kunde die Vorschüsse nach Ausübung des Kündigungsrechts gem. § 649 Satz 1 nicht mehr zurückfordern kann (vgl. § 649 Satz 2). Dies ist im Fall des § 628 Abs. 1 hingegen anders: Danach kann der Dienstverpflichtete nur einen seinen bisherigen LeisBGH NJW 1999, 276, 277. Larenz I § 2 VI S. 29f.; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 96ff.

20 21

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tungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen (Satz 1).22 Selbst dieser Anspruch entfällt, wenn der Dienstverpflichtete durch sein Verhalten die andere Seite zur Kündigung veranlasst hat und die andere Seite an den bislang erbrachten Leistungen kein Interesse hat (Satz 2). Die Rückabwicklung nach Satz 3 erfolgt entweder nach § 346, wenn der Dienstverpflichtete die Kündigung durch den Dienstberechtigten zu vertreten hat, oder nach § 812, wenn er sie nicht zu vertreten hat. Der Zweck dieser Unterscheidung besteht darin, dem Dienstverpflichteten den Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 nur dann zuzuerkennen, wenn er den Grund für die Rückabwicklung des Dienstvertrages nicht zu vertreten hat. Bedenkt man hingegen, dass mittlerweile das Rücktrittsrecht in § 346 Abs. 3 der Norm des § 818 Abs. 3 deutlich angenähert wurde (Rn. 269ff.), scheinen die Gründe für die Differenzierung in § 628 Abs. 1 Satz 3 zumindest teilweise entfallen. Ausgehend von der Regelung des § 628 Abs. 1 Satz 3 erklärt sich jedoch der vorliegende Fall: (BGH 8.10.2009 – III ZR 93/09 = NJW 2010, 150) DV betreibt eine Partnerschaftsvermittlungsagentur. Mit Interessenten führt sie Interviews durch, die auf Video aufgenommen und auf einem eigenen Internetportal präsentiert werden. Zu diesem haben nur Kunden der DV Zugang. DB wurde durch eine Anzeige auf DV aufmerksam und suchte deren Geschäftsräume auf. Dort führte ein Mitarbeiter ein Einführungsgespräch, fertigte ein Foto, für das DB 10 € zahlte, und erstellte ein Videointerview. Darauf unterzeichnete DB einen ihm vorgelegten „Werkvertrag über Videoarbeiten“, in dem es heißt: „Ich weiß, dass mein Videointerview extra für mich hergestellt wird und dass ein Widerruf bzw. eine Kündigung für diese Vertragsteile nach Leistung durch mich nicht mehr möglich ist (§ 631 BGB).“ In den Bedingungen werden für das Einführungsgespräch 1.187,50 € und für das Video weitere 2.375 € berechnet, die DB im Anschluss zahlte. Nachträglich verlangt er sein Geld zurück. In Betracht kommt ein Anspruch des DB gegen DV aus § 628 Abs. 1 Satz 3 zweiter Fall iVm. § 818 Abs. 2. Dies setzt den Abschluss eines Dienstvertrages zwischen den Parteien voraus.

Der BGH geht vorliegend von einem gemischten Vertrag aus, da dieser neben Werkvertrags- auch Dienstvertragselemente beinhalte (Tz. 16). Verträge dieser Art seien dem Recht des Vertragstyps zu unterstellen, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Rechtsgeschäfts liege; dies sei hier das Dienstvertragsrecht (Tz. 16).23 Die Anknüpfung an den Schwerpunkt des Rechtsgeschäfts ist methodisch zwar nicht unbedenklich (vgl. Rn. 19), kann an dieser Stelle jedoch auf sich beruhen. Zunächst versteht es sich, dass die Agentur eine bestimmte typologische Zuordnung nicht durch ausdrückliche Benennung der §§ 631ff. erzwingen kann (Tz. 16). Diese ist vielmehr abhängig von den Hauptleistungspflichten, die die Parteien vereinbart haben. Für einen Dienstvertrag spricht vorliegend, dass das Institut keine Verantwortung für einen konkreten Erfolg iSd. 631 Abs. 2 übernimmt. Die von ihm im Bereich der Nebenleistungspflich-

22 23

Vgl. jetzt zur Kündigung eines Steuerberatervertrages BGH NJW 2014, 2715, Tz. 9ff. Zustimmend Artz ZGS 2010, 21, 22.

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ten geschuldeten Erfolge (zB. bei der Erstellung des Videos) geben dem Vertrag nicht sein typisches Gepräge (ähnlich Tz. 17). Schließlich handelt es sich bei der Partnerschaftsvermittlung auch um eine Dienstleistung höherer Art iSd. § 627 Abs. 1 (Tz. 19): Der Partnerschaftsvermittlungsagentur werden die Dienste schon deswegen aufgrund besonderen Vertrauens übertragen, weil der Dienstberechtigte dem Dienstverpflichteten sehr persönliche Informationen übermittelt und die erbrachte Dienstleistung die Privat- und Intimsphäre des Dienstberechtigten berührt. Deshalb kann der Kunde nach § 627 Abs. 1 mit der Rechtsfolge des § 628 Abs. 1 Satz 3 kündigen: Der Kunde hat entsprechend einen Anspruch auf Rückgewähr der im Voraus entrichteten Vergütung, wobei das Gericht hier offen lässt, welche der beiden Alternativen in Betracht kommt. Nahe liegt hier ein Bereicherungsanspruch, da der Dienstverpflichtete die Kündigung nicht zu vertreten hat. Umgekehrt steht der Agentur ein ihren bisherigen Leistungen entsprechender Vergütungsanteil zu. Die Berechnung erfolgt daher „pro rata temporis“, also nach Zeiteinheiten (Tz. 20). Gerade dies will die Agentur jedoch durch die Gestaltung ihrer AGB verhindern, indem sie das Entgelt nicht nach Zeiteinheiten, sondern für das Einführungsgespräch und die Erstellung des Videos erhebt. Fraglich ist zunächst, ob diese Entgeltvereinbarung nach § 307 Abs. 3 Satz 1 überhaupt der Inhaltskontrolle unterliegen kann (dazu Rn. 617 ff.). Dies bejaht der BGH, weil es vorliegend nicht um die Bestimmung der Hauptleistungspflichten gehe, sondern um einen Umgehungsversuch nach § 306a, das Kündigungsrecht in seinen Rechtsfolgen wirtschaftlich auszuhöhlen (Tz. 23). Denn hier wird die Vergütung gezielt den zu Beginn des Vertragsverhältnisses erbrachten, eigentlich geringwertigen Teilleistungen zugeordnet, um einen Rückgewähranspruch nach § 628 Abs. 1 Satz 3 zu vereiteln. Die einschlägige Vereinbarung sieht das Gericht daher ebenfalls gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 als unwirksam an und verurteilt den Dienstberechtigten nur zur Zahlung einer auf die ganze Laufzeit umgelegten Teilvergütung. In einem Sonderfall erweitert der BGH den Anwendungsbereich des § 628 Abs. 1 Satz 3 noch über den vorherigen Fall hinaus. (BGH 29.3.2011 – VI ZR 133/10 = NJW 2011, 1674) Die 75 Jahre alte, privatversicherte DB lässt ihr Gebiss bei dem Zahnarzt DV durch vollkeramische Brücken und Kronen sanieren. Beim provisorischen Einsetzen der Kronen äußert DB ihre Unzufriedenheit mit der Leistung des DV, weil diesem einige nicht leicht wiegende Fehler unterlaufen waren. In einem späteren Schreiben teilt sie mit, dass sie sich in einer anderen Praxis behandeln lassen werde. Dennoch überweist sie den offenen Restbetrag des Honorars, der eigentlich erst für das endgültige Einsetzen der Kronen geschuldet würde. Später verlangt DB diesen Betrag von DV zurück. Zu Recht? In Betracht kommt vorliegend ein Anspruch aus §§ 630b, 628 Abs. 1 Satz 3 erster Fall, 346 Abs. 1. Der Anspruch auf Rückgewähr des im Voraus entrichteten Honorars setzt voraus, dass die konkludent erklärte Kündigung der DB durch einen von DV zu vertretenden Umstand erfolgt ist. In Betracht kommt eine Kündigung der DB gegenüber DV aus § 627 Abs. 1. Deren Voraussetzungen liegen hier vor.

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Problematisch erscheint jedoch, dass die Patientin zwar eine Vorauszahlung geleistet hat, § 628 Abs. 1 Satz 3 aber voraussetzt, dass diese vor der Kündigungserklärung erfolgt. Vorliegend ist indes nach der Kündigung gezahlt worden. Der BGH wendet die Norm dennoch analog an, mit der Begründung, diese enthalte nicht nur einen Anspruch auf Rückgewähr der Vergütung für nicht erbrachte Leistungen, sondern auch für Vergütungen, die nach § 628 Abs. 1 Satz 2 nicht entlohnt werden müssten. Trage nämlich der Dienstverpflichtete die Verantwortung für die Kündigung, sei es nicht hinnehmbar, dass dieser sich auf Entreicherung berufen könne (Tz. 11). Beachtung verdient dabei, dass die Anforderungen an das Verhalten des Dienstverpflichteten nicht den in § 626 Abs. 1 vorausgesetzten Grad erreichen müssen (Tz. 14). In der Sache bleiben jedoch Bedenken. Gegen die Möglichkeit der Rückforderung spricht nämlich der Rechtsgedanke der Rechtsschutzverweigerung aus § 814, der auch im Rahmen der Rückabwicklung nach § 346 auf der Grundlage des § 242 Bedeutung entfalten dürfte: Wer bewusst auf eine nicht bestehende Forderung zahlt, begibt sich außerhalb der Rechtsordnung und kann diese nicht wegen seiner Rückgewähransprüche bemühen. Verneinen lässt sich vorliegend allenfalls die positive Kenntnis der älteren Dame von der Rechtsgrundlosigkeit: Möglicherweise zielte ihre Zahlung darauf ab, im Gegensatz zur anderen Seite Vertragsloyalität zu demonstrieren und den Eindruck zu vermeiden, ihr ginge es bei ihren Beschwerden nur um eine Minderung der Vergütung. Geht man davon aus, steht DB der Rückforderungsanspruch nach §§ 630b, 628 Abs. 1 Satz 3, 346 Abs. 1 zu.

b) Die außerordentliche Kündigung nach § 626

Nach § 626 Abs. 1 kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigungaller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Abs. 2 sieht für die Ausübung eine Zweiwochenfrist ab Kenntniserlangung durch den Berechtigten vor. Die Norm beruht auf dem bereits vom RG auf der Grundlage der §§ 92, 133 HGB, 626, 723 BGB entwickelten allgemeinen „Rechtsgrundsatz, daß bei Rechtsverhältnissen von längerer Dauer, die ein persönliches Zusammenarbeiten der Beteiligten und daher ein gutes Einvernehmen erfordern, beim Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit die Aufkündigung erfolgen kann.“24 In der ältesten Entscheidung aus dem Jahre 1906 stellt das Gericht für diesen Rechtsgedanken auf „eine auf längere Zeitdauer berechnete Interessenver-

24 RGZ 78, 385, 389; Hervorhebungen durch den Verfasser; auf das Zitat macht auch Larenz I § 2 VI, S. 32 aufmerksam.

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knüpfung“ der Parteien ab.25 Ausgehend davon beruht auch die Kündigung nach § 626 Abs. 1 auf einem Doppeltatbestand: Zunächst muss die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien gegenwärtig durch objektive Tatsachen gestört sein.26 In Abgrenzung zum Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1) wird man darüber hinaus fordern müssen, dass die objektive Tatsache aus der Verantwortungssphäre des Kündigungsgegners herrührt. Denn ist sie der kündigenden Seite anzulasten, kann diese aus ihr kein Kündigungsrecht für sich ableiten. Handelt es sich indes um ein Risiko (Unglück), das von keiner Seite zu tragen ist, kommt nur der Weg über eine vorrangige Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 in Betracht. Für diese Betrachtungsweise spricht auch ein systematisches Argument aus § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, wo es für den wichtigen Grund ausdrücklich auch auf ein Vertretenmüssen des Kündigungsgegners ankommt, also einen Umstand aus dessen Verantwortungsbereich. Nicht immer deckt sich die Verantwortungssphäre des Kündigungsgegners mit den Umständen, die er iSd. § 276 Abs. 1 zu vertreten hat. Eine schwere Erkrankung, die ihm die Erfüllung der Dienspflichten erschwert oder dieser sogar entgegensteht, kommt ebenfalls als Kündigungsgrund in Betracht. Der EuGH erlaubt bspw. die besondere Berücksichtigung von Adipositas (Fettleibigkeit) als Kündigungsgrund.27 Auf einer zweiten Stufe muss eine Prognose auf der Grundlage der objektiven Tatsachen erstellt werden.28 Es geht darum, ob die Beeinträchtigung der Vertrauensgrundlage so schwer wiegt, dass dem Kündigungsberechtigten ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist. Bei der Bewertung dieser Schwere und der aus ihr abgeleiteten Folgerungen für die Zukunft kommt es auf die im Normwortlaut vorausgesetzte, umfassende Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und die ebenso umfassende Interessenabwägung an. Bei der Interessenabwägung spielen ua. folgende Faktoren eine Rolle: Bereits nach dem Normwortlaut kommt es auf die verbleibende Dauer (Laufzeit) des Vertragsverhältnisses an: Je kürzer diese ist, umso leichter erscheint ein Festhalten als zumutbar.29 Dem Kündigenden ist dabei eine willkürliche, insbesondere diskriminierende Lösung vom Vertrag untersagt,30 die zu bejahen ist, wenn er in der Vergangenheit bei gleichen Vorkommnissen nicht gekündigt hat. Der Kündigungsberechtigte muss auch die Verhältnismäßigkeit wahren, wenn er seine Ziele in anderer Weise erreichen kann.31 Ferner hat er die auf der anderen Seite geschaffene Vertrauensposition zu beachten.32 Schließlich fällt die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte ins Gewicht. Arg. e § 723 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 spielt grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Kündigungsgegners eine bedeutende Rolle.

25 26 27 28 29 30 31 32

RGZ 65, 37; Hervorhebungen durch den Verfasser. Dazu etwa MünchKomm/Henssler § 626 Rn. 108. EuGH NJW 2015, 391, Tz. 33ff. MünchKomm/Henssler § 626 Rn. 109; Staudinger/Preis § 626 Rn. 89ff. MünchKomm/Henssler § 626 Rn. 110. Str., vgl. Staudinger/Preis § 626 Rn. 95f. Staudinger/Preis § 626 Rn. 86. Staudinger/Preis § 626 Rn. 94; ähnlich MünchKomm/Gaier § 314 Rn. 12.

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(BGH 11.11.2010 – III ZR 57/10 = NJW-RR 2011, 916) K hat mit T, einem Telekommunikationsunternehmen, einen DSL-Vertrag über eine Laufzeit von zwei Jahren geschlossen. Der Vertrag beinhaltet auch die Nutzung eines Mobiltelefons zu einem Pauschaltarif. Ein halbes Jahr nach Abschluss zieht K in eine andere Gemeinde um, in der kein DSL-Anschluss gelegt werden kann. Deshalb erklärt er T gegenüber die „Sonderkündigung“. T besteht auf Zahlung der Vergütung. Der BGH tendiert zur Einordnung des DSL-Vertrag als Dienstvertrag33 und geht daher grundsätzlich von einem Vergütungsanspruch des T gegen K aus § 611 Abs. 1 aus (Tz. 8).

Dem Kunden steht ein ordentliches Kündigungsrecht nach § 621 Nr. 3 nicht schon deshalb zu, weil die Vereinbarung über eine feste Leistungszeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam wäre. Der BGH hält die zweijährige Laufzeit des DSL-Vertrages entsprechend § 309 Nr. 9 lit. b nämlich deshalb für gerechtfertigt, weil der Verbindungsnetzbetreiber Fixkosten wie die Bereitstellung des Anschlusses, eines Routers usw. auf den Kunden umlegen müsse. Dieser profitiere selbst aufgrund der längeren Laufzeit von den niedrigeren Raten (Tz. 13). Vor allem aber verneint das Gericht die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung nach §§ 626 Abs. 1, 314 Abs. 1. Im Rahmen der Interessenabwägung falle deutlich ins Gewicht, dass der Umzug der Sphäre des Kunden zuzuordnen sei (Tz. 9). Auch müsse der Verbindungsnetzbetreiber die vorerwähnten Fixkosten auf den Kunden umlegen dürfen (Tz. 14). Aufgrund ähnlicher Überlegungen komme auch ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 nicht in Betracht, da der geltend gemachte Umstand in die Risikosphäre des Kunden falle (Tz. 17). Schließlich passe auch die Preisgefahrregel des § 326 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz nicht, weil der Kunde durch die Vereinbarung einer zweijährigen Laufzeit das Risiko der Unmöglichkeit nach § 326 Abs. 2 übernommen habe (Tz. 18). Die Kritik wendet ein, dass ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 zunächst eine klare Trennung der Risikobereiche der Beteiligten und eine Interessenabwägung voraussetze. Danach sei der Verbindungsnetzbetreiber aber dafür verantwortlich, seine Netze nicht flächendeckend innerhalb Deutschlands ausgebaut zu haben. Da er dem Kunden zudem einen Kombinationsvertrag aus Mobilfunk und DSL angeboten habe, sei das Mobilitätsinteresse des Kunden zum Vertragsgegenstand geworden.34 Schließlich könne das vom BGH bemühte Interesse an einer Amortisation der Fixkosten durch den Betreiber nur für die Erstlaufzeit des Vertrages gelten, nicht aber im Falle seiner (automatischen) Verlängerung, da sich dann die Anlaufkosten für den Verbindungsnetzbetreiber amortisiert hätten.35 Trotz dieser Einwände überzeugt die Auffassung des BGH: Denn der objektive Umstand, der vorliegend zur Kündigung herangezogen wird, liegt im Umzug des Kunden. Dieser fällt in das Verwendungsrisiko und damit die Verantwortung des Kunden. Denn eine Vertragspartei trägt nicht nur die Folgen vorsätzlichen oder grob 33 34 35

Mit ähnlicher Tendenz: BGHZ 196, 285 = NJW 2013, 2021, Tz. 15. Jakl JZ 2011, 529f. und 531. Van der Hoff ZGS 2011, 154, 155.

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fahrlässigen Verhaltens (§ 723 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1), sondern auch die Konsequenzen ihrer eigenen, in freiem Willen getroffenen Entscheidung (vgl. Rn. 845). Dass der Kunde die Gegenseite damit in Leistungsverlegenheit bringt, stellt eine von dieser Entscheidung provozierte Folge, aber keinen gleichwertig zu Lasten des Dienstverpflichteten (Verbindungsnetzbetreiber) zu berücksichtigenden Umstand dar. Anders läge der Fall nur, wenn dieser dem Kunden vertraglich die gewünschte Mobilität geschuldet hätte. Dies bejaht die Kritik jedoch viel zu rasch. Denn aus der Erheblichkeitsschwelle des § 119 Abs. 2 folgt der Grundsatz, dass einseitige Wünsche und Vorstellungen einer Vertragsseite den Bestand und den Inhalt der vertraglichen Pflichten grundsätzlich nicht berühren können; vielmehr ist den §§ 313 Abs. 2, 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 zu entnehmen, dass nur solche Verwendungsinteressen erheblich sind, die beide Vertragsseiten gleichermaßen bei Vertragsschluss vorausgesetzt haben. Für den Ausnahmefall, dass sich die eine Vertragsseite die Motive der anderen zu eigen gemacht hat, sind deshalb besonders deutliche Hinweise erforderlich: Der Abschluss eines Vertrages über ein Mobiltelefon trägt in diesem Zusammenhang bei weitem nicht die Annahme, dass sich das Telekommunikationsunternehmen die Mobilitätsinteressen des Kunden zu eigen gemacht hätte! K steht daher ein außerordentliches Kündigungsrecht nach §§ 626 Abs. 1, 314 Abs. 1 nicht zu. In einer neueren Entscheidung erlaubt der BGH die Kündigung eines DSL-Vertrages wegen misslungener Rufnummernmitnahme, weil der Kunde mehrwöchig nicht erreichbar war.36

II. Der Rechtsanwaltsvertrag 1. Überblick 1040

Beim Rechtsanwaltsvertrag handelt es sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1, dem im Regelfall ein dienstvertraglicher Charakter nach § 611 und nur ausnahmsweise ein werkvertraglicher Einschlag (bei Rechtsgutachten oder isolierten Rechtsauskünften) zukommt.37 Dies erklärt sich aus § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach der Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege fungiert und als berufener, aber unabhängiger Interessenvertreter in allen Rechtsangelegenheiten wirkt (§ 3 Abs. 1 BRAO). Mit dieser Stellung ist es idR. nicht vereinbar, das Erreichen punktueller Ergebnisse iSd. § 631 Abs. 2 (Obsiegen im Prozess, Durchsetzung einer vom Mandanten gewünschten Klausel bei den Vertragsverhandlungen usw.) als Leistung zu versprechen. Nach Auffassung des Gesetzgebers schuldet der Rechtsanwalt vielmehr „die Dienste für sich betrachtet“.38 Von dieser Einschätzung geht die Praxis auch bei sachlich sehr begrenzten, auf punktuelle Erfolge zielen36 37 38

BGHZ 196, 285 = NJW 2013, 2021, Tz. 17ff. BGH NJW 1965, 106; Staudinger/Martinek § 675 Rn. B165. Mot. II, S. 455, 471.

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

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den Mandaten aus. So entschied das RG im Jahre 1916 im Hinblick auf ein Mandat über die Erstellung eines Vertragsentwurfs: „Hier war nicht der Erfolg Gegenstand des Vertrages, sondern die zur Erreichung des Erfolgs vom Rechtsanwalt vorzunehmende Tätigkeit, Beratung und Vertragsfassung.“39

Eine unmittelbare Konsequenz aus dieser Stellung zieht § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO. Nach dieser Norm sind Erfolgshonorare unzulässig, soweit sie nicht ausnahmsweise nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erlaubt sind. Dabei geht es um Vergütungen, die vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängen. Nach § 4a Abs. 1 RVG kommt die Vereinbarung eines Erfolgshonorars aber in Betracht, wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse ohne die Vereinbarung von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. (OLG München 10.5.2012 – 23 U 4635/11 = NJW 2012, 2207) Die F-GmbH (F) übernimmt gegenüber Klägern, die eine Mindestsumme gerichtlich geltend machen, die Prozessfinanzierung. Dabei trägt sie die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Klägers ohne Rückerstattungsanspruch, lässt sich jedoch für den Fall des Obsiegens 50% der im Urteil zugesprochenen Summe als Vergütung versprechen. Mit F hat Rechtsanwalt R eine stille Gesellschaft nach §§ 230ff. HGB gegründet und wird über diese an den Gewinnen der F beteiligt. Voraussetzung ist, dass er einen Mandanten, den F bezuschusst, erfolgreich vor Gericht vertritt. Kläger K macht eine Summe von rund 90.000 € gerichtlich geltend und finanziert seine Kosten über die F. Durch R vertreten, obsiegt er schließlich. Ihm wird in einem rechtskräftigen Urteil die volle Summe zugesprochen. R geht nun gegen K aufgrund des an ihn abgetretenen Vergütungsanspruchs der F vor. In Betracht kommt ein Anspruch des R gegen K aus abgetretenem Recht der F gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 analog. Die Rechtsnatur des Prozessfinanzierungsvertrages ist umstritten. Nach einer Auffassung handelt es sich um eine Innengesellschaft zwischen Finanzierer und Prozesspartei (§§ 705ff. und analog § 230 HGB)40, nach der überzeugenderen Gegenauffassung um ein sog. partiarisches Darlehen.41 Beim partiarischen Darlehen tritt an die Stelle einer Rückzahlung des Darlehens eine Gewinnbeteiligung des Darlehensgebers an dem mit der Darlehensvaluta erwirtschafteten Überschuss.

Fraglich ist nur, ob die Vergütung wirksam vereinbart wurde. Dies verneint das OLG, weil der Prozessfinanzierer und der hinter ihm stehende Rechtsanwalt § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO umgangen hätten (Tz. 17ff.). Denn der Rechtsanwalt sei an den Erfolgen seines Mandanten insoweit beteiligt, als auch der Prozessfinanzierer an ihnen verdiene und dem Rechtsanwalt über eine stille Beteiligung die dabei erzielten Überschüsse nach § 232 Abs. 1 HGB ausschüttet (vgl. auch das Beispiel Rn. 790). In dieser Praxis erkennt das OLG einen Verstoß gegen den Normzweck des § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO. Denn das Verbot des Erfolgshonorars dient vor allem dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit und – aus standesrechtlicher Sicht – auch dem Ansehen der Anwaltschaft als solcher. Insbesondere soll der Eindruck vermieden werden, der Rechtsanwalt 39 40 41

RGZ 88, 223, 227. Grunewald AnwBl. 2001, 540, 542. LG Bonn NJW-RR 2007, 132, 135f.

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steigere seine Leistungsbereitschaft mit einer Erfolgsbeteiligung (Tz. 18).42 Vorliegend erscheinen diese Zwecke durch die unmittelbare Zession des Vergütungsanspruchs an den Rechtsanwalt in besonderer Weise berührt. Denn die Beteiligten, also der Prozessfinanzierer und der Rechtsanwalt, machen sich nicht einmal die Mühe des Umwegs über eine Ausschüttung des Jahresüberschusses der gemeinsamen Stillen Gesellschaft nach § 232 Abs. 1 HGB. Deshalb sieht das OLG auch die Zession des Vergütungsanspruchs nach § 398 wegen Verstoßes gegen § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO auf der Grundlage des § 138 Abs. 1 als nichtig an (Tz. 24). Näher liegt § 134: Zwar ist die Zession vom zugrunde liegenden Schuldverhältnis zu trennen, doch fungiert sie hier gerade als Tatmittel zur Umgehung des § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO. Geht man davon aus, hat F keine Forderung gegenüber K aus § 488 Abs. 1 Satz 2 analog erworben, die sie an R abtreten könnte. Denn ihr Geschäftsmodell zielte auf eine systematische Umgehung des § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO, sodass der Vertrag nach § 134 nichtig war. Selbst wenn eine Forderung begründet worden wäre, hätte F diese nicht an R abtreten können, da die Zession nach § 398 Satz 1 wegen Verstoßes gegen § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO ebenfalls nach § 134 nichtig war. Der Anspruch des R besteht folglich nicht.

1041a

§ 3 Abs. 3 BRAO regelt das Prinzip der freien Rechtsanwaltswahl. Danach hat jedermann im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. (BGH 4.12.2013 – IV ZR 215/12 = BGHZ 199, 170 = NJW 2014, 630) Rechtsschutzversicherer V sieht in seinen AGB vor, dass die bei einem Schadensfall auftretende Erhöhung des Selbstbehalts des Versicherungsnehmers um 150 € für den nächsten Versicherungsfall entfällt, wenn der Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt aus dem Kreis der von V empfohlenen Berufsträger beauftragt.

Ein Verstoß der Klausel gegen § 3 Abs. 3 BRAO mit der Folge des § 134 kann auf der von ihr ausgehenden finanziellen Anreizwirkung gründen, wenn das Recht der freien Rechtsanwaltswahl dadurch faktisch eingeschränkt wird. Allerdings ist der Versicherungsnehmer nach § 127 Abs. 1 Satz 1 VVG in Gerichtsund Verwaltungsverfahren nur berechtigt, einen Berufsträger aus dem Kreis derjenigen Rechtsanwälte frei zu wählen, deren Vergütung der Versicherer nach dem Versicherungsvertrag trägt (Tz. 27). Im systematischen Konflikt dieser Normen dient § 3 Abs. 3 BRAO dem Schutz des Mandanten, für den die Erteilung des anwaltlichen Mandats Vertrauenssache ist und dem ein wirksames rechtliches Gehör verweigert würde, wenn andere, insbesondere die Gegenseite, ihm die Wahl des Rechtsanwaltes vorgeben könnten. § 127 Abs. 1 Satz 1 VVG hingegen schützt den Versicherer vor einer Schadensvergrößerung, die dadurch droht, dass der Versicherungsnehmer zwar das Mandat erteilt, die Rechtsschutzversicherung aber für die daraus resultierenden Kosten aufkommen muss. Die Freigebigkeit des Versicherungsnehmers gegenüber Dritten zu Lasten der 42

Dazu auch BGH NJW 1009, 3297; Dethloff NJW 2000, 2225, 2228.

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

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Versicherung ist ein Grundlagenproblem der Versicherung (Rn. 811). Deshalb erlaubt der BGH dem Versicherer in Grenzen die Einrichtung eines Anreizsystems (Tz. 26f.), wobei es darauf ankommt, dass von der Anreizwirkung kein unzulässiger psychischer Druck auf den Versicherten bei der Wahl ausgeht (Tz. 36ff.). Dieser entsteht, wenn der Versicherten bereits im aktuellen Schadensfall zur Wahl eines bestimmten Rechtsanwalts bewegt werden soll (Tz. 37), wenn die mit der Wahl verbundenen finanziellen Folgen besonders lange nachwirken (Tz. 38) oder der finanzielle Anreiz besonders hoch ist (Tz. 39). Diese Voraussetzungen werden vorliegend trotz der Einflussnahme auf die laufende Schadensabwicklung verneint (Tz. 41ff.). Die Kritik43 sieht dagegen die Höhe des finanziellen Vorteils als nicht unbedenklich an und verweist auf die Gefahr einer Interessenkollision des Rechtsanwalts: Ein Rechtsanwalt, der im Vertragsnetzwerk des Versicherers verbleiben wolle, müsse sich dessen Interesse an einer Kostenreduzierung zu Lasten des Mandanten zu eigen machen und gegebenenfalls etwa von der Einlegung von Rechtsmitteln abraten. Der Versicherungsnehmer kann diese Gefahr jedoch erkennen und die mit ihr verbundenen Vor- und Nachteile selbst einschätzen, wenn ihm der Versicherer diese Wahl nicht durch einen zu hohen wirtschaftlichen Druck faktisch nimmt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Das Recht auf freie Rechtsanwaltswahl kann schließlich auch durch einen Verbraucherwiderruf gewahrt werden: (AG Offenbach 9.10.2013 – 380 C 45/13 – Juris) Kanzlei R wendet sich in einem Rundschreiben an sämtliche Anleger einer bestimmten Beteiligungsgesellschaft und weist darauf hin, dass sie zur anwaltlichen Vertretung eines von dieser geschädigten Anlegers legitimiert ist. Anleger M nimmt darauf Kontakt zu K über das Internet auf und es kommt durch Versenden von Schriftsätzen ein schriftlicher Rechtsanwaltsvertrag zustande. Nachdem die Inanspruchnahme der Beteiligungsgesellschaft erfolglos bleibt, widerruft M, der nie über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, das Mandat. Schuldet M der R das Honorar? Dem Vergütungsanspruch nach §§ 675 Abs. 1, 611 BGB, §§ 1ff. RVG könnte hier die Rechtsfolge des § 355 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehen, wenn M den Rechtsanwaltsvertrag wirksam nach § 312g Abs. 1 widerrufen hat.

Der Rechtsanwaltsvertrag könnte als Fernabsatzgeschäft nach § 312c zustande gekommen sein. Unproblematisch wurde der Vertrag mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln (§ 312c Abs. 2) geschlossen. Fraglich ist jedoch, ob die Kanzlei über ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem (§ 312c Abs. 1 zweiter Halbsatz) gehandelt hat. Das AG bejaht dies, weil es der Kanzlei planmäßig um Distanzgeschäfte gegangen sei. In den Fällen der Kapitalanlegerschädigung zahle sich der organisatorische und personelle Aufwand für den Anwalt erst aus, wenn es ihm gelänge, eine Vielzahl geschädigter Anleger als Mandanten zu gewinnen. Die Kritik hingegen wendet ein, dass für den Fernabsatzwiderruf im Rechtsanwaltsvertrag kein Raum sei, weil der Mandant die rechtsanwaltliche Leistung nicht zunächst näher besehen

43

Armbrüster JZ 2014, 577, 578f.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

müsse wie bei einer im Fernabsatz bestellten Ware.44 Argumente dieser Art verfangen jedoch nicht bei dem an Vollharmonisierung orientieren Verbraucherschutzrecht (Rn. 36a; 538): Weil § 312c auf eine Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt zielt, kann es nicht auf die (fehlende) Schutzbedürftigkeit im Einzelfall ankommen, weil dann eine unübersehbare Vielzahl von Einzelregelungen an die Stelle eines einheitlichen Marktordnungsrahmens treten würde. Der EuGH hat aus ähnlichen Überlegungen heraus die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln (93/13/EWG) auf den Rechtsanwaltsvertrag angewendet.45 M kann wirksam nach § 312g Abs. 1 innerhalb der Frist des § 356 Abs. 3 Satz 2 widerrufen.

1042

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Die Dienstleistungspflicht des Rechtsanwalts zergliedert sich in eine Reihe einzelner Handlungs- und allgemeiner Verhaltenspflichten. Die Generalklausel des § 43 BRAO verpflichtet den Rechtsanwalt zu gewissenhafter Berufsausübung (Satz 1) und zu einem Verhalten, das sich der Achtung und des Vertrauens, das die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs voraussetzt, als würdig erweist (Satz 2). Einzelne Verhaltenspflichten konkretisiert der Katalog nach § 43a BRAO: Danach darf der Rechtsanwalt keine berufliche Bindung eingehen, die seine Unabhängigkeit gefährdet (Abs. 1), ist zur Verschwiegenheit verpflichtet (Abs. 2), muss sich bei der Berufsausübung sachlich verhalten (Abs. 3), darf keine widerstreitenden Interessen vertreten (Abs. 4) und ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zur erforderlichen Sorgfalt verpflichtet (Abs. 5). Auf zentrale Handlungs-, aber auch Verhaltenspflichten wird unten (ab Rn. 1045) eingegangen. Für seine Dienstleistung hat der Rechtsanwalt einen Anspruch auf ein Honorar. Dessen Entstehung und Umfang ist im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geregelt. Dabei richtet sich das Honorar nach dem Gegenstandswert (§ 2 Abs. 1 RVG; vgl. die Fallgestaltung unten Rn. 1044). Vereinbarungen über die Höhe der Vergütung sind nach §§ 3aff. RVG nur beschränkt möglich: (BGH 30.9.2004 – I ZR 261/02 = NJW 2005, 1266 – Telekanzlei) A, B und C betreiben als Rechtsanwälte gemeinsam eine sog. „Telekanzlei“. In dieser werden Mandanten allein telefonisch, und zwar auf folgende Weise beraten: Sie wählen die Telekanzlei über eine 0800erRufnummer an. Dabei fallen keine Telefongebühren, sondern nur die von der Telekanzlei erhobenen Beratungsgebühren an. Die Mindestgebühr beträgt 15 € sowie 5 € pro Beratungsminute. Die Zeiterfassung beginnt erst, nachdem Personalien und formale Vorfragen geklärt sind. Eine konkurrierende Rechtsanwaltskanzlei X verlangt von der T Einstellung der Werbung für ihren Betrieb. Zu Recht? In Betracht kommt ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 iVm. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG. Dazu müsste die T gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen haben, die das Marktverhalten regelt.

S. Ernst NJW 2014, 817, 820. EuGH NJW 2015, 1289, Tz. 18ff., 35; diesen Zusammenhang stellt zu Recht auch Rückebeil VuR 2015, 396 her.

44 45

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

771

Nach Auffassung des BGH „birgt das System einer telefonischen Rechtsberatung, bei der die Dienstleistung der Beratung nach Zeit abgerechnet wird, zwar gewisse Risiken für ein berufswidriges Verhalten der beteiligten Rechtsanwälte. Dies führt indessen nicht dazu, dass die Werbung für einen telefonischen Beratungsdienst schlechthin untersagt werden könnte“ (S. 1267). Daran überzeugt, dass ein Rechtsanwalt immer schon telefonisch beraten konnte. Deshalb bestehen keine Einwände, wenn sich ausschließlich auf diese Tätigkeit beschränkt. Allerdings darf es bei der Abrechnung der Vergütung nicht zu systematischen Gebührenüber- oder -unterschreitungen nach dem RVG kommen. Die Normen des RVG stellen nämlich Marktverhaltensregeln iSd. § 3a UWG dar (S. 1267). Vermeidet T daher eine systematische Über- oder Unterschreitungen der im RVG vorgesehenen Gebühren, liegen die Voraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes nicht vor.

Gebührenvereinbarungen, die über die gesetzlichen Sätze hinausgehen, bedürfen nach § 3a Abs. 1 RVG der Textform und des in der Norm vorgesehenen, spezifischen Warnhinweises. Bei einem Verstoß ist die Gebührenvereinbarung nach § 125 Satz 1 nichtig und ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondion) eröffnet. Der BGH46 wendet die Kondiktionssperre des § 814 nur an, wenn der Mandant positiv vom Nichtbestehen einer Verbindlichkeit weiß (Tz. 9). Ausnahmsweise kann der Anspruch auch wegen § 242 ausgeschlossen sein, wenn der Mandant dem Rechtsanwalt zu verstehen gibt, dass er sich auf Einwendungen aus der fehlenden Form nicht berufen werde (Tz. 11). In Höhe der gesetzlichen Vergütung des § 2 Abs. 1 RVG bleibt der Mandant aber wohl verpflichtet: Dies erinnert nur vordergründig an eine verbotene geltungserhaltende Reduktion, entspricht jedoch tatsächlich der Funktion des § 2 Abs. 1 RVG, Lücken im Rechtsanwaltsvertrag im Hinblick auf die Vergütung zu schließen (vgl. bereits Rn. 616a, 912 und 1150). Auch zwingt der Schutz des Mandanten vor überhöhten Gebühren nicht dazu, diesem eine unentgeltliche rechtsanwaltliche Beratung zukommen zu lassen. 2. Beratungspflichten

Den Rechtsanwalt trifft die Verpflichtung zu umfassender und erschöpfender Beratung, damit der Mandant eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann.47 In diesem Rahmen muss der Anwalt prüfen, ob der vom Mandanten vorgetragene Sachverhalt geeignet ist, die tatsächlichen Voraussetzungen der erstrebten Rechtsfolge zu begründen.48 Bedenken und Zweifel muss er darlegen49 und den Mandanten gegebenenfalls darauf hinweisen, dass die Klage mit hoher BGH NJW 2016, 1391; die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung. BGH NJW 2009, 3025, Tz. 8; BGHZ 171, 261 = NJW 2007, 2485, Tz. 9; BGH NJW-RR 2003, 1212. 48 BGH NJW 2006, 501. 49 BGH NJW 1997, 2168. 46 47

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Wahrscheinlichkeit aussichtslos ist.50 Ansonsten hat er dem Mandanten den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären.51 (BGH 24.5.2007 – IX ZR 89/06 = NJW 2007, 2332) M hatte von der Gemeinde G einen Campingplatz für 160.000 € erworben, in den er weitere 112.000 € investierte. Nachträglich stellt sich heraus, dass der Campingplatz nicht den bauplanungsrechtlichen Anforderungen entspricht. M schaltet darauf Rechtsanwalt R bei den Verhandlungen mit G ein, wobei auch über eine mögliche Rückabwicklung des Kaufvertrages verhandelt wird. Nachträglich stellt R dem M eine Geschäftsgebühr iHv. 270,05 € und eine besondere Gebühr für die Beratung über die Möglichkeit einer Anfechtung des Kaufvertrags iHv. 1.510,32 € bei einem Gegenstandswert von 272.000 € in Rechnung. M wendet sich gegen die Höhe der Gebühr. Er behauptet, dass er keine Beratung durch R gewünscht hätte, wenn ihm mitgeteilt worden wäre, dass er seine Gebühren an einem Gegenstandswert iHv. 272.000 € berechne. R kann hier einen Vergütungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG geltend machen. Der Anspruch hängt zunächst nicht davon ab, ob die nach § 10 RVG erteilte Rechnung richtig ist (Tz. 7).

Fraglich ist allerdings, ob der Mandant vorliegend mit einem Gegenanspruch aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) aufrechnen kann, weil der Rechtsanwalt ihn nicht über die Höhe der Beratungsgebühr wegen einer Kaufvertragsanfechtung aufgeklärt hatte. Grundsätzlich besteht eine solche Hinweispflicht des Rechtsanwalts nicht, weil der Mandant mit einer entgeltlichen Tätigkeit rechnen muss und die Höhe der zu erwartenden Gebühren deshalb erfragen kann (Tz. 9). Im Einzelfall kann das Gebot von Treu und Glauben (§ 242) jedoch eine Aufklärung über die Gebührenhöhe erforderlich machen, etwa wenn die Rechtsangelegenheit angesichts der finanziellen Belastung für den Mandanten wirtschaftlich sinnlos wird (Tz. 10). Vorliegend sieht der BGH die Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts nach § 49b Abs. 5 BRAO als verletzt an. Denn richten sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert, muss der Rechtsanwalt den Mandanten auf diesen Umstand hinweisen. Dadurch soll eine Überraschung des Mandanten durch Abrechnungen nach § 2 Abs. 1 RVG verhindert werden (Tz. 15). Der Verstoß gegen die Norm führt allerdings nicht zur Nichtigkeit des Rechtsanwaltsvertrages nach § 134 (Tz. 16), begründet jedoch Ansprüche aus c.i.c. (Tz. 17ff.). Die Entscheidung endet dennoch mit einer Überraschung. Denn nach Auffassung des Gerichts wird die vorvertragliche Pflichtverletzung nicht kausal für einen Schaden. Der Mandant hätte nämlich nicht ausreichend dargelegt, dass er bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht mit dem Rechtsanwalt kontrahiert und auf eine Beratung verzichtet hätte (Tz. 21). Denn § 43b Abs. 5 BRAO verpflichte den Anwalt nur zum Hinweis, dass nach dem Gegenstandswert abgerechnet werde. Dieser Wert müsse nicht beziffert werden. Weil der Mandant aber nicht behauptet habe, dass er den Gegenstandswert auf eine solche Infor50 51

BGH NJW 2009, 1350. BGHZ 171, 261 = NJW 2007, 2485, Tz. 12.

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mation hin ermittelt hätte, sei die Pflichtverletzung für den Schaden nicht kausal geworden. In dieser Begründung zeigt sich das besondere Verständnis des IX. Senats im Hinblick auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, das von demjenigen des XI. Senats abweicht (Rn. 1300f.).52 Nach der zugrunde liegenden Lehre ist der Aufklärungspflichtige mit dem Beweis für das hypothetische Verhalten des Aufklärungsberechtigten im Falle einer sachgemäßen Aufklärung aus zwei Gründen belastet: Erstens soll die Aufklärungspflicht den Berechtigten gerade vor einer solchen Beweisnot schützen; zweitens aber soll die Beweisnot des Berechtigten über den hypothetischen Kausalverlauf dem Aufklärungspflichtigen nicht insoweit von Vorteil sein, als der Pflichtverstoß für ihn sanktionslos bleibt. Dieser Gedanke bereitet keine Schwierigkeit, wenn für den Aufklärungsberechtigten bei hypothetischer Betrachtungsweise nur eine vernünftige Handlungsmöglichkeit bestand, nämlich unter dem Eindruck der ihm übermittelten Information einen Schaden von sich abzuwenden. Probleme entstehen indes in den Fällen des sog. Entscheidungskonflikts (vgl. auch Rn. 1301). Hier geht die Information in einen Widerstreit ganz unterschiedlicher Interessen ein und es ist nachträglich nach der Lebenserfahrung nicht auszumachen, ob die Information den Aufklärungsberechtigten zu einer anderen Entscheidung veranlasst hätte oder nicht. Vorliegend hätte der Mandant möglicherweise den Rechtsanwaltsvertrag auch in Kenntnis der Höhe der anfallenden Gebühren abgeschlossen, weil ihm das Loskommen vom wirtschaftlich wertlosen Grundstückskaufvertrag vielleicht wichtiger gewesen wäre als die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren. Dies lässt sich jedoch nicht mehr klären. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist der Mandant in einer solchen Situation besonders schutzwürdig: Denn gerade die Verletzung der Aufklärungspflicht bringe ihn in die missliche Lage, den Entscheidungskonflikt bei hypothetischer Betrachtungsweise nicht eindeutig auflösen zu können.53 Der IX. Senat aber stellt auf das Fehlen eines Erfahrungssatzes für die vom Mandanten hypothetisch getroffene Entscheidung ab. Damit bleibt die Aufklärungspflichtverletzung des Rechtsanwalts in bedenklicher Weise folgenlos, womit eine problematische Anreizsetzung verbunden ist. 3. Haftung für Beratungsfehler der Sozietät

Nach § 128 Satz 1 HGB analog sind Rechtsanwälte für die Schulden ihrer Sozietät persönlich, unmittelbar und unbeschränkt verantwortlich, wenn diese in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705ff.) verfasst ist. Um dieser Haftung zu entgehen, kann eine Partnerschaftsgesellschaft nach § 1 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG) gegründet werden, bei der die Haftung nach § 8 Abs. 2 PartGG beschränkt ist; in Betracht kommt auch eine PartnerVgl. auch BGH NJW 2015, 3447, Tz. 25; allgemein zu dieser Lehre hier nur BGHZ 61, 118 = NJW 1973, 1688f. 53 Herbert Roth JZ 2015, 1081, 1083 mwN. 52

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schaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, die das Haftpflichtrisiko durch eine Versicherung zugunsten ihrer Mandanten abdeckt (§ 8 Abs. 3 PartGG). (BGH 10.5.2012 – IX ZR 125/10 = NJW 2012, 2435) Bei S handelt es sich um eine Sozietät, die aus den Rechtsanwälten R1, R2 und R3 und dem Steuerberater SB besteht. R1 hatte verschiedene Mandanten, darunter M, wegen des Wertverlustes ihrer Aktien beraten, der durch eine Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Publizitäten durch X entstanden war. Im Anschluss an ein Vorgespräch bietet S dem M durch ein Schreiben an, seine Ansprüche gegen X an eine neu gegründete G-GmbH (G) abzutreten, damit diese gemeinsam mit den Ansprüchen anderer Geschädigter geltend gemacht werden könnten. An der G hält R3 den alleinigen Geschäftsanteil; R1 und R2 sind die Geschäftsführer. M ist damit einverstanden und tritt seine vermeintlichen Ansprüche auf Schadensersatz an die G ab. Im Prozess gegen X werden vor allem R1 und R2 tätig; die Klage der G über rund 6 Mio. € wird jedoch rechtskräftig abgewiesen, weil die Abtretung gegen das mittlerweile nicht mehr geltende Rechtsberatungsgesetz verstieß und die G daher nicht aktivlegitimiert war. M fordert daher Schadensersatz von S sowie von R1, R2, R3 und SB. In Betracht kommen Ansprüche des M aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 gegen die S, für die R1, R2, R3 und SB aus § 128 Satz 1 HGB analog persönlich haften könnten.

In Fällen dieser Art stellt sich stets die Frage, ob der Dienstvertrag mit der Anwaltssozietät zustande kommt oder mit dem einzelnen beratenden Rechtsanwalt. Darin liegt eine nach §§ 133, 157 zu beantwortende Auslegungsfrage. Dabei erwirbt die Sozietät – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705ff. – ohne förmlichen Akt Teilrechtsfähigkeit, sobald sie am allgemeinen Verkehr teilnimmt (Außenauftritt). Dann kann sie– von ihren Gesellschaftern (Sozii) nach § 714 vertreten – Verträge schließen (Tz. 15).54 Nach der Auslegungsregel des § 164 Abs. 2 (Tz. 16) findet dabei im Zweifel ein Handeln im fremden Namen nicht statt. Gegenläufige Indizien iSd. § 157 können diesen Eindruck jedoch entkräften, etwa wenn auch andere Anwälte der Sozietät für den Mandanten tätig werden sollen (ähnlich Tz. 19) oder das Briefpapier der Gesellschaft in der Korrespondenz mit dem Mandanten Verwendung findet. Ferner verdient die Lehre vom unternehmensbezogenen Geschäft Beachtung: Im Verkehr kommt danach das Rechtsgeschäft typischerweise mit dem Inhaber des Unternehmens selbst, nicht aber mit dem nach außen auftretenden Repräsentanten zustande.55 Dies dürfte auch für eine Sozietät gelten, wenn der einzelne Partner sich gegenüber dem Mandanten nicht besonders deutlich von dieser absetzt. Geht man davon aus, wurde hier im Zweifel die Sozietät verpflichtet. Nach altem Recht hatte die Sozietät einen Beratungsfehler zu verantworten (Tz. 24). Dagegen darf heute eine GmbH oder eine teilrechtsfähige Personenvereinigung Rechtsdienstleistungen (§ 2 Abs. 1 RDG) nach § 12 Abs. 4 iVm. Abs. 1 Nr. 1 und 2 RDG erbringen, wenn sie die Registrierungsvoraussetzungen erfüllt. Unabhängig davon erscheint die Abtretung der Mandantenforderung an eine von den verantwortlichen Rechtsanwälten selbst

54 55

Grundlegend BGHZ 146, 341 – Weißes Ross. Vgl. nur MünchKomm/Schubert § 164 Rn. 117ff.

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

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betriebene Gesellschaft wegen des Verbots des Erfolgshonorars nach § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO nicht unbedenklich (vgl. Rn. 1041). Das Verschulden des für die Sozietät konkret tätig werdenden Gesellschafters wird dieser nach § 31 BGB analog zugerechnet.56

Bemerkenswert ist die Entscheidung aber vor allem, weil sie zum ersten Mal in aller Deutlichkeit feststellt, dass sämtliche Gesellschafter der Sozietät, auch der Steuerberater, für den von der Sozietät zu vertretenden Beratungsfehler nach § 128 Satz 1 HGB analog nach der sog. Akzessorietätstheorie haften (Tz. 68ff.). Nach altem Recht hatte der BGH nur den jeweils verantwortlichen Sozius analog § 425 persönlich haften lassen (vgl. die Voraufl. an dieser Stelle).57 Nun aber trifft die strenge akzessorische Haftung des § 128 Satz 1 HGB analog auch den Steuerberater (Tz. 70). Zugrunde liegt folgender Rechtsgedanke: Weil eine natürliche Person für die schuldhaften Folgen ihres Tuns stets mit ihrem ganzen Vermögen haftet, kann sich ein Haftungsprivileg nicht dadurch ergeben, dass sie sich mit anderen zu einer Personengesellschaft zusammenschließt: Auch hier haften daher alle Akteure persönlich. Ein Unterschied liegt allerdings darin, dass ein Gesellschafter auch für die Handlungen des anderen in vollem Umfang Verantwortung trägt. Dies nimmt das Gesetz jedoch zum Schutz des Gläubigers in Kauf; denn andernfalls würden für die Gesellschafter falsche Anreize gesetzt, im undurchsichtigen Dickicht des zwischen ihnen bestehenden Innenverhältnisses Haftungsbeschränkungen zu begründen. Die Haftung nach § 128 Satz 1 HGB analog ist deshalb schneidend streng ausgestaltet: Sie folgt inhaltsgleich der Gesellschaftsschuld, wobei dem Rechtsanwalt nur die Einwendungen nach § 129 HGB analog verbleiben. Der Gesetzgeber hat allerdings in § 52 Abs. 2 Satz 2 BRAO die Möglichkeit geschaffen, dass die Sozietät in ihren AGB die Haftung auf die Partner beschränkt, die im Einzelfall das Mandat bearbeiten (Tz. 73). Problematisch erscheint jedoch, wann genau im Einzelfall eine Bearbeitung eines Mandats vorliegt: In der Vergangenheit genügte dafür bereits die Übernahme minimaler Verantwortung.58

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4. Interessenkonflikt

Nach § 43a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Die Norm erfasst unmittelbar nur ein Tätigwerden in derselben Sache und führt bei Verstoß zur Vertragsnichtigkeit.59 Fraglich ist, ob der Rechtsanwalt den Mandanten bei Vertragsschluss darüber hinaus im Hinblick auf sonstige Interessenkonflikte aufklären muss: (BGH 8.11.2007 – IX ZR 5/06 = BGHZ 174, 186 = NJW 2008, 1307) M beauftragt den in einer größeren Sozietät tätigen Rechtsanwalt R mit der Wahrnehmung einer Rechtsangelegenheit gegenüber der Bank B. Dafür wird ein Honorar zu einem Stundensatz von 500 € 56 57 58 59

Vgl. nur MünchKomm/Arnold § 31 Rn. 16. Dazu etwa und zugleich mit einer Einschränkung BGHZ 56, 355. Vgl. dazu BGH NJW 2010, 1360, Tz. 14ff. BGH ZIP 2016, 1443, Tz. 7.

1049

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

vereinbart. R fertigt für M den Entwurf eines Antrags auf einstweilige Verfügung. Als die Gegenseite im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen nicht einlenkt, will M mit Hilfe des R Klage gegen B erheben. Darauf weist R den M in einem Schreiben ausdrücklich darauf hin, dass B seiner Sozietät mit der Entziehung einer Reihe lukrativer Mandate gedroht habe, wenn er M vertrete. Deshalb müsse er von einer weiteren Vertretung des M Abstand nehmen. Bei dieser Gelegenheit erfährt M, dass die Sozietät sehr häufig mit B zusammenarbeitet. M kündigt das Vertragsverhältnis mit R, verlangt nun das gezahlte Honorar iHv. 22.003,50 € heraus und macht einen weiteren Schaden geltend, der ihm durch Zuarbeiten an R entstanden ist, die der neu betraute Rechtsanwalt nicht verwenden könne. R verweist darauf, dass ihm der Interessenkonflikt bei der Annahme des Mandats nicht bewusst gewesen sei. In Betracht kommt ein Anspruch des M gegen R aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 (c.i.c.) auf Schadensersatz. Fraglich ist, ob R im Stadium der Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1) eine Aufklärungspflicht verletzt hat.

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Der Rechtsanwalt hat vorliegend nicht unmittelbar gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen, da keine Vertretung in derselben Rechtssache erfolgt ist (Tz. 9). Fraglich ist daher, ob er über den Anwendungsbereich dieser Norm hinaus Adressat von Aufklärungspflichten sein kann. Dies wird teilweise verneint, weil die Norm die rechtlich relevanten Konflikte abschließend erfasse.60 Dies soll teilweise auch aus der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO) folgen.61 Überzeugend verweist die Gegenansicht darauf, dass die Verschwiegenheitspflicht in § 43a Abs. 2 BRAO auf gleichem Rang mit dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen steht (Abs. 4).62 Der BGH bejaht deshalb auch unterhalb der Schwelle des § 43 Abs. 4 BRAO Aufklärungspflichten des Rechtsanwalts über Interessenkonflikte und begründet dies mit der Schutzwürdigkeit des dem Rechtsanwalt durch seinen Mandanten entgegengebrachten Vertrauens (Tz. 11ff.): Dieser verlasse sich darauf, dass der Rechtsanwalt das übertragene Mandat uneingeschränkt mit vollem Nachdruck vertrete, und sei daher stets daran interessiert, die mögliche Motivationslage des Anwalts in Erfahrung zu bringen (Tz. 13). Ferner dürfe sich der Mandant darauf verlassen, dass sein Anwalt ihn ohne besondere Vereinbarung nicht nur außergerichtlich, sondern auch gerichtlich vertrete; dies gelte allein schon deshalb, weil sonst eine Anrechnung der Kosten für die außergerichtliche Beratung auf die Kosten der gerichtlichen Durchsetzung der Forderung nicht in Betracht komme (Tz. 14). Fragen wirft aber auch die haftungsbegründende Kausalität auf. Der BGH spricht die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (Rn. 1044, 1300f.) nur kurz an, und stellt stattdessen auf einen Anscheinsbeweis nach § 287 ZPO ab (Tz. 19): Weil der Mandant unmittelbar auf die Mitteilung des Rechtsanwalts über den Interessenkonflikt gekündigt habe, spreche ein Anscheinsbeweis dafür, dass er den Vertrag mit ihm nicht geschlossen hätte, wenn er bereits im Zeit60 61 62

Kleine-Cosack AnwBl. 2008, 278, 280; aA. Grunewald JZ 2008, 691, 692. Henssler/Deckenbrock NJW 2008, 1275, 1278. Grunewald JZ 2008, 691, 692.

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punkt der vorvertraglichen Verhandlungen von der Interessenkollision Kenntnis erlangt hätte. Veranlasst der Rechtsanwalt aber durch sein vertragswidriges Verhalten eine Vertragskündigung, besteht der Schaden zunächst in Höhe des vom Mandanten gezahlten Honorars, wenn ein neuer Anwalt bestellt werden muss und der Mandant diesem die gleichen Gebühren ein weiteres Mal schuldet (Tz. 17). Nur soweit der Rechtsanwalt Leistungen erbracht hat, die neben dem zweiten Mandat ihren Wert behalten, kommt ein verbleibender Honoraranspruch in Betracht (Tz. 17). Der Aufwand für die nunmehr sinnlosen Zuarbeiten stellt einen weiteren Vermögensschaden des Mandanten dar. Schließlich bejaht der BGH auch einen Anspruch auf Rückgewähr des gezahlten Honorars aus § 628 Abs. 1 Satz 2 zweiter Fall (vgl. oben Rn. 1034). Die Norm bezieht sich auf die Kündigung in den Fällen der §§ 626, 627 und ist an die Adresse des Dienstverpflichteten gerichtet: Kündigt dieser ohne Grund oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten eine Kündigung durch die Vertragsgegenseite, steht ihm ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse mehr haben. Als Pflichtverletzung, die Anlass zur Kündigung gegeben habe, sieht das Gericht die Weigerung des Rechtsanwaltes an, den Interessenkonflikt mit der Bank hinter den Anliegen des Mandanten zurücktreten zu lassen (Tz. 23).

1051

In einem aufsehenerregenden Fall des OLG Frankfurt63 hatte eine Anwaltssozietät den Mandanten im Rahmen seiner Ehescheidung in zwei Verfahren vertreten. Als der Mandant während dieser Zeit in einen Straßenverkehrsunfall verwickelt worden war, vertrat die Sozietät die Gegenseite. In ihrer Klageerwiderung berief sie sich darauf, dass der Mandant wohl infolge der Belastungen aus seiner Ehescheidung kein straßenverkehrsgerechtes Verhalten an den Tag gelegt habe. Der Mandant kündigte darauf nach § 627 Abs. 1 die beiden Mandate mit Bezug auf das Scheidungsverfahren und berief sich erfolgreich auf § 628 Abs. 1 Satz 2.

Die Kritik will dem Rechtsanwalt eine Einschätzungsprärogative einräumen: Geht er bei Begründung des Mandates davon aus, dass er den Mandanten uneingeschränkt vertreten könne, komme keine Pflichtverletzung in Betracht.64 Die Gegenauffassung rückt jedoch die Interessenlage des Mandanten in den Vordergrund: Dieser könne stets erwarten, über die mögliche Interessenkollision aufgeklärt zu werden, um selbst die Risiken und Chancen einer Vertretung durch den Rechtsanwalt einschätzen zu können.65 Für diese Betrachtungsweise spricht der interessenwahrende Charakter des Rechtsanwaltsvertrages nach § 675 Abs. 1.

OLG Frankfurt NJW 2016, 1599; zu den Hintergründen: Offermann-Burckart NJW 2016, 1552ff. 64 Henssler/Deckenbrock NJW 2008, 1275; aA. Grunewald JZ 2008, 691, 692. 65 Grunewald JZ 2008, 691. 63

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

5. Rechtskenntnis 1053

In einer Entscheidung zur Steuerberaterhaftung hat der BGH auch Stellung zur erforderlichen Rechtskenntnis des Dienstverpflichteten bezogen:66 Der Steuerberater muss dabei einerseits mit der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung vertraut sein, darf aber andererseits bei seiner Beratung auf deren Bestand vertrauen. Er kann grundsätzlich von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze ausgehen und auch von deren Konformität mit dem Unionsrecht. Ein praktisches Beispiel für die überaus strengen Anforderungen an die Rechtskenntnisse des Rechtsanwalts liefert folgender Fall: (BGH 18.12.2008 – IX ZR 179/07 = NJW 2009, 987) Vermieterin V verlangt von dem von ihr beauftragten Rechtsanwalt R Schadensersatz wegen fehlerhafter Vertretung in einem Rechtsstreit mit Mieter M. V hatte mit M eine Vereinbarung über die Erstattung von Betriebskosten getroffen, in der allerdings kein Ersatz von Versicherungs- und Grundsteuerkosten vorgesehen war. Dennoch hatte V diesbezüglich (gutgläubig) von M Zahlung verlangt, und dieser hatte die Forderung auch anstandslos beglichen. Nachträglich verlangte M jedoch sein Geld zurück und begehrte Feststellung, dass keine Verpflichtung bestanden habe. Während das Amtsgericht V den Anspruch auf die Betriebskosten zusprach, ließ sich das in der Berufungsinstanz entscheidende Landgericht von der Überlegung leiten, dass aus einem Rechtsirrtum eines Mieters keine Vertragsänderung resultieren könne. Es verkannte dabei die zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre alte einschlägige Entscheidung des BGH (BGH 29.5.2000 – XII ZR 35/00 = NJW-RR 2000, 1463; zur Problematik: Rn. 934). Diese sah auch R nicht. Am Ende wird der Klage des M rechtskräftig stattgegeben. V fordert nun von R Schadensersatz für entgangene Betriebskosten und Ersatz der Prozess- und Anwaltskosten aus dem dargestellten Rechtsstreit. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2.

1054

Der Anspruch setzt eine Pflichtverletzung aus dem Rechtsanwaltsvertrag nach §§ 675 Abs. 1, 611 voraus. Ein zentrales Problem des Falles liegt in der Frage, ob die zutreffende rechtliche Würdigung des Mandantenvortrags ebenfalls zu den Anwaltspflichten zählt. Bekannte Formeln wie „da mihi facta, dabo tibi ius“ oder „ius novit curia“ suggerieren nämlich, dass die Aufgabe des Rechtsanwaltes in der Darlegung und im Beweis des erforderlichen Tatsachenmaterials bestehen könnte und dass das entscheidende Gericht allein für die rechtliche Beurteilung verantwortlich ist. Dem widerspricht der BGH: Wegen der Gefahr eines richterlichen Irrtums gehöre es auch zu den Pflichten des Rechtsanwalts, auf die rechtliche Beurteilung durch das Gericht Einfluss zu nehmen (Tz. 8).67 Dies folgert das Gericht unter anderem aus § 137 Abs. 2 ZPO (Tz. 14). Nach dieser Norm haben die Vorträge der Parteien das Streitverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu umfassen. Im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität stellt sich in Fallkonstellationen der vorliegenden Art die Frage, ob sich der Fehler des Rechtsanwalts auf die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgewirkt hat. Dies hängt 66 67

BGH DB 2010, 2325, Tz. 8f. Bestätigt in BGH NJW 2016, 957.

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

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davon ab, wie das Berufungsgericht entschieden hätte, wenn der Anwalt es mit der Entscheidung des BGH konfrontiert hätte. Hier nun verschärft der BGH die Anwaltshaftung in bemerkenswerter Weise: Denn maßgeblich für diese Frage soll nicht die Warte des entscheidenden Berufungsgerichts selbst sein, sondern die des im Regressprozess angerufenen Gerichts (Regressgericht; Tz. 16). Aus dessen Sicht aber wiegt die Entscheidung des BGH in der mietrechtlichen Vorfrage vermeintlich schwer (Tz. 17). Der Fehler des Berufungsgerichts durchbreche auch nicht den Zurechnungszusammenhang gegenüber dem Rechtsanwalt. Ähnliches komme nur in Betracht, wenn das Eingreifen eines Dritten den Geschehensablauf so verändere, dass der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der vom Rechtsanwalt zu vertretenden Vertragsverletzung stehe (Tz. 21), was aber vorliegend abzulehnen sei (Tz. 22). Dieser Betrachtungsweise wird man jedoch stets die in Art. 97 Abs. 1 GG geschützte richterliche Unabhängigkeit entgegenhalten müssen. Danach kommt es für die Kausalität zunächst darauf an, wie das Berufungsgericht in der Sache entschieden hätte und ob die Voraussetzungen einer Revision vorgelegen hätten. Denn das Berufungsgericht kann nach Art. 97 Abs. 1 GG von einer Rechtsprechung des BGH abweichen, auch wenn die praktische Erfahrung in eine andere Richtung deutet. Über die hypothetische Entscheidung des Berufungsgerichts muss der in die Pflicht genommene Anwalt aber Beweis durch Vernehmung der Richter anbieten dürfen. Vorliegend sprach zugunsten des Rechtsanwalts, dass der BGH selbst von der erwähnten Rechtsprechung im Mietrecht später deutlich Abstand genommen hat und dass sie der Gesetzgeber in den Materialien zur Mietrechtsreform 2001 ausdrücklich missbilligte (Rn. 934). Dies hätte auch das Berufungsgericht zu einer anderen Betrachtungsweise veranlassen können, worauf die Klage des Mieters in jedem Fall abgewiesen worden wäre. Dass der Rechtsanwalt vorliegend wegen eines Beratungsfehlers haften soll, überzeugt daher nicht. 6. Einschränkung der Haftung nach dem Schutzzweck der Norm

Der Rechtsanwalt ist schließlich nicht für sämtliche Auswirkungen einer Fehlberatung verantwortlich. Eine bemerkenswerte Einschränkung vollzieht der BGH im vorliegenden Fall: (BGH 9.7.2009 – IX ZR 88/08 = NJW 2009, 3025) F bewohnte mit ihrem Ehemann und den beiden fünfjährigen Zwillingen ein von V gemietetes Haus. Als die Zwillinge unbeaufsichtigt mit Wunderkerzen experimentieren, kommt es zu einem Brand, im Rahmen dessen das Haus vollständig zerstört wird (Gesamtschaden: 600.000 €). Weil V von den Eheleuten weiterhin Miete verlangt, schaltet F mit ihrem Ehemann den Rechtsanwalt R ein. Im Rahmen der Beratungen erklärt R auf Nachfrage, die Haftpflichtversicherung der Eheleute werde den Schaden nicht übernehmen, wenn F und ihr Ehemann grob fahrlässig gehandelt hätten. F verfällt darauf in eine Dauerpanik und gerät in einen Zustand seelischer Auflösung, der zu stundenlanger Schlaflosigkeit und schweren Erschöpfungszuständen führt. Von R verlangt sie Schmerzensgeld, weil die Auskunft – wie sie erst bedeutend später erfährt – rechtlich falsch war.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2. R hat eine Pflicht nach § 241 Abs. 2 aus dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Beratungsvertrag durch eine fehlerhafte Beratung verletzt. Denn nach § 103 VVG ist die Haftpflichtversicherung nur bei Vorsatz nicht zur Leistung verpflichtet. R ließ sich hier mglw. von dem nicht anwendbaren § 81 Abs. 2 VVG leiten. Fraglich ist nur, ob der nach § 253 Abs. 2 entstandene Schaden dem R zurechenbar ist.

1056

Zu Recht stellt der BGH darauf ab, dass die Adäquanz der Ursachensetzung, also die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nach Setzung eines Ursachenbeitrags, nicht für die Zurechnung genügt, sondern dass eine Zurechnung auf der Grundlage der Lehre vom Schutzzweck der Norm begründet werden müsse (Tz. 12). Das rechtsanwaltliche Mandat sei nämlich darauf gerichtet gewesen, Schadensersatzansprüche von den Eheleuten abzuwenden, nicht jedoch Rechtsgüter iSd. § 253 Abs. 2 zu schützen (Tz. 14). Der BGH erwägt ausdrücklich die Möglichkeit, dass im Einzelfall ein anwaltliches Mandat auch dem Schutz der in § 253 Abs. 2 erwähnten Freiheit dienen könne, etwa wenn eine Untersuchungshaft des Mandanten im Raum stehe und der Rechtsanwalt diese durch eine Fehlleistung herbeiführe (Tz. 15). Auch komme eine Haftung aus § 253 Abs. 2 bei einer Schutzpflichtverletzung des Rechtsanwalts in Betracht, etwa wenn die bauliche Einrichtung der Kanzleiräume Risiken für die in § 253 Abs. 2 geschützten Rechtsgüter der Mandanten berge (Tz. 16). Der vorliegende Hauptauftrag sei jedoch weder auf die in dieser Norm genannten Rechte und Rechtsgüter gerichtet gewesen noch sei es zu einer einschlägigen Schutzpflichtverletzung gekommen (Tz. 17). Die Kritik sieht darin eine sachlich nicht gerechtfertigte Einschränkung der anwaltlichen Haftung; der Anwalt dürfte sich nicht im Hinblick auf naheliegende Schäden blind stellen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe gezeigt, dass die Fälle krasser finanzieller Überforderung auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellten. Dann könne vorliegend eine Haftung ebenfalls nicht verneint werden.68 Die Entscheidung überzeugt. Nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm69 konkretisiert sich der Gegenstand einer Rechtspflicht in ihrem persönlichen und sachlichen Schutzzweck. Danach will eine Rechtspflicht typischerweise bestimmte Personen vor bestimmten Rechtsnachteilen bewahren. Deshalb eignet sich die Pflichtverletzung auch als Grund dafür, dem gegen sie Verstoßenden einen Schaden zuzurechnen. Wenn die Pflicht nämlich den Eintritt einer bestimmten Art von Schäden verhindern wollte, ist der gegen die Pflicht Verstoßende für den einschlägigen Schadenseintritt verantwortlich. Die Zurechnung gründet in diesem Fall auf der Überlegung, dass gerade der Schaden eingetreten ist, vor dem die verletzte Norm schützen wollte. Aus diesem Grund genügt es für die Schadenszurechnung nicht, dass anlässlich einer PflichtverletSchiemann JZ 2011, 526f. Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 1, 1936, S. 502ff.; grundlegend BGHZ 96, 231, 236 = NJW 1986, 837; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 299f.; von Caemmerer, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 621, 641; M. Wolf NJW 1967, 709. 68 69

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

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zung ein Schaden entsteht, der vom Schutzzweck der verletzten Rechtspflicht gar nicht erfasst wird. Denn dann fehlt es am inneren Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt (fehlender Rechtswidrigkeitszusammenhang). Die Pflichtverletzung stellt dann – mit anderen Worten – keinen Grund dar, warum ihr Verursacher für den Schaden haften sollte; denn die Pflicht will diesen Schaden nicht verhindern. Darum geht es auch hier: Die den Rechtsanwalt treffende Beratungspflicht soll nach dem Willen der Parteien den Mandanten vor primären (einfachen) Vermögensschäden schützen. Denn beiden Seiten geht es anlässlich des Schadensfalles um die Wahrnehmung der Vermögensinteressen der beiden Mandanten gegenüber dem Vermieter und der Haftpflichtversicherung. In diesem Bereich hat sich der Beratungsfehler des Rechtsanwalts aber nicht zu Lasten der Mandantin ausgewirkt. Die Wahrung der körperlichen Integrität der Mandantin ist hingegen nicht Gegenstand der vom Rechtsanwalt geschuldeten Hauptleistungspflicht. Deshalb liegt in der Verletzung der Beratungspflicht kein Grund, dem Rechtsanwalt die Körperverletzung zuzurechnen. Aus ähnlichen Überlegungen heraus schränkt der BGH die Verantwortung des Rechtsanwalts aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte ein: (BGH 21.7.2016 – IX ZR 252/15 = WM 2016, 1601) G, der ehemalige Ministerpräsident des Bundeslandes Baden-Württemberg, geht gegen die Rechtsanwaltskanzlei S vor. Das Bundesland beauftragte die S mit der Beratung über den geplanten Kauf der Anteile der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) von einer französischen Gesellschaft. Der Landesrechnungshof rügte den dabei ausgehandelten Kaufpreis von 40 € pro Aktie als viel zu hoch. Dies führte ua. zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen G wegen Untreue. Nachdem dieser die Landtagswahl verloren und ein privates Dienstverhältnis begründet hatte, wurde ihm auch dieses wegen der Affäre um den Kauf der Aktien gekündigt. G verlangt deshalb Schadensersatz iH. seiner Strafverteidigungskosten und entgangenen Gewinn (§ 252) wegen der Kündigung des Dienstverhältnisses. Der mögliche Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 setzt voraus, dass der zwischen dem Bundesland und S geschlossene anwaltliche Beratungsvertrag Drittwirkung zugunsten des Ministerpräsidenten entfaltete. Problematisch ist daran vor allem das Gläubigerinteresse; denn eine Wohl-und-Wehe-Beziehung zwischen Bundesland und Ministerpräsident kommt nicht in Betracht (Rn. 826, 1319ff.).

Der BGH nimmt den Fall zum Anlass, zwei Fallgruppen zu unterscheiden, bei deren Vorliegen in einem rechtsanwaltlichen Beratungsvertrag ein Gläubigerinteresse auch jenseits einer Wohl-und-Wehe-Beziehung bestehen kann. Es handelt sich zum einen um Konstellationen, in denen die anwaltliche Beratung dem Dritten als Grundlage für Dispositionen über sein eigenes Vermögen dienten oder auf ihrer Grundlage dem Dritten ein Vermögensvorteil zugewendet werden solle (Tz. 21; Beispiel unter Rn. 1324). Zum anderen geht es um Fälle, in denen die Leistung des Anwalts auch dazu bestimmt war, dass der Dritte konkret feststehende Handlungsgebote, die ihn persönlich trafen, einhalten und so eine persönliche Haftung gegenüber Außenstehenden vermeiden konnte (Tz. 22). Ansonsten hat ein Mandant jedoch kein schützenswertes rechtliches Interesse an der Einbeziehung seines Vertreters zum Schutz vor

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

Vermögensschäden. Denn typischerweise habe dieser die Interessen des Vertretenen zu wahren und nicht umgekehrt (Tz. 30ff., 34). Auch erleidet der Vertreter einen Vermögensschaden idR. nur, wenn er die Grenzen des Vertretungsverhältnisses überschreitet. Hier ist er jedoch bereits ausreichend durch den Rechtsrat an den Mandanten geschützt, ohne dass es auf eine Drittwirkung ankomme (Tz. 34). Man wird ergänzen dürfen, dass zumindest ein Teil der geltend gemachten Positionen – vor allem der Verdienstausfall nach § 252 – ebenso wenig in den Schutzzweck der betroffenen anwaltlichen Beratungspflichten fiel wie im Fall unter Rn. 1055. 7. Sekundärverjährung 1057

Rechtsanwälte, Steuerberater und Architekten unterliegen schließlich einer besonderen Haftungsverschärfung im Hinblick auf die Verjährung ihrer Ansprüche aus §§ 195, 199: (BGH 7.2.2008 – IX ZR 149/04 = NJW 2008, 2041) K hat von V am 9.1.1997 ein Grundstück erworben, das mit einem Geschäftshaus bebaut war. Im Vorfeld beauftragte sie Rechtsanwalt R mit der Führung der Verhandlungen mit V und teilt diesem ua. mit, dass sie das Geschäftshaus für sich selbst nutzen wolle. Das Haus war indes von V an M vermietet worden, dem ein Optionsrecht auf eine zweimalige Verlängerung seines Mietvertrages eingeräumt worden war. Im notariell beurkundeten Kaufvertrag erklärte V gegenüber K, dass M wirksam gekündigt worden sei. Eine Räumungsklage gegen M ist jedoch erfolglos geblieben. Deshalb beauftragte K den R in einem weiteren, im April 1998 erteilten Mandat, ihre Ansprüche gegenüber V durchzusetzen. Im Februar 2001 verlangt sie von R Schadensersatz wegen Fehlberatung beim damaligen Grundstückserwerb. Der Anspruch der K gegen R aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 könnte vorliegend verjährt sein.

Die Verjährung der Ansprüche aus dem ursprünglichen, auf den Hauserwerb gerichteten Mandat (Primärverjährung) ist vorliegend gem. §§ 195, 199 Abs. 1 zum 31.12.2000 eingetreten. Fraglich ist jedoch, ob der Rechtsanwalt seine Pflichten aus dem zweiten Mandat über die Geltendmachung der Ansprüche der Mandantin gegen den Verkäufer fortwährend dadurch verletzt hat, dass er die Mandantin auf den ursprünglichen Beratungsfehler im ersten Mandat nicht hinwies. Der BGH hat zum Ausgleich der kurzen Verjährung der Anwaltshaftung nach §§ 195, 199 die erwähnte Sekundärverjährung geschaffen (Tz. 36):70 Danach haftet der Rechtsanwalt nicht nur für einen Beratungsfehler als solchen. Bei fortlaufender Wahrnehmung des Mandates ist er vielmehr auch dann verantwortlich, wenn er den Mandanten auf einen begangenen Beratungsfehler und auf die kurze Verjährung schuldhaft nicht hinweist (Tz. 30). Dies bedeutet, dass die Pflichtverletzung des Rechtsanwalts solange anhält, wie das Mandat insgesamt fortläuft. An jedem Tag, an dem das Mandat fortbesteht, begeht der Rechtsanwalt nämlich einen Pflichtverstoß, wenn er einen entspre70

BGHZ 183, 323 = NJW 2010, 1808, Tz. 30f.

II. Der Rechtsanwaltsvertrag

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chenden Hinweis unterlässt. Deshalb beginnt auch die Verjährungsfrist stets aufs Neue zu laufen. Fraglich war im vorliegenden Fall, ob der Anwalt bei der Vertretung der Mandantin im Hinblick auf die Ansprüche gegen den Verkäufer auch noch das alte Mandat mit wahrnahm. Der BGH bejaht dies, weil dem Rechtsanwalt noch während des Laufs der Primärverjährung ein neuer Auftrag über denselben Gegenstand erteilt worden sei. Auch dann bestehe die Pflicht, auf die gegen ihn gerichteten Regressansprüche aufmerksam zu machen (Tz. 34). Derselbe Gegenstand liege wiederum dann vor, wenn ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen dem alten und dem neuen Mandat bestehe; auf den prozessualen Begriff des Streitgegenstandes (§§ 253 Abs. 2, 261 Abs. 1 ZPO) komme es nach dem Zweck der Lehre von der Sekundärverjährung hingegen nicht an (Tz. 36). Diese Überlegungen begründen streng genommen einen Einwendungsdurchgriff: Weil Einwendungen aus dem ersten Vertrag die Rechte und Pflichten im demgegenüber eigentlich rechtlich selbständigen zweiten Vertrag beeinflussen. Nicht ohne Grund erinnert daher das Tatbestandsmerkmal des unmittelbaren und inneren Zusammenhangs an die wirtschaftliche Einheit nach § 358 Abs. 3 Satz 2. Für die vorliegende Betrachtungsweise spricht zunächst, dass der Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber auch im zweiten Mandat zu vollständiger und umfassender Beratung verpflichtet ist (Rn. 1044). Solange das Folgemandat daher noch inhaltliche Berührungspunkte mit dem ersten Mandat aufweist, kommt die Verletzung einer Beratungspflicht durch den Rechtsanwalt in Betracht. Gegen diese Überlegungen sprechen indes die Schwierigkeit der Grenzziehung und das Interesse des Rechtsanwalts wie jedes anderen Vertragschließenden, das mit einem Vertrag verbundene Haftungsrisiko auf diesen zu beschränken, um es wirtschaftlich sinnvoll steuern zu können. Denn die Lehre von der Sekundärverjährung führt zu erheblichen Folgeproblemen. Gerade bei Wirtschaftsprüfern, die mehrere Jahresabschlüsse eines Auftraggebers in Folge prüfen, führt die Sekundärverjährung zu erheblichen Belastungen. Deshalb schränkt der BGH diese ein: (BGH 10.12.2009 – VII ZR 42/08 = BGHZ 183, 323 = NJW 2010, 1808) Wirtschaftsprüfer W kontrollierte mehrere Jahresabschlüsse der Anlagegesellschaft G in deren Auftrag und beanstandete dabei in einem Jahr nicht, dass ein Organwalter der G unberechtigterweise Entnahmen aus dem Vermögen der Gesellschaft vorgenommen hatte, die nur teilweise zurückgewährt wurden. Die Pflichtverletzung betrifft eine Prüfung, die mittlerweile mehr als drei Jahre zurückliegt. Haftet der Wirtschaftsprüfer auch hier gegenüber G? In Betracht kommt eine Haftung aus § 323 Abs. 1 HGB, der W die Einrede aus § 214 Abs. 1 entgegenhalten könnte.

Die Konstellation zeigt die Gefahren einer Ausweitung der Sekundärverjährung. Denn der Wirtschaftsprüfer wird vergleichbar dem Rechtsanwalt im vorangegangenen Fall (Rn. 1057) ebenfalls über längere Zeit im selben Aufgabenfeld tätig. Nach Auffassung des BGH findet die Sekundärverjährung hier jedoch keine Anwendung: Das Berufsbild des Wirtschaftsprüfers sei dem des Anwalts nicht vergleichbar. Denn der Wirtschaftsprüfer habe den Auftraggeber

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

nicht umfassend rechtlich zu beraten. Seine Beratungspflicht beschränke sich auf den zu prüfenden Jahresabschluss (Tz. 34). Dies überzeugt schon deshalb nicht, weil Jahresabschlüsse aufeinander aufbauen und durch Verlust- und Gewinnvorträge aus den Vorjahren auch inhaltlich miteinander verknüpft sind. Diese Umstände legen es nahe, dass auch der Wirtschaftsprüfer sein Mandat von Jahr zu Jahr weiter fortsetzt. Das Beispiel zeigt, dass die Erstreckung der Sekundärverjährung über mehrere abgeschlossene Mandate hinweg erhebliche Folgeprobleme aufwirft. Denn sie nimmt dem Verantwortlichen die Möglichkeit, seine Haftung durch Vertragsschluss zeitlich zu beschränken und widerläuft den Zwecken der Verjährung, nach Ablauf einer bestimmten Zeit für Rechtsfrieden zu sorgen, weil eine Beweisführung wegen des Untergangs der Beweismittel praktisch nicht mehr möglich ist. Konsequenterweise bejaht der BGH in einem obiter dictum eine Sekundärverjährung bei Architekten (Tz. 27). Der Architekt hafte nämlich nicht nur für die eigenen begangenen Fehler, sondern auch dafür, dass er den Auftraggeber nicht auf die von ihm begangenen Fehler und die kurze Verjährung aufmerksam mache. Grundlage ist hier die Sachwalterstellung des Architekten gegenüber dem Auftraggeber, die auch eine Klärung von Mangelursachen erfordert (Tz. 29). Vor allem die Aufgaben eines Architekten bei der Bauüberwachung sprechen für eine so weit reichende Verantwortung, wenn man der Lehre von der Sekundärverjährung folgen will. Die Sekundärverjährung soll jedoch auch den Steuerberater treffen (Tz. 27). Wird der Steuerberater für einen Mandanten, wie dies üblich ist, dauerhaft tätig, bedeutet dies eigentlich, dass eine Verjährung während der ganzen Zeit des Bestehens der Geschäftsbeziehung nicht in Betracht kommt. Denn stets wird der Berater ja im Rahmen des mehr oder weniger selben Gegenstandes tätig, geht es doch immer um die gleiche steuerliche Veranlagung. Ist ihm daher in einem der Vorjahre ein Fehler unterlaufen, der zu einer erhöhten Besteuerung des Mandanten führte, muss er – mit derselben Frage einige Jahre später befasst – den Mandanten auf den alten Fehler hinweisen und haftet erneut, wenn er dies unterlässt. Dafür spricht einerseits die umfassende Beratungspflicht des Steuerberaters. Dagegen lassen sich jedoch das Interesse an einer vertraglichen Risikobegrenzung und die Zwecke der Verjährung anführen. III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.) 1. Überblick

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Seit einer Arbeit Teufels aus dem Jahre 191971 wird ein Streit um die Rechtsnatur des ärztlichen Behandlungsvertrages geführt. Vor Einführung des § 630b lag eine Einordnung als Dienstvertrag vor allem in Abgrenzung zur Erfolgsverantwortung im Werkvertrag nach § 631 Abs. 2 nahe. Wegen der Komplexität der Vorgänge im menschlichen Körper, die nach menschlichem Ermessen kaum 71

Teufel, Der Arztvertrag, 1919; dazu BR-Drucks. 312/12, S. 10.

III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.)

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jemals sicher zu beherrschen sind, kann nach hM.72 ein Erfolg der Behandlung am lebenden Organismus nicht seriös geschuldet sein. Deshalb trägt der Behandelnde lediglich Verantwortung für eine fachgerechte Durchführung der Maßnahmen, schuldet aber grundsätzlich kein bestimmtes Behandlungsergebnis. Der Gesetzgeber hat sich diese Betrachtungsweise bei der Konzeption der §§ 630aff. zu eigen gemacht.73 Er geht allerdings auch davon aus, dass im Einzelfall ein behandlungstechnischer oder medizinischer Erfolg nach § 631 Abs. 2 geschuldet sein kann, und nennt dabei den Vertrag über zahnlabortechnische Arbeiten.74 Dagegen soll der Vertrag über eine Schönheitsoperation den §§ 630aff. unterfallen.75 Die §§ 630aff. dürften entsprechend der bislang hM. zur Anwendbarkeit der §§ 611ff. auch bei einer zahnärztlichen Behandlung gelten.76 Zwar stehen auch hier beim Erstellen von Füllungen, Prothesen und Plomben erfolgsbezogene handwerkliche Elemente im Vordergrund, doch prägt die Unberechenbarkeit körperlicher Reaktionen des Patienten (Verträglichkeit, Allergien usw.) die Leistungspflicht in zentraler Weise. Anders beurteilt werden hingegen abgrenzbare, erfolgsbezogene ärztliche Einzelleistungen, die nicht auf einem Eingriff in einen lebenden Organismus beruhen: Die Vereinbarungen über eine Röntgendiagnose, die Vornahme einer Laboruntersuchung, bei der keine individuellen Anpassungsreaktionen im Vordergrund stehen, oder ein tierärztlicher Untersuchungsbefund werden deshalb als Werkvertrag typisiert.77 Auch der tierärztliche Behandlungsvertrag unterfällt nicht den §§ 630aff., weil Tiere keine Patienten iSd. § 630a Abs. 1 sind. Dennoch wendet der BGH die von ihm selbst entwickelte Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern nach den für den humanmedizinischen Eingriff geltenden Maßstäben (Rn. 1071) an und erreicht so praktisch eine Rechtsangleichung zu § 630h Abs. 5 Satz 1.78 Überhaupt schaffen die §§ 630aff. die Gefahr einer Rechtszersplitterung: Denn sie sind auf die Haftung aus § 823 Abs. 1 nicht anwendbar,79 obwohl das Arzthaftungsrecht dem Prinzip der Zweispurigkeit aus Vertrags- und Deliktsrecht folgt. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, dürften die §§ 630aff. jedoch zumindest auf § 823 Abs. 1 ausstrahlen.80 72 Vgl. statt vielerMünchKomm/Wagner § 630a Rn. 4; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 § 630a Rn. 5: keine Gesundheitsgarantie; aA. und für erfolgsbezogene Elemente der Verantwortung aber Schärtl NJW 2014, 3601, 3602; kritisch auch Katzenmeier NJW 2013, 817, 821. 73 BR-Drucks. 312/12, S. 23. 74 BR-Drucks. 312/12, S. 23. 75 BR-Drucks. 312/12, S. 23; anders noch MünchKomm/Busche § 631 Rn. 239. 76 MünchKomm/Wagner § 630a Rn. 6; zum alten Recht: BGH NJW 1973, 305; MünchKomm/Busche § 631 Rn. 240; aA. Jakobs NJW 1975, 1437. 77 Vgl. BGH NJW 1983, 2078; MünchKomm/Wagner § 630a Rn. 7. 78 BGH NJW 2016, 2502, Tz. 17 im Anschluss an BT-Drucks. 17/10488, S. 18; dazu R. Koch NJW 2016, 2546. 79 BT-Drucks. 17/10488, S. 27, rechte Spalte. 80 MünchKomm/Wagner Vor § 630a Rn. 25; ähnlich Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 § 630a Rn. 3.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

Der Gesetzgeber regelt den Behandlungsvertrag als einen eng an den Dienstvertrag angelehnten, eigenständigen Vertragstyp. Auf den Vertrag über die medizinische Behandlung eines Patienten (§ 630a Abs. 1) finden nach § 630b im Wesentlichen die Normen über das Dienstverhältnis, das kein Arbeitsverhältnis iSd. § 622 ist, entsprechende Anwendung. Dieser Vertrag kommt – unabhängig von den Versicherungsverhältnissen – zwischen dem Behandelnden und dem Patienten zustande (§ 630a Abs. 1). Unterliegt der Patient dem gesetzlichen Krankenversicherungsschutz, überlagert dieser jedoch die nach § 630a Abs. 1 geschuldete Vergütungspflicht: Der Patient ist nicht selbst zur Vergütung verpflichtet; für diese tritt vielmehr der Versicherungsträger nach dem SGB V ein.81 Der Begriff des Behandelnden ist bewusst weit gehalten, da der Vertrag nicht immer mit einem Arzt zustande kommt:82 Der Patient kann sich auch mit dem Krankenhausträger über sämtliche im Rahmen der stationären Behandlung geschuldeten Leistungen einigen (totaler Krankenhausvertrag). Häufig kommen aber auch ein Behandlungsvertrag über die allgemeinen Krankenhausleistungen mit einem Krankenhausträger und ein eigener Vertrag mit einem Belegarzt über die von diesem zu erbringenden Leistungen zustande (gespaltener Arzt-Krankenhausvertrag). Weitere Kombinationen sind vorstellbar. 2. Vertragsschluss

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Fragen, die sich im Hinblick auf den Vertragsschluss bei der Vereinbarung einer Sprechstunde ergeben, wurden bereits erörtert (Rn. 1025). Von besonderer Bedeutung erscheint vor allem die Erkenntnis, dass beim Zusammenwirken mehrerer Fachärzte unabhängige Verträge zwischen dem Patienten und den einzelnen Ärzten geschlossen werden: (BGH 14.1.2010 – III ZR 188/09 = BGHZ 184, 61 = NJW 2010, 1200) P wendet sich an seinen Hausarzt H wegen der Befürchtung, wie sein Vater am sog. Marfan-Syndrom erkrankt zu sein. H erklärt, dies könne man mit einem neu entwickelten Gentest für 500 bis 800 € leicht feststellen. H leitet darauf einen Auftrag mit dem Vermerk „Genotypisierung, Marfan-Syndrom“ an das Labor L weiter. Dieses führt ein humangenetisches Gutachten durch und berechnet P dafür knapp 22.000 €. Muss P diese bezahlen? In Betracht kommt ein Anspruch von L gegen P auf eine Vergütung nach § 630a Abs. 1 bzw. § 631 Abs. 1. Der Laboruntersuchungsvertrag unterfällt wegen seiner Erfolgsbezogenheit grundsätzlich wohl § 631 Abs. 1 (Rn. 1060). Werden dabei jedoch Blutproben genommen und körperliche Untersuchungen durchgeführt, erscheint eher § 630a Abs. 1 einschlägig, weil der Inhalt der Leistungspflichten durch die Komplexität des menschlichen Organismus beeinflusst wird. Die Frage kann hier jedoch dahinstehen. Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, ob überhaupt ein Vertrag zwischen L und P zustande gekommen ist. Ob L aber mit P oder mit H kontrahiert hat, hängt nach §§ 133, 157 davon ab, wie ein objektiver Beobachter in der Position des L das Auftreten des H verstehen durfte.

BR-Drucks. 312/12, S. 25. Zum Folgenden BR-Drucks. 312/12, S. 25 sowie statt vieler Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 §§ 823ff. Rn. 305ff. und Spickhoff ebenda Nr. 70 § 630a Rn. 19ff.

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III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.)

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Nach Auffassung des BGH handelt der Auftrag gebende Hausarzt gegenüber dem Labor nicht in eigenem Namen, sondern für seinen Patienten als Stellvertreter. Dies wird mit einer haftungsrechtlichen Besonderheit des Arztrechts bei der horizontalen Arbeitsteilung begründet (Tz. 11): Verantwortung trägt ein Arzt typischerweise nur für sein Fachgebiet.83 Schaltet er daher Fachärzte in Gebieten ein, für die er selbst nicht zuständig ist, treten diese gegenüber dem Patienten nicht als Erfüllungsgehilfen des hinzuziehenden Arztes iSd. § 278 Satz 1 auf. Denn der hinzuziehende Arzt erfüllt durch die Einschaltung dieser Ärzte keine eigene Verbindlichkeit. Vielmehr kommt mit dem eingeschalteten Arzt ein eigener Heilbehandlungsvertrag zustande, aus dem dieser dem Patienten für mögliche Fehlleistungen haftet. Dieses Prinzip wird auch auf den allgemeinen deliktsrechtlichen Vertrauensgrundsatz zurückgeführt (zu diesem bereits Rn. 960): Ein Facharzt darf darauf vertrauen, dass die Diagnose des anderen, von ihm hinzugezogenen Facharztes richtig ist. Allerdings zieht der BGH dort eine Grenze, wo ein Träger die Leistung des anderen liquidiert (Wer liquidiert, haftet!): Ein Krankenhaus haftet etwa nach § 278 Satz 1 für die Leistung eines Facharztes, wenn es diese gegenüber dem Patienten abrechnet (vgl. auch Rn. 1070).84 Diese Rechtsprechung hat keinen klaren Eingang in die §§ 630aff. gefunden, kommt jedoch in ihren Grundanliegen in § 630h Abs. 4 zum Ausdruck (dazu noch unten Rn. 1066) und dürfte aus allgemeinen Überlegungen heraus auch nach neuem Recht fortgelten: Denn der Patient kann nach Treu und Glauben (§ 242) von einem auf einem Fachgebiet tätigen Arzt nicht erwarten, dass dieser auch Behandlungsleistungen auf einem anderen Gebiet schuldet. Selbst wenn im Rahmen einer Behandlung durch einen Arzt auf Wunsch des Patienten ein weiterer auf demselben Fachgebiet tätiger Arzt hinzugezogen wird, muss der Patient davon ausgehen, dass dieser zweite Arzt ihm gegenüber eine eigenständige Verantwortung übernimmt. Dann aber kommt bei Inanspruchnahme dieses zweiten Arztes nach §§ 133, 157 auch ein eigener Vertrag mit diesem zustande. Auf dieser Grundlage muss auch vorliegend das eingeschaltete Labor davon ausgehen, dass der Hausarzt keine Eigenverbindlichkeit gegenüber dem Patienten erfüllen will, sondern dass er als Vertreter des Patienten auftritt und das Labor mit dem Patienten kontrahiert. Fraglich ist daher, ob der Patient dem Hausarzt eine Vollmacht erteilt hat (Tz. 11 und 23). In Betracht kommt eine Innenvollmacht nach § 167 Abs. 1 erster Fall (Tz. 17). Deshalb entscheidet im Rahmen der §§ 133, 157 die Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Hausarztes (und nicht des Labors). Der objektive Beobachter wird indes berücksichtigen, dass der Hausarzt dem Patienten einen Leistungsrahmen von 500 bis 800 € in Aussicht gestellt hat, und muss daher nach Treu und Glauben (§ 157) davon ausgehen, dass zu einer wesentlich über diesem Rahmen liegen83 BGHZ 142, 126 = NJW 1999, 2731, 2732f.; dazu MünchKomm/Wagner § 630a Rn. 91ff.; Spickhoff JZ 2010, 470. 84 BGH NJW-RR 2014, 1051, Tz. 26 und 28; OLG Hamm MDR 2015, 891.

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den Verpflichtung keine Vollmacht erteilt war. Da dem Betreiber des Labors aber wohl von Anfang an eine ganz andere Größenordnung vorschwebte, kam eine Einigung mit dem Patienten mangels Bevollmächtigung des Hausarztes nicht zustande. Auch eine Rechtsscheinvollmacht (Anscheinsvollmacht) scheidet aus:85 Denn regelmäßig setzt der Rechtsscheintatbestand der Anscheinsvollmacht voraus, dass der Scheinvertreter mit einer gewissen Dauer und Häufigkeit auftritt; auch fehlt es vorliegend am Vertretenmüssen des Patienten, weil dieser nicht erkennen kann, was genau sein Hausarzt in seinem Namen in Auftrag gibt. Schließlich kommen Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht in Betracht, weil es an dem nach § 683 Satz 1 erforderlichen Willen des Geschäftsherrn fehlt; denn mit der Bevollmächtigung in einem Rahmen von bis zu 800 € hat der Patient bereits ausdrücklich einen Willen bekundet, der einer wesentlich teureren Behandlung entgegensteht.86 Das Labor muss sich deshalb an den Hausarzt als falsus procurator nach § 179 Abs. 1 halten.87 Die vom BGH erwogene Sachwalterhaftung des Hausarztes gegenüber dem Labor nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 (Tz. 26) erscheint hingegen vergleichsweise fernliegend: Denn der Hausarzt nimmt kein besonderes, über das allgemeine Verhandlungsvertrauen hinausgehendes Vertrauen des Labors für sich in Anspruch. Gegenüber einem Patienten haftet ein Arzt jedoch aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2), wenn er über die Behandlungskosten nicht ausreichend informiert und dadurch dem Patienten ausnahmsweise einmal ein Schaden entsteht, was hier jedoch nicht der Fall ist (vgl. dazu § 630c Abs. 3 und allgemeiner Abs. 2). 3. Die Arzthaftung

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Die zentrale Neuerung des Patientenrechtegesetzes liegt in der Normierung der Beweislastverteilung bei der Arzthaftung in § 630h. Die maßgebliche Anspruchsgrundlage liegt dabei in §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 288 bzw. in § 823 Abs. 1, auf den § 630h zwar nicht unmittelbar anwendbar ist, auf den er aber ausstrahlt (Rn. 1060). Im Rahmen des § 630h geht es nur um die Beweislastverteilung für Fehler des Behandelnden. Diese beruhen regelmäßig auf einer Schutzpflichtverletzung gem. § 241 Abs. 2 bzw. auf der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht im Rahmen des § 823 Abs. 1. Die besonderen Probleme der Beweislastverteilung liegen einerseits in dem Umstand begründet, dass der Patient keine tieferen Einblicke in die ärztliche Tätigkeit hat, andererseits aber das ärztliche Erfahrungswissen notwendig begrenzt ist.89 Das Gesetz regelt die Beweislastverteilung für sog. voll beherrschbare Risiken (Abs. 1), für die Ein85 86 87 88 89

So Spickhoff JZ 2010, 470. Spickhoff JZ 2010, 470, 471. Spickhoff JZ 2010, 470, 471. BR-Drucks. 312/12, S. 12. Vor allem BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 10f.

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willigung des Patienten (Abs. 2), für Dokumentationsfehler (Abs. 3), bei fehlender Befähigung des Behandelnden (Abs. 4) und schließlich bei groben Behandlungs- und Befundsicherungsfehlern (Abs. 5). Erkennbar fungieren dabei die ersten vier Absätze als Spezialtatbestände und Abs. 5 als Auffangnorm. Aus Gründen der Veranschaulichung soll die vorliegende Darstellung dennoch beim groben Behandlungsfehler nach Abs. 5 beginnen. a) Behandlungsfehler

Gemäß § 630a Abs. 2 hat die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Diese stellt das Gericht mit Hilfe eines Sachverständigen, aber auch unter Berücksichtigung von Leitlinien der Fachwissenschaft und nach dem Berufsrecht fest.90 In der Verletzung dieser Standards liegt regelmäßig ein Behandlungsfehler. Dieser stellt in der Praxis den zentralen Grund der Arzthaftung dar.91 Charakteristisch für die aus § 630a Abs. 2 erwachsenden ärztlichen Behandlungspflichten ist das Prinzip der horizontalen Aufgabenteilung (vgl. bereits Rn. 1062). (BGH 21.12.2004 – VI ZR 196/03 = NJW 2005, 891) P begab sich wegen eines Hautekzems in die Behandlung der Hautärztin A. Mehrere Behandlungsversuche schlugen fehl; in der Krankenakte vermerkte A „Ekzem unklarer Genese“. Nachträglich stellt sich heraus, dass P schwanger ist und mit Röteln infiziert war. Eine Schwangerschaftsunterbrechung ist nun nach § 218a Abs. 1 StGB nicht mehr möglich. Das Kind der P kommt aufgrund der Rötelinfektion mit Behinderungen auf die Welt. P verlangt von A den behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand als Schadensersatz mit der Begründung, dass sie bei einer rechtzeitigen Diagnose die Schwangerschaft nach § 218a Abs. 1 StGB hätte unterbrechen können. Hier kommt ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 in Betracht. Zwischen den Parteien kam ein Behandlungsvertrag nach § 630a Abs. 1 zustande. Die Pflichtverletzung der A nach § 241 Abs. 2 könnte in einem Diagnosefehler liegen (vgl. noch Rn. 1068). Gemessen an den Voraussetzungen des § 630a Abs. 2 muss ein Hautarzt die Röteln wohl grundsätzlich diagnostizieren können, was vorliegend aber nicht geschah. Im Zweifel hat A diese Schutzpflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 Satz 2 zu vertreten.

Probleme bereitet indes die haftungsbegründende Kausalität bzw. die objektive Schadenszurechnung. Dazu müsste die Hautärztin wegen des Diagnosefehlers gerade auch für den von der Patientin zu tragenden behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand verantwortlich sein. Für die Zurechnung kommt es auf die Lehre vom Schutzzweck der Norm an (Rn. 1056). Danach muss der eingetretene Schaden sachlich in den Schutzweck der verletzten Diagnosepflicht fallen. Dazu müsste der Behandlungsvertrag mit der Patientin gerade auf die Abwendung der unterhaltsbedingten Mehrbelastung durch ein Kind gerichtet sein (S. 892). Dieser auch in anderen Entscheidungen nicht weiter begrün-

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Taupitz AcP 211 (2011) 352ff. Spickhoff NJW 2011, 1651, 1654.

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dete Rechtssatz92 versteht sich aufgrund der Tatsache, dass ein Patient nach Treu und Glauben (§ 242) vom Hautarzt keine Universalbetreuung erwarten darf: Aufgrund des hohen Spezialisierungsgrades der Fachärzte und der Vielfalt möglicher Risikozusammenhänge darf er daher von einem Hautarzt keine Schwangerschaftsbetreuung erwarten, sondern nur die sachgerechte Behandlung der Hauterkrankung. Dieser allgemeine Rechtsgedanke dürfte im neuen Recht vor allem § 630h Abs. 4 zugrunde liegen. Denn nach dieser Norm wird vermutet, dass eine mangelnde fachliche Befähigung des behandelnden Arztes im Zweifel ursächlich für eine beim Patienten eingetretene Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit ist. Der Gesetzgeber wollte dadurch das Problem des Anfängerfehlers zugunsten des Patienten und das zugrunde liegende Übernahmeverschulden regeln.93 Wortlaut und Normzweck reichen jedoch weiter: Denn auch wenn ein erfahrener Arzt außerhalb seines Fachgebietes tätig wird und im neuen Tätigkeitsfeld den dort geltenden Standards iSd. § 630a Abs. 2 nicht genügt, ist er iSd. § 630h Abs. 4 nicht befähigt.94 Im Umkehrschluss aus dieser Norm darf daher ein Patient nicht erwarten, dass der Arzt außerhalb seines Fachgebietes Verantwortung übernimmt. Deshalb geht der BGH vorliegend zu Recht davon aus, dass die Ärztin nicht im Hinblick auf die Begleitung der Schwangerschaft eingeschaltet war (S. 892). Der eingetretene Schaden fällt daher nicht in den sachlichen Schutzbereich der von der Ärztin verletzten vertraglichen Schutzpflicht und ist nicht zu ersetzen. Mögliche Ansprüche aus § 823 Abs. 1 (als Körperverletzung kommt der unterbliebene Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft in Betracht) werden in der Entscheidung nicht weiter erörtert. Der BGH lässt indes erkennen, dass ein Arzt auch nicht verpflichtet ist, bei einem Schwangerschaftsabbruch auf der Grundlage des § 218a Abs. 1 StGB mitzuwirken: Denn dieser ist zwar nicht strafbar, wird vom Gesetzgeber jedoch als rechtswidrig angesehen (vgl. den Wortlaut des § 218a Abs. 2 StGB im Vergleich: „ist nicht rechtswidrig“). Zu einer rechtswidrigen Tat muss der Arzt wiederum keine Hilfe leisten (vom BGH im Ergebnis offen gelassen, S. 893).95 Allerdings kennt auch die Haftungsbeschränkung bei horizontaler Arbeitsteilung Grenzen. Dies zeigt sich am Beispiel des folgenden Diagnosefehlers: (BGH 21.12.2010 – VI ZR 284/09 = BGHZ 188, 29 = NJW 2011, 1672) P soll am Meniskus operiert werden. Zur Vorbereitung dieser Operation veranlasst der Anästhesist eine Röntgenaufnahme ihrer Lunge. Auf der Aufnahme ist auch für einen Laien deutlich ein Karzinom zu erkennen, das der Radiologe R jedoch übersieht. Dieses wird später entdeckt, kann jedoch wegen Metastasenbildung nicht mehr behandelt werden. So verstirbt P an Lungenkrebs. Ihr Ehegatte verlangt von R Schadensersatz wegen entgangenen Unterhalts sowie Schmerzensgeld und behauptet, im Zeitpunkt der Röntgenaufnahme habe noch keine Me-

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Vgl. nur noch die Entscheidung BGHZ 142, 389 = NJW 2000, 1782, 1784. BR-Drucks. 312/12, S. 43; MünchKomm/Wagner § 630h Rn. 70f.; Offen gelassen von Schärtl NJW 2014, 3601, 3603. Vgl. etwa auch BGH NJW 2002, 1489, 1490f.

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tastasenbildung vorgelegen. P hätte daher gerettet werden können. Beides ist nachträglich nicht mehr zu beweisen. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Fraglich ist bereits, ob R im Rahmen des § 241 Abs. 2 eine Pflichtverletzung begangen hat. Dagegen könnten sowohl der beschränkte Gegenstand der Untersuchung als auch seine fehlende Spezialisierung als Onkologe sprechen.

Allerdings bejaht der BGH die grundlegende Verantwortlichkeit des Arztes nach § 241 Abs. 2 mit der Überlegung, dass „das Wohl des Patienten oberstes Gebot und Richtschnur jeden ärztlichen Handelns sei“, sodass er auch für das Übersehen eines offensichtlichen Befundes Verantwortung trage (Tz. 11). Die Kritik wendet ein, dass damit von der herkömmlichen anlassbezogenen Pflichtenbegründung abgewichen und eine abstrakte Einstandspflicht begründet werde.96 In der Tat leuchtet eine Verantwortlichkeit des Röntgenologen nicht aus allgemeinen Gründen, sondern vor allem deshalb ein, weil der Befund offensichtlich war. Konnte ihn ein Laie auf der Röntgenaufnahme ausmachen, musste ihn auch der Radiologe entdecken und war wegen der gravierenden Gefahr zu einem Hinweis gegenüber dem Patienten verpflichtet. Denn der Grund für eine Haftungsbeschränkung bei horizontaler Arbeitsteilung liegt im hohen Spezialisierungsgrad der fachärztlichen Tätigkeit und der Unmöglichkeit eines Arztes, fremdes Fachwissen, auf das er nicht spezialisiert ist, zu beherrschen. Kommt es darauf jedoch nicht an, weil eine Gefährdung des Patientenwohls auch ohne Fachkenntnisse ins Auge fällt, schuldet der Arzt nach § 630a Abs. 2 einen verantwortungsvollen Umgang mit den Patienteninteressen. Dieser ist vorliegend unterblieben, sodass eine Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 vorliegt, die der Röntgenologe nach § 280 Abs. 1 Satz 2 zu vertreten hat. Dies führt zur Frage nach der haftungsbegründenden Kausalität. Denn es ist nicht mehr beweisbar, dass die Patientin noch erfolgreich gegen die Erkrankung hätte behandelt werden können, wenn sie der Röntgenologe auf das Karzinom aufmerksam gemacht hätte. Fraglich ist allerdings, welche Beweislastregel nach § 630h Abs. 5 greift: die Regel für grobe Behandlungsfehler (Satz 1) oder die für Befunderhebungsfehler (Satz 2; dazu noch 1072a). Diagnosefehler stellen eine Sonderform des Behandlungsfehlers dar.97 Deshalb kommt es bereits nach der bisher geltenden Rechtsprechung des BGH nur dann zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten, wenn die Fehldiagnose auf einem groben Versäumnis beruht. Begründet wird dies mit dem Argument, dass bei der Diagnose von Krankheiten regelmäßig Unsicherheiten bestehen, für die der Arzt nicht in vollem Umfang Verantwortung tragen kann (Tz. 20). Bei einem Befunderhebungsfehler sind die Voraussetzungen indes – wie die neu geschaffene Regelung des § 630h Abs. 5 Satz 2 zeigt – deutlich niedriger (dazu Rn. 1072a). Erhebt der Arzt einen erforderlichen Befund nicht, kommt eine Katzenmeier JZ 2011, 797, 798. So auch BR-Drucks. 312/12, S. 44f.; dazu BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 67f.; MünchKomm/Wagner § 630h Rn. 99ff.; Schärtl NJW 2014, 3601, 3604.

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Umkehr der Beweislast regelmäßig schon wegen dieses Unterlassens in Betracht (vgl. auch § 630h Abs. 3).98 Denn mit diesem Unterlassen verbindet sich zumindest der Vorwurf einer fahrlässig begangenen Beweisvereitelung. Nach Auffassung des Gerichts verläuft die Abgrenzung beider Fehlertypen so (Tz. 13): Ein Befunderhebungsfehler liegt nur vor, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterbleibt. Ein Diagnosefehler aber ist anzunehmen, wenn der Arzt erhobene Befunde falsch interpretiert. Ein Diagnosefehler wird nicht dadurch zum Befunderhebungsfehler, dass infolge der falschen Diagnose weitere Befunde nicht erhoben werden. Deshalb kommt vorliegend nur ein Diagnosefehler in Betracht. Die Frage, ob dieser auf einem groben Behandlungsfehler iSd. § 630h Abs. 5 Satz 1 beruht, lässt das an die Vorinstanz zurückverweisende Gericht offen. Dies liegt jedoch deshalb nicht fern, weil auch ein Laie auf die in der Röntgenaufnahme abgebildeten Anomalien aufmerksam geworden wäre.99 Im Fall wurde übrigens auch der Träger des Krankenhauses verurteilt, in dem P am Meniskus operiert wurde. Ausgehend von einem totalen Arzt-Krankenhausvertrag (Rn. 1061) war der Träger für die Meniskusoperation insgesamt verantwortlich und musste dabei für das Vertretenmüssen des R nach § 278 Satz 1 im Rahmen eines Anspruchs aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 einstehen. Der BGH geht in diesem Zusammenhang auf das Prinzip der horizontalen Arbeitsteilung (Rn. 1062) nicht weiter ein; doch dürfte hier das Prinzip: „Wer liquidiert, haftet“ einschlägig gewesen sein (Rn. 1062).

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Nach § 630h Abs. 5 Satz 1 wird vermutet, dass ein grober Behandlungsfehler eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeigeführt hat, wenn er zu dieser Herbeiführung grundsätzlich geeignet ist. Im Hinblick auf den in der Norm vorausgesetzten groben Behandlungsfehler knüpft der Gesetzgeber an folgende Passage aus der Rechtsprechung des BGH an:100 „Ein Behandlungsfehler ist grob, soweit ein medizinisches Fehlverhalten aus objektiver Sicht bei Anlegung des für den Behandelnden geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabes nicht mehr verständlich erscheint, weil der Fehler gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen hat und dem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf … Davon ist im Allgemeinen bei elementaren Fehlern wie etwa bei der Außerachtlassung von stets zu beachtenden diagnostischen und therapeutischen Grundregeln auszugehen … Beispielsweise wird es als grob fehlerhaft anzusehen sein, soweit im Rahmen eines operativen Eingriffs versehentlich ein anderes als das kranke Organ entfernt wird. “101

98 BGHZ 132, 47 = NJW 1996, 1589, 1590; NJW-RR 2010, 833; Katzenmeier JZ 2011, 797, 798; vgl. auch MünchKomm/Wagner § 630h Rn. 96f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 § 630a Rn. 11. 99 Katzenmeier JZ 2011, 797, 799. 100 Vgl. im nachfolgenden Sinne bereits BGH NJW 1983, 2080, 2081; als aktuelles Beispiel vgl. BGH NJW 2012, 227, Tz. 8. 101 BR-Drucks. 312/12, S. 44; Hervorhebungen durch den Verfasser.

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Den Grund dieser Beweislastumkehr sieht der BGH nicht im Gebot zivilprozessualer Waffengleichheit, sondern in einem Ausgleich dafür, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen durch den Fehler des Arztes besonders verbreitert bzw. verschoben worden ist. Denn dies erschwert den Nachweis der Kausalität durch den Patienten. Es handelt sich also um einen Sonderfall der (nicht notwendig vorsätzlichen) Beweisvereitelung. Verursacht der Patient daher durch sein eigenes Verhalten selbst Unklarheiten über die Ursache, kann dies zum Ausschluss der Beweislastumkehr auch bei einem groben Behandlungsfehler des Behandelnden führen.102 Der Gesetzgeber schließt sich dieser Betrachtungsweise mit der etwas simplifizierenden Betrachtungsweise an, „dass der Behandelnde ‚näher dran‘ ist, das Beweisrisiko zu tragen.“103 Allerdings ist es nicht Voraussetzung eines groben Behandlungsfehlers, dass dieser die konkrete Aufklärung der Ursache gerade erschwert. Vielmehr genügt insoweit die abstrakte Eignung.104 (BGH 27.3.2007 – VI ZR 55/05 = BGHZ 172, 1 = NJW 2007, 2767) P wird von A wegen Epilepsie behandelt. Da P eine Operation scheut, schlägt ihm A zur Reduzierung der Anfallsgefahr die Einnahme eines in den USA entwickelten, in Deutschland aber noch nicht zugelassenen Medikaments vor. Ab Ende September 1991 nimmt P dieses Medikament ein. Dieses wird im Dezember 1991 in Deutschland zugelassen, wobei von den zuständigen Stellen vor möglichen Langzeitauswirkungen auf das visuelle System des Patienten gewarnt wird, die noch nicht abschließend untersucht seien. Anfang April 1992 beklagt P gegenüber A eine Beeinträchtigung seines Sehvermögens und Anfang Mai diagnostiziert eine Augenklinik ein AION (eine anteriore ischämische Opticusneuropathie). Bis zum Juli 2002 erhält P das Medikament weiter. Er leidet nun unter einer bleibenden Augenschädigung und verlangt von A Schmerzensgeld. Der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iVm. 253 Abs. 2 setzt eine Pflichtverletzung des A iSd. § 241 Abs. 2 voraus.

Fraglich ist, ob der Arzt bei der Behandlung des Patienten die allgemein anerkannten fachlichen Standards nach § 630a Abs. 2 verletzt hat. Dabei muss berücksichtigt werden, dass ihm grundsätzlich ein Recht auf freie Wahl der geeigneten Therapie zusteht.105 Für den Einsatz neuer und noch nicht erprobter Verfahren kann dabei das Interesse sprechen, dem Patienten im Ausnahmefall auch mit ungewöhnlichen Mitteln zu helfen.106 Deshalb stellen die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode und die Verabreichung eines im Inland noch nicht zugelassenen Medikaments nicht per se einen Behandlungsfehler dar. Beide können vielmehr aufgrund einer Abwägung der Risiken und Heilungschancen gerechtfertigt sein (Tz. 11f.). Einen Behandlungsfehler erkennt das Gericht aber insoweit, als die Anwendung neuer, weniger erforschter Heilverfahren die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Arztes erhöht. Die für die Recht102 103 104 105 106

BGH NJW-RR 2010, 831, Tz. 14. BR-Drucks. 312/12, S. 44; Hervorhebungen durch den Verfasser. BGHZ 172, 1 = NJW 2007, 2767, Tz. 25. BGH NJW 2006, 2477, Tz. 13. Katzenmeier JZ 2007, 1108, 1109; Laufs, in: FS Deutsch, 1999, S. 625ff.

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fertigung der Therapie erforderliche Abwägung zwischen Risiken und Heilungschancen darf dabei nicht nur zu Beginn der Therapie erfolgen, sondern muss sich während des ganzen Heilbehandlungsverfahrens fortsetzen (Tz. 18ff.). Darin erkennt auch die Kritik den wesentlichen Unterschied des vorliegenden Falles zu konventionellen Behandlungsformen: Der Arzt muss Kontrolluntersuchungen des Patienten nicht nur vornehmen, wenn dazu ein konkreter Anlass beim Patienten besteht, sondern in Abhängigkeit von den Erkenntnissen über die mit der neuen Technik verbundenen Gefahren.107 Deshalb hätte der Arzt bereits auf die Warnhinweise im Zusammenhang mit der inländischen Zulassung, spätestens aber auf die Diagnose der Augenklinik reagieren und die Therapie abbrechen müssen (Tz. 27ff.), was hier unterblieben ist. Darin liegt ein Behandlungsfehler. Fraglich ist allerdings die haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Versäumnis des Arztes, die Therapie abzubrechen, und der beim Patienten eingetretenen Augenschädigung. Eine Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 Satz 1 setzt einen groben Behandlungsfehler voraus. Im vorliegenden Fall lässt der BGH dem Patienten jedoch eine Beweiserleichterung eigener Art zugutekommen: Danach spricht ein Anscheinsbeweis für eine Verursachung des Schadens durch den Arzt, wenn für die Kausalität seines Beitrags konkrete Umstände sprechen, für alle übrigen denkbaren Ursachen aber nur eine theoretische Möglichkeit besteht (Tz. 14).108 Da der Arzt vorliegend diesen Anscheinsbeweis nicht entkräften kann, kommt es auf das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers nicht mehr an (Tz. 14).109 Es zählt zu den Schwächen der Neuregelung in § 630h Abs. 5 Satz 1, dass diese an die Rechtsprechung des BGH nur in einer sehr allgemein gehaltenen Weise anknüpft, aber keinen Raum für feine Differenzierungen der vorliegenden Art lässt. Allerdings regelt § 630h Abs. 5 Satz 1 auch nur die echte Beweislastumkehr. Diese steht einer Beweiserleichterung auf der Grundlage des Anscheinsbeweises nicht entgegen; denn zu dieser ist ein Gericht stets wegen des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 287 ZPO) berechtigt.110 Der Anscheinsbeweis wiederum beruht auf einem Erfahrungssatz der Alltagswelt. Eine eingetretene Wirkung wird dabei im Zweifel auf die erfahrungsgemäß naheliegendste Ursache zurückgeführt. Dem liegt eine alte erkenntnistheoretische Einsicht zugrunde, die nach dem mittelalterlichen Philosophen William von Ockham auch als Ockhams Razor (Ockhams Rasiermesser) oder die Rule of Parsimony (die Sparsamkeitsregel) genannt wird:111 Lässt sich eine Wirkung nicht sicher auf eine Ursache zurückführen, muss im Zweifel diejenige Ursache in Betracht gezogen werden, die bei geringstmöglicher Spekulation (dh. unter Zuhilfenahme der wenigsten Hypothesen) infrage kommt. Vernimmt ein Beobachter in Deutschland ein Bellen, wird er daher im Zweifel auf die Nähe eines Hundes, nicht aber auf die eines Dingos schließen. 107 108 109 110 111

Katzenmeier JZ 2007, 1108, 1110. BGHZ 11, 227 – Lues. AA. wohl Katzenmeier JZ 2007, 1108, 1110. Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 §§ 823ff. Rn. 155ff. Dazu Hübener Archiv für Begriffsgeschichte 27 (1983) 73ff.

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Der Anscheinsbeweis ist unter diesen Voraussetzungen aber auch besonders leicht zu erschüttern. Zu diesem Zweck muss die Gegenseite nur eine Erklärung dafür liefern, dass die beobachtete Wirkung ausnahmsweise einmal nicht auf die erfahrungsgemäß naheliegendste Ursache zurückzuführen ist. Die Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 Satz 1 kann indes nur durch Führung des vollen Gegenbeweises widerlegt werden. Vorliegend beruht der Erfahrungssatz auf der Überlegung, dass es für die eingetretene Folge (Augenerkrankung) nur eine naheliegende Erklärung, nämlich die Verabreichung des Medikaments, gibt, ansonsten aber nur höchst abstrakte Erklärungen, die nach der Lebenserfahrung allenfalls entfernt in Betracht kommen. Da der Behandelnde diesen Eindruck nicht erschüttern kann, trägt er die Folgen der Nichterweislichkeit. Die von ihm zu vertretende Pflichtverletzung ist danach kausal für den Schaden geworden; der Anspruch ist begründet. Die Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 Satz 1 wird über § 630h Abs. 5 Satz 2 schließlich auf bestimmte Fälle des Befunderhebungs- bzw. Befundsicherungsfehlers erstreckt. Dabei fällt dem Behandelnden zunächst nur ein einfacher Befunderhebungsfehler (Befundsicherungsfehler) zur Last. Möglicherweise hätte jedoch der nicht erhobene Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, deren Unterlassen einen groben Behandlungsfehler darstellt.112 (BGH 5.11.2013 – VI ZR 527/12 = NJW 2014, 688) Der zweijährige P stürzt am 27.7.1996 mit einem Plastiklöffel im Mund und zieht sich dabei eine Pfählungsverletzung im Rachen zu. Er wird am gleichen Tag in das städtische Krankenhaus eingewiesen und dort von Chefarzt A behandelt. Dort wird er nicht weiter auf den Stand der Infektion im Rachen, etwa durch Kontrolle des sog. CrP-Wertes (C-reaktives Protein), untersucht. Dadurch kann ein sich vergrößernder retropharyngealer Abszess erst am 31.7.1996 durch eine Röntgenaufnahme erkannt werden. Die Entfernung des Abszesses führt wegen dessen Größe zu einer Reihe von Komplikationen. Seit August 1996 leidet P unter einer irreversiblen Schädigung des zentralen Nervensystems, die sich ua. in Teilleistungsstörungen sowie Geh- und Gesichtsfeldstörungen bemerkbar macht. Wegen dieser verlangt P von A Schadensersatz und Schmerzensgeld. In Betracht kommt ein Anspruch des P gegen A aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2. Die Nichtüberprüfung des Infektionsstandes bei P stellt eine objektive Pflichtverletzung iSd. § 241 Abs. 2 dar, die P nach § 280 Abs. 1 Satz 2 zu vertreten hat. Fraglich ist, ob die mit der Entfernung des Abszesses bei P einhergehende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dem A im Wege der haftungsbegründenden Kausalität zurechenbar ist.

Der BGH bejaht die Voraussetzungen des § 630h Abs. 5 Satz 2 (allerdings noch nach altem Recht): Hätte der Arzt den Befund über den Entzündungszustand zeitnah erhoben, wäre sofortiger Handlungsbedarf erkannt worden. Man hätte festgestellt, dass die Entzündung nicht unter Kontrolle war (Tz. 19). Ihre Nichtbehandlung hätte dann einen groben Behandlungsfehler dargestellt. Da112 So bereits zuvor BGHZ 132, 47, 52f. = NJW 1996, 1589; BGHZ 159, 48, 56f. = NJW 2004, 2011; BGH NJW 2015, 1602; Anm. Spickhoff JZ 2015, 576, 577; BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 80; Schärtl NJW 2014, 3601, 3604.

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ran wird der Gerechtigkeitsgedanke der Norm deutlich: Bei einem groben Behandlungsfehler, dessen tatsächliche Voraussetzungen jetzt nicht mehr zu ermitteln sind, hätte sich die Beweislast für die haftungsbegründende Kausalität nach § 630h Abs. 5 Satz 1 zu Lasten des behandelnden Arztes umgekehrt. Dann darf dieser nicht besser stehen, wenn durch sein (leicht fahrlässiges) Verhalten die tatsächlichen Voraussetzungen eines groben Behandlungsfehlers nicht mehr zu ermitteln sind. Andernfalls würde ein gefährlicher Anreiz zur Verschleierung grob fahrlässiger Behandlungsfehler gesetzt. Auch zeigt sich, dass die Beweislastverteilung wegen grober Behandlungsfehler auf dem Rechtsgedanken der Beweisvereitelung beruht (Rn. 1071). A trägt daher nach § 630h Abs. 5 Satz 2 die Beweislast dafür, dass die von ihm zu vertretende Pflichtverletzung nicht ursächlich für die Schäden des P war. Da er sich nicht entlasten kann, haftet er dem P auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

b) Voll beherrschbare Risiken 1073

Nach § 630h Abs. 1 wird ein Fehler des Behandelnden vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. Voll beherrschbar ist dabei ein Risiko, das bei Erkennen sicher ausgeschlossen werden kann.113 (BGH 20.3.2007 – VI ZR 158/06 = BGHZ 171, 358 = NJW 2007, 1682) Die Ärztin A ist vorübergehend als Vertretung in der orthopädischen Gemeinschaftspraxis von X und Y tätig und verabreicht dem P bei dieser Gelegenheit eine Spritze in den Nacken. Darauf kommt es in der Folgezeit zu einem sog. Spritzenabszess, der einen zweiwöchigen stationären Krankenhausaufenthalt nach sich zieht. Der Spritzenabszess beruht auf einer Staphylokokken-Infektion der in der Gemeinschaftspraxis angestellten und an Heuschnupfen leidenden Arzthelferin H. Diese assistierte bei der Injektion. Gleichartige Infektionen traten zeitnah auch bei anderen Patienten auf. P leidet auch später noch an Depressionen und Schlafstörungen und ist arbeitsunfähig. Er verlangt von A Schadenersatz wegen Verdienstausfalls und ein Schmerzensgeld iHv. 25.000 €. A weist darauf hin, dass ihr die Erkrankung der H nicht bekannt gewesen sei und dass sie diese auch nicht habe erkennen können. Vertragliche Ansprüche scheiden vorliegend aus, weil P hier mit der von X und Y betriebenen Gemeinschaftspraxis, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, kontrahiert hat, nicht aber mit der A als Vertretung (Tz. 6). Auch scheitern Ansprüche aus § 831 Abs. 1 Satz 1, weil A als Vertretung gegenüber H nicht weisungsbefugt iSd. Norm war (Tz. 6). In Betracht kommt daher nur ein Anspruch des P gegen A aus § 823 Abs. 1. P hat eine Gesundheitsverletzung und eine Körperverletzung iSd. Norm erlitten. Für diese ist A jedoch allenfalls mittelbar kausal geworden: Unmittelbar hat sie selbst nur die Injektion vorgenommen. Bei dieser hat H die eigentliche Ursache, die Infektion, gesetzt. Eine mittelbare Ursache ist A aber nur zurechenbar, wenn A eine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.114

113 BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 18. 114 Medicus/Petersen BR Rn. 646.

III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.)

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Fraglich ist also vorliegend, ob die Vertretungsärztin eine Verkehrssicherungspflicht im Rahmen des § 823 Abs. 1 verletzt hat. Der BGH, der hier Ansprüche gegen mehrere Beteiligte, darunter auch die Praxisinhaber, einheitlich prüft, erörtert das Problem im Hinblick auf die Beweislast für das Vertretenmüssen. Nach dem Willen des Gesetzgebers,115 aber auch aufgrund der systematischen Stellung der Norm ist § 630h Abs. 1 auf § 823 Abs. 1 nicht anwendbar (Rn. 1060). Doch unterscheiden sich die Beweisprobleme in § 823 Abs. 1 sachlich nicht von den in § 630h geregelten. Dies spricht trotz der erwähnten Vorgaben für eine analoge Anwendung der Norm.116 Naheliegend erscheint dies auch deshalb, weil § 630h Abs. 1 lediglich die bisherige Rechtsprechung des BGH normiert und systematisiert, von dieser aber nicht weiter abweichen soll. Der BGH geht jedenfalls vorliegend von einer Haftung der Ärztin für einen Hygienemangel aus (Tz. 8), der in die Sphäre der vom Arzt voll beherrschbaren Risiken fällt. Dieser Begriff bezeichnet eine Verantwortungssphäre des Arztes in einem Zwischenbereich: Hier spielen die typischerweise mit der Person des Patienten einhergehenden und von diesem auf der Beweisebene mitzutragenden Unsicherheiten (wie etwa unvorhersehbare, von dessen Organismus ausgehende Risiken) keine Rolle. Auch ist in diesem Fall der Kernbereich der ärztlichen Behandlungspflicht nicht berührt. Positiv gewendet handelt es sich um einen Risikobereich, in dem Fehler ärztlicherseits voll ausgeschlossen werden können und müssen (Tz. 9).117 Weil hier die Risiken, die zum Schadenseintritt führen, nicht aus den unvorhersehbaren Reaktionen des menschlichen Organismus resultieren, sondern durch organisatorische Maßnahmen gesteuert werden können, muss sich der Arzt von vornherein entlasten und darf nicht erwarten, dass der Patient erst einen groben Behandlungsfehler (wie etwa nach § 630h Abs. 5 Satz 1) beweist. Der BGH rekurriert für den Beweis des Vertretenmüssens auf den Rechtsgedanken des § 280 Abs. 1 Satz 2 (Tz. 9). Ähnliche Prinzipien dürften vorliegend auch für die Frage gelten, ob die Ärztin eine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Sie kann sich insbesondere nicht damit entlasten, dass sie die Infektion der Arzthelferin nicht habe erkennen können: Denn bei einem voll beherrschbaren Risiko kommt es nicht auf dessen konkrete Erkennbarkeit an; entlastend wirkt nur, wenn es hinsichtlich des objektiv gegebenen Pflichtverstoßes an einem Verschulden fehlt (Tz. 13). Dem entspricht es vorliegend, dass die Ärztin nicht erst reagieren darf, wenn sie konkret erkennen kann, dass sich ein Risiko verwirklicht. Sie muss dieses bereits in einem Vorstadium ausschalten, indem sie etwa ihre Mitarbeiter über die Infektionsgefahr bei einer Heuschnupfenerkrankung belehrt und infizierte Kräfte entsprechend nicht bei der Behandlung einsetzt. Als Vertretungsärztin kann sie diese Maßnahmen nicht selbst treffen, muss sich aber erkundigen, dass der Pra115 BR-Drucks. 312/12, S. 39, letzter Absatz. 116 Ähnlich Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 § 630a Rn. 3. 117 BR-Drucks. 312/12, S. 40; BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 18; MünchKomm/Wagner

§ 630h Rn. 25f.; BeckOGK/Walter § 630h Rn. 3ff.

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xisinhaber selbst den Betrieb sicher organisiert hat. Allgemein muss ein Arzt beweisen, dass er „alle organisatorischen und technischen Vorkehrungen“ zur Vermeidung des Risikos getroffen hat (Tz. 14; Hervorhebung durch den Verfasser). Dies ist der Ärztin hier nicht gelungen. Von der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ist daher auszugehen. Dies indiziert die Rechtswidrigkeit und das Verschulden im Rahmen des § 823 Abs. 1.118 Nimmt man für einen Augenblick den Standpunkt der Vertretungsärztin ein, erscheinen diese Anforderungen sehr weit reichend und äußerst praxisfern: Vertritt eine Ärztin in einer fremden Praxis nur an einem oder einigen wenigen Tagen, bleibt häufig gar nicht die Zeit und Möglichkeit, die geforderten umfassenden Vorkehrungen zu treffen. Würdigt man indes die Interessenlage auch aus Sicht des Patienten, erscheint dieser noch weniger für den eingetretenen Schaden verantwortlich. Denn er kann nichts dafür, dass ihn gerade eine Vertretungsärztin behandelt hat, die die eigentlich beherrschbaren Risiken nicht so effizient kontrollieren kann wie der Praxisinhaber selbst. Wie stets im Zivilrecht geht es deshalb nicht um die Erhebung eines konkreten subjektiven Verschuldensvorwurfs, sondern um eine Zuweisung des Schadens an die Person, die am ehesten für diesen verantwortlich ist (vgl. bereits Rn. 9ff.). Dies ist aber im Verhältnis Patient-Ärztin eindeutig die letztere. Der Anspruch des P gegen A aus § 823 Abs. 1 ist daher begründet.

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Die Entscheidung zitiert weitere Fälle des voll beherrschbaren Risikos (Tz. 11): Dazu zählen ua. die Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegeräts, die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels, die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit oder die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch. Entscheidend kommt es darauf an, dass eine von vornherein bekannte Gefahrenquelle für den Arzt objektiv beherrschbar ist.119 c) Aufklärungsfehler und fehlende Einwilligung

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Nach § 630h Abs. 2 hat der Behandelnde zu beweisen, dass er eine Einwilligung gemäß § 630d eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e aufgeklärt hat (Satz 1). Genügt die Aufklärung nicht den Anforderungen des § 630e, kann der Behandelnde notfalls darlegen und den Beweis führen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. In der Praxis gehen die Beweislastfolgen von Aufklärungspflichtverletzungen teilweise deutlich darüber hinaus. (BGH 7.11.2006 – VI ZR 206/05 = BGHZ 169, 364 = NJW-RR 2007, 310) P stellte sich bei Chefarzt A mit Oberbauchbeschwerden vor und wurde aufgrund eines mit A geschlossenen Vertrags kurzfristig von diesem am Zwölffingerdarm operiert. Wegen einer Nahtinsuffizienz erlitt sie danach jedoch erhebliche körperliche Beeinträchtigungen (Bauchfellentzündung, Entzündung der Bauchspeicheldrüse) und verbrachte 49 Tage auf der Inten118 Medicus/Petersen BR Rn. 642ff. 119 Vgl. auch BR-Drucks. 312/12, S. 40f.

III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.)

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sivstation. Von A verlangt sie Schmerzensgeld iHv. 75.000 €, weil A sie nicht aufgeklärt habe. Eine Aufklärung war nur durch den Stationsarzt erfolgt, wobei deren Inhalt nicht mehr geklärt werden kann. A wendet ein, er habe sich auf eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den Stationsarzt verlassen. Der denkbare Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 253 Abs. 2 setzt eine Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 voraus. Diese könnte vorliegend in der unterlassenen Aufklärung durch A liegen.

Nach § 630e Abs. 1 Satz 1 muss eine Aufklärung des Patienten grundsätzlich durch den Behandelnden selbst erfolgen, darf aber nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 auch durch eine andere Person vorgenommen werden, die über die zur Durchführung der Maßnahme erforderliche Befähigung verfügt. Ob der Stationsarzt selbst über die Fähigkeiten eines Operateurs verfügte, blieb vorliegend offen. Der BGH ging in seiner auf der Grundlage des alten Rechts ergangenen Entscheidung davon aus, dass der Chefarzt sich auf die ordnungsgemäße Aufklärung durch einen nachgeordneten Arzt nur verlassen dürfe, wenn er organisatorische Maßnahmen für eine ordnungsgemäße Belehrung des Patienten durch den anderen Arzt und für die Überwachung ihrer Einhaltung getroffen habe; diese Maßnahmen müsse er in einem Arzthaftungsprozess darlegen und beweisen, was hier nicht gelungen sei (Tz. 10). Auf die Darlegung und Beweisführung in diesem Punkt kommt es vor allem an, weil das Verhalten des Stationsarztes dem Chefarzt gerade nicht nach § 278 Satz 1 zurechenbar ist (dazu Rn. 1062). Für die Betrachtungsweise des BGH spricht ein allgemeiner, aus §§ 664 Abs. 1 Satz 2, 831 Abs. 1 Satz 2 resultierender Rechtsgedanke: Darf ein Schuldner die geschuldete Gefahrenabwendungspflicht auf einen anderen übertragen (substituieren), verwandelt sich seine Pflicht in eine Verantwortung für die sorgfältige Auswahl des Substituenten und dessen Beaufsichtigung. Auch nach § 630h Abs. 2 Satz 1 trägt der behandelnde Arzt die Beweislast dafür, dass er eine Einwilligung nach § 630d eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e belehrt hat. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Das zentrale Problem der Fälle der Aufklärungspflichtverletzung liegt aber in der haftungsbegründenden Kausalität.120 Geht man vorliegend von einer Pflichtverletzung durch unterbliebene Aufklärung aus, stellt sich nämlich die Frage, ob diese für den eingetretenen Schaden, die Nahtinsuffizienz mit ihren Folgen, kausal geworden ist. In vielen Fällen greift hier die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (dazu noch unter Rn. 1081): In einfachen Fällen wird zugunsten des Patienten vermutet, dass er sich an den Informationen und Warnungen des Arztes orientiert und dadurch die Realisierung einer für ihn bestehenden Gefahr vermieden hätte. Die vorliegende Entscheidung verfährt indes mit der Vermutungswirkung – entgegen der sonstigen Rechtsprechung des VI. Senats – deutlich zu großzügig. Danach soll ein Arzt grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen 120 Dazu etwa Merkel JZ 2013, 975, 976.

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haften, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung gedeckt und damit rechtswidrig ist (Tz. 7). Nur auf dieser Grundlage kann der BGH den Anspruch schließlich bejahen. Diese Weiterung wird erst aufgrund des doppelten Schutzzwecks der Aufklärungspflicht verständlich: Die Aufklärungspflicht zielt nach hM.121 nämlich sowohl auf die Verhinderung einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität als auch auf die Ermöglichung einer freien Entscheidung des Patienten, wobei beide Schutzzwecke in jedem Einzelfall von einander untrennbar bestehen. Ist die Aufklärung daher in einem Punkt mangelhaft, wird der Eingriff insgesamt rechtswidrig. Denn in jedem Fall verhindert der Fehler eine selbstbestimmte Entscheidung des Patienten, auch wenn eine ordnungsgemäße Aufkärung die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität nicht hätte verhindern können. (BGH 19.7.2016 – VI ZR 75/15 = NJW 2016, 3523) P hat mit dem Chefarzt A Chefarztbehandlung vereinbart. Er wird jedoch von einem Oberarzt an der Hand operiert. Nach der Operation leidet er unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen dieser Hand. Der BGH lässt den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht zu (Tz. 7ff.): Es kommt also nicht darauf an, ob P die Beeinträchtigungen auch nach einer Operation durch A erlitten hätte. Denn die Operation durch einen Oberarzt verletzt das Recht des P auf Entscheidungsfreiheit über die eigene körperliche Integrität (Tz. 9). Deshalb schuldet A dem P Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der von P erlittenen Beeinträchtigungen.

Näher läge es, im Rahmen der Haftungsbegründung zwischen den beiden Zwecken der Einwilligung deutlicher zu unterscheiden. Soweit die Einwilligung den Patienten vor Gesundheitsschäden schützen soll, rechtfertigt ihre Nichterteilung die Zurechnung einer einschlägigen Integritätsbeeinträchtigung gegenüber dem Arzt. Soweit die unterbliebene Einwilligung aber allein das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletzt, liegt es näher, eine Entschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht zu ziehen ist: Denn die Missachtung des Patientenwillens verursacht regelmäßig nur einen immateriellen Schaden eigener Art; durch eine Entschädigung müsste daher, wie bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in § 823 Abs. 1,122 präventiv auf die ärztliche Seite eingewirkt werden, diesen Willen zu respektieren. Dennoch wird im Schrifttum gefordert, dass sämtliche Behandlungsfolgen vom Arzt infolge einer Aufklärungspflichtverletzung rechtswidrig verursacht würden. Nur wenn sich ein nicht aufklärungsbedürftiges Risiko verwirkliche, fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang.123 Dies erinnert in der Argumentationsstruktur an eine bekannte Begründung der Zufallshaftung nach § 287 Satz 2: Mit dem Verzug ist danach ein „Dauerzustand des Unrechts“ erzeugt, für dessen Aufrechterhaltung der Schuldner einzustehen hat.124 121 BGHZ 90, 96, 101f.; Deutsch NJW 1982, 2585; anschaulich Janda JZ 2012, 932ff.; BeckOK/ Katzenmeier § 630e Rn. 1ff.; MünchKomm/Wagner § 630e Rn. 1f. 122 BGHZ 128, 1, 12f. – Caroline von Monaco I. 123 Janda JZ 2012, 932, 935; BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 31. 124 Das Zitat stammt aus Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, § 47 Rn. 404, worauf Staudinger/Reuter § 602 Rn. 3 hinweist.

III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.)

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Auch die unterbliebene Aufklärung durch den Behandelnden lässt vermeintlich einen solchen Dauerzustand des Unrechts entstehen. Darauf deutet mindestens die vorliegende Entscheidung hin. Gegen diese Betrachtungsweise bestehen jedoch Einwände: Die Rechsfolge des § 287 Satz 2 erklärt sich vor allem daraus, dass der Schuldner nach § 286 Abs. 4 nur soweit aus Verzug haftet, wie er die Verzögerung zu vertreten hat; sein Vertretenmüssen muss daher den ganzen Zeitraum erfassen, für den er zur Verantwortung gezogen wird. Dies ist bei der schuldhaften Verletzung einer Aufklärungspflicht nicht in gleicher Weise der Fall; hier erfolgt die schuldhafte Verletzung punktuell vor dem Eingriff, aber nicht während dieses. Deshalb eignet sich die Verletzung einer Aufklärungspflicht nicht für eine dauerhafte Schadenszurechnung, sondern erlaubt die Haftungsbegründung zunächst nur, wenn die Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden kausal wurde. Dies ist der Fall, wenn der Patient sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen den Eingriff entschieden hätte (dazu noch unter Rn. 1079). Aber auch, wenn sich die Kausalität bejahen lässt, kann es an dem für die objektive Zurechnung der Ursachensetzung erforderlichen sog. Rechtswidrigkeitszusammenhang (auch Sorgfaltswidrigkeitszusammenhang) fehlen. Danach muss gerade die Aufklärungspflichtverletzung den eingetretenen Schaden verursacht haben. Im eingetretenen Schaden muss sich also gerade der Unwert der Aufklärungspflichtverletzung abbilden (dazu bereits ausführlich unter Rn. 1056). Der Schaden muss wegen und nicht nur bei Gelegenheit der Pflichtverletzung entstanden sein. Dies verdeutlicht die Leitentscheidung des BGH zum Thema. Ein Patient war vom behandelnden Arzt nicht über die Schmerzhaftigkeit einer Darmspiegelung unterrichtet worden. Bei dem Eingriff selbst wurde der Darm ohne Verschulden des Arztes durchstoßen (perforiert), was erhebliche Beeinträchtigungen für den Patienten nach sich zog. Hier wurde die Aufklärungspflichtverletzung mglw. kausal, weil der Patient insgesamt wegen der Schmerzen von dem Eingriff abgesehen hätte, wenn er über dessen Folgen ordnungsgemäß belehrt worden wäre. In jedem Fall sieht der BGH jedoch den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Aufklärungspflichtverletzung des Arztes und der Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten nur im Hinblick auf die Schmerzen der Behandlung, nicht aber die Darmperforation als verwirklicht an.125

Fallgestaltungen dieser Art will nun § 630h Abs. 2 Satz 2 Rechnung tragen. Die Norm gestattet dem Behandelnden, sich bei nicht ordnungsgemäßer Aufklärung darauf zu berufen, dass der Patient auch im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Ausweislich der Materialien geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Behandlungsseite die Beweislast für eine hypothetische Einwilligung des Patienten trägt.126 Damit knüpft die Norm an eine Rechtsprechung des VI. BGH-Senats an, die die Beweislast in folgender Stufenfolge verteilt:127 Im Ausgangspunkt muss der Arzt beweisen, dass der 125 BGHZ 90, 96, 101f. 126 BR-Drucks. 312/12, S. 42. 127 Dazu und zum Folgenden: MünchKomm/Wagner § 630h Rn. 48ff.; BeckOGK/Walter

§ 630h Rn. 11ff.

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§ 7 Dienst- und Behandlungsvertrag

Eingriff für den Patienten alternativlos war. Der Patient kann allerdings auf einer zweiten Ebene den Gegenbeweis darüber führen, dass er sich in einem persönlichen Entscheidungskonflikt darüber befunden habe, ob die Maßnahme trotz dieses Umstandes durchgeführt werden sollte. Gelingt dies, muss wiederum der Arzt den Beweis darüber führen, dass der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung im Rahmen dieses Entscheidungskonflikts in den Eingriff eingewilligt hätte. Unabhängig von § 630h Abs. 2 Satz 2 muss zwischen dem Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens und dem der fehlenden Kausalität unterschieden werden:128 Beim Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens beruft sich der Arzt darauf, bei pflichtgemäßem Verhalten einen anderen (hypothetischen) Kausalverlauf in Gang gesetzt zu haben, der zum selben Ergebnis geführt hätte. An der Kausalität fehlt es hingegen, wenn die Pflichtverletzung des Arztes hinweggedacht werden kann, ohne dass sich der Kausalverlauf ändert: (BGH 7.2.2012 – VI ZR 63/11 = NJW 2012, 850) P geht gegen den Gynäkologen A wegen folgenden Vorgangs vor: Seine Mutter M wurde an A mit dem Therapievorschlag „Cerclage“ überwiesen, weil eine Frühgeburt drohte. Bei der Cerclage wird der bereits geöffnete Muttermund durch eine Umschlingung wieder geschlossen. Da M jedoch zunächst unter einer Infektion litt, konnte die Cerclage nicht durchgeführt werden. Als die Infektion abgeklungen war, sprach A die M nicht mehr auf die nun bestehende Möglichkeit einer Cerclage an, sondern behandelte diese nach konservativen Methoden. M brachte darauf P durch eine Frühgeburt zur Welt, durch die P erhebliche körperliche Beeinträchtigungen davontrug. P behauptet, dass die Frühgeburt bei Anwendung der Cerclage hätte verhindert werden können; A bestreitet dies. Beweisangebote liegen nicht vor. P verlangt nun Schadensersatz und Schmerzensgeld von A. In Betracht kommt ein Anspruch des P gegen A aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. Dass der hier zustande gekommene Behandlungsvertrag zwischen A und M den P mit einbezog, liegt angesichts der für A erkennbaren Wohl-und-Wehe-Beziehung zwischen M und P auf der Hand. A hat hier auch eine Aufklärungspflicht nach § 630e gegenüber M schuldhaft verletzt, weil er M gegenüber nach dem Abklingen der Infektion zu einer Aufklärung über die nun mögliche alternative Behandlungsart verpflichtet war (Tz. 10).

Fraglich ist jedoch, ob die unterlassene Aufklärung für den eingetretenen Schaden kausal wurde. Unmittelbar führte die unterbliebene Aufklärung dazu, dass die Mutter nicht in die Cerclage als alternative Therapie einwilligen konnte. Dann wird die Aufklärungspflichtverletzung aber nur kausal für den beim Kind eingetretenen Schaden, wenn die Frühgeburt durch eine Cerclage hätte verhindert werden können, was vorliegend offen bleibt (Tz. 9). Der BGH ordnet die zugrunde liegende Frage dem vom Patienten zu führenden Kausalitätsbeweis zu und sieht darin gerade keinen Fall des Einwands eines rechtmäßigen Alternativverhaltens; denn diese Rechtsfigur kommt nur zum Tragen, wenn die Kausalität bereits feststeht, wovon hier nicht ausgegangen werden kann (Tz. 13f.). 128 MünchKomm/Wagner § 630h Rn. 112; vgl. auch BeckOK/Katzenmeier § 630h Rn. 36f. und 41f.

III. Der Behandlungsvertrag (§§ 630aff.)

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Hier zeigt sich die Besonderheit der Fälle einer Aufklärungspflichtverletzung: Deren unmittelbare Folge besteht darin, dass dem Patienten eine Entscheidungsmöglichkeit genommen wird. Dieser Umstand wird aber nur dann kausal für einen Schaden, wenn der Patient überhaupt eine Entscheidungsalternative hat.129 Nach der Rechtsprechung des BGH gestaltet sich die Beweislage so: Bei der Verletzung einer Aufklärungspflicht trägt der Arzt die Beweislast für die rechtmäßige Aufklärung des Patienten; der Patient wiederum trägt die Beweislast dafür, dass die unterbliebene Aufklärung kausal für den eingetretenen Schaden geworden ist (Tz. 10). Weil das Kind vorliegend nicht beweisen kann, dass durch eine Cerclage die Frühgeburt verhindert worden wäre, kann nicht von der Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung ausgegangen werden. Der Schadensersatzanspruch besteht daher nicht. Bei der Verletzung einer Aufklärungspflicht durch den Behandelnden können bei der Anwendung des § 630h Abs. 2 Satz 2 auch Beweisprobleme hinsichtlich der Frage entstehen, wie der Patient sich bei hypothetischer Betrachtungsweise konkret auf eine ordnungsgemäße Aufklärung hin verhalten hätte. In einem Fall aus dem Jahre 1984 fragt eine Schwangere den behandelnden Arzt, ob angesichts ihres Alters (39 Jahre) nicht eine Fruchtwasseruntersuchung im Hinblick auf eine Chromosomenanomalie (sog. Down-Syndrom) angezeigt sei. Der Arzt verneint die Frage zu Unrecht. Das später zur Welt kommende Kind leidet gerade unter dieser Anomalie. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war eine Schwangerschaftsunterbrechung in einem solchen Fall nicht rechtswidrig (§ 218a Abs. 2 StGB aF.). Der Arzt bestreitet allerdings, dass sich die Schwangere – ordnungsgemäß informiert – für eine Schwangerschaftsunterbrechung entschieden hätte. In Fällen dieser Art hilft der BGH mit der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (ausführlich dazu Rn. 1300f.).130 Danach wird vermutet, dass sich die Patientin entsprechend der ordnungsgemäßen Information hätte untersuchen und anschließend die Schwangerschaft hätte abbrechen lassen. Dafür sprechen zwei Gründe: Erstens soll die vom Arzt geschuldete Aufklärung gerade verhindern, dass die Patientin nachträglich in eine Beweisnot der vorliegenden Art gerät. Zweitens darf der Arzt aus präventiven Gesichtspunkten nicht sanktionslos davonkommen, wenn seine Pflichtverletzung eine solche Beweisnot verursacht. In einer neueren Entscheidung hilft der BGH dem aufklärungspflichtigen Arzt, soweit Streit über den Umfang einer tatsächlich durchgeführten Aufklärung besteht: Ist danach die Durchführung unstreitig, besteht ein Anscheinsbeweis zugunsten des Arztes, dass die Aufklärung auch vollständig war.131 Im Hinblick auf den Schutzgegenstand wird schließlich die sog. Selbstbestimmungsaufklärung, die eine autonome Entscheidung des Patienten ermöglichen soll, von der Sicherungsaufklärung unterschieden, die vor einer Be129 Dazu etwa Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, Nr. 70 §§ 823ff. Rn. 276. 130 BGH NJW 1984, 658, 659f. 131 BGH NJW 2014, 1529 Tz. 11; vgl. auch BGH NJW 2014, 1527.

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einträchtigung sonstiger absolut geschützter Rechtsgüter schützen soll. Der BGH hat letztere im Fall eines Patienten thematisiert, der nach einer Gehirntumoroperation nach seinem Willen entlassen wurde, dabei aber nicht ausreichend über das Schlaganfallrisiko infolge Dehydration aufgeklärt worden war.132 Im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung muss der Arzt auch über alternative Behandlungsmethoden aufklären, was keine Selbstverständlichkeit darstellt, da der Arzt in der Wahl seiner Therapie frei ist (Rn. 1071) und deshalb nicht ungefragt darüber informieren muss, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen.133 d) Vorrang der Nacherfüllung? 1083

Umstritten ist, ob der Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 voraussetzt. Danach dürfte der Behandelnde den eingetretenen Schaden vorrangig durch eine erneute Behandlung des Geschädigten beseitigen. Diese Möglichkeit wird vglw. abstrakt von den Instanzgerichten erwogen.134 Im Schrifttum werden hingegen besondere Gründe nach §§ 281 Abs. 2 zweiter Fall, 323 Abs. 2 Nr. 3 wegen des besonderen Persönlichkeitsbezugs des Behandlungsvertrages bejaht135 und ein systematisches Argument aus § 249 Abs. 2 herangezogen:136 Heilbehandlungen in natura brauche der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 vom Schädiger nicht anzunehmen, sondern er kann von vornherein auf Ersatz in Geld bestehen. Dann sei aber auch die Nachfristsetzung entbehrlich. Nach hier vertretener Auffassung stellt der Schaden an absolut geschützten Rechtsgütern von vornherein keinen Fall des § 281 Abs. 1 Satz 1 dar (Rn. 340). In diesem Bereich findet der Übergang von der Naturalleistung zur Schadensersatzleistung nicht nach § 281 Abs. 1 Satz 1, sondern nach §§ 249 Abs. 2, 250, 251 statt.

132 133 134 135 136

BGH NJW 2009, 2820; von Pentz MedR 2011, 222, 224. BGH NJW 2006, 2477, Tz. 13; Spickhoff NJW 2011, 1718, 1720. OLG Koblenz VersR 2010, 1542; OLG Frankfurt BeckRS 2010, 21935. MünchKomm/Wagner § 630a Rn. 78; Spickhoff NJW 2011, 1651, 1653. Gutzeit NJW 2008, 1359, 1361.

§ 8 Der Werkvertrag I. Grundlagen 1. Die Erfolgsbezogenheit als charakteristisches Merkmal

Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer gem. § 631 Abs. 1 zur Herstellung des Werks, der Besteller hingegen zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Als geschuldetes Werk kommt sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg in Betracht (§ 631 Abs. 2). Aus der Erfolgsbezogenheit der Leistungspflicht erklären sich die Besonderheiten der werkvertraglichen Schuldnerverantwortung und Risikoverteilung. Verspricht der Unternehmer dem Besteller nämlich einen bestimmten Erfolg, bedeutet bereits dessen Ausbleiben einen Mangel der Werkleistung iSd. § 633 Abs. 2 Satz 1 (sog. funktionaler Mangelbegriff; Rn. 1096). Diese weitreichende Verantwortung bringt es mit sich, dass der Unternehmer allein darüber entscheiden darf, wie er den Erfolg herbeiführt. Treten auf diesem Weg Hindernisse auf, bestimmt er, auf welche Weise diese im Wege der Nacherfüllung zu beseitigen sind (§ 635 Abs. 1). Schränkt der Besteller diesen Freiraum ein, geht die Preis- bzw. Gegenleistungsgefahr auf ihn über, soweit gerade seine Vorgaben dazu führen, dass der Erfolg nicht erreicht wird (§ 645 Abs. 1). Umgekehrt braucht der Besteller am Erfolg aber nicht mitzuwirken, sondern kann diesen der Verantwortung des Unternehmers überlassen (vgl. § 642; Rn. 1171). Den langen Zeitraum der Ungewissheit darüber, ob der Unternehmer den von ihm versprochenen Erfolg jemals eintreten lassen wird, kann der Besteller schließlich durch das Kündigungsrecht nach § 648 Satz 1 beenden. Aus der Erfolgsbezogenheit der Herstellungspflicht des Unternehmers erklärt sich auch die für den Werkvertrag charakteristische Vorleistungspflicht des Unternehmers:1 Sein Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Besteller wird erst fällig, wenn der Besteller das fertiggestellte Werk abgenommen hat (§ 641 Abs. 1 Satz 1). Die Leistungs- und Preisgefahr (§ 644 Abs. 1 Satz 1) ist auf den Zeitpunkt der Abnahme (§ 640), also den Abschluss der zum Erfolg führenden Arbeiten, verlegt, was ein besonderes Sicherungsinteresse des Werkunternehmers unter anderem durch Pfandrechte und sonstige Sicherungsleistungen erklärt (§§ 647ff.).

BGHZ 50, 175, 176f.; MünchKomm/Busche § 641 Rn. 2; Soergel/Teichmann § 641 Rn. 1; kritisch Staudinger/Peters/Jacoby § 641 Rn. 2ff.

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§ 8 Der Werkvertrag

2. Abgrenzung zum Dienstvertrag 1086

Bei der typologischen Zuordnung treten vor allem Abgrenzungsprobleme zum Dienstvertrag nach §§ 611ff. auf (zum Kaufvertrag unten Rn. 1176ff.). Diese erschienen bereits dem historischen Gesetzgeber des BGB als „ein erheblicher, aber nicht zu beseitigender Übelstand.“2 Die Abgrenzung verläuft im Regelfall danach, ob ein Erfolg geschuldet ist (Werkvertrag) oder nur eine Tätigkeit (Dienstvertrag).3 Die Tragfähigkeit dieses Abgrenzungskriteriums wird immer wieder bezweifelt, weil einerseits § 631 Abs. 2 den Erfolg im weitesten Sinne erfasst, andererseits der Dienstberechtigte auch beim Dienstvertrag einen wirtschaftlichen Erfolg erstrebt.4 Diese nivellierende Betrachtungsweise geht jedoch an der zentralen Rechtsfolge der Erfolgsbezogenheit, dem funktionalen Mangelbegriff, vorbei, der den Werkmangel mit dem ausbleibenden Erfolg iSd. § 631 Abs. 2 gleichsetzt (Rn. 1096). Den §§ 631ff. lässt sich eine Parteivereinbarung daher typologisch immer dann zuordnen, wenn dieser Mangeltypus nach dem Willen der Parteien auf ihre Vereinbarung passt: (BGH 6.6.2013 – VII ZR 355/12 = NJW 2013, 3022) U hat mit Grundstückseigentümer B einen Vertrag über den Winterdienst für die laufende Saison geschlossen, aufgrund dessen U das Räumen von Schnee und das Streuen auf dem Gehsteig, dem Hofeingang und dem Weg zum Fahrradständer übernimmt. B schuldet im Gegenzug eine feste Vergütung während der vertraglich festgelegten Wintermonate. Weil U an einigen Tagen mit Schneefall nicht geräumt hat, erklärt B die Minderung.

Ein weiterer Unterschied zwischen Dienst- und Werkvertrag besteht darin, dass der Dienstvertrag kein Minderungsrecht kennt. Einwendungen gegen die Höhe der Vergütung können daher allenfalls im Wege der Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch des Dienstberechtigten aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 geltend gemacht werden (Tz. 7). Die Bezifferung des Schadens und der Nachweis der tatsächlichen Voraussetzungen eines Vertretenmüssens stellen dabei Hindernisse dar, die § 634 Nr. 3 nicht kennt. Dass vorliegend eine Leistung ausgetauscht wird, auf die das Minderungsrecht passt, erscheint daher als erstes Indiz für einen Werkvertrag. Dennoch sprechen auch eine Reihe von Indizien für einen Dienstvertrag: Der Schuldner übernimmt die Erfüllung der dem Gläubiger obliegenden Verkehrssicherungspflicht (Räum- und Streupflicht) für dessen Grundstück, was eine auf Dauer angelegte Tätigkeit voraussetzt (Tz. 11).5 Auch ist die Vergütung nach Zeitabschnitten geschuldet (vgl. § 621) und nicht nur für die jeweils erfolgte Schneeräumung als Erfolg iSd. Mot. II, S. 472. Vgl. auch zu einschlägigen Fragen im römischen Recht Hähnchen, in: Andrés Santos/Baldus/Dedek, Vertragstypen in Europa, 2011, S. 77ff. Mot. II, S. 456, 471; RGZ 72, 179, 180; vgl. zunächst nur H. Roth JZ 2001, 543, 546 und Küp3 per, Der Werkvertrag in der Schuldrechtsreform, 1989, S. 33ff. Staudinger/Peters/Jacoby Vorbem zu §§ 631ff. Rn. 26; MünchKomm/Busche § 631 Rn. 15; 4 dazu auch Ch. Förster ZGS 2010, 460, 464; Greiner AcP 211 (2011) 221, 224 und 229f.; Tillmann, Strukturfragen des Dienstvertrages, 2007, S. 13f. AA. für werkvertragliche Natur Wietfeld NJW 2014, 1206, 1208ff. 5 2

I. Grundlagen

807

§ 631 Abs. 2 (Tz. 12). Diese Umstände treten jedoch hinter dem Willen der Parteien zurück, dass der Schuldner dem Gläubiger insgesamt die Schneebeseitigung als Erfolg schulden soll (Tz. 11). Unterbleibt diese, liegt ein Leistungsstörungsproblem vor, unabhängig von den Gründen, die den Schuldner im Einzelfall an der Erfüllung seiner Verpflichtungen gehindert haben mögen: Geschuldet ist nicht das Schneeräumen als Tätigkeit (§ 611), sondern die Eis- und Schneefreiheit als Erfolg (§ 631). Eine Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 kommt vorliegend nicht in Betracht: B will bei der Räumung ja nicht anwesend sein; er bräuchte U sonst nicht! Aber auch eine Vollendung nach § 646 scheidet aus, da U das Werk an den kritischen Tagen überhaupt nicht angegangen ist. Der BGH stellt daher eine überzeugende Parallele zu den Fällen der Minderliefung nach § 633 Abs. 2 Satz 3 zweite Alternative her (Tz. 17): Hier findet ein den Mangel begründender Gefahrübergang bei (endgültigem) Ausbleiben der Teilleistung statt. Die Nachfristsetzung ist schließlich wegen § 323 Abs. 2 Nr. 3 (Tz. 19) bzw. nach § 326 Abs. 5 wegen fehlender Nachholbarkeit entbehrlich. Die Voraussetzungen einer Minderung liegen demnach vor.

Die §§ 631ff. sind daher überall dort anwendbar, wo der Schuldner zur Herstellung des Erfolgs bis an die Grenze der Unverhältnismäßigkeit verpflichtet ist.6 Ein Werkvertrag kommt wiederum dort nicht in Betracht, wo der Schuldner, wie ein Rechtsanwalt, einen bestimmten Erfolg (Obsiegen in einem Rechtsstreit) nicht versprechen darf, weil seine gesetzliche Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§§ 1, 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO) dem entgegensteht (Rn. 1040f.). Und auch dort kommen die §§ 631ff. nicht in Betracht, wo ein Schuldner, wie ein Arzt, aus Sicht eines redlichen Gläubigers eine Erfolgsgarantie gar nicht abgeben kann, weil der Erfolg von Faktoren abhängt (Komplexität des Organismus), die sich seiner Steuerung entziehen (Rn. 1060). Den Architektenvertrag kennzeichnen hingegen erfolgsbezogene (Erstellung der Bauplanung) und nicht erfolgsbezogene Elemente (Bauaufsicht und Bauleitung). Für die Einordnung ist jedoch entscheidend, dass es dem Besteller einheitlich auf die Vollendung des Bauwerks und damit einen Erfolg iSd. § 631 Abs. 2 ankommt. Die werkvertragliche Einordnung7 wird zudem in §§ 650pff. vorausgesetzt. Als Werkverträge sind regelmäßig Bauverträge einzuordnen (Rn. 1132ff.), aber auch eine Reihe von Softwareverträgen. Darunter fällt vor allem der Vertrag über eine Individualsoftware, dh. eine speziell für den Besteller gefertigte Software,8 während der Vertrieb von Standardsoftware, einem Massenprodukt, das einheitlich von einer Vielzahl von Nutzern eingesetzt wird (Beispiel: Office-Anwendungen), dem Kaufrecht unterfällt (Rn. 68). Ähnlich Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 18. Ständige Rechtsprechung seit BGHZ 31, 224, 227 = NJW 1960, 431; vgl. ansonsten nur MünchKomm/Busche § 631 Rn. 198; Soergel/Teichmann vor § 631 Rn. 32ff.; auch Staudinger/ Peters/Jacoby Vorbem zu § 631ff. Rn. 129, wenngleich zweifelnd; aA. etwa Tempel JuS 1964, 346ff. BGHZ 102, 135, 140f.; BGH NJW 1993, 1063; Staudinger/Peters/Jacoby Vorbem zu 8 §§ 631ff. Rn. 78. 6 7

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§ 8 Der Werkvertrag

In einem ungewöhnlichen Obiter dictum hat der BGH (BGHZ 184, 345 = NJW 2010, 1449) gleich eine Vielzahl von Verträgen im Schnittbereich zwischen Dienst- und Werkvertrag typologisch zugeordnet. Danach ist der Access-Provider-Vertrag, der den Zugang zum Internet vermitteln soll, ein Dienstvertrag (Tz. 18); der Application-Service-Provider-Vertrag, bei dem es um die Bereitstellung von Softwareanwendungen für den Kunden zur Online-Nutzung über das Internet geht, wegen der Gebrauchsüberlassungskomponente ein Mietvertrag (Tz. 19); der Web-Hosting-Vertrag, bei dem der Anbieter Speicherplatz und Zugang auf der von ihm betriebenen Plattform zur Verfügung stellt, ein Vertrag mit dienst-, miet- und werkvertraglichen Elementen (Tz. 20), der Web-Design-Vertrag, bei dem der Anbieter sich verpflichtet, für den Kunden eine individuelle Website zu erstellen, ein Werkvertrag oder Werklieferungsvertrag (Tz. 21), der Vertrag über die Beschaffung einer Domain ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit werkvertraglichem Einschlag nach §§ 675 Abs. 1, 631 (Tz. 22), der Vertrag über Wartung und Pflege von Software ein Werkvertrag (Tz. 23)9 bzw. ein Dienstvertrag, wenn die Erfolgsausrichtung fehlt (Tz. 23), und der Internet-Systemvertrag (zu diesem noch unten Rn. 1121) ein Werkvertrag (Tz. 26f.)

Ferner unterliegen Beförderungsverträge dem Werkvertragsrecht ebenso wie Verträge mit Handwerkern, bei denen eine Handlung und nicht die Lieferung einer beweglichen Sache im Vordergrund steht (sonst gilt nämlich § 650 Satz 1): Dies gilt vor allem für Verträge über die Reparatur und Wartung. Hinzu kommen Verträge über theatralische und sonstige Aufführungen, weil hier ebenfalls die Erfolgsbezogenheit auf der Hand liegt. II. Der Vertragsschluss 1089

Der Vertrag nach § 631 Abs. 1 kommt grundsätzlich formfrei zustande, doch gilt dies nicht, wenn die Werkleistung, wie beim Bauträgervertrag, mit einer Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb von Eigentum an Grundstücken in einer rechtlichen Einheit steht (Rn. 1134).10 Eine Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 droht allerdings bei Verträgen mit Handwerkern „ohne Rechnung“: (BGH 11.6.2015 – VII ZR 216/14 = BGHZ 206, 69 = NJW 2015, 2406) Besteller B hat Unternehmer U mit Ausbauarbeiten im Dachgeschoss seines Hauses beauftragt. Nachdem U dem B den Bruttopreis iHv. 12.631 € nebst Umsatzsteuer mitgeteilt hat, vereinbaren beide einen Pauschalpreis iHv. 10.000 €, den B an U in bar entrichten soll. In der schriftlichen Abrechnung fehlen Rechnungsnummer, Steuernummer und ein Ausweis der Umsatzsteuer. Später fordert B Schadensersatz wegen Mängeln der Ausbauarbeiten, während U eine bereits an B geleistete Schadenssumme wegen anderer Mängel unter Hinweis auf den Verstoß gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG zurückfordert. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG leistet Schwarzarbeit, wer Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei als Steuerpflichtiger seine sich auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. Nach § 14 Abs. 4 UStG muss der Werkunternehmer ua. Namen, Steuernummer und das nach Nettobetrag, Umsatzsteuer und Bruttobetrag aufgeschlüsselte Entgelt in seiner Rechnung angeben. 9 10

So auch OLG Düsseldorf WM 2012, 1105. BGHZ 184, 345 = NJW 2010, 1449.

II. Der Vertragsschluss

809

Der BGH geht in Abänderung seiner Rechtsprechung (vgl. Voraufl. an dieser Stelle) von der Nichtigkeit des Werkvertrags nach § 134 aus, wenn der Unternehmer vorsätzlich gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt (Tz. 10). Früher sah das Gericht nur die Entgeltabrede als nichtig an und erhielt den Werkvertrag entgegen der Auslegungsregel des § 139 ansonsten aufrecht. Begründet wurde dies mit den vermeintlich ausreichenden Sanktionen des Abgabenrechts, die eine vollständige Nichtigkeit des Werkvertrages entbehrlich erschienen ließen. Diese Auffassung wurde im Jahr 2013 aufgegeben.11 Wegen der vollständigen Nichtigkeit des Werkvertrages stehen dem Besteller daher keine vertraglichen Mängelrechte zu; allerdings lässt der BGH in Anknüpfung an seine frühere Rechtsprechung die Möglichkeit offen. Der Werkunternehmer hingegen kann weder die erbrachten Primärleistungen (Bauarbeiten) noch die Sekundärleistungen (Schadensersatz) nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) vom Besteller zurückfordern. Denn hier greift die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 (Tz. 12, 16). Eine teleologische Reduktion dieser Norm wie etwa in den Fällen des Schenkkreises (Rn. 798) kommt nicht in Betracht (Tz. 17), weil die mit ihr einhergehende Rechtsschutzverweigerung auf den abgabenuntreuen Unternehmer passt und eine präventive Wirkung bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit entfaltet.12 Fraglich bleibt, ob eine Verwendungskondiktion des Werkunternehmers nach §§ 951 Abs. 1 Satz 1, 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall in Betracht kommt. Dies verneint der BGH unter Anwendung von § 817 Satz 2,13 der seinem Wortlaut nach aber wohl auf die Leistungskondiktion bezogen ist. Eher steht das Subsidiaritätsprinzip entgegen: Als Nichtleistungskondiktion wird die Verwendungskondiktion durch ein spezielleres Leistungsverhältnis verdrängt (vgl. den Wortlaut des § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall: „in sonstiger Weise“). Der Besteller hat das Bauwerk jedoch im Rahmen eines Erfüllungsversuchs des Werkunternehmers, also durch Leistung, erlangt. Er braucht es dann nicht im Wege der Nichtleistungskondiktion herauszugeben. Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 ist der Verbraucher an seine auf den Abschluss eines Verbraucherbauvertrages gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie wirksam nach § 650l widerruft. Die Norm zielt auf einen Übereilungsschutz des Verbrauchers, weil dieser Verträge mit einer vergleichbaren finanziellen Belastung häufig „nur einmal im Leben“ schließe.14 Zu diesem Normzweck passt, dass das Widerrufsrecht bei einem notariell beurkundeten Vertrag, bei dem der Vertragstext vor der Unterschrift gelesen und erläutert

11 BGHZ 198, 141 = NJW 2013, 3167, Tz. 13ff.; anders noch BGHZ 176, 198 = NJW-RR 2008, 1050, Tz. 7f. 12 BGHZ 201, 1 = NJW 2014, 1805, Tz. 20ff.; zum Präventionszweck: Tz. 23ff. und 29; zustimmend Medicus/Petersen BR Rn. 698; Stamm NJW 2015, 2407; ders. NJW 2014, 2145. 13 BGHZ 201, 1 = NJW 2014, 1805, Tz. 30; zu diesem Medicus/Petersen Rn. 727. 14 RegE BR-Drucks. 123/16, S. 69.

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§ 8 Der Werkvertrag

wurde, nicht besteht. Wegen der Beurkundungspflicht nach § 311b Abs. 1 sind daher Bauträgerverträge (Rn. 1089) vom Widerrufsrecht ausgenommen. Verbraucher B hat ein altes Bauernhaus erworben. Mit U schließt er einen Vertrag über die grundlegende Sanierung und Modernisierung des Hauses zu einer Vergütung iHv. 150.000 €. Bis auf die Fassade soll alles runderneuert werden. Durch ein Versehen fügt U dem Vertrag nur teilweise den Text der Musterwiderrufsbelehrung nach Anlage 10 Art. 249 § 3 EGBGB bei. Zwölf Monate nach Vertragsschluss – U hat die geschuldeten Arbeiten bereits zu zwei Dritteln fertig gestellt – widerruft B den Vertrag nach § 650l. U verlangt Wertersatz für die von ihm erbrachten Bauleistungen. In Betracht kommt ein Wertersatzanspruch des U gegen B nach § 357d Satz 1, der einen wirksamen Widerruf nach § 650l voraussetzt. Dies setzt einen Verbraucherbauvertrag nach § 650i voraus.

Die Legaldefinition des Verbraucherbauvertrags in § 650i (Vertrag über den Bau eines neuen Gebäudes bzw. eine erhebliche Umbaumaßnahme) knüpft an die Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 3 lit. f VerbRRiL an. Die Richtlinie ist auf Bauverträge dieses Typs nämlich nicht anwendbar. Dies geht aus der Definition der erheblichen Umbaumaßnahme in Erwägungsgrund 26 Satz 3 hervor: Es handelt sich um Baumaßnahmen, die der Errichtung eines neuen Gebäudes vergleichbar sind, zB. Maßnahmen, bei denen nur die Fassade des alten Gebäudes erhalten bleibt. In diesen Fällen passt der in § 650l angelegten Übereilungsschutz als Normzweck in besonderer Weise, weil es sich gerade um Verträge mit einem Finanzierungsvolumen handelt, die der Verbraucher nur einmal im Leben schließt. Der deutsche Gesetzgeber sah deshalb einen Widerspruch darin, dass dem Verbraucher bei Bauverträgen mit einem geringeren Volumen ein Widerrufsrecht nach der VerbRRiL zusteht, bei Verträgen der darüber hinausgehenden Größenordnung jedoch nicht.15 Dieser Gedanke hätte eigentlich ein in Anlehnung an § 312g Abs. 1 gestaltetes Widerrufsrecht in AGAV- oder Fernabsatzsituationen nahegelegt. Eine solche Beschränkung kennt § 650l jedoch nicht. Hätte B vorliegend die Renovierung der Küche in Auftrag gegeben, hätte sich der Vertrag im Anwendungsbereich der VerbRRiL bewegt. Bei solchen kleineren Bauverträgen entsteht ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1, wenn sie in einer AGAV- oder einer Fernabsatzsituation geschlossen werden. Die Wertersatzansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher sind dann nach § 357 Abs. 7 und 8 deutlich eingeschränkt. Darin liegt ein zentraler Unterschied zum Verbraucherbauvertrag.

Die Ausübung des Widerrufs richtet sich nach § 356e und führt zur Wertersatzhaftung nach § 357d Satz 1: Der Besteller schuldet danach eine anteilmäßige Vergütung, die abhängig vom Verhältnis der erbrachten zu den geschuldeten Bauarbeiten ist. Das Gesetz beugt auf diese Weise einem kostenlosen Bauen durch Ausübung des Widerrufsrechts vor.16 Gegenüber § 648 Satz 2 mildert die Norm die Verantwortlichkeit des Bestellers jedoch erheblich ab. 15 16

RegE BR-Drucks. 123/16, S. 66. Nicht in gleicher Weise eindeutig: RegE BR-Drucks. 123/16, S. 38.

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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Denn im Falle der außerordentlichen Kündigung schuldet der Besteller die gesamte Vergütung und kann nur Anrechnung der ersparten Aufwendungen verlangen. Auf der Grundlage von § 357d Satz 1 schuldet er dagegen nur eine dem Baufortschritt entsprechende Teilvergütung. Vorliegend berechnet sich der von B geschuldete Wertersatz nach § 357d Satz 1 nach dem Verhältnis der erbrachten zu den geschuldeten Bauarbeiten (hier: 2/3). Wird die vereinbarte Vergütung (150.000 €) zugrunde gelegt, schuldet B dem U 100.000 €.

Entsprechend einer BGH-Rechtsprechung zu § 346 Abs. 2 Satz 2 (Rn. 286) bildet die vereinbarte Vergütung nicht notwendig den Referenzwert bei der Berechnung des Wertersatzes. Nach § 357d Satz 2 kann der Verbraucher vielmehr geltend machen, bei der Vereinbarung der Vergütung übervorteilt worden zu sein, was eine richterliche Preiskontrolle auslöst. III. Ansprüche und Rechte des Bestellers 1. Überblick

Mit Abschluss des Werkvertrages erwirbt der Besteller einen Anspruch auf Herstellung des Werks nach § 631 Abs. 1 erster Halbsatz. Entspricht dieses im Zeitpunkt der Abnahme (§ 640 Abs. 1) nicht der Maßgabe des § 633 Abs. 1, entstehen zugunsten des Bestellers die in § 634 genannten Ansprüche und Rechte. Wie im Kaufrecht muss der Besteller zuerst Nacherfüllung nach §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 verlangen, bevor er auf die sonstigen Ansprüche und Rechte übergehen kann, die sämtlich Sekundäransprüche begründen. Bis auf die Selbstvornahme nach §§ 634 Nr. 2, 637 wurden diese Institute bereits im kaufrechtlichen Kapitel vorgestellt. Im Folgenden sollen daher die werkvertraglichen Besonderheiten im Vordergrund stehen.

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2. Der Herstellungsanspruch

Nach § 631 Abs. 1 erster Halbsatz schuldet der Unternehmer zunächst die Herstellung des Werks; nach § 633 Abs. 1 muss er es dem Besteller frei von Rechts- und Sachmängeln verschaffen, und zwar so, dass der Besteller es nach § 640 Abs. 1 Satz 1 abnehmen kann. Regelmäßig ist daher nicht nur der Erfolg, sondern auch die Ablieferung des Werks beim Besteller geschuldet.17 Aus § 641 Abs. 1 Satz 1 folgt ferner, dass der Vergütungsanspruch erst mit der Abnahme des hergestellten Werks fällig wird. Deshalb ist der Unternehmer vorleistungspflichtig und kann sich außerhalb der Sonderregelungen über Abschlagszahlungen (§§ 632a, 650m, 650v) nicht auf § 320 berufen. Erhebt der Unternehmer vor der Abnahme des Werks eine Klage auf Vergütung, so ist der geltend gemachte Anspruch unbegründet und wird zurückgewiesen, wenn der

17

MünchKomm/Busche § 631 Rn. 59; Staudinger/Peters/Jacboy § 631 Rn. 17f.

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1093

§ 8 Der Werkvertrag

Besteller die Annahme zu Recht (zB. wegen eines erheblichen Mangels) verweigern darf.18 Bei der Verteilung der Leistungsgefahr (zum Begriff Rn. 73ff.) muss differenziert werden. Vor der Abnahme durch den Besteller ist noch keine Konkretisierung des werkvertraglichen Leistungsinhaltes auf das vom Unternehmer bearbeitete Leistungsobjekt eingetreten. Kommt das Leistungsobjekt zu Schaden, ist der Unternehmer im Rahmen seiner allgemeinen Leistungspflicht aus § 631 Abs. 1 erster Halbsatz zu einem neuen Versuch verpflichtet, den geschuldeten Erfolg zu erreichen. Nur wenn die Erreichung des Erfolges nach § 275 Abs. 1 oder 2 unmöglich wird, geht der Herstellungsanspruch unter. Neben beide Normen tritt die Sonderregelung des § 275 Abs. 3. Danach kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er diese persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. (Im Anschluss an RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 130) Veranstalter B hatte mit der Sängerin U einen Auftritt bei dem von B organisierten Konzertabend vereinbart. B verweigert an diesem Abend den Auftritt, weil ihr Kind schwer erkrankt ist. B verlangt Schadensersatz iHv. 50.000 € wegen entgangenen Gewinns. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 283. Zwischen den Parteien kam ein Werkvertrag zustande. Fraglich ist, ob eine Pflichtverletzung iSd. § 280 Abs. 1 Satz 1 vorliegt. Diese könnte in einer Leistungsverweigerung nach § 275 Abs. 3 liegen. Die Leistung ist von U persönlich zu erbringen. Bei der Abwägung zwischen dem bestehenden Leistungshindernis und dem Leistungsinteresse des B dürfte allerdings das Grundrecht auf Pflege und Erziehung des eigenen Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG besondere Bedeutung entfalten.

In den Materialien bezeichnet der Gesetzgeber die vorliegende Konstellation als „Schulbeispiel“ des § 275 Abs. 3.19 Tatsächlich ist jedoch auch der Anwendungsbereich des § 313 (Wegfall der Geschäftsgrundlage) berührt,20 weil hier deutlicher als etwa in § 275 Abs. 2 Satz 1 Schuldner- und Gläubigerinteresse gleichberechtigt gegeneinander abgewogen werden. Das nach § 275 Abs. 3 begründete Leistungshindernis beruht deshalb auf einem Umstand, der nicht einseitig in die Risikosphäre einer Vertragsseite fällt, wie dies auch § 313 Abs. 1 voraussetzt. Im Beispielsfall müssen hinter der Absage der Sängerin also rechtlich relevante Interessen stehen und nicht nur rein persönliche Gründe. § 275 Abs. 3 geht dabei als Spezialregelung im Einzelfall vor. Der Tatbestand dieser Norm beruht auf einem rechtlich relevanten Interessenkonflikt des Schuldners und setzt voraus, dass die hinter dem Leistungshindernis stehenden Interessen objektiv die Gläubigerinteressen überwiegen.21 Dabei birgt § 275 Abs. 3 BGHZ 61, 42, 43f. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 130. Canaris JZ 2001, 499, 501; Huber, in: Ernst/Zimmermann, S. 49ff., 73f.; Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 2 Rn. 66; MünchKomm/Ernst § 275 Rn. 112; Staudinger/Löwisch/Caspers § 275 Rn. 117; Schwarze Jura 2002, 73, 78. 21 So vor allem Staudinger/Löwisch/Caspers § 275 Rn. 109. 18 19 20

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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noch eine weitere Besonderheit: Wenn die rechtlich relevanten Interessen des Schuldners diejenigen des Gläubigers überragen, stellt sich die Frage, ob der Schuldner nicht wie im Fall des § 35 Abs. 1 StGB auch nach § 276 Abs. 1 wegen eines übergesetzlichen Notstandes entschuldigt ist. Das Überwiegen der eigenen Interessen führt zwar nicht zur Rechtmäßigkeit des eigenen Tuns, weil die Interessen der Gegenseite nach wie vor Bestand haben und nicht etwa als Folge der Abwägung untergehen. Ist aber der Konflikt nicht anders abwendbar als durch die Leistungsverweigerung, kann wohl auch im Rahmen des objektiven Maßstabs des § 276 Abs. 2 nicht der Vorwurf schuldhaften Verhaltens erhoben werden. Im Beispielsfall liegt damit ein Fall des § 275 Abs. 3 vor, sodass der Fall so zu behandeln ist, als sei Unmöglichkeit eingetreten. Doch wird man der S insbesondere im Hinblick auf ihr Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und dessen wertsetzende Bedeutung in der Privatrechtsordnung nicht den Vorwurf machen können, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2) nicht beachtet zu haben. Ein Anspruch besteht danach nicht.

Mit der Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 konkretisiert der Besteller den vom Unternehmer abgelieferten Gegenstand als das nach dem Vertrag geschuldete Werk.22 Geht dieses nach der Abnahme unter, trägt der Besteller auch die Leistungsgefahr nach § 275 Abs. 1 und kann keine Neuherstellung verlangen.

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3. Der Nacherfüllungsanspruch des Bestellers a) Überblick

Der Nacherfüllungsanspruch nach §§ 634 Nr. 1, 635 ist wie sein kaufrechtliches Gegenstück ein modifizierter Erfüllungsanspruch (Rn. 80) und auf Nachbesserung oder Nachlieferung gerichtet. Eine zentrale Besonderheit besteht darin, dass der Schuldner (Werkunternehmer) und nicht der Gläubiger (Besteller) den Inhalt des Nacherfüllungsanspruchs nach § 635 Abs. 1 bestimmt. Wie § 439 Abs. 4 Satz 1 eröffnet schließlich § 635 Abs. 3 ein Leistungsverweigerungsrecht bei unverhältnismäßigen Kosten. Ebenfalls mit dem Kaufrecht vergleichbar (Rn. 185, 227, 237f.) geht der BGH davon aus, dass der Besteller ein untaugliches Nacherfüllungsangebot zurückweisen darf, ohne in Annahmeverzug zu geraten.23

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b) Der Nacherfüllungsgrund aa) Sachmangel

Der Begriff des Sachmangels folgt wie im Kaufrecht der gemischt subjektiv-objektiven Fehlertheorie (Rn. 95). § 633 Abs. 2 wiederholt dabei die Struktur von § 434 Abs. 1 Satz 1 und 2. Vorrangig kommt es auf die von den Parteien getroffene Beschaffenheitsvereinbarung an (Satz 1). Fehlt diese, ist die nach dem Ver22 23

MünchKomm/Busche § 640 Rn. 45; Hartung NJW 2007, 1099, 1102. BGH NJW 2011, 1872, Tz. 17.

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§ 8 Der Werkvertrag

trag vorausgesetzte Verwendung (Satz 2 Nr. 1) bzw. die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und die Normalbeschaffenheit maßgeblich (Satz 2 Nr. 2). Diese zunächst harmlos wirkende Wiederholung des § 434 Abs. 1 Satz 1 und 2 bereitet im Werkvertragsrecht jedoch eigene Probleme: (BGH 8.11.2007 – VII ZR 183/05 = BGHZ 174, 110 = NJW 2008, 511 – Forsthaus) B bewohnt ein Forsthaus, das nicht an das öffentliche Stromnetz angeschlossen ist. Deshalb beauftragt er D mit der Errichtung eines Blockheizkraftwerks und U mit der Errichtung einer Heizungsanlage. U errichtet die Heizungsanlage. Diese funktioniert allerdings nicht, weil das von D errichtete Blockheizkraftwerk nicht die erforderliche thermische Leistung erbringt. B verweigert daraufhin die Abnahme der Heizung. U nimmt ihn nun unmittelbar auf die Vergütung in Anspruch. In Betracht kommt ein Anspruch des U gegen B auf Vergütung aus § 631 Abs. 1 zweiter Halbsatz. Probleme bereitet die Fälligkeit, die nach § 641 Abs. 1 Satz 1 eine Werkabnahme nach § 640 voraussetzt. Die Fälligkeit tritt allerdings auch dann ein, wenn der Besteller die Abnahme zu Unrecht verweigert (Tz. 29; vgl. auch § 640 Abs. 2). Deshalb kommt es darauf an, ob B seine nach § 640 Abs. 1 Satz 1 bestehende Pflicht verletzt hat, das vertragsgemäß hergestellte Werk abzunehmen. Vertragsgemäß hergestellt ist das Werk aber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 nicht, wenn es erhebliche Mängel aufweist. Ein Mangel auf der Grundlage des § 633 Abs. 2 Satz 1 setzt eine Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit voraus.

Der Fall führt zu der Frage, worin genau der Gegenstand der vereinbarten Beschaffenheit liegt. Der BGH stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der systematischen Bedeutung § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1. Nach dieser Norm ist das Werk mangelhaft, wenn es sich nicht für die im Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Problematisch erscheint, dass diese Eignung grundsätzlich bereits Gegenstand der werkvertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung nach § 633 Abs. 2 Satz 1 ist (Tz. 15). Denn ein Mangel liegt im Werkvertragsrecht vor, wenn die Werkleistung die nach dem Vertrag geschuldete Funktion (Aufgabe) nicht erfüllt (sog. funktionaler Mangelbegriff;24 Rn. 1086). Der BGH verneint jedoch die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber durch Einführung des § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 den funktionalen Mangelbegriff abschaffen wollte (Tz. 17f.). Dafür spricht, dass es sich bei § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 erkennbar um eine nicht weiter reflektierte Nachbildung des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 handelt. Danach war es Gegenstand der von den Parteien getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung, dass die vom Unternehmer herzustellende Heizungsanlage ihren Zweck erfüllt, nämlich das Forsthaus ausreichend zu erwärmen. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, sodass nach den strengen erfolgsbezogenen Maßstäben des Werkvertragsrechts ein Mangel nach § 633 Abs. 2 Satz 1 vorliegt, auch wenn ein zweiter Werkunternehmer dafür eine Mitverantwortung trägt (Tz. 19).25

24 Weiteres Beispiel, vgl. bereits unter Rn. 73: BGHZ 201, 148 = NJW 2014, 3365, Tz. 14; vgl. Medicus/Petersen BR Rn. 317a; BeckOGK/Schmidt § 633 Rn. 118f. 25 Vgl. auch BGH NJW 2011, 3780 zur Planung eines Elektrodükers durch ein Architekturbüro.

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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Wegen der Mitverantwortung des anderen Werkunternehmers kommt allerdings eine Haftungsbeschränkung aufgrund des Rechtsgedankens des § 645 Abs. 1 Satz 1 in Betracht. Diese Norm regelt unmittelbar nur die Vergütungsgefahr, also die Gefahr, die Vergütung zahlen zu müssen, auch wenn das Werk vor Abnahme untergeht (Rn. 1164ff.). Dennoch liegt ihr ein allgemeiner Rechtsgedanke zugrunde. Denn die Gegenleistungsgefahr geht auf den Besteller über, wenn das Werk infolge eines Mangels des von dem Besteller gelieferten Stoffes oder infolge einer von dem Besteller für die Ausführung erteilten Anweisung untergegangen, verschlechtert oder unausführbar geworden ist. Diese Rechtsfolge gründet in der Erfolgsbezogenheit der Hauptleistungspflicht des Werkunternehmers: Danach ist der Werkunternehmer für den Nichteintritt des Erfolges nach § 631 Abs. 2 nur verantwortlich, wenn er den Weg zu seiner Erreichung frei bestimmen kann. Macht ihm der Besteller hingegen Vorgaben durch Lieferung von Material oder Erteilung von Anweisungen und scheitert der Erfolgseintritt gerade an diesen, trägt der Besteller die Verantwortung. Ein ähnlicher Gedanke greift auch im Rahmen des Mangelbegriffs.26 Danach kommt eine Verantwortlichkeit des Unternehmers für die Mangelfolgen nicht in Betracht, wenn der Mangel auf eine Weisung des Bestellers oder das von ihm bereitgestellte Material zurückgeht (Tz. 20). Allerdings muss hinzutreten, dass der Unternehmer die Weisung des Bestellers bzw. das von ihm bereitgestellte Material geprüft und den Besteller auf seine Bedenken hinsichtlich der Erfolgstauglichkeit hingewiesen hat (Tz. 21). Bei den Prüf- und Hinweispflichten handelt es sich nicht um haftungsbegründende Schutzpflichten, sondern um Pflichten, die durch ihre Erfüllung die Sachmängelhaftung im Falle des ausbleibenden Erfolges gerade ausschließen (Tz. 22). Der Umfang dieser Prüf- und Hinweispflichten ergibt sich aus dem besonderen Fachwissen des Unternehmers, unterliegt aber auch einer Zumutbarkeitsschwelle (Tz. 24). Muss das von einem Unternehmer erbrachte Werk daher mit dem Werk eines weiteren vom Besteller beauftragten Unternehmers zusammenwirken, muss sich jeder Unternehmer darüber erkundigen, ob die Vorleistungen des anderen dafür geeignet sind, dass der selbst geschuldete Erfolg eintreten kann (Tz. 24). Daraus ergeben sich weitreichende Pflichten des Werkunternehmers zur Koordinierung mit anderen, an der Herbeiführung desselben Erfolgs mitwirkenden Unternehmen.27 Gerade diesen ist U nicht nachgekommen, sodass ein Mangel vorliegt und B hier nicht nach § 640 Abs. 1 Satz 1 abnehmen musste. Der Vergütungsanspruch ist deshalb nicht fällig geworden. Eine weitere Rechtsfolge liegt in einer gesamtschuldnerischen Verantwortung von D und U nach § 421 gegenüber B. In anderen Fällen findet auch § 830 Abs. 1 Satz 2 Anwen-

26 Bereits zuvor MünchKomm/Busche § 634 Rn. 79ff.; Bamberger/Roth/Voit § 633 Rn. 19 (= BeckOK). 27 Zur Koordination zweier Architekten: BGH NJW 2016, 3022; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2016, 1829; OLG Hamm NJW 2016, 3038.

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§ 8 Der Werkvertrag

dung, wenn die Bauleistungen nebeneinander erbracht werden.28 Immer schon ging der BGH von einer gleichstufigen Verbundenheit (dazu Rn. 1329) der Werkunternehmer im Rahmen ihrer Gewährleistungspflichten aus.29 § 650t regelt nun die gesamtschuldnerische Haftung von Architekt (Ingenieur) und Bauunternehmer: Solange der Besteller dem Bauunternehmer keine Nachfrist wegen eines von diesem zu vertretenden Baumangels gesetzt hat, kann er den Architekten nicht als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen. Die Regelung beseitigt nicht die Gleichstufigkeit der Haftung von Architekt und Bauunternehmer iSd. § 421.30 Sie soll nur verhindern, dass der Besteller im Zweifel lieber auf den Architekten zugreift, weil dieser eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen muss.31 Folglich handelt es sich um ein Leistungsverweigerungsrecht (dilatorische Einrede) im Außenverhältnis zum Besteller und nicht um eine andere Bestimmung iSd. § 426 Abs. 1 Satz 1.

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Die typische Beschaffenheitsvereinbarung nach § 633 Abs. 2 Satz 1 liegt beim Bauvertrag im Leistungsverzeichnis bzw. in der Leistungsbeschreibung (§ 650j),32 die beim Bauträgervertrag nach § 311b Abs. 1 Satz 1 beurkundungspflichtig ist. Dort und in anderen Bereichen des Werkvertragsrechts stellt die Leistungsbeschreibung ein zentrales Instrument der Risikosteuerung für den Besteller dar: Beispiel33 Tattoo-Künstler U bringt auf dem linken Schulterblatt der B auf deren Wunsch eine Seerose ein. B gefällt diese nicht, weil sie zu wenig im Stil Monets gehalten ist.

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Kennzeichnend für die werkvertragliche Herstellungspflicht ist häufig ein künstlerisch-schöpferischer Charakter der vom Werkunternehmer zu erbringenden Leistung. Letzterem räumt die Rechtsprechung daher grundsätzlich einen ästhetischen Gestaltungsspielraum ein. Folglich liegt ein Mangel nicht bereits dann vor, wenn der Unternehmer nicht den Geschmack des Bestellers trifft.34 Das Risiko, mit einem ästhetisch unerwünschten Werk konfrontiert zu werden, muss der Besteller vielmehr über die Leistungsbeschreibung steuern. Auch kann mit dem Unternehmer die Erstellung eines Werkentwurfs vereinbart werden. Dann ist der Unternehmer insoweit gebunden, als er das Werk auf der Grundlage dieses Entwurfs erstellen muss. Schließlich konkretisiert sich die in § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 vorausgesetzte Normalbeschaffenheit anhand technischer Regeln (DIN-Normen). (BGH 14. 5. 1998 – VII ZR 184/97 = BGHZ 139, 16 = NJW 1998, 2814) B erwarb 1988 von Bauträger U eine Eigentumswohnung, die von diesem auf einem Grundstück des U zu errichten war. Die Wohnung wurde in den Jahren 1988 und 1989 geplant und errichtet und am 1.2.1990 von B abgenommen. Nachträglich beschwert sich B gegenüber U über die OLG Düsseldorf NJW 2016, 168, 169; dazu von Kiedrowski NJW 2016, 129, 130f. BGHZ 155, 265 = NJW 2003, 2980. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 79. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 78. Vgl. MünchKomm/Busche § 633 Rn. 15; Bamberger/Roth/Voit § 633 Rn. 4 (= BeckOK). Im Anschluss an Diercks/Harms MDR 2011, 462, 463. BGHZ 55, 77, 80f.; Staudinger/Peters/Jacoby § 633 Rn. 188; Bamberger/Roth/Voit § 633 Rn. 14 (= BeckOK).

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Hellhörigkeit der Wände. U verweist darauf, dass die Wände der DIN-Norm 4109, Ausgabe 1984 entsprächen und diesbezüglich keine besondere Vereinbarung getroffen worden sei. B aber weist darauf hin, dass es mittlerweile eine veränderte DIN-Norm 4109, Ausgabe 1989 gebe, der die Wände nicht entsprächen. Er verlangt daher Mängelbeseitigung. Der Anspruch aus §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 setzt eine mangelhafte Werkleistung des U voraus. In Betracht kommt ein Mangel nach § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2.

Das Gericht geht davon aus, dass der Werkunternehmer stets ein Werk auf dem neuesten technischen Stand im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 644 Abs. 1 Satz 1), dh. der Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 schuldet, wenn zwischen den Parteien nichts Anderes vereinbart ist (S. 2415).35 Maßgeblich wären danach die am Stichtag geltenden DIN-Normen, also die Regeln des Deutschen Instituts für Normung eV., die keine Rechtsnormen darstellen, sondern „private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“ (S. 2815). Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform ging selbstverständlich davon aus, dass diese vom Werkunternehmer einzuhalten seien.36 Besieht man die Interessenlage daher genau, geht der Werkunternehmer ein Risiko ein, wenn er im Leistungsverzeichnis zum Vertrag den jeweils geschuldeten technischen Standard nicht ausdrücklich benennt. Denn dann droht ihm die Gefahr, dass sich die einzuhaltenden DINNormen nach Vertragsschluss und bis zur Abnahme des Werks durch den Besteller verändern und uU. zu einem höheren Aufwand führen. Vorliegend war das Bauwerk daher mangelhaft, sodass ein Nachbesserungsanspruch des B besteht.

Fehlt eine Leistungsbeschreibung und existieren keine technischen Regeln, muss unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Vertrags geprüft werden, ob eine bestimmte Qualität der Ausführung stillschweigend vereinbart ist. Vertragsbegleitende Umstände (§ 310 Abs. 3 Nr. 3), konkrete Verhältnisse des Bauwerks, qualitativer Zuschnitt, architektonischer Anspruch und Zweckbestimmung des Gebäudes entfalten dabei besondere Bedeutung.37 Eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung wird etwa bejaht, wenn der Bauunternehmer einen Werkstoff anbietet, der nur zur Erreichung einer bestimmten Beschaffenheit benötigt wird (Beispiel: Angebot einer Perimeter-Dämmung, die die Fassade vor der Einwirkung von Hochwasser schützt).38 In § 633 Abs. 2 fehlt eine Parallelnorm zu § 434 Abs. 1 Satz 3 über die Konkretisierung der Normalbeschaffenheit durch öffentliche Werbeaussagen von Hersteller oder Unternehmer. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu, § 434 Abs. 1 Satz 3 sei auf den Vertrieb von Massenwaren zugeschnitten, der im Werkvertragsrecht praktisch nicht vorkomme. Auch fehle hier ein vom Werk35 Ebenso BGH NJW 2013, 1226; OLG Düsseldorf NJW 2016, 168; von Kiedrowski NJW 2016, 129, 130; teilweise aA. MünchKomm/Busche § 633 Rn. 8. 36 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 216, linke zur rechten Spalte. 37 BGH NJW 2014, 620, Tz. 11 zu der Frage, ob ein Hof ein leichtes Gefälle zum Abfluss von Oberflächenwasser haben muss. 38 OLG Hamburg NJW 2016, 412.

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unternehmer als Vertragspartner zu unterscheidender Hersteller, der Werbeaussagen verlautbaren könne.39 Man kann sich jedoch durchaus Werkleistungen vorstellen – etwa die Leistungen des Kreditkartenunternehmens nach §§ 675 Abs. 1, 63140 –, bei denen Werbeanpreisungen eine ähnliche Rolle spielen. In solchen Fällen muss daher auf den Rechtsgedanken des § 434 Abs. 1 Satz 3 zurückgegriffen werden. bb) Rechtsmangel 1102

Rechtsmängel können im Werkvertragsrecht vor allem aus dem Immaterialgüterrecht resultieren:41 (In Anlehnung an BGH 31.5.1974 – I ZR 10/73 = BGHZ 62, 331 = NJW 1974, 1381 – Schulerweiterung; Rn. 157) Gemeinde B will das ihr gehörende Schulgebäude durch U umbauen lassen. Dagegen wendet sich Architekt A nach § 97 Abs. 1 UrhG, weil das Gebäude ein urheberrechtlich geschütztes Werk der Baukunst iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG darstellt und deshalb nicht ohne Einverständnis des Urhebers in seiner ästhetischen Wirkungsweise beeinträchtigt werden darf (§ 14 UrhG).

Da Rechts- und Sachmängel zu denselben Rechtsfolgen führen, erübrigt sich im Einzelfall häufig eine Abgrenzung. Der Rechtsmangel beruht nach § 633 Abs. 3 – übrigens in Anlehnung an § 43542 – auf Rechten Dritter, die einer Nutzung des im Werkvertrag geschuldeten Erfolges durch den Besteller entgegenstehen. Wie dort kommt es nicht darauf an, dass die Dritten die Rechte tatsächlich geltend machen, sondern es genügt nach dem Normwortlaut, dass sie die Rechte geltend machen können (zu den Gründen Rn. 149). cc) Beweislastverteilung 1103

Im Hinblick auf die Beweislastverteilung für Mängel beinhalten die §§ 631ff. keine ausdrückliche Regelung. Hier spielt die erfolgte oder verweigerte Abnahme nach § 640 Abs. 1 eine zentrale Rolle. Verweigert der Besteller die Abnahme, muss der Unternehmer im Rahmen seiner auf Vergütung gerichteten Klage die Freiheit von erheblichen Mängeln beweisen;43 denn im Umkehrschluss aus § 640 Abs. 1 Satz 2 wird die Abnahme nach Fristablauf nur fingiert, wenn die Mängel des Werkes nicht unerheblich sind. Mit der Abnahme aber dreht sich die Beweislast um, wenn sich der Besteller seine Rechte wegen der Mängel nicht nach § 640 Abs. 3 vorbehalten hat. Denn dann hat er das Werk nach § 363 als Erfüllung angenommen. Weil der Besteller aber als Laie die Beschaffenheit des Werkes nicht durchschaut, kommt ihm die hM. mit Beweiserleichterungen zu Hilfe, die in gewisser Weise an § 477 erinnern: Der Besteller RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 261, linke Spalte, vorletzter Absatz. Str. vgl. MünchKomm/Casper § 675c Rn. 42. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 261, linke Spalte, erster Absatz; MünchKomm/Busche § 633 Rn. 33ff.; Bamberger/Roth/Voit § 633 Rn. 17 (= BeckOK). 42 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 261, rechte Spalte. 43 BGH NJW-RR 1997, 339; dazu BeckOK/Voit § 640 Rn. 28. 39 40 41

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muss die Mangelsymptome (das Sichzeigen des Mangels) darlegen und beweisen, nicht aber deren (technische) Ursachen.44 c) Anspruchsinhalt und sonstige Rechtsfolgen

Der Anspruch kann nach §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 auf Beseitigung des Werkmangels oder auf Neuherstellung gerichtet sein. Die Wahl steht dem Werkunternehmer und nicht dem Besteller zu (anders § 439 Abs. 1). Dies hat mit dem Erfolgsbezug der Hauptleistungspflicht des Werkunternehmers nach § 631 Abs. 2 zu tun. Wenn der Werkunternehmer nämlich für den Eintritt eines Erfolges einzustehen hat, muss er auch frei über den Weg zu dessen Erreichung bestimmen können (Rn. 1084 und 1096). Hinzu tritt der Umstand, dass der Werkunternehmer über die größere Sachkompetenz verfügt: Während der Verkäufer regelmäßig nur als Händler fungiert und von ihm im Hinblick auf die Kaufsache nur beschränkte Kompetenzen erwartet werden dürfen (Rn. 348), stellt der Werkunternehmer das Werk selbst her, ist also ein Experte und daher eher in der Lage, den Weg zu einer effizienten Mängelbeseitigung einzuschlagen.45 Wie im Falle des § 439 Abs. 4 wird der Schuldner auch nach § 635 Abs. 3 bereits unterhalb der Schwelle des § 275 Abs. 2 Satz 1 wegen unverhältnismäßiger Kosten von seiner Pflicht frei. (BGH 13.12.1962 – II ZR 196/60 = NJW 1963, 805) Werkunternehmer U geht gegen seine Haftpflichtversicherung H vor, bei der er gegen mangelbedingte Schadensersatzforderungen seiner Kunden versichert ist. Er macht dabei folgenden vermeintlichen Schaden geltend: Im Neubau des Bestellers B hatte U Abwasserrohre im Bad so mangelhaft verlegt, dass diese kurze Zeit später undicht wurden. Dadurch trat Wasser aus und beschädigte das Mauerwerk. U musste deshalb das Mauerwerk öffnen, die Rohre reparieren und das Mauerwerk wieder schließen. Darin erkennt er eine bei H versicherte Inanspruchnahme auf Schadensersatz durch B. Der BGH hingegen geht von einem nicht versicherten Nachbesserungsanspruch aus. Dieser umfasse nämlich „die Beseitigung jeder Beeinträchtigung, die dem Eigentum des Bestellers zugefügt werden muß, um die Behebung des Werkmangels zu ermöglichen.“ (S. 806).46

Auch nach dem neu geschaffenen § 635 Abs. 2 trägt der Werkunternehmer die Nacherfüllungskosten, sodass die Entscheidung weiterhin Geltung beansprucht. Wie § 439 Abs. 4, so steht auch § 635 Abs. 3 in engem systematischem Zusammenhang zu § 251 Abs. 2 (Rn. 1113).

44 BGH NJW 1999, 1330, 1331; Hammacher NZBau 2010, 91, 92f.; Kaiser NJW 2008, 1709, 1712; Bamberger/Roth/Voit § 633 Rn. 26 (= BeckOK). 45 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 265; H. Roth JZ 2001, 543, 548f. 46 Auf die Entscheidung macht bereits Faust BauR 2010, 1818, 1819ff. aufmerksam; vgl. dort auch den Hinweis auf BGH WM 1972, 800, 802.

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4. Das Selbstvornahmerecht des Bestellers 1106

Nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 kann der Besteller nach erfolglosem Ablauf der Nachfrist den Mangel des Werks selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn nicht der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht verweigert. Praktisch konkurriert der Anspruch mit der Minderung (§§ 634 Nr. 3, 638 Abs. 4 Satz 1). Denn auch diese eröffnet dem Besteller regelmäßig einen Anspruch auf die Reparaturkosten als Differenz zwischen dem Istwert der Werkleistung und deren Marktwert (Rn. 324). Eigenständige Bedeutung erlangt der Weg über § 637 allerdings in den Fällen, in denen der Aufwand für die Mängelbeseitigung über die vom Besteller geschuldete Vergütung hinausgeht: Im Anschluss an Rn. 1105: U verlegt im Neubau des B ein Abflussrohr in der Wand des Badezimmers. Als Vergütung sind 500 € vereinbart. Nachdem eine Mauer hochgezogen und Fliesen verlegt sind, stellt sich heraus, dass das Rohr mangelhaft verlegt wurde. Deshalb muss die Wand geöffnet, das Rohr repariert und danach die Wand nebst Befliesung restauriert werden (Gesamtkosten: 2.500 €). U lehnt all dies ab. Unter den Voraussetzungen des § 637 Abs. 1 kann B vollen Ersatz für die Kosten der Mängelbeseitigung beanspruchen; nach §§ 634 Nr. 3, 638 Abs. 4 Satz 1 kann B hingegen höchstens die gezahlte Vergütung vollständig zurückfordern (= 500 €).

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Der Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 setzt den Abschluss eines Werkvertrages, die Abnahme des Werks nach § 640 Abs. 1 Satz 1, einen Mangel iSd. § 633 und eine fruchtlose Nachfristsetzung voraus. Nach § 637 Abs. 2 Satz 1 finden die Ausnahmegründe des § 323 Abs. 2 entsprechende Anwendung. § 637 Abs. 2 Satz 2 verweist auf die Fälle des Fehlschlagens und der Unzumutbarkeit. Der Anspruch scheitert nach § 637 Abs. 1 letzter Halbsatz vor allem dann, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 zu Recht verweigert. Darin liegt eine Besonderheit des Aufwendungsersatzanspruchs im Verhältnis zu den anderen, gegenüber der Nacherfüllung subsidiären Sekundäransprüchen: Im Rahmen eines Anspruchs auf Rückgewähr der Vergütung nach §§ 634 Nr. 3, 346 Abs. 1 kann es dem Besteller nämlich gleichgültig sein, ob der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht oder zu Unrecht verweigert. Denn in beiden Fällen liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 vor, die zum sofortigen Rücktritt berechtigt (vgl. auch § 440 Satz 1 erster Fall). Im Rahmen des § 637 Abs. 1 stellt das fehlende Recht des Unternehmers zur Verweigerung der Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 hingegen eine zentrale Sachvoraussetzung dar. Dies hängt damit zusammen, dass das Selbstvornahmerecht nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 akzessorisch zum Nacherfüllungsanspruch des Bestellers nach §§ 634 Nr. 1, 635 besteht. Denn mit seiner Hilfe soll der Besteller in eigener Regie diejenige Mängelbeseitigung durchführen dürfen, die ihm der Werkunternehmer eigentlich als Nacherfüllung schuldet. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein Selbstvornahmerecht dort nicht in Betracht kommt, wo kein Nacherfüllungsanspruch besteht. § 635

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Abs. 3 könnte andernfalls dadurch umgangen werden, dass der Besteller die unverhältnismäßige Mängelbeseitigungsmaßnahme selbst durchführen und die dabei anfallenden Aufwendungen vom Werkunternehmer nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 ersetzt verlangen könnte. Nach § 637 Abs. 1 hat der Besteller einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen. Die Norm lehnt sich eng an den Wortlaut des § 670 an (Rn. 1284). Nach hM. handelt es sich um freiwillige Vermögensopfer, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Besteller auf Grund sachverständiger Beratung im Zeitpunkt der Nachbesserung für erforderlich halten durfte.47 Dazu zählen Gutachterkosten, da sich der Besteller nicht allein auf die Auskünfte des Werkunternehmers im Hinblick auf die geeignete Mängelbeseitigungsmaßnahme zu verlassen braucht und selbst oft nicht sachkundig ist.48 Nicht zum Aufwendungsersatz zählen hingegen unfreiwillige Vermögensopfer des Bestellers wie entgangener Gewinn (§ 252). Fraglich ist, ob der Besteller Aufwendungen für die eigene Arbeitsleistung ansetzen kann. Hier wiederholt sich die bekannte Diskussion um § 1835 Abs. 3 (dazu Rn. 402 und 784): Ein Ersatz kommt nur in Betracht, wenn die der Mangelbeseitigung zugrunde liegende Tätigkeit zu seinem Beruf zählt. § 637 Abs. 3 regelt schließlich den praktisch bedeutenden Anspruch auf Kostenvorschuss iHd. Anspruchs auf Aufwendungsersatz nach § 637 Abs. 1. Denn diesen kann der Besteller im Wege der Aufrechnung gegenüber dem Vergütungsanspruch des Unternehmers durchsetzen.

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5. Der Rücktritt

Die Ausübung des Rücktritts nach §§ 634 Nr. 3, 323 Abs. 1 führt wie beim Kauf zur Begründung eines Rückgewährschuldverhältnisses nach §§ 346ff. Voraussetzung ist neben einem Mangel iSd. § 633 eine ergebnislose Nachfristsetzung nach § 323 Abs. 1. Besonderheiten ergeben sich bei der Abgrenzung der Rechtsfolgen zwischen Rücktritt und Schadensersatz: (In Anlehnung an BGH 9.3.1983 – VIII ZR 11/82 = BGHZ 87, 104 = NJW 1983, 1479 – Dachziegelfall) B beauftragt Handwerker U mit einer provisorischen Grobeindeckung seines Daches; die Ziegel dazu stellt B selbst. Wegen Mängeln der handwerklichen Leistung des U bilden sich bei den auf dem Dach befestigten Ziegeln Risse und Absprengungen. Nach vergeblicher Nachfristsetzung verlangt B von U im Wege des Rücktritts ua. die Abdeckung des Dachs.

In dem im Kaufrecht angesiedelten Originalfall gewährte der BGH dem Käufer die Kosten der Abdeckung aus Verzug (§§ 280 Abs. 1, 2, 286), weil der Verkäufer seiner Abdeckungspflicht nach § 346 Abs. 1 nicht nachgekommen sei (S. 1480). § 346 Abs. 1 beruhe nämlich auf dem Rechtsgedanken, dass der Rücktrittsgläubiger so gestellt werden müsse, als habe er sich nicht auf den Vertrag 47 48

BGH NJW-RR 1991, 789; Staudinger/Peters/Jacoby § 634 Rn. 82ff. Staudinger/Peters/Jacoby § 634 Rn. 82.

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eingelassen (S. 1481). Dagegen spricht bereits, dass der Rücktritt den Gläubiger nur so stellt, als seien die Leistungen nicht ausgetauscht worden (Rn. 232); auf das negative Interesse ist er nicht gerichtet.49 Dennoch ging auch im Werkvertragsrecht eine starke Meinung von einem ähnlichen Umfang der Rücknahmeverpflichtung aus.50 Begründet wurde dies etwa aus § 1004 Abs. 1 Satz 1: Der Werkunternehmer stimme dem Eingriff in sein Eigentum nur unter der Voraussetzung einer mangelfreien Werkleistung zu.51 Allerdings ergeben sich die Duldungspflichten des Eigentümers iSd. § 1004 Abs. 2 aus den §§ 633ff., sodass es letztlich wieder auf den Umfang der werkvertraglichen Gewährleistung ankommt. Mit dieser Argumentation ist folglich nichts gewonnen. Eine andere Auffassung legt einen Gegenschluss aus der Abnahmepflicht nach § 640 Abs. 1 Satz 1 nahe: Wie der Besteller bei der Erfüllung der Herstellungspflicht zur Besitzergreifung am Werk verpflichtet sei, so sei der Unternehmer dies bei der Rückabwicklung.52 Ein solcher actus contrarius folgt jedoch nicht aus § 640 Abs. 1 Satz 1. Die zentrale Gefahr solcher Überlegungen liegt vor allem in der Begründung einer verschuldensunabhängigen Restitutionspflicht im Umfang des § 249 Abs. 1.53 Mit der Einführung des § 439 Abs. 3 erfolgt die Diskussion nun jedoch in einem anderen Kontext: Wenn bereits die Nacherfüllung im Kaufvertrag Aufwendungsersatz für den Ausbau der mangelhaften Sache umfasst, kann im Rahmen des §§ 634 Nr. 3, 346 Abs. 1 kaum ein geringeres Maß an Verantwortung herrschen, zumal den Werkunternehmer nach § 631 Abs. 2 eine erfolgsbezogene Pflicht trifft. § 439 Abs. 3 setzt allerdings das in der Sache verfehlte EuGH-Urteil in Sachen Weber/Putz (Rn. 175) um, was Vorsicht bei der Übertragung auf den Werkvertrag nahelegt. 6. Die Minderung 1111

Im Hinblick auf das Minderungsrecht nach §§ 634 Nr. 3, 638 ergeben sich kaum Besonderheiten im Vergleich mit §§ 437 Nr. 2, 441. Nach Auffassung des Gesetzgebers kann der Minderungsbetrag nach § 254 wegen Mitverschuldens des Bestellers zu kürzen sein, etwa wenn dieser dem Unternehmer ungeeignetes Material geliefert hat.54 Hat der Besteller bereits gezahlt, steht ihm ein Rückforderungsanspruch nach §§ 638 Abs. 4 iVm. 346 Abs. 1 zu. Ist das Recht auf Minderung verjährt, ist die Ausübung des Minderungsrechts unwirksam (§§ 634a Abs. 5, 218); allerdings verbleibt dem Besteller die Einrede nach § 634a Abs. 5.

Ähnlich Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 152ff. OLG Frankfurt BauR 1990, 473; vgl. die Darstellung bei Staudinger/Peters/Jacoby § 634 Rn. 103. 51 So, wenngleich eher zögernd Staudinger/Peters/Jacoby § 634 Rn. 104. 52 OLG Frankfurt BauR 1990, 473; Kornmeier NJW 1978, 2035; Peters JR 1979, 265. 53 Ähnlich Staudinger/Kaiser § 346 Rn. 152ff. 54 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 267, linke Spalte, unten. 49 50

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7. Der Schadensersatzanspruch des Bestellers a) Das Problem des unbehebbaren Mangels

Nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 bzw. 311a Abs. 2 Satz 1 kann der Besteller den mangelbedingten Schaden gegenüber dem Werkunternehmer liquidieren. Da ein Mangel nur vorliegen kann, wenn das Werk nach § 640 abgenommen ist, stellt sich die Frage, ob in den Fällen des unbehebbaren Mangels auch vor bzw. bei unterbliebener Abnahme ein Anspruch aus § 634 Nr. 4 in Betracht kommen kann.55 Problematisch daran erscheint, dass der Besteller nicht durch Mängelbehauptungen in den vom Werkunternehmer betriebenen Herstellungsprozess hineinregieren darf. Letzterem steht vielmehr das Recht zu, den Weg zum Erfolgseintritt frei zu bestimmen. Anders wären die Härten des funktionalen Mangelbegriffs (Rn. 1096) für den Werkunternehmer (Rn. 1097 und 1165) nicht zu rechtfertigen. Vor Abnahme braucht der Werkunternehmer sich daher grundsätzlich nicht auf „Mängelrügen“ des Bestellers einzulassen.56 Dieses Interesse entfällt allerdings, wenn der Mangel bis zur Abnahme objektiv nicht beseitigt werden kann. Dann dürfte ein Rechtsgedanke aus § 323 Abs. 4 greifen (Rn. 382). Ist das Scheitern des Vertrages nämlich offensichtlich, kann die Rechtsdurchsetzung für den Besteller nicht von der Entgegennahme des unerwünschten Werks bzw. von der Willkür des Unternehmers, ein solches überhaupt anzubieten, abhängen. Im Umkehrschluss aus § 640 Abs. 1 Satz 2 folgt ferner, dass der Besteller das Werk bei einem wesentlichen Mangel nicht abnehmen muss. Ist ein solcher wesentlicher Mangel aber nicht zu beseitigen, besteht das entsprechende Weigerungsrecht dauerhaft, ohne dass sich dadurch die Rechte des Bestellers schmälern: Auch hier muss er daher aus § 634 Nr. 4 vorgehen können.57

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b) § 251 Abs. 2

Der Umfang der vom Werkunternehmer geschuldeten Ersatzleistung bestimmt sich maßgeblich nach § 251 Abs. 2 Satz 1: (BGH 11.10.2012 – VII ZR 179/11 = NJW 2013, 370) B beauftragt U mit Heizungs- und Installationsarbeiten. Bei Abnahme stellt sich heraus, dass die Dämmung der Warm- und Kaltwasserleitungen nur 13 mm beträgt, während die aktuelle Energieeinsparverordnung eine Stärke von 20 mm vorsieht. Deshalb fordert B den U zur Verstärkung der Dämmung im Wege der Nacherfüllung auf. Dieser weigert sich unter Berufung auf den finanziellen Aufwand iHv. 43.923,73 € und den Umstand, dass B durch die geringere Dämmung pro Jahr nur 50 € an Mehrkosten infolge höheren Energieverbrauchs bei einer Lebensdauer von 20 Jahren entstehen. B verlangt darauf von U im Wege des Schadensersatzes 43.923,73 €. In Betracht kommt ein Anspruch des B gegen U aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1.58 Das von U erbrachte Werk ist mangelhaft, weil es die zum Zeitpunkt Dazu Joussen BauR 2009, 319ff.; Staudinger/Peters/Jacoby § 634 Rn. 157. Temming AcP 215 (2015) 18, 35; dazu auch Voit BauR 2011, 1063ff. Ähnlich OLG Köln NJW 2013, 1105; Temming AcP 215 (2015) 18, 36. AA. weniger überzeugend Jaensch NJW 2013, 1121, 1122: Anwendbar seien §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 und 3, 283 Satz 1 bzw. §§ 634 Nr. 4, 311a Abs. 2 Satz 1, weil es sich bei § 635 Abs. 3 um einen Fall der qualitativen Unmöglichkeit und damit einen Sonderfall gegenüber § 275 Abs. 1 bis 3 handele. 55 56 57 58

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der Abnahme geltenden technischen Regeln nicht einhält (Rn. 1099). Eine Frist zur Nacherfüllung ist wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung (§ 281 Abs. 2 erster Fall) entbehrlich. Das Vertretenmüssen des U wird schließlich nach § 280 Abs. 1 Satz 2 vermutet. Fraglich ist jedoch, ob B einen Schaden in der geltend gemachten Höhe liquidieren kann.

Eine Frage der haftungsbegründenen Kausalität liegt darin, ob ein Schadensersatzanspruch überhaupt begründet sein kann, wenn der Werkunternehmer die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten nach § 635 Abs. 3 verweigert hat und der Besteller stattdessen eine in der Sache vergleichbare Restitution nach § 249 Abs. 1 verlangt. Der BGH hält dies mit einem Argument aus § 275 Abs. 4 für möglich: Gegenüber dem Nacherfüllungsanspruch kann sich der Werkunternehmer auch auf § 275 Abs. 2 wegen Unmöglichkeit berufen (vgl. den Wortlaut des § 635 Abs. 3); in diesem Fall eröffnet jedoch § 275 Abs. 4 Schadensersatzansprüche des Gläubigers (Tz. 8). Das eigentliche Problem des Falles liegt daher in der vom Mangel zum Vermögensschaden führenden, haftungsausfüllenden Kausalität. Für die Berechnung der Höhe der Geldersatzleistung bestehen dabei zwei Methoden: Der Schadensersatz kann zunächst iHd. der Differenz zwischen dem aktuellen Verkehrswert des Werkes und seinem hypothetischen Verkehrswert in mangelfreiem Zustand berechnet werden (Schaden in Höhe des Minderwertes). Dieser Schaden entspricht vorliegend dem energiebedingten Mehraufwand (50 €) multipliziert mit der voraussichtlichen Lebensdauer des Werkes (20 Jahre). Danach beträgt der Schaden des B 1.000 €.

Alternativ ist eine Berechnung in Höhe der Aufwendungen möglich, die zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Werkes erforderlich sind (Tz. 10). Darum geht es dem Besteller vorliegend. Dieser Berechnungsart steht hier jedoch § 251 Abs. 2 Satz 1 entgegen. Bei unverhältnismäßigen Aufwendungen des Schuldners kommt nur eine Entschädigung des Gläubigers in Geld in Betracht. Von Unverhältnismäßigkeit geht der BGH aus, „wenn der in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwands steht und es dem Unternehmer nicht zugemutet werden kann, die vom Besteller in nicht sinnvoller Weise gemachten Aufwendungen tragen zu müssen“ (Tz. 11; Hervorhebungen durch den Verf.). Die Besonderheit der Entscheidung liegt darin, dass der in § 251 Abs. 2 Satz 1 vorausgesetzte Maßstab nach Ansicht des BGH dem des § 635 Abs. 3 entsprechen soll (Tz. 12): Begründet wird dies mit der Überlegung, dass der Schadensersatzanspruch den Besteller so stellen solle, wie er bei einer tauglichen Nacherfüllung stünde. Das im Rahmen des § 634 Nr. 4 hinzutretende Vertretenmüssen ändere daran nichts. Denn dieses werde auch bei der Konkretisierung der Unverhältnismäßigkeit in § 635 Abs. 3 berücksichtigt. Entsprechend falle das Verschulden bei § 635 Abs. 3 wie bei § 251 Abs. 2 Satz 1 gleichermaßen ins Gewicht (Tz. 12).

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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B hat daher nur einen Anspruch auf Schadensersatz nach der ersten Berechnungsmethode iHd. Minderwertes von 1.000 €.

Damit strahlt aber § 251 Abs. 2 Satz 1 auf § 635 Abs. 3 aus, was im Rückschluss bei § 635 Abs. 3 zu hohen Sachanforderungen führt.59 Nur in Ausnahmefällen60 dürften daher die Voraussetzungen des § 635 Abs. 3 vorliegen. Ein Bauträger schuldet ferner eine Nutzungsausfallentschädigung, wenn er mit der Herstellung des Bauwerks in Verzug gerät.61 Schließlich weist ein Neubau einen merkantilen Minderwert (Rn. 122) auf, wenn infolge einer Mängelbeseitigungsmaßnahme der Markt der Beschaffenheit der Immobilie ein geringeres Vertrauen entgegenbringt, als dies bei einem von vornherein mangelfrei errichteten Objekt der Fall wäre.62

1113a

c) Die Anwendbarkeit des § 281 Abs. 1 Satz 1 und das Verhältnis zu § 823 Abs. 1

Eigene Fragen wirft die Anwendbarkeit des § 281 Abs. 1 Satz 1 im Werkvertragsrecht auf. Ein für den Werkvertrag spezifisches Problem liegt nämlich darin, dass die Werkleistung häufig in unmittelbarer Nähe zu den sonstigen Rechtsgütern des Bestellers erbracht wird. Erleiden diese mangelbedingt eine Beeinträchtigung, kommen parallel Ansprüche aus § 823 Abs. 1 in Betracht, die keine Fristsetzung voraussetzen. Dann kann aus allgemeinen Überlegungen heraus auch im Rahmen der §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 keine Nachfristsetzung gefordert werden (vgl. dazu Rn. 340): (BGH 13.5.1986 – X ZR 35/85 = BGHZ 98, 45 = NJW 1986, 2307 – Altölwechsel) U soll für B eine „Inspektion mit Ölwechsel sowie Ersatz des Ölfilters und der Ventilschaftkappen“ durchführen. Später erleidet der Wagen des B einen Lagerschaden am Motor, weil das Ölansaugsieb an der Ölpumpe verstopft war. Ob dies durch einen vollständig unterbliebenen Ölwechsel oder die Verwendung einer falschen Ölsorte durch U verursacht wurde, kann nicht mehr aufgeklärt werden. B lässt nämlich den Motorschaden ohne Weiteres bei X beseitigen und verlangt von U Schadensersatz. Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz wegen Selbstvornahme nach §§ 634 Nr. 2, 637 scheitert vorliegend daran, dass B dem U keine Frist zur Nacherfüllung nach § 637 Abs. 1 gesetzt hat. Fraglich ist, ob er den entstandenen Aufwand dennoch als Schadensersatz nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 liquidieren kann.

Wie im Kaufrecht tritt bei der Konkretisierung des Schadensersatzes statt der Leistung iSd. § 280 Abs. 3 ein grundlegendes Problem auf (vgl. bereits Rn. 335): Die Metapher vom Schadensersatzanspruch, der den Erfüllungsanspruch surrogiert, passt nicht zum Schutzzweck der Nachfrist, dem Werkunternehmer eine zweite Andienungsmöglichkeit einzuräumen. Der BGH geht vorliegend Jaensch NJW 2013, 1121, 1124; Zepp NJW 2013, 373. Vgl. das Beispiel BGHZ 59, 365 = NJW 1973, 138 – Dachstuhlfall (in der Voraufl. an dieser Stelle); zu den strengen Voraussetzungen nun auch OLG Düsseldorf NJW 2014, 2802, 2803. 61 BGHZ 200, 203 = NJW 2014, 1374, Tz. 10ff. 62 BGH NJW 2013, 525, Tz. 19; dazu Walter/Korves NJW 2016, 1985ff. 59 60

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auf einer begrifflichen Ebene und nach altem Recht, wo es noch um die Länge der Verjährungsfrist ging, von einem Schaden statt der Leistung (Mangelschaden) aus, da der Ölwechsel gerade der Abwehr einschlägiger Motorschäden gedient hätte: „Ein derartiges Werk wird nicht nur unmittelbar am Motor selbst durchgeführt, seine mangelhafte Durchführung wirkt sich auch darüber hinaus in einem engen Zusammenhang im Motor selbst aus.“ (S. 2305). Folgt man dem, würde nach neuem Recht eine Nachfristsetzung erforderlich. Dies ist systematisch schwer damit vereinbar, dass der ebenfalls in Betracht kommende Anspruch aus § 823 Abs. 1 ein Fristsetzungserfordernis nicht kennt. Der Besteller darf in der Sonderrechtsbeziehung (Vertrag) aber nicht schlechter gestellt werden als im allgemeinen Verkehr (Deliktsrecht). Werden absolut geschützte Rechtsgüter iSd. § 823 Abs. 1 verletzt, findet daher der Übergang von der Naturalleistung zur Geldersatzleistung des Schuldners nicht nach § 281 Abs. 1 Satz 1, sondern nach §§ 249 Abs. 2, 250, 251 statt. Die Zwecksetzung der Nachfristsetzung, dem Werkunternehmer die Kosten einer Mängelbeseitigung durch Dritte zu ersparen, kann insbesondere im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 berücksichtigt werden.63 In einer neuen, leider nur sehr knapp begründeten Entscheidung schließt sich der BGH dem im Ergebnis an: (BGH 8.12.2011 – VII ZR 198/10 = NJW-RR 2012, 268) B führte in einem Alters- und Pflegeheim Installationsarbeiten durch. Nachdem es dabei zu einem Wasserschaden in dem Heim gekommen ist, beauftragt B den U mit den Trocknungsarbeiten. U wendet eine Trocknungsmethode an, die besonders große Schäden am Bauwerk anrichtet. Diese wären durch eine alternative Trocknungsmethode zu verhindern gewesen. B muss gegenüber dem Betreiber des Heims sämtliche Folgen der Trocknungsarbeiten beseitigen, also auch diejenigen, die allein durch die von U gewählte Methode entstanden sind. Er verlangt deshalb ohne Nachfristsetzung von U Schadensersatz. In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1. Der BGH geht davon aus, dass der vom Werkunternehmer verursachte Schaden an der Bausubstanz nicht durch Nacherfüllung beseitigt werden könne, denn hier passe der Normzweck des §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 nicht, dem Unternehmer eine zweite Möglichkeit zur Andienung einzuräumen (Tz. 12). Daran zeigt sich eine deutliche Tendenz, das Fristsetzungserfordernis nach § 281 Abs. 1 Satz 1 in diesen Fallkonstellationen zu verneinen.64 Der Schutz des Werkunternehmers beschränkt sich auf die den Besteller treffende Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 Satz 1: Könnte der Unternehmer nämlich die eingetretene Störung in einer für den Besteller zumutbaren Weise fachgerecht und kostengünstiger selbst beheben, muss er nicht dafür einstehen, dass der Besteller einen Dritten einschaltet, der eine höhere Vergütung verlangt, womit sich der Schaden vergrößert.65

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Aus dem alten Werkvertragsrecht ist schließlich die ähnlich liegende Problematik des Realisierungsschadens bekannt:

Ähnlich OLG Naumburg ZGS 2005, 77; in der Voraufl. an dieser Stelle erörtert. Dazu Looschelders JA 2012, 547f. Vgl. jetzt auch OLG Koblenz NJW 2014, 1246; zur Problematik Kannowski ZGS 2005, 455, 458f. 63 64 65

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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Beispiel66 Architekt U hat das Haus des B geplant und dabei die Tragkraft einer Zimmerdecke verabredungswidrig zu niedrig angesetzt. In dem nach den Plänen durch den Bauunternehmer X fertig gestellten Haus sind deshalb Umbauarbeiten erforderlich, die ebenfalls eine Neuplanung erfordern. Darf B hier ohne Weiteres einen Dritten mit der Neuplanung und den Umbauarbeiten beauftragen?

Nach altem Recht hat die Rechtsprechung vom Besteller – allerdings in anderem systematischen Zusammenhang und übertragen auf die heutigen Verhältnisse – nicht verlangt, dem Architekten eine Frist zur Nacherfüllung (Nachbesserung) zu setzen, da der Architekt nicht das Bauwerk in mangelfreiem Zustand schulde, sondern nur dessen Planung. Allerdings könne der Besteller seine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 Satz 1 verletzen, wenn der Architekt anbiete, den Fehler des Bauwerks selbst beseitigen zu lassen, und der Besteller dies nicht akzeptiert.67 In Fällen der vorliegenden Art sprechen nach neuem Recht zwei Argumente für eine Nachfristsetzung: Der Besteller kann nicht aus § 823 Abs. 1 gegen den Architekten (ohne Nachfristsetzung) vorgehen, weil dieser nicht in das Eigentum des Bestellers eingegriffen hat. Vielmehr hat er von Anfang an nur mangelbelastetes Eigentum erworben. Dies spricht im systematischen Vergleich eher dafür, dass der Anspruch nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 von einer Nachfristsetzung abhängen muss. Ferner verdient der Architekt als mit der Bauleitung vertrauter Experte die durch die Nacherfüllungsmöglichkeit vermittelte zweite Chance, um den Schaden gering zu halten. Diese betrifft nicht nur die Neuplanung, sondern auch die Umbauarbeiten. Die Betrauung des Architekten mit den Umbauarbeiten erscheint dem Besteller vor allem iSd. § 636 Satz 1 dritter Fall zumutbar. Ein Architekt arbeitet nämlich ständig mit Bauunternehmern zusammen und erscheint deshalb für die Koordinierung dieser Arbeiten kompetent. In den Fällen der Drittschadensliquidation kann der Anspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 allerdings eine Nachfristsetzung erfordern, bevor der Dritte mit der Mangelbeseitigung beginnt: (BGH, 14.1.2016 – VII ZR 271/14 = NJW 2016, 1089) B beauftragt den Architekten U mit der Erweiterung der ihr gehörenden Industriehalle. Durch Fehlplanung des U entstehen jedoch Schäden an den bereits vorhandenen Hallenböden. Die Halle ist zu dieser Zeit an die D-GmbH&Co. KG verpachtet, die laut Pachtvertrag gegenüber B verpflichtet ist, Schäden an der Halle auf eigene Kosten zu beseitigen. Die Schadensbeseitigung an den Hallenböden verursacht bei D einen finanziellen Aufwand iHv. 840.758,81 €. Diesen Betrag verlangt B von U als Schadensersatz. In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch der B gegen U aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281. Die Nachfristsetzung erscheint entbehrlich, weil U ein absolut geschütztes Rechtsgut des B (Eigentum) verletzt hat (Rn. 1114). Ein Vertretenmüssen des U wird nach § 280 Abs. 1 Satz 2 vermutet. Vgl. jetzt zur Haftung für mangelhafte Schallschutzplanung: BGH NJW 2013, 684. BGH NJW 1962, 1499; spätere Entscheidungen wie BGHZ 42, 16, 18 verweisen nur noch schematisch auf dieses erste Urteil.

66 67

1115a

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§ 8 Der Werkvertrag

Der Bestellerin ist vorliegend allerdings kein Eigenschaden entstanden, weil die Pächterin die Eigentumsbeeinträchtigung beseitigen musste, ohne auf die Bestellerin Rückgriff nehmen zu können (Tz. 21ff.). Doch darf die Bestellerin den Schaden der Pächterin nach der Lehre von der Drittschadensliquidation geltend machen, weil eine zufällige Schadensverlagerung vorliegt (Tz. 26ff.). Der Pächterin stehen gegenüber dem Werkunternehmer keine Ansprüche zu; der Bestellerin wiederum fehlt es am Schaden. Dies beruht aus Sicht des Unternehmers auf einem Zufall; denn die Vereinbarung im Pachtvertrag dient nicht seiner Entlastung (Tz. 27). Die Konstellation steht der Fallgruppe der Gefahrtragungsnormen (§ 447 Abs. 1) nahe (Rn. 496ff.). Probleme entstehen jedoch, wenn ein Nachfristsetzungserfordernis besteht: Abwandlung: U hat in der Halle Stromleitungen installiert, die nicht funktionieren. D beauftragt in Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Pachtvertrag ein Drittunternehmen mit der Reparatur.

Konsequenterweise muss hier der Schadensersatzanspruch der Bestellerin wegen Selbstvornahme ausgeschlossen sein (Rn. 203ff.). Denn sie eröffnet dem Unternehmer keine Möglichkeit zur zweiten Andienung. In dieser Dreieckssituation müsste die Bestellerin daher die Pächterin vorübergehend von ihrer Instandsetzungspflicht entbinden und dem Unternehmer eine Nachfrist setzen. d) Die Haftung für Aufklärungspflichtverletzungen und ihr Verhältnis zur Mängelhaftung 1116

Die Haftung des Werkunternehmers wegen eines Mangels des von ihm erbrachten Werks und wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht können ineinander übergehen. Dies zeigt gerade die Forsthaus-Entscheidung (Rn. 1096), bei der die Wahrung von Aufklärungspflichten allerdings anspruchsmindernd wirkt. In anderen Fällen führt die Verletzung der Aufklärungspflicht zur Anspruchsbegründung: (BGH 19.5.2011 – VII ZR 24/08 = NJW 2011, 3291) B beauftragte die Unternehmerin U mit dem Bau eines Hauses auf dem eigenen Grundstück. Vereinbarungsgemäß legte U eine Bodenplatte, die auf den Lastfall 1 ausgelegt war und die B auch im Sommer des ersten Baujahres abnahm. Ein winterlicher Frosteinbruch verursachte jedoch Risse in der Platte, die U nach Aufforderung durch B beseitigte. Nachträglich verlangt U die Abnahme der Plattenreparatur und die Zahlung einer Vergütung für diese. B lehnt beides ab, weil es sich um eine Nacherfüllungsmaßnahme gehandelt habe. U hingegen weist darauf hin, dass sie infolge der von B vorgelegten Bauzeitplanung davon ausgegangen sei, dass die Platte im Winter des ersten Baujahres bereits überbaut und daher vor der Frostgefahr geschützt sein werde. Deshalb habe sie nicht zu einer Bodenplatte geraten, die auf den Lastfall 2 hin ausgelegt gewesen sei. B verweist hingegen darauf, dass U spätestens im Herbst bekannt gewesen sei, dass die Bauzeitplanung der B nicht einzuhalten war. U macht im Gegenzug geltend, dass die Abnahme der Bodenplatte durch B nicht im Herbst, sondern bereits im Sommer erfolgt sei. Deshalb sei sie nicht verantwortlich. Besteht der Anspruch? Ein Anspruch auf Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 sowie ein nach Abnahme fälliger Vergütungsanspruch nach §§ 631 Abs. 1, 641 Abs. 1 Satz 1 kommen hier nur in Betracht,

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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wenn sich B und U auf einen Werkvertrag über die Reparatur der Bodenplatte (möglicherweise in Erweiterung des alten Vertrages) geeinigt haben. Fraglich ist, ob ein objektiver Beobachter in der Position der U die Aufforderung des B zur Reparatur der Platte nach §§ 133, 157 als einen Antrag in diesem Sinne verstehen durfte. Alternativ käme ein Verständnis als Nacherfüllungsverlangen nach §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 in Betracht. Von einem Nacherfüllungsverlangen ist aber nur auszugehen, wenn die Bodenplatte einen Mangel hatte.

Ein Mangel nach § 633 Abs. 2 scheidet aus, da eine Bodenplatte der vereinbarten Beschaffenheit (Lastfall 1) fehlerfrei montiert wurde. Im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 640 Abs. 1 Satz 1) eignete sie sich auch für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung auf dem Sommerbau (§ 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1). Danach kam zwischen den Parteien ein Änderungsvertrag zustande und U steht gegen B ein Anspruch auf Entrichtung der Vergütung nach § 631 Abs. 1 zu. Fraglich ist nur, ob B nicht wegen unterbliebener Aufklärung durch U mit einem Gegenanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 und der Rechtsfolge des § 389 aufrechnen kann.

Der BGH hält vorliegend einen Anspruch des Bestellers gegen den Werkunternehmer auf Schadlosstellung iHd. Sanierungskosten aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 für möglich, wenn der Werkunternehmer eine Aufklärungspflicht verletzt hat. Diese gründet auf § 242 und entsteht auch nach der Abnahme durch den Besteller, wenn der Werkunternehmer erkennen kann, dass wegen der Bauverzögerung und der fehlenden Frostsicherung der Platte Schäden drohen (Tz. 27). Als problematisch sieht das Gericht vor allem die Kausalität der Pflichtverletzung an, weil der Besteller darlegen muss, dass er auf den Hinweis des Werkunternehmers im Herbst eine neue, auf den Lastfall 2 ausgelegte Platte hätte verlegen lassen (Tz. 29). Ob hier die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greift (Rn. 1300f.), erscheint wegen der hohen Zusatzkosten des Bestellers zweifelhaft. In jedem Fall muss sich der Besteller ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 wegen der Bauverzögerung anrechnen lassen (Tz. 30). Wie beim Kauf- und Darlehensvertrag (Rn. 443, 675 und 680) entstehen Aufklärungspflichten auch im Werkvertrag nur im Ausnahmefall. Denn auch der Werkvertrag beruht auf einem Interessengegensatz der Parteien. Deshalb ist eine Vertragsseite gegenüber der anderen nur dann zur Aufklärung verpflichtet, wenn ihr ein Umstand bekannt ist, der den Vertrag aus Sicht der Gegenseite wirtschaftlich vereiteln würde und diese aufgrund der Verkehrssitte ausnahmsweise Aufklärung in diesem Punkt erwarten darf, etwa weil ein Wissensvorsprung des Werkunternehmers besteht. Ein solcher wird beim Werkvertrag aber in Normen wie § 635 Abs. 1 bereits vom Gesetzgeber vorausgesetzt. Daher können hier anlassbezogene Warn- und Hinweispflichten vergleichsweise leicht entstehen.68 Bei der Beauftragung zu Reparaturmaßnahmen treffen den Unternehmer etwa Aufklärungspflichten gegenüber dem Besteller, wenn die Repara68

MünchKomm/Busche § 631 Rn. 75ff.; Staudinger/Peters/Jacoby § 631 Rn. 49ff.

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turkosten den Wert der reparierten Sache deutlich übersteigen.69 Auch zählt es zu den (vor)vertraglichen Pflichten des Architekten, den Bauherrn so zu beraten, dass dieser die für ihn optimale Beschaffenheitsvereinbarung nach § 633 Abs. 2 Satz 1 abschließen kann:70 (BGH 8.1.1998 – VII ZR 141/97 = NJW-RR 1998, 668) B beauftragt den Architekten U mit der Planung einer Fahrstuhlanlage im Rahmen der Sanierung eines ihm gehörenden Altbaus. B stellt sich vor, dass bereits im Erdgeschoss ein Zugang zum Aufzug möglich ist. In der ersten Planung des U ist dies auch vorgesehen; nur ist dabei der Zugang zum Aufzug ausschließlich über einen schwer begehbaren Seiteneingang möglich. Einvernehmlich einigen sich B und U in Abänderung dieses Planes aber darauf, dass der Zugang vom Haupteingang aus möglich sein soll. Darauf verlegt U den Zugang zum Aufzug zum Haupteingang, dort aber – aus baulichen Gründen – in den ersten Stock. So wird die Fahrstuhlanlage auch gebaut. Nachträglich stellt sich heraus, dass zusätzlich ein Zugang im Erdgeschoss über einen leicht begehbaren Nebeneingang möglich gewesen wäre. Darüber hatte U den B nicht aufgeklärt. B verlangt nun 40.000 Euro, um nachträglich noch einen solchen Fahrstuhlzugang in das Erdgeschoss verlegen zu können. Der Anspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 171 setzt einen Mangel nach § 633 voraus.

Das in der Berufungsinstanz befasste Gericht ging davon aus, dass der Architekt das Gebäude genauso geplant hätte, wie dies nach § 633 Abs. 2 Satz 1 vereinbart worden war (S. 668). Dann liegt aber nicht die für den Mangel erforderliche Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit vor. Der BGH bejaht jedoch eine davon unabhängige Haftung des Architekten wegen Verletzung einer vertraglichen Aufklärungspflicht aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 und stellt auf einen anderen Punkt ab (S. 668): Beim Werkvertrag muss der Besteller und nicht der Werkunternehmer (Architekt) über die Art der technischen Ausführung entscheiden. Deshalb ist es Aufgabe des Architekten, den Besteller in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung treffen zu können und ihn vor der Planung über alle technischen Gestaltungsmöglichkeiten entsprechend aufzuklären (S. 668). Dies ist vorliegend unterblieben, weshalb der Architekt eine Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 schuldhaft verletzt hat und auf Schadensersatz haftet. 8. Das Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln nach § 641 Abs. 3 1119

Kann der Besteller die Beseitigung eines Mangels verlangen, so darf er gem. § 641 Abs. 3 erster Halbsatz nach der Fälligkeit die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung verweigern. Als angemessen gilt dabei nach § 641 Abs. 3 zweiter Halbsatz das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erDazu, wenngleich im Ergebnis verneinend OLG Hamm NJW-RR 1992, 1329. Vgl. auch BGH NJW 2013, 3442: risikoreiche Bodenverhältnisse; BGH NJW 2014, 3511: baurechtliche Genehmigungsfähigkeit. 71 Der Anspruch aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 wurde wohl wegen der Beschränkung in § 637 Abs. 1 im Hinblick auf § 635 Abs. 3 von vornherein nicht geltend gemacht! 69 70

III. Ansprüche und Rechte des Bestellers

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forderlichen Kosten. Dieser sog. „Druckzuschlag“ folgt der Dogmatik des Zurückbehaltungsrechts nach § 320: Der Gläubiger kann durch vorübergehende Zurückhaltung der geschuldeten Vergütung auf den Schuldner Druck ausüben, die vertraglich geschuldeten Pflichten zu erfüllen. Die Norm setzt deshalb voraus, dass der Besteller vom Unternehmer Nacherfüllung nach §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 verlangen kann.72 Liegen die Voraussetzungen dieses Anspruchs nämlich nicht vor bzw. kann der Unternehmer die Nacherfüllung nach § 635 Abs. 3 wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern, läuft jegliche Druckausübung im Hinblick auf die Mängelbeseitigung ins Leere. Ferner muss Fälligkeit der Vergütung eingetreten sein. Dies versteht sich in den Fällen des § 641 Abs. 1 (Abnahme) und des § 646 (Vollendung) von selbst, weil der Unternehmer vor diesem Zeitpunkt die Vergütung vom Besteller überhaupt nicht fordern darf. Aber auch im Fall der nach § 632a vereinbarten Abschlagszahlungen, die regelmäßig vor Abnahme und Vollendung fällig werden, kommt die Norm zur Anwendung (§ 632a Abs. 1 Satz 4). Dann kann allerdings häufig noch nicht von einem Mangel iSd. § 633 Abs. 2 die Rede sein, weil noch kein Gefahrübergang durch Abnahme oder Vollendung stattgefunden hat (Ausnahme: vereinbarte Teilabnahme). Der Besteller muss jedoch auch in diesem Fall auf den Werkunternehmer so einwirken können, dass dieser auf den nach § 631 Abs. 2 geschuldeten Erfolg hinwirkt. Die Norm ist also analog anwendbar, wenn der Besteller auf fehlerhafte Teilleistungen des Werkunternehmers in diesem Sinne aufmerksam wird. Die Höhe des zurückzubehaltenden Betrages kann sich schließlich um sonstige Sicherheitseinbehalte verringern, die sich der Besteller gegenüber dem Werkunternehmer vorbehalten hat und die eine ähnliche Zielrichtung verfolgen. Eine Spezialregelung trifft allerdings § 650m Abs. 2 für den Verbraucherbauvertrag. Danach muss dem Verbraucher eine Kreditsicherheit iHv. 5% der vereinbarten Gesamtvergütung gestellt werden. Dies kann nach § 650m Abs. 3 durch eine Garantieleistung, etwa eine Gewährleistungsbürgschaft (Rn. 1396), erfolgen. Die Sicherheit nach § 650m Abs. 2 ist allerdings nicht auf den nach § 641 Abs. 3 zurückzubehaltenden Betrag anzurechnen.73 Denn der Sicherheitseinbehalt besteht unabhängig vom Verhalten des Werkunternehmers. Druck kann der Besteller wiederum nur durch die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nach § 641 Abs. 3 erzeugen. Dass eine Anrechnung des Sicherheitseinbehalts dennoch in Betracht kommt, hat daher einen anderen Grund. Denn das Zurückbehaltungsrecht verfolgt einen doppelten Zweck. Einerseits erlaubt es die bereits erwähnte Druckausübung auf den Werkunternehmer, andererseits verhindert es aber auch Vorleistungen, die den Besteller mit dem Insolvenzrisiko des Werkunternehmers belasten. Denn scheitert der Werkunternehmer mit der Nacherfüllung endgültig, müsste der Besteller eine bereits erbrachte Vergütung durch Ausübung des Minderungs- oder Rücktrittsrechts vom Werk72 73

Unstr., vgl. nur MünchKomm/Busche § 641 Rn. 32. Ähnlich MünchKomm/Busche § 641 Rn. 33; BeckOK/Voit § 641 Rn. 36.

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unternehmer zurückfordern. Vor diesem Insolvenzrisiko schützen den Besteller der Druckzuschlag und der Sicherheitseinbehalt gleichermaßen. Deshalb ist der Betrag des Sicherheitseinbehalts im Rahmen des § 641 Abs. 3 zu berücksichtigen. 9. Die außerordentliche Kündigung nach § 648 und 648a 1121

Nach § 648 Satz 1 kann der Besteller den Werkvertrag jederzeit und ohne Angabe von Sachgründen bis zur Vollendung des Werks kündigen. Diese Lösungsmöglichkeit steht in engem Zusammenhang mit dem Rechtsgedanken des § 642, wonach der Besteller nicht zur Mitwirkung bei der Werkentstehung verpflichtet ist (Rn. 1171ff.). Ebensowenig wie der Besteller nämlich auf den Erfolg der Bemühungen des Unternehmers hinwirken muss, braucht er am Vertrag festzuhalten, damit die geschuldete Leistung erbracht werden kann. Durch Ausübung der Kündigung darf der Besteller darüber hinaus auch den Zustand der Ungewissheit über den Erfolgseintritt nach § 631 Abs. 2 beseitigen. Da der Unternehmer nämlich in der Wahl seiner Mittel frei ist (arg. e § 635 Abs. 1, 645 Abs. 1 Satz 1) und dem Besteller keine Rechenschaft über die erzielten Fortschritte schuldet, ist für den Besteller nicht notwendig erkennbar, ob der Unternehmer sich überhaupt um den geschuldeten Erfolg bemüht. Kündigt der Besteller,so ist der Unternehmer nach § 648 Satz 2 berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch infolge der frühzeitigen Vertragsbeendigung ersparte Aufwendungen anrechnen lassen. (BGH 27.1.2011 – VII ZR 133/10 = BGHZ 188, 149 = NJW 2011, 915) U schließt mit B einen Internet-Systemvertrag, im Rahmen dessen U dem B die Reservierung einer bestimmten Internet-Domain, die Gestattung und Programmierung einer individuellen Website und das Hosten der Website schuldet. Der Vertrag läuft über drei Jahre und verpflichtet B zur Zahlung eines monatlichen Entgelts von 120 €. Nachdem die Website errichtet und freigeschaltet ist, kündigt B den Vertrag mit U nach sechs Monaten. Da er die Monatsraten bis dahin in voller Höhe entrichtet hat, will er kein weiteres Entgelt mehr zahlen. Zu Recht?

In Betracht kommt ein Anspruch des U gegen B aus § 648 Satz 2. Der BGH ordnet den Internet-Systemvertrag als Werkvertrag ein, weil eine Reihe von einzelnen Erfolgen iSd. § 631 Abs. 2 geschuldet sei (Tz. 9).74 Fraglich ist dennoch, ob § 648 Satz 1 anwendbar ist.75 Dies ist bei Werkverträgen umstritten, die die fortgesetzte Erbringung von Werkleistungen auf unbestimmte Zeit zum Gegenstand haben, wie etwa ein Gebäudereinigungsvertrag. Begründet wird dies mit der Nähe dieser Verträge zum Dienstvertragsrecht: Hier dürfe für beide Parteien nur die Möglichkeit zu einer an Fristen gebunde-

Bestätigt: BGH NJW-RR 2015, 469, Tz. 16; aA. Kremer/Sander CR 2015, 146ff.: Servais, Der Softwarepflegevertrag, 2014 passim: Typenkombinationsvertrag; Überblick über die Diskussion bei Taeger NJW 2015, 3759, 3762f.; ders. NJW 2014, 3762f. 75 Ch. Förster ZGS 2011, 253, 255. 74

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nen ordentlichen Kündigung bestehen.76 Dem widerspricht der BGH mit der überzeugenden Überlegung, dass der Werkunternehmer auch in diesen Fällen kein über die Realisierung seines Vergütungsanspruchs hinausgehendes Interesse an der Ausführung der Vertragsleistung habe (Tz. 13). Diesem allein schutzwürdigen Vergütungsinteresse trägt aber § 648 Satz 2 Rechnung, indem er den Anspruch auf die Gegenleistung grundsätzlich erhält. Darin liegt ein bedeutender Unterschied zum Arbeitsvertrag. Dort anerkennt die ganz hM. nicht nur ein Entgeltinteresse des Arbeitnehmers, sondern auch einen Anspruch auf Ausübung der Tätigkeit (Arbeit) im Rahmen seines vertraglichen Verhältnisses zum Arbeitgeber (Beschäftigungsanspruch).77 Zugrunde liegt die personale Prägung des Arbeitsverhältnisses (vgl. auch Rn. 1020f.) und das Interesse des Arbeitnehmers, seine Fähigkeiten nicht zu verlieren bzw. auf aktuellem Stand zu halten.

Vorliegend stellt sich ferner die Frage, ob die Parteien durch die Vereinbarung einer festen Laufzeit von drei Jahren das Kündigungsrecht nach § 648 Satz 1 ausgeschlossen hatten. Ob eine formularmäßige Abbedingung des Kündigungsrechts nach § 648 Satz 1 überhaupt möglich ist, lässt der BGH offen (Tz. 16 aE.). Die Vereinbarung einer festen Laufzeit schließe die Kündigungsmöglichkeit nämlich nicht zwingend aus. Denn diese ziele wiederum allein auf das Vergütungsinteresse des Bestellers. Diesem aber trage § 648 Satz 2 im Falle einer vorzeitigen Kündigung ausreichend Rechnung (Tz. 16). Vorliegend hat der Besteller schließlich seine aus § 648 Satz 2 folgende Vergütungspflicht nicht mit der Zahlung von sechs Monatsraten erfüllt. Denn ein zentrales Problem bei der Anwendung des § 648 Satz 2 liegt darin, dass die dem Werkunternehmer geschuldete Vergütung aus zwei Komponenten besteht: Einerseits stellt sie eine echte Gegenleistung für die vom Werkunternehmer geschuldete Herstellung des Werkes dar (Entlohnung). Andererseits beinhaltet sie aber auch Aufwendungsersatz für das vom Hersteller gestellte Material, die eingeschalteten Hilfskräfte usw. Im Rahmen des § 648 Satz 2 darf nur dieser zweite, auf Aufwendungsersatz gerichtete Teil um mögliche Ersparnisse des Werkunternehmers gekürzt werden. Fraglich war daher, inwieweit die bereits entrichteten Raten auf die ungekürzt geschuldete Entlohnung des Werkunternehmers entfielen und inwieweit sie Aufwendungsersatzansprüche tilgten. Der BGH geht davon aus, dass zu Beginn der Laufzeit des Internet-System-Vertrages der Anteil der vom Unternehmer zu erbringenden Aufwendungen besonders hoch ist und daher die Zahlungen des Bestellers vor allem auf diese entfallen (Tz. 18). Erst mit zunehmender Laufzeit nimmt bei diesem Vertragstyp in den Monatsraten der Entlohnungsanteil gegenüber dem Aufwendungsersatzanteil zu, weil für den Werkunternehmer kaum noch Investitionen entstehen. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass die ersten sechs Monatsraten den auf die Gesamtlaufzeit des Vertrages berechneten Entlohnungsanspruch nur zu ei76 OLG Hamburg MDR 1972, 866; ebenso Staudinger/Peters/Jacoby § 649 Rn. 65; allgemeiner MünchKomm/Busche § 649 Rn. 4; aA. Bamberger/Roth/Voit § 649 Rn. 27 (= BeckOK). 77 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2015, § 19 Rn. 18.

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nem sehr geringen Teil getilgt haben, sodass der Besteller weiterhin zur Zahlung verpflichtet bleibt. Ergänzend wird im Schrifttum bemerkt, dass es für die Bemessung des Anspruchs aus § 648 S. 2 nicht darauf ankommen darf, wie die Gewinnerwartungen und Aufwendungsersatzanteile auf die einzelnen zu leistenden Monatsraten aufgeteilt sind.78 Vielmehr ist die Gesamtsumme der während der Laufzeit zu entrichtenden Vergütung um die ersparten Aufwendungen zu bereinigen. Dabei muss der Werkunternehmer dem für die Abzüge nach Satz 2 grundsätzlich beweisbelasteten Besteller im Hinblick auf die Höhe der ersparten Aufwendungen im Wege der sekundären Darlegungs- und Beweislast entgegenkommen (Rn. 1147). Insbesondere muss er zunächst durch Abrechnung darlegen, welcher Teil der Vergütung auf eine Entlohnung und welcher auf Aufwendungsersatzansprüche entfallen ist.79 Daran schließt sich die Frage an, ob der Vergütungsanspruch nach § 648 Satz 2 pauschaliert werden darf: (BGH 5.5.2011 – VII ZR 161/10 = NJW 2011, 3030) In den von Bauunternehmer U gegenüber dem privaten Bauherrn B gestellten AGB ist für den Fall der Ausübung einer Kündigung nach § 648 Satz 1 eine Pauschale für Aufwendungen und entgangenen Gewinn iHv. 15% der Gesamtvergütung vorgesehen. Dem Vertragsgegner wird allerdings die Möglichkeit des Nachweises für den Einzelfall eingeräumt, dass der U nach § 648 Satz 2 zustehende Betrag niedriger ausfällt.

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Fraglich ist, ob die Klausel gegen § 308 Nr. 7 lit. a verstößt. Nach dieser Norm ist eine Klausel unwirksam, wenn sie im Fall der Kündigung eine unangemessen hohe Vergütung für erbrachte Leistungen vorsieht (Tz. 12). Das zentrale Problem liegt in der Unangemessenheit der Pauschalierung. Für diese könnte § 648 Satz 3 sprechen. Danach wird nämlich vermutet, dass dem Unternehmer fünf vom Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden Vergütung zustehen. Fraglich ist jedoch, ob der Norm im vorliegenden Zusammenhang Leitbildcharakter zukommt. Denn nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll sie die Darlegungs- und Beweislast des Unternehmers in den Fällen des § 648 Satz 2 erleichtern.80 Ihrer Zwecksetzung nach zielt sie daher allein auf den Schutz des Unternehmers: Dieser soll einen vglw. niedrigen Betrag gegen den Besteller leicht durchsetzen können. Gemessen an diesem Zweck legt die Norm also kein Maß für den durchschnittlichen Vergütungssatz fest (Tz. 29). In anderem Zusammenhang geht der BGH vielmehr davon aus, dass der entsprechende Satz auch einmal bei 17,85% liegen kann.81 Umstritten ist ferner, ob der Besteller über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auch nach der Vollendung des Werks kündigen kann. Dies wird ihm teilweise versagt, weil er sich sonst durch die Kündigung seiner Abnahmepflicht nach

78 79 80 81

Dazu und zum Folgenden Peters LMK 2011, 316557. BGH ZGS 2011, 271, Tz. 12ff. BT-Drucks. 16/511, S. 17f. BGH NJW 2011, 1954, Tz. 32.

IV. Anspruchsübergreifende Probleme

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§ 640 Abs. 1 Satz 1 entziehen könne.82 Die Gegenansicht hält den Besteller indes bereits bei Vollendung des Werks für verpflichtet, die Vergütung zu zahlen, und gestattet die Kündigung bis zur Abnahme, weil diese sich auf den Vergütungsanspruch nicht mehr auswirken könne.83 Bestünde jedoch diese späte Kündigungsmöglichkeit, müsste sich der Werkunternehmer auch nach Vollendung auf die schwierige Abrechnung nach § 648 Satz 1 über die ersparten Aufwendungen einlassen (Rn. 1123). Die ist ihm über den Wortlaut des § 648 Satz 2 hinaus nicht zuzumuten.84 In § 648a ist die außerordentliche, fristlose Kündigung des Werkvertrags geregelt. Der Gesetzgeber rechtfertigt ein solches Kündigungsrecht neben dem Rücktritt (§ 634 Nr. 3) mit der regelmäßig langen Dauer des Erfüllungszeitraums beim Werkvertrag.85 Die Norm ist als Spezialfall gegenüber § 314 konzipiert (vgl. Abs. 3). Sie trägt einigen Besonderheiten der Kündigung im Werkvertragsrecht Rechnung: So schuldet der Besteller im Unterschied zum Fall des § 648 Satz 2 nicht die vollständige Vergütung, sondern nach Abs. 5 nur eine Teilvergütung, die dem Baufortschritt entspricht. Dies erinnert an die Wertersatzhaftung nach § 357d Satz 1 und folgt der gleichen Berechnungsart (vgl. daher das Beispiel Rn. 1090 am Ende). Zwecks Ermittlung der Höhe der Teilvergütung müssen beide Parteien bei der Feststellung des Leistungszustandes vor der Abnahme mitwirken (§ 648a Abs. 4 Satz 1). Aus Sicht des Bestellers handelt es sich um eine Obliegenheit; denn die fehlende Mitwirkung führt nicht zu Schadensersatzansprüchen, sondern lediglich zur Umkehr der Beweislast zu Lasten des nicht Mitwirkungswilligen (§ 648a Abs. 4 Satz 2). Insbesondere bedeutet die Feststellung nach § 648a Abs. 4 keine Abnahme iSd. § 640 Abs. 1 Satz 1, was unmittelbar aus § 650g Abs. 1 folgt.86 Der Bauvertrag sowie der Architekten- und Ingenieurvertrag sind gem. §§ 650h, 650q Abs. 1 nur schriftlich kündbar. Beim Architekten- und Ingenieurvertrag besteht zudem ein Sonderkündigungsrecht nach § 650r (Rn. 1136a).

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IV. Anspruchsübergreifende Probleme 1. Verjährung

In § 634a Abs. 1 Nr. 1 und 3 differenziert das Gesetz zwischen körperlich-gegenständlichen und unkörperlichen Werken. Nr. 1 sieht eine zweijährige Verjährung bei einem Werk vor, dessen Erfolg in der Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sache oder in der Erbringung von Planungs- und Überwachungsleistungen besteht. Für unkörperliche Werke bestimmt Nr. 3 hingegen die Verjährung nach den allgemeinen Regeln in drei Jahren (§ 195). Mit dieser 82 83 84 85 86

RGRK/Glanzmann, 12. Aufl. 1978, § 649 Rn. 2; Erman/Schwenker § 649 Rn. 8. Staudinger/Peters/Jacoby § 649 Rn. 14; Bamberger/Roth/Voit § 649 Rn. 3 (= BeckOK). MünchKomm/Busche § 649 Rn. 11. RegE BR-Drs. 123/16, S. 52. RegE BR-Drs. 123/16, S. 54.

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Unterscheidung will der Gesetzgeber der Schwierigkeit des Bestellers Rechnung tragen, Mängel bei solchen Werken überhaupt festzustellen.87 Im Übrigen kann bei unkörperlichen Leistungen der Lauf der Verjährung oft nicht mit der Abnahme beginnen, weil diese mangels Körperlichkeit ausscheidet (§ 646). Weiterhin rechtfertigt der Gesetzgeber die lange Verjährung damit, dass unkörperliche Leistungen oft nicht eindeutig dem Werkvertragsrecht zuzuordnen seien, sondern auch als Dienstverträge in Betracht kämen, wo die Ansprüche regelmäßig in drei Jahren verjähren. Nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 verjähren die in § 634 bezeichneten Ansprüche bei Bauwerken in fünf Jahren. Der Begriff des Bauwerks ist so auszulegen wie in § 438 Abs. 1 Nr. 2 BGB, weil diese Norm gerade auf § 634a Abs. 1 Nr. 2 abgestimmt ist. Es handelt sich um eine unbewegliche, in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache.88 Doch fällt nicht nur die Errichtung eines Bauwerks unter die Norm, sondern auch dessen Umbau und grundlegende Erneuerung.89 Diese Einschränkung gebietet sich aus der Überlegung, dass die Anwendung der großzügigen Verjährungsregelung nicht schon bei jeder kleineren Montageleistung zum Einsatz kommen kann. Entscheidend ist also, dass sich der Eingriff bei wertender Betrachtung mindestens als Teilneubau darstellt. Im Hinblick auf den Verjährungsbeginn differenziert das Gesetz in § 634a Abs. 2. In den Fällen von § 634a Abs. 1 Nr. 1 und 2 kommt es auf die Abnahme der Leistung durch den Besteller an. In diesem Zeitpunkt tritt nach § 641 Abs. 1 Satz 1 auch die Fälligkeit ein. Bei unkörperlichen Leistungen iSd. § 634a Abs. 1 Nr. 3 hingegen ist nach § 199 Abs. 1 das Ende des Jahres maßgeblich, in dem die Fälligkeit eintritt und die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Bestellers von den anspruchsbegründenden Umständen besteht. Nachbesserungsmaßnahmen, die ausdrücklich auf Kulanzbasis durchgeführt werden, begründen kein Anerkenntnis nach § 212 Abs. 1 Nr. 1, das zu einem Neubeginn der Verjährung führt.90 Nach Ablauf der Verjährung der Gewährleistungsansprüche bleibt dem Besteller jedoch stets das Leistungsverweigerungsrecht des § 215.91 Zu Problemen kommt es bei der Konkurrenz mit Ansprüchen aus unerlaubter Handlung: (Nach BGH 13.4.1972 – VII ZR 4/71 = BGHZ 58, 305 = NJW 1972, 1195) U hat für B eine Ölfeuerungsanlage erstellt. Sechs Jahre nach der Abnahme bricht ein Ölleitungsrohr und das Brennofengebäude geht in Flammen auf. Kann B von U Schadensersatz für das Gebäude verlangen?

Probleme entstehen vor allem durch den Verjährungsbeginn: Während die Ansprüche aus § 634a Abs. 1 Nr. 2 ab dem Zeitpunkt der Abnahme verjähren, 87 88 89 90 91

Dazu und zum Folgenden RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 264, linke Spalte. RGZ 56, 41; BGHZ 57, 60; BGH NJW 1992, 1445. MünchKomm/Busche § 634a Rn. 21; Staudinger/Peters/Jacoby § 634a Rn. 21f. BGH NJW 2012, 3229. BGH NJW 2016, 52, Tz. 12.

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hängt der Beginn der Verjährung von Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 von der Kenntnis des Geschädigten ab (vgl. auch die absolute Grenze in § 199 Abs. 3). Deshalb besteht nur in den Fällen des § 634a Abs. 1 Nr. 3 ein Gleichlauf zum Deliktsrecht. Wenn aber Werkleistungen in unmittelbarer Nähe zum Eigentum des Bestellers erbracht werden, darf der Verjährungszweck der § 634a Abs. 1 Nr. 1 und 2 nicht unterlaufen werden. Wie im Fall des § 548 Abs. 1 müssen daher die Ansprüche aus § 823 Abs. 1 ebenfalls entsprechend § 634a verjähren.92 Dasselbe gilt für die sog. nahen Mangelfolgeschäden. Dabei handelt es sich um Schäden neben der Leistung, die an den sonstigen Rechtsgütern des Bestellers durch eine an diesen erbrachte mangelhafte Leistung entstehen (vgl. zum Problem: Rn. 1114f.). Hier beginnt die Verjährung ebenfalls mit der Abnahme des Werks.93 2. Haftungsausschluss

Nimmt der Besteller ein mangelhaftes Werk ab (§ 640 Abs. 1 Satz 1), obwohl er den Mangel kennt, so stehen ihm die Rechte nach § 634 Nr. 1 bis 3 nur zu, wenn er sich diese wegen des Mangels bei der Abnahme vorbehält (§ 640 Abs. 3). Der Haftungsausschluss setzt positive Kenntnis des Bestellers vom Mangel voraus; eine § 442 Abs. 1 Satz 2 vergleichbare Regelung für den Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis fehlt.94 Zugrunde liegt die Überlegung, dass der Besteller als Nichtfachmann gegenüber dem in der Sache kompetenten Werkunternehmer mit seinen Mängelrechten nur dann ausgeschlossen ist, wenn er sich sehenden Auges und vorbehaltlos auf eine Funktionsstörung einlässt. Ansonsten steht das Wissensgefälle zwischen Besteller und Werkunternehmer, das ja auch in § 635 Abs. 1 vorausgesetzt ist und häufig bedeutend größer ausfällt als im Verhältnis von Verkäufer und Käufer, einer Erweiterung des Haftungsausschlusses entgegen. Damit sind auch Verbraucher durch § 640 Abs. 2 Satz 2 ausreichend geschützt: Sie müssen nach § 640 Abs. 2 Satz 2 nur über die Rechtsfolge des § 640 Abs. 2 Satz 1, nicht aber über die des Abs. 3 belehrt werden; auch ohne Belehrung greift daher der Haftungsausschluss zu ihren Lasten. Wegen bekannter Mängel behält der Besteller die Gewährleistungsrechte nach § 634 Nr. 1 bis 3 nur, wenn er sie sich bei Abnahme vorbehält. Probleme bereitet dabei die Abnahme durch Benutzung, da hier das Billigungselement nicht wie in einem Abnahmeprotokoll auf den Punkt gebracht wird, sondern konkludent erklärt wird. Im Schrifttum wird dem Besteller in diesem Fall eine Erprobungszeit von einigen wenigen Tagen (vgl. zur VOB/B in diesem Punkt Rn. 1133 sowie 92 Str.; wie hier H. Roth JZ 2001, 543f.; MünchKomm/Busche § 634a Rn. 13; AnwKommBGB/Raab § 634a Rn. 18; aA. Leenen JZ 2001, 552, 556; Staudinger/Peters/Jacoby § 634a Rn. 12 unter Berufung auf BGHZ 55, 392 und BGHZ 61, 203, die zur VOB ergingen. 93 BGH NJW 2011, 594, Tz. 9; OLG Karlsruhe NJW 2014, 1308, 1309; vgl. auch OLG München NJW 2015, 3314, 3316; dazu Taplan/Baumgartner NJW 2015, 3317. 94 Unstr. MünchKomm/Busche § 640 Rn. 30; Staudinger/Peters/Jacoby § 640 Rn. 57; Bamberger/Roth/Voit § 640 Rn. 35 (= BeckOK).

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Rn. 1144) zuerkannt, innerhalb derer er noch einen nach § 640 Abs. 3 wirksamen Vorbehalt erklären kann.95 Der Haftungsausschluss nach § 640 Abs. 3 berührt allerdings Schadensersatzansprüche nach § 634 Nr. 4 nicht, weil diese zusätzlich von einem Vertretenmüssen des Werkunternehmers abhängen. Liegen die Voraussetzungen des § 640 Abs. 3 im Einzelfall vor, stellt sich daher die Frage, ob der Besteller dem Werkunternehmer im Rahmen eines Anspruchs aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 eine Frist zur Nacherfüllung setzen muss. Denn Nacherfüllung selbst darf er wegen § 640 Abs. 3 ja nicht fordern. Die Frage muss bejaht werden, weil der Haftungsausschluss nach § 640 Abs. 3 auf den Schutz des Werkunternehmers zielt. Dieser Zweck würde sich jedoch in sein Gegenteil verkehren, wenn der Werkunternehmer nicht die Möglichkeit hätte, den Schadensersatzanspruch des Bestellers durch eine zweite Andienung abzuwenden.96 Kommt eine Nacherfüllung nach § 640 Abs. 3 nicht in Betracht, bezieht sich das Vertretenmüssen des Werkunternehmers nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 2 allein auf die Verursachung des Mangels (zum Gegenstand des Vertretenmüssens Rn. 330). Die Voraussetzungen des individualvertraglichen Haftungsausschlusses regelt § 639. Hier gelten die im Kaufrecht angestellten Überlegungen entsprechend. 3. Überblick über den Bauvertrag und ähnliche Verträge

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Ein Anwendungsschwerpunkt der §§ 631ff. liegt in Bauverträgen im weitesten Sinne. Sie werden durch eine Vielzahl von Spezialnormen ergänzt: Die §§ 650aff. regeln einige Sonderprobleme des Bauvertrages, die §§ 650iff. den Verbraucherbauvertrag (Rn. 1090), die §§ 650pff. betreffen den Architektenund Ingenieurvertrag (Rn. 1136a) und die §§ 650uf. den Bauträgervertrag. Die Einzelregelungen werden jeweils im systematischen Zusammenhang mit den Sachproblemen erörtert. Von übergeordneter Bedeutung erscheint dabei vor allem das Änderungs- und Anordnungsrecht des Bestellers nach § 650bf. Beispiel Verbraucher B hat mit U die Errichtung eines Einfamilienhauses auf einem ihm gehörenden Grundstück gegen eine Vergütung von 300.000 € vereinbart. In der Baubeschreibung nach § 650j, die in den Bauvertrag nach § 650k Abs. 1 eingegangen ist, war einer Beheizung der Wohnräume mittels Heizkörper vorgesehen. Nach Vertragsschluss verlangt B von U jedoch die Umstellung auf eine Fußbodenheizung. U verweigert diese, da er – was zutrifft – keine Erfahrungen mit dem Bau von Fußbodenheizungen hat. B ordnet darauf einseitig den Bau einer Fußbodenheizung an. Zwischen den Parteien stellt sich die Frage, ob der Einbau der Fußbodenheizung geschuldet ist und inwieweit sich dadurch die Vergütungsansprüche des U erhöhen. B kann gegen U ein Anspruch auf Einbau der Fußbodenheizung nach § 650b Abs. 2 Satz 2 zustehen. Die Parteien müssten dazu einen Bauvertrag nach § 650a geschlossen haben. 95 96

Bamberger/Roth/Voit § 640 Rn. 8 (= BeckOK). Moufang/Koos, in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Aufl. 2012, § 636 Rn. 123.

IV. Anspruchsübergreifende Probleme

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Der Typus des Bauvertrags in § 650a umfasst Verträge über die Herstellung, Wiederherstellung, Beseitigung oder den Umbau eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teil davon (Abs. 1 Satz 1) sowie die Instandhaltung eines Bauwerks (Abs. 2). Einerseits stellt er einen Sonderfall gegenüber den §§ 631ff. dar (Abs. 1 Satz 2). Andererseits bildet er den Grundtatbestand, auf den weitere Spezialtypen, zB. der Verbraucherbauvertrag (§ 650i; Rn. 1090), anknüpfen. Mit der Einführung des Anordnungsrechts nach § 650b Abs. 2 Satz 2 zielt der deutsche Gesetzgeber auf eine Regelung, wie sie in § 1 Abs. 3 und 4 VOB/ B bereits seit längerer Zeit vorgesehen ist. Er bezweckt damit, langfristige Streitigkeiten anlässlich einer Vertragsänderung zu vermeiden.97 Der innere Sachgrund dürfte jedoch in dem vom Besteller zu tragenden Verwendungsrisiko liegen: Trägt der Besteller einseitig den Nachteil der fehlenden oder verminderten Verwendbarkeit des späteren Bauwerks, muss er auf eine vorzeitige Vertragsänderung hinsteuern dürfen, wenn sich diese Gefahr anlässlich der gegenwärtigen Werkkonzeption abzeichnet.98 Die Norm erscheint jedoch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) nicht völlig bedenkenfrei, weil sie einen einseitigen Eingriff einer Partei in fest begründete Forderungen der anderen zulässt. Dogmatisch zählt das neugeschaffene Institut zu den sog. Neuverhandlungspflichten, die auch bei der Anwendung des § 313 Abs. 1 (Rn. 482) und im Darlehensrecht bei der Umschuldung von Überziehungskrediten begegnen (Rn. 652a) und dort das Prinzip „Pacta sunt servanda“ des § 241 Abs. 1 partiell außer Kraft setzen. Auch dort begründet die Rechtsprechung bzw. der Gesetzgeber die Verpflichtung einer Seite, mit der anderen über eine Vertragsänderung zu verhandeln. Im Gegensatz zum Anordnungsrecht fehlt es jedoch dort an ähnlich wirksamen Sanktionen, wenn die Gegenseite nicht verhandlungsbereit ist oder aus Sicht des Berechtigten nicht „richtig“ verhandelt. Begehrt der Besteller jedoch nach § 650b Abs. 1 Satz 1 eine Vertragsänderung, ist der Unternehmer verpflichtet, ein Angebot einschließlich der sich daraus ergebenden Mehr- oder Mindervergütung zu erstellen (Abs. 1 Satz 2). Dafür verbleiben ihm nach § 650b Abs. 2 Satz 1 30 Tage nach Zugang des Änderungsbegehrens seitens des Bestellers. Mit der Wahl dieses Fristbeginns will der Gesetzgeber Verschleppungstaktiken des Unternehmers vorbeugen.99 Kommt es innerhalb dieses Zeitraums nicht zu einer Einigung, kann der Besteller die Vertragsänderung einseitig anordnen (§ 650b Abs. 2 Satz 1). Vorliegend braucht B – entsprechend einem allgemeinen Rechtsgedanken aus §§ 281 Abs. 2 erster Fall, 323 Abs. 2 Nr. 1 – die 30-Tage-Frist nach § 650b Abs. 2 Satz 1 nicht abzuwarten, wenn U sein Änderungsbegehren ablehnt.

97 RegE BR-Drucks. 123/16, S. 56; zu den Problemen mit der VOB/B: Glöckner VuR 2016, 123, 128f. 98 Glöckner VuR 2016, 123, 129. 99 BT-Drucks. 18/11437 S. 48.

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§ 8 Der Werkvertrag

Der Unternehmer ist nun kraft Gesetzes verpflichtet, dieser Anordnung nachzukommen (§ 650b Abs. 2 Satz 2), worauf es zu einer gesetzlichen Anpassung der Vergütung kommt (§ 650c). Das entscheidende Druckmittel des Unternehmers in diesem Verhandlungsprozess beruht auf § 650c Abs. 3. Nach dieser Regelung kann der Unternehmer einen Abschlag iHv. 80 Prozent der nach § 650b Abs. 1 Satz 2 ausgewiesenen Mehrvergütung verlangen. Der Gesetzgeber will dem Unternehmer auf diese Weise schnelle Liquidität verschaffen und riskiert dafür – in Abweichung vom Prinzip des § 632a – die Gefahr einer Überzahlung durch den Besteller.100 Tatsächlich dürften damit die Verhandlungen nach § 650b Abs. 2 Satz 1 von vornherein unter dem Eindruck eines erheblichen Vorleistungsrisikos des Bestellers stattfinden.

Die Anordnung nach § 650b Abs. 2 Satz 1 stellt schließlich eine Steigerungsform eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 dar: Es handelt sich um eine einseitige gestaltende Willenserklärung, die den Inhalt des Bauvertrags verändert. Ihre Wirksamkeit setzt die Wahrung der Textform (§ 126b) voraus (§ 650b Abs. 2 Satz 1). Zugrunde liegen zwei unterschiedliche Schutzzwecke: einerseits die bessere Beweisbarkeit des Anordnungsgegenstandes und andererseits ein Übereilungsschutz zugunsten des Bestellers.101 Dieser zweite Gesichtspunkt erklärt sich vor allem im Hinblick auf das außergewöhnliche Volumen dieser Verträge (vgl. Rn. 1090), das auch ihrer Veränderung erhebliche wirtschaftliche Bedeutung verleiht. Offen bleibt, welche Anforderung an die Wahrung der Form des § 650b Abs. 2 Satz 1 zu stellen sind. Denn regelmäßig erscheint der Gegenstand der Anordnung komplex und kann von einem nicht unternehmerisch tätigen Besteller kaum technisch präzise konkretisiert werden. Weil die Formbedürftigkeit der Anordnung jedoch auch eine Beweisfunktion für den Unternehmer entfaltet, muss das Pflichtenprogramm des Unternehmers in ihr hinreichend präzise konkretisiert werden. Denn von diesem hängt nicht zuletzt die Anpassung des Vergütungsanspruchs nach § 650c ab.

Problematisch erscheinen deshalb die Folgen eines Formverstoßes. Wegen Formnichtigkeit nach § 125 Satz 1102 ist die Anordnung für den Unternehmer zunächst unbeachtlich. Kommt es dennoch zum Leistungsaustausch, soll der Besteller für die erbrachten Leistungen nach Bereicherungsrecht – insbesondere § 818 Abs. 2 – haften.103 Da jedoch keine Heilungsmöglichkeit besteht (vglb. § 518 Abs. 2), drohen Missbrauchsgefahren:. B hat als Folge einer rechtsanwaltlichen Beratung herausgefunden, dass seine Anordnung – weil zu unbestimmt – der Form des § 650b Abs. 2 Satz 1 nicht genügte. Er teilt dies U jedoch nicht mit, sondern lässt diesen das Bauwerk vollenden. Nachträglich verweist B den U auf die Rechtsfolge des § 125 Satz 1 und ist nun nur noch zur Leistung von Wertersatz nach § 818 Abs. 2, nicht aber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung bereit. Eine bereits 100 101 102 103

BT-Drucks. 18/11437 S. 48. BT-Drucks. 18/11437 S. 47. BT-Drucks. 18/11437 S. 47. BT-Drucks. 18/11437 S. 47.

IV. Anspruchsübergreifende Probleme

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an U entrichtete Vergütung kann B in diesem Fall wegen § 814 nicht mehr zurückfordern; auch ist ihm nach § 819 Abs. 1 BGB der Entreicherungseinwand verwehrt. Soweit es um noch ausstehende Forderungen des U geht, stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt B das nichtige Rechtsgeschäft eventuell konkludent nach § 141 bestätigt hat. Fehlt es auch daran, bleibt U nur eine Einwendung aus § 242.

Wirksam ist die Anordnung ferner nur, wenn die Vertragsänderung dem Unternehmer zumutbar ist (§ 650b Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2). An der Zumutbarkeit kann es fehlen, wenn der vereinbarte Werkerfolg nach § 631 Abs. 2 verändert wird (§ 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), nicht aber, wenn die Änderung zur Erreichung eines bereits vereinbarten Erfolgs notwendig ist (§ 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Das Gesetz legt es nahe, dass betriebsinterne Gründe gegen die Zumutbarkeit sprechen können; die Beweislast trägt insoweit der Unternehmer (§ 650b Abs. 1 Satz 3). Dazu äußert sich der Gesetzgeber so: „Dieses Zumutbarkeitskriterium kann beispielsweise die technischen Möglichkeiten, die Ausstattung und Qualifikation des Bauunternehmers betreffen, aber auch betriebsinterne Vorgänge. Bei der Abwägung, welche Leistungen für den Unternehmer zumutbar sind, sind die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen und müssen in einem ausgewogenen Verhältnis in die Bewertung einfließen. Zu berücksichtigen ist einerseits, dass der Unternehmer durch die Anordnung zu Leistungen verpflichtet wird, die nicht der ursprünglichen Vereinbarung der Parteien entsprechen. Die Schwelle für die Unzumutbarkeit einer Anordnung soll daher unterhalb der des allgemeinen Leistungsverweigerungsrechts wegen Unzumutbarkeit (§ 275 Absatz 2 und 3) liegen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass beide Vertragsparteien in dem Stadium der Abwicklung des Bauvertrags aneinander gebunden sind und ein Wechsel des Vertragspartners für den Besteller nur schwer möglich und mit hohen Kosten verbunden ist.“104

Im Beispiel stellt sich die Frage, worin genau der in § 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 genannte Werkerfolg liegt: in der Errichtung des Gebäudes oder der in ihm installierten Heizung. Nur im ersten Fall kann sich der Unternehmer auf Unzumutbarkeit nach § 650b Abs. 2 Satz 2 berufen. Die zugrunde liegende Einrede wird man ihm aber in jedem Fall zubilligen müssen, da er nach dem funktionalen Fehlerbegriff (Rn. 1096) für Fehlfunktionen der Heizung ohne Vertretenmüssen nach § 634 Nr. 1 bis 3 haftet. Dies steht der Möglichkeit entgegen, ihn gegen seinen Willen zu einer Werkleistung außerhalb seines Kompetenzbereiches zu zwingen; hier liegt auch eine Anwendung des Rechtsgedankens aus § 645 Abs. 1 nahe. Deshalb muss der in § 650b Abs. 1 Satz 1 angelegte Unterschied zwischen Werkerfolg (Nr. 1) und seiner Erreichung (Nr. 2) ausgehend von der Schutzwürdigkeit des Unternehmers erfolgen: Ein Fall der Nr. 1 dürfte daher regelmäßig vorliegen, wenn sich der Unternehmer gegenüber dem Besteller verteidigen darf. Die Fälle der Nr. 2 aber führen unmittelbar zu einer Gefahrenverantwortung des Bestellers nach § 645, weil dieser dem Unternehmer Vorgaben im Hinblick auf die Erreichung des Werkerfolgs macht (vgl. Rn. 1165). 104 RegE BR-Drucks. 123/16, S. 57.

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§ 8 Der Werkvertrag

Könnte B hier wirksam den Einbau einer Fußbodenheizung anordnen, woran Zweifel aus § 650b Abs. 2 Satz 2 bestehen, müssten die Gerichte auf der Grundlage des § 650c über eine anteile Erhöhung oder Senkung der geschuldeten Vergütung entscheiden.

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Fraglich ist schließlich, wer die Kosten für das Nachtragsangebot nach § 650b Abs. 1 Satz 1 trägt, wenn der Besteller unter dem Eindruck des auf ihn zukommenden Kostenvorschusses (§ 650c Abs. 3) von einer Vertragsänderung bzw. von einer einseitigen Anordnung Abstand nimmt. Gegen die Anwendung des § 632 Abs. 3 in diesem Fall spricht, dass der Unternehmer das Nachtragsangebot, anders als einen Kostenanschlag, nicht freiwillig, dh. aufgrund einer eigenen unternehmerischen Kalkulation, unterbreitet. Vielmehr muss er mit diesem die für ihn ungünstige Rechtsfolge des § 650b Abs. 2 Satz 2 abwenden. Da der Unternehmer aber im Interesse des Bestellers tätig wird, kommt im Einzelfall ein Ersatzanspruch aus § 670 analog in Betracht. Bei der Konkretisierung der Erforderlichkeit der Aufwendungen müssen die Sachgründe des Bestellers für sein Änderungsbegehren mit den finanziellen Belastungen des Unternehmers unter Beachtung von Treu und Glauben (§ 242) gegeneinander abgewogen werden. Neben die §§ 650aff. treten die Regelungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) in der Fassung vom 19.1.2016.105 Während Teil A der VOB das Vergaberecht im Anschluss an die §§ 97ff. GWB konkretisiert und Teil C allgemeine technische Vorschriften für Bauleistungen zum Gegenstand hat, interessiert vorliegend Teil B, der allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen beinhaltet, die von der öffentlichen Hand regelmäßig als AGB gestellt werden. Deren Wirkungsweise kennzeichnet ein Blick in § 310 Abs. 1 Satz 3. Denn § 307 Abs. 1 und 2 sowie § 308 Nr. 1a und 1b finden keine Anwendung auf Verträge, in die Teil B in der zum Vertragsschluss aktuellen Fassung insgesamt einbezogen ist. Die Norm will eine Inhaltskontrolle vermeiden, wenn Teil B der VOB vollständig einbezogen ist. Zugrunde liegt die Überlegung, dass die einzelnen in Teil B vorgesehenen Klauseln häufig mit den nach §§ 308f. geltenden Kontrollmaßstäben nicht zu vereinbaren sind, dass aber das vollständige Regelwerk ein Gerechtigkeitsmodell eigener Art schafft, weil die von den Vertragsseiten jeweils zu tragenden Nachteile und die mit ihnen korrespondierenden Vorteile in sich ausgeglichen sind und der Interessenlage des Bauvertrages in besonderer Weise gerecht werden.106 Dies betrifft etwa die fiktive Abnahme der Werkleistung nach § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B: Danach gilt die Bauleistung als abgenommen, wenn nach einer schriftlichen Mitteilung des Unternehmers an den Besteller über die Fertigstellung der Bauleistung zwölf Werktage verstrichen sind. Als Mitteilung in diesem Sinne gilt auch die Übersendung der Schlussrechnung.107 Ferner wird die Ab105 Bundesanzeiger AT 19.01.2016 B3; berichtigt durch Bundesanzeiger AT 01.04.2016 B1. 106 BGHZ 86, 135 = NJW 1984, 816, 818; aus aktueller Sicht etwa Jacoby ZGS 2009, 73ff. und

MünchKomm/Busche § 631 Rn. 155ff. 107 BGH NJW 1971, 838.

IV. Anspruchsübergreifende Probleme

843

nahme fingiert, wenn der Besteller die Leistung des Unternehmers in Benutzung genommen hat und seitdem sechs Werktage verstrichen sind (§ 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B). Problematisch ist hierbei der Begriff der Benutzung: Dazu genügt nicht das Begehen des Bauwerks, um Reparaturmaßnahmen vorzunehmen, sondern erforderlich ist eine Benutzung, die dem im Vertrag vorausgesetzten Verwendungszweck entspricht, weil nur sie das in § 640 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte Billigungselement beinhaltet.108 Diese Regelungen erscheinen – isoliert betrachtet – im Hinblick auf § 308 Nr. 5 lit. a und b als nicht unproblematisch, fügen sich jedoch insgesamt in ein den Interessen beider Seiten Rechnung tragendes Regelwerk. Nach § 13 Abs. 4 VOB/B wird ferner die Verjährung verkürzt, was nach § 309 Nr. 8 lit. bff. problematisch erscheint, abermals aber unter den Voraussetzungen des § 310 Abs. 1 Satz 3 hinzunehmen ist. Typische Bauverträge sind der Baubetreuungs- und der Bauträgervertrag. Beim Baubetreuungsvertrag verpflichtet der Besteller einen Unternehmer, auf seinem Grundstück ein Gebäude zu errichten. Der Unternehmer handelt dabei im eigenen Namen für fremde Rechnung und unterhält zum Bauherrn einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit Werkvertragscharakter (§§ 675 Abs. 1, 631 Abs. 1).109 Beim Bauträgervertrag (§ 650u) wird hingegen idR. auf einem Grundstück gebaut, das dem Interessenten noch nicht gehört (Beispiel Rn. 1099). Vertragsgegenstand ist entsprechend die Errichtung des Bauwerks und die anschließende Übereignung des bebauten Grundstücks. Es handelt sich dabei um einen Typenkombinationsvertrag aus kauf- und werkvertraglichen Elementen. Der Erwerb des Grundstücks richtet sich dabei nach Kaufrecht; auf die Errichtung des Gebäudes wendet die Rechtsprechung hingegen die §§ 631ff. an.110 Dies regeln § 650u Abs. 1 Satz 2 und 3 nun ausdrücklich (Beispiel Rn. 1099). Beide Teile des Vertrages unterliegen einheitlich der Beurkundungspflicht des § 311b Abs. 1, da nach dem Schutzzweck dieser Norm sämtliche Teile eines Vertrages der Beurkundung bedürfen, die in einer rechtlichen Einheit stehen.111 Der Bauträger bedarf für seine Tätigkeit der Genehmigung nach § 34c GewO. Die Voraussetzungen dieser Genehmigung regelt die Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV).112 Ihre große praktische Bedeutung beruht bislang darauf, dass in ihr – abweichend von § 641 Abs. 1 – eine Zahlungspflicht des Bestellers vor Abnahme des Werks, und zwar nach Baufortschritt, vorausgesetzt ist. Dies nimmt dem Bauunternehmer einen Teil der Last der Refinanzierung. Danach können etwa bei einem typischen Bauträgervertrag mit der Pflicht, dem Besteller das Grundstück zu übereignen, 30% der vereinbarten Gegenleistung nach Beginn der Erdarbeiten verlangt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 2 108 Ähnlich MünchKomm/Busche § 640 Rn. 18f. 109 MünchKomm/Busche § 631 Rn. 224; Staudinger/Peters/Jacoby Vorbem. zu §§ 631ff.

Rn. 156. 110 BGHZ 164, 255 = NJW 2006, 214, Tz. 11; kritisch nach altem Rechtsstand: MünchKomm/

Busche § 631 Rn. 227; Staudinger/Peters/Jacoby Vorbem. zu §§ 631ff. Rn. 152. 111 BGHZ 184, 345 = NJW 2010, 1449; MünchKomm/Kanzleiter § 311b Rn. 53 und 56. 112 BGBl. 1990 I, S. 2480; BGBl. 1997 I, S. 272; MünchKomm/Busche § 632a Rn. 17.

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§ 8 Der Werkvertrag

Nr. 1 MaBV), weitere 40% nach Rohbaufertigstellung (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 MaBV) usw. Insgesamt tritt also für die Werkleistung eine Fälligkeit nach Baufortschritt ein. Abschlagszahlungen ähnlicher Art sehen § 632a und inzidenter § 650m Abs. 1 sowie § 650v vor. Der Baubetreuer schließt Werkverträge mit Bauhandwerkern (Subunternehmern) und Lieferanten, und zwar im eigenen Namen. So formiert sich ein charakteristisches Leistungsdreieck, das eigene bereicherungsrechtliche Probleme aufwerfen kann: (BGH 5.10.1961 – VII ZR 207/60 = BGHZ 36, 30 = NJW 1961, 2251)113 Bauherr B hat den Baubetreuer U zur Errichtung eines Gebäudes eingeschaltet. Als U in Finanzierungsschwierigkeiten gerät, tritt er gegenüber dem Lieferanten L abredewidrig als Vertreter des B auf und schließt mit L im Namen des B einen Kaufvertrag über Einbaufenster; B weiß davon nichts. L liefert die Fenster an der Baustelle des B an, wo sie von den Arbeitern fest eingebaut werden. Später verlangt L von B Zahlung des Kaufpreises. Ein Anspruch aus § 433 Abs. 2 scheidet aus, weil B nicht durch U vertreten worden ist. Denn B hatte keinen Anlass, dem Baubetreuer U zur Erfüllung seiner Pflichten Vertretungsmacht nach § 167 Abs. 1 zu erteilen. In Betracht kommt eine Leistungskondiktion aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall. Erlangt hat B das Eigentum an den Fenstern durch Einbau nach § 946. Fraglich ist nur, ob dies durch Leistung des L geschah. Dazu müsste L anlässlich der Lieferung der Fenster gegenüber B eine Tilgungsbestimmung iSd. § 366 Abs. 1 abgegeben haben. Deren Auslegung bestimmt sich nach der Lehre vom objektiven Empfängerhorizont.114 Ein objektiver Empfänger in der Position des B ging aber anlässlich der Lieferung der Fenster von einer Leistung des U aus. Denn er rechnete damit, dass U gegenüber den Baustoffhändlern im eigenen Namen aufgetreten war und mit der Lieferung der Fenster die Verpflichtung aus dem nachgeschalteten Baubetreuungsvertrag mit B erfüllen wollte. Aus Sicht des B überbrachte daher L anlässlich der Lieferung eine Tilgungsbestimmung des U, und zwar als dessen Bote. Eine Leistung des L lag somit nicht vor. Auch die Eingriffskondiktion aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall scheitert vorliegend, und zwar am fehlenden Eingriff. Nach dem Rechtsfortwirkungsprinzip115 tritt die Eingriffskondiktion an die Stelle des untergegangenen Sachenrechts (§ 951 Abs. 1). Ob ein Eingriff vorliegt, beurteilt sich folglich danach, wem die Rechtsordnung die untergegangene Sache zugeordnet hat. Maßgeblich ist dabei die Wertentscheidung des § 816 Abs. 1 Satz 1 und 2, wonach der entgeltliche gutgläubige Eigentumserwerb kondiktionsfest ist. Bei hypothetischer Betrachtungsweise hätte B aber ebenso wie nach § 946 auch nach § 932 Abs. 1 Satz 1 gutgläubig Eigentum von U erwerben können. Weil dem auf der Ebene des Kausalverhältnisses ein entgeltliches Schuldverhältnis zugrunde lag, ist auch der erfolgte Eigentumserwerb nach § 946 aufgrund des Rechtsgedankens von § 816 Abs. 1 kondiktionsfest. Danach liegt kein Eingriff vor. Der Anspruch aus Eingriffskondiktion besteht nicht.

1136a

Die §§ 650pff. betreffen den Architekten- und des Ingenieurvertrag. Charakteristisch für beide Vertragstypen sind Planungs- und Überwachungsleistungen 113 Vgl. auch BGHZ 40, 272 = NJW 1964, 399. 114 Vgl. Reuter/Martinek, 2. Teilband, 2. Aufl. 2016, § 3 I 3 b; Larenz/Canaris II/2 § 70 III 3,

S. 218ff.; Medicus/Petersen BR Rn. 687. 115 Larenz/Canaris II/2 § 69 I 1 b, S. 169f.

IV. Anspruchsübergreifende Probleme

845

(§ 650p Abs. 1). Insbesondere den Architekten kann eine Doppelpflicht treffen, nämlich erstens die Baupläne zu erstellen (Bauplanungspflicht) und zweitens deren Durchführung zu überwachen (Bauleitungspflicht). § 650p stellt die zuvor umstrittene werkvertragliche Rechtsnatur dieses Vertragstyps klar (Rn. 1088).116 Planungsfehler stellen typische Mängel des Architektenvertrages dar (Rn. 1115, 1173);117 der Architekt kann aber auch wegen Verletzung von Aufklärungspflichten haften (Rn. 1118), wobei in beiden Fällen die sog. Sekundärverjährung greift (Rn. 1059). Eine Haftung aus §§ 634 Nr. 4, 280 kommt schließlich in Betracht, wenn der Architekt eine mit dem Besteller vereinbarte Baukostenobergrenze nicht einhält.118 Fraglich ist ferner, inwieweit der Architekt Repräsentant des Bauherrn ist, und zwar nach § 278 Satz 1 im Rahmen von Schadenseratzansprüchen anderer Bauunternehmer (Rn. 1173) und nach §§ 164ff. bei der Abnahme nach § 640 (Rn. 1144). § 650q bestimmt die Anwendbarkeit einer Reihe von Regelungen über den Bauvertrag und sieht insbesondere für den Fall der Anordnung nach § 650b eine Sonderregelung vor (Abs. 2). § 650r Abs. 1 räumt dem Besteller ein Sonderkündigungsrecht für den Fall ein, dass der Architekt die Planungsunterlagen vorlegt, die Bauleitpflichten aber noch nicht genau bestimmt sind. Der Gesetzgeber will auf diese Weise verhindern, dass der Besteller zu rasch einen umfassenden Architektenvertrag aus Bauplanung und Bauleitung abschließt, bevor er die Gesamtkosten übersieht.119 Der Architekt wiederum kann nach § 650r Abs. 2 durch Fristsetzung und Sonderkündigung den Schwebezustand beenden, der entsteht, wenn er dem Besteller die Planungsunterlagen vorlegt, dieser aber nicht zustimmend reagiert (§ 650p Abs. 2 Satz 2). In beiden Fällen schuldet der Besteller eine Teilvergütung (§ 650r Abs. 3). Die in § 650s eröffnete Möglichkeit der Teilabnahme soll einen früheren Verjährungsbeginn wegen der vom Architekten erbrachten Teilleistungen ermöglichen: Gerade weil die vom Architekten übernomme Pflicht zu Betreuung des Objektes sehr spät (nach Abschluss aller Bauarbeiten) abnahmefähig wird, würde der Lauf der Verjährung auch für die vom Architekten erbrachten Planungsleistungen nach § 634a Abs. 2 erst ab diesem Zeitpunkt beginnen; die Ansprüche gegen den Architekten verjährten deshalb insgesamt später als die gegen die übrigen Bauunternehmer und würde die Haftungsansprüche auf den Architekten kanalisieren.120 Die Norm verbessert daher ebenso wie § 650t (dazu bereits Rn. 1097 am Ende) die Stellung des Architekten im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung gegenüber dem Besteller.

116 117 118 119 120

RegE BR-Drucks. 123/16, S. 73. Vgl. auch BGH NJW 2013, 1593: Nichtbeachtung der Kostenvorstellungen des Bestellers. BGH NJW 2017, 386; dazu Fahrenbruch NJW 2017, 362. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 76. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 77.

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§ 8 Der Werkvertrag

V. Rechte des Unternehmers 1137

Im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen des Unternehmers steht der Vergütungsanspruch nach § 631 Abs. 1 (Rn. 1147). Zentrale Fälligkeitsvoraussetzung ist jedoch die Abnahme durch den Besteller. Auch auf diese hat der Unternehmer einen Anspruch, und zwar nach § 640 Abs. 1 Satz 1. 1. Anspruch auf Abnahme a) Bedeutung und Wesen der Abnahme

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Für den Werkvertrag ist eine Pflicht des Werkunternehmers zur Vorleistung charakteristisch (Rn. 1085): Der Unternehmer muss das Werk zunächst vollenden (§ 646), damit es vom Besteller abgenommen werden kann (§ 640 Abs. 1 Satz 1). Das Stadium der Vorleistung findet also erst in der Abnahme durch den Besteller seinen Abschluss. Mit der Abnahme treten danach folgende Rechtsfolgen ein: (1) Der Vergütungsanspruch wird nach § 641 Abs. 1 Satz 1 fällig und die Gegenleistungsgefahr geht nach § 644 Abs. 1 Satz 1 auf den Besteller über. (2) Der Herstellungsanspruch aus § 631 Abs. 1 konkretisiert sich auf die abgenommene Werkleistung und verwandelt sich in einen Nacherfüllungsanspruch nach §§ 634 Nr. 1, 635, wenn die Werkleistung Mängel iSd. § 633 Abs. 2 aufweist. (3) Behält sich der Besteller die Gewährleistungsrechte wegen bekannter Mängel nicht vor, droht ein Haftungsausschluss nach § 640 Abs. 3. (4) Die Verjährung der Gewährleistungsansprüche beginnt in den Fällen des § 634a Abs. 1 Nr. 1 und 2 nach § 634a Abs. 2 zu laufen. (5) Der Besteller trägt nun die Beweislast dafür, dass das Werk vor Gefahrübergang mangelhaft war (Rn. 1103). (6) Das Kündigungsrecht des Bestellers nach § 648 Satz 1 endet (Rn. 1125). Die Abnahme bedeutet nicht die Bestätigung der Mangelfreiheit des Werks. Dies ergibt sich bereits im Umkehrschluss aus § 640 Abs. 3; sie ist – wie aus einem weiteren Umkehrschluss aus § 650g Abs. 1 Satz 1 hervorgeht – auch nicht inhaltsgleich mit der Feststellung des Zustands des Werkes (Rn. 1146a). Die zentrale Funktion der Abnahme besteht vielmehr in einer § 243 Abs. 2 vergleichbaren Konkretisierung:121 Durch sie wird ein vom Unternehmer hergestelltes Leistungsobjekt zu dem nach § 631 Abs. 1 geschuldeten Werk. Daraus erklärt sich die geläufige Formulierung, durch die Abnahme billige der Besteller das Werk im Wesentlichen oder in der Hauptsache (dazu noch Rn. 1140). Allerdings muss der Besteller ein mangelhaftes Werk nicht abnehmen; dies folgt im Umkehrschluss aus § 640 Abs. 1 Satz 2, wonach die Abnahme wegen unwesentlicher Mängel nicht verweigert werden darf. Verweigert der Besteller die Abnahme hingegen zu Unrecht, kann der Werkunternehmer ihm eine angemes121 Jakobs AcP 183 (1983) 145, 155; Temming AcP 215 (2015) 17, 19f.

V. Rechte des Unternehmers

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sene Frist nach § 640 Abs. 2 setzen. Mit Fristablauf wird die Abnahme fingiert und die Rechtsfolgen der Abnahme (etwa die Fälligkeit der Vergütung) treten ein. Gleichzeitig kann der Unternehmer in diesem Fall die Feststellung des Zustands des Werks verlangen (§ 650g; Rn. 1146a). Nach hM. beruht die Abnahme auf einem Doppeltatbestand: zum einen auf der körperlichen Entgegennahme des Werks und zum anderen auf der Erklärung, dass das Werk im Wesentlichen vertragsgerecht erbracht worden sei. Ausschlaggebend für diese Sichtweise ist vor allem die Entstehungsgeschichte des § 640. Der Gedanke wird erstmals vom RG so formuliert: „Die Begriffe Annahme der Erfüllung (§ 341), Annahme als Erfüllung (§ 363) und Abnahme (§ 640) sind gleichbedeutend. Nicht jede bloß äußerliche Hinnahme der Leistung ist schon als Annahme der Erfüllung im Sinne des § 341 anzusehen. Andererseits ist es nicht unumgänglich erforderlich, daß der Empfänger die Erfüllung als eine tadellose angenommen hat. Es genügt, wenn der Gläubiger die Leistung körperlich hinnimmt und dabei, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend durch sein Verhalten bei und nach der Hinnahme, zu erkennen gibt, daß er die Leistung als eine der Hauptsache nach dem Vertrage entsprechende Erfüllung anerkenne“122.

Das Billigungselement erklärt sich aus der mit der Abnahme verbundenen Konkretisierungsfunktion (Rn. 1139); es ist neuerdings zu Unrecht wieder in die Kritk geraten.123 Mit gutem Grund wurde jedoch durch die Lehre vom eingliedrigen Abnahmebegriff die Frage aufgeworfen, warum neben dem Billigungselement eine körperliche Übergabe erforderlich ist.124 Man wird jedoch in der Übergabe eine ungeschriebene Formvorschrift erkennen, die derjenigen des Übergabeerfordernisses in § 929 Satz 1 nicht unähnlich ist.125 Beide Male geht es darum, dass sich die Ernsthaftigkeit des Willens der Parteien zu einer Rechtsänderung deutlich manifestieren muss. Im Besitzwechsel kommt dieser Wille auch für den Laien unmissverständlich zum Ausdruck. Durch ihn wird etwa ein Schweigen des Bestellers zu den sichtbaren Mängeln iSd. § 640 Abs. 3 beredt; eine Abnahme, die nicht an eine weniger klare Zäsur zwischen den Verantwortungsbereichen von Unternehmer und Besteller anknüpfen würde, brächte den Besteller in erhebliche Gefahr. Für diese Betrachtungsweise spricht auch die Parallelnorm des § 446 Satz 1, die in diesem Werk – entgegen der hM. 122 RGZ 57,337, 338f.; grundlegend dazu: Jakobs AcP 183 (1983) 145 und Pietsch, Die Abnahme im Werkvertragsrecht, 1976, S. 93ff. und 103ff.; aus neuerer Sicht: Temming AcP 215 (2015) 17, 22f. 123 So Staudinger/Peters/Jacoby § 640 Rn. 10ff. ua. im Hinblick auf die Meinungsfreiheit des Bestellers, keine Billigung abgeben zu wollen, und den Grundsatz der realen Leistungsbewirkung. Die Abnahme bewirkt jedoch keine Erfüllung iSd. § 362 Abs. 1 und beinhaltet auch keine Meinungsäußerung über die Qualitäten des Werks, sondern stellt nur eine § 243 Abs. 2 vergleichbare Konkretisierungshandlung dar, zu der der Besteller verpflichtet ist. 124 Jakobs AcP 183 (1983) 145, 159; dagegen, wenig überzeugend Temming AcP 215 (2015) 17, 45: so werde die „teleologische Binnenflexibilität“ erhalten; vgl. auch Böggering JuS 1978, 512; BeckOK/Voit § 640 Rn. 5 und 18. 125 MünchKomm/Oechsler § 929 Rn. 3; aus praktischer Sicht BeckOGK/Schmidt § 640 Rn. 4ff.

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§ 8 Der Werkvertrag

– ebenfalls als Doppeltatbestand verstanden wird (Rn. 90ff.); der Gedanke begegnet schließlich auch in § 766 Satz 1 (Rn. 1384). Mit der Abnahme verbindet sich schließlich ein hohes Missbrauchspotenzial auf Seiten des Bestellers:126 Dieser kann die Abnahme mit vorgeschobenen Mängelbehauptungen verweigern, nur um die Fälligkeit der Vergütung § 641 Abs. 1 faktisch hinauszuschieben. Das Gesetz begegnet dem mit der Möglichkeit der Abnahmefiktion nach Fristablauf (§ 640 Abs. 2) und mit dem Institut der Zustandsfeststellung nach § 650g (Rn. 1146a). Die Bestimmung der Rechtsnatur der Abnahme bereitet wegen ihres Doppelcharakters Schwierigkeiten. Das RG rückte teilweise das Element der Billigung in den Vordergrund und ging noch von einer Willenserklärung aus,127 teilweise stellte es aber auch auf die körperliche Entgegennahme ab und bejahte einen Realakt.128 Die heute hM. geht zu Recht von einer rechtsgeschäftsähnlichen Handlung des Bestellers aus.129 Denn der Eintritt der Rechtsfolgen der Abnahme hängt nicht vom Willen des Bestellers ab, sondern erfolgt kraft Gesetzes und knüpft nur äußerlich an den Bestellerwillen an. Zutreffender Auffassung nach ist die Abnahme nicht empfangsbedürftig:130 Dies zeigt sich an der in der VOB/B vorgesehenen Abnahme durch Benutzung seitens des Bestellers, die nicht nach außen, insbesondere nicht zum Unternehmer dringen muss (vgl. oben Rn. 1133). Ob die Abnahme nach §§ 119ff. analog angefochten werden kann, ist umstritten. Dabei geht es weniger um ihre Rechtsnatur als geschäftsähnliche Handlung; denn danach sind die Regelungen der Rechtsgeschäftslehre im Regelfall entsprechend anwendbar. Probleme werfen die Rechtsfolgen der Abnahme auf, die zugunsten des Werkunternehmers eine Vertrauensgrundlage schafft, die nicht mehr einseitig beseitigt werden kann. Dies gilt etwa für den Gewährleistungsausschluss nach § 640 Abs. 3. Nimmt der Besteller nämlich ein mangelhaftes Werk ab, obschon er den Mangel kennt, so stehen ihm die Rechte aus § 634 Nr. 1 bis 3 nur zu, wenn er sich diese bei der Abnahme vorbehält. Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist der Fall des Irrtums in dieser Norm mitgeregelt, und zwar auch für den Fall der arglistigen Täuschung. Die §§ 119ff. finden daher keine Anwendung.131 Nach der Gegenansicht132 ist die Anfechtung grundsätzlich möglich, wenn sie nicht gerade auf die Eigenschaften des Werks gemäß § 119 Abs. 2 gestützt wird. Denn diese Norm ist wie im Kaufrecht vom Zeitpunkt des Gefahrübergangs (Abnahme) an durch die spezielleren §§ 633ff. verdrängt, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (Rn. 478). Die Praxis hält wohl doch mit den besseren Argumenten eine AnTemming AcP 215 (2015) 17, 18 und 26. RGZ 110, 404, 406f. RGZ 109, 295, 296. MünchKomm/Busche § 640 Rn. 4; Bamberger/Roth/Voit § 640 Rn. 5 (= BeckOK); aA. für Willenserklärung: Jakobs AcP 183 (1983) 145, 163; Böggering JuS 1978, 512. 130 Vgl. nur Jakobs AcP 183 (1983) 145, 163; Böggering JuS 1978, 512. 131 Jakobs AcP 183 (1983) 145, 155; MünchKomm/Soergel, 3. Aufl. 1997, § 640 Rn. 26. 132 MünchKomm/Busche § 640 Rn. 5; Bamberger/Roth/Voit § 640 Rn. 15 (= BeckOK). 126 127 128 129

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fechtung der Abnahme für grundsätzlich unzulässig: Ein Bauherr hatte die konkludent erklärte Abnahme nachträglich angefochten, weil er sich bei ihrer Abgabe über den Zustand der Bauarbeiten getäuscht hatte. In Fällen dieser Art wiegt nämlich besonders schwer, dass mit der Abnahme der Lauf der Verjährung nach § 634a Abs. 2 beginnt,133 sodass die Anfechtung die in der Verjährung liegende gesetzliche Risikoverteilung zwischen Besteller und Werkunternehmer (vgl. zum Kaufvertrag Rn. 457) in einer Weise aus dem Gleichgewicht bringen könnte, die durch § 122 Abs. 1 nicht auszugleichen ist. Eine Ausnahme dürfte indes – wie stets – im Falle der arglistigen Täuschung des Bestellers durch den Werkunternehmer bestehen. b) Die Voraussetzungen der Abnahme

Die Abnahme setzt Abnahmefähigkeit und Vollendung des Werkes voraus. Die Abnahmefähigkeit bejaht die hM. bei allen körperlichen Werken und bei geistigen Werken, die sich in einem körperlichen Gegenstand niederschlagen.134 Neuere Auffassungen stellen auch auf den Bezug zur Nacherfüllung ab; danach soll es darauf ankommen, ob das Werk der Nacherfüllung zugänglich ist.135 Wegen der vielfältigen Rechtsfolgen der Abnahme (Rn. 1138) dürfte darin jedoch eine zu starke Verengung auf § 634 liegen. Im Einzelfall geht es praktisch nur darum, dass das Billigungselement nach außen durch den Vorgang einer körperlichen Entgegennahme erkennbar werden kann (Rn. 1140). Kommt dies wegen der äußeren Beschaffenheit des Werks nicht in Betracht, tritt in den Fällen des § 634a Abs. 2 und der §§ 641, 644 und 645 die Vollendung an die Stelle der Abnahme (§ 646; Rn. 1143). Die Abnahme setzt ferner die Vollendung des Werks durch den Unternehmer voraus. Grundsätzlich ist das Werk vollendet, wenn der nach § 631 Abs. 2 geschuldete Erfolg eingetreten ist. Eine bedeutende Einschränkung folgt allerdings aus § 640 Abs. 1 Satz 2: Unwesentliche Mängel stehen der Abnahme nämlich nicht entgegen. Wesentlich sind Mängel wiederum dann, wenn sie die zentralen Funktionen des Werks betreffen. Auch können viele kleine Störungen insgesamt einen wesentlichen Mangel ausmachen.136 Der Besteller muss die Abnahme des abnahmefähigen und vollendeten Werks schließlich erklären. Nach hM. beinhaltet dabei der Architektenvertrag keine konkludente Bevollmächtigung (§ 167 Abs. 1) zur Abnahmeerklärung für den Bauherrn:137 Dem Architekten obliegt vielmehr allein die „technische Abnahme“ von Einzelleistungen im Wege der Bauaufsicht. Wegen der weit reichenden Rechtsfolgen muss die Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 jedoch dem 133 OLG München NJW 2012, 397; vgl. allgemeiner BGH NJW-RR 2006, 1248. 134 RGZ 110, 404; BGH NJW-RR 1989, 160; MünchKomm/Busche § 640 Rn. 8f.; Staudinger/

Peters/Jacoby § 646 Rn. 2ff.; aA BeckOK/Voit § 640 Rn. 18. 135 Folnovic MDR 2008, 177, 178. 136 MünchKomm/Busche § 640 Rn. 13. 137 OLG Karlsruhe BauR 1971, 55; Brandt BauR 1972, 69; Jagenburg BauR 1978, 180, 185; Staudinger/Peters/Jacoby § 640 Rn. 24.

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§ 8 Der Werkvertrag

Besteller vorbehalten bleiben. Eine Vertretung kommt deshalb nur bei ausdrücklicher Bevollmächtigung des Architekten in Betracht. Eine konkludente Abnahme liegt vor allem in der vorbehaltlosen Zahlung der Vergütung.138 Weil die Vergütung erst nach Abnahme fällig wird (§ 641 Abs. 1), darf ein objektiver Beobachter in der Position des Unternehmers nach §§ 133, 157 analog bei ihrer Entrichtung grundsätzlich von einer stillschweigenden Abnahme ausgehen. Schließlich kann auch in der Werkbenutzung eine Abnahme liegen (vgl. Rn. 1130 und zur VOB/B Rn. 1133).139 Auf der Grundlage der §§ 133, 157 analog muss jedoch zwischen Werkbenutzung und Erprobung durch den Besteller unterschieden werden. Denn der Erprobung fehlt regelmäßig das in § 640 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte Element der Billigung des Werks als vertragsgemäß: (OLG München 24.1.1990 – 27 U 901/88 = NJW 1991, 2158) B betreibt ein Backunternehmen und bestellt bei U eine speziell für sein Unternehmen gefertigte Individualsoftware. Der Prozess der Erstellung zieht sich über längere Zeit hin, weil das Programm immer wieder Fehler aufweist und aus Sicht des B auch Anpassungsbedarf besteht. Im März 1986 nimmt B es teilweise für Abrechnungen in Betrieb; im April 1986 überweist er an U einen Teil der Vergütung. B und U streiten jetzt darum, ob das Programm insoweit einen Mangel aufweist, als es keine „Backzettel“ erfassen kann. U behauptet, diese Funktion sei nicht geschuldet gewesen. B sieht dies anders und verlangt Ende 1987 Nachbesserung. Der Nachbesserungsanspruch aus §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 besteht nur, wenn die Software mangelhaft ist. Dazu müsste ihr Istzustand von einer Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 633 Abs. 2 Satz 1 abweichen. Ob diese im Hinblick auf die „Backzettel-Funktion“ getroffen wurde, ist zwischen den Beteiligten streitig. Fraglich ist, wer die Beweislast für eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung trägt. Dies wäre nach § 363 der Besteller, wenn er die Software bereits nach § 640 Abs. 1 Satz 1 abgenommen hätte (Rn. 1103).

Software ist grundsätzlich der Abnahme zugänglich (S. 2158).140 Gerade bei Individualsoftware gestaltet sich der Herstellungsprozess jedoch aufgrund der hohen Fehleranfälligkeit häufig langwierig. Anpassungs- und Verbesserungsschritte des Herstellers fallen deshalb sukzessiv an, weil sich Anpassungsbedarf und Programmfehler erst bei der praktischen Erprobung des Programms durch den Besteller zeigen. Nach zutreffender Auffassung kann die Konsequenz allerdings nicht darin bestehen, dass der Unternehmer bis zur Beseitigung des letzten Fehlers oder bis zur letzten Anpassung des Programms an die Bedürfnisse des Bestellers mit der Geltendmachung seiner Vergütungsansprüche warten muss. Dafür spricht vor allem § 640 Abs. 1 Satz 2, wonach der Besteller die Abnahme nicht wegen unwesentlicher Fehler verweigern darf. Häufig erfolgt die Abnahme daher konkludent. Sie fällt in den Zeitpunkt, in dem der Besteller die Software trotz vorhandener Mängel in seinem Betrieb

138 Staudinger/Peters/Jacoby § 640 Rn. 26. 139 MünchKomm/Busche § 640 Rn. 18f.; Staudinger/Peters/Jacoby § 640 Rn. 26. 140 Ähnlich bereits zuvor OLG Hamm NJW 1990, 1609; Martinek, Moderne Vertragstypen,

Bd. 3, 1993, S. 18; MünchKomm/Busche § 640 Rn. 22.

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produktiv einsetzt.141 Auch vorliegend sieht das OLG in der Benutzung der Software und der anschließenden Zahlung eines Teils der Vergütung eine konkludente Abnahme durch den Besteller (S. 2158). Im Einzelfall stellt sich indes die Frage, ob die Benutzung auf einer echten Ingebrauchnahme (= Abnahme) oder nur einer Erprobung beruht.142 Um eine Erprobung handelt es sich, wenn der Besteller die Funktionalität der Software nur testen will. Hier bedeutet der Gebrauch der Sache noch nicht, dass der Besteller die Software iSd. § 640 Abs. 1 Satz 1 bereits als die nach dem Werkvertrag geschuldete Leistung billigt. Die Ingebrauchnahme beinhaltet indes genau dieses Billigungselement. Von ihr ist daher auszugehen, wenn sich der Besteller bereits die Vorteile der Software zu eigen macht. Dies ist vorliegend der Fall, sodass eine Abnahme vorliegt. Die Beweislast für das Vorhandensein von Mängeln trägt deshalb nach § 363 der Besteller (vgl. dazu oben Rn. 1103). Im Fall ist der Nachbesserungsanspruch des B aus §§ 634 Nr. 1, 635 daher unbegründet.

Auch die Veräußerung des Werks kommt als Indiz für einen stillschweigenden Abnahmewillen in Betracht. Wegen der weit reichenden Rechtsfolgen der Abnahme dürfen nach Auffassung der Rechtsprechung an deren tatsächliche Voraussetzungen allerdings nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden:143

1145

(BGH 25.4.1996 – X ZR 59/94 = NJW-RR 1996, 883) U hatte eine Maschine für die Fabrik der B erstellt. Diese lief jedoch zu keinem Zeitpunkt störungsfrei. Nach diversen Nacherfüllungsversuchen verlangt B von U schriftlich, die Maschine zurückzunehmen. Dies unterbleibt jedoch. Später wird B als Gesellschaft aufgelöst. Im Rahmen des Liquidationsverfahrens wird die Maschine an einen Dritten weiterveräußert. Nun klagt U gegen B auf Zahlung der Vergütung, da B abgenommen habe. Der Anspruch aus § 631 Abs. 1 wird hier nicht durch eine in der Weiterveräußerung liegende Abnahme gem. § 641 Abs. 1 Satz 1 fällig. Denn angesichts der klaren Verweigerung der Abnahme im Schreiben des B kann U anlässlich der Veräußerung nicht von einer konkludenten Abnahme ausgehen. Allerdings darf sich B jetzt gegenüber der Klage auf Vergütung nicht mehr einfach auf der Grundlage des § 641 Abs. 1 Satz 1 mit der fehlenden Abnahme verteidigen. Denn die Norm setzt voraus, dass die Abnahme noch nachholbar ist. Er muss dem Vergütungsanspruch vielmehr die Sachgründe (= Sachmängel) entgegensetzen, die ihn vormals zur Verweigerung der Abnahme berechtigten (S. 884; dazu bereits Rn. 1096). Für den Verlust der Maschine wird im Rahmen der §§ 634 Nr. 3, 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bzw. nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 gehaftet.

c) Abnahmepflicht und Abnahmeobliegenheit

Die Abnahme ist eine Hauptleistungspflicht des Bestellers. Erfüllt der Besteller diese nicht, kann der Werkunternehmer unmittelbar auf Zahlung der Vergütung klagen. Der Besteller muss sich dann gegen den Vergütungsansprüchen mit denselben Einwendungen verteidigen, die er ursprünglich dem Anspruch auf

141 Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 3, 1993, S. 18; MünchKomm/Busche § 640 Rn. 22. 142 Staudinger/Peters/Jacoby § 640 Rn. 23. 143 BGH NJW-RR 1996, 883.

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Abnahme entgegensetzte (vgl. die Beispiele Rn. 1096 und 1145).144 Zugleich bedeutet die Entgegennahme der Leistung aber auch eine Obliegenheit des Gläubigers. Versäumt der Besteller die Abnahme zu Unrecht, treten daher zwei Arten von Rechtsfolgen ein: Als Gläubiger gerät der Besteller in Annahmeverzug nach §§ 293ff., wobei es auf ein Vertretenmüssen – wie stets im Falle der Obliegenheitsverletzung – nicht ankommt. Gleichzeitig verletzt er als Schuldner echte Pflichten gegenüber dem Unternehmer. Dieser kann ihn mahnen und einen Verzögerungsschaden nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 liquidieren: Darunter fallen typischerweise Zinsen für die Zwischenfinanzierung bis zur Zahlung der Vergütung (idR. Überziehungszinsen auf einem Girokonto), Rechtsverfolgungskosten, die durch die Auseinandersetzung mit dem Besteller entstehen sowie Aufbewahrungs- und Unterhaltungskosten für das Werk. d) Pflicht zur Feststellung des Werkzustands bei Verweigerung der Abnahme 1146a

Das in der Abnahme vorausgesetzte positive Billigungselement wird gelegentlich als „Geburtsfehler des Werkvertragsrechts“ angesehen, weil sich mit ihm ein erhebliches Missbrauchspotenzial verbindet.145 Beispiel Kraft vertraglicher Vereinbarung ließ B von U ein Einfamilienhaus auf dem eigenen Grundstück errichten. Nach Fertigstellung des Hauses verweigert B gegenüber U die Abnahme, bezieht das Haus jedoch, weil U ihm den Schlüssel überlassen hat. U, der bereits Abschlagszahlungen nach §§ 650m, 632a Abs. 1 von B erhalten hat, fordert von B vergeblich den ausstehenden Restbetrag. Er befürchtet ferner, dass das Bewohnen des Hauses zu Schäden führen wird, für die er dann aus Gewährleistungsrecht haftbar gemacht wird. Was kann er tun?

In Fällen dieser Art kann der Unternehmer zunächst die fiktive Abnahme durch Fristsetzung nach § 640 Abs. 2 Satz 1 erzwingen, wobei er einen Verbraucher auf der Bestellerseite jedoch zuvor über die Folgen eines Fristversäumnisses belehren muss (§ 640 Abs. 2 Satz 2). Zugleich kommt auch eine konkludente Abnahme durch Benutzung nach § 640 Abs. 1 Satz 1 in Betracht (Rn. 1144). Beide Wege bestehen jedoch nur unter der Voraussetzung der Abnahmefähigkeit des Werkes: Dieses muss dazu frei von wesentlichen Mängeln sein (arg. e § 640 Abs. 1 Satz 2).146 Deshalb räumt das Beschreiten eines dieser beiden Wege auch nicht die weitere Gefahr aus, dass der Besteller das Werk durch seinen Gebrauch beschädigt und die daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen als wesentliche Mängel des Bauwerks gegen eine fiktive oder konkludente Abnahme anführt. Vor dieser Gefahr schützt den Unternehmer der Anspruch auf Zustandsfeststellung nach § 650g.147 Denn eine wirksame 144 145 146 147

BGH NJW-RR 1996, 883, 884 im Anschluss an RGZ 58, 173, 176; 69, 381, 383. Temming AcP 215 (2015) 17, 26; vgl. auch S. 18f. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 65. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 64.

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Zustandsfeststellung (Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2) begründet die Vermutung, dass offensichtliche Mängel, die in ihr nicht aufgeführt worden sind, nach der Zustandsfeststellung entstanden sind (Abs. 3 Satz 1). Darunter fallen Mängel, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Zustandsfeststellung ohne weiteres hätten entdeckt werden müssen.148 Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn der Mangel nach seiner Art nicht vom Besteller verursacht worden sein kann (Abs. 3 Satz 2; Beispiel: Materialfehler).149 Um diese Beweislastumkehr zu bewirken, kann der Unternehmer vom Besteller die Mitwirkung bei der Zustandsfeststellung verlangen (Abs. 1 Satz 1). Dabei dürfte es sich um eine Obliegenheit des Bestellers handeln; denn verweigert er die Mitwirkung, kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung allein vornehmen (Abs. 2 Satz 1), wenn der Besteller sich nicht im Hinblick auf ein Vertretenmüssen entlasten kann (Abs. 2 Satz 2). Eine Zustandsfeststellung kommt allerdings nur in Betracht, wenn das Werk iSd. § 640 Abs. 1 Satz 1 hergestellt ist. Denn vor diesem Zeitpunkt könnte der Unternehmer auch keine Abnahme vom Besteller verlangen. Für § 650g Abs. 1 kommt es hingegen nicht auf das Fehlen schwerer Mängel an: Denn die Norm soll gerade bei der Klärung der Frage helfen, ob Abnahmefähigkeit nach § 640 Abs. 1 Satz 2 bestand oder nicht. 2. Der Vergütungsanspruch a) Grundlagen

Nach § 631 Abs. 1 ist der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung (traditionell: Werklohn) verpflichtet. Gerade in Abgrenzung zum Auftrag nach § 662 setzt der Werkvertrag eine Vergütungspflicht regelmäßig voraus;150 im Zweifel gilt diese als stillschweigend vereinbart (§ 632 Abs. 1). Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung über die Höhe der Vergütung, kommt es nach § 632 Abs. 2 darauf an, ob eine Taxe besteht, ein unter hoheitlicher Mitwirkung oder Genehmigung festgesetzter Vergütungssatz, von dem die Parteien allerdings abweichen können. Darunter fällt etwa die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI),151 wenngleich dies aufgrund des teilweise zwingenden Charakters dieser Regelung bestritten wird.152 Die HOAI schätzt der BGH selbst als so kompliziert ein, dass er dem mit ihrem Regelwerk nicht vertrauten Besteller nicht zumutet, die Rechnung des Architekten auf ihre Rechtmäßigkeit nach dieser Ordnung hin zu überprüfen. In einer spektakulären Entscheidung sah er deshalb den Anspruch des Bestellers aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) nicht als verjährt an, obwohl mehr als drei Jahre seit der Abrechnung des Architekten vergangen waren. Denn die Verjährung habe man148 149 150 151 152

RegE BR-Drucks. 123/16, S. 65. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 65. Staudinger/Peters/Jacoby § 631 Rn. 60. MünchKomm/Busche § 632 Rn. 21. Staudinger/Peters/Jacoby § 632 Rn. 48.

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gels grob fahrlässiger Unkenntnis des Bestellers von den Rechnungsfehlern iSd. § 199 Abs. 1 Nr. 2 noch nicht zu laufen begonnen!153 Ansonsten gilt die übliche Vergütung als vereinbart. Dabei handelt es sich um das auf dem Markt im Durchschnitt vereinbarte Entgelt. In diesem Zusammenhang trägt der Werkunternehmer die Beweislast für die Höhe der vereinbarten Vergütung.154 Die Höhe der Vergütung kann insbesondere davon abhängen, ob eine Vergütungsvereinbarung fehlt, die den für den Unternehmer uU. günstigeren § 632 Abs. 2 verdrängt. Das Fehlen der Vergütungsvereinbarung stellt jedoch eine negative Tatsache dar, über die der Unternehmer nicht vollständig Beweis führen kann. Deshalb trifft den Besteller eine sekundäre Darlegungslast. Deren Grundlage liegt in der Obliegenheit, sich über die von der Gegenseite behaupteten Tatsachen zu erklären (§ 138 Abs. 2 ZPO), und im Gebot der fairen Prozessführung.155 Konkret trägt der Besteller die Last dazulegen, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Voraussetzungen eine Vergütungsvereinbarung getroffen worden sein soll. Dies eröffnet dem Unternehmer die Möglichkeit, diese Behauptung zu bestreiten und durch Beweise zu widerlegen.156 (OLG Saarbrücken 19.11.2014 – 2 U 172/13 = NJW 2015, 879) B verhandelt mit U über einen Vertrag betreffend Erdarbeiten und die Errichtung einer Stützmauer auf seinem Hausgrundstück. U erstellt auf Wunsch des B eine schriftliche Schätzung der zu erwartenden Vergütung iHv. 15.000 €. Darauf erteilte B dem U den Auftrag. Noch vor Beginn der Arbeiten rutscht der Hang des Grundstücks jedoch ab und B beauftragt den U mit Notmaßnahmen. Mit deren Durchführung sind erhebliche Räum- und Stützarbeiten verbunden. Nach Abschluss der Notmaßnahmen beginnt U mit den vertraglich vereinbarten Erd- und Stützarbeiten. Nach Vollendung fordert er insgesamt 28.000 €, wobei er die Erhöhung der Vergütung gegenüber dem geschätzten Betrag mit der Durchführung der Notmaßnahmen begründet. Die 15.000 € zahlt B umgehend. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung bestreitet er. U hingegen behauptet die 28.000 € entsprächen der üblichen Vergütung nach § 632 Abs. 2. In Betracht kommt ein Anspruch des U gegen B aus § 631 Abs. 1. Eine Vergütung wurde zwischen den Beteiligten dem Grunde nach vereinbart. Fraglich ist, ob deren Höhe auf 15.000 € beschränkt ist oder ob mangels einer Vereinbarung über die Höhe die übliche Vergütung nach § 632 Abs. 2 zweiter Fall (28.000 €) geschuldet ist.

Die Anwendbarkeit des § 632 Abs. 2 setzt voraus, dass keine Vereinbarung über die Vergütungshöhe besteht. Fraglich ist jedoch, ob der Unternehmer mit der Schätzung einen Antrag über die Vereinbarung eines Festpreises abgegeben hat, den der Besteller angenommen hat. Alternativ dazu kommt ein Kostenanschlag (Kostenvoranschlag) iSd. § 649 in Betracht (S. 879). Der Kostenanschlag stellt eine unverbindliche Berechnung der voraussichtlich anfallenden Kosten auf fachmännischer Grundlage dar.157 Er wird zur Geschäftsgrundlage des 153 BGH NJW 2012, 3569, Tz. 16. 154 Staudinger/Peters/Jacoby § 632 Rn. 139; Greiner ZGS 2010, 58. 155 BGH NJW 1990, 3151f.; mit abweichender Begründung MünchKomm ZPO/Wagner § 138

Rn. 22. 156 BGH NJW-RR 1996, 952. 157 OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 209; MünchKomm/Busche § 650 Rn. 3.

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Werkvertrags, wobei § 649 Abs. 1 einen Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für den Fall regelt, dass die prognostizierte Vergütungshöhe wesentlich überschritten wird (S. 879):158 Die Norm eröffnet dem Besteller ein Kündigungsrecht mit der Folge, dass er nur eine Teilvergütung iSd. § 645 Abs. 1 schuldet. Das OLG geht vorliegend von einem Kostenanschlag iSd. § 649 und nicht von einem Festpreisangebot aus (S. 880). Dafür spricht im Rahmen der §§ 133, 157, dass der Unternehmer keine Gewähr für die Richtigkeit iSd. § 649 Abs. 1 übernommen hatte und ein objektiver Beobachter in der Position des Bestellers nicht erwarten durfte, dass die Kalkulation des Unternehmers die Kosten für nicht vorauszusehende Notfallmaßnahmen abdecken würde. Fraglich ist jedoch, ob B mit einem Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 gem. §§ 387, 389 Satz 1 gegen den Vergütungsanspruch des U aufrechnen kann. U könnte nämlich die Pflicht aus § 649 Abs. 2 verletzt haben: Ist eine wesentliche Überschreitung des Kostenanschlags zu erwarten, muss der Unternehmer dies dem Besteller unverzüglich mitteilen, damit der Besteller den Werkvertrag mit der Rechtsfolge des § 649 Abs. 1 kündigen kann. Das OLG verneint jedoch zu Recht eine solche Pflichtverletzung, da angesichts der umfangreichen Notmaßnahmen eine Verteuerung gegenüber dem ursprünglichen Kostenanschlag für B offensichtlich war und keines Hinweises bedurfte (S. 880f.).

Kann der Umfang der Herstellungspflichten des Werkunternehmers bei Vertragsschluss noch nicht bestimmt werden, vereinbaren die Parteien häufig Stundensätze, um dem Werkunternehmer den Nachweis über die Höhe der Vergütung zu erleichtern: (BGH 17.4.2009 – VII ZR 164/07 = BGHZ 180, 235 = NJW 2009, 2199) B schließt einen Gutachtenvertrag mit Prof. U ab. Gegenstand ist die Begutachtung von Mängeln bei einem größeren Bauvorhaben. Es wird ein Stundensatz von 200 € für U selbst, 130 € für dessen Mitarbeiter und 50 € für Sekretariatsarbeit vereinbart. Nach Abnahme der Arbeiten des U rechnet dieser unter Nennung der aufgeführten Arbeitsstunden 700.000 € ab; weitere Angaben über die Art der Tätigkeit des U unterbleiben. B erhebt Einwände gegen die Höhe des von U errechneten Honorars. Besteht der Anspruch? Im Rahmen des von U erhobenen Vergütungsanspruchs aus § 631 Abs. 1 stellt sich die Frage, welche Vertragsseite die Höhe der Werklohnforderung darlegen und beweisen muss.

Die in § 632 Abs. 2 vorausgesetzte Beweislastverteilung ist vorliegend nicht anwendbar, da die Beteiligten eine Abrechnung nach Stundensätzen vereinbart haben. Deren Zweck liegt gerade darin, dem Unternehmer eine erleichterte Abrechnung zu ermöglichen und ihm die Darlegung des konkreten Aufwandes zu ersparen (Tz. 32ff.). Der Unternehmer ist danach lediglich verpflichtet, die geleisteten Stunden und die ihnen entsprechenden Stundensätze aufzuführen, nicht aber im Einzelnen darzulegen, welcher Aufwand ihm entstanden ist (Tz. 33f.). Fraglich ist daher, wie zu verfahren ist, wenn wie im vorliegenden Fall aus Sicht des Bestellers der Eindruck einer überhöhten, auf unwirtschaftlicher Tätigkeit des Unternehmers beruhenden Vergütungsforderung entsteht. Der Eindruck allein kann es allerdings nicht rechtfertigen, den Unterneh158 BGH NJW 2011, 989.

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mer entgegen den vertraglichen Vereinbarungen doch mit einer Aufschlüsselung aller vorgenommenen Tätigkeiten zu belasten. Denn dann würde die Vereinbarung von Stundensätzen ihr Ziel verfehlen. Der BGH trägt dem zugrunde liegenden Interessenkonflikt und der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast dadurch Rechnung, dass der Besteller gegenüber dem Werkunternehmer einen Freistellungsanspruch von der übermäßigen Vergütung aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 geltend machen kann, wobei die Pflichtverletzung des Unternehmers in einem unwirtschaftlichen Mehraufwand liegen soll (Tz. 35). Diese ungewöhnliche Konstruktion hat im Schrifttum Kritik hervorgerufen. Denn anders als etwa in den Fällen der Verletzung einer Pflicht nach § 649 Abs. 2 (Rn. 1147) kommt hier keine Aufrechnung gegen den Erfüllungsanspruch mit einem Schadensersatz des Schuldners in Betracht. Denn es fehlt an der in § 387 vorausgesetzten Gleichartigkeit: Der Werklohnforderung auf der einen Seite steht ein Anspruch auf Herabsetzung dieser Forderung auf der anderen gegenüber. Deshalb muss der Besteller seinen Schadensersatzanspruch dem Werkunternehmer einredeweise entgegensetzen.159 Hier liegt die Einrede des dolo agit aus § 242 nahe. Danach kann der Unternehmer nicht auf vollständiger Erfüllung des Vergütungsanspruchs bestehen, wenn er den Besteller teilweise von diesem freistellen muss.160 Die aufwendige Aufspaltung des einheitlichen Problems auf zwei Anspruchsgrundlagen – den Werklohnanspruch und den Freistellungsanspruch161 – ist erkennbar durch das Ziel einer interessengerechten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bedingt. Nach den Vorstellungen des BGH muss nämlich der Besteller zur Begründung seines Freistellungsanspruchs Tatsachen darlegen, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der vom Unternehmer erbrachten Werkleistungen ergibt (Tz. 37). Dabei sollen keine hohen Anforderungen gelten, weil der Besteller in die Tätigkeit des Unternehmers ja keinen näheren Einblick nehmen kann; allerdings scheidet auch eine Behauptung „ins Blaue hinein“ aus (Tz. 37). Voraussetzung für diese Darlegungs- und Beweislastverteilung ist jedoch, dass der Besteller die Möglichkeit hat, die vom Unternehmer vorgelegte Abrechnung auf ihre Wirtschaftlichkeit hin zu überprüfen (Tz. 38). Daraus ergibt sich wiederum eine sekundäre Darlegungslast des Werkunternehmers (vgl. bereits Rn. 1147), der bezüglich der Wirtschaftlichkeit sowie der Art und des Inhalts seiner Leistungen so viel vortragen muss, dass dem Besteller eine sachgerechte Prüfung möglich ist (Tz. 40). Offen bleibt die Frage, warum das Gericht dem Besteller nicht einfach eine aus § 821 bzw. § 242 abgeleitete Einwendung gegen die Werklohnhöhe zuerkennt, deren Voraussetzungen von der Bestellerseite darzulegen und zu beweisen wären. Auch hier müsste der Werkunternehmer dem Besteller mit einer se159 F. Bauer JZ 2010, 181, 183ff. 160 F. Bauer JZ 2010, 181, 185f. 161 Greiner ZGS 2010, 58, 59f.

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kundären Darlegungs- und Beweislast im dargestellten Umfang zur Hilfe kommen und die Herabsetzung des Vergütungsanspruchs wäre nicht von einem Vertretenmüssen des Werkunternehmers abhängig. Vor allem aber würde die weniger geglückte Aufspaltung einer einheitlichen Rechtsfrage auf zwei Anspruchsgrundlagen verhindert. Denn in der Sache geht es um eine Erforderlichkeitsprüfung wie im Fall des § 670: Dieser Norm liegt der Gerechtigkeitsgedanke zugrunde, dass mit der Rechtsmacht eines Vertragsbeteiligten, Vermögensentscheidungen zu treffen, für die die Gegenseite aufkommen muss, immer auch eine Bindung an das Interesse der Gegenseite einhergehen muss (ausführlich dazu Rn. 1284). Auf ein Vertretenmüssen (Verschulden) kommt es dabei regelmäßig nicht an. Denkbar erscheint jedoch, dass der BGH durch das Erfordernis eines Vertretenmüssens das Entstehen einer richterlichen Preiskontrolle unterhalb der Schwelle des § 138 verhindern will (arg. e § 307 Abs. 3 Satz 1). Denn so kommt die Herabsetzung des Vergütungsanspruchs nur ausnahmsweise in Betracht und hängt nicht allein von einer objektiven Bewertung ab, sondern von dem an den Werkunternehmer gerichteten Vorwurf, anders als im Verkehr üblich (§ 276 Abs. 2) zu Lasten des Bestellers unwirtschaftlich gehandelt zu haben. Bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 (wucherähnliches Rechtsgeschäft) lässt sich eine Preiskontrolle allerdings nicht vermeiden. Eine Besonderheit besteht in diesen Fällen darin, dass bei Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung die übliche Vergütung nach § 632 Abs. 2 geschuldet ist.162 Darin liegt keine geltungserhaltende Reduktion der Vergütungsvereinbarung, sondern eine notwendige Rechtsfolge aus dem lückenergänzenden Charakter des § 632 Abs. 2 (vgl. bereits Rn. 1043). Ein Grundlagenproblem des Werkvertragsrechts liegt weiter in der Frage, ob dem Unternehmer ein Anspruch auf Vergütung von Vorarbeiten zusteht (Entwürfe, Besuche beim Besteller usw.): (BGH 8.6.2004 – X ZR 211/02 = NJW-RR 2005, 19) B will ihre Kompostprodukte besser über den Groß- und Einzelhandel vertreiben und engagiert daher die Werbeagentur U für den Entwurf einer Kampagne. B und U gehen zunächst von einer längerfristigen Zusammenarbeit aus, doch signalisiert B bereits nach kurzer Zeit, dass sie aus Etatgründen nur einzelne Leistungen von U abrufen wird. So zahlt B für ein von U entwickeltes Logo rund 55.000 €, beendet aber dann den Geschäftskontakt mit U. U verlangt weitere 65.000 € mit folgender Begründung: Weil sie von einer dauerhaften Zusammenarbeit mit B ausgegangen sei, habe U erheblichen Aufwand für die Entwicklung eines Gesamtwerbekonzepts für B betrieben. Die geltend gemachte Summe erkläre sich aus Mitarbeiterstunden und Investitionen in dieses Konzept, das durch die Zahlungen seitens B nicht abgegolten sei. B verweigert die Zahlung. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 631 Abs. 1 auf Zahlung der Vergütung. Voraussetzung ist, dass eine Vergütungsabsprache auch über die Konzeptleistungen der U zustande kam. 162 Grundlegend BGHZ 179, 213 = NJW 2009, 835, Tz. 31ff.: der Einheitspreis für Mehrmengen überstieg den üblichen Preis um das Achthundertfache; BGH NJW 2013, 1953, Tz. 19: das Zwölffache; BGH NJW 2013, 1950: das Achtfache.

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§ 632 Abs. 3 klärt einen Teil dieses Grundlagenproblems: Danach ist der Kostenanschlag (Rn. 1147) im Zweifel nicht zu vergüten. Vorliegend stellt sich hingegen die Frage, ob eine stillschweigende Vereinbarung über die Vergütung der Vorarbeiten zustande gekommen ist. Dabei handelt es sich um eine nach §§ 133, 157 zu klärende Auslegungsfrage. Die im Schrifttum hM. geht davon aus, dass ein rechtsgeschäftlicher Wille zur Vergütung von Vorarbeiten dann nicht besteht, wenn im Anschluss an diese ein Vertrag mit dem Werkunternehmer geschlossen wird, im Rahmen dessen es zur Zahlung einer Vergütung kommt.163 Problematisch daran erscheint jedoch, dass ein rechtsgeschäftlich relevanter Wille zur Vergütung der Vorarbeiten in einem Zeitpunkt bestehen muss, in dem das Zustandekommen des Werkvertrags und die Zahlung einer Vergütung noch gar nicht feststehen. Der BGH stellt vorliegend darauf ab, ob zwischen den Beteiligten ein Werkvertrag über die Erbringung der Vorarbeiten geschlossen worden ist; sobald dies zu bejahen sei, greife § 632 Abs. 1 und ein Vergütungsanspruch sei entstanden (S. 20). Das Gericht versteht dabei § 632 Abs. 1 nicht als bloße Auslegungsregel, sondern als Institut des Interessenausgleichs zwischen den Vertragspartnern (S. 20). Vorliegend verneint der BGH einen entsprechenden Bindungswillen, weil die Werbeagentur bereits nach kurzer Zeit von der Bestellerin darauf hingewiesen worden sei, dass eine dauerhafte Zusammenarbeit nicht in Betracht komme. Daher habe sie einkalkulieren müssen, ihre Kosten durch Einzelaufträge zu amortisieren. Konsequenterweise habe sie nicht davon ausgehen dürfen, dass ihre Investitionen in eine dauerhafte Zusammenarbeit mit der Bestellerin auf eine vertragliche Grundlage gestellt würden (S. 20f.). Die Fragestellung erinnert an die Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und rechtsgeschäftlicher Verbindlichkeit. Diese hängt bekanntlich vom Rechtsbindungswillen der Parteien ab, der seinerseits bei erheblicher wirtschaftlichen Bedeutung der Tätigkeit bejaht wird (Rn. 754f.). Die wirtschaftliche Bedeutung der vorliegenden Angelegenheit war für die Werbeagentur zunächst wohl so groß, dass auch ein objektiver Beobachter in der Position der Bestellerin nach §§ 133, 157 nicht von einem unverbindlichen Tätigwerden der Agentur ausgehen konnte: Denn im Raum stand wohl eine längerfristige Partnerschaft in einer umfassenden Werbekampagne, die die Agentur rechtzeitig vorbereiten musste. Dies und die Unternehmereigenschaft der Bestellerin (§ 14) sprechen für den Abschluss eines Werkvertrages gleich zu Beginn des Geschäftskontakts. Diesen konnte die Bestellerin allerdings durch den Hinweis auf ihre Etatsorgen nach § 648 Satz 1 kurzfristig wieder kündigen. Dann steht der Werbeagentur aber ein Vergütungsanspruch nach §§ 648 Satz 2, 632 Abs. 2 unter Anrechnung ersparter Aufwendungen zu, und es stellt sich die Frage, wie hoch die von der Unternehmerin erbrachten Leistungen üblicherweise vergütet werden.

163 MünchKomm/Busche § 632 Rn. 10f.; Staudinger/Peters/Jacoby § 632 Rn. 110; RGRK/ Glanzmann, 12. Aufl. 1978, § 632 Rn. 7.

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b) Fälligkeit

Der Vergütungsanspruch wird grundsätzlich mit der Abnahme fällig (§ 641 Abs. 1 Satz 1); eine Ausnahme besteht nach § 650g Abs. 4 für Bauverträge (dazu unten). Die fehlende Abnahme begründet eine gegen den Vergütungsanspruch gerichtete Einwendung des Bestellers: Denn die Leistungszeit nach § 271 Abs. 2 ist noch nicht eingetreten. Der Werkunternehmer kann die Abnahme auch gegen den Willen des Bestellers durch Setzung einer angemessenen Frist nach § 640 Abs. 2 herbeiführen, wenn die sachlichen Voraussetzungen des § 640 Abs. 1 Satz 1 vorliegen (Rn. 1146a). Verweigert der Besteller die Abnahme endgültig, muss er sich daher gegen die auf Vergütung gerichtete Klage des Unternehmers mit den Gründen verteidigen, die er zuvor der Abnahmepflicht entgegengehalten hat (vgl. die Beispiele Rn. 1096 und 1145).164 Eine Ausnahme von der Fälligkeitsvorschrift des § 641 Abs. 1 Satz 1 begründet zunächst § 632a, wonach der Unternehmer von dem Besteller Abschlagszahlungen in Höhe des Wertes der von ihm erbrachten und nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen verlangen kann (Abs. 1 Satz 1). Die Einzelheiten sind für den Verbraucherbauvertrag in § 650m geregelt: Danach können grundsätzlich auch vom Verbraucher Abschläge nach Baufortschritt verlangt werden, doch ist die Summe sämtlicher Abschlagszahlungen auf 90% der Vergütung beschränkt (Abs. 1). Dadurch sollen verdeckte Vorleistungen des Verbrauchers vermieden werden.165 Auf diesen findet ferner § 650f (Rn. 1163), die Bauhandwerkersicherung, keine Anwendung (Abs. 6 Satz 1 Nr. 2; sog. Verbraucherprivileg). Doch hat der Verbraucher nach § 650m Abs. 2 im Gegenzug einen Anspruch auf Sicherheitsleistungen. Im Bauträgervertrag sind Abschlagsleistungen nur nach § 650v Abs. 1 iVm. mit einer Ausführungsverordnung zu Art. 244 EGBGB zu leisten. Maßgeblich war hier bislang die Makler- und Bauträgerverordnung (Rn. 1135). Bei sämtlichen Bauverträgen nach § 650a (Rn. 1132ff.) setzt die Fälligkeit gem. § 650g Abs. 4 Satz 1 neben der Abnahme (Nr. 1) die Erteilung einer prüffähigen Schlussrechnung durch den Unternehmer (Nr. 2) voraus. Die Prüffähigkeit hängt nach Satz 2 von ihrer Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit aus Sicht des Bestellers ab.166 Gemäß Satz 3 ist der Besteller jedoch nach Ablauf von 30 Tagen ab Zugang der Schlussrechnung im Hinblick auf die Prüffähigkeit präkludiert, wenn er innerhalb dieses Zeitraums keine begründeten Einwendungen erhoben hat. Der Gesetzgeber lässt ausdrücklich „salvatorische Einwendungen“ nicht genügen, sondern verlangt Einwendungen unter Angabe konkreter Sachgründe.167 Auf ein Verschulden des Versäumnisses kommt es für die Präklusionswirkung nach dem klaren Normwortlaut nicht an.

164 165 166 167

BGH NJW-RR 1996, 883, 884 im Anschluss an RGZ 58, 173, 176; 69, 381, 383. RegE BR-Drucks. 123/16, S. 69. BT-Drucks. 18/11437 S. 49. BT-Drucks. 18/11437 S. 48.

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§ 8 Der Werkvertrag

c) Sicherung des Vergütungsanspruchs 1154

Charakteristisch für den Werkvertrag ist die Vorleistungspflicht des Unternehmers (Rn. 1085). Denn der Vergütungsanspruch wird erst mit der Abnahme fällig (§ 641 Abs. 1 Satz 1), diese aber setzt die Vollendung des Werks voraus. Dadurch entsteht ein besonderes Sicherheitsinteresse des Werkunternehmers im Hinblick auf das in der Person des Bestellers liegende Insolvenzrisiko. Dem tragen die §§ 647ff. Rechnung. aa) Das Werkunternehmerpfandrecht

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Nach § 647 hat der Unternehmer für seine Forderungen aus dem Werkvertrag ein Pfandrecht an den von ihm hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen des Bestellers, wenn diese bei der Herstellung oder zum Zwecke der Ausbesserung in seinen Besitz gelangt sind. Die Norm bezieht sich auf bewegliche Sachen, an denen der Werkunternehmer vertragsgemäß Besitz begründet hat. Nach dem Normwortlaut muss die Sache zudem im Eigentum des Bestellers stehen: (BGH 21.12.1960 – VIII ZR 89/59 = BGHZ 34, 122 = NJW 1961, 499) E hat an B ein Kfz unter Eigentumsvorbehalt veräußert und übergeben. B wird in einen Unfall verwickelt und bringt das Fahrzeug zu U in Reparatur. Dabei entsteht ein Vergütungsanspruch des U über 1.300 €. B fällt jedoch während der Reparaturzeit in Insolvenz, sodass E vom Kaufvertrag mit B erfolgreich zurücktritt. E fordert das Kfz nun von U heraus. U will das Fahrzeug indes nur gegen Erfüllung des Vergütungsanspruchs herausgeben. Dem Herausgabeanspruch des E aus § 985 kann U kein von B abgeleitetes Besitzrecht nach § 986 Abs. 1 Satz 1 entgegenhalten; denn B selbst hat sein Besitzrecht gegenüber E infolge des Rücktritts vom Kaufvertrag verloren. Fraglich ist deshalb, ob U ein Besitzrecht aufgrund des Werkunternehmerpfandrechts nach § 647 zusteht. Allerdings befand sich das Kfz im Eigentum des E und nicht im Eigentum des Bestellers B.

Grundsätzlich steht einem Gläubiger kein Verwertungsrecht an schuldnerfremdem Vermögen zu. Daran stört, dass der Unternehmer die Rechtsverhältnisse im Innenverhältnis zwischen Besteller und Eigentümer nicht durchschauen kann und daher der Vindikation aus § 985 schutzlos ausgeliefert erscheint. Auch befremdet, dass die Reparatur gerade auch im Interesse des Vorbehaltsverkäufers erfolgte und diesem im Zweifel vom Vorbehaltskäufer geschuldet war. Als mögliche Problemlösungen werden das Besitzrecht nach § 986 oder das Zurückbehaltungsrecht nach § 1000 diskutiert. Der BGH wendet § 1000 entsprechend an (S. 500): Im Reparaturaufwand des Unternehmers erkennt er Verwendungen im Sinne eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nach §§ 987ff. Ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis besteht zum Zeitpunkt der Verwendungen aber nur dann, wenn der Besitzer (hier: der Werkunternehmer) gegenüber dem Eigentümer kein Besitzrecht hat. Der Werkunternehmer hat die Reparatur jedoch vor dem Rücktritt durch den Eigentümer vorgenommen, also zu einem Zeitpunkt, in dem er selbst noch gegenüber dem Eigentümer ein durch den Besteller vermitteltes Besitzrecht hatte (§ 986 Abs. 1 Satz 1). Darin sieht der BGH jedoch keinen Hinderungsgrund für eine analoge Anwendung

V. Rechte des Unternehmers

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des § 1000. Denn der nicht mehr berechtigte Besitzer dürfe nicht schlechter stehen als der Berechtigte (S. 501f.; vgl. auch Rn. 830a). Dies widerspricht indes der sog. Vindikationstheorie:168 Besteht nach § 986 Abs. 1 Satz 1 nämlich ein Besitzrecht, richten sich die Ansprüche auf Herausgabe, Nutzungs- und Schadensersatz nach dem Schuldverhältnis, das das Besitzrecht begründet, und nicht nach den §§ 987ff. Zugrunde liegt die Überlegung, dass das Fehlen eines Besitzrechts Tatbestandsvoraussetzung der Vindikation ist. Dies zeigt sich etwa daran, dass sich die für das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzungen der Bösgläubigkeit und Rechtshängigkeit gerade auf das fehlende Besitzrecht beziehen. Denn die Rechtshängigkeit verliert ihre nach §§ 987, 989 vorausgesetzte Funktion als „Warnsignal“, wenn die Vindikationsklage von vornherein wegen Bestehens eines Besitzrechts unbegründet ist. Auch lässt sich die Reparaturmaßnahme nur schwer unter den Verwendungsbegriff subsumieren, weil sie vom Unternehmer nicht für eigene Rechnung vorgenommen worden ist.169 Eine Alternative besteht in der Begründung eines Besitzrechts aus § 986, wenn man die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs des Werkunternehmerpfandrechts in Erwägung zieht.170 Der gutgläubige Erwerb gesetzlicher Pfandrechte ist nach hM. allerdings durch § 1257 ausgeschlossen: Die Norm verweist für gesetzliche Pfandrechte auf die Vorschriften über das durch Rechtsgeschäft bestellte Pfandrecht und gerade nicht auf die Vorschriften über dessen Bestellung und damit den gutgläubigen Erwerb nach § 1207 (S. 501).171 Immerhin setzt das Werkunternehmerpfandrecht Besitz des Pfandgläubigers voraus und knüpft so an einen möglichen Rechtsscheintatbestand an, der auch im Rahmen des § 366 Abs. 3 HGB für den gutgläubigen Erwerb gesetzlicher Pfandrechte ausreicht. Regelmäßig bestehen jedoch Zweifel an der Gutgläubigkeit des Unternehmers, wenn er sich den Kfz-Brief nicht vorlegen lässt; über diesen verfügt ein Vorbehaltskäufer nämlich regelmäßig nicht.172 Diese Schwierigkeit will eine dritte Auffassung dadurch vermeiden, dass sie § 185 Abs. 1 analog auf das Werkunternehmerpfandrecht anwendet: Entscheidend komme es darauf an, ob der Eigentümer den Besteller zur Begründung eines Pfandrechts ermächtigt habe.173 Dies überzeugt bei einer rechtsgeschäftlichen Pfandbestellung, bereitet aber Probleme beim Entstehen eines gesetzlichen Pfandrechts, weil es hier an der Verfügung fehlt, in die der Eigen168 RG JW 1933, 2644; BGH NJW 1955, 341; BGHZ 27, 317, 320ff.; vgl. mwN. hier nur Staudinger/Gursky Vorbem zu §§ 987–993 Rn. 13. 169 Kaysers, Der Verwendungsersatzanspruch des Besitzers bei vertraglichen Leistungen, 1968, S. 111ff.; Medicus/Petersen BR Rn. 591. 170 Baur/Stürner § 55 Rn. 40; Wieling, Sachenrecht, 5. Aufl. 2007, § 15 VIII b; Reinicke/Tiedtke JA 1984, 202, 213f.; Wiegand JuS 1974, 545. 171 Vgl. ferner BGHZ 34, 153= NJW 1961, 502f.; MünchKomm/Busche § 647 Rn. 11. 172 Medicus/Petersen BR Rn. 592. 173 Medicus/Petersen BR Rn. 594; Staudinger/Peters/Jacoby § 647 Rn. 11ff.; Benöhr ZHR 135 (1971) 144.

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§ 8 Der Werkvertrag

tümer einwilligen könnte. Gerade deshalb wird nur eine analoge Anwendung des § 185 Abs. 1 erwogen. Das Problem liegt allerdings darin, dass zunächst nicht genau benannt werden kann, worauf sich die Ermächtigung nach §§ 183, 185 Abs. 1 bezieht: Das Werkunternehmerpfandrecht entsteht ja durch Abschluss eines Werkvertrages und nicht durch eine Verfügung seitens des Bestellers. Daraus leitet sich der Vorwurf ab, diese Lösung beruhe auf der Erteilung einer gegen das Offenkundigkeitsprinzip des § 164 Abs. 2 verstoßenden Verpflichtungsermächtigung zum Abschluss eines Werkvertrags (S. 500). Eine dogmatisch widerspruchsfreie Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Ausschlaggebend erscheinen daher vor allem Wertungsüberlegungen. Dabei erweist sich die Theorie von der Ermächtigung nach §§ 183, 185 analog den Überlegungen zum gutgläubigen Erwerb eines gesetzlichen Pfandrechts als überlegen, weil sie in Bezug auf den Willen und das Interesse des Eigentümers differenzieren kann: Sie gelangt zur Entstehung des Werkunternehmerpfandrechts nur in den Fällen, in denen der Eigentümer den Besteller durch vertragliche Vereinbarung zum Abschluss von Werkverträgen über die Reparatur und Wartung der Kaufsache verpflichtet und daher den Werkunternehmer zielgerichtet in die vorliegende Verlegenheit bringt. In ähnlicher Weise vermag auch der vom BGH entwickelte Ansatz nach §§ 1000, 994, 996 zu differenzieren: Der Eigentümer hat danach nur notwendige und nützliche „Verwendungen“ zu tragen. Gegen diesen Ansatz spricht allein, dass er in großem Umfang mit den Wertungen der Vindikationstheorie bricht. Demgegenüber scheinen die mit der analogen Anwendung der §§ 183, 185 auf § 647 verbundenen Brüche vergleichsweise unbedenklich. Ein eigenes Problem betrifft die Vereinbarung vertraglicher Pfandrechte in den AGB des Werkunternehmers. Das Ziel einer solchen Vereinbarung liegt auf der Hand: Durch sie soll der gutgläubige Erwerb eines vertraglichen Pfandrechts nach § 1207 eröffnet werden, der für ein gesetzliches Pfandrecht gemäß § 1257 ausgeschlossen ist. Darin liegt aber auch zugleich der zentrale Kritikpunkt: Die Klauseln werden als sittenwidrig angesehen, weil sie ihre praktische Bedeutung nur in den Fällen entfalten, in denen der Werkunternehmer mangels Eigentums des Bestellers kein Werkunternehmerpfandrecht nach § 647 an der Sache erwerben kann. Der Vorwurf lautet, dass diese Klauseln es auf einen gutgläubigen, den wahren Eigentümer schädigenden Erwerb geradezu anlegen.174 Diese Argumentation ist allerdings dann nicht zwingend, wenn man der Lehre von der analogen Anwendung der §§ 183, 185 Abs. 1 auf das Werkunternehmerpfandrecht folgt (Rn. 1157): Dann kann es nämlich dem Unternehmer auch darum gehen, den Besteller in den kritischen Fällen zu einer Verfügung zu veranlassen, in die der Eigentümer unmittelbar nach §§ 183, 185 Abs. 1 eingewilligt hat. Dieses Begehren wiederum beruht auf einem legitimen Anliegen.175

174 Picker NJW 1978, 1417; Staudinger/Peters/Jacoby § 647 Rn. 14. 175 Im Ergebnis ähnlich BGHZ 101, 307; Medicus/Petersen BR Rn. 592.

V. Rechte des Unternehmers

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bb) Die Bauhandwerkersicherungshypothek

§ 650e ist auf den Bauvertrag nach § 650a (Rn. 1132) anwendbar. Nach Satz 1 kann der Unternehmer für seine Forderungen aus dem Vertrag die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück des Bestellers verlangen. Die Sicherungshypothek ist in § 1184 Abs. 1 geregelt und zeichnet sich durch strenge Akzessorietät aus. Besteht die zu sichernde Forderung nicht, kommt daher nach § 1138 kein redlicher Erwerb kraft öffentlichen Glaubens in Betracht. § 650e Satz 1 eröffnet dem Werkunternehmer einen Anspruch auf Bestellung der Hypothek. Nach § 873 Abs. 1 setzt die Entstehung einer Hypothek aber die Einigung zwischen Eigentümer und Erwerber und die Eintragung des Rechts für den Erwerber in das Grundbuch voraus. Auf der Grundlage des § 650e Satz 1 kann der Werkunternehmer daher die Einigung mit dem Besteller erzwingen. Versagt der Besteller die Einigung zu Unrecht, kann sie durch ein vom Unternehmer herbeigeführtes rechtskräftiges Urteil nach § 894 ZPO ersetzt werden. Da die Rechtsdurchsetzung allerdings erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, kann der Werkunternehmer auf der Grundlage des § 885 Abs. 1 im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung nach § 883 herbeiführen (§§ 935, 940 ZPO), um den Rang der Sicherungshypothek gegenüber anderen, später hinzukommenden Grundpfandrechten zu wahren.176 Wegen § 885 Abs. 1 Satz 2 braucht er dabei eine Gefährdung seines Anspruchs nicht glaubhaft zu machen. Fraglich ist, ob der Unternehmer eine Sicherungshypothek auch für eine mangelhafte Werkleistung fordern kann. Praktische Bedeutung erlangt diese Fragestellung vor allem im Hinblick auf die aus § 945 ZPO resultierende Schadensersatzpflicht: (BGH 10.3.1977 – VII ZR 77/76 = BGHZ 68, 180 = NJW 1977, 947) B beauftragt U mit der Errichtung eines Bauwerks. Laut Vertrag stehen U 10.000 € nach Fertigstellung und Abnahme der Stahlbetondecke über dem Kellergeschoss zu. Dieser Zahlungspflicht kommt B indes nicht nach. Deshalb erwirkt U im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung für eine Sicherungshypothek über 10.000 €. Darauf kündigt B den Werkvertrag. Wenig später kommt es zur Zwangsversteigerung des Grundstücks. B kann das Grundstück nicht halten, weil ihr 5.000 € zur Ablösung aller Grundpfandrechte fehlen. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass U der Vergütungsanspruch iHv. 10.000 € wegen diverser Mängel nicht zustand; diese Mängel hätte U aber noch im Wege der Nacherfüllung beseitigen können. Dennoch verlangt B von U Ersatz des mit dem Verlust des Eigentums einhergehenden Schadens nach § 945 ZPO.

Gemäß § 945 ZPO ist derjenige, der eine einstweilige Verfügung erwirkt hat, die sich als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der Verfügung entstanden ist. Der Anspruch setzt kein Verschulden voraus, sondern stellt eine Kompensation für die Vorteile dar, die dem Gläubiger durch die schnelle Erreichung 176 MünchKomm/Busche § 648 Rn. 36; Staudinger/Peters/Jacoby § 648 Rn. 40; Bamberger/ Roth/Voit § 648 Rn. 21 und 24 (= BeckOK).

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eines vollstreckbaren Titels entstehen. Eine Haftung kann der Gläubiger daher nur vermeiden, wenn er den Titel nicht beantragt bzw. von ihm keinen Gebrauch macht. Vorliegend ist allerdings fraglich, wie sich die Baumängel auf den Sicherungsanspruch auswirken. Dazu bestehen drei Auffassungen: Nach der ersten berühren Mängel den Sicherungsanspruch gerade nicht, da sie nur die Durchsetzbarkeit des Vergütungsanspruchs beträfen, diese nach § 650e Satz 2 aber gerade nicht Tatbestandsvoraussetzung sei.177 Einer zweiten Sichtweise178 folgt hier der BGH (S. 947f.): Nach ihr besteht der Anspruch nur soweit und solange die Werkleistung des Unternehmers mangelfrei ist. Begründet wird dies mit der Überlegung, der Anspruch aus § 650e Satz 1 kompensiere nicht nur die Vorleistungspflicht des Werkunternehmers, sondern trage auch der Wertsteigerung Rechnung, die das Grundstück durch die Leistungen des Unternehmers erfahren habe. Werde aber nur eine mangelhafte Leistung erbracht, sei die Wertsteigerung entsprechend gering, was sich auch auf den Umfang der Sicherungshypothek auswirken müsse. Ergänzend argumentiert das Gericht mit dem Rechtsgedanken des § 650e Satz 2, der nur zu einer Sicherung nach Baufortschritt berechtige. Auch wenn die Mängel im Wege der Nacherfüllung zu beseitigen seien, bedeute dies nach dem Prinzip des § 650e Satz 2, dass der Sicherungsanspruch erst mit Mängelbeseitigung entstehe, so wie der Sicherungsanspruch auch dann erst begründet werde, wenn eine Teilleistung wirklich erbracht sei. Dagegen führt die dritte Auffassung vor allem praktische Schwierigkeiten ins Feld: Im Verfahren auf Erteilung einer einstweiligen Verfügung sei schlicht keine Gelegenheit, Mängel konkret zu bewerten und vom zu sichernden Anspruch in Abzug zu bringen. Dann laufe der Besteller aber Gefahr, entweder ohne Verschulden nach § 945 ZPO zu haften oder aber wegen bloßer Mangelbehauptungen der Vertragsgegenseite vom Erwerb einer Vormerkung Abstand zu nehmen. Dies entwerte sein Sicherungsrecht. Als Lösung biete sich deshalb Folgendes an: Habe der Besteller unter Vorbehalt nach § 640 Abs. 3 abgenommen, stehe ihm ein Zurückbehaltungsrecht nach § 641 Abs. 3 bis zur Mängelbeseitigung im Wege der Nacherfüllung zu. Deshalb solle auch die Vormerkung Zug um Zug gegen ordnungsgemäße Nacherfüllung eingetragen werden.179 Zu Recht weist wiederum der BGH auf die praktischen Schwierigkeiten hin, die die Vollstreckung in so einem Fall aufwirft: Denn nach § 765 ZPO darf der Anspruch des Unternehmers nur Zug um Zug gegen Bewirkung der von ihm geschuldeten Gegenleistung vollstreckt werden (S. 948). Im formalisierten Verfahren der Zwangsvollstreckung ist aber die Überprüfung der Mangelfreiheit der Bauleistung noch viel weniger möglich als im Verfahren auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz. Eine befriedigende Lösung des Problems ist nicht ersichtlich. Insgesamt muss dem Unternehmer daher mit dem BGH zugemutet werden, das Risiko der Mangelfreiheit der Werkleistung 177 LG Düsseldorf BauR 1976, 211; Jagenburg BauR 1975, 216; Kapellmann BauR 1976, 323. 178 Vgl. auch MünchKomm/Busche § 648 Rn. 22; Soergel/Teichmann § 648 Rn. 16. 179 Vgl. vor allem Staudinger/Peters/Jacoby § 648 Rn. 37.

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bei Beantragung einer einstweiligen Verfügung abzuschätzen, da er – besser als zunächst der Besteller – zu erkennen vermag, ob und in welchem Umfang seinem Vergütungsanspruch Gegenrechte aus § 634 entgegenstehen können. Folgt man der Auffassung des BGH, ist der Anspruch des B gegen U aus § 945 ZPO begründet.

In einer weiteren Entscheidung bestätigt der BGH seine Sichtweise und stellt das Verhältnis von Vormerkung und Besicherungsanspruch aus § 650e Satz 1 noch einmal klar: (BGH 26.7.2001 – VII ZR 203/00 = NJW 2001, 3701) Bauunternehmer U hatte dem B am 13.8. eine Abschlagsrechnung erteilt, auf die B nicht reagierte. Daraufhin erwirkte U im Wege der einstweiligen Verfügung eine Vormerkung zur Sicherung seines Anspruchs auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherungshypothek. B zahlte daraufhin den in der Abschlagsrechnung genannten Betrag. Mittlerweile ist eine neue Abschlagszahlung fällig. U verlangt von B aufgrund der Vormerkung die Einräumung einer Bauhandwerkersicherungshypothek wegen dieses neuen Betrages.

In der Entscheidung verweist der BGH auf den akzessorischen Charakter der Vormerkung nach § 883 Abs. 1 Satz 1. Diese könne stets nur einen bestimmten persönlichen Anspruch sichern. Zwischen den einzelnen Abschlagsforderungen müsse aber differenziert werden, denn dem Unternehmer stehe kein einheitlicher Anspruch auf Sicherung iH. der Vergütung zu, sondern nur ein Anspruch auf Absicherung im Umfang der jeweils zugunsten des Bestellers erzielten Werterhöhung. Danach ist aber der Besicherungsanspruch vom 13.8. durch Zahlung des Bestellers untergegangen und mit ihm auch die akzessorische Vormerkung. Seit einer Änderung der Rechtsprechung des V. Zivilsenats im Jahre 1999 kann eine Vormerkung jedoch durch nachträgliche Bewilligung mit einer neuen zu sichernden Forderung unterlegt („aufgeladen“) werden.180 Der Vorteil liegt in der Rangwahrung der Vormerkung vor nachträglich im Grundbuch eingetragenen Belastungen und Rechtsänderungen. Allerdings bedarf die Auswechselung der Forderung einer Bewilligung durch den Eigentümer, die in den kritischen Fällen regelmäßig im Klageweg erzwungen werden muss. Nach dem Zeitpunkt der Bewilligung richtet sich dann der Rang der wieder aufgeladenen Vormerkung. Dem Werkunternehmer dürfte dabei ein Anspruch aus § 650e Satz 1 analog auch auf Erteilung dieser Bewilligung zustehen. Zwar ist die Norm nur auf die Einräumung einer Sicherungshypothek nach § 873 Abs. 1 gerichtet. Diesen Anspruch darf der Werkunternehmer jedoch durch Vormerkung nach §§ 883, 885 sichern. Schon aus Gründen der Rangwahrung braucht er sich dabei jedoch nicht auf die Bewilligung einer neuen Vormerkung auf zweitem Rang einzulassen, sondern darf „Aufladung“ der erstrangigen verlangen. Eine von ihm selbst vorgenommene einseitige Forderungsauswechslung kommt allerdings nach wie vor nicht in Betracht (so auch der BGH, S. 3701f.). 180 BGHZ 143, 175, 179; BGH NJW 2012, 2032, Tz. 15.

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§ 8 Der Werkvertrag

Folgt man dieser Betrachtungsweise, hat U gegenüber B aus § 650e Satz 1 einen Anspruch auf „Aufladung“ der Vormerkung wegen der ausgebliebenen zweiten Abschlagszahlung. Als Folge kann er aufgrund der eingetragenen Vormerkung die Einräumung einer Sicherungshypothek verlangen.

cc) Bauhandwerkersicherung 1163

Der Schutz der Bauhandwerker über die Bauhandwerkersicherungshypothek (§ 650e) ist wegen des Mängelrisikos mit praktischen Unwägbarkeiten behaftet (Rn. 1161). § 650f räumt deshalb dem Werkunternehmer im Rahmen eines Bauvertrags nach § 650a (Rn. 1132) als Alternative (§ 650f Abs. 4) Ansprüche auf sonstige Sicherheitsleistungen ein (Bauhandwerkersicherung). Praktisch kommt etwa eine Bankbürgschaft in Betracht (§ 650f Abs. 2 Satz 1), für die der Werkunternehmer die üblichen Kosten zu tragen hat (§ 650f Abs. 3). Der Werkunternehmer kann dem Besteller nach § 650f Abs. 5 Satz 1 eine angemessene Frist für die Stellung einer solchen Sicherheit setzen. Lässt der Besteller diese verstreichen, kann der Unternehmer die eigene Leistung zurückhalten bzw. nach § 650f Abs. 5 Satz 1 kündigen und darf nach Satz 2 eine Teilvergütung fordern: (BGH 9.11.2000 – VII ZR 82/99 = BGHZ 146, 24 = NJW 2001, 822) U hat mit B einen Vertrag über die schlüsselfertige Errichtung eines Einkaufszentrums geschlossen. Darin ist vereinbart, dass U ein Anspruch auf Sicherheitsleistung iHv. 10% der Bruttoauftragssumme durch eine von B zu stellende Bankbürgschaft zusteht. Im Laufe der weiteren Durchführung des Bauprojekts kommt es zwischen den Parteien zum Streit. U verlangt nun wegen ihrer Vorleistungen eine von B zu stellende Bankbürgschaft iHv. 650.000 €. B wendet – zu Recht – ein, dass das Volumen der ausstehenden Vergütung nur 450.000 € betrage. Im Übrigen sei keine Ratenzahlung vereinbart und U sei an die ursprüngliche Sicherungsvereinbarung gebunden. Ferner rügt B Mängel am Einkaufszentrum, die noch beseitigt werden müssten. U setzt der B eine Frist zur Beibringung der Bürgschaft und kündigt nach deren Verstreichen den Vertrag. B sieht darin eine Vertragspflichtverletzung durch U und verlangt Schadensersatz wegen der Vermögenseinbußen, die ihr durch die unrechtmäßige Kündigung entstanden seien. In Betracht kommt ein Anspruch der B gegen U auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Die Pflichtverletzung der U kann hier in einer rechtswidrigen Kündigung bestehen. In Betracht kommt jedoch ein Kündigungsrecht der U nach § 650f Abs. 5 Satz 1. Nach dieser Norm kann der Unternehmer den Vertrag kündigen, wenn er dem Besteller erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der geschuldeten Sicherheit bestimmt hat. Dies setzt voraus, dass U vorliegend ein Anspruch auf eine Sicherheitsleistung nach § 650f Abs. 1 Satz 1 im geltend gemachten Umfang zustand.

Nach § 650f Abs. 1 Satz 1 kann der Unternehmer im Rahmen eines Bauvertrags nach § 650a vom Besteller Sicherheit für die noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen verlangen. Diese sind mit 10 Prozent des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen. Fraglich ist zunächst, ob zwischen den Parteien nicht die ausdrücklich vereinbarte Sicherheitsleistung iHv. 10% der Bruttoauftragssumme an die Stelle dieses Anspruchs getreten ist. Dies verneint der BGH mit Blick auf § 650f Abs. 7, wonach der Anspruch zwingend ausgestaltet ist (S. 823f.): Das Gesetz räumt dem Unternehmer danach einen unverzichtbaren Anspruch auf Sicherhet für die verein-

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barte und noch nicht gezahlte Vergütung ein. Neben diesen dürfen andere vertragliche Sicherungsvereinbarungen treten; diese können den gesetzlich garantierten Anspruch aber nicht ersetzen. Dem gesetzlichen Sicherungsanspruch steht auch nicht die Vereinbarung einer Ratenzahlung – also eine Abweichung gegenüber § 641 Abs. 1 Satz 1 – entgegen; dies folgt bereits aus dem einschränkungslosen Normwortlaut (S. 823f.). Auch Mängel des Bauwerks stehen dem Anspruch anders als im Fall des § 650e (Rn. 1161) nicht entgegen: Denn die Sicherheitsleistung nach § 650f knüpft nicht an die gegenüber dem Besteller bewirkte Wertsteigerung an, sondern trägt dem Vorleistungsrisiko des Werkunternehmers Rechnung. Solange die Mängel aber zu beseitigen sind, hat der Werkunternehmer nach Auffassung des BGH ein schützenswertes Interesse an einer Absicherung seiner nach Mängelbeseitigung entstehenden Vergütung (S. 824). Schließlich schadet dem Werkunternehmer vorliegend auch nicht, dass er das Sicherungsinteresse zu hoch beziffert hat; denn ein Schuldner gerät auch dann nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 in Verzug, wenn der Gläubiger eine zu hohe Zahlung anmahnt und er die Leistung vollständig verweigert (S. 825). Der BGH stellt schließlich klar, dass dieser Anspruch auf die Stellung einer insolvenzfesten Sicherheit gerichtet ist (S. 825), was vorliegend unterblieben war. Danach war U nach §§ 650f Abs. 5, 643 nach Fristablauf zur Kündigung berechtigt. Der zum Schadensersatz führende Vorwurf einer Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 kann ihm gegenüber nicht erhoben werden.

d) Gegenleistungs- bzw. Vergütungsgefahr

Die §§ 644f. regeln die Gegenleistungs- oder Vergütungsgefahr, also das Risiko des Bestellers, die Vergütung zahlen zu müssen, obwohl die Herstellung des Werks unmöglich geworden ist. Die Regelung folgt dabei einem einfachen Prinzip, das drei Ausnahmen kennt. Das Prinzip lautet, dass der Werkunternehmer die Vergütungsgefahr bis zur Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 trägt (§ 644 Abs. 1 Satz 1). Wird das von ihm hergestellte Leistungsobjekt also vor diesem Zeitpunkt zerstört, kann er keine Vergütung verlangen. Mit der Abnahme geht die Vergütungsgefahr dann allerdings auf den Besteller über. Eine erste Ausnahme von diesem Grundsatz kommt in Betracht, wenn der Besteller vor Abnahme in Annahmeverzug gerät (§ 644 Abs. 1 Satz 2; vgl. Rn. 85ff.), eine zweite, wenn er das Werk auf Verlangen des Bestellers versendet (§§ 644 Abs. 2 iVm. 447 Abs. 1; vgl. Rn. 489ff.). Die dritte und im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehende Ausnahme aber regelt § 645 Abs. 1 Satz 1: Geht das Werk vor der Abnahme infolge eines Mangels des von dem Besteller gelieferten Stoffes oderinfolge einer von dem Besteller für die Ausführung erteilten Anweisung unter, verschlechtert es sich oder wird es unausführbar, ohne dass dies der Unternehmer zu vertreten hat, so kann der Unternehmer einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen. Fraglich ist vor allem, was unter einem Mangel des vom Besteller gelieferten Stoffs bzw. einer vom Besteller erteilten Anweisung genau zu verstehen ist. Die

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§ 8 Der Werkvertrag

Frage der sachgerechten Verteilung der sog. Werklohngefahr hat die deutsche Rechtswissenschaft zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wie kein zweites Problem bewegt.181 Große Bedeutung entfaltete dabei die bis auf den heutigen Tag wirkende Sphärentheorie: Diese erlaubte vermeintlich eine Systematisierung der verschiedenen in den Digesten überlieferten Einzelentscheidungen des römischen Rechts zur Gegenleistungsgefahr bei der „locatio conductio“ (Vorläufer des Werkvertrages). Auf den bekannten Rechtswissenschaftler Strohal geht dabei die Überlegung zurück, dass man eine Unterscheidung nach dem Ort der Risikoentstehung vornehmen könne. Er formuliert den Kern der Sphärentheorie entsprechend so: „Fassen wir nämlich diese Gefahren näher ins Auge, so drängt sich alsbald die auch den römischen Juristen nicht entgangene Wahrnehmung auf, dass sie für die juristische Beurteilung in zwei Gruppen zerfallen. Auf die eine Seite sind zu stellen die Gefahren, welche der Sphäre des Unternehmers, auf die andere Seite diejenigen, welche der Sphäre des Bestellers angehören.“182

Der Gesetzgeber des BGB hat allerdings eine Begründung der Risikonorm des § 645 als Sphärenverantwortung wegen der begrifflichen Unklarheiten ausdrücklich verworfen.183 Dies hat die Wissenschaft jedoch zT. nicht daran gehindert, den §§ 644f. einen allgemeinen Sphärengedanken zu entnehmen.184 Heute ist die Sphärentheorie in vielen Bereichen des Zivilrechts verbreitet.185 Allerdings bleibt im Umgang mit ihr Vorsicht geboten; der BGH hat die Frage der Anwendbarkeit der Sphärentheorie deshalb auch in einer zentralen Entscheidung offen gelassen.186 Denn die Theorie bezieht ihre Überzeugungskraft aus einer vorrechtlichen Metapher, der des namensgebenden Raumgebildes (sphairos = griech. Kugel).187 Lebens- und Gefahrenbereiche von Besteller und Unternehmer lassen sich danach bildlich in zwei voneinander unterscheidbare 181 Vgl. zum Einstieg die Arbeiten von Müller-Erzbach AcP 106 (1910) 309 und Max Rümelin,

Die Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896; ansonsten auch Oertmann GrünhutsZ 24 (1897), 1, 49; Nassauer, „Sphärentheorie“ zu Regelungen der Gefahrtragungshaftung in vertraglichen Schuldverhältnissen, 1978, S. 10. 182 Strohal JheringJb 33 (1894) 361, 386. Vgl. den Überblick bei Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 189ff. 183 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB, Bd. II, 1898, S. 332. Dazu Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, 1971, S. 37 sowie Larenz, Methodenlehre, S. 387. 184 Erman JZ 1965, 657, 660; so auch Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 60 („klassisches Beispiel“). 185 Zur Lohngefahr im Arbeitsrecht Erman JZ 1965, 657; RGZ 106, 272, 275ff.; vgl. allerdings BAG NJW 1981, 937; zur Beweislastverteilung nach Gefahrenkreisen Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 65ff.; kritisch dazu Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 218ff.; zum Scheckfälschungsrisiko Eugen Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, 1938, S. 315; zum Risiko der fehlerhaften Anweisung Möschel JuS 1972, 297, 301; kritisch Reuter, in: Reuter/Martinek, S. 426f. 186 BGHZ 40, 71, 72f. 187 Dazu von Schenck, Der Begriff der „Sphäre“ in der Rechtswissenschaft, 1977, S. 19ff.

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Räume trennen und das Risiko in einem der beiden verorten. Auf ähnlichen Vorstellungen beruht etwa die Theorie von der Beweislastverteilung nach Gefahrensphären, die im Rahmen der Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 gilt.188 Das rechtliche Substrat der meisten Sphärentheorien ist indes äußerst gering.189 Denn meist verbergen sich hinter dem Bild der Sphäre die eigentlichen juristischen Wertungen, um deren Offenlegung es indes geht. (BGH 11.7.1963 – VII ZR 43/62 = BGHZ 40, 71 = NJW 1963, 1824) U soll im Auftrag des B eine Scheune auf dessen Grundstück errichten. Die Zimmerarbeiten sind noch nicht ganz fertiggestellt und die Scheune entsprechend von B nicht abgenommen, als B bereits Heu in die Scheune verbringt. Dieses entzündet sich, was dazu führt, dass die Scheune abbrennt. U verlangt von B Zahlung einer dem erreichten Baustand entsprechenden Vergütung. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 645 Abs. 1 Satz 1. Dazu müsste „das“ Werk untergegangen sein. Dies ist nicht unproblematisch, weil die Konkretisierung der Werkleistung erst mit der Abnahme erfolgt (Rn. 1093). Vor diesem Zeitpunkt stellte die Scheune mehr oder weniger einen Leistungsversuch des U, nicht aber das im Vertrag geschuldete Werk dar. Weil § 645 Abs. 1 Satz 1 aber ausdrücklich den Untergang des Werks vor Abnahme voraussetzt, erfasst die Norm unter dem Tatbestandsmerkmal „Werk“ auch die noch nicht konkretisierten Leistungen, die der Werkunternehmer im Hinblick auf die Herbeiführung des Erfolges nach § 631 Abs. 2 erbracht hat.

Fraglich ist vorliegend, ob der Untergang der Scheune auf einem Mangel des vom Besteller gelieferten Stoffs oder einer Anweisung des Werkunternehmers beruht. Der BGH verweist zunächst auf ein Problem aus der Entstehungsgeschichte des BGB: Danach hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich erwogen, den Fall des Untergangs der vom Werkunternehmer erbrachten Leistung durch eine Handlung des Bestellers zu regeln, davon aber Abstand genommen (S. 1824).190 Der BGH fühlt sich an diese negative Entscheidung jedoch nicht gebunden und verweist auf die zunehmende Bedeutung der Sphärentheorie beim Verständnis des § 645 Abs. 1 Satz 1 (S. 1824f.). Am Ende lässt er die Entscheidung für diese jedoch offen und wendet die Norm analog mit folgender Begründung an: „Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob in allen Fällen, in denen der Grund für den Untergang des Werks im Bereich des Bestellers zu suchen ist, der Unternehmer, abweichend von der Regel des § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB, einen Anspruch auf Vergütung hat. Ihm einen solchen Anspruch zuzubilligen, ist aber dann gerechtfertigt, wenn eine Handlung des Bestellers das Werk in einen Zustand oder in eine Lage versetzt hat, die eine Gefährdung des Werks mit sich gebracht hat und ursächlich für seinen schließlichen Untergang geworden ist. Dieser Fall steht den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen, bei denen der Untergang auf dem Mangel eines vom Besteller gelieferten Stoffes oder auf einer von ihm erteilten Anweisung beruht, darin nahe, daß der Besteller selbst die Gefahr für den Untergang des Werkes erhöht hat und daß ohne diese Erhöhung der Gefahr das Werk nicht untergegangen wäre. In einem solchen Falle ist eine entsprechende Anwendung des § 645 BGB ge188 Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 65ff. 189 Dazu ausführlich Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 218ff. 190 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB, Bd. II, 1898,

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§ 8 Der Werkvertrag

boten, zumal es auch bei einer solchen gefahrerhöhenden, den Untergang des Werks verursachenden Handlung des Bestellers ebenso unbillig wäre, den Unternehmer leer ausgehen zu lassen, wie bei den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen“ (S. 1825; Hervorhebungen durch den Verf.).

Das Schrifttum folgt dieser Entscheidung durch analoge Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1, wenn der Untergang unmittelbar durch eine Handlung des Bestellers herbeigeführt wird oder diese zumindest das Risiko des Untergangs in spezifischer Weise erhöht hat.191 § 645 Abs. 1 Satz 1 liegt indes ein darüber hinausgehender Rechtsgedanke zugrunde, der im Tatbestand der Norm anhand von zwei Regelbeispielen verdeutlicht wird: Wenn der Unternehmer nämlich nach § 631 Abs. 2 für das Erreichen eines Erfolges eintritt, muss er den Weg zu diesem grundsätzlich eigenverantwortlich bestimmen können. Dieser Gedanke kommt ua. in § 635 Abs. 1 zum Ausdruck, wo dem Werkunternehmer die Wahl der geeigneten Nacherfüllungsart überlassen wird. Denn nur wer frei über den Weg zum Ziel entscheiden kann (§ 631 Abs. 2), trägt nach § 644 Abs. 1 Satz 1 die Last des Vergütungsausfalls, wenn das Ziel durch einen Zufall nicht erreicht wird. Deshalb darf dem Werkunternehmer die Rechtsfolge des § 644 Abs. 1 Satz 1 dann nicht aufgebürdet werden, wenn der Besteller dessen Gestaltungsfreiheit einschränkt und die Werkleistung gerade an dieser Einschränkung scheitert. Macht der Besteller daher Vorgaben für die Herstellung des nach § 631 Abs. 2 geschuldeten Erfolges – etwa durch Bereitstellung von Material oder durch Verpflichtung des Werkunternehmers auf eine bestimmte Vorgehensweise –, trägt der Werkunternehmer keine Verantwortung, wenn sich das spezifische Risiko verwirklicht, das diesen Vorgaben immanent ist, und wenn gerade daran die Herstellung des geschuldeten Erfolges scheitert. In diesen Fällen muss der Besteller das Vergütungsrisiko an seiner Stelle nach § 645 Abs. 1 Satz 1 tragen. Im Rahmen der analogen Anwendung der Norm kommt es deshalb darauf an, ob der Besteller den Gestaltungsspielraum des Werkunternehmers durch Vorgaben einschränkt und ob gerade diese das Scheitern der Werkleistung zurechenbar herbeiführen. Vorliegend ist § 645 Abs. 1 analog zu Lasten des B anwendbar. Mit der Einlagerung des Heus trifft B eine selbstverantwortete Entscheidung, durch die er die Möglichkeit des U, das Werk zu vollenden, einschränkt. Gerade die damit verbundene spezifische Gefahrenerhöhung führt schließlich dazu, dass die Vollendung scheitert. Deshalb hat U gegen B einen Anspruch auf Teilvergütung aus § 645 Abs. 1 analog.

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Bei der analogen Anwendung des § 645 Abs. 1 stehen heute die Fälle der Zweckvereitelung und Zweckerreichung im Mittelpunkt des Interesses: Trägt der Besteller das Vergütungsrisiko, wenn der von ihm gelieferte Stoff die Unmöglichkeit der Werkleistung verursacht, dann muss er auch mit der Gefahr belastet sein, dass überhaupt ein Stoff vorhanden ist, an dem der Unternehmer die Werkleistung erbringen kann. Wird also der Abschleppdienst umsonst gerufen, 191 MünchKomm/Busche § 645 Rn. 17; Staudinger/Peters/Jacoby § 645 Rn. 32ff.; Bamberger/ Roth/Voit § 645 Rn. 18ff. (= BeckOK).

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weil das liegen gebliebene Fahrzeug wieder anspringt (Zweckerreichung),192 ist die Norm daher ebenso anwendbar wie in dem Fall, dass das Haus, in dem der Besteller Installationen vornehmen soll, durch eine Überschwemmung zerstört wird (Zweckvereitelung):193 (BGH 16.10.1997 – VII ZR 64/96 = BGHZ 137, 35 = NJW 1998, 456 – Schürmann-Bau) U verklagt die Bundesrepublik Deutschland (B) iHv. 650.000 €. B hatte U mit Elektroarbeiten am sog. Schürmann-Bau in Bonn (einem neu zu errichtenden Parlamentsgebäude) beauftragt. Am 22. und 23.12.1994 überstieg das Rheinhochwasser den Rand der als Schlitzwandtopf ausgebildeten Baugrube und überflutete diese. Dazu kam es nur, weil B den Hochwasserschutz kurzfristig für andere Bauarbeiten entfernt hatte. Durch das Flutwasser rissen die Baukörper und die von U erbrachten Werkleistungen gingen mit dem Gebäude unter. Die Klagesumme umfasste a) die Vergütung für die erbrachten Arbeiten, b) eingelagerte Materialien und Werkzeuge des U und c) Stillstands- und Einlagerungskosten des U für Material, die aufgrund der Bauverzögerung entstanden. In Betracht kommt ein Anspruch des U gegen B aus § 645 Abs. 1 Satz 1 analog.

Der BGH wendet § 645 Abs. 1 Satz 1 auf solche gefahrenerhöhenden Handlungen des Bestellers analog mit folgender Begründung an (S. 457): Der Besteller sei auch ohne Verschulden verantwortlich, wenn der Untergang auf seine Handlung zurückgehe oder durch Sonderumstände in seiner Person verwirklicht worden sei. Denn in beiden Fällen stehe der Besteller der zum Untergang des Werks führenden Ursache näher als der Unternehmer.194 Darin liegt bedauerlicherweise nur noch eine verkürzte Wiedergabe der in BGHZ 40, 71 maßgeblichen Begründung (Rn. 1165). Vor allem das „Nähe-Argument“ erinnert deutlich an die Sphärentheorie (Rn. 1165). Für die entsprechende Anwendung der Norm spricht indes nach den hier entwickelten Maßstäben (Rn. 1165), dass der Besteller die Gestaltungsfreiheit des Werkunternehmers durch die unterbliebenen Hochwasserschutzmaßnahmen einschränkt: Weil gerade diese zum Untergang des Werks führen, kann der Unternehmer nicht die in § 644 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte Verantwortung für das Scheitern der Werkleistung übernehmen; vielmehr ist der Besteller nach § 645 Abs. 1 Satz 1 verantwortlich, weil die Werkleistung aufgrund der besonderen Gefahren der von ihm gestellten Rahmenbedingungen untergegangen ist. Hinsichtlich der erbrachten und zerstörten Leistungen (Posten a) hat der Unternehmer einen Anspruch auf eine Teilvergütung (S. 457). Für die zerstörten Materialien und Werkzeuge (Posten b) kann er hingegen eine Auslagenerstattung nach § 645 Abs. 1 Satz 1 verlangen (S. 457). Allerdings darf er über diesen Anspruch nicht jede Vermögensbeeinträchtigung in seinem Werkzeugvorrat liquidieren: Entscheidend kommt es darauf an, dass die Werkzeuge zur Erbringung der geschuldeten Werkleistung eingesetzt werden sollten. Da192 Staudinger/Peters/Jacoby § 645 Rn. 38; Bamberger/Roth/Voit § 645 Rn. 21ff. (= BeckOK). 193 Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis, 1969, S. 230ff.; Stau-

dinger/Caspers § 275 Rn. 32ff. 194 Vgl. auch BGH NJW 1981, 391.

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§ 8 Der Werkvertrag

ran bestehen Zweifel, wenn diese nicht allein zur Vorbereitung der Werkleistung zugunsten des Bestellers angeschafft wurden, sondern dem Unternehmer bereits zuvor zur Verfügung standen und bei planmäßigem Verlauf auch nachträglich erhalten geblieben wären. Dann handelt es sich nicht bzw. nur teilweise um Aufwendungen (Auslegung) zur Erbringung der Werkleistung. Die Zerstörung kann der Werkunternehmer in einem solchen Fall nur über §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 bzw. § 823 Abs. 1 unter der Voraussetzung eines Vertretenmüssens der Bestellerin geltend machen. Die Stillstands- und Einlagerungskosten des Unternehmers (Posten c) fallen von vornherein nicht unter den Auslagenerstattungsanspruch, weil sie keine Kosten für die Vorbereitung zur Erbringung der Werkleistung darstellen, sondern schlicht Schadenspositionen des Werkunternehmers sind, die nicht über § 645 Abs. 1 Satz 1 liquidiert werden können (S. 458).

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Eine analoge Anwendung des § 645 Abs. 1 Satz 1 kommt schließlich auch in Betracht, wenn der Besteller die persönlichen Voraussetzungen für die Erbringung der Werkleistung nicht erfüllt: (BGH 30.11.1972 – VII ZR 239/71 = BGHZ 60, 14 = NJW 1973, 318 – Impfschaden) B hat 1970 einen Flug nach Teneriffa bei U gebucht. Nach Abschluss des Vertrages ordnen die spanischen Behörden an, dass deutsche Reisende eine Pockenschutzimpfung vorweisen müssen. Dem kann B nicht nachkommen, weil seine vierjährige Tochter an Bronchitis erkrankt ist und nicht geimpft werden darf. Er tritt daher den Flug nicht an, worauf U eine Teilvergütung verlangt. Hinweis: Die Originalentscheidung betraf einen Reisevertragsfall vor Inkrafttreten der §§ 651aff. (Rn. 1231). Ein Flug fällt als Einzelleistung hingegen nicht unter § 651a Abs. 1 (Rn. 1196), sondern unter § 631.

Der BGH wendet abermals die Sphärentheorie bei der Konkretisierung des § 645 Abs. 1 Satz 1 nicht an (S. 319), sondern vergleicht den Fall mit BGHZ 40, 71 (Rn. 1165): „Dort hatte eine Handlung des Bestellers das Werk in einen Zustand oder in eine Lage versetzt, die eine Gefährdung des Werkes mit sich brachte und ursächlich für seinen schließlichen Untergang wurde. Hier hat ebenfalls ein auf seinem Willensentscheid beruhendes Verhalten des Bestellers, nämlich seine Weigerung, sich und seine Familie impfen zu lassen, zur Unausführbarkeit des Werkes (der Reise) geführt. Auf ein Verschulden des Bestellers ist auch in BGHZ 40, 71 nicht abgestellt worden“ (S. 319).

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Auch in diesem Fall engt der Besteller die Gestaltungsfreiheit des Werkunternehmers durch die in seiner Person liegenden, besonderen Umstände ein. Bewirken diese das Scheitern der Werkleistung, kann der Werkunternehmer nicht nach § 644 Abs. 1 Satz 1 Verantwortung tragen, sondern darf vom Besteller nach § 645 Abs. 1 Satz 1 eine Teilvergütung verlangen. In BGHZ 83, 197 = NJW 1982, 1458 wird der Bestellerin schließlich das Risiko auferlegt, dass der Werkunternehmer die geschuldeten Montageleistungen wegen der 1978 im Iran herrschenden politischen Unruhen nicht ausführen konnte. Begründet wird dies mit der Überlegung, der Besteller stünde „der sich daraus für die Ausführbarkeit des […] geschuldeten Werkes ergebenden Gefahr nach den vorliegenden besonderen Umständen näher“ (S. 1459). Dies erinnert wiederum an die Argumente der Sphärentheorie (Rn. 1165) und überzeugt in der Sache nicht. Denn im Anwendungsbereich des § 645 Abs. 1 Satz 1 knüpft

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die Verantwortung an dessen freie Entscheidungen an: der Einlagerung des Heus, der Beseitigung des Hochwasserschutzes oder des Verzichts auf die Impfung. Politische Verhältnisse kann der Besteller aber so wenig steuern wie der Werkunternehmer.195 Hier liegt deshalb ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 näher. § 644 Abs. 1 Satz 3 regelt schließlich nicht die Preisgefahr, sondern die Verteilung des Risikos, dass die vom Besteller gestellten Materialien zufällig beim Unternehmer untergehen. Für einen zufälligen Untergang oder eine zufällige Verschlechterung ist der Unternehmer danach nicht verantwortlich. Bedenkt man indes, dass sich das vom Besteller gelieferte Material meist „im Gefahrenbereich“ des Unternehmers befinden dürfte, ist dies eine klare Absage an die Sphärentheorie (Rn. 1165).

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3. Obliegenheiten und Pflichten des Bestellers zur Mitwirkung

Der Unternehmer hat gegenüber dem Besteller einen Anspruch nach § 640 Abs. 1 Satz 1 darauf, dass das vollendete Werk abgenommen wird. Fraglich ist, ob ihm auch ein vorgelagerter Anspruch auf Mitwirkung des Bestellers an der Herstellung des Werkes bis zur Vollendung zusteht. Dem steht die Regelung des § 642 Abs. 1 entgegen. Danach schuldet der Besteller (nur) eine angemessene Entschädigung (und keinen Schadensersatz!), wenn bei der Herstellung des Werkes seine Handlung erforderlich ist und er durch deren Unterlassen in Annahmeverzug gerät. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber ohne besondere Vereinbarung nicht davon ausgeht, dass der Besteller zur Mitwirkung verpflichtet ist. Die Mitwirkung ist daher im Regelfall nur eine Obliegenheit.196 Systematisch spricht dafür auch ein Argument aus § 648 Satz 1: Wenn der Besteller den Werkvertrag jederzeit kündigen darf, kann ihn keine Pflicht zur Mitwirkung an der Herbeiführung des nach § 631 Abs. 2 geschuldeten Erfolges treffen. Diesen schuldet der Werkunternehmer vielmehr allein. Es versteht sich, dass die Parteien kraft vertraglicher Vereinbarung davon abweichen und eine echte Mitwirkungspflicht des Bestellers begründen können. Fraglich ist nur, ob dies auch in den AGB des Bestellers möglich ist: (BGH 29.4.2010 – Xa ZR 5/09 = NJW 2010, 1958) Das Luftfahrtunternehmen L bietet den Direktflug vom deutschen Flughafen X nach Berlin für 450 € an. Bei ihm kostet jedoch ein Flug nach Stockholm mit Umsteigepflicht in Berlin nur 350 €. Um zu verhindern, dass Passagiere ein Ticket nach Stockholm erwerben und in Berlin nicht umsteigen, regelt es in seinen AGB, dass ein erworbenes Ticket insgesamt entfällt, wenn der Fluggast nicht alle Teilflüge eines Fluges wahrnimmt.

195 Kritisch auch Staudinger/Peters/Jacoby § 645 Rn. 42. 196 BGH NJW 1954, 229; BGHZ 50, 175, 178ff.; Larenz II/1 § 53 III c; MünchKomm/Busche

§ 642 Rn. 4; Staudinger/Peters/Jacoby § 642 Rn. 3; Oetker/Maultzsch § 8 Rn. 236; Bamberger/ Roth/Voit § 642 Rn. 6 (= BeckOK); aA. Kapellmann NZBau 2011, 193, 196f.; RGRK/Glanzmann, 12. Aufl. 1978, § 631 Rn. 46 und § 642 Rn. 2; Erman/Schwenker § 642 Rn. 2, 6.

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Der BGH hält die Klausel in ihrer konkreten Gestaltung für unwirksam nach § 307 Abs. 1 Satz 1, gibt jedoch zu erkennen, dass das Luftfahrtunternehmen die zugrunde liegenden Interessen bei einer anderen Gestaltung verfolgen darf. Zwar sei der Fluggast wie jeder Gläubiger nicht verpflichtet, die ganze Leistung anzunehmen; er könne sich vielmehr auf einen Teil derselben beschränken, soweit nicht § 242 entgegenstehe (Tz. 23). Vorliegend trete aber ein Interesse des Luftfahrtunternehmens hinzu, Fluggästen durch Zuwendung eines Vermögensvorteils entgegenzukommen, wenn sie die Unbequemlichkeit und Zeitverzögerung eines Umstiegs auf sich nähmen, weil zeitgleich an den Zielort Direktflüge angeboten würden (Tz. 28 und 30). Ausgehend von dieser Vorüberlegung hält die Klausel nur deshalb der kundenfeindlichsten Auslegung nach § 305c Abs. 2 nicht stand, weil sie auch greift, wenn der Fluggast den Anschlussflug ohne Verschulden verpasst (Tz. 28) bzw. wenn sich seine Pläne nachträglich ändern (Tz. 31). Für erlaubt hält es der BGH jedoch, den Fluggast auszuschließen, der von vornherein nur den Zubringerflug in Anspruch nehmen will (Tz. 28). Diese Regelung weicht sehr stark vom Leitbild des § 642 Abs. 1 ab und überzeugt vor allem auch aus kartellrechtlichen Gründen nicht. Denn bei der Gegenüberstellung der Kosten für einen von deutschem Boden ausgehenden Berlin- und Stockholmflug wird deutlich, dass das Luftfahrtunternehmen vorliegend seine Preise nicht nach den Kosten kalkuliert, sondern den Passagieren der Berlin-Direktflüge abverlangt, die Stockholm-Flüge, bei denen evident höhere Kosten anfallen, zu bezuschussen (Kreuzsubvention). Dies ist einem Luftfahrtunternehmen regelmäßig nur möglich, wenn es eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, dh. wenn die Nachfrager ihm auf dem Markt nicht ausweichen können (vgl. das Verbot des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB). Dass der BGH dem Luftfahrtunternehmen vorliegend erlaubt, den Nachfragern eine der letzten verbliebenen Ausweichmöglichkeit zu nehmen, kann daher nicht überzeugen. Im Übrigen stellt § 642 Abs. 1 einen besonderen Anwendungsfall des Gläubigerverzugs nach §§ 293ff. dar. Dem Schuldner wird dabei jedoch nicht nur ein Anspruch auf Ersatz von Mehraufwendungen zugesprochen (§ 304), sondern eine echte Entschädigung. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil der Gläubigerverzug kein Vertretenmüssen voraussetzt. Ausschlaggebend für die Höhe der Entschädigung ist die vereinbarte Vergütung, wobei ersparte Aufwendungen in Abzug zu bringen sind. Praktisch bedeutsam ist der Fall, dass ein Bauherr die Leistungen eines Bauunternehmers (noch) nicht annehmen kann, weil sich die von anderen Bauunternehmern zu erbringenden Vorarbeiten verzögern: (BGH 21.10.1999 – VII ZR 185/98 = BGHZ 143, 32 = NJW 2000, 1336) B hat U mit Wärmedämmungsarbeiten betraut. Am 1.2. weist U den B darauf hin, dass die von B in Auftrag gegebenen Vorarbeiten noch nicht fertiggestellt worden seien, sodass sich seine eigenen Arbeiten verschieben würden. Diese Arbeiten sind entgegen der zum 31.3. vereinbarten Frist erst im Juni beendet. U verlangt von B die verzögerungsbedingten Mehrkosten.

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In Betracht kommt ein Anspruch des U gegen B aus § 642 Abs. 1. Dazu müsste B durch das Unterlassen einer zur Herstellung des Werks erforderlichen Handlung in Annahmeverzug geraten sein.

Fraglich ist, ob der Besteller dem Unternehmer für eine Leistungsverzögerung der mit den Vorarbeiten betrauten anderen Werkunternehmer aus § 278 Satz 1 analog haftet. Die Norm ist unmittelbar nur auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten anwendbar, passt aber auch auf den Fall, dass dem Gläubiger eine Obliegenheitsverletzung zugerechnet werden soll.197 Denn wenn der Gläubiger seinen Wirkungsbereich im Rahmen des § 642 Abs. 1 durch Einschaltung einer Hilfsperson erweitert, muss er auch für deren Fehlverhalten Verantwortung tragen. Vorliegend differenziert der BGH nicht zwischen Pflichtverletzung und Obliegenheit, sondern geht davon aus, dass der Besteller dem Werkunternehmer nicht nach § 278 Satz 1 für die durch Vorunternehmer bedingten Verzögerungen haftet. Denn er wolle sich gegenüber einem Nachunternehmer nicht zur rechtzeitigen Erbringung der Vorarbeiten verpflichten (S. 1337). Vielmehr hafte der Besteller nur für eigenes Planungsverschulden und das Planungsverschulden seines Architekten, der insoweit als Erfüllungsgehilfe des Bestellers iSd. § 278 Satz 1 fungiere (S. 1337).198 Im Einzelfall kann der Besteller sich gegenüber dem Werkunternehmer jedoch zu einer rechtzeitigen Fertigstellung der Vorarbeiten verpflichten. Dafür bedarf es jedoch konkreter Anhaltspunkte (zB. einer ausdrücklichen Vereinbarung), da eine solche Verpflichtung einen Ausnahmefall darstellt (S. 1337f.). Der BGH hat in einer frühen Entscheidung schließlich einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Vereitelung des Vertragszwecks durch den Besteller bejaht und die Schadensersatzpflicht dabei ausdrücklich aus einer Obliegenheitsverletzung begründet. (BGH 13.11.1953 – I ZR 140/52 = BGHZ 11, 80 = NJW 1954, 229) B beordert ein Frachtschiff des U in den Hafen von New York. Dort soll es im Rahmen eines Chartervertrages beladen und die Fracht an einen vereinbarten Zielort gebracht werden. B belädt das Schiff indes nicht. Dieses liegt nun nutzlos vor Ort. U verlangt deshalb Schadensersatz.

Der BGH bejaht einen Anspruch aus positiver Forderungsverletzung (heute §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2) weil B eine Obliegenheit verletzt habe. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen sei auch die schuldhafte Verletzung von Obliegenheiten haftungsbegründend (S. 229).199 Daran wird man allerdings zweifeln müssen. Denn Obliegenheiten begründen keine echten Rechtspflichten. Ihnen fehlt der für eine Pflicht typische sachliche und persönliche Schutzzweck. Deshalb ist mit ihrer Verletzung für den Adressaten zwar ein Nachteil verbunden; Dritte können sich jedoch auf die Obliegenheit nicht im Rahmen ei197 Bamberger/Roth/Voit § 642 Rn. 2 mwN. (= BeckOK). 198 Ähnlich BGH NJW 2014, 3645, Tz. 24; BGHZ 197, 252 = NJW 2013, 2268, Tz. 20; anders

OLG Düsseldorf NJW 2014, 2802, 2803, wenn der Besteller dem Unternehmer keine Bauaufsicht schuldet. 199 Vgl. Müller-Foell, Die Mitwirkung des Bestellers beim Werkvertrag, 1982, S. 28ff.

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nes Schadensersatzanspruchs berufen, da sie mangels Schutzzwecks von dieser nicht erfasst sein können. Deswegen ist die Verletzung einer Obliegenheit auch nicht rechtswidrig. Konsequenterweise kann mit einem solchen Vorgang auch kein Verschuldensvorwurf verbunden sein, weil sich der Verschuldensvorwurf stets auf eine rechtswidrige Handlung beziehen muss. Überlegenswert war allenfalls, ob die Parteien vorliegend nicht abweichend vom Regelfall des § 642 Abs. 1 eine echte Mitwirkungspflicht des Bestellers vereinbart hatten. Dies hätte im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 festgestellt werden müssen. In einer späteren Entscheidung hat der BGH indes seine Rechtsprechung noch einmal bestätigt; denn „[e]s wäre auch ein unerträgliches und mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarendes Ergebnis, wenn es dem Besteller freistehen sollte, durch willkürliche Nichterfüllung seiner Gläubigerobliegenheiten den Unternehmer zur Kündigung des Vertrages zu zwingen“. Dabei wird ein Argument aus § 162 Abs. 1 (Bedingungsvereitelung) angedeutet: Ein Besteller könne wegen schuldhafter Verletzung der Mitwirkungspflicht entsprechend §§ 162, 242 so zu behandeln sein, als wären Vollendung des Werks und Abnahme erfolgt: Dann bestehe der Vergütungsanspruch in voller Höhe.200 Angesichts der klaren Regelung des § 645 Abs. 1 Satz 2 im Falle der Kündigung nach § 643 erscheinen Analogien dieser Art jedoch mangels Regelungslücke zweifelhaft. § 643 eröffnet schließlich dem Unternehmer bei unterlassener Mitwirkung des Bestellers ein Kündigungsrecht, wenn eine angemessene Frist ergebnislos verstrichen ist. Dem Unternehmer steht dann ein Teilvergütungsanspruch nach § 645 Abs. 1 Satz 2 zu. VI. Der Werklieferungsvertrag 1. Normzweck

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Nach Art. 1 Abs. 4 VerbrGüterKRiL gelten als Kaufverträge auch Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter. Diese Regelung setzt § 650 Satz 1 fast wortgleich um und ordnet so die Werklieferungsverträge über bewegliche Sachen dem Kaufrecht zu.201 Soweit eine teleologische Rechtfertigung überhaupt versucht wird, erfolgt diese aufgrund der für den Verbraucherschutz typischen personalisierten Betrachtungsweise (Rn. 32): Danach folgen beide Regelungen der Vorstellung, dass es für den Erwerber keinen Unterschied mache, ob der Vertragsgegner die Kaufsache selbst hergestellt oder sie von einem Lieferanten bezogen habe.202 Das grundlegende Problem der 200 BGHZ 50, 175 , 179. 201 Dazu Leistner JA 2007, 81, 85; Staudenmayer NJW 1999, 2393, 2394; kritisch Nietsch AcP

211 (2011) 737, 753. 202 Looschelders, Schuldrecht BT, 11. Aufl. 2016, Rn. 625.

VI. Der Werklieferungsvertrag

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Norm besteht jedoch darin, dass sie die dem Warenaustausch vorgelagerte Phase der Werkentstehung im Pflichtenkreis des Schuldners rechtlich ausblendet.203 Daraus resultieren eine Reihe praktischer Anwendungsprobleme.204 So passt zur Erfolgsbezogenheit der Pflicht regelmäßig nicht, dass sich der Gefahrübergang nach § 446 Satz 1 bereits durch Übergabe und nicht erst durch Abnahme vollzieht: Dies führt dazu, dass der Käufer – anders als im Fall des § 641 Abs. 1 Satz 1 – zur Zahlung schon dann verpflichtet ist, wenn ihm die Sache geliefert wird, gleichgültig, ob der darüber hinausweisende, vom Schuldner zu verantwortende Erfolg (zB. der Einbau und die Montage) eingetreten ist. Praktisch wird dadurch der Erwerber zu einer Vorleistung verpflichtet, die dem Werkvertragsrecht fremd ist (§ 641 Abs. 1 Satz 1).205 Probleme bereitet auch, dass das Wahlrecht über den Inhalt der Nacherfüllung nun nach § 439 Abs. 1 beim Besteller und nicht beim Unternehmer liegt. § 635 Abs. 1 trifft eine gegenläufige Regelung, weil der Unternehmer als Experte eher als der Besteller beurteilen kann, welche Maßnahme zur Mängelbeseitigung geeignet ist. Zur Sicherung des Vergütungsanspruchs stehen dem Werkunternehmer schließlich die Fälligkeitsregelungen und Sicherungsrechte (§§ 632a, 647) nicht zur Verfügung. Schließlich fehlt im Kaufrecht eine Selbstvornahmemöglichkeit wie im Fall des §§ 634 Nr. 2, 637. Es ist im Schrifttum umstritten, ob wenigstens die Selbstvornahme mit den Mitteln des Kaufrechts nachgebildet werden kann.206 Dies ist allerdings nur in Grenzen möglich (Rn. 1106) und setzt konkret voraus, dass man wie im Fall des § 637 Abs. 3 auch einen Vorschussanspruch bei der Minderung bejaht.207

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2. Ansätze zu einer teleologischen Reduktion des Normanwendungsbereichs

Die gerade erwähnten Schwierigkeiten erklären die Vielfalt der Ansätze, die auf eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 650 Satz 1 zielen. Die meisten lehnt der BGH in der Leitentscheidung zu § 650 ab. (BGH 23.7.2009 – VII ZR 151/08 = BGHZ 182, 140 = NJW 2009, 2877 – Siloanlage; leicht verändert) B vereinbart mit U, dass dieser für ihn eine Siloanlage in Russland zur Einlagerung von Graspellets errichtet. Diese Anlage besteht aus 14 nebeneinander liegenden Boxen, die jeweils 6 Meter hoch, 20 Meter lang und 5 Meter breit sind und mit dem Grundstück auf Dauer fest verbunden werden müssen. Die gelieferten Boxen erweisen sich jedoch 203 Nietsch AcP 211 (2011) 737, 740. 204 Nietsch AcP 211 (2011) 737, 740f.; Krug, Die Verweisung von Bau- und Anlagenbauverträ-

gen in das Kaufrecht durch § 651 BGB, 2010, S. 20ff.; Leistner JA 2007, 81, 83f.; Mankowski MDR 2003, 853, 859; R. Schumann JZ 2008, 115, 117f. 205 Leistner JA 2007, 81, 84. 206 Bejahend Gsell ZIP 2005, 922; Herresthal/Riehm NJW 2005, 1457; Lorenz NJW 2005, 1321; Tonner/Wiese BB 2005, 903. 207 Leistner JA 2007, 81, 85; kritisch auch Nietsch AcP 211 (2011) 737, 741f.

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§ 8 Der Werkvertrag

nicht als beulsicher, da sie eine zu geringe Blechdicke aufweisen. B verlangt nun Nachlieferung neuer Boxen. U will sich die Art der Nacherfüllung nicht vorschreiben lassen, sondern bietet ohne Nennung weiterer Gründe Nachbesserung an. In Betracht kommt ein Anspruch des B gegen U aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Dieser Anspruch setzt voraus, dass auf den zwischen den Parteien zustande gekommenen Vertrag Kaufrecht Anwendung findet. Dann darf B die Art der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 bestimmen. Findet Werkvertragsrecht Anwendung, steht das Bestimmungsrecht hingegen nach § 635 Abs. 1 dem U zu.

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Nach § 650 Satz 1 finden auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, die Vorschriften über den Kauf Anwendung. Zunächst stellt sich hier die Frage, ob der Unternehmer bewegliche Sachen geliefert hat. Dies wurde im Vorfeld der Entscheidung bisweilen für solche körperlichen Gegenstände verneint, die ihre sachenrechtliche Eigenständigkeit durch Einbau nach § 946 verlieren, wenn sie mit einer unbeweglichen Sache auf Dauer fest verbunden wurden.208 Die Gegenauffassung geht hingegen davon aus, dass sich der Anwendungsbereich des § 650 Satz 1 nach den europarechtlichen Vorgaben bestimmt und nicht nach dem deutschen Sachenrecht. Dies gebiete auch die Schutzzwecküberlegung, dass das sachenrechtliche Schicksal den Inhalt der Gewährleistungspflichten nicht beeinflussen könne.209 Auch der BGH bestimmt den Begriff der Sache anhand von Art. 1 Abs. 2 lit. b VerbrGüterKRiL autonom und nicht nach dem deutschen Sachenrecht (Tz. 11). Es komme nicht darauf an, dass die Teile zum Einbau bestimmt gewesen seien; entscheidend sei vielmehr, dass sie bei der Anlieferung noch beweglich gewesen waren (Tz. 13). Allerdings besteht hier eine Einschränkung: Liegt der Schwerpunkt des Vertrages eindeutig in der Errichtung eines Bauwerks oder in seiner wesentlichen Umgestaltung, müssen die §§ 631ff. Anwendung finden. Andernfalls könnte auch der Bauvertrag stets als Kaufvertrag über die Lieferung von Baumaterialien nebst Montagepflicht eingeordnet werden. So weit geht jedoch auch Art. 1 Abs. 4 VerbrGüterKRiL nicht: Der Wortlaut bezieht sich auf zu erzeugende und herzustellende Verbrauchsgüter; dies sind nach Abs. 2 der Norm aber nur bewegliche Sachen.210 Im vorliegenden Fall fehlte jedoch eine eindeutige Schwerpunktsetzung. Ferner wurde die Auffassung vertreten, § 650 Satz 1 sei dann nicht anwendbar, wenn die geschuldete Sache zuvor vom Schuldner überhaupt erst herge-

208 Mankowski MDR 2003, 854, 856; Krug, Die Verweisung von Bau- und Anlagenbauverträgen in das Kaufrecht durch § 651 BGB, 2010, S. 62ff.; Schudnagies NJW 2002, 396, 398; ebenso MünchKomm/Busche § 651 Rn. 10. 209 Leistner JA 2007, 81, 82; Nietsch AcP 211 (2011) 737, 745; R. Schumann ZGS 2005, 250, 255; Rudolph, Die Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht gemäß § 651 BGB, 2009, S. 82ff.; R. Schumann JZ 2008, 115, 116. 210 So Thode NZBau 2002, 360, 361f.; vgl. auch Mankowski MDR 2003, 854f.; MünchKomm/ Busche § 651 Rn. 9; Schudnagies NJW 2002, 396, 398; Ott MDR 2002, 361, 363ff.; Leistner JA 2007, 81ff.; vgl. aber auch den BGH vorliegend unter Tz. 16f.

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stellt werden muss.211 Der BGH entnimmt dem Wortlaut des § 650 Satz 1 keine solche Einschränkung (Tz. 15). Im Schrifttum ist weiter die Auffassung vertreten worden, § 650 Satz 1 könne keine Anwendung finden, wenn der Schuldner die Herstellung eines typischen Investitionsguts schulde und dabei andere wesentliche Leistungen, wie Planungs-, Konstruktions-, Integrations- und Anpassungsleistungen, im Vordergrund stünden.212 Der BGH nimmt dazu nicht Stellung (Tz. 23), da er davon ausgeht, dass die im Sachverhalt geschuldeten Planungsleistungen in keinem Fall eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 650 Satz 1 rechtfertigen (Tz. 20 und 25f.). Die Entscheidung erscheint konsequent, indem sie insbesondere den durch Art. 1 Abs. 4 VerbrGüterKRiL gesetzten Anwendungsbereich respektiert. Danach bleibt es bei der Anwendung von Kaufrecht und damit der §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1. Eine Grenze ziehen vor allem die Regelungen über den Bauvertrag (Rn. 1178). Dadurch sind Abgrenzungsschwierigkeiten vorgezeichnet: So wurde der Einbau einer maßgeschneiderten Küche werkvertraglich eingeordnet,213 auf die Lieferung einer individuell angefertigten Fensterdekoration jedoch § 650 Satz 1 angewendet.214 Nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg soll der Einbau einer serienmäßig hergestellten LPG-Autogasanlage in einen Pkw keinen Kauf mit Montagepflicht, sondern einen Werkvertrag darstellen. Begründet wird dies mit dem grundlegenden Eingriff in die Technik des Fahrzeugs, die wichtige Anpassungsarbeiten erforderlich mache und sozusagen eine „Operation am offenen Herzen“ darstelle.215 Trotz der eindrucksvollen Metapher bleiben Zweifel an dieser Einordnung, weil das Maß an technischem Können kein Kriterium iSd. § 650 Satz 1 darstellt. Überzeugender erscheint dagegen ein vom OLG Koblenz entwickeltes systematisches Argument aus § 434 Abs. 2 Satz 1. Nach dieser Norm liegt ein Mangel der Kaufsache vor, wenn deren Montage entgegen der Vereinbarung der Parteien unsachgemäß durchgeführt worden ist. Danach unterfallen dem Kaufrecht typischerweise Montageleistungen, die zur Sachverschaffung hinzutreten, nicht aber Anpassungsleistungen, die den zentralen Gegenstand der Hauptleistungspflicht des Schuldners ausmachen. Bei der Errichtung eines Specksteinofens in einem Haus soll deshalb § 650 Satz 1 keine Anwendung finden und stattdessen Werkvertragsrecht gelten, weil hier nicht nur eine Montageleistung geschuldet sei, sondern der Gesamterfolg der Einpassung des Ofens in ein bestehendes Hei-

211 Mankowski MDR 2003, 854, 856; Schudnagies NJW 2002, 396, 398; vgl. auch den Beitrag von Ulbrich/Ulbrich, in: FS Thode, 2005, S. 181. 212 K.P. Berger ZIP 2006, 2149, 2150; Leistner JA 2007, 81, 88; Metzger AcP 204 (2004) 231, 246; R. Schumann ZGS 2005, 250; zurückhaltend Nietsch AcP 211 (2011) 737, 746. 213 KG MDR 2007, 76. 214 OLG Brandenburg Urt. v. 3.6.2009 – 7 U 146/06 (Juris); dazu Nietsch AcP 211 (2011) 737, 749. 215 OLG Oldenburg ZGS 2011, 524.

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§ 8 Der Werkvertrag

zungs- und Abluftsystem.216 Für diese Betrachtungsweise spricht vor allem die werkvertragliche Typisierung der Parteivereinbarung in der Forsthaus-Entscheidung (Rn. 1096). Über die in der Entscheidung diskutierten Lehren hinaus wird vor allem noch der Fall der verkörperten geistigen Leistung kritisch im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 650 Satz 1 erörtert. Beispiel U verpflichtet sich zur Erstellung einer Individualsoftware, die den Betriebsablauf in der Waschmittelfabrik des B überwachen soll. Nach Abschluss der Arbeiten und Installation des Programms auf den Rechnern des B liefert er das Programm auch auf einer CD.

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Tritt die Übereignung der Sache so deutlich hinter den immateriellen Leistungen des Schuldners zurück, ist wohl keine Sache iSd. § 650 Satz 1 geschuldet. Denn die Überlassung des Datenträgers stellt keine Hauptleistungspflicht dar, sondern allenfalls eine Nebenleistungspflicht, die auch in anderer Weise als durch Sachübereignung erfüllt werden könnte (Online-Überspielung oder Online-Abrufbarkeit der Software).217 Ähnliche Fragen wirft die Herstellung von Kunstwerken (Gemälden, Büsten usw.) auf.218 Wird das Kunstwerk auf der Grundlage eines handelsüblichen Trägermediums erbracht (Holzrahmen mit Canvas), stellt es eher einen für die rechtliche Zuordnung nicht erheblichen Zufall dar, wer dieses beschafft: der Besteller oder der Unternehmer. Zur Vermeidung der mit § 650 Satz 1 verbundenen Anwendungsprobleme wird häufig auch eine Normspaltung empfohlen: Weil Art. 1 Abs. 4 VerbrGüterKRiL nur für Verbrauchsgüterverträge zwingende Vorgaben mache, soll der Normanwendungsbereich im Verkehr zwischen Unternehmern stärker eingeschränkt werden können.219 Der BGH ist dem jedoch im Siloanlagen-Fall aus gutem Grund nicht gefolgt. Denn der Gesetzgeber erstrebte in § 650 erkennbar eine einheitliche Regelung für alle Fälle.220 Eine weitere Auffassung will den unternehmerisch organisierten Parteien schließlich die Möglichkeit einräumen, das Werkvertragsrecht kraft Vereinbarung zu wählen.221 Dies ist jedoch mit der Methode der typologischen Zuordnung nicht vereinbar.222 Insbesondere verfängt dabei der Vergleich mit der aus dem Internationalen Privatrecht bekannten Rechtswahl nicht.223 Denn die 216 OLG Koblenz NJW 2012, 3380 217 Mankowski MDR 2003, 854, 857; Leistner JA 2007, 81, 86ff.; Metzger AcP 204 (2004) 231,

247; MünchKomm/Busche § 651 Rn. 12; Staudinger/Peters/Jacoby § 651 Rn. 16; Bamberger/ Roth/Voit § 651 Rn. 4 (= BeckOK). 218 Nietsch AcP 211 (2011) 737, 746. 219 Leistner JA 2007, 81, 88f.; Rudolph BauR 2009, 1806, 1808f. 220 Nietsch AcP 211 (2011) 737, 750f.; Krug, Die Verweisung von Bau- und Anlagenbauverträgen in das Kaufrecht durch § 651 BGB, 2010, S. 101ff.; Metzger AcP 204 (2004) 231, 256. 221 R. Schumann JZ 2008, 115, 118f.; Nietsch AcP 211 (2011) 737, 755ff. 222 Im Ergebnis ebenso Voit BauR 2009, 369, 378f.; Bamberger/Roth/Voit § 651 Rn. 25 (= BeckOK); Palandt/Sprau § 651 Rn. 1. 223 R. Schumann JZ 2008, 115, 116; Oechsler; Eckpfeiler, 2014/15 M 39.

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Rechtsnatur des Vertrages bestimmt sich nach dem tatsächlichen Inhalt der von den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten. Diese werden im Rahmen eines Typenvergleichs dann einem der im Gesetz geregelten Normstrukturtypen zugeordnet. Es hieße Ursache und Wirkung zu verkehren, wenn die Parteien durch Deklarierung eines bestimmten Normstrukturtypus (hier der §§ 631ff.) das anwendbare Recht bestimmen könnten. Der BGH begegnet etwa dem einschlägigen Versuch eines auf Partnerschaftsberatung spezialisierten Unternehmens, das Werkvertragsrecht in seinen AGB zu „wählen“, gerade aus diesen Überlegungen heraus kritisch (Rn. 1033). Ist der Gläubiger Verbraucher, kommt eine Wahl des Normstrukturtypus auch wegen § 476 Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 nicht in Betracht, weil das Verbrauchsgüterkaufrecht weder unmittelbar noch mittelbar abbedungen werden kann.224 Die durch § 650 Satz 1 produzierten Anwendungsprobleme lassen sich daher – soweit der Umkehrschluss aus § 434 Abs. 2 Satz 1 nicht trägt (Rn. 1181) – nur im Kaufrecht lösen, und zwar dadurch, dass dort der Mangelbegriff nach § 434 Abs. 2 konsequent im Sinne des § 633 Abs. 2 konkretisiert wird und in den Begriff der Übergabe nach § 446 Satz 1 Elemente der Billigung wie im Fall des § 640 aufgenommen werden (vgl. dazu Rn. 90ff.). Auf lange Sicht wird § 650 Satz 1 daher zu einer partiellen Überlagerung des Kaufrechts durch werkvertragliche Wertungen führen.

224 Ähnlich Nietsch AcP 211 (2011) 737, 758f.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung I. Grundlagen 1. Zweck der Regelung 1186

Der Vertrag über eine Reiseleistung wurde vor Schaffung der §§ 651aff. als Sonderfall des Werkvertrages angesehen.1 Bedingt durch das Wachstum des Pauschalreisegeschäfts Anfang der siebziger Jahre etablierte sich so innerhalb der §§ 631ff. ein Sonderrecht der Pauschalreise. Dazu trugen vor allem drei aus dieser Zeit stammende Entscheidungen des BGH bei: Im 1970 spielenden Impfschaden-Fall (vgl. Rn. 1168 und unten Rn. 1231) gelangt der BGH zu einer den Reisenden schonenden Risikoverteilung nach § 645 Abs. 1 Satz 1 analog, wenn die Reise unverschuldet, aber aus Gründen, die in der Person der Familie des Bestellers liegen, nicht angetreten werden kann.2 Dem entspricht heute die Regelung des § 651i Abs. 2 (Art. 12 Abs. 1 PauschalRRiL 2015; § 651h Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht). In der Ferienwohnung-Entscheidung aus dem Jahre 1971 (Rn. 1176) warb der Reiseunternehmer in seinem Katalog mit Ferienwohnungen in Norwegen und der guten Zusammenarbeit mit den örtlichen Vermietern, schloss aber im „Kleingedruckten“ jede eigene Verantwortung aus und bezeichnete sich als bloßen Vermittler der Reiseleistungen. Der Reisende jedenfalls fand die Wohnung zum vereinbarten Zeitpunkt belegt vor. Der BGH sah den Unternehmer aufgrund des von ihm erweckten Eindrucks als Reiseveranstalter an und ließ ihn unmittelbar gegenüber dem Reisenden haften3 (vgl. nunmehr § 651a Abs. 2; Art. 3 Nr. 2 und 8 PauschalRRiL 2015; § 651a Abs. 2 bis 4 RegE-Reiserecht). Im neuen Recht kommt jedoch eine Veranstalterhaftung für einzelne Reiseleistungen voraussichtlich nicht mehr in Betracht (Rn. 1198). Eine dritte Entscheidung betraf eine ebenfalls 1971 stattfindende Pauschalreise ans Schwarze Meer nach Rumänien. Hier gewärtigte der Reisende so umfangreiche Mängel, dass er Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit forderte, die der BGH ihm auch zuerkannte.4 Dem ist die Regelung des § 651f Abs. 2 (Rn. 1225) nachempfunden (Erwägungsgrund 34 Satz 7 und Art. 14 Abs. 2 PauschalRRiL 2015; § 651n Abs. 2 RegE-Reiserecht). Diese Kumulation der Fälle, aber auch ein Vorschlag des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts in Rom (UNIDROIT)5 gaben den Anstoß 1 2 3 4

Vgl. nur die Typisierung vor Einführung der §§ 651aff. in BGHZ 60, 14, 16. BGHZ 60, 14, 19ff. BGHZ 61, 275, 280f. BGHZ 63, 98, 101.

I. Grundlagen

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für das Gesetzgebungsverfahren, das 1973 begann. Der Regierungsentwurf war auf ein eigenes Gesetz zum Reiseveranstaltungsvertrag außerhalb des BGB hin angelegt.6 Diese Vorstellungen ließen sich indes nicht durchsetzen. Der lange Gesetzgebungsprozess bis zum Jahre 19797 mag ein Übriges dazu beigetragen haben, dass in den §§ 651aff. die ursprünglichen Regelungsanliegen – dh. vor allem die Erfassung des Reiseveranstaltungsvertrages und seine Abgrenzung vom Reisevermittlungsvertrag – hinter einer Fülle von Details zurücktraten, was Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung des § 651a Abs. 1 und 2 (künftig §§ 651a Abs. 2 bis 4 und 651u bereiten kann (Rn. 1197). Weitere Änderungen veranlasste die Pauschalreise-Richtlinie 90/314/EWG,8 die allerdings erst verspätet durch Gesetz vom 13.6.1994 umgesetzt wurden. Dies hatte zwischenzeitlich eine Debatte um die Staatshaftung der Bundesrepublik wegen Nichtumsetzung der Insolvenzschutzvorschriften (nunmehr § 651k) ausgelöst (unten Rn. 1234). Die zweite Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302 (PauschalRRiL 2015) bricht mit den dogmatischen Grundstrukturen nicht, greift wegen der vollharmonisierenden Wirkung (Art. 4) aber tief in die nationale Regelung ein.9 Sie ist bis 1.1.2018 umzusetzen und die auf ihrer Grundlage erlassenen Vorschriften ab 1.7.2018 anzuwenden. Die folgende Darstellung orientiert sich am Gesetzesentwurf der Bundesregierung (RegE-Reiserecht).10 Für Aufsehen sorgt darin das Recht des Veranstalters, den Reisepreis noch 20 Tage vor Reisebeginn abzuändern, worauf der Reisende mit einer Kündigung reagieren können soll (Art. 10 PauschalRRiL 2015; § 651f Abs. 1 RegE-Reiserecht). Neu ist auch die Normierung von Beistandspflichten des Reiseveranstalters in Notsituationen (Art. 16 PauschalRRiL 2015; § 651q RegE-Reiserecht), die an die FluggastrechteVO erinnern (Rn. 1241), aber eigene Vergütungsansprüche des Reiseveranstalters begründen können. Der Gesetzgeber lehnt schließlich eine Veranstalterhaftung ab, wenn nur eine einzelne Reiseleistung vereinbart wird und wendet sich damit gegen die bisherige BGH-Rechtsprechung (Rn. 1198).

Die drei ursprünglich vom BGH entschiedenen Fälle stehen für die Sondersituation, in der sich der Pauschalreisende befindet. Am Reiseort fällt es ihm gleich aus mehreren Gründen schwer, gegenüber den lokalen Leistungsträgern Rechte durchzusetzen: Die Verantwortlichen selbst und die Rechtslage am Urlaubsort sind ihm meist unbekannt; kennzeichnend für die Pauschalreiseleistung ist auch, dass ihr die Rechtsprechung den Charakter eines absoluten Fixgeschäfts zuerkennt:11 Ist die Reisezeit nämlich verstrichen, lassen sich die geschuldeten Leistungen nicht nachholen. Hinzu kommen spezifische, der Erbringung der Reiseleistung entgegenstehende Risiken, die aus den GegebenDazu Riese RabelsZ 32 (1968) 651. RegE BT-Drucks. 7/5141. BGBl. 1979 I, S. 509. ABl. EG Nr. L 158 vom 23.6.1990, S. 59. Dazu Führich NJW 2016, 1204. BR-Drucks. 652/16. Dazu BGHZ 60, 14, 16; 77, 320; 85, 301; 86, 284; aA. und für relatives Fixgeschäft: Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 10; MünchKomm/Tonner § 651c Rn. 39. 5 6 7 8 9 10 11

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

heiten des Reiseortes, der Reiseleistung, aber auch der Person des Reisenden resultieren können und zwischen den Parteien verteilt werden müssen. Aufgrund dieser und anderer Besonderheiten sieht ein Teil des Schrifttums den Reisevertrag nach §§ 651aff. als eigenständigen Vertragstypus an.12 Dagegen handelt es sich traditionellem und zutreffendem Verständnis nach um einen Sonderfall des Werkvertrags.13 Dies hat zurzeit noch Bedeutung bei der ergänzenden Anwendung des Werkvertragsrechts dort, wo die §§ 651aff. Lücken lassen (§ 651d Abs. 1; vgl. auch Rn. 1214). Das neue Recht wird diese Lücken schließen. Eine zentrale Besonderheit des Reisevertragsrechts liegt schließlich in der abschließenden Regelung der Leistungsstörungen (also auch Unmöglichkeit, Verzug usw.) auf der Grundlage eines extensiven Mangelbegriffs nach § 651c Abs. 1 (Rn. 1208; ausdrücklich § 651i Abs. 2 Satz 3 RegE-Reiserecht). Die Regelungen sind zugunsten des Reisenden zwingend und unterliegen einem Umgehungsverbot (§ 651m; § 651y Satz 2 RegE-Reiserecht). 2. Die beteiligten Personen und ihre Vertragsbeziehungen a) Reiseveranstalter und Reisender

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Der Reisevertrag wird zwischen Reiseveranstalter und Reisendem geschlossen. Reiseveranstalter ist nach § 651a Abs. 1, wer sich zur Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen verpflichtet. Beim Zustandekommen und der Erfüllung des Reisevertrages wirken allerdings in der Regel weitere Personen mit. Der Reisende ist Vertragspartner des Veranstalters. Künftig sind hier nicht nur Verbraucher, sondern auch Geschäftsreisende kleinerer Unternehmen einbezogen, die mit dem Veranstalter keine Rahmenvereinbarung unterhalten (Erwägungsgrund 7 und Art. 2 Abs. 2 lit. c PauschalRRiL 2015; § 651a Abs. 5 Nr. 3 RegE-Reiserecht). Fraglich ist die Rechtsstellung der mitreisenden Angehörigen: (BGH 26.5.2010 – Xa ZR 124/09 = NJW 2010, 2950) M buchte bei Reiseveranstalter V eine Donaufahrt für sich und seine Ehefrau F vom 2.7. bis 16.7.2010. V musste die Reise allerdings am 1.7. absagen und bot M eine Umbuchung auf eine Rheinfahrt oder Stornierung an. M entschied sich für die Stornierung und verlangte am 10.7.2010 „Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit für mich und meine Ehefrau F“. V zahlte M daraufhin 600 € Schadensersatz; Ansprüche der F verneinte V mit der Behauptung, bei dieser handele es sich um eine Hausfrau. Am 1.9.2010 trat daraufhin F ihre Ansprüche auf Schadensersatz an M ab, der diese nun abermals gegenüber V geltend machte. Dort wies man darauf hin, dass die Geltendmachung zu spät erfolgt sei. In Betracht kommt ein Anspruch des M gegen V aus § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 2 RegEReiserecht). Zwischen den Beteiligten kam ein Reisevertrag nach § 651a Abs. 1 zustande. Das Nichterbringen der geschuldeten Reiseleistung durch V stellt dabei einen Mangel iSd. 12 Larenz VersR 1980, 689; Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 3 (= BeckOK); MünchKomm/ Tonner Vor § 651a Rn. 18; Soergel/Eckert Vor § 651a Rn. 21. 13 BT-Drucks. 8/2434, S. 7; BGHZ 100, 157, 163; Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 7; BeckOGK/Tamm § 651a Rn. 66.

I. Grundlagen

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§ 651c Abs. 1 dar (Rn. 1208; § 651i Abs. 2 Satz 3 RegE-Reiserecht). Verweigert der Veranstalter die Erbringung der Leistung, liegt darin, unabhängig vom Grund der Verweigerung, auch eine Vereitelung (Rn. 1225). Diese hat V vorliegend zu vertreten. Für Grund und Umfang der nach § 651f Abs. 2 geschuldeten, angemessenen Entschädigung kommt es schließlich nicht darauf an, ob der Reisende über ein eigenes Einkommen verfügt, da der Anspruch sich am Reisepreis orientiert (Rn. 1227).

Das Problem des Falles lag jedoch in der Frage, ob der Reisende den seine Ehefrau betreffenden Anspruch noch innerhalb der Monatsfrist des § 651g Abs. 1 Satz 1 geltend gemacht hatte. Eine vergleichbare Ausschlussfrist ist in der PauschalRRiL 2015 nicht vorgesehen und entfällt daher wegen deren vollharmonisierender Wirkung auch im neuen Reisevertragsrecht. Die anstehenden Probleme können sich dort jedoch in anderen Sachzusammenhang stellen: Wenn ein Gericht über zwei Jahre nach Reisebeendigung (§ 651j RegE-Reiserecht!) über eine Klage des R entscheidet, stellt sich etwa die Frage, ob R die Ansprüche seiner Gattin verjährungshemmend (§ 204 Abs. 1 Nr. 1) mit eingeklagt hat oder nicht.

In Betracht kommt eine Geltendmachung dieses Anspruchs bereits am 10. Juli. Damals hatte zwischen den Eheleuten aber noch keine Abtretung stattgefunden. Der BGH deutet an, dass der Reisevertragspartner (Ehemann) einen Eigenanspruch nach § 335 geltend machen könne. Denn bei einer Familienreise sei es typisch, dass der mitreisende Angehörige nicht selbst mit dem Veranstalter kontrahiere, sondern als Dritter iSd. § 328 Abs. 1 in den Vertrag einbezogen werde. Dann könne der Reisende aber diese Ansprüche aus eigenem Recht geltend machen (Tz. 14). Die Anwendung der §§ 328ff. auf die den Reisenden begleitenden Angehörigen entspricht auch der im Schrifttum hM.14 Der BGH lässt diese Frage jedoch vorliegend offen, weil der Reisende seine Ehefrau am 10.7. in jedem Fall auch gegenüber dem Veranstalter vertreten habe (Tz. 16ff.). Dem könnte allerdings § 180 Satz 1 entgegenstehen, wonach eine Vertretung ohne Vertretungsmacht bei einseitigen Rechtsgeschäften ausgeschlossen ist. Zunächst handelt es sich bei der Geltendmachung nach § 651g Abs. 1 Satz 1 allerdings nicht um eine Willenserklärung, sondern um eine geschäftsähnliche Handlung. Denn die Willensbekundung ist nicht unmittelbar auf eine Rechtsfolge gerichtet; diese tritt vielmehr kraft Gesetzes unter äußerlicher Anknüpfung an eine Willensbekundung des Reisenden ein. Auf geschäftsähnliche Handlungen finden die Regeln über Willenserklärungen jedoch analoge Anwendung.15 Der BGH wendet hier § 180 Satz 2 an, wonach die Vertragsgegenseite sich auf Satz 1 nicht berufen kann, wenn sie die fehlende Vertretungsmacht nicht beanstandet hat (Tz. 19). Vorliegend erhob der Veranstalter keine Einwendungen gegen die Vollmacht des Reisenden, sondern gegen die tatsächlichen Voraussetzungen der Ansprüche der Ehefrau. Dies genügt für eine Beanstandung nach § 180 Satz 2 nicht. Dieses vollmachtlose Handeln habe die Ehefrau aber anlässlich der Zession nachträglich nach § 177 Abs. 1 genehmigt (Tz. 20ff.). Fraglich ist noch, ob es schadet, wenn diese Genehmigung nicht mehr innerhalb der Frist des § 651g Abs. 1 Satz 1 erfolgt. Dies verneint der BGH aufgrund der Zwecksetzung der Norm: Denn das Gesetz wolle den Reiseveranstalter rechtzeitig vor auf ihn zukommenden Haftungsan14 Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 16 (= BeckOK); Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 104; MünchKomm/Tonner § 651a Rn. 9; Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 82. 15 Vgl. nur MünchKomm/Schmitt Vor § 104 Rn. 11.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

sprüchen warnen, damit etwa Beweise gesichert werden können. Dieser Zweck werde aber auch durch eine vollmachtlos vorgenommene Geltendmachung erreicht (Tz. 24).

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Beim Abschluss des Vertrages verneint die hM. regelmäßig die Möglichkeit, dass der Reisende den mitreisenden Angehörigen vertrete.16 Für dieses Ergebnis spricht vor allem das allgemeine Interesse des Veranstalters, die Vertretungsmacht im Innenverhältnis nicht überprüfen zu müssen und die aus §§ 104ff. folgenden Schwierigkeiten bei der Verpflichtung von Kindern (§§ 105, 107) zu vermeiden. Bei Gruppenreisen kommt allerdings grundsätzlich mit jedem Reisenden ein Vertrag zustande.17 Allerdings kommt auch hier eine andere Auslegung nach §§ 133, 157 im Einzelfall in Betracht: Sind die Gruppenangehörigen etwa noch nicht geschäftsfähig, dürfte der Vertrag regelmäßig allein mit dem geschäftsfähigen Gruppenleiter geschlossen werden (Rn. 1232). Umstritten ist die Anwendung des § 1357 auf Reiseverträge. Die Norm sieht eine Mitverpflichtung von Ehegatten bei Geschäften zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs vor (Schlüsselgewalt). In der Neufassung der Norm stellt der Gesetzgeber bewusst auf den Lebensbedarf und nicht wie früher den häuslichen Wirkungskreis ab.18 Gerade dies erlaubt eine Einbeziehung von Reisen, bei denen der Reisepreis sich in dem finanziellen Rahmen bewegt, der auch ansonsten zur Deckung des Lebensbedarfs der Eheleute zur Verfügung steht.19 Die Normanwendung erscheint deshalb gerechtfertigt, weil nicht immer der vermögende Ehegatte mit dem Reiseveranstalter kontrahiert. Weil die Reise aber von beiden Eheleuten genutzt wird, schiene es entsprechend dem Normzweck willkürlich, dem Reiseveranstalter das Insolvenzrisiko derjenigen Person aufzubürden, die aufgrund der häuslichen Aufgabenteilung ihm gegenüber als Vertragspartner auftritt. Die vollharmonisierende Wirkung der PauschalRRiL 2015 dürfte in diesem Punkt nicht entgegenstehen, da sie das Familienrecht nicht regelt (arg. e Erwägungsgrund 20 und Art. 2 Abs. 3). § 651b Abs. 1 Satz 1 erlaubt einen Wechsel in der Person des Reisenden, solange mit der Person des Eintretenden keine Leistungshindernisse verbunden sind (§ 651b Abs. 1 Satz 2). Der Reisende wird aus dem Vertrag nicht entlassen, sondern haftet mit dem Eintretenden gemeinsam auf den Reisepreis und die durch den Eintritt des Dritten entstehenden Mehrkosten nach § 651b Abs. 2. Früher wurde darin ein gesetzlich angeordneter Fall eines Vertrages zugunsten Dritter gesehen.20 Heute neigt die hM. hingegen wegen des veränderten Wortlauts „eintritt“ zur Annahme eines gesetzlichen Falls einer Vertragsüber-

16 OLG Düsseldorf NJW-RR 1991, 1202; Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 16 (= BeckOK); MünchKomm/Tonner § 651a Rn. 84. 17 Rodegra MDR 2009, 782; Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 104. 18 MünchKomm/Wacke, 4. Aufl. 2000, § 1357 Rn. 17. 19 Verneinend: OLG Köln FamRZ 1991, 434f.; MünchKomm/Roth § 1357 Rn. 24; bejahend: Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 16 (= BeckOK); MünchKomm/Tonner § 651a Rn. 84; Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 82; MünchKomm/Wacke, 4. Aufl. 2000, § 1357 Rn. 17. 20 Vgl. noch Staudinger/Schwerdtner (12. Aufl. 1991) § 651b Rn. 31ff. mwN.

I. Grundlagen

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nahme durch den Eintretenden.21 Diese weicht indes vom Fall der rechtsgeschäftlich vereinbarten Vertragsübernahme (vgl. Rn. 699f.) in zwei Punkten ab: Sie beruht nicht auf einer privatautonomen Entscheidung der Parteien; denn der Veranstalter ist in seiner Entscheidung nicht frei, sondern hat nur ausnahmsweise ein Widerspruchsrecht nach § 651b Abs. 1 Satz 2. Zweitens scheidet der alte Vertragspartner nicht aus, sondern bleibt in der Mithaftung nach § 651b Abs. 2. Darin liegt eine Kompensation für den auf den Veranstalter ausgeübten Zwang: Ihm wird nämlich das in der Person des Eintretenden liegende Insolvenzrisiko deshalb nicht aufgebürdet, weil er den alten Vertragspartner als Schuldner behält. Gleichzeitig aber kann der Eintretende – wiederum typisch für eine Vertragsübernahme und untypisch für einen bloßen Schuldbeitritt (Rn. 696) – die vom Veranstalter nach § 651a Abs. 1 geschuldeten Leistungen in eigener Person geltend machen, worauf er für einen störungsfreien Ablauf der Reise angewiesen ist. Art. 9 PauschalRRiL 2015 und § 651e RegE-Reiserecht sehen ebenfalls eine „Vertragsübertragung“ mit anschließender gesamtschuldnerischer Haftung von Eintretendem und Austretendem vor (Art. 9 Abs. 2, § 651e Abs. 3).

b) Reisebüro

Das Reisebüro agiert regelmäßig als rechtlich unabhängiger Handelsvertreter iSd. §§ 84ff. HGB und wird vom Reiseveranstalter mit dem Vertrieb von Reisen beauftragt. Ihm steht folglich nicht notwendig Abschlussvollmacht für den Reiseveranstalter nach §§ 91 Abs. 1, 55 HGB zu. In jedem Fall ist der Handelsvertreter jedoch nach § 91 Abs. 2 HGB zum Empfang von Willenserklärungen des Reisenden bevollmächtigt (ausdrücklich jetzt § 651v Abs. 4 RegE-Reiserecht); nach neuem Recht ist die Vollmacht zur Entgegennahme von Zahlungen an die Erfüllung spezieller Informationspflichten gegenüber dem Reisenden gebunden (§ 651v Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht). Fraglich ist nur, ob der Reisende im Falle einer unzureichenden Informierung nicht erst recht schutzwürdig ist, weil er die Gefahren einer Zahlung an den Reisevermittler nicht erkennen kann. Das Verhalten des Reisevermittlers ist in solchen Fällen dem Reiseveranstalter nämlich eher zuzurechnen als dem Reisenden. Zwischen dem Reisenden und dem Reisebüro kommt regelmäßig ein Reisevermittlungsvertrag (§ 651v RegEReiserecht) und kein Reisevertrag nach § 651a Abs. 1 zustande. Beim Reisevermittlungsvertrag handelt es sich nach hM. um einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit werkvertraglichem Charakter (§§ 675 Abs. 1, 631).22 Dagegen spricht allerdings, dass der Reisende dem Reisebüro kein eigenes Entgelt für dessen Dienste schuldet; dieses finanziert sich nämlich regelmäßig durch die Führich, Reiserecht, 7. Aufl. 2015, § 6 Rn. 2; Bamberger/Roth/Geib § 651b Rn. 8 (= BeckOK); Held BB 1980, 185; MünchKomm/Tonner § 651b Rn. 5; Staudinger/Staudinger§ 651b Rn. 4 mwN. 22 Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 22 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 62 mwN. zu diversen Gegenauffassungen; MünchKomm/Tonner § 651a Rn. 46; offengelassen in BGH NJW 2006, 231. 21

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

vom Veranstalter nach § 87 HGB geschuldete Provision, nicht aber durch eine gegenüber dem Reisenden selbst erhobene Gegenleistung. Deshalb schließen die Parteien wohl nur ein Auftragsverhältnis nach § 662.23 Daraus, aber auch aus dem von der hM. angenommenen Vertrag nach §§ 675 Abs. 1, 631 können dem Reisebüro im Einzelfall Aufwendungsersatzansprüche gegen den Reisenden nach § 670 zustehen.24 Im Gegenzug haftet es dem Reisenden jedoch auch für falsche Auskünfte und unrichtige Beratung nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. c) Leistungsträger (Leistungserbringer) 1193

Vor Ort wirken für den Reiseveranstalter Personen mit, die die einzelnen Reiseleistungen ausführen sollen (Leistungsträger; § 651b Abs. 1 Satz 2 RegEReiserecht: Leistungserbringer). Dabei handelt es sich – im Gegensatz zu den einfachen Erfüllungsgehilfen (Reiseleiter) – um selbständige Unternehmer.25 Diese Abgrenzung ist erforderlich, weil § 651h Abs. 1 Nr. 2 dem Reiseveranstalter die Möglichkeit eröffnet, die strenge Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 278 Satz 1 gegenüber Leistungsträgern zu beschränken; dies ist nur im Hinblick auf den unternehmerisch selbständigen Partner, nicht aber bezüglich der eigenen Angestellten des Veranstalters möglich. Soweit keine Körperschäden betroffen sind, kann der Reiseveranstalter nach § 651h Abs. 1 Nr. 2 die Haftung auf die dreifache Höhe des Reisepreises beschränken, wenn allein ein Verschulden des Leistungsträgers maßgeblich war. Aus dem systematischen Verhältnis von § 651h Abs. 1 Nr. 1 und 2 folgt, dass ein Haftungsausschluss selbst für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des Leistungsträgers in Betracht kommt.26 Dies ist außerhalb dieser spezialgesetzlichen Regeln ansonsten nach §§ 276 Abs. 3, 309 Nr. 7 lit. b untersagt. Die hM. wendet die §§ 307ff. jedoch im Fall des § 651h nicht an, weil sonst die in der Norm vorgesehene Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung weitgehend leerliefe.27 Begründet wird die umstrittene28 Befreiungsmöglichkeit nach § 651h Abs. 1 Nr. 2 durch den Gesetzgeber übrigens mit einem Sphärenargument (zur Sphärentheorie Rn. 1165): Dem Reiseveranstalter fehle die Einwirkungsmöglichkeit auf den Leistungsträger, und der Reisende stünde dem Risiko näher.29 Deshalb soll der Veranstalter ge-

LG Stuttgart NJW-RR 1992, 1020; RGRK/Recken, 12. Aufl. 1997, § 651a Rn. 15. Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 63. Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 21 (= BeckOK); Grunewald NJW 1980, 1924; BeckOGK/Tamm § 651a Rn. 311ff. 26 Bamberger/Roth/Geib § 651h Rn. 7 (= BeckOK); MünchKomm/Tonner § 651h Rn. 11. 27 BGHZ 100, 157 = NJW 1987, 1931; Bamberger/Roth/Geib § 651h Rn. 5 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651h Rn. 33; vgl. die wohl nicht ganz den Meinungsverhältnissen entsprechende Darstellung bei MünchKomm/Tonner § 651h Rn. 12. 28 So noch Erman/Seiler, 12. Aufl. 2008, § 651h Rn. 1; Grunewald NJW 1980, 1924, 1927; aA. nun Staudinger/Staudinger § 651h Rn. 8, weil Körperverletzungsschäden ausgenommen seien. 29 BT-Drucks. 8/2343, S. 12; dazu Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 193ff. 23 24 25

I. Grundlagen

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genüber dem Reisenden für ein Verschulden der Leistungsträger nicht uneingeschränkt haften. Die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung in Bezug auf Leistungserbringer ist im neuen Recht (Art. 14 PauschalRRiL 2015; § 651p RegE-Reiserecht) nicht mehr vorgesehen. Hier kann auch die Eigenhaftung des Reiseveranstalters für eigenes Verschulden gleich welcher Art nicht mehr ausgeschlossen werden (Rn. 1221). Nach § 651h Abs. 2 (§ 651p Abs. 2 RegE-Reiserecht) kann sich der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisenden auch darauf berufen, dass für eine von einem Leistungsträger zu erbringende Reiseleistung internationale Übereinkommen oder auf solchen beruhende gesetzliche Vorschriften gelten, nach denen ein Anspruch auf Schadensersatz beschränkt oder ausgeschlossen ist. Der Reiseveranstalter soll danach gegenüber dem Reisenden nicht weiter haften, als er auf den Leistungsträger Rückgriff nehmen kann. Internationale Abkommen iSd. Norm sind etwa der bei Gepäckverlust auf Flugreisen greifende Art. 31 des Montrealer Übereinkommens, der sehr kurze Reklamationsfristen gegenüber dem Luftfahrtunternehmen kennt.30

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3. Der sachliche Anwendungsbereich: Reiseveranstaltungs- und Reisevermittlungsvertrag

Gemäß § 651a Abs. 1 ist der Reisevertrag auf eine Gesamtheit von Reiseleistungen gerichtet. Nach dem Wortsinn setzt dies voraus, dass der Unternehmer mindestens zwei Leistungsteile erbringt (zB. Flug und Unterbringung) und diese zu einer einheitlichen Gesamtleistung zusammenfasst. Fraglich ist zunächst, in welchem Zeitpunkt diese Bündelung bestehen muss. Ursprünglich entsprach es der hM., dass das Zusammenfügen der Leistungsteile zu einer Gesamtheit vor Beginn der Verhandlungen mit dem Reisenden über den Vertragsabschluss erfolgt sein musste.31 Im sog. Club-Urteil entschied der EuGH indes, dass die Bündelung auch unmittelbar vor dem Vertragsschluss mit dem Reisenden, also gerade auch auf Initiative des Reisenden hin, zustande kommen könne.32 Art. 3 Nr. 2 lit. a PauschalRRiL 2015 und § 651a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RegE-Reiserecht regeln dies jetzt ausdrücklich und ergänzen den Fall, dass Reiseleistungen nach Vertragsschluss auf Initiative des Reisenden hinzukommen. Voraussetzung für eine Reiseveranstalterhaftung ist in diesem letzten Fall, dass der bereits geschlossene Vertrag eine Ergänzungsmöglichkeit dieser Art vorsieht (Art. 3 Nr. 2 lit. b iv PauschalRRiL 2015; § 651a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 RegE-Reiserecht). 30 Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.05.1999, BGBl. 2004 II, S. 458; Übersicht über die Abkommen bei Führich, 7. Aufl. 2015,§ 13 Rn. 13ff.; zur internationen Anwendbarkeit: EuGH NJW 2016, 385 – Prüller-Frey/Brodnig; zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs: BGH NJW 2016, 492. 31 Vgl. den Nachweis bei Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 19. 32 EuGH 30.4.2002 – C-400/00 = Slg. 2000, I-4051, Tz. 20 – Club Tour.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

Abgrenzungsfragen stellen sich, wenn Reisen von einem Reisebüro im sog. Baukastensystem während eines Beratungsgesprächs zusammengestellt werden. (BGH 30.9.2010 – Xa ZR 130/08 = NJW 2011, 599)33 R hat beim Reisebüro B eine kombinierte Flug- und Schiffsreise sowie zwei Hotelübernachtungen auf Jamaika gebucht. Sie verlangt von B Schadensersatz, weil ihr Koffer nicht an den Reiseort mittransportiert worden sei. Der Anspruch aus § 651f Abs. 1 setzt voraus, dass zwischen B und R ein Reisevertrag nach § 651a Abs. 1 und nicht nur ein Reisevermittlungsvertrag nach §§ 651a Abs. 2, 662 (nach hM. §§ 675 Abs. 1, 631; str., Rn. 1192) zustande gekommen ist.

Der BGH stellt vorliegend die Frage, ob das Reiseunternehmen eine Gesamtheit von Reiseleistungen in eigener Verantwortung erbringt (Tz. 10). Äußerlich spricht dafür zunächst die Zusammenstellung der Teilleistungen zu einem an den Reisenden veräußerten „Paket“. Dies macht nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht den Kern der in § 651a Abs. 1 geschuldeten Pflicht aus. Denn diesen sieht es in der Verantwortung des Veranstalters für das Gelingen und Ineinandergreifen der Einzelkomponenten. Eine solche Verantwortung verneint der BGH indes, weil das Reisebüro gegenüber dem Reisenden typischerweise nur als Vermittler auftrete und anlässlich dieser Tätigkeit keine Gesamtverantwortung für das Gelingen der Reise übernehme (Tz. 12f.). Der Fall zeigt sehr deutlich, dass der Typenkern des Reisevertrags nicht so sehr in der Kombination von Leistungsteilen zu einer Gesamtheit liegt (§ 651a Abs. 1), sondern in der Verantwortungsübernahme des Veranstalters für den Gesamterfolg der Reise (§ 651a Abs. 2).34 Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH35 und vor allem Erwägungsgrund 22 Satz 1 PauschalRRiL 2015, der in die Regelungen Art. 3 Nr. 2 lit. b PauschalRRiL 2015 und § 651a Abs. 2 RegE-Reiserecht zum Ausdruck kommt. Im Fall ist daher § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht) nicht anwendbar. B haftet deshalb nur auf der Grundlage der §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 für eine mögliche Verletzung seiner Pflichten als Reisevermittler. Der unterbliebene Transport der Koffer fällt danach aber nicht in seinen Pflichtenkreis, sodass insbesondere § 278 Satz 1 nicht anwendbar ist. Ein Anspruch besteht daher nicht.

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Die prägende Bedeutung der Veranstalterverantwortung für den Reisevertrag als Normstrukturtypus zeigte sich in der Vergangenheit daran, dass der BGH an den Grundsätzen der sog. Ferienwohnung-Entscheidung festhält, obwohl § 651a Abs. 1 seinem Wortlaut nach auf die isolierte Anmietung einer Ferienwohnung nicht passt: (BGH 18.10.1973 – VII ZR 247/72 = BGHZ 61, 275 = NJW 1974, 37) U hatte in seinem Katalog Ferienwohnungen in Norwegen angeboten, und zwar „in Verbindung mit befreundeten Unternehmen“. Kleingedruckt hieß es jedoch im Katalog auch, dass U lediglich Ähnlich BGHZ 203, 335 = NJW 2015, 1444, Tz. 9ff. – Dynamic Packaging. Zutreffend Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 2 (= BeckOK); weniger deutlich MünchKomm/Tonner § 651a Rn. 23ff. und Staudinger/Staudinger § 651a Rn. 19aff. 35 EuGH EuZW 2002, 402 – Club Tour/Garrido, Tz. 11. 33 34

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als Vermittler der in Anspruch genommenen Leistungsträger tätig werde. B hatte eine solche Wohnung „gebucht“, fand sie aber zum Reisetermin belegt vor und forderte von U sein Geld zurück.

Durch Auslegung des im Katalog niedergelegten Angebots gelangte der BGH zu der Überzeugung, ein Reisender müsse mit diesem die Vorstellung verbinden, „daß er es bei dem Beklagten mit einem Reiseveranstalter zu tun hat, dem er wie bei einer Pauschalreise die Gestaltung des Urlaubs überläßt und der dann aber auch ihm gegenüber dafür einsteht, dass die bei ihm ‚gebuchten‘ Reiseleistungen erbracht werden“ (S. 38f.; Hervorhebungen durch den Verf.). In dieser Übernahme von Verantwortung für das Gelingen der Reise als Gesamtheit sieht der BGH bislang den Unterschied zwischen einem Reiseveranstaltungsvertrag und einem bloßen Reisevermittlungsvertrag. Der Gesetzgeber hatte diesen Gedanken im alten Recht jedoch nur unvollkommen in den Vorschriften über das Reiserecht umgesetzt. Der BGH hielt dennoch auch nach Inkrafttreten des Gesetzes auf die isolierte Vermietung von Ferienhäusern mit der Überlegung fest, für den Reisenden mache es keinen Unterschied, ob die Vertragsgegenseite für eine einzelne Reiseleistung oder für eine Vielzahl solcher Leistungen Verantwortung übernehme.36 Nach dem Willen des Gesetzgebers der dritten Reisevertragsrechtsreform kann die Erbringung einzelner Reiseleistungen nicht mehr zu einer Reiseveranstalterhaftung führen. Dies folgt ua. aus § 651b Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht, der eine Veranstalterhaftung ausdrücklich nur noch für den Fall vorsieht, dass dem Reisenden mindestens zwei verschiedene Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise erbracht werden. Der Referentenentwurf zur dritten Reisevertragsrechtsreform knüpfte noch in § 651u ausdrücklich an die vorgestellte Rechtsprechung des BGH zu Einzelleistungen an. Im RegE wurde dies bewusst zur wirtschaftlichen Entlastung der Reisebranche aufgegeben.37 Den Schutz des Reisenden bewirkt in diesen Fällen teilweise § 651w Abs. 4 RegE-Reiserecht bei verbundenen Leistungen: Weist der Vermittler nicht auf die fehlende Veranstalterhaftung hin, finden zentrale Normen des Reisevertragsrecht kraft Gesetzes auf ihn Anwendung. Unabhängig von diesem wirtschaftspolitischen Kompromiss stellt die Veranstalterverantwortung nach wie vor die zentrale teleologische Klammer der §§ 651aff. dar. Vor allem nach Erwägungsgrund 22 Satz 1 PauschalRRiL 2015 zeichnet sich der Pauschalreisevertrag dadurch aus, „dass ein Unternehmer als Reiseveranstalter für die ordnungsgemäße Erbringung der Pauschalreise als Ganzes haftet.“ Deshalb räumt Erwägungsgrund 21 Satz 2 dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit ein, die Regelungen PauschalRRiL auf Verträge über Reiseeinzelleistungen anzuwenden, und nennt in Satz 3 die Vermietung von Ferienwohnungen ausdrücklich als Beispiel. Erkennt man daher in der Erfolgsverantwortung des Veranstal36 Dazu ausführlich BGH NJW 1985, 906, 907 – Ferienhaus II; vgl. ferner BGHZ 119, 152, 164 = NJW 1992, 3156; BGH NJW 2013, 308, Tz. 25. 37 RegE-Reiserecht S. 56f.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

ters das typenprägende Element des Reisevertrages, verkehren sich die systematischen Verhältnisse in § 651a: Der eigentliche Tatbestand liegt in dem in Abs. 2 zweiter Halbsatz genannten Anschein, dass der Erklärende die vorgesehenen Reiseleistungen in eigener Verantwortung erbringt. Abs. 1 Satz 1, wonach der Veranstalter verpflichtet ist, eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu erbringen, erscheint dabei als ein äußeres, typenprägendes Merkmal, das als ein zentrales Indiz auf eine Erfolgsverantwortung des Reiseveranstalters nach Abs. 2 hinweist. Mit Hilfe des Kriteriums der Erfolgsverantwortung des Reiseveranstalters lassen sich schließlich Zweifelsfälle überzeugend einordnen: (BGH 19.6.2007 – X ZR 61/06 = NJW-RR 2007, 1501) R hat bei V eine Pauschalreise nach Hurghada/Ägypten gebucht. Im Katalog des V heißt es, dass Ausflüge vor Ort Fremdleistungen darstellten, die durch V nur vermittelt würden. Im Hotel wird R eine Begrüßungsmappe von einem Angestellten des V ausgehändigt, in der es über einen Ausflug nach Kairo in Großbuchstaben heißt: „Nur über V buchbar“. In Kleinschrift heißt es davon abgesetzt: „Die V-Reiseleitung ist Ihnen gern bei der Buchung behilflich, ist jedoch lediglich Vermittler dieser Ausflugsprogramme. Die Verantwortung für Organisation und Durchführung trägt die örtliche Agentur C.“ Auf der Rückfahrt von Kairo ereignete sich ein Unfall: Der Reisebus fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit auf einen stehenden Lkw auf, wobei ein Sicherheitsbeamter und der Busfahrer getötet, R aber verletzt wurde. R macht nun gegenüber V Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude geltend. In Betracht kommen Ansprüche des R gegen V nach §§ 651f Abs. 1 iVm. 253 Abs. 2 und § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht iVm. § 253 Abs. 2 und § 651n Abs. 2 RegEReiserecht). Diese setzen voraus, dass V die Busreise als Reiseleistung schuldete.

Für den BGH stellt sich die Frage, ob der mit dem Kunden geschlossene Reisevertrag über die Ägyptenreise nachträglich abgeändert und um die Busfahrt erweitert wurde oder ob der Veranstalter hier nur eine Fremdleistung vermittelt hat (Tz. 12). Bei der Auslegung der Erklärungen nach §§ 133, 157 wendet das Gericht die Auslegungsregel des § 651a Abs. 2 (§ 651b Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht) an (Tz. 14). Danach liegt ein Reiseveranstaltungsvertrag vor, wenn die am Urlaubsort gebuchte Reiseleistung noch in den Organisations- und Verantwortungsbereich des Veranstalters fällt (Tz. 14). § 651a Abs. 2 eröffnet dem Veranstalter dabei im Umkehrschluss aus dem Normtext die Möglichkeit, durch einen klaren Hinweis auf den Fremdleistungscharakter die Eigenverantwortung auszuschließen (ähnlich der Umkehrschluss aus § 651b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RegE-Reiserecht). Klar war zwar vorliegend der Hinweis im Katalog. Demgegenüber wirkte der Auftritt des Angestellten vor Ort jedoch wiederum „verunklarend“. Der BGH stellt bei der Gesamtbewertung dieser Umstände auf den Zweck des § 651a Abs. 2 ab, den er im Verbot widersprüchlichen Verhaltens (§ 242) erkennt (Tz. 15).38 Danach darf der Reiseveranstalter sich nicht in Widerspruch zu einem gegenüber dem Reisenden gesetzten Vertrauenstatbestand begeben, sondern muss jegliches Vertrauen in eine Eigenverantwortung 38

Ähnlich zuvor MünchKomm/Tonner § 651a Rn. 90.

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durch eine unmissverständliche Erklärung beseitigen. Aufgrund des widersprüchlichen Auftritts des Angestellten, der gegenüber den Reisenden überwiegend den Eindruck einer Eigenleistung hervorgerufen habe, geht das Gericht von einer Selbstbindung und damit der Erweiterung des ursprünglichen Reisevertrags um die Busreise aus (Tz. 16ff.). Danach richten sich die Ansprüche aus § 651f Abs. 1 und 2 (§ 651n Abs. 1 und 2 RegE-Reiserecht) unmittelbar gegen den deutschen Reiseveranstalter. Dies überzeugt. Denn erkennbar befindet sich der Veranstalter in einem Interessenzwiespalt: Einerseits verleitet ihn sein Provisionsinteresse gegenüber dem Leistungserbringer dazu, das Vertrauen der Reisenden für eine Teilnahme an der Busreise einzuwerben. Andererseits will er jedoch die damit verbundene Haftungsverantwortung vermeiden, weil er den Ablauf der Busreise nicht selbst steuern kann. Es leuchtet ein, dass dieser Konflikt nicht zu Lasten des Reisenden ausgetragen werden kann. Vorliegend kam zwischen R und V eine nachträgliche Abänderung des Reiseveranstaltungsvertrags zustande. V haftet daher aus § 651f Abs. 1 und Abs. 2 (§ 651n Abs. 1 und 2 RegE-Reiserecht) und hat dabei – mangels eines Haftungsausschlusses nach § 651h Abs. 1 Nr. 2 (§ 651p Abs. 1 RegE-Reiserecht) – für das Verschulden der örtlichen Leistungsträger nach § 278 Satz 1 einzustehen. Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1 und 831 Abs. 1 Satz 1 scheitern hingegen im Zweifel an einem fehlenden Organisationsverschulden des V (Rn. 1223)

In der praktischen Fallanwendung kommt es für die Bejahung der Eigenverantwortung des Veranstalters iSd. § 651a Abs. 2 (§ 651b RegE-Reiserecht) häufig auf die Indizien des Einzelfalls an: (BGH 28.10.2010 – Xa ZR 46/10 = NJW 2011, 371 – Rail & Fly) R hat bei V eine von Düsseldorf ausgehende Flugreise mit Hotelaufenthalt in Samaná (Dominikanische Republik) gebucht. V überlässt dem R auch ein Ticket der Deutschen Bahn als Teil des in den Reiseunterlagen bezeichneten „Rail & Fly-Programms“. Dazu heißt es im Prospekt des V: „Ihre Anreise – Klug zum Flug – Bus- und Bahnticket zum Flughafen inklusive“. Das Bahnticket sowie die sonstigen Leistungen werden einheitlich abgerechnet. Aufgrund einer Verspätung der Bahn verpasst R den Flug, sodass Mehrkosten iHv. 1.030 € für eine Umbuchung entstehen, die V gegenüber R geltend macht und über die Kreditkarte des R abrechnet. R verlangt von V Erstattung dieses Betrages. In Betracht kommt ein Anspruch des R gegen V aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion), wenn für die Zahlung der 1.030 € ein Rechtsgrund im Reisevertrag fehlt. Dies ist der Fall, wenn die Umbuchung nicht aufgrund einer Abänderung des Reisevertrags zwischen R und V und einer damit einhergehenden Erhöhung des Reisepreises beruht, sondern auf einer Abhilfemaßnahme des V nach § 651c Abs. 2 Satz 1 (§ 651k Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht), deren Kosten V, nicht aber R trägt. Die Anwendbarkeit des § 651c Abs. 2 Satz 1 (§ 651k Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) setzt wiederum einen Reisemangel nach § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 RegE-Reiserecht) voraus. Dies hängt davon ab, ob V die Zugreise als Veranstalter nach § 651a Abs. 1 Satz 1 schuldete.

Die zentrale Frage des Falles lautet also, ob die Zugfahrt Teil der vom Veranstalter in Eigenverantwortung nach § 651a Abs. 2 zweiter Halbsatz geschuldeten Reise war. Alternativ dazu kommt in Betracht, dass der Reiseveranstalter dem Reisenden nur eine Fremdleistung der Deutschen Bahn vermitteln wollte (§ 651a Abs. 2 erster Halbsatz; § 651b Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht). Denn

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

Reiseunternehmen können nach ihrer eigenen Entscheidung sowohl als Vermittler fremder Reiseleistungen wie auch als Veranstalter eigener Reiseleistungen auftreten (Tz. 11),39 solange sie Selbstwidersprüche vermeiden und keinen falschen Anschein iSd. § 651a Abs. 2 zweiter Fall wecken (Rn. 1199; arg. e § 651b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RegE-Reiserecht). Nach der Auslegungsregel des § 651a Abs. 2 (§ 651b Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht), die den objektiven Empfängerhorizont im Rahmen der Auslegung nach § 157 konkretisiert,40 kann der Veranstalter daher durch einen klaren Hinweis auf den Fremdleistungscharakter den guten Glauben des Reisenden an eine Eigenverantwortung des Veranstalters zerstören.41 Dies ist hier nicht erfolgt, sodass der BGH auf die Indizienlage abstellt. Als maßgeblich sieht er es an, dass die Zugfahrt im Reisekatalog des Veranstalters als integraler Reisebestandteil beschrieben wurde (Tz. 14) und über das Bahnticket keine gesonderte Abrechnung erfolgte (Tz. 15). Schließlich deutet auch die Bezeichnung „Rail & Fly“ auf ein Gesamtpaket hin (Tz. 17). Dass der Reisende die Bahnverbindung selbst auswählen konnte (Tz. 22f.), steht dem erkennbar nicht entgegen. Auch entfaltet es keinen negativen Indizcharakter, dass der Reiseveranstalter nicht für die Pünktlichkeit der Bahnzüge persönlich einstehen kann (Tz. 24). Denn er ist nicht dazu gezwungen, in der vorliegenden Art und Weise für Leistungsbeiträge eines Drittunternehmers Vertrauen beim Reisenden einzuwerben. Vorliegend war die Reise daher nach § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht) mangelhaft, sodass V die Umbuchungskosten nach § 651c Abs. 2 Satz 1 (§ 651k Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) schuldete. Die Abbuchung der 1.030 € vom Konto des R erfolgte daher ohne Rechtsgrund. Der Anspruch aus Leistungskondiktion ist folglich begründet. Ähnlich liegt folgender Fall (BGH 6.12.2016 – X ZR 117/15 = NJW 2017, 958) R hatte bei V eine Pauschalreise in die Türkei gebucht. Bei dem Transfer vom Flughafen zum Hotel mit einem Omnibus kam es zu einem von V nicht zu vertretenden Verkehrsunfall. Objektiv erkennt der BGH darin einen Reisemangel, weil es V nicht gelungen war, R sicher in das Hotel zu bringen und er deshalb die weiteren Reiseleistungen nicht in Anspruch nehmen konnte.

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Einen wichtigen Indizienkatalog zur Abgrenzung des Reiseveranstaltungsvertrags nach §§ 651aff. vom Reisevermittlungsvertrag (§ 651v RegE-Reiserecht) liefert Art. 3 Nr. 2 PauschalRRiL 2015 (§ 651a Abs. 2 und 3 sowie § 651b Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht). Für eine Veranstalterhaftung spricht dabei die Zusammenstellung der einzelnen Reiseleistungen durch diesen selbst, auch wenn sie auf Wunsch des Reisenden erfolgt (lit. a), der Erwerb über eine einheitliche Vertriebsstelle, wenn die Reiseleistungen mit Zustimmung des Reisenden zusammengestellt wurden (lit. b i), der Pauschal- oder Gesamtpreis für alle Einzelleistungen (lit. b ii), die Verwendung der Bezeichnung „Pauschalreise“ (lit. b iii), die Zusammenstellung von Einzelleistungen nach Vertragsschluss, BGHZ 156, 220, 225. Ähnlich Bamberger/Roth/Geib § 651a Rn. 19 (= BeckOK); Schulte-Nölke/Mahret ZGS 2011, 352, 353. 41 BGH NJW 2000, 1188, 1189. 39 40

II. Die Rechte des Reisenden

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wenn diese im Vertrag vereinbart war (lit. b iv). Beim verbundenen OnlineBuchungsverfahren ist eine Veranstalterverantwortung zu bejahen, wenn der Unternehmer dem Reisenden als erster Kontaktpartner entgegentritt und Verträge mit Leistungserbringern innerhalb von 24 Stunden nach der Online-Buchung zustande bringt, wobei er die Kontaktinformationen des Kunden an die Leistungserbringer weiterleitet (lit. b v; § 651c RegE-Reiserecht). Der im abschließenden Charakter dieses Katalogs liegende Formalismus befremdet zunächst, entspricht aber den Zwecken der Vollharmonisierung, eine Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen und aus diesem Grund Aspekte der individuellen Schutzwürdigkeit zurücktreten zu lassen (Rn. 36a). Weil der EuGH schließlich die Anwendbarkeit der Pauschalreiserichtlinie auf Gastschulaufenthalte (Schüleraustausche) insoweit verneinte, als es um die Unterbringung der Schüler ging,42 lässt der Gesetzgeber diesen besonders unerfahrenen Reisenden in § 651l (vgl. nun § 651u RegE-Reiserecht) einen Sonderschutz angedeihen.43 Wird dem Reisenden ein Bündel von ineinandergreifenden Leistungen angeboten, für das keine einheitliche Verantwortung des Reiseveranstalters besteht, liegen nach neuem Recht sog. verbundene Reiseleistungen vor (Art. 3 Nr. 5 PauschalRRiL 2015; § 651w RegE-Reiserecht). In diesem Fall bestehen eine Informationspflicht des Reisevermittlers über die fehlende Veranstalterhaftung nach § 651w Abs. 2 RegE-Reiserecht und eine spezielle Insolvenzsicherungspflicht nach § 651w Abs. 3 RegE-Reiserecht. Werden diese Pflichten verletzt, finden zentrale Regelungen des Reisevertragsrechts nach Abs. 4 RegE entsprechende Anwendung.

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II. Die Rechte des Reisenden 1. Überblick

Der Reisende hat nach § 651a Abs. 1 einen Anspruch auf Erbringung der vertraglich geschuldeten Reiseleistungen. Die §§ 651c bis 651h konkretisieren das daran anknüpfende Leistungsstörungsrecht. Die Regelung orientiert sich noch an Systemvorgaben, die vor der Schuldrechtsreform bestanden: (1) An erster Stelle muss der Reisende bei Auftreten eines Mangels (§ 651c Abs. 1) Abhilfe nach § 651c Abs. 2 Satz 1 verlangen. (2) Nimmt der Veranstalter die Abhilfe nicht innerhalb einer vom Reisenden gesetzten angemessenen Frist vor, kann dieser den Mangel im Wege der Selbstvornahme beseitigen und darf vom Veranstalter Aufwendungsersatz verlangen (§ 651c Abs. 3 Satz 1). (3) Gleichzeitig tritt eine gesetzliche Minderung nach § 651d Abs. 1 in Höhe des mangelbedingten Minderwertes ein; diese setzt jedoch eine zuvor erfolgte Mängelanzeige voraus (§ 651d Abs. 2). Die Mängelanzeige stellt dabei im Ver-

42 43

EuGH 11.2.1999 – C-237/97 = Slg. 1999, I-825, Tz. 33 – Internationaler Schüleraustausch. Dazu auch Niehuus, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 11 Rn. 13.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

gleich zum Abhilfeverlangen ein „Minus“ dar und ist regelmäßig in diesem enthalten. (4) Bei erheblichen Mängeln kommt schließlich ein Kündigungsrecht nach § 651e in Betracht. (5) Darüber hinausgehende Schadensersatzansprüche des Reisenden regelt § 651f. (6) Diese Rechte müssen innerhalb von Ausschlussfristen geltend gemacht werden (§ 651g), wobei die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung nach § 651h zu beachten ist. (7) Die §§ 651if. regeln hingegen Sonderfälle der Leistungsstörung. Das neue Leistungsstörungsrecht orientiert sich an der Systematik der §§ 434ff. und §§ 633ff. In einer grundlegenden Verweisungsnorm, § 651i (vglb. §§ 437, 634) wird der Mangelbegriff definiert (Abs. 2) und auf die Ansprüche und Rechtsbehelfe verwiesen (Abs. 3): Es handelt sich um (Nr. 1) die Abhilfe nach § 651k Abs. 1, (Nr. 2) den Aufwendungsersatzanspruch bei Ersatzvornahme (§ 651k Abs. 2), (Nr. 3) die Abhilfe durch andere Reiseleistungen (Ersatzleistungen, § 651k Abs. 3), (Nr. 4) die Übernahme der Kosten für eine notwendige Beherbergung (§ 651k Abs. 4 und 5), (Nr. 5) die Kündigung (§ 651l), (Nr. 6) die Minderung des Reisepreises (§ 651m) und (Nr. 7) die Ansprüche auf Schadensersatz (§ 651n) und Aufwendungsersatz nach § 284.

2. Gewährleistungsrechte a) Abhilfe aa) Überblick 1204

Der Abhilfeanspruch nach § 651c Abs. 2 Satz 1 (§ 651k Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) nimmt im Reisevertragsrecht eine dem werkvertraglichen Nacherfüllungsanspruch gem. §§ 634 Nr. 1, 635 vergleichbare Stellung ein. Der Anspruch setzt das wirksame Zustandekommen eines Reisevertrags, einen Reisemangel iSd. § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 RegE-Reiserecht) und ein Abhilfeverlangen einschließlich des Setzens einer angemessenen Frist voraus (vgl. nämlich § 651c Abs. 3 Satz 1; § 651k Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht). Der Veranstalter kann die Abhilfe nach § 651c Abs. 2 Satz 2 wegen unverhältnismäßigen Aufwandes verweigern (§ 651k Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht: Verweigerungsrecht bei Unmöglichkeit (Nr. 1) und im Falle unverhältnismäßiger Kosten (Nr. 2)). bb) Der Reisemangel als Abhilfegrund

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Nach § 651c Abs. 1 ist der Reiseveranstalter verpflichtet, die Reise so zu erbringen, dass sie die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern. Der aus dem alten Schuldrecht stammende Fehlerbegriff entspricht dem des Mangels iSd. § 633. Er setzt daher eine Abweichung der Istbeschaffenheit der Reiseleistung von der vertraglich geschuldeten Sollbeschaffenheit voraus. An die Stelle der Beschaffenheitsvereinbarung iSd. § 633 Abs. 2 Satz 1 tritt beim Reisevertrag die Zusi-

II. Die Rechte des Reisenden

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cherung einer Eigenschaft (§ 651c Abs. 1 erster Fall). Der Begriff der Zusicherung entstammt dem alten Schuldrecht (Rn. 847). Im Reisevertragsrecht fungiert er als Synonym für die Beschaffenheitsvereinbarung.44 Die Zusicherung kann individuell zwischen Veranstalter und Reisendem vereinbart werden. § 651i Abs. 2 RegE-Reiserecht regelt den Reisemangel in Anlehnung an §§ 434 Abs. 1, 633 Abs. 2. Der Reisemangel beruht dabei auf einer Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit der Reiseleistung, wobei sich die Sollbeschaffenheit aus einer Beschaffenheitsvereinbarung (Satz 1) bzw., in Abwesenheit einer solchen, aus dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen (Satz 2 Nr. 1), ansonsten nach der üblichen Beschaffenheit, die der Reisende erwarten darf (Satz 2 Nr. 2), ergibt.

Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung werden schließlich die Angaben in einem Reiseprospekt des Veranstalters (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BGB-InfoV;45 Erwägungsgrund 26 PauschalRRiL 2015; § 651d Abs. 3 Satz 1 RegE-Reiserecht). Emittiert der Veranstalter einen Prospekt (Reisekatalog), muss dieser Pflichtangaben zu den Eckdaten der Reise (Bestimmungsort, Transportmittel, Unterbringung, Mahlzeiten usw.) enthalten (§ 4 Abs. 1 BGB-InfoV; Art. 250 § 3 EGBGB-RegE Reiserecht). Der Prospekt beinhaltet also nicht nur Wissenserklärungen des Veranstalters, sondern Willenserklärungen bzw. Anträge (§ 145) über den Leistungsinhalt,46 die der Reisende bei Vertragsschluss meist konkludent annimmt. Der Veranstalter haftet indes nicht nur für das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft, sondern auch für Fehler, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern. Entsprechend § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 dürfte dabei der beiden Vertragsseiten bekannte und ansonsten der gewöhnliche Verwendungszweck maßgeblich sein (so nun § 651i Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 RegEReiserecht).47 Typisch für die Reiseleistung ist es, dass sich der Reisende mit ortsüblichen Besonderheiten abfinden muss. Damit ist die landestypische Erbringung der Leistung (fremdartiges Essen, Moskitostiche in den Tropen, Gecko an der Zimmerdecke usw.), nicht aber von vornherein eine mindere Qualität gemeint.48 Die Sollbeschaffenheit hängt auch von der Reisekategorie und dem gezahlten Reisepreis ab. Hier liegen Parallelen zum Kaufrecht (Rn. 118) auf der Hand: Je höher nämlich der Reisepreis ausfällt, umso größer ist der finanzielle Gestaltungsspielraum des Veranstalters, die Reisebedingungen angenehm zu gestalten. Schließlich muss die Beeinträchtigung aus der Sphäre des Veranstalters kommen und von ihm kontrolliert werden können: Dies zeigt der Abhilfeanspruch nach § 651c Abs. 2 Satz 1 (§ 651k RegE-Reiserecht), der eine MünchKomm/Tonner § 651c Rn. 9; Staudinger/Staudinger § 651c Rn. 44ff. BGB-InfoV v. 05.08.2002, BGBl. I 2002, S. 3002. Baumberger/Roth/Geib § 651d Rn. 8 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651c Rn. 10ff.; MünchKomm/Tonner Vor §§ 4–11 BGB-InfoV Rn. 12. 47 Ähnlich etwa MünchKomm/Tonner § 651c Rn. 7. 48 Vgl. Eichinger Jura 1981, 185, 189; Rodegra NJW 2012, 3546ff. 44 45 46

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prinzipielle Einwirkungsmöglichkeit des Reiseveranstalters voraussetzt. Die sexuelle Belästigung weiblicher Reisender durch Einheimische kann der Veranstalter etwa nicht steuern; sie stellt deshalb auch keinen Reisemangel dar.49 Im RegE-Reiserecht besteht der Abhilfeanspruch nach § 651k Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 nicht bei Unmöglichkeit. Die Reiseleistung muss sich ebenfalls nur für den gewöhnlichen Nutzen eignen (§ 651i Abs. 2 Satz 2 Nr. 2).

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Die Sollbeschaffenheit wird aber vor allem durch die Erfolgsverantwortung des Reiseveranstalters beeinflusst: (BGH 26.6.1980 – VII ZR 210/79 = BGHZ 77, 310 = NJW 1980, 2192) V bietet legal durchgeführte Jagd-Reisen nach Afrika an und beruft sich in ihrer Werbung auf eine langjährige Erfahrung in der Großwildjagd: „Die persönliche Garantie: Safari-V. Der Mann, der 3.000 Safaris ausgerichtet hat, steht jetzt vor einem Jubiläumsjahr. 30 Jahre auf Safari. Sein Prinzip: ‚Nur wo ich selbst gejagt habe, werden unsere Safari-Gäste jagen. Die Großwildjagd braucht das persönliche Vertrauen in den Mann, der Bescheid weiß und der dafür einsteht mit seinem guten Namen. Denn es steht zu viel auf dem Spiel – die ganz persönliche Erlebniserwartung eines passionierten Jägers. Und sein gutes Geld, das er für seine Safari bezahlt.“ R schloss darauf mit V einen „Safari-Vertrag“. Kurze Zeit später teilte V dem R mit, dass sich die Elefanten im Reisegebiet „stark verzogen“ hätten. Darauf „storniert“ R die Reise, weil er unbedingt einen Elefanten erlegen wollte. V verlangt hingegen Zahlung. Der Anspruch der V auf Zahlung des Reisepreises nach § 651a Abs. 1 Satz 2 setzt voraus, dass R die Reise nicht wirksam nach § 651e Abs. 1 Satz 1 gekündigt hat, was auch vor Reisebeginn möglich ist (Rn. 1218). Dies setzt eine erhebliche Beeinträchtigung durch einen Mangel voraus.

Der BGH geht vorliegend von einem Reisemangel unter Hinweis auf die Werbung des Veranstalters mit folgender bemerkenswerten Begründung aus: „Damit bestand nach der eigenen Beurteilung der Bekl. keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Kl., auf der von ihm gebuchten Safari Elefanten erlegen zu können, wofür die Bekl. einstehen wollte. Das bedeutet, daß das von ihr ‚herzustellende Werk‘ voraussichtlich mit einem Mangel behaftet sein werde, der seinen Wert zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch mindere.“ (S. 2194).

Dem Prinzip der Privatautonomie (§ 311 Abs. 1) entspricht es, dass der Veranstalter auch für nicht beherrschbare Umstände eine Haftungsverantwortung übernehmen kann. Vorliegend war die Kündigung daher wirksam. Der Anspruch des V besteht nicht. Nach dem RegE-Reiserecht kann der Reisende vor Reisebeginn zurücktreten (§ 651h Abs. 1 Satz 1). Der Veranstalter darf die im Regelfall vorgesehene angemessene Entschädigung (Abs. 1 Satz 2) nicht verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen (Abs. 3). Erwägungsgrund 31 Satz 3 PauschalRRiL 2015 bezieht sich zwar auf Kriegshandlungen, terroristische Akte bzw. Naturkatastrophen. Der vorliegende Fall könnte ebenfalls davon erfasst sein, weil er keinerlei Steuerungsmöglichkeit durch die Parteien zugänglich ist. 49

LG Frankfurt NJW 1984, 1762f.; Bamberger/Roth/Geib § 651c Rn. 36 (= BeckOK).

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Wegen höherer Gewalt kann der Reiseveranstalter nach § 657j kündigen (bzw. nach § 651h Abs. 4 Nr. 2 RegE-Reiserecht zurücktreten).

Zu den Besonderheiten des § 651c Abs. 1 zählt der weite Mangelbegriff, der praktisch alle Arten von Leistungsstörungen umfasst:

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(BGH 20.3.1986 – VII ZR 187/85 = BGHZ 97, 255 = NJW 1986, 1748, abgeändert) R hatte mit V eine Pauschalreise vereinbart. Infolge Überbuchung des Zubringerfluges verpasste R die von V gecharterte Maschine zum Urlaubsort und musste sich selbst behelfen. Allerdings hat er die daraus resultierenden Ansprüche gegenüber V nicht innerhalb der Monatsfrist nach § 651g Abs. 1 Satz 1 geltend gemacht.50

Da Ansprüche aus § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht) ausscheiden, stellt sich die Frage, ob ein allgemeiner Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 in Betracht kommt. Dies lehnt der BGH jedoch wegen des besonderen Charakters der Pauschalreise als Konglomerat aus einzelnen Leistungsteilen ab. Dem ließe sich nicht Rechnung tragen, wenn der Ausfall eines oder aller Teile über das allgemeine Leistungsstörungsrecht abgewickelt würde (S. 1749f.) Hinzu tritt das Interesse an der Vermeidung von Abgrenzungsproblemen (S. 1750):51 Ob bei Ausfall eines Leistungsteils insgesamt von einem Mangel oder von einem Totalausfall (Unmöglichkeit) ausgegangen werden kann, hängt nämlich häufig von der Beantwortung der Folgefrage ab, ob der Reisende die übrigen Leistungsteile nutzen kann oder nicht. Deshalb ist eine einheitliche Betrachtungsweise geboten (Einheitslösung). So verdrängt das Reisevertragsrecht auch Ansprüche aus c.i.c. (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2).52 Selbst wenn der Veranstalter seine Leistung gar nicht oder erheblich verspätet erbringt, sind die §§ 651cff. anwendbar.53 Dies regelt § 651i Abs. 2 Satz 3 RegE-Reiserecht jetzt ausdrücklich. cc) Rechtsfolge

Abhilfe bedeutet die Beseitigung des Mangels für die Zukunft durch die Erbringung gleich- oder höherwertiger Leistungen54 (arg. e § 651k Abs. 3 Satz 2 RegE-Reiserecht). Wegen des Fixschuldcharakters der Reiseleistung kommt eine Mangelbeseitigung für die Vergangenheit regelmäßig nicht in Betracht; hier greift deshalb die gesetzliche Minderung nach § 651d Abs. 1 (§ 651m Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht. Maßstab für die Gleichwertigkeit sind die Erwartungen eines Durchschnittsreisenden. Typischer Fall der Abhilfe ist die anderweiIm Originalfall war die damals noch sechsmonatige Verjährung nach § 651g Abs. 2 ausgelaufen. 51 Dazu etwa auch Wolter AcP 183 (1983) 35, 75ff. 52 Noch zum alten Recht: BGHZ 100, 157; Staudinger/Eckert, 13. Aufl., Bearbeitung 2001, Vorbem zu §§ 651cff. Rn. 27. 53 Bamberger/Roth/Geib § 651c Rn. 3 (= BeckOK); MünchKomm/Tonner § 651c Rn. 124ff. 54 Staudinger/Staudinger § 651c Rn. 163; MünchKomm/Tonner § 651c Rn. 140ff.; teilweise differenzierend Tempel NJW 1986, 547, 554. 50

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tige Unterbringung des Reisenden. Voraussetzung ist indes, dass das Hotel mindestens der gleichen Kategorie angehört und am selben Ort liegt.55 b) Die Selbstabhilfe 1210

Im Mittelpunkt der Befugnis des Reisenden zur Selbstabhilfe steht der Aufwendungsersatzanspruch nach § 651c Abs. 3 Satz 1 (§ 651k Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht). Er setzt neben dem wirksamen Zustandekommen eines Reisevertrages und einem Reisemangel nach § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 RegE-Reiserecht) sowie das ergebnislose Verstreichen einer Abhilfefrist voraus. Die Fristsetzung ist allerdings in den Fällen des § 651c Abs. 3 Satz 2 entbehrlich, wenn die Abhilfe von dem Reiseveranstalter verweigert wird oder wenn die sofortige Abhilfe durch ein besonderes Interesse des Reisenden geboten ist (§ 651k Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht). Die Parallele zu den Fällen der §§ 281 Abs. 2, 323 Abs. 2 Nr. 1 und 3 liegt auf der Hand. Beispiel R hat bei V eine vierzehntägige Reise für sich und seine Familie nach Sharm el-Sheikh im Hotel X gebucht. Im Katalog des V findet sich zum Hotel X unter dem Stichwort „Ausstattung“ folgende Angabe: „Miniclub“. Tatsächlich findet R im Hotel keine Kinderbetreuung für seine vierjährige Tochter vor. Der Reiseleiterin des V (L) setzt R eine eintägige Frist zur Abhilfe. Als diese nicht reagiert, nimmt er das Angebot der Direktion wahr, eine ortsansässige deutschsprachige Kraft für den Resturlaub als Betreuerin einzustellen. Da L einen Kostenvorschuss verweigert, muss R unter nicht unerheblichem Aufwand Bargeld vor Ort beschaffen. Er stellt drei Wochen nach Rückkehr von der Reise V die Kosten der Betreuerin und der Bargeldbeschaffung in Rechnung. V behauptet, L habe als Holländerin den des Englischen nur leidlich mächtigen R nicht richtig verstanden, ansonsten hätte sofort Abhilfe geschaffen werden können. Im Übrigen sei die von R eingestellte Betreuerin zu teuer gewesen; R habe nicht kaufmännisch verhandelt. In Betracht kommt ein Anspruch des R gegen V aus § 651c Abs. 3 Satz 1 (§ 651k Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht) auf Aufwendungsersatz. Die fehlende Kinderbetreuung begründet wegen der anderslautenden Katalogangaben nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BGB-InfoV iVm. § 651c Abs. 1 (§§ 651i Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 iVm. 651d Abs. 3 Satz 1 RegE-Reiserecht) einen Reisemangel. Fraglich ist jedoch, ob R dem V eine angemessene Frist gesetzt hat.

Die Fristsetzung nach § 651c Abs. 3 Satz 1 (§ 651k Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht) stellt eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung dar. Denn die an sie geknüpfte Rechtsfolge tritt unabhängig vom Willen des Reisenden kraft Gesetzes ein. Der Reiseleiter vor Ort ist dabei als Handlungsgehilfe nach § 55 Abs. 4 HGB ermächtigt, diese Fristsetzung entgegenzunehmen. In diesem Rahmen liegt es am Veranstalter, die Person des Empfangsbevollmächtigten so zu bestimmen, dass dieser den Gegenstand des Abhilfeverlangens in der Muttersprache des Reisenden versteht, solange zwischen Veranstalter und Reisendem keine andere Servicesprache vereinbart worden ist. Aus Sicht des Reisenden genügt es daher, dem Reiseleiter den Gegenstand des Abhilfeverlangens und die BGH NJW 1983, 35; MünchKomm/Tonner § 651c Rn. 144; Staudinger/Staudinger§ 651c Rn. 167.

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Fristsetzung mitzuteilen. Dann liegt ein Zugang nach § 130 Abs. 1 Satz 1 vor. Die Angemessenheit der Frist (§ 651c Abs. 3 Satz 1; § 651k Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht) muss schließlich im Hinblick auf die Gesamtdauer des Urlaubs bestimmt werden. Im Übrigen kommt es auf die Schwere des Mangels an, wobei den Beschaffungsschwierigkeiten des Reiseveranstalters ebenfalls Rechnung getragen werden muss.56 Die eintägige Frist ist vergleichsweise knapp. Allerdings hängt der Erholungswert der Reise für eine Familie wohl nicht zuletzt von der Beschäftigung der Kleinkinder ab. Da es vor Ort eine offensichtlich auch für V leicht erreichbare Kraft gab, ist kein Grund für eine längere Frist bei einem vierzehntätigen Urlaub ersichtlich. Fraglich ist, ob die geltend gemachten Aufwendungen erforderlich sind.

Die Erforderlichkeit der nach § 651c Abs. 3 Satz 1 (§ 651k Abs. 2 Satz 1 RegEReiserecht) getätigten Aufwendungen setzt voraus, dass der Reisende sie bei sorgfältiger Prüfung den Umständen nach für erforderlich halten durfte.57 Der Erforderlichkeitsmaßstab folgt der Dogmatik des Aufwendungsersatzanspruchs nach § 670: Danach steht der Rechtsmacht einer Vertragsseite, Vermögensentscheidungen zu treffen, für die die andere haftet, eine Bindung dieser Rechtsmacht an das Interesse der Vertragsgegenseite gegenüber. Diese Bindung erinnert in ihren Voraussetzungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sodass nur geeignete, erforderliche und im engeren Sinne verhältnismäßige Aufwendungen ersetzt verlangt werden können (vgl. zu den Hintergründen Rn. 1284). Hier bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit, weil der Reisende wohl nicht die günstigste Alternative zur Abhilfe gewählt hat. Allerdings bestimmt sich die Erforderlichkeit ex ante aus Sicht des Reisenden und ausgehend von der in seiner Verkehrsgruppe üblichen Sorgfalt. Deshalb darf der Veranstalter beim Reisenden kein kaufmännisches Verhandlungs- und Beschaffungsgeschick erwarten. Zeitdruck und fehlende Ortskenntnis zwingen den Reisenden vielmehr zu einer Entscheidung, die ex post einer detaillierten Marktanalyse nicht standhalten mag. Entscheidend kommt es jedoch allein darauf an, dass der Reisende nicht vermeidbar die vom Veranstalter geschuldete Leistung ausdehnt und auf dessen Kosten Luxus treibt. R macht zusätzlich geltend, dass er Bargeld beschaffen musste, weil L einen Vorschuss verweigerte. Fraglich ist, ob ihm nach § 651c Abs. 3 Satz 1 (§ 651k Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht) ein Anspruch auf Kostenvorschuss zustand. Denn es erscheint fraglich, ob es sich dabei noch um eine Aufwendung (= freiwilliges Vermögensopfer) oder um einen Schaden (= unfreiwilliges Vermögensopfer) handelt. Schäden können R nur bei einem Vertretenmüssen des V nach § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht) ersetzt werden, was hier im Hinblick auf das Verhalten der L nach § 278 Satz 1 allerdings anzunehmen ist. Jedoch dürfte der Schutz des Reisenden wie im Falle der Aufopferungsrechtsprechung nach § 670 (Rn. 1285) einen weiten Begriff des Aufwendungsersatzes voraussetzen, der auch beBamberger/Roth/Geib § 651c Rn. 45 (= BeckOK); vgl. auch Staudinger/Staudinger § 651c Rn. 173f. 57 Bamberger/Roth/Geib § 651c Rn. 47 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651c Rn. 178. 56

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stimmte Schäden umfasst. Der Veranstalter haftet danach ohne Verschulden auf Ersatz der Schäden, die durch die spezifischen Risiken der Selbstabhilfe entstehen: Hilft der Veranstalter daher nicht innerhalb der angemessenen Frist ab, sind wohl sämtliche Auslagen des Reisenden erfasst. Da R seine Ansprüche innerhalb der Ausschlussfrist des § 651g geltend gemacht hat, ist sein Anspruch begründet. Hinweis: Künftig wird es keine vergleichbare Ausschlussfrist für die Ansprüche des Reisenden geben (Rn. 1189).

c) Die Minderung 1211

Nach § 651d Abs. 1 (§ 651m Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) tritt die Minderung kraft Gesetzes ein. Ihre Rechtsfolge bestimmt sich nach §§ 651d iVm. 638 Abs. 4 (§ 651m Abs. 2 RegE-Reiserecht), sodass die §§ 346ff. berufen sind (§ 651m Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht). Zur Berechnung existiert auch eine auf der Grundlage der Rechtsprechung erstellte sog. Frankfurter Tabelle,58 die heute allerdings nur noch eine geringe Bedeutung entfaltet.59 Voraussetzung der Minderung ist ein Mangel iSd. § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 RegE Reiserecht), die Mängelanzeige durch den Reisenden (§ 651d Abs. 2; § 651o Abs. 1 RegEReiserecht) und der Eintritt eines mangelbedingten Minderwertes. Die Mängelanzeige ist regelmäßig im Abhilfeverlangen nach § 651c Abs. 2 Satz 1 (§ 651k Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) als Minus enthalten. Problematisch erscheint zunächst, ob die Minderung nach § 651d Abs. 2 wegen unterlassener Mängelanzeige auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Mangel gar nicht zu beseitigen war. Dies lehnt die hM. zu Recht ab.60 Dafür spricht ein Argument aus § 651e Abs. 2 Satz 2. Nach dieser Norm bedarf es für die wirksame Kündigung einer Abhilfefrist nicht, wenn die Abhilfe unmöglich ist. Es ist nicht einzusehen, warum dies für die Minderung anders sein soll; denn der Veranstalter hat in diesem Fall keine Möglichkeit, den mangelbedingten Minderwert durch Abhilfe zu verkleinern; die Mängelanzeige stellt unter solchen Umständen eine bloße Formalie dar. Allerdings ist die Mängelanzeige erforderlich, wenn der Mangel dem Veranstalter bekannt ist: Denn Reisemängel können von ganz unterschiedlichem Gewicht und von den lokalen Gegebenheiten abhängig sein; der Reisende muss deshalb gegenüber dem Veranstalter Klarheit darüber herstellen, dass er von einer Beeinträchtigung ausgeht, die der Veranstalter abzustellen hat.61 Nach § 651o Abs. 2 Nr. 1 RegE-Reiserecht kommt es auf die „schuldhafte“ Unterlassung der Mängelanzeige an. Ein echter Verschuldensvorwurf, der sich stets auf eine Pflichtverletzung beziehen muss, kann allerdings kaum erhoben werden. Bei der Mängelanzeige handelt sich – anders als im Fall des § 536c Abs. 2 Satz 1 – eher um eine Obliegenheit des Reisenden, die zum Rechtsverlust führt, aber keine Schadensersatzansprüche des Veranstalters beNJW 1985, 113. MünchKomm/Tonner § 651d Rn. 20; hierzu auch Bamberger/Roth/Geib § 651d Rn. 9 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651d Rn. 48f. 60 BGH NJW 2016, 3304, Tz. 16; Bamberger/Roth/Geib § 651d Rn. 5 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651d Rn. 28ff.; MünchKomm/Tonner § 651d Rn. 12. 61 BGH NJW 2016, 3304, Tz. 18ff. 58 59

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gründen kann. Allerdings zeigt das Tatbestandsmerkmal „schuldhaft“, dass die Anzeige von Rechts wegen erforderlich ist. Dies scheidet bei einem Mangel, der nicht zu beseitigen ist, aus.

Die Berechnung der Minderung erfolgt kraft ausdrücklicher Verweisung in § 651d Abs. 1 Satz 1 gem. § 638 Abs. 3. Danach ist die Vergütung in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zurzeit des Vertragsschlusses der Wert der Reise in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde (§ 638 Abs. 3 Satz 1; ausdrücklich: § 651m Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht). Dabei ist eine Schätzung möglich (§ 638 Abs. 3 Satz 2; § 651m Abs. 1 Satz 3 RegEReiserecht).

1212

(BGH 15.7.2008 – X ZR 93/07 = BGHZ 177, 249 = NJW 2008, 2775) R hatte bei V für sich und seine Ehefrau eine Pauschalreise mit Flug und Aufenthalt in der Türkei gebucht. Auf dem Rückflug kam es zu einem Beinahe-Absturz des Flugzeugs. R sieht durch dieses Ereignis den Wert der Reise auf 0 € gemindert, da er und seine Ehefrau Todesängste ausgestanden hätten. Kann er Rückzahlung des vollen Reisepreises verlangen? Ein Anspruch des R gegen V auf Rückzahlung des Reisepreises aus §§ 651d Abs. 1 Satz 2, 638 Abs. 4 Satz 2, 346 Abs. 1 (§§ 651m Abs. 2 Satz 2, 346 Abs. 1 RegE-Reiserecht) setzt einen Reisemangel voraus, der den Wert der Reiseleistungen auf 0 € mindert. Der Beinahe-Absturz stellt zunächst einen Reisemangel iSd. § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 RegE-Reiserecht) dar. Fraglich ist nur, ob dieser eine Minderung auf Null rechtfertigt.

Problematisch ist zunächst, ob eine Minderung des Reisepreises auf Null auch dann in Betracht kommt, wenn nur eine einzelne Leistungskomponente der Reise mangelhaft ist. Nach dem Wortlaut des § 651d Abs. 1 Satz 1 errechnet sich der Minderungsbetrag nach Zeiteinheiten („für die Dauer des Mangels“).62 Entgeht daher dem Reisenden mangelbedingt die Urlaubsfreude an zwei von vierzehn Tagen, kann er um ein Siebtel mindern. Allerdings macht die Rechtsprechung von diesem Grundsatz auch Ausnahmen.63 Steht etwa ein Ereignis bei der Reise ganz besonders im Vordergrund, kann dessen mangelbedingter Ausfall zu einer deutlich höheren Minderung führen. Entschieden wurde dies etwa auch für eine Grönlandkreuzfahrt, bei der der zentrale Höhepunkt (Kreuzen in der Discobucht) ausfiel.64 Ein zweites Problem bestand vorliegend im Zeitpunkt des Mangeleintritts. Denn der Reisende hatte zunächst einen ungestörten Urlaub verbringen können und erlebte den Beinahe-Absturz erst auf dem Rückflug. Fraglich ist daher, ob ein gegen Ende der Reise eintretendes Ereignis auf die störungsfrei erbrachten Leistungen so zurückwirken kann, dass es diese insgesamt entwertet. Der BGH bejaht diese Möglichkeit und wendet sich gegen die in den Instanzgerichten verbreitete, vglw. schematische Berechnung nach Zeiteinheiten (Tz. 11).65 62 Dazu Bamberger/Roth/Geib § 651d Rn. 8 (= BeckOK); Staudinger/Staudinger § 651d Rn. 43ff.; MünchKomm/Tonner § 651d Rn. 19. 63 Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 100. 64 BGH NJW 2013, 3170, Tz. 25ff.; ähnlich OLG Köln NJW-RR 2008, 1588, 1589: Kreuzen vor Kap Hoorn. 65 LG Frankfurt NJW-RR 1993, 1330, 1331.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

Er nennt dafür zwei Argumente (Tz. 12): Immer setze ein Mangel eine gewisse Erheblichkeit voraus und damit ein Moment, das sich nicht in Zeiteinheiten fassen lasse; ferner komme auch im Werkvertrag auf der Grundlage des § 638 Abs. 3 eine zeitübergreifende Berücksichtigung der Minderung in Betracht.66 Dem wird man vor allem im Hinblick auf die grundlegende Einstandspflicht des Reiseveranstalters für das Gelingen der Reise zustimmen müssen: Wenn der Veranstalter dafür verantwortlich ist, dass sämtlich Komponenten so erfolgreich ineinandergreifen, dass am Ende der Reise eine urlaubsbedingte Erholung erreicht wird, muss er auch haften, wenn aufgrund eines gravierenden Einzelereignisses die Erholungswirkung der zeitlich vorgelagerten Leistungsteile nachträglich aufgehoben wird. Dies entspricht auch der in Erwägungsgrund 22 Satz 1 PauschalRRiL 2015 vorgesehenen Veranstalterhaftung „für die ordnungsgemäße Erbringung der Pauschalreise als Ganzes“. Wegen der vollharmonisierenden Wirkung des Art. 4 PauschalRRiL 2015 erscheint die Rechtslage nach neuem Recht dennoch nicht eindeutig. Art. 14 setzt voraus, dass der Reisende einen Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum hat, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag. Dies scheint die Möglichkeit einzuschränken, punktuelle Ereignisse vor- und rückwirkend über den Zeitraum ihres Eintritts und Vorkommens hinaus zu berücksichtigen. Doch widersetzt sich der Normwortlaut der vorgestellten Argumentation nicht kategorisch: Ist das Ereignis so einschneidend wie im vorliegendenFall, wirkt es möglicherweise in vorangegangene und nachträgliche Zeiträume iSd. Richtlinie hinein. Ersatzleistungen, die der Reisende aufgrund der Fluggastrechteverordnung (Rn. 1235) erhält, muss er sich allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der VO anrechnen lassen67 (künftig: § 651p Abs. 3 Nr. 1 RegE-Reiserecht).

d) Die Kündigung wegen erheblich beeinträchtigenden Mangel 1214

Wird die Reise infolge eines Mangels (§ 651c Abs. 1; § 651i Abs. 2 RegE-Reiserecht) erheblich beeinträchtigt, so kann der Reisende den Vertrag nach § 651e Abs. 1 Satz 1 (§ 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) kündigen. (BGH 7.10.2008 – X ZR 37/08 = NJW 2009, 287) R buchte bei Veranstalter V eine 14-tätige Islandreise. Weil der Hinflug von Amsterdam nach Island fünf Stunden Verspätung hatte, kündigte R die Reise und kehrte mit einem selbst gebuchten Flug nach Deutschland zurück. Vom Veranstalter verlangt er volle Erstattung des Reisepreises und der Kosten des selbst gebuchten Rückflugs. In Betracht kommt ein Anspruch des R gegen V auf Erstattung des Reisepreises nach § 651e Abs. 3 Satz 1 iVm. §§ 638 Abs. 4 analog, 346 Abs. 1 (§ 651l Abs. 2 Satz 2 zweiter HS. RegE-Reiserecht iVm. § 346 Abs. 1). Voraussetzung ist eine wirksame Kündigung nach § 651e Abs. 1 Satz 1 (§ 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht).

Die Rechtsfolge einer nach § 651e Abs. 1 Satz 1 wirksam erklärten Kündigung ist zunächst umstritten. Nach § 651e Abs. 3 Satz 1 verliert der Veranstalter den Anspruch auf den Reisepreis. Teilweise wird dies in dem Sinne verstanden, dass 66 67

Zustimmend Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 100. BGH NJW 2015, 553, Tz. 13ff.

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dieser ex tunc entfalle und daher die §§ 812ff. anwendbar seien.68 Dies entspricht allerdings nicht der üblichen Ex-Nunc-Wirkung der Kündigung und begünstigt den Veranstalter zu Unrecht durch die Eröffnung des Entreicherungseinwandes nach § 818 Abs. 3. Überzeugender erscheint die Anwendung des Rücktrittsrechts. Dafür spricht die Parallele zum Werkvertragsrecht (§§ 634 Nr. 3, 346 Abs. 1), die ein systematischer Vergleich mit § 651e Abs. 3 Satz 269 und § 651d Abs. 1 Satz 2 nahelegt.70 Dieser Auffassung folgt vorliegend auch der BGH (Tz. 24). Auch im neuen Recht ist die Frage nicht geregelt; doch dürften aus ähnlichen Überlegungen heraus auch hier die §§ 346ff. anwendbar sein (arg. e § 651m Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht).

Allerdings versagt das Gericht dem Reisenden den Anspruch, weil keine erhebliche Beeinträchtigung vorgelegen habe (nun: § 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht). Nach dem Zweck und der konkreten Ausgestaltung der Reise hätte der Reisende nämlich die überwiegende Anzahl der Programmpunkte trotz der Verspätung wahrnehmen können (Tz. 15). Im Schrifttum wurde dagegen im Vorfeld der Entscheidung die Auffassung vertreten, dass der Reisende immer zur Kündigung berechtigt sei, wenn er vom Luftverkehrsunternehmen nach Art. 6 Abs. 1 lit. c iii iVm. Art. 8 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 VO 261/2004/EG eine Erstattungsleistung verlangen könne (dazu noch Rn. 1235ff.). Denn andernfalls liefe die Regelung der VO leer.71 Dieser Ansicht folgt der BGH nicht (Tz. 18), weil dies zu einem Automatismus führe, bei dem die Geltendmachung eines Anspruchs aus der VO immer auch zu einem Kündigungsrecht aus § 651e Abs. 1 Satz 1 (§ 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) führte. Dies überzeugt. Das Kriterium der Erheblichkeit (nun auch § 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) erfüllt eine ähnliche Funktion wie im Fall des § 323 Abs. 5 Satz 2. Die Leistungsstörung muss ein solches Gewicht erlangen, dass die Durchführung des Vertrages insgesamt infrage gestellt ist.72 Bei Ereignisreisen lässt sich die Erheblichkeit des Mangels leicht an der besonderen Zwecksetzung ermessen; erhebliche Mängel liegen daher bei einer Studienreise ohne adäquate Reisebegleitung vor.73 Ähnliches gilt bei Golfferien ohne die Gelegenheit zum Golfspiel (vgl. auch oben Rn. 1207). In allen übrigen Fällen stellt sich die Frage, ob die mangelhafte Erbringung eines Leistungsteils sich so auf die Gesamtheit der Leistungen auswirkt, dass ein Gelingen der gesamten Reise nicht in Betracht kommt. Gelangt bspw. das Gepäck zu spät an den Urlaubsort, soll erst nach BT-Drucks. 8/2589, S. 4; Staudinger/Staudinger § 651e Rn. 36. Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 102 im Anschluss an BGHZ 85, 50 = NJW 1983, 33, 35. Bamberger/Roth/Geib § 651e Rn. 10 (= BeckOK). Tonner, in: Gebauer/Wiedemann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 13a Rn. 82; B. Wagner VuR 2006, 337, 338. 72 In der sog. „Frankfurter Tabelle“ wird als erheblich ein Mangel angesehen, der zu einer Minderungsquote von 50% führt: NJW 1985, 113; zustimmend Bamberger/Roth/Geib § 651e Rn. 5 (= BeckOK). 73 LG Frankfurt MDR 1985, 141. 68 69 70 71

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vier Tagen Verzögerung ein erheblicher Mangel vorliegen.74 Als ebenso einleuchtendes wie unvergessliches Beispiel für ein Übergreifen eines Transportmangels auf die ganze Reiseleistung erscheint der Fall des Passagiers, der vom Kapitän wegen Aufsässigkeit buchstäblich aus dem Flugzeug geworfen wurde.75 In Abänderung der alten Rechtslage behält der Veranstalter nach § 651l Abs. 2 Satz 1 RegEReiserecht den Anspruch auf den Reisepreis. Dieser entfällt jedoch hinsichtlich der nicht mehr zu erbringenden Reiseleistungen (§ 651l Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht).

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Der Reisende braucht schließlich die Reise von vornherein nicht anzutreten, wenn der Veranstalter ihm vor Reiseantritt einen erheblichen Mangel mitteilt und keine Abhilfe in Aussicht stellen kann (Rn. 1207 und 1225).76 Denn an der Durchführung einer solchen Reise hat der Veranstalter kein schutzwürdiges Interesse; insbesondere darf er keinen Anspruch auf Entschädigung für Teilleistungen infolge eines Reiseantritts nach § 651e Abs. 3 Satz 2 erzwingen. Das neue Recht sieht für diesen Fall ein Rücktrittsrecht vor (§ 651h RegE-Reiserecht). Die Kündigung setzt nach § 651e Abs. 2 Satz 1 das Verstreichen einer angemessenen, vom Reisenden nach § 651e Abs. 2 Satz 1 zu setzenden Frist für die Abhilfe voraus (§ 651l Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht). Der Bestimmung der Frist bedarf es nicht, wenn die Abhilfe unmöglich iSd. § 275 Abs. 1 ist, vom Reiseveranstalter verweigert wird (hier bieten sich Parallelen zu § 323 Abs. 2 Nr. 1 an) oder wenn die sofortige Kündigung des Vertrags notwendig ist (§§ 651l Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz, 651k Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht). Beim letzten Fall dürfte es sich um Konstellationen handeln, die auch in § 323 Abs. 2 Nr. 3 angesiedelt sind: Zu denken ist etwa an eine arglistige Täuschung durch den Veranstalter. Nach § 651e Abs. 4 Satz 1 (§ 651l Abs. 3 RegE-Reiserecht) wird der Reiseveranstalter zur Rückbeförderung verpflichtet, wenn diese zuvor vereinbart war, wobei ihm nach Satz 2 Mehrkosten zur Last fallen. e) Schadensersatz aa) Vermögensschäden

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Nach § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht) kann der Reisende unbeschadet der Minderung oder der Kündigung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, es sei denn, der Mangel der Reise beruht auf einem Umstand, den der Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat. Nach ihrem Wortlaut setzt die Norm den Eintritt eines Mangels (§ 651c Abs. 1), ein Vertretenmüssen des Veranstalters (§ 276) und einen Schaden wegen Nichterfüllung voraus (§§ 249ff.). § 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht erinnert hingegen in seiner Orientierung an Art. 14 Abs. 3 PauschalRRiL 2015 an das Foreseeability-Konzept des anglo-amerikanischen Rechts 74 75 76

LG Hannover NJW 1985, 2903. BGHZ 85, 301. Vgl. die Entscheidung BGHZ 77, 310.

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(Rn. 12). Danach haftet der Veranstalter grundsätzlich (also ohne Verschulden), kann sich aber entlasten, wenn der Reisemangel vom Reisenden (Nr. 1) oder von einem Dritten, der ihm gerade nicht als Leistungserbringer (Rn. 1193) oder Erfüllungsgehilfe (§ 278 Satz 1) verbunden ist, verschuldet wurde (Nr. 2). Schließlich haftet der Veranstalter nicht für unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände (Nr. 3).

Fraglich ist, ob auch eine Mängelanzeige erforderlich ist. Die hM. bejaht dies,77 während die Gegenauffassung die unterlassene Mängelanzeige nur im Rahmen des § 254 berücksichtigen will.78 Dies passt jedoch nicht zum Grundgedanken des Reiserechts, der auf dem Vorrang der Abhilfe beruht (ausdrücklich jetzt § 651o Abs. 2 Nr. 2 RegE-Reiserecht). Immer muss dem Veranstalter nämlich die Möglichkeit eröffnet werden, den Schaden auf eine Mängelanzeige hin abzuwenden. Ist dies allerdings von vornherein nicht möglich oder wird es vom Veranstalter abgelehnt, erscheint die Mängelanzeige in entsprechender Anwendung des § 651e Abs. 2 Satz 2 (analog § 651k Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht) entbehrlich. (BGH 12.6.2007 – X ZR 87/06 = NJW 2007, 2549) R hatte bei Reiseveranstalter V eine Reise in einen Ferienclub gebucht. Gegenüber V macht R Ansprüche wegen folgenden Vorgangs geltend. Im Ferienclub hatte R eine Animationsveranstaltung besucht, bei der eine Animateurin das Publikum aufforderte, Schuhe auf die Bühne zu werfen. Ein Schuh mit hohem Absatz traf die R dabei am Hinterkopf. R fühlte sich unwohl und begab sich zu ihrem Hausarzt, der eine Gehirnerschütterung diagnostizierte. R maß dem Vorfall zunächst keine weitere Bedeutung bei und zeigte ihn nicht bei V an, bis einige Monate später Kopfschmerzattacken bei ihr auftraten. Mittels eines Elektroenzephalogramms wurde ein Herdbefund festgestellt, der sich zu einer bleibenden Epilepsie entwickeln kann. Von V verlangt R Ersatz des sich daraus ergebenden Schadens. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht). Zwischen R und V kam ein Reisevertrag nach § 651a Abs. 1 zustande.

Das Gericht ordnet die Verletzung der Reisenden durch den Schuh als Reisemangel nach § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 RegE-Reiserecht) ein (Tz. 20): Zu der im Reisevertrag vorausgesetzten Sollbeschaffenheit zählten auch Sicherheitsvorkehrungen des Veranstalters gegen Verletzungshandlungen der vorliegenden Art, die so ungewöhnlich seien, dass sich der Reisende nicht auf sie einstellen könne. Gerade deswegen rechne der Verletzungsvorgang auch nicht zu dem vom Reisenden zu tragenden allgemeinen Lebensrisiko (Tz. 21). Gegenüber dem Fehlverhalten der Angestellten kann sich der Veranstalter auch nicht nach § 651f Abs. 1 zweiter Fall wegen fehlenden Vertretenmüssens entlasten (Tz. 22ff.): Denn die Angestellte selbst handelte angesichts der Verletzungsgefahr fahrlässig; ihr Verschulden ist dem Veranstalter wiederum nach § 278 Satz 1 zuzurechnen (Tz. 24). Hier kommt auch keine Entlastungsmöglichkeit nach § 651h Abs. 1 Nr. 2 in Betracht, weil die Angestellte nicht Leistungsträger ist;

77 BGHZ 92, 177, 180; Soergel/Eckert § 651f Rn. 6; Führich, Reiserecht, 7. Aufl. 2015,§ 11 Rn. 16; Bamberger/Roth/Geib § 651f Rn. 8 (= BeckOK); Gitter JR 1985, 328, 329f. 78 Staudinger/Staudinger § 651f Rn. 13; dazu auch Teichmann JZ 1979, 737, 742.

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denn insoweit qualifizieren sich nur selbständige Unternehmen, nicht aber die Angestellten des Veranstalters (Rn. 1193). Nach Art. 14 Abs. 4 Satz 3 PauschalRRiL 2015 und § 651p Abs. 1 RegE-Reiserecht kann der Veranstalter seine Haftung nicht bei Körperschäden beschränken (Nr. 1) und auch nicht, wenn ein Verschulden (auch leichte Fahrlässigkeit) im Spiel ist (Nr. 2). Die Bedeutung der Norm reduziert sich daher auf den Fall der Nr. 3: Streitigkeiten darüber, ob das Ereignis unvermeidbar und außergewöhnlich war, kann der Veranstalter durch eine solche Vereinbarung abschneiden, wenn sein Verschulden außer Frage steht.79 Eine spezielle Haftungsbeschränkung für Leistungserbringer ist nicht mehr vorgesehen.

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Eigene Probleme bereitete die Wahrung der Monatsfrist nach § 651g Abs. 1 Satz 1, deren Nichteinhaltung zum Rechtsausschluss führt. Sie entfällt im neuen Recht. Der BGH verneinte ein Verschulden des Reisenden, weil dieser nicht zutreffend über die Frist belehrt worden war (Tz. 28ff., 37). Dafür spricht auch, dass der Reisende das Entstehen eines Schadens in seiner vollen Bedeutung zunächst nicht erkennen konnte (Tz. 39f.). Interessanterweise verneint der BGH vorliegend einen Anspruch aus § 823 Abs. 1. Die Körperverletzung der Reisenden sei dem Veranstalter nur zurechenbar, wenn dieser eine Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Für die Sicherheit einer Ferienanlage sei aber deren Betreiber verkehrssicherungspflichtig und nicht unmittelbar der Veranstalter. Dieser hafte deliktisch nur, wenn er den Betreiber nicht sorgfältig ausgesucht und überwacht hat, könne aber keine unmittelbare Verantwortung für das Geschehen vor Ort übernehmen (Tz. 13f.). Dies bedeutet eine Abmilderung gegenüber den in der Leitentscheidung angewendeten Maßstäben: (BGH 25.2.1988 – VII ZR 348/86 = BGHZ 103, 298 = NJW 1988, 1380) R hatte bei V eine Spanienreise gebucht. Am letzten Tag der Reise stürzte er vom Balkon seines Zimmers im Obergeschoss des Vertragshotels des V und erlitt ua. einen Trümmerbruch des rechten Oberschenkels. Das Holzgeländer der Balkonbrüstung hatte sich aufgrund unsachgemäßer Verschraubung gelöst. Reisevertragliche Ansprüche sind mittlerweile verjährt.

Nach Auffassung des BGH haftet der Veranstalter nicht aus § 831 Abs. 1 Satz 1, da das Vertragshotel kein weisungsunterworfener Verrichtungsgehilfe sei (S. 1381). Allerdings kann dem Veranstalter ein Organisationsverschulden zur Last fallen, das nach § 823 Abs. 1 als Verkehrssicherungspflichtverletzung bei der Beeinträchtigung eines absolut geschützten Rechtsguts haftungsbegründend wirkt.80 Zwar haftet der Reiseveranstalter nicht für das Vertretenmüssen des Leistungsträgers, wohl aber für eigenes Vertretenmüssen bei der Auswahl und beim Überwachen des Leistungsträgers. Da der Reiseveranstalter sich nicht über die Sicherheitsstandards des Hotels vergewissert hatte, soll ihn selbst der Vorwurf des Vertretenmüssens im Rahmen des § 823 Abs. 1 treffen (S. 1381f.). Doch wird man vom Veranstalter höchstens verlangen dürfen, dass Begründung RegE-Reiserecht, S. 90. Allgemein dazu von Bar, Verkehrspflichten, 1980, S. 254ff.; Steindorff AcP 170 (1970) 93, 103ff. und Matusche-Beckmann, Das Organisationsverschulden, 2001.

79 80

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er sich einen allgemeinen Eindruck vom Leistungsträger und der Qualität von dessen Sicherheitsmanagement verschafft, nicht jedoch, dass er die Tragfähigkeit des einzelnen Balkongeländers inspiziert. Deshalb erscheint die Begründung einer Haftung aus § 823 Abs. 1 zu weitreichend. § 651x RegE-Reiserecht sieht schließlich eine Haftung für vermutetes Verschulden bei Buchungsfehlern vor. Die Norm stellt einen Spezialtatbestand gegenüber § 651n RegE-Reiserecht dar und hat lediglich klarstellende Bedeutung.81 Dem Gesetzgeber ging es darum, Art. 21 PauschalRRiL 2015 ausdrücklich umzusetzen.

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bb) Entgangene Urlaubsfreude

Nach § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 2 RegE-Reiserecht) steht dem Reisenden bei Vereitelung oder erheblicher Beeinträchtigung der Reise eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit zu. Die Norm geht auf den berühmten Seereise-Fall zurück.82 Durch Verschulden der Zollbehörden gelangten die Koffer eines Reisenden nicht an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, sodass dieser die Seereise vorübergehend in derselben Bekleidung verbringen musste. Der Reisende forderte und erhielt Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude. In der späteren Rumänien-Entscheidung rechtfertigte der BGH den Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verbot des § 253 Abs. 1 aus der Überlegung heraus, der berufstätige Reisende habe sich seinen Urlaubsanspruch mit erheblichen Aufwendungen (Arbeitsaufwand) erkauft; deshalb sei die Urlaubszeit ein kommerzialisiertes Rechtsgut.83 Daraus resultierte lange Zeit auch bei der Anwendung des § 651f Abs. 2 das Argument, dass der Lohnverzicht, den der Reisende für die Beschaffung von Ersatzurlaub in Kauf nehmen müsse, zur Bemessung des Schadens herangezogen werden könne. Nachdem der EuGH jedoch zwischenzeitlich entschieden hatte, dass der Schadensersatzanspruch nach Art. 5 der Richtlinie 90/314/EWG grundsätzlich auch den Ersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit umfasse,84 legt der BGH dem § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 2 RegE-Reiserecht) ein neues Verständnis zugrunde: (BGH 11.1.2005 – X ZR 118/03 = BGHZ 161, 389 = NJW 2005, 1047 – Malediven)85 R hatte für sich und seine Frau bei V eine Flugreise zur Malediveninsel N im Zeitraum vom 13.4. bis 27.4.2002 für 4.976 € gebucht. Kurz vor der Abreise teilte V dem R mit, dass die Insel N überbucht sei und bot einen Aufenthalt auf einer anderen Insel an. R lehnte dies ab, weil diese andere Insel über kein Hausriff verfüge und er schnorcheln und tauchen wolle. Er kündigte mit Schreiben vom 10.4.2002 und fordert nun für sich und seine Frau eine Entschädigung iHv. 2.100 €. V wendet eine unzulässige Rechtsausübung durch R ein, weil dieser das Alternativangebot abgelehnt habe. Auch müsse er sich die zu Hause verbrachten Urlaubstage anrechnen lassen. Schließlich orientiere sich die Höhe der Entschädigung an den Einkommensverhältnissen, die hier nicht dargetan seien. 81 82 83 84 85

Begründung RegE-Reiserecht, S. 105. BGH NJW 1956, 1234. Dazu etwa Führich MDR 2009, 906, 911. BGHZ 63, 98, 101. Vgl. bereits den berühmten Seereise-Fall BGH NJW 1956, 1234. EuGH 12.3.2002 – C-168/00 = Slg. 2002, I-2631, Tz. 19ff. – Leitner. Vgl. auch BGH NJW 2013, 3170.

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Der BGH hat den Anspruch nach § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 2 RegE-Reiserecht) in voller Höhe zuerkannt. Die Norm ist zunächst wegen des weiten Mangelbegriffs in § 651c Abs. 1 (§ 651i Abs. 2 Satz 3 RegE-Reiserecht) anwendbar: Zum Schutz des Reisenden darf es nämlich keinen Unterschied machen, ob die Reise Qualitätsmängel aufweist oder der Veranstalter die Erbringung der Reiseleistungen wie vorliegend auf der Grundlage des § 275 Abs. 1 bzw. ohne Grund verweigert (S. 1048; dazu bereits Rn. 1208). Eine Vereitelung bejaht das Gericht schließlich, wenn der Reiseveranstalter den Reisevertrag nicht ordnungsgemäß erfüllen will oder dies nicht kann, was hier ebenfalls zu bejahen ist (S. 1048). Die Überbuchung hat der Reiseveranstalter (zumindest nach § 278 Satz 1) zu vertreten. Dabei kommt es auf die Voraussetzungen einer Kündigung nach § 651e Abs. 1 (§ 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) nicht an. Dies entnimmt der BGH dem Wortlaut des § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RegE-Reiserecht), wonach der Anspruch „unbeschadet der Minderung oder der Kündigung“ geltend gemacht werden kann (S. 1048). Schließlich greift vorliegend der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242) nicht ein, weil das Alternativangebot des Reiseveranstalters – gemessen an den typischen Urlaubsaktivitäten am Reiseort – mangels Hausriffs nicht gleichwertig war (S. 1048; vgl. jetzt § 651k Abs. 3 Satz 2 RegE-Reiserecht). Besondere Aufmerksamkeit verdient jedoch vor allem die Berechnung des Ersatzanspruchs. Dieser setzt zunächst nicht voraus, dass der Reisende die Zeit nutzlos zu Hause verbracht hat: Denn ihn trifft keine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 Satz 1, sich um eine Alternative bzw. den Widerruf des Arbeitsurlaubs zu bemühen. Deshalb kann eine Untätigkeit des Reisenden in diesem Punkt auch nicht anspruchsmindernd berücksichtigt werden (S. 1049). Der BGH leitet dies aus dem Umstand her, dass das Gesetz die Vereitelung und die erhebliche Beeinträchtigung (einer bereits angetretenen Reise) in § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 2 RegE-Reiserecht) gleichstellt. Bei der erheblichen Beeinträchtigung hat der Reisende oft aufgrund der äußeren Umstände keine Möglichkeit, seine Freizeit alternativ zu gestalten, weil er an den Urlaubsort gebunden ist. Dann kann es auch für die Vereitelung nicht darauf ankommen, wie der Reisende diese Zeit verbracht hat (S. 1049). Die Höhe der Entschädigung orientiert sich schließlich in Abkehr von der Rumänien-Entscheidung nicht am Einkommen des Reisenden, sondern am Reisepreis. Am Kommerzialisierungsgedanken hält das Gericht angesichts der Zwecksetzung des § 651f Abs. 2 nicht mehr fest. Denn die Norm ziele nicht auf Ersatz eines Einkommensschadens, sondern auf eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreuden (S. 1049). Zu deren Bemessung eigne sich der Reisepreis eher, weil in seiner Höhe der Wert der Urlaubsfreuden zum Ausdruck komme (S. 1050). Dabei hält das Gericht eine Entschädigung iHv. ungefähr der Hälfte des Reisepreises für angemessen (S. 1050).86 Diese Betrachtungsweise überzeugt vor allem deshalb, weil dem Reiseveranstalter ein niedriges Einkom86

Alternative Berechnung bei Führich MDR 2009, 906, 913.

II. Die Rechte des Reisenden

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men des Reisenden nicht zugute kommen darf.87 Dieses ist nämlich nicht Vertragsgegenstand. Dies folgt auch aus Erwägungsgrund 34 Satz 7 PauschalRRiL 2015, der einen Ersatz für „entgangene Urlaubsfreuden infolge erheblicher Probleme bei der Erbringung der betreffenden Reiseleistungen“ fordert. § 651f Abs. 2 (§ 651n Abs. 2 RegE-Reiserecht) kommt schließlich nicht nur im Fall einer Vereitelung, sondern auch bei einer erheblichen Beeinträchtigung in Betracht. Davon dürfte auszugehen sein, wenn bei einer Gesamtbetrachtung die Reise ganz oder teilweise als vertan erscheint, wobei hier ein systematischer Vergleich mit § 651e Abs. 1 Satz 1 (§ 651l Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) nahe liegt.88

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f) Gewährleistungsausschluss und Verjährung

§ 651g Abs. 1 begründet eine Ausschlussfrist: Der Reisende muss seine Ansprüche binnen eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise geltend machen (vgl. die Beispiele Rn. 1189 und 1221). Damit soll der Reiseveranstalter über mögliche Ansprüche des Reisenden rechtzeitig informiert werden. Dies ermöglicht es ihm, leicht verderbliche Beweise vor Ort zu sichern. Aus diesem Grund bedeutet Geltendmachen auch nicht klagen. Es genügt, dass der Reisende dem Veranstalter gegenüber sein Anliegen formlos deutlich macht. Eine Mitteilung gegenüber dem Reisebüro genügt, und zwar wegen § 91 Abs. 2 HGB.89 Auch muss die Mitteilung nicht unbedingt nach Abschluss der Reise erfolgen: § 651g Abs. 1 setzt nur eine Höchstfrist. Eine Mitteilung während der Reise ist daher möglich. Doch gelten während der Reise strenge Maßstäbe: Der Reisende muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass er den Veranstalter iSd. § 651g Abs. 1 in Anspruch nehmen will, damit dieser erkennen kann, dass der Reisende nicht nur ein Abhilfeverlangen nach § 651c Abs. 2 oder eine Mängelanzeige nach § 651d Abs. 2 vornimmt.90 Das neue Reisevertragsrecht kennt einen solchen Gewährleistungsausschluss hingegen nicht. Die Ansprüche des Reisenden verjähren gemäß § 651g Abs. 2 (§ 651j RegEReiserecht) in zwei Jahren, beginnend mit dem Tag, an dem die Reise vereinbarungsgemäß enden soll. Die nach § 651m Satz 2 mögliche Verkürzung der Frist auf mindestens ein Jahr muss unter Beachtung von § 309 Nr. 7 lit. a und lit. b erfolgen.91 Im neuen Recht ist sie nicht vorgesehen (§ 651y Satz 1 RegE-Reiserecht).

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1230

3. Besondere Lösungsrechte a) Rücktritt vor Reisebeginn

Nach § 651i Abs. 1 (§ 651h Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurücktreten. Ein Sachgrund ist also nicht erforderlich. 87 88 89 90 91

Dazu auch Führich MDR 2009, 906, 911; vgl. etwa auch BeckOGK/Tamm § 651f Rn. 122. Führich MDR 2009, 906, 908; Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 101. BGHZ 102, 80, 83. BGHZ 102, 80, 84ff.; Lettmaier/Fischinger JuS 2010, 99, 103; Rodegra MDR 2009, 782, 783. RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 269; BGH NJW 2009, 1486, Tz. 17.

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912

§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

§ 651i Abs. 2 folgt dabei § 645 Abs. 1 Satz 1, erinnert jedoch auch an § 648 Satz 1 und 2. Denn der Rücktritt lässt den Anspruch auf den Reisepreis untergehen (§ 651i Abs. 2 Satz 1; § 651h Abs. 1 Satz 2 RegE-Reiserecht) und einen Anspruch auf Entschädigung an seine Stelle treten (§ 651i Abs. 2 Satz 2; § 651h Abs. 1 Satz 3 RegE-Reiserecht). Bei der Berechnung ist der Reisepreis maßgeblich, wobei ersparte Aufwendungen sowie Aufwendungen, die der Veranstalter anderweitig nutzen kann, in Abzug gebracht werden (§ 651i Abs. 2 Satz 3; § 651h Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht). Über den unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus folgt aus der Norm ein allgemeiner Rechtsgedanke auch in Konstellationen wie der folgenden (vgl. zu diesem Fall bereits Rn. 1168): (BGH 30.11.1972 – VII ZR 239/71 = BGHZ 60, 14 = NJW 1973, 318 – Impfschaden) R bucht eine Pauschalreise für sich und seine Familie nach Teneriffa bei Reiseveranstalter V. Nach Abschluss des Vertrages ordnen die spanischen Behörden an, dass deutsche Reisende eine Pockenschutzimpfung vorweisen müssen. Dem kann der R nicht nachkommen, weil seine vierjährige Tochter an Bronchitis erkrankt ist und nicht geimpft werden kann. R lässt darauf nichts weiter von sich hören; der Abflugtermin ist mittlerweile verstrichen. V besteht jetzt auf Zahlung. Dem Anspruch des V auf den Reisepreis aus § 651a Abs. 1 Satz 2 steht § 326 Abs. 1 Satz 1 entgegen. Fraglich ist daher, ob V einen Anspruch auf Teilvergütung aus § 651i Abs. 2 Satz 2 (§ 651h Abs. 1 Satz 3 RegE-Reiserecht) verlangen kann. Allerdings war R hier nicht nach § 651i Abs. 1 (§ 651h Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) zurückgetreten.

Nach einer überzeugenden Ansicht ist der Anspruch aus § 651i Abs. 2 Satz 2 bislang auf alle Fälle analog anwendbar, in denen das zur Unmöglichkeit führende Ereignis vom Reisenden zu vertreten ist.92 Dafür spricht folgende Überlegung: Wenn der Reisende bei bewusster Beendigung des Reisevertrags ohne Sachgrund gegenüber dem Reiseveranstalter begrenzt verantwortlich ist, muss dasselbe gelten, wenn die Nichtdurchführbarkeit des Vertrages auf Umständen beruht, die der Reisende nicht willentlich steuert, die er jedoch nach § 276 Abs. 1 über Verschulden hinaus zu vertreten hat. Vorliegend kommt also unabhängig von der Bewertung des Verhaltens des R als schuldhaft oder entschuldigt (dazu Rn. 1093) ein Anspruch des V aus § 651i Abs. 2 Satz 2 analog in Betracht. Das Prinzip der Vollharmonisierung (Art. 4 PauschalRRiL 2015) steht dem nach neuem Recht nicht entgegen, da die Rechtsfolgen des Rücktritts in der Richtlinie nicht abschließend geregelt sind. Artt. 24f. überlassen die Durchsetzung der Ansprüche des Reisenden und mögliche Sanktionen dem nationalen Recht. Deshalb erscheint § 651h Abs. 1 Satz 3 RegE-Reiserecht als Norm nationalen Rechts, die analog auf die vorliegende Konstellation anwendbar ist (vgl. zu Bedenken gegen die Analogiebildung im Geltungsbereich vollharmonisierender Richtlinien: Rn. 36a).

b) Kündigung bzw. Rücktritt wegen höherer Gewalt 1232

Wird die Reise infolge höherer Gewalt, die bei Vertragsabschluss nicht voraussehbar war, erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt, so können so92

Bamberger/Roth/Geib § 651i Rn. 4 (= BeckOK); MünchKomm/Tonner § 651i Rn. 5.

II. Die Rechte des Reisenden

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wohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag nach § 651j Abs. 1 kündigen. Die Norm stellt einen Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313) dar.93 Die Gegenauffassung lehnt diese Einordnung ab, weil es um eine Störung des Leistungsinhaltes gehe.94 Regelmäßig handelt es sich jedoch um eine Störung von Umständen, die die Vertragspartner dem vertraglichen Leistungsaustausch gemeinsam (stillschweigend) iSd. § 313 Abs. 2 zugrunde gelegt haben. Im neuen Recht steht deshalb beiden Seiten ein Rücktrittsrecht zu: Tritt der Reisende nach § 651h Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht zurück, schuldet er unter den Voraussetzungen des Abs. 3 keine Teilvergütung. Der Veranstalter kann hingegen nach § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 RegE-Reiserecht zurücktreten, verliert dann aber seinen Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis (Satz 2). Dies bedingt Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite: (BGH 23.11.1989 – VII ZR 60/89 = BGHZ 109, 224 = NJW 1990, 572) Lehrer R hatte bei Veranstalter V eine Klassenfahrt nebst mehreren Übernachtungen in Prag vom 4. bis 9.5.1986 gebucht. Am 3.5.1986 teilte er V mit, das zuständige Ministerium habe aufgrund des Reaktorunfalls in Tschernobyl vom 25.4. auf den 26.4.1986 angeordnet, von der Reise abzusehen. V verlangt von R95 Ersatz von Stornogebühren für das Hotel sowie Auslagen für beantragte Visa und ausgehändigte Fachliteratur. In Betracht kommt ein Anspruch des V gegen R aus §§ 651j Abs. 2 Satz 1 iVm. 651e Abs. 3 Satz 2. Fraglich ist, ob zwischen R und V ein Reisevertrag zustande gekommen ist oder V mit jedem Mitglied der Gruppe einen gesonderten Vertrag geschlossen hat (vgl. Rn. 1189). Nach §§ 133, 157 dürfte für V vorliegend die beschränkte Geschäftsfähigkeit der Schüler den Ausschlag gegeben haben: Da er sich die Mühe der Einholung von Einwilligungen nach § 108 Abs. 1 im Zweifel ersparen wollte, hat er hier mit dem Lehrer als Gruppenleiter den Vertrag geschlossen. Fraglich ist, ob ein Fall höherer Gewalt vorlag.

Der Begriff der höheren Gewalt bedeutet in Anlehnung an das Haftpflichtrecht ein unerwartet eintretendes und nicht abwendbares Ereignis, das seinen Ursprung weder im Verantwortungsbereich des Veranstalters noch dem des Reisenden hat (S. 572). Der Begriff setzt wie im Fall des § 7 Abs. 2 StVG nicht nur die Unvermeidbarkeit voraus, sondern auch, dass das Ereignis nicht in die Risikosphäre des Verantwortlichen fällt. Höhere Gewalt hat der BGH daher bspw. beim Brand auf einem Nilschiff verneint, weil dieser Vorgang in die Risikosphäre des Veranstalters falle.96 Der BGH hat allerdings vorliegend die Voraussetzungen höherer Gewalt aufgrund einer Ex-ante-Betrachtung des Reisenden bejaht: Die eingetretene Strahlenbelastung stellte ein nicht abwendbares, die Rechte des Reisenden gefährdendes Ereignis dar, dessen Risiko von keiner 93 RegE BT-Drucks. 8/786, S. 21; BGHZ 109, 224 = NJW 1990, 572, 573; Bamberger/Roth/ Geib § 651j Rn. 1 (= BeckOK); MünchKomm/Tonner § 651j Rn. 1; Staudinger/Staudinger § 651j Rn. 4; Erman/Schmid, § 651j Rn. 1. 94 Oetker/Maultzsch § 9 Rn. 103. 95 Im Originalfall war das Bundesland verpflichtet worden. 96 BGHZ 100, 185 = NJW 1987, 1938, 1939; positives Beispiel: BGH NJW 2013, 1674, Tz. 17ff.: Kündigung einer Kreuzfahrt, weil Abfahrtshafen wegen Vulkanausbruchs nicht rechtzeitig mit dem Flugzeug erreicht werden kann; Bamberger/Roth/Geib § 651j Rn. 2 (= BeckOK).

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

Seite zu tragen war. Nach dem maßgeblichen Kenntnisstand unmittelbar vor Reiseantritt war eine Gesundheitsgefährdung der Reiseteilnehmer aufgrund erhöhter Strahlenbelastung nicht auszuschließen. Sich dieser auszusetzen, erschien dem Gericht zu Recht als unzumutbar (S. 572). Deshalb konnte R den Vertrag zunächst nach § 651j Abs. 1 kündigen. Nach neuem Recht kann R nach § 651h Abs. 1 Satz 1RegE-Reiserecht vom Vertrag zurücktreten. Er schuldet dem V keine Entschädigung, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich erschweren (Abs. 3 Satz 1). Dies ist der Fall, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären (Abs. 3 Satz 2). Erwägungsgrund 31 Satz 3 PauschalRRiL 2015 nennt als Beispiele für solche Umstände ua. Kriegshandlungen, Terrorismus, den Ausbruch einer schweren Krankheit sowie Naturkatastrophen. Die Voraussetzungen dürften hier zu bejahen sein.

1233

Der Anspruch nach §§ 651j Abs. 2 Satz 1 iVm. 651e Abs. 3 Satz 2 richtet sich indes auf Ersatz der erbrachten oder der noch zu erbringenden Reiseleistungen. Bereits die vorinstanzlichen Gerichte hatten die Kostenerstattung für die Visabeantragung und die Fachliteratur problemlos zuerkannt, indes die Liquidierung der Stornokosten nicht erlaubt. Stornokosten haben ihren Grund im Vertragsverhältnis zwischen Reiseveranstalter und Leistungsträger, auf das der Reisende keinen Einfluss hat und das er in aller Regel nicht kennt. Weil sie nicht im Verhältnis zwischen Veranstalter und Reisendem entstehen, erschien ihr Ersatz bis zur vorliegenden Entscheidung zweifelhaft. Der BGH entnimmt jedoch § 651j Abs. 2 Satz 2 einen allgemeinen Rechtsgedanken. Auch Stornokosten seien „unvorhersehbare ‚Mehrkosten‘, die – wie die Mehrkosten für die Rückbeförderung – allein durch höhere Gewalt entstanden sind und nach Treu und Glauben nicht von einer Partei getragen werden können“ (S. 573). Die Regelung des § 651j Abs. 2 erschiene andernfalls zu starr. Denn die Rechtsfolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bestehe üblicherweise in einer Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1). In diesem Rahmen seien die zunächst bei einer Seite anfallenden Folgen eines Risikos von beiden im Wege einer Inhaltsänderung des Vertrages zu tragen. So liege der Fall auch hier (S. 573). Die Kritik verweist auf den abschließenden Charakter der Regelung des § 651j Abs. 2; auf allgemeine Überlegungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage dürfe nicht zugrückgegriffen werden.97 Dagegen spricht, dass der Reisende solche Investitionen des Veranstalters typischerweise durch seine Buchung veranlasst und schon deshalb am Risiko beteiligt werden muss. Überhöhten Forderungen ist eher auf der Grundlage des § 254 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 als durch einen vollständigen Anspruchsausschluss Rechnung zu tragen. Der BGH teilt vorliegend die Stornokosten zwischen V und R. Konsequenterweise räumt er V in Anlehnung an § 651j Abs. 2 Satz 2 einen Anspruch gegen R auf Ersatz der Hälfte der Stornokosten ein (S. 573). 97

Staudinger/Staudinger § 651j Rn. 42.

III. Die Insolvenzsicherung

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Nach neuem Recht verliert der Veranstalter den Anspruch auf den Reisepreis (§ 651h Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht), was zur Rückabwicklung nach Abs. 5 der Norm führt. Der Reisende schuldet dagegen – abweichend vom Regelfall des Abs. 1 Satz 3 – keine Entschädigung (Abs. 3). Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Richtliniengebers (Erwägungsgrund 31 Satz 2, Art. 12 Abs. 2 Satz 1 PauschalRRiL 2015), der wegen der vollharmonisierenden Wirkung der Richtlinie (Art. 4) bindend ist (§ 651y Satz 1 RegE-Reiserecht). Da die Entschädigung auch Aufwendungsersatzansprüche mit umfasst (arg. e § 651h Abs. 2 Satz 2 RegE-Reiserecht) kann V keine der aufgeführten Positionen, insbesondere nicht die Stornogebühr, von R verlangen.

III. Die Insolvenzsicherung Nach § 651k Abs. 1 (§ 651r RegE-Reiserecht) muss der Reiseveranstalter sicherstellen, dass dem Reisenden bestimmte Ansprüche im Falle seiner eigenen Insolvenz erstattet werden. Es handelt sich dabei um den gezahlten Reisepreis, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz ausfallen (Satz 1 Nr. 1), und notwendige Aufwendungen, die dem Reisenden infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Reiseveranstalters für die Rückreise entstehen (Satz 1 Nr. 2; ähnlich § 651r Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 RegE-Reiserecht). Diese Insolvenzsicherungspflicht kann der Veranstalter nur durch Abschluss einer Versicherung bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen (Satz 2 Nr. 1) oder durch ein Zahlungsversprechen eines in Deutschland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts (Satz 2 Nr. 2) erfüllen (gleichlautend § 651r Abs. 2 Satz 1 RegE-Reiserecht). Die Vorgabe zu dieser Norm in Art. 7 der Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG erlangte durch das Dillenkofer-Urteil des EuGH traurige Berühmtheit, weil die Bundesrepublik wegen verspäteter Umsetzung der Richtlinienvorgabe in das BGB auf Schadensersatz haftete.98 Auf den Schutzzweck des § 651k Abs. 1 Satz 1 (§ 651r Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht) geht folgende Entscheidung ein: (BGH 2.11.2011 – X ZR 43/11 = NJW 2012, 997) R bucht bei Reiseveranstalter V eine Kreuzfahrt zum Preis von 7.400 €; V hat sich vorbehalten, dass die Reise nur bei Erreichen einer Mindestteilnehmerzahl stattfindet. Nachdem V dem R einen auf den Hamburger Versicherer H ausgestellten Sicherungsschein für Pauschalreisen gemäß § 651k Abs. 3 übermittelt hat, überweist R den Reisepreis an V. Einen Monat später teilt V dem R mit, dass die Reise mangels Nachfrage nicht stattfinden werde. Als R Rückzahlung der 7.400 € verlangt, ist V jedoch bereits in Insolvenz gefallen. R verlangt nun Ersatz von H. In Betracht kommt ein Anspruch des R gegen H gemäß § 328 Abs. 1 aus dem zwischen V und H zustande gekommenen Reisepreissicherungsvertrag auf Zahlung von 7.400 €. Dieser könnte hier einen Anspruch des R gegen V aus § 346 Abs. 1 absichern, der durch Ausübung eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts durch V entstanden ist.

98

EuGH 8.10.1996 – C-178/94 und andere = Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer.

1234

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

Beim Reisepreissicherungsvertrag handelt es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 Abs. 1 (Tz. 24).99 Fraglich ist vorliegend allerdings, ob das versicherte Risiko eingetreten ist. Dieses ist in § 651k Abs. 1 Satz 1 (§ 651r Abs. 12 Satz 1 und 2 RegE-Reiserecht) näher konkretisiert. Der Versicherer verneinte die Voraussetzungen im Hinblick auf den Wortlaut des § 651k Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Denn der Reiseveranstalter hat nur sicherzustellen, dass dem Reisenden der gezahlte Reisepreis ersetzt wird, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausfallen (sinngleich § 651r Abs. 1 Satz 1 RegE-Reiserecht). Vorliegend war die Reise aber nicht infolge Zahlungsunfähigkeit des Veranstalters ausgefallen, sondern wegen zuvor eingetretenen Wegfalls des Interesses. Der BGH wendet die Norm aber auch auf diese Konstellation entsprechend an. Er begründet dies mit einer richtlinienkonformen Auslegung aufgrund des weitergehenden Art. 7 RL 90/314/ EWG (Tz. 19f.) und dem Schutzzweck des § 651k: Danach stellt die Norm einen Ausgleich für die regelmäßig dem Reisenden auferlegten Vorleistungspflichten dar und soll diesen in der Insolvenz des Veranstalters schützen (Tz. 16). Dann dürfe es aber keinen Unterschied machen, ob die Reise unmittelbar wegen der Veranstalterinsolvenz ausfalle oder aus anderen Gründen und der Reisende nur mit seinen Rückgewähransprüchen in der Insolvenz des Veranstalters scheitere (Tz. 16). Denn verweigert der Veranstalter die Reiseleistung zu Unrecht, bleibt der Erfüllungsanspruch des Reisenden erhalten, kann aber in der Insolvenz nicht durchgesetzt werden. Verweigert der Veranstalter zu Recht – und davon ist hier auszugehen – kann nichts anderes gelten (Tz. 10f.). Dieses Verständnis deckt sich auch mit dem weiten Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 Satz 1 PauschalRRiL 2015. Danach muss „Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden … geleisteten Zahlungen“ gestellt werden, „sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden.“

In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH den Insolvenzschutz auch für den Fall bejaht, dass der Reiseveranstalter infolge betrügerischen Verhaltens in Insolvenz geraten war. Ausschlaggebend erschien abermals der Schutz des Reisenden im Hinblick auf dessen Vorleistungspflicht.100 Ein Reisevermittler (Reisebüro) haftet schließlich nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen Verletzung der Pflicht aus § 651k Abs. 4 iVm. Abs. 5 Satz 2, wenn er Zahlungen vor Erbringung der Reiseleistungen anfordert, ohne nachgewiesen zu haben, dass der Reiseveranstalter die Sicherheitsleistung nach § 651k Abs. 1 Satz 1 erbracht hat (jetzt § 651v Abs. 3 Satz 1 RegE-Reiserecht).101

99 Vgl. nur MünchKomm/Tonner § 651k Rn. 23; Staudinger/Staudinger § 651k Rn. 20. 100 EuGH 16.2.2012 – C-1 134/11 = NJW 2012, 1135. 101 BGH NJW 2015, 853, Tz. 10ff.

IV. Die Fluggastrechteverordnung

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IV. Die Fluggastrechteverordnung 1. Überblick

Die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (FluggastrechteVO)102 begründen Ansprüche, die zwar an eine vertragliche Vereinbarung äußerlich anknüpfen, sich jedoch von deren Inhalt fast vollständig lösen und gesetzliche Ansprüche an ihre Stelle treten lassen. Dies zeigt sich zunächst daran, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen haftet, nicht das Luftfahrtunternehmen, das dem Fluggast gegenüber vertraglich gebunden ist. Wenn daher beim sog. „Code-Sharing“ ein Teil der Flüge nicht vom Vertragspartner des Fluggasts ausgeführt wird, sondern durch einen vom Vertragspartner eingebundenen Erfüllungsgehilfen, so haftet der Erfüllungsgehilfe dem Fluggast unmittelbar.103 Ferner regelt die VO das Gewährleistungsrecht nicht abschließend, sondern beschränkt sich im Wesentlichen104 auf drei Tatbestände der Leistungsstörung: die Nichtbeförderung (Art. 4), die Annullierung (Art. 5) und die Verspätung (Art. 6). Der BGH erkennt darin zu Recht gesetzliche Ansprüche, die nicht aus den zugrunde liegenden Beförderungsverträgen resultieren.105 Der Zweck dieser Regelung liegt laut Erwägungsgrund 1 der VO im Verbraucherschutz und in einer von diesem ausgehenden Steuerungswirkung gegenüber den Luftfahrtunternehmen. Die personalisierte Betrachtungsweise der Verbraucherschutzdogmatik (Rn. 32) spiegelt Erwägungsgrund 2: „Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.“106

Betrachtet man die große Zahl höchstrichterlicher Entscheidungen, die auf der Grundlage der VO in kurzer Zeit ergangen sind, erscheint das gesetzgeberische Anliegen nicht praxisfern. Regelmäßig können Privatpassagiere bei einer Flugverspätung gegenüber den Luftfahrtunternehmen nämlich keine Vermögensschäden beziffern, was in der Branche möglicherweise die Bereitschaft gefördert hat, mit Zeit und Geduld der Fluggäste vglw. großzügig zu disponieren. Insoweit kommt den pauschalisierten Entschädigungen nach der VO eine bedeutsame Anreizwirkung im Hinblick auf die Wahrung der Vertragstreue zu. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der VO hindert den Fluggast im Übrigen nicht daran, einen gegenüber den Ausgleichsleistungen weitergehenden Schadensersatzan102 ABl. EU Nr. L 46 vom 17.2.2004, S. 1. 103 BGH NJW 2010, 1522, Tz. 8ff. 104 Vgl. aber jetzt auch EuGH NJW 2016, 2635 – Mennens/Emirates Direktion Deutschland zu

einer Herabstufung nach Art. 10 Abs. 2 VO. 105 BGH NJW 2009, 2740, Tz. 13. 106 EuGH NJW 2006, 351, Tz. 69 – IATA and ELFAA; BGHZ 194, 258 = NJW 2013, 374, Tz. 12.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

spruch geltend zu machen. Auf diesen „kann“ eine nach der VO gewährte Ausgleichsleistung gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO angerechnet werden (vgl. § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 RegE-Reiserecht). Am 13.3.2013 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Änderung der VO vorgelegt (COM(2013) 130 final), der die Grundsätze der umstrittenen Sturgeon-Entscheidung (Rn. 1237) übernehmen und einige zentrale Begriffe der VO meist im Sinne der hier dargestellten Rechtsprechung klären soll. Eine der VO ähnliche Regelung besteht für den Eisenbahnverkehr (VO Nr. 1371/2007); sie hat jedoch bislang keine vergleichbare Bedeutung erlangt.107 Ende des Jahres 2012 ist auch eine parallellaufende VO über Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr in Kraft getreten.108 2. Verspätung (Art. 6 VO) 1237

Nach Art. 6 Abs. 1 VO schuldet das Luftfahrtunternehmen – abhängig von der Dauer einer Verspätung – Unterstützungsleistungen (Verpflegung, Hotelunterbringung usw.). Die Erheblichkeit der Verspätung legt die Norm genau fest: Bei einem Flug über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger muss diese zwei Stunden oder mehr betragen. Ein bedeutsamer Unterschied gegenüber der in Art. 5 VO geregelten Annullierung besteht darin, dass Art. 6 Abs. 1 VO im Fall der Verspätung keine Ausgleichsleistungen vorsieht (vgl. dagegen Art. 5 Abs. 1 lit. c VO). Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 VO betragen diese 250 € für alle Flüge über eine Entfernung von bis zu 1.500 km (lit. a); 400 € für alle innergemeinschaftlichen Flüge über 1.500 km und für alle sonstigen Flüge über 1.500 km und unter 3.500 km (lit. b) sowie schließlich 600 € für alle sonstigen Flüge (lit. c). Deshalb kam es im folgenden Rechtsstreit zunächst vermeintlich auf die Abgrenzung zwischen Verspätung und Annullierung an: (EuGH 19.11.2009 – C-402/07 und andere = Slg. 2009 I-10923 – Sturgeon)109 Fluggast G hatte für den 9.7.2005 einen Direktflug von Toronto nach Frankfurt bei dem Luftfahrtunternehmen L gebucht (Abflugzeit 16:20 Uhr). Der Flug wurde von L zunächst auf den Folgetag verschoben. Als Grund wurden technische Probleme mit der vorgesehenen Maschine genannt. Am Folgetag wurde G auf einen Flug mit derselben Nummer (Abflugzeit 17:20 Uhr) und auf die nun reparierte Maschine umgebucht. G verlangt von L einen Ausgleich nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO iHv. 600 €. In Betracht kommt ein Anspruch des G gegen L aus Art. 5 Abs. 1 lit. c iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO auf 600 €, wenn eine Annullierung vorliegt.

Fraglich ist deshalb, ob von einer Verspätung (Art. 6 Abs. 1 VO) oder von einer Annullierung (Art. 5 Abs. 1 VO) auszugehen ist. Der EuGH entscheidet 107 Vgl. aber EuGH NJW 2013, 3429, Tz. 31ff. – ÖBB-Personenverkehr AG: keine Freistel-

lung von der Haftung für Verspätung bei höherer Gewalt; zustimmend Krüger NJW 2013, 3407. 108 VO (EU) Nr. 1177/2010 vom 24.11.2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnen-

schiffsverkehr und zur Änderung der VO Nr. 2006/2004, ABl. EU Nr. L 334 vom 17.12.2010, S. 1. 109 Bestätigt durch EuGH NJW 2013, 671 – Emeka Nelson und C-629/10 – TUI Travel plc.

IV. Die Fluggastrechteverordnung

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sich für eine Verspätung; denn die Annullierung setze im Gegensatz zur Verspätung voraus, dass die Fluggäste nicht mit dem ursprünglich geplanten Flug transportiert würden, sondern mit einem von der ursprünglichen Planung des Luftfahrtunternehmens abweichenden Flug (Tz. 35). Die große Verspätung des vorliegenden Fluges rechtfertige daher nicht allein die Einordnung als Annullierung, da der Flug letztlich unter der alten Flugnummer stattfand (Tz. 34). Bliebe es dabei, hätte ein Luftfahrtunternehmen es allerdings stets indes in der Hand, durch äußere Gestaltung (Vergabe derselben Flugnummer auf den Ersatzflug usw.), den Anspruch aus Art. 5 Abs. 1 lit. c iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 VO abzuwenden. Deshalb wendet der EuGH die Regelung über die Ausgleichszahlung (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 VO) analog auf den Fall einer mehr als dreistündigen Verspätung nach Art. 6 Abs. 1 VO an. Er verweist dafür auf eine Wendung im 15. Erwägungsgrund der VO (Tz. 43) und wichtiger noch auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Unionsrechts: Gemessen am Schutzzweck der VO, dem standardisierten und sofortigen Beheben von Schäden (Tz. 51), träfen den Fluggast im Fall der Annullierung und der erheblichen Verspätung ähnliche Schäden (Tz. 53f.). Die Erheblichkeitsschwelle für eine entschädigungspflichtige Verspätung setzt das Gericht bei 3 Stunden fest (Tz. 57). Diese Entscheidung hat die praktische Bedeutung der VO schlagartig erweitert und zeigt das nicht immer unproblematische Selbstverständnis des EuGH. Die im entscheidenden Punkt lückenhafte Regelung des Art. 6 VO lässt zunächst einen dürftigen politischen Kompromiss des europäischen Gesetzgebers durchscheinen, der sich im praktisch häufigsten Fall der Leistungsstörung nicht zu einer einschneidenden Rechtsfolge durchringen konnte. Die Lücke schließt an seiner Stelle der EuGH, ohne sich an die Voraussetzungen einer Analogie (vgl. das Erfordernis der vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Regelungslücke) gebunden zu fühlen. Auf der anderen Seite überzeugt die Entscheidung wegen der ohne sie bestehenden Umgehungsgefahr: Erst durch die Gleichstellung der erheblichen Verspätung mit der Annullierung funktioniert die VO in der Praxis und erscheint dort mehr als ein politisches Symbol ohne Konsequenzen. G hat daher gegen L einen Ausgleichsanspruch nach Artt. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO analog.

Die Gleichbehandlung zwischen Verspätung und Annullierung kann aber dabei nicht stehen bleiben, sondern muss sich konsequenterweise auch auf den Entlastungstatbestand des Art. 5 Abs. 3 VO beziehen, wonach das Luftfahrtunternehmen keine Entschädigung leisten muss, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außer- gewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nach der Auffassung des EuGH fallen technische Probleme im Zweifel nicht unter diese Ausnahme, es sei denn, diese gingen auf Vorkommnisse zurück, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen seien (Tz. 72). Aus Erwägungsgrund 14 der VO, der eine vergleichbare Unter-

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

scheidung trifft, folgert der EuGH weiter, dass technische Fehler, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen, keine außergewöhnlichen Umstände iSd. Art. 5 Abs. 3 VO darstellen, verdeckte Fabrikationsmängel hingegen schon.110 Vorliegend kam eine Entlastung nicht in Betracht.

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Diese Grundsätze setzt auch der BGH bei der Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO um: (BGH 25.3.2010 – Xa ZR 96/09 = NJW-RR 2010, 1641)111 G hat bei dem Luftfahrtunternehmen L für den 25.10.2007 einen Flug von Hahn nach Jerez de la Frontera zum Preis von 20 € gebucht. Der Pilot der für diesen Flug vorgesehenen Maschine erhielt 20 Minuten vor der Landung in Jerez de la Frontera den Hinweis, dass eine Landung wegen Bodennebels nicht möglich sei. Er wartete daraufhin noch ca. 15 Minuten in einer Warteschleife ab und landete dann in Sevilla. Eine halbe Stunde später löste sich der Nebel auf. L wollte den G nun auf eine Maschine am nächsten Tag umbuchen. Dies lehnte G jedoch ab und erwarb auf eigene Initiative einen Flug am selben Tag für 570 €. Er verlangt nun einen Ausgleich iHv. 400 € und die Erstattung der Kosten für den Ersatzflug iHv. 570 €.

1240

Fraglich ist, ob der Ausgleichsanspruch nach Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. b VO analog hier in ebenfalls analoger Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO (Rn. 1237f.) ausgeschlossen ist, weil die Annullierung des Fluges auf außergewöhnlichen Umständen beruhte, die auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht zu vermeiden gewesen wären. Dass das Entstehen von Bodennebel grundsätzlich einen solchen Umstand darstellen kann, lässt sich nicht bestreiten. Problematisch erscheint jedoch, dass die Annullierung uU. nicht auf den Nebel, sondern auf den Umstand zurückgeht, dass der Pilot nicht lange genug auf die Auflösung des Nebels gewartet hat. Einen entsprechenden Vorwurf verneint der BGH jedoch mit einem Argument aus dem Erwägungsgrund 12 der VO, nach dem die Gäste möglichst frühzeitig über die Annullierung unterrichtet werden sollen (Tz. 18). Dieses Argument überzeugt allerdings nicht: Dass die Unterrichtung frühzeitig erfolgen soll, ist kein Grund dafür, die Annullierung zu einem möglichst frühen Termin vorzunehmen. Bedeutsamer erscheint, dass der Pilot der L eine Prognose anstellen und innerhalb eines kurzen Zeitraums entscheiden muss. Zu Recht erkennt der EuGH dem Luftfahrtunternehmen einen Ermessensspielraum zu, den dieses vorliegend fehlerfrei ausgeschöpft habe (Tz. 19). Im Fall besteht der Ausgleichsanspruch des G daher nicht. Wegen des vom Fluggast gebuchten Ersatzflugs kommt vorliegend ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 wegen Verletzung der Pflichten des Luftfahrtunternehmens aus Art. 8 Abs. 1 lit. b VO in Betracht. Der Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 ist nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 VO durch die Regelungen der VO nicht gesperrt. Nach Art. 8 Abs. 1 lit. b VO wiederum 110 EuGH NJW 2015, 3427, Tz. 36ff. – van der Lans; ähnlich BGH NJW 2010, 2281, Tz. 15;

BGH NJW 2010, 1070, Tz. 13 und 15. 111 Art. 5 Abs. 3 VO bejaht: BGH NJW 2014, 861: Turbinenausfall durch Vogelschlag; BGH

NJW 2014, 859: unerwartet verweigerte Landeerlaubnis auf Flughafen.

IV. Die Fluggastrechteverordnung

921

kann der Gast eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt wählen. In der Entscheidung wird vorausgesetzt, dass Art. 8 Abs. 1 lit. b VO den Vertrag zwischen Luftfahrtunternehmen und Fluggast konkretisiert. Daran bestehen allerdings Zweifel, da die VO eigene, vom Vertrag losgelöste gesetzliche Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, das nicht notwendig der Vertragspartner ist, begründet. Die Frage kann indes auf sich beruhen, weil dem Fluggast in jedem Fall aus dem Werkvertrag mit dem Luftfahrtunternehmen aus §§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 ein inhaltlich gleichartiger Anspruch auf Nacherfüllung zustand. Eine Pflichtverletzung kommt hier in Betracht, weil der Ersatzflug möglicherweise nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt angeboten wurde. Denn der Gast selbst konnte einen Ersatzflug erwerben, der früher startete als der vom Luftfahrtunternehmen angebotene. Fraglich ist allerdings, ob das Luftfahrtunternehmen gerade auf diesen ausweichen musste. Dagegen könnte – was in der Entscheidung nicht erörtert wird – wegen des Unterschieds zwischen dem ursprünglich vereinbarten und dem für den frühen Ersatzflug geforderten Flugpreis eine Einrede aus §§ 275 Abs. 2, 635 Abs. 3 sprechen. Vorliegend lässt der BGH den Anspruch daran scheitern, dass der Fluggast die Pflicht aus Art. 8 Abs. 1 lit. b VO nicht gegenüber dem Luftfahrtunternehmen gewählt hat (Tz. 13). Der Anspruch des G besteht danach nicht.

3. Annullierung (Art. 5 VO)

Nach Art. 5 Abs. 1 VO stehen den Fluggästen gegenüber dem Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung des Fluges Unterstützungsleistungen nach Artt. 8, 9 VO. (EuGH, 31.1.2013 – C-12/11 = NJW 2013, 921 – Denise McDonagh/Ryanair Ltd.) Die Irin G hatte für 95 € einen Flug bei dem Luftfahrtunternehmen L von Faro (Portugal) nach Dublin gebucht. Dieser musste jedoch einige Tage verschoben werden; denn auf der Flugroute war Vulkanasche des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull in die Atmosphäre geraten. L hatte keine Betreuung gewährt und sich dafür auf außergewöhnliche Umstände berufen. Deshalb macht G nun 1.129,41 € für Hotelunterbringung, Verpflegung und Transportkosten geltend. In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 631 wegen Verletzung der Pflicht zur Gewährung von Betreuungsleistungen nach Artt. 5 Abs. 1 lit. b, 9 VO (Tz. 19ff. und 37ff.). Nach Art. 9 Abs. 1 VO zählen zu den Unterstützungsleistungen Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit (lit. a), gegebenenfalls eine Hotelunterbringung (lit. b) und die Beförderung vom Hotel zum Ort der Unterbringung (lit. c).

Auf Betreuungsleistungen findet Art. 5 Abs. 3 VO keine Anwendung (Tz. 31). Gerade bei einem unvorhersehbaren Ereignis dieser Art sind die Fluggäste nämlich nach Auffassung des EuGH auf den Schutz des Luftfahrtunternehmens angewiesen (Tz. 33). Weil die VO die Betreuungspflicht umfangmäßig

1241

922

§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

nicht begrenzt (Tz. 46), greift aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Tz. 44). Dieser dürfte dem Erforderlichkeitsprinzip in § 670 entsprechen (Rn. 1284): Das Luftfahrunternehmen schuldet deshalb nur geeignete Unterstützungsleistungen und darf dafür den günstigsten Weg wählen. Deshalb beschränkt sich auch der Schadensersatzanspruch auf Beträge, die sich „als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um den Ausfall der Betreuung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen“ (Tz. 51). Hier unterliegt der Fluggast mit anderen Worten auch der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 Satz 1. Daneben tritt die Ausgleichsleistung nach Art. 7 Abs. 1 (vgl. zu dieser bereits Rn. 1237). Der Anspruch auf die Ausgleichsleistung entfällt, wenn die Fluggäste rechtzeitig vor dem Abflug über die Annullierung unterrichtet worden sind. (BGH 14.10.2010 – Xa ZR 15/10 = NJW-RR 2011, 355) Fluggast G verlangt vom Luftfahrtunternehmen L eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO. G hatte bei L einen Flug für den 3.5.2005 um 11:40 Uhr von Berlin nach Amsterdam gebucht. Der ebenfalls bei L gebuchte Anschlussflug von Amsterdam nach Aruba sollte um 14:25 Uhr starten. L stornierte jedoch den Flug Berlin-Amsterdam und buchte G auf den 4.5.2005 mit einem entsprechenden Anschlussflug am selben Tag um. Dadurch traf G einen Tag später auf Aruba ein. G kann hier uU. ein Anspruch gegen L aus Art. 5 Abs. 1 lit. c iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO zustehen. Der BGH bejaht eine Annullierung (Tz. 14). Dafür spricht im Anschluss an die Kriterien der Sturgeon-Entscheidung (Rn. 1237), dass der Ersatzflug außerhalb der ursprünglichen Planungen der L lag.

Problematisch war jedoch, ob die Annullierung einen Flug iSd. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO betraf. Dazu musste dieser über mehr als 3.500 km gehen und außerhalb der EU112 stattfinden. Das Luftfahrtunternehmen stellte sich vorliegend jedoch auf den Standpunkt, dass nur der Berlin-Flug annulliert worden sei, sodass sich die Entschädigung nach dem niedrigeren Satz des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit a VO richte. Der BGH verweist jedoch zu Recht auf Art. 7 Abs. 1 Satz 2 VO, wonach sich die Streckenberechnung für den Ausgleichsanspruch anhand des „letzten Zielortes“ ergibt, an dem der Passagier bedingt durch die Annullierung verspätet ankommt (Tz. 31ff.). Dies ist nicht unproblematisch, weil Art. 2 lit. h VO den Begriff des „Endziels“ als den Ort bezeichnet, der auf dem vorgelegten Flugschein ausgewiesen ist. Für den Berlin-Flug war dies jedoch Amsterdam und nicht Aruba. Nach Auffassung des BGH verfolgt Art. 7 Abs. 1 Satz 2 VO jedoch eine eigenständige Zwecksetzung, sodass das hier verwendete Tatbestandsmerkmal des letzten Zielortes nicht nach Art. 2 lit. h VO auszulegen sei (Tz. 32ff.). Dafür spricht die Verhinderung von Manipulationsmöglichkeiten durch das Luftfahrtunternehmen. Dieses darf nicht durch formale Aufspaltung eines Fluges auf zwei Tickets die Höhe der Entschädigungsleistung senken können. 112 Aruba ist ein unabhängiger Staat, der dem Königreich der Niederlande als Mitglied eines Staatenbundes angehört; zur EU zählt Aruba allerdings nicht.

IV. Die Fluggastrechteverordnung

923

Daher steht G der Anspruch nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c gegen L zu.

Der Ausgleichsanspruch steht dem Gast grundsätzlich nur zu, wenn er sich rechtzeitig (idR. 45 Minuten) vor Abflug einfindet; dies ist allerdings nicht erforderlich, wenn das Luftfahrtunternehmen ihn zuvor von der Annullierung unterrichtet hat.113 Das ausführende Luftfahrtunternehmen ist nach Art. 5 Abs. 3 VO nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 VO zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Norm wurde bereits im Zusammenhang mit Verspätungen nach Art. 6 VO erörtert (Rn. 1238f.). Ein weiteres, grundlegendes Problem liegt in der Frage, ob das Luftfahrtunternehmen für die Folgen von Streikmaßnahmen verantwortlich ist: (BGH 21.8.2012 – X ZR 138/11 = BGHZ 194, 258 = NJW 2013, 374) Fluggast G hatte bei dem deutschen Luftfahrtunternehmen L für den 22.2.2010 einen Flug von Miami nach Düsseldorf gebucht. L wurde jedoch an diesem Tag von der Vereinigung Cockpit, einer Pilotengewerkschaft, bestreikt. Trotz eines von L aufgelegten Notfallplans konnte der Flug daher nicht stattfinden. G wurde auf eine andere Maschine umgebucht und kam erst am 25.2.2010 in Düsseldorf an. Von L verlangt er eine Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO.

Fraglich ist, ob außergewöhnliche Umstände iSd. Art. 5 Abs. 3 VO vorlagen. Die Konkretisierung dieses Begriffs muss entsprechend dem Rechtscharakter der VO autonom erfolgen. Der BGH orientiert sich dabei an der Rechtsprechung des EuGH zu technischen Defekten (Tz. 18; zu dieser Rechtsprechung Rn. 1238). Danach kommt nur ein Ereignis in Betracht, das sich außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs ereignet und nicht auf Organisationsmängeln des Luftfahrtunternehmens beruht. Dass die Bestreikung des Luftfahrtunternehmens darunter fällt, entnimmt der BGH dem Erwägungsgrund 14 der VO, aber auch dem Umstand, dass der Streik „von außen“ auf das Luftfahrtunternehmen zukomme und von diesem nicht beherrschbar sei (Tz. 18). Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass das Luftfahrtunternehmen den Streikforderungen nur nachzugeben brauche, um die Streikwirkungen vollständig zu beherrschen. Denn aufgrund von Art. 9 Abs. 3 GG steht auch ihm das Recht zu, sich gegenüber aus seiner Sicht nicht berechtigten Streikforderungen zu verteidigen. Unbeherrschbar ist der Streik daher aus seiner Sicht insoweit, als er mit Forderungen verbunden ist, auf die es nicht vorbereitet ist und gegen die es sich aus seiner Sicht verteidigen muss (ähnlich Tz. 26). Aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VO geht aber hervor, dass das Luftfahrtunternehmen auch in diesem Fall alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen muss, um eine Annullierung zu verhindern (Tz. 24). Darauf zielt der Notfallplan des bestreikten Luftfahrtunternehmens ab. 113 BGHZ 204, 291 = NJW 2015, 2181, Tz. 13 für den Fall einer Nichtbeförderung.

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

In der Entscheidung weist der BGH die Sache an die Vorinstanz zurück, damit geklärt werden kann, ob die Notfallpläne von L ausreichend waren (Tz. 28ff.). In einer späteren Entscheidung führte ein Streik griechischer Fluglotsen zur Verspätung eines Flugs von Stuttgart nach Palma de Mallorca. Das Luftfahrtunternehmen wurde dabei nicht unmittelbar bestreikt. Solche Ereignisse fallen nicht notwendig in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 VO, wenn negative Auswirkungen durch entsprechende Gestaltung des Flugplans vermieden werden können; Ersatzflugzeuge muss das Luftfahrtunternehmen allerdings nicht stellen.114

Im Falle der Nichtbeförderung stellen Streikmaßnahmen hingegen von vornherein keinen Entlastungsgrund dar (Rn. 1246). 4. Nichtbeförderung (Art. 4 VO) 1243

Art. 4 VO betrifft im Gegensatz zur Annullierung (Art. 5 VO) und zur Verspätung (Art. 6 VO) Konstellationen, in denen die Leistungsstörung nicht den gesamten Flug betrifft, sondern nur einzelne Passagiere. Denn eine Nichtbeförderung liegt vor, wenn „Fluggästen die Beförderung zu verweigern ist“ (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VO). Die Norm setzt daher eine Diskriminierung voraus und zielt darauf ab, deren Folgen abzumildern. Der typische Anwendungsfall liegt in der Überbuchung. Der EuGH115 erkennt jedoch die Diskriminierung der Passagiere als entscheidende Tatbestandsvoraussetzung und wendet die Norm etwa auch auf den Fall an, dass ein Luftfahrtunternehmen den Gästen die Beförderung auf dem ersten Flug verweigert, weil dieser verspätet ist und es davon ausgeht, dass die Gäste den Anschlussflug ohnehin nicht erreichen werden. Die Motive der Diskriminierung sind dabei für die Anwendbarkeit des Art. 4 VO bedeutungslos (Tz. 23), was im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm überzeugt. Kann das Luftfahrtunternehmen nach objektiven Kriterien erkennen, dass Fluggästen die Beförderung verweigert werden muss, muss es erst versuchen, einen Teil der Fluggäste gegen eine entsprechende Leistung zum freiwilligen Verzicht auf den Transport zu bewegen (Abs. 1). Finden sich nicht genügend Freiwillige, kann das Luftfahrtunternehmen einzelnen Fluggästen den Transport verweigern (Abs. 2). Diesen Fluggästen schuldet es im Gegenzug jedoch Unterstützungsleistungen gem. Artt. 8 und 9 VO und einen Ausgleich nach Art. 7 Abs. 1 VO: (BGH 30.4.2009 – Xa ZR 78/08 = NJW 2009, 2740) Fluggast G buchte beim Luftfahrtunternehmen L einen Flug von Frankfurt über Paris nach Bogotá. Der Flug nach Paris verzögerte sich wegen Nebels und Überfüllung des Luftraums über Paris, sodass G nur eine halbe Stunde vor Abflug der Maschine nach Bogotá eintraf. Deshalb wurde ihm – weil der Einstieg- und Ladevorgang abgeschlossen war – der Zutritt zur Maschine verweigert. So konnte er erst am nächsten Tag nach Bogotá fliegen. Er verlangt von L einen Ausgleich nach Artt. 4 Abs. 3, 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO. 114 BGH NJW 2014, 3303, Tz. 22 und 25; kritisch wegen der Beschneidung der Fluggastrechte R. Schmid NJW 2014, 3279, 3280. 115 EuGH NJW 2013, 363, Tz. 22ff. – Germán Rodríguez Cachafeiro.

IV. Die Fluggastrechteverordnung

925

Diese Entscheidung des BGH erging noch vor der Sturgeon-Entscheidung des EuGH, die den Fall der mehr als dreistündigen Verspätung dem der Annullierung gleichstellte (Rn. 1237). Deshalb kam es vorliegend entscheidend darauf an, ob hier dem Fluggast gegen seinen Willen die Beförderung verweigert wurde (Art. 4 Abs. 3 VO). Nach Auffassung des Gerichts zielt die Norm jedoch auf den Fall der willkürlichen oder diskriminierenden Verweigerung, wie er bei der Überbuchung besteht, nicht jedoch auf Konstellationen, in denen das Luftfahrtunternehmen ein Sachinteresse am sofortigen Abflug habe, wie dies nach Abschluss des Einsteigevorgangs der Fall sei (Tz. 10 und 16). Dies überzeugt deshalb weniger, weil es nach der Rechtsprechung des EuGH für die Anwendbarkeit des Art. 4 VO nur auf die Diskriminierung der Passagiere als solche ankommt, nicht aber auf die Gründe für diese. Näher lag hier die Überlegung, dass eine Diskriminierung des Fluggastes nicht stattfand, da er zur Abflugzeit nicht wie die anderen Passagiere zum Einstieg bereitstand. Vorliegend versagte der BGH dem G den Ausgleichsanspruch, weil keine Nichtbeförderung vorlag. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rn. 1237) steht dem Fluggast nunmehr und abweichend von dieser Entscheidung wegen der mehr als dreistündigen Verspätung des Zubringerfluges, der mit dem Anschlussflug eine Einheit bildet (Rn. 1241), ein Anspruch aus Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO analog zu.

Ein Grundlagenproblem der FluggastrechteVO liegt im Begriff des Fluges iSd. VO. Von diesem hängen die Bestimmung des Anspruchsadressaten, der Anwendungsbereich der VO (Art. 3 VO) und der Umfang des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 VO ab. Mit Ausnahme von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 VO, der sich zur Spezialfrage der Berechnung der Entfernungen verhält, macht die VO keine Angaben zur Bestimmung dieses Begriffs. Lediglich Art. 2 lit. h VO ist zu entnehmen, was ein „Endziel“ ist. Dabei handelt es sich um den Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen den Zielort des letzten Fluges. (BGH 28.5.2009 – Xa ZR 113/08 = NJW 2009, 2743) G hat bei dem Luftfahrtunternehmen L einen Flug von Frankfurt über Washington D.C. nach Phoenix (Arizona) für den 7.10.2006 gebucht. Den Flug von Washington nach Phoenix sollte nicht L, sondern United Airlines (U) erbringen. Der Abflug in Frankfurt verzögerte sich jedoch entgegen der ursprünglich bestätigten Startzeit (13.25 Uhr) auf 17.00 Uhr, sodass G den Anschlussflug nach Phoenix verpasste und auf Kosten der L die Nacht in einem Hotel in Washington verbringen musste. Nach Phoenix wurde er von U erst am nächsten Morgen befördert und traf dort 14 Stunden später ein als ursprünglich geplant. G verlangt von L einen Ausgleich iHv. 600 € nach Art. 4 Abs. 3 iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO. Der Anspruch aus Art. 4 Abs. 3 iVm. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO setzt voraus, dass dem Fluggast gegen seinen Willen die Beförderung verweigert wird. Fraglich ist jedoch, ob G diesen Anspruch als Fluggast der L geltend machen kann. Flug iSd. VO ist im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH nicht die gesamte Flugreise des Passagiers, sondern der Transport zu dem Endziel, das sich aus dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein ergibt (Art. 2 lit. h. VO).116 Vorliegend betraf die Nichtbeförderung einen Flug auf der Strecke Washington-Phoenix (Tz. 8). Dieser Flug fällt aber nach Art. 3 Abs. 1 VO nicht in den Anwendungsbereich der VO, weil ihm der

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§ 9 Der Reisevertrag und die Fluggastrechteverordnung

Bezug zur Europäischen Union fehlt (Tz. 8).117 Etwas anderes soll jedoch bei einem Verbindungsflug dann gelten, wenn das Luftfahrtunternehmen den Gast bereits vor dem Zubringerflug auch hinsichtlich des Anschlussfluges abfertigt. Denn dann steht auf dem Ticket das endgültige Reiseziel als Endziel iSd. Art. 2 lit. h VO.118 Wegen der vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten durch formale Gestaltungen seitens des Luftfahrtunternehmens überzeugt dies nicht. Der BGH erkannte G den Anspruch jedenfalls nicht zu. Die später ergangene Sturgeon-Entscheidung des EuGH zum Ausgleichsanspruch bei mehr als dreistündiger Verspätung (Rn. 1237) schließt auch hier eine wichtige Lücke. Denn nach dieser haftet L aus Artt. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO analog wegen der Verspätung in Frankfurt auf eine Ausgleichsleistung. Auf das Verpassen des Anschlussfluges kommt es daher nicht an.

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Beide Fälle (Rn. 1243 und Rn. 1244) zeigen, dass die Ausweitung des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 VO analog im Falle der Verspätung der Regelung des Art. 4 Abs. 3 VO einiges von ihrer praktischen Bedeutung nimmt: Wird dem Fluggast der Transport im Anschlussflug wegen Verspätung des Zubringerflugs verweigert, kann er gegen den Veranstalter des Zubringerflugs nach Artt. 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c VO analog vorgehen. Im Übrigen stellt sich im Falle der Nichtbeförderung die Frage, ob der Fluggast vom Luftfahrtunternehmen Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 verlangen kann. Nach Auffassung des BGH bedeutet die Verspätung allerdings keinen Mangel des Fluges (Tz. 16) und auch keinen nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 283 zu vertretenden Fall der Unmöglichkeit (Tz. 12). Denn mit der Verspätung entfalle regelmäßig nicht – wie für ein absolutes Fixgeschäft typisch – die Nachholbarkeit (Tz. 12). So kommt nur ein Anspruch wegen Verzugs in Betracht (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286), wobei die Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 entbehrlich sein dürfte. Allerdings muss der Passagier hier einen echten Vermögensschaden darlegen und beweisen (Tz. 17). In Betracht kommt regelmäßig ein Verdienstausfall nach § 252. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Fraglich ist schließlich, ob der Ausgleichsanspruch auch im Falle der Nichtbeförderung nach Art. 4 VO durch einen gegen das Luftfahrtunternehmen gerichteten Streik nach Art. 5 Abs. 3 VO analog gerechtfertigt werden kann. Dies verneint der Generalanwalt Yves Bot mit der Überlegung, die Nichtbeförderung richte sich immer gezielt gegen einzelne Fluggäste. Folglich müsse die Nichtleistung auch aus Gründen gerechtfertigt werden, die in der Person dieses Fluggastes liegen. Ein Streik komme insoweit nicht in Betracht.119 Der EuGH120 betont zwar zunächst, dass eine Nichtbeförderung iSd. Art. 4 VO nicht nur we116 EuGH NJW 2008, 2697, Tz. 32f. – Emirates/Schenkel; EuGH NJW 2013, 1291, Tz. 34 –

Air France SA/Heinz-Gerke Folkerts. 117 Ähnlich BGH NJW 2013, 682. 118 So BGH NJW 2009, 2740, Tz. 15. 119 Generalanwalt Yves Bot, Schlussanträge vom 19.4.2012 – C-22/11, Tz. 37 – Finnair/Timy

Lassooy. 120 EuGH NJW 2013, 361 – Finnair/Timy Lassooy. Die nachfolgenden Tz. beziehen sich auf

diese Enscheidung.

IV. Die Fluggastrechteverordnung

927

gen Überbuchung, sondern auch aus anderen, betrieblichen Gründen in Betracht kommen könne (Tz. 26). Dennoch wendet er Art. 5 Abs. 3 VO nicht analog auf Art. 4 VO an, weil die außergewöhnlichen Umstände iSd. Norm stets ein einzelnes Flugzeug, nicht aber die ganze Luftflotte betreffen müssten (Tz. 37). Hier scheinen die Überlegungen des Generalanwalts überzeugender, weil sie sich konsequent am Schutzzweck des Art. 4 VO orientieren, der einer Diskriminierung der Passagiere entgegenwirken will (Rn. 1243).

§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation I. Der Maklervertrag 1. Grundlagen 1247

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Beim Maklervertrag handelt es sich um einen einseitig verpflichtenden Vertrag.1 Der Gesetzgeber ging bei der Schaffung der §§ 652ff. davon aus, dass die vom Makler zu erbringende Leistung von seiner Sach-, Orts- und Personenkenntnis abhängig sei und deshalb nicht erzwungen werden könne.2 Nach dem Wortlaut des § 652 Abs. 1 Satz 1 besteht daher keine Pflicht des Maklers zum Tätigwerden. Allein der Auftraggeber wird zur Zahlung einer Provision (Courtage) verpflichtet, allerdings aufschiebend bedingt durch den Abschluss eines Hauptvertrags, der aufgrund der Maklertätigkeit zustande kommt.3 Die Konstruktion eines nach § 158 Abs. 1 aufschiebend bedingten Provisionsanspruchs erklärt sich dabei gerade aus dem einseitig verpflichtenden Charakter des Maklervertrages: Der Auftraggeber könnte einem verfrühten Provisionsbegehren des Maklers andernfalls nämlich nicht die Einrede des § 320 entgegenhalten, weil der Provisionszahlungspflicht keine Leistungspflicht des Maklers gegenübersteht.4 § 652 Abs. 1 Satz 1 unterscheidet zwei mögliche, zur Provision führende Maklertätigkeiten: den Nachweis einer Gelegenheit zum Vertragsschluss und die Vermittlung eines Vertragsschlusses. Der Nachweismakler erwirbt den Provisionsanspruch, wenn er den Kunden durch eine Mitteilung in die Lage versetzt, in konkrete Verhandlungen mit der anderen Vertragsseite einzutreten. Die Eröffnung einer Ermittlungsmöglichkeit reicht nicht aus. Deshalb liegt kein Nachweis vor, wenn einem Verkaufsinteressenten etwa eine Liste von 500 Personen übersandt wird, die dieser anschreiben soll.5 Ferner führen VorkenntMünchKomm/Roth § 652 Rn. 3f.; Staudinger/Arnold Vorbem zu §§ 652ff. Rn. 1 und 4; 1 Bamberger/Roth/Kotzian-Marggraf § 652 Rn. 2 (= BeckOK); Martinek JZ 1994, 1048, 1049; Hamm/Schwerdtner, Maklerrecht, 7. Aufl. 2016, Rn. 28; interessant BeckOGK/Meier § 652 Rn. 15: gemischter Vertrag mit Elementen aus Werkvertrag und Auslobung; zweifelnd am einseitig verpflichtenden Charakter allerdings Thomale JZ 2012, 716, 718f. Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung 2 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 2, BT, 1980, S. 756f. Larenz II/1 § 54; Staudinger/Arnold Vorbem zu §§ 652ff. Rn. 1 und 4. 3 Staudinger/Arnold Vorbem zu §§ 652ff. Rn. 10; Soergel/Engel Vor § 652 Rn. 3; Münch4 Komm/Roth § 652 Rn. 3; Bamberger/Roth/Kotzian-Marggraf § 652 Rn. 2 (= BeckOK). BGH NJW-RR 2010, 1385, Tz. 10; D. Fischer NJW 2011, 3277, 3278; vgl. Würdinger JZ 5 2009, 349, 351.

I. Der Maklervertrag

929

nisse des Auftraggebers über die Gelegenheit richtiger Auffassung nach dazu, dass ein Nachweis durch den Makler nicht möglich ist.6 Die höchstrichterliche Rechtsprechung verneint in solchen Fällen die für den Provisionsanspruch erforderliche Kausalität zwischen Maklertätigkeit und Abschluss des Hauptvertrages (dazu noch unten Rn. 1259).7 Der Vermittlungsmakler verdient die Provision, weil er die Abschlussbereitschaft der Vertragsgegenseite mit herbeiführt. Auf Vorkenntnisse des Auftraggebers über die Abschlussgelegenheit kommt es dabei nicht an, wohl aber darauf, dass die andere Seite zunächst nicht bereit war, zu den Bedingungen des Auftraggebers zu kontrahieren. Der Makler muss jedenfalls die später vorhandene Abschlussbereitschaft gerade durch seine Tätigkeit gefördert haben (Beispiel Rn. 1259).8 Der praktische Unterschied zwischen den beiden möglichen Leistungsinhalten eines Maklervertrages ist in der Regel nicht groß:9 Denn auch der Nachweismakler erwirbt einen Provisionsanspruch nur, wenn der Hauptvertrag zwischen dem Auftraggeber und einem Dritten zustande kommt (Rn. 1260). Daraus leitet sich auch für ihn ein entscheidender wirtschaftlicher Anreiz ab, auf eine Kontrahierungsbereitschaft der Gegenseite hinzuwirken. Häufig werden beide Tätigkeiten (Nachweis und Vermittlung) als Pflichten in den Maklervertrag aufgenommen. Denn die Beschränkung der Maklerprovision auf den Fall der erfolgreichen Vermittlung gäbe dem Auftraggeber Anreiz, nach Kenntnisnahme von der Abschlussmöglichkeit den Makler auszuschließen,10 um die damit ersparte Provision zur Grundlage weiterer Preisverhandlungen mit der Gegenseite zu machen. Der unbefristete Maklervertrag kann vom Auftraggeber jederzeit fristlos widerrufen werden. Dies wird mit einer Analogie zum Auftragsrecht (§ 671 Abs. 1 erster Fall) begründet.11 Für diese ist die Überlegung ausschlaggebend, dass der Maklervertrag die positive und negative Abschlussfreiheit des Auftraggebers nicht einschränkt: So wie der Auftraggeber auf die Nachweise des Maklers nicht eingehen muss, kann er das Vertragsverhältnis zu ihm auch beenden. Der Makler kann deshalb regelmäßig keine schützenswerten Vermögensdispositionen zu Lasten des Auftraggebers eingehen. Im Falle des fristlosen Widerrufs durch den Auftraggeber stehen ihm daher keine Ersatzansprüche zu. Zu Verbraucherwiderrufsrechten vgl. Rn. 1253a.

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2. Der Provisionsanspruch des Maklers

Der Anspruch des Maklers auf Provision kennt vier Voraussetzungen: (1) Zwischen Auftraggeber und Makler muss ein Maklervertrag zustande gekommen sein. 6 Staudinger/Arnold §§ 652ff. Rn. 31; aA. BGH NJW-RR 1990, 1008; MünchKomm/Roth § 652 Rn. 105, 179. 7 BGH NJW 1980, 123, 124. 8 BGH NJW-RR 1997, 884; Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 42ff. 9 Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 30. 10 Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 30. 11 BGH NJW 1967, 198; Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 65.

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§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation

(2) Der Auftraggeber muss mit einem Dritten einen wirksamen Hauptvertrag abschließen. (3) Für den Abschluss muss die Tätigkeit des Maklers kausal geworden sein. (4) Der Makler darf mit der Gegenseite des Hauptvertrages interessenmäßig nicht verflochten sein. a) Zustandekommen des Maklervertrages 1251

Der Maklervertrag kommt auf der Grundlage der §§ 145ff. zustande. Allerdings verlangt die hM., dass der Makler gegenüber dem Kunden seine Provisionsinteressen zunächst unmissverständlich klarmacht und der Kunde daraufhin die Maklerdienste annimmt (Unklarheitenregel). Der BGH formuliert diese so: „Wer sich an einen Makler wendet, der mit ‚Angeboten‘ werbend […] im geschäftlichen Verkehr auftritt, erklärt damit noch nicht schlüssig seine Bereitschaft zur Zahlung einer Maklerprovision für den Fall, daß ein Vertrag über das angebotene Objekt zustandekommt […] Der Interessent darf nämlich, soweit ihm Gegenteiliges nicht bekannt ist, davon ausgehen, daß der Makler das Objekt vom Verkäufer an die Hand bekommen hat und deshalb mit der angetragenen Weitergabe von Informationen eine Leistung für den Anbieter erbringen will. Ohne weiteres braucht der Kaufinteressent in einem solchen Fall nicht damit zu rechnen, daß der Makler auch von ihm eine Provision erwartet“.12

In der Unklarheitenregel wird man eine verdeckte Formvorschrift erkennen dürfen. Sie erscheint aus dem Umstand gerechtfertigt, dass die Maklertätigkeit aus Sicht eines Kaufinteressenten der Verkäuferseite zugerechnet werden kann und daher nicht notwendig als Erbringung einer vertraglich geschuldeten Leistung erscheinen muss. Deshalb darf der Makler die eigenen Provisionswünsche nicht einfach verschweigen, um den Kunden zunächst „bei der Stange“ zu halten, und dann, wenn dieser sich entschieden hat, seine Forderungen zu präsentieren. Im Schrifttum werden weitere Gründe genannt: So drängt sich dem Kunden die Vergütungspflicht nicht in gleicher Weise auf wie bei anderen Verträgen, weil der Makler kein Gut anbietet, das ihm die Rechtsordnung zugewiesen hätte,13 sondern nur eine für jedermann gewinnbare Information. Hinzu tritt die Überlegung, dass der Kunde, der mit mehr als einem Makler in Kontakt tritt, rasch in die Verlegenheit geraten kann, mehreren beim Nachweis bzw. der Vermittlung tätigen Maklern provisionspflichtig zu werden.14 Der Interessent braucht also nicht damit zu rechnen, dass er ohne weiteres für eine vom Makler überlassene Information oder dessen gutes Zureden gegenüber der anderen Vertragsseite provisionspflichtig wird:

12 BGHZ 95, 393 = NJW 1986, 177; vgl. auch BGH NJW-RR 1996, 114; erläuternd aus Sicht des III. Senats D. Fischer NJW 2011, 3277, 3278: „maklerspezifischer Rechtssatz“; ders. NZM 2011, 529, 530; ähnlich Reuter NJW 1990, 1321, 1322. 13 Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 3. 14 MünchKomm/Roth § 652 Rn. 46.

I. Der Maklervertrag

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(BGH 16.11.2006 – III ZR 57/06 = NJW-RR 2007, 400) Makler M inserierte die Gelegenheit zum Kauf einer Eigentumswohnung des V in der örtlichen Tageszeitung. K nahm darauf Kontakt mit M auf und besichtigte die Wohnung später in Begleitung des M. Dabei überreichte M dem K ein selbst erstelltes Exposé über die Wohnung, dem ein Schreiben folgenden Inhaltes beilag: „Hiermit bieten wir Ihnen das bezeichnete Objekt und zugleich unsere Dienste als Makler an. Ein Maklervertrag kommt zustande, wenn Sie von diesem Angebot Gebrauch machen, zum Beispiel, wenn Sie sich mit uns oder dem Eigentümer direkt in Verbindung setzen. Die angegebene Courtage zahlen Sie nur, wenn ein Vertrag über das angebotene Objekt zustande kommt, selbst wenn wir beim Vertragsabschluß nicht mitwirken. Sie sind einverstanden, daß wir auch für Ihren Vertragspartner tätig sind.“ K erklärte sich zu dem Exposé nicht weiter, sondern schloss später einen Kaufvertrag mit V über die Wohnung. Auf die Provisionswünsche des M ging er nicht weiter ein.

Der Provisionsanspruch des M gegen K aus § 652 Abs. 1 Satz 1 setzt den Abschluss eines Maklervertrages voraus. Der III. Senat geht auch hier zunächst von dem Grundsatz aus, dass ein Maklervertrag zustande kommt, wenn der Makler seine Provisionsinteressen unmissverständlich offenbart und der Kunde seine Dienste dennoch in Anspruch nimmt (Tz. 13). Im Exposé erkennt der Senat allerdings eine solche unmissverständliche Offenbarung (Tz. 16; vgl. auch Rn. 1253a),15 weshalb der Kunde durch Inanspruchnahme der Maklerdienste einem Vertragsschluss nach § 652 zugestimmt habe. Andere Senate des BGH erlauben es einem Unternehmer hingegen nicht, Rechte gegenüber einem Privatmann dadurch zu begründen, dass diesem umfangreiche Dokumente überlassen werden, innerhalb derer Informationen oder gar die Abgabe von Willenserklärungen untergeschoben werden. Vielmehr wird der Inhalt dieser Dokumente nur dann in das vertragliche oder vorvertragliche Schuldverhältnis einbezogen, wenn die eine Vertragsseite darauf vertrauen darf, dass die andere die überlassenen Unterlagen auch gerade im Hinblick auf den aufklärungspflichtigen Punkt studieren wird. (Rn. 444, 447 und 1312). Man wird deshalb im Einzelfall die Frage stellen müssen, ob das Exposé so gestaltet ist, dass der Kunde mögliche Provisionsinteressen klar erkennen kann. Überhaupt neigt die neuere Rechtsprechung dazu, die Anforderungen an die Unklarheitenregel herabzusetzen: In einem weiteren Fall16 hatte ein Makler im Internet unter der Adresse „Immobilienscout“ Objekte präsentiert und dabei sein Provisionsverlangen zum Ausdruck gebracht. Obwohl in diesem Auftritt nicht mehr als eine invitatio ad offerendum liegt (Tz. 11), geht der BGH von einem Vertragsschluss aus, wenn der Interessent sich später an diesen Makler wendet, weil er „von einer eigenen Provisionspflicht ausgehen kann“ (Tz. 11). Eindeutiger liegt dagegen ein anderer Fall, wo der Kunde sich an den Makler mit einem Suchauftrag wendet: Hier kommt

15 Das gilt wiederum nicht, wenn der Makler dem Kunden das Exposé eines anderen Maklers übergibt: BGH NJW 2016, 2317; zu diesem Problemkreis BeckOGK/Meier § 652 Rn. 124. 16 BGH NJW 2012, 2268; die folgenden Tz. beziehen sich auf diese Entscheidung.

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regelmäßig ein Maklervertrag zustande, wenn der Makler sich zur Tätigkeit bereit erklärt.17 Vorliegend bejaht der BGH die Provisionspflicht.

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Das wirksame Zustandekommen des Maklervertrages kann in Ausnahmefällen von der analogen Anwendbarkeit des § 311b Abs. 1 Satz 1 abhängen: (BGH 2.7.1986 – IVa ZR 102/85 = NJW 1987, 54) V schaltet Makler M beim Vertrieb von 25 im Rahmen eines Bauherrenmodells errichteten Wohnungen ein. M wird mit einer Provision iHv. 5% des Kaufpreises pro Wohnung beteiligt. Für den Fall, dass die Wohnungen aus von V zu vertretenden Gründen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht veräußert werden, erhält M als Vergütung für die Verkaufskonzeption einen Pauschalbetrag iHv. 1% des Werts der ganzen Anlage (ca. 3,5 Mio. €). Als eine Wohnung verkauft wird, verweigert V die Zahlung der Maklerprovision unter Hinweis auf die Formnichtigkeit der Vereinbarung. Der Provisionsanspruch des M aus § 652 Abs. 1 Satz 1 könnte hier am fehlenden Zustandekommen eines Maklervertrags scheitern, wenn dieser wegen Formverstoßes gegen § 311b Abs. 1 Satz 1 nach § 125 Satz 1 nichtig ist.

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Nach § 311b Abs. 1 Satz 1 ist ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen, beurkundungspflichtig. Eine solche Verpflichtung beinhaltet der Maklervertrag vorliegend nicht ausdrücklich. Allerdings muss § 311b Abs. 1 Satz 1 seinem Schutzzweck entsprechend analoge Anwendung finden, wenn in einem Vertrag Druck auf den Verkäufer ausgeübt wird, ein Grundstück zu veräußern (S. 54). Davon geht der BGH angesichts der im Raum stehenden Sonderprovision von 1% aus (S. 54). Dem steht zwar das hinter der Sonderprovision stehende berechtigte Interesse des Maklers gegenüber, vom Auftraggeber nicht durch willkürliche Verzögerungen des Verkaufs hintergangen zu werden. Doch kann dieses Interesse im Rahmen des § 311b Abs. 1 Satz 1 keine Berücksichtigung finden, weil die Schutzzwecke der Form eine frühzeitige Bindung auch durch faktischen Druck nicht zulassen (S. 54f.).18 Vorliegend handelt es sich übrigens bei dem Entgelt iHv. 1% nicht um eine typische Maklerprovision iSd. § 652 Abs. 1 Satz 1, sondern um ein selbständiges Provisionsversprechen (vgl. auch Rn. 1263), weil dessen Entstehung gerade nicht von Vermittlung oder Nachweis einer Vertragsgelegenheit abhängt. Der BGH spricht von einem sog. „Bemühungsentgelt“ (S. 54). In einem weiteren Fall hat der BGH § 311b Abs. 1 Satz 1 auch auf einen Maklervertrag angewendet, im Rahmen dessen der Auftraggeber eine Reueprovision für den Fall versprochen hatte, dass das Grundstück nicht zu den vom Makler vorgegebenen Bedingungen veräußert werden konnte.19 Ein Maklervertrag kann auch wegen Sittenverstoßes nach § 138 Abs. 1 und 2 nichtig sein: Der Verstoß gegen die guten Sitten kann zunächst auf der Art und Weise der Maklertätigkeit gründen. In einem Fall war der Makler vom Auftrag17 18 19

BGH NJW-RR 2010, 257, Tz. 3. So auch Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 25. BGH NJW 1970, 1915; dazu Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 21ff.

I. Der Maklervertrag

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geber zur Bestechung von Staatsbediensteten angehalten worden.20 Umstritten ist jedoch, ob der Vorwurf eines wucherähnlichen Geschäftes auch im Hinblick auf die Provisionshöhe erhoben werden kann. Der BGH hat dies für eine sog. Übererlösklausel bejaht: Ein Immobilienmakler hatte für den Kunden ein Grundstück zum vglw. niedrigen Preis von 200.000 € verkaufen sollen und durfte den darüber liegenden Erlös als Provision behalten, die sich deshalb am Ende auf 27,77% belief. Der BGH ging hier von einem groben Missverhältnis zwischen der vglw. leicht zu erbringenden Maklertätigkeit und der Höhe der Provision aus, wobei er eine marktübliche Maklerprovision von 3% zugrunde legte.21 Die Kritik wendet ein, dass die Höhe der Provision nicht nach dem Aufwand des Maklers, sondern nach dem Nutzen für den Auftraggeber zu bemessen sei.22 Dies überzeugt indes nur, wenn der Makler eine individuelle, auf dem Markt nicht anderweitig zu erlangende Nachweis- oder Vermittlungsleistung erbringt. Wird er indes wie vorliegend nur wie jeder andere Immobilienmakler tätig, indiziert die ungewöhnliche Überschreitung der marktüblichen Provision, dass der Makler beim Vertragsschluss die Unerfahrenheit oder die Notlage des Auftraggebers ausgenutzt hat.23 Dann aber muss im Zweifel auf seine verwerfliche Gesinnung geschlossen und ein Sittenverstoß nach § 138 Abs. 1 angenommen werden (vgl. die Parallele zum Darlehen Rn. 605). Ein Verbraucherwiderruf mit der Rechtsfolge des § 355 Abs. 1 Satz 1 ist vor allem auf der Grundlage des § 312g Abs. 1 möglich, wenn der Maklervertrag ein Fernabsatzgeschäft darstellt: (BGH 7.7.2016 – I ZR 30/15 = NZM 2017, 127)24 M inseriert die dem V gehörende Immobilie im April 2013 auf einem Internetportal. K wendet sich per E-Mail an M. M antwortet ihm darauf per E-Mail und sendet ein Exposé über das Objekt als Pdf-Datei mit, worin eine Maklerprovision iHv. 6,25% des Kaufpreises deutlich ausgewiesen ist. Eine Belehrung über ein Fernabsatzwiderrufsrecht enthält das Exposé nicht. Auf eine weitere Meldung des K vereinbaren M und K einen Besichtigungstermin. Einige Wochen nach der Besichtigung erwirbt K das Grundstück von V für 240.000 €. Darauf macht M eine Provisionsforderung iHv. 15.000 € geltend, worauf K den Widerruf des Maklervertrags erklärt. M weist diesen zurück und verlangt hilfsweise Wertersatz. Der Anspruch des M gegen K auf Maklerlohn aus § 652 Abs. 1 Satz 1 setzt einen wirksamen Vertragsschluss voraus. In der E-Mail des K an M liegt gem. §§ 133, 157 kein Angebot, weil K nur allgemeines Interesse zeigt, sich also die Entscheidung über eine mögliche Besichtigung des Objektes und den Abschluss eines Maklervertrages offen halten will (S. 438). In der Übersendung des Exposés liegt jedoch ein Antrag des M, weil nun das Provisionsinteresse für K klar erkennbar ist (Rn. 1251).25 Diesen Antrag nimmt K bereits mit BGHZ 94, 268 = NJW 1985, 2405; dazu Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 51. BGHZ 125, 135 = NJW 1994, 1475, 1476. Martinek JZ 1994, 1048; Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 53. Vgl. jetzt auch BGH WM 2012, 1668, Tz. 19; weiterführend BeckOGK/Meier § 652 Rn. 152ff. 24 Ähnlich BGH 7.7.2016 – I ZR 68/15 = DWW 2017, 60; zur Problematik BeckOGK/Meier § 652 Rn. 189. 25 Dazu auch OLG Jena MMR 2015, 438. 20 21 22 23

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der Bitte um einen Besichtigungstermin an, weil ihn das erkennbare Provisionsinteresse nicht davon abhält die Dienste des Maklers in Anspruch zu nehmen.

Auf den Maklervertrag ist die sog. Button-Lösung des § 312j Abs. 3 (Rn. 577) nicht anwendbar. Nach dieser muss der Verbraucher im elektronischen Geschäftsverkehr ausdrücklich bestätigen, dass er einen Vertrag über eine entgeltliche Dienstleistung schließen will. Die Maklerdienste werden jedoch nicht im elektronischen Geschäftsverkehr erbracht. Dieser setzt nämlich – über die missglückte Definition des § 312i Abs. 1 hinaus – voraus, dass der Anbieter die Leistung selbst im Fernabsatz erbringt (Rn. 576).26 Dies ist beim Makler idR. nicht der Fall, wie sich nicht zuletzt anhand des mit dem Kunden vereinbarten Hausbesuchs zeigt. Der Maklervertrag kann jedoch nach § 312g Abs. 1 als Fernabsatzgeschäft widerrufen worden sein. Fraglich ist angesichts des zwischen den Parteien vereinbarten Hausbesuchs zunächst, ob der Vertragsschluss iSd. § 312c Abs. 1 ausschließlich mit Hilfe von Fernkommunikationsmitteln zustande kommt. Nach der Unklarheitenregel (Rn. 1251) einigen sich die Parteien idR. dann, wenn der Makler sein Provisionsinteresse unmissverständlich zum Ausdruck bringt und der Kunde den Makler daraufhin weiter um seine Dienste bittet. Dann liegt – wie hier – der Vertragsschluss mit dem Kunden noch vor der ersten persönlichen Begegnung. Problematisch war lange Zeit, ob der Maklervertrag unter das Fernabsatzwiderrufsrecht fiel.27 Dies bejaht der BGH vorliegend bereits für das alte Recht (Tz. 29ff.). Im neuen Recht bestehen keine ernsthaften rechtlichen Bedenken: Nach Erwägungsgrund 26 Satz 4 der VerbRRiL fallen die „Dienstleistungen von Immobilienmaklern“ in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Doch stellt sich bei der Anwendung des § 312c Abs. 1 ein weiteres Problem: Der Vertrag muss nämlich im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen worden sein. Zu beachten ist dabei, dass § 312c Abs. 1 letzter Halbsatz nicht voraussetzt, dass der Makler selbst dieses System betreibt. Die Nutzung eines von dritter Seite betriebenen Internetportals, auf dem planmäßig und in erheblichem Umfang Verträge mit Fernkommunikationsmitteln nach § 312c Abs. 2 zustande kommen, erfüllt diese Voraussetzungen bereits.28 Ist schließlich der Kunde nach § 355 Abs. 1 Satz 1 infolge des Widerrufs an den Maklervertrag nicht mehr gebunden, stehen dem Makler nach neuem Recht Wertersatzansprüche nach § 357 Abs. 8 Satz 1 zu, über die der BGH hier noch nicht entscheiden musste. Diese setzen ihrerseits eine Belehrung in den Formen des § 357 Abs. 8 Satz 2 und 3 voraus, die im vorliegenden Fall fehlt, so dass der Makler hier keine einschlägigen Rechte geltend machen kann. Offen ist zur Zeit 26

MünchKomm/Wendehorst § 312i Rn. 15ff.; anders wohl Lange/Werneburg NJW 2015, 193,

195. OLG Jena MMR 2015, 438; Schleswig-Holsteinisches OLG ZMR 2016, 412; KG Grundeigentum 2016, 57; Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 73ff.; Lechner NZM 2013, 751, 752f. Vgl. auch BVerfG NJW 2013, 2881 zur grundlegenden Bedeutung dieser Frage. 28 Wohl etwas enger: S. Ernst NJW 2014, 817, 819; vgl. allgemeiner BT-Drucks. 14/2658, S. 30f.; BGH NJW 2004, 3699. 27

I. Der Maklervertrag

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die Höhe der Ansprüche. Dabei existieren zwei Auffassungen: Die eine stellt auf den objektiven Wert der Maklerleistung ab und erkennt auf einen Bruchteil der Provisionsforderung.29 Die andere will Umgehungen der Provisionspflicht durch Ausübung des Widerrufsrechts verhindern und erkennt auf einen Wertersatz iHd. vereinbarten Provision.30 Dagegen spricht, dass § 357 Abs. 8 Satz 5 eine Kontrolle im Hinblick darauf erfordert, ob die Provisionsforderung dem Marktniveau entspricht. b) Zustandekommen des Hauptvertrages

Nach § 652 Abs. 1 Satz 1 setzt das Entstehen des Provisionsanspruchs ferner voraus, dass der Vertrag zwischen Auftraggeber und Drittem (Hauptvertrag) infolge des Nachweises oder infolge der Vermittlung des Maklers zustande kommt. In § 652 Abs. 1 Satz 2 wird das zugrunde liegende Prinzip deutlich: Denn ist der Hauptvertrag unter einer aufschiebenden Bedingung geschlossen, kann die Provision erst verlangt werden, wenn die Bedingung eintritt. Für die Auslegung der Norm ist ferner ein systematisches Argument aus § 87a Abs. 1 Satz 1 HGB ausschlaggebend. Denn nach dieser Norm hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat. In Abgrenzung zu dieser Norm kommt es daher in § 652 Abs. 1 Satz 1 nur auf den Abschluss des Vertrages, also allein die wirksame vertragliche Einigung an und nicht die Erfüllung der im Hauptvertrag begründeten Hauptleistungspflichten (§ 362 Abs. 1).31 (BGH 9.7.2009 – III ZR 104/08 = NJW 2009, 2810) K schloss mit V einen Kaufvertrag über eine vermietete Gewerbeimmobilie. Als sie feststellt, dass V ihr einige Mängel arglistig verschwiegen hat, verlangt sie Schadensersatz statt der ganzen Leistung und macht dabei auch einen mit dem Grundstück zu erzielenden entgangenen Gewinn geltend. Dem Immobilienmakler M gegenüber, der der K ursprünglich aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung die Gelegenheit zum Abschluss des Kaufvertrages nachgewiesen hatte, verweigert sie die Zahlung der Provision. Zu Recht?

Der Provisionsanspruch aus § 652 Abs. 1 Satz 1 setzt auch hier nur das Zustandekommen des Hauptvertrages voraus, nicht aber dessen Ausführung (Tz. 8). Deshalb berührt die Geltendmachung von Ansprüchen, die den einmal geschlossenen Vertrag aufheben oder (im Wege des Schadensausgleichs) rückabwickeln, den Provisionsanspruch gerade nicht. Vorliegend besteht jedoch ein besonderes Problem darin, dass der Käufer auch nach § 123 Abs. 1 mit der Wirkung des § 142 Abs. 1 hätte anfechten können: Wäre die Anfechtung erklärt worden, wäre auch der Vertrag wegen der Ex-tunc-Wirkung des § 142 Abs. 1 nicht wirksam zustande gekommen. Nach Auffassung des Gerichts fällt die 29 Im Anschluss an LG Bochum NJOZ 2012, 1982, 1985; S. Ernst NJW 2014, 817, 818: ein Fünftel. 30 Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 75; MünchKomm/Roth § 652 Rn. 44. 31 BGH NJW-RR 1991, 820, 821; vgl. dazu zunächst nur BeckOGK/Meier § 652 Rn. 277f. und Würdinger JZ 2009, 349, 351.

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Maklerprovision aber auch dann nicht an, wenn der Käufer sein Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 nicht ausübt, sondern stattdessen einen anderen Rechtsbehelf zur Rückabwicklung des Vertrages wählt. Denn andernfalls würde das Bestehen des Provisionsanspruchs ihn in seiner Entscheidung über den interessengerechten Rechtsbehelf unsachgemäß beeinflussen (Tz. 11). Vorliegend eröffnet der BGH jedoch eine Rückausnahme zu dieser Regel: Wenn der Käufer vom Verkäufer fordert, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, als sei der Vertrag wirksam erfüllt worden, kann er sich gegenüber dem Makler nicht darauf berufen, dessen Provisionsanspruch sei so zu behandeln, als sei der Hauptvertrag nie geschlossen worden (Tz. 15). Vorliegend macht der Käufer einen entgangenen Gewinn (§ 252) geltend, was etwa auf der Grundlage des Schadensersatzanspruchs nach § 281 Abs. 1 Satz 1 wegen § 325 grundsätzlich möglich ist (Rn. 365ff.), nicht aber nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall, 818 Abs. 2 im Falle einer Anfechtung nach §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1. Damit verlangt er, so gestellt zu werden, als sei der Hauptvertrag ordnungsgemäß erfüllt worden, und schuldet daher die Provision. Der Käufer ist demnach bei Bestehen eines Anfechtungsrechts nach § 123 Abs. 1 nicht völlig frei, sich für einen Rechtsbehelf zu entscheiden, sondern darf sich auch gegenüber dem Makler nicht in einen nach § 242 verbotenen Selbstwiderspruch begeben. Eine Weiterung dieses Problems liegt in der Frage, ob der Provisionsanspruch auch entfällt, wenn der Käufer den Hauptvertrag eigentlich nach § 119 Abs. 2 wegen Fehlens einer verkehrswesentlichen Eigenschaft anfechten könnte, diese Norm aber durch das speziellere Gewährleistungsrecht, also die §§ 437ff., verdrängt wird (zur Konkurrenzproblematik Rn. 478). Ein Entfallen des Provisionsanspruchs wurde in der älteren Instanzgerichtsrechtsprechung bejaht.32 Dies geht aber deutlich zu weit, weil sonst regelmäßig ein Mangel und damit ein Fall der Schlechtleistung gegen die Wirksamkeit des Provisionsanspruchs eingewendet werden könnte. Nicht überzeugend erscheint auch die Auffassung, der Käufer könne gegenüber dem Provisionsanspruch einwenden, dass die wirtschaftliche Gleichwertigkeit zwischen dem von ihm intendierten und dem tatsächlich abgeschlossenen Vertrag nicht bestehe.33 Denn auf diese Weise können typische Leistungsstörungen, die die Wirksamkeit des Vertrags nicht berühren, zu Einwänden gegen den Provisionsanspruch umfunktioniert werden, was dem systematischen Verhältnis von § 652 Abs. 1 Satz 1 und § 87a Abs. 1 Satz 1 HGB nicht entspricht.34 Problematisch im Hinblick auf den Bestand der Maklerprovision erscheint auch der Fall, dass der Käufer auf der Grundlage eines Anspruchs aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2) im Wege des Schadensersatzes so gestellt wird, als sei der Hauptvertrag nie zustande gekomNachweis bei Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 100. Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 101; vgl. auch P.C. Schmidt, Der Provisionsanspruch des Zivilmaklers bei Störungen des Hauptvertrages, 1995, S. 74ff. 34 Kritisch auch Würdinger NZM 2005, 327, 328. 32 33

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men (vgl. als Beispiel Rn. 472). Richtiger Auffassung nach steht dieser Fall jedoch dem Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 näher als den rechtsgeschäftlichen Wirksamkeitshindernissen der §§ 104ff.35 Deshalb bleibt der Courtageanspruch erhalten. c) Kausalität der Leistungen des Maklers

§ 652 Satz 1 setzt weiter voraus, dass der Hauptvertrag infolge des Nachweises oder der Vermittlung des Maklers zustande gekommen ist. Zwischen der Tätigkeit des Maklers und dem Vermittlungserfolg muss aber mehr als bloße Kausalität nach der Äquivalenztheorie bestehen. Erforderlich ist, dass die Maklertätigkeit den Abschluss des Hauptvertrages in spezifischer Weise gefördert hat: (BGH 2.6.1976 – IV ZR 101/75 = MDR 1977, 35) V hat M als Vermittlungsmakler mit dem Verkauf seines Grundstücks betraut. M verhandelt daraufhin mit Interessent I. Allerdings kommt es im Notartermin zu Missstimmigkeiten zwischen V und I, so dass der Vertragsschluss zwischen beiden endgültig scheitert. Der Notar N selbst ergreift daraufhin die Gelegenheit und schließt mit V einen Kaufvertrag ab. Nun verlangt M von NZahlung der geschuldeten Provision.

Im Hinblick auf den Anspruch des M gegen N aus § 652 Abs. 1 Satz 1 wird man bereits am Abschluss eines Maklervertrages zweifeln müssen. Denn M unterbreitet N im Notartermin unter normalen Umständen kein Angebot, das von N angenommen werden kann. Das Gericht, das in seinem Urteil nicht an die Logik des Gutachtenstils gebunden ist, lässt den Anspruch jedoch an der fehlenden Kausalität scheitern. Hier wurde die Tätigkeit des Maklers zunächst iSd. Äquivalenztheorie für den möglichen Vertrag kausal. Denn ohne die Tätigkeit des Maklers wäre der Notar nicht auf die Kaufgelegenheit aufmerksam geworden. Dies genügt dem BGH jedoch nicht. Der Makler habe mit dem Notar nicht verhandelt und habe die Provision daher nicht verdient, da der Kaufvertrag eher zufällig geschlossen worden sei. Anders liege der Fall nur, wenn der Erstinteressent und der Käufer eng miteinander verbunden seien; denn dann wirke die vermittelnde Tätigkeit des Maklers auch gegenüber dem Käufer fort (S. 35). Dass der Notar zwangsläufig aufgrund seines Berufes mit dem Erstinteressenten und deshalb mit der Vermittlungstätigkeit in Kontakt gekommen sei, genüge hingegen nicht, da sonst die Anforderungen an eine Vermittlung zu stark herabgesetzt würden (S. 35f.). Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass die Information über die Vertragsgelegenheit dem Makler nicht wie ein absolut geschütztes Rechtsgut zugewiesen ist. Deshalb rechtfertigt sich die Provision nicht bereits dann, wenn das Wirken des Maklers nur kausal wird. Der Makler muss sich die Provision vielmehr durch seine Tätigkeit verdienen.36 Folgt man dem, so erscheint die in § 652 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit als objektives Zurechnungskriterium: 35 36

Würdinger JZ 2009, 349, 352. Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 124.

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Ein vom Makler verursachter Abschlusserfolg wird diesem in provisionsrelevanter Weise nur zugerechnet, wenn er in innerem Zusammenhang mit einer Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit steht, weil diese den Abschluss in spezifischer Weise gefördert hat. Nach Auffassung der Rechtsprechung scheitert die Kausalität der Leistung des Nachweismaklers regelmäßig an der Vorkenntnis des Auftraggebers: (BGH 4.10.1995 – IV ZR 163/94 = NJW-RR 1996, 114) K sucht ein neues Gebäude für die von ihm betriebene Kunstschule und beauftragt Makler M als Nachweis- und Vermittlungsmakler mit der Suche. M verweist ihn auf das Gebäude des V. Dieses hatte K bereits vor der Kontaktaufnahme mit M besichtigt und war wohl grundsätzlich zum Vertragsschluss bereit. Als M dies erfährt, ermittelt er den Wert der Immobilie und kommt dabei zu einem anderen, nämlich niedrigeren Wert als V. Später kauft K die Immobilie des V unterhalb der ursprünglichen Preisvorstellungen des V. M verlangt von K Zahlung einer Provision.

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Ein Nachweismakler kann die von ihm geschuldete Leistung grundsätzlich nicht mehr erbringen, wenn der Auftraggeber die Vertragsgelegenheit kennt. Dies ist eigentlich keine Frage der Kausalität, sondern der Leistungserbringung durch den Makler (oben Rn. 1257). Allerdings bedeutet Kenntnis des Objekts nicht notwendig auch Kenntnis der Vertragsgelegenheit.37 Darum geht es jedoch vorliegend nicht, da der Käufer auch um die Vertragsgelegenheit wusste. Eine Nachweistätigkeit war daher nicht mehr möglich. Deshalb kann die Provision hier nur aufgrund einer Vermittlungstätigkeit verdient worden sein. Dies ist der Fall, wenn der Makler eine wesentliche Mitursache zum Vertragsschluss setzt.38 Vorliegend ist der BGH skeptisch, ob die Bewertung durch den Makler dem Käufer wirklich konkret genutzt hat (S. 115). Dies überzeugt, weil ein Verkäufer wohl regelmäßig im Verlauf der Verhandlungen mit dem Käufer etwas von seinen ursprünglichen Preisvorstellungen abrückt. Im günstigeren Abschluss des Käufers liegt vorliegend also nicht notwendig das Verdienst des Maklers. Zweifel über den Erfolg der Vermittlungstätigkeit gehen aber zu Lasten des Maklers (S. 115). In der Entscheidung klingt jedoch an, dass etwa das Bemühen des Maklers um die Erteilung einer staatlichen Betriebsgenehmigung für die Kunstschule eine solche wesentliche Mitursache sein kann (S. 115). Die Kausalität kann schließlich nur im Falle der wirtschaftlichen Identität des nachgewiesenen bzw. vermittelten und des abgeschlossenen Vertrages bejaht werden. (BGH 13.12.2007 – III ZR 163/07 = NJW 2008, 651) Makler M hat K nach Abschluss eines Maklervertrags auf ein zum Verkauf stehendes Zwei-Familien-Haus aufmerksam gemacht. Allerdings bricht K die Verhandlungen bald ab und M ist mit der Sache nicht weiter befasst. Drei Monate später erwirbt K eine Wohnung in diesem Haus, ihr Bruder B die andere. Besteht hier ein Anspruch aus § 652 Abs. 1 Satz 1? 37 Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 31, 125; BeckOGK/Meier § 652 Rn. 235 differenziert zwischen der Nachweishandlung und ihrer Kausalität. 38 Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 125.

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Der Anspruch aus § 652 Abs. 1 Satz 1 setzt voraus, dass M gegenüber K den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages erbracht hat.

Wieder setzt der Provisionsanspruch voraus, dass die Nachweistätigkeit des Maklers in zurechenbarer Weise kausal für den Abschluss des Hauptvertrages geworden ist (Tz. 12). In Betracht kommen hier die beiden Kaufverträge zwischen dem Veräußerer der Immobilie und den beiden Geschwistern. Diese Kausalität wird unterbrochen, wenn der Käufer später ein anderes Objekt erwirbt. Grundsätzlich kann jedoch nicht verlangt werden, dass zwischen dem nachgewiesenen und dem erworbenen Objekt eine rechtliche Identität besteht. Denn der Kunde hat bei den Verhandlungen mit der späteren Vertragsgegenseite ja regelmäßig einen Verhandlungsspielraum.39 Entscheidend kommt es deshalb darauf an, dass der ursprünglich erstrebte wirtschaftliche Erfolg eintritt. Die Gleichwertigkeit muss sich dabei mit Blick auf den Umfang des Objekts, das erworbene Recht, den Preis und die Person des Abschlussberechtigten erweisen (wirtschaftliche Identität).40 Diese bejaht das Gericht vorliegend, wegen der Identität des Objekts und der verwandtschaftlichen Beziehung der Käufer untereinander (Tz. 24).41 Den Anspruch auf Maklerprovision kann M hier nur gegenüber K geltend machen, denn nur mit ihr kam ein Maklervertrag zustande. Allerdings hat sich K hier die Dienste des M auch zugunsten ihres Bruders zu Nutze gemacht und ist auch insoweit provisionspflichtig geworden. In einer weiteren Entscheidung handelt der Auftragnehmer mit dem Verkäufer einen Kaufpreis aus, der um mehr als 50% unter dem zunächst geforderten liegt. Ursprünglich war ein bebautes Grundstück angeboten worden; nachträglich wurde nur das Grundstück verkauft. Der BGH geht hier von einem wirtschaftlich eigenständigen Vertrag aus, für den das Wirken des Maklers nicht kausal geworden ist.42

d) Fehlende wirtschaftliche Verflechtung von Makler und Gegenseite des Hauptvertrages

Nach der Rechtsprechung des BGH steht dem Makler der Provisionsanspruch nach § 652 Abs. 1 Satz 1 gegen den Auftraggeber und Käufer nicht zu, wenn Makler und Verkäufer wirtschaftlich miteinander verflochten sind. Die Begründung dieses Rechtssatzes hat sich im Laufe der Entwicklung der Rechtsprechung stark verändert, was wiederum zu einer Ausweitung seines Anwendungsbereichs führte. Ursprünglich stellte das Gericht darauf ab, dass § 652 Abs. 1 ein echtes Dreipersonenverhältnis voraussetzt, bei dem der Makler gegenüber der Verkäuferseite unabhängig ist:43 Eine „Vermittlung“ von Seiten des Maklers kommt nach diesem Verständnis schon begrifflich nur in Betracht,

39 40 41 42 43

D. Fischer DB 2009, 887; ders. NJW 2011, 3277, 3279. D. Fischer DB 2009, 887ff.; BeckOGK/Meier § 652 Rn. 262ff. Dazu auch D. Fischer NJW 2011, 3277, 3279. BGH NJW 2014, 2352, Tz. 13ff. Dazu und zum Folgenden BGH NJW 1985, 2473.

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§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation

wenn der Makler in der Mitte der späteren Vertragsparteien steht.44 Denn nur dann kann er auf die Willensbildung des Verkäufers überhaupt Einfluss nehmen. Ähnliches galt aber auch für den Nachweismakler. Denn wer sich selbst als Partei zum Vertragsschluss bereiterklärt, erbringt nicht den Nachweis einer Gelegenheit. Daraus folgt, dass Makler und Dritter mit der Fähigkeit zur selbständigen und untereinander unabhängigen Willensbildung ausgestattet sein müssen. Der Schutzzweck dieser Rechtsprechung liegt auf der Hand: Sie verhindert, dass sich ein Verkäufer eine verdeckte Erhöhung des Kaufpreises gegenüber dem Käufer dadurch ausbedingt, dass er eine ihm interessenmäßig verbundene oder gesellschaftsrechtlich beherrschte Person als Makler vorschaltet (vgl. Rn. 1263) und dafür ein weiteres Entgelt vereinnahmt.45 Nach neuerer Rechtsprechung verfolgt das Verbot interessenmäßiger Verflechtung indes einen weiteren Zweck:46 Es dient (auch) dem Schutz des Auftraggebers vor Interessenkollisionen zwischen Makler und Verkäufer, die bei wirtschaftlicher Verflechtung naheliegen: (BGH 1.3.2012 – III ZR 213/11 = NJW 2012, 1504) Makler M hat dem Auftraggeber K nach Abschluss eines Maklervertrages einen Anteil an der von dem Versicherer V aufgelegten fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherung vermittelt. Nachträglich stellt sich heraus, dass M mit V eng zusammenarbeitet. M versieht Unterlagen über Anlagestrategien und auch die Fondspolicen des V mit den eigenen Unternehmenskennzeichen und stellt diese in seinen Informationsbroschüren als eigene konzeptionelle Leistungen dar. K verweigert deshalb die Zahlung einer Provision.

Vorliegend erscheinen Makler und Versicherer als Unternehmensträger, die voneinander unabhängig und jeweils selbständig agieren. Die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Verflechtung nach den Kriterien der älteren Rechtsprechung erfüllen sie daher nicht. Der BGH erweitert jedoch den Schutzzweck des Verbots der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Makler und Vertragsgegenseite hin auf eine Vermeidung von Interessenkollisionen (Tz. 10). Auf dieser Grundlage bejaht er eine wirtschaftliche Verflechtung, weil der Makler sich die Finanzprodukte der Versicherung äußerlich zu eigen mache (Tz. 11f.). Im Schrifttum wird dies mit der Überlegung befürwortet, beim Maklervertrag handele es sich um eine Sonderform des Geschäftsbesorgungsvertrages nach § 675 Abs. 1, mit der für diesen typischen Interessenwahrungspflicht.47 Die Kritik wendet ein, dass sich mögliche Interessenkonflikte des Maklers bei einer bloßen Nachweistätigkeit gar nicht zu Lasten des Auftraggebers auswirken könnten und deshalb dem Provisionsanspruch nicht entgegenstehen dürften.48 Ganz allgemein erscheint diese Rechtsprechung gefährlich weit, weil Makler und Verkäufer künftig jede dauernde Interessenübereinstimmung vermeiden 44 45 46 47 48

BeckOGK/Meier § 652 Rn. 328.1. So bereits Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 153. BGH NJW 2009, 1809, Tz. 12. Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 153; allgemeiner Thomale JZ 2012, 716, 722. Lieb WM 1982, 782.

I. Der Maklervertrag

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müssen. Aus gutem Grund beschränkt das BGB die Gefahr einer Interessenkollision an anderer Stelle, nämlich in § 181, auf wenige, formalisierte Tatbestände. Denn das Merkmal „Interessenkonflikt“ wäre als Tatbestandsvoraussetzung ansonsten schwer einzugrenzen, kommen doch Konflikte dieser Art im Wirtschaftsleben häufig und in unterschiedlicher Intensität vor. Unterhalb der Schwellen des § 123 bzw. § 181 aber berühren sie schützenswerte Interessen des Auftraggebers kaum. Dieser muss sich vielmehr auf einen Interessengegensatz im Hauptvertrag einstellen und daher selbst herausfinden, ob das Verhältnis der Hauptleistungspflichten angemessen ist und die vereinbarten Nebenleistungspflichten deren Erfüllung sicherstellen. Auf den Makler, der kein Anlagenberater ist (vgl. Rn. 1268), darf der Interessent dabei nicht vertrauen. So erschwert die Rechtsprechung einem Veräußerer unnötig, einen Makler in seinen Vertrieb zu integrieren. Vorliegend hat der BGH den Provisionsanspruch daher wohl zu Unrecht verneint.

Lässt der Kunde sich aber bewusst auf die Einschaltung eines wirtschaftlich mit dem Verkäufer eng verflochtenen Maklers ein, kommt ein selbständiger Provisionsanspruch zustande: (BGH 20.11.2008 – III ZR 60/08 = NJW 2009, 1199) V verkaufte an K ein Grundstück durch notariellen Kaufvertrag. In diesem war die Verpflichtung des K aufgenommen, an Makler M eine Provision zu zahlen; der Text beruht auf einer von V für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten Klausel. Im Vertrag wurde ausdrücklich erläutert, dass V und M demselben Konzern angehörten. Nachträglich verlangt K die bereits gezahlte Provision von M zurück. Der Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz (Leistungskondiktion) setzt voraus, dass die Leistung der Provision des K an M ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Der Rechtsgrund könnte hier in einem Anspruch des M als Drittem nach § 328 Abs. 1 liegen. Fraglich ist nur, ob die den Anspruch begründende Klausel nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist.

Der BGH stellt zunächst mit Blick auf § 307 Abs. 1 Satz 1 fest, dass in den AGB zu einem Maklervertrag entgegen § 652 Abs. 1 Satz 1 kein erfolgsunabhängiger Anspruch auf Maklerprovision begründet werden kann (Tz. 14). Dem Gerechtigkeitsgedanken des § 652 Abs. 1 Satz 1 entspricht es nämlich, dass der Kunde ein Entgelt nur für Maklerleistungen entrichten muss, die ihm praktisch nützen. Deshalb kann in dem vorliegenden Versprechen nach § 328 Abs. 1 auch keine sog. Maklerklausel liegen (Rn. 1266f.). Denn durch diese werden nur Zweifel über das Zustandekommen einer Vereinbarung über den Provisionsanspruch nach § 652 Abs. 1 Satz 1 ausgeräumt, nicht aber dessen Sachvoraussetzungen verändert (Tz. 14). Vorliegend geht der BGH daher von einem selbständigen Provisionsversprechen aus, das sich von den Voraussetzungen des § 652 Abs. 1 Satz 1 löst. Denn der Käufer wurde hier auf die wirtschaftliche Verflechtung des Maklers mit dem Verkäufer ausdrücklich aufmerksam gemacht (Tz. 16). Stimmt er unter diesen Umständen dennoch der Begründung einer Provisionspflicht zu, wird im Grunde nur eine weitere, anders deklarierte

1263

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§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation

Kaufpreispflicht begründet (Tz. 17). Die vom Käufer geschuldete Gegenleistung nach § 433 Abs. 2 ist danach in Höhe des ausdrücklich als Kaufpreis deklarierten Teils an den Verkäufer zu erbringen, iH. des als Provision benannten Teils an den Makler, was nach § 362 Abs. 2 möglich ist (ähnlich Tz. 18). Im Schrifttum ist zu Recht bemerkt worden, dass Klauseln dieser Art höchstens noch am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 scheitern können.49 Eine weitere Konsequenz liegt darin, dass der Makler das Verbot der wirtschaftlichen Verflechtung mit der Vertragsgegenseite dadurch umgehen kann, dass er die provisionspflichtige Partei über die wirtschaftliche Verflechtung ausdrücklich aufklärt und eine solche Klausel in den Kaufvertrag aufnehmen lässt.50 Die Provision ist vorliegend nicht ohne Rechtsgrund, sondern aufgrund eines selbständigen Provisionsversprechens geleistet worden. Der Anspruch aus Leistungskondiktion ist daher nicht begründet.

e) Verlust des Anspruchs nach § 654 1264

Nach § 654 ist der Provisionsanspruch ausgeschlossen, wenn der Makler dem Inhalt des Vertrages zuwider auch für den anderen Teil tätig gewesen ist. Die Norm hat große praktische Bedeutung, allerdings nicht im Maklerrecht, sondern als Rechtsgrundlage für die Kürzung von Vergütungsansprüchen eines Geschäftsbesorgers bei grob fahrlässigem Treueverstoß. Dies hängt mit der Bestimmung des Normzwecks in der Leitentscheidung zusammen: (BGH 5.2.1962 – VII ZR 248/60 = BGHZ 36, 323 = NJW 1962, 734) V befindet sich in großen finanziellen Schwierigkeiten und beauftragt Makler M mit der Veräußerung der Geschäftsanteile an einem Fischdampfer gegen Provision. M vermittelt rasch den Verkauf an K zu einem Kaufpreis, der den „Nennwert“ um 190% übersteigt. Von K bezieht M für diesen Vorgang ebenfalls eine Provision. V verweigert daher die Provisionszahlung unter Berufung auf § 654.

Der Makler wird hier auch für die Gegenseite tätig. Dies muss nach § 654 jedoch dem Inhalt des Vertrags zuwider erfolgen, damit der Provisionsanspruch aus § 652 Abs. 1 Satz 1 entfällt.51 Denn nach § 99 HGB stellt das Tätigwerden für beide Seiten nichts Ungewöhnliches dar. Der BGH geht auf dieses Tatbestandsmerkmal nicht ein, sondern nimmt eine teleologische Reduktion des Normanwendungsbereichs vor, die weit über den Einzelfall hinaus wirkt. Seiner Auffassung nach hat § 654 „offensichtlich Strafcharakter“ (S. 734). Denn die Vorschrift will den Makler bei Verlust seines Vergütungsanspruchs dazu anhalten, die ihm gegenüber dem Auftraggeber bestehende Treuepflicht zu wahren (S. 734f.). Wegen dieses Strafcharakters ist die Norm aber nur auf die „Fälle des treuwidrigen Verhaltens des Maklers im eigentlichen und engeren Sinne anzuwenden“ (S. 735). Der Makler erweise sich nämlich der Vergütung als Würdinger JZ 2009, 349, 354. Thomale JZ 2012, 716, 719. BeckOGK/Meier § 654 Rn. 6 stellt daher auf eine Verletzung der vertraglichen Pflichten im Einzelfall ab. 49 50 51

I. Der Maklervertrag

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unwürdig, wenn er die Treuepflicht mindestens in einer „dem Vorsatz nahekommenden grob leichtfertigen Weise“ verletzt habe (S. 735).52 Die Kritik entnimmt der Entstehungsgeschichte der Norm hingegen eine andere Bedeutung: § 654 schütze das Interesse des ersten Auftraggebers, im Rahmen der Verhandlungen nicht für die Provisionskosten des zweiten Auftraggebers aufkommen zu müssen. Mit einer solchen Kostenbelastung sei aber im später abzuschließenden Hauptvertrag zu rechnen, wenn auch die Gegenseite dem Makler eine Provision schulde und diese als Ergebnis der Verhandlungen über den Hauptvertrag auf den Auftraggeber überwälze. Deshalb sei ein Vertrag iSd. § 654 für den ersten Auftraggeber wirtschaftlich nicht gleichwertig mit dem in § 652 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzten Hauptvertrag.53 Dies überzeugt indes nicht: Denn der erste Auftraggeber kann sich vor einer solchen Belastung schlicht durch Nichtabschluss des nachgewiesenen oder vermittelten Hauptvertrages schützen; dann fällt die Maklerprovision nach § 652 Abs. 1 Satz 1 in jedem Fall nicht an. Ist er dazu nicht bereit, liegt es wie bei jedem anderen Vertrag an ihm selbst, sich im Wege der Verhandlungen gegenüber der Vertragsgegenseite im Hinblick auf die Höhe des geschuldeten Entgelts durchzusetzen. Mit der neuen amtlichen Überschrift, in der das Wort „Verwirkung“ vorkommt, hat sich schließlich der Gesetzgeber die Sicht des BGH zu eigen gemacht. Für diese spricht, dass in Fällen wie dem vorliegenden, die Tätigkeit des Maklers dem ersten Auftraggeber ausschließlich nutzt und die Belastung mit den Provisionskosten der Vertragsgegenseite kaum ins Gewicht fällt. Im Maklerrecht hat die Entscheidung dazu geführt, dass § 654 nur geringe praktische Bedeutung entfaltet: Denn liegt kein Interessenkonflikt vor, spricht eine tatsächliche Vermutung für die Zulässigkeit der Doppeltätigkeit des Maklers.54 Dies aber wird im Zweifel gerade für den Nachweismakler bejaht, weil sich im Rahmen seiner Tätigkeit eine Interessenkollision praktisch nie auswirken kann.55 Außerhalb des Maklerrechts entfaltet die Norm jedoch im Rahmen von Verträgen, die auf Interessenwahrung gerichtet sind (etwa § 675 Abs. 1) eine große praktische Bedeutung. So wurden aufgrund eines allgemeinen, dem § 654 entnommenen Rechtsgedankens Vergütungsansprüche eines Testamentsvollstreckers56 oder eines Insolvenzverwalters57 beschränkt, weil diese sich aufgrund mindestens grob fahrlässiger Verletzungen ihrer Treuepflicht gegenüber der Vertragsgegenseite der Vergütung als unwürdig erwiesen hatten. Einen neuen Anwendungsbereich eröffnet folgende Entscheidung im Bereich des Kapitalanlegerschutzes:

Bestätigend BGH NJW 2012, 3718. Staudinger/Arnold § 654 Rn. 1. Seit BGH NJW 1970, 1075; BeckOGK/Meier § 654 Rn. 16ff.; kritisch Staudinger/Arnold § 654 Rn. 6. 55 Dazu kritisch mwN. Thomale JZ 2012, 716, 719. 56 BGH WM 1976, 771, 772. 57 BGHZ 159, 122 = NJW-RR 2004, 1422. 52 53 54

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(BGH 25.10.2011 – XI ZR 67/11 = NJW-RR 2012, 411 – Phoenix II) Anleger A hat rund 26.000 € bei der Vermögensanlagegesellschaft V angelegt. Nachdem die V von der Kapitalmarktaufsicht als Wertpapierhandelsbank eingestuft wurde, investierte sie nur noch zu einem geringen Teil, wie eigentlich ursprünglich vertraglich vorgesehen, in Termingeschäfte, sondern betrieb stattdessen ein Schneeball-System, bei dem letztlich die Einlagen neuer Anleger die Ausschüttungen an die alten finanzierten. Als diese Taktik nicht mehr aufging, fiel V in Insolvenz und A verlor das gesamte investierte Kapital. Er verlangt jetzt von der Entschädigungseinrichtung der Institute nach § 1 Abs. 1 Anlegerentschädigungsgesetz (AnlEntG) eine Entschädigung (vgl. auch Rn. 931). Gegen diesen Anspruch rechnet die Einrichtung mit ausstehenden „Bestandsprovisionen“ der V gegen A auf.

Der BGH geht davon aus, dass die Einrichtung nicht mit den Provisionsforderungen der Vermögensanlagegesellschaft aufrechnen könne. Denn diese seien entsprechend dem Rechtsgedanken des § 654 verwirkt (Tz. 33). Der Betrieb und die Verschleierung des Schneeball-Systems stellten nämlich eine grobe Verletzung der Treuepflicht der Anlagegesellschaft gegenüber dem Anleger dar (Tz. 34). Dann erweist die Anlagegesellschaft sich analog § 654 als provisionsunwürdig und büßt einschlägige Ansprüche ein. Die Argumentation überzeugt, dürfte aber auf einem allgemeinen, § 675 Abs. 1 zugrunde liegenden Rechtsgedanken beruhen: Zu den Hauptleistungspflichten des Geschäftsbesorgers zählt nämlich die Interessenwahrung für den Geschäftsherrn (Rn. 1280). Treueverstöße der vorliegenden Art führen deshalb zur Unmöglichkeit (iSd. 275 Abs. 1), diese Pflicht (weiter) zu erfüllen. Nach § 326 Abs. 1 Satz 1 lässt dies wiederum den Anspruch auf die Gegenleistung untergehen. Diesen dem Geschäftsbesorgungsvertrag eigenen Systemzusammenhang hat der VII. Senat in seiner Leitentscheidung eher zufällig an § 654 festgemacht. Er dürfte aus den vorgestellten allgemeinen Überlegungen, unabhängig von dieser Norm bei sämtlichen auf Interessenwahrung gerichteten Verträgen gelten. Die Aufrechnung der Einrichtung geht hier mangels Gegenforderung ins Leere.Denn V steht ein Provisionsanspruch nach § 654 gegen A nicht zu.

3. Die Maklerklausel (Courtageklausel) 1266

Ein Anspruch auf Maklerprovision nach § 652 Abs. 1 Satz 1 kann auch dadurch begründet werden, dass im später geschlossenen Hauptvertrag zugunsten des Maklers eine Provisionspflicht des Käufers im Rahmen eines Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1) aufgenommen wird (Maklerklausel).58 Der Zweck der Maklerklausel liegt darin, Unsicherheiten über den Abschluss eines Maklervertrags zwischen dem Provisionspflichtigen und dem Makler zu beseitigen, nicht aber die sonstigen Sachvoraussetzungen des § 652 Abs. 1 Satz 1 außer Kraft zu setzen.59 Deshalb kommt auch aufgrund der Maklerklausel ein An58 BGHZ 138, 170 = NJW 1998, 1552; Althammer, Die Maklerklausel im notariellen Grundstückskaufvertrag, 2004, S. 1; Würdinger, Allgemeine Rechtsgeschäftslehre und Unvollkommenheiten des Hauptvertrags im Immobilienmaklerrecht, 2005, S. 159; ders. JZ 2009, 349, 355f. 59 BGH NJW 2009, 1199, Tz. 14.

I. Der Maklervertrag

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spruch nur zustande, wenn der Makler eine der in § 652 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzten Leistungen erbracht hat, diese kausal für den Abschluss des Hauptvertrags wurde und keine wirtschaftliche Verflechtung zwischen Makler und Vertragsgegenseite bestand. Allerdings steht es den Parteien frei, einen Anspruch aus § 328 Abs. 1 zugunsten des Maklers ausdrücklich darüber hinaus und unabhängig von den Voraussetzungen des § 652 Abs. 1 Satz 1 zu vereinbaren. Darin liegt ein selbständiges Provisionsversprechen. Erforderlich ist dafür vor allem, dass sich der Provisionspflichtige bewusst ist, dass seine Zahlungspflicht nicht den Voraussetzungen des § 652 Abs. 1 Satz 1 entspricht (dazu Rn. 1263). Eine Maklerklausel gab schließlich Anlass für den im Bereicherungsrecht angesiedelten bekannten Courtageklausel-Fall: (BGH 24.2.1972 – VII ZR 207/70 = BGHZ 58, 184 = NJW 1972, 864) K will von V verschiedene Eigentumswohnungen erwerben. Die Vertragsverhandlungen führt dabei auf Seiten des V der Direktionsassistent D. D erstellt jeweils drei Ausfertigungen der sog. Kaufanwärterverträge über die Wohnungen. In jeweils zwei Exemplaren, die an K und ihn selbst gehen, nimmt er eine Verpflichtung des K auf, an die X GmbH 3% Maklerprovision auf den in einem späteren Hauptvertrag vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Im dritten, an V ausgereichten Exemplar fehlt diese Bestimmung jedoch. K überweist später die Courtage auf das angegebene Konto der X. Nachträglich stellt sich allerdings heraus, dass es sich bei X um eine GmbH in Gründung handelt, deren einziger Gesellschafter D ist. Diese Gesellschaft kommt später nicht wirksam zustande. V wusste von dem Provisionsversprechen nichts. Daraufhin erklärt K die Anfechtung der Courtage-Klausel wegen arglistiger Täuschung. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen D aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) auf Rückgewähr der „Courtage“-Zahlung. Erlangt hat D die Zahlung durch K. Fraglich ist, ob dies durch Leistung des K an D erfolgte.

Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens. Die Zweckrichtung folgt aus dem Umstand, dass der Leistende mit einer Vermögenszuwendung eine Schuld iSd. § 362 Abs. 1 tilgen will. Zu diesem Zweck gibt er eine Zweck- oder Tilgungsbestimmung iSd. § 366 Abs. 1 ab, deren Inhalt sich aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Position des Empfängers bestimmt. (S. 865).60 Nach Auffassung des BGH erwirbt der Dritte (Assistent) vorliegend einen Anspruch aus § 328 Abs. 1 aus dem Kaufanwärtervertrag (S. 865). Die Kritik wendet hingegen ein, es habe gar kein Vertrag zugunsten Dritter vorgelegen: Vielmehr hätten der Käufer und die GmbH iGr., vertreten durch den Assistenten, eine eigene Vereinbarung getroffen, die nur äußerlich mit dem Kaufanwärtervertrag verbunden gewesen sei.61 Für diese Betrachtungsweise spricht, dass der Versprechensempfänger (Verkäufer) – unabhängig von einer Wissenszurechnung nach § 123 Abs. 1 (Lagertheorie) oder Abs. 2 – zumindest bei Vertragsschluss nichts von der Courtage-Klausel wusste, da diese erst nachträglich in zwei der drei Vertragsurkunden aufgenommen 60 Vgl. zuvor BGHZ 40, 272, 278; Hadding, Der Bereicherungsausgleich beim Vertrag zu Rechten Dritter, 1970, S. 100. 61 Canaris NJW 1972, 1196.

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worden war. Andererseits war einem objektiven Beobachter in der Position des Dritten, dh. des hinter der „GmbH“ stehenden Assistenten, klar, dass der Versprechende (Käufer) die Provision nur im Zusammenhang mit dem Kauf der Eigentumswohnungen entrichten wollte. Sie sollte Teil seiner im Rahmen des Kaufs geschuldeten Pflicht sein. Davon ging auch der gutgläubige Käufer aus. Dies wiederum spricht dafür, dass die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der Courtageverpflichtung des Versprechenden (Käufer) gegenüber dem Dritten (Assistent) wie die Rückabwicklung in den Fällen des § 328 Abs. 1 behandelt wird. Deshalb stellt sich die Frage, ob bei einem Vertrag zugunsten Dritter der Versprechende (Käufer) direkt vom Dritten (Assistent) kondizieren darf. Beim Vertrag zugunsten Dritter ist die Rechtslage im Hinblick auf die Leistungsverhältnisse allerdings nicht eindeutig. Denn der Versprechende schuldet dem Dritten die Leistung zwar äußerlich nach § 328 Abs. 1, zwischen beiden besteht jedoch oft kein darüber hinausgehender eigenständiger Schuldgrund für die Zuwendung des Vermögenswertes. Vielmehr verfolgt oft gerade der Versprechensempfänger gegenüber dem Dritten eigene Leistungszwecke.62 Dann erscheint die Konstruktion nach § 328 Abs. 1 aber nur als Sonderfall der sog. Anweisung im Leistungsdreieck nach § 362 Abs. 2 (S. 865): Der Versprechensempfänger erteilt dabei dem Versprechenden im Wege einer Vereinbarung nach § 328 Abs. 1 die Anweisung, an den Dritten zu zahlen. Erfolgt dies, kommt es zu einer simultanen Leistung im Verhältnis Versprechender–Versprechensempfänger (Deckungsverhältnis) und Versprechensempfänger–Dritter (Valutaverhältnis). Davon geht der BGH jedoch in diesem Sonderfall nicht aus: Denn hier habe der Versprechende (Käufer) unmittelbar gegenüber dem Dritten (Assistent) einen eigenen Leistungszweck iSd. § 362 Abs. 1 verfolgt. Dies zeige sich bereits daran, dass in dem Vertragsexemplar, das dem Versprechensempfänger (Verkäufer) überlassen worden war, die Courtageklausel nicht aufgenommen wurde. Daran sei zu erkennen, dass der Dritte und der Versprechende (Käufer) die Courtagepflicht aus dem Kaufvertrag herausgelöst hätten (S. 866). Im Übrigen gehe ein Käufer bei Aufnahme einer solchen Maklerklausel in den Kaufvertrag regelmäßig davon aus, selbst dem Makler die Provision zu schulden (S. 865f.). Daraus wird heute im Schrifttum der Schluss gezogen, dass beim Vertrag zugunsten Dritter die Kondiktion des Versprechenden immer gegenüber demjenigen erfolgt, der in der engeren Verbindung zu dem mit der Leistung verfolgten Zweck steht.63 Die Kritik wendet hingegen ein, beim Vertrag zugunsten Dritter finde die Rückabwicklung regelmäßig im Verhältnis zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger (Käufer und Verkäufer) sowie Versprechensempfänger und Drittem (Verkäufer und Assistent) statt, damit das Insolvenzrisiko richtig verteilt sowie Einwendungen und Einreden er62 Von Caemmerer JZ 1962, 385, 387; W. Lorenz AcP 168 (1968) 287, 289 und 294; Medicus/ Petersen BR Rn. 682. 63 Medicus/Petersen BR Rn. 683.

I. Der Maklervertrag

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halten blieben.64 Allerdings muss auch sie einräumen, dass ihre Vorgaben im vorliegenden Fall nicht greifen.65 Denn der Dritte (Assistent) verdient hier als Betrüger keinen Schutz vor einer unmittelbaren Inanspruchnahme durch den Käufer. Der Käufer muss aber das Insolvenzrisiko des Assistenten tragen, weil der Verkäufer für die Courtageklausel nicht verantwortlich ist: Nach der Dogmatik des Bereicherungsrechts in den Anweisungsfällen hat der Verkäufer nämlich die Zahlung des Käufers an die GmbH nicht veranlasst. Es handelt sich daher vorliegend um einen Fall der fehlenden Anweisung (S. 865), bei dem die Rückabwicklung nicht über die Leistungsverhältnisse stattfindet, sondern direkt zwischen dem Zuwendenden (hier: dem Käufer) und dem Zuwendungsempfänger (hier: dem Assistenten). Folgt man hier dem BGH, hat K unmittelbar an D geleistet. Da die X nie zur Eintragung gelangt ist, liegt darin auch kein Fall des Durchgriffs durch eine GmbH auf den hinter ihr stehenden Gesellschafter. Denn D hat die Eintragung der X aufgegeben, so dass diese ihren Status als Rechtsträger verliert (sog. unechte Vor-GmbH) und D voll für die Verbindlichkeiten der X – auch aus § 812 – verantwortlich ist (arg. e § 128 Satz 1 HGB). Diese Leistung erfolgte auch ohne Rechtsgrund, da zwischen V und K keine Einigung nach § 328 Abs. 1 zustandekam (Rn. 1266). Im Übrigen könnten D bzw. die von ihm vorübergehend betriebene X-GmbH iGr. auch wegen wirtschaftlicher Interessenverflechtung mit V keine eigenständigen Makler sein (Rn. 1261ff.). Deshalb steht K gegen D ein Anspruch aus Leistungskondiktion zu.

4. Maklerhaftung

Fraglich ist schließlich, ob der Makler für Fehlangaben zum späteren Vertragsgegenstand haftet: (BGH 18.1.2007 – III ZR 146/06 = NJW-RR 2007, 711) Makler M hat Käufer K den Erwerb einer Eigentumswohnung von V vermittelt. M war von V mit Alleinauftrag eingeschaltet worden. Im Maklerexposé heißt es zur Wohnung: „Wohnfläche 68 m2 plus 25 m2 Dachstudio.“ Nachträglich stellt sich heraus, dass für das Dachstudio keine Baugenehmigung bestand. K verlangt von M Schadensersatz. Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 auf der Grundlage des Maklervertrages nach § 652 setzt eine Pflichtverletzung des M nach § 241 Abs. 2 voraus.

Der BGH geht zunächst davon aus, dass der Makler zum Auftraggeber in einem besonderen Treueverhältnis steht und diesen daher über alle ihm bekannten und entscheidungserheblichen Umstände aufklären muss (Tz. 11). In diesem Zusammenhang darf er insbesondere Angaben nicht ungeprüft aufstellen; der BGH vergleicht ihn insoweit mit einem Anlagenvermittler (nicht Anlagenberater Tz. 12; dazu Rn. 1310). Grundsätzlich darf ein Makler jedoch die ihm vom Verkäufer mitgeteilten Angaben an den Auftraggeber weiterreichen (Tz. 13). Erforderlich ist nur, dass er diese Auskünfte selbst sorgfältig eingeholt und vor dem Hintergrund des eigenen beruflichen Erfahrungsstan64 65

Canaris NJW 1972, 1196, 1197. Canaris NJW 1972, 1196, 1197 unter lit. c.

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§ 10 Maklerverträge, Ehevermittler und andere Fälle der Naturalobligation

des geprüft hat; eine umfassende inhaltliche Prüfungspflicht besteht dagegen nicht (Tz. 13). Vorliegend muss der Kunde daher – wie im Regelfall – davon ausgehen, dass der Makler nicht eigene Informationen, sondern solche weitergibt, die ihm der Verkäufer überlassen hat (Tz. 15). Weil der Makler diese Informationen nicht auf unsorgfältige Weise eingeholt bzw. das Exposé selbst nicht sorgfaltswidrig erstellt hat (Tz. 19), hat er keine Pflicht nach § 241 Abs. 2 verletzt. Damit entfällt für den Käufer die Möglichkeit, Gewährleistungsansprüche, die im Grundstückskaufvertrag gegenüber dem Verkäufer regelmäßig ausgeschlossen sind (Rn. 435), auf den Makler zu kanalisieren. Ein Anspruch des K gegen M aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 scheidet aus diesen Gründen aus.

5. Besondere Formen des Maklervertrages 1269

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Erteilt der Auftraggeber dem Makler einen Alleinauftrag, verpflichtet er sich, während der Laufzeit dieses Vertrages keinen anderen Makler einzuschalten. Den Makler trifft nun aber eine Pflicht zum Tätigwerden. Die hM. geht in diesem Fall von einem Maklerdienstvertrag aus, dh. einem Maklervertrag nach §§ 652ff., der durch die erwähnten, dienstvertragsähnlichen Sonderpflichten überlagert wird.66 Nach der Gegenauffassung handelt es sich um einen atypischen Maklervertrag;67 die Sachunterschiede zwischen beiden Ansichten erscheinen jedoch gering. In den §§ 93ff. HGB ist die Rechtsstellung des Handelsmaklers geregelt. Dieser vermittelt gewerbsmäßig für andere (nicht notwendig Kaufleute) Verträge über die Anschaffung oder Veräußerung von Waren, Wertpapieren, Versicherungen, Güterbeförderungen, Schiffsmieten sowie sonstige Gegenstände des Handelsverkehrs. Auf Immobiliengeschäfte sind die Regelungen nach § 93 Abs. 2 HGB nicht anwendbar. Der Handelsmakler wird im Interesse beider Parteien des Hauptvertrags tätig (§ 98 HGB) und hat entsprechend auch gegenüber beiden einen Lohnanspruch (§ 99 HGB). Sonderregelungen finden sich zu Maklerdiensten bei der Wohnungsvermittlung. Hier hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1a des Gesetzes zur Regelung der Wohnraumvermittlung (WoVermittG) das sog. Bestellerprinzip eingefügt. Danach darf der Wohnungsvermittler (Makler) vom Wohnungssuchenden für die Vermittlung oder den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Mietvertrags kein Entgelt fordern, es sei denn, der Wohnungssuchende habe ihn zuvor ausschließlich beauftragt. Bisher wurden Makler oft von der Vermieterseite eingeschaltet, vereinbarten aber später mit dem jeweiligen Mieter eine Provision in Höhe zweier Nettomieten plus Umsatzsteuer (vgl. auch jetzt § 3 Abs. 2 WoVermittG). Der Gesetzgeber verwehrt dem Makler nun diese Möglichkeit. Damit senkt er die Kostenlast für Mieter, die durch die Wohnungsnot in den großen 66 67

BGHZ 60, 377 = NJW 1973, 1194. Staudinger/Arnold §§ 652, 653 Rn. 230.

II. Ehevermittlungsprovision und andere Naturalobligationen

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Städten deutlich gestiegen ist. Der Mieter ist gem. § 2 Abs. 5 Nr. 2 WohnVermittG auch vor Verbotsumgehungen geschützt.68 Die Unklarheitenregel spielt in diesem Bereich keine Rolle, da der Vermittlungsvertrag nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WohnVermittG der Textform bedarf. Sonderregelungen existieren auch für die Kreditvermittlung (§§ 655aff.) und die Arbeitsvermittlung (§§ 292ff. SGB III). Im Mittelpunkt stehen die Kontrolle der Zuverlässigkeit der Vermittler und der Schutz der Auftraggeber vor erfolgsunabhängigen Provisionsansprüchen. II. Ehevermittlungsprovision und andere Naturalobligationen 1. § 656 und die Partnerschaftsvermittlungsverträge

Nach § 656 Abs. 1 Satz 1 wird durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das aufgrund des Versprechens Geleistete kann aber nach § 656 Abs. 1 Satz 2 nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Die Norm begründet eine Naturalobligation: Ein Anspruch auf Erfüllung besteht zwar nicht; leistet die Vertragsgegenseite aber dennoch, so liefert die Vereinbarung einen Rechtsgrund, so dass eine Rückforderung des Geleisteten nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) nicht in Betracht kommt. Die Naturalobligation geht auf Besonderheiten des römischen Rechts zurück: Denn dort entstand nicht aus jeder Vereinbarung zwischen den Parteien (pactum) bereits ein einklagbarer Anspruch. Eine Klage kam nur in Betracht, soweit die Vereinbarung unter einen anerkannten (dh. einklagbaren) Vertragstypus (contractus) subsumiert werden konnte oder als Leistungsversprechen eine besondere Form wahrte (stipulatio). Die Struktur des modernen Zivilrechts beruht heute aber nicht auf Klagearten, sondern auf subjektiven Rechten (Ansprüchen), die ihre Klagbarkeit in sich tragen.69 Daraus erklärt sich, dass die Naturalobligation (das alte pactum) heute eine andere Funktion übernimmt: Sie führt zum Nichtentstehen eines Erfüllungsanspruchs, fungiert andererseits aber als Rechtsgrund iSd. § 812 Abs. 1, wenn bereits erfüllt ist. Naturalobligationen stellen im Zivilrecht seltene Ausnahmefälle dar (vgl. noch unten Rn. 1275). Denn gerade § 311 Abs. 1 liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Vereinbarung – nicht nur der contractus, sondern auch das pactum – durchsetzbare Ansprüche hervorbringt. Der Satz „pacta sunt servanda“ geht auf das kanonische Recht zurück und wurde von den Naturrechtlern (etwa Hugo Grotius) zum allgemeinen Prinzip erhoben.70 Diese Formel wird heute oft als Kürzel für die Bindungs- und Ver68 BT-Drucks. 18/3121, S. 17; zu den Hintergründen Fischer NJW 2015, 1560f.; vgl. ferner Derleder NZM 2014, 263; Hufen NZM 2014, 663, 666. 69 Dazu grundlegend Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, 1850. 70 Lesenswert zu dieser Entwicklung Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, 1985; Stöhr AcP 214 (2014) 425, 439ff.

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pflichtungswirkung von Verträgen benutzt, hat historisch aber vor allem die Bedeutung, dass den Parteien die Freiheit der Vertragstypenwahl zusteht. Die Rechtsprechung wendet § 656 Abs. 1 auf Partnerschaftsvermittlungsverträge analog an: (BGH 11.7.1990 – IV ZR 160/89 = BGHZ 112, 122 = NJW 1990, 2550) P ist eine Partnerschaftsvermittlungsagentur, die von ihren Kunden gegen Zahlung eines Entgelts ein Persönlichkeitsprofil und ein Partnerwunschprofil aufgrund von Analysen und internen Vorauswahlen erstellt. Auf diesen basierend wird dem Kunden dann eine Liste von Vorschlägen für mögliche Partner präsentiert. Die Eheanbahnung ist dabei nicht beabsichtigt; auch wird kein Erfolg bei der Partnerwahl garantiert.

Beachtenswert erscheint nicht nur, dass die Agentur keine Ehevermittlung betreiben will, ihre Tätigkeit ist auch anders als in § 656 Abs. 1 vorgesehen, nicht erfolgsbezogen, sondern lässt sich als Sonderform des Dienstvertrags typisieren (Rn. 1033). Dennoch gebieten nach Auffassung des BGH die Schutzzwecke des § 656 eine analoge Anwendung: Maßgeblich ist einerseits der sittliche Anstoß, den der Gesetzgeber an der Ehevermittlung als solcher nahm (S. 2551).71 Hinzu tritt ein besonderes Diskretionsbedürfnis, das dem Schutz der Intimsphäre des Gläubigers dient (S. 2551): Die der Norm zugrunde liegenden „Erwägungen zu Peinlichkeiten und Unzumutbarkeiten einer bei Klagbarkeit häufig unumgänglichen Beweisaufnahme über Art und Umfang der Tätigkeit gelten mindestens ebenso bei der Vermittlung einer Partnerschaft. Das Grundgesetz schützt die Würde des Menschen und dessen freie Persönlichkeitsentfaltung ohne Rücksicht darauf, ob eine Eheschließung angestrebt wird oder nicht“ (S. 2551).

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Man braucht der Norm nur § 1 Satz 1 ProstG gegenüberzustellen, wonach eine rechtswirksame Forderung begründet werden kann, wenn sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden sind, um zu erkennen, dass die Norm verfassungsrechtlich schwer zu halten ist. Wenn nämlich die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht, kann die auf Herbeiführung der Ehe gerichtete Tätigkeit nicht schlechter gestellt werden als die Vereinbarung nach § 1 Satz 1 ProstG. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil sich bei der gerichtlichen Durchsetzung des § 1 Satz 1 ProstG sämtliche vorweg angesprochenen „Diskretionsprobleme“ in viel schärferer Form stellen. Die Anwendung des § 656 Abs. 1 Satz 1 veranlasst gerade die Partnerschaftsvermittlungsbranche zu phantasievollen rechtsgeschäftlichen Gestaltungen. Vgl. noch zur Anwendbarkeit des § 628 Rn. 1033.

71 Mugdan, Die gesamten Materialien zum bürgerlichen Gesetzbuch für das deutsche Reich, 1899, Bd. II, S. 1292f.

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2. Spiel und Wette

Nach § 762 Abs. 1 wird durch Spiel oder durch Wette eine Verbindlichkeit nicht begründet (Satz 1). Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann allerdings nach Satz 2 nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Auch hier handelt es sich also um den Fall einer Naturalobligation (Rn. 1272). Gemäß § 763 Abs. 1 Satz 1 sind ein Lotterievertrag oder ein Ausspielvertrag jedoch verbindlich, wenn die Lotterie oder die Ausspielung staatlich genehmigt ist: (BGH 3.4.2008 – III ZR 190/07 = NJW 2008, 2026) B betreibt mit Genehmigung des zuständigen Bundeslandes Hessen ein Online-Roulette. Die Genehmigung ist ihm unter der Bedingung erteilt worden, dass er nur Bürger des Landes Hessen zur Teilnahme zulässt und dass die sich anmeldenden Spieler ein Höchstlimit setzen, das nur nach Ablauf von 24 Stunden erhöht, aber sofort gesenkt werden kann. Spieler S, der nicht aus Hessen stammt, erklärt, dass er in Frankfurt wohne und gibt Adresse und Telefonnummer eines dort ansässigen Bekannten an. Auf der Internetseite des B ist bei der Anmeldung die Option „Ich möchte kein Limit setzen“ voreingestellt. S macht beim Roulette-Spiel auf der Seite des B 4.000 € Schulden, die B nun von ihm verlangt. Dem Zahlungsanspruch aus dem Spielvertrag – ein typengemischter Vertrag mit stark dienstvertraglichem Einschlag – steht hier nicht § 762 Abs. 1 entgegen, da eine grundsätzliche, staatliche Genehmigung nach § 763 Satz 1 vorliegt.

Fraglich ist jedoch, ob der Vertrag nicht wegen Verstoßes gegen § 284 Abs. 1 StGB nach § 134 nichtig ist. Diese Norm stellt ua. unter Strafe, dass eine Person ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet. Hier könnte sich die Tätigkeit des Veranstalters jenseits der behördlichen Erlaubnis und daher im Anwendungsbereich des § 284 Abs. 1 StGB bewegt haben. Der BGH verneint dies. Denn der Betreiber habe mit der Zulassung eines unbegrenzten Limits nur eine Auflage der ihm erteilten Genehmigung verletzt; dies lasse aber die Genehmigung im Übrigen unberührt (Tz. 19). Dagegen bestehen Bedenken: Zum einen handelt es sich bei der einschlägigen Beschränkung der Genehmigung um eine sog. modifizierende Auflage. Diese ist integraler Bestandteil der behördlichen Genehmigung als Verwaltungsakt und legt die inhaltlichen Voraussetzungen fest, unter denen die Genehmigung gilt.72 Verstößt der Betreiber daher gegen diese Auflage, besteht die gegen ihn gerichtete Genehmigung iSd. § 284 Abs. 1 StGB insgesamt nicht und der Tatbestand erscheint verwirklicht. Dafür spricht auch, dass der Genehmigungsvorbehalt gerade zu dem ordnungsrechtlichen Zweck der Gefahrenabwehr besteht: Gefährdete Teilnehmer sollen vor der Spielsucht und ihren Auswirkungen geschützt werden,73 was hier nicht gewährleistet ist. Der BGH erörtert diesen Aspekt im Rahmen des § 138 Abs. 1 und geht davon aus, dass ein Einsatzlimit nicht vor jeder Art von Gefährdung durch Spielsucht schützen könne (Tz. 22). Auch dies überzeugt nicht, weil das Gericht damit sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der 72 73

Vgl. nur Weyreuther DVBl. 1984, 365. MünchKomm/Habersack § 762 Rn. 1.

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zuständigen Behörde setzt und damit den Ermessensspielraum der Behörde nicht ausreichend respektiert: Wenn diese die Spielsucht und ihre Folgen gerade durch eine Beschränkung des Einsatzlimits bekämpfen will, kann ein Gericht nicht die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme infrage stellen und das Glücksspiel jenseits des behördlichen Ermessens erlauben. Geht man davon aus, ist der Spielvertrag vorliegend nach § 134 bzw. § 138 Abs. 1 nichtig, und ein Zahlungsanspruch ist gegen den Spieler nicht begründet worden. Dass der Spieler den Zugang auf der Internetseite erschlichen hat, zählt dagegen zum Risiko des Betreibers, der Spielsüchtige mit seinem Angebot unweigerlich anlockt und sich im eigenen Interesse wirksam vor deren Teilnahme schützen muss.

§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag I. Grundlagen 1. Der Begriff der Geschäftsbesorgung

Nach § 675 Abs. 1 findet auf einen Dienst- oder Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, ein Teil der Normen des Auftragsrechts Anwendung. Geht man vom Wortlaut der Norm aus, handelt es sich beim Geschäftsbesorgungsvertrag um einen qualifizierten Typus des Dienst- oder Werkvertrags. Streit besteht indes um die Frage, worin genau diese Qualifizierung besteht. Denn der Begriff der Geschäftsbesorgung wird nicht nur in § 675 Abs. 1, sondern auch in § 662 und § 677 verwendet. Im Auftragsrecht (§§ 662ff.) wird das Tatbestandsmerkmal Geschäftsbesorgung aber besonders weit ausgelegt. Es umfasst dort jede Tätigkeit.1 Der Grund liegt darin, dass die §§ 662ff. als Auffangtatbestand für alle unentgeltlichen Verträge konzipiert sind, die nicht einem besonderen Vertragstyp (zB. den §§ 516ff.) zugeordnet werden können. Wendet man diesen weiten Begriff der Geschäftsbesorgung auch auf § 675 Abs. 1 an (sog. Einheitstheorie),2 unterscheiden sich die in § 675 Abs. 1 typisierten Rechtsgeschäfte eigentlich nicht vom Dienst- oder Werkvertrag im Übrigen, weil ihnen das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsbesorgung kein qualifizierendes Element hinzuzufügt. Gegen diese Betrachtungsweise spricht allerdings, dass ein besonderer Sachgrund dafür bestehen muss, dass die in § 675 Abs. 1 genannten Normen des Auftragsrechts auf einen Dienst- oder Werkvertrag Anwendung finden. Diese Besonderheit sucht die herrschende Trennungstheorie in einem eigenen Verständnis des Begriffs der Geschäftsbesorgung in § 675 Abs. 1. Nach einer bekannten Formel des BGH bedeutet Geschäftsbesorgung eine „selbständige Tätigkeit wirtschaftlichen Charakters im Interesse eines anderen innerhalb einer fremden wirtschaftlichen Interessensphäre.“3 Als entscheidendes Element dieses Typus wird heute die Interessenwahrungspflicht des Geschäftsbesorgers angesehen.4 Die besondere Stellung des Geschäftsbesorgungsvertrages im Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse zeigt sich dabei insbesondere, wenn man im Anschluss an Beyerle die bekannten Vertragstypen nach der ihnen zugrunde lie-

RGZ 65, 17, 18; Staudinger/Martinek/Omlor Vorbem zu §§ 662ff. Rn. 17ff. Staudinger/Nipperdey 11. Aufl. 1958, § 675, Rn. 2ff. BGH DB 1959, 168. Vgl. hier nur Staudinger/Martinek/Omlor § 675 Rn. A 24ff.; MünchKomm/Heermann § 675 Rn. 13; Sethe AcP 212 (2012) 80, 84ff. 1 2 3 4

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

genden wirtschaftlichen Interessenlage typisiert.5 Danach beruhen die Vertragstypen auf drei Interessenkonstellationen: (1) Austauschverträge wie Kauf-, Dienstleistungs- oder Werkvertrag dienen jeweils einem Ausgleich widerstreitender Interessen, im Rahmen dessen jeder Beteiligte den eigenen Vorteil sucht (Interessengegensatz). (2) Der Gesellschaftsvertrag beruht auf einer Gleichrichtung verschiedener Individualinteressen, und zwar hin auf ein gemeinsames Ziel (einen gemeinsamen Zweck iSd. § 705), aus dem die besondere gesellschaftsrechtliche Treupflicht resultiert (Interessengemeinschaft). (3) Der Typus des Geschäftsbesorgungsvertrages hingegen zielt auf die Wahrung fremder Interessen. Charakteristisch sind für ihn eine Unterordnung des Geschäftsbesorgers unter die Interessen des Geschäftsherrn6 und eine Pflicht zur treuhänderischen Wahrung dieser Interessen gegenüber Dritten (Interessenwahrung).7 Einen wichtigen Aspekt zum Verständnis des § 675 Abs. 1 steuert dabei der Ansatz Iseles bei. Danach stellt § 675 Abs. 1 eine vor die Klammer der §§ 433ff. gezogene Norm dar, sozusagen einen Allgemeinen Teil im Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse, bei dem sich die Anwendbarkeit der Normen des Auftragsrechts vor allem durch die Machtbefugnis einer Vertragsseite erklärt, im Rechts- und Geschäftskreis der anderen zu handeln.8 Typisch für den normalen Austauschvertrag (zB. Kaufvertrag) erscheint es nämlich zunächst, dass die Interessensphären der Vertragsparteien einander entgegengesetzt und so klar voneinander unterschieden sind, dass sich jede Seite selbst schützen muss und nicht auf Hilfe der Gegenseite vertrauen darf. § 675 Abs. 1 erfasst demgegenüber den Sonderfall, dass sich im Einzelfall die Interessensphären beider Seiten so stark überlagern, dass eine Seite in die Interessen der anderen einseitig eingreifen kann. Mit dieser Rechtsmacht korrespondiert dann eine besondere Pflicht zur Interessenwahrung. Dieser systematische Zusammenhang kann nicht nur bei Dienst- und Werkverträgen, sondern praktisch im Rahmen jedes Vertragstyps des BGB auftreten und muss dort entsprechende Treue- und Rücksichtnahmepflichten begründen. Auch wenn die systematische Stellung des § 675 Abs. 1 der Annahme einer allgemeinen, „vor die Klammer“ gezogenen Norm widerspricht, erlaubt diese Auffassung doch die Entwicklung eines allgemeinen, auch in anderem Zusammenhang anwendbaren Rechtsgedankens. So kann bspw. erklärt werden, warum beim Kaufvertrag ausnahmsweise Aufklärungspflichten des Verkäufers gegenüber dem Käufer entstehen. EiGrundlegend Beyerle, Die Treuhand im Grundriß des deutschen Privatrechts, 1932, S. 16ff.; Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, 1937, S. 9ff. und Vorwort, S. 7; vgl. auch Staudinger/Martinek/Omlor Vorbem zu §§ 662ff. Rn. 24ff. und Sethe, Anlegerschutz im Recht der Vermögensverwaltung, 2005, S. 99ff. Martinek, Franchising, 1987, S. 239ff. 6 Staudinger/Martinek/Omlor § 675 Rn. A 22. 7 Isele, Geschäftsbesorgung – Umrisse eines Systems, 1935; dazu auch Erman/Ehmann, 8 12. Aufl. 2007, Vor § 662 Rn. 26ff.; Schnauder JZ 2007, 1009. 5

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gentlich sind gerade hier die Interessensphären der Parteien besonders klar getrennt und stehen zueinander in einem deutlichen Gegensatz. Deshalb darf der Käufer regelmäßig keine Unterstützung durch den Verkäufer erwarten („caveat emptor“). Dies ändert sich jedoch, wenn dem Käufer aus einem ihm unbekannten Umstand eine wirtschaftliche Vereitelung des Vertragszwecks droht und der Verkäufer diesbezüglich einen Wissensvorsprung erzielt. In diesem Fall überlagern sich die tatsächlichen Interessensphären, weil der Verkäufer aufgrund seines Wissensvorsprungs auf die Interessen des Käufers einseitig einwirken kann. Aus dieser Sondersituation entsteht die ihm auferlegte Interessenwahrungspflicht (Rn. 443). Ähnliche Überlegungen werden auch bei der Begründung von Aufklärungspflichten des Darlehensgebers vertreten,9 sind dort aber durch andere Prinzipien überlagert (Rn. 675 und 680). Die praktische Bedeutung des Geschäftsbesorgungsvertrages im Wirtschaftsleben ist immens. Dies zeigt der Versuch einer Systematisierung durch Musielak in seinem Gutachten zur Schuldrechtsreform:10 (1) Gegenstand der Geschäftsbesorgung kann die Pflicht sein, für einen anderen ein Recht zu erwerben oder zu veräußern. Damit ist der Bereich der Kommission (§§ 383ff. HGB) und insbesondere des Warenabsatzes (Handelsvertretung nach §§ 84ff. HGB, Vertragshandel, Franchising usw.) bezeichnet. (2) Der Geschäftsbesorger kann auch zur Wahrnehmung der Rechte des Geschäftsherrn gegenüber Dritten verpflichtet sein. Darunter fallen die anwaltliche Beratung (Rn. 1040), die Wahrnehmung von Immaterialgüterrechten durch Verwertungsgesellschaften nach dem Wahrnehmungsgesetz11 (GEMA), die Tätigkeit als Geschäftsführer für eine GmbH oder als Vorstand für eine AG usw. (3) Dem Geschäftsbesorger wird ein Recht übertragen, damit er dieses gegenüber einem Dritten im Interesse des Geschäftsherrn ausübt (Inkassozession: Abtretung einer Forderung nach § 398 zwecks Geltendmachung gegenüber dem Schuldner; auch Fälle der Treuhand). (4) Der Geschäftsbesorger berät den Geschäftsherrn bei wichtigen Vermögensentscheidungen. Der Anlageberater (Rn. 1289ff.) liefert ein einschlägiges Beispiel. (5) Man wird diese Liste wenigstens noch um den Vertrag über Zahlungsdienstleistungen nach § 675c Abs. 1 ergänzen müssen, im Rahmen dessen ein Spezialist (Bank) für den Kunden Zahlungsströme an den gewünschten Zielort leitet (Rn. 1335ff.).

Lesenswert Schnauder JZ 2007, 1009. Musielak, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesminister der Justiz), Bd. II, 1981, S. 1209, 1308f.; distanziert Staudinger/Martinek/Omlor Vorbem zu §§ 662ff. Rn. 32. 11 Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (UrhWG) vom 9.9.1965, BGBl. 1965 I, S. 1294. 9 10

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2. Rechte und Pflichten 1280

Das qualifizierende Merkmal in § 675 Abs. 1 liegt – wie gerade ausgeführt – in der zum gewöhnlichen Dienst- oder Werkvertrag hinzutretenden Interessenwahrungspflicht. Die Rechtsprechung bemüht sich teilweise um eine objektiv ausgerichtete Definition dieses Begriffs. Danach muss der Geschäftsbesorger eine Aufgabe übernehmen, die ursprünglich dem Geschäftsherrn selbst oblag.12 Dies führt indes zu entbehrlichen Abgrenzungsschwierigkeiten, weil in jedem Einzelfall im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung festgestellt werden muss, ob den Geschäftsherrn eine Obliegenheit trifft, die nun der Geschäftsbesorger an seiner Stelle wahrnimmt. Das Schrifttum orientiert sich daher überzeugender an der subjektiven Fremdnützigkeit der Tätigkeit des Geschäftsbesorgers. § 675 Abs. 1 ist danach anwendbar, wenn der vertragliche Leistungsaustausch auf Wahrung und Förderung der fremden Interessen gerichtet ist.13 Die Bedeutung dieses Verständnisses zeigt sich vor allem im Rahmen von Vertriebsverträgen. Denn hier geht es in erster Linie darum, dass der Vertriebsagent (Franchisenehmer) sich in seinem Verhalten subjektiv an den Interessen des Prinzipals (Franchisegebers) ausrichtet: (BGH 3.10.1984 – VIII ZR 118/83 = NJW 1985, 1894) FN und FG schlossen einen Franchisevertrag im Rahmen des McDonald’s-Systems. Dabei stellte FG dem FN diverse Betriebshandbücher zur Verfügung, an die sich FN streng zu halten hatte. Darin wird etwa verlangt, dass „die Grilltemperatur eines mit Gas geheizten Grillgerätes bei der Zubereitung von ‚Hamburgern‘ 177 Grad Celsius und bei der Zubereitung von ‚Viertelpfündern‘ 191 Grad Celsius beträgt.“ Bei einer Betriebsinspektion, die Mitarbeiter des FG bei FN durchführen, stellt sich heraus, dass bei FN die vorgeschriebenen Grilltemperaturen nicht eingehalten werden. Darauf kündigt FG dem FN einen Monat nach der Inspektion gem. § 626 Abs. 1.

Der Franchisevertrag ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1, der ansonsten auf einer Mischung verschiedener Vertragstypen beruht.14 Im Rahmen dieser Vertragsbeziehung wird der Franchisenehmer, ein selbständiger Unternehmer, zum Warenbezug (Speisezutaten, Werbematerial usw.) und darüber hinaus zur Einhaltung des vom Franchisegeber entworfenen Produktmarktkonzepts verpflichtet (Art der Einrichtung des Ladenlokals, Art und Anzahl der angebotenen Waren usw.). Die Vorgaben im Fallbeispiel zeigen, dass die wirtschaftliche Freiheit des Franchisenehmers dabei zT. erheblich eingeschränkt ist. Martinek spricht insoweit von einer Subordinationspflicht des Geschäftsbesorgers (Franchisenehmers) unter die Interessen des Geschäftsherrn (Franchisegebers).15 Kartellrechtlich ist auch von integriertem Vertrieb die Rede, weil der Franchisenehmer als Absatzmittler ganz in die Produkt-/

12 13 14 15

BGHZ 45, 223, 229. Larenz II/1 § 56 I; Staudinger/Martinek/Omlor Vorbem zu §§ 662ff. Rn. 28ff. Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 2, 1992, S. 69. Vgl. auch Giesler ZIP 2002, 420. Martinek, Franchising, 1987, S. 239ff.

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Marktstrategie einer Vertriebssystemzentrale eingebunden ist.16 Rechtsprechung und Wissenschaft haben von Anfang an der Versuchung widerstanden, solchen Gestaltungen über § 138 Abs. 1 – etwa wegen Knebelung – die Wirksamkeit zu versagen.17 Denn die straffen Bindungen eröffnen gerade auch dem Franchisenehmer wirtschaftliche Verhaltensspielräume, die er sich aus eigener Kraft nicht erschließen könnte. Denn das strikte Regime des Franchisegebers zielt auf die Vorteile einer Marktunifizierung: Durch gleiches äußeres Erscheinungsbild, gleiche Produktpalette und gleiche Qualitätsstandards werden unabhängig vom Standort des einzelnen Ladenlokals bei der Marktgegenseite gleich hohe Erwartungen geweckt und ein einheitliches Image erzeugt, das sich stets weiter übertragen lässt. Für denjenigen, der eine Imbissstube eröffnen will, macht es deshalb einen großen Unterschied, ob er dies als Unbekannter mit einem eigenen Konzept oder als Teilnehmer eines bekannten Franchisesystems unternimmt. Im letzten Fall wird er bereits im Zeitpunkt der Ladeneröffnung auf festgefügte, durch den Franchisegeber und die Vertriebsbemühungen der anderen Franchisenehmer geweckte (positive) Kundenerwartungen treffen. Für ihn ist mit anderen Worten bereits bei Geschäftseröffnung ein Markt erschlossen. Deshalb anerkennt der BGH vorliegend auch ein gesteigertes Interesse des Franchisegebers an einer Standardisierung (S. 1895). Er deutet an, dass die ständige Über- und Unterschreitung der Grilltemperatur daher einen Kündigungsgrund darstellen kann. Dies erscheint nur auf den ersten Blick übertrieben streng. Denn erleben die Kunden bei einem Franchisenehmer durch überkochte oder halbgare Speisen eine bittere Enttäuschung, übertragen sie diese Verstimmung auch auf alle anderen Franchisenehmer derselben Kette. Die Unifizierung des Franchisesystems, die seine wirtschaftliche Stärke ausmacht, stellt nämlich zugleich auch seine entscheidende Schwäche dar. Weil die Kunden aufgrund des einheitlichen Auftretens zwischen den einzelnen Franchisenehmern nicht unterscheiden, droht so die Gefahr eines negativen Imagetransfers: Fehlleistungen eines Franchisenehmers werden dem ganzen System zur Last gelegt. Deshalb muss sich der Franchisegeber konsequent gegenüber jeder Abweichung vom selbst gesetzten Qualitätsstandard zur Wehr setzen dürfen, um sein System erhalten zu können. Allerdings erfolgte die Erklärung der Kündigung vorliegend zu spät: Für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 bleiben dem Kündigungsberechtigten nur zwei Wochen ab Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund (Abs. 2). Diese Frist ist hier deutlich überschritten (S. 1895; noch nach altem Recht). Nach § 675 Abs. 1 werden die Pflichten aus einem Dienst- oder Werkvertrag im Falle einer Geschäftsbesorgung vor allem durch folgende Normen ergänzt: 16 Vgl. dazu die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20.04.2010, ABl. EU Nr. L 102 vom 23.4.2010, S. 1. 17 RGZ 93, 27, 29; 161, 153, 162; vgl. die beiden Grundlagenwerke von Biedenkopf, Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, 1958, S. 203f. und P. Ulmer, Der Vertragshändler – Tatsachen und Rechtsfragen kaufmännischer Geschäftsbesorgung beim Absatz von Markenwaren, 1969, S. 343ff.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Der Geschäftsherr kann dem Geschäftsbesorger nach § 665 eine Weisung erteilen, ob und wie ein Geschäft vorzunehmen ist. Ein klassischer Fall ist etwa die Abbuchungsermächtigung, die ein Kontoinhaber der Bank erteilt, um einen unbaren Zahlungsvorgang in die Wege zu leiten. Hier trifft nun allerdings § 675j eine Sonderregelung (unten Rn. 1343). Ferner ist der Geschäftsbesorger nach § 666 auskunfts- und rechenschaftspflichtig. (BGH 3.11.2011 – III ZR 105/11 = NJW 2012, 58) E ist Eigentümer einer Ferienwohnung. Mit G schloss er im Jahre 2005 einen „Vermietungs-Vermittlungsvertrag“, aufgrund dessen G diese Wohnung im eigenen Namen für Rechnung des E kurzfristig an Feriengäste vermieten sollte. E selbst war die Vermietung nicht gestattet. Nachdem E den Vertrag mit G im Oktober 2009 gekündigt hat, verlangt er von G unter Vorlage der Mietverträge mitzuteilen, an welche Personen G die Wohnung in der Vergangenheit vermietet hatte. G bestreitet eine entsprechende Pflicht und beruft sich auf eigene wettbewerbliche Interessen. Da er am selben Ort weitere Wohnungen vermieten wolle, müsse er die Adressen seiner Kunden nicht an E herausgeben, zumal G selbst „Herr dieser Verträge“ gewesen sei. Im Übrigen beruft sich G auf die teilweise Verjährung des Auskunftsanspruchs. Die dreijährige Verjährungsfrist habe nämlich jeweils mit der Vermietung der Ferienwohnung zu laufen begonnen und sei deshalb in einer Vielzahl von Fällen bereits verstrichen. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 675 Abs. 1, 666 dritte Variante auf Auskunftserteilung. Nach § 666 dritte Variante ist der Auftragnehmer verpflichtet, nach Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen.

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Der BGH ordnet den vorliegenden Vertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1 ein (Tz. 12), wofür eine ausgeprägte Interessenwahrungspflicht den Ausschlag gibt (Tz. 21). Von besonderer Bedeutung erscheint dabei, dass es für deren Bestehen im Innenverhältnis zwischen Geschäftsbesorger und Geschäftsherr nicht darauf ankommt, wie der Geschäftsbesorger im Außenverhältnis gegenüber Dritten aufgetreten ist: Dass also der Geschäftsbesorger vorliegend im eigenen Namen mit den Feriengästen kontrahiert hat, verändert seine Pflichten gegenüber dem Geschäftsherrn auf der Grundlage des § 675 Abs. 1 nicht (Tz. 15). Aufgrund seiner vertraglichen Pflichten kann der Geschäftsbesorger die Herausgabe der Unterlagen auch nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen verweigern (Tz. 18). Seine eigenen wettbewerblichen Interessen als künftiger Konkurrent und Vermieter anderer Ferienwohnungen muss er vielmehr insoweit hintanstellen, als er zuvor als Geschäftsbesorger die Wahrung der Interessen des Eigentümers und Geschäftsherrn übernommen hatte (Tz. 20f.). Für diese Betrachtungsweise spricht das Verbot widersprüchlichen Verhaltens nach § 242: Der Geschäftsbesorger kann nicht einerseits eine Wahrung von Drittinteressen versprechen, andererseits auf seinen Eigeninteressen als Wettbewerber dieses Dritten bestehen. Schließlich entsteht der Auskunftsanspruch nach § 666 dritter Fall mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses (Tz. 28).18 Dies bedeutet auch, dass die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 gemäß § 199 erst zum Ende des Jahres beginnt, in dem das Geschäftsbesorgungsverhältnis beendet wird. Zwar könn18

Vgl. auch die Parallelentscheidung BGH NJW 2012, 917.

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ten die Parteien auch eine periodische Rechenschaftslegung während der Laufzeit des Vertrages vereinbaren. In diesem Fall handelt es sich jedoch um einen verhaltenen Anspruch, der wie in den Fällen der Verwahrung nach §§ 695 Satz 2, 696 Satz 3 erst entsteht, wenn der Geschäftsherr ihn geltend macht (Tz. 29). Denn auch bei der Verwahrung beginnt die Verjährung des Rückforderungsrechts des Hinterlegers erst mit dessen Geltendmachung (§ 695 Satz 2). Dasselbe gilt für das Rücknahmerecht des Verwahrers (§ 696 Satz 3). Im Fall steht daher dem E ein Auskunftsanspruch gegenüber E aus §§ 675 Abs. 1, 666 in vollem Umfang zu.

Weiterhin ist der Geschäftsbesorger nach § 667 verpflichtet, das durch die Geschäftsführung Erlangte herauszugeben. So hat bspw. der Inhaber eines Girokontos einen Anspruch auf Gutschrift einer von ihm eingereichten Lastschrift, wenn seine Bank dafür Deckung durch den Schuldner erlangen kann (unten Rn. 1341). § 675 Abs. 1 verweist insbesondere auch auf § 670. Nach dieser Norm ist der Auftraggeber (Geschäftsherr) zum Ersatz verpflichtet, wenn der Auftragnehmer (Geschäftsbesorger) Aufwendungen macht, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Aufwendungen sind im Gegensatz zu Schäden freiwillige Vermögensopfer.19 Der Ersatz beschränkt sich jedoch auf solche Aufwendungen, die der Auftragnehmer zum Zweck der Ausführung des Auftrags macht und die er für erforderlich halten darf. Der Norm liegt folgender Rechtsgedanke zugrunde: Der Auftragnehmer entscheidet zunächst frei darüber, welche Vermögensopfer er erbringt. Damit aber begründet er zugleich eine Ersatzpflicht des Auftraggebers. Dieser Rechtsmacht des Auftragnehmers, die Rechte und Pflichten des Auftraggebers durch einseitige Entscheidungen zu gestalten, setzt § 670 Schranken, indem die Norm den Auftragnehmer bei seinen Entscheidungen an die Interessen des Auftraggebers bindet.20 Die beiden Sachvoraussetzungen des Anspruchs aus § 670 erinnern dabei an die ersten beiden Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Der Auftragnehmer muss die Aufwendungen zum Zweck der Ausführung des Auftrags machen, diese müssen also geeignet sein. Diese geeigneten Aufwendungen muss er ferner den Umständen nach für erforderlich halten dürfen. Die Nähe zu dem aus dem öffentlichen Recht bekannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt wegen der Vergleichbarkeit der rechtlichen Fragestellung nicht fern.21 Auch im öffentlichen Recht geht es um eine inhaltliche Beschränkung der Befugnis der öffentlichen Hand, einseitig in die Grundrechte des Bürgers einzugreifen. In Sonderfällen, zu denen auch § 675 Abs. 1 zählt, kann aber auch einem Privatrechtssubjekt die einseitige Befugnis zustehen, in die Rechte eines anderen einzugreifen. Aus diesem Grund ist bspw. im Gesellschaftsrecht die 19 Staudinger/Martinek/Omlor § 670 Rn. 7ff.; K. Müller JZ 1969, 769, 772; A. Meyer AcP 216 (2016) 952, 965ff. 20 BGHZ 95, 388 = NJW 1986, 310, 313. 21 Ähnlich auch Staudinger/Martinek/Omlor § 670 Rn. 13.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Macht eines Mehrheitsgesellschafters beschränkt, durch Beschluss der Gesellschafterversammlung die Rechte der Minderheitsgesellschafter ohne Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu schmälern.22 Der Auftragnehmer darf daher nur geeignete Aufwendungen tätigen, mit denen sich das Geschäft des Auftraggebers überhaupt erst erfolgreich führen lässt. Dabei muss er sich im Zweifel für die erforderlichen Aufwendungen entscheiden, also den kostengünstigsten, den Auftraggeber am wenigsten belastenden Weg beschreiten. Schließlich dürfen die Aufwendungen wohl auch nicht völlig außer Verhältnis zu den vom Auftraggeber verfolgten Zielen stehen; denn auch dann sind sie entweder nicht zum Zweck der Ausführung des Auftrags gemacht oder dürfen vom Auftragnehmer nicht für erforderlich in einem weiteren Sinne gehalten werden. Aus dem Normwortlaut ergibt sich, dass die Aufwendungen nicht erforderlich sein müssen, sondern, dass sie der Auftragnehmer für erforderlich halten darf. Deshalb kommt es für den Aufwendungsersatz auf eine ex ante anzustellende Prognose23 an: So erkennt der BGH einem Bürgen prinzipiell einen Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem Hauptschuldner auch dann zu, wenn der Bürge auf eine verjährte Forderung des Gläubigers zahlt, die Verjährung trotz sorgfältiger Prüfung aber nicht erkennen kann (Rn. 1407).24 Es kommt also nicht darauf an, dass die Aufwendungen – ex post betrachtet – ihr Ziel erreicht haben, sondern darauf, dass sie aus Sicht eines objektiven Beobachters ex ante geeignet, erforderlich und verhältnismäßig waren. Fraglich ist weiter, ob der zum Aufwendungsersatz Verpflichtete (hier der Geschäftsherr) dem Berechtigten (Geschäftsbesorger) nach § 670 auch für Zufallsschäden bei der Ausführung des Auftrags bzw. der Geschäftsbesorgung haftet. Dies bejahte das RG in einer grundlegenden Entscheidung und belebte dabei die noch ältere Lehre vom Aufopferungsanspruch neu: (RG 28.11.1918 – VI 290/18 = RGZ 94, 169) S ist in der Gemeinde G als sog. Wasenmeister für die Tierkörperverwertung zuständig. G beauftragt ihn, einen tollwütigen Hund einzufangen und zu beseitigen. S wird von dem Hund gebissen und verlangt von G Schadensersatz.

In den Beratungen zum BGB hatte der Gesetzgeber diese Fälle gesehen, denn sie waren zuvor bereits im Preußischen Allgemeinen Landrecht geregelt gewesen (S. 171). In den Materialien zum BGB geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass solche Schäden selbstverständlich ersetzt würden: Denn wer einen Auftrag übernehme, stelle seine ganze Persönlichkeit zum Zweck der Erfüllung in den Dienst des Auftraggebers. Erleide er hierbei an seiner Gesundheit Schaden, so opfere er ein Rechtsgut auf und könne für dieses Opfer ebenso Ersatz verlangen wie für Vermögensaufwendungen (S. 171).25 Das RG schließt sich deshalb BGHZ 71, 40 = NJW 1978, 1316, 1317f. – Kali & Salz. Staudinger/Martinek/Omlor § 670 Rn. 16. BGHZ 95, 388 = NJW 1986, 310, 313. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB, Bd. II, 1898, S. 67f. 22 23 24 25

I. Grundlagen

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der in den Vorinstanzen vertretenen Auffassung an, dass bei Aufträgen, „wo […] nach der Natur der Sache eine für beide Teile erkennbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Beauftragten verbunden ist, nach dem Parteiwillen angenommen werden kann, daß der Auftraggeber für die aus der Ausführung eines derartigen Auftrags dem Beauftragten erwachsenden Schäden vertragsmäßig aufzukommen hat“ (S. 170; Hervorhebungen durch den Verfasser). Bis heute fehlt es nicht an kritischen Stimmen zur Herleitung von Schadensersatzansprüchen aus § 670; diese verweisen vor allem auf die schwere Begrenzbarkeit der Haftungsrisiken für den Geschäftsherrn.26 Diese Bedenken treten jedoch hinter der Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei fremdnütziger Tätigkeit im Schadensfalle zurück. In der älteren Lehre wurde die Haftung für Zufallsschäden – wie die Entscheidungsgründe des RG zeigen – noch auf einen hypothetischen Parteiwillen zurückgeführt:27 Anwendbar erschien § 670 vor allem, weil die Parteien den zu erwartenden Schaden freiwillig in Kauf genommen hätten. Dies überzeugt heute wegen der zugrunde liegenden rechtsgeschäftlichen Fiktion nicht mehr: Die Parteien haben sich ja nicht tatsächlich geeinigt. Deshalb muss die Haftung auf etwas Anderem als ihrem Willen beruhen; dieses Andere aber benennt die Lehre nicht präzise. Eine andere Begründung setzt bei der heute teilweise überholten arbeitsrechtlichen Lehre von der gefahrgeneigten Arbeit an und begründet die Schadenszurechnung zugunsten desjenigen, der eine Tätigkeit veranlasst hat bzw. in dessen Interesse sie vorgenommen wird.28 Ergänzend wird auf den Rechtsgedanken des § 110 HGB verwiesen, im Rahmen dessen der geschäftsführende Gesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche, die infolge fremdnütziger Tätigkeit entstehen, einheitlich geltend machen kann.29 Nach dieser Auffassung wird der Geschäftsherr aus einer ungeschriebenen verschuldensunabhängigen Risikohaftung für die Schäden des Geschäftsbesorgers verpflichtet, die infolge der mit der Geschäftsbesorgung verbundenen, spezifischen Risikoerhöhung entstanden sind. Nach einer dritten Auffassung aber beruht § 670 auf dem Rechtsgedanken der Schadloshaltung des Auftragnehmers: Denn der Auftragnehmer müsse aus dem unentgeltlich zu erledigenden Auftrag ohne Vor- und Nachteile herausgehen: Dies betreffe sowohl freiwillige Vermögensopfer, dh. Aufwendungen iSd. § 670, als auch Schäden, die in spezifischer Weise auf die Erledigung des Auftrags zurückgehen, sodass § 670 hier analog anzuwenden sei.30 Dieser letzte Gedanke überzeugt wegen seiner Anbindung an den Normzweck. Er passt auch auf den entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1: Denn hier ist die Ebene des AufwenA. Meyer AcP 216 (2016) 952, 972f. BGHZ 33, 251, 257; 38, 270, 277; vgl. die Darstellung bei Staudinger/Martinek/Omlor § 670 Rn. 20. 28 Canaris RdA 1966, 41, 43ff.; Genius AcP 173 (1973) 481, 512ff.; Larenz II/1 § 56 III; Medicus/Petersen BR Rn. 429. 29 Genius AcP 173 (1973) 481, 512ff.; Medicus/Petersen BR Rn. 429. 30 Staudinger/Martinek/Omlor § 670 Rn. 23. 26 27

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

dungsersatzes, im Rahmen derer der Geschäftsbesorger schadlos zu halten ist, von der Ebene des dem Geschäftsbesorger geschuldeten Entgelts streng zu trennen. II. Der Anlageberatungsvertrag 1. Das Disclosure-Prinzip 1287

Verträge über Kapitalanlagen folgen im Grunde einer einfachen ökonomischen Struktur: Der Anleger überlässt dem Betreiber der Anlage finanzielle Mittel, während dieser dem Anleger eine Rendite aus der Bewirtschaftung dieser Mittel verspricht. Als Gegenstand kommt dabei jedes profitträchtige Geschäft in Betracht. Im Jahre 1946 etwa entschied der U.S. Supreme Court, dass auch der Verkauf einer Orangenplantage in Florida eine Kapitalanlage darstellen kann, wenn es Käufer und Verkäufer gar nicht darum geht, dass der Käufer die Plantage in Besitz nimmt und bewirtschaftet, sondern wenn der Verkäufer den Orangenanbau auf dem Grundstück weiterhin in Eigenregie betreibt und gegenüber dem Käufer nur ein Renditeversprechen im Hinblick auf die Ergebnisse des Plantagenbetriebs abgibt.31 In dieser Konstellation geht es dem Anleger so wenig um Orangen wie dem Anleger in den nachfolgend darzustellenden Fällen um Mitgliedsrechte an Gesellschaften oder um das Eigentum an Immobilien. Für den Anleger steht daher nicht die erworbene Sache, sondern die aus ihrer Bewirtschaftung erwachsende Rendite im Vordergrund. Die Renditeerwartungen wiederum hängen regelmäßig von einem komplexen Faktorenbündel ab, das der Anleger als Nichtfachmann nicht durchschaut. Stärker als bei jeder anderen „Kaufsache“ ist er daher auf Informationen durch die Vertragsgegenseite angewiesen, damit er die Werthaltigkeit der Anlage beurteilen kann. Bereits im Jahre 1911 musste der Staat Kansas das erste der sog. Blue Sky-Laws schaffen, weil dort Vertriebsagenten bevorzugt Witwen aufsuchten, von deren Status sie in Traueranzeigen erfahren hatten. Diesen boten sie die Anlage des ererbten Vermögens in nicht existierende Minen und Plantagen in Südamerika an.32 Diese ersten bundesstaatlichen Gesetze beruhen auf einem einfachen Gerechtigkeitsgedanken, dem sog. Disclosure-Prinzip. Danach ist der Anleger ausreichend geschützt, wenn er über die Chancen und Risiken einer Kapitalanlage zutreffend und umfassend informiert ist. Denn treffen die Informationen zu, muss der Anleger selbst entscheiden, ob er das Risiko eingeht. Sind die Angaben hingegen falsch, haftet der Erklärende für die darauf beruhende Fehlentscheidung des Anlegers. Die moderne Kapitalmarkttheorie überformt diese schlichte, praktische Einsicht zu einem Marktordnungsgedanken: Danach 328 U.S. 293, 298f. (1946) Securities and Exchange Commission v. W.J. Howey Co. Dazu Kiefer 42 Washburn Law Journal, 281, 297 (2003); der Name geht auf den Umstand zurück, dass das Gesetz folgenden Anlagetypus regelte: „speculative schemes which have no more basis than so many feet of blue sky“, aaO. S. 281; dazu bereits Oechsler, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. II, 2007, Kapitel 4, Rn. 1ff. 31 32

II. Der Anlageberatungsvertrag

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müssen Märkte so organisiert sein, dass in ihnen Informationen möglichst effizient im Preisbildungsmechanismus verarbeitet werden (Lehre von der Informationseffizienz).33 Ist dies nämlich der Fall, werden Unter- und Übertreibungen bei der Preisbildung sofort durch sog. institutionelle Investoren korrigiert, die in der Fehlbewertung eines Teils der Marktteilnehmer eine Chance sehen, durch Gegengeschäfte sog. Arbitragegewinne zu erzielen. Mit ihrer Geschäftstätigkeit sorgen sie dafür, dass sich der Marktpreis den wahren Wertverhältnissen annähert. Dann aber kann niemand geschädigt werden, der im Vertrauen auf den Marktpreis eine Anlage erwirbt. Der zugrunde liegende Rechtsgedanke erreicht allerdings heute seine Grenzen, weil die Komplexität der als Anlageobjekte in Betracht kommenden Finanzprodukte die Aufnahmefähigkeit der privaten Interessenten schlicht überfordert und diese sich nicht so rational verhalten, wie es das Paradigma des Homo oeconomicus, des rational handelnden Menschen, voraussetzt, der sein Verhalten stets anhand der (Kosten-)Folgen seiner Entscheidungen beurteilt. Gerade in den Vereinigten Staaten hat daher die verhaltensorientierte Wirtschaftswissenschaft (Behavioral Finance) eine Reihe von Defiziten der zugrunde liegenden rationalen Verhaltensannahmen herausgearbeitet.34 Deren rechtliche Aufarbeitung gerät jedoch in ein schwer auflösbares Dilemma: Denn ihr ist einerseits zuzugegeben, dass sich Menschen nicht ständig vernunftgemäß verhalten. Anderseits liegt es spätestens seit den fundamentalen Erkenntnissen Kants auf der Hand, dass Menschen sich über Regeln nur auf der Grundlage der Vernunft, nicht aber auf der Basis persönlicher Schwächen, Empfindlichkeiten oder Wünsche miteinander verständigen können. Deshalb müssen auch rechtliche Regeln zunächst an ein rationales Anlegerverhalten anknüpfen, allerdings auch einem darüber hinaus bestehenden Anlegerschutz Rechnung tragen, wenn dieser nach normativen Maßstäben geboten erscheint: Denn Aufklärungspflichten, die nach dem Disclosure-Prinzip begründet werden, können ins Leere laufen, wenn sich die überforderten Adressaten von ihnen nicht zu einem vernünftigen Handeln anhalten lassen. Die Rechtsprechung reagiert auf diese Herausforderung dadurch, dass sie den Schutz der Kapitalanleger über das Disclosure-Prinzip hinaus ausweitet. Folgende Tendenzen lassen sich dabei ausmachen und spielen im Folgenden eine Rolle: (1) Dem Kapitalanleger werden Experten verantwortlich, wenn sie ihm Anlageratschläge erteilen. Die Erteilung eines Ratschlags lässt dabei idR. einen Anlageberatungsvertrag entstehen (Rn. 1289ff.).

33 Vgl. hier nur Fama Journal of Finance 25 (1970) 383ff.; vgl. auch die Darstellung bei Fox, The Myth of the Rational Market, HarperBusiness 2009, S. 89ff. 34 Vgl. an dieser Stelle nur Shleifer, Inefficient Markets, Oxford 2000, S. 3f.; Shefrin, Beyond Greed and Fear: Understanding Behavioral Finance and the Psychology of Investing, 2007, S. 91ff. und die Rezeption aus deutscher Sicht: Fleischer, in: FS Immenga, 2004, S. 575, 579ff.; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 90ff.; Sethe AcP 212 (2012) 80, 91; Oechsler, in: GS M. Wolf, 2011, S. 291ff.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

(2) Ferner wird für die unrichtige Erstellung von Prospekten gehaftet (Rn. 1302ff.). (3) Dritte, die gegenüber dem Anleger nicht unmittelbar auftreten, haften dagegen aus culpa in contrahendo, Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte oder aus § 826 (Rn. 1318ff. und 1325ff.). (4) Die Aufklärungspflichten gehen teilweise so weit, dass dem Vertreiber einer Anlage im Einzelfall aufgegeben wird, dem Interessenten von dieser buchstäblich abzuraten. Auf diese Weise verwandeln sich Aufklärungspflichten schließlich in verdeckte Inhaltsverbote (Rn. 1307f.). 2. Die Lehre vom Anlageberatungsvertrag 1289

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Der BGH hat zum Schutz der Anleger die Lehre vom Anlageberatungsvertrag entwickelt.35 Tritt danach ein Anlageinteressent an eine Bank heran und gibt zu erkennen, dass er im Hinblick auf eine anstehende Anlageentscheidung die Fachkenntnisse und Verbindungen der Bank in Anspruch nehmen will, gibt er ein konkludentes Angebot auf Abschluss eines Beratungsvertrages ab, das von der Bank angenommen wird, wenn diese ihm Auskünfte zur Anlage erteilt. Der entscheidende Gesichtspunkt liegt darin, dass beide Seiten in dieser Situation das Verhalten der jeweils anderen nicht als unverbindlich verstehen können, gleichgültig, ob eine Gegenleistung vereinbart war oder nicht. Erfolgt die Beratung entgeltlich, nimmt die heute hM. den Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages (meist mit dienstvertraglichem Einschlag) an (§§ 675 Abs. 1, 611),36 erfolgt sie unentgeltlich, liegt ein Auftrag nach § 662 vor.37 Eine dogmatische Besonderheit der Lehre liegt darin, dass beim Anlageerwerb des Kunden von einer Bank zwei unabhängige Verträge geschlossen werden: zunächst der Anlageberatungsvertrag selbst und dann der darauf folgende Kaufvertrag über die Anlage. Erklärt wird dies aus dem Umstand, dass die Lehre vom Anlageberatungsvertrag Lücken der Haftung aus culpa in contrahendo (c.i.c., §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2) abdecken soll. Diese entstehen vermeintlich, weil die c.i.c. auf fahrlässig erteilte Falschauskünfte über Beschaffenheitsmerkmale der Kapitalanlage nicht anwendbar sei (vgl. dazu im Kaufrecht Rn. 472).38 Der eigentliche Grund dürfte jedoch darin liegen, dass der Beratungsvertrag einer anderen Interessenstruktur folgt als der Kaufvertrag. Beruht der Kaufvertrag typischerweise auf einem Interessenge35 Vgl. BGH NJW 1987, 1815, wo die zu Anlagevermittlern entwickelte Lehre erstmals auf eine Bank übertragen wurde; instruktiv dazu: Buck-Heeb WM 2012, 625ff.; Sethe AcP 212 (2012) 80, 93ff. 36 Buck-Heeb WM 2012, 625, 626; vgl. allerdings BGH NJW 1999, 1540, 1541: offenlassend, ob Dienst- oder Werkvertrag. 37 BGH NJW 1999, 1540, 1541. 38 Buck-Heeb WM 2012, 625 und 628, die auf BGHZ 140, 111 = NJW 1999, 638f. verweist, wo der Anspruch aus c.i.c. im einschlägigen Zusammenhang gerade ausschied; kritisch und für die Anwendung der c.i.c.: Krüger NJW 2013, 1845, 1846.

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gensatz, charakterisiert den Anlageberatungsvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag ein Moment der Interessenwahrung. Erwirbt der Anleger eine Kapitalanlage von seiner Bank, kommt es deshalb zum Interessenkonflikt:39 Während die Bank im Beratungsvertrag den Kunden fremdnützig über alle Vor- und Nachteile des Geschäfts beraten muss, darf sie im Kaufvertrag auch eigennützige Profitinteressen verfolgen. Dies zeigt sich an folgendem Fall: (BGH 27.9.2011 – XI ZR 182/10 = BGHZ 191, 119 = NJW 2012, 66 – Lehman Brothers)40 A, eine selbständige Ernährungsberaterin, unterhielt bei der S-Sparkasse ein Konto. Nach einem Beratungsgespräch mit einem Mitarbeiter der S, das am 27.6.2007 durchgeführt wurde, erwarb A von S zehn „Bull Express Garant“-Anleihen der Lehman Treasury Co. B.V. (L, B.V.) zu einem Kaufpreis von rund 11.000 €, für deren Rückzahlung die Lehman Brothers Holding Inc. (L, Inc.) die Garantie übernommen hatte. Die entsprechenden Wertpapiere hatte S zuvor von L, B.V. erworben und veräußerte sie jetzt gegen Gewinnaufschlag an A. Der Mitarbeiter der S hatte A dabei ua. so informiert: „Wenn dieser Herausgeber (L, B.V.) pleitegeht, dann ist das Geld weg.“ Dabei hatte er jedoch auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden, sehr guten Ratings von L, B.V. und L, Inc. verwiesen. Bei Rückzahlung der Zertifikate sollte von L, B.V. eine Rendite von bis zu 15% in Abhängigkeit von der Entwicklung des Dow Jones Euro STOXX (abschließender Bewertungstag 19.10.2011) fließen. Im September 2008 wurde die L, Inc. jedoch insolvent, was die Insolvenz der L, B.V. nach sich zog. A verlor dabei ihr investiertes Kapital und erzielte keine Rendite. Sie verlangt von S Ersatz für die Fehlberatung in verschiedenen Punkten, ua. sei sie nicht darüber beraten, worden, dass Inhaberschuldverschreibungen nicht unter das Einlagensicherungs- und Anlegersentschädigungsgesetz (Rn. 931, 1265) fielen. Auch habe S verschwiegen, dass sie die Anlagen mit einem Gewinnaufschlag an A veräußert habe. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, 675 Abs. 1, 611 wegen Verletzung der Pflicht aus einem Anlageberatungsvertrag.

Der BGH geht hier vom Abschluss eines Anlageberatungsvertrages aus (Tz. 20). Bei der Konkretisierung einer Aufklärungspflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 knüpft der BGH dabei nicht an die im Kaufrecht übliche Einschränkung der Sorgfaltspflichten eines (Zwischen-)Verkäufers an. Denn üblicherweise hat der Verkäufer im Rahmen einer Haftung nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 ja nur zu vertreten, dass er die vom Hersteller gelieferte Ware nicht auf offensichtliche Funktionsdefizite überprüft hat (Sichtprüfung); darüber hinaus darf der Käufer keine weiteren Bemühungen erwarten, da dem Verkäufer dazu regelmäßig die Kompetenz fehlt (Rn. 348). Die Bank muss hingegen zugunsten des Kunden ihren „banküblichen kritischen Sachverstand“ anwenden (Tz. 24). Konkret bedeutet dies, dass zugunsten der Bank ein Wissensvorsprung über die wertbeeinflussenden Faktoren der Anlage vermutet wird. Diesen muss sie mit dem Kunden teilen. Notfalls muss die Bank Informationen über die empfohlene Anlage einholen; nie wird sie mit dem Einwand gehört, das eigene Produkt nicht zu kennen („know your product“).41 Eine zentrale Frage des vorliegenden Falles war, ob dieses Interessenwahrungsmoment 39 40 41

Auch dazu bereits Buck-Heeb WM 2012, 625, 631f. im nachfolgenden Zusammenhang. Vgl. auch die Entscheidung BGH NJW 2012, 2873; BGH WM 2013, 1983. Möllers/Puhle JZ 2012, 592, 595f.

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so weit reicht, dass die Bank entgegen ihren Interessen als Verkäuferin handeln muss. Dazu nimmt der BGH im Folgenden Stellung. Danach muss die Beratung anleger- und objektgerecht erfolgen (Tz. 22; Rn. 1307, 1311). Im Hinblick auf die Objektgerechtheit war vorliegend problematisch, ob über alle wesentlichen Risiken informiert worden war. Dies bejaht der BGH in den beiden im Sachverhalt vorgestellten, kritischen Punkten. Das spezifische Risiko der vorliegenden Anlage erkennt er darin, dass der Emittent über die Einlagen der Anleger kein (treuhänderisch gebundenes) Sondervermögen bildete, sodass in seiner Insolvenz keine Aussonderung dieser Gelder möglich war (Tz. 26; zur Erklärung dieses Zusammenhangs vgl. Rn. 930). Über dieses sog. allgemeine Emittentenrisiko musste die Bank den Kunden beraten. Sie durfte insbesondere nicht davon ausgehen, dass ein Gläubiger stets weiß, dass er das Insolvenzrisiko seines Schuldners trägt (Tz. 27). Die im Sachverhalt geschilderte, drastische Äußerung des Mitarbeiters gegenüber der Anlegerin trägt dem jedoch ausreichend Rechnung (Tz. 29). Aus ihr ergab sich gerade auch aus Sicht eines Laien eine ausreichende Warnung, die nicht mehr weiter spezifiziert werden musste, etwa durch Hinweise auf die Nichtanwendbarkeit von Einlagensicherungssystemen (Tz. 32). Von besonderer Bedeutung erscheint jedoch, dass die Bank den Kunden auch nicht über ihre Verdienste aus der Kapitalanlage zu unterrichten brauchte. Der BGH geht vielmehr davon aus, dass das Gewinninteresse der Bank einen offensichtlichen Umstand darstellt, über den die Bank nicht belehren muss (Tz. 44):42 „Was für den Kunden im Rahmen des Kaufvertrags offensichtlich ist, lässt auch innerhalb des Beratungsvertrags seine Schutzwürdigkeit entfallen.“43 Hier verlieren Anlageberatungsvertrag und Kaufvertrag vorübergehend ihre rechtliche Selbständigkeit. Während nämlich die Bank in anderen Fällen sehr wohl über mögliche Rückvergütungen informieren muss, wenn sie dem Anleger das Angebot eines Drittverkäufers empfiehlt (Rn. 1298), ist dies nicht erforderlich, wenn sie selbst als Verkäuferin tätig wird; denn dann muss der Anleger als Käufer stets von der Verfolgung von Gewinnabsichten durch die Gegenseite ausgehen. In der Sache handelt es sich um einen Einwendungsdurchgriff eigener Art:44 Denn die Bank kann sich gegenüber dem Anleger bei der Konkretisierung ihrer Pflichten aus dem Anlageberatungsvertrag darauf berufen, dass der Anleger im Kaufvertrag mit einer Gewinnspanne der Bank rechnen muss:45 Weil sie als Verkäuferin den Käufer nicht über ihre Gewinnmarge aufklären muss, braucht sie dies auch nicht als Anlageberaterin! Gerechtfertigt wird dies durch die Offensichtlichkeit der Einwendung.46

42 So auch in der Folgeentscheidung BGH NJW 2012, 2873, Tz. 18ff.; BGH WM 2013, 1983, Tz. 11. 43 Im Anschluss an Buck-Heeb jurisPR-BKR 2/2011, Anm. 4. 44 Ähnlich Spindler WM 2009, 1821, 1825. 45 Kritisch einschränkend daher M. Schwab BKR 2011, 450, 452. 46 Buck-Heeb WM 2012, 625, 633.

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Grundsätzlich erscheint jedoch die Aufspaltung der Pflichten der Bank auf zwei Verträge als eine künstliche und letztlich entbehrliche Konstruktion: Überzeugender lässt sich von einem einheitlichen, auf Beratung und anschließenden Verkauf gerichteten Vertrag ausgehen, bei dem die Liefer- und Entgeltpflichten nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Hauptleistungspflichten darstellen, auf die sich die Beratungspflichten des Verkäufers als Nebenpflichten iSd. § 241 Abs. 2 beziehen: In diesem Rahmen versteht es sich von selbst, dass die Beratungspflichten an der bei einem Kaufvertrag bestehenden Interessenlage orientiert sind und deshalb auf den Horizont des Käufers und dessen berechtigte Erwartungen abstellen.

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3. Stillschweigender Vertragsschluss und Haftung aus culpa in contrahendo bei Beratungsfehlern

Wegen der großen Bedeutung von Informationen für die Entscheidung des Anlegers (Rn. 1287f.) sind Auskünfte von Banken über Kapitalanlagen aus Sicht der Rechtsprechung nicht rechtsfolgenlos, sondern führen regelmäßig zu einer Bindung. (BGH 9.3.2011 – XI ZR 191/10 = NJW 2011, 3227)47 Anleger A wendet sich an B, seine Hausbank, weil er ca. 50.000 € eigener Finanzmittel anlegen möchte. Ein Mitarbeiter der B rät ihm zum Erwerb von Anteilen an zwei Filmfonds, die V vertreibt. Über die Beteiligung an beiden Fonds wurde ein Prospekt erstellt, in dem mitgeteilt wird, dass auf die jeweilige Anlage iHv. 26.250 € ein Agio iH. weiterer 5% erhoben wird, aus dem die Vertriebskosten für den Filmfonds als Kapitalanlage finanziert werden sollen. A erwirbt die beiden Anteile an den Fonds von V, erleidet später jedoch erhebliche Verluste, weil die Geschäftsführer der Fonds deren Vermögen veruntreuen. Bei näherer Recherche wird A auf die Tatsache aufmerksam, dass B von V sog. Rückvergütungen erhalten hat, die aus den Agii finanziert wurden, die A gegenüber V geleistet hat. A verlangt nun von B Schadensersatz iH. sämtlicher an V geleisteter Zahlungen. In Betracht kommt ein auf Schadensersatzanspruch des A gegen B aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Fraglich ist, ob zwischen A und B ein Schuldverhältnis zustande gekommen ist.

Die Frage, ob eine Bank ihrem Kunden aus einem Sonderrechtsverhältnis haftet, wenn sie ihm gegenüber bereits Geschäftsbeziehungen auf der Grundlage anderer Bankgeschäfte (Girovertrag, Sparvertrag usw.) unterhält, berührt ein Grundlagenproblem des Bankrechts. Eine ältere Lehre folgte der Vorstellung vom Zustandekommen eines zwischen den Parteien bestehenden allgemeinen Bankvertrags, der anlässlich des Abschlusses eines einzelnen, besonderen Bankgeschäfts stillschweigend geschlossen wird, dann aber Schutzpflichten im Hinblick auf alle anderen Bankengeschäfte gegenüber dem Kunden begründe.48 47 Die beiden parallel ergangenen Entscheidungen BGH NJW 2011, 3229 und 3231 beruhen auf denselben Grundsätzen. Die Entscheidungen wurden von BVerfG NJW 2012, 443 bestätigt. 48 Vgl. die neuere Darstellung bei Hopt, in: Bankrechts-Handbuch, § 1 Rn. 15ff. und den klassischen Beitrag von Pikart WM 1957, 1238.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Ein alternativer Ansatz geht von einem gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen Bank und Kunde aus, das anlässlich des ersten Bankgeschäftes entstehe und umfassende Schutzpflichten entfalte49 (ausführlicher und zur Kritik Rn 629ff.). Der BGH bevorzugt in Fällen der vorliegenden Art jedoch eine Einzelfallbetrachtung und wirft die Frage auf, ob zwischen der Bank und ihren Kunden ein stillschweigender Beratungsvertrag zustande kommt (Tz. 19). Im sog. Bond-Urteil geht das Gericht davon aus, dass zwischen einem Anlageinteressenten und einer Bank immer dann ein stillschweigender Auskunftsvertrag geschlossen wird, wenn der Interessent an die Bank herantritt, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, und diese die Beratungen aufnimmt.50 Ob eine Auskunft der Bank über eine Kapitalanlage eine Willenserklärung oder nur eine Wissenserklärung beinhaltet, richtet sich nach §§ 133, 157 danach, ob ein objektiver Beobachter in der Position des Kunden von einem Rechtsbindungswillen der Bank ausgehen darf. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein stillschweigender Anlageberatungsvertrag zustande, „wenn die Beratung des Verkäufers eindeutig über das hinausgeht, was im Allgemeinen seitens des Verkäufers für die sachgemäße Anwendung oder den Einsatz des Kaufgegenstandes in beratender oder empfehlender Weise, auch in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, geleistet wird.“51 Auf die Anforderungen an den Rechtsbindungswillen einer Bank geht der BGH hingegen praktisch nie weiter ein, sondern bejaht die einschlägigen Voraussetzungen regelmäßig. Im Schrifttum werden dagegen als Indikatoren das Ausmaß des Wissensvorsprungs der Bank gegenüber dem Anleger sowie die wirtschaftliche Bedeutung der Auskunft für den Kunden genannt,52 was der allgemeinen Rechtslage bei der Abgrenzung von Gefälligkeit und Rechtsgeschäft entspricht (Rn. 754). Im Schrifttum wird die Rechtsprechung dafür kritisiert, dass sie die Anforderungen an den Rechtsbindungswillen vermeintlich zu niedrig ansetze.53 Der BGH stellt ergänzend aber noch auf folgende Überlegung ab: Aus dem System der Regelungen des WpHG (zitiert wird § 31d WpHG in einer älteren Fassung) folge, dass das Gesetz die Verpflichtung zur Beratung von einer typisierenden Betrachtungsweise und nicht von einer Einzelfallbetrachtung abhängig mache. 49 Die Lehre entstammt aus dem amerikanischen Recht und wurde erstmals von Müller-Graff, Rechtliche Auswirkungen einer laufenden Geschäftsverbindung im amerikanischen und deutschen Recht, 1974, in die deutsche Dogmatik eingeführt; vgl. dazu auch Oechsler RabelsZ 60 (1996) 91, 93. Heute liegt ihre Bedeutung vor allem in der Begründung besonderer, auch jenseits von § 15 Abs. 2 HGB anerkannter Vertrauenstatbestände und in der Erwirkung von Rechtspositionen, die zwar nie ausdrücklich vereinbart waren, aber sich durch gegenseitiges Einspielen eingestellt haben (Geschäftsverbindungsbrauch). Vgl. dazu K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 20. 50 BGHZ 123, 126 = NJW 1993, 2433 – Bond-Anleihe. 51 BGH NJW 1997, 3227, 3229; dazu bereits Buck-Heeb WM 2012, 625, 626. 52 Buck-Heeb WM 2012, 625, 626; MünchKomm/Heermann § 675 Rn. 56; Siol, in: Bankrechts-Handbuch, § 43 Rn. 7. 53 Vgl. etwa Bausch NJW 2012, 354f.; Krüger NJW 2013, 1845, 1846; allgemeiner noch Kersting, Dritthaftung für Informationen, 2007, S. 329ff.

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Danach seien Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§ 2 Abs. 4 WpHG), also insbesondere alle Kreditinstitute, regelmäßig aufklärungspflichtig (Tz. 31) und entsprechend bei der Erteilung von Auskünften auch typischerweise gebunden.54 Die vom BGH befürwortete rechtsgeschäftliche Bindung überzeugt gerade im Vergleich mit den aus dem Schrifttum unterbreiteten Vorschlägen zu einer Verhinderung der rechtlichen Bindung. So soll etwa die Bank vor Beginn des Gespräches darauf hinweisen dürfen, dass ihre Auskünfte gerade nicht zum Abschluss eines Beratungsvertrages führen sollen.55 Ein solcher Hinweis würde allerdings gegen das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 verstoßen: Denn über die wertbildenden Eigenschaften einer Anlage kann sich die Bank mit ihrem Kunden nicht wie über das Wetter unterhalten, auch wenn sie dies äußerlich deklariert. Denn ihr muss klar sein, dass ihre Auskünfte nur zu einem ganz bestimmten Zweck erfragt werden und für den Kunden praktische Konsequenzen haben werden. Ein anderslautender Hinweis würde daher wie eine Protestatio facto contraria wirken (Rn. 658). Eine Bank muss daher auf die Anfrage des Kunden entweder schweigen oder kann zu ihr nur verbindlich Stellung nehmen. Die Pflichtverletzung des Anlageberaters iSd. § 241 Abs. 2 liegt im vorgestellten Fall darin, dass er den Anleger nicht über Rückvergütungen an die eigene Adresse aufgeklärt hat. Der BGH unterscheidet im Hinblick auf den verfolgten Schutzzweck zwischen Innenprovisionen und Rückvergütungen: Innenprovisionen56 bezeichnen Vermögensabflüsse an Vertriebsagenten aus Mitteln, die nicht ausdrücklich für diesen Zweck ausgewiesen sind. Unaufgedeckte Innenprovisionen verhindern folglich, dass der Anleger erkennen kann, welche Vermehrung das Gesellschaftsvermögen durch seine Einlage reell erfahren hat und wie viel sein eigener Anteil am Gesellschaftsvermögen infolge der Beisteuerung der eigenen Einlageleistung wert ist (Tz. 22). Aus diesem Grund bedeutet das Verschleiern von Innenprovisionen beim finanzierten Teilzahlungskauf eine Schutzpflichtverletzung (vgl. Rn. 679, 681, 690). In Bezug auf Anlageberatungsverträge leitet der BGH eine Aufklärungspflicht wegen vereinnahmter Innenprovisionen interessanterweise jetzt aus dem öffentlichen Recht her. Dort folgen die §§ 31 Abs. 4b, 4c, 31d WpHG bzw. § 34h Abs. 3 GewO und vergleichbare Normen einem allgemeinen Transparenzgrundsatz, nach dem der Anlageberater Zuwendungen von Dritten nur annehmen darf, wenn er dies dem Anleger gegenüber vor Vertragsschluss offenbart. Die erwähnten Normen finden zwar keine unmittelbare Anwendung auf Anlageberatungsverträge; sie beeinflussen jedoch den Erwartungshorizont eines objektiven Beobachters in der Situation des Anlegers. Dieser kennt das Transparenzprinzip und darf nach §§ 242, 157 davon ausgehen, dass sein Anlageberater sich an dieses halten wird. 54 Hinzu tritt übrigens das Argument, dass die Kreditinstitute in der Öffentlichkeit als „Beraterbanken“ aufträten; vgl. Bausch NJW 2012, 354, 355. 55 Buck-Heeb WM 2012, 625, 627. 56 Vgl. dazu etwa noch BGH NJW-RR 2007, 925; BGH NJW 2016, 3024.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Vertragspflichten gründen nämlich nicht allein auf dem Willen der Parteien, sondern auch auf den durch die abgegebenen Willenserklärungen erweckten, berechtigten Erwartungen (Rn. 2ff.). Bei der Konkretisierung des Erwartungshorizonts eines objektiven Beobachters in der Position des Anlegers konvergieren deshalb die durch das Öffentliche Recht geweckten Vorstellungen über den Rechtsrahmen des Kapitalanlagerechts mit dem, was der Anleger nach Treu und Glauben (§ 242) im konkreten Vertrag vom Anlageberater erwarten darf.57 Im Unterschied zu Innenprovisionen werden dagegen Rückvergütungen58, um die es im Fall geht, dem Anleger von vornherein als Provisionskosten ausgewiesen, sodass zunächst kein falsches Bild über die Wertverhältnisse entstehen kann: Rückvergütungen an Vertriebspartner des Anlagebetreibers sind dabei aus seiner Sicht endgültig verloren. Mit ihnen verbindet sich jedoch ebenfalls die Gefahr, dass ein Interessenkonflikt verschleiert wird, wenn der Anleger nicht erfährt, dass diese Vergütungen gerade an die Bank fließen, die ihm zum Anlagekauf geraten hat (Tz. 23ff.). Auch hier greift also das Transparenzprinzip: Denn aus Sicht des Kunden macht es einen elementaren Unterschied, ob sein Anlageberater an dem Kapitalanlagegeschäft mitverdient oder nicht. Einem unparteiischen Rat des interessenmäßig neutralen Beraters misst er nämlich eine andere Bedeutung bei als einer von Erwerbsinteressen geleiteten Empfehlung. Dass die Bank den Kunden vorliegend nicht über die an sie fließenden Rückvergütungen aufgeklärt hat, bedeutet daher eine Pflichtverletzung. Die Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 gründet regelmäßig auf der Enttäuschung des Anlegervertrauens. Dieses ist aber nicht voraussetzungslos geschützt. In einer anderen Konstellation hatte sich der spätere Anleger an einen freien Anlageberater gewandt und von diesem eine unentgeltliche Beratung in Anspruch genommen. Nachträglich zeigte er sich überrascht, dass der Anlageberater an der empfohlenen Anlage eine vom Emittenten gezahlte Provision verdiente. Der BGH erkennt in einer solchen Konstellation keine Pflichtverletzung des Anlageberaters:59 Denn der Anleger muss mit einer solchen Vergütung rechnen, weil der freie Anlageberater erfahrungsgemäß nur gegen ein Entgelt tätig wird, dieses aber denklogisch nur vom Emittenten stammen kann. Damit musste dem Anleger zugleich klar sein, dass der unentgeltlich erteilte Rat vorliegend nicht unvoreingenommen war. Für diese Betrachtungsweise spricht auch ein Rechtsgedanke aus § 354 Abs. 1 HGB: Ein Kaufmann wird nämlich idR. nicht unentgeltlich tätig. Aus denselben Gründen verletzt eine Bank keine Aufklärungspflicht, wenn sie ihrem Kunden eine Lebensversicherung vermittelt und dafür vom Versicherer eine Provision erhält; denn es liegt auf der Hand, BGHZ 201, 310 = NJW 2014, 2947, Tz. 36f.; zur Bedeutung des Öffentlichen Rechts in diesem Zusammenhang auch: Köndgen JZ 2012, 260, 261: für weitergehende Organisationspflichten des Anlageberaters: Uffmann JZ 2015, 282, 285. 58 Vgl. dazu auch BGH NJW 2012, 2427, Tz. 17; BGH NJW 2010, 2339 – Kickback; BGH NJW 2009, 2298. 59 BGHZ 185, 185 = NJW-RR 2010, 1064, Tz. 11ff.; dazu etwa Heun-Rehn/Lang/Ruf NJW 2014, 2909, 2910. 57

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dass die Bank auf diese Weise an ihrer Vermittlungstätigkeit verdient. Eine allgemeine Pflicht zum Hinweis auf den Provisionsverdienst besteht daher nicht.60 Diese Rechtsprechung wendet der BGH jedoch in der vorliegenden Entscheidung (Rn. 1294) gerade nicht an (Tz. 30): Auch wenn die Bank vorliegend einen unentgeltlichen Rat erteilt, verdient sie aus Sicht des Kunden aus den bereits mit ihm abgeschlossenen Bankgeschäften.61 Der Kunde rechnet daher nicht von vornherein damit, dass die Bank für ihre Beratungsleistung auch vom Betreiber der Kapitalanlage, die sie empfiehlt, honoriert wird. Schuldet der Kunde seiner Bank für eine solche Beratung ein eigenes Entgelt, kann er dieses wegen Verstoßes gegen einen Rechtsgedanken aus § 654 im Wege der Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall zurückfordern. § 654 beinhaltet unmittelbar nur das Verbot der Doppelvertretung im Maklerrecht, wird von der Rechtsprechung jedoch in einem viel umfassenderen Sinne verstanden (Rn. 1264f.): Wer danach die Interessen eines Kunden vertritt, sich aber treuwidrig mit der Vertragsgegenseite des Kunden gemein macht, ist der Provision unwürdig und verliert den Anspruch auf diese.62

4. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens

Verletzt der Aufklärungspflichtige seine Pflicht gegenüber dem Aufklärungsberechtigten, stellt sich im Rahmen der Zurechnungserwägungen regelmäßig die Frage, ob bei pflichtgemäßer Aufklärung ein Schadenseintritt beim Aufklärungsberechtigten verhindert worden wäre. Dies ist bei hypothetischer Betrachtungsweise nur der Fall, wenn der Aufklärungsberechtigte sich in seinem Verhalten an der Information des Aufklärungspflichtigen orientiert (aufklärungsrichtiges Verhalten) und damit den Schaden abgewendet hätte. Da ein solches Verhalten rückblickend praktisch nie beweisbar ist, stellt sich die Frage, wer die Beweislast für diese Frage trägt. Hier greift nach hM. die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens: Danach ist der Aufklärungspflichtige mit dem Beweis belastet, dass der Aufklärungsberechtigte sich bei rechtzeitiger und richtiger Information nicht an der Information orientiert und damit den gegenwärtig eingetretenen Schaden nicht vermieden hätte.63 Dafür sprechen zwei Gründe: Zum einen soll die Erfüllung der Aufklärungspflicht gerade verhindern, dass der Aufklärungsberechtigte nachträglich in die Verlegenheit gerät, den schwierigen Beweis aufklärungsrichtigen Verhaltens führen zu müssen. Zum anderen soll präventiv auf den Aufklärungsverpflichteten eingewirkt werden: Dessen Pflichtverletzung darf nicht deshalb folgenlos bleiben, weil der Aufklärungsberechtigte regelmäßig nur schwer Beweis über das eigene aufklärungsrichtige Verhalten führen kann. BGH NJW 2014, 3360, Tz. 27ff. Dazu auch Sethe AcP 212 (2012) 80, 94. BGH NJW-RR 2012, 411, Tz. 33f. – Phoenix II. Grundlegend: BGHZ 61, 118, 121f. und BGH NJW 2012, 2427, Tz. 27ff., 35; vgl. ferner: Canaris, in: FS Hadding, 2004, S. 3ff.; H. Roth ZHR 154 (1990) 513ff.; kritisch Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 174f. 60 61 62 63

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Lange Zeit hat der BGH diesen Rechtsgedanken bei einer fehlerhaften Anlageberatung jedoch eingeschränkt.64 Denn bei einer Anlageentscheidung steht der Aufklärungsberechtigte häufig vor einem Entscheidungskonflikt, wenn er mehrere Anlagemöglichkeiten hat und die Entscheidung für oder gegen eine Anlage auf oft inkommensurablen Anlegermotiven beruht. Anleger A macht im Schadensersatzprozess geltend, dass er von seiner Bank nicht über eine von dieser erzielte Innenprovision aufgeklärt worden sei (Rn. 1298). Die Bank wendet jedoch ein, A hätte die Anlage auch bei einer Aufdeckung der Innenprovision erworben, weil diese zum Zeitpunkt des Erwerbs eine hohe Rendite und steuerliche Abschreibungsvorteile versprach.

Das Problem des Entscheidungskonflikts begegnet auch bei rechtsanwaltlichen (Rn. 1044, 1050) und ärztlichen Beratungsfehlern (Rn. 1081). Der IX. Senat des BGH wendet die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bei rechtsanwaltlichen Beratungsfehlern in Entscheidungskonflikten nicht an, weil es dort an einem Erfahrungssatz für die (hypothetische) Verhaltensweise des Aufklärungsberechtigten fehlt. In der Tat erlauben rationale bzw. ökonomische Kriterien keinen Schluss darauf, wie sich der Berechtigte in einem Entscheidungskonflikt auf eine ordnungsgemäße Aufklärung hin verhalten hätte (vgl. auch Rn. 1324). Kann die Bank demnach beweisen, dass für den Kunden im Zeitpunkt der Anlageentscheidung mindestens zwei zu ergreifende Handlungsalternativen bestanden, wäre der der zugrunde liegende Erfahrungssatz erschüttert und die Vermutung mit diesem hinfällig. Dem Gegenargument folgt jetzt der XI. BGH-Senat. Danach darf es dem Aufklärungsverpflichteten nicht zugutekommen, wenn der Kunde vor einem Entscheidungskonflikt steht, weil sonst kein Anreiz zur Erfüllung der Aufklärungspflicht bestünde. Gerade der in einem Entscheidungskonflikt befindliche Kunde erscheine deshalb besonders schutzwürdig, sodass die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens auch zu seinen Gunsten greifen müsse.65 Beide Argumente setzen auf unterschiedlichen Ebenen an: Der IX. Senat stellt auf die Voraussetzungen eines Erfahrungssatzes über das hypothetische Verhalten des Aufklärungsberechtigten ab; der XI. Senat auf einen davon unabhängigen Rechtsgedanken über die Verteilung der Beweislast. Dieser Unterscheid wird aus dem Umstand erklärbar, dass der IX. Senat die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens systematisch im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität einordnet, der XI. Senat aber im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität.66

64 Zuletzt BGH NJW 2011, 3227, Tz. 33f.; vgl. auch BGH NJW 1994, 2541, 2542; NJW 1997, 2171; NJW-RR 1998, 1271, 1272; BGHZ 151, 5 = NJW 2002, 2703. 65 BGHZ 193, 159 =NJW 2012, 2427, Tz. 35f.; bereits zuvor Canaris, in: FS Hadding, 2004, S. 3, 23; H. Roth ZHR 154 (1990) 513, 532; ders. JZ 2015, 1081, 1083; zustimmend jetzt auch M. Schwab NJW 2012, 3274ff. 66 H. Roth JZ 2015, 1081, 1084 im Anschluss an BGHZ 193, 159, Tz. 39 (XI. Senat) undBGH NJW 2012, 2435, Tz. 36 (IX. Senat); für die systematische Stellung im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität etwa Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971, S. 145.

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Der Unterschied zwischen beiden liegt in den Anforderungen an das Beweismaß: Bei der haftungsbegründenden Kausalität geht es um die Verursachung der Rechtsgutsverletzung (Grundschaden; in § 823 Abs. 1: die Verursachung der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts). Über diese ist der volle Beweis zur Überzeugung des Gerichts zu erbringen (§ 286 ZPO). Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass der XI. Senat auf ein normatives Argument abstellt: Die besondere Schutzwürdigkeit des Aufklärungsberechtigten. Folgt man dem, handelt es sich um eine echte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, weil die Beweislast aufgrund eines ungeschriebenen Rechtssatzes zu Lasten der Bank umgekehrt wird. Die haftungsausfüllende Kausalität bezeichnet hingegen die Verursachung eines Vermögenschadens iSd. §§ 249ff. durch die bereits entstandende Rechtsgutsverletzung. Hier eröffnet § 287 ZPO die Möglichkeit von Beweiserleichterungen. Folgt man mit dem IX. Senat dieser Linie, handelt es sich bei der „Vermutung“ aufklärungsrichtigen Verhaltens eher um einen Anscheinsbeweis, der mit dem zugrunde liegenden Erfahrungssatz steht oder fällt (Rn. 1072). Bei Vertragspflichtverletzungen bezieht sich die haftungsbegründende Kausalität aber auf die Verursachung einer Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 Satz 1, die haftungsausfüllende auf die Verursachung eines Vermögensschadens nach §§ 249ff. durch die Pflichtverletzung.

Mit dem IX. Senat würde man das vorliegende Problem daher eher im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität einordnen. Dennoch überzeugt das der Rechtsprechung des XI. Senats zugrunde liegende Argument. Denn durch die Verteilung der Beweislast muss ein Anreiz geschaffen werden, auch bei Entscheidungskonflikten keine Aufklärungspflichten zu verletzen. Ein anderes Verständnis führte zur Sanktionslosigkeit der Pflichtverletzung und damit zur weitgehenden Wirkungslosigkeit der Aufklärungspflichten in komplexen Entscheidungssituationen. So begründet die „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ in der Tat eine echte Vermutung zugunsten des Aufklärungsberechtigten und damit eine Umkehr der Beweislast zu Lasten des Aufklärungspflichtigen. Diese wirkt sich im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität aus. 5. Die Prospekthaftung

Der Abschluss eines stillschweigenden Anlageberatungsvertrages setzt denklogisch voraus, dass sich der Anlageberater und der Anleger persönlich begegnen und miteinander Informationen ausgetauscht haben. Nur so kann aus Sicht des Anlegers nach §§ 133, 157 überhaupt der Eindruck entstehen, dass die andere Seite ihm gegenüber eine rechtliche Bindung eingehen will. Dies kommt in vielen Fällen nicht in Betracht. Ein Beispiel liefert die Auskunft eines Experten ad incertas personas, also Auskünfte an eine Vielzahl unbekannter, anonymisierter Anleger. Diese wollen kaum einen Anlageberatungsvertrag mit dem Auskunfterteilenden abschließen, verlassen sich dennoch nicht minder auf dessen Expertenstatus. Den praktisch bedeutsamsten Fall eines einschlägigen Vertrauensschutzes in diesen Fällen stellt die Prospekthaftung dar. Regelmäßig erstellen Experten in Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Verkäufers eine schriftlich verfasste Anlageinformation. Fehler in dieser begründen daher eine Haftung aus culpa in contrahendo mit der Besonderheit, dass nicht nur die

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Verfasser des Textes haften, sondern alle Personen, die aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise typischerweise Verantwortung für den Inhalt des Prospekts übernehmen. Im nachfolgenden Fall erweitert der BGH die Haftung dabei in bemerkenswerter Weise: (BGH 17.11.2011 – III ZR 103/10 = BGHZ 191, 310 = NJW 2012, 758) A erwarb Anteile an der V-KG und nimmt wegen fehlerhafter Auskunft den P in Anspruch, der bis zu seiner Emeritierung einen staatsrechtlichen Lehrstuhl an einer deutschen Universität innehatte und vorübergehend als Bundesminister tätig war. P saß im Beirat der X-AG, die zugleich Komplementärin und Betreiberin der V-KG war. In dieser Eigenschaft äußerte sich P in einer dem Anlageprospekt beigefügten Prospektinformation über die V wie folgt: „Wir wissen, wie wichtig es heute für jeden Menschen ist, frühzeitig eine private Vorsorge anzustreben. Die richtige Entscheidung zu fällen, ist nicht leicht und bedarf einer gründlichen Prüfung mit allen fachlichen und gesetzlichen Aspekten. Sicherheit und Vertrauen sind auf dem Kapitalmarkt keine Selbstverständlichkeit mehr. Nach Finanzskandalen und unsicheren Börsenzeiten erhält die Verlässlichkeit einer Anlage einen neuen Stellenwert für den Verbraucher. Wir verstehen uns als kompetenter Wegbegleiter unserer Unternehmen gerade im Hinblick auf die Förderung der Kontakte mit Politik und Wirtschaft. Dabei setzen wir uns für die Realisierung der Ziele der Geschäftsleitung ein.“ In zwei Interviews, die in Fachzeitschriften für Finanzanlagen abgedruckt wurden und in Abschrift dem Prospekt beigefügt waren, berühmte sich P, auf das Management der V Einfluss im Hinblick auf die Anlagesicherheit genommen zu haben. Nachdem A Anteile an der V erworben hatte, untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der V ihre geschäftliche Tätigkeit nach § 32 KWG, weil V erlaubnispflichtige Finanzkommissionsgeschäfte betrieb. Nachdem ein Antrag der V auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor dem Verwaltungsgericht scheitert, wird über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. A verlangt nun von P Ersatz iHd. für den Gesellschafterbeitritt bei V aufgewendeten Mittel. In Betracht kommt ein Anspruch des A gegen P aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 (Prospekthaftung).

Im Anschluss an die Regelungen der §§ 21, 22 WpPG (vormals §§ 44, 45 BörsG aF.) entwickelte die Rechtsprechung auf der Grundlage der culpa in contrahendo eine sog. Prospekthaftung im engeren Sinne. Deren Besonderheit besteht darin, dass dem Anleger nicht nur Personen haften, mit denen er Vertragsverhandlungen führt (dann Prospekthaftung im weiteren Sinne), sondern auch sonstige Personen, die für den Prospekt verantwortlich sind.67 Diese Haftung erfasst traditionell drei Gruppen von Verantwortlichen:68 die Gründer und Initiatoren des Anlageprojekts (Tz. 17), die Hintermänner, die besonderen Einfluss auf das Projekt ausüben (Tz. 17f.) und die beruflichen Sachkenner.69 67 Vgl. die beiden klassischen Schriften jeweils passim: H.-D. Assmann, Prospekthaftung als Haftung für die Verletzung kapitalmarktbezogener Informationsverkehrspflichten nach deutschem und US-amerikanischem Recht, 1985; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975; ferner Ellenberger, Prospekthaftung im Wertpapierhandel, 2001; MünchKomm/Emmerich § 311 Rn. 151ff.; Kersting, Die Dritthaftung für Informationen im Bürgerlichen Recht, 2007, S. 331ff. 68 Dazu auch Klöhn WM 2012, 97ff. 69 Überblick bei MünchKomm/Emmerich § 311 Rn. 159.

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Diese letzte Gruppe beinhaltet typischerweise Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer. Die vorliegende Entscheidung erweitert diesen Kreis um diejenigen Personen, die im Prospekt durch ihre allgemein anerkannte und hervorgehobene berufliche und wirtschaftliche Stellung eine Garantenstellung einnehmen (Tz. 19). Der Zweck der Prospekthaftung liegt dabei im Vertrauensschutz der Anleger, die auf eine marktbezogene schriftliche Erklärung mit erheblichen Angaben für die Beurteilung einer Kapitalanlage (so Tz. 21) in besonderer Weise vertrauen. Die Besonderheit der Prospekthaftung besteht dabei darin, dass dieses Vertrauen sich anders als im Rahmen von Vertragsverhandlungen nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 nicht auf eine bestimmte Person richtet, die dem Anleger gegenübertritt, sondern typischerweise auf die dem Anleger persönlich unbekannten Prospektverantwortlichen. Daraus erklärt sich der für die Prospekthaftung charakteristische, typisierte Vertrauensschutz. Der Anleger, der einem Prospekt vertraut, macht sich nämlich – mangels Kenntnis der Hintergründe seiner Entstehung – nur allgemeine Vorstellungen darüber, wer für dessen Inhalt verantwortlich ist und wer ihm daher bei Unrichtigkeit unter den Voraussetzungen eines Vertretenmüssens verantwortlich ist. Die Rechtsprechung konkretisiert diese allgemeinen Vorstellungen nach dem Maßstab von Treu und Glauben (§ 242) zu einer Haftungsverantwortung der drei bezeichneten Personengruppen. Deshalb haften bei Fehlern nicht nur die Verfasser des Textes (berufliche Sachkenner). Denn diese werden ihrerseits ja auf Veranlassung der Verkäuferseite tätig (Initiatoren und Hintermänner). Dabei leuchtet schon mit systematischem Blick auf § 278 Satz 1 ein, dass auch diese nicht deshalb von der Haftungsverantwortung frei sind, weil sie den Prospekt von Experten verfertigen lassen. Vorliegend erweitert der BGH die Verantwortung auf einen Prominenten, der sein Ansehen für eine Anlage in die Waagschale wirft. Im Schrifttum wird die Haftungserweiterung kritisiert, weil gerade bei dieser Personengruppe schwer abzugrenzen sei, wann die Verantwortung beginne und wo sie ende.70 Dennoch überzeugt das Urteil: Zwar besteht bei Prominentenäußerungen der vorliegenden Art eine Besonderheit darin, dass diese oft wenig spezifisch auf Details der Anlage und ihrer Risiken eingehen, sondern nur allgemein eine positive Anlagestimmung erzeugen. Doch hindert dies nicht, den Prominenten – wie vorliegend – für elementare Fehler derselben einstehen zu lassen. Denn wer mit seinem guten Ruf Werbung treibt, muss sich mindestens vergewissern, dass die beworbene Anlage auch legaler Weise betrieben werden darf. Ein weiteres Problem, das sich vorliegend nicht stellt, kann in der Frage liegen, ob das Publikum sich ernsthaft auf den Prominenten verlässt oder ob dessen Äußerungen – mangels erkennbarer Fachkenntnis – nur als „marktschreierische Anpreisungen“ aufnimmt. Bei Anlageentscheidungen handelt es sich allerdings um eine Vertrauenssache, weil der Investor dem Betreiber der Anlage einen Teil seines Vermögens zur Erwirtschaftung einer Rendite überlässt (Rn. 1287). Dies lässt regelmäßig wenig Raum für Scherze und sons70

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tige Unverbindlichkeiten, wenn der Prominente beim Publikum ein gutes Wort für den Betreiber einlegt. Wer in diesem Bereich der Haftung für Prospektfehler entgehen will, muss auf Äußerungen (und die damit verbundenen Einkünfte) verzichten. Die Richtigkeit dieser Überlegung zeigt sich auch an der präventiven Wirkung der Haftung: Wären werbende Engagements der vorliegenden Art verantwortungsfrei, bliebe das Publikum bei einer Vertrauenswerbung sympathischer oder seriös erscheinender Prominenten weitgehend ungeschützt. Vorliegend stellt sich deshalb die Frage, ob zwischen dem Anleger und dem Beiratsmitglied ein Sonderrechtsverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 bzw. Abs. 3 Satz 1 oder 2 zustande gekommen ist. Der BGH nennt keine der beiden Normen; die Entscheidung zwischen ihnen kann im Grunde auch offen bleiben. Denn einerseits erinnert der Fall der Prospektverantwortlichkeit an die sog. Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 Satz 2 (Rn. 1326), weil ein Nichtvertragspartner gegenüber der Vertragsgegenseite in besonderer Weise Vertrauen für sich in Anspruch nimmt. In Betracht kommt jedoch auch die Entstehung eines sonstigen vorvertraglichen Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 2 Nr. 3, weil der Prospekt ja der Anbahnung und dem Abschluss des Vertrages dient. Das Vertrauensverhältnis setzt vorliegend einen Prospekt voraus, worunter das Gericht eine marktbezogene, schriftliche Erklärung versteht, die für die Beurteilung einer Kapitalanlage erhebliche Angaben enthält oder dies zumindest vorgibt (Tz. 21). Probleme bereiten die Interviewäußerungen des Verantwortlichen, die dem Prospektbegriff im Wortsinne sicher nicht unterfallen. Im Übrigen ist der Prospektbegriff in seinen Voraussetzungen umstritten.71 Dies darf jedoch nicht den Blick auf den Haftungsgrund aus culpa in contrahendo selbst verstellen: Dieser liegt darin, dass der Verantwortliche innerhalb und außerhalb eines klassischen Prospekts persönliches Vertrauen für eine Kapitalanlage einwirbt. So stellt auch der BGH darauf ab, ob eine Aussage des Prospektverantwortlichen über eine für die Anlageentscheidung erhebliche Information vorliegt. Für diese kann es vorliegend nicht darauf ankommen, wie diese formal bzw. äußerlich gestaltet ist (Tz. 22ff.). Die Erheblichkeit ist hier aber im Hinblick auf die Erklärung des Verantwortlichen als Beiratsmitglied und die dem Prospekt beigefügten Abschriften zu den Interviews zu bejahen. Die besondere Verantwortlichkeit iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 3 gründet hier auf der fachlich und gesellschaftlich herausragenden Stellung des in Anspruch Genommenen und den damit in der Öffentlichkeit verbundenen Erwartungen an die Seriosität und Belastbarkeit seiner Aussagen über die Kapitalanlage (Tz. 28). Deshalb ist ein Sonderrechtsverhältnis entstanden. Die Schutzpflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 besteht wiederum regelmäßig darin, dass der Verantwortliche das in ihn gesetzte Vertrauen der Anleger enttäuscht hat. Fraglich ist vorliegend zunächst, in welchem Umfang das Anle71 Der Prospektbegriff selbst ist in seinen Voraussetzungen umstritten: BGHZ 177, 25 = JZ 2009, 155, Tz. 11; Assmann, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 6 Rn. 66ff.

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gervertrauen überhaupt geschützt ist. Die vom Beiratsmitglied abgegebene „Prospektinformation“ beinhaltet – wie bereits ausgeführt – zunächst nur allgemeine Anpreisungen ohne Tatsachenkern (Tz. 26). Auf dieser Grundlage dürfte ein Anleger sicherlich nicht Einkünfte in bestimmter Höhe oder besonders ausgestaltete Desinvestitionsrechte erwarten. Dennoch ist das vom Beiratsmitglied gezeichnete positive Bild der Anlage nicht bedeutungslos (Tz. 31). Angesichts seiner herausgehobenen Stellung wird der Anleger mit dessen besonderer persönlicher Zuverlässigkeit rechnen (Tz. 35) und deshalb davon ausgehen, dass das Gesamtprojekt nicht an so elementaren rechtlichen Hürden scheitert, wie hier geschehen (Tz. 38). Eine Besonderheit der Prospekthaftungsfälle besteht auch darin, dass die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und haftungsbegründendem Schaden aufgrund der erzeugten Anlagestimmung vermutet wird: Der Prospekt begründet erfahrungsgemäß eine allgemeine Geneigtheit des Publikums zur Investition in die Anlage. Dies gilt für einen begrenzten Zeitraum nach seiner Ausgabe, wobei es nicht darauf ankommt, dass der Geschädigte den Prospekt tatsächlich gelesen hat.72 Deshalb spricht bei einem Prospektverantwortlichen ein Erfahrungssatz und damit ein Anscheinsbeweis dafür, dass er den eingetretenen Schaden beim Kapitalanleger verursacht hat. Tritt vorliegend ein fahrlässiges Handeln des Beiratsmitgliedes hinzu, ist der Anspruch begründet.

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6. Grenzen des Anlegerschutzes durch Aufklärung und Information

Bei bestimmten Kapitalanlagen sind den Möglichkeiten, einen Anleger durch Informationen zu schützen, schlicht Grenzen gesetzt. Dabei handelt es sich etwa um Fälle, in denen die finanzmathematischen Strukturen der Anlage für den nicht Eingeweihten nicht mehr durchschaubar sind und deshalb die Gefahr besteht, dass er trotz einer vollständigen Informierung durch die Gegenseite von dieser übervorteilt wird. In diesen Fällen erweitert die Rechtsprechung die Informationspflicht: Der Anlagevertreiber muss den Anleger praktisch darüber aufklären, dass er ein schlechtes Geschäft macht. Weil aber auf eine solche Aufklärung hin nie ein Geschäft geschlossen würde, wirken diese „Aufklärungspflichten“ wie verdeckte inhaltliche Verbote: (BGH 22.3.2011 – XI ZR 33/10 = BGHZ 189, 13 = NJW 2011, 1949 – CMS Spread Ladder Swap)73 Der im Bereich der Waschraumhygiene tätige Unternehmer U schließt zu Zwecken der Zinssatzoptimierung mit der Bank B einen sog. Spread Ladder Swap über einen Referenzwert von 1 Mio. € ab. Bei den Verhandlungen mit B ist eine bei U beschäftigte Diplomvolkswirtin für diesen anwesend, die sich jedoch mit der Anlageform überfordert zeigte. B verpflichtet sich nämlich in der Vereinbarung zur Zahlung eines variablen Zinssatzes bezogen auf den 3-Monats-EURIBOR (Zinssatz für dreimonatige Festgeldanlagen im Interbankengeschäft), während U Zinsleistungen iHv. 5,29% an B zahlt. Diese VereinbaRGZ 80, 196, 205. Ähnlich zu einem weiteren Zinssatz-Swap: BGH ZIP 2016, 961; zu den positiven ökonomischen Funktion des Swapgeschäfts: Lehmann NJW 2016, 2913ff.

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rung ist für U bei steigendem Zinssatz für kurzfristige Darlehen nach dem 3-Monats-EURIBOR vorteilhaft, wenn sich also die Spanne (Spread) zu den vereinbarten 5,29% verringert. Andererseits ist das Risiko nach oben nicht begrenzt. Das Zinssatzrisiko der B ist dagegen durch einen sog. Floor eingeschränkt: Die variablen Zinsen werden nämlich bei einem von den Parteien vereinbarten Mindest-Spread gekappt. Die nach Abschluss der Vereinbarung eintretende Zinsentwicklung führt zunächst zu einer Zahlungspflicht des U. Dieser verlangt später sämtliche Zahlungen an B (ca. 500.000 €) von dieser zurück. In Betracht kommt ein Anspruch des U gegen B aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 gerichtet auf Rückgewähr geleisteter Zahlungen und Freistellung von allen künftigen Verpflichtungen aus der Swap-Vereinbarung (vgl. zu diesem Inhalt des Anspruchs aus c.i.c. bereits Rn. 677f.).

Der BGH geht vom Abschluss eines Anlageberatungsvertrags zwischen Bank und Kunde aus, der dem Vertrieb des Swapvertrags vorgelagert ist (Tz. 19; dazu bereits oben Rn. 1291). Gegenstand der Beratungsverpflichtung ist die anlegerund objektgerechte Beratung (Tz. 20) (vgl. auch § 31 Abs. 4a WpHG).74 Mit dem Erfordernis einer anlegergerechten Beratung trägt der BGH dabei dem Wissensstand, den konkreten Zielen und der Risikobereitschaft des Anlegers Rechnung (Tz. 20). Problematisch erscheint daher, dass die Bank die Risikobereitschaft des Kunden nicht ermittelt hat. Denn Swap-Vereinbarungen der vorliegenden Art sieht der BGH zu Recht als spekulative Wetten auf schwer vorhersehbare Marktentwicklungen an (Tz. 21), deren hohe Ausfallrisiken ein Kunde mit dem vorliegenden Profil regelmäßig nicht eingehen will (Tz. 24). Problematisch erscheint allerdings, dass der Anleger hier durch eine Diplomvolkswirtin bei den Vertragsverhandlungen vertreten ist. Aus Sicht des BGH spielen solche beruflichen Qualifikationen keine Rolle, wenn nicht konkret geklärt ist, ob ihr Inhaber gerade im Hinblick auf das betroffene Finanzprodukt einschlägige Kenntnisse erworben hat (Tz. 25). Dies geht gerade mit Blick auf § 278 Satz 1 überaus weit: Denn wenn der Anleger eine für ihn selbst undurchschaubare Investition plant, muss er wohl dafür Sorge tragen, dass bei den Verhandlungen eine Person anwesend ist, die die Informationen der Bank versteht. Der BGH nimmt jedoch auch dem unternehmerischen Anleger diese Sorge ab, indem er der Bank eine Beratungspflicht aufbürdet, die bemerkenswert weit geht. Denn dem Gericht erscheint die Beratung auch als nicht objektgerecht, dh. dem Anlageobjekt nicht adäquat: Hier genüge nicht allein die mathematische Formalisierung der Risiken: „Vielmehr muss die beratende Bank dem Kunden in verständlicher und nicht verharmlosender Weise insbesondere klar vor Augen führen, dass das für ihn nach oben nicht begrenzte Verlustrisiko nicht nur ein ‚theoretisches‘ ist, sondern abhängig von der Entwicklung des ‚Spreads‘ real und ruinös sein kann“ (Tz. 29). Es versteht sich, dass ein Anleger, der als Nichtfinanzmann in dieser Weise beraten würde, das Geschäft wohl im Zweifel nicht abschließen würde. Dass der BGH die Bank also zu einer Aufklärung verpflichtet, die praktisch zu einem Nichtabschluss des Geschäfts führt, erscheint nicht als Zufall. Denn den zentralen Vorwurf sieht der BGH darin, 74

Dazu etwa Sethe AcP 212 (2012) 80, 94f.

II. Der Anlageberatungsvertrag

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dass das Chance-Risiko-Profil zwischen den Teilnehmern der Zinswette unausgewogen sei: Während sich das Risiko des Kunden unbegrenzt gestalte, sei das Risiko der Bank ja durch den „Floor“ gekappt (Tz. 29). Ferner musste die Bank nach Ansicht des Gerichts darüber belehren, dass der Vertrag zum Zeitpunkt des Abschlusses für den Kunden einen sog. negativen Marktwert von 4% der Bezugssumme (= 40.000 €) hatte, weil die Märkte eine für den Kunden ungünstige Entwicklung des Spread antizipierten (Tz. 31). Weil die Bank anlässlich dieser Vertragsgestaltung unmittelbar von den Verlusten des Kunden profitiert, befinde sie sich in einem schweren Interessenkonflikt (Tz. 34). Es besteht so die Gefahr, dass sie ihre Anlageempfehlung nicht allein im Kundeninteresse abgibt (Tz. 36). Im Grunde verpflichtet der BGH die Bank dazu, den Kunden darüber zu belehren, dass er ein schlechtes Geschäft mit ihr macht. Im Schrifttum ist darauf hingewiesen worden, dass die Aufklärungspflichten deutlich überspannt würden, da kein sonstiger Verkäufer den Käufer über ein schlechtes Verhandlungsergebnis aufklären müsse.75 Der BGH versucht diese weitgehende Aufklärungspflicht vorliegend damit zu rechtfertigen, dass die Bank kein eigenes Produkt vertreibe, sondern eine von dritter Seite emittierte Anlage. Daher müsse der Vertragspartner nicht mit einer Übervorteilung bei den Verhandlungen rechnen, wie etwa beim Vertrieb eines eigenen Produkts (Tz. 38). Wie bereits ausgeführt, zwingt der BGH die Bank dazu, den Kunden darauf zu stoßen, dass er hier ein schlechtes Geschäft mit ihr macht. Hinter dieser Belehrungspflicht verbirgt sich letztlich ein unterhalb der Grenze des § 138 Abs. 1 liegendes, verdecktes inhaltliches Verbot. Denn für die Bank existiert kein Weg zu einem sicheren Vertragsschluss über die Anlage: Entweder warnt sie den Kunden vor den ihm drohenden Nachteilen und wird dann erfahrungsgemäß nicht mit ihm kontrahieren können oder sie verzichtet auf die Warnung, muss aber dann eine Rückabwicklung des Vertrages auf der Grundlage der c.i.c. hinnehmen. Solche verdeckten inhaltlichen Verbote sind auch aus dem Bereich des Vertriebs von Warenterminoptionen bekannt, bei denen der Kunde schon einen schlechten Schnitt macht, wenn der Vermittler eine Provision auf den Optionspreis aufschlägt. Denn im Optionspreis schlagen sich die Gewinnerwartungen der Märkte nieder; erhöht sich die vom Kunden aufzubringende Gegenleistung um die Provisionsforderung, hat er daher – gemessen am Marktwert – zu viel für die Option gezahlt. Hier verpflichtet die Rechtsprechung den Vermittler dazu, den Kunden auf seine praktische Chancenlosigkeit hinzuweisen.76 Da nach einem solchen Hinweis wohl nie ein Geschäft zustande käme, richtet sich die Aufklärungspflicht auch hier gegen das Zustandekommen des Vertrags.

75 Klöhn ZIP 2011, 762, 763; Lehmann JZ 2011, 749, 750; Weller ZBB 2011, 191, 194f.; aA. Sethe AcP 212 (2012) 80, 97f. 76 BGH, Urt. v. 20.6.2006 – XI ZR 305/05 (Juris), Tz. 16; dazu Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 383a, 380bff.

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So wird die Bank vorliegend vor allem deshalb haftbar, weil sie mit dem Kunden keine „ehrliche Wette“ eingeht.77 In den ältesten Blue Sky-Laws der amerikanischen Bundesstaaten (Rn. 1287) war in vergleichbarer Weise ein sog. Merit Review vorgesehen: Bei der Registrierung der Kapitalanlage wurde diese auf ihre Werthaltigkeit und preisliche Gerechtigkeit kontrolliert.78 Preiskontrollen dieser Art sind ein deutliches Zeichen für ein Marktversagen: Bei funktionierendem Wettbewerb bleibt die (gerechte) Preisbildung dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Vorliegend bedarf sie aber offenkundig einer Kontrolle. Das Informationsmodell stößt dabei an seine Grenzen.79 Komplizierte Prospekte stellen gerade ferner eine Möglichkeit dar, dem Anleger Risiken unterzuschieben, weil er den Prospekt nicht in vollem Umfang erfassen kann. Hier muss der Anlegerschutz daher neue Wege außerhalb des Prospektes beschreiten. Die §§ 164, 166, 306 KAGB verpflichten den Emittenten nun zu sog. wesentlichen Anlegerinformationen. Dabei handelt es sich um eine Kurzfassung des zu erstellenden Prospekts, in dem die wesentlichen Elemente aufgeführt sind. Eine ähnliche Regelung trifft § 31 Abs. 3a WpHG, wonach dem Kunden im Falle einer Anlageberatung rechtzeitig vor dem Abschluss ein kurzes und leicht verständliches Informationsblatt über jedes Finanzinstrument zur Verfügung zu stellen ist. Ein solcher „Prospekt zum Prospekt“ soll die Komplexität der Informationen aus Anlegersicht reduzieren und auf lesenswerte Details des Hauptprospektes aufmerksam machen. Der BGH setzt in diesen Fällen einen Anreiz, sich bei einem Anlageberater abzusichern. Dieser kann den Anleger im Einzelfall nicht darauf verweisen, ein Risiko sei in einem ihm überlassenen Prospekt über das Anlageobjekt erwähnt worden: (BGH 8.7.2010 – III ZR 249/09 = BGHZ 186, 152 = NJW 2010, 3292) A wendet sich im Juli 1999 an den Anlagevermittler V mit dem Anliegen, ihm eine steuersparende Anlage zu empfehlen, die zugleich eine sichere Altersvorsorge gewährleiste. V rät A zum Erwerb einer Beteiligung an der E-GmbH & Co. KG, einem geschlossenen Immobilienfonds, dem eine Büroturm-Immobilie gehört. A finanziert den Erwerb (Kaufpreis: 75.000 €) aus dem Verkauf eines ererbten Hausgrundstücks. Nur gerät die E in der Folgezeit wegen rückläufiger Mieteinnahmen in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, sodass letztlich am 17.2.2006 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet wird. Am 1.1.2004 erkannte A die Schwierigkeiten der E und erhob kurze Zeit darauf Klage gegen V. A verlangt von V Schadensersatz iHd. 75.000 € zuzüglich der Abschlusskosten und entgangener, anderweitig zu erzielender Zinseinnahmen. V weist darauf hin, dass A ein Emissionsprospekt über die Anlage ausgehändigt worden sei, in dem die Gefahr eines Totalausfalls, wie im vorliegenden Fall eingetreten, beschrieben worden sei. A räumt freimütig ein, den Prospekt nicht gelesen zu haben. V weist ferner darauf hin, dass eine steuersparende und zugleich vollständig sichere Anlage nicht existiere. So bereits ausdrücklich Lehmann JZ 2011, 749, 751. Oechsler, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd. II, 2007, 4. Kapitel, Rn. 6. 79 Zu diesen Zusammenhängen auch Grigoleit ZHR 177 (2013) 264ff.; Clouth ZHR 177 (2013), 212ff. 77 78

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In Betracht kommt ein Anspruch des A gegen V aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, gerichtet auf das negative Interesse. Fraglich ist, ob V eine Aufklärungspflicht iSd. § 241 Abs. 2 verletzt hat.

Der BGH geht abermals vom Abschluss eines Anlageberatungsvertrags aus (Tz. 10). Ganz unproblematisch ist dies nicht, da der Anleger mit einem Anlagevermittler und keinem Wertpapierdienstleistungsunternehmen (§ 2 Abs. 4 WpHG) kontrahiert, mit dem regelmäßig gerade kein Beratungsvertrag zustande kommt. In Betracht käme hier auch der Abschluss eines sog. Anlagevermittlungsvertrags ohne Beratungs- und Aufklärungspflichten.80 Im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 fällt indes erheblich ins Gewicht, dass sich der Anleger an den Vermittler mit der Bitte um konkreten Rat für eine Anlageform gewandt hat. Lässt sich der Vermittler darauf ein, dürfte er regelmäßig mit Rechtsbindungswillen auch hinsichtlich der Begründung von Beratungspflichten handeln, da er die wirtschaftliche Bedeutung seiner Auskünfte für den Anleger erkennen muss (Rn. 1296). Aus dem Vertrag über die Anlageberatung ist der Berater zu einer anlegerund objektgerechten Beratung verpflichtet (vgl. bereits oben Rn. 1291, 1307). Vorliegend bereitet vor allem die anlegergerechte Beratung Schwierigkeiten, denn diese muss auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnittenen sein (Tz. 18; nun § 31 Abs. 4a WpHG). Der BGH geht vorliegend davon aus, dass die vom Kunden gewünschte sichere Anlage nicht durch eine unternehmerische Beteiligung erreicht werden konnte, wenn auch das Risiko eines Totalausfalls bei einem Immobilienfonds wegen der diesem regelmäßig gehörenden Realwerte nicht so hoch sei wie bei anderen Beteiligungen (Tz. 18). Vor allem auch auf den möglichen Konflikt in den Zielsetzungen des Anlegers – Steuerersparnis einerseits und Sicherheit andererseits – habe der Berater den Anleger hinweisen müssen (Tz. 19). Es genügt mit anderen Worten nicht, wenn der zur Anlageberatung Verpflichtete das im Zielkonflikt liegende Dilemma nur nachträglich zur eigenen Entschuldigung vorträgt. Er muss den Anleger vielmehr vor seiner Entscheidung auf die schwierige Vereinbarkeit beider Ziele aufmerksam machen, auch wenn dies seinem Provisionsverdienst entgegenstehen kann. Der BGH geht – wohl mit Bedacht – überhaupt nicht auf die Möglichkeit ein, dass der Anlagevermittler hier seinen Pflichten durch die im Emissionsprospekt erwähnten Warnungen genügt haben könnte. Wie fern diese Möglichkeit aus seiner Sicht liegt, zeigt sich nämlich in einem anderen Zusammenhang: Vorliegender Fall stellte auch die Frage nach dem Verjährungseintritt. Der Lauf der dreijährigen Regelverjährung (§ 195) könnte hier nämlich nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 bereits Ende 1999 begonnen haben, wenn der Anleger sich im Juli 1999 in grob fahrlässiger Unkenntnis hinsichtlich der den Anspruch begründenden Umstände befand. Zu diesem Zeitpunkt war ihm nämlich der Emissionsprospekt überlassen worden, in dem das vorliegend eingetretene Risiko be80

Vgl. dazu nur Sethe AcP 212 (2012) 80, 101ff.

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schrieben war. Der BGH bejaht die Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit allerdings nur, wenn der Verkehrsteilnehmer ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt oder das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem Verkehrsteilnehmer hätte einleuchten müssen (Tz. 28). Die unterlassene Prospektlektüre begründet diesen Vorwurf nicht. Die hier im Original wiedergegebene Passage spricht für sich: „Die Prospektangaben, die notwendig allgemein gehalten sind und deren Detailfülle, angereichert mit volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken, viele Anleger von einer näheren Lektüre abhält, treten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund“ (Tz. 33).

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Der Verjährungsbeginn lag daher im Fall deutlich später. Aus diesen Überlegungen lässt sich erst recht ableiten, dass ein zur Anlageberatung Verpflichteter sich gegenüber dem Anleger nie auf den Inhalt eines allgemeinen Emissionsprospekts berufen kann. Seine Pflicht besteht gerade darin, den Anleger individuell auf die mit einer Anlage verbundenen Risiken aufmerksam zu machen.81 Damit eröffnet sich für den Anleger die Möglichkeit, den Gefahren eines für ihn nicht erfassbaren Prospektes durch Einschaltung eines Anlageberaters zu entgehen. Im Einzelfall stellt sich regelmäßig die Frage, wie weit die Pflichten des Anlageberaters reichen. Der Kunde wird wohl erwarten dürfen, dass dem Berater die für die Anlageentscheidung zentralen Informationen zur Verfügung stehen.82 So sieht der BGH den Berater auch als verpflichtet an, Rechtsänderungen nachzuvollziehen, wenn über diese in der Wirtschaftspresse berichtet wird und diese für die Anlageentscheidung bedeutsam sind.83 Im Übrigen unterliegen die Erwartungen des Kunden aber auch dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242): So darf er bspw. nicht davon ausgehen, dass der Anlageberater über die Interna einer Anlagegesellschaft genauso gut informiert ist wie deren Geschäftsführer.84 Wie weit das Kundenvertrauen reicht, bestimmt der Berater aber selbst durch sein Auftreten und das Vertrauen, das er dabei weckt. III. Die Auskunftshaftung 1. § 675 Abs. 2 und grundsätzliche Überlegungen zur Auskunftshaftung

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Nach § 675 Abs. 2 ist derjenige, der einem anderen einen Rat oder eine Auskunft erteilt, prinzipiell nicht zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstehenden Schadens verantwortlich. Die Norm geht auf römisch-rechtliche Ursprünge zurück und erscheint in ihrer historischen Zweck81 82 83 84

Einsele JZ 2011, 103, 104. Sethe AcP 212 (2012) 80, 95. BGH NJW 2012, 380, Tz. 18. BGH NJW 2012, 380, Tz. 17.

III. Die Auskunftshaftung

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setzung heute weitgehend verfehlt.85 Sie greift deshalb nach ganz hM. nicht, wenn eine Seite von der anderen eine Auskunft erbittet und „auf diese entscheidende Maßnahmen, insbesondere eine Vermögensverschiebung, vornehmen will und dies dem, der die Auskunft erteilt, ohne Weiteres erkennbar ist“.86 Ein praktischer Anwendungsbereich bleibt für § 675 Abs. 2 daher nur in den Fällen, in denen sich die Auskunft aus Sicht eines objektiven Beobachters in der Person des Erteilenden auf Belanglosigkeiten bezieht. Dies rückt die Frage in den Mittelpunkt, aufgrund welcher Verpflichtungstatbestände für falsche Auskünfte gehaftet wird.87 Im Rahmen der Auskunftshaftung bestehen heute vor allem zwei Klassen von Ansprüchen: Führt der Auskunftsberechtigte mit dem Auskunftspflichtigen persönliche Vertragsverhandlungen, kommt zwischen beiden ein (stillschweigend geschlossener) (Anlage-)Beratungsvertrag zustande (oben Rn. 1289ff.). Findet eine solche persönliche Begegnung nicht statt, kommt eine Verantwortlichkeit in drei Fällen in Betracht: (1) Der auf die Auskunft Vertrauende kann den Auskunftgeber auf der Grundlage einer Prospekthaftung im weiteren Sinne (c.i.c.) in Anspruch nehmen (Rn. 1302). (2) Der Auskunftgeber haftet dem Auskunftnehmer als Experte aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte (Rn. 1318ff.) oder (3) es kommt eine Haftung aus § 826 in Betracht, weil der Auskunftgeber bei seinem öffentlichen Auftreten Expertenstatus für sich in Anspruch nimmt, dabei aber nicht nach Expertenmaßstäben handelt (Rn. 1325). Keine praktische Alternative stellt hingegen § 311 Abs. 3 dar (Rn. 1326). Über die Möglichkeit der Herleitung dieser Anspruchsgrundlagen aus einem einheitlichen systematischen Rechtsprinzip bestehen verschiedene Überlegungen. Die Lehre von der Berufshaftung88 knüpft an einen Rechtsgedanken an, der bereits dem römischen Recht in Gestalt der sog. mensorischen Klage vertraut war (D. 11.6 – Si menso falsum modum dixerit). Der Haftungsgrund liegt dabei im besonderen Vertrauen in die beruflichen Fähigkeiten eines Experten. Teilweise findet sich die Auffassung, die Berufshaftung repräsentiere neben Vertrag und Delikt eine eigenständige Haftungskategorie.89 Dies sprengt indes die im BGB vorgezeichneten Systemgrenzen. Richtiger Ansicht nach dürfte es sich eher um einen allgemeinen Rechtsgedanken zur Konkretisierung vertraglicher Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2), deliktischer Verkehrssicherungspflichten in Lammel AcP 179 (1979) 337, 347f.; andere Tendenz jedoch Kersting, Dritthaftung für Informationen, 2007, S. 63ff. 86 RG SeuffA 80 Nr. 10; dazu von Bar RabelsZ 44 (1980) 455, 464. 87 Überblick bei W. Lorenz, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 575, 584ff. und Musielak, Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten, 1974. 88 Lammel AcP 179 (1979) 337, 347; W. Lorenz, in: 1. FS Larenz, 1973, S. 575, 591; Hirte, Berufshaftung, 1996; Hopt AcP 183 (1983) 608, 645; Kersting, Dritthaftung für Informationen, 2007, S. 323ff. 89 Lammel AcP 179 (1979) 337, 347. 85

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§ 823 Abs. 1 bzw. der Sittengebote in § 826 handeln.90 Als Alternative zur Berufshaftung versteht sich die Lehre vom Übernahmeprinzip91 bzw. von der gesetzlichen Auskunftshaftung aufgrund des Vertrauensprinzips.92 In Anknüpfung an die Strafrechtsdogmatik soll es für die Begründung von ungeschriebenen gesetzlichen Gefahrabwendungspflichten darauf ankommen, ob der Täter eine entsprechende Aufgabe übernommen hat. Stellt man auf die zugrunde liegenden Wertungen ab, ist der Unterschied zur Berufshaftung nicht so groß: Auch das Übernahmeprinzip gründet auf dem Vertrauensgedanken, es spezifiziert allerdings den zugrunde liegenden Vertrauenstatbestand (Expertenstellung) nicht so präzise wie die Berufshaftung. Nicht unproblematisch erscheint dabei, dass mit der vorangehenden Übernahmeentscheidung des Haftenden eine quasi-rechtsgeschäftliche Selbstverpflichtung in den Vordergrund rückt, deren systematische Stellung (vertragliche oder deliktische Haftung?) ebenso offen bleibt wie ihr genauer Gegenstand: Kann ein beschränkt Geschäftsfähiger eine Aufgabe in diesem Sinne übernehmen, ist die Übernahmeentscheidung anfechtbar usw.? In Ergänzung zu diesen Überlegungen soll schließlich eine ungeschriebene gesetzliche Auskunftshaftung davon abhängen, dass eine andernorts vertraglich geschuldete Auskunft an den ersatzberechtigten Dritten „gerichtet“ ist.93 Gedacht ist hier an die Fälle des vom Verkäufer einer Sache bestellten Wertgutachtens, auf das der Käufer gerade vertraut. Statt des „Umwegs“ über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte (Rn. 1318ff.) soll hier ein unmittelbarer gesetzlicher Anspruch zwischen Geschädigtem und Gutachter bestehen. Gerade § 311 Abs. 3 Satz 1 wird in diesem Sinne auch als Anspruchsgrundlage verstanden.94 Diese weitere Einschränkung bleibt jedoch zu sehr vorvertraglichen Metaphern („Gerichtetheit“) verhaftet und vermag daher die erforderliche Abgrenzung des Normanwendungsbereiches nur schwer zu leisten.95 Die Anwendung des § 311 Abs. 3 Satz 1 und 2 hat sich deshalb zu Recht in der Praxis nicht durchgesetzt (Rn. 1326). Schließlich ist auch die Auffassung vertreten worden, die Voraussetzungen einer allgemeinen Auskunftshaftung ließen sich nicht ohne Systembruch begründen und dürften daher nicht zu einer Überdehnung der bekannten zivilrechtlichen Institute wie des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte führen. Nicht sämtliche sozial unerwünschten Schädigungen könnten nämlich durch den Rechtsanwender ohne gesetzgeberische Entscheidung vermieden werden, weshalb der Geschädigte im Einzelfall auch einmal leer ausgehen müsse, wenn ein Experte unterhalb der Vorsatzschwelle des § 826 gehandelt habe.96 Das Prinzip, dass ein Schaden allein noch keinen Anspruch auf dessen 90 91 92 93 94 95 96

Von Bar RabelsZ 44 (1980) 455, 479; Mertens AcP 178 (1978) 227, 240f. Larenz/Canaris, II/2 § 76 III 3 b. Canaris in: 2. FS Larenz, 1983, S. 27, 93ff. Canaris, in: 2. FS Larenz, 1983, S. 27, 93ff. Canaris JZ 2001, 499, 520; vgl. ders. ZHR 163 (1999) 206ff. Faust AcP 210 (2010) 555, 570ff., 573. Faust AcP 210 (2010) 555, 558ff.

III. Die Auskunftshaftung

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Liquidierung rechtfertigt, entspricht der liberalen Grundtendenz des BGB (Rn. 755).97 Auch lassen sich bei der Ausweitung der bekannten Institute hin zu einer Auskunftshaftung zahlreiche methodische Inkonsistenzen, etwa bei der Begründung des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte, nicht leugnen.98 Kritikwürdig erscheint dennoch, dass dieser Lehre die systematische Einbindung in die Gesamtthematik der Auskunftshaftung fehlt.99 Deren Themen liegen heute vor allem in den Bereichen, in denen private Marktakteure durch Informationen allein nicht ausreichend geschützt werden können, geschweige denn sich selbst durch Einholung von Informationen zu schützen vermögen. Das von dieser Lehre nicht berücksichtigte praktische Fallmaterial (vgl. nur Rn. 1294, 1302 und 1307) zeigt, dass Anleger und Investoren ohne eine entsprechende Rechtsentwicklung schlicht zum Opfer einer Finanzindustrie würden, die ihnen im Hinblick auf Organisationsgrad und Wissensstand deutlich überlegen ist. Der Anlagevertrieb würde tendenziell zu einer wenig rücksichtsvollen Vorgehensweise ermutigt, wenn nicht wegen leichtfertiger oder beschönigender Auskünfte gehaftet würde. Ein wesentlicher Pfeiler der Rechtsprechung besteht dabei jedoch in der Auskunftshaftung des Experten aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. 2. Der Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte a) Grundkonstellation der Auskunftshaftung

Die Rechtsprechung lässt einen Experten aus Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte haften, wenn dieser seinem Vertragspartner gegenüber vertraglich geschuldete Auskünfte erteilt und ein Dritter, der von deren Gegenstand zwangsläufig betroffen ist, auf die Richtigkeit der Auskünfte vertraut. (BGH 10.11.1994 – III ZR 50/94 = BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392) V beauftragt vor dem Verkauf des ihr gehörenden Wohngebäudes den Architekten G mit der Erstellung eines Wertgutachtens und weist dabei auf ihre Verkaufsabsichten hin. G ist beauftragter Sachverständiger der örtlichen Kreissparkasse. In seinem Gutachten wird kein Betrag für „Reparaturanstau“ festgesetzt, sondern vermerkt: „nennenswerte Reparaturen zur Zeit nicht“. Nach Erstellung des Gutachtens erwirbt K das Gebäude von V durch notariellen Kaufvertrag, in dem die Gewährleistungsrechte ausgeschlossen werden. Im Vorfeld hatte ihm V das Gutachten vorgelegt. Kurze Zeit nach Übergabe des Gebäudes bemerkt K auf dem Dachboden Feuchtigkeitsschäden. Ein herbeigerufener Sachverständiger teilt mit, dass die Schäden so gravierend seien, dass die gesamte Dachkonstruktion neu errichtet werden müsse. Den dabei entstehenden Schaden verlangt K von G ersetzt. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen G aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 und den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. Der zwischen V und G geschlossene Vertrag über das Gutachten stellt wegen seiner Erfolgsbezogenheit nach § 631 Abs. 2 einen Werkvertrag dar. Fraglich ist, ob K als Dritter in diesen einbezogen Vgl. zu deren Grundlagen auch Unberath, Die Vertragsverletzung, 2007, S. 33ff. Faust AcP 210 (2010) 555, 567ff. Zum Erfordernis einer Auskunftshaftung unterhalb der Vorsatzschwelle bereits umfassend Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, S. 40ff. 97 98 99

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

ist. Ein Vertrag kann nach hM.100 Schutzwirkungen für Dritte nur entfalten, wenn der Dritte den Gefahren der Leistung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger (Leistungsnähe), der Gläubiger ein besonderes Schutzinteresse im Hinblick auf den Dritten verfolgt (Gläubigerinteresse), diese Umstände dem Schuldner bei Vertragsschluss erkennbar sind und er mangels geeigneter Alternativansprüche schutzwürdig ist (zur dogmatischen Begründung Rn. 1321ff.).

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Die Fälle der vorliegenden Art erscheinen bereits im Hinblick auf die Leistungsnähe problematisch. Denn Verkäufer und Käufer sind durch Fehler des Wertgutachtens in unterschiedlicher Weise betroffen. Bewertet der Gutachter das Kaufobjekt unrichtigerweise zu niedrig, erleidet der Verkäufer einen Schaden; bei einer zu hohen Bewertung liegen die Verluste hingegen auf Käuferseite. Der BGH sieht darin kein Hindernis für die Anwendung der Lehre vom Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte (S. 392). Wer nämlich bei einem staatlich anerkannten Fachmann wie einem Architekten ein Gutachten bestelle, sei regelmäßig nur daran interessiert, dass dieses fachgerecht erstellt werde. Ein redlicher Auftraggeber ist mit anderen Worten an einer zutreffenden, nicht aber einer für ihn besonders günstigen Expertise interessiert. Das zentrale Anwendungsproblem liegt jedoch im Gläubigerinteresse. Denn anders als in den älteren Fällen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte fehlte es hier an einer Wohl-und-Wehe-Beziehung zwischen dem Verkäufer und dem Käufer. Diese ist durch ein persönliches Fürsorgeverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Dritten geprägt und besteht typischerweise zu Angehörigen (Rn. 826) oder zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Rn. 866f.). Zwischen Verkäufer und Käufer besteht allein schon aufgrund des Interessengegensatzes eine solche Beziehung nicht. Der BGH begründet die Einbeziehung an dieser Stelle deshalb aufgrund anderer rechtlicher Überlegungen (S. 393): Weil dem Gutachter bekannt gewesen war, dass das Wertermittlungsgutachten zu Verkaufszwecken vorgelegt werden sollte, musste er damit rechnen, dass ein Käufer diesem besondere Beachtung schenken würde, vor allem auch, weil er in die Zuverlässigkeit und die Sachkunde des Gutachters als örtlichem Experten großes Vertrauen setzen durfte. Für den Verkäufer liegt nämlich der besondere Wert eines Wertgutachtens darin, dass der Käufer diesem weniger misstraut als Äußerungen des Verkäufers selbst. Bereits in einer früheren Entscheidung, dem Lastschriftfall (BGH 28.2.1977 – II ZR 52/75 = BGHZ 69, 82 = NJW 1977, 1916; Rn. 1343), war der BGH bei der Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte vom Erfordernis einer Wohl-und-Wehe-Beziehung mit personenrechtlichem Einschlag abgerückt. Dem Gericht erschien dieses Erfordernis „unnötig eng“, wenn die Vertragspartner das Vertrauen der übrigen Verkehrsbeteiligten auf eine sach- und interessengerechte Abwicklung in Anspruch nähmen (S. 1916). Der Dritte kann 100 Vgl. auch BGH NJW 2001, 512 und 514; von Caemmerer, in: FS Wieacker, 1978, S. 311; Canaris JZ 1965, 475, 477; Gernhuber, in: FS Nikisch, 1958, S. 249, 266f.; Schwerdtner Jura 1980, 493; vgl. schließlich zum vorliegenden Fall: Medicus JZ 1995, 308.

III. Die Auskunftshaftung

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danach ebenfalls in den Vertrag einbezogen werden, wenn die dort ausgetauschte Leistung „bestimmte verfahrenstypische Risiken in sich birgt und den mit der Durchführung betrauten Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres zugemutet werden kann, diese Risiken klein zu halten.“ (S. 1916). Die Entscheidung verdeutlicht den eigentlichen Grund für die Erweiterung des geschützten Personenkreises. Denn das Institut des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte kompensiert ein zentrales Defizit des Deliktsrechts: Dort können Vermögensschäden, die der Täter durch fahrlässiges Verhalten verursacht, nur liquidiert werden, wenn sie durch die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts nach § 823 Abs. 1 vermittelt werden.101 Einfache, dh. primäre Vermögensschäden sind hingegen nur im Vorsatzfall nach § 826 ersetzbar.102 In den Fällen des Wertgutachtens erleidet der Dritter aber einen solchen primären Vermögensschaden. Denn er zahlt für die Kaufsache schlicht zu viel. Darin liegt keine „Eigentumsverletzung“ iSd. § 823 Abs. 1, weil der Experte nicht gegen seinen Willen in sein Eigentum eingreift, sondern der falsch Informierte nur eine unvorteilhafte Vermögensentscheidung trifft: Für das Grundstück hat der Käufer im vorliegenden Fall einfach einen zu hohen Kaufpreis gezahlt. Der springende Punkt ist nun, dass Käufer, Anleger oder sonstige Ratsuchende durch einen Expertenrat im weitesten Sinne zu solchen Vermögensentscheidungen regelmäßig herausgefordert werden und daher notwendigerweise primäre Vermögensschäden erleiden, wenn die Ratschläge auf unrichtigen Tatsachen oder fehlerhaften Bewertungen beruhen. Betrifft der Expertenrat daher bestimmungsgemäß die Vermögensentscheidungen eines Dritten und erleidet der Dritte bei Unrichtigkeit einen primären Vermögensschaden, der über das Deliktsrecht nicht ersetzt werden kann, besteht auch jenseits einer Wohl-und-WeheBeziehung ein Gläubigerinteresse an der Einbeziehung des Dritten in die Schutzwirkungen des Vertrags mit dem Experten. Ist K danach in den Gutachtervertrag einbezogen, kann er aufgrund der Mängel des Gutachtens iSd. § 633 Abs. 2, die G nach § 276 Abs. 1 zu vertreten hat, von diesem prinzipiell Schadensersatz nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 verlangen. Eine offene Frage ist noch, ob er G als Architekten durch Nachfristsetzung die Möglichkeit einräumen muss, die Neuerrichtung des Dachgeschosses in Eigenregie und damit kostensparender herzustellen (dazu Rn. 1114).

b) Dogmatische Begründung

Die Lehre vom Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte schließt also eine Schutzlücke, die das Deliktsrecht offen lässt. Fraglich ist jedoch, wie diese Funktion mit der Dogmatik des Vertragsrechts vereinbar ist. In einer der frü-

101 Vgl. zu diesem Zusammenhang nur Faust AcP 210 (2010) 555ff. 102 Ein weiteres Defizit der §§ 823ff. liegt im beschränkten Anwendungsbereich des § 831

Abs. 1 Satz 1 und der Exkulpationsmöglichkeit nach Satz 2. Auch aus diesem Grund besteht ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Vertrag, und zwar mit Blick auf die Anwendbarkeit des § 278 Satz 1.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

hesten Entscheidungen leitet der BGH die Einbeziehung des Dritten aus einer ergänzenden Vertragsauslegung her: „Nach dem Sinn und Zweck des Vertrages und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben wird die vertragliche Sorgfalts- und Obhutspflicht aber in der Regel gegenüber Personen bestehen, die durch den Gläubiger mit der Leistung des anderen Vertragsteils in Berührung kommen und deren Ergehen den Gläubiger selbst berührt, weil er seinerseits ihnen gegenüber zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist, wie der Vater gegenüber den Angehörigen der Familie und wie der Unternehmer gegenüber seinen Arbeitnehmern. Da sie für das Wohl und Wehe dieser Personen mitverantwortlich sind, haben sie ein Interesse daran, daß die ihrem Schutz anvertrauten Personen nicht durch Sorgfaltsverletzungen des Vertragsgegners geschädigt werden. Diese Erweiterung der Verantwortlichkeit des Vertragsschuldners ist ihm gegenüber gerechtfertigt, weil er zu erkennen vermag, daß sein Vertragsgegner auf die Sicherheit dieser Personen ebenso vertraut wie auf seine eigene, und weil es sich um einen begrenzten, übersehbaren Personenkreis handelt, dem dieser Schutz des Vertrages zugute kommt …“103

Die ergänzende Vertragsauslegung setzt zunächst eine Regelungslücke im Vertrag voraus, die nach den Vorstellungen des BGH aufgrund des hypothetischen Willens der Parteien zu schließen ist, also durch die Ermittlung dessen, „was die Parteien zwar nicht erklärt haben, was sie aber in Anbetracht des gesamten Vertragszwecks erklärt haben würden, wenn sie den offengebliebenen Punkt in ihren Vereinbarungen ebenfalls geregelt hätten und hierbei die Gebote von Treu und Glauben und der Verkehrssitte beachtet hätten“.104 Das methodische Problem dieser Argumentation liegt allerdings im zweideutigen Begriff des hypothetischen Willens. Denn die Regelungslücke im Vertrag zeigt gerade, dass die Parteien keinen wirklichen gemeinsamen Willen in der Sache gebildet haben. Deshalb existiert keine Willensbekundung, die einer Auslegung nach §§ 133, 157 unmittelbar zugänglich wäre.105 Sobald deshalb vom hypothetischen oder vernünftigen Willen die Rede ist, geht es um rechtliche Maßstäbe, die gerade nicht auf der Vereinbarung der Parteien beruhen, sondern auf außervertraglichen, ergänzenden bzw. korrigierenden Rechtsprinzipien. Unter der Geltung des in Deutschland vorherrschenden Willensdogmas, wonach der Inhalt vertraglicher Pflichten allein vom Parteiwillen abhängt, gerät die Begründung von Drittwirkungen dieser Art daher an ihre Grenzen (Rn. 27) und der hypothetische Parteiwille wirkt wie eine Verlegenheitslösung. Letztlich lässt sich so keine tragfähige Begründung dafür entwickeln, dass der Dritte auch dann in den Vertrag einbezogen ist, wenn die Parteien nicht an seine Schutzwürdigkeit gedacht haben und wenn der Schuldner – konkret auf diesen Umstand hingewiesen – zu einer Haftung auch freiwillig gar nicht bereit wäre.106 Larenz hat später folgenden Ausweg aus dem Dilemma vorgeschlagen. Danach soll die Vertragslücke so geschlossen werden, dass man „auf der Grundlage der von beiden Par103 104 105 106

BGH NJW 1959, 1676, 1677; ähnlich BGHZ 49, 350 = NJW 1968, 885, 887. BGHZ 16, 71 = NJW 1955, 337. Gernhuber, in: FS Nikisch, 1958, S. 249, 261f. Gernhuber, in: FS Nikisch, 1958, S. 249, 265.

III. Die Auskunftshaftung

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teien angenommenen Bewertungsmaßstäbe, unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der gesamten Interessenlage, folgerichtig weiterdenkt“.107 Auch diese Methode, den Vertrag aus seinem Gesamtzusammenhang fortzuentwickeln, ist jedoch nur erfolgreich, wenn die Vertragsparteien eine der Vertragslücke ähnliche Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne geregelt haben. Bei der Einbeziehung Dritter findet sich eine solche Vorentscheidung aber meist nicht. Während der BGH in der vorgenannten Entscheidung daher die Methode der ergänzenden Vertragsauslegung unter Bezug auf Larenz anwandte, gab dieser selbst seine alte Begründung der Drittwirkungen des Vertrags in Ansehung des Urteils auf und sah in diesem schlicht einen Akt richterlicher Rechtsfortbildung.108 Dies lässt zunächst sämtliche Fragen offen. Eine tragfähige Begründung der Drittwirkungen muss daher redlicherweise bei dem Befund ansetzen, dass die Einbeziehung des Dritten nicht auf dem Willen der Parteien beruht, schon gar nicht auf dem Willen des haftenden Schuldners, sondern auf Rechtsprinzipien, die von außen an den Vertrag herangetragen werden. Dies ist auch der Ansatz der von Canaris entwickelten Lehren vom Schutzpflichtverhältnis (vgl. auch Rn. 7ff.; 629ff.; 1322ff.).109 Danach entsteht mit Anbahnung eines Vertrages ein gesetzliches Schutzpflichtverhältnis, dessen Rechtsgrund im Vertrauensschutz der Parteien liegt. Dieses Schuldverhältnis kennt keine Leistungs-, wohl aber unselbständige Nebenpflichten (Schutzpflichten, § 241 Abs. 2 BGB). Mit Vertragsschluss setzt es sich neben dem Vertrag fort und kann auch nach Vertragsbeendigung Rechtsfolgen zeitigen, soweit es der Vertrauensschutz erfordert. In einer späteren Arbeit hat Canaris solche Schutzpflichtverhältnisse als „dritte Spur“, dh. als zwischen vertraglichen und deliktischen Schuldverhältnissen angesiedelte Pflichten angesehen.110 Die Lehre hat sich allerdings in der Praxis nicht durchgesetzt. Ihr Schwachpunkt liegt in der Loslösung der Schutzpflichten vom Vertrag selbst. Dagegen spricht schon die Möglichkeit, dass die Parteien – in Grenzen – den Umfang von Neben- und Schutzpflichten vertraglich ausgestalten können. Beruft sich der Käufer auf eine vertraglich ausgestaltete Schutzpflicht, stellt sich die Frage, worauf genau sein Anspruch gründet: auf Vertrag oder auf einem ungeschriebenen Gesetz. Darauf kommt es aber an, wenn sich etwa die Frage stellt, ob die §§ 119ff. anwendbar sind oder nicht. Beispiel V hat K ein technisch anspruchsvolles Messgerät verkauft. Im Kaufvertrag verspricht V, dem K eine Gebrauchsanleitung zu überlassen, in welcher der Einsatz des Geräts an Fall-

107 Larenz Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 538. 108 Larenz I § 17 II. 109 Grundlegend und lesenswert Canaris JZ 1965, 475; vorliegend spezieller allerdings ders.,

Bankvertragsrecht, Rn. 25. 110 Canaris, in: 2. FS Larenz, 1983, S. 27, 85ff. Grundsätzlich zustimmend nunmehr Krebs, in: Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, § 3 Rn. 27; ders., Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten, 2000, passim.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

beispielen erläutert wird. In der tatsächlich überlassenen Gebrauchsüberlassung finden sich aber nur abstrakte Funktionsbeschreibungen; Fallbeispiele fehlen. V beruft sich darauf, dass er die Passage mit den Fallbeispielen aus dem Vertragstext habe streichen wollen, dass dieser aber an K versehentlich zu früh abgesendet worden sei. Er erklärt daher die Anfechtung des Kaufvertrags wegen Erklärungsirrtums, da ihm eine solche Gebrauchsanleitung zu aufwendig und haftungsträchtig erscheint. Dem Anspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 iVm. § 434 Abs. 2 Satz 2 könnte hier § 142 Abs. 1 entgegenstehen. Dazu müsste die Pflicht zur Überlassung der Gebrauchsanleitung aber Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung sein. Nach der Lehre vom gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis beruhen aber typische Nebenpflichten auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das den Vertrag begleitet. Dazu dürfte aber auch eine grundlegende Informationspflicht des Schuldners gegenüber dem Gläubiger gehören, wie der Vertragsgegenstand überhaupt zu gebrauchen ist. § 434 Abs. 2 Satz 2 konkretisiert diese Pflicht für den Kaufvertrag. Problematisch erscheint nur, dass die Parteien vorliegend über den Umfang dieser vermeintlich gesetzlichen Pflicht auch eine Vereinbarung getroffen haben. So stellt sich die Frage, worauf die Informationspflicht genau beruht: auf dem gesetzlichen Schuldverhältnis oder auf der Vereinbarung. Es käme auch in Betracht, dass die Informationspflicht des Käufers aus § 434 Abs. 1 Satz 2 in ihrem Grundumfang auf dem gesetzlichen Schuldverhältnis und darüber hinaus aber auf der Vereinbarung beruht. Gegen sämtliche Betrachtungsweisen spricht, dass der Vertrag als einheitliche Grundlage für die Rechte und Pflichten der Parteien aufgegeben werden muss, und deshalb durch eine Aufspaltung der Pflichten auf zwei Rechtsgrundlagen Wertungswidersprüche und Zufälligkeiten drohen.

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An der Lehre vom Schutzpflichtverhältnis überzeugt, dass der Grund für die Drittwirkungen auf das Vertrauen des Gläubigers in den Schutz des Dritten durch den Schuldner zurückgeführt wird. Allerdings liegt der Vertrauenstatbestand in der Willenserklärung des Schuldners und nicht außerhalb des Vertrages (dazu ausführlicher Rn. 2ff.): Verspricht der Schuldner nämlich eine Leistung, deren Erbringung den Dritten zielgerichtet den Gefahren primärer Vermögensschäden aussetzt, wird ein redlicher Gläubiger sich nach Treu und Glauben (§ 242) darauf nur im Hinblick auf die Erwartung einlassen, dass der Schuldner die betroffenen Integritätsinteressen des Dritten bei der Vertragserfüllung schützt. Dieses Gläubigervertrauen ist in den Fällen berechtigt, in denen den Gläubiger mit dem Dritten eine Wohl-und-Wehe-Beziehung verbindet. Denn dann darf der Gläubiger davon ausgehen, dass der Schuldner seinem Interesse an einem Schutz des Dritten bei der Erfüllung Rechnung tragen und den Dritten im Hinblick auf Neben- und Schutzpflichten wie ihn selbst, den Gläubiger nämlich, behandeln wird. Beispiel V hat M eine Wohnung im Obergeschoss seines Hauses vermietet; diese soll laut Vertrag von M und seiner Familie bewohnt werden. V muss sich nach Treu und Glauben (§ 242) darauf einrichten, dass die Familienmitglieder des M die Einrichtungen des Hauses ebenso benutzen werden wie sein Vertragspartner selbst. Rutscht daher der Sohn des M auf der ungepflegten Haustreppe aus, kann sich V nicht wie gegenüber einem Fremden wegen sorgfältiger Auswahl und Überwachung des Reinigungspersonals nach § 831 Abs. 1 Satz 2 exkulpieren, sondern ist für dessen Fehlleistungen wie gegenüber dem Vertragspartner nach § 278 Satz 1 verantwortlich.

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III. Die Auskunftshaftung

Ein berechtigtes Gläubigervertrauen in die Sorgfalt des Schuldners besteht aber auch dann, wenn der Schuldner weiß, dass die Leistung sich wie der Expertenrat an die Adresse des Dritten richtet und diesen zu Vermögensentscheidungen verleiten wird, deren negative Folgen nicht über die §§ 823ff. zu liquidieren sind. Das für den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte wesentliche Gläubigerinteresse steht daher der Frage nach der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Gläubigers gleich: Nicht jede Erwartung des Gläubigers im Hinblick auf die Einbeziehung Dritter darf dabei geschützt werden. Denn andernfalls könnten die Verkehrsbeteiligten ihr Risiko durch Vertragsschluss nicht auf die jeweilige Vertragsgegenseite beschränken, sondern würden mit einer unübersehbaren Vielzahl von Erwartungen und Interessen Dritter konfrontiert. Schutzwürdig ist das Gläubigerinteresse daher nur in den beiden vorgestellten Konstellationen. Diese Zusammenhänge erweisen sich an folgender neueren Konstellation: 111

(BGH 14.6.2012 – IX ZR 145/11 = BGHZ 193, 297 = NJW 2012, 3165) Die G-GmbH befindet sich in finanziellen Schwierigkeiten. Deshalb wendet sich die Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin D an den Steuerberater der G-GmbH (S). S soll überprüfen, ob die G insolvenzreif ist oder fortgeführt werden kann. Denn D überlegt, ob es sich noch lohnt, die G zu sanieren. S kommt im Rahmen seines Gutachtens zu dem Ergebnis, dass bei G keine Insolvenzreife bestehe. Darauf begründet der Ehemann der D, X, eine stille Beteiligung (§ 230 HGB) an der G, für die D dem X eine persönliche Sicherheit iHv. 100.000 € stellt. Nachträglich muss D als Geschäftsführerin der G allerdings den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen, weil die G von vornherein insolvenzreif war. S hatte bei der Beurteilung der Insolvenzreife nämlich einen Fehler begangen. D verlangt die mittlerweile gegenüber X fällig gewordenen 100.000 € von S als Schadensersatz. In Betracht kommt ein Anspruch der D gegen S aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte gerichtet auf Schadensersatz. Zwischen G und S kam ein Gutachtervertrag nach § 631 Abs. 1 zustande (Tz. 9). Fraglich ist, ob dieser Schutzwirkungen für D entfaltet.

Der BGH beruft sich in dieser Entscheidung ausdrücklich auf die Methode der ergänzenden Vertragsauslegung (Tz. 14) und stellt noch einmal fest, dass der Dritte nicht allein in den Fällen des Bestehens einer Wohl-und-Wehe-Beziehung einbezogen sei, sondern auch in den Fällen der Berufshaftung von Rechtsanwälten, Sachverständigen, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern (Tz. 16; dazu auch Rn. 1316). Es handele sich dabei sämtlich um Berufsvertreter, „die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügen und deren Vertragsleistungen von vornherein erkennbar zum Gebrauch gegenüber einem Dritten bestimmt sind und nach dem Willen des Auftraggebers mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein sollen …“ (Tz. 16). Vorliegend prüft ein Steuerberater die Solvenz einer GmbH. Eigentlich liegt darin die Aufgabe eines Abschlussprüfers (Wirtschaftsprüfers).112 Allerdings wendet sich der Geschäftsführer der GmbH an den Steuerberater erkennbar deshalb, weil 111 Zur Problematik auch Thole ZfPW 2015, 31ff. 112 Vgl. etwa zu dessen Haftung BGH WM 2012, 954.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

dieser die Einkünfte der Gesellschaft und deren Entwicklung besser abschätzen kann als die Geschäftsführung selbst (Tz. 25). Dann muss aber auch der Steuerberater davon ausgehen, dass seine Auskünfte bei der Entscheidung der Gesellschafter und der Geschäftsführer der Gesellschaft im Hinblick auf mögliche Sanierungsanstrengungen ins Gewicht fallen (Tz. 25). In anderen Konstellationen der Rechtsanwaltshaftung wird das Organ eines Rechtsträgers jedoch gerade nicht in die Schutzwirkungen des rechtsanwaltlichen Beratungsvertrages mit dem Rechtsträger einbezogen (Rn. 1056a). Auch ist im Gesellschaftsrecht das Problem des sog. Reflexschadens bekannt.113 Fügt danach ein Außenstehender einer Aktiengesellschaft (AG) einen Vermögensschaden zu, sinken auch alle Mitgliedsrechte an der AG automatisch im Wert. Diese Werteinbuße reflektiert jedoch nur den Schaden der AG und kann von den Aktionären nicht isoliert geltend gemacht werden, weil sonst das Prinzip des § 76 Abs. 1 AktG verletzt würde, nach dem der Vorstand die AG eigenverantwortlich leitet und deshalb allein über die Art und Weise der Geltendmachung dieses Schadens entscheidet. Ein ähnliches Problem droht auch hier: Falsche Ratschläge an die GmbH zur finanziellen Gestaltung können bei dieser einen Vermögensverlust begründen, der reflexhaft auch die Geschäftsanteile der Gesellschafter betrifft. Dann droht auch hier die Gefahr, dass die Gesellschafter den Schaden unter Umgehung der in der Satzung begründeten Kompetenzen der Geschäftsführung liquidieren. Dies will der BGH vorliegend vermeiden, indem er die Verantwortung des Unternehmensberaters gegenüber Gesellschaftern und Geschäftsführern auf die Fälle beschränkt, in denen die Prüfung „im Interesse eines bestimmten Dritten durchgeführt und im Ergebnis diesem Dritten als Entscheidungsgrundlage dienen soll“ (Tz. 19). Die Besonderheit des Falles besteht darin, dass der Steuerberater über die Sanierungsfähigkeit der GmbH beraten sollte. Dieses Thema betraf aber die einzige Gesellschafterin der GmbH, weil nur diese sanieren konnte (Tz. 25). Denn nur die Gesellschafterin konnte den zur Sanierung erforderlichen Kapitalmaßnahmen (Kapitalschnitt) zustimmen bzw. die Geschäftsführung der GmbH zu einschlägigen Maßnahmen ermächtigen. Die GmbH als Schuldnerin ist hingegen nur Objekt der Sanierung.

Der BGH bringt die Verantwortung des Experten, der wie der Steuerberater vorliegend außerhalb des Vertrages stehende Dritte zu Vermögensentscheidungen veranlassen soll, auf den allgemeinen Rechtsgedanken, „dass für die Vollständigkeit und Richtigkeit der in Verkehr gebrachten Angaben jeder einstehen muss, der durch von ihm in Anspruch genommenes und ihm auch entgegengebrachtes Vertrauen auf den Willensentschluss Dritter Einfluss genommen hat“ (Tz. 18). So ist der Steuerberater der Klägerin sowohl als Alleingesellschafterin als auch als Geschäftsführerin verantwortlich (Tz. 27ff.), weil der Geschäftsführer über die Stellung des Insolvenzantrags nach § 15a InsO entscheidet. Erwähnenswert erscheint ferner, dass zugunsten dieses Personenkreises in der Krise die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht greifen soll, weil hier ein Entscheidungskonflikt auftritt (dazu Rn. 1301f.): Denn zugunsten des Aufklärungsberechtigten wird nur dann vermutet, dass er sich bei hypothetischer Betrachtungsweise an der geschuldeten Information orientiert hätte, wenn es für ihn keine sinnvolle Verhaltensalternative gab. Ein Gesellschafter hat aber die Möglichkeit, innerhalb der nach § 15a Abs. 1 Satz 1 113 Vgl. als Beispiel BGH AG 2006, 550.

III. Die Auskunftshaftung

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InsO bestehenden Frist aufgrund ganz unterschiedlicher und komplexer Erwägungen, einen Sanierungsversuch zu unternehmen. Deshalb sei es nicht ausgeschlossen, dass die Gesellschafterin sich trotz eines negativen Gutachtens einschlägig versucht hätte. Für die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens fehle es daher am Erfahrungszusammenhang zwischen der Verletzung der Aufklärungspflicht und der Entscheidung der Gesellschafterin für die Sanierung (Tz. 39f.). Gegen diese Betrachtungsweise sprechen die bereits erörterten, grundsätzlichen Bedenken (Rn. 1301). c) Konkurrierende Anspruchsgrundlagen

Im Rahmen der Auskunftshaftung kommt stets auch ein Anspruch aus § 826 in Betracht. In der einleitend erörterten Entscheidung BGHZ 127, 378 zur Haftung für ein Wertgutachten über ein Grundstück (Rn. 1318) hatte nämlich der beauftragte Architekt den Dachboden nicht besichtigt, weil ihm vom Sohn des Verkäufers vorgetäuscht worden war, der Zugang sei nur unter großen Mühen möglich. § 826 setzt einen in sittenwidriger Weise vorsätzlich zugefügten Vermögensschaden voraus. Den Sittenverstoß entnimmt die hM. regelmäßig dem enttäuschten Vertrauen der Verkehrsbeteiligten: Wer nämlich für sich Expertenstatus beansprucht, weckt im Verkehr erhöhte Erwartungen in die eigene Sorgfalt und Fachkunde. Legt er seinem Verhalten dann aber keine Expertenmaßstäbe zugrunde, wird das gerade eingeworbene Vertrauen wieder enttäuscht.114 In diesen Fällen gelten auch im Hinblick auf den Vorsatz besondere Voraussetzungen. Denn verletzt der Experte die Regeln der eigenen Kunst in grober Weise, nimmt er billigend in Kauf, dass seine spätere Expertise unrichtig ist.115 Diesen Zusammenhang verdeutlicht folgender berühmte Fall: (RG 15.11.1909 – VI 382/08 = RGZ 72, 175) X verlangt von dem Arzt A Schadensersatz, weil dieser gegenüber den Angehörigen des X behauptet hatte, X sei geisteskrank und müsste entmündigt116 werden. A hatte X allerdings gar nicht untersucht. Durch die anschließend über eine Entmündigung geführten Rechtsstreitigkeiten war X erheblicher Vermögensschaden entstanden.

Das RG bejaht hier eine vorsätzlich begangene sittenwidrige Vermögensschädigung (S. 176), da der Arzt den weit reichenden Vorwurf aufgrund einer ungenügenden Prüfung erhoben habe. Der springende Punkt ist, dass der Arzt die Unrichtigkeit seiner Aussage nicht positiv kannte. Er wusste jedoch, auf welch dürftiger Grundlage diese getroffen wurde und wie hoch deshalb die Wahrscheinlichkeit ihrer Unrichtigkeit war. Indem er die Behauptung dennoch aufstellte, nahm er daher die Unrichtigkeit der Aussage billigend in Kauf. In diesen 114 Vgl. nur BGH NJW-RR 1986, 1150, 1151; BGH NJW 1991, 3282, 3283; im Überblick Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 214. 115 RGZ 72, 175, 176; heute ständige Rechtsprechung: vgl. etwa BGH NJW 1962, 1766 sowie den Überblick bei Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 82ff. 116 Dieses Institut ist heute abgeschafft. Es wurde durch die Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903) ersetzt.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Fällen verlagert sich der Gegenstand des für den Vorsatz erforderlichen Täterwissens: Es geht nicht um das Wissen über die Unrichtigkeit der Expertise, sondern um das Wissen über deren völlige Ungesichertheit. Dies reicht aber für den Vorsatzvorwurf aus. Letztlich handelt es sich um einen Sonderfall der Angabe ins Blaue hinein.117 Umstritten ist, ob in den Fällen der Auskunfts- und Expertenhaftung ein gesetzliches Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 zustande kommt. Nach Satz 1 der Norm kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Satz 2 nennt als Beispiel den Fall, dass der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst. Die Bedeutung dieser Norm ist bis auf den heutigen Tag unklar. Der Gesetzgeber dachte wohl bei § 311 Abs. 3 nur an die Fälle der sog. Sachwalterhaftung.118 Dabei handelt es sich vor allem um Fälle der Eigenhaftung eines Vertreters der Vertragsgegenseite, der eigenes besonderes Verhandlungsvertrauen für sich beansprucht.119 Ein Teil des Schrifttums folgt dieser Einschätzung, weil der Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 gerade an diese Fallgruppe erinnern lässt.120 Nach der Gegenauffassung regelt die Norm hingegen den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte in den Fällen der Auskunfts- und Expertenhaftung.121 Ein grundsätzliches Problem besteht allerdings darin, dass § 311 Abs. 3 Satz 1 keine Tatbestandsvoraussetzungen nennt. Im Anschluss an § 311 Abs. 3 Satz 2 soll deshalb das Kriterium der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens die Tatbestandsvoraussetzung der Expertenhaftung darstellen.122 Dagegen ist eingewendet worden, dass der gegenüber dem Geschädigten nicht persönlich agierende Experte nicht das Maß an Vertrauen in Anspruch nehme, das in § 311 Abs. 3 Satz 2 vorausgesetzt sei.123 Bei der Einschätzung beider Ansichten wird man zunächst einräumen müssen, dass die Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Experten aufgrund seines besonderen Status zweifellos einen zentralen Sachgesichtspunkt bei der Haftungsbegründung darstellt. Es handelt sich jedoch – wie gesehen – nicht um den einzigen: Denn die Haftung im Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte beschränkt sich 117 Staudinger/Oechsler § 826 Rn. 85ff., dort Rn. 87 zur Angabe ins Blaue hinein. 118 RegE BT-Drucks. 14/6040, S. 163; MünchKomm/Emmerich § 311 Rn. 178f.; Sutschet, in:

FS Ehmann, 2005, S. 95, 105f.; auch Baumann, in: FS Honsell, 2002, S. 545, 548f. 119 BGHZ 63, 382 = NJW 1975, 642, 645; BGHZ 79, 281 = NJW 1981, 922, 923. 120 Brors ZGS 2005, 142, 148ff.; Dörner/Staudinger, Schuldrechtsmodernisierung, 2002, S. 43; Jauernig/Stadler§ 311 Rn. 49; Rohe/Winter JuS 2003, 872, 874. 121 Canaris JZ 2001, 499, 520; vor allem aber auch Kersting, Dritthaftung für Informationen, 2007, S. 107f., 110ff., 318ff., 322ff.; Eckebrecht MDR 2002, 425, 427f.; Koch AcP 204 (2004) 59, 62ff.; M. Schwab JuS 2002, 872, 873; Teichmann BB 2001, 1485, 1492; mit kritischen Einschränkungen: Sutschet, in: FS Ehmann, 2005, S. 95, 101; widersprüchlich H.P. Westermann, in: FS Honsell, 2002, S. 137, 150 einerseits und S. 151 andererseits. 122 Kersting, Dritthaftung für Informationen, 2007, S. 110ff.; Überblick auch bei Koch AcP 204 (2004) 59, 63ff. 123 Faust AcP 210 (2010) 555, 570ff., 573.

III. Die Auskunftshaftung

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auf Sonderfälle, in denen das Deliktsrecht eine Schutzlücke aufweist. Deshalb greift die Expertenhaftung vor allem dort, wo der Experte einen Dritten zu Vermögensentscheidungen veranlasst, in deren Folge primäre Vermögensschäden entstehen. Damit ist aber auch eine sachliche Einschränkung verbunden: Nicht jedes Vertrauen auf jede Äußerung eines Experten ist danach haftungsbegründend. Gerade diese Einschränkung leistet § 311 Abs. 3 Satz 1 nicht und erscheint deshalb zur Begründung der Auskunftshaftung nicht geeignet.124 Der BGH wendet die Norm im einschlägigen Zusammenhang jedenfalls nicht an. Vielmehr versteht er § 311 Abs. 3 Satz 1 erkennbar nur als Regelung der Sachwalterhaftung: (BGH 12.1.2011 – VIII ZR 346/09 = NJW-RR 2011, 462) V beauftragt den Kfz-Sachverständigen S mit dem Verkauf seines Kfz, und zwar ohne die darin montierte Standheizung für mindestens 5.000 €. S präsentiert das Fahrzeug im Namen des V auf einer eigenen Internetplattform, wobei die Standheizung auf einem der bereitgestellten Lichtbilder zu erkennen ist. K ersteigert schließlich das Fahrzeug und stellt überrascht fest, dass die Heizung ausgebaut wurde. In dem bei Abholung unterzeichneten Kaufvertrag heißt es: „Standheizung wurde vom Autohaus ausgebaut!“ K nimmt nun S wegen der Kosten einer neuen Standheizung iHv. 780 € in Anspruch. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen S aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. Zwischen V und S kam ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Einschlag (§§ 675 Abs. 1, 611) über den Verkauf des Kfz zustande (vgl. auch Rn. 1023). Fraglich ist, ob K als Dritter in dessen Schutzwirkungen einbezogen wurde. Der BGH lehnt hier die Anwendung seiner Rechtsprechungssätze zur Haftung des Wertgutachters (BGHZ 127, 378; Rn. 1318ff.) mit folgender Begründung ab: Dort erscheine der Käufer besonders schutzwürdig, weil er keine Ansprüche gegen Verkäufer geltend machen könne; denn in den Grundstückskaufverträgen sei regelmäßig die Gewährleistung ausgeschlossen. Vorliegend aber stünden dem Käufer Ansprüche gegen den Verkäufer zu. Das Schutzbedürfnis des Dritten entfalle aber bereits dann, wenn ihm eigene vertragliche Ansprüche „gleich gegen wen“ zustünden (Tz. 11). Dagegen sprechen allerdings grundsätzliche rechtliche Bedenken, auf die noch an anderer Stelle einzugehen ist (Rn. 1327).

Interessanterweise geht der BGH aber auf § 311 Abs. 3 ein. Er versteht die Norm als Regelung der Sachwalterhaftung und nicht des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte und erkennt in ihr einen Sonderfall der Haftung aus culpa in contrahendo (Tz. 13). Dabei verneint er die Möglichkeit, dass der Sachverständige dem Käufer als Sachwalter nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 verantwortlich sein könne. Denn der Sachwalter hafte nie weiter als der Vertragspartner, den er vertrete (Tz. 14 und 18). Dem Verkäufer müsste der Käufer hier jedoch erst eine Frist zur Nacherfüllung setzen, was nicht erfolgt sei (Tz. 14).

124 Dies sieht Kersting, Dritthaftung für Informationen, 2007, S. 114ff. und will deshalb auf den

Inhalt der verletzten Pflicht selbst abstellen. Diese Idee überzeugt auch im Rahmen der herkömmlichen Herleitung des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

d) Die gemeinsame Haftung von Gutachter und Verkäufer 1327

Der VIII. Senat geht in der Entscheidung NJW-RR 2011, 462 (Rn. 1326) davon aus, dass der Dritte keine Ansprüche gegen den Experten geltend machen kann, wenn ihm eigene vertragliche Ansprüche „gleich gegen wen“ zustehen.125 Dies sah der III. Senat im Ausgangsfall BGHZ 127, 378 (Rn. 1318) anders. Denn dort hatte der Verkäufer dem Käufer den Mangel arglistig verschwiegen. Damit war aber der im Kaufvertrag vereinbarte Haftungsausschluss nach § 444 unwirksam, sodass Käufer und Gutachter nebeneinander für Renovierungskosten des Dachstuhls Verantwortung trugen. Auch der VII. Senat geht davon aus, dass Gutachter und Verkäufer dem Käufer gemeinsam haften: (BGH 25.9.2008 – VII ZR 35/07 = NJW 2009, 217) V hat dem K durch notariell beurkundeten Kaufvertrag eine noch zu errichtende Wohnung verkauft. Es ist vereinbart, dass K dem V Raten nach Baufortschritt zahlen soll. Über diesen soll V durch Vorlage eines Bautenstandsberichts Auskunft geben. V wiederum hat den Architekten A zur Erstellung der Bautenstandsberichte verpflichtet. In mehreren dieser Berichte erklärt A, die Wohnung sei nach den genehmigten Bauplänen erstellt worden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Später fällt V in Insolvenz. K verlangt die aufgrund der Bautenstandsberichte gezahlten Raten nun von A. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte.

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Der BGH bejaht vorliegend einen zwischen Verkäufer und Architekten zustande gekommenen Vertrag mit Schutzwirkungen für den Käufer. Dabei bedurfte es keines besonderen Gläubigerinteresses, da den Bautenstandsberichten aus Sicht des Käufers eine besondere Beweiskraft zugekommen sei und sie in besonderer Weise Vertrauen in die Richtigkeit des jeweiligen Zustandes geschaffen hätten (Tz. 16). Hier zeigt sich zunächst eine Uneinheitlichkeit der Senate des BGH in der Terminologie, nicht aber in der Sache. Vorliegend wird das Erfordernis eines Gläubigerinteresses verneint, weil dieses mutmaßlich mit einer Wohl-und-Wehe-Beziehung zwischen Gläubiger und Drittem gleichgesetzt wird. In anderen Entscheidungen wird das Gläubigerinteresse dagegen bejaht, weil dieses nicht nur im Falle einer Wohl-und-Wehe-Beziehung bestehe. Bedeutsamer erscheint jedoch, dass der VII. Senat das Schutzbedürfnis des Dritten auch dann bejaht, wenn diesem bereits gegenüber dem Gläubiger aus dem Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte (Bauunternehmer) Ansprüche zustünden. Denn die Ansprüche des Dritten gegen den Bauunternehmer seien infolge der Insolvenz wertlos geworden. Die Bautenstandsberichte des Architekten hätten den Dritten aber gerade vor der Gefahr einer Vorleistung schützen sollen, die in der Insolvenz nicht zurückzuerlangen war; deshalb hafte der Architekt weiter (Tz. 18). Der Fall verweist aber auf ein allgemeineres Prinzip: Aus Sicht des geschützten Dritten repräsentieren die Ansprüche gegen den Verkäufer und den Experten unterschiedliche Insolvenzrisiken. Dies lässt Zweifel an der Überlegung aufkommen, der Dritte bedürfe der Ansprüche gegen den Experten nicht, wenn 125 BGH NJW-RR 2011, 462, Tz. 11.

III. Die Auskunftshaftung

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ihm Forderungen gegen den Verkäufer zustünden. Vorliegend spiegelt sich dies teilweise in der Überlegung wider, der Experte habe den Dritten gerade vor den Folgen einer Verkäuferinsolvenz bewahren sollen. Tatsächlich reicht der Rechtsgedanke jedoch weiter: Die Pflichtverletzung des Experten veranlasst den Dritten in den kritischen Fällen stets zu einer für ihn ungünstigen Vermögensübertragung an den Gläubiger. Mit ihr ist aber immer das Risiko verbunden, den zu viel gezahlten Betrag aus dem Vermögen des Gläubigers zurückfordern zu müssen. Durch seine Fehlleistung bürdet der Experte dem Dritten dann das Insolvenzrisiko des Verkäufers so lange auf, bis die Rückgewähr des zu viel Geleisteten endgültig durchgesetzt ist. Allein wegen der damit einhergehenden Vermögensgefährdung muss der Experte dem Dritten gegenüber eigenständig und gleichberechtigt neben dem Gläubiger haften. Folgt man dem, haften Experte und Verkäufer als Gesamtschuldner. In welche Richtung der Ausgleich dabei verlaufen kann, zeigt eine Entscheidung des VII. Senats zur Haftung eines Tierarztes, den – abweichend von den besprochenen Konstellationen – der Käufer im Hinblick auf eine Ankaufsuntersuchung eingeschaltet hat. Der Tierarztvertrag wird übrigens von den neu eingeführten §§ 630aff. nicht erfasst, sondern unterfällt den §§ 611ff. (Rn. 1060). Hier gelten aber ähnliche Beweislastgrundsätze wie in § 630f.126 (BGH 22.12.2011 – VII ZR 7/11 = NJW 2012, 1071)127 K erwarb von V ein Dressurpferd für 60.000 €. Zuvor hatte er Tierarzt T mit der Ankaufsuntersuchung beauftragt, der dabei einen Gangfehler des Pferdes übersah. Nachdem K auf diesen aufmerksam wird, verlangt er von V neben der Rückgewähr des Kaufpreises die Erstattung von Unterbringungs- und Heilbehandlungskosten für das Pferd. In einem Vergleich einigen sich K und V darauf, dass V für diese Kosten aufkommen soll. Dabei wird jedoch ein Kostenfaktor übersehen. Diese verlangt K nun von T. In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen T aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Ein Vertrag nach § 611 kam zwischen den Beteiligten zustande. Auch hat T eine Pflichtverletzung zu vertreten, die zu einem Schaden geführt hat.

Fraglich ist nur, ob der zwischen den Kaufvertragsparteien geschlossene Vergleich nach § 779 Abs. 1 auch den Tierarzt mit der Wirkung des § 423 von der Haftung freistellt. Nach § 423 wirkt ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlass auch zugunsten der übrigen Gesamtschuldner, wenn die Vertragsschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten. Fraglich ist jedoch, ob Tierarzt und Verkäufer bei einem Mangel des gekauften Tiers überhaupt Gesamtschuldner sind. Denn es könnte an der in § 421 nicht erwähnten Gleichstufigkeit fehlen. Die vor allem vom BGH regelmäßig vorausgesetzte Gleichstufigkeit liegt nicht vor, wenn einer der beiden Schuldner nur subsidiär für den anderen haftet, weil er etwa für die Liquidität des anderen einzustehen hat.128 Vor der vorliegenden Entscheidung hatten nicht 126 RegE BR-Drucks. 312/12, S. 24f.; BGH NJW 2016, 2502. 127 Vgl. auch BGH NJW 2012, 1070; BGH NJW-RR 2012, 540. 128 BGHZ 137, 76 = NJW 1998, 537, 538f.; Larenz I § 32 I; kritisch MünchKomm/Bydlinski

§ 421 Rn. 13f.; Staudinger/Noack § 421 Rn. 18ff.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

wenige Berufungsgerichte die Gleichstufigkeit verneint, weil der Tierarzt auf das negative Interesse hafte, der Verkäufer aber auf das positive. Zugrunde liegt die Überlegung, dass die Pflichtverletzung des Tierarztes dazu führt, dass der Käufer den Kaufvertrag mit dem Verkäufer geschlossen hat. Also hat er gegenüber dem Arzt einen Anspruch, im Wege des Schadensersatzes so gestellt zu werden, als sei der Kaufvertrag mit dem Verkäufer nie zustande gekommen (negatives Interesse). Vom Verkäufer kann der Käufer aber nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 Satz 1 im Wege des Schadensersatzes verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden (positives Interesse).

Auch wurde die Auffassung vertreten, der Verkäufer trage im Innenverhältnis allein die Verantwortung für die vom Sachmangel ausgehenden Vermögensschäden.129 Der BGH rückt vorliegend eher das Liquidationsinteresse des Käufers in den Vordergrund: Danach haften Tierarzt und Verkäufer dem Käufer als Gesamtschuldner für die typischen Vermögensschäden wie Heilbehandlungs- und Unterbringungskosten. Auf die Zielsetzung der zugrunde liegenden Ersatzansprüche (positives oder negatives Interesse) komme es hingegen nicht an (Tz. 17f.). Findet deshalb grundsätzlich § 423 Anwendung, stellt sich doch die Frage, ob die dort vorgesehene Gesamtwirkung für den Tierarzt dem Willen der Parteien entsprach. Dafür könnte zunächst das Interesse des Verkäufers sprechen, vom Tierarzt nicht im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs in Anspruch genommen zu werden. Denn kann der Käufer vom Tierarzt die im Vergleich vergessenen Positionen verlangen und dieser sie wiederum vom Verkäufer nach § 426 Abs. 1 Satz 1 zurückfordern, ist der Vergleich für den Verkäufer weitgehend wirkungslos (Tz. 23). Dennoch soll bei der Auslegung der Vergleichsvereinbarung das Interesse des Käufers maßgeblich sein, ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht auf den Tierarzt als weiteren Gesamtschuldner in voller Höhe seiner Ersatzansprüche verzichten zu wollen (Tz. 23). Deshalb haftet der Tierarzt vorliegend weiter.130 e) Die Vorhersehbarkeit der Einbeziehung des Dritten und die Abgrenzung zur Drittschadensliquidation 1330

Neben der Leistungsnähe und dem Gläubigerinteresse fungiert das Kriterium der Vorhersehbarkeit im Rahmen der Lehre vom Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte als eine wichtige Haftungsbegrenzung. Der Schuldner ist nur für die Vermögensschäden derjenigen Dritten verantwortlich, deren Einbeziehung ein objektiver Beobachter in Schuldnerposition voraussehen konnte. Ausnahmsweise wird die Einbeziehung auch dann bejaht, wenn der Dritte anstelle des Schuldners eine Vermögensentscheidung aufgrund des falschen Rates trifft.

129 Vgl. hier nur OLG Schleswig RdL 2011, 208; OLG Karlsruhe NJW-RR 1998, 601; OLG Frankfurt OLG-Report 2007, 697. 130 Vgl. auch die Parallelentscheidung BGH NJW 2012, 1070, Tz. 17ff.

III. Die Auskunftshaftung

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(BGH 13.2.2003 – IX ZR 62/02 = NJW-RR 2003, 1035) B wollte aus steuerlichen Gründen eine Beteiligung an einer Gesellschaft erwerben. Wegen einschlägiger Steuerersparnismöglichkeiten sprach B den Steuerberater U an, der bereitwillig Auskunft erteilte. Später erwarb allerdings nicht B eine Beteiligung, sondern an seiner Stelle die Ehefrau D, der B die Informationen des U weitergegeben hatte. Als sich die Auskünfte des U als unrichtig erweisen und die Steuervorteile sich nicht realisieren, erleidet D einen Totalverlust ihrer angelegten Mittel und verlangt von U Schadensersatz. In Betracht kommt ein Anspruch der D gegen U aus § 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte.

Der BGH lässt die Frage offen, ob zwischen dem Steuerberater und dem Ehemann ein stillschweigender Auskunftsvertrag oder nur eine vorrechtliche Sonderrechtsbeziehung nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 zustande kam, für die aus culpa in contrahendo gehaftet wird (S. 1036). Geht man vom heutigen Stand der Rechtsprechung aus (Rn. 1294ff.), wäre wohl ein konkludent geschlossener Auskunftsvertrag zu bejahen. Fraglich ist, ob der Auskunftsvertrag Schutzwirkungen für Dritte entfaltet. Der BGH geht zunächst davon aus, dass Pflichtverletzungen im Auskunftsvertrag (aber auch im vorvertraglichen Schuldverhältnis) sich nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm auf die Person des Schuldners selbst (hier: den Ehemann) und nicht auf sonstige Personen beziehen, die sich an dessen Verhalten orientieren. Denn eine Gefahr liegt auf der Hand: Ein im persönlichen Gespräch erteilter, falscher Anlagetipp könnte den Experten für eine Vielzahl weiterer falscher Anlageentscheidungen verantwortlich machen, wenn Dritte sich am Verhalten des Gesprächspartners orientieren. Anders liegt der Fall des in den Massenmedien auftretenden Analysten. Hier dürfte der Vertrag zwischen Analyst und Veranstalter Drittwirkungen zugunsten der Anleger entfalten, wenn falsche Ratschläge erteilt werden. Das entscheidende Kriterium liegt in beiden Fällen in der Vorhersehbarkeit: Wer sich als Experte an eine Öffentlichkeit mit seinen Ratschlägen wendet, haftet deren Vertretern entsprechend. Wer hingegen einen Ratschlag gegenüber einem einzigen Gesprächspartner abgibt, haftet Dritten gegenüber nicht. Dennoch erwägt das Gericht hier eine Ausnahme (S. 1037f.): Weil die Ehefrau anstelle des Ehemanns in die Gesellschaft eingetreten sei, erhöhe sich ja das Haftungsrisiko des Steuerberaters nicht. Fraglich ist nur, ob diese Erweiterung des Tatbestandsmerkmals der Vorhersehbarkeit nicht durch konsequente Anwendung der Lehre von der Drittschadensliquidation vermieden werden muss.131 Denn hier hat sich der Schaden vom Vertragspartner weg zu einem Dritten verlagert, dem gegenüber der Vertragspartner zur Interessenwahrung verpflichtet ist. Das Verhältnis zwischen Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte ist umstritten (ausführlicher Rn. 870ff.). Dabei stehen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber: Nach einer vor allem im Schrifttum hM. ist die Drittschadensliquidation ein seltener Ausnahmefall, weil der Schaden eines mittelbar 131 Sutschet, in: FS Ehmann, 2005, S. 95, 114.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Geschädigten, nämlich des Dritten, liquidiert werden kann; deshalb soll der Vertrag mit Schutzwirkungen stets vorgehen.132 Überzeugender erscheint die Gegenauffassung, die auch der XI. Senat des BGH vertritt (Rn. 1343).133 Sie argumentiert mit der Intensität der Schuldnerbelastung: Danach erscheint der Fall der bloßen Schadensverlagerung im Vergleich beider Konstellationen als unproblematischer und rechtfertigt es daher nicht, die Voraussetzungen des Vertrages mit Schutzwirkungen für Dritte auszuweiten; denn dieses Institut erlaubt die wesentlich gefährlichere Haftungskumulation: Zur Haftung des Gläubigers kommt nämlich die Haftung eines Dritten hinzu. Das praktische Problem liegt vor allem in der Gefahr einer Ausweitung der Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte; denn fortwährende Auflockerungen der Tatbestandsvoraussetzungen führen zu einer schleichenden Erosion des Schuldnerschutzes vor Ansprüchen Vertragsfremder. Liegen die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation vor, ist eine solche Auflockerung aber gar nicht erforderlich. Die Tatbestandsvoraussetzung der Drittschadensliquidation liegt aber in einer zufälligen Schadensverlagerung. Eine Schadensverlagerung wiederum lässt sich hier bejahen. B hat Ansprüche gegen U aus §§ 634 Nr. 4, 280, aber keinen Eigenschaden erlitten. D hat einen reinen Vermögensschaden erlitten, den sie gegenüber U nicht nach § 823 Abs. 1 liquidieren kann. Andere gegen U gerichtete Ansprüche hat sie nicht.

Zufällig ist die Schadensverlagerung, wenn eine der drei anerkannten Fallgruppen vorliegt. Der vorliegende Fall fällt unter die Konstellationen mittelbarer Stellvertretung.134 Im Gespräch mit dem Auskunftgeber hat der Auskunftnehmer nicht eigene Interessen, sondern letztlich – und für den Auskunftgeber unerkannt – die eines Dritten (seiner Ehefrau) verfolgt. Ob dies von Anfang an geplant war oder sich erst nachträglich ergeben hat, spielt keine Rolle, da dieser Umstand für den Auskunftgeber ohnehin nicht zu erkennen war. Entscheidend ist allein, dass sich der Schaden vom Ehemann auf die Ehefrau verlagert hat, deren Interessen ersterer im Innenverhältnis wahrnimmt. Diese Verlagerung erscheint aus Sicht des Schuldners aber zufällig, weil sie nicht zum Zwecke seiner Entlastung erfolgt, sondern ihren Grund in den Vereinbarungen zwischen mittelbarem Stellvertreter und mittelbar Vertretenem hat. Auf den Fall angewendet musste der Steuerberater davon ausgehen, dass der Ehemann auf seine Auskunft hin eine Investition tätigen würde. Deshalb hätte ihn eine Haftung gegenüber dem Ehemann wegen unrichtiger Auskünfte nicht überraschen dürfen. Dass der Schaden stattdessen bei der Ehefrau eingetreten ist, 132 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 1983, § 21 I 5; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 8 IV, S. 485; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 20. Aufl. 2012, Rn. 651; MünchKomm/Oetker § 249 Rn. 293; Staudinger/Schiemann Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 66. 133 BGHZ 176, 281 = NJW 2008, 2245, Tz. 35f.; von Caemmerer in: FS Wieacker, 1978, S. 311, 319; Soergel/Hadding Anh. § 328 Rn. 12. 134 Allgemein dazu Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003, § 8 III 4, S. 466ff.

III. Die Auskunftshaftung

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kann den Steuerberater nicht entlasten. Die Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation liegen daher vor. Geht man von der Anwendbarkeit der Grundsätze der Drittschadensliquidation aus, so hat D aus einem eigenen, stillschweigenden Auskunftsvertrag mit B einen Anspruch aus § 285 Abs. 1 analog auf Abtretung der Ansprüche, die B aus einem ebensolchen Auskunftsvertrag gegenüber U zustehen (vgl. zur Anwendung des § 285 Abs. 1 außerhalb der Fälle der Unmöglichkeit Rn. 497, 871). B aber steht gegenüber U ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 trotz fehlenden Eigenschadens zu, weil er den Schaden der D im Wege der Drittschadensliquidation gegenüber U wie einen eigenen liquidieren darf. Diesen Anspruch gegen U muss B nach § 285 Abs. 1 analog an D herausgeben.

Problematisch erscheint die Vorhersehbarkeit auch, wenn sich der Zweck der Auskunft nachträglich verändert, ohne dass sich das Haftungsrisiko insgesamt erhöht: (BGH 20.4.2004 – X ZR 250/02 = BGHZ 159, 1 = NJW 2004, 3035) G hatte S zu einem Wertgutachten über ein Grundstück des X beauftragt. Dabei gab S aufgrund eines Versehens den Wert mit 5,6 Mio. € insgesamt deutlich zu hoch an. G bestellte ausgehend vom Gutachten Grundpfandrechte über 5 Mio. € an dem Grundstück und emittierte Obligationsscheine (Inhaberpapiere iSd. § 793: „Hypothekenbriefe“) als Kapitalanlage an Drittanleger, darunter D. Nachträglich entzieht die Kapitalmarktaufsicht G die Befugnis zur Emission der Papiere. Dieser will daraufhin den Anlegern ihre Einlagen zurückerstatten. Dabei erst stellt sich heraus, dass die Immobilie des X zu hoch bewertet worden war. D bekommt daher seine Einlage nicht mehr in voller Höhe zurück, sondern verliert rund 15.000 €. Diese verlangt er nun von S wegen der Überbewertung des Grundstücks. In Betracht kommt ein Anspruch des D gegen S aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte. Zwischen G und S kam ein Werkvertrag über die Wertbegutachtung des Grundstücks des X zustande. Fraglich ist, ob dieser Drittwirkungen für D entfaltet.

Der X. Senat bejaht die Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte und bildet zu diesem Zweck insgesamt drei nicht als solche bezeichnete, aber in der Sache unterschiedene Fallgruppen (S. 3037f.): erstens den Fall der echten Wohl-und-Wehe-Beziehung und zweitens die Fälle der Auskunftshaftung des Experten, wenn erkennbar bestimmte Drittinteressen einbezogen seien. Für die vorliegende dritte Fallgruppe sei hingegen kennzeichnend, dass Gläubiger und Schuldner an bestimmte Drittinteressen dächten, dass später aber andere Drittinteressen berührt seien, die den ursprünglich avisierten ähnlich erschienen und das Haftungsrisiko für den Schuldner nicht erhöhten. Konkret bedeutet dies Folgendes: Der Wertgutachter musste davon ausgehen, dass der Auftraggeber seine Expertise in verkehrsüblicher Weise verwenden würde, also etwa beim Verkauf oder der Beleihung des Grundstücks einsetzen würde. Dann wäre der Gutachter einem Käufer oder einer Bank wegen der falsch berechneten Höhe verantwortlich geworden. Stattdessen sind nun die Interessen der Kapitalanleger als Dritte an die Stelle getreten, ohne dass sich das Haftungsrisiko insgesamt erhöht hat. Weil hier nur das Risiko ausgetauscht, höhenmäßig aber nicht verändert worden sei, bedarf es nach Auffassung des X. Senats keines besonderen Gläubigerinteresses.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Auch hier erscheint die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation als überzeugendere Lösung. Denn im Grunde geht es nur um eine Schadensverlagerung – weg von dem zunächst vorgestellten Dritten und hin zu den Kapitalanlegern als den eigentlich Betroffenen. Wiederum erinnert die Konstellation an die Fallgruppe der mittelbaren Stellvertretung (Rn. 1332): Gegenüber dem Gutachter tritt der Auftraggeber nämlich nicht in eigenem Interesse auf, sondern erkennbar im Interesse eines späteren Kreditgebers im weitesten Sinne. Wenn daher die Fehler des Gutachters nicht den vorgestellten Typ eines Kreditgebers betreffen, sondern in einen Kapitalanlegerschaden münden, liegt darin kein Umstand, der den Gutachter entlasten darf. Es bedarf daher keiner neuen Fallgruppen des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte. Denn damit verbindet sich die bereits ausgeführte Gefahr (Rn. 1331 am Ende), das Tor zu einer Haftung des Experten für Drittinteressen unnötig weit zu öffnen. IV. Der Zahlungsverkehr 1. Einleitung

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Der Zahlungsverkehr erscheint als ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Interessenwahrungspflicht des Geschäftsbesorgers, die ja den Typenkern des Vertrags nach § 675 Abs. 1 ausmacht. Beauftragt der Kunde nämlich seine Bank mit einer unbaren Zahlung, begibt er sich vollkommen in ihre Hand als Expertin und vertraut darauf, dass sie seine wirtschaftlichen Interessen, die Bewirkung von Erfüllung gegenüber seinem Gläubiger, in der ihm völlig unbekannten Welt der banküblichen Autorisierungs- und Clearingsysteme wahrnehmen wird. Die §§ 675cff. haben in Umsetzung der Richtlinie 2007/64/EG über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (Zahlungsdiensterichtlinie 1)135 die Anbindung der zugrunde liegenden Verträge an § 675 Abs. 1 deutlich herausgestellt (§ 675c Abs. 1). Zu Änderungen wird die Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie 2136 in das deutsche Recht führen.137 Es versteht sich, dass im Rahmen des vorliegenden Werkes die vertragsrechtliche Seite des Zahlungsverkehrs im Vordergrund stehen muss. 2. Bare und unbare Zahlung

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Eine Geldschuld,138 wie sie etwa durch Abschluss eines Kaufvertrages nach § 433 Abs. 2 erster Fall begründet wird, muss grundsätzlich durch Barzahlung erfüllt werden. Dies entspricht der für das deutsche Recht geltenden hM., wäh135 Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007, ABl.

EU Nr. L 319 vom 5.12.2007, S. 1. 136 Richtlinie (EU) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt usw., ABl. EU Nr. L 337/

35 vom 23.12.2015. 137 RegE eines Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie vom 8.2.2017. 138 Instruktiv Omlor, Geldprivatrecht, 2014, S. 10ff.

IV. Der Zahlungsverkehr

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rend für das europäische Recht ein Primat der Barzahlung verneint wird.139 Anlässlich der Abschaffung der höchsten Euro-Banknote ist gar eine Diskussion um die Abschaffung des Bargeldes entflammt, die zentrale verfassungsrechtliche Prinzipien berührt:140 Bargeld erlaubt nämlich Zahlungsvorgänge ohne Datenspuren; mit ihm verwirklicht sich also ein Teil der informationellen Selbstbestimmung. Ohne Bargeld kann liquides Vermögen nur noch in Form von Forderungen gegen insolvenzfähige Privatrechtsträger gehalten werden; dessen Wert ist also nicht mehr von staatlicher Seite garantiert. Bargeld macht schließlich individuell frei gegenüber wirtschaftspolitischer Steuerung, wie sich angesichts der 2016 eingeführten Negativzinsen auf Bankguthaben (Einlagen) gezeigt hat, die Druck in Richtung einer größeren Ausgabebereitschaft erzeugen sollten. Es existieren also gute Gründe dafür, dass der Gläubiger grundsätzlich auf Barzahlung bestehen darf. Eine Tilgung durch eine unbare Zahlungsart (etwa Banküberweisung) ist entsprechend nur zulässig, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Der BGH geht von einem Angebot des Gläubigers auf Abschluss einer solchen Vereinbarung aus, wenn er auf Anschreiben oder Rechnungen eine Bankverbindung angibt.141 Die Geldschuld ist in einem solchen Fall erfüllt, wenn der Gläubiger den geschuldeten Betrag zur freien Verfügung erhält, wenn ihm also seine Bank darüber die Disposition einräumt.142 Nach § 270 Abs. 1 hat der Schuldner Geld im Zweifel auf seine Gefahr und seine Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln. Fraglich ist, ob diese Norm eine qualifizierte Schickschuld oder eine modifizierte Bringschuld begründet: (EuGH 3.4.2008 – C-306/06 = Slg. 2008, I-1923 = NJW 2008, 1835) Die 01051 Telecom (0T) und die Deutsche Telekom (DT) haben einen sog. Zusammenschaltungsvertrag (Interconnection Agreement) über die Verbindung ihrer beiden Telekommunikationsnetze geschlossen. Daraus ergaben sich wechselseitige Fakturierungsleistungen. Die 0T setzte dabei der DT in ihren AGB eine Frist von 30 Tagen ab Fälligkeit für die Zahlung. Für den Fall, dass bei Zahlung durch Banküberweisung der Betrag am 30. Tag nicht gutgeschrieben ist, verlangt 0T von DT Verzugszinsen, und zwar auch dann, wenn die DT zu diesem Zeitpunkt bereits eine Überweisung iHd. geschuldeten Betrages getätigt hat. In einem Einzelfall stellt sich die Frage, ob die Verzugszinsen ab dem 31. Tag seit Eintritt der Fälligkeit zu Recht erhoben werden, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Überweisung bereits getätigt war. In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 Abs. 3. Fraglich ist insbesondere, ob die Voraussetzungen des § 286 Abs. 3 vorliegen. Dann dürfte die DT nicht innerhalb der 30 Tage geleistet haben.

Fraglich ist, was „Leistung“ iSd. § 286 Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz bedeutet, die Vornahme der Überweisung oder die Gutschrift beim Empfänger. Der EuGH beantwortet diese Frage auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 lit. c Nr. ii

139 140 141 142

Freitag AcP 213 (2013) 128, 133ff.; vgl. auch Omlor, Geldprivatrecht, 2014, S. 46. Dazu etwa die Glosse von Braun JZ 2015, 997. Vgl. statt vieler BGHZ 185, 359 = NJW 2010, 2719, Tz. 29. BGHZ 186, 269 = NJW 2010, 3510, Tz. 22; BGH WM 2008, 1703, Tz. 26.

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1004

§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

der mittlerweile überholten Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/EG.143 Nach dieser Norm stehen dem Gläubiger Zinsansprüche zu, wenn „er den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, dass der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist.“ Daraus schließt der EuGH, dass der Gläubiger über den Betrag innerhalb des Zeitraums verfügen können muss (Tz. 22f.). Die praktischen Konsequenzen der Entscheidung reichen weit, weil der Schuldner das Übermittlungs- und Verzögerungsrisiko in vollem Umfang trägt. Teilweise wird im Schrifttum vertreten, die Zahlungspflicht würde die in § 270 Abs. 1 vorausgesetzte Rechtsnatur als qualifizierte Schickschuld einbüßen und geriete deshalb zur Bringschuld.144 Dies ist aber nicht zwingend, weil man die EuGH-Entscheidung auch so interpretieren kann, dass der Schuldner nur zu einer so rechtzeitigen Veranlassung der Überweisung verpflichtet ist, dass er mit einem rechtzeitigen Eingang beim Gläubiger rechnen darf.145 Danach bleibt die Geldschuld auch weiterhin eine qualifizierte Schickschuld. Der sachliche Unterschied liegt in der Anwendung des § 278 Satz 1. Ist die Geldschuld Bringschuld, haftet der Gläubiger für das Vertretenmüssen sämtlicher im Clearingverfahren eingeschalteter Kreditinstitute.146 Darunter fällt dann aber nicht nur eine Verantwortlichkeit für Verzögerungen, sondern uU. auch ein Schaden wie im Lastschriftfall (Rn. 1343). Dieses Haftungsrisiko wird dem Schuldner aber durch die Zahlungsverzugsrichtlinie nicht aufgebürdet. Im Fall ist daher DT nach § 286 Abs. 3 in Verzug gekommen, wenn sie die Verzögerung nach § 286 Abs. 4 zu vertreten hat. Dies hängt davon ab, ob sie selbst den Zahlungsvorgang zu spät eingeleitet hat oder ob die Verzögerung auf ein Vertretenmüssen der in die Abwicklung des Zahlungsvorgangs eingebundenen Kreditinstitute zurückgeht. Nach hier vertretener Auffassung haftet DT im zweiten Fall nicht, weil sie im Hinblick auf das Vertretenmüssen dieser Institute keine Verantwortung nach § 278 Satz 1 trägt.

1338

Fraglich ist schließlich, ob ein Gläubiger in seinen AGB die Möglichkeit der Barzahlung einschränken oder ausschließen kann: (BGH 20.5.2010 – Xa ZR 68/09 = BGHZ 185, 359 = NJW 2010, 2719) Das Luftverkehrsunternehmen L vertreibt Flugreisen vor allem im Fernabsatz. Es sieht in seinen AGB vor, dass Bargeldzahlungen aus Sicherheitsgründen nicht akzeptiert werden. Bei der Benutzung einer Kreditkarte fällt eine Gebühr von 4 €, bei sonstigen Zahlungskarten von 1,50 € an. Verstößt diese Klausel gegen § 307 Abs. 1 Satz 1? Der BGH geht zunächst von der Kontrollfähigkeit der Klausel nach § 307 Abs. 3 Satz 1 aus, weil sich die Beschränkung der Zahlungsmittel als kontrollfähige Nebenleistungspflicht darstelle (Tz. 25f.; dazu Rn. 617ff.). Der Ausschluss der Barzahlung stelle 143 Nunmehr Art. 3 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung). 144 Freitag AcP 213 (2013) 128, 162; Herresthal ZGS 2008, 259, 263f.; ders. ZGS 2007, 48, 53; Faust JuS 2009, 82, 83; Omlor, Geldprivatrecht, 2014, S. 322; Staudinger DNotZ 2009, 198, 201; bereits vor der Entscheidung Schön AcP 198 (1998) 401, 443ff. 145 Ernst ZIP 2012, 751; Heyers JZ 2012, 398, 401f.; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 46. 146 Ernst ZIP 2012, 751; Kaiser, in: Eckpfeiler, I Rn. 46; einschränkend Faust JuS 2009, 82, 83 für die Empfängerbank.

IV. Der Zahlungsverkehr

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zwar eine Benachteiligung der Gegenseite dar (Tz. 28ff.), sei aber nicht unangemessen, weil der Verwender seine Interessen nicht einseitig zu Lasten der Gegenseite verwirkliche. Denn im Fernabsatzvertrieb führten andere Zahlungsarten schlicht zu einer Verzögerung (Banküberweisung) oder zu erhöhtem Aufwand (Barzahlung; Tz. 33). Für unwirksam hält das Gericht jedoch die für Kredit- und Zahlungskarten erhobenen Gebühren, weil der Verwender den Kunden erstens keine gängige unentgeltliche Zahlungsweise eröffne (Tz. 45, unentgeltlich war nur die Verwendung der Visa Electron-Karte) und zweitens ein Entgelt für eine von ihm selbst zu erfüllende Pflicht verlange (Tz. 42f.): Denn das Unternehmen zwingt seine Kunden zur Kartenzahlung; dann obliegt es ihm aber auch, die Kartenzahlung als vertragsgemäße Leistung anzunehmen. Ein weiteres Entgelt kann dafür nicht gefordert werden. Die Klausel verstößt daher gerade unter dem letzten Sachgesichtspunkt gegen § 307 Abs. 1 Satz 1.

§ 312a Abs. 4 begrenzt in Umsetzung des Art. 19 VerbRRiL die Möglichkeit eines Unternehmers, für die Verwendung eines Zahlungsmittels ein Entgelt zu fordern, wenn keine gängige und zumutbare unentgeltliche Zahlungsmöglichkeit besteht oder das Entgelt nicht den Kosten des Händlers entspricht. Diese Regelung wird durch Einfühung des § 270a RegE ZDR 2 noch verschärft werden: Danach darf für die Verwendung der gängigen bargeldlosen Zahlungsmittel überhaupt kein Entgelt mehr gefordert werden. Ein hier nicht einschlägiger, ansonsten aber im Rahmen des § 307 Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigender rechtlicher Aspekt kann auch in dem Interesse bestehen, mittellose Verbraucher, die kein Girokonto unterhalten, durch die Barzahlungsmöglichkeit an sog. Universaldienstleistungen (Strom, Wasser usw.) teilhaben zu lassen.147 Der Fall gibt dem Gericht im Übrigen Gelegenheit, auf § 675f Abs. 5 (§ 675f Abs. 6 RegE ZDR 2) einzugehen (Tz. 48ff.). Nach dieser Norm kann in einem Zahlungsdiensterahmenvertrag das Recht des Zahlungsempfängers, dem Zahler für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsauthentifizierungsinstruments eine Ermäßigung anzubieten, nicht ausgeschlossen werden. Beispiel V verlangt von seinen Kunden einen Preisaufschlag von 5%, wenn diese Ware in seinem Geschäft mit der Kreditkarte X zahlen.

Die Norm erlaubt nach Auffassung des BGH nicht positiv, dass der Zahlungsempfänger dem Karteninhaber ein Entgelt abverlangt. Denn aus der Gesetzgebungsgeschichte folge, dass der Wortlaut bewusst auf den Fall beschränkt sei, dass der Zahlungsempfänger dem Zahler Vergünstigungen für die Benutzung eines Zahlungsinstruments anbietet. Die zunächst geplante Erweiterung der Norm hin zu einem Recht des Zahlungsempfängers, vom Zahler ein Entgelt für die Benutzung bestimmter Zahlungsinstrumente zu verlangen, sei hingegen nicht in das Gesetz gelangt.148

147 Vgl. die Regelung des § 41 Abs. 2 EnWG; dazu: BGH JZ 2014, 355 mAnm. Rott vor allem S. 359f. 148 RegE BT-Drucks. 16/11643, S. 17 und BT-Drucks. 16/13669, S. 26f.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

§ 675f Abs. 5 erlaubt danach, dass V seinen Kunden einen 5%igen Nachlass anbietet, wenn sie nicht mit der Kreditkarte X zahlen. Ein 5%iger Aufschlag gegenüber den Zahlern, die die Kreditkarte X verwenden, kann indes in den AGB nicht wirksam vereinbart werden.

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Der deutsche Gesetzgeber hat durch diese Beschränkung die Vorgabe des Art. 52 Abs. 3 Zahlungsdiensterichtlinie 1 eher weniger überzeugend umgesetzt. Nach dieser Norm darf der Zahlungsdienstleister dem Zahlungsempfänger zunächst nicht verwehren, vom Zahler für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments ein Entgelt zu verlangen oder ihm eine Ermäßigung anzubieten (Satz 1). Die Mitgliedstaaten können jedoch das Recht auf Erhebung von Entgelten untersagen oder begrenzen, um der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, den Wettbewerb und die Nutzung effizienter Zahlungsinstrumente zu fördern (Satz 2). Die Norm zielt auf die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs im kartengestützten Zahlungsverkehr. Alle Institute des Zahlungsverkehrs stehen nämlich in einer Wettbewerbsbeziehung zueinander, die nicht durch eine einheitliche bankrechtliche Behandlung nivelliert werden darf.149 Dabei ist zu beachten, dass Zahlungsmittel nicht unmittelbar miteinander konkurrieren und von den Händlern nachgefragt werden, denen gegenüber sie zum Einsatz kommen. Vielmehr werden Zahlungsmittel im Handel über die Privatverbraucher durchgesetzt: Ein Händler muss danach ein bestimmtes unbares Zahlungsmittel akzeptieren, wenn es sich im Handel durchgesetzt hat. Beispiel Hotelier H muss sich sehr genau überlegen, ob er die Kreditkarte des Unternehmens X akzeptiert oder nicht. Der Vorteil liegt für ihn darin, dass er Reservierungen von Kunden der X akzeptieren kann, der Nachteil aber darin, dass X von ihm mglw. einen viel zu hohen Anteil an seinen Umsätzen als Entgelt (Disagio) verlangt. Verwendet aber seine Klientel die Kreditkarte X typischerweise, bleibt H keine Wahl: Er muss das Zahlungsmittel akzeptieren und sich auf die Entgeltbedingungen des Betreibers von X einlassen.

Diese Zusammenhänge erklären, warum Kreditkarten an die Verbraucher oft überaus günstig abgegeben werden. Denn das Kreditkartenunternehmen verdient nicht an den Karteninhabern, sondern an den Händlern, wenn deren Entgeltforderungen über die Kreditkarte bezahlt werden. Erreicht aber die Zahl der Käufer, die ein bestimmtes Zahlungsmittel präferieren, erst einmal eine kritische Größenordnung, können sich die Händler dem einschlägigen Kundenwunsch nach Einsatz des Zahlungsmittels nur schwer verschließen und werden zur Einigung mit dem Systembetreiber gedrängt. Abhängig von dem dabei involvierten Grad an Nachfragemacht kann ein kartellrechtlicher Hebel-Effekt (Leverage-Effekt) entstehen: Je größer die Akzeptanz des Zahlungsmittels unter den Käufern ist, umso stärker fällt das „Erpressungspotenzial“ gegenüber der Händlerseite aus.150 Dagegen kann der Händler sich nunmehr nur durch Rabatte schützen und nicht durch Preisaufschläge. Das heißt er kann die Kunden, die sich eines bestimmten Zahlungsmittels bedienen, belohnen, nicht aber die 149 Langenbucher, Die Risikozuordnung im bargeldlosen Zahlungsverkehr, 2001,

S. 274ff.; dies. BKR 2002, 119, 121.

IV. Der Zahlungsverkehr

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anderen durch einen Aufschlag auf den Preis von der Verwendung des Zahlungsmittels abhalten. Dies verschlechtert die Position des Händlers, denn das Rabattmodell setzt voraus, dass dieser die Kosten der Kartenzahlung durch eine vorangehende Preiserhöhung auffängt, um den Preis dann gegenüber dem Barzahler senken zu können. Im Wettbewerb mit seinen Konkurrenten ist diese Preiserhöhung aber regelmäßig nicht durchsetzbar.151 3. Girovertrag und Überweisung

Der Abwicklung unbarer Zahlungsvorgänge über ein Bankkonto liegt regelmäßig eine Girovereinbarung zwischen einem Kreditinstitut und dessen Kunden zugrunde. Diesen Girovertrag bezeichnet das Gesetz nun als Geschäftsbesorgungsvertrag über die Erbringung von Zahlungsdiensten (§ 675c Abs. 1). In Umsetzung der Zahlungskonten-Richtlinie 2014/92/EU gewährt § 31 Zahlungskontengesetz Verbrauchern einen gesetzlichen Anspruch auf einen Basiskontovertrag (Girokonto ohne Kreditrahmen, Jedermann-Konto).152 Dadurch soll die Teilnahme auch einkommensschwacher Verbraucher am allgemeinen Verkehr erleichtert werden. Im unternehmerischen Bereich verneint die Rechtsprechung aber einen Anspruch auf ein Girokonto bei einer bestimmten Bank: (BGH 15.1.2013 – XI ZR 22/12 = NJW 2013, 1519) Bank B kündigt dem Buchvertrieb K den zwischen beiden Parteien geschlossenen Girovertrag. Sie beruft sich dabei auf eine Klausel in den von ihr gestellten AGB, die eine ordentliche Kündigung unter Wahrung einer Kündigungsfrist ohne Sachgrund vorsieht. K, der ein auffallend rechtslastiges Buchprogramm führt, ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam, da sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

Hier ist zunächst das allgemeine Kündigungsrecht des Zahlungsdienstleisters nach § 675h Abs. 2 einschlägig (Tz. 15). Sind dessen Voraussetzungen eingehalten, stellt sich die Frage, ob der Kontoinhaber darüber hinaus eine diskriminierungsfreie Behandlung verlangen kann. Der Gesetzgeber hat das Problem der Vertragsverweigerung bzw. Vertragsbeendigung aus weltanschaulichen Gründen in § 19 AGG gesehen: Obwohl die Norm auf Giroverträge anwendbar ist, erfasst sie dennoch nicht die Ungleichbehandlung aus weltanschaulichen Gründen (Tz. 22). Damit wollte der Gesetzgeber verhindern, „dass z.B. Anhänger rechtsradikalen Gedankenguts aufgrund der Vorschrift versuchen, sich Zugang zu Geschäften zu verschaffen, die ihnen aus anerkennenswerten Gründen ver-

150 Die Regelung geht auf eine Initiative Karel von Mierts zurück. Zu diesem Zusammenhang vgl. neuerdings etwa Grundmann WM 2009, 1157, 1161, Fn. 80; zuvor R. Fischer, in: FS Schimansky, 1999, S. 111ff.; Hofmann WuW 2006, 17; Immenga/Körber BB 1999, Beilage 12, S. 4; Oechsler, Wettbewerb, Reziprozität und externe Effekte im Kreditkartengeschäft, 1991, passim; ders. ZHR 156 (1992) 330. 151 Zu neueren Entwicklungen in diesem Bereich: Oechsler WM 2016, 537. 152 Herresthal BKR 2016, 133.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

weigert wurden.“153 Fraglich ist, ob die Bank aus Art. 3 Abs. 1 GG gehalten ist, den Kontoinhaber wegen seiner Weltanschauung nicht zu diskriminieren. Die von Dürig entwickelte Lehre von der (bloß) mittelbaren Wirkung der Grundrechte im Zivilrecht beruht aber gerade auf der Einsicht, dass das Privatrecht von der nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie geprägt ist, im Rahmen derer vor allem Art. 3 Abs. 1 GG keine unmittelbare Anwendung finden kann.154 Deshalb wirken die Grundrechte nur als Wertordnung, über die Generalklauseln des Zivilrechts (s. auch Rn. 44ff.).155 Auch der BGH verneint aus diesen Gründen die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG (Tz. 27): „Das vom Grundsatz der Privatautonomie beherrschte bürgerliche Recht enthält keine über eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes begründbare allgemeine Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung (…). Eine der unmittelbaren Geltung gleichkommende generelle Bindung von Privatrechtssubjekten an den Gleichheitssatz besteht nicht, da dies die privatrechtliche Vertragsfreiheit und die grundgesetzlichen Freiheitsrechte aushebelt. Ob der allgemeine Gleichheitssatz gilt, richtet sich danach, ob im Verhältnis einzelner Privatrechtssubjekte zueinander ein (soziales) Machtverhältnis besteht (…). Ein solches soziales Machtverhältnis existiert zwischen den Parteien nicht. Es kann insbesondere nicht allein mit der (kredit-)wirtschaftlichen Betätigung der Beklagten belegt werden. Erst recht ist für einen Missbrauch eines Machtverhältnisses nichts ersichtlich. Entsprechend oblag es der Beklagten nicht, eine Ungleichbehandlung der Klägerin im Verhältnis zu anderen Kunden mittels einer Angemessenheits- oder Verhältnismäßigkeitsprüfung sachlich zu rechtfertigen“ (Hervorhebungen durch den Verf.). Die Kündigung ist danach wirksam. Anders entschied der BGH übrigens für eine Sparkasse, die der NPD einen Girovertrag kündigt. Denn sie war als Anstalt des öffentlichen Rechts an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden.156

Die Rechte und Pflichten aus dem Girovertrag folgen in großem Umfang den §§ 665ff., auf die die §§ 675 Abs. 1, 675c Abs. 1 verweisen. Danach erteilt der Bankkunde der Bank Aufträge iSd. § 665 über unbare Zahlungsvorgänge. Diese führen zu einer Autorisierung gem. § 675j Abs. 1 Satz 1. Die Bank erteilt dem Kunden (durch Kontoauszug) nach § 666 Rechenschaft über ihre Tätigkeit als Geschäftsbesorgerin. Der Kunde hat einen Anspruch auf Auszahlung des Kontoguthabens aus § 667, die Bank aber Aufwendungsersatz- und Vorschussansprüche aus §§ 669, 670 durch Belastung des Kundenkontos, wenn sie Zahlungsvorgänge für diesen anschiebt. 153 BT-Drucks. 16/2922, S. 13; Looschelders JZ 2013, 570, 571. 154 Dagegen nun Grünberger, Personale Gleichheit – Der Grundsatz der Gleichbehandlung im

Zivilrecht, 2013, S. 71ff. und etwa S. 791ff. 155 Grundlegend Dürig, in FS Nawiasky, 1956, S. 157ff.; ders., in Maunz/Dürig, Grundgesetz,

Stand Dezember 1992, Art. 1 III Rn. 129ff.; kritisch etwa Hager JZ 1994, 373ff.; in der Entscheidung werden zitiert: Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 149ff.; Jestaedt VVDStRL 64, 298, 330ff.; dazu auch Looschelders JZ 2013, 570, 572; zweifelnd jetzt jedoch Kulick NJW 2016, 2236: Das BVerfG sei längst zu einer verfassungskonformen Auslegung des Privatrechts übergegangen. 156 BGHZ 154, 146 = NJW 2003, 1658; ähnlich BGH NJW 2004, 1031 für die Postbank vor deren Börsengang; dazu Looschelders JZ 2013, 570, 571.

IV. Der Zahlungsverkehr

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Eine Belastung des Kontos ist grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn der Bank (Zahlungsdienstleister) gegenüber ihrem Kunden (Zahler) ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 675c Abs. 1, 670 zusteht. Dieser setzt voraus, dass der Kunde den Zahlungsvorgang nach § 675j Abs. 1 Satz 1 autorisiert hat (vgl. § 675u Satz 1). Nach § 675j Abs. 1 Satz 1 bedeutet die Autorisierung die Zustimmung des Kunden zum Zahlungsvorgang. Diese kann nach Satz 2 als Einwilligung oder, sofern dies zuvor vereinbart wurde, auch als Genehmigung erteilt werden. Die Regelung nimmt erkennbar auf die in §§ 182ff. konkretisierten Begriffe Zustimmung, Einwilligung und Genehmigung Bezug. Bei der Autorisierung handelt es sich also um eine Willenserklärung, deren typischer Anwendungsfall im Überweisungsauftrag liegt. Fehlt die Autorisierung und wird das Konto des Kunden dennoch belastet, hat dieser einen Anspruch auf Kontoberichtigung aus § 675u Satz 2, der ein Verschulden nicht voraussetzt. Das Prinzip, dass ohne Autorisierung nach § 675j Abs. 1 kein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 675c Abs. 1, 670 entsteht, beruht auf Art. 73 Abs. 1 Zahlungsdiensterichtlinie 2 (Richtlinie (EU) 2015/2366) und Art. 60 Abs. 1 Zahlungsdiensterichtlinie 1 (Richtlinie 2007/64/EG). Es stellt ein zentrales Rechtsprinzip dar und beeinflusst vor allem die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung: (BGH, 16.6.2015 – XI ZR 243/13 = BGHZ 205, 378 = NJW 2015, 3093 nachgebildet) V hat K einen Gebrauchtwagen für 10.000 € verkauft. Allerdings mindert K den Kaufpreis zu einem späteren Zeitpunkt wegen eines zwischen den Beteiligten streitigen Mangels nach §§ 437 Nr. 2, 441 auf 5.000 €. Deshalb weist K seine Hausbank (Zahlungsbank = ZB) an, 5.000 € auf das von V angegebene Konto bei der Empfängerbank (EB) zu überweisen und dies V mitzuteilen. ZB erledigt den Auftrag noch am selben Tag und teilt dies V auch telefonisch mit. Bei EB führt man die Zahlung allerdings nicht aus, weil der von ZB mitgeteilte Name des Kontoinhabers nicht mit der bei EB geführten Kontonummer übereinstimmt. EB meldet dies ZB und ZB benachrichtigt darauf K. K und ZB vereinbaren daraufhin, dass die Überweisung nicht ausgeführt werden soll. K überweist den Betrag iHv. 5.000 € vielmehr auf ein anderes Konto der V, im Wege des Onlinebanking. Vor Eingang dieser Zahlung ruft V jedoch bei ZB an und fragt, wo die 5.000 € blieben, über deren Überweisung ZB der V Mitteilung gemacht habe. V spricht darüber mit einem anderen, bisher mit der Sache nicht befassten Mitarbeiter der ZB und erklärt diesem, dass sie zwischenzeitlich ihren Namen geändert habe, weshalb der angegebene Name richtig gewesen sei. Darauf veranlasst der Angestellte die Ausführung der vermeintlich nur liegen gebliebenen Überweisung und bei V gehen zweimal 5.000 € ein. Später fordert ZB die von ihr weitergeleiteten 5.000 € von V heraus. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch von ZB gegenüber V aus § 812 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall BGB (Nichtleistungskondiktion), wobei es um die von V erlangten 5.000 € geht. Fraglich ist nur, ob die 5.000 € in sonstiger Weise erlangt wurden. Hätte V die 5.000 € durch Leistung des K erlangt, wäre sie nämlich durch das Subsidiaritätsprinzip geschützt (Rn. 830a, 1089): Was V durch Leistung des K erlangt, braucht sie nämlich nicht im Wege der Nichtleistungskondiktion an ZB herauszugeben. Nach dem Verständnis der hM. setzt eine Leistung jedoch die Abgabe einer Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 voraus, mit der der Schuldner erklärt, mit der Zuwendung des vermögenswerten Etwas seine Schuld gegenüber dem Gläubiger zu erfüllen (Rn. 134ff.). Ob eine Tilgungsbestimmung abgegeben wird, bestimmt sich wiederum nach der Lehre vom ob-

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

jektiven Empfängerhorizont (Rn. 134, 1136, 1266), und damit nach §§ 133, 157. Der objektive Empfänger in der Person der V konnte vorliegend zunächst erkennen, dass ein Kaufpreisanspruch zu Lasten des K iHv. 10.000 € begründet war. Sie wurde nicht dadurch bösgläubig, dass Streit um das Vorhandensein eines Mangels und ein Minderungsverlangen iHv. 5.000 € im Raum standen. Beides hätte K nämlich stillschweigend durch die Überweisung der vollen Summe aufgegeben haben können. Eine Entschuldigung bzw. eine ausdrückliche Erklärung darüber war hingegen kaum zu erwarten. Misstrauisch musste V auch nicht deshalb werden, weil der einheitliche Betrag iHv. 10.000 € durch zwei Überweisungen bezahlt wurde; denn Summen dieser Größenordnung werden von Verbrauchern häufig in mehreren Zahlungsvorgängen bewegt. Insgesamt durfte ein objektiver Empfänger in der Position der V daher von einer Leistung des K ausgehen.

Fraglich ist nur, ob das unrichtige Verständnis der Verkäuferin von einer Leistung dem Käufer auch zurechenbar ist. Eine wirksame Anweisung des Käufers nach § 362 Abs. 2 lag zunächst nicht mehr vor; dieser hatte die Autorisierung nach § 675j Abs. 1 nämlich durch Vereinbarung mit seiner Bank aufgehoben, was aufgrund der Privatautonomie der Parteien (§ 311 Abs. 1) jederzeit möglich ist. Allerdings könnte der Käufer vorliegend das Fehlverständnis auf der Verkäuferseite dennoch gemäß der Lehre von der fehlerhaften Anweisung157 zurechenbar veranlasst haben (Veranlassungsprinzip): Denn auch eine rechtsgeschäftlich nicht mehr bestehende Anweisung erhöht, wenn sie vom Angewiesenen dennoch tatsächlich befolgt wird, die Gefahr von Missverständnissen auf der Seite des Zuwendungsempfängers. Hat der vermeintlich Anweisende diese Gefahr ursprünglich durch sein selbstverantwortetes Handeln (= wirksame Erteilung der ursprünglichen Anweisung) in spezifischer Weise erhöht (= veranlasst), ist ihm das Fehlverständnis auf Seiten des Zuwendungsempfängers grundsätzlich zurechenbar. Dann liegt insgesamt eine Leistung vor (Tz. 18). Diesen Rechtsgedanken wendet der BGH jedoch auf den Fall des § 675j Abs. 1 nicht an (Tz. 23ff.). Denn nach den Vorgaben des Unionsrechts sei der Zahlende ohne eine Autorisierung nicht an das Ergebnis des Zahlungsvorgangs gebunden. Deshalb stehe der Fall dem der fehlenden Anweisung gleich (Tz. 24). Fehlt eine Anweisung des nur vermeintlich Anweisenden aber vollständig, kann diesem das Fehlverständnis des Empfängers gerade nicht zugerechnet werden. Es liegt damit insgesamt keine Leistung vor. Die Gegenauffassung sieht den Zahler dadurch einseitig begünstigt,158 was für den vorliegenden Fall einleuchtet, weil der Käufer den Zahlungsvorgang im Dreiecksverhältnis ja tatsächlich angeschoben hat und daher für das Fehlverständnis der Verkäuferin verantwortlich ist. Es erscheint deshalb fraglich, ob die Vorgaben 157 Dargestellt bei Reuter/Martinek § 2 III 3 b) bb), S. 60; zur Kritik ebenda § 2 III 4 a), S. 65;Jansen JZ 2015, 952, 953. 158 Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe, Kommentar zum Zahlungsverkehrsrecht, 2. Aufl. 2013, § 675u Rn. 28; Grundmann WM 2009, 1109, 1117; Köndgen JuS 2011, 481, 489; Staudinger/Omlor § 675z Rn. 6; für Foerster AcP 213 (2013) 405, 413ff. und 418ff. ist der Sachunterschied gering, da der Zahlungsempfänger dem Zahlenden (!) entweder aus Leistungskondiktion oder Nichtleistungskondiktion hafte. Gegen eine Nichtleistungskondiktion spricht jedoch das Unmittelbarkeitsprinzip.

IV. Der Zahlungsverkehr

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der beiden Richtlinien hier überhaupt anwendbar sind. Denn sie schützen den Zahlenden im Verhältnis zum Zahlungsdienstleister, nicht jedoch im Verhältnis zum Zahlungsempfänger, um das es hier allein geht. Läge nämlich eine Leistung vor, müsste der Käufer den Kaufpreis von der Verkäuferin kondizieren, weil es an einem Rechtsgrund fehlt. Dies erspart ihm der BGH durch Anwendung eines Rechtsgedankens aus § 675j Abs. 1. Folgt man der Auffassung des BGH, hat V die zweiten 5.000 € nicht durch Leistung erlangt. Die weiteren Voraussetzungen einer Nichtleistungskondiktion liegen dann ebenfalls vor. Die Bereicherung erfolgte auf Kosten der ZB, also unmittelbar aus deren Vermögen (Unmittelbarkeitsprinzip): Denn ZB muss dem K den entsprechenden Betrag nach § 675u Satz 2 ersetzen. Da zwischen ZB und V kein Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Betrages besteht, ist der Anspruch begründet.

Ähnlich entschieden wurde der Fall, dass die Zahlungsbank den Auftrag eines ehemaligen Kontobevollmächtigten ausführt, dessen Kontovollmacht erloschen ist. Auch hier muss die Bank unmittelbar gegen den Zahlungsempfänger vorgehen, weil eine wirksame Autorisierung fehlte.159 Das Argument der fehlenden Autorisierung entfällt aber nach Verstreichen der Ausschlussfrist des § 676b Abs. 2 (13 Monate nach der Belastung des Kontos des Zahlers).160 Beim Kontoberichtigungsanspruch nach § 675u Satz 2 handelt es sich in der Sache um einen Anspruch auf richtige Kontoführung nach § 666. Nach dieser Norm ist der Geschäftsbesorger verpflichtet, dem Geschäftsherrn die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen. Die Auskunftserteilung über den Stand der Geschäfte muss aber richtig sein. Ist dies nicht der Fall, besteht ein Erfüllungsanspruch auf richtige Auskunftserteilung. Dieser ist im verschuldensunabhängigen Kontoberichtigungsanspruch aus § 675u Satz 2 in spezieller Weise geregelt. Hinzu tritt ein Erstattungsanspruch aus § 675y Abs. 1 Satz 2 für den Fall, dass der Kunde (Zahler) den Zahlungsvorgang iSd. § 675j Abs. 1 Satz 1 zunächst tatsächlich autorisiert hat. Der Kunde kann dann Erstattung des angewiesenen Betrages insofern verlangen, als die Ausführung des Zahlungsauftrags fehlerhaft war (Beispiel unten Rn. 1356).

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4. Das Lastschriftverfahren

Auch das Lastschriftverfahren folgt den §§ 675cff. Früher bestanden hier zwei von der Abwicklungstechnik her unterschiedliche Verfahren (Abbuchungsauftragsverfahren, Einzugsermächtigungsverfahren; vgl. die Voraufl. an dieser Stelle), die mittlerweile zugunsten des sog. SEPA-Lastschriftverfahrens entfallen sind. Bei diesem autorisiert der Kontoinhaber (Schuldner) seine Bank nach

159 BGHZ 205, 334 = NJW 2015, 2725, Tz. 15ff. 160 Foerster AcP 213 (2013) 405.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

§ 675j Abs. 1, den Lastschrifteinzug durch einen Dritten (Gläubiger) über das Konto zu erlauben: (BGH 28.2.1977 – II ZR 52/75 = BGHZ 69, 82 = NJW 1977, 1916) G verkauft und liefert im Rahmen einer laufenden Geschäftsverbindung häufiger Kalksandstein an S. S hat seiner Bank, der S-Bank, eine Autorisierung nach § 675j Abs. 1 Satz 1 erteilt, nach der G den jeweiligen Kaufpreis von seinem Konto einziehen darf. G beauftragt seine eigene Bank, die G-Bank, mit dem Einzug mehrerer Einzelforderungen über Lieferungen von Kalksandstein an S. Die Beträge werden dem Konto des G unter Vorbehalt der Deckung gutgeschrieben. G nimmt im Hinblick auf diese Vorgänge zunächst nur den Kontostand war. So entstand bei G der unrichtige Eindruck, dass S ihre Verbindlichkeiten pünktlich erfüllt habe. Als die Lastschriftaufträge bei der S-Bank eingehen, weist das Konto des S allerdings keine Deckung mehr auf. Die S-Bank lässt die Aufträge einige Zeit unbearbeitet liegen. Während dieser Zeit liefert G an S weiterhin Waren im Wert von 18.000 €. Erst danach sendet die SBank die Lastschriftaufträge wegen fehlender Deckung an die G-Bank zurück. Diese nimmt eine Rückbelastung auf dem Konto des G vor, der nun erst von den Zahlungsschwierigkeiten des S erfährt. S ist mittlerweile insolvent. G nimmt die S-Bank wegen der Kaufpreisforderungen in Anspruch, die während der Zeit des Eingangs und der Rücksendung der Lastschriftaufträge entstanden sind. Dies begründet er so: Hätte die S-Bank die Lastschriftaufträge rechtzeitig zurückgeschickt, hätte G nicht an S geliefert und hätte den Kalksandstein an Dritte verkaufen können. Fraglich ist, ob hier Ansprüche des G gegen die S-Bank aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte in Betracht kommen. Zwischen G-Bank und der S-Bank kam über die Abwicklung der Lastschrift ein Zahlungsdienstevertrag nach § 675c Abs. 1 zustande. Problematisch erscheint jedoch, ob G in dessen Schutzwirkungen einbezogen ist.

Der II. Senat rechtfertigte die Drittwirkungen mit der Überlegung, dass die im Lastschriftverfahren ausgetauschte Leistung „bestimmte verfahrenstypische Risiken in sich birgt und den mit der Durchführung betrauten Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres zugemutet werden kann, diese Risiken klein zu halten“. (S. 1916; vgl. bereits oben Rn. 1320). Deshalb müsse der Gläubiger in die Drittwirkungen einbezogen sein, auch wenn zwischen ihm und seiner Bank keine Wohl-und-Wehe-Beziehung bestehe. Bereits eine geringfügige Abwandlung des Falles zeigt, dass dieser Gedanke nicht sehr weit trägt. Die G-Bank schaltet beim Einzug der Lastschriftaufträge die S-Bank nicht direkt ein, sondern wendet sich an die Z-Bank, die ihrerseits die S-Bank wegen des Lastschriftauftrags angeht. Fraglich ist, ob auch hier der zwischen Z- und S-Bank geschlossene Vertrag Schutzwirkungen für G entfaltet.

Der XI. Senat hat sich von der Begründung der Ersatzpflicht aus einem Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte distanziert und rechtfertigt die Inanspruchnahme der Schuldnerbank aus einer Drittschadensliquidation.161 Er schließt sich damit an Überlegungen Haddings an.162 Danach sind die Fälle der Störung

161 BGHZ 176, 281 = NJW 2008, 2245, Tz. 35f. 162 Vgl. dazu nur Hadding, in: FS Werner, 1984, S. 165, 178ff.; Hüffer ZHR 151 (1987) 93, 98ff.

IV. Der Zahlungsverkehr

1013

in der Zahlungskette den Konstellationen mittelbarer Stellvertretung ähnlich, die als Fallgruppe des Instituts der Drittschadensliquidation anerkannt ist (Rn. 1332). Hier wie dort agieren die zwischengeschalteten Inkassobanken im eigenen Namen, nehmen aber innerhalb der Vertragskette jeweils im Innenverhältnis zu ihren Vorgängern die Interessen des Kunden wahr. Aus Sicht der schädigenden Schuldnerbank erscheint es daher als bloßer Zufall, dass die Folgen ihrer Nachlässigkeit nicht unmittelbar beim Vertragspartner (der letzten Inkassobank), sondern beim Gläubiger der Forderung eintreten. Sachliche Voraussetzung einer Drittschadensliquidation ist gerade diese zufällige Schadensverlagerung. Dies entspricht jetzt auch der Regelung des § 676a, wobei § 675z eine Begrenzung der Schadenshöhe auf 12.500 € gestattet.

Die Kritik wendet allerdings ein, dass in den Fällen der Zahlungskette eine Schadenserweiterung vorliege, die nur über das Institut des Vertrages mit Schutzwirkungen für Dritte liquidiert werden könne:163 Beispiel Wie im Ausgangsfall hat die S-Bank die Rücksendung der Lastschriftaufträge versäumt. Nun aber fällt auch G in Insolvenz, sodass die G-Bank keine Rückbelastung mehr vornehmen kann. Neben den vom Insolvenzverwalter geltend zu machenden Schaden des G tritt dann der eigene Schaden der G-Bank. Dagegen wird allerdings zu Recht eingewendet, dass man zwischen beiden Schäden genauer differenzieren muss: Der durch die Warenkreditierung entstandene Schaden kann von vornherein nur beim Gläubiger auftreten und nie bei seiner Bank. Bezogen auf diesen Schaden geht es um eine von vornherein bestehende echte Schadensverlagerung in einem auf mittelbarer Stellvertretung beruhenden Abwicklungsverhältnis. Daneben tritt als eigener Schadenstypus der wegen gescheiterter Rückbelastung entstandene Vermögensverlust, der nach eigenen Regeln liquidiert werden muss.164 Bejaht man mit dem XI. Senat eine Drittschadensliquidation, hat vorliegend G gegen die G-Bank einen Anspruch aus § 285 Abs. 1 auf Abtretung des Schadensersatzanspruchs der G-Bank gegen die S-Bank aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Ein Problem dieses Schadensersatzanspruchs liegt darin, dass die G-Bank keinen Eigenschaden erlitten hat. Weil aber die Voraussetzungen der Drittschadensliquidation vorliegen, darf die G-Bank gegenüber der S-Bank den Drittschaden des G wie einen eigenen liquidieren. Ihr steht daher ein vollständiger Anspruch zu, den sie an G abtreten muss. Ist schließlich in Abwandlung des Falles noch eine Z-Bank zwischengeschaltet, hat G gegenüber der G-Bank einen Anspruch aus § 285 Abs. 1 auf Abtretung ihrer Ansprüche gegen die Z-Bank. Dabei handelt es sich um einen weiteren Anspruch der G-Bank gegen die Z-Bank aus § 285 Abs. 1 auf Abtretung des Schadensersatzanspruchs der Z-Bank gegenüber der S-Bank aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2. Im Rahmen dieses Anspruchs darf die Z-Bank den Schaden des G nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation gegenüber der S-Bank liquidieren.

163 Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 26. 164 So van Gelder, in: Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 58 Rn. 21; ähnlich Hüffer ZHR

151 (1987) 93, 99.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Besondere Probleme bereitete lange Zeit die insolvenzrechtliche Behandlung des Lastschriftverfahrens: (BGH 20.7.2010 – XI ZR 236/07 = BGHZ 186, 269 = NJW 2010, 3510) Über das Vermögen der Verbraucherin S wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter bestellte I widerspricht gegenüber der Bank der S (G) sofort allen von S erteilten Lastschriftaufträgen. Muss G nun sämtliche bereits erfolgten Belastungen des Kontos durch Lastschriftaufträge rückgängig machen? Ein Anspruch auf Stornierung kann sich aus § 675u Satz 2 ergeben, wenn G das Konto der S belastet hat, obwohl ihr mangels wirksamer Autorisierung nach § 675j Abs. 1 Satz 1 kein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 675c Abs. 1, 670 zusteht.

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Belastet die Bank das Konto ihres Kunden ohne Autorisierung, handelt sie als Geschäftsführerin ohne Auftrag, sodass ihr Aufwendungsersatzanspruch nach § 684 Satz 2 davon abhängt, dass der Kunde (Schuldner) die Abbuchung noch nachträglich genehmigt. Eine Erteilung der Autorisierung durch Genehmigung ist nach § 675c Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall zwar grundsätzlich möglich (Tz. 10).165 Doch stellt sie eine Verfügung dar, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner nicht mehr wirksam vorgenommen werden kann (§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ist daher die Autorisierung nicht von vornherein erteilt, kommt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Genehmigung durch den Schuldner nicht mehr in Betracht, sondern nur noch durch den Insolvenzverwalter. Nach einer Auffassung soll der Schuldnerbank gegen den Schuldner dennoch auch bei fehlender Autorisierung ein Aufwendungsersatzanspruch aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683 Satz 1, 670) zustehen, wenn sie mit der Lastschrift eine einredefreie Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger tilgt.166 Allerdings dürfte diesem Anspruch im weitgehend anonymisiert und massenhaft abgewickelten Zahlungsverkehr regelmäßig der fehlende Fremdgeschäftsführungswille der Bank nach § 687 Abs. 1 entgegenstehen. Denn die Bank hat nur rudimentäre Kenntnisse vom Zahlungszweck und daher wohl regelmäßig keinen Fremdgeschäftsführungswillen. Ferner steht der auf Europarecht beruhende Grundsatz entgegen, dass ohne Autorisierung kein Aufwendungsersatzanspruch besteht (Rn. 1342a). Der BGH hat im vorliegenden Fall seine vorherige Rechtsprechung (Genehmigungstheorie; Voraufl. Rn. 1344) für die SEPA-Lastschrift aufgegeben. Die SEPA-Lastschrift ist insolvenzfest, weil der Kontoinhaber durch das SEPA-Mandat bereits vorab in die Abbuchung des Betrags von seinem Konto gemäß § 675j Abs. 1 Satz 2 erster Fall eingewilligt hat (Tz. 15ff.).167 Diese Autorisierung kann der Kunde nur noch bis zum Eingang eines durch den Gläubiger initiierten Zahlungsauftrags widerrufen (§§ 675j Abs. 2 Satz 1, 675p Abs. 1).168 165 166 167 168

Vgl. noch BGH NJW 2012, 146, Tz. 12. Nobbe WM 2009, 1537, 1545f.; Piepenbrock KTS 2007, 179, 184. Hadding, in: FS Hüffer, 2010, S. 273, 289. Hadding, in: FS Hüffer, 2010, S. 273, 289.

IV. Der Zahlungsverkehr

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Der Kunde (Zahler) wird dabei durch den Erstattungsanspruch aus § 675x Abs. 1, 2 und 4 gegen seine Bank geschützt: Wenn der Schuldner seiner Bank die Autorisierung bei Erteilung des Lastschriftauftrags erteilt, trifft er zugleich eine Vereinbarung nach § 675x Abs. 2, wonach eine Erstattung des genehmigten Betrags binnen acht Wochen trotz vorangegangener Autorisierung möglich ist (Tz. 20ff.). Der springende Punkt ist, dass der an den Gläubiger geleitete Betrag dennoch nicht in die Insolvenzmasse fällt (Tz. 29ff.). Dies begründet der BGH in Analogie zu § 377 Abs. 1. Danach ist der Anspruch des Schuldners, eine von ihm zur Schuldbefreiung hinterlegte Sache zurückzufordern, unpfändbar (Tz. 30). Hinter dieser Norm steht eine verallgemeinerungsfähige Privilegierung des Gläubigers, weil mit der Hinterlegung seine Befriedigung bereits begonnen hat. Dies ist auch bei der nach § 675j Abs. 1 Satz 2 erster Fall autorisierten Zahlung der Fall. Deshalb braucht der Gläubiger weder in der Zwangsvollstreckung noch im Insolvenzverfahren hinter anderen Gläubigern zurückzustehen. Ferner begründet der BGH diese Privilegierung auch aus § 116 Satz 3 InsO, wonach der Insolvenzverwalter erteilte Zahlungsaufträge nicht widerrufen dürfe (Tz. 32). Eine Rückforderung des abgebuchten Betrags durch den Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens scheidet damit aus und das SEPA-Lastschriftverfahren ist so insolvenzfest wie die Überweisung.

1346

Im Fall muss G daher die bereits erfolgten Belastungen nicht rückgängig machen, wenn diese den Konten der jeweiligen Zahlungsempfänger gutgeschrieben sind. Nach Insolvenzeröffnung darf sie allerdings keine weiteren Kontobelastungen mehr vornehmen, weil nun wegen § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO keine wirksame Anweisung mehr vorliegt.

5. Haftung beim Einsatz von Zahlungskarten

Zahlungskarten (zB. Kreditkarten, ec-Karten) sind häufig durch besondere Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff geschützt. Wird mit der Karte dennoch ein Umsatz getätigt und behauptet der Kunde, diesen nicht iSd. § 675j Abs. 1 Satz 1 autorisiert zu haben, stellen sich aus Sicht der ausgebenden Bank zwei alternative Erklärungsmöglichkeiten: Entweder ist der Kunde nicht redlich und hat die Autorisierung erteilt; dann steht der Bank ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 675c Abs. 1, 670 zu. Oder der Kunde sagt die Wahrheit. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob die Bank nicht einen Schadensersatzanspruch gegen den Kunden aus § 675v Abs. 2 Nr. 1 (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) hat, weil dieser die Geheimzahl entgegen § 675l Satz 1 (§ 675l Abs. 1 Satz 1 RegE ZDR 2) nicht sorgfältig aufbewahrt oder den Kartenverlust nicht rechtzeitig mitgeteilt hat (§ 675l Satz 2; künftig: § 675l Abs. 1 Satz 2 RegE ZDR 2): (BGH 29.11.2011 – XI ZR 370/10 = NJW 2012, 1277)169 Kreditkartenunternehmen E hat an seinen Kunden K eine Kreditkarte ausgegeben, die auch Bargeldabhebungen unter Verwen169 Zur Parallelproblematik im ec-Kartenverfahren: BGHZ 160, 308 = NJW 2004, 3623.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

dung einer Geheimzahl (PIN) erlaubt. In der Nacht vom 12. zum 13.8.2009 wird die Originalkreditkarte an Geldautomaten verschiedener Kreditinstitute sechs Mal benutzt, um insgesamt 3.000 € unter Verwendung der PIN abzuheben. E hat das Kreditkartenkonto des K daher iHv. 3.000 € belastet. K behauptet, die Karte sei ihm gestohlen und von einem Dritten missbraucht worden und verlangt Rückbuchung der Belastung. In Betracht kommt ein Anspruch des K aus § 675u Satz 2, wenn sein Konto von E zu Unrecht belastet worden ist. Dies ist allerding nicht der Fall, wenn E gegenüber K einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 675c Abs. 1, 670 oder einen Schadensersatzanspruch nach § 675v Abs. 2 Nr. 1 (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) geltend machen kann. Dem Stornierungsanspruch stünde im zweiten Fall die dolo-agit-Einrede entgegen (§ 242): K kann nämlich nicht Stornierung wegen fehlender Autorisierung verlangen, wenn er zeitnah einer Belastung seines Kontos in gleicher Höhe wegen eines Schadensersatzanspruchs zustimmen müsste.

In Fällen der vorliegenden Art lässt sich regelmäßig nicht klären, ob der Kunde den Zahlungsvorgang selbst vorgenommen hat und einen Missbrauch nur vortäuscht (Fall der Autorisierung nach § 675j Abs. 1 Satz 1; vgl. aber künftig auch § 675v Abs. 3 Nr. 1 RegE ZDR 2) oder ob er die Geheimnummer entgegen § 675l Satz 1 (§ 675l Abs. 1 Satz 1 RegE ZDR 2) zumindest grob sorgfaltswidrig aufbewahrt hat und deshalb aus § 675v Abs. 2 Nr. 1 (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) auf Schadensersatz haftet. Dieser Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass der Kunde eine oder mehrere Pflichten nach § 675l (§ 675l Abs. 1 RegE ZDR 2) verletzt hat. Nach § 675l Satz 1 (§ 675l Abs. 1 Satz 1 RegE ZDR 2) ist der Zahler aber verpflichtet, unmittelbar nach Erhalt eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments alle zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um die personalisierten Sicherheitsmerkmale vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Dabei handelt der Karteninhaber stets grob fahrlässig, wenn er die PIN so aufbewahrt, dass sie einem Kartendieb automatisch in die Hände fällt (zB. bei Niederschrift auf einem im Portemonnaie aufbewahrten Zettel oder gar auf der Karte selbst).170 Denn das auf der PIN basierende Sicherheitssystem funktioniert nur bei getrennter Aufbewahrung der Zahlungsmedien (Karte, PIN). Durch die gemeinsame Aufbewahrung beider verletzt der Karteninhaber daher elementare Sorgfaltspflichten in sehr weitgehendem Umfang. In der vorliegenden, noch nach altem Recht ergangenen Entscheidung bestätigt der BGH ein weiteres Mal seine Rechtsprechung, dass bei Verwendung des Originals der Zahlungskarte mit PIN ein Anscheinsbeweis dafür spreche, dass der Kunde die Karte entweder selbst benutzt oder grob sorgfaltswidrig aufbewahrt habe (Tz. 16). Grundlage ist der Erfahrungssatz, dass das Sicherungssystem der Zahlungskarten technisch unüberwindbar ist, sodass es nicht zeitnah zum Kartenverlust entschlüsselt werden kann. Deshalb legt es die Erfahrung nahe, dass der Zahlungsvorgang entweder durch den Kunden selbst autorisiert worden ist (Folge: ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 675c Abs. 1, 670) oder der Kunde wegen groben Sorgfaltsverstoßes nach §§ 675v Abs. 2 Nr. 1, 675l 170 RegE BR-Drucks. 848/08, S. 186; BGHZ 145, 337 = NJW 2001, 286, 287; BGHZ 160, 308 = NJW 2004, 3623, 3624.

IV. Der Zahlungsverkehr

1017

(§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) auf Schadensersatz haftet. Der Erfahrungssatz greift aber nur dann, wenn die Originalkarte zum Einsatz gekommen ist (Tz. 16). Denn wird eine Kopie verwendet, besteht auch die Möglichkeit, dass der Kunde deren Erstellung nicht bemerkt hat und daher dem Dritten ausreichend Zeit verblieb, die PIN durch aufwendige Rechenoperationen zu entschlüssen. Dann hat der Kunde keine Pflicht verletzt. Wie gerade angedeutet, trägt § 675l diesem Erfahrungssatz auf zweierlei Weise Rechnung: Denn eine Pflichtverletzung des Kunden kann in der unsorgfältigen Aufbewahrung der Karte liegen (Satz 1; künftig: § 675l Abs. 1 Satz 1 RegE ZDR 2); sie kann aber auch darin bestehen, dass er den Kartenverlust zu spät anzeigt (Satz 2; künftig: § 675l Satz 2 RegE ZDR 2), sodass eine Entschlüsselung der PIN mittlerweile möglich geworden ist. In beiden Fällen haftet der Kunde nach § 675v Abs. 2 Nr. 1 wegen grob fahrlässiger Verletzung seiner Pflichten aus § 675l.171 Danach ist der Anspruch des K auf Rückbuchung nach § 675u Satz 2 vorliegend unbegründet, da ihm die Widerlegung des Anscheinsbeweises nicht gelingt. Künftig wird § 675v Abs. 4 RegE ZDR 2 eine Entlastungsmöglichkeit für den Zahler schaffen, wenn der Zahlungsdienstleister keine starke Kundenauthentifizierung verlangt oder zulässt. Diese Regelung nimmt Bezug auf den Tatbestand des Art. 4 Nr. 30 Zahlungsdiensterichtlinie 2. Danach beruht eine starke Kundenauthentifizierung auf einer Kombination zweier voneinander getrennter Sicherheitselementen. Zur Kombination sind dabei drei verschiedene Kategorien von Sicherheitsmerkmalen zugelassen: das Wissen des Nutzers um geheimgehaltene Informationen (Beispiel: Geheimzahl), der Besitz an einem Trägermedium (Beispiel: ec-Karte) oder die sog. Inhärenz („etwas, das der Nutzer ist“, etwa ein Fingerabdruck oder ein Netzhautscan). Bei der Authentifizierung des Kunden müssen zwei Sicherheitsmerkmale dieser Art unabhängig voneinander zum Einsatz kommen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Nutzer eine Chipkarte in ein Lesegerät eingeben und sich zugleich durch eine Geheimzahl (PIN) ausweisen muss.

Der zugrunde liegende Erfahrungssatz greift jedoch nicht beim Onlinebanking, weil die Sicherheitstechnik hier nicht unüberwindbar ist: (BGH 26.1.2016 – XI ZR 91/14 = NJW 2016, 2024) Bei Bank B kam es anlässlich der Umstellung der betriebseigenen EDV zu einer Reihe von Störungen. Einzelne Lastschriften wurden nicht ausgeführt, andere den Kundenkonten doppelt belastet. In dieser Zeit wurden dem Konto des K am 15.7.2011 überraschend 238.000 € gutgeschrieben. Dieser Betrag wurde bereits in der Nacht zum 16.7.2011 mit Hilfe der von B an K erteilten Geheimnummer (PIN) und einer von B an K erteilten Transaktionsnummer (TAN), die einmalig für eine Online-Überweisung verwendet werden kann, auf ein anderesKonto überwiesen. K bestreitet die Autorisierung der Überweisung und verlangt von B Stornierung. Der Anspruch des K gegen B aus § 675u Satz 2 setzt voraus, dass keine Autorisierung vorlag. Die Beweislast für die Erteilung der Autorisierung nach § 675j Abs. 1 Satz 1 liegt nach § 675w bei B. Ob autorisiert wurde, kann jedoch uU. dahinstehen, wenn K alternativ dazu nach §§ 675v Abs. 2 Nr. 1, 675l (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) wegen eines groben Sorgfaltsverstoßes auf Schadensersatz haftet und die dolo-agit-Einrede greift (Rn. 1347).

171 Dazu etwa Oechsler WM 2010, 1381.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Fraglich ist, ob ein Anscheinsbeweis für eine Autorisierung (§ 675j Abs. 1 Satz 1) bzw. einen schweren Sorgfaltsverstoß nach §§ 675v Abs. 2 Nr. 1, 675l (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) besteht. Grundlage für den Anscheinsbeweis ist regelmäßig ein praktischer Erfahrungssatz für einen bestimmten Ablauf der Dinge (Rn. 1072). Eine Kundenverantwortung liegt jedoch nur bei einem Sicherheitssystem nahe, „das allgemein praktisch nicht zu überwinden“ ist (Tz. 19) Dies setzt nach Auffassung des BGH voraus, dass die eingesetzten Authentifizierungsverfahren „von einer Kompromittierung der eingesetzten Geräte nicht berührt werden, ein Zugriff Unberechtigter auf den Übertragungsweg ausgeschlossen ist, die – dynamische – TAN an den konkreten Zahlungsvorgang gebunden ist und das Verfahren dem Zahlungsdienstnutzer vor einer Freigabe die Überprüfung des vollständigen, unverfälschten Zahlungsauftrags ermöglicht“ (Tz. 35). In der Praxis des Onlinebanking existiert ein solches System jedoch nicht, weil mit der vorhandenen Technik die Sicherheit des Online-Zahlungsverkehrs nicht zuverlässig gewährleistet werden kann (vgl. das Risiko des Pharming, das weiter unten in dieser Rn. behandelt wird). Der Kunde soll daher die Entstehung des Anscheinsbeweises beim Onlinebanking verhindern bzw. diesen erschüttern können, wenn er die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit einer von außen stammenden, anderen Ursache für die Zahlungstransaktion nahelegt (Tz. 48). Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises kommt vorliegend wegen der allgemeinen technischen Schwierigkeiten der B im Zeitraum der Überweisung in Betracht. Deshalb hat K einen Anspruch nach § 675u Satz 2.

Dadurch entsteht allerdings die Gefahr, dass der Kunde Ausnahmesituationen wie die vorliegende zu seinen eigenen Gunsten missbraucht. Beispiel K erkennt die chaotischen Zustände in der EDV der B, transferiert die 238.000 € auf ein Auslandskonto und bestreitet später die Autorisierung unter Hinweis auf die bekannten Schwierigkeiten der B.

Durch die leichte Erschütterbarkeit des Anscheinsbeweises werden deshalb problematische Anreize gesetzt, denen wohl nur durch eine sekundäre Darlegungslast (Rn. 1147) des Kunden begegnet werden kann: Dieser muss sich zu naheliegenden Missbrauchsmöglichkeiten äußern und uU. sogar den eigenen PC als Augenscheinobjekt zur Verfügung stellen, um den Verdacht grober Sorgfaltsverstöße (zB. unterlassene Installation einer Virensoftware) ausschließen zu können.172 Dies entspricht aber (noch) nicht der hM. (BGH 24.4.2012 – XI ZR 96/11 = NJW 2012, 2422 – Pharming-Attacke) K ist Kunde der B-Bank (B) und betreibt gegenüber dieser Onlinebanking. Dabei kann er Überweisungsaufträge durch Eingabe seiner PIN und vor allem auch einer zusätzlichen Transaktionsnummer (TAN) erteilen, wobei die TAN jeweils nur für einen Vorgang gültig ist. Auf ihrer Homepage warnt B seit Sommer 2008 vor sog. Pharming-Attacken, bei denen die Kunden 172 Herresthal JZ 2017, 28, 29ff.; Oechsler, FS Herberger, 2016, S. 741, 750f.

IV. Der Zahlungsverkehr

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aufgefordert würden, mehrere TAN einzugeben. Im Januar 2009 wird um 18.10 Uhr der Betrag von 5.000 € vom Konto des K auf ein Konto in Griechenland überwiesen. Der Zahlungsvorgang erfolgt über eine dem K zugewiesene TAN. Ende Januar äußert sich K dazu wie folgt: Im Oktober 2008 habe er sich auf der Website der B einloggen wollen. Doch sei dort die Meldung erschienen, dass im Moment kein Onlinebanking möglich sei. Zehnmal hintereinander sei K aufgefordert worden, jeweils eine andere TAN einzugeben, was er auch ohne erkennbares Ergebnis getan habe. Es habe sich offensichtlich um eine sog. „Pharming-Attacke“ gehandelt. Die Überweisung der 5.000 € habe er jedenfalls nicht veranlasst. Gegen die Belastung seines Kontos kann K nach § 675u Satz 2 aufgrund seines Kontoberichtigungsanspruchs vorgehen. Zunächst hat er den Zahlungsvorgang nicht iSd. § 675j Abs. 1 Satz 1 autorisiert. Doch steht ihm der Berichtigungsanspruch nach § 242 auch dann nicht zu, wenn er die Belastungsbuchung der B aufgrund eines Schadensersatzanspruchs hinnehmen muss (Rn. 1347). Die Bank aber kann einen Anspruch aus § 675v Abs. 2 Nr. 1 (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) nur geltend machen, wenn K die TAN in grob fahrlässiger Weise nicht vor unbefugtem Zugriff geschützt hat (§ 675l; künftig: § 675l Abs. 1 RegE ZDR 2).

Als Pharming bezeichnet man den Angriff auf die sog. Root-Server des Internets. Diese stellen normalerweise sicher, dass bei Eingabe einer Internetadresse die Website aufgerufen wird, die der Internetadresse zugeordnet ist. Nach einer gelungenen Pharming-Manipulation aber kann es geschehen, dass der Kunde die Internetadresse seiner Bank eingibt, tatsächlich jedoch nicht auf deren Website gelangt, sondern auf die Website des Manipulateurs. Dieser verlangt dort vom Kunden die Eingabe der Geheimzahlen (PIN, TAN) und nimmt mit diesen selbst später auf der Original-Website Geschäfte vor. Fraglich ist, ob der Kunde vorliegend durch zehnmalige Eingabe verschiedener TAN grob fahrlässig seine Pflichten nach § 675l Satz 1 (§ 675l Abs. 1 RegE ZDR 2) verletzt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt grobe Fahrlässigkeit vor, „wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte“173 (vgl. auch Rn. 763). Die vorliegende Entscheidung erging noch nach altem Recht, im Rahmen dessen leichte Fahrlässigkeit eine Schadensersatzhaftung des Bankkunden begründen konnte. Für grobe Fahrlässigkeit sprechen hier dennoch zwei Gesichtspunkte: Einmal hatte der Kunde die zuvor erfolgte Warnung vor mehrfacher Eingabe der TAN nicht beachtet (Tz. 28) und seiner Bank übrigens auch nicht unverzüglich Mitteilung von dem ungewöhnlichen Vorgang gemäß § 675l Satz 2 gemacht.174 Zweitens musste die hohe Zahl von zehn Versuchen den Kunden in besonderer Weise misstrauisch machen. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte sieht ganz grundsätzlich einen Widerspruch, wenn der Kunde einerseits am Onlineban173 BGHZ 145, 337 = NJW 2001, 286f. 174 Ob eine Pflicht nach § 675l Satz 2 bei ungewöhnlichen Vorgängen besteht, ist allerdings

streitig: bejahend MünchKomm/Casper § 675l Rn. 28; verneinend BeckOK/Schmalenbach § 675l Rn. 6.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

king teilnimmt, sich aber andererseits hinsichtlich der Gefahren im Internet in keiner Weise wachsam zeigt.175 Vor diesem Hintergrund steht K ein Stornierungsanspruch nach § 242 (dolo-agit-Einrede) nicht zu, da er aus § 675v Abs. 2 Nr. 1, 675l (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) haftet.

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Erwähnenswert erscheint schließlich noch die verschuldenslose Haftung aus § 675v Abs. 1. Beruhen nicht autorisierte Zahlungsvorgänge auf der Nutzung eines verlorengegangenen, gestohlenen oder sonst abhanden gekommenen unbaren Zahlungsmittels (Zahlungsauthentifizierungsinstruments), so kann die Bank vom Kunden Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens bis zu einem Betrag von 150 € verlangen. Dies gilt auch, wenn der Schaden infolge einer sonstigen missbräuchlichen Verwendung der Karte entstanden ist und der Kunde die personalisierten Sicherheitsmerkmale nicht sicher aufbewahrt hat (Satz 2). Eine wichtige Einschränkung des Satzes 1 in seiner bisherigen Fassung liegt darin, dass dieser sich nur auf den Missbrauch echter Zahlungskarten bezieht, nicht aber auf den Missbrauch von Kreditkartenangaben (Nummer, Verfallsdatum, Prüfcode) oder sonstiger nicht körperlicher Sicherheitsmerkmale (TAN). Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers176 und folgt aus dem Normwortlaut „verlorengegangen, gestohlen oder sonst abhandengekommen“. Denn dieser orientiert sich erkennbar an § 935 Abs. 1, einer Norm, die wiederum nur für bewegliche Sachen gilt. Beim Missbrauch nicht körperlicher Sicherheitsmerkmale greift der gerade erwähnte § 675v Abs. 1 Satz 2, der einen Verschuldensvorwurf (nicht sichere Aufbewahrung der Sicherheitsmerkmale) voraussetzt.177 Der Unterschied zwischen beiden Tatbeständen zeigt sich beim Kreditkartengeschäft. In der zu erwartenden Neufassung nach § 675v Abs. 1 RegE ZDR 2 reduziert sich die Ersatzleistung auf 50 €. Der Betrag fällt dafür aber auch bei einer sonstigen missbräuchlichen Verwendung eines Zahlungsinstruments an. In Abs. 2 der Norm ist eine zusätzliche Entlastungsmöglichkeit für den Zahler vorgesehen. Das Kreditkartengeschäft weist gegenüber dem Geschäft mit dem Betrieb von ec-Karten einige Besonderheiten auf. Zunächst beruht das Kreditkartenverfahren auf einem Dreipersonenverhältnis: Das Kreditkartenunternehmen gibt aufgrund eines Emissionsvertrages eine Kreditkarte an den Karteninhaber meist gegen eine Jahresgebühr aus. Damit der Karteninhaber mit dieser Karte in einem Ladenlokal den Kaufpreis gegenüber einem Händler begleichen kann, muss der Händler mit dem Kreditkartenunternehmen einen Akquisitionsvertrag abgeschlossen haben. Durch diesen wird der Händler zum Vertragsunternehmen, das die Karte als Zahlungsmittel akzeptieren darf. Das Kreditkartenunternehmen verdient dabei an den Umsätzen seines Vertragsunternehmens mit 175 Besonders deutlich LG Köln MMR 2008, 259, 261; vgl. auch KG MMR 2011, 338, 339; Oechsler, FS Herberger, 2016, S. 741, 748f. 176 RegE BR-Drucks. 848/08, S. 185; Oechsler WM 2010, 1381, 1382. 177 RegE BR-Drucks. 848/08, S. 185f.; Oechsler WM 2010, 1381, 1382.

IV. Der Zahlungsverkehr

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dessen Kunden. Hier erhebt es vom Nominalbetrag einen Abschlag (Disagio), der je nach Kreditkartenunternehmen unterschiedlich hoch ausfällt. Wenn der Kunde die Kreditkarte in einem Ladenlokal benutzt, muss er meist einen sog. Leistungsbeleg unterschreiben. Diese Unterschrift hat zwei Rechtsfolgen: Im Vertragsverhältnis zum Kreditkartenunternehmen autorisiert der Kunde den Zahlungsvorgang nach § 675j Abs. 1 Satz 1.178 Im Verhältnis zum Vertragsunternehmen (Händler) aber vertritt der Kunde das Kreditkartenunternehmen. Für dieses gibt er nach hM. einen Antrag auf Abschluss eines abstrakten Schuldversprechens nach § 780 Satz 1 ab. Dadurch wird das Vertragsunternehmen so abgesichert, als sei der Zahlungsanspruch durch den Karteninhaber mit Bargeld erfüllt worden (Bargeldersatzfunktion). Dies ist freilich nicht unumstritten. Die zugrunde liegenden Wertentscheidungen werden vor allem bei der beleglosen Verwendung der Kreditkarte im Mailorderverfahren deutlich: (BGH 13.1.2004 – XI ZR 479/02 = BGHZ 157, 256 = NJW-RR 2004, 481) Das Vertragsunternehmen VU reicht beim Kreditkartenunternehmen KKU sieben Rechnungen vom 8.2.2000, dreizehn Rechnungen vom 20.3.2000 und drei Rechnungen vom 21.3.2000 über rund 34.000 € ein. Der Name des Karteninhabers, die Kartennummern, das Ablaufdatum usw. waren sämtlich im E-Mail-Verkehr an VU gesendet worden. Als Karteninhaber war KI benannt. Dabei hatte KI fünfzehn verschiedene Kreditkarten von KKU verwendet. Diesen Belegen lagen zwei Bestellungen von KI aus Rumänien zugrunde, wobei die beiden Rechnungsbeträge auf mehrere Kreditkarten aufgeteilt worden waren. VU behauptet, dies sei bei Auslandsumsätzen nicht unüblich. KKU verweigert die Zahlung, weil die Kreditkartenangaben sämtlich missbraucht worden sind. In Betracht kommt ein Anspruch des VU gegen KKU auf Zahlung von 34.000 € aus § 780 Satz 1. Dies setzt voraus, dass zwischen VU und KKU dreiundzwanzig abstrakte Schuldversprechen über die geforderte Gesamtsumme zustande gekommen sind. Fraglich ist, ob KI das KKU entsprechend vertreten konnte. Dies setzt vor allem Vertretungsmacht nach § 164 Abs. 1 voraus. Diese hat KKU dem Manipulateur KI aber nicht nach § 167 Abs. 1 erteilt. Fraglich ist daher, ob KI eine Rechtsscheinvollmacht nach § 172 Abs. 1 analog für KKU hatte.

Der BGH geht auf die Voraussetzungen einer Rechtsscheinvollmacht des missbräuchlich agierenden Karteninhabers nicht weiter ein (dazu sogleich unter Rn. 1352), sondern gelangt im Rahmen einer allgemeinen Überlegung zu dem Ergebnis, dass zwischen Kreditkartenunternehmen und Vertragsunternehmen auch bei Fälschungen und Missbräuchen der Karte ein abstraktes Schuldversprechen zustande komme. Für ein abstraktes Schuldversprechen führt das Gericht zunächst mit der hM. die Bargeldersatzfunktion der Kreditkarte an (S. 481f.): Danach gestaltet das Kreditkartenunternehmen die Kreditkarte so aus, dass sie für das Vertragsunternehmen so sicher wie Bargeld sei.179 Die Gegenauffassung verneint die Gleichstellung von Kreditkarte und Bargeld, weil die Vereinheitlichung der Rechtsfolgen dem Wettbewerb der unterschiedlichen 178 Vgl. noch zum alten Recht in diesem Sinne BGHZ 152, 75 = NJW 2002, 3698, 3699; Marti-

nek, in: Bankrechts-Handbuch, § 67 Rn. 33.

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Zahlungsmittel untereinander entgegenstehe.180 Was dabei allerdings nicht bedacht wird, sind die besonderen Rahmenbedingungen des Kreditkartengeschäfts in der Praxis: Das Kreditkartenverfahren wird oft von ausländischen Käufern über große Distanzen als Zahlungsmittel eingesetzt und hat sich gerade bei der Absicherung der einschlägigen Vorleistungsgefahren im Internet bewährt. Würde das Vertragsunternehmen nicht verlässlich abgesichert, wäre die Kreditkartenzahlung wertlos. Dies demonstriert einer der ältesten deutschen Kreditkartenfälle: (LG Heidelberg 15.12.1987 – 4 S 14/87 = NJW 1988, 1273) Eine amerikanische Touristin erwirbt in Heidelberg einen teuren Teppich mit Kreditkarte. In die USA zurückgekehrt, verweigert sie aus fadenscheinigen Gründen ihrem Kreditkartenunternehmen gegenüber die Erstattung. Dieses ist darauf nicht bereit, an das Heidelberger Vertragsunternehmen zu zahlen, als dieses den Leistungsbeleg vorlegt, und verweist auf eine entsprechende Klausel in seinen AGB. Das LG Heidelberg hielt noch eine entsprechende Rückforderungsklausel in den AGB des Kreditkartenunternehmers für rechtmäßig und verneinte den Anspruch. Geht man mit dem BGH dagegen vom Zustandekommen eines abstrakten Schuldversprechens zwischen Kreditkartenunternehmen und Vertragsunternehmen aus, scheidet die Rückforderung des Betrags von vornherein aus. Denn das Kartenunternehmen ist dem Vertragsunternehmen unabhängig von den Erklärungen der Touristin nach § 780 Satz 1 verpflichtet. Eine Rückforderungsklausel in den AGB würde daher gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstoßen.

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Die Annahme einer Bargeldersatzfunktion entspricht auch der historischen Entstehung des Mailorderverfahrens im Kreditkartengeschäft: Dieses entwickelte sich dadurch, dass die Kartenunternehmen „wilde“ Umsätze im Internet beim Vertragsunternehmen wie Umsätze im Ladenlokal (Präsenzgeschäft) abrechneten und im Anschluss daran deren Abwicklung zu einem eigenen Geschäftsmodell entwickelten.181 Die wirtschaftliche Grundlage dieses neuen Geschäftsmodells orientierte sich an der Interessenlage im Präsenzgeschäft. Dort aber war beiden Seiten klar, dass der Verkäufer auf der sicheren Seite steht, wenn er eine Kreditkarte akzeptiert.182 Dies spricht für die Bargeldersatzfunktion der Karte gerade auch beim Handel im Internet. Das zweite Problem des vom BGH entschiedenen Falles liegt in der Frage, ob ein abstraktes Schuldversprechen auch bei einem Missbrauch der Kreditkarte in Betracht kommt. Hier kann der „Karteninhaber“ das Kreditkartenunternehmen nicht aufgrund einer ihm erteilten Vertretungsmacht beim Vertrags179 BGHZ 152, 75 = NJW 2002, 3698, 3699; Bitter ZBB 1996, 104, 114ff.; ders. BB 1997, 480,

484f.; Einsele WM 1999, 1801, 1802; Hadding, in: FS Pleyer, 1986, S. 17, 20f.; Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 67 Rn. 65f.; Schön AcP 198 (1998) 40, 409ff.; Oechsler WM 2000, 1613, 1614f. 180 Langenbucher, Die Risikozuordnung im bargeldlosen Zahlungsverkehr, 2001, S. 274ff.; dies. BKR 2002, 119, 121; Casper/Pfeifle WM 2009, 2343, 2345. 181 Davon zeugt etwa die Entscheidung BGH NJW-RR 2005, 1570 – Signature on file, in der das alte, im Präsenzverfahren geltende Erfordernis einer Unterschrift des Karteninhabers beibehalten wurde, obwohl dem im Mailorderverfahren technisch nicht genügt werden kann. 182 Oechsler WM 2010, 1381, 1385f.

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schluss mit dem Vertragsunternehmen vertreten. Der BGH geht dennoch aus allgemeinen Überlegungen davon aus, dass grundsätzlich das Kreditkartenunternehmen verantwortlich sei, weil es das ganze Verfahren steuere und für höhere Sicherheit sorgen könne (S. 482f.). Dogmatisch wird man die Vertretungsmacht des Scheinkarteninhabers aus § 172 Abs. 1 analog herleiten können.183 Nach § 172 Abs. 1 steht es der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt. Diese Vollmacht bleibt nach § 172 Abs. 2 bestehen, bis die Vollmachtsurkunde an den Vertretenen zurückgegeben oder für kraftlos erklärt worden ist. Die Kreditkarte stellt zwar keine echte Vollmachtsurkunde (schriftliche Erklärung über Erteilung der Vollmacht) dar, wohl aber eine Verkörperung der Vollmachtserteilung gegenüber dem Karteninhaber, was eine analoge Anwendung der Norm zugunsten des Vertragsunternehmens rechtfertigt:184 Denn dem Vertragsunternehmen gegenüber weist sich der Karteninhaber durch die Kreditkarte als berechtigter Vertreter des Kreditkartenunternehmens bei der Abgabe von Willenserklärungen nach § 780 Satz 1 aus. Sie ist das Legitimationszeichen, das entscheidend auf die Vertretungsmacht des Karteninhabers hinweist. Geht man davon aus, muss das Vertragsunternehmen allerdings gutgläubig auf die Vollmachtsurkunde vertrauen. Daran lässt sich vorliegend wegen der dubiosen Umstände der Kartenverwendung zweifeln (Übersendung der Sicherheitsmerkmale per E-Mail, Vielzahl der verwendeten Karten usw.). Im Zweifel wird man dem Vertragsunternehmen in solchen Fällen immer zumuten müssen, beim Kreditkartenunternehmen im Hinblick auf die Legitimität der Kartenbenutzung nachzufragen. Der BGH verfolgt hier jedoch eine andere Linie: In einem weiteren Fall hatte ein im Geschenkversand tätiges Vertragsunternehmen Waren im Wert von 15.319,07 € an einen indonesischen Käufer gegen Kreditkartenzahlung verkauft, obwohl die Umstände des Kaufs Misstrauen erregen mussten. Der BGH geht hier nicht abschließend auf die Frage ein, ob dem Vertragsunternehmen ein Zahlungsanspruch gegen das Kreditkartenunternehmen nach § 780 Satz 1 zusteht, sondern bejaht einen Schadensersatzanspruch des Kreditkartenunternehmens gegen das Vertragsunternehmen aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, weil dieses den Verdachtsmomenten nicht nachgegangen sei.185 Erkennbar ist dieser Anspruch zur Forderung aus § 780 Satz 1 gegenläufig und auf Freistellung von dieser gerichtet (vgl. zum Freistellungsanspruch etwa Rn. 677f.). Nach hier vertretener Auffassung kommt in einem solchen Fall schon der Anspruch aus § 780 Satz 1 nicht zustande, weil das Vertragsunternehmen nicht gutgläubig iSd. § 172 Abs. 1 und 2 auf die Vertretungsmacht des Karteninhabers vertraut hat. 183 Ähnlich Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 67 Rn. 40; Oechsler WM 2000, 1613, 1619f. 184 Dazu Oechsler AcP 208 (2008) 565ff. 185 BGH NJW-RR 2005, 1570, 1572.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

Folgt man daher im Ausgangsfall BGHZ 157, 256 (Rn. 1351) der Auffassung des BGH, ist ein Anspruch des VU gegen das KKU aus § 780 Satz 1 zustande gekommen. Allerdings hat das KKU gegen das VU einen gegenläufigen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2, mit dem es gegen diese Forderung aufrechnen kann. Nach hier vertretener Auffassung kam indes bereits kein abstraktes Schuldversprechen zwischen dem KKU und dem VU zustande. Denn der KI konnte das KKU nicht wirksam vertreten. Ihm fehlte dafür die rechtsgeschäftliche Vollmacht. Auch eine Rechtsscheinvollmacht in entsprechender Anwendung des § 172 Abs. 1 und 2 kam hier zugunsten des VU nicht in Betracht, weil VU bösgläubig war. Nach beiden Ansichten besteht der Zahlungsanspruch des VU gegen das KKU im Ergebnis nicht. Das Kreditkartenunternehmen macht seine Ansprüche gegen den Karteninhaber durch Kontobelastung geltend. In jedem Fall ist eine Belastungsbuchung nur unter zwei alternativen Voraussetzungen möglich: Entweder hat der Kunde eine Autorisierung nach § 675j Abs. 1 Satz 1 erteilt, sodass dem Kreditkartenunternehmen ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 675c Abs. 1, 670 zusteht. Oder der Kunde ist dem Kreditkartenunternehmen zum Schadensersatz nach § 675v Abs. 1 oder Abs. 2 (künftig: § 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) verpflichtet. Beispiel KI tätigt im Internet mit seiner Karte keinen Umsatz, sondern setzt diese zur Altersverifikation auf einer Internetseite für Erwachsene ein. Dort speichert der Betreiber der Seite die Sicherheitsmerkmale der Karte (Kartennummer, Name des Karteninhabers, Verfallsdatum, Prüfcode) und verwendet diese für einen weiteren Umsatz im Netz gegenüber dem Händler VU iHv. 500 €. Nachdem das Kreditkartenunternehmen (KKU) VU den Betrag erstattet hat, belastet es das Kreditkartenkonto des KI iHv. 500 €. Dieser verlangt Kontoberichtigung. Der Kontoberichtigungsanspruch aus § 675u Satz 2 (Rn. 1342) setzt voraus, dass KI den Zahlungsvorgang weder nach § 675j Abs. 1 Satz 1 autorisiert hat, noch einer Belastungsbuchung deshalb zustimmen muss, weil KKU gegen ihn einen Schadensersatzanspruch aus § 675v Abs. 1 oder 2 (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 lit. a RegE ZDR 2) zusteht (Rn. 1347). Eine Autorisierung des Zahlungsvorgangs durch KI scheidet aus. Fraglich ist, ob im Einsatz der Karte zur Altersverifikation ein Verschulden des Karteninhabers liegt.

Bei der Verwendung der Sicherheitsmerkmale der Kreditkarte im Internet ist zunächst die verschuldensunabhängige Haftung nach § 675v Abs. 1 Satz 1 nicht anwendbar. Denn diese setzt voraus, dass die Karte als bewegliche Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder in sonstiger Weise abhandengekommen ist. Dies ist beim Missbrauch der unkörperlichen Sicherheitsmerkmale nicht der Fall (Rn. 1349). Dies wird sich durch Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie 2 durch Einführung des § 675v Abs. 1 RegE ZDR 2 ändern (Rn. 1349 am Ende). Nach bislang geltendem Recht kommt in diesen Fällen eine Haftung wegen nicht sicheren Aufbewahrens der Sicherheitsmerkmale der Kreditkarte in Betracht, und zwar in zwei Fällen: Handelt der Kunde nur leicht fahrlässig, haftet er nach § 675v Abs. 1 Satz 2 auf den gedeckelten Betrag von 150 €; die Norm ist im Ge-

IV. Der Zahlungsverkehr

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gensatz zu Satz 1 auch auf nicht körperliche Zahlungsauthentifizierungsinstrumente anwendbar. Handelt der Kunde jedoch grob fahrlässig, haftet er nach § 675v Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 675l Satz 1 auf den ganzen Schaden. Eine Besonderheit des Kreditkartenverfahrens liegt dabei in einer spezifischen Sicherheitslücke: Denn jedes Mal, wenn der Kunde die Sicherheitsmerkmale der Karte im Mailorderverfahren verwendet, kann sie der Händler speichern und später ohne große Mühe missbräuchlich gegenüber einem Dritten einsetzen. Jeder mit der Karte getätigte Umsatz stellt daher für das Kreditkartenunternehmen sowohl eine Einnahme- als auch eine Gefahrenquelle dar. Dieser Gleichlauf spricht dafür, dass das Kreditkartenunternehmen diese Gefahr nur tragen will, wenn es durch den Einsatz der Kreditkarte auch verdient. Dies ist aber nicht der Fall, wenn die Kreditkarte lediglich zu Zwecken der Altersverifikation eingesetzt wird. Hier entsteht ein vom Kreditkartenunternehmen nicht gewolltes, neues Risiko. Ob dem Kunden der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit wegen eines solchen Einsatzes zur Last fällt,186 ist eine offene Frage. Geht man davon aus, haftet er aus § 675v Abs. 1 Satz 2 auf höchstens 150 €. Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit (zu den allgemeinen Voraussetzungen oben Rn. 1348) kann hingegen nicht erhoben werden.187 Fraglich ist, ob der Kreditkarteninhaber einen dem Kreditkartenunternehmen durch Autorisierung erteilten Zahlungsauftrag noch nachträglich widerrufen kann: (BGH 24.9.2002 – XI ZR 420/01 = BGHZ 152, 75 = NJW 2002, 3698) KI ist Inhaber einer von KKU ausgegebenen Kreditkarte. Er verlangt Rückbuchung von insgesamt rund 9.000 €, die KKU dem Kreditkartenkonto des KI belastet hat. KI hatte im Amüsierlokal des VU neun Leistungsbelege über diesen Gesamtbetrag mit Hilfe seiner Kreditkarte gezahlt. KI verlangt nun Kontoberichtigung mit folgender Begründung. Bei der Unterzeichnung sei er „sturzbetrunken“ und nicht Herr seiner Sinne gewesen. Im Übrigen sei er von VU über die Höhe der Rechnungen getäuscht worden. Der Anspruch auf Kontoberichtigung aus § 675u Satz 2 setzt voraus, dass die Belastungsbuchung durch KKU auf einem nicht autorisierten Zahlungsvorgang beruht. Ursprünglich hat KI eine Autorisierung nach § 675j Abs. 1 Satz 1 erteilt. Die Behauptung eigener Betrunkenheit ist dabei nicht substantiiert genug, um von einer Nichtigkeit der Willenserklärung des KI nach § 105 Abs. 2 auszugehen. Eine Anfechtung wegen § 123 Abs. 2 scheitert gegenüber KKU, weil dieses einen möglichen Betrug durch VU nicht kennen musste. Fraglich ist jedoch, ob der Karteninhaber KI die Autorisierung nachträglich widerrufen konnte.

Gemäß § 675p Abs. 2 Satz 1 kann der Zahler (Karteninhaber) einen Zahlungsauftrag nicht mehr widerrufen, wenn er vom Zahlungsempfänger ausgelöst wird und der Zahler seine Zustimmung zur Ausführung des Zahlungsvorgangs an den Zahlungsempfänger übermittelt hat. Durch diese Norm ist der Widerruf einer Kreditkartenzahlung nach Unterzeichnung des Leistungsbelegs aus186 Ob § 675v Abs. 1 Satz 2 Verschulden voraussetzt, ist umstritten: MünchKomm/Casper § 675v Rn. 19f. 187 Oechsler WM 2010, 1381, 1383f.

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§ 11 Der Geschäftsbesorgungsvertrag

geschlossen.188 Es entspricht nämlich der allgemeinen Dogmatik des Geschäftsbesorgungsvertrages, dass ein Auftrag nach § 671 nicht widerrufbar ist, wenn der Geschäftsbesorger auf ihn hin eine irreversible Disposition getroffen hat (S. 3698).189 Dies ist aber beim Kreditkartenunternehmen zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Fall, weil bereits mit der Unterzeichnung des Leistungsbelegs durch den Karteninhaber ein abstraktes Schuldversprechen nach § 780 Satz 1 mit dem Vertragsunternehmen zustande kommt, aus dem das Kreditkartenunternehmen haftet. Fraglich ist jedoch, ob der Karteninhaber (Zahler) nicht einen Kontoberichtigungsanspruch wegen fehlerhafter Ausführung gem. § 675y Abs. 1 Satz 2 geltend machen kann. Fehlerhaft handelt das Kreditkartenunternehmen, wenn es trotz rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme durch das Vertragsunternehmen an dieses zahlt. Ein solcher Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn aus Sicht des Kreditkartenunternehmens gegen den Anspruch des Vertragsunternehmens aus § 780 Satz 1 offensichtlich und liquide beweisbare Einwendungen bestehen (S. 3699). Denn diese erlauben es, das abstrakte Schuldversprechen nach § 812 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 erster Fall im Wege der Leistungskondiktion zu kondizieren. Diese hat das Gericht vorliegend zu Recht verneint (S. 3699). Der Kontoberichtigungsanspruch besteht daher nicht. Zugrunde liegt auch die Überlegung, dass der Zahlungsverkehr auf einem Massenverfahren beruht, bei dem sich das Kreditkartenunternehmen nicht ständig in einen Streit um Leistungsstörungen zwischen Karteninhaber und Vertragsunternehmen hineinziehen zu lassen braucht. Dies gilt vor allem, weil das abstrakte Schuldversprechen die Beweisposition des KKU im Rahmen eines Anspruchs aus § 812 Abs. 2 gegen das Vertragsunternehmen verschlechtert. Deshalb kann das Kartenunternehmen die Zahlung an das Vertragsunternehmen nur im Ausnahmefall verweigern, wenn sich der Missbrauch durch das Vertragsunternehmen als evident aufdrängt (vgl. dazu den Katalog des § 675x Abs. 1 Satz 1).

188 Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 67 Rn. 34. Dies gilt praktisch auch für die Neufassung der Norm. 189 Vgl. dazu nur Hadding, in: FS Pleyer, 1986, S. 17, 33; Martinek, in: Bankrechts-Handbuch, § 67 Rn. 33f.; Oechsler WM 2000, 1613, 1618f.

§ 12 Der Bürgschaftsvertrag I. Einleitung Im Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge, gegenüber dem Gläubiger für die Verbindlichkeit eines Dritten (Hauptschuldner) einzustehen (§ 765 Abs. 1). Als personal ausgestaltete Kreditsicherheit erscheint die Bürgschaft für den Sicherungsgeber besonders gefährlich, weil seine Haftung nicht wie bei den Realsicherheiten auf einen Vermögensteil beschränkt ist (§§ 1147, 1228 Abs. 1), sondern schlicht das gesamte Vermögen umfasst. Die §§ 765ff. schützen den Bürgen vor diesen Gefahren durch die strenge Bindung der Haftung an den Bestand der Hauptverbindlichkeit (§ 767 Abs. 1 Satz 1), eine bürgschaftsspezifische Konkretisierung der guten Sitten iSd. § 138 Abs. 1, die Formgebundenheit des Bürgschaftsversprechens (§ 766 Satz 1) und die Subsidiarität der Haftung des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner (§§ 770, 771).

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II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen. 1. Das Bestehen der zu sichernden Forderung a) Die Zweckvereinbarung

Nach § 767 Abs. 1 Satz 1 ist für die Verpflichtung des Bürgen der Bestand der jeweiligen Hauptverbindlichkeit maßgebend. Der Anspruch des Hauptgläubigers gegen den Bürgen aus § 765 Abs. 1 ist daher in seiner Entstehung, in seinem Fortbestand und in seinem Umfang von der zu sichernden Hauptschuld abhängig (Akzessorietät).1 Eine Erleichterung bei der Entstehung der Bürgschaft, jedoch keine Durchbrechung der Akzessorietät, begründet § 765 Abs. 2, wonach die Bürgschaft auch für eine künftige oder bedingte Forderung übernommen werden kann. Die Norm erlaubt dem Gläubiger und dem Bürgen eine zeitlich vorgelagerte Vereinbarung nach § 765 Abs. 1. Kommt die Forderung jedoch endgültig nicht zustande, geht auch der Anspruch aus § 765 Abs. 1 endgültig unter.2 Vor diesem Zeitpunkt ist er nach § 768 Abs. 1 Satz 1 einredebehaftet. Fraglich ist, welche Anforderungen im Übrigen an die zu sichernde Hauptforderung zu stellen sind. (BGH 18.5.1995 – IX ZR 108/94 = BGHZ 130, 19 = NJW 1995, 2553) Die G-Sparkasse hat der S-GmbH & Co. KG ein Kontokorrentdarlehen gewährt, für das sich B, Kommanditist Mot. II S. 659; MünchKomm/Habersack § 765 Rn. 62ff.; Staudinger/Horn Vorbem zu 1 §§ 765ff. Rn. 18; Larenz/Canaris II/2 § 60 III 1; Nobbe in: Bankrechts-Handbuch, § 92 Rn. 2; BeckOGK/Madaus § 765 Rn. 23f. Larenz/Canaris II/2 § 60 III 1 a. 2

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

der S, durch schriftliche Erklärung selbstschuldnerisch verbürgt hat. Im vorformulierten Bürgschaftsvertrag ist bestimmt, dass die Bürgschaft zur Sicherung aller bestehenden und künftigen, auch bedingten und befristeten Forderungen der G gegen die S aus ihrer Geschäftsverbindung (insbesondere aus laufender Rechnung, Krediten und Darlehen jeder Art und Wechseln) übernommen wird. Später scheidet B aus der S aus. Danach erhöhen G und S einvernehmlich die Höhe des Kontokorrentkredites auf 1.125.000 € und vereinbaren zwei Darlehen an S über insgesamt 1,75 Mio. €. Als S in Insolvenz gerät, geht G wegen der erheblichen Zahlungsrückstände der S gegen B vor. Der Anspruch der G gegen B aus § 765 Abs. 1 könnte bereits am Bestehen einer Verbindlichkeit des Gläubigers gegen den Hauptschuldner scheitern.

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§ 765 Abs. 1 setzt voraus, dass der Bürge sich verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Hauptschuldners einzustehen. Fraglich ist, ob die vorliegende Bestimmung der zu sichernden Forderungen den Voraussetzungen der Norm genügt. Nach der heute nicht mehr herrschenden Lehre vom Bestimmtheitsgrundsatz muss die Bürgschaftserklärung die zu sichernde Forderung nach den Personen von Gläubiger und Schuldner sowie im Hinblick auf individuelle Merkmale so festlegen, dass eine zweifelsfreie Bestimmung möglich ist.3 Der Zweck des Bestimmtheitserfordernisses liegt im Schutz des Bürgen vor einer unüberschaubaren Haftungsverantwortung. Eine Zeitlang erkannte auch der BGH in der „Bestimmbarkeit“ der Hauptforderung ein Institut zur Verhinderung von Umgehungen des § 766 Satz 1.4 In der hier zu erörternden Entscheidung verweist das Gericht allerdings sehr nüchtern auf den beschränkten Wert eines Bestimmbarkeitsprinzips: Wenn der Bürge nämlich eine Verpflichtung wie im vorliegenden Fall eingehe, sei klar bestimmt, welche Hauptschulden erfasst seien, „nämlich alle“ (S. 2553). Die Fallgestaltung verdeutlicht andererseits, dass es aus Sicht des Gläubigers ein legitimes Sachinteresse geben kann, die Höhe der Bürgschaft offen zu halten; denn nur so kann ein Kontokorrentsaldo, der durch Verrechnung unterschiedlicher Forderungen in ständiger Bewegung bleibt (§§ 355ff. HGB), wirksam abgesichert werden. Das eigentliche Problem dieser Fälle wird daher heute vor allem in der von den Parteien getroffenen Zweckvereinbarung erkannt, einer regelmäßig vorformulierten Erklärung darüber, welche Forderungen die Bürgschaft absichern soll. Diese Vereinbarung kann vorliegend entweder überraschend (§ 305c Abs. 1) oder inhaltlich unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1) gefasst sein (S. 2553f.). Der BGH erörtert zunächst, ob die Zweckvereinbarung nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich ist, dass der Bürge mit ihr nicht zu rechnen braucht (§ 305c Abs. 1). Ein Vorteil der Bejahung der Voraussetzungen des § 305c Abs. 1 liegt regelmäßig darin, dass das Verbot der Inhaltskontrolle von Hauptleistungspflichten (§ 307 Abs. 3 Satz 1; Rn. 617ff.) keine Anwendung findet. Nachteilig erscheint indes, Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs Teil 2, (15) Bürgschaftsverträge Rn. 1ff.; Staudinger/Horn 3 § 765 Rn. 13f.; ders., in: FS Merz, 1992, S. 217, 219ff.; Reinicke/Tiedtke JZ 1985, 485, 486; dies. JZ 1986, 426, 427f.; Tiedtke ZIP 1994, 1237, 1238; Thelen DB 1991, 741ff. BGHZ 25, 318 = NJW 1957, 1873; dazu etwa MünchKomm/Habersack § 765 Rn. 68f. 4

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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dass der AGB-Verwender den Überraschungseffekt nach § 305c Abs. 1 durch spätere Umgestaltung seiner Klausel und durch Aufnahme deutlicher Warnhinweise gegenüber der anderen Seite beseitigen kann. Grundsätzlich entfaltet eine Regelung in AGB einen Überraschungseffekt, wenn sie die durch die Begleitumstände des Vertragsschlusses geweckten Erwartungen der Vertragsgegenseite unterläuft. Dabei ist auch der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht und von den im Verkehr üblichen Gepflogenheiten bedeutsam (S. 2554). Vorliegend entnimmt der BGH der Abweichung vom Verbot der Fremddisposition nach § 767 Abs. 1 Satz 3 ein erstes Überraschungsmoment (S. 2554f.). Nach § 767 Abs. 1 Satz 3 wird durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert (Verbot der Fremddisposition). Der Überraschungseffekt der globalen Zweckvereinbarung besteht deshalb gerade darin, dass Gläubiger und Hauptschuldner durch Begründung neuer und Veränderung bestehender Verbindlichkeiten im Rahmen ihrer Kontokorrentabrede die Verpflichtung des Bürgen nach Abschluss des Bürgschaftsvertrages erweitern können: Formal ist der Bürge gleichbleibend für den Kontokorrentsaldo verantwortlich. Dieser setzt sich jedoch durch stets neue und miteinander zu verrechnende Forderungen zusammen. In § 767 Abs. 1 Satz 3 aber erkennt das Gericht ein zentrales Prinzip: „Eine unbegrenzte Ausdehnung der Haftung durch rechtsgeschäftliches Handeln anderer widerspricht dem elementaren Schutz der Privatautonomie“ (S. 2555).5 Dafür sprechen die Parallelregelungen bei anderen akzessorischen Sicherheiten (§§ 1210 Abs. 1 Satz 2 und 1180 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz). Dennoch äußert die Kritik auch Bedenken gegen die allgemeine Bedeutung eines solchen Prinzips.6 Dieses stelle keine Selbstverständlichkeit dar und lasse sich insbesondere nicht aus dem Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter rechtfertigen; denn dieser liege nur vor, wenn gegenüber dem Dritten eine eigene Verpflichtung begründet werde. Die globale Zweckvereinbarung aber erzeuge allenfalls Lastwirkungen für den Dritten, die differenziert betrachtet werden müssten.7 Gerade bei einer Höchstbetragsbürgschaft könne der Bürge das Risiko besser beherrschen bzw. versichern und müsse daher auch Verantwortung für einen sich fortentwickelnden Schuldenstand tragen.8 Dies überzeugt zumindest in dieser Allgemeinheit nicht: So kann bereits der Haftungshöchstbetrag einer Bürgschaft in einer Weise angesetzt werden, die einen Bürgenschutz iSd. vorgestellten Überlegungen schlicht illusionär erscheinen lässt. Das BVerfG lässt sich bei seinen Überlegungen zum Bürgschaftsrecht hingegen von der Vorstellung leiten, dass die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen einen zentralen Teil der allgemeinen Im Anschluss an Horn, in: FS Merz, 1992, S. 217, 225; interessant dazu BeckOGK/Madaus 5 § 767 Rn. 42f., der zu Recht zwischen einer unzulässigen Erweiterung des Verpflichtungsumfangs und einer zulässigen des Verpflichtungsgrundes unterscheidet. Kuntz AcP 209 (2009) 242, 250ff. 6 Kuntz AcP 209 (2009) 242, 251 bis 253. 7 Kuntz AcP 209 (2009) 242, 257ff. 8

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

Handlungsfreiheit ausmache (vgl. Rn. 1374).9 Denn der eigentliche Grund für die Inanspruchnahme eines Schuldners aus einer vertraglich begründeten Verpflichtung liegt in der Freiwilligkeit bzw. Autonomie seiner zur Verpflichtung führenden Entscheidung (§ 311 Abs. 1). Diese ist nicht gewährleistet, wenn Dritte, ohne den Schuldner in die Entscheidung einzubeziehen, über die Höhe seiner Verpflichtung entscheiden. Deshalb kommt es für die Wirksamkeit der Zweckvereinbarung entscheidend darauf an, dass der Bürge durch die Vereinbarung eines Höchstbetrags der Bürgschaft, aber auch einer beschränkten Dauer (§ 777) den Umfang des eingegangenen Risikos selbst bestimmt (vgl. noch unten Rn. 1365). Ein weiteres, eigenständiges Überraschungsmoment iSd. § 305c Abs. 1 leitet der BGH vorliegend aus dem ursprünglichen Anlass der Bürgschaft ab. Der V. Senat hatte bereits im Jahre 1982 entschieden, dass der unmittelbare Anlass einer Grundschuldbestellung die Erwartungen des Sicherungsgebers hinsichtlich des Sicherungszwecks bestimme.10 Im Rahmen der Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen entfaltet der Anlassgedanke drei Funktionen: Er erlaubt eine Konkretisierung des Überraschungsmoments in § 305c Abs. 1, rechtfertigt die Inhaltskontrolle im Rahmen des § 307 Abs. 3 Satz 1 (Rn. 1363) und ist für den BGH Rechtfertigung für die teilweise Aufrechterhaltung einer gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstoßenden Zweckerklärung (Rn. 1365). Im Rahmen des § 305c Abs. 1 ist zunächst fraglich, welche anlassbezogenen Vorstellungen der Bürge hat, der sich im Hinblick auf die Absicherung eines Kontokorrentkredits bindet. Hier besteht die Gefahr, dass er sich gar nicht konkret vorgestellt hat, in welcher Höhe er sich verpflichten will. Der BGH geht indes davon aus, dass der Bürge sich mit seinen Vorstellungen regelmäßig am Höchstlimit des Kontokorrentkredits orientiert (S. 2555). Deshalb lässt er das Argument nicht gelten, der Bürge sei bewusst eine der Höhe nach unsichere Verbindlichkeit eingegangen.11 Für eine überraschende Wirkung spricht im vorliegenden Fall, dass das Höchstlimit des Kontokorrentkredits nachträglich erweitert wurde und zwei individuell ausgehandelte Darlehen hinzutraten. Gegen ein Überraschungsmoment lässt sich immerhin anführen, dass ein Bürge, der sich auf eine so weit gefasste Zweckerklärung einlässt, sich möglicherweise gar keine konkreten Vorstellungen macht und daher auch nicht überrascht wird (S. 2555f.). Dies gilt vor allem dann, wenn die Bürgschaft nicht zur Absicherung eines bestimmten Darlehens oder anlässlich der Begründung bzw. wesentlichen Änderung eines Kontokorrentverhältnisses, sondern schlicht pauschal für alle Verbindlichkeiten abgegeben wurde.12 Wegen dieser Zweifel geht der BGH auch auf einen möglichen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 ein (S. 2556). Die Anwendbarkeit dieser Norm setzt jedoch 9 10 11 12

BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36, 38. BGHZ 83, 56 = NJW 1982, 1035f. So R. Fischer EWiR 1985, 83, 84; Rehbein, in: FS Werner, 1984, S. 697, 702. Vgl. dazu die nachfolgende Entscheidung BGHZ 132, 6 = NJW 1996, 924 unter II vor 1.

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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entscheidend voraus, dass nach § 307 Abs. 3 Satz 1 eine Inhaltskontrolle nur für Bestimmungen in AGB möglich ist, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Der Zweck dieser Norm liegt darin, eine allgemeine richterliche Äquivalenzkontrolle von Hauptleistungspflichten zu verhindern. Deshalb sperrt § 307 Abs. 3 Satz 1 nicht die Inhaltskontrolle von Nebenleistungspflichten, die die zwischen den Parteien vereinbarten Hauptleistungspflichten (nachträglich) einschränken oder modifizieren (sog. kontrollfähige Nebenabreden; Näheres unter Rn. 617ff.). Hier entfaltet die Anlass-Rechtsprechung ihre zweite Funktion (S. 2556): Denn sie erlaubt dem BGH eine Unterscheidung zwischen der nicht kontrollfähigen Hauptleistung – es handelt sich um die Verbindlichkeit, die ursprünglicher Anlass für die Bürgschaft war (hier der Stand des Kontokorrentkredits im Zeitpunkt des Abschlusses des Bürgschaftsvertrags), – und den sonstigen durch die Bürgschaft gesicherten Forderungen, die Gegenstand der kontrollfähigen Nebenabrede sind. Dadurch erst wird die Zweckvereinbarung kontrollfähig. Ist dieser gedankliche Schritt vollzogen, kann der Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 vergleichsweise leicht mit der Überlegung begründet werden, dass entgegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 vom gesetzlichen Leitbild des § 767 Abs. 1 Satz 3 abgewichen wird und entgegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 vertragswesentliche Rechte des Bürgen – hier ist wiederum § 767 Abs. 1 Satz 3 einschlägig – ausgehöhlt werden. Im Schrifttum wird die Aufspaltung des Bürgschaftszwecks in anlassbezogene und sonstige Verbindlichkeiten als Kunstgriff zur Umgehung des § 307 Abs. 3 Satz 1 kritisiert.13 Bereits in der Folgeentscheidung konnte der BGH die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 nicht mehr mit dem Anlassgedanken begründen, sondern wendete die Norm auch auf den Fall eines Bürgen an, „der pauschal und unreflektiert für die Verbindlichkeiten des Hauptschuldners einstehen will“.14 Der Fall war also gerade so gelagert, dass zwischen einer Anlassverbindlichkeit und sonstigen von der Zweckerklärung erfassten Hauptschulden nicht unterschieden werden konnte und sich daher die Frage nach der Anwendbarkeit des § 307 Abs. 3 Satz 1 unter neuen Vorzeichen stellen musste.15 Darüber geht das Gericht in dieser Folgeentscheidung wortlos hinweg und schützt auch hier den Bürgen im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 767 Abs. 1 Satz 3. Näher läge es, in solchen Fällen § 307 Abs. 3 Satz 1 beim Wort zu nehmen: Nach dieser Norm ist die Inhaltskontrolle für Bestimmungen eröffnet, „durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen“ vereinbart werden. Hauptleistungspflichten sind nach dem Wortlaut also nicht per se ausgenommen. Wenn also die Vereinbarung von Hauptleistungspflichten ausnahmsweise gegenüber dem Gesetz abweicht, ist die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 sehr wohl eröffnet. In Fällen der vorliegenden Art liegt aber gerade eine Abweichung von § 767 Abs. 1 Satz 3 13 14 15

Kuntz AcP 209 (2009) 242, 248; aA. Seidel/Brink DB 1997, 1961, 1962. BGHZ 132, 6 = NJW 1996, 924. Kuntz AcP 209 (2009) 242, 248f.

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vor.16 Obwohl die Anlassrechtsprechung in diesem weiteren Fall im Rahmen des § 307 Abs. 3 Satz 1 nicht passt, überzeugen doch die von ihr erzielten Ergebnisse. Denn im Mittelpunkt steht das Verbot der Fremddisposition nach § 767 Abs. 1 Satz 3. Die vorliegende Entscheidung ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Denn der BGH erhält die gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstoßende Zweckvereinbarung entgegen dem Verbot geltungserhaltender Reduktion teilweise aufrecht: Danach haftet der Bürge weiter für das im Zeitpunkt der Vereinbarung nach § 765 Abs. 1 begründete Höchstlimit des Kontokorrentkredits (S. 2556f.). Üblicherweise hält die Rechtsprechung eine teilweise gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstoßende AGB-Klausel nicht insoweit aufrecht, als gerade kein Normverstoß vorliegt (ausführlicher Rn. 951ff.). Das Verbot geltungserhaltender Reduktion verhindert, dass der Versuch des AGB-Verwenders, rechtswidrige Klauseln gegenüber der anderen Seite faktisch durchzusetzen, risikolos möglich wird. Denn im Falle der Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 entfällt die unwirksame Regelung zu seinen Lasten ganz und wird nicht etwa insoweit aufrechterhalten, wie sie der gesetzlichen Regelung entspricht. Damit soll dem AGB-Verwender der Anreiz genommen werden, unangemessene und gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstoßende Klauseln im Verkehr deshalb faktisch durchzusetzen, weil er sich sicher sein kann, dass die Rechtsfolgen seiner Klausel im Rahmen der richterlichen Prüfung auf das gesetzlich erlaubte Maß reduziert werden und für ihn so ein gesetzlich garantierter Mindestanspruch besteht. Teilweise durchbricht die Rechtsprechung dieses Prinzip jedoch im Fall der Teilbarkeit einer AGB-Klausel. Lässt sich diese in voneinander unabhängige Regelungsteile zergliedern und verstößt nur ein Teil gegen das Gesetz, soll der andere Teil aufrechterhalten werden können (vgl. Rn. 952 und Rn. 616). Dies bejaht der BGH vorliegend mit dem Argument, dass die vollständige Unwirksamkeit der Zweckvereinbarung – gemessen am Schutzzweck der Inhaltskontrolle – „eine überschießende Rechtsfolge“ darstelle (S. 2557). Der BGH beurteilt die Teilbarkeit der Zweckvereinbarung dabei anhand des Anlasses der Bürgschaft: Denn der Bürge haftet für die Verbindlichkeiten, die Anlass der Vereinbarung nach § 765 Abs. 1 waren, für die anderen nicht (S. 2557). So zeitigt der Anlassgedanke eine dritte Funktion:17 Er begründet nicht nur das Überraschungsmoment in § 305c Abs. 1 und eröffnet die Kontrollfähigkeit der Zweckvereinbarung nach § 307 Abs. 3 Satz 1, sondern liefert dem Gericht auch das Sachkriterium für die Teilung der Zweckvereinbarung. Dagegen bestehen Bedenken. Schon das Argument von der überschießenden Rechtsfolge einer Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 erscheint bedenklich, weil die Lehre von der geltungserhaltenden Reduktion stets auf eine solche 16 AA. MünchKomm/Habersack § 765 Rn. 74; Horn, Bürgschaften und Garantien, 8. Aufl. 2001, Rn. 337. 17 Deutlicher noch BGHZ 137, 153, 157 = NJW 1998, 450, 451; BGHZ 143, 95 = NJW 2000, 658, 660.

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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zielt: Sie führt zur vollständigen Unwirksamkeit der vorformulierten Klausel, selbst wenn diese nur teilweise nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist. Der Grund dafür liegt in der geschilderten präventiven Wirkung auf den AGB-Verwender. Ferner muss sich die Teilbarkeit einer AGB-Klausel allein am Zweck des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion erweisen. Dies zeigt der Vergleich mit dem Fall einer Schönheitsreparaturklausel im Mietrecht in die eine Pflicht aufgenommen ist, die nicht dem Kanon der anerkannten Pflichten zur Beseitigung von Dekorationsmängeln entspricht. Hier verneint der VIII. Senat trotz der sprachlichen und inhaltlichen Trennbarkeit der einzelnen Pflichten die Teilbarkeit, weil andernfalls ein falscher Anreiz für die Gestaltung der AGB gesetzt würde (Rn. 953). Dies ist auch vorliegend der Fall: Denn die Banken werden ermutigt, die Bürgschaft über das erlaubte Maß hinaus zu erstrecken und faktisch durchzusetzen, weil ihnen eine Bürgschaft für die Anlassforderung erhalten bleibt. In seiner späteren Rechtsprechung anerkennt der BGH eine Zweckvereinbarung, nach der der Bürge für einen Kontokorrentkredit auf der Grundlage einer Zeitbürgschaft nach § 777 haftet, und zwar insoweit als er für sämtliche Forderungen einstehen muss, die innerhalb der Laufzeit der Bürgschaft iSd. § 271 fällig werden und sich im Rahmen des Höchstlimits des Kontokorrentkredits bewegen.18

Bei allem Streit um die Details der Anlassrechtsprechung steht im Zentrum der Inhaltskontrolle von Zweckvereinbarungen doch das bereits erläuterte Verbot der Fremddisposition nach § 767 Abs. 1 Satz 3. Es setzt den zentralen Gerechtigkeitsgedanken des § 311 Abs. 1 im Bürgschaftsrecht um: Danach liegt die Rechtfertigung der unbeschränkten Haftung für vertragliche Schulden in der privatautonomen Entscheidung des Schuldners (Bürgen) über ihre Begründung. Deshalb kommt es im Einzelfall sehr genau darauf an, ob der Bürge den Bestand der Hauptschuld kontrollieren und nachträgliche Erweiterungen seiner Haftung verhindern kann oder nicht. Dies zeigt eindrucksvoll das folgende Beispiel: (BGH 15.7.1999 – XI ZR 243/98 = BGHZ 142, 213 = NJW 1999, 3195). Die G-Bank gewährt der S-GmbH zwei Darlehen über insgesamt 35.000 € mit einer Laufzeit bis zum 30.6.1991. Voraussetzung für das Zustandekommen ist, dass B, der neben A 50% der Geschäftsanteile an der S hält, sich auf der Grundlage eines vorformulierten Vertrags selbstschuldnerisch für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der G gegenüber S verbürgt. Alleiniger Geschäftsführer der S ist A; allerdings bedarf dieser laut Gesellschaftsvertrag bei Kreditneuaufnahmen von mehr als 12.500 € der Zustimmung der Gesellschafter. Nach Ablauf des 30.6.1991 wurde die Laufzeit der beiden Darlehen durch Vereinbarung zwischen G und S verlängert; die S ist ferner weitere Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der G eingegangen. Als die S die Zahlungen einstellt, geht G gegen B iH. der Gesamtsumme ihrer Verbindlichkeiten im Verhältnis zu S gegenüber B vor. Fraglich ist, in welcher Höhe die G den B aus § 765 Abs. 1 in Anspruch nehmen kann. Denn die vorformulierte Zweckvereinbarung könnte gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 verstoßen.

18

BGH NJW 2004, 2232, 2234f.

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1367

§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 ist – wie bereits angedeutet – das Verbot der Fremddisposition (§ 767 Abs. 1 Satz 3). Dessen Voraussetzungen sind nur gewahrt, wenn der Bürge so auf den Umfang der Hauptschuld Einfluss nehmen kann, dass er eine Ausweitung der Bürgschaft durch nachträgliche Vereinbarungen von Gläubiger und Hauptschuldner verhindern kann. Der BGH verneint dies im vorliegenden Fall (S. 3195f.): Ein von der Geschäftsführung ausgeschlossener GmbH-Gesellschafter sei nur bei einer Mehrheitsbeteiligung entsprechend geschützt. Denn dann kann er selbst einen Beschluss der Gesellschafterversammlung erwirken, dem Geschäftsführer Weisungen erteilen oder diesen abberufen (§§ 37 Abs. 1, 46 Nr. 5 GmbHG). Über eine solche Mehrheitsbeteiligung verfügte der Bürge jedoch vorliegend nicht. Die Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag bezüglich der Neuaufnahme von Darlehen schafft dafür keinen Ausgleich, weil sie den Geschäftsführer nicht daran hindert, eine Vielzahl kleinerer Kredite unterhalb der Zustimmungsschwelle zu vereinbaren. Die Zweckvereinbarung ist daher unwirksam. Seiner Rechtsprechung folgend, nach der die Zweckvereinbarung im Hinblick auf die Anlassverbindlichkeit aufrechterhalten wird, stellt sich allerdings die Frage, ob der Bürge für die beiden mittlerweile verlängerten Darlehen (Prolongationsdarlehen) aus § 765 Abs. 1 verantwortlich ist. Zugrunde liegt ein Auslegungsproblem nach §§ 133, 157. Der BGH sieht grundsätzlich kein Interesse des Bürgen, über die ursprünglich eingegangene Verpflichtung hinaus auch für die Rückführung des Prolongationsdarlehens einzustehen; insbesondere erscheint ihm das Argument, die Prolongation erfolge auch im Interesse des Bürgen, weil sie die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners aufrechterhalte, zu pauschal (S. 3196). Dies überzeugt und man wird folgende Überlegung ergänzen dürfen: Wenn der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger eine Darlehensverlängerung zu Marktbedingungen erreicht, kann er sich im Zweifel auch auf dem Kreditmarkt bei einem anderen Anbieter verschulden. Für dessen Ansprüche aus § 488 Abs. 1 Satz 2 haftet der Bürge aber nicht. Deshalb wirkt sich die Prolongation für den Bürgen nur nachteilig aus. Eine Ausnahme sieht das Gericht allerdings dort, wo Darlehen aus aufsichtsrechtlichen Gründen von vornherein mit einer Laufzeit von einem Jahr und der Absicht der Verlängerung vereinbart werden. Sei dies dem Bürgen bekannt gewesen, übernehme er im Zweifel auch eine Haftung für das Prolongationsdarlehen (S. 3196). Die Zweckvereinbarungen zwischen Gläubiger und Bürgen müssen sich schließlich am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 messen lassen. Nach dieser Norm kann sich eine ungemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. (BGH 28.10.1999 – IX ZR 364/97 = BGHZ 143, 95 = NJW 2000, 658) Die G-Bank (G) gewährt dem Unternehmer S am 27.6.1994 ein Darlehen iHv. 50.000 €, damit dieser die rückständigen Löhne in seinen Unternehmen zahlen kann. Die Unternehmensgruppe des S besteht einerseits aus einem einzelkaufmännisch geführten Betrieb und andererseits aus zwei weiteren, jeweils von einer GmbH geführten Betriebsteilen. An den GmbHs ist S jeweils zu

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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10% und seine Lebensgefährtin B zu jeweils 90% beteiligt; B ist ferner bei beiden Gesellschaften zur Geschäftsführerin bestellt. Anlässlich der Vereinbarung des Darlehens verbürgt sich B für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der G gegen S mit einer Höchstbetragsbürgschaft iHv. 150.000 €. Zwei Monate später, am 15.8.1994, kündigt G sämtliche Darlehen gegenüber S und macht diesem gegenüber rund 1,4 Mio. € an Rückständen geltend. Von B verlangt sie Zahlung von 150.000 €, wobei sie die Forderung auf das Darlehen vom 27.6.1994 und daneben auf Verbindlichkeiten stützt, die vor dem 27.6.1994 gegenüber S begründet worden waren. Der Anspruch aus § 765 Abs. 1 scheitert zunächst nicht an § 138 Abs. 1 wegen krasser finanzieller Überforderung der B (Rn. 1374), weil im Zeitpunkt der Vereinbarung der Bürgschaft nicht erkennbar war, dass die Einkünfte der B aus den GmbH-Beteiligungen nicht ausreichen würden, um die aus der Höchstbetragsbürgschaft entstehenden Finanzierungskosten zu decken. Fraglich ist jedoch, welche Schulden die Bürgschaft nach § 765 Abs. 1 absichert. Dies hängt abermals von der Wirksamkeit der Zweckvereinbarung ab. Die Argumentation des BGH im vorliegenden Fall erstaunt zunächst. Seiner Ansicht nach verstößt die Zweckvereinbarung nicht gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, weil der Bürge aufgrund der globalen Zweckerklärung tatsächlich nur für Altschulden haftete und nicht für Forderungen, die nach Abschluss des Bürgschaftsvertrags entstanden waren. Daher sei der Rechtsgedanke aus § 767 Abs. 1 Satz 3 nicht anwendbar (S. 659). Dem wird man mit Blick auf § 305c Abs. 2 widersprechen müssen: Denn bei ihrem Abschluss war die Zweckvereinbarung in die Zukunft gerichtet und ermöglichte ebenso wie in den bereits erörterten Fällen eine nachträgliche Ausweitung der Bürgenverbindlichkeit, die mit dem Rechtsgedanken des § 767 Abs. 1 Satz 3 nicht vereinbar ist. Dass es am Ende dazu nicht gekommen ist, weil die Kredite durch die Gläubigerin zeitnah zum Abschluss des Bürgschaftsvertrages gekündigt wurden, ändert nichts an der rechtlichen Beurteilung im Zeitpunkt der Vereinbarung der Bürgschaft. Nach dem § 305c Abs. 2 zugrunde liegenden Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung kommt es nämlich nicht darauf an, wie die Klausel sich im konkreten Fall ausgewirkt hat, sondern was sie zwischen den Parteien hätte bewirken können.

Von besonderem Interesse erscheint indes die weitere Argumentation des BGH. Denn das Gericht setzt sich mit der Frage auseinander, ob eine Zweckvereinbarung global alle bestehenden, nicht aber die künftigen Verbindlichkeiten aus einer Geschäftsbeziehung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner erfassen könne. Dies verneint der BGH im Hinblick auf das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 (S. 659f.): Auf der Grundlage einer solchen Klausel könne der Bürge nämlich den Umfang der auf ihn zukommenden Verbindlichkeiten nicht bestimmen. Auch bei einer Höchstbetragsbürgschaft aber sei er schutzwürdig, wenn deren Betrag deutlich über dem der Anlassverbindlichkeit liege. Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 307 Abs. 1 Satz 2 erscheint es allerdings problematisch, dass der Gesellschafter und Geschäftsführer als Bürge kein Außenseiter ist, sondern Einblick in die Geschäfte der Gesellschaft und damit auch ihren Schuldenstand nehmen kann. Doch lässt der BGH die rechtliche Stellung der Bürgin als Mehrheitsgesellschafterin und Geschäftsführerin nicht ausreichen, weil nicht klar sei, ob ihre tatsächlichen Befugnisse über die einer Angestellten hinausgingen (S. 660). Zugrunde liegen dürfte die Überlegung, dass die Lebensgefährtin vom Hauptschuldner möglicherweise unter Ausnutzung einer persönlichen Verbundenheit als bürgende Gesellschafterin und Ge-

1036

§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

schäftsführerin nur vorgeschoben gewesen sein könnte. Die Kritik ordnet diese Entscheidung teilweise in den Bereich des § 305c Abs. 1 ein. Danach sei die Zweckvereinbarung für die Bürgin überraschend gewesen.19 Die Überschaubarkeit der Bürgenverantwortung erscheint jedoch als Thema des § 307 Abs. 1 Satz 2 und zählt daher in den Bereich der Inhaltskontrolle im engeren Sinne.20 b) Die Forderungsauswechselung 1368

Fraglich ist, ob der Anspruch aus § 765 Abs. 1 bei Scheitern der Hauptverbindlichkeit Ersatzansprüche, insbesondere Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812ff.), erfasst. (BGH 15.3.2001 – IX ZR 273/98 = NJW 2001, 1859) Die S-KG (S) beantragt gegenüber der G-Bank (G) ein Darlehen für eine Zwischenfinanzierung. Bei G ist man grundsätzlich auch zur Gewährung eines Darlehens iHv. 300.000 € bereit, doch muss dort noch ein Aufsichtsgremium dem Abschluss des Darlehensvertrags zustimmen. Auf Verlangen der G verbürgt sich die Sparkasse B selbstschuldnerisch für die Darlehensschuld. Noch vor der Entscheidung des Aufsichtsgremiums wird bei G ein Konto für S errichtet, das diese bis zu einem Höchstbetrag von 200.000 € belasten darf. Bald ist darauf ein Debet iHv. 200.000 € zu verzeichnen. Später stimmt das Gremium der G der Darlehensvergabe wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der S nur unter neuen Auflagen zu; S genügt diesen Auflagen in der Folgezeit jedoch nicht, so dass der Darlehensvertrag nicht zustande kommt. Wegen der Zahlungsschwierigkeiten der S nimmt G die B iH. des Kontodebets iHv. 200.000 € aus der Bürgschaft in Anspruch. Der Anspruch der G gegen B aus § 765 Abs. 1 setzt voraus, dass die zu sichernde Forderung überhaupt entstanden ist. Da kein Darlehensvertrag zwischen G und S zustande gekommen ist, erfolgten die Belastungsbuchungen auf dem Konto ohne Rechtsgrund. Deshalb steht der G gegen S nur ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) zu. Fraglich ist, ob die Bürgschaft sich auch auf diesen erstreckt.

Ob eine zur Sicherung eines Darlehens vereinbarte Bürgschaft auch den Bereicherungsanspruch erfasst, wenn der Darlehensvertrag nicht wirksam begründet wurde, hängt von der Auslegung des Willens der Parteien des Bürgschaftsvertrags nach §§ 133, 157 ab (S. 1860). Es handelt sich um einen Fall der ergänzenden Vertragsauslegung (S. 1861; Rn. 27ff., 820ff., 1321ff.), wenn der Bürgschaftsvertrag im Hinblick auf diese Frage eine Lücke beinhaltet.21 Maßgeblich ist dabei vor allem, was der Gläubiger im Falle des Nichtzustandekommens des Bürgschaftsvertrags redlicherweise vom Bürgen erwarten durfte. Teilweise wird die Erfassung eines Anspruchs aus Leistungskondiktion durch die Bürgschaft im Schrifttum bejaht, weil dies allein der Betrachtungsweise redlicher und vernünftiger Parteien entspreche.22 Dies überzeugt allerdings schon nicht, wenn man den Fall des wucherähnlichen, an § 138 Abs. 1 scheiternden Darlehens ins Auge fasst. Hier steht der Schutzzweck des § 138 Abs. 1 gerade der Möglichkeit 19 20 21 22

Kuntz AcP 209 (2009) 242, 250. Vgl. nur MünchKomm/Habersack § 765 Rn. 72ff. AA. Fielenbach WM 2011, 2349, 2351f. Larenz/Canaris II/2 § 60 III 1 c.

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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entgegen, dass der Darlehensgeber seinen durch § 817 Satz 2 vorübergehend gesperrten Rückzahlungsanspruch (Rn. 608) auch gegenüber dem Bürgen verfolgen könnte (Zweifel deutet diesbezüglich auch der BGH an: S. 1860 am Ende).23 Die Gegenauffassung verneint die Möglichkeit einer Forderungsauswechselung, indem sie den Unterschied zwischen Bürgschaft und Garantie betont: Die Bürgschaft sei durch den Grundsatz der Akzessorietät gekennzeichnet und nicht durch eine Einstandspflicht für einen Erfolg, wie die Garantie. Die teilweise strengere BGH-Rechtsprechung widerspreche diesen Prinzipien und nähere die Bürgschaft zu stark an die Garantie an.24 Dieser Auffassung wird man jedoch einen Rechtsgedanken aus § 767 Abs. 1 Satz 2 entgegenhalten müssen:25 Danach folgt die Bürgschaft dem Bestand der Hauptverbindlichkeit auch, wenn diese durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners verändert wird. Das Gesetz sieht also in Grenzen eine Forderungsauswechselung vor. Dies legt es nahe, diese auch in anderen Fällen in Betracht zu ziehen, soweit dies von den redlichen Erwartungen der Parteien getragen ist. Ein weiteres Argument liefert der Wortlaut des § 767 Abs. 1 Satz 3: Danach darf die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert werden. Bleibt deshalb der Verpflichtungsumfang gleich und verändert sich allein der Verpflichtungsgrund (Rechtsgrund), kommt eine Forderungsauswechselung durchaus in Betracht.26 Vorliegend stellt der BGH zunächst überzeugend darauf ab, dass die ohne Rechtsgrund geflossenen Geldbeträge demselben Zweck dienten wie das eigentlich beabsichtigte Darlehen (S. 1860). Dagegen leuchtet das weitere Argument des Gerichts nicht ein, die Sparkasse sei hier wirtschaftlich am Abschluss des Geschäftes interessiert gewesen (S. 1860). Denn der Gläubigerin war im Zeitpunkt der Eröffnung des Kontos mindestens ebenso am Hauptschuldner als Darlehenskunden gelegen. Weiterhin kann sich die Bürgin nicht darauf berufen, dass die Darlehensvaluta in voller Höhe – und nicht, wie hier, lediglich anteilig – ausgezahlt wurde (S. 1861). Entscheidend ist vielmehr, dass die Bürgin erkennbar ihren Einstandswillen von dem Ausgang der Prüfung der Kreditwürdigkeit der Hauptschuldnerin durch die Gläubigerin abhängig machte: Vor einer positiven Entscheidung durch deren Aufsichtsgremium wollte sich die Bürgin ersichtlich keinem Haftungsrisiko aussetzen (S. 1862).

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2. Die rechtsgeschäftliche Einigung über die Bürgschaft a) Abgrenzung gegenüber Garantie und Schuldbeitritt

Regelmäßig muss die Einigung der Parteien über den Abschluss eines Bürgschaftsvertrags (§ 765 Abs. 1) von der Vereinbarung eines Schuldbeitritts und eines Garantievertrags unterschieden werden. Im Garantievertrag verpflichtet 23 24 25 26

Ähnlich Fielenbach WM 2011, 2349, 2351f. Fielenbach WM 2011, 2349, 2352. So Fielenbach WM 2011, 2349, 2352 selbst. BeckOGK/Madaus § 765 Rn. 42.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

sich der Schuldner, „für das Eintreten eines […] bestimmten Erfolges einzustehen oder die Gefahr eines künftigen, noch nicht entstandenen Schadens […] zu übernehmen“.27 Der einschlägige Erfolg kann etwa in der Beschaffenheit der geschuldeten Leistung liegen. Die auf dessen Absicherung zielende Beschaffenheitsgarantie beeinflusst den Maßstab des Vertretenmüssens in § 276 Abs. 1 und den Haftungsausschluss nach §§ 442 Abs. 1 Satz 2, 444, 445 (Rn. 355ff.). Daneben treten selbständige Garantieversprechen, die in ihrem Gegenstand und Bestand nicht von den vertraglich geschuldeten Leistungen abhängen. Dazu zählt etwa die ohne gesondertes Entgelt gewährte Herstellergarantie (Rn. 426ff.) oder die Garantie für Merkmale der Kaufsache, die nicht Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 sein können (Rn. 104). In all diesen Fällen steht der Garant ohne Verschulden für den Erfolg oder die Abwendung des Schadens ein. Tritt der Garantiefall ein, ist er regelmäßig zur Leistung eines Ersatzes in Geld verpflichtet. In die Nähe der Bürgschaft rückt die Garantie für die Erfüllung einer Verbindlichkeit des Hauptschuldners.28 (BGH 8.3.1967 – VIII ZR 285/64 = NJW 1967, 1020) D und S sind die beiden einzigen Kommanditisten der X GmbH & Co. KG. S stellt zugunsten der X acht auf seine Privatbank gezogene Schecks im Wert von 19.000 € aus. Die kontoführende Bank G verweigert die Zahlung, weil auf dem Konto des S keine Deckung vorhanden ist. Darauf kommt es zu einem Telefonat zwischen einem Vertreter der G und D, bei dem D erklärt, er mache sich dafür „stark“, dass innerhalb der nächsten vier Tage für eine Deckung der Schecksumme gesorgt werde. Darauf löst G die Schecks ein und der Betrag wird X gutgeschrieben. Später aber werden rund 5.000 € von S nicht gezahlt. Darauf nimmt G den D in Anspruch. Dieser beruft sich auf die Formnichtigkeit seines Versprechens nach §§ 766 Satz 1, 125 Satz 1. In Betracht kommt ein Anspruch der G gegen D aus einem Garantieversprechen (§ 311 Abs. 1).

Der BGH grenzt Bürgschaft und Garantieversprechen im Hinblick auf die bei der Garantie fehlende Akzessorietät iSd. § 767 Abs. 1 Satz 1 ab (S. 1020):29 Der Garant übernimmt nämlich eine selbständige Erfolgsabwendungspflicht, die nicht vom Bestand der Hauptleistungspflicht abhängt. Bei der Abgrenzung handelt es sich um eine Auslegungsfrage, wobei im Zweifel von einer Bürgschaft auszugehen sei, weil diese den Schuldner über das Formerfordernis des § 766 Satz 1 intensiver schütze (S. 1020f.). Vorliegend erkennt das Gericht dennoch auf eine Garantie, und zwar aus folgenden Überlegungen heraus (S. 1021): Zum Zeitpunkt des Telefonats war die Bank zur Einlösung der Schecks mangels Deckung nicht bereit. Das in der Person des Kontoinhabers liegende Insolvenzrisiko geht eine Bank im Zahlungsverkehr nämlich üblicherweise nicht ein. Deswegen sei in ihrem Gespräch mit dem Kommanditisten klar gewesen, dass dieser sie unbedingt von dem Risiko entlasten müsse, damit eine Einlösung stattfinden könne. In diesem Zusammenhang kommt deshalb der 27 RGZ 146, 120, 123; beinahe wortgleich BGH NJW 1965, 148, 149. Auf beide Zitate machen bereits Larenz/Canaris II/2 § 64 I 1, S. 66 aufmerksam. 28 Larenz/Canaris II/2 § 64 III: Interzessionsgarantie. 29 Staudinger/Horn Vorbem zu §§ 765ff. Rn. 219; Larenz/Canaris II/2 § 60 III 1.

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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„Starksagung“ des Kommanditisten ein besonderes Gewicht zu: Diese kann nur iS. einer unbedingten Entlastung der Bank vom Insolvenzrisiko verstanden werden und nicht im Sinne einer akzessorischen Verantwortung für die vom Hauptschuldner eingegangene Verbindlichkeit. Insbesondere durfte die Bank den Kommanditisten so verstehen, dass dieser innerhalb der Viertagesfrist in jedem Fall für Deckung sorgen wollte und sich nicht etwa mögliche Einreden des Hauptschuldners nach § 768 vorbehielt. Deshalb kam hier nur ein Garantieversprechen in Betracht. Der Fall zeigt auch deutlich, dass die §§ 765ff. nicht analog auf das Garantieversprechen anwendbar sind.30 Die Gegenauffassung weist indes auf die gesteigerte Gefährlichkeit der Garantie gegenüber der Bürgschaft hin, die eine analoge Anwendung des Schriftformerfordernisses nach § 766 Satz 1 erst recht nötig mache.31 Wie die vorangegangene Entscheidung zeigt, vollzieht sich der Schuldnerschutz indes unter anderen Vorzeichen: Gerade weil § 766 Satz 1 auf ein Garantieversprechen nicht anwendbar ist, kann dieses nach §§ 133, 157 nur in den Ausnahmefällen zustande kommen, in denen der Schuldner einen unbedingten Einstandswillen zu erkennen gibt. Die Rechtsprechung schützt den Sicherungsgeber also im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157, und zwar dadurch, dass sie im Zweifel von einer Bürgschaft und nicht von einer Garantie ausgeht. Bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1904 stand das RG vor der Frage, ob neben der Bürgschaft eine kumulative Schuldübernahme (heute Schuldbeitritt) anzuerkennen sei, und bejahte dies mit der Überlegung, es stünde den Parteien frei, dem zum Hauptschuldner hinzutretenden, weiteren Schuldner die Rechtsstellung eines Gesamtschuldners nach § 421 einzuräumen.32 Darin sieht die hM. bis heute den zentralen Unterschied zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt. In beiden Fällen sichert eine weitere Person durch ihr Einstandsversprechen den Gläubiger im Hinblick auf eine gegen den Hauptschuldner gerichtete Verbindlichkeit ab. Im Fall der Bürgschaft haftet der Hinzutretende jedoch nur akzessorisch, dh. für den jeweiligen Bestand der Hauptforderung (§ 767 Abs. 1 Satz 1), im Falle des Schuldbeitritts gilt hingegen das Prinzip der Einzelwirkung nach § 425. Danach haftet der Hinzutretende außer in den in §§ 422 bis 424 bezeichneten Sonderfällen aus eigenem Recht und unabhängig von dem Schicksal der Verbindlichkeit des Hauptschuldners.33 In mehreren Folgeentscheidungen hat das RG die bis heute maßgebliche Abgrenzung zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt vorgenommen.

30 Bereits RGZ 61, 157, 160; vgl. nur mwN.: MünchKomm/Habersack Vor § 765 Rn. 19; Staudinger/Horn Vorbem zu §§ 765ff. Rn. 240. 31 Larenz/Canaris II/2 § 64 III 2 b im Anschluss an Koziol, Der Garantievertrag, 1981, S. 39f.; Rimmelspacher, Kreditsicherungsrecht, 2. Aufl. 1987, Rn. 95ff. 32 RGZ 59, 232, 233. 33 BGH WM 1976, 1109; Staudinger/Horn Vorbem zu §§ 765ff. Rn. 415ff.; Larenz II § 35 II, S. 611f.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

(RG 23.11.1906 – Rep. II 200/06 = RGZ 64, 318) D betreibt eine Dampfwaschanlage in Köpenick auf einem Grundstück, das er von seinem Vater S nebst Inventar erworben hat. G hatte dem S einen Gasmotor nebst Sauganlage geliefert, die beide für den Betrieb der Waschanlage benötigt werden. Als S den Restkaufpreis nicht an G zahlt, erklärt sich D gegenüber G zur Zahlung mündlich bereit. Später beruft er sich auf Formnichtigkeit dieses Versprechens nach §§ 766 Satz 1, 125 Satz 1. In Betracht kommt jedoch ein Anspruch des G gegen D aus § 433 Abs. 2. Dieser wurde zunächst gegenüber S begründet. D könnte ihm jedoch formlos beigetreten sein. Ob ein Bürgschaftsversprechen hier nach § 350 HGB formlos abgegeben werden konnte, kann dahinstehen, wenn in jedem Fall ein Schuldbeitritt vorlag.

1373

Das RG erkennt in der Unterscheidung zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt ein Auslegungsproblem (S. 319).34 Ein im Rahmen der §§ 133, 157 zu beachtendes Kriterium liegt darin, ob der Schuldbeitretende „eine eigene selbständige Verbindlichkeit“ begründen will (S. 319). Davon könne indes nur ausgegangen werden, wenn er angesichts der Mitverpflichtung „ein eigenes Interesse“ verfolge (S. 319). Dies bejaht das RG vorliegend. Denn der Sohn hat die Zahlung des Restkaufpreises nur versprochen, weil er auf den Motor für den Betrieb seiner Waschanlage angewiesen war. Er hatte damit ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, die Verkäuferin von einem möglichen Rücktritt und Ähnlichem abzuhalten (S. 319). Der BGH und die hM. gehen deshalb auch heute noch davon aus, dass der hinzutretende Schuldner nach §§ 421, 425 als Schuldbeitretender und nicht als Bürge im Umfang des § 767 Abs. 1 Satz 1 haftet, wenn er ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse gegenüber dem Gläubiger verfolgt.35 Dass der Schuldbeitritt vorliegend formfrei erfolgen konnte, setzt das RG übrigens selbstverständlich voraus. Dies folgt wohl aus der Überlegung, dass der Kaufvertrag selbst ohne Beachtung einer Form geschlossen werden kann. Dann macht es aber keinen Unterschied, ob der Verkäufer den Vertrag mit zwei Käufern zugleich oder zeitlich gestaffelt zunächst mit einem Käufer schließt und anschließend einen Schuldbeitritt mit der zweiten Person vereinbart. Die Unterschiede zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt auf der Rechtsfolgenseite sind beträchtlich. Die hM. wendet auf den Schuldbeitritt das Verbraucherdarlehensrecht der §§ 491ff. an (Rn. 696ff.), auf die Bürgschaft hingegen nicht (Rn. 701). Die sog. Überforderungsrechtsprechung, die zu einer Nichtigkeit der Bürgschaft führen kann (Rn. 1374), ist auf Bürgschaften immer anwendbar, dagegen nur auf einen Teil der Schuldbeitritte. Soweit der „Beitritt“ dem Dritten nämlich die Stellung eines echten Mitdarlehensnehmers verleiht, fällt dieser aus dem Schutzbereich heraus (Rn. 1376). Im Schrifttum begegnet die Grenzziehung zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt teilweise scharfer Kritik. Denn der Schuldbeitritt komme nicht nur in der vorgestellten Form als kumulative Schuldübernahme vor, sondern auch als sog. Sicherungsbeitritt. Vor allem auch RGZ 59, 232. BGH NJW 1981, 47; vgl. ferner nur: Staudinger/Horn Vorbem zu §§ 765ff. Rn. 406; Larenz II § 35 II, S. 611f. 34 35

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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Dabei liege dem Schuldbeitritt eine Zweckvereinbarung zugrunde, die den Schuldbeitritt – vglb. der Bürgschaft – an den Bestand der Hauptverbindlichkeit binde.36 Doch erscheint hier Zurückhaltung geboten. Denn wollen die Parteien ausdrücklich keine selbständige Verbindlichkeit iSd. §§ 421, 425 begründen, sondern orientieren sie die Ausgestaltung der Haftung des Dritten am Modell des § 767 Abs. 1 Satz 1, liegt im Zweifel überhaupt kein Schuldbeitritt, sondern schlicht eine Bürgschaft vor. Wie im Falle der Abgrenzung zwischen Bürgschaft und Garantievertrag (Rn. 1371 aE.) erfolgt der Schutz des Schuldbeitretenden im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 und der dabei zu treffenden Entscheidung zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt, nicht jedoch auf der Rechtsfolgenseite durch analoge Anwendung der §§ 765ff. Schon das RG ging deshalb davon aus, dass der im BGB nicht geregelte Schuldbeitritt gegenüber der Bürgschaft eine begründungsbedürftige Ausnahme darstelle (vorliegend S. 319 unten). Lässt sich daher eine Ausnahme vom Prinzip des § 767 Abs. 1 Satz 1 im Wege der Auslegung der Parteivereinbarung nach §§ 133, 157 nicht begründen, nimmt der Dritte die Stellung eines Bürgen ein. b) Nichtigkeit des Bürgschaftsversprechens wegen krasser finanzieller Überforderung (§ 138 Abs. 1)

Ob eine Bürgschaft wegen eines Sittenverstoßes nach § 138 Abs. 1 nichtig ist, weil der Bürge sich bei Vertragsschluss finanziell übernimmt, war lange Zeit umstritten, bis das BVerfG in der nachfolgenden Entscheidung für Klarheit gesorgt hat: (BVerfG 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1644/89 = BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36) Die G-Bank gewährt dem zunächst als Immobilienmakler tätigen S einen Kreditrahmen iHv. rund 25.000 €. Als dieser auf 50.000 € ausgeweitet werden soll, verbürgt sich B, die Tochter des S, mit einem Höchstbetrag von 50.000 €. B ist zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt, hat keine Berufsausbildung und bezieht ein Einkommen aus einer Tätigkeit bei einer Fischfabrik iHv. 575 € monatlich. Sie verbürgt sich selbstschuldnerisch für alle gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten des S gegenüber G. Als S sich später als Reeder versucht, steigen die Verbindlichkeiten deutlich an. Am Ende schuldet S der G rund 1,2 Mio. €. In Höhe von 50.000 € geht G nun gegen B vor.

Bis zu dieser Entscheidung des BVerfG hatte der BGH eine Inhaltskontrolle von Bürgschaften nach § 138 Abs. 1 wegen einer bereits bei Vertragsschluss absehbaren späteren Überschuldung des Bürgen abgelehnt.37 Ausschlaggebend war der keineswegs leicht wiegende Gedanke, dass die Vertragsfreiheit auch das Eingehen eines risikoreichen Rechtsgeschäftes erlaubt. Eine andere Beurteilung 36 Schürnbrand, Der Schuldbeitritt zwischen Gesamtschuld und Akzessorietät, 2003, S. 32ff. im Anschluss an Weigelin, Der Schuldbeitritt, 1940, S. 33ff.; nun auch MünchKomm/Habersack Vor § 765 Rn. 12 mwN. 37 Vgl. nur BGHZ 106, 269 = NJW 1989, 830; BGHZ 107, 92 = NJW 1989, 1276; vgl. die damalige Kritik von Derleder, in: FS Bärmann und Weitnauer, 1990, S. 121ff. und die Einschätzung von Medicus ZIP 1989, 817; H.P. Westermann JZ 1989, 746; zur Entwicklung der Rechtsprechung BeckOGK/Madaus § 765 Rn. 77ff.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

bedeutet nämlich die Gefahr einer Beschränkung der „wirtschaftlichen Geschäftsfähigkeit“ des Einzelnen (vgl. auch Rn. 652b): Gewisse Risikogeschäfte könnte ein Privatrechtssubjekt danach nur abhängig von seinen Einkommensverhältnissen eingehen. Mit einem geringen Grundeinkommen ausgestattet, bliebe ihm daher die Möglichkeit verwehrt, sich durch ein riskantes finanzielles Engagement aus dieser Lage zu befreien. So sehr dieser Gedanke grundsätzlich einleuchtet, so sehr überzeugt auch die vom BVerfG vorgegebene Differenzierung. Denn der Bürgin geht es vorliegend nicht um ein selbst verantwortetes Risikogeschäft zur Ermöglichung des eigenen Fortkommens. Sie hat nämlich kein Eigeninteresse an der Tätigkeit ihres Vaters (S. 38). In der Entscheidung des Verfassungsgerichts sind noch nicht sämtliche Wertungen angesprochen, die der heutigen Fallgruppe der krassen finanziellen Überforderung in § 138 Abs. 1 zugrunde liegen, doch finden sich bereits wesentliche Eckpunkte: So lässt sich das Gericht zunächst von der Überlegung leiten, die Fähigkeit des Einzelnen zu einer Gestaltung der Rechtsverhältnisse nach seinem Willen bilde einen zentralen Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (S. 38). Gerade deshalb dürften Verträge jedoch nicht als Mittel der Fremdbestimmung fungieren (S. 39). Hier aber bestehe die Gefahr, dass die Gläubigerin die Bürgin entgegen ihren Eigeninteressen zu einem finanziell nicht kalkulierbaren Engagement bestimmt habe, wobei die mit dem Fall befassten ordentlichen Gerichte der Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages nicht ausreichend Rechnung getragen hätten (S. 39). In einem weiteren Fall der Bürgschaft eines Kindes für seine Eltern arbeitete der BGH dann den zentralen Rechtsgedanken bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 heraus:38 Wenn der Gläubiger erkennt, dass der Bürge an dem Geschäft der Eltern kein konkretes Eigeninteresse hat, andererseits aber durch die finanziellen Lasten in krasser Weise überfordert ist, drängt sich der Eindruck auf, dass die Eltern die persönliche Verbundenheit und Unerfahrenheit des Kindes in rechtswidriger Weise (§ 1618a!) ausnutzen. Unter solchen Bedingungen fällt auch dem Gläubiger ein subjektiver Sittenverstoß nach § 138 Abs. 1 zur Last, weil er im Zweifel aus der Ausnutzung des Bürgen eigene Vorteile ziehen will. Dies führt zur Nichtigkeit der Bürgschaft. Dieser Gedanke mündet heute in einen festen Tatbestand der Sittenwidrigkeit: (BGH 16.6.2009 – XI ZR 539/07 = NJW 2009, 2671) S erwarb von V eine Eigentumswohnung in München für 150.000 €. Mit der G-Bank schloss er einen Darlehensvertrag iH. des Kaufpreises zu einem Zinssatz von 6,45%. Seine Lebensgefährtin B unterschrieb den Darlehensvertrag als „Darlehensnehmerin“ Sie hatte zum Zeitpunkt der Unterschrift ein Nettoeinkommen von monatlich 1.500 € und bestehende monatliche Kreditbelastungen iHv. 225 € sowie Miet- und Nebenkosten iHv. 550 €. S bestellte zugunsten der G eine erstrangige Grundschuld an der Wohnung. Für die Parteien stellt sich die Frage, ob G gegenüber B vorgehen kann. Ein Anspruch aus § 765 Abs. 1 setzt voraus, dass der Bürgschaftsvertrag nicht wegen Sittenverstoßes nach § 138 Abs. 1 nichtig ist. 38

BGHZ 125, 206 = NJW 1994, 1278, 1280.

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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Für die Anwendung des § 138 Abs. 1 kommt es entscheidend darauf an, ob die Lebensgefährtin vorliegend die Stellung einer Mitdarlehensnehmerin oder die einer Sicherungsgeberin für eine fremde Schuld einnimmt, wie es bei einem Bürgen der Fall ist (knapp: Tz. 13). Denn nur zugunsten einer möglichen Bürgin, nicht aber zugunsten einer Mitdarlehensnehmerin, ist § 138 Abs. 1 anwendbar. Denn die Bürgin hat für eine fremde Schuld einzustehen; die Mitdarlehensnehmerin aber geht privatautonom ein außergewöhnlich hohes eigenes Risiko ein, was von § 311 Abs. 1 abgedeckt ist. Handelt es sich vorliegend jedoch um eine Bürgin, knüpft an ihre krasse finanzielle Überforderung die Vermutung der missbräuchlichen Ausnutzung ihrer persönlichen Verbundenheit zum Darlehensnehmer an. Die Abgrenzung beruht auf einer nach §§ 133, 157 zu beantwortenden Auslegungsfrage. Dabei misst der BGH verständlicherweise der von der Gläubigerin gewählten Vertragsgestaltung (einheitlicher Vertrag mit beiden Partnern) und dem Vertragswortlaut (Bezeichnung der Lebensgefährtin als Darlehensnehmerin) keine Bedeutung bei (Tz. 15). Denn andernfalls könnte § 138 Abs. 1 durch eine rein formale Vertragsgestaltung umgangen werden. Ausgehend vom zugrunde liegenden Zweck der Abgrenzung setzt die Stellung eines Mitdarlehensnehmers vielmehr voraus, dass der Vertragspartner ein eigenes sachliches oder persönliches Interesse an der Kreditaufnahme hat und im Wesentlichen gleichberechtigt über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta bzw. bestimmter Teile von ihr bestimmen darf (Tz. 15). Dies erinnert an die Unterscheidung zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt (Rn. 1372). Dafür spricht zunächst, dass die Stellung des Mitdarlehensnehmers insoweit als eine Sonderform des Schuldbeitritts verstanden werden kann, als der Dritte der Verbindlichkeit des Schuldners nicht nachträglich beitritt, sondern von Anfang an neben den Schuldner tritt. Doch decken sich die Voraussetzungen eines Schuldbeitritts nicht vollständig mit der Stellung des Dritten als Mitdarlehensnehmer. Denn beim klassischen Schuldbeitritt haftet der Dritte lediglich neben dem Hauptschuldner für die Forderung des Darlehensgebers aus § 488 Abs. 1 Satz 2. Diese Stellung reicht indes für die Bejahung eines Eigeninteresses am Darlehen mit Blick auf § 138 Abs. 1 nicht aus. Das für die Mitdarlehensnehmerstellung erforderliche Eigeninteresse lässt sich nämlich, wie gerade gesehen, nur bejahen, wenn der Dritte neben dem ersten Schuldner über die Verwendung des Darlehens mitentscheidet und auch ansonsten als gleichberechtigter Vertragspartner gegenüber dem Darlehensgeber auftritt.39 Das Eigeninteresse tritt daher bei der Mitdarlehensnehmerschaft im Vergleich zum einfachen Schuldbeitritt noch deutlicher hervor als bei der Abgrenzung des (einfachen) Schuldbeitritts von der Bürgschaft. Der Grund liegt im Schutzzweck des § 138 Abs. 1: Dieser ist nur dort nicht berührt, wo der „Dritte“ eine eigenverantwortliche Entscheidung über das Eingehen eines außergewöhnlichen Risikos trifft, was nach § 311 Abs. 1 stets erlaubt ist. Davon ist auszugehen, 39

BGHZ 146, 37 = NJW 2001, 815, 816.

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wenn der Dritte aus Sicht des Gläubigers neben dem ersten Schuldner gleiche Rechte hat, also sozusagen auf Augenhöhe auftritt. Wenn der Dritte allerdings hinter dem ersten Schuldner zurücktritt und aus Sicht des Darlehensgebers nur als Haftungsschuldner, nicht aber als gleichberechtigter Gläubiger fungiert, ist der Anwendungsbereich des § 138 Abs. 1 berührt: Denn dann besteht nämlich die Gefahr, dass der Hauptschuldner seine persönliche Verbundenheit zum Dritten ausnutzt, um diesen entgegen rationaler Entscheidungsmaßstäbe in eine Mithaftung gegenüber dem Gläubiger zu zwingen. Der BGH verneint vorliegend das Eigeninteresse auf Seiten der Lebensgefährtin, weil die Wohnung allein ihrem Partner gehöre und sie daran keine Rechte erwerbe (Tz. 16). Eine mögliche zeitweilige Verbesserung der Wohnsituation der Lebensgefährtin, auf deren Aufrechterhaltung sie keinen Anspruch hat, rechnet der BGH zu Recht nicht mit (Tz. 16). Schließlich fungiert sie auch nicht als gleichberechtigte Vertragsseite, da allein der Partner über die Verwendung des Darlehens bestimmt. Folglich ist § 138 Abs. 1 anwendbar. Die Norm setzt objektiv eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen und eine persönliche Verbundenheit mit dem Hauptschuldner voraus. Die krasse finanzielle Überforderung liegt vor, wenn der Bürge bereits die auf ihn zukommende Zinslast nicht aus seinem laufenden Einkommen bestreiten kann (Tz. 18); auf die Fähigkeit zur Rückführung der Valuta kommt es nicht an. Vorliegend konnte die Lebensgefährtin diese Lasten angesichts ihrer Einkommenssituation und der bestehenden Verpflichtungen aber nicht tragen. Fraglich war allerdings, ob die vom Hauptschuldner bestellte Sicherungsgrundschuld die auf sie zukommende Last minderte. Der BGH verneint dies im Hinblick auf die neue Rechtsprechung, nach der zwischen dem Eigentümer, der eine Sicherungsgrundschuld bestellt, und dem Bürgen ein Ausgleich nach § 774 Abs. 1 stattfinde (dazu unten Rn. 1401). Nur wenn der Lebensgefährtin eine sie nicht überfordernde, geringwertige Ausfallhaftung verbleibe, könne es an den objektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 fehlen, was hier nicht der Fall sei (Tz. 21). Das Gericht geht dabei nicht weiter darauf ein, dass es hier im Hinblick auf die persönliche Verbundenheit zwischen Hauptschuldner und Bürge allein auf das tatsächliche Band ankommen kann und nicht auf ein bestimmtes familienrechtliches Statusverhältnis. Dies versteht sich aber aus dem Schutzzweck der Lehre von der krassen finanziellen Überforderung: Maßgeblich ist danach allein, dass der Sicherungsgeber dem Hauptschuldner persönlich so nahesteht, dass er im Hinblick auf dessen Sicherungswünsche als erpressbar erscheint. Dies ist bei einer langjährigen Lebensgefährtin ohne Weiteres zu bejahen. Subjektiv setzt § 138 Abs. 1 schließlich eine verwerfliche Gesinnung des Gläubigers voraus. Diese wird nun auf der Grundlage des objektiven Tatbestandes widerleglich vermutet (Tz. 18). Zugrunde liegt ein zweigliedriger Erfahrungssatz. Zunächst steht in diesen Fällen nicht immer sicher fest, dass der Hauptschuldner tatsächlich Druck auf den ihm persönlich nahestehenden Bürgen ausgeübt hat. Die äußeren Umstände legen dies jedoch auf einer ersten Stufe

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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des Erfahrungssatzes nahe: Denn niemand lässt sich unter normalen Umständen auf eine existenzbedrohende Haftung ein, wenn er aus dem Gegenstand dieser Haftung persönlich keine Vorteile zieht. Die naheliegende Erklärung für diese Bereitschaft besteht deshalb darin, dass der Bürge vom Hauptschuldner auf der Grundlage der zwischen beiden bestehenden besonderen persönlichen Verbundenheit unter Druck gesetzt wurde. Der zweite Teil des Erfahrungssatzes beruht nun darauf, dass auch der Gläubiger diese Zusammenhänge im Zweifel erkennt. Vereinbart er mit dem Bürgen nämlich unter diesen Voraussetzungen eine Haftungsverantwortung nach § 765 Abs. 1, liegt es ebenfalls nahe, dass er von einer Notlage des Bürgen profitieren will (zum dogmatischen Hintergrund solcher Erfahrungssätze Rn. 1072). Darin aber zeigt sich im Zweifel eine verwerfliche Gesinnung nach § 138 Abs. 1. Auf beiden Stufen ist der Erfahrungssatz durch die Darlegung und den Beweis einer anderen Erklärung für das Bürgenverhalten möglich. Das Gericht setzt sich im vorliegenden Fall noch mit einem systematischen Argument gegen die Anwendung des § 138 Abs. 1 in den Fällen existenzbedrohender Verschuldung einer Person auseinander. Teilweise wurde im Schrifttum im Hinblick auf die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung in der Verbraucherinsolvenz (§§ 286ff. InsO) die Auffassung vertreten, § 138 Abs. 1 sei nur noch auf wenige Ausnahmefälle zu beschränken: Wenn ein Verbraucher nämlich eine vollständige Schuldbefreiung erzielen könne, sei er im Hinblick auf eine finanzielle Überbelastung nicht mehr schutzwürdig.40 Der Schutz des Bürgen vor einer finanziellen Überforderung stellt nach diesem Verständnis ein verfahrensrechtliches und kein materiellrechtliches Problem dar. Wird die Bürgin daher nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO gegenüber ihren Gläubigern frei, sei sie vor den Folgen der Bürgenhaftung ausreichend geschützt. Diese Auffassung verwirft der BGH vorliegend mit der Überlegung, es sei „nicht der Zweck des langjährigen und komplizierten Restschuldbefreiungsverfahrens, Kreditinstitute, die versuchen, die offensichtliche Willensschwäche eines finanziell überforderten Ehepartners oder nichtehelichen Lebensgefährten des Hauptschuldners zur Durchsetzung ihrer vermeintlichen Interessen zu nutzen, vor der weit reichenden Nichtigkeitssanktion des § 138 Abs. 1 BGB zu bewahren“ (Tz. 32). Der entscheidende Sachgesichtspunkt dürfte darin liegen, dass die Anwendung des § 138 Abs. 1 in den Fällen der krassen finanziellen Überforderung nicht auf der hohen Belastung als solcher beruht, sondern auf dem Umstand, dass die persönliche Beziehung des Bürgen zum Hauptschuldner so ausgenutzt wird, dass der Bürge sich selbst Schaden zufügt. Für diesen Schaden muss der Bürge gegenüber dem Gläubiger aber überhaupt nicht aufkommen, auch nicht im Rahmen der §§ 286ff. InsO. Bemerkenswert erscheint schließlich, dass auch das zunächst vom BGH anerkannte Interesse, vollstreckungsvereitelnde Vermögensver40 Aden NJW 1999, 3763; Foerste JZ 2002, 562, 564; Medicus JuS 1999, 833, 836; Zöllner WM 2000, 1, 5.

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schiebungen zwischen Hauptschuldner und Dritten durch Inpflichtnahme des Ehepartners oder Lebensgefährten als Bürgen zu verhindern (Beispiel: Ehepartner oder Lebensgefährten verschieben untereinander Vermögen),41 in Fallgestaltungen wie der vorliegenden nicht mehr zugunsten des Gläubigers ins Gewicht fällt und eine Bürgschaft des praktisch vermögenslosen Partners allein nicht rechtfertigt. An die krasse finanzielle Überforderung des Bürgen und seine persönliche Verbundenheit zum Hauptschuldner knüpft – wie gerade ausgeführt – die tatsächliche Vermutung, dass der Gläubiger die missbräuchliche Steuerung des Bürgen durch den Hauptschuldner zum eigenen Vorteil ausnutzt. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen diese Vermutung widerlegt werden kann. (BGH 14.11.2000 – XI ZR 248/99 = BGHZ 146, 37 = NJW 2001, 815) Die G-Bank schloss mit S, dem Inhaber eines Montagebetriebs, einen Darlehensvertrag über 23.500 € zu einem auf fünf Jahre vereinbarten Zinssatz iHv. 9%. Das Darlehen diente überwiegend der Ablösung von Geschäftsschulden des S, aber auch der Ablösung von Restschulden der Eheleute S und B. Die B unterzeichnete den Vertrag ausdrücklich unter der Rubrik „Mitdarlehensnehmerin“. Zum damaligen Zeitpunkt betreute sie vier Kinder im Alter von einem bis acht Jahren. Dem von ihr erlernten Friseurberuf ging sie nicht nach, sondern erzielte ein kleines Einkommen im Betrieb des S. Nachdem S die Zahlungen einstellte, verwertet die G zunächst andere ihr überlassene Kreditsicherheiten und geht dann iH. eines Restbetrags von über 7.500 € gegen B vor. Mittlerweile geht diese einer mit 420 € entlohnten Teilzeitbeschäftigung nach.

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Der BGH hält § 138 Abs. 1 für anwendbar, weil die Ehefrau keine Darlehensnehmerin sei. Im Rahmen der Prüfung nach §§ 133, 157 fällt zwar ins Gewicht, dass die Darlehensaufnahme auch der Tilgung der gemeinsamen Schulden der Ehepartner dient. Doch nimmt die Ehefrau keine gleichberechtigte Stellung ein, was sich allein daran zeigt, dass durch das Darlehen überwiegend die Geschäftsschulden des Ehemanns abgelöst werden sollen und die Ehefrau deshalb auf die Verwendung des Darlehens im Wesentlichen keinen Einfluss hat (S. 815f.). Nicht weiter geht das Gericht darauf ein, dass es für die krasse finanzielle Überforderung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht aber auf die spätere Entwicklung der Einkommensverhältnisse der Ehefrau ankommt. Denn grundsätzlich richtet sich die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften nach dem Zeitpunkt ihrer Vornahme und nicht nach späteren Entwicklungen (Rn. 241). Nur in diesem Zeitpunkt können die Parteien nämlich die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens steuern; eine Berücksichtigung späterer Umstände verstieße stattdessen gegen das am Vertrauensschutz ausgerichtete Rückwirkungsverbot. Angesichts der vier sehr kleinen Kinder und der Laufzeit des Darlehens war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aber nicht damit zu rechnen, dass die Ehefrau die Zinsen für das Darlehen würde aufbringen können. Allerdings liegt der Grund für das Sittenwidrigkeitsverdikt nicht in der krassen finanziellen Überforderung als solcher, sondern darin, dass der Bürge oder 41

BGHZ 125, 206 = NJW 1994, 1278, 1279.

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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Schuldbeitretende durch den Hauptschuldner aufgrund persönlicher Verbundenheit fremdbestimmt wird und der Gläubiger davon wissentlich profitiert. Die Vermutung der tatsächlichen Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands in § 138 Abs. 1 beruht also darauf, dass aus Sicht des Gläubigers kein anderer Grund für den Schuldbeitritt in Betracht kommt. Vorliegend erscheint dies deshalb problematisch, weil die Ehefrau auch persönlich von der Darlehensaufnahme profitiert: in geringerem Maße dadurch, dass ihre eigenen Schulden abgelöst werden, in größerem Maße durch den mittelbaren Vorteil, dass der ihren Ehegatten belastende Betriebsmittelkredit abgelöst wurde. Diese mittelbaren Vorteile berücksichtigt der BGH zu Recht nicht, weil sonst die Ehepartner von Unternehmern regelmäßig bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 benachteiligt würden (S. 817). Man wird ergänzen dürfen, dass in den meisten Fällen der krassen finanziellen Überforderung der Bürge oder Schuldbeitretende dem Angehörigen eine Entlastung verschaffen will, um mittelbar selbst davon – und sei es auch nur auf einer immateriellen Ebene – zu profitieren. Soweit das Darlehen vorliegend jedoch die eigene Verbindlichkeit der Ehefrau ablöst, soll § 138 Abs. 1 keine Anwendung finden und der Schuldbeitritt nach § 139 erhalten bleiben: Denn nicht nur die Gläubigerin, sondern auch die Ehefrau war daran interessiert, dass die fälligen Altschulden abgelöst wurden. So bestehe ein beiderseitiges Interesse, diesen Teil des Rechtsgeschäfts aufrechtzuerhalten (S. 817). Es ist indes umstritten, ob ein nach § 138 Abs. 1 nichtiges Rechtsgeschäft auf der Grundlage einer Auslegung nach § 139 teilweise aufrechterhalten werden kann, soweit es gerade nicht gegen die guten Sitten verstößt. Gegen diese Möglichkeit42 spricht ein Rechtsgedanke, der an das Verbot geltungserhaltender Reduktion unwirksamer AGB erinnert (Rn. 951ff.; vgl. das Parallelproblem bei sittenwidrigen Darlehen Rn. 610).43 Denn die Aufrechterhaltung muss dem gegen die guten Sitten Verstoßenden als Teilerfolg erscheinen, der auch künftige Sittenverstöße vergleichsweise risikolos erscheinen lässt und deshalb zu diesen ermutigt. Der BGH hat gerade aus diesem Grund in einer früheren Entscheidung das Wuchergeschäft als Einheit angesehen.44 Im Schrifttum wird die Aufrechterhaltung eines teilweise nichtigen Rechtsgeschäfts hingegen im Wege einer teleologischen Reduktion des § 138 Abs. 1 für möglich gehalten.45 Nach Ansicht des BGH ist auch vorliegend eine andere Behandlung geboten, da auf die beiderseitigen Interessen der Beteiligten, also auch diejenigen der Ehefrau, Rücksicht genommen werde (S. 817). Für diese Betrachtungsweise lässt sich am ehesten die in anderem Zusammenhang erwogene Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts (Rn. 1365) anführen. Danach findet das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion keine Anwendung, wenn ein Rechtsgeschäfts nur teilSo Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit, 1979, S. 80ff. Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 128. BGHZ 68, 204 = NJW 1977, 1233; Übersicht über die zT. widersprüchliche Rechtsprechung bei Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 129ff. 45 Staudinger/Sack/Fischinger § 138 Rn. 163; vgl. auch MünchKomm/Armbrüster § 138 Rn. 161. 42 43 44

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weise unwirksam ist und von der Aufrechterhaltung des anderen Teils keine negative Anreizwirkung für den Verwender bei der künftigen Gestaltung seiner AGB ausgeht (Rn. 952f.). Darum geht es vorliegend: Denn im Grunde fassen die Parteien hier zwei eigenständige Darlehen nur äußerlich zusammen: dasjenige über die Geschäftsschulden des Ehemanns und das über die Privatschulden (auch) der Ehefrau. Dies rechtfertigt es, zwischen beiden zu differenzieren und die Ehefrau für die Privatschulden haften zu lassen. Auf dogmatischer Ebene kann die verwerfliche Gesinnung der Bank insoweit nicht vermutet werden, als es um die Privatschulden der Ehefrau geht. Denn trotz der insgesamt bestehenden krassen finanziellen Überforderung der Ehefrau bestand für deren Bürgschaft iH. der Privatschulden eine rationale Erklärung, die gerade nicht den Schluss auf eine Ausbeutung der persönlichen Verbundenheit der Bürgin zum Hauptschuldner erlaubte und damit nicht durch die verwerfliche Gesinnung einer Bank erklärt werden konnte, die diesen Zusammenhang erkennt und zum eigenen Vorteil nutzt. Denn für diesen Teil der Schuld wollte die Ehefrau im Zweifel zur Ermöglichung der eigenen Umschuldung haften, nicht aber, weil sie von ihrem Ehemann dazu gedrängt worden war. 3. Form der Bürgschaftserklärung a) Grundsatz 1384

Zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrags ist nach § 766 Satz 1 die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung erforderlich. Die Willenserklärung des Bürgen bedarf danach der Form des § 126 Abs. 1. Dies gilt allerdings nicht bei der Bürgschaft eines Kaufmanns (§ 350 HGB). Besonderes Interesse weckt, dass der Bürge die schriftliche Erklärung nach § 766 Satz 1 erteilen muss: (BGH 28.1.1993 – IX ZR 259/91 = BGHZ 121, 224 = NJW 1993, 1126, leicht verändert) Unternehmer G schließt mit der S-GmbH einen Vertrag über die Lieferung von 3000 Jeans zum Preis von 42.000 €. Vereinbart ist, dass B, Alleingesellschafter der S, für die Zahlung des Kaufpreises selbstschuldnerisch bürgen soll. B lässt seine Bürgschaftserklärung notariell beurkunden und faxt diese an die Adresse des G. Als G ihn später in Anspruch nimmt, beruft sich B auf Formnichtigkeit. Der Anspruch des G gegen B aus § 765 Abs. 1 könnte hier daran scheitern, dass die Bürgschaft wegen Verstoßes gegen § 766 Satz 1 nach § 125 Satz 1 nichtig ist. Die Schriftform war hier nicht wegen § 350 HGB entbehrlich. Denn der Gesellschafter einer GmbH ist kein Kaufmann, da er kein Handelsgeschäft iSd. § 1 Abs. 1 HGB betreibt. Betreiber ist vielmehr nur die Person, für und gegen die Rechte und Pflichten begründet werden. Nach § 13 Abs. 2 GmbHG treten die Rechtsfolgen bei der GmbH und gerade nicht bei ihren Gesellschaftern ein.

§ 766 Satz 1 setzt die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung voraus. Dies bedeutet bereits nach dem Wortlaut mehr als die Wahrung der Schriftform bei Abgabe der entsprechenden Willenserklärung (vgl. etwa § 127 Abs. 2). Der BGH geht davon aus, dass die Erteilung die Entäußerung des Originals gegenüber dem Gläubiger voraussetze; diesem müsse die schriftliche Erklärung

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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zumindest vorübergehend überlassen werden (S. 1126). Begründet wird dies mit dem § 766 Satz 1 zugrunde liegenden „Schutzbedürfnis des Bürgen, der zu größerer Vorsicht angehalten und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen gesichert werden soll“ (S. 1127). Anders als bei prozessualen Erklärungen, bei denen die vollständige Ausnutzung einer Rechtsmittelfrist die Nutzung von Techniken der Nachrichtenübermittlung rechtfertige, stehe bei der Bürgschaft der Übereilungsschutz im Vordergrund (S. 1127). Dies verweist auf einen allgemeinen, dem BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken: Die Besitzaufgabe stellt etwa auch in § 172 Abs. 1 die zentrale Zurechnungsvoraussetzung dar, weil nur die ausgehändigte Vollmachtsurkunde Rechtsscheinwirkung entfaltet. Es entspricht auch der Dogmatik des § 929 Satz 1, dass die Aufgabe des unmittelbaren Besitzes durch den Veräußerer ein zentrales Indiz für die Ernsthaftigkeit seines Verfügungswillens darstellt (vgl. auch § 935 Abs. 1);46 ein ähnlicher Rechtsgedanke zeigt sich bei der Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 (Rn. 1140). Nach dem Wortlaut des § 766 Satz 1 ist daher auch beim Bürgen von einem ernsthaften Verpflichtungswillen nicht auszugehen, bevor er dem Gläubiger das Original ausgehändigt hat. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1957 hat der BGH das zugrunde liegende Erfordernis noch weiter präzisiert: (BGH 27.5.1957 – VII ZR 223/56 = NJW 1957, 1275) Bürgin B überlässt die schriftliche Bürgschaftserklärung für eine Darlehensschuld dem Hauptschuldner S, ihrem Sohn, mit der Bemerkung: „Lieber Adolf! Wenn es so richtig ist, sende Du es weiter, sonst zurück!“ Später sandte S die Erklärung an B zurück. Der BGH geht davon aus, dass darin noch keine Erteilung der Bürgschaftserklärung liegt (S. 1275f.). Dafür spricht, dass die Erklärung die Einflusssphäre der „Bürgin“ noch nicht verlassen hatte; gegenüber S hätte sie die Erklärung leicht zurückverlangen können. Gibt der spätere Bürge jedoch die Weiterleitung der Erklärung aus der Hand, weil er auf den Boten keinen Einfluss mehr nehmen kann, muss darin konsequenterweise eine Erteilung iSd. § 766 Satz 1 liegen.

Im vorliegenden Fall stellt sich allerdings die Frage, ob der Bürgin nicht die Berufung auf den Formmangel nach § 242 verwehrt ist. Denn der Gläubiger hatte zwischenzeitlich den Sohn wegen „Vorliegens“ der Bürgschaft beliefert. Grundsätzlich verfährt die Praxis mit dem Einwand unzulässiger Rechtsausübung bei der Berufung auf Formmängel sehr zurückhaltend.47 Dafür sprechen zwei Gründe:48 Zum Ersten dient die Einhaltung der Form gerade dem Schutz des Einzelnen vor einem übereilten Vertragsschluss; dazu gehört, dass dieser sich auch auf die Nichteinhaltung der Form berufen darf. Ferner wird die Anwendung der Formvorschriften in besonderer Weise vom Gebot der Rechtssicherheit bestimmt. Wegen des schweren Eingriffs in die Privatautonomie muss daher der Anwendungsbereich der Formvorschriften möglichst klar gefasst sein. 46 47 48

MünchKomm/Oechsler § 929 Rn. 3. Vgl. den Überblick bei Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 447ff. Grundlegend BGHZ 23, 249 = NJW 1957, 787f.

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Ausnahmen gegenüber Formgeboten auf der Grundlage des § 242 hat der BGH in den sog. Hoferbenfällen nur unter engen Voraussetzungen anerkannt, „weil anders das Rechtsempfinden vor allem in bäuerlichen Kreisen erheblich verletzt würde“49: Der jahrelang als vermeintlicher Hoferbe unentgeltlich tätige Abkömmling brauchte sich die Berufung auf die formal nicht wirksame Erbeinsetzung nicht entgegenhalten zu lassen, wenn bei ihm vom Hofeigentümer über Jahre hinweg andere Hoffnungen geweckt worden waren. Hier spielten die Existenzgefährdung des Abkömmlings und der schwere Treueverstoß des Vaters (Eigentümers, Erblassers) eine erhebliche Rolle.50 Aus ähnlichen Überlegungen heraus hat auch das RG eine Berufung auf § 242 bejaht, „wenn ein Lossagen vom Vertrage nach den gesamten Beziehungen der Parteien, insbes. nach dem bisherigen Verhalten des sich lossagenden Teils, mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist.“51

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In überzeugender Weise führt der BGH den § 242 vorliegend auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) zurück (S. 1276):52 Die Berufung auf den Formmangel sei einer Partei untersagt, wenn sie längere Zeit aus dem nichtigen Vertrag Vorteile gezogen habe, dann aber nachträglich den Vertrag nicht gegen sich gelten lassen wolle. Vorliegend aber sieht das Gericht es als maßgeblich an, dass ein Bürge von der Auszahlung des Darlehens selbst nicht profitiere. Nur dort, wo die Vorteile des Darlehens ausnahmsweise auch dem Bürgen selbst zugutekämen, sei ihm daher die Berufung auf den Formmangel versagt. Ausgehend von den dogmatischen Grundlagen des venire contra factum proprium erscheint dies nicht ganz zweifelsfrei. Das Verbot beruht nämlich auf dem Vertrauensschutz der Person, die sich auf das ursprüngliche Verhalten der anderen einrichtet und deshalb durch das nachfolgende, widersprüchliche Gebaren der Gegenseite enttäuscht wird.53 In seinen Voraussetzungen hängt dieser Schutz nicht von den Motiven des Handelnden (Selbstsüchtigkeit usw.) ab. Doch leuchtet im vorliegenden Zusammenhang ein, dass der Anwendungsbereich des § 242 in Bezug auf die Rechtsfolge des § 125 Satz 1 auf wenige krasse Ausnahmefälle beschränkt werden soll. Diese Grenze scheint hier noch nicht überschritten. Ein möglicher Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium kam auch in BGHZ 121, 224 = NJW 1993, 1126 (Rn. 1384) in Betracht, wo der Alleingesellschafter für seine GmbH bürgte und daher mindestens einen mittelbaren Vorteil aus deren Belieferung zog (S. 1128). Allerdings konnte sich die Gläubigerin in diesem Fall dadurch schützen, dass sie die Lieferung bis zur Vorlage einer formgültigen Bürgschaft aufschob. Dass sie dies nicht getan hat und damit ein Risiko eingegangen ist, kann nicht durch Berufung auf § 242 rückgängig gemacht werden (S. 1128). Für Überlegungen dieser Art spricht stets auch BGH NJW 1955, 1065, 1066. BGHZ 12, 286; Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 449. RGZ 169, 65, 73. Vgl. auch BGHZ 26, 142 = NJW 1958, 217. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, 1956, S. 28; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 270f., 287ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 79ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 212f. 49 50 51 52 53

II. Die Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Bürgen.

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das Interesse an einer Vermeidung eines Haftungsdurchgriffs entgegen dem Prinzip der beschränkten Haftung nach § 13 Abs. 2 GmbHG. Denn in aller Regel partizipieren die Gesellschafter ja mittelbar an den Erwerbsgeschäften der GmbH. Dies allein rechtfertigt ihre Sonderbehandlung im Rahmen des § 242 daher nicht. In einer späteren Entscheidung fordert der BGH folglich im Falle der Bürgschaft einer Minderheitsgesellschafterin, dass diese ein „zusätzliches Verhalten“ an den Tag legen müsse, „das den Gläubiger zu einem dem Bürgen wenigstens mittelbar günstigen Verhalten veranlaßt“.54 Man wird dabei vor allem auch an die Fälle der gezielten Täuschung über die eigenen Absichten hinsichtlich der Formwahrung und Ähnliches denken müssen. b) Blankettbürgschaft

Die Schriftform des § 766 Satz 1 setzt nach § 126 Abs. 1 zunächst nur voraus, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Dabei lässt die Rechtsprechung es jedoch zum Schutz des Bürgen nicht bewenden: (BGH 29.2.1996 – IX ZR 153/95 = BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467) Die G-Bank vereinbart mit der S-GmbH einen Kontokorrentkredit und besteht zu diesem Zweck auf einer Bürgschaft der drei Gesellschafter der S. Dazu zählt auch die nicht mehrheitlich beteiligte B, die zugleich als Geschäftsführerin für die S tätig ist. Da die Höhe des Kredits und der Zeitrahmen noch nicht feststehen, überlässt G der B ein Formular für eine Blankettbürgschaft. Dieses ist mit „Bürgschaft“ überschrieben. Die näheren Angaben zu den Personen der Beteiligten, der Laufzeit und vor allem der Höhe der Bürgschaft sind offen gelassen. B unterschreibt dieses Blankettformular und überlässt es der G. Diese setzt nach Insolvenz der S einen Betrag von umgerechnet 71.170 € in das Formular ein. Kann sie in dieser Höhe gegen B vorgehen? Dem Anspruch aus § 765 Abs. 1 kann vorliegend ein Verstoß gegen das Formerfordernis des § 766 Satz 1 entgegenstehen. Auf den Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH findet die Formerleichterung nach § 350 HGB keine Anwendung, da er kein Handelsgeschäft betreibt (Rn. 1384; ähnlich hier S. 1468).

Beim Blankett handelt es sich um eine vom Aussteller bewusst nicht vollständig ausgefüllte Urkunde, die regelmäßig mit einer Ermächtigung nach § 185 Abs. 1 verbunden ist, die unvollständigen Teile der Urkunde auszufüllen (S. 1468).55 Weder im Wortlaut des § 126 Abs. 1 noch dem des § 766 Satz 1 ist vorausgesetzt, dass die Erklärung detaillierte Angaben über Gegenstand und Umfang der Bürgenverpflichtung enthalten muss. Die Unterzeichnung einer mit „Bürgschaft“ überschriebenen Erklärung könnte daher der gesetzlich vorgeschriebenen Form genügen. Dafür spricht auch ein systematisches Argument aus § 182 Abs. 2: Nach dieser Norm bedarf die Zustimmung nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form. Der BGH aber lässt sich bei seiner Entscheidung allein vom Schutzzweck des § 766 Satz 1 leiten, den Bürgen zu größerer Vorsicht BGHZ 132, 119 = NJW 1996, 1467, 1469. RGZ 195, 183, 185; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 55f.; MünchKomm/Habersack § 766 Rn. 22; Staudinger/Horn § 766 Rn. 44.

54 55

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

anzuhalten und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen zu sichern. Deshalb sei die Schriftform nur gewahrt, wenn die Urkunde außer dem Willen, für eine fremde Schuld einzustehen, auch die Bezeichnung des Gläubigers, des Hauptschuldners und der verbürgten Forderung enthält (S. 1468). Begründet wird dies mit Blick auf die parallele Rechtsprechung im Bereich des § 311b Abs. 1 Satz 1,56 deren Anliegen sich bei der Bürgschaft noch drängender darstelle: Anders als beim Kaufvertrag über das Grundstück profitiere der Bürge nämlich aus der Bürgschaftsverpflichtung nicht selbst; gerade wegen des häufig bestehenden Interessengegensatzes zwischen Ermächtigtem und Bürgen müsse dem Bürgen daher der Umfang seiner Verbindlichkeit deutlich vor Augen geführt werden (S. 1468). Der BGH zieht Parallelen zur Vorläufernorm des § 492 Abs. 2 beim Verbraucherdarlehen, die eine Unterzeichnung eines Blanketts ebenfalls nicht zuließ (S. 1469). In anderem Zusammenhang begründet der BGH ferner die Nichtanwendung der Normen über das Verbraucherdarlehen (§§ 491ff.) gerade im Hinblick auf eine konsequent am Schutzzweck orientierte Anwendung des § 766 Satz 1 (vgl. auch Rn. 701).57 Aufgrund dieser Überlegungen kann eine Blankettbürgschaft nur wirksam begründet werden, wenn der Bürge eine eigene Ermächtigungsurkunde erteilt, die den Anforderungen des § 766 Satz 1 genügt, indem dort Höchstgrenzen und inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf die Ermächtigung vorgesehen sind.58 Ist danach die Form des § 766 Satz 1 nicht gewahrt und die Bürgschaft nichtig, stellt sich die Frage, ob der Scheinbürge nicht aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 (culpa in contrahendo) haftet. Die BGH bejaht in Fällen der vorliegenden Art eine Blanketthaftung aus dem Rechtsgedanken des § 172 Abs. 2 (S. 1469):59 Denn wer ein Blankett mit einer Unterschrift aus der Hand gibt, schafft einen Vertrauenstatbestand, an dem Dritte ihn festhalten können. Darin liegt kein Widerspruch zum Schutzzweck des § 766 Satz 1, weil die Blanketthaftung nur auf einen Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse) gerichtet ist: Der auf das Blankett vertrauende Dritte hat lediglich einen Anspruch, so gestellt zu werden, als sei ihm das Blankett nie vorgelegt worden; einen Anspruch auf Erfüllung der im Blankett versprochenen Leistung (= Bürgenhaftung) hat er nicht. Der Tatbestand der Blanketthaftung dürfte unter § 311 Abs. 2 Nr. 3 fallen. Allerdings entsteht das vorvertragliche Vertrauensverhältnis nicht gegenüber dem ersten Nehmer (Erwerber) der Blanketturkunde (Hauptschuldner oder Gläubiger), denn dieser weiß um den Blankettcharakter. Geschützt ist nur ein Zweitnehmer, dem die Urkunde in vollständiger Form präsentiert wird und der nicht erkennen kann, dass es sich ursprünglich um ein Blankett handelte, das von fremder Hand ausgefüllt wurde (S. 1469). Deshalb Vgl. zum Zeitpunkt der Entscheidung BGH NJW 1952, 1210, 1211. BGH NJW 1998, 1939, 1940f. MünchKomm/Habersack § 765 Rn. 22. Vgl. zuvor BGHZ 40, 65 = NJW 1963, 1971; BGHZ 113, 48, 53 = NJW 1991, 487; vgl. dazu etwa Oechsler AcP 208 (2008) 565, 581. 56 57 58 59

III. Die Leistungspflichten des Bürgen (Bürgschaft auf erstes Anfordern)

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kann die Gläubigerin selbst vorliegend keinen Anspruch aus culpa in contrahendo gegen den Scheinbürgen geltend machen. III. Die Leistungspflichten des Bürgen (Bürgschaft auf erstes Anfordern) Nach § 765 Abs. 1 muss der Bürge für die Verbindlichkeit des Hauptschuldners einstehen. Dies setzt allerdings voraus, dass ihm keine Einreden nach §§ 768ff. zustehen. Weil der Gläubiger im Wirtschaftsleben häufig auf eine sofortige Bürgenleistung angewiesen ist, können die Parteien eine Bürgschaft auf erstes Anfordern60 vereinbaren. Bei dieser werden die Inanspruchnahme des Bürgen und die Geltendmachung von Einwendungen durch diesen auf zwei Verfahrensschritte aufgespalten: Auf das Anfordern des Gläubigers hin stellt der Bürge sofort liquide Mittel unter Verzicht auf jede Aufrechnung zur Verfügung und behält sich die Geltendmachung von Einwendungen in einem davon unabhängigen Rückforderungsverfahren gegenüber dem Gläubiger auf der Grundlage der Leistungskondiktion vor. Aber auch bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern darf der Bürge nicht sofort und bedenkenlos an den Gläubiger zahlen, will er nicht seine Rückgriffsansprüche gegenüber dem Hauptschuldner aus §§ 675 Abs. 1, 670 riskieren. (BGH 8.7.2008 – XI ZR 230/07 = NJW-RR 2009, 378) B hatte eine selbstschuldnerische Bürgschaft auf erstes Anfordern zugunsten des Bauherrn G für den Fall übernommen, dass der Bauträger S das Bauwerk nicht fristgerecht erstellt. Am 10.4.1998 trat G vom Vertrag mit S wegen Fristüberschreitung zurück und hat gegen diesen auch ein rechtskräftiges Urteil auf Rückgewähr des Werklohns erstritten. Am 2.2.2006 macht G die Bürgschaft gegenüber B geltend. Dem Anspruch des G gegen B aus § 765 Abs. 1 könnte die Einrede der Verjährung nach § 214 entgegenstehen.

Auch bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern darf der Bürge nicht einfach auf eine verjährte Forderung zahlen. Denn die entsprechende Leistung kann nach § 214 Abs. 2 Satz 1 nicht mehr vom Gläubiger zurückverlangt werden. Auch steht dem Bürgen in einem solchen Fall kein Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem Hauptschuldner aus §§ 675 Abs. 1, 670 zu (dazu Rn. 1407), weil der Bürge die entsprechenden Aufwendungen gegenüber dem Gläubiger nicht für erforderlich halten durfte.61 So stellte sich vorliegend die Frage, wann die dreijährige Regelverjährung (§ 195) zu laufen beginnt. Nach § 199 Abs. 1 handelt es sich grundsätzlich um das Ende des Jahres, in dem der Anspruch entsteht und der Gläubiger von seinen Voraussetzungen Kenntnis erlangt bzw. sich diesbezüglich in grob fahrlässiger Unkenntnis befindet. In der Sache beginnt die Verjährung also regelmäßig am Ende des Jahres, in dem der Gläubiger den Anspruch geltend machen kann. Entsprechend stellt sich vorlie60 61

BGHZ 74, 244, 246 = NJW 1979, 1500, 1501. Dazu in einem Ausnahmefall mit anderem Ergebnis BGHZ 95, 388 = NJW 1986, 310, 313.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

gend die Frage, in welchem Zeitpunkt die Bürgschaft fällig wird (Tz. 17).62 Für die selbstschuldnerische Bürgschaft stellt der BGH auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptforderung ab.63 Auf die Inanspruchnahme des Bürgen durch den Gläubiger soll es hingegen nicht ankommen (Tz. 18). Dafür spreche neben dem gesetzgeberischen Willen64 der Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft und die Überlegung, dass der Gläubiger den Beginn der Verjährung nicht nach eigenem Ermessen hinausschieben dürfe (Tz. 18). Dieselben Maßstäbe sollen aber auch bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft auf erstes Anfordern gelten, weil diese sich von der gewöhnlichen selbstschuldnerischen Bürgschaft nur im Hinblick auf den Zeitpunkt unterscheide, in dem der Bürge seine Einwendungen geltend machen könne (Tz. 22). Das Anfordern sei auch hier keine Fälligkeitsvoraussetzung, weil dieses nicht die materielle Bürgenhaftung begründe, sondern nur die formellen Voraussetzungen (Tz. 22). Eine Besonderheit der Bürgschaft auf erstes Anfordern liegt in der Tat darin, dass der formelle Bürgschaftsfall (das Anfordern) und der materielle Bürgschaftsfall (das Bestehen eines Anspruchs aus § 765 Abs. 1, über dessen Voraussetzungen erst im Rückforderungsprozess gestritten werden kann) zeitlich auseinanderfallen können.65 Deshalb will eine im Schrifttum vertretene Auffassung die Regeln über die Verjährung verhaltener Ansprüche entsprechend anwenden.66 Als verhaltener Anspruch ist beispielsweise der Rückforderungsanspruch des Hinterlegers gemäß § 695 ausgestaltet, weil der Verwahrer die Sache nur herausgeben darf, wenn der Hinterleger dies fordert und nicht etwa gem. § 271 Abs. 2 bereits vor diesem Zeitpunkt. Nach § 695 Satz 2 beginnt die Verjährung des Herausgabeanspruchs des Hinterlegers gegen den Verwahrer daher mit der Rückforderung selbst. Beide Fälle sind jedoch nicht miteinander vergleichbar, da bei verhaltenen Ansprüchen der Eintritt der materiellen Anspruchsvoraussetzungen von einem Verhalten des Gläubigers abhängt (vgl. auch die Nacherfüllung Rn. 168). Bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern ist dies jedoch nicht der Fall: Durch das Anfordern löst der Gläubiger nur den formellen, nicht den materiellen Bürgschaftsfall aus.67 Hinzu träte ein Wertungswiderspruch: Strenge Voraussetzungen an das Anfordern dienen regelmäßig dem Bürgenschutz, bergen aber zugleich die Gefahr von Formfehlern auf der Gläubigerseite. Diese aber führten dann entgegen dem auf Bürgenschutz zielenden Zweck zu einem späteren Verjährungsbeginn.68 Die Kritik wendet hingegen ein, dass in beiden Fällen der selbstschuldnerischen Bürgschaft die Fälligkeit nicht bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptschuld eintrete, sondern Förster JZ 2009, 109, 110. Im Grundsatz ebenso BGH NJW 2013, 1803, Tz. 14; dazu Peters NJW 2013, 2942f.; vgl. auch BGH NJW 2016, 3158. 64 RegE BT-Drucks. 14/7052, S. 206. 65 Förster JZ 2009, 109, 112. 66 Schulze-Hagen BauR 2007, 170, 183. 67 Förster JZ 2009, 109, 110. 68 Förster JZ 2009, 109, 112. 62 63

III. Die Leistungspflichten des Bürgen (Bürgschaft auf erstes Anfordern)

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erst bei Nichterfüllung der Hauptschuld durch den Hauptschuldner.69 Erst diese begründe auch bei selbstschuldnerischer Haftung nach § 773 Abs. 1 Nr. 1 (dazu unten Rn. 1393) den materiellen Bürgschaftsfall. Auch dies überzeugt nicht. Gegenstand einer Vereinbarung nach § 773 Abs. 1 Nr. 1 ist es gerade, dass die Bürgenhaftung nicht subsidiär ausgestaltet ist. Deshalb kann der Gläubiger den Bürgen auch unmittelbar ohne vorherige Inanspruchnahme des Hauptschuldners heranziehen.70 Bedeutsam ist dies etwa in international gelagerten Fällen, wenn der Schuldner am ausländischen Wohn- oder Sitzort nur schwer, der Bürge in Deutschland aber leicht zu greifen ist. In diesen Fällen kann es auf eine Nichtleistung des Hauptschuldners oder dessen Leistungswilligkeit für die Bürgenhaftung nicht ankommen. Dem Wesen der Bürgschaft auf erstes Anfordern entspricht es gerade, dass der Bürge nach Anfordern an den Gläubiger zahlt. Andererseits kann er auf den Hauptschuldner nur dann nach §§ 675 Abs. 1, 670 zurückgreifen, wenn die Zahlung an den Gläubiger aus seiner Sicht eine erforderliche Aufwendung darstellt. Deshalb muss sich der Bürge vor der Auszahlung Klarheit über den Bestand und eine mögliche Verjährung der Forderung verschaffen (Rn. 1389; vgl. vor allem auch Rn. 1407) Auf der Grenze zwischen diesen beiden widerstreitenden Interessen liegt folgender Fall: (BGH 10.2.2011 – VII ZR 53/10 = NJW 2011, 2120) Bank B hat für den Bauträger S gegenüber dem Besteller G selbstschuldnerisch eine Gewährleistungsbürgschaft (Rn. 1398) übernommen. Als sich Mängel der Bauarbeiten herausstellen, tritt G vom Vertrag mit S wirksam zurück und fordert die B durch anwaltliches Schreiben vom 7.7.2008 zur Zahlung auf. In einem Standardschreiben verlangt B darauf von G die Vorlage von neun Dokumenten, darunter einem Teilschlussrechnungsblatt, das vorliegend aus Sicht des G mangels Teilschlusses von vornherein nicht in Betracht kam, und einer Originalvollmacht des anwaltlichen Vertreters des G. In einem weiteren Schreiben vom 14.7.2008 mahnt G Zahlung von B an; dem Schreiben ist eine Kopie der dem anwaltlichen Vertreter der G erteilten Vollmachtsurkunde beigefügt. In einem später geführten Rechtsstreit hat B die Forderung der G anerkannt. Die Parteien streiten nun nur noch darüber, ob B ab dem 15.7.2008 Verzugszinsen schuldet. Ein Anspruch des G gegen B aus §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1 setzt Fälligkeit voraus; diese liegt im Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptschuld vor (str.; dazu Rn. 1389f.). Fraglich ist allerdings, ob G vorliegend die B durch das anwaltliche Schreiben vom 7.7.2008 nach § 286 Abs. 1 Satz 1 wirksam gemahnt hatte. Dem könnte § 174 entgegenstehen. Nach dieser Norm ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Vertreter vornimmt, unwirksam, wenn der Vertreter keine Vollmachtsurkunde vorlegt und die andere Seite das Geschäft unverzüglich zurückweist. Die Norm ist ihrem Zweck nach auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen wie die Mahnung entsprechend anzuwenden (Tz. 13). Fraglich ist nur, ob B vorliegend die Mahnung iSd. § 174 zurückgewiesen hatte. Bei der Auslegung des Verhaltens der B nach §§ 133, 157 analog fällt ins Gewicht, dass B nur ein Standardschreiben an G sandte und dort die Originalurkunde neben vielen anderen Unterlagen einforderte. Dies reicht für eine Zurückweisung nach § 174 nicht aus. 69 70

Förster JZ 2009, 109, 110. MünchKomm/Habersack § 773 Rn. 5.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

Infolge der Mahnung kam die Bürgin aber nur in Verzug, wenn ihr ein Vertretenmüssen nach § 286 Abs. 4 zur Last fällt. Verzögert ein Bürge die Zahlung, verletzt er die im Verkehr gebotene Sorgfalt (§ 276 Abs. 2) nicht, wenn er aus nicht zu vertretenden Umständen heraus nicht erkennen kann, ob seine eigene Leistungspflicht besteht bzw. welchen Umfang sie hat. Zwar muss der Bürge die ihm zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung unternehmen; dabei ist jedoch zu bedenken, dass eine zentrale Anspruchsvoraussetzung – das Bestehen der Hauptverbindlichkeit – auf einer Vereinbarung beruht, an der er selbst nicht beteiligt ist (Tz. 16f.). Im vorliegenden Fall ergab sich die Verzögerung jedoch nicht aufgrund eines konkreten Aufklärungsinteresses, sondern weil die Bürgin eine auf den Fall nicht passende Standardprozedur zu Lasten des Bürgen durchgeführt hat. Darin liegt ein Vertretenmüssen (Tz. 17). Die Verzugshaftung wurde daher am 7.7.2008 begründet.

IV. Die Einreden des Bürgen 1. Eigene Einreden des Bürgen, insbesondere die Einrede der Vorausklage nach § 771 1392

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Der Bürge kann sich zunächst gegenüber dem Gläubiger darauf berufen, dass der Bürgschaftsvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist. Außerhalb der Fälle der Formnichtigkeit nach §§ 766 Satz 1, 125 Satz 1 (Rn. 1384ff.) und der Sittenwidrigkeit wegen krasser finanzieller Überforderung (Rn. 1374ff.) kann hier die arglistige Täuschung des Hauptschuldners über die eigene Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen. Diese Täuschung kann dem Gläubiger allerdings regelmäßig nur unter den Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 zugerechnet werden. Ist dies der Fall, darf der Bürge den Bürgschaftsvertrag anfechten.71 Nach § 771 Satz 1 kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat (Einrede der Vorausklage). Die Norm gestaltet die Bürgenhaftung gegenüber der Verantwortlichkeit des Hauptschuldners als subsidiär aus. Die Subsidiarität der Bürgenhaftung wiederum beruht auf einem allgemeinen Rechtsgedanken der §§ 765ff., der auch in § 770 Abs. 2 (Rn. 1402) und § 776 (Rn. 1406) zum Ausdruck kommt. Allerdings räumt das Gesetz den Parteien dabei Gestaltungsfreiheit ein. Denn auf die Einrede aus § 771 Satz 1 kann der Bürge durch Vereinbarung mit dem Gläubiger nach § 773 Abs. 1 Nr. 1 verzichten. In diesem Fall wird eine selbstschuldnerische Bürgschaft begründet. Die Bürgschaft eines Kaufmannes für sein Handelsgeschäft ist nach § 349 HGB stets eine selbstschuldnerische Bürgschaft: Banken bürgen daher regelmäßig selbstschuldnerisch!

71

BGH NJW-RR 1992, 1005, 1006.

IV. Die Einreden des Bürgen

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2. Einreden gegen den Bestand der Hauptschuld (§ 767 Abs. 1 Satz 1)

Nach § 767 Abs. 1 Satz 1 ist für die Verpflichtung des Bürgen der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend. Nach Satz 2 gilt dies auch, wenn die Hauptverbindlichkeit durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners geändert wird. Über einen bemerkenswerten Sonderfall hatte der BGH im folgenden Fall zu entscheiden:

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(BGH 25.11.1981 – VIII ZR 299/80 = BGHZ 82, 323 = NJW 1982, 875) G hatte der SGmbH & Co. KG Geschäftsräume vermietet. Im Hinblick auf die Miete hat sich B gegenüber G verbürgt. Später gerät S in Vermögensverfall und erlischt als Gesellschaft nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 HGB. Daher geht G wegen der Mietrückstände gegenüber B vor. Dem Anspruch aus § 765 Abs. 1 könnte B hier eine Einrede nach § 767 Abs. 1 Satz 1 entgegensetzen, weil die Hauptschuldnerin S gar nicht mehr existiert und damit die Hauptverbindlichkeit hinfällig ist.

Der BGH sieht den Bürgen jedoch auch in diesem Fall als verpflichtet an. Zwar komme es zu einer Kollision zwischen dem in § 767 Abs. 1 Satz 1 geregelten Prinzip der Akzessorietät und dem Sicherungszweck der Bürgschaft, den Gläubiger vor einem Vermögensverfall zu schützen (S. 876). Dieser Konflikt müsse aber zugunsten der Sicherungsfunktion der Bürgschaft entschieden werden. Maßgeblich ist dafür ein systematisches Argument aus § 768 Abs. 1 Satz 2 (S. 876). Denn stirbt der Hauptschuldner, kann sich der Bürge nicht darauf berufen, dass seine Erben gegenüber dem Gläubiger nur beschränkt haften. Aus dieser Norm aber gehe hervor, dass der Bürge sich auf den Wegfall des Hauptschuldners nicht berufen könne, wenn damit gerade die Absicherung des Gläubigers gefährdet werde. Allerdings besteht vorliegend und anders als im Fall des § 768 Satz 1 überhaupt keine Hauptverbindlichkeit mehr: Nach Auffassung des BGH verwandelt sich daher der Anspruch gegen den Bürgen aus § 765 Abs. 1 „von einem abhängigen Nebenrecht in einen selbständigen Anspruch“ (S. 876). 3. Einreden nach § 768 Abs. 1 Satz 1 (Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft)

Nach § 768 Abs. 1 Satz 1 kann der Bürge die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Diese Norm kann in allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bestellers mit Blick auf § 307 Abs. 2 Nr. 1 nicht ausgeschlossen werden. Denn sie ist zentraler Ausdruck der akzessorischen Rechtsnatur der Bürgenhaftung (Inhaltsakzessorietät), so dass ihr Ausschluss die Rechtsnatur der Haftung fundamental verändern würde.72 Allerdings können Gläubiger und Bürge im Wege einer Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinbaren, dass der Bürge die Geltendmachung von Einreden iSd. § 768 Abs. 1 Satz 1 auf einen späteren Zeitpunkt zurückstellen muss (Rn. 1389f.). Ziel dieser Vereinbarung ist 72

BGHZ 147, 99 = NJW 2001, 1857, 1858; BeckOGK/Madaus § 768 Rn. 2.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

es, dem Gläubiger rasch Liquidität zu verschaffen und die Auseinandersetzung über die Voraussetzungen des materiellen Bürgschaftsfalls auf einen späteren Rückforderungsprozess zu verschieben. In diesem Fall muss der Bürge bereits auf das Anfordern des Gläubigers hin zahlen und kann sich gegenüber dem Gläubiger nicht auf Einreden iSd. § 768 Abs. 1 Satz 1 berufen. Im Einzelfall kann der Bürge jedoch auch bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern die Einrede des Rechtsmissbrauchs aus § 242 gegen den Gläubiger erheben, wenn dieser seine formale Rechtsstellung offensichtlich ausnutzt, um sich auf Kosten des Bürgen oder des Hauptschuldners einen ihm nicht zustehenden Vorteil zu verschaffen. Die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen des Missbrauchs müssen dabei allerdings rechtlich offensichtlich und liquide beweisbar sein.73 Denn andernfalls würde die Bürgschaft auf erstes Anfordern ihren wirtschaftlichen Sinn verlieren, weil der Bürge in jedem Einzelfall vor der Auszahlung doch in eine vertiefte Prüfung der Rechtslage eintreten könnte. Ferner würde der Bürge auch regelmäßig in einen Streit zwischen Gläubiger und Hauptschuldner hineingezogen: Denn ihm droht bei Nichtzahlung die Verzugshaftung gegenüber dem Gläubiger, bei Zahlung jedoch der Ausfall mit dem Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 675 Abs. 1, 670 gegenüber dem Hauptschuldner. Deshalb beschränkt sich die Einrede des Bürgen auch zu seinem eigenen Schutz auf evidentermaßen vorliegende Gegenrechte und Einwände. Dies ist bspw. der Fall, wenn der Gläubiger dem Bürgen keine prüfbare Rechnung vorlegen kann oder wenn die gesicherte Forderung im Zeitpunkt der Anforderung nicht fällig ist.74 Dann steht dem Bürgen die Dolo-agit-Einrede aus § 242 zu:75 Denn der Gläubiger fordert vom Bürgen etwas auf der Grundlage von § 765 Abs. 1, was er sofort wieder im Wege der Leistungskondiktion herausgeben müsste. Der vorgestellte rechtliche Zusammenhang erfährt insoweit eine praktisch bedeutsame Weiterung, als der Bürge sich gegenüber dem Gläubiger auch darauf berufen kann, dass der Gläubiger gegenüber dem Hauptschuldner keinen Anspruch auf das Stellen der Bürgschaft (auf erstes Anfordern) hat. (BGH 8.3.2001 – IX ZR 236/00 = BGHZ 147, 99 = NJW 2001, 1857) G beauftragte S mit der Herstellung eines Stahlbetonbodens gegen eine Vergütung iHv. 190.000 €. In dem Vertrag war ein Einbehalt von 5% dieser Summe zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist vorgesehen (vgl. Rn. 1120). S konnte diesen Einbehalt durch Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösen. Deshalb erteilte S der B-Bank einen Auftrag zur Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft gegenüber G. Darauf vereinbarten G und B eine Bürgschaft auf erstes Anfordern. Als es zwischen den Parteien zum Streit über Gewährleistungsansprüche des G kommt, fordert G die B zur Zahlung von rund 96.000 € auf. B verweigert die Zahlung, weil G ursprünglich gegenüber S keinen Anspruch auf Stellung dieser Bürgschaft gehabt habe. G ist 73 BGHZ 147, 99 = NJW 2001, 1857; vgl. etwa noch BGHZ 181, 278 = NJW 2009, 3422, Tz. 13. 74 BGH NJW-RR 2007, 1392, 1393. 75 BGHZ 147, 99 = NJW 2001, 1857 gegen Ende; BGH NJW-RR 2007, 1392, 1393.

IV. Die Einreden des Bürgen

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anderer Ansicht und verteidigt sich hilfsweise mit einem Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1: Ihm stehe gegenüber S ein Anspruch auf Vorschuss für die Mängelbeseitigung nach § 637 Abs. 3 zu. Diesen sichere die Bürgschaft in jedem Fall ab. Der Anspruch des G gegen B nach § 765 Abs. 1 beruht auf einem wirksam geschlossenen Bürgschaftsvertrag. B kann sich dabei nicht auf die Einrede der Vorausklage nach § 771 Satz 1 berufen, da sie als Kauffrau nach § 349 HGB selbstschuldnerisch haftet. Ihr steht jedoch uU. eine Einrede aus § 242 zu, wenn G sein Recht aus der Bürgschaft offensichtlich missbraucht. Dies ist der Fall, wenn G gegenüber S kein Anspruch auf das Stellen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern zustand. Diesen Einwand kann B selbst gegenüber G nach § 768 Abs. 1 Satz 1 geltend machen.

Der BGH bejaht vorliegend einen Missbrauch aufgrund von zwei Überlegungen: Erstens verstößt die zwischen Gläubiger und Hauptschuldner getroffene Sicherungsabrede, nach der eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen ist, gegen § 307 Abs. 1 Satz 1. Zweitens kann die Bürgin diesen Umstand gegenüber dem Gläubiger unmittelbar nach § 768 Abs. 1 geltend machen. Den Verstoß der Sicherungsabrede gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 begründet der BGH dabei so (S. 1858): Grundsätzlich hat der Besteller bei einem Werkvertrag ein Interesse an einem Sicherungseinbehalt, weil andernfalls mögliche Gewährleistungsansprüche in einer Insolvenz des Werkunternehmers praktisch nicht mehr durchsetzbar sind (vgl. § 650m Abs. 2, Rn. 1120). Für den Werkunternehmer erscheint wiederum die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft, die einen solchen Sicherheitseinbehalt abwendet, vorteilhaft, weil sie ihm Liquidität verschafft: Der Besteller muss ja trotz des Gewährleistungsrisikos die volle Vergütung zahlen. Dieser Vorteil geht dem Werkunternehmer aber wiederum verloren, wenn der Besteller auf einer Bürgschaft auf erstes Anfordern besteht. Denn diese gewährt dem Besteller Vorteile, die über sein im Werkvertrag bestehendes Sicherungsinteresse deutlich hinausgehen. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern soll dem Gläubiger nämlich rasch Liquidität verschaffen. Dem Besteller kann es im Hinblick auf sein Sicherungsinteresse aber redlicherweise nicht darum gehen, sondern allein um eine Absicherung im Hinblick auf seine Gewährleistungsansprüche (S. 1857). Insbesondere, weil die Bürgin bzw. der Werkunternehmer bei der Durchsetzung ihrer Rückgewähransprüche das Insolvenzrisiko des Bestellers tragen müssen, verwirklicht eine Bürgschaft auf erstes Anfordern die Rechte des Bestellers zu einseitig auf Kosten der Rechte des Werkunternehmers (S. 1857f.). Der Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 führt dazu, dass die Sicherungsabrede im Werkvertrag vollständig unwirksam ist. Anders als in den Fällen der Anlassrechtsprechung (Rn. 1365) verneint der BGH eine Teilbarkeit der Sicherungsvereinbarung in einen unwirksamen und einen aufrechtzuerhaltenden Teil, weil beide eine untrennbare Einheit bilden würden (S. 1858). Deshalb steht dem Werkunternehmer ein Anspruch gegen den Besteller aus § 812 Abs. 1 Satz 1 (Leistungskondiktion) auf Herausgabe der Bürgschaft zu. Der Anspruch des Werkunternehmers gegen den Besteller auf Herausgabe der Bürgschaft aus Leistungskondiktion begründet – dies führt das Gericht nicht näher aus – die Einrede nach § 821 analog: Da der Besteller um die Bürg-

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

schaft ungerechtfertigt bereichert ist, kann der Werkunternehmer dem Besteller deren Durchsetzung verweigern. Dieselbe Befugnis steht auch der Bürgin selbst nach § 768 Abs. 1 Satz 1 zu, weil sie die Einreden des Hauptschuldners (Werkunternehmer) gegen die zu sichernde Forderung als eigene Einreden geltend machen kann (S. 1858). Dagegen kann der Gläubiger (Besteller) auch kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 geltend machen, weil ihm ein Anspruch auf Vorschuss aus § 637 Abs. 3 zusteht (S. 1859). Kann die Bürgin nämlich die Bürgschaft herausverlangen, darf der Gläubiger sie nicht wegen anderer Sicherungsinteressen zurückbehalten. Andernfalls könnte er die zu sichernde Forderung entgegen dem Willen der Parteien des Bürgschaftsvertrags auswechseln (dazu Rn. 1368f.). Diese Befugnis vermittelt § 273 Abs. 1 dem Gläubiger indes nicht. Im Bereich der Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft entfaltet die Entscheidung große Bedeutung. Beide Arten der Bürgschaft haben einen direkten Bezug zu Bauverträgen iSd. §§ 631ff. und unterscheiden sich im Hinblick auf das Sicherungsinteresse: Durch die Vertragserfüllungsbürgschaft soll der Besteller als Gläubiger davor geschützt werden, dass die Werkleistung insgesamt nicht oder nicht rechtzeitig erbracht wird.76 Diese Art der Bürgschaft ist häufig in den Nachunternehmerverträgen (Subunternehmerverträgen) eines Werkunternehmers vorgesehen. Mit der Gewährleistungsbürgschaft sichert sich der Besteller der Bauleistung gegen die Gefahr ab, dass nachträglich ein Mangel erkennbar wird, die Gewährleistungsansprüche aber wegen Insolvenz des Werkunternehmers praktisch leerlaufen.77 Der unterschiedliche Gegenstand beider Bürgschaften lässt sich auch so zusammenfassen: Die Vertragserfüllungsbürgschaft sichert die Ansprüche des Bestellers bis zur Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1, die Gewährleistungsbürgschaft die Ansprüche ab dem Zeitpunkt der Abnahme.78 Beinhaltet die Ausgestaltung der Bürgschaft in den AGB des Bestellers eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1, kann sich der Bürge auf die daraus resultierende Unwirksamkeit der Sicherungsabrede gegenüber dem Gläubiger berufen. (BGH 9.12.2010 – VII ZR 7/10 = NJW 2011, 2125)79 G hat als Bestellerin im Rahmen eines Bauvertrages dem Werkunternehmer S AGB gestellt. Dort ist in einer Klausel vorgesehen, dass S eine Vertragserfüllungsbürgschaft iHv. 10% für den Fall einer Bauverzögerung oder des Fälligwerdens einer Vertragsstrafe stellen muss. G hat sich in einer anderen Klausel zusätzlich das Recht eines Selbsteinbehalts iH. weiterer 10% wegen möglicher Bauverzögerung ausbedungen. S beauftragt daraufhin B mit dem Abschluss eines einschlägigen Bürgschaftsvertrags zugunsten der G. Dieser wird geschlossen. Später kündigt G den Vertrag mit S wegen einer von diesem zu vertretenden Bauverzögerung und geht nun wegen ihrer Ansprüche aus der Bürgschaft gegen B vor.

76 77 78 79

Beispiel BGHZ 179, 374 = NJW 2009, 1664. Beispiel BGHZ 181, 278 = NJW 2009, 3422. OLG Stuttgart WM 2011, 27 = ZGS 2010, 563. Ähnlich jetzt BGH NJW 2016, 2802.

IV. Die Einreden des Bürgen

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Dem Anspruch der G aus § 765 Abs. 1 kann B eine Einrede nach § 768 Abs. 1 Satz 1 entgegensetzen, wenn die von G und S getroffene Sicherungsabrede über die Stellung der Bürgschaft nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksam ist.

In Betracht kommt die Unwirksamkeit beider Klauseln nach § 307 Abs. 1 Satz 1. Eine Besonderheit des Falles besteht darin, dass eine unangemessene Benachteiligung erst durch das Zusammenwirken zweier AGB-Klauseln entsteht, die beide für sich genommen unbedenklich sind – nämlich des Sicherungseinbehalts iHv. 10% und der Sicherungsvereinbarung über das Stellen einer Vertragserfüllungsbürgschaft iHv. 10% (Tz. 16). Erst in der Kombination ihrer Rechtsfolgen überschreiten beide das Sicherungsbedürfnis des Bestellers vor einer vorzeitigen Insolvenz des Unternehmers, das der BGH auf ca. 10% der geschuldeten Vergütung taxiert (Tz. 19). Handelt es sich beim Besteller um einen Verbraucher, dürfte das Volumen entsprechend § 650m Abs. 2 Satz 1 regelmäßig bei nur 5% liegen.80 In jedem Fall drohen dem Werkunternehmer vorliegend einerseits ein Entzug von Liquidität in Höhe dieses Volumens, andererseits auch finanzielle Lasten wegen der in dieser Höhe zu stellenden Bürgschaft (Tz. 23f.). Daraus zieht der BGH den Schluss, dass gerade die Sicherungsvereinbarung über die Stellung der Bürgschaft unwirksam sei (Tz. 20). Zwingend erscheint dies zunächst nicht, da ja auch der Sicherheitseinbehalt aus denselben Gründen unwirksam sein könnte bzw. beide Klauseln gleichermaßen. Für den vorliegenden Fall führt die Auffassung des BGH jedenfalls dazu, dass B dem G eine Einrede nach §§ 768 Abs. 1 Satz 1, 821 entgegenhalten kann, weil G gegenüber S keinen Anspruch auf Stellung der Bürgschaft hat. Der Anspruch aus § 765 Abs. 1 ist daher nicht begründet.

Der Fall berührt indes einen wichtigen Aspekt des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion (Rn. 951ff.). Denn zwischen den Senaten des BGH ist es umstritten bzw. zumindest unklar, welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 zeitigt, wenn die Übersicherung des Verwenders auf einem Zusammenspiel mehrerer unterschiedlicher Klauseln in den AGB des Bestellers beruht. Im Jahre 2009 hatten sowohl der VII. Senat81 als auch der XI. Senat82 des BGH über die Wirksamkeit von Sicherungsvereinbarungen zu entscheiden, in denen dem Hauptschuldner einerseits auferlegt war, eine selbstschuldnerische Bürgschaft zu stellen, andererseits aber gefordert war, dass der Bürge auf die Einrede aus § 768 Abs. 1 ganz (XI. Senat) bzw. teilweise (VII. Senat) verzichten müsse. Der VII. Senat ließ die Frage der Wirksamkeit des teilweisen Verzichts auf die Einrede aus § 768 Abs. 1 offen, da auch bei einer Unwirksamkeit dieser Abrede nach § 307 Abs. 1 Satz 1 die Sicherungsvereinbarung in80 Jetzt für die Gewährleistungsbürgschaft zugunsten einer Unternehmerin BGH NJW 2014, 3642, Tz. 23ff.: 7% der Auftragssumme ist danach zu hoch; dazu Nossek NJW 2015, 1985; allgemeiner Rodemann ZfIR 2011, 287, 288. 81 BGHZ 179, 374 = NJW 2009, 1664. 82 BGHZ 181, 278 = NJW 2009, 3422.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

soweit erhalten bleibe, als der Hauptschuldner zur Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft verpflichtet sei (VII. Senat, Tz. 14). Ausschlaggebend war für den VII. Senat die Teilbarkeit der Sicherungsvereinbarung. Diese setze voraus, dass die Regelungen sprachlich und gedanklich getrennt werden und mit eigenem Sinn aufrechterhalten werden könnten (VII. Senat, Tz. 15). Diese Voraussetzungen wurden bejaht, weil beide Regelungen in unterschiedlichen Schriftstücken vereinbart waren (VII. Senat, Tz. 17). Der XI. Senat des BGH hat indes wohl überzeugender im Hinblick auf eine Gewährleistungsbürgschaft entschieden, dass die Sicherungsvereinbarung in einem solchen Fall insgesamt unwirksam sein müsse, da sämtliche Teile der Sicherungsvereinbarung, auch wenn sie in verschiedenen Schriftstücken niedergelegt seien, eine konzeptionelle Einheit bildeten (XI. Senat, Tz. 30ff., 36). Den Unterschied zum Urteil des VII. Senats begründet er damit, dass dieser über eine Vertragserfüllungsbürgschaft entschieden habe, der XI. Senat selbst jedoch über eine Gewährleistungsbürgschaft (XI. Senat, Tz. 36). Es liegt auf der Hand, dass darin nur eine Äußerlichkeit, kaum aber der entscheidende Sachunterschied liegt (vgl. bereits Rn. 952f.). Bereits zuvor war im Schrifttum auf die Gefahren einer geltungserhaltenden Reduktion bei teilweisem Aufrechterhalten der Sicherungsvereinbarung aufmerksam gemacht worden:83 Wenn der Gläubiger bei der Gestaltung der vorformulierten Sicherungsvereinbarung sicher sein kann, dass ihm der Hauptschuldner am Ende mindestens eine selbstschuldnerische Bürgschaft stellen muss, hat er nichts zu verlieren, wenn er – äußerlich getrennt in einem eigenen Schriftstück – weitere vorformulierte Sicherungsbedingungen aufnimmt, die vom Bürgen möglicherweise mangels Rechtskenntnis oder aus Not im Ernstfall nicht angegriffen werden. Wie bereits an anderer Stelle bemerkt (Rn. 952f. und Rn. 1365), kann die Teilbarkeit einer AGB-Klausel daher nicht von äußeren Umständen wie der sprachlichen Gestaltung abhängen, weil sonst der Verwender die Rechtsfolge des § 307 Abs. 1 Satz 1 leicht durch rein äußerliche Strukturierung seiner AGB umgehen könnte. Die Aufrechterhaltung eines Klauselteils kommt folglich nur dort in Betracht, wo mit der teilweisen Aufrechterhaltung kein Anreiz für den Verwender verbunden ist, auch künftig durch Aufnahme unwirksamer Klauselteile eine unangemessene Benachteiligung der Gegenseite (§ 307 Abs. 1 Satz 1) zu riskieren. Ein solcher Anreiz besteht aber vorliegend; denn bleibt dem Besteller in jedem Fall die selbstschuldnerische Bürgschaft erhalten, kann er es risikolos versuchen, sonstige mit § 307 Abs. 1 Satz 1 nicht vereinbare Sicherungsbedingungen zusätzlich faktisch durchzusetzen. Deshalb verneint der XI. Senat auch die Möglichkeit der Aufrechterhaltung einer Verpflichtung zur Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft durch ergänzende Vertragsauslegung (XI. Senat, Tz. 37f.). Denn dadurch würde das Verbot geltungserhaltender Reduktion nur auf andere Weise außer Kraft gesetzt. In einer neueren Entscheidung zur Gewährleistungsbürg-

83

Vgl. nur Hildebrandt BauR 2007, 203, 210ff.

IV. Die Einreden des Bürgen

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schaft84 folgt dem nun auch der VII. Senat ohne ausdrückliche Distanzierung von der vorangegangenen Rechtsprechung. 4. Die Bedeutung des Einredeverzichts nach § 768 Abs. 2

Nach § 768 Abs. 2 verliert der Bürge eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet. (BGH 14.7.2009 – XI ZR 18/08 = BGHZ 182, 76 = NJW-RR 2010, 975) Bürge B ist gegenüber Gläubiger G eine Gewährleistungsbürgschaft (Rn. 1398) für die Werkleistungen des S eingegangen. Als G sich an B wegen eines von S nicht erfüllten Vorschussanspruchs aus § 637 Abs. 3 wendet, beruft sich B auf die mittlerweile eingetretene Verjährung. G wendet hingegen ein, mit S Verhandlungen über seine Gewährleistungsansprüche geführt zu haben. Dadurch sei die Verjährung gehemmt worden, so dass sich B noch nicht auf diese berufen könne. Gegenüber dem Anspruch des G aus § 765 Abs. 1 kann B möglicherweise die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 erheben. Der Anspruch aus § 765 Abs. 1 unterliegt der Regelverjährung nach §§ 195, 199. Fraglich ist nur, ob die Verhandlungen zwischen G und S eine Hemmung nach § 203 Satz 1 bewirkt haben, die auch gegenüber B gilt. Dagegen könnte ein Rechtsgedanke aus § 768 Abs. 2 sprechen.

Nach § 203 Satz 1 ist die Verjährung so lange gehemmt, wie zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch schweben. Die Hemmung endet, wenn eine Seite die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (§ 203 Satz 1 zweiter Halbsatz). Problematisch ist, ob die Verhandlungen des Hauptschuldners mit dem Gläubiger einem Einredeverzicht nach § 768 Abs. 2 gleichstehen. Der BGH verneint dies; eine analoge Anwendung der Norm hält er nur für möglich, wenn der Hauptschuldner ohne Mitwirkung des Bürgen eine neue Verjährungsfrist vereinbart oder auf diesem Weg die bestehende Verjährung verlängert (Tz. 22):85 Begründet wird dies mit der Überlegung, dass Verhandlungen iSd. § 203 Satz 1 keine Verfügung über die Einrede beinhalteten. Auch widerspreche die analoge Anwendung des § 768 Abs. 2 dem Zweck des § 203 Satz 1, weil die Norm gerade verhindern wolle, dass die Verhandlungen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner unter dem Druck der Verjährung erfolgen sollen. Dies gelte auch für den Druck, den eine mögliche Verjährung der Bürgschaft für den Gläubiger erzeuge (Tz. 22). Dies überzeugt, weil § 203 Satz 1 eine gütliche Einigung der Parteien fördern und dadurch einen Rechtsstreit vermeiden will. Dann muss der Gläubiger mit dem Hauptschuldner auch ohne Furcht um seinen Anspruch aus § 765 Abs. 1 verhandeln dürfen.

84 BGH NJW-RR 2011, 1526, Tz. 14 und 20; vgl. zu dem hier geschilderten Zusammenhang Pützenbacher LMK 2011, 323488. 85 Vgl. auch BGH WM 2007, 2230, Tz. 18.

1400

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

5. Einreden nach § 770 Abs. 1 und 2 1401

1402

Nach § 770 Abs. 1 kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange dem Hauptschuldner das Recht zusteht, das seiner Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten. Die Norm trägt dem Schutz des akzessorisch haftenden Bürgen Rechnung und findet übrigens in der akzessorischen Gesellschafterhaftung nach § 129 Abs. 2 HGB eine Parallele. Der Bürge selbst kann eine Anfechtung nach §§ 119, 123 nicht erklären und kann sich folglich nicht unmittelbar auf die Rechtsfolge des § 142 Abs. 1 (iVm. § 768 Abs. 1 Satz 1) berufen. Er braucht allerdings nicht an den Gläubiger zu leisten, solange offen ist, ob die Hauptforderung überhaupt bestehen bleibt. Denn der Gläubiger müsste den geleisteten Betrag im Falle der Anfechtung sofort wieder an den Bürgen zurückgewähren. Dem könnte der Bürge auch aus allgemeinen Überlegungen heraus die Dolo-agit-Einrede aus § 242 entgegenhalten: Der Gläubiger hat nämlich keinen Anspruch auf die Leistung nach § 765 Abs. 1, wenn er diese uU. sofort wieder an den Bürgen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) zurückgewähren muss. Es ist umstritten, ob § 770 Abs. 1 abdingbar ist oder zum Kern der akzessorischen Haftung zählt und damit der Natur des Bürgschaftsvertrages iSd. § 307 Abs. 2 Nr. 2 entspricht.86 Letzteres dürfte der Fall sein (vgl. nämlich Rn. 1410). Die Norm wird schließlich analog auf andere Gestaltungsrechte wie die Verbraucherwiderrufsrechte oder Rücktrittsrechte angewendet.87 Der Bürge darf die Befriedigung der Forderung nach § 770 Abs. 2 auch verweigern, wenn sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann. Bemerkenswert an dieser Norm erscheint zunächst, dass aus Sicht des Gläubigers die Hauptforderung bereits fällig sein muss. Dies ist wegen § 271 Abs. 2 üblicherweise nicht Voraussetzung der Aufrechenbarkeit nach § 387: Hier genügt ansonsten die bloße Erfüllbarkeit der Hauptforderung iSd. § 271 Abs. 2; nur die Gegenforderung muss fällig sein. § 770 Abs. 2 vermeidet durch Abweichung von dieser Regel, dass dem Gläubiger durch Vorverlegung der Leistungszeit ein Vermögensopfer zugunsten des Bürgen abverlangt wird. Zu den klassischen Fragestellungen des Bürgschaftsrechts – sämtliche Argumente gelten bereits seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts als ausgetauscht88 – zählt schließlich der Schutz des Bürgen bei Bestehen einer Aufrechnungslage zwischen Gläubiger und Hauptschuldner, in der zu Lasten des Gläubigers ein Aufrechnungsverbot besteht.

86 Für eine Abdingbarkeit BGHZ 95, 350 = NJW 1986, 43; anders jedoch für den Ausschluss der Aufrechenbarkeit BGHZ 153, 293 = NJW 2003, 1521; vgl. auch BGH NJW 2012, 1946, Tz. 17 für einen Ausschluss aller Einreden des Bürgen; für die Abdingbarkeit des § 770 in AGB: Staudinger/Horn § 770 Rn. 17; differenzierend MünchKomm/Habersack § 770 Rn. 3. 87 Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 652; Larenz/Canaris II/2 § 60 III 1 a; MünchKomm/Habersack § 770 Rn. 6; Staudinger/Horn § 770 Rn. 20ff. 88 Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 650.

IV. Die Einreden des Bürgen

1065

Beispiel B hat sich selbstschuldnerisch für eine Darlehensforderung der Bank G gegenüber S iHv. 250.000 € verbürgt, die zwecks Finanzierung des Erwerbs einer „Schrottimmobilie“ durch S begründet wurde. G haftet dem S wegen dieses Vorgangs aus § 826 sowie aus vorsätzlich begangener culpa in contrahendo in gleicher Höhe auf Schadensersatz, weil sie institutionell mit dem Veräußerer der Immobilie zusammengearbeitet und dieser den S arglistig betrogen hat (dazu Rn. 680f.). S hat die Aufrechnung jedoch noch nicht erklärt. Gegenüber dem Anspruch der G aus § 765 Abs. 1 kann B sich nicht unmittelbar nach § 770 Abs. 2 verteidigen. Denn die Norm setzt voraus, dass der Gläubiger sich durch Aufrechnung befriedigen kann. Dies ist hier durch § 393 ausgeschlossen. Denn gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist die Aufrechnung nicht zulässig. G kann also mit ihrer Hauptforderung aus § 488 Abs. 1 Satz 2 nicht gegen die Forderung aus § 826 und vorsätzlich begangener c.i.c. aufrechnen.

Die analoge Anwendung des § 770 Abs. 2 wird heute aus gutem Grund weithin abgelehnt.89 Dafür spricht der Zweck des § 770 Abs. 2, der Ausdruck des auf das römische Recht bzw. die Pandektistik zurückgehenden allgemeinen Subsidiaritätsprinzips ist. Vor allem Dernburg interpretierte die Stellen im Corpus Iuris in diesem Sinne90 und hat damit maßgeblich auf die Vorstellungen des Gesetzgebers eingewirkt, der die Norm bewusst auf den Fall eines Aufrechnungsrechts des Gläubigers beschränken wollte. Denn nur in diesem Fall besteht aus Gläubigersicht eine Deckungschance, die einen Zugriff auf den Bürgen entbehrlich macht.91 Die heute wohl hM. eröffnet dem Bürgen jedoch die Einrede analog § 770 Abs. 1: Solange der Hauptschuldner die Aufrechnung noch ausüben kann, kann sich auch der Bürge auf die bestehende Aufrechnungslage berufen.92 Die Gegenauffassung verneint die Vergleichbarkeit der Aufrechnungslage zu dem in § 770 Abs. 1 geregelten Fall: Denn § 770 Abs. 1 regele Konstellationen, in denen die Hauptschuld an einer immanenten Schwäche (Anfechtungs-, Widerrufsgrund usw.) leide; bei der Aufrechnung aber trete die Schwäche von außen heran.93 Schwerer noch wiegt das Argument, dass im unmittelbaren Anwendungsfall des § 770 Abs. 1 eine enge Ausübungsfrist besteht (§§ 121, 124), diese bei der Aufrechnungslage aber nicht vorausgesetzt ist. Deshalb müsste der Gläubiger im Rahmen einer analogen Anwendung des § 770 Abs. 1 zunächst die Forderung des Hauptschuldners aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung befriedigen, um die durch § 770 Abs. 1 bestehende Blockadesituation aufzuheben, was nicht zumutbar sei.94 Larenz/Canaris II/2 § 60 III 3 b; Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 651. Dernburg, Geschichte und Theorie der Compensation nach römischem und neuerem Recht, 2. Aufl. 1868, S. 459f.: D.16.2.4 (Paulus) und D.16.2.5 (Gaius). Auf diesen Zusammenhang weist bereits Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 640f. hin. 91 Grundlegend Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 647f.; vgl. auch Schlüter, in: FS H. Westermann, 1974, S. 509, 516. 92 Vgl. nur MünchKomm/Habersack § 770 Rn. 10; Oetker/Maultzsch § 13 Rn. 77; für ein Zurückbehaltungsrecht eigener Art Bamberger/Roth/Rohe § 770 Rn. 7 (= BeckOK). 93 Larenz/Canaris II/2 § 60 III 3 b, S. 13 unten; Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 654. 94 Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 653; ähnlich BeckOGK/Madaus § 770 Rn. 11, der den Bürgen auf § 768 Abs. 1 Satz 1 verweisen will. 89 90

1066 1403

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

Gerade diesem letzten Einwand wird man im Hinblick auf den Zweck des Aufrechnungsverbots aus § 393 widersprechen müssen: Denn diese Norm zielt darauf, den Schuldner zur (raschen) Erfüllung der Forderung in bar anzuhalten. Wenn die analoge Anwendung des § 770 Abs. 1 diesen Druck erhöht, erscheint dies systematisch nur folgerichtig und vom Normzweck gedeckt. Allerdings stellt § 393 nicht den einzigen Fall eines Aufrechnungsverbots an die Adresse des Gläubigers dar. So fehlt es zunächst an den Voraussetzungen der Aufrechnung, wenn die Gegenforderung des Gläubigers noch nicht fällig ist bzw. ansonsten einredebehaftet ist (§ 390).95 In den Fällen der fehlenden Fälligkeit muss der Gläubiger aber den Eintritt der Aufrechnungsvoraussetzungen ohnehin auch gegenüber dem Bürgen abwarten: Denn ist die vom Gläubiger geltend gemachte Hauptforderung nicht fällig, haftet auch der Bürge nach § 768 Abs. 1 Satz 1 noch nicht auf sie. Ähnliches gilt für sonstige Einreden, die einem Aufrechnungsrecht des Gläubigers nach § 390 entgegenstehen. Auf sie kann sich der Bürge bereits unmittelbar nach § 768 Abs. 1 Satz 1 berufen. Des Weges über eine analoge Anwendung des § 770 Abs. 1 bedarf es in diesem Fall nicht. Diese Überlegungen sprechen insgesamt dafür, allein im Falle des § 393 den § 770 Abs. 1 anzuwenden, weil die Rechtsfolge des § 770 Abs. 1 dem Schutzzweck des § 393 Abs. 1 entspricht. Deshalb überzeugt auch die Überlegung nicht, den Bürgen treffe im Falle des § 393 bei unterbliebener Aufrechnungserklärung seitens des Hauptschuldners nur das allgemeine Risiko, dass der Hauptschuldner nicht leiste.96 Stattdessen trifft vielmehr den Gläubiger das in § 393 angelegte Risiko, dass er die Folgen der von ihm begangenen Vorsatztat gegenüber dem Hauptschuldner in bar beseitigen muss. Die Gegenauffassung handelt sich im Übrigen ein Folgeproblem ein: Mit der Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen wendet sich das Aufrechnungsverbot des § 393 nach §§ 774 Abs. 1 Satz 1, 412, 406 nun gegen den Bürgen: Der Hauptschuldner kann ja die Erfüllung der auf den Bürgen übergegangenen Forderung (§ 401 Abs. 1) weiterhin unter Hinweis auf die Aufrechnungslage verweigern. Nach einer Auffassung soll deshalb die Berufung auf das Aufrechnungsverbot im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen gegen Treu und Glauben verstoßen.97 Eine weitere Ansicht verweist den Bürgen auf den nicht blockierten Anspruch aus § 670, der entweder unmittelbar aus dem Vertrag zwischen Bürge und Hauptschuldner resultiert oder aus § 683 Satz 1.98 V. Der Untergang der Bürgschaft, insbesondere § 776

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Der Anspruch des Gläubigers aus § 765 Abs. 1 erlischt zunächst durch Erfüllung seitens des Bürgen (§ 362 Abs. 1). Die Bürgschaft kann aber auch nach § 418 Abs. 1 Satz 1 als Folge einer befreienden Schuldübernahme untergehen. 95 96 97 98

Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 636. Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 654. Palandt/Sprau § 774 Rn. 10. Kiehnle AcP 208 (2008) 635, 656.

V. Der Untergang der Bürgschaft, insbesondere § 776

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Diese Norm erinnert an das Verbot der Fremddisposition in § 767 Abs. 1 Satz 3: Denn durch die Auswechslung des Hauptschuldners verändert sich das vom Bürgen zu tragende Insolvenzrisiko. Dies braucht er nicht ungefragt hinzunehmen. Nach § 776 wird der Bürge schließlich frei, soweit der Gläubiger auf eine dingliche Sicherheit verzichtet (Satz 1). Dies gilt nach Satz 2 auch dann, wenn das aufgegebene Recht nach Abschluss des Bürgschaftsvertrages entstanden ist. Gerade wegen dieses zweiten Satzes kann die Norm keine Ausprägung des Verbotes der Fremddisposition nach § 767 Abs. 1 Satz 3 sein;99 denn eine nachträglich bestellte und dann wieder aufgegebene Sicherheit beeinflusst nicht das vom Bürgen bei Vertragsschluss eingegangene Haftungsrisiko. Die Norm führt zum automatischen Untergang der Bürgschaft und begründet nicht nur eine Einrede; der Anspruch aus § 765 Abs. 1 lebt dabei nicht nachträglich wieder auf, wenn der Gläubiger die Sicherheit zurückerhält (ausführlich dazu Rn. 1406a). Dieser Rechtsfolge entsprechend ist die Norm auf Sicherung der Regressansprüche des Bürgen gerichtet100 und erscheint als Ausdruck der Subsidiarität der Bürgenhaftung. Die Gründe für den überaus weit reichenden Schutz nach Satz 2 bleiben allerdings im Dunkeln.101 Der Umstand, dass das BGB eine entsprechende Regelung nicht für den Eigentümer vorsieht, der zugunsten eines Gläubigers Sicherungseigentum oder ein Pfandrecht bestellt, lässt darauf schließen, dass die Norm den erhöhten Gefahren der Personalsicherheiten Rechnung tragen will, bei denen der Sicherungsgeber sein ganzes persönliches Vermögen einsetzt und daher in besonderer Weise auf die Regressmöglichkeit angewiesen ist.102 Entsprechend wird eine analoge Anwendung der Norm auf andere Personalsicherheiten vertreten (Schuldbeitritt usw.).103 Nach überzeugender Auffassung hängt die Rechtsfolge der Norm, das Freiwerden des Bürgen, entscheidend davon ab, dass der Bürge überhaupt auf den Sicherungsgeber Rückgriff nehmen konnte und dass der Rückgriffsanspruch nicht etwa auch nach der Aufgabe der Sicherheit fortbesteht. Frei wird der Bürge auch nur, soweit ihm die Rückgriffsmöglichkeit Entlastung verschafft hätte.104 Ausgehend von dieser Zwecksetzung beeinflusst der § 776 zugrunde liegende Rechtsgedanke die Verwertungsreihenfolge der Kreditsicherheiten durch den Gläubiger: (BGH 6.4.2000 – IX ZR 2/98 = NJW 2000, 2580) S möchte in die Zahnarztpraxis des B eintreten und benötigt dafür ein Darlehen iHv. 362.500 €. Mit G schließt er einen entsprechenden Darlehensvertrag zu einem Jahreszins von 8 3/8%, wofür B im Rahmen einer 99 So aber Bamberger/Roth/Rohe § 776 Rn. 1 (= BeckOK). 100 Larenz/Canaris II/2 § 60 IV 3; MünchKomm/Habersack § 776 Rn. 1; Oetker/Maultzsch

§ 13 Rn. 88. 101 Ähnlich Staudinger/Horn § 776 Rn. 1. 102 Derleder NJW 2015, 817; ähnlich Staudinger/Horn § 774 Rn. 68. 103 MünchKomm/Habersack § 776 Rn. 2. 104 Oetker/Maultzsch § 13 Rn. 89; teilweise zuvor Staudinger/Horn § 776 Rn. 15.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

Höchstbetragsbürgschaft iHv. 362.500 € bürgt. S tritt der G ferner seine Forderungen gegen die kassenärztliche Verrechnungsstelle zur Sicherheit ab. In der Folgezeit verwertet G eine dieser Forderungen iHv. 50.000. Davon unabhängig erfolgt die Verwertung einer weiteren Forderung iHv. 100.000 €, die S der G zur Sicherung des vorliegenden und eines weiteren Darlehens zediert hat, für das B nicht als Bürge haftet. Die Erlöse iHv. 150.000 € rechnet G nicht auf die Hauptforderung an, soweit diese durch die Bürgschaftsschuld gesichert ist, sondern auf die über die Valuta (362.500 €) hinaus geschuldeten Zinsen. B aber steht auf dem Standpunkt, er sei iHv. 150.000 € frei geworden. G verweist darauf, dass § 776 in den von ihr gestellten AGB abbedungen sei. In Betracht kommt ein Anspruch aus § 765 Abs. 1, der nach § 776 Satz 1 analog iHv. 150.000 € erloschen sein könnte. Der Ausschluss des § 776 in den AGB des Gläubigers ist grundsätzlich möglich.105 Allerdings setzt er „gewichtige Gründe und ein überwiegendes Interesse“ des Gläubigers gegenüber dem Bürgen voraus. Der hier vorliegende pauschale Ausschluss verstößt deshalb gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 (S. 2583). Fraglich ist, ob die Voraussetzungen des § 776 Satz 1 vorliegen.

Vorliegend hat der Gläubiger keine Sicherheit iSd. § 776 Satz 1 aufgegeben, sondern nur verwertet. Im Ergebnis führt dies für den Bürgen aber zur selben Rechtsfolge. Denn er verliert die Rückgriffsmöglichkeit nach § 774 auf die verwertete Kreditsicherheit. Deshalb gebietet es der Zweck des § 776, dass der Gläubiger den Erlös aus der Verwertung einer Kreditsicherheit, die dem Bürgen ansonsten beim Regress zur Verfügung stünde, auf die Bürgenschuld anrechnen muss (S. 2583). Dies gilt aber nur, wenn die Kreditsicherheit allein der Absicherung der durch die Bürgenschuld gesicherten Hauptforderung dient. Dient die Sicherheit auch der Absicherung einer anderen Forderung, muss der Bürge ihre Aufgabe wie ihre Verwertung im Interesse dieser Drittforderung hinnehmen und ist durch § 776 nicht geschützt (S. 2583). Dafür spricht, dass hinsichtlich dieser Kreditsicherheit von Anfang an keine sichere Rückgriffsmöglichkeit des Bürgen bestand. Entsprechend passt der Normzweck des § 776 nicht. Damit liegen die Voraussetzungen des § 776 Satz 1 nur iHv. 50.000 € vor und B ist auch nur insoweit frei geworden.

Der § 776 Satz 1 zugrunde liegende Rechtsgedanke beeinflusst auch die Möglichkeit einer Zwischenverwertung oder eines Zwischeneinsatzes von Kreditsicherheiten: (BGH 4.6.2013 – XI ZR 505/11 = BGHZ 197, 335 = NJW 2013, 2508) G gewährt der S-KG am 11.7.2008 ein Darlehen über 2 Mio. €, für das B, ein Nichtkaufmann, formwirksam eine selbstschuldnerische Bürgschaft über 2 Mio. € gegenüber G eingeht. Am 7.7.2008 war von S zugunsten der G zur Sicherung desselben Darlehens bereits eine erstrangige, werthaltige Buchgrundschuld über 2 Mio. € bestellt worden. Von dieser Grundschuld trat die G am 9.3.2009 einen erstrangigen Teilbetrag iHv. insgesamt 1,6 Mio. € an die X-Bank zur Sicherung eines weiteren Darlehens ab. Nach Tilgung dieses weiteren Darlehens übertrug X den Teilbetrag wieder an G zurück. G hat mit B mündlich vereinbart, dass diese Teilabtretung die Bürgenschuld unbeeinträchtigt lassen soll. Nachdem S in Insolvenz gefallen ist, geht G gegen B vor. B beruft sich darauf, dass die Bürgschaft iHv. 1,6 Mio. € untergegangen sei. Zu Recht? 105 BGHZ 78, 137 = NJW 1981, 748, 749.

V. Der Untergang der Bürgschaft, insbesondere § 776

1069

Der Anspruch der G gegen B aus § 765 Abs. 1 aus einer zunächst wirksam begründeten Bürgschaft könnte nach § 776 Satz 1 untergegangen sein.

Fraglich ist, ob in der Teilabtretung der Grundschuld die Aufgabe einer Sicherheit iSd. § 776 Satz 1 liegt. Eine Buchgrundschuld kann zunächst nach §§ 1192 Abs. 1, 1154 Abs. 3 analog durch Einigung und Eintragung in das Grundbuch abgetreten werden. Teilabtretungen sind im Rahmen des § 399 grundsätzlich zulässig, soweit die Forderung teilbar ist und für den Schuldner keine § 242 widersprechende Unzumutbarkeit entsteht.106 Vorliegend erfolgte die Teilabtretung zwischen der Gläubigerin und der externen Sicherungsnehmerin in Form einer Sicherungszession; denn die Grundschuld sicherte vorübergehend eine andere Darlehensschuld. Fraglich ist, ob darin bereits die Aufgabe eines Sicherungsrechts iSd. § 776 Satz 1 liegt. Zunächst ist die Norm auch auf nicht akzessorische Sicherheiten wie die Grundschuld anwendbar (Tz. 13). Als Aufgeben sieht der BGH entsprechend dem Normzweck jede gewollte Handlung an, durch die der Gläubiger auf eine Verwertungsmöglichkeit der Sicherheit verzichtet oder ansonsten bewusst deren wirtschaftlichen Wert beseitigt (Tz. 14). Denn durch eine solche Handlung verliert der Bürge eine Rückgriffsmöglichkeit (Tz. 15). Fraglich ist, wie sich die nachträgliche mündliche Vereinbarung zwischen den Parteien auswirkt. Dies hängt entscheidend von der Rechtsfolge des § 776 Satz 1 ab: Handelt es sich dabei um ein Leistungsverweigerungsrecht des Bürgen, könnte der Bürge dieses formlos (hier: mündlich) wieder aufgeben. Erlischt die Bürgschaft jedoch nach § 776 Satz 1 endgültig, müssten Gläubiger und Bürge eine neue Bürgschaft vereinbaren und wären an die Form des § 766 gebunden, die im Fall ja nicht eingehalten war. Der BGH geht überzeugend davon aus, dass § 776 Satz 1 zum Erlöschen der Bürgschaft führt und nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht begründet (Tz. 16). Dies entspricht dem gesetzgeberischen Willen,107 dem Wortlaut der Norm (Tz. 18) und dem Gebot der Rechtssicherheit, die Bürgenschuld nicht in der Schwebe zu halten, weil der Gläubiger nachträglich eine gleichwertige Sicherheit stellen könnte (Tz. 19). Denn zögert der Gläubiger, ob er erst den Bürgen oder den anderen Sicherungsgeber in Anspruch nehmen soll, kann der Bürge nach § 271 Abs. 2 vor Fälligkeit an den Gläubiger zahlen, um die Rückgriffsmöglichkeit gegenüber dem anderen Sicherungsgeber zu wahren.108 Diese Möglichkeit wäre dem Bürgen aber genommen, solange der Gläubiger noch keine Ersatzsicherheit gestellt hat. Die Berufung auf § 766 ist auch nicht rechtsmissbräuchlich iSd. § 242 (Tz. 22), weil der Bürge an einer gegenläufigen mündlichen Vereinbarung beteiligt war. Denn die mündliche Vereinbarung genügte nicht den Anforderungen des § 766 (Tz. 23ff.); auf Formmängel darf sich der durch die Rechtsform Geschützte aber regelmäßig berufen (vgl. Rn. 1385). Im Schrifttum ist kritisiert worden, dass beide Entscheidungen die Verrechnungs- und Verwertungsfreiheit des Si106 MünchKomm/Roth/Kieninger § 398 Rn. 63. 107 Mugdan II S. 379. 108 MünchKomm/Habersack § 774 Rn. 4.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

cherungsnehmers stark einschränken.109 Auch erscheine die Unterscheidung zwischen dem Verständnis des § 776 als Leistungsverweigerungsrecht oder Erlöschensgrund als konstruiert: Der Norm komme insgesamt eine schadensersatzrechtliche Ordnungsfunktion zu. Sie solle die durch Aufgabe der Sicherheit entstandenen Nachteile ausgleichen, die sich darin äußerten, dass dem Bürgen der Rückgriff gegen den entlassenen Sicherungsgeber genommen werde. In diesen Fällen liege typischerweise ein Verschulden des Sicherungsnehmers gegenüber dem Bürgen vor.110 Dies geht jedoch deutlich zu weit: Die Aufgabe einer Sicherheit iSd. § 776 Satz 1 stellt nämlich keine rechtswidrige, geschweige denn eine schuldhafte Handlung des Sicherungsnehmers dar, sondern fällt in seinen kaufmännischen Beurteilungsspielraum. § 776 Satz 1 hat daher keinen teleologischen Bezug zur Schadensersatzhaftung aus Verhaltensunrecht, sondern sichert allein die Rückgriffschancen des Bürgen nach dem Subsidiaritätsprinzip. Geht man davon aus, sind die vom BGH gezogenen weiteren Folgerungen nicht zu vermeiden. VI. Der Bürgenregress 1. Gegenüber dem Hauptschuldner 1407

Der Ausgleich zwischen Bürge und Hauptschuldner erfolgt auf zwei Wegen: über die Legalzession nach § 774 Abs. 1 Satz 1 und den Aufwendungsersatzanspruch aus § 670. Schließlich kann der Bürge das Rückgriffsrisiko auf den Schuldner durch Vereinbarung einer Rückbürgschaft absichern. Das systematische Zusammenspiel dieser Institute verdeutlicht folgender Fall: (BGH 19.9.1985 – IX ZR 16/85 = BGHZ 95, 375 = NJW 1986, 310) Die Gemeinde G beauftragt den Unternehmer S mit der Erstellung eines Bauprojekts und verlangt in diesem Zusammenhang eine selbstschuldnerische Gewährleistungsbürgschaft (Rn. 1398). S schließt darauf einen Avalkreditvertrag mit der B-Bank ab, die in Erfüllung dieses Vertrages mit G einen Bürgschaftsvertrag zustande bringt. Zugleich vereinbart B mit RB, dem Schwiegervater des S, eine Rückbürgschaft, um das Rückgriffsrisiko auf S abzusichern. Als S in Insolvenz fällt, verlangt G von B Zahlung von 21.000 €, die sie auf Ansprüche aus § 637 Abs. 3 zurückführt. B lässt sich daraufhin von S das Protokoll über die Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 1 vorlegen und prüft mögliche Mängel 15 Monate lang. Als sie dann an G zahlt, ist die Forderung aus § 637 Abs. 3 nach der zwischen G und S vereinbarten VOB bereits verjährt. B verlangt nun von RB Erstattung der 40.000 €. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch der B gegen RB aus § 765 Abs. 1.

Bei der Rückbürgschaft besteht die zu sichernde Hauptverbindlichkeit in den Rückgriffsansprüchen des Bürgen gegen den Hauptschuldner (S. 311). Diese Ansprüche können sich kraft Legalzession aus § 774 Abs. 1 Satz 1 ergeben, aber auch aus § 670: Nach § 774 Abs. 1 Satz 1 geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner (hier: § 637 Abs. 3) auf den Bürgen über, soweit dieser 109 Derleder NJW 2015, 817, 821. 110 J.F. Hoffmann JZ 2013, 1005, 1007; ders. AcP 211 (2011) 703, 723ff., 733f.

VI. Der Bürgenregress

1071

den Gläubiger befriedigt. Nach § 670 wiederum hat der Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber einen Anspruch auf Ersatz derjenigen Aufwendungen, die er zum Zwecke der Ausführung des Auftrags macht und die er den Umständen nach für erforderlich halten darf. Die Norm findet über die Verweisung in § 675 Abs. 1 Anwendung, weil der zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner geschlossene Avalkreditvertrag einen Geschäftsbesorgungsvertrag darstellt (S. 311). Fraglich war vorliegend, ob der Rückbürge gegenüber dem Hauptbürgen nicht die Einrede nach § 768 Abs. 1 Satz 1 erheben konnte: Denn dem nach § 774 Abs. 1 Satz 1 erworbenen Aufwendungsersatzanspruch aus § 637 Abs. 3 stand die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 entgegen. § 670 aber eröffnet der Hauptbürgin einen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen. Erforderlich ist die Zahlung des Bürgen an den Gläubiger nur, wenn sie geeignet ist, die Inanspruchnahme des Hauptschuldners abzuwenden (dazu Rn. 1284). Kann sich der Hauptschuldner jedoch gegenüber dem Gläubiger auf die Einrede der Verjährung berufen, bedarf es der Zahlung des Bürgen nicht, um den Gläubiger zu befriedigen. Der BGH argumentiert ebenfalls auf der Grundlage des § 768 Abs. 1 Satz 1: Dieser Norm sei zu entnehmen, dass der Hauptschuldner vom Bürgen keine Zahlung auf eine verjährte Forderung erwarten könne (S. 313). Jedoch geht das Gericht zum Schutz des Bürgen von einer Beurteilung ex ante aus (S. 313). Diese legt auch der Wortlaut des § 670 nahe: Danach kommt es ja nicht darauf an, dass die Aufwendungen erforderlich waren, sondern dass sie der Auftragnehmer für erforderlich halten durfte (Rn. 1284). Im Rahmen seiner Prüfung ist der Bürge daher zu einer sorgfältigen, den Umständen des Falles entsprechenden Prüfung hinsichtlich des Bestehens der Forderung und möglicher Einwendungen verpflichtet (S. 313). Vorliegend hat die Hauptbürgin sich um eine Sachverhaltsaufklärung bemüht, dabei jedoch einen entscheidenden Fehler gemacht: Aus dem Abnahmeprotokoll hätte sie die Voraussetzungen der Verjährung erkennen können. Deshalb führt die Zahlung der Hauptbürgin an den Gläubiger zu Aufwendungen, die auch ex ante nicht erforderlich iSd. § 670 erscheinen (S. 313f.). Der Anspruch der B gegen RB aus § 765 Abs. 1 besteht folglich nicht. Im Zusammenhang mit der Bürgschaft auf erstes Anfordern (Rn. 1391) wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Bürge bei seiner Entscheidung über die Auszahlung die Interessen von Gläubiger und Hauptschuldner beachten muss. Zögert er mit der Auszahlung zu lange, hat er den gegenüber dem Gläubiger eingetretenen Verzug nach § 286 Abs. 4 zu vertreten. Zahlt er hingegen zu rasch und unbedacht, scheitert – wie gerade gesehen – der Rückgriff auf den Hauptschuldner am Erforderlichkeitsmaßstab des § 670. Weil dem Bürgen mit Blick auf § 670 auch bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern eine Prüfung von Bestand, Umfang und möglicher Verjährung der Forderung möglich sein muss, hat er den Verzug solange nach § 286 Abs. 4 nicht zu vertreten, wie er Zeit für eine Prüfung der Auszahlungsvoraussetzungen benötigt.

1408

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

2. Gegenüber Mitbürgen (§ 774) 1409

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Nach § 769 haften Mitbürgen im Außenverhältnis zum Gläubiger als Gesamtschuldner. Soweit im Innenverhältnis der Mitbürgen Regressansprüche in Betracht kommen, sieht § 774 Abs. 2 die Anwendung des § 426 (Gesamtschuld) vor. Zusätzlich regelt § 774 Abs. 1 Satz 1, dass die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf den Bürgen übergeht, soweit dieser den Gläubiger befriedigt. Dies führt dazu, dass sämtliche akzessorische Sicherungsrechte des Gläubigers nach §§ 412, 401 Abs. 1 ebenfalls auf den Bürgen übergehen (also vor allem Hypotheken, andere Bürgschaften, Mobiliarpfandrechte). Der Bürge erwirbt indes auf der Grundlage einer analogen Normanwendung auch alle nicht akzessorischen Sicherungsrechte (Grundschuld, Sicherungseigentum, Sicherungszession). Denn den Gläubiger trifft aus dem Rechtsgedanken des § 774 Abs. 1 Satz 1 heraus eine obligatorische Pflicht zur Übertragung dieser Sicherungsrechte.111 Das Zusammenspiel dieser Institute verdeutlicht der besondere Ausgleichsanspruch des Ausfallbürgen (Nachbürgen): (BGH 20.3.2012 – XI ZR 234/11 = NJW 2012, 1946) Die G-Bank vereinbarte mit S ein Existenzgründungsdarlehen über rund 50.000 €. Für dieses verbürgt sich der Ehemann RB als Regelbürge. Im vorformulierten Bürgschaftsvertrag war vorgesehen, dass RB auf die Einrede der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit gem. § 770 Abs. 1 und 2 sowie auf die Einrede der Verjährung der Hauptschuld verzichtet. Auch auf die sonstigen Einreden nach § 768 soll insoweit verzichtet werden, als sie nicht unbestritten oder nicht rechtskräftig festgestellt sind. Zur Absicherung der Ansprüche aus der Bürgschaft mit RB vereinbarte die G mit AB eine Ausfallbürgschaft iHv. 40.000 €. Später muss G den Darlehensvertrag mit S wegen Zahlungsverzugs kündigen. Gegen RB geht sie erst gar nicht vor, da dieser im aktuellen Insolvenz- und Schuldnerverzeichnis geführt wird. Sie nimmt daher unmittelbar AB iHv. 30.000 € in Anspruch. Dieser geht nun gegen RB vor. RB verteidigt sich damit, dass der Anspruch der G gegen S bereits verjährt sei, was zutrifft. AB kann hier gegen RB Zahlung aus einem Anspruch der G gegen RB aus § 765 Abs. 1 verlangen, der nach §§ 774 Abs. 1, 412, 401 Abs. 1 auf ihn, AB, übergegangen ist.

Die Ausfallbürgschaft sichert die Ansprüche des Gläubigers gegen den Regelbürgen aus § 765 Abs. 1.112 Befriedigt der Ausfallbürge den Gläubiger, geht daher der Anspruch des Gläubigers gegen den Regelbürgen aus § 765 Abs. 1 gemäß §§ 774 Abs. 1 Satz 1, 412, 401 Abs. 1 kraft Gesetzes auf ihn (den Ausfallbürgen) über (Tz. 15).113 Konsequenterweise kann der Regelbürge sich dann aber auf die Einrede der Verjährung der Hauptforderung nach § 214 Abs. 1 berufen, genauso wie er es bei einer unmittelbaren Inanspruchnahme durch den Gläubiger nach § 768 Abs. 1 Satz 1 gekonnt hätte (S. 15). Fraglich ist nur, ob der Regelbürge auf diese Einrede wirksam verzichtet hatte. Dies könnte auf der Grundlage der AGB des Gläubigers zwischen den Parteien vereinbart worden 111 Ständige Rechtsprechung seit RGZ 89, 193, 195f.; vgl. etwa BGHZ 42, 53, 56f. = NJW 1964,

1788 und Staudinger/Horn § 774 Rn. 21. 112 Vgl. etwa Larenz/Canaris II/2 § 60 V 3. 113 Vgl. nur MünchKomm/Habersack § 774 Rn. 22; Staudinger/Horn § 771 Rn. 17.

VI. Der Bürgenregress

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sein. Der BGH erkennt allerdings im besonders weitgehenden Einwendungsverzicht in den AGB des Gläubigers eine nach § 307 Abs. 1 Satz 1 unwirksame unangemessene Benachteiligung des Regelbürgen. Denn der Einredeverzicht sei gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren: Konkret wird durch diesen das für die Bürgschaft zentrale Akzessorietätsprinzip durchbrochen (Tz. 17; vgl. oben Rn. 1359). Weil die AGB-Klausel daher unwirksam ist, kann sich der Regelbürge gegenüber dem Anspruch des Ausfallbürgen auf Verjährung berufen. Der BGH bejaht indes einen Anspruch des Ausgleichsbürgen nach §§ 774 Abs. 2, 426 Abs. 1 Satz 1 analog. Die Norm setzt eine Haftung von Mitbürgen untereinander (dh. im Innenverhältnis) voraus. Der Verweis auf § 426, aber auch die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung nach § 421 in § 769 zeigen deutlich, dass Mitbürgen untereinander die Voraussetzungen von Gesamtschuldnern erfüllen müssen. Ausfallbürge und Regelbürge werden von der hM. aber zunächst nicht als Mitbürgen angesehen (Tz. 21).114 Denn nach Auffassung des BGH setzt § 774 Abs. 2 ebenso wie § 421 eine Gleichstufigkeit der Verantwortung voraus (Tz. 23; vgl. dazu auch Rn. 1329). Im Schrifttum ist das Erfordernis der Gleichstufigkeit der Haftung in § 421 teilweise umstritten.115 Dessen Zweck wiederum liegt auf der Hand: Wenn im Verhältnis zweier Schuldner einer gegenüber dem Gläubiger die vollständige Last der Erfüllung zu tragen hat, kann er nach Leistung an den Gläubiger nicht nach § 426 Abs. 1 Satz 1 gegenüber dem anderen Schuldner vorgehen. Denn diese Norm setzt die zwischen den beiden Schuldnern geltenden Regeln zur Schadensverteilung nicht außer Kraft. Dies hindert aber nicht den anderen Schuldner, der die Last der Erfüllung im Verhältnis der Schuldner untereinander gerade nicht zu tragen hat, gegenüber dem allein belasteten Schuldner nach § 426 analog vorzugehen, wenn er vom Gläubiger in Anspruch genommen wurde. Denn die Norm eröffnet ihm in diesem Fall eine rechtliche Möglichkeit, die zwischen beiden Schuldnern bestehende Schadensverteilung herzustellen. Von ähnlichen Gedanken lässt sich auch der BGH leiten: Zwar liege keine echte Gesamtschuld vor. Denn die Haftung des Ausfallbürgen sei gegenüber derjenigen des Regelbürgen subsidiär ausgestaltet. Gerade die subsidiäre Verantwortlichkeit gebiete aber die analoge Anwendung des § 426 Abs. 1 Satz 1 auf den Ausfallbürgen, damit dieser erfolgreich auf den Regelbürgen zurückgreifen könne (Tz. 25). Da dieser Anspruch vorliegend noch nicht verjährt war, stand dem Ausfallbürgen ein Anspruch gegen den Regelbürgen zu.

114 Vgl. nur MünchKomm/Habersack § 769 Rn. 3; BeckOK/Rohe § 774 Rn. 12. 115 MünchKomm/Bydlinski § 421 Rn. 13f.; Staudinger/Noack § 421 Rn. 18ff.

1411

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

3. Gegenüber sonstigen Sicherungsgebern 1412

Ein klassisches Problem des Bürgschaftsrechts liegt in der Frage, wie der Ausgleich zwischen dem Bürgen und den übrigen Sicherungsgebern im Innenverhältnis verläuft. (BGH 29.6.1989 – IX ZR 175/88 = BGHZ 108, 179 = NJW 1989, 2530, vereinfacht): An der S-GmbH (Stammkapital 25.000 €) hält B eine Stammeinlage iHv. 15.000 € und E eine solche iHv. 10.000 €. S unterhielt bei der G-Bank einen Kontokorrentkredit mit einem Höchstlimit von 100.000 €, der ua. durch eine der Höhe nach nicht beschränkte selbstschuldnerische Zeitbürgschaft des Gesellschafters B und eine Grundschuld an dem der E gehörenden Grundstück iHv. 65.000 € (Verkehrswert: 50.000 €) gesichert war. Als S in Insolvenz fällt, ergibt sich ein Sollsaldo auf dem Kontokorrentkonto iHv. 50.000 €. Die Bürgschaft des B ist in diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Nach Verwertung des Grundstücks der E zahlt diese 45.000 € an G. Sie verlangt von B Zahlung von 25.000 € nach folgender Berechnung: Ausgehend vom Verhältnis der Stammeinlagen hafte B für den Gesamtschaden zu drei Fünfteln, also insgesamt iHv. 30.000 €. Daher habe E 25.000 € zu viel an G geleistet. In Betracht kommt ein Anspruch der E gegen B aus § 426 Abs. 1 Satz 1. Dies setzt eine Gesamtschuld nach § 421 zwischen B und E voraus. Eine vertragliche Vereinbarung einer Gesamtschuld liegt nicht vor. Auch ordnet das Gesetz nicht allgemein eine gesamtschuldnerische Haftung der Sicherungsgeber an.

Fraglich ist daher, ob § 426 im Verhältnis zwischen Sicherungsgebern aus einem allgemeinen Rechtsgedanken heraus analog angewendet werden kann. Im Vorfeld dieser Entscheidung war dies mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung teilweise verneint und stattdessen ein Prioritätsprinzip bejaht worden.116 Der BGH erwägt diese Möglichkeit ernsthaft, verwirft sie jedoch zu Recht wegen der Zufälligkeit der dabei erzielten Ergebnisse (S. 2531). Denn fehlt die Rückgriffsmöglichkeit, wäre der zuerst in Anspruch genommene Sicherungsgeber stets in voller Höhe verantwortlich, ohne dass dafür ein anderer Grund als die Entscheidung des Gläubigers spräche, ihn in Anspruch zu nehmen. Ebenso wenig überzeugt aber die alternativ vertretene isolierte Anwendung der Rückgriffsnormen des BGB: Ist der Kredit nämlich durch eine Bürgschaft und eine Hypothek abgesichert, erwirbt der Bürge bei Zahlung an den Gläubiger die Hypothek nach §§ 774 Abs. 1 Satz 1, 412, 401 Abs. 1 in voller Höhe; zahlt hingegen der Eigentümer des Grundstücks, an dem die Hypothek bestellt ist, erwirbt er die Bürgschaft nach §§ 1143 Abs. 1 Satz 1, 412, 401 Abs. 1 in voller Höhe. Dies aber würde einen „Wettlauf der Sicherungsgeber“ auslösen (S. 2531): Wer zuerst vom Gläubiger in Anspruch genommen würde, könnte auf den jeweils anderen Sicherungsgeber in voller Höhe zurückgreifen. In seiner Begründung geht der BGH vorliegend nicht auf das zentrale Argument der lange Zeit hM. ein, die einen dritten Weg wählte:117 Sie entnahm dem § 776 Satz 1 einen allgemeinen Rechtsgedanken und zugleich ein einseitiges 116 Vgl. etwa noch den Beitrag von H.-J. Becker NJW 1971, 2151, 2154. 117 Heute noch Staudinger/Horn § 774 Rn. 68.

VI. Der Bürgenregress

1075

Rückgriffsrecht des Bürgen gegenüber den anderen Sicherungsgebern. Nach der Norm wird der Bürge nämlich frei, wenn der Gläubiger andere Sicherheiten aufgibt (Rn. 1406f.). Weil dem Verpfänder ein ähnliches Recht nicht zusteht, ging diese Auffassung von einer bewussten Privilegierung des Bürgen aus, die aus den erhöhten Risiken der Bürgenhaftung gerechtfertigt wurde. Danach konnte der Bürge auf andere Sicherungsgeber zurückgreifen, nicht aber diese auf ihn. In einer späteren Entscheidung weist der BGH auch dieses Argument zurück, weil § 776 Satz 1 nur im Verhältnis zwischen Bürge und Gläubiger gelte, über das Rangverhältnis der Sicherungsgeber aber nichts besage.118 Nach Auffassung des BGH gebietet es letztlich der Gedanke ausgleichender Gerechtigkeit, § 426 Abs. 1 auf das Verhältnis der Sicherungsgeber anzuwenden (S. 2531). Dieses auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles zurückführbare Institut119 wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Gemeinplatz. Das Gericht kann nämlich den §§ 1173, 1225 iVm. 774 Abs. 2 einen allgemeinen Rechtsgedanken entnehmen, dass dem BGB der gesamtschuldnerische Ausgleich zwischen Mitsicherern nicht fremd ist. Für diese Auffassung spricht letztlich vor allem ihr Ergebnis, das Zufälle ebenso vermeidet wie schwer begründbare Privilegierungen einzelner Sicherungsgeber.120 Fraglich ist schließlich, wonach sich die Höhe der Regressanteile bestimmt. Der BGH geht auf diese Frage in der vorliegenden Entscheidung nicht ein. Nach § 426 Abs. 1 Satz 1 sind die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. „Ein anderes“ iSd. § 426 Abs. 1 Satz 1 ergibt sich jedoch nach Maßgabe einer späteren Entscheidung aus dem Verhältnis der Gesellschaftsanteile zueinander.121 Dafür spricht, dass die Gesellschafter im Vertrag zur Errichtung über die GmbH durch die Verhältnisse der Stammeinlagen ihre Chancen und Risiken untereinander festlegen. An der zugrunde liegenden Entscheidung müssen sie sich auch im Rahmen des Ausgleichsanspruchs nach § 426 Abs. 1 Satz 1 festhalten lassen. Geht man davon im Fall aus, so teilen sich B und E den Schaden im Verhältnis von 3/5 (Stammeinlage von 15.000 € bei einem Stammkapital von 25.000 €) zu 2/5 (Stammeinlage von 10.000 € bei einem Stammkapital von 25.000 €). Von den 50.000 € muss E daher nur 20.000 € tragen. Ihr steht angesichts ihrer Zahlung an G iHv. 45.000 € der geforderte Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 gegen B iHv. 25.000 € zu.

In anderen Fällen aber entscheidet über den Ausgleich die Höhe des jeweils eingegangenen Risikos:122 Fallabwandlung: B und E sind keine Gesellschafter, sondern einander nicht weiter verbundene Sicherungsgeber. Dann ergibt sich folgende Berechnung. B hat ein Risiko von 100.000 € übernommen. Denn dies entsprach dem Höchstbetrag des Kontokorrentkredits, 118 119 120 121 122

BGH NJW 1992, 3228, 3229. Dazu Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 55. Vgl. hier nur Larenz/Canaris II/2 § 60 IV 3 a; Oetker/Maultzsch § 13 Rn. 107. BGH NJW 1992, 3228, 3229; Larenz/Canaris II/2 § 60 IV 3 b, S. 17 unten. Überzeugend bereits Larenz/Canaris II/2 § 60 IV 3 b.

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§ 12 Der Bürgschaftsvertrag

für den sich B übrigens auf der Grundlage einer Zeitbürgschaft nach § 777 wirksam verbürgen kann (Rn. 1365). E hingegen ging ein Risiko iHv. 50.000 € ein. Dies entsprach nämlich dem Verkehrswert des von ihr verpfändeten Grundstücks. Die Gesamtsumme der von B und E eingegangenen Risiken beträgt daher 150.000 €. Davon übernimmt B 2/3 (100.000 €) und E 1/3 (50.000 €). Den tatsächlich eingetretenen Schaden iHv. 50.000 € müsste daher B iHv. 33.333,33 € übernehmen. E hätte angesichts ihrer Zahlung an G iHv. 45.000 € einen Ausgleichsanspruch gegenüber B iHv. 11.666,67 €.

§ 13 Sonstige Verträge I. Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen und Vergleich 1. Das abstrakte Schuldversprechen

Nach § 780 Satz 1 unterliegt ein Vertrag, durch den eine Leistung in der Weise versprochen wird, dass das Versprechen die Verpflichtung selbständig begründen soll (Schuldversprechen), der Schriftform. Die so entstandene Forderung schützt ihren Gläubiger in besonderer Weise durch ihre innere und äußere Abstraktion:1 Für ihre Begründung kommt es nämlich allein auf die Voraussetzungen des § 780 an und nicht auf sonstige Umstände wie den Abschluss des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts (innere Abstraktion). Entfällt die zugrunde liegende Causa (Schuldgrund), bleibt das abstrakte Schuldversprechen erhalten und kann höchstens nach § 812 Abs. 2 zurückgefordert werden (äußere Abstraktion). Die Funktionsweise des Schuldversprechens lässt sich an seinem praktisch bedeutsamsten Anwendungsfall verdeutlichen, der Vollstreckungsunterwerfungserklärung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Beispiel DN hat ein Darlehen bei seiner Bank DG zur Finanzierung eines Hauskaufs aufgenommen. Zur Sicherung der Rückzahlungsansprüche der DG aus § 488 Abs. 1 Satz 2 bestellt DN der DG eine Grundschuld iHv. 500.000 € und unterwirft sich durch eine notariell errichtete Urkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO wegen und in Höhe des Darlehensrückzahlungsanspruchs der sofortigen Zwangsvollstreckung.

Die Unterwerfungserklärung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist zunächst nur eine prozessuale Erklärung, durch die der Begünstigte einen Vollstreckungstitel erhält, mit dem er unmittelbar gegen den sich Unterwerfenden im Wege der Zwangsvollstreckung vorgehen kann (vgl. bereits Rn. 625). Der Begünstigte braucht vor allem kein Urteil zu erstreiten, um gegenüber dem sich Unterwerfenden vollstrecken zu können. Der BGH geht davon aus, dass bei Abgabe dieser prozessualen Erklärung auch auf der Ebene des materiellen Rechts regelmäßig ein abstraktes Schuldversprechen nach § 780 Satz 1 zwischen dem späteren Vollstreckungsgläubiger und dem Vollstreckungsschuldner konkludent vereinbart wird; denn erst durch die Begründung eines Anspruchs aus § 780 Satz 1 erhalte die Eröffnung des Vollstreckungszugriffs auf das sonstige Vermögen des sich Unterwerfenden einen rechtlichen Sinn.2 Die Kritik wendet ein, dass der Schuldner sich auch wegen des Anspruchs aus § 488 Abs. 1 Satz 2 der Vollstreckung unterwerfen könne, so dass sich aus der Unterwerfungserklärung 1 2

Zu diesem Begriffspaar Jahr AcP 168 (1968) 9, 14ff.; MünchKomm/Oechsler § 929 Rn. 8. BGH NJW 1976, 567, 568; BGH NJW 1988, 707, 708.

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§ 13 Sonstige Verträge

allein nichts ableiten lasse.3 Dagegen spricht indes der Wille der Parteien, dem Gläubiger eine rasche Vollstreckung zu ermöglichen, den Schuldner aber auf eine Verteidigung nach § 767 ZPO analog (Rn. 1416) zu verweisen. Dies entspricht gerade der sich aus § 812 Abs. 2 ergebenden Beweislastverteilung. Deshalb muss der Vollstreckungsgläubiger eine abstrakte Forderung nach § 780 Satz 1 erwerben. In der Praxis spielt der Streit keine Rolle, weil die AGB der Banken regelmäßig ausdrücklich die Abgabe eines abstrakten Schuldversprechens vorsehen. Im abstrakten Schuldversprechen nach § 780 Satz 1 begründet der Schuldner gegenüber dem Gläubiger also eine zweite Forderung, die neben die erste tritt. Im Beispiel schuldet DN dem DG Zahlung zunächst aus § 488 Abs. 1 Satz 2. Nach Vereinbarung des abstrakten Schuldversprechens tritt daneben eine zweite Forderung aus § 780 Satz 1, die die erste unberührt lässt.

Das Schuldversprechen nach § 780 Satz 1 ist – wie bereits erwähnt – innerlich abstrakt, weil der in ihm begründete Zahlungsanspruch nur von den Voraussetzungen des § 780 abhängt: Der Anspruch aus § 780 Satz 1 kann also an der fehlenden Geschäftsfähigkeit des Schuldners nach § 105 Abs. 2 scheitern oder nach § 125 Satz 1 an der Nichtbeachtung der Schriftform. Die Wirksamkeit des Schuldversprechens hängt jedoch nicht von der Erbringung der versprochenen Gegenleistung iSd. § 320 ab; vielmehr besteht es unbedingt.4 Das Schuldversprechen ist zudem äußerlich abstrakt, weil es in seiner Wirksamkeit nicht berührt wird, wenn der Schuldgrund entfällt. Ist der Darlehensvertrag im Beispielsfall etwa nach § 494 Abs. 1 unheilbar nichtig, muss der Schuldner das Schuldversprechen nach § 812 Abs. 2 kondizieren, um dessen Rechtswirkungen zu beseitigen.

1415

Wie aus § 812 Abs. 2 hervorgeht, sichert das abstrakte Schuldversprechen den Gläubiger nicht unbedingt und in jedem Fall vor Einwendungen des Schuldners aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ab. Es bringt dem Gläubiger dennoch zwei bedeutsame Vorteile. Erstens verbessert es die Beweislage für den Gläubiger, weil der Schuldner die Beweislast für die Voraussetzungen des § 812 Abs. 2 trägt. Geht G im Beispielsfall gegen S aus § 488 Abs. 1 Satz 2 vor, muss er beweisen, dass der Darlehensvertrag wirksam zustande gekommen ist. Denn dies ist Sachvoraussetzung des Rückzahlungs- und Zinsanspruchs des Darlehensgebers. Geht G hingegen aus § 780 Satz 1 vor, kann ihm S die Einrede aus § 821 iVm. § 812 Abs. 2 entgegenhalten. Dann aber muss S beweisen, dass dem abstrakten Schuldversprechen der Rechtsgrund fehlt, weil der zugrunde liegende Darlehensvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist.

Zweitens erlaubt das schriftliche abstrakte Schuldversprechen dem Gläubiger im Urkundenprozess nach §§ 592ff. ZPO, rasch an einen Vollstreckungstitel 3 4

MünchKomm/Habersack § 780 Rn. 33; Staudinger/Marburger § 780 Rn. 32. Vgl. nur Larenz/Canaris II/2 § 61 I 2 a.

I. Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen und Vergleich

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zu gelangen. Der Kreis schließt sich mit der Überlegung, dass das abstrakte Schuldversprechen schließlich als materielle Seite der notariellen Unterwerfungserklärung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO fungiert und auch in dieser Funktion dem Gläubiger eine rasche Durchsetzung seiner Ansprüche ermöglicht. In der Praxis kommt das abstrakte Schuldversprechen schließlich vor allem im unbaren Zahlungsverkehr (Rn. 1351) und auch bei der Feststellung des Saldos in einem Kontokorrent nach § 355 HGB vor,5 wenn also Forderungen und Gegenforderungen von Bank und Kunde auf einem Girokonto in einem ersten Schritt verrechnet werden und in einem zweiten das überschießende Guthaben einer Seite gegenüber der anderen festgestellt wird. In diesem Fall muss das abstrakte Schuldversprechen wegen § 782 auch nicht der Schriftform genügen. Die Schriftform findet schließlich auch auf das abstrakte Schuldversprechen oder -anerkenntnis eines Kaufmanns nach § 350 HGB keine Anwendung. In der Zwangsvollstreckung muss der Vollstreckungsschuldner sich schließlich auf der Grundlage einer Vollstreckungsgegenklage verteidigen.

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(BGH 29.6.1989 – IX ZR 175/88 = BGHZ 108, 179 = NJW 1989, 2530, vereinfacht) DN hat von DG ein Darlehen iHv. 115.000 € aufgenommen. Im Notartermin bestellt DN dem DG eine Briefgrundschuld am neu erworbenen Grundstück in derselben Höhe. Zusätzlich gibt er in dieser Höhe ein abstraktes Schuldversprechen ab und unterwirft sich in einer notariell errichteten Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung. Als es später zwischen DN und DG zum Streit um die Wirksamkeit des Darlehensvertrages kommt und sämtliche Zahlungen eingestellt werden, vollstreckt DG aus der Unterwerfungserklärung gegen DN. Darauf erhebt DN die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO, weil die Ansprüche des DG aus dem Darlehensvertrag mittlerweile verjährt sind.

Materielle Einwendungen gegen den mittels Unterwerfungserklärung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO titulierten Anspruch kann der Vollstreckungsschuldner nach §§ 795 Satz 1, 767 Abs. 1 ZPO geltend machen. § 767 Abs. 1 ZPO erscheint zunächst nicht passend, weil er sich auf Einwendungen bezieht, die aufgrund ihres späteren Entstehens die Rechtskraft eines vollstreckbaren Urteils nicht berühren können, sondern sich nur gegen dessen Vollstreckbarkeit richten. Die Vollstreckungsunterwerfung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) erwächst aber nie in Rechtskraft. Einwendungen richten sich daher stets gegen diese Erklärung selbst als den Vollstreckungstitel und nicht gegen die Vollstreckbarkeit. Dennoch findet § 767 Abs. 1 ZPO analoge Anwendung, um dem Vollstreckungsschuldner eine effiziente Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen.6 Vorliegend kann der Darlehensnehmer dem Anspruch aus § 780 Satz 1 möglicherweise die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung aus §§ 821, 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion), Abs. 2 entgegensetzen. Voraussetzung ist, dass der Rechtsgrund für das abstrakte Schuldversprechen entfallen ist. Das Problem des Falles lag in der Frage, ob der Rechtsgrund des abstrakten Schuldversprechens auch dann entfällt, wenn die im Kausalverhältnis 5 6

Dazu Larenz/Canaris II/2 § 61 I 3 b. BGHZ 185, 133 = NJW 2010, 2041, Tz. 15.

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§ 13 Sonstige Verträge

begründete Forderung nur verjährt ist. Der BGH verneint dies und wendet hier § 216 Abs. 2 Satz 1 analog an: Ist zur Sicherung eines Anspruchs ein Recht verschafft worden, so regelt diese Norm, dass die Rückübertragung dieses Rechts nicht auf Grund der Verjährung des Anspruchs gefordert werden kann (Tz. 18ff.). Zwar ist § 216 Abs. 2 Satz 1 nicht unmittelbar anwendbar, weil das abstrakte Schuldversprechen kein Recht iSd. der Norm darstellt (Tz. 21), doch kommt eine analoge Anwendung in Betracht, weil der Anspruch aus § 780 Satz 1 die Rechtsstellung des Gläubigers in ähnlicher Weise verstärkt und „verdinglicht“ (Tz. 28). Deshalb geht die Kondiktion vorliegend ins Leere und die Vollstreckungsgegenklage ist unbegründet.7 2. Anerkenntnis und Vergleich 1418

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§ 781 regelt das abstrakte Schuldanerkenntnis. Gegenüber § 780 Satz 1 hat die Regelung keine eigenständige Bedeutung. Denn in beiden Fällen entsteht eine abstrakte Verbindlichkeit des Schuldners, unabhängig von dem zugrunde liegenden Schuldgrund. Voraussetzung für das Entstehen der Verbindlichkeit ist jeweils eine vertragliche Einigung zwischen den Parteien und die Wahrung der Schriftform. Darüber hinaus spielt es keine Rolle, ob die abstrakte Forderung durch das Versprechen einer neuen Verbindlichkeit (§ 780) oder in Anerkennung einer bereits bestehenden alten (§ 781) entstanden ist. Größere Bedeutung hat das kausale Schuldanerkenntnis, das häufig auch als deklaratorisches Schuldanerkenntnis bezeichnet wird. Durch dieses vereinbaren die Parteien keine neue abstrakte Forderung, die neben die alte tritt. Vielmehr schaffen sie ein bestehendes Schuldverhältnis um, stellen streitige Fragen wie bei einem Vergleich außer Streit und schaffen damit eine sichere Grundlage für die weitere Vertragserfüllung. Wegen dieser Funktion wird das kausale Schuldanerkenntnis auch als „Feststellungsvertrag“ bezeichnet.8 Seinem Gegenstand nach zielt es nämlich darauf ab, eine infolge Streits oder tatsächlicher Unklarheiten bestehende Rechtslage auf eine für beide Seiten sichere Grundlage zu stellen. Die praktische Rechtsfolge einer solchen Vereinbarung liegt im Einwendungsausschluss.9 Einreden und Einwendungen, die beiden Seiten aufgrund der vormaligen Vereinbarung zustanden, sollen mit dem kausalen Schuldanerkenntnis ausgeräumt werden: (BGH 10.1.1984 – VI ZR 64/82 = NJW 1984, 799)10 Die Kfz-Halter G und S werden am 1.12.1979 in einen Straßenverkehrsunfall verwickelt. Noch am Unfallort gibt G folgende

7 Zustimmend Jacoby JZ 2010, 464; J. Kaiser NJW 2010, 1147f.; MünchKomm/Habersack § 780 Rn. 44; Staudinger/Marburger § 780 Rn. 17. 8 Im Anschluss an von Tuhr, AT, Bd. 3, S. 264f.; Larenz I § 7 IV, S. 94; Marburger, Das kausale Schuldanerkenntnis als einseitiger Feststellungsvertrag, 1971, S. 55ff.; so auch Larenz/Canaris II/ 2 § 61 II 1 b. 9 Medicus/Petersen BR Rn. 774. 10 Vgl. auch BGHZ 66, 250 = NJW 1976, 1259.

I. Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen und Vergleich

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schriftliche Erklärung ab: „Ich erkläre mich hiermit zum allein Schuldigen.“ Beide Beteiligten erklärten der von Dritten herbeigerufenen Polizei, sie wünschten keine Unfallaufnahme. Später verklagt G den S auf Ersatz iHv. 50% seines Unfallschadens.

Im Fall stellte sich im Anschluss an die Entscheidung der Berufungsinstanz die Frage, ob der Kläger mit seiner Erklärung auf den Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG verzichtet hat bzw. die Voraussetzungen des § 9 StVG (Mitverschulden) kraft Vereinbarung festgeschrieben hat. Der BGH versteht unter einem kausalen Schuldanerkenntnis einen Vertrag, der „den in Frage stehenden Anspruch nicht auf eine neue Anspruchsgrundlage hebt, sondern diesen Anspruch unter Beibehaltung des Anspruchsgrundes dadurch verstärkt, daß er ihn Einwänden des Anspruchsgegners gegen den Grund des Anspruchs entzieht“ (S. 799). Dabei werden dem Vertragspartner die Einwendungen und Einreden entzogen, die ihm bei Abschluss des Anerkenntnisses bekannt waren oder „mit denen er zumindest rechnete.“ (S. 799). Ob die Parteien einen solchen Vertrag schließen wollen, beurteilt das Gericht in Anlehnung an die bei einem Vergleich bestehende Interessenlage; es betont in diesem Zusammenhang die Vergleichsähnlichkeit des kausalen Schuldanerkenntnisses (S. 799). Im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 kommt es darauf an, dass die Parteien wie im Fall des § 779 Abs. 1 Satz 1 konkreten Anlass für ein Schuldanerkenntnis hatten. Dies setzt wiederum Streit oder Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis voraus (S. 799). Vorliegend ordnet der BGH die Erklärung des Klägers zunächst eher als Wissenserklärung ein. Es handele sich um eine „Äußerung, mit der der Erklärende unter Verwendung eines (einfachen) Rechtsbegriffs zusammenfassend zum Unfallhergang Stellung nimmt.“ (S. 799). Dafür spricht, dass dem Unfallbeteiligten aus versicherungsvertraglichen Gründen untersagt ist, einen Anspruch anzuerkennen (S. 799). Folgenlos bleibt die Erklärung des Klägers dennoch nicht: Der BGH würdigt sie als Beweismittel für die alleinige Schuld des Klägers (Beweislastumkehr oder „Zeugnis wider sich selbst“). Darin liege ein Ausgleich dafür, dass der Beklagte auf eine Unfallaufnahme durch die Polizei verzichtet habe (S. 799). In späteren Entscheidungen hat die Rechtsprechung eine Beweiserleichterung mit der vom Anerkennenden bewirkten Beweisvereitelung begründet; denn dieser habe eine Beweissicherung durch die andere Seite bzw. die Polizei verhindert.11 Geht man davon aus, kann G gegen S grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 StVG vorgehen. Mangels anderer Beweismittel, der Unfall wurde ja nicht von der Polizei aufgenommen, ist allerdings davon auszugehen, dass der Anspruch nach § 17 Abs. 2 StVG wegen alleiniger Verursachung durch G vollständig ausgeschlossen ist.

Die Kritik wendet ein, dass das Gericht den Interessen der Beteiligten nicht voll gerecht werde. Denn die Würdigung der Erklärung als bloßes Beweismittel könne den Zustand nicht wiederherstellen, der vor der Abgabe der Erklärung bestand. Eine Beweissicherung hätte nämlich uU. noch ganz andere Sachver11

OLG Hamm MDR 1974, 1019; MünchKomm/Habersack § 781 Rn. 33.

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§ 13 Sonstige Verträge

haltselemente zu Tage fördern können (Trunkenheit des Fahrers usw.). Wenn der andere Unfallbeteiligte daher auf eine polizeiliche Unfallaufnahme verzichte, müsse er erwarten können, dass der Erklärende zu seinem Wort stehe, sich also rechtsgeschäftlich binde.12 Eine Schwierigkeit dieser Fälle liegt aber in der Frage, worin genau die Rechtsfolge eines Schuldanerkenntnisses bestehen soll: Bei der Frage der Kausalität oder Schuld in § 823 Abs. 1 bzw. der Verursachung in § 17 Abs. 1 und 2 StVG handelt es sich um Rechtsbegriffe, deren Voraussetzungen keiner Vereinbarung zugänglich sind.13 Zwar können sich die Parteien hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 7 Abs. 1 StVG nach § 779 Abs. 1 Satz 1 vergleichen. Dafür erscheint die Erklärung des Klägers vorliegend aber viel zu unbestimmt. Deshalb liegt es näher, sie wie der BGH im Rahmen der §§ 823 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG im Rahmen der Verschuldensfrage als Beweismittel zu würdigen. Im Anschluss an diese Entscheidung ist neben dem abstrakten und kausalen Schuldanerkenntnis eine dritte Form des Anerkenntnisses in der Praxis entstanden: das tatsächliche Anerkenntnis. (BGH 11.11.2008 – VIII ZR 265/07 = NJW 2009, 580) Verbraucher K erwirbt von Unternehmer V ein gebrauchtes Kfz mit einer Laufleistung von 60.000 km für 27.500 €. Nachdem weniger als 6 Monate und 10.000 gefahrene Kilometer später ein Getriebeschaden auftritt, lässt K das Fahrzeug bei V reparieren und zahlt die von V in Rechnung gestellte Vergütung iHv. 1.071,38 €. Später verlangt er jedoch sein Geld zurück, weil ihm nicht klar gewesen sei, dass ein Nacherfüllungsanspruch bestanden habe. Im Rahmen des Anspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 erster Fall (Leistungskondiktion) stellt sich die Frage, ob K die 1.071,38 € rechtsgrundlos an V geleistet hat. Denn der Abschluss eines Werkvertrags (§ 631) über eine Mängelbeseitigung könnte eine Verkürzung der Verbraucherrechte des K auf Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 bedeuten und nach § 476 Abs. 1 Satz 2 nichtig sein. Denn die Kosten der Nacherfüllung trägt gem. § 439 Abs. 3 V.

Der BGH erwägt vorliegend, ob der Käufer durch die Zahlung einer Vergütung nach § 631 Abs. 1 nicht ein tatsächliches Anerkenntnis geleistet hat.14 Im Gegensatz zum kausalen Schuldanerkenntnis handelt es sich dabei um ein Anerkenntnis, das der Schuldner zu dem Zweck abgibt, dem Gläubiger seine Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen und ihn dadurch etwa von sofortigen Maßnahmen abzuhalten oder ihm den Beweis zu erleichtern. Es handelt sich um ein „Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“, das eine Umkehr der Beweislast bewirken kann, zumindest aber ein Indiz darstellt, das im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist (Tz. 9). Ein solches kann grundsätzlich auch in einer vorbehaltlosen Zahlung liegen. Voraussetzung für die Bejahung eines Anerkenntnisses nach §§ 133, 157 ist aber, dass zur Abgabe eines Anerkenntnisses ein Anlass iSd. § 779 Abs. 1 bestand. Dazu muss der Beglei12 13 14

Larenz/Canaris II/2 § 61 II 2 b. So bereits MünchKomm/Habersack § 781 Rn. 31. Dazu auch BGHZ 66, 250, 254f.

II. Auslobung und Gewinnzusage

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chung der Rechnung ein Streit oder eine Ungewissheit über die Rechtslage vorausgegangen sein (Tz. 11). Dies war aber vorliegend nicht der Fall. Denn Verkäufer und Käufer gingen übereinstimmend von einem Reparaturauftrag und nicht von einem Nacherfüllungsfall aus. In diesem Kontext sollte die Zahlung keine ungeklärten Umstände außer Streit stellen. Ihr kommt daher höchstens Bedeutung im Rahmen der Beweislastverteilung nach § 363 zu (Tz. 12). Ein tatsächliches Anerkenntnis beinhaltete sie nicht. § 779 regelt mit dem Vergleich einen Sonderfall des kausalen Feststellungsvertrages. Anders als das kausale Schuldanerkenntnis beruht dieser auf einem gegenseitigen Nachgeben (Abs. 1 Satz 1).15 Abgesehen davon erscheinen die Unterschiede zum kausalen Schuldanerkenntnis marginal. Auch beim Vergleich wird die alte Anspruchsgrundlage nicht durch eine neue ersetzt, sondern in ihren Voraussetzungen nur auf eine sicherere Grundlage gestellt. Anlass dazu ist regelmäßig der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis. Der Vergleich hat dabei Verfügungscharakter, denn er ändert einen anderen Vertrag ab oder schafft ihn um.16 Unmittelbar regelt § 779 Abs. 1 dabei einen Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als lex specialis gegenüber § 313 Abs. 1:17 Der Vergleich ist danach unwirksam, wenn der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt sich nachträglich als unrichtig erweist und der Streit oder die Ungewissheit über die Rechtslage bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Im Umkehrschluss begründet die Norm einen Einwendungsausschluss: Solange die Parteien vom richtigen Lebenssachverhalt ausgehen, darf eine Seite die ihr im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bekannten Einwendungen nicht mehr geltend machen, soweit sie gerade Vergleichsgegenstand waren.

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II. Auslobung und Gewinnzusage Wer durch öffentliche Bekanntmachung eine Belohnung für die Vornahme einer Handlung, insbesondere für die Herbeiführung eines Erfolges, aussetzt, ist nach § 657 verpflichtet, die Belohnung demjenigen zu entrichten, welcher die Handlung vorgenommen hat, auch wenn dieser nicht mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat. Typische Beispiele sind die Ankündigung einer Belohnung durch Strafverfolgungsorgane,18 der Einladungswettbewerb für Architekten19 oder die Ankündigung eines Preisgeldes bei einer sportlichen Wettbewerbsveranstaltung (dazu sogleich). Die hM. erkennt in der Auslobung im Anschluss an die Vorstellungen des Gesetzgebers20 ein einseitiges Rechtsgeschäft,

15 16 17 18 19 20

Vgl. nur MünchKomm/Habersack § 779 Rn. 1. Larenz I § 7 IV, S. 95. Larenz I § 7 IV, S. 96. MünchKomm/Seiler § 657 Rn. 23. BGH NJW 1984, 1118. Dazu Staudinger/Bergmann § 657 Rn. 10.

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§ 13 Sonstige Verträge

das auf einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung beruht.21 Die Gegenauffassung geht indes von einem Vertrag aus, weil der spätere Belohnungsempfänger seine Handlung in Beziehung zur Auslobung setzen müsse.22 Dies überzeugt indes schon im Hinblick auf den Normwortlaut nicht: Denn die ausgelobte Leistung wird auch fällig, wenn der Aspirant „nicht mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat.“ Dann kann es auf ein Inbeziehungsetzen seiner Handlung auf die Auslobung und erst recht auf die Abgabe einer Willenserklärung nicht ankommen. Auf die Abgrenzung zum Vertrag kommt es vor allem bei Schutzpflichtverletzungen bei Sportwettbewerben an: (BGH 23.9.2010 – III ZR 246/09 = BGHZ 187, 86 = NJW 2011, 139) Reitsportverein V richtete vom 9. bis 11.9.2005 auf der eigenen Anlage ein Reit- und Sprungturnier aus. Dieses annoncierte er in Fachzeitschriften ua. mit folgendem Text: „Es besteht zwischen dem Veranstalter und den Besuchern, Pferdebesitzern und Teilnehmern kein Vertragsverhältnis; mithin ist jede Haftung für Diebstahl, Verletzung bei Menschen und Pferden ausgeschlossen … Der Veranstalter schließt jede Haftung für Schäden aus, die den Besuchern, Teilnehmern und Pferdebesitzern durch leichte Fahrlässigkeit des Veranstalters, seiner Vertreter oder Erfüllungsgehilfen entstehen.“ Am 9.9.2005 startete die Tochter des G, die sich zur Turnierteilnahme bei V gemeldet hatte. Sie nahm mit einem dem G gehörenden Pferd bei einem Sprungwettbewerb der Leistungsklasse „M“ teil. Bei einem Sprung über ein Steilsprunghindernis verfing sich das Pferd in einem sog. Fangständer. Fangständer dienen dazu, das Pferd wie in einem Trichter auf das zu überspringende Hindernis hinzuleiten. Der vorliegende Fangständer erfüllte diese Funktion jedoch nicht, da er niedriger war als das Hindernis und von diesem nicht optisch abgesetzt war. So lud der Fangständer einerseits dazu ein, übersprungen zu werden, war aber andererseits so konstruiert, dass er nicht gefahrlos übersprungen werden konnte. Das Pferd zog sich jedenfalls so schwere Verletzungen zu, dass es letztlich eingeschläfert werden musste. V weist jede Verantwortung von sich: Für den Fangständer seien der Parcourschef und die Schiedsrichter zuständig gewesen; diese würden ihm regelmäßig durch den zuständigen Reitsportverband vorgegeben. G verlangt von V Schadensersatz für das untergegangene Pferd. Zu Recht? In Betracht kommt ein Anspruch des G gegen V aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 661, 657 BGB iVm. den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte.

Der BGH sieht die Ausschreibung eines Reitturniers als Preisausschreibung (§ 661) und damit als Unterfall der Auslobung nach § 657 an (Tz. 11). Das Gericht geht dabei von der analogen Anwendbarkeit der Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte aus (Tz. 13). Die Auslobung sei eigentlich ein einseitiges Geschäft. Wie ein gegenseitig verpflichtender Vertrag könne sie jedoch Dritte in den Schutzbereich mit einbeziehen. Die Gründe nennt das Gericht nicht, doch liegt hier ein Wohl- und Wehe-Verhältnis (Rn. 826ff.) zwischen der am Wettbewerb teilnehmenden Tochter und ihrem Vater, dem Eigentümer des Pferdes, nahe. Die entscheidende Frage lag jedoch darin, ob dem Veranstalter die in der Aufstellung des ungeeigneten Fangstän21 Flume AT-Das Rechtsgeschäft, § 11, 4, S. 140; MünchKomm/Seiler § 657 Rn. 4; Bamberger/ Roth/Kotzian-Marggraf § 657 Rn. 2 (= BeckOK). 22 Staudinger/Bergmann § 657 Rn. 13.

II. Auslobung und Gewinnzusage

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ders liegende, objektive Schutzpflichtverletzung auch auf der Ebene des Vertretenmüssens zugerechnet werden konnte. Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung kommen dabei zunächst nicht in Betracht. Denn die Parcourschefs und Schiedsrichter sind mangels Weisungsunterworfenheit keine Verrichtungsgehilfen des Veranstalters, so dass § 831 Abs. 1 Satz 1 keine Anwendung findet. Deshalb stellte sich die Frage, ob der Veranstalter für das Vertretenmüssen der Parcourschefs und Schiedsrichter als Erfüllungsgehilfen nach § 278 Satz 1 haftet. Dann müsste sich der Veranstalter dieser Personen aber zur Erfüllung einer Verbindlichkeit bedient haben. Das Sich-Bedienen lässt sich vglw. leicht bejahen, obwohl diese Personen ihm durch den Reitsportverband vorgegeben werden; denn der Veranstalter profitiert von ihrem Wirken, weil er damit Startgelder einnimmt und Werbeeinnahmen erzielt. Der BGH bejaht dies ohne weitere Begründung (Tz. 18). Problematischer erscheint es allerdings, ob es zur Verbindlichkeit des Veranstalters iSd. § 278 Satz 1 zählt, den Parcours sicher zu gestalten. Nach § 657 ist der Veranstalter nur zur Belohnung verpflichtet, nicht aber zu einer bestimmten Ausgestaltung des zur Belohnung führenden Verfahrens. Zwar wird man stets einwenden können, dass der Veranstalter die Erlangung der Belohnung nicht treuwidrig durch die Ausgestaltung des Wettbewerbs verhindern darf. Darum geht es aber vorliegend nicht. Vielmehr stellt sich die Frage, ob der Auslobende auch den Weg zur Belohnung so ausgestalten muss, dass Rechtsverletzungen nach § 241 Abs. 2 unterbleiben. Daran wird man aufgrund der Gesamtkonzeption des § 657 als einseitigem Rechtsgeschäft mit begrenzter Verpflichtungswirkung zweifeln dürfen. Näher liegt deshalb die Einordnung des Wettbewerbs als Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Einschlag (§§ 675 Abs. 1, 611): Denn die Teilnehmer entrichten ein Startgelt als Vergütung und dürfen im Gegenzug erwarten, dass der Wettbewerb sicher durchgeführt wird. Dabei tritt ein interessenwahrendes Moment hinzu, weil die Teilnehmer Gefahren wie die vorliegenden mangels Erfahrung mit der Gestaltung der technischen Rahmenbedingungen eines Sprungwettbewerbs nicht erkennen können und sich daher darauf verlassen müssen, dass der Veranstalter einschlägige Sicherheitsvorkehrungen trifft. Der BGH lässt den V hier auf der Grundlage einer Auslobung nach §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 Abs. 2 mit Schutzwirkungen für Dritte haften. Überzeugender erscheint eine Haftung aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 iVm. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkungen für Dritte aus einem Vertrag nach §§ 675 Abs. 1, 611.

Ein Grundlagenproblem der Auslobung berührt ferner die hier aufgeworfene Frage, ob der Veranstalter die Haftung für Schutzpflichtverletzungen nach § 241 Abs. 2 in seiner Ausschreibung ausschließen konnte. Der vorliegende Haftungsausschluss könnte nämlich wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 7 lit. a und b unwirksam sein. Dem Normwortlaut nach erscheint § 309 Nr. 7 (anders als etwa § 309 Nr. 8) nicht auf Verträge beschränkt.23 Doch täuscht dies: Denn 23

Anders wohl Schinkels LMK 2010, 310399.

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§ 13 Sonstige Verträge

ganz grundsätzlich definiert § 305 Abs. 1 den Begriff der AGB als für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Bedingungen, so dass es einer ausdrücklichen Beschränkung des § 309 Nr. 7 lit. a auf Verträge gar nicht bedarf. Schwerer noch wiegt, dass bei der Auslobung als einseitigem Rechtsgeschäft die Verpflichtung des Auslobenden nur so weit reicht, wie er dies will. Der vor allem in § 307 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte Interessenausgleich, der einer unangemessenen Benachteiligung einer Seite auf Kosten der anderen entgegensteht, spielt nämlich bei einem einseitigen Rechtsgeschäft keine Rolle. Denn bei §§ 661, 657 bindet sich allein der Auslobende; mit Hilfe der vorformulierten Bedingungen gestaltet er daher nur die Reichweite dieser Bindung.24 Dies zeigt sich vor allem an § 661 Abs. 2 Satz 2, wonach die Entscheidung des Preisgerichts keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Der Adressat kann sich daher vor der beschränkten Verpflichtungswirkung nur dadurch schützen, dass er auf die Teilnahme verzichtet. Einen gesetzlichen Anspruch auf Erweiterung des vom Auslobenden Versprochenen hat er danach nicht. Die Gegenauffassung stellt hingegen darauf ab, dass durch eine einseitige Willenserklärung zwar eine Verpflichtung iSd. § 657 begründet, nicht jedoch eine daran anknüpfende Haftung ausgeschlossen werden könne.25 Es fällt in diesen Konstellationen schon gedanklich schwer, zwischen einem von vornherein beschränkten, einseitigen Verpflichtungswillen und einer nachträglichen Haftungsbeschränkung zu unterscheiden. Erkennbar will diese Auffassung nur die bekannten Lücken im System des Deliktsrechts schließen (Ersatz von primären Vermögensschäden, die nicht nach § 823 Abs. 1 liquidierbar sind, Anwendung des § 278 Satz 1 dort, wo § 831 Abs. 1 eine Lücke hinterlässt). Der BGH begründet das Fehlschlagen des Haftungsausschlusses damit, dass neben das durch die Auslobung begründete Schuldverhältnis eine vertragsähnliche Sonderverbindung zwischen Veranstalter und Teilnehmer trete, die der Veranstalter nicht ohne Weiteres durch seine AGB in ihren Rechtsfolgen einschränken könne (Tz. 24). Diese Argumentation erinnert an die Lehre vom Schutzpflichtverhältnis, wonach zwischen den Vertragsparteien ein den Vertrag vorbereitendes und begleitendes Sonderrechtsverhältnis entsteht und unabhängig neben diesem verläuft; dies stellt in der Rechtsprechung des BGH eine Novität dar (zur Kritik Rn. 1323 und Rn. 7ff.).26 Der Fall zeigt hingegen deutlich, dass dort, wo die Teilnehmer vom Veranstalter nicht nur eine Belohnung, sondern eine sorgfältige Durchführung des Wettbewerbs erwarten, keine Auslobung, sondern eine echter Vertrag vorliegt. Geht man hier von einem Vertrag nach §§ 675 Abs. 1, 611 aus, sind die Verbote nach § 309 Nr. 7 lit. a und b anwendbar. Dies erspart undurchsichtige dogmatische Konstruktionen und wird der Interessenlage der Beteiligten wohl eher gerecht.

24 25 26

Staudinger/Schlosser § 305 Rn. 10. Schinkels LMK 2010, 310399. Kritisch auch Schinkels LMK 2010, 310399.

II. Auslobung und Gewinnzusage

1087

Fraglich war vorliegend auch, ob sich der Halter des Pferdes die nach § 833 Satz 1 unwiderleglich vermutete Tiergefahr analog § 254 Abs. 1 zurechnen lassen musste. Dabei wendet der BGH zunächst den Rechtsgedanken des § 334 an: Wenn die Tochter sich die Tiergefahr zurechnen lassen musste, gilt dies auch für den Vater, der seine Rechte als Dritter über die Tochter ableitet (Tz. 29). Allerdings ist hier ebenso der Rechtsgedanke des § 840 Abs. 3 zu beachten: Wenn die eine Seite aus Verschulden haftet, braucht die andere Seite sich nach dem Privilegierungszweck der Norm nicht die Tiergefahr anspruchsmindernd entgegenhalten zu lassen (Tz. 31).

Nach § 661a hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Der Gesetzgeber will mit der Norm ein wettbewerbsrechtliches Problem lösen: In einem Sonderfall der getarnten Werbung (§ 5a Abs. 6 UWG) soll der Werbende „beim Wort“ genommen werden:27 Denn hier wird der Adressat mit einem vermeintlichen Gewinn geködert, um seine Aufmerksamkeit für eine Werbebotschaft zu gewinnen. Dieses Täuschungsmanöver soll dem Werbetreibenden nicht gefahrlos möglich sein. Schwer haltbar ist daher die Auffassung, der Anspruch auf den Preis beruhe auf einer vertraglichen Einigung.28 Denn bereits ein objektiver Beobachter in der Position des Unternehmers geht nach §§ 133, 157 nicht von einem Antrag des Verbrauchers auf Vertragsschluss aus, wenn dieser sich auf die „Benachrichtigung“ hin meldet. Bestenfalls fordert ein solcher Verbraucher ja nur einen Preis ein, der ihm bereits aufgrund eines Rechtsverhältnisses nach § 661 angeblich zusteht. In aller Regel dürfte aber auch der Verbraucher die Situation durchschauen, insbesondere, wenn er sich nie an einem Preisausschreiben iSd. Benachrichtigung beteiligt hat. Der BGH ordnet daher die Gewinnmitteilung zu Recht als geschäftsähnliche Handlung ein.29 In der Sache begründet die Norm jedoch einen gesetzlichen Anspruch eigener Art: Der Verbraucher sanktioniert das wettbewerbliche Fehlverhalten des Werbetreibenden iSd. des zugrunde liegenden Marktordnungsinteresses, indem er diesem gegenüber den Scheingewinn durchsetzt. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob er die Werbeabsichten des Unternehmens im konkreten Fall durchschaut. (BGH 19.2.2004 – III ZR 226/03 = NJW 2004, 1652) V ist Kundin des in den Niederlanden ansässigen Unternehmens U. U lässt V über eine „General-Advokatur“ die Aufforderung zustellen, einen Gewinn iHv. rund 10.000 € abzüglich einer Depotgebühr iHv. rund 40 € abzurufen. Dabei wurde V auch aufgefordert, ein beiliegendes Angebot anzusehen und Ware von V anzufordern. Später erhält V zudem die Zweitausfertigung eines auf ihren Namen lautenden „offiziellen Einkommens-Bescheides“ und einen Gewinn-Abrufschein. Nachdem V den Gewinn angefordert hat, zahlt U nicht. Im Klageverfahren haben die Parteien deutsches Recht gewählt. 27 BT-Drucks. 14/3195, S. 34; auf das Zitat weist bereits BGH NJW 2004, 1652, 1653 hin; vgl. auch MünchKomm/Seiler § 661a Rn. 1; zur Entstehungsgeschichte vgl. auch Staudinger/Bergmann § 661a Rn. 1ff. 28 Staudinger/Bergmann § 661a Rn. 18. 29 BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230, 232.

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§ 13 Sonstige Verträge

Das Problem des Falles lag in der Frage, ob der Unternehmer der Verbraucherin eine Gewinnzusage iSd. § 661a unterbreitet hatte. Nach Auffassung des BGH genügt es, „dass aus objektivierter Empfängersicht der Eindruck eines Preisgewinns erweckt wird. Die Zusendung muss – nach Inhalt und Gestaltung – abstrakt geeignet sein, bei einem durchschnittlichen Verbraucher in der Lage des Empfängers den Eindruck zu erwecken, er werde einen – bereits gewonnenen – Preis erhalten“ (S. 1653). In gewissem Widerspruch dazu steht die Folgeüberlegung, dass der konkrete Adressat dem Schreiben nicht Glauben schenken müsse. Eine Mitteilung liege danach auch vor, wenn der Verbraucher im Einzelfall den Werbecharakter durchschaue (S. 1653). Geht man vom Zweck des § 661a aus, eine wettbewerbsrechtliche Ordnungsidee mit Hilfe zivilrechtlicher Ansprüche durchzusetzen, dürfte es insgesamt nur darauf ankommen, dass der Unternehmer mit der erfolgreichen Teilnahme an einer Preisausschreibung iSd. § 661 wirbt. Dann darf der Verbraucher ihn beim Wort nehmen (S. 1653) und sein Verhalten sanktionieren, indem er den Preis einfordert. III. Die Gastwirtshaftung 1426

Die Haftung des Gastwirts nach §§ 701ff., die in ihrer heutigen Fassung auf ein Übereinkommen des Europarates vom 17.12.1962 zurückgeht,30 hat ihren Ursprung in der römisch-rechtlichen Haftung für das sog. receptum nautarum cauponum stabulariorum. Danach unterlagen Schiffer, Herbergs- und Stallwirte einer besonderen Haftung, die so erklärt wird:31 Aus Misstrauen in die Vertreter dieses Berufsstandes, denen die Reisenden gezwungenermaßen ihr mitgeführtes Vermögen anvertrauen mussten, seien diese ursprünglich zur Abgabe ausdrücklicher Garantien verpflichtet gewesen, die man in einem späteren Stadium der Rechtsentwicklung regelmäßig als konkludent vereinbart angesehen habe. Diese Erklärung erinnert deutlich an die pseudo-rechtsgeschäftliche Begründung der Garantieverantwortung des Schuldners auch in anderen Fällen (vgl. zu § 536a Rn. 865 sowie allgemeiner Rn. 3f.). Nicht ohne Grund steht diese Haftung in engem Bezug zur Action of Assumpsit, aus der das moderne anglo-amerikanische Leistungsstörungsrecht entstanden ist (Rn. 2).32 Der BGB-Gesetzgeber hat das Institut allerdings allein für Gastwirte übernommen, was nicht ganz widerspruchsfrei erscheint. Erklärt wird die strenge Haftung heute aus der Beweisnot des Gastes, der in die unternehmerische Binnenorganisation des Gastwirts keinen Einblick habe und deshalb keinen Beweis über die Ursachen für den Verlust bzw. den Untergang seines Eigentums führen könne.33 Ähnliche Überlegungen ließen sich aber für jedes Verwahrungsverhältnis anstellen; im Verwahrungsrecht aber wird nur bei Vertretenmüssen geBGBl. II 1966, S. 269. P. Koch VersR 1966, 705; Mayer-Maly, Römisches Recht, 2. Aufl. 1999, S. 161. Zimmermann, in: FS Canaris 2007, S. 1435, 1444. P. Koch VersR 1966, 705; Zimmermann, in: FS Canaris, 2007, S. 1435f.; MünchKomm/ Henssler § 701 Rn. 1; Staudinger/Werner Vorbem zu §§ 701ff. Rn. 4. 30 31 32 33

III. Die Gastwirtshaftung

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haftet. Geht man vom heute herrschenden Normverständnis aus, beruht die verschuldenslose Haftung aus § 701 Abs. 1 auf einer gesetzlichen Garantiehaftung,34 nicht aber auf einer Haftung für einen erlaubten Gefahrenbetrieb (Gefährdungshaftung; zur Bedeutung des Unterschiedes noch unten Rn. 1429).35 Nach § 701 Abs. 1 hat ein Gastwirt, der gewerbsmäßig Fremde zur Beherbergung aufnimmt, den Schaden zu ersetzen, der durch den Verlust, die Zerstörung oder die Beschädigung von Sachen entsteht, die ein im Betrieb dieses Gewerbes aufgenommener Gast eingebracht hat. Die Haftung betrifft nicht sämtliche Wirte, sondern, wie der Wortlaut des § 701 Abs. 1 unmissverständlich zum Ausdruck bringt, nur Beherbergungswirte: Bei der Entwendung eines Pelzmantels in einem Speiselokal haftet daher der Gastwirt nur nach allgemeinen Regeln, also für Vertretenmüssen.36 Fraglich ist, ob der Reiseveranstalter iSd. § 651a Abs. 1 gem. § 701 Abs. 1 für die Vorkommnisse bei seinen Leistungsträgern iSd. § 651h Abs. 1 Nr. 2 haftet: (LG Frankfurt 6.6.1983 – 2/24 S 326/82 = NJW 1983, 2263) R hat eine Pauschalreise bei V nach Gran Canaria in das Hotel des Leistungsträgers L gebucht. In dem von V herausgegebenen Reiseprospekt (Katalog) wird den Gästen empfohlen, Wertgegenstände im hoteleigenen Safe aufzubewahren. Dorthin verbringt auch R ihre Wertgegenstände (Wert: 1.250 €). In das Zimmer dringen später Diebe ein, die den Tresor aus der Wand hebeln und mitnehmen. Ein Vertretenmüssen des L oder V liegt nicht vor. R verlangt von V Schadensersatz iHv. 1.250 €. Der Anspruch des R gegen V aus § 651f Abs. 1 (§ 651n Abs. 1 RefE-Reiserecht) scheitert hier am mangelnden Vertretenmüssen des V; eine Zurechnung nach §§ 278 Satz 1, 651h Abs. 1 Nr. 2 geht ebenfalls ins Leere, weil es an einem Vertretenmüssen des L fehlt.

Das LG bejaht jedoch einen Anspruch aus § 701 Abs. 1 mit der an § 651a Abs. 2 (§ 651b RefE-Reiserecht) orientierten Überlegung, der Reiseveranstalter schulde die Beherbergung des Reisenden als eigene Leistung und vermittele diese nicht. Deshalb sei er selbst auch der Beherbergende. Die §§ 651aff. verdrängten den Anspruch aus § 701 Abs. 1 nicht (S. 2263). Überzeugender erscheinen indes die Argumente der Gegenansicht:37 Danach treffen die §§ 651aff. eine abschließende Regelung über die Leistungsstörungen bei einem Reisevertrag; der Mangelbegriff des § 651c Abs. 1 umfasst ja gerade aus diesem Grund auch die Unmöglichkeit, den Verzug usw. (zu den Gründen vgl. Rn. 1208; jetzt ausdrücklich § 651i Abs. 2 Satz 3 RefE-Reiserecht). Deshalb bleibt für eine konkurrierende Anwendung des § 701 Abs. 1 beim Reisevertrag kein Raum. Hinzu tritt eine weitere Überlegung: Würde auf den vorliegenden Fall deutsches Recht Anwendung finden, könnte der Gast gegen zwei Schuldner aus § 701 Abs. 1 vorgehen: den Veranstalter und den Hotelier. Denn für die Haftung des Gastwirtes kommt es ja nicht darauf an, dass der Gast mit diesem einen Vertrag ge34 P. Koch VersR 1966, 705, 709; Werner Jura 1971, 539, 542; MünchKomm/Henssler § 701 Rn. 4; differenzierend: Staudinger/Werner Vorbem zu §§ 701ff. Rn. 5. 35 BGHZ 32, 149, 150f. 36 Vgl. BGH VersR 1980, 460. 37 LG Berlin NJW 1985, 144, 145; im Ergebnis ebenso MünchKomm/Henssler § 701 Rn. 11.

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§ 13 Sonstige Verträge

schlossen hat (dazu sogleich). Als Gastwirt erscheint daher allein diejenige Person, die in Inhaberschaft des Hausrechts den Gast und seine Sachen in ein Gebäude aufnimmt. Dies ist beim Reiseveranstalter nicht der Fall. Das zentrale, die Haftung begründende Tatbestandsmerkmal liegt im Einbringen der Sachen (Abs. 2). Davon ist nach dem etwas umständlichen Normwortlaut auszugehen, wenn Sachen in der Zeit der Beherbergung des Gastes in die Gastwirtschaft oder einen sonstigen Ort gebracht werden, der von dem Gastwirt oder dessen Leuten angewiesen wurde oder der von dem Gastwirt allgemein hierzu bestimmt ist. Hinzu tritt der Fall, dass die Sache sonst vom Gastwirt oder dessen Leuten außerhalb der Gastwirtschaft in Obhut genommen wurde (Nr. 1). Ein Einbringen liegt auch bei einer Inobhutnahme durch den Gastwirt oder seine Leute innerhalb der Gastwirtschaft vor (Nr. 2). Das Tatbestandsmerkmal „dessen Leute“ steht – historisch gesehen – für eine dogmatische Vorstufe der Erfüllungsgehilfenhaftung, wie sie auch in § 428 HGB begegnet. Ihm fehlt der in § 278 Satz 1 vorausgesetzte Bezug „zur Erfüllung einer Verbindlichkeit.“38 Diesen Zusammenhang stellt allerdings § 701 Abs. 2 Satz 2 her: Danach setzt die Verantwortung des Gastwirts voraus, dass diese Leute dazu bestellt oder nach den Umständen als dazu bestellt anzusehen waren. Die Haftung setzt kein Vertretenmüssen des Gastwirts voraus (arg. e contrario e § 702 Abs. 2) und scheidet bei höherer Gewalt aus (§ 701 Abs. 3; zu diesem Begriff vgl. bereits Rn. 1232). Die Haftung umfasst nicht Fahrzeuge, Sachen, die in einem Fahrzeug belassen werden, sowie Tiere (§ 701 Abs. 4) und kann nach § 702 Abs. 1 im Falle fehlenden Verschuldens auf das Hundertfache des Beherbergungspreises beschränkt werden; sie umfasst höchstens 3.500 €. Die Geltendmachung erfordert eine sofortige Anzeige durch den Gast (§ 703 Satz 1), es sei denn der Gastwirt habe die Sache zur Aufbewahrung übernommen oder den Verlust oder die Beschädigung zu vertreten (§ 703 Satz 2). (BGH 4.4.1960 – III ZR 91/59 = BGHZ 32, 149 = NJW 1960, 1199) Gast G hat eine Armbanduhr im Wert 7.000 € in seinem Hotelzimmer bei Hotelier H auf dem Tisch liegen lassen. Als ein unbekannter Dieb nachts einbricht, wird die Uhr entwendet. G ist nur bereit, 1.750 € zu erstatten und begründet dies so: Seine Haftung sei nach § 702 Abs. 1 auf 3.500 € beschränkt. G aber treffe ein hälftiges Mitverschulden am Vorfall, so dass dieser Betrag zu halbieren sei. G hingegen fordert die vollen 3.500 €.

In seiner früheren Fassung beinhaltete § 701 Abs. 1 noch eine Einschränkung für den Fall, dass der Schaden allein vom Gast verursacht wurde. Die Einschränkung ist zwar in dieser ausdrücklichen Form entfallen, gilt aber nach hM. dennoch aufgrund § 701 Abs. 3 weiter fort. Denn der Gastwirt kann dem Gast nicht für einen Umstand einstehen, der allein der Steuerung des Gastes unterliegt.39 Hier liegt allerdings kein alleiniges Verschulden des Gastes vor. In Betracht kommt allenfalls ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 Satz 1 analog, das im Rahmen des § 701 Abs. 3 berücksichtigt werden kann: Zwar setzt die 38 39

MünchKomm/Henssler § 701 Rn. 23. MünchKomm/Henssler § 701 Rn. 29; Staudinger/Werner § 701 Rn. 66.

III. Die Gastwirtshaftung

1091

Haftung des Gastwirts kein Verschulden voraus, so dass § 254 nicht unmittelbar passt. Die Norm erscheint jedoch als Ausdruck eines allgemeinen, über § 242 geltenden Rechtsgedankens, der auch im Rahmen verschuldensloser Haftungstatbestände gilt (vgl. etwa § 9 StVG). Nach Auffassung des BGH kommt hier eine hälftige Schadensteilung in Betracht. Mit Blick auf die zentrale Fallfrage nach der Reihenfolge der Schadenskürzung nach § 254 Abs. 1 Satz 1 und der Kappung der Schadenshöchstgrenze nach § 702 Abs. 1 bemüht das Gericht die Ähnlichkeit der Haftung aus § 701 Abs. 1 zu der aus § 7 Abs. 1 StVG: Der Gastwirt hafte nämlich für die „Betriebsgefahr“. Deshalb sei wie im StVG zunächst der Mitverschuldensanteil (§ 9 StVG) zu berücksichtigen und bei dem so berechneten Schaden die Kappung auf einen Höchstbetrag (§ 12 StVG) vorzunehmen. Auch wenn man – wie hier – von einer gesetzlichen Garantiehaftung ausgeht (Rn. 1426), verhält sich die Reihenfolge nicht anders. Denn die in § 702 Abs. 1 vorausgesetzte Bemessungsgrundlage muss zunächst nach schadensrechtlichen Prinzipien festgestellt werden, bevor eine Kappung erfolgen kann. Deshalb muss der Schaden zunächst unter Berücksichtigung des § 254 Abs. 1 Satz 1 ermittelt und dann nach § 702 Abs. 1 gedeckelt werden. Deshalb führt der hälftige Mitverschuldensanteil des G im Fall zu einer Kürzung des Schadens auf 3.500 €. Dieser entspricht gerade dem Höchstbetrag der Haftung und ist daher zu ersetzen.

Der Anspruch aus § 701 Abs. 1 setzt keinen Vertragsschluss zwischen Gast und Gastwirt voraus, sondern stellt einen gesetzlichen Anspruch eigener Art dar. Deshalb haftet der Gastwirt jedem Gast, nicht nur jedem Vertragspartner, auf den vollen Höchstbetrag nach § 702 Abs. 1.40 Aus diesem Grund kann neben die Haftung nach § 701 Abs. 1 eine eigene Haftung aus dem Beherbergungsvertrag treten. Dabei handelt es sich um einen gemischten Vertrag, in dem mietrechtliche Elemente neben kauf-, werk- und verwahrungsvertragliche Elemente treten.41 So kommt etwa jenseits von § 701 Abs. 4 eine Haftung des Gastwirts für ein auf dem Hotelparkplatz abgestelltes Fahrzeug nach Verwahrungsrecht in Betracht (Rn. 769).

40 41

BGHZ 63, 65 = NJW 1974, 1818, 1820. MünchKomm/Henssler § 701 Rn. 6; Staudinger/Werner Vorbem zu §§ 701ff. Rn. 7.

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Paragraphenverzeichnis Die Verweise beziehen sich auf Randnummern. Hauptfundstellen sind kursiv gesetzt.

AGG § 19 § 20 § 21 AnfG §4 BGB § 119 – Abs. 1 – Abs. 2 § 123 § 138 – Abs. 1 – Abs. 2 § 139 § 140 § 141 § 166 § 172 § 174 § 179 § 180 § 182 § 185 § 199 § 200 § 203 § 212 § 215 § 229 § 231 § 241a § 249 § 251 § 254 § 262 § 267 § 269

814, 915 814 914ff.

760, 894

30, 1141 478, 1141, 1255 479, 809, 1141, 1254 siehe Sittenwidrigkeit 604 1089 897 611, 1132 257, 447, 728 1352 1391 561, 1064 1189 1387 1157, 1387 1147, 1312 891 461, 1400 1128 1128 980 981 137f. 364ff. 188, 861, 1108, 1114f. 359, 1429 169f. 65 182ff.

§ 270 § 271 § 273 § 275 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 § 276 § 277 § 278 § 281 – Abs. 1 S. 1 – Abs. 1 S. 3 – Abs. 2 § 282 § 284 § 285 § 286 § 287 S. 2 § 304 § 305 § 305c – Abs. 1 – Abs. 2 § 306a § 307 – Abs. 1 S. 1

– Abs. 1 S. 2

1337 642 1397 73ff. 75ff., 904 1093 siehe Vertretenmüssen 273, 309f., 758 siehe Erfüllungsgehilfenhaftung 335ff., 863, 1114 362ff. 344 390 392ff., 883ff. siehe Surrogat siehe Verzug 977, 984, 1078 1173 1424 440, 660, 848, 937, 1360, 1362, 1365 427, 434, 615, 816, 918, 941, 1013, 1171, 1367 1034 siehe Inhaltskontrolle 69, 427f., 435, 520, 615, 619f., 677, 713, 721, 723, 733, 737, 748, 842, 897ff., 912, 941, 950ff. 954f., 959, 1012f., 1022f., 1028, 1034, 1038, 1171, 1193, 1263, 1338, 1351, 1363f., 1396, 1398, 1424 473, 918, 935, 950, 1263, 1367

1094 – Abs. 2 Nr. 1

– Abs. 2 Nr. 2 – Abs. 3

§ 308 § 309 – Nr. 7 – Nr. 8 – Nr. 9 § 310 – Abs. 3 Nr. 3 § 311 – Abs. 2 – Abs. 3 § 311a Abs. 2 § 311b § 312 § 312a § 312b § 312c

§ 312i § 312j § 313 – Abs. 2 § 314 – Abs. 3 § 315 § 320 § 323 – Abs. 2 Nr. 1 – Abs. 2 Nr. 2 – Abs. 2 Nr. 3 – Abs. 4 – Abs. 5 S. 1 – Abs. 5 S. 2 § 324

Paragraphenverzeichnis

24, 69, 430, 662, 749, 816, 897, 911, 1022, 1028, 1363 25, 435, 661 97, 112, 427, 482, 615, 617ff., 1023, 1034, 1150,1338, 1363f. 1133 413, 429, 434, 910, 1193, 1230, 1424 434, 460, 723, 1133, 1424 1012, 1038 1132a 898 siehe c.i.c. 1064, 1304, 1316, 1326 382ff., 873ff., 1101, 1112, 1211 110, 147 555, 561ff., 564, 571 577, 1338 538ff., 540, 560ff., 565 siehe AGAV-Widerruf 540, 548, 564, 571, 572ff. siehe Fernabsatzwiderruf 576, 578 577 75f., 480ff., 612, 1038, 1093 482, 612f. 1010 615ff. siehe Zurückbehaltungsrecht 247 254f. 255ff. 195, 264, 382, 478, 874. 1113 243ff. 87, 201, 237, 236ff., 252 221, 255, 321

§ 325 § 326 § 328 § 331 § 334 § 335 § 346 – Abs. 1 – Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – Abs. 2 S. 2 Nr. 2 – Abs. 2 S. 2 Nr. 3 – Abs. 2 S. 2 – Abs. 3 S. 1 Nr. 1 – Abs. 3 S. 1 Nr. 2 – Abs. 3 S. 1 Nr. 3 – Abs. 3 S. 2 – Abs. 4 § 347 – Abs. 1 – Abs. 2 § 355 § 356 § 356e § 357 § 357a § 357b § 357c § 357d § 358 – Abs. 1 und 2 – Abs. 3 – Abs. 4 S. 5 § 359 § 360 § 361 § 362 § 363 § 364 § 365 § 377 § 393 § 399 § 406 § 418 § 421 § 425 § 426

360ff. 263, 266, 485f., 621 siehe Vertrag zugunsten Dritter 639 1424 1189 232ff. 277, 282ff. 292ff. 300 301ff. 285ff., 553, 1257 305 306ff. 309ff. 321 315ff. 296ff. 317ff. 538ff. 538, 540, 542, 545, 547, 567 1090 543ff., 547ff. 663, 665, 673 582 706 1090, 1125a 663ff. 654ff. 665f. 653ff., 663ff., 735 667f. 539 siehe Erfüllung 86, 90, 138, 161, 210, 251, 718 siehe Inzahlungnahme 426 1346 1402ff. 589f., 724, 1021 591 1405 1411 696, 1047, 1372 1411

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Paragraphenverzeichnis

§ 433 – Abs. 1 – Abs. 1 S. 2 – Abs. 2 § 434 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 § 435 § 437 Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3 § 438 § 439 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 – Abs. 4 – Abs. 5 § 440 § 442 § 443 § 444 § 445 §§ 445af. § 446 § 447 § 453 § 454 § 456 § 463 § 475 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 – Abs. 4 – Abs. 5 – Abs. 6 § 476 – Abs. 1 S. 1 – Abs. 1 S. 2 – Abs. 2

54ff. 54ff. 56 484ff., 501 siehe Sachmangel 127ff., 1181 132ff. 146ff. 168ff. 232ff., 322ff. 329ff., 392ff. 457ff. 168ff. 228ff. 179ff. 187ff. 221, 224f., 227a, 293, 314, 248, 250ff. 112, 436ff., 443ff., 450f. 423ff. 429ff., 443ff., 450f. 442, 443ff., 450f. 502ff. 80ff., 487f. 93f.; 489ff. 65ff., 584ff. 528 529 531ff. 245, 419a 93, 224, 267, 386, 419a, 489f. 221, 223ff., 228, 293, 303, 440, 442, 494 182, 191, 248, 514 248 184ff., 228 177, 247, 259, 413, 420, 429ff., 490, 522 65, 111f., 210, 416f., 420, 423, 432 57, 111, 460, 519

§ 477 § 478 § 480 § 481 § 488 § 491 Abs. 3 S. 2 § 492 § 492a § 494 § 495 § 498 § 502 § 504 §§ 505aff. § 506 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 § 507 § 508 § 509 § 510 § 512 § 513 § 514 § 515 § 516 § 517 § 518 § 521 § 523 § 524 § 528 § 529 § 530 § 535 – Abs. 1 – Abs. 2 § 536 § 536a Abs. 1 erster Fall Abs. 1 zweiter Fall Abs. 1 dritter Fall Abs. 2 § 536b § 536c § 537

161ff., 190, 210f. 213f., 228, 373, 502, 523, 578a 502f., 522ff., 526 535ff. 579ff. 599ff. 644ff. 562 651f. 644, 668 652 663ff. 692, 750 633ff., 636 652a 652bf. 693ff. 744ff. 702ff. 702 703ff. 689 706f. 647, 692, 696f. 648ff. 663a 663a 771ff. 773 785, 786ff. 761, 785 785 761, 785 760, 785, 792f. 794, 794 785, 795 802ff. 815ff. 917ff. 833ff. 864ff. 876ff. 879 880ff. 839, 841a, 909f. 838, 841a, 858, 861f., 909f. 921

1096 § 539 § 540 – Abs. 1 S. 1 – Abs. 1 S. 2 – Abs. 2 § 543 – Abs. 2 S. 1 Nr. 1

Paragraphenverzeichnis

881f., 887 827ff., 961, 977 922 827

851, 856, 883, 888, 897 – Abs. 2 S. 1 Nr. 2 963ff. – Abs. 2 S. 1 Nr. 3 1002ff., 1005ff. – Abs. 3 1011 § 546 976ff. § 546a 20, 747, 977 § 548 – Abs. 1 966ff. – Abs. 2 890ff. § 549 899 § 550 807ff. § 551 928ff. § 553 827ff. § 555a 969 § 555c 969 § 555d 972 § 555e 971 § 556 – Abs. 1 933ff. – Abs. 2 937ff. – Abs. 3 S. 1 941 – Abs. 3 S. 3 bis 5 944ff. § 556b 859, 1002 § 557a 897 § 558 918ff. § 559 971, 1004, 1007 § 560 – Abs. 4 938 § 562 894, 923ff. § 563 825 § 565 894 § 566 807, 893ff., 987 § 566a 932 § 571 977 § 573 983ff. Abs. 1 983 Abs. 2 Nr. 1 963ff., 984ff., 1005ff. Abs. 2 Nr. 2 986ff. Abs. 2 Nr. 3 997ff. § 573a 1000 § 573c 897 § 575 897, 900

§ 577 – Abs. 1a § 577a – Abs. 1a § 578 Abs. 2 § 581 § 598 § 599 § 603 § 607 § 611 § 612 § 613 § 614 § 615 § 616 § 618 § 621 § 626 § 627 § 628 § 630a – Abs. 2 § 630b § 630h – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 – Abs. 4 – Abs. 5 S. 1 – Abs. 5 S. 2 § 631 – Abs. 1 – Abs. 2 § 632 § 632a § 634 Nr. 1 § 634 Nr. 2 § 634 Nr. 3 § 634 Nr. 4 § 634a § 635 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 § 637 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3

901f. 989 902 990 siehe Geschäftsraummiete 1015ff. siehe Leihe 758, 762 756 708ff. 1019ff. 1022 1020f. 694, 1022 1025 1026 866, 1027 1028 1036ff. 1029ff. 1033ff., 1051 1060ff. 1066 1060 1073ff. 1076ff., 1069 1062, 1066 1065ff. 1069, 1072a 1084ff. 1092ff., 1147ff. 1084ff. 1151f. 1135, 1153 1095ff. 1106ff. 1110f. 1112ff. 1126ff. 1104 1105 1108 1106 1108f. 1107 1106

1097

Paragraphenverzeichnis

§ 640 – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 § 641 – Abs. 3 § 642 § 643 § 644 Abs. 1 S. 1, 2 § 644 Abs. 1 S. 3 § 645 § 646 § 647 § 648 – S. 1 – S. 2 – S. 3 § 648a § 649 § 650 § 650a § 650b-c § 650e § 650f § 650e § 650h § 650i § 650j § 650l § 650m § 650p-s § 650t § 650u § 650v § 651a – Abs. 1 – Abs. 2 § 651c – Abs. 1 – Abs. 2 – Abs. 3 § 651d § 651e § 651f – Abs. 1 – Abs. 2 § 651g – Abs. 4 § 651h

1130, 1138ff., 1142 1096, 1139, 1146a, 1153 1113, 1114, 1130f. 1119f. 1171ff., 1153 1175 1164 1170 1164ff. 1142 1155ff. 1121f., 1125 1123f. 1124 235, 1125 1147, 1151 1176ff. 1132 1132 1160ff. 1153, 1163 1146a 1125b 1090 1098 1090 1120, 1153 1136a 1097, 1136a 1134, 1136a 1153 1186ff. 1197ff. 1205ff. 1204, 1209 1210 1211ff. 1214ff. 1221ff. 1225ff. 1229 1153 1193f.

§ 651i § 651j § 651k § 651l § 652 § 654 § 656 § 657 § 661 § 661a § 662 § 664 § 665 § 666 § 667 § 670

§ 675 – Abs. 1 – Abs. 2 § 675c § 675f – Abs. 5 § 675j § 675l § 675p § 675u § 675v – Abs. 1 – Abs. 2 § 675x § 675y §§ 683, 684 § 687 § 688 § 690 § 700 § 701 § 705 § 708 § 723 § 762

1231 1232f. 1234 1202 1247ff. 1264f., 1299 1272ff. 1423 1423f. 1425 754 1020, 1077 1281 1281f., 1342 1283 65, 228, 230, 754, 888, 933, 938f., 956, 958, 1109, 1150, 1192, 1210, 1241, 1284ff., 1342f., 1344f., 1347, 1354, 1389, 1391, 1395, 1404, 1407f. 1276ff. 1314 1335ff. 1339 1342, 1351 1347f. 1355 1342, 1356 1349 1347ff., 1354f. 1346 1342 siehe Geschäftsführung ohne Auftrag 830 19, 769f. 19, 754, 758, 758, 761, 763, 769f. 638 769, 1426ff. siehe Gesellschaft bürgerlichen Rechts 763 1037f. 1275

1098 § 765 – Abs. 1 – Abs. 2 § 766 § 767 – Abs. 1 S. 1 – Abs. 1 S. 3 § 768 – Abs. 1 – Abs. 2 § 770 – Abs. 1 – Abs. 2 § 771 § 774 § 776 § 779 § 780 § 781 § 793 § 807 § 808 § 812 – Abs. 1 – Abs. 2 § 814 § 816 § 817 § 818 – Abs. 3 § 821 § 822 § 823

§ 826 § 833 § 862 § 906 § 908 § 952 § 985

Paragraphenverzeichnis

1358ff. 1359 1384ff. 1394 1361ff. 1395ff. 1400 1401 1402ff. 1392f. 1409ff., 1412ff. 1406f., 1412f. 1421f. 1351, 1414ff. 1418 69 69 642 siehe Bereicherungshaftung 1414f. 633, 841, 1003, 1035 760, 829 607f., 798, 1089 609f. 1397, 1417 760 88, 117, 156, 212, 338, 373, 496f., 499, 545, 556, 632, 743, 755, 761ff., 765, 826, 831, 855, 871ff.; 916, 928, 962, 966f., 980, 1065, 1067, 1073ff., 1090, 1114f., 1129, 1165, 1223, 1316, 1320, 1323, 1332 154, 447, 855, 1325 762, 1424 975a 852 974 638, 642 330

§ 988 §§ 989, 990 § 1000 § 1004 § 1098 § 1143 § 1184 § 1192 § 1257 § 1357 § 1835 Abs. 3 § 2301

760 330, 828, 1155 830a, 1155 961, 964, 974f. 531f. 1412f. 1160 625 1156 1190 402, 784, 1109 640f., 787ff.

BImSchG § 22 Abs. 1a S. 1

852, 964

BRAO §1 § 3 Abs. 1 § 43 § 43a § 49b

1040 1040 1042 1042, 1049 1041, 1044

EAEG §4

931, 1265, 1290

FluggastrechteVO

1235ff.

GG Art. 2 Art. 3 Art. 4 Art. 5 Art. 6 Art. 9 Abs. 3 Art. 12 Art. 14 Art. 21 Art. 97

1361 894, 915, 1341 813f. 632, 818 1093, 1273 1242 964 803, 818, 959, 981, 996aff., 1000 814 1054

HGB § 84 § 87a § 93 § 128 § 232 § 323 § 350

1192 1254 1270 1047 790, 1041 1058 1415

1099

Paragraphenverzeichnis

§ 354 § 354a § 355 § 377 §§ 421, 425

1299 589f. 1415 144f., 348, 518ff., 729 498

HOAI

1147

InsO § 81 § 91 § 103 §§ 108ff. § 130 § 286

1344ff. 598 71f. 830a 927 1380

RVG §2 § 4a

1043 1041

SGB § 37 Abs. 3 SGB V 1029 § 93 SGB X 784, 792f., 795 StGB § 35

1093

StVG §7

309, 742f., 763

UrhG § 14

157, 1102

VOB

1132af.

ZPO § 137 § 592 § 765a § 767 § 794 § 851 § 885 § 885a § 936 § 940 § 945

1053 1415 980 625, 705, 1414, 1416 1414ff. 1021 980 982 855 855 1161

ZVG § 57

932

Zweite Berechnungsverordnung (II. BV)

936, 950f.

Stichwortverzeichnis Die Verweise beziehen sich auf Randnummern. Hauptfundstellen sind kursiv gesetzt.

Abgasskandal 447 Abgeschlossenheitsbescheinigung 901 Ablösung des Schuldners 65 Abnahme beim Werkvertrag 1138ff. – Abnahmefähigkeit 1142 – Doppeltatbestand 1140 – durch Benutzung 1130, 1133, 1144 – durch Veräußerung 1145 – Einfluss auf Beweislast 1103, 1144 – Feststellung des Werkzustandes 1146a – Erprobung 1144 – Gewährleistungsausschluss 1130f. – konkludente 1145f. – Konkretisierung 1093, 1165 – Pflicht zur 1146 – Rechtsfolgen 1138 – Rechtsnatur 1141 – Übergabe als formähnliches Element 1140 – Übergang der Vergütungsgefahr 1164ff. – Veräußerung als 1145 Abnahmepflicht (Kauf) 501ff. Absolut geschützte Rechtsgüter – keine Nachfristsetzung 334, 340, 371, 1083, 1113 Abstraktes Schuldanerkenntnis 1418 Abstraktes Schuldversprechen 1414ff. – innere und äußere Abstraktion 1414 – Kondizierbarkeit 1415 – Kreditkartengeschäft 1351 – Urkundsprozess 1415 – Vollstreckungsunterwerfung und 1414 Absurder Vertrag 74 Abtretung der Forderung siehe Zession Action directe 350, 503 Action of assumpsit 2, 1426 Ädzilische Rechtsbehelfe 56, 465

Äquivalenzverhältnis siehe subjektives Äquivalenzverhältnis AGAV-Widerruf 560ff. – § 179 561 – Arbeitsrecht 565 – Bürgschaft 562f. – Einbestellung des Unternehmers 568 – entgeltliche Leistung 564 – Freizeitveranstaltung 569 – Kausalität 567 – Maklervertrag 1253a – Mietvertrag 564 – nahe Angehörige 566 – Reisevertrag 568 AGB siehe Inhaltskontrolle von AGB Akzessorietätshaftung 1047 Altölwechsel-Entscheidung 1114 Anerkenntnis – abstraktes Schuldanerkenntnis 1418 – deklaratorisches Schuldanerkenntnis 944, 1419f. – tatsächliches Schuldanerkenntnis 1421 Anfechtung der Willenserklärung – Konkurrenz mit dem Gewährleistungsrecht 478f. – wegen Inhaltsirrtums 30, 1141 – wegen Motivirrtums 478, 1141, 1255 – wegen arglistiger Täuschung 479, 809, 1141, 1254 Anlageberatungsvertrag 1287ff. – Analystenhaftung 1330 – Anlagebegriff 1287 – Anlageberatungsvertrag 1289ff. – Anlagenvermittlung 1310 – anleger- und objektgerechte Beratung 1291, 1307, 1311 – c.i.c. 1290, 1307 – Disclosure-Prinzip 1287f. – durch Prominente 1302f.

Stichwortverzeichnis

– Inhaltsverbote 1307 – Innenprovision 679, 681, 690, 1298 – Interessenwahrung und Interessengegensatz 1290 – Prospekthaftung 1302ff. – Rückvergütung 1298 – stillschweigender Vertragsschluss 1294ff. – Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens 1300f. Anlegerentschädigung bei Kapitalanlagen 931, 1265, 1290 Annahmeverzug 85ff., 488, 501 Anordnung 1132 Anscheinsbeweis 1072 – § 477 und 165f. – AGG 914 – Arzthaftung 1072, 1082 – Arglist 446, 683 – aufklärungsrichtiges Verhalten 1301 – Beweislastumkehr und 1301 – Dogmatik 1072 – institutionelle Zusammenarbeit 683 – krasse finanzielle Überforderung 1378 – Rechtsanwaltshaftung 1050 – Wucherähnlichkeit 59, 605 – Zahlungsverkehr 1348f. Anscheinsvollmacht 1064, 1351ff. Anwartschaftsrecht siehe Eigentumsvorbehalt Architekt – Architektenvertrag 1136a – Aufklärungspflichten 1118 – Erfüllungsgehilfe des Bauherrn 1173 – gesamtschuldnerische Haftung 1097 – Honoraransprüche 1147 – keine Vollmacht zur Abnahme 1144 – Planungsverschulden des Architekten 1173 – Realisierungsschäden 1115 – Rechtsnatur des Architektenvertrages 1088 – Sekundärverjährung 1059 – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 1318, 1327 Arglist – Abgasskandal 447 – Äußerungen ins Blaue hinein 447, 463 – Begriff 257

1101

– Beweiserleichterungen im Kaufrecht 446f. – fraus omnia corrumpit 470, 479 – Grundstückskauf 473ff. – Inkaufnahme von Schäden 474 – Kausalität 449 – Mietrecht 809ff. – Rückabwicklung über § 826 447 – Saldotheorie 270ff. – und Entbehrlichkeit der Nachfrist 255ff. – und Erheblichkeit des Mangels 240 – und Gewährleistungsausschluss 443ff. – Verjährung 463 – zwei Verkäufer 447 Arzthaftung 1065ff. – Aufklärungspflichtverletzung 1076ff. – Befunderhebungsfehler 1069, 1072a – Behandlungsfehler 1066ff., – Beweislast 1065ff. – Diagnosefehler 1068 – Grobheit des Behandlungsfehlers 1071 – Haftungsbegründende Kausalität 1069, 1078 – Nacherfüllung 1083 – Therapiewahlfreiheit 1071 – voll beherrschbare Risiken 1073ff. Arztvertrag siehe Behandlungsvertrag Asbest-Entscheidung 443, 467 Aufklärungspflichten – als Inhaltsverbote 1307f. – Anlageberatung 1290ff. – des Mieters 813 – des Vermieters 809ff. – dogmatische Begründung 443, 675, 680, 1118, 1278 – im Behandlungsvertrag 1076ff. – im Darlehensvertrag 675, 680 – im Geschäftsbesorgungsvertrag 1278, 1288, 1307f. – im Kaufvertrag 443ff. – im Mietvertrag 810ff. – im Werkvertrag 1096, 1116ff. Aufklärungsrichtiges Verhalten, Vermutung für 1300f. – Anscheinsbeweis und 1050 – Arzthaftung 1078 – c.i.c. 470, 476 – Entscheidungskonflikt 1301, 1324

1102

Stichwortverzeichnis

– Entscheidungskonflikt (IX. Senat) 1044, 1050, 1324 – Entscheidungskonflikt (XI. Senat) 1301, 1324 – Gründe für die Vermutung 1300f. – Interessenkonflikt beim Darlehen 678f. – Mietrecht 810ff.; 908, 937 – Minderung durch c.i.c. und 476, 812 – Rechtsanwaltsvertrag 1044, 1050 – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 1324 – Werkvertrag 1117 – Widerrufsbelehrung 688 – Wissensvorsprung beim Darlehen 680 Aufopferung 1285 Aufrechnungsverbot 1402ff. Aufspaltungsrisiko 657, 668f., 672, 690, 735 Auftrag 754ff., 1276ff. Aufwendungsersatz (allgemein) – Betriebskosten als 938 – Bürge gegenüber Hauptschuldner 1389, 1391 – eigene Arbeitsleistung 402 – Erforderlichkeitsmaßstab 403, 514, 1150, 1284 – Mietrecht 880ff. – Schadensersatz und 1285 – Selbstabhilfe 1210 – Selbstvornahmerecht 1109 – Vergütungspauschale 1150 Aufwendungsersatz (§ 284) 392ff., 883ff. – Abdingbarkeit 413 – anstelle Schadensersatzes statt der Leistung 396f. – Billigkeit 403ff. – eigene Arbeitskraft 402 – im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung 398 – Kaufpreis als Aufwendungen 400 – mehrere Verwendungszwecke 410 – Mietrecht 890ff. – Rechtsnatur als Aufwendungsersatz 401 – Rentabilitätsvermutung 392, 394 – Untersuchungskosten 409 – Verhältnis zu § 347 Abs. 2 399 – Vorteile eines Alternativgeschäfts 401 – Vorteilsausgleich 411ff. – Zweckverfehlung 407ff.

Ausbau als Nacherfüllung 175ff. Auskunftshaftung 1317ff. – § 826 1325 – Berufshaftung 1316, 1324 – c.i.c. 1326 – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 1318ff. – Wertgutachten 1318ff. Auslobung 1423f. – Schutzpflichtverletzung 1423 Ausnahmevorschrift – Analogiefähigkeit 902 Aussonderung 930, 1291 Avalkreditvertrag 1407 Bankgeheimnis 631 Bankvertrag, Lehre vom allgemeinen 7ff., 629ff., 1322ff. Bauhandwerkersicherung 1163ff. Bauhandwerkersicherungshypothek 1160ff. Bauspardarlehen 620, 633 Bauverträge 1132ff., 1146a, 1153, 1160, 1163 – Baubetreuervertrag 1134, 1136 – Bauträgervertrag 1089, 1098f., 1113a, 1134f., 1136a, – Einbaufall 1136 – Gewährleistungsbürgschaft 1391, 1395ff., 1399 – Verbraucherbauvertrag 1090, 1098, 1120, 1153 – Vertragserfüllungsbürgschaft 1398 Behandlungsvertrag 1060ff. siehe Arzthaftung siehe Tierarzt – Anscheinsvollmacht 1064 – Arzthaftung 1065ff. – c.i.c. 1064 – dienstvertragliche Rechtsnatur 1060 – Horizontale Arbeitsteilung 1062, 1066 – Krankenhausvertrag 1061 – Laboruntersuchungsvertrag 1062 – Sachwalterhaftung 1064 – Terminreservierung 1025 – Therapiewahlfreiheit 1071 – Vertragsschluss 1062 Beherbergungsvertrag 769, 1430 Benutzungsrecht des Käufers 316

Stichwortverzeichnis

Bereicherungshaftung siehe condictio ob rem – aufgedrängte Bereicherung 319, 886 – Autorisierung 1342a – Courtageklausel-Fall 1266 – Durchgriffskondiktion 666 – Einbaufall 1136 – Eingriffskondiktion 830, 1136 – Finanzierungsleasing 714 – Forderungsauswechselung bei der Bürgschaft 1368f. – Gleichlauf mit dem Rücktrittsrecht 269ff. – objektiver Empfängerhorizont 134, 1136, 1266, 1342a – Rechtsfortwirkungsprinzip 829 – Saldotheorie 270, 809 – sittenwidriges Darlehen 607ff. – Subsidiaritätsprinzip 830a, 1089, 1342a – Tilgungsbestimmung 134ff.; 1342a – Untermiete, erlaubte 830a – Untermiete, unerlaubte 828ff., 916 – Vertrag zugunsten Dritter 1266 – Verwendungskondiktion 830a, 885, 1089 – Zahlungsverkehr 1342a – Zweikondiktionentheorie 269, 272ff. Berufshaftung 1316, 1324 Beschaffenheitsgarantie 355ff., 421ff. Beschaffenheitsvereinbarung 96ff. – § 442 und 112 – § 476 und die 111 – Änderung durch Nachfristsetzung 201 – Bestimmtheitsgrundsatz im Mietrecht 848 – Einigung über 107 – Formbedürftigkeit 110 – Haftungsausschluss 450f. – Kfz-Vertrieb 108, 472 – Kunsthandel 108, 139, 355, 441 – Mietrecht 847 – öffentliche Äußerungen und 109 – Rechtsbindungswille 108 – und Gewährleistungsausschluss 450f. Besichtigungsklausel 431 Besitzer – nicht mehr berechtigter Besitzer 1155 – nicht so berechtigter Besitzer 828, 830a Betriebskosten 933ff. – Abrechnung 940ff.

1103

– Falsche Angaben über 908 – Geschäftsraummiete 947 – Pauschale 939 – Präklusion 944ff. – Rechtsnatur 933 – Umlagefähigkeit 935f. – Vereinbarung 934 – Wärmecontracting 948 Beweisführung/Beweislast siehe Anscheinsbeweis siehe aufklärungspflichtiges Verhalten – Arglist 446f. – Arzthaftung 1065ff. – Beweislastverteilung nach Verantwortungssphären (Mietrecht) 877 – Fehlschlagen der Nacherfüllung 250f. – krasse finanzielle Überforderung 1381f. – Mangel der Mietsache 846 – Mangel beim Verbrauchsgüterkauf 161ff. – Mangel beim Werkvertrag 1103 – Regress des Verkäufers auf den Lieferanten 523 – Reisevertrag 1224 – sekundäre Darlegungs-/Beweislast 652c, 846, 1123, 1147, 1149, 1348 – wucherähnliches Darlehen 605ff. BGB-Gesellschaft siehe Gesellschaft bürgerlichen Rechts Blankett 1387 Blanketthaftung 1388 Bonifatius-Fall 787ff. Bürgschaft 1358ff. siehe Form des Bürgschaftsversprechens siehe krasse finanzielle Überforderung – Abgrenzung vom Schuldbeitritt 1372f. – Abgrenzung von der Garantie 1370f. – Akzessorietät 1359, 1361, 1368, 1370, 1372, 1389, 1394, 1401, 1409f. – Anlassrechtsprechung 1362ff. – auf erstes Anfordern 1389f., 1395, 1408 – Aufrechnungsverbot 1402ff. – Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen 1389, 1391 – Ausfallbürgschaft 1410f. – Avalkredit 1407 – Bestimmtheitsgrundsatz 1359 – Blankettbürgschaft 1387 – Blanketthaftung 1388

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Stichwortverzeichnis

Bürgschaftsfall (formell/materiell) 1390 dolo-agit-Einrede 1395, 1401 Einreden 1392ff. Einredeverzicht 1400 Finanzierungshilfe 701 Form des Bürgschaftsversprechens 1384ff. Forderungsauswechselung 1368f. Gewährleistungsbürgschaft 1396ff. kein Verbraucherdarlehen 701, 1387 krasse finanzielle Überforderung 1374ff. Missbrauch der Bürgschaft auf erstes Anfordern 1395 Missbrauchseinrede 1392ff. Mitbürgen 1409 Rückbürgschaft 1407 Rückgriff, Regress 1407ff. Rückgriff gegen andere Sicherungsgeber 1412f. selbstschuldnerische Bürgschaft 1389, 1393 Subsidiarität 1358, 1390, 1393, 1402, 1411 Transparenzgebot 1367 Untergang der Bürgschaft 1405ff. Verbot der Fremddisposition 1361, 1366, 1405 Verbraucherdarlehensrecht 701 verjährte Hauptforderung 1391 Vertragserfüllungsbürgschaft 1398ff. Zweckvereinbarung 1360

c.i.c. – AGB, Stellung unwirksamer 955 – Anlagenberatungsvertrag schließt Lücken der 1290, 1307 – Arzthaftung aus c.i.c. 1064 – Besonderer Gefährdungstatbestand 677 – Betriebskostenpauschale 939 – Blanketthaftung 1388 – Darlehensrecht 671ff. – fahrlässige Falschaufklärung über Mängel beim Kauf 466, 472 – Freistellungsanspruch (Beispiele) 677f., 1044, 1307, 1353 – Grundstückskauf 473ff. – Haftungsgrund 477 – Innenprovision, verdeckte 679, 681, 690, 1298

– Institutionalisiertes Zusammenwirken 680ff. – Kaufrecht 465ff. – Mietvertrag 811, 908 – Minderung über 476f. – Prospekthaftung 1302ff. – Rückabwicklung des Kaufvertrag 475 – Schwere Interessenkonflikte 678 – Überschreitung der Rolle als Darlehensnehmer 675f. – Überteuerte Immobilien 680 – und § 284 469 – Unternehmenskauf 105 – vertragliche Rückabwicklung über 472ff., 1256 – vorsätzliche Falschaufklärung über Mängel beim Kauf 467, 476ff. – Vorteilsausgleich 475 – Wissensvorsprung 680ff. Condictio ob rem 800 – unbenannte Zuwendungen 775, 779 – remuneratorische Schenkung und Anreizsetzung 781 – Zweckschenkung 800 culpa in contrahendo siehe c.i.c. Da mihi facta dabo tibi ius 21, 1053 Dachstuhl-Entscheidung 1113 Dachziegel-Entscheidung 1110 Darlehen siehe Sonstige Finanzierungshilfen siehe Sparbuch siehe Verbraucherdarlehen – Avalkreditvertrag 1407 – Bankgeheimnis 631 – bereicherungsrechtliche Rückabwicklung 607ff. – Besonderer Gefährdungstatbestand 677 – c.i.c. 671ff. – Einwendungsdurchgriff 653ff. – Freistellungsanspruch (Beispiele) 677f., 1044, 1307, 1353 – Gelddarlehen 600ff. – Girokredit 652a – Grundstückskauf 473ff. – Haftung des Darlehensgebers aus c.i.c. 671ff. – Innenprovision, verdeckte 679, 681, 690, 1298

Stichwortverzeichnis

– Institutionalisiertes Zusammenwirken 680ff. – isolierte Abtretung von Darlehensforderung und Grundschuld 625 – Konsensualvertrag 601f. – Koppelungsverbot 644, 668 – Kontoüberziehung 652a – Kreditwürdigkeitsprüfung 652bf. – Kündigung 633ff. – Nebenabreden, kontrollfähige 617ff. – Nichtabnahmeentschädigung 621 – Partiarisches Darlehen 1041 – Prolongationsdarlehen 1366 – Prozessfinanzierung 1041 – Realvertrag 601 – Restschuldversicherung 668 – Sachdarlehen 708ff. – Schwere Interessenkonflikte 678 – Sittenwidrigkeit 603 – Überschreitung der Rolle als Darlehensnehmer 675f. – Überteuerte Immobilien 680 – unentgeltliches 663a – Umschuldungsdarlehen 611 – Verbraucherdarlehensvertrag 644ff. – Vertragsschluss 601ff. – Verwendungsrisiko 628 – Vorfälligkeitsentschädigung 633ff. – Wegfall der Geschäftsgrundlage 612 – Widerrufsdurchgriff 663 – Wissensvorsprung 680ff. – Zahlungsverzug 623 – Zinsanpassungsklauseln 615 – Zinsmargenschaden 622 Dauerschuldverhältnis – Begriff 706, 815, 1032 – Geschäftsverbindungsbrauch 629, 860, 1009 – Preisanpassung 616a – Kündigung (außerordentlich) 897, 1012, 1032, 1037 Deliktsrecht – Arzthaftung 1065, 1067, 1073f. – Haftung des Reiseveranstalters 1223 – Konkurrenz der Haftungsmaßstäbe 761ff. – Konkurrenz der Verjährungsfristen 866, 1129 – Organisationsverschulden 1223 – Weiterfresserschaden 373

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Dienstvertrag 1019ff. siehe Behandlungsvertrag siehe Rechtsanwaltsvertrag siehe Telekommunikationsdienstleistungen – Abtretungsverbot 1021 – außerordentliche Kündigung 1029ff., 1036ff. – Dienste höherer Art 1029ff. – Fälligkeit der Vergütung 694 – höchstpersönlicher Pflichteninhalt 1020 f – Höhe der Vergütung 1023 – kontrollfähige Nebenabreden 1023, 1034 – Kündigung 1028ff. – Kündigung bei Umzug eines TK-Kunden 1038f. – Leistungsstörungen 1024 – Rechtsanwaltsvertrag 1040ff. – Rückabwicklung bei Kündigung 1033ff. – Vergütung 1022ff. – Zurückbehaltungsrecht 1022 Dieselgate 447 Direkterwerb 926 Disclaimer 108, 472 Disclosure-Prinzip 1287f. dolo-agit-Einrede 961, 1148, 1347f., 1395, 1401 Doppelverkauf 155 Doppelvermietung 854, 906 Drittschadensliquidation – Abgrenzung vom Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 870ff., 1331f. – analoge Anwendung von § 285 497, 871, 1332 – Auskunftshaftung 1331f. – Dogmatische Begründung 871 – Lieferkette 454 – mittelbare Stellvertretung 455, 508, 1332ff., 1343 – Obhutsfälle 869ff. – Rechtsfolgen 497, 871 – Rücksendung beim Verbrauchergeschäft 545 – Versendungskauf 496ff. – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte (Verhältnis) 870

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Stichwortverzeichnis

– Werkvertrag 1115a Druckzuschlag 1119 Due Diligence 438 Durchgangserwerb 926 e-Commerce 576ff. Ehemäkler 1272ff. Eigenbedarfskündigung 986ff. – Ausschluss 808 – Formelle Begründung 991 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 986ff. – Grundrechte (Eigentumsgarantie) 996a – juristische Personen 806, 983, 986 – keine Begründungspflicht 991 – Luxusbedarf 996a – Nachträglicher Wegfall von 995 – Unzureichende Begründung von 992 – Voraussehbarkeit bei Vertragsschluss 996b – Voraussetzungen des Eigenbedarfs 986ff. – Vortäuschung von Eigenbedarf 993ff. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis – nicht mehr berechtigter Besitzer 830a, 1155 – nicht so berechtigter Besitzer 828 – Verwendungsersatz 1155 Eigentumsvorbehalt – verlängerter und Globalzession 593ff. – Vermieterpfandrecht 924, 926 – Werkunternehmerpfandrecht 1055 Einbau als Nacherfüllung 179 Einbaufall 1136 Eingriffskondiktion – Anlegerentschädigung 931 – Einbaufall 1136 – Hinterlegungsfall 924 – Rechtsfortwirkung 829, 924 – Unberechtigte Untervermietung 830 Einrede der Mangelhaftigkeit 227 Einwendungsdurchgriff (im engeren Sinne) 653ff. siehe Widerrufsdurchgriff – Aufspaltungsrisiko 668f., 672, 690, 735 – dogmatische Grundlage 657ff. – Einheitstheorie 656 – Finanzierungsleasing 735 – Rückfordungsdurchgriff 688ff. – Sonderfälle 667f. – Trennungstheorie 656

– venire contra factum proprium 657f. – Widerrufsdurchgriff 663ff. – wirtschaftliche Einheit 654ff. Einwendungsdurchgriff (im weiteren Sinne) – allgemeiner Einwendungsdurchgriff 659ff. – Anlagenberatungsvertrag 1292 – Aufspaltungsrisiko 668f., 672, 690, 735 – Dogmatische Begründung 657ff. – Erfüllungsgehilfenhaftung als 351, 511, 686, 719 – Restschuldversicherung 668 – Sekundärverjährung 1057 – Umschuldungsdarlehen 610 Elektive Konkurrenz 169f. Energieliefervertrag 616 Erfüllung 57 – Geldschuld 1336ff. – reale Leistungsbewirkung 134 – Tilgungsbestimmung 134ff., 1342a Erfüllungsgefährdung 195, 382, 478 Erfüllungsgehilfenhaftung – als Einwendungsdurchgriff 351, 511, 686, 719 – Angehörige des Mieters 984f. – Anlageberatung 1307 – Architekt 1173 – Auslobung 1423 – bei Rechtsrat durch Dritte 984 – Darlehensgeber und Zahlungsempfänger 686 – Haftung für eigene Leute 1428 – Jobcenter als Erfüllungsgehilfe 1002 – Leasinggeber und Lieferant 718f., 730, 741 – Mieterverein 984 – Obliegenheiten und 1173 – Post als Erfüllungsgehilfe 946 – Reisevertrag 1193 – Verbraucher als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers in § 478 511, 519 – Verkäufer und Lieferant 349ff. – Zahlungsverkehr 1337 Ergänzende Vertragsauslegung – Dogmatik 27ff., 1321ff. – Finanzierungsleasing 714 – Forderungsauswechselung 1368f. – geltungserhaltende Reduktion 616ff., 912, 951f.

Stichwortverzeichnis

– Haftungsausschluss bei unentgeltlichen Verträgen 763 – Konkurrenzschutz 27ff., 820ff. – Mietmangel 852 – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 1321ff. Ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung 185, 227, 237f. Europäisches Vertragsrecht 48ff. Expertenhaftung 1318ff. Extremabweichung 132 Faber-Entscheidung 163 Factoring 584ff. – Abtretungsverbote 588ff. – antizipierte Zession 587 – echtes 585 – Globalzession und verlängerte Eigentumsvorbehalt 593ff. – Insolvenzfestigkeit 598 – unechtes 586 – Veritätshaftung 591 Fahrlässigkeit – grobe Fahrlässigkeit 437, 763, 1071, 1348, 1354 – objektiver Fahrlässigkeitsbegriff 10, 1074 Falsa demonstratio 132, 147 Fehlerhafte Gesellschaft 555ff., 684 – Bezug zum Rückforderungsdurchgriff 690 Fehlerhaftes Mietverhältnis 809 Ferienwohnung-Entscheidung 1176 Fernabsatzwiderruf 572ff. Finanzierungsleasing – § 278 Satz 1 718f., 730, 741 – § 475 732ff. – Abtretungskonstruktion 722ff. – als Vertrag zugunsten Dritter 727ff. – Andienungsrecht 749 – arglistige Täuschung 728 – Beendigung des Vertrages 747ff. – Beschränkung der abgetretenen Gewährleistungsansprüche 733, 737 – Bestätigung der Lieferung 718 – dreigliedriger Vertrag 722ff. – Eintrittsmodell 715, 735 – Einwendungsdurchgriff 735 – ergänzende Vertragsauslegung 714 – Fehlschlagen der Lieferung 719

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– Gefährdungshaftung, Straßenverkehr 742f. – Gegenleistungsgefahr 721 – Gewährleistung 736ff. – Immobilienleasing 753 – Insolvenzrisiko 739 – Kfz-Leasing 752, 745 – Kilometerabrechnungsvertrag 752, 745 – Kündigung wegen Verzugs 750 – Lieferung 718ff. – Nachlieferung 713, 725 – Nutzungsausfallschaden 741 – Nutzungsersatz 713 – Operating-Leasing 751 – Rechtsnatur 717 – Restwertausgleich 748 – Risiko des Untergangs der Leasingsache 721 – Rücktritt/Kündigung wegen Mangels 736ff. – Rügeobliegenheit 729 – Sale-and-Lease-Back 753 – Verbraucherdarlehensrecht 744ff. – Verbrauchsgüterkaufrecht 732 – Versicherungsleistungen, Recht auf 714 – Vertragsanbahnung 715f. – Vertragsbeendigung 747ff. – Vollamortisation 712ff., 745 – Vollwertigkeit der abgetretenen Gewährleistungsansprüche 733, 737 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 736f. – wucherähnliches Rechtsgeschäft 716 Fixschuld – absolute 254, 1025, 1187, 1245 Flaschenpfand 709f. Fluggastrechteverordnung 1235ff. – Annulierung 1241f. – Ausgleichsleistung 1237, 1241 – Flug als Tatbestandsvoraussetzung 1241, 1244 – Nichtbeförderung 1243ff. – Streik 1242, 1246 – Sturgeon-Entscheidung 1237 – Verspätung 1237ff. – Zweck der Regelung 1236 Forderungsabtretung siehe Zession Forderungskauf 158ff., 584ff. – Abgrenzung zur Ablösung des Schuldners 65

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Stichwortverzeichnis

Formvorschriften – unzulässige Rechtsausübung 1385f., 1406a Form des Bürgschaftsversprechens 1384ff. – Blankettbürgschaft 1387f. – Blanketthaftung 1388 – Erteilung der Bürgschaftserklärung 1384 – Missbräuchliche Berufung auf die Form 1385f. Forsthaus-Entscheidung 1096 Fotovoltaik-Anlage 459 Franchising – außerordentliche Kündigung 1280 – Widerruf als Ratenlieferungsvertrag 706f. Frustrierte Aufwendungen siehe Aufwendungsersatz (§ 284) siehe Mietrecht 884 Garantie 421ff. – Abgrenzung von der Bürgschaft 1370f. – als Haftungsprinzip 2ff., 625, 1414 – Beschaffenheitsgarantie 354ff. – Bilanzgarantie 104 – Haltbarkeitsgarantie 423ff. – Herstellergarantie 426ff. – selbständige Garantie 103f., 357, 857, 1370 Gastwirtshaftung 1426ff. – Einbringen 1428 – Rechtsnatur 1426, 1429 – Reiseveranstalter und 1427 Gebrauchsüberlassungsanspruch 815ff. – Verjährung 815 Gefahr siehe Gegenleistungsgefahr siehe Gefahrübergang siehe Leistungsgefahr Gefahrübergang 80ff. – Billigungselement 90ff., 1140 – und Mangelbegriff 82ff. – Kauf 80ff., 485ff. – Miete 921, 979 – Nacherfüllung 220 – Werkvertrag 1164 Gefälligkeiten 754ff. – Abgrenzung zum Vertrag 754 – Gefälligkeitsverhältnis 755f.

– Haftungsbeschränkung 763ff. Gegenleistungsgefahr – Finanzierungsleasing 721 – Kaufvertrag 485ff. – Mietvertrag 921f. – Werkvertrag 1164ff. Geld hat man zu haben 354, 484 Geldschuld – Bargeld 1336 – Erfüllung 1336ff. – Schickschuldcharakter 1337 – Unbeschränkte Haftung 354, 484 Geltungserhaltende Reduktion siehe Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Gemischte Schenkung 783ff. Gesamtschuld – Bauunternehmer bei Werkvertrag 1097 – Gleichstufigkeit 1329, 1411 Geschäftsbesorgungsvertrag 1276ff. – Aufklärungspflichten 1278, 1288, 1307f. – Aufopferungsanspruch 1285 – Auskunftsanspruch 1281, 1342 – Einheitstheorie 1276 – Herausgabeanspruch 1283 – Interessenwahrungspflicht 1277ff., 1280, 1290 – Schadensersatz 1285 – Trennungstheorie 1276 – Treubindung 1281 – typenprägende Merkmale 1277ff. – Weisungen 1281 – Weisungswiderruf 1355 Geschäftsführung ohne Auftrag – Bürgenrückgriff 1404 – Einschaltung eines Facharztes 1064 – frustrierte Aufwendungen (Mietrecht) 884 – Kontobelastung ohne Autorisierung 1344f. – Rechtsbindungswille, fehlender 754 – Schönheitsreparaturen 956 – Selbstvornahme im Kaufrecht 205, 207 – Selbstvornahme im Mietrecht 882 Geschäftsraummiete – Abgrenzung zur Wohnraummiete 806 – Abrechnungspflicht bzgl. Betriebskosten 947 – Arbeitsschutznormen 849

Stichwortverzeichnis

– Betriebskosten 935, 944, 947 – c.i.c. wegen zu niedrig angesetzter Vorauszahlungen 937 – Differenzmiete 921 – Form des Mietvertrags 808 – Geschäftsrisiko des Mieters 813, 851 – Konkurrenzschutz 820ff. – Lagevorteile 857 – Leerstandsrisiko 810, 813, 941 – Mietanpassungsklausel 918 – Missbrauch des Minderungsrechts 842ff. – Risikoverteilung 810, 813, 851 – Sachmangel 851 – Schuldanerkenntnis bei überzahlten Betriebskosten 944 – Transparenzgebot bei Vereinbarung von Betriebskosten 935 – Umsatzrückgang 851 Geschäftsverbindung – Bankrecht 629 – Mietrecht 860, 1009 Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Anwaltssozietät, Haftung in der 1045ff. – Eigenbedarfskündigung 986ff. – Fahrgemeinschaft 763 – fehlerhafte Gesellschaft 555ff., 684, 690 – Immobilienfonds und c.i.c. 676, 684 – Unterbeteiligung 790f. – Zuwendungen an Gesellschafter 780 Gewährleistungsausschluss 429ff. – § 476 430ff. – arglistiges Verschweigen eines Mangels 443ff. – bei Beschaffenheitsvereinbarung 450f. – Besichtigungsklausel 431 – Disclaimer 108, 472 – Due Diligence 438 – durch öffentliche Äußerungen 451 – durch Rechtgeschäft 429ff. – Grundstücke 435 – Gutglaubensschutz 419 – konkludenter 431 – kraft Gesetzes 436ff. – Lieferkette 452ff. – Strohmanngeschäft 432 – Verkäuferregress auf den Lieferanten 522 – Versteigerung, öffentliche 440ff. – Werkvertrag 1130ff.

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Gewährleistungsbürgschaft 1396ff. – Sicherheitseinbehalt 1120 Gewinnbeteiligungen 790, 1041 Gewinnzusagen 1425 Gläubigerverzug siehe Annahmeverzug Gleichbehandlungsgesetz 914 Grobe Fahrlässigkeit 437, 763, 1071, 1348, 1354 Grundrechte siehe Gesetzesregister – „Anspruch“ auf Konto 1341 – bei der Bürgschaft 1361 – im Mietrecht 803, 813, 818, 894, 915, 959, 964, 996a – Leitbildfunktion im Zivilrecht 44ff., 1341 – mittelbare Drittwirkung 44ff.; 1341 Grundstückskauf – Arglisthaftung 473ff. – Ausschluss der Gewährleistung 435 – c.i.c. 473ff. – Gewährleistungsausschluss in der Lieferkette 452ff. – Grundstücksgröße nicht als Sachmangel 473, 481 – Maklerhaftung 1268 – Überteuerung 60, 682 Gutachterhaftung 1318ff. Haftungsausschluss siehe Gewährleistungsausschluss Handeln auf eigene Gefahr 735, 762, 769 Handlungsstörer 974f. Handyvertrag 617, 1039 Haustürwiderruf siehe AGAV-Widerruf Hegel 9 Heinrich-Heine-Entscheidung 544 Heiratsvermittler 1272 Herstellergarantie 426ff. – Einfluss von Herstellerleistungen auf den Kaufvertrag 426 – Sachmangel 96 Hinterlegung – Freigabeanspruch nach der Hinterlegungsordnung 924 – Insolvenzfestigkeit der 1346 Hoferben-Fälle 1385 Höhere Gewalt 1232, 1429

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Stichwortverzeichnis

Homo oeconomicus 1288 House of Horror 96, 466 Identitätsaliud 140f. IKEA-Klausel 128f. Immobilien siehe Grundstücke Impfschaden-Entscheidung 1168 Individualabweichung 139 Informationseffizienz 1287 Inhaltskontrolle von AGB siehe Verbot geltungserhaltender Reduktion – Ausschluss Rügeobliegenheit 520 – Begriff der AGB 227 – kontrollfähige Nebenabreden 97, 112, 427, 482, 615, 617ff., 1023, 1034, 1150, 1338, 1363f. – kundenfeindlichste Auslegung 427, 429, 434, 615, 815af., 918, 941, 954, 1013, 1171, 1367 – Schutzzweck der 227 – Transparenzgebot 473, 918, 935, 1263, 1367 – Überraschende Klauseln 440, 660, 848, 937, 1360, 1362, 1365 – unangemessene Benachteiligung durch das Zusammenspiel zweier Klauseln 1398f. Innenprovision 679, 681, 690, 1298 Insolvenz siehe Aussonderung siehe Insolvenzanfechtung Insolvenzanfechtung 927 Institutionalisiertes Zusammenwirken 680ff. Internet- Systemvertrag 1121 ius novit curia 1053 Inzahlungnahme – Ersetzungsbefugnis 536f. – Schadensberechnung 362 – Wertersatzanspruch 236f. Just-in-Time-Vertrag – relative Fixschuld 345 – Vertretenmüssen 352f. Kauf auf Probe 528 Kauf bricht nicht Miete (§ 566) 893ff. – gestreckte Kündigungslage 895

– Kaution 932 – keine Sonderrechtsnachfolge 894 – Widerspruch durch Mieter 896 Kaufpreisanspruch 484 Kaufvertrag 53ff. siehe Sachmangel siehe Software siehe Unternehmenskauf – Anfechtbarkeit 478f. – Aufwendungsersatz 392ff. – Beschaffenheitsgarantie 354ff. – Beschaffenheitsvereinbarung 96ff. – culpa in contrahendo 465ff. – Factoring 584ff. – Garantien 354ff., 421ff. – Gewährleistungsausschluss 429ff. – Kaufpreisanspruch 484ff. – Lieferanspruch 54ff. – Mangelbegriff 95ff., 146ff. – Minderung 322ff. – Nacherfüllung 78ff. – Preisgefahr 485 – Rückgriff des Verkäufers 502ff. – Rücktritt 232ff. – Rügeobliegenheit 518ff. – Schadensersatz 329ff. – Sonderformen 528ff. – Verbrauchsgüterkauf 414ff. – Verjährung 458ff. – Versendungskauf 489ff. – Vertragsgegenstand 62ff. – Wegfall der Geschäftsgrundlage 480ff. – Widerruf des Kaufvertrages 538ff. Kausales Schuldanerkenntnis 1419f. – Abrechnung von Betriebskosten 944 Kausalität – Abgrenzung haftungsbegründende und haftungsausfüllende 1301 – haftungsbegründende 1069, 1078, 1301 Kaution 928ff. – Anlegerentschädigung 931 – kein Zurückbehaltungsrecht 929 – Rechtsnachfolge (§ 566a) 932 – Rechtsnatur 928 – Vermögenstrennung und Aussonderung 930 Kettenverjährung 461 Konkretisierung 82, 88f., 1093, 1193, 1165 Konkurrenzschutz im Mietrecht 820ff.

Stichwortverzeichnis

Kontrollfähige Nebenabreden 97, 112, 427, 482, 615, 617ff., 1023, 1034, 1150, 1338, 1363f. Kostenfallen 577f. Kosten(vor)anschlag 1147, 1151 Kraftfahrzeughandel – Anerkenntnis 1421 – Auftrag zum Gebrauchtwagenverkauf 1023, 1326 – Beschaffenheitsvereinbarung 108, 450 – Fehlschlagen der Nacherfüllung 250 – Fliegender Zwischenhändler 98, 470 – Inzahlungnahme eines Gebrauchtwagens 236, 362, 536f. – Kfz-Vermietung (Haftungsfreistellung) 911 – merkantiler Minderwert 98, 122 – Montagsauto 282 – Reparaturhistorie 471 – Sichtprüfung 348, 447 – Strohmanngeschäfte 432 – Verkaufsauftrag 1023 Kraftfahrzeugmiete – Aufklärung bei Unfallersatzmiete 811 – Haftungsfreistellung 911f. Krankenhausvertrag 1061 Krasse finanzielle Überforderung 1374ff. – Geltungserhaltende Reduktion 1383 – Grundgedanke 1375 – Mitdarlehensnehmerschaft 1376 – Restschuldbefreiung und 1380 – subjektive Voraussetzungen 1379 – verfassungsrechtliche Voraussetzungen 1374 – Widerlegung der Vermutung sittenwidrigen Handelns 1381f. Kreditkarte 1350ff. – abstraktes Schuldversprechen 1351 – Autorisierung 1351 – Bargeldersatzfunktion 1352 – Dreipersonenverhältnis 1350 – Kontoberichtigungsanspruch 1356 – Leistungsbeleg 1351 – Missbrauch 1352ff. – Preisaufschläge bei Benutzung der 1339 – Widerruf der Autorisierung 1355 Kündigungsrecht (allgemein) – aus wichtigem Grund 1036ff. – vertraglicher Ausschluss 897ff.

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Kündigungsrecht des Bestellers 1121ff. – feste Vertragslaufzeit und 1122 – Internet-Systemvertrag 1121 – nach Vollendung? 1125 – Vergütung nach Satz 2 1123f. – Vergütungspauschale und Satz 3 1124 – Werkleistung auf unbestimmte Zeit 1121 Kündigungsrecht des Vermieters siehe Eigenbedarfskündigung – Ausübungsfrist 1010 – außerordentliche Kündigung 1002ff. – Eigenbedarf 986ff. – Einschränkung des Rechts auf außerordentliche Kündigung 1012f. – Form der außerordentlichen Kündigung 1011 – erleichterte Kündigung nach § 573a 1000 – Geschäftsverbindungsbrauch 1009 – keine Begründungspflicht 991 – Mieterverhalten 984ff. – Nachholrecht 1007 – ordentliche Kündigung 983ff. – Parallele von ordentlicher und außerordentlicher Kündigung beim Zahlungsverzug 1005ff. – Rechtsverfolgungskosten 1014 – Schonfristzahlung 1007 – Teilkündigung 1001 – Verwertungskündigung 997ff. – Zahlungsverzug 1002ff. Kunsthandel 108, 139, 355, 441, 1173 Lastschrift-Fall 1320, 1343 Leasing siehe Finanzierungsleasing Lehman Brothers 1290 Leihe 768 – Abgrenzung zur Schenkung 773 – Haftung des Entleihers bei Überlassung an Dritte 756 – Haftung des Verleihers 762 – Haftungsprivileg für Verleiher 758, 762 – Realvertrag 773 Leistungsgefahr 73ff., 1093 Leitbildcharakter des dispositiven Rechts 24ff. Lieferkette – Anwendung des § 278 Satz 1 349ff.

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Stichwortverzeichnis

– Gewährleistungsausschluss 452ff. – Rückgriff 502ff., 525 Mahnung – durch Nacherfüllungsverlangen 196 Maklervertrag 1247ff. – Alleinauftrag 1269 – Bestellerprinzip 1271 – Courtageklausel 1266f. – Fernabsatzwiderruf 1253a – Handelsmakler 1270 – Heiratsvermittlung 1272ff. – Kausalität der Maklerleistung 1254ff. – Maklerhaftung 1268 – Maklerklausel 1266f. – Nachweismakler 1248 – Nutzungsersatz 1257 – Provisionsanspruch 1250ff. – Provisionsunwürdigkeit 1264f. – selbständiges Provisionsversprechen 1252, 1263 – Sittenverstoß 1253 – Unklarheitenregel 1251 – Verbraucherwiderruf 1253a – Vermittlungsmakler 1248 – Vorkenntnisse 1248, 1259 – Widerruf 1253a – wirtschaftliche Gleichwertigkeit 1255 – wirtschaftliche Identität 1260 – wirtschaftliche Verflechtung 1261ff. – wucherähnliches Geschäft 1253 – Zustandekommen des Hauptvertrags 1254ff. Malediven-Entscheidung 1225ff. Mangel siehe Sachmangel siehe Rechtsmangel Mangelverdacht 98, 447 Mängelbeseitigungsanspruch (Miete) 861 Mängeleinrede (Kaufvertrag) 227 Melius-Lieferung 137 Mengenabweichungen 142ff. Merkantiler Minderwert 98, 122, 1113a Messner-Entscheidung 546 Mietanpassungsklausel 918 Mietpreisbremse 814, 917a Mietrecht siehe Mietvertrag – Konfliktträchtigkeit des Mietverhältnisses 805

– Marktordnungscharakter 804 – und Grundrechte 803 Mietvertrag siehe Eigenbedarfskündigung siehe Gebrauchsüberlassungsanspruch siehe Geschäftsraummiete siehe Kündigung durch den Vermieter siehe Sachmangel (Miete) siehe Wohnraummiete – Anfechtbarkeit 809 – Anspruch auf die Miete 917ff. – Aufklärungspflichten 810ff. – Besichtigungsrecht des Vermieters 815a – Dauerschuldcharakter 815ff. – Drittschadensliquidation 863ff. – Duldungspflichten des Mieters 815a, 969ff. – fehlerhafter Mietvertrag 809 – Garantiehaftung für Mängel vor Vertragsschluss 864ff. – Gebrauchsgewährleistung, Anspruch auf 815f. – Gebrauchsüberlassungspflicht als Dauerpflicht 815 – Gleichbehandlungsgesetz 914 – Grundrechte 803, 813, 818f., 997ff. – Haftungsausschluss 909ff. – Haftungsfreistellung 911ff. – Hausrecht des Vermieters 814 – Konfliktpotenzial 805 – Konkurrenzschutz 820ff. – Konkurrenzen 903ff. – Kündigung, Ausschluss durch Vertrag 897ff. – Kündigungsrechte des Vermieters 963ff., 983ff. – Mängelbeseitigungsanspruch (Miete) 861 – Mietanpassungsklausel 918 – Mietnomadentum 843 – Mietpreisbremse 814, 917a – Nachmieter 922 – Rauchgewohnheiten des Mieters 813, 960 – Schadensersatz 863ff. – Schaden neben/statt der Leistung 863 – Schutz vor Räumungsvollstreckung 980 – Untermiete 827ff., 830a, 961 – Verbraucherwiderruf 564

Stichwortverzeichnis

– Verjährung 890ff., 966ff. – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 826, 869ff. – vertragswidriger Gebrauch 960ff. – Vollzug 809, 854, 874, 883, 903 – Widerruf (Verbraucher-) 564 – Weltanschauung des Mieters 813f., 815a, 954, 960 – Wucher 917 – Zahlung unter Vorbehalt 1003 – Zurückbehaltungsrecht 858 Mietwucher 917 Minderung – Abgrenzung zum Selbstvornahmerecht 1106 – auf Null 325 – durch c.i.c. 476, 811 – Einschränkung bei der Geschäftsraummiete 842 – Höhe der Minderung im Mietrecht 835 – Kauf 322ff. – Miete 833ff. – Reisevertrag 1211ff. – Reparaturkosten 324 – subjektives Äquivalenzverhältnis 322 – Überzahlung im Mietrecht 836 – Verwirkung im Mietrecht 838 – Werkvertrag 1111ff. Mobilfunkvertrag 617, 1039 Modifizierter Erfüllungsanspruch 80f. Montagemangel 127 Montagsauto 98, 252 Nacherfüllung 78ff., 168ff. siehe Nacherfüllungsverlangen – Arglist des Verkäufers 255ff. – Ausbau/Einbau 175ff. – Beschädigung der Kaufsache durch 219ff. – Beweislast für Fehlschlagen 250f. – elektive Konkurrenz 169f. – Fehlschlagen 250 – Gefahrübergang 220 – Inhalt der 174 – kein Verkäuferanspruch auf 215ff. – Leistungsort 182ff. – modifizierter Erfüllungsanspruch 80f. – Nutzungsersatz bei 224ff. – Pflichtcharakter? 215ff. – Recht auf Irrtum 212f.

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– Selbstvornahme und Vorrang der 203ff. – Stückschuld und 171ff. – Unzumutbarkeit der 252 – Verbesserung der Kaufsache durch 223 – verhaltener Anspruch 168 – Wahlschuld 169f. Nacherfüllungsverlangen – Absolut geschützte Rechtsgüter 334, 340, 371, 1083, 1113 – Anforderungen (Kaufvertrag) 192ff. – Arzthaftung 1083 – Drittschadensliquidation 1115a – Entbehrlichkeit 246ff. – Fixgeschäfte 254f. – Erfüllungsverweigerung 185, 227, 237f. – Mahnung 196 – rechtswidriges 185, 227, 237f. – Schwebezustand durch 198ff. – unberechtigtes 212f. – Unzumutbarkeit 252 – Werkvertrag 1113f. Nachfristsetzung siehe Nacherfüllungsverlangen Nachmieter 922 Naturalobligation 1272, 1275 Nebenabreden, kontrollfähige 97, 112, 427, 482, 615, 617ff., 1023, 1034, 1150, 1338, 1363f. Nebenkosten siehe Betriebskosten Neuverhandlungspflichten – Bauvertrag 1032 – Darlehensvertrag 652 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 482 Nutzungsausfallschaden 365ff., 377ff. – Finanzierungsleasing 741 Nutzungsersatz – Aufhebung der gegenseitigen Ansprüche 295 – bei Nacherfüllung 224ff. – bei Rücktritt 292ff. – Nutzungsausfallschaden 365ff., 377ff. – schuldhaft nicht gezogene Nutzungen 296ff. Obliegenheit 1171ff. – Abnahmepflicht/-obliegenheit des Käufers bzw. Bestellers 501, 1146 – Begründung der mietrechtlichen Kündigung als 991

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Stichwortverzeichnis

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des Schenkers zur Dankbarkeit 795 Dogmatik 341, 1174 Due Diligence als 438 Interessenwahrung durch Geschäftsherrn 1280 – Lehre vom Schutzzweck der Norm 27, 341, 1174 – Makler 1247 – Mängelanzeige im Mietrecht 862 – Mitwirkung des Bestellers 1171, 1173 – Nacherfüllungsverlangen als 215f. – Rügeobliegenheit 518ff. – Verkäuferregress 506 – verschiedene Obliegenheiten 167, 196, 209, 215f., 299, 341, 348, 437, 438, 501, 506, 518ff., 688f., 795, 862, 991, 1001 – Wertermittlungsgebote als 689 – Widerrufsbelehrung als Obliegenheit? 688 Ockhams Rasiermesser 1072 Ökonomische Analyse des Rechts 37ff. – effektiver Vertragsbruch 907 Online-Warenhandel 578a Onlinebanking 1342a, 1348 Organisationsverschulden 1223 Pachtvertrag 1015 Pacta sunt servanda 1272 Pactum de non cedendo 589 Pactum de non petendo 66, 695 Partiarisches Darlehen 1041 Partnerschaftsberatungsvertrag – Anwendung des § 656 1273 – Normumgehung 1033 – Nutzungsersatz 286, 553 – Rechtsnatur 1033 Pauschalregelung 560, 564, 939, 1124, 1150 Permissivnormen 55 Pharming 1348 Preisanpassungsklauseln 616f. – Geltungserhaltende Reduktion 616f. – Mietrecht 918 – Zinsanpassungsklausel 615f. Preisausschreiben 1423f. Preisgefahr siehe Gegenleistungsgefahr Prioritätsprinzip 594, 854 Privatautonomie 755, 1317

Prospekthaftung 1302ff. – Anlagestimmung 1306 – Enttäuschtes Anlegervertrauen als Haftungsgrund 1305 – im engeren und weiteren Sinne 1302 – Prominente als Prospektverantwortliche 1302f. – Prospektbegriff 1304 – Prospektverantwortliche 1302 – Sachwalterhaftung 1304 – typisiertes Vertrauen 1302 – Überforderung durch Prospekte 1312 – unterlassene Prospektlektüre 1312 Protestatio facta contraria 658, 1296 Prozessfinanzierungsvertrag 1041 Quantitätsabweichungen 142ff. Quelle-Entscheidung 224 Ratenlieferungsvertrag 706f. Räumung bei der Miete 976ff. Realisierungsschaden 1115 Realofferte 58, 577, 948 Recht auf Irrtum 212f. Rechtfertigungsprinzip 42, 755 Rechtsanwaltsvertrag 1040ff. – Beratungsfehler 1045ff. – Beratungspflichten 1044 – Erfolgshonorar 1041 – freie Mandatswahl 1041a – Haftung aus c.i.c. 1044 – Haftung in der Sozietät 1045ff. – Interessenkonflikt 1049 – Prozessfinanzierung 1041 – Rechtskenntnisse 1053f. – Rechtsschutzversicherung 1041a – Rückgewähr des Honorars nach § 628 1051 – Sekundärverjährung 1057ff. – Telekanzlei 1043 – Verbraucherwiderruf 1041a Rechtsbindungswille 108, 754f., 1152, 1295 Rechtskauf 65ff. – Sachmängelhaftung 66 Rechtsmangel – Doppelverkauf 155 – Doppelvermietung 854, 906 – Eviktionsprinzip 149f.

Stichwortverzeichnis

– Geltendmachung durch Dritten erforderlich? 149, 856 – Kaufrecht 146ff. – Miete 854ff. – persönliche Ansprüche Dritter 155 – Persönlichkeitsrechte als 156 – Rechtsverschaffungsprinzip 149f. – Unmöglichkeit der Eigentumsverschaffung als 147ff. – Urheberrecht als 157, 1102 – Werkvertrag 1102 Rechtsnatur siehe typologische Zuordnung Rechtsverfolgungskosten 58, 991, 1014 Rechtswidrigkeitszusammenhang 1078 Reflexschaden 1324 Reisepreissicherungsvertrag 1234 Reisevermittlungsvertrag 1192 Reisevertrag 1186ff. – Abhilfe 1204ff. – abschließende Regelung 1208 – Angehörige 1189 – Baukastensystem 1196 – Erfolgsverantwortung 1197ff., 1207 – Fixschuldcharakter 1187 – Gesamtheit von Reiseleistungen 1196 – Gewährleistungsausschluss 1229 – Immaterieller Schaden 1225ff. – Insolvenzsicherung 1234 – Katalog 1205 – keine Gastwirtshaftung 1427 – Kündigung 1214ff., 1232f. – Leistungsträger (Leistungserbringer) 1193 – Mangelbegriff 1205ff. – Minderung 1211ff. – Prospekt 1205 – Reisebüro 1192 – Reisekatalog 1205 – Reiseveranstalter 1197ff. – Reisevermittler 1192 – Rücktritt 1231 – Schadensersatz 1221ff. – Schlüsselgewalt 1190 – Selbstabhilfe 1210 – typusprägendes Merkmal 1197ff. – Überbuchung 1208 – Urlaubszeit, nutzlos aufgewendete 1225ff. – Verjährung 1230

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– Wechsel des Reisenden 1191 – Zusicherung 1205 Restschuldversicherung 668 Rückforderungsdurchgriff 690f. Rückgriff des Verkäufers 502ff. – Aufwendungsersatz 513 – Beweislast 523 – Entbehrlichkeit der Nachfrist 504ff. – Gefahrübergang 508ff. – Haftungsausschluss 522 – „Haftungsfalle“ 178 – Herstelleraussagen 508 – Lieferkette 525 – Nutzungsersatz 512 – Montagemängel 509 Rücktritt 232ff. siehe Nacherfüllungsverlangen siehe Nutzungen – Ausschluss der Wertersatzhaftung 305ff. – Benutzungsrecht des Käufers 316 – Beschädigung der Kaufsache 301ff. – Erheblichkeit der Pflichtverletzung 239ff. – Inhalt des Rückgewähranspruchs 277 – Inzahlungnahme einer gebrauchten Sache 236f. – Kaufpreis als Wertgrenze 285ff. – Kenntnis des Rücktrittsgrundes 312 – Kombination mit Schadensersatz 360ff. – Leistungsort 278 – Nutzungsersatz 292ff. – Opfergrenze bei 291 – Rechtsfolgen 268ff. – Rückabwicklung dem Werte nach 266, 269, 283 – Schadensersatz nach Rücktritt 315 – Surrogat, Anspruch auf das 321 – Teilrücktritt 234ff., 243 – Übergang von § 346 Abs. 1 auf Abs. 2 282ff. – Verarbeitung, Umgestaltung 305ff. – Verbrauch, Belastung 300ff. – Verwendungsersatz 317ff. – vorwirkende Schutzpflichten 315 – Wertersatzhaftung 280ff. – Ziel der Rückabwicklung 232, 1110 – Zufallsschäden 312 – Zuweniglieferung und Teilrücktritt 238 Rügeobliegenheit 518ff.

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Stichwortverzeichnis

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Ausschluss in AGB 520 Finanzierungsleasing 729 Mehrlieferung 144 Obliegenheit und keine Pflicht 348 Regress des Verkäufers 518ff. Zusammenspiel mit der Nacherfüllung 521 Rule of Parsimony 1072 Sachdarlehen 708ff. Sachmangel (Kauf) siehe Beschaffenheitsvereinbarung siehe Software – Abweichung, Aliud 132ff. – Beweislast 161ff. – Extremabweichung 132 – Grundstücksgröße 100, 473, 481 – Herstellergarantie 96 – House of Horror 96, 466 – Identitätsaliud 140f. – IKEA-Klausel 128f. – Individualabweichung 139 – Kunsthandel 108, 139, 355, 441 – Liebhaberinteresse 101 – Mehrlieferung 143ff. – Melius-Lieferung 137 – Mengenabweichungen 142ff. – Mieteinnahmen 106f. – Minimale Mängel 160 – Minuslieferung 142, 238, 481 – Missbrauch der Kaufsache 117 – Montagemangel 127 – Montagsauto 98, 252 – Normalbeschaffenheit 117ff. – öffentlich-rechtliche Beschränkungen 103 – öffentliche Äußerungen 109, 124ff., 447 – Risk-Utility-Test 118 – Rügeobliegenheit 144f. – Quantitätsabweichungen 142ff. – Umweltbeziehungen 99 – unbehebbarer 382 – Unfallschaden 122 – Unternehmenserträge 104f. – Verdacht eines Mangels 98, 447 – Verpackung 94, 511 – Verwendungszweck der Sache 114ff. – Werbeaussagen des Herstellers 109, 124ff., 447 – Wiederverkaufswert als 96

– Wohnfläche 847 – Zeitpunkt für das Vorliegen 113 – Zurückbehaltungsrecht 227 Sachmangel (Miete) – Arbeitsschutznormen 849 – Bestimmtheit der Beschaffenheitsvereinbarung 848 – Einrede 227 – Einwirkungen Dritter 845 – Erheblichkeitsschwelle 834 – Fogging 846 – Gebrauchsbeeinträchtigung 844 – Gefahr eines Mangels 850 – Immissionen 849ff. – Lagenachteile 850f. – Normalbeschaffenheit 848 – Schimmelbefall 858 – Sphäre des Mieters 845 – Stromversorgung 848 – Umsatz 851 – Umweltbeziehungen 850, 852 – Wohnfläche als Mangel 847 Sachmangel (Reisevertrag) 1205ff. Sachmangel (Werkvertrag) 1096ff. – Aufklärungspflichten und 1096f., 1116ff. – Beweislast 1103 – Erfolgsgeprägtheit 1096f. – funktionaler Mangelbegriff 1084, 1096f. – Leistungsbeschreibung als Beschaffenheitsvereinbarung 1098 – technische Regeln (DIN-Normen) 1099 – unbehebbarer 1101, 1112 – vor Gefahrübergang 1112 – Werbeaussagen 1100 Sachwalterhaftung 1064, 1304, 1326 Saldotheorie 270ff. Savigny siehe von Savigny Schadensersatz (allgemein) siehe Schadensersatz statt der Leistung – Anknüpfungspunkt für das Vertretenmüssen 329f. – Differenztheorie 362ff. – Kombination mit Rücktritt 360ff. – Mangelverursachung 331 – Nutzungsausfallschaden 365ff., 377ff. – Pflichtverletzung 329ff.

Stichwortverzeichnis

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Schaden neben der Leistung 334, 372 Schaden statt der Leistung 335ff. Schutzpflichten 333, 388ff. Surrogationstheorie 362ff. Unbehebbarer Mangel 382 Verletzung der Nacherfüllungspflicht 332 – Vertretenmüssen 346ff. – Verzögerungsschaden 374 – Vorenthaltungsschaden 330 Schadensersatz statt der Leistung 335ff., 863, 1114f. – absolut geschützte Rechtsgüter 340 – Deckungsgeschäft 338, 341 – entgangener Gewinn 335, 342 – kein Recht auf Irrtum 343 – Pflichtverletzung 330ff. – schadenstypologische Betrachtung 336 – Zeitpunkt der letztmöglichen Nacherfüllung 337 Schadensersatz (Werkvertrag) 1112ff. – § 251 Abs. 2 1113 – Abgrenzung zum Rücktritt 1110 – Aufklärungspflichtverletzung 1096, 1116ff. – Realisierungsschaden 1115 – Schadensersatz statt der Leistung 1114 – unbehebbarer Mangel 1101, 1112 Schenkung 771ff. – Abgrenzung zur Gebrauchsüberlassung 773 – Anreizsetzungen 780ff. – auf den Todesfall 787ff. – bedingte Schenkung 801 – Formbedürftigkeit 786 – Gemischte Schenkung 783ff. – Gesellschaftsrecht 780 – Gratifikationen 780 – grober Undank 795ff. – Konkurrenz mit dem Deliktsrecht 761ff. – remunatorische Schenkung 780ff. – Rückforderungsrecht 792ff. – Schenkkreis 798 – Sozialhilfeträger, Rückforderung 792f. – Übergabevertrag 783, 799 – unbenannte Zuwendungen 774ff. – Unentgeltlichkeit 780ff. – unter Auflage 799 – Widerruf bei grobem Undank 795ff.

1117

– Zweckschenkung 800 Schönheitsreparatur 949ff. – Abgeltungsklausel 954 – Begriff 950ff. – Endrenovierungsklausel 954 – Entgeltthese 949, 954, 973 – Farbwahlklausel 954 – geltungserhaltende Reduktion 951ff., 1365 – Mieterhöhungsverlangen 959 – Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 950ff., 954 – Rückabwicklung nicht geschuldeter 955ff. – Quotenabgeltungsklausel 954 – starre Fristen 954 – und Mieterhöhungsverlangen 959 – Verjährung 892, 958 – Vornahmeklausel 954 Schrottimmobilien-Krise 673 Schuldanerkenntnis siehe Abstraktes Schuldanerkenntnis siehe Kausales Schuldanerkenntnis siehe Tatsächliches Schuldanerkenntnis Schuldbeitritt 696f., 1372f. – § 358 Abs. 4 Satz 3 (MM.) 665 – Abgrenzung zur Bürgschaft 1372f. – Fernabsatzwiderruf 572 – Finanzierungshilfe 696f. – Sicherungsbeitritt 1373 Schuldverhältnis – als begründungsbedürftiger Ausnahmefall 755, 1317 – Wesen der Obligation 9 Schürmann-Bau-Entscheidung 1161 Schutzpflichten – Auslobung 1423f. – Bankgeheimnis 631 – Darlehensvertrag 628ff. – Schadensersatz 333, 388ff. – Schutzpflichtverhältnis im Bankrecht 629ff. – unentgeltliche Verträge 761 – vorwirkende 315 Schutzpflichtverhältnis, Lehre vom – allgemein 7ff. – Auslobung 1424 – Anlagenberatung 1322ff. – Bankrecht 629ff. – unentgeltliche Verträge 755ff.

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Stichwortverzeichnis

– Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 1322ff. Schutzzweck der Norm – Lehre vom 27, 1056, 1014 – Rechtswidrigkeitszusammenhang 1078 Sekundäre Darlegungslast 445, 652c, 846, 1123, 1147, 1149, 1348 Sekundärverjährung – Architekt 1059 – Rechtsanwälte 1057 – Steuerberater 1059 – Wirtschaftsprüfer 1058 Selbstvornahme – Kaufvertrag 203ff. – Mietvertrag 882 – Reisevertrag 1210 – Werkvertrag 1106ff. Selbstwiderspruch siehe Verbot des Selbstwiderspruchs Sicherheitseinbehalt 1120 Siloanlagen-Fall 1178 Sittenwidrigkeit siehe wucherähnliches Rechtsgeschäft – krasse finanzielle Überforderung 1374ff. – laesio enormis 60, 605, 682 – Schneeballsystem 798 Software – Individualsoftware 1088 – Integrierte Lösungen 237 – Internet- Systemvertrag 1121 – Mangelhafte Individualsoftware 1144 – Rechtsnatur von Software-Verträgen 1088 – Standardsoftware 68 Sonstige Finanzierungshilfen 693ff. – analoge Anwendung auf Schuldbeitritt und Vertragsübernahme 696ff. – Bürgschaft 701 – entgeltlicher Zahlungsaufschub 694ff. – pactum de non petendo 695 – Stundung 694 Sozietät, Haftung 1045ff. Sparbuch – rechtliche Einordnung 637 – Vertrag zugunsten Dritter 638ff. – Wertpapiercharakter 642f. Sphärentheorie 1165ff., 1193 Spiel und Wette 1275

Steuerberater – Beratungsfehler 1053 – Dienstleistung höherer Art 1031 – Haftung in Sozietät 1045ff. – Sekundärverjährung 1059 Stille Gesellschaft 790 Störerverantwortung 961, 974 Straßenverkehr – kein Raum für eigenübliche Sorgfalt 309, 763 Strohmanngeschäft 432 Stückschuld – Nachlieferung 171ff. Studentenwohnheim 899 Sturgeon-Entscheidung 1237 Subjektives Äquivalenzverhältnis 97, 104, 234ff., 243, 285ff., 295, 322, 334, 336, 400, 465, 554, 617, 661, 742, 785, 918, 920, 1001, 1090, 1257 – § 346 Abs. 2 Satz 2 285ff. – als Haftungsgrund für die kaufrechtliche Gewährleistung 465 – gemischte Schenkung 785 – Kontrolle von Nebenabreden (Nebenentgelten) 617 – Minderung 322 – Nutzungsersatz 295, 554 – Preisanpassungsklausel 616f. – Schadensersatz statt der Leistung 336 – Störung beim Verbrauchervertrag 286 – Teilkündigung 1001 – Teilrücktritt 234ff., 243 – Verbraucherverträge und gestörtes 286 Surrogat nach § 285 Abs. 1 – Analoge Anwendung des § 285 Abs. 1 bei fehlender Unmöglichkeit 452f., 508, 1332 – analoge Anwendung bei Rechtsmangel 906 – Anspruch nach Rücktritt 321 – Doppelvermietung 906 – Drittschadensliquidation 497, 871, 1332 – Identität 907 – im Mietrecht 906f. – Lieferkette 452f. – Versicherungsleistung beim Leasing 714 Tatsächliches Schuldanerkenntnis 1421 Tausch 535ff.

Stichwortverzeichnis

– Grundstückstausch 480ff. – Inzahlungnahme eines Gebrauchtwagens 536f. – und § 326 Abs. 1 Satz 1 485 – Wertersatz nach § 346 Abs. 2 287f. Teilkündigung/Teilrücktritt – Teilkündigung 1001 – Teilrücktritt 234ff., 243 Teilzahlungsgeschäfte 702ff. – Rücktrittsfiktion 703ff. Teilzeit-Wohnrecht-Vertrag 579ff. Telekommunikationsdienstleistungen – Internet-Systemvertrag 1121 – Rechtsnatur 1022, 1038, 1088 – Sperrung des Anschlusses durch Anbieter 1022 – Umzug des Kunden als Kündigungsgrund 1038f. Tierarzt 1060, 1329 Tierhalterhaftung 762, 1424 – Handeln auf eigene Gefahr 762 Typologische Zuordnung 15ff. – Absorptionstheorie 18ff. – Typenmischung 785 – „Vereinbarung“ einer Rechtsnatur 1033, 1184 Übergabevertrag 783, 799 Umschuldungsdarlehen 611 Unbehebbarer Mangel 382ff., 873f., 1101, 1112, 1211 Unbenannte Zuwendungen 774ff. – dogmatische Grundlage 774 – Schwiegereltern 777ff. – Wegfall der Geschäftsgrundlage 775 Unbeschränkte Vermögenshaftung 354, 484 Unentgeltliche Verträge siehe Gefälligkeiten – Abgrenzung zur Gefälligkeit 754ff. – Beschränkte Bindungswirkung 760 – Gebrauchsüberlassung 773 – Geschäftsführung ohne Auftrag 754 – Haftung bei Schutzpflichtverletzungen 761ff. – Haftungsausschluss, konkludenter 763ff. – Haftungsbeschränkung 758ff. Unfallschaden (Kfz) – merkantiler Minderwert, Sachmangel 122

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– Nachfristsetzung entbehrlich 171f. – Offenbarungspflicht 122 Untermiete 827ff., 961 – Rückabwicklung der 830a – Herausgabe bei der unberechtigten 828ff. Unternehmenskauf – Anwendbarkeit der Sachmängelhaftung 70 – Beschaffenheitsvereinbarung über Unternehmensergebnisse 104f., 476 – Bilanzgarantie 104 – Due Diligence 438 – Gewinnherausgabe beim Rücktritt 244 – „Minderung“ über c.i.c. 476 – Nacherfüllung durch Geldzahlung 181 – Sachmängel 242ff. – Teilrücktritt 243 Venire contra factum proprium 115, 266, 310, 437, 450, 657ff., 667, 675, 765, 845, 1199f. 1296, 1385f. – § 323 Abs. 6 115 – § 478 Abs. 1 510 – Anlageberatung 1296 – Dogmatische Grundlage 658 – Einwendungsdurchgriff 657ff. – Formmängel 1385f. – Haftungsausschluss 437, 450, 765 – Mietrecht (Eigenbedarf) 996b – Reiseveranstalter 1199f. – Rücktrittshaftung 310 – vermögensmäßige Entscheidung 310 – Werbeaussagen des Herstellers 115 Verbot geltungserhaltender Reduktion – § 476 Abs. 1 Satz 1 433 – Anlassrechtsprechung 1365 – dispositives Vertragsrecht 1043, 1150 – ergänzende Vertragsauslegung 616f., 912, 952, 1043 – Gewährleistungsbürgschaft 1396 – Grundlagen 951ff. – Haftungsfreizeichnung gegenüber Kfz-Vermieter 912 – Preisanpassungsklauseln 615ff. – Schönheitsreparaturen 951ff. – sittenwidrige Bürgschaft 1383 – sittenwidriges Darlehen 610 – Teilbarkeit von Klauseln 952f., 1365, 1383, 1365, 1399

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Stichwortverzeichnis

– Vertragserfüllungsbürgschaft 1399 – Zusammenwirken zweier Klauseln 1389f. Verbraucherbauvertrag 1090 Verbraucherbegriff 414ff. – Existenzgründer 418, 648f. – Gutglaubensschutz 419 Verbraucherdarlehen siehe Sonstige Finanzierungshilfen siehe Teilzahlungsgeschäfte – Anwendungsbereich 646ff. – c.i.c. 671ff. – Einwendungsdurchgriff 653ff. – Einzelbetrachtung 647 – Existenzgründer 648f. – Formerfordernisse 651ff. – Gesamtbetrachtung 647, 697 – Kündigung 692 – Rückforderungsdurchgriff 690f. – Verletzung der Widerrufsbelehrungspflicht 688 – Wertermittlungspflicht des Darlehensgebers 652b, 689 – Widerrufsdurchgriff 663ff. – Zahlungsverzug – Verbraucherschutz 31ff. – Gutglaubensschutz 419 siehe Verbraucherbegriff siehe Verbraucherdarlehen siehe Verbraucherwiderrufsrechte Verbraucherbauvertrag 1090 Verbraucherwiderrufsrechte 538ff. – Bauvertrag 1090 – Belehrung über nicht bestehende 541 – Fehlerhafte Gesellschaft 555ff. – Gefahrtragung bei Rücksendung 545 – Leistungsort bei Rückgewähr 545 – Maklervertrag 1253a – Mietvertrag 564 – Missbrauch 539 – nichtiger Vertrag 539 – Nutzungsersatz 547, 553f. – Rechtsfolgen 543 – Rückgaberecht 559 – Rückgewährpflicht 544 – Schadensersatz wegen unrichtiger Belehrung 538, 688 Verbrauchsgüterkauf 414ff. Verdacht eines Mangels 98, 447 Vergleich 1421f.

Vergütungsanspruch (Werkvertrag) 1147ff. – Fälligkeit 1153 – HOAI 1147 – Sicherungsrechte 1154 – Stundensätze 1147ff. – Vergütungsgefahr 1164ff. – Vorarbeiten 1151 Verjährung – Kaufrecht 457ff. – Kettenverjährung 461 – Konkurrenz zum Deliktsrecht 966, 1129 – Mietrecht 890ff., 966ff. – Reisevertrag 1210 – Sekundärverjährung 1057ff. – Werkvertrag 1126ff. – Zweck der 457, 1141 Vermieterkündigung siehe Kündigung des Vermieters Vermieterpfandrecht 894, 923ff. Vermögensmäßige Entscheidung 272 Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens siehe Aufklärungsrichtiges Verhalten Verschulden 9ff., 347ff. siehe Arglist siehe Fahrlässigkeit siehe grobe Fahrlässigkeit Versendungskauf 93f., 489ff. – betroffene Risiken 491 – Drittschadensliquidation 496ff. – Eigentransport 494f. – Frachtführerhaftung 498ff. – Platzgeschäft 493 Versicherung – Finanzierungsleasing 714 – Haftpflichtversicherung 811, 1055 – Rechtsschutzversicherung 1041a – Reisevertrag 1234 – Restschuldversicherung 668 – Trennungsprinzip 43, 767 – Vertrag zugunsten Dritter 714, 1234 Vertrag mit Lastwirkungen für Dritte 1361 Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 1318ff. – Abgrenzung von der Drittschadensliquidation 870ff., 1330ff. – Angehörige des Mieters 825

Stichwortverzeichnis

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Arbeitnehmer 866f. Auslobung 1423f. ärztlicher Behandlungsvertrag 1079 dogmatische Begründung 1321ff. Expertenhaftung 1318ff. Gläubigerinteresse 826ff., 1056a, 1319ff., 1327 – Konkurrierende Ansprüche 1325ff. – Leistungsnähe 1318 – Mieter im Verhältnis zu anderen Mietern 831 – Mietrecht 869ff. – nicht innerhalb eines Konzerns 632 – nicht zwischen Mietern 831 – Rechtsanwaltshaftung 1056a – Schutzbedürftigkeit des Dritten 1327ff. – Verjährung bei der Miete 826 – Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens 1324 – Vorhersehbarkeit 1330ff. – Wertgutachten 1318ff. – Wohl-und-Wehe-Beziehung 826ff., 1319ff. – Zahlungsverkehr 1343 Vertrag zugunsten Dritter (§ 328) – Arbeitnehmer als Dritte 827 – Bereicherungsausgleich 1266f. – Finanzierungsleasing als 727ff. – Frachtvertrag 498 – Maklerklausel (Courtageklausel) 1266f. – Mietvertrag 825f. – Reisepreissicherungsvertrag 1234 – Reisevertrag 1189, 1195 – Selbständiger Provisionsanspruch 1263 – Sparbuch 638ff. – Versicherungsvertrag 714, 1234 Vertragsanpassung – Bauvertrag 1032 – Darlehensvertrag 652 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 482 Vertragsergänzung 26ff. siehe ergänzende Vertragsauslegung Vertragsübernahme 699f., 1191 Vertrauensgrundsatz – Arzthaftung 1062 – Dogmatische Grundlage 960 – Mietrecht 960, 975a – Normalbeschaffenheit d. Kaufsache 119

1121

Vertrauenshaftung siehe Verwirkung – Abgrenzung gegenüber Gutglaubensschutz 658 – zwingendes Recht 419 Vertretenmüssen 346ff. siehe Erfüllungsgehilfenhaftung – Beschaffenheitsgarantie 354ff. – des Verkäufers 331, 348, 507, 1290 – Erweiterung der Sorgfaltsanforderungen 352 – Gegenstand 330 – Mitverschulden 359 – Nutzungsersatz 297 – objektiver Maßstab 9ff. – Verschulden 9ff.; 347 Vertriebsverträge 706f., 1280 – Wiederverkaufsrecht 530 Verwahrung 769f. – Abgrenzung zum Mietvertrag 769 – Haftung des Verwahrers 769 – Haftungsprivileg 758 Verwendungsersatz – nach Rücktritt 317 – Miete 830a, 880ff. Verwendungskondiktion 830a, 885, 1089 Verwendungsrisiko 116, 671, 1039 – Darlehen 628, 671 – Dienstvertrag 1038f. – Kaufvertrag 116, 190, 262 – Mietvertrag 897f., 921, 1013 Verwertungskündigung 997ff. Verwirkung 838 – der Minderung im Mietrecht 838 – des Zurückbehaltungsrechts 860 – des ewigen Widerrufsrechts 663 – Erwirkung in einer Geschäftsverbindung 1006 – Präklusion bei Betriebskosten 944ff. – stillschweigender Änderungsvertrag bei Betriebskosten 934 Verzug 374ff., 1163 – Betriebsausfallschaden 374ff. – Dauerzustand des Unrechts 977, 984, 1078 – mit der Miete 1002ff. Vollharmonisierung 36a Vollstreckungsunterwerfung 1414 von Savigny – Rechtsvereinheitlichung 50

1122

Stichwortverzeichnis

– Schuldverhältnis als Ausnahmetatbestand 9, 755 – Willensdogma 6 Vorarbeiten, Vergütung von 1151 Vorenthaltungsschaden 330 Vorfälligkeitsentschädigung 633ff. Vorkaufsrecht – Kaufrecht 531 – Mietrecht 901 Vormerkung – Aufladung 1162 Vornahme der Willenserklärung als Zeitpunkt für Wirksamkeitsvoraussetzungen 60, 241, 436, 605, 995, 1381 Vorteilsausgleich 543 – § 284 411ff. – Alt für Neu 226 – c.i.c. 475 – Nutzungsersatz bei Nachlieferung 224ff. Wärmecontracting 948 Wahlschuld 169f. Wasserbett-Entscheidung 549 Weber/Putz-Entscheidung 36, 49, 175, 1110 Wegfall der Geschäftsgrundlage 480ff. – Abgrenzung Unmöglichkeit 75f. – beiderseitiger Motivirrtum 613 – Darlehen 612f. – Kaufrecht 480ff. – Kostenanschlag 1147 – Neuverhandlungspflichten 482 – Mietrecht 847 – Reisevertrag 1232ff. – sittenwidriges Umschuldungsdarlehen 612 – unbenannte Zuwendungen 775 Weiterfresserschaden 373 Werklieferungsvertrag 1176ff. – Normzweck 1176f. – teleologische Reduktion 1178ff. Werkvertrag siehe Abnahmepflicht beim Werkvertrag siehe Architektenvertrag siehe Bauvertrag siehe Kündigung des Bestellers siehe Sachmangel (Werkvertrag) siehe Schadensersatz (Werkvertrag) siehe Selbstvornahmerecht

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siehe Vergütungsanspruch (Werkvertrag) Abgrenzung zum Dienstvertrag 1086ff. Abgrenzung von Rücktritt und Schadensersatz (Dachziegel-Fall) 1110 Abnahme 1138ff. Abschlagszahlungen 1153 Anordnung 1132 Aufklärungspflichtverletzungen 1096, 1116ff. Bauhandwerkersicherung 1163ff. Bauhandwerkersicherungshypothek 1160ff. Bauträgervertrag 1134, 1136a Bauvertrag 1132ff. Beförderungsverträge 1088 Erfolgsbezogenheit als prägendes Merkmal 1084ff. Feststellungsanspruch beim Bauvertrag 1114a Funktionaler Mangelbegriff 1086 Gesamtschuldnerische Haftung 1097, 1136a Haftungsausschluss 1130ff. Herstellungsanspruch 1092ff. Kosten(vor)anschlag 1147, 1151 Kündigungsrecht nach § 648 Satz 1 1121ff. Leistungsgefahr 1093 Mitwirkungspflicht des Bestellers 1171ff. Nacherfüllung 1095ff. Rechtsanwaltsvertrag, kein 1087 Rechtsmangel 1102 Sachmangel 1096ff. Schwarzarbeit 1089 Selbstvornahmerecht 1106ff. Softwareverträge 1088 Telekommunikationsdienstleistungen 1088 Verbraucherbauvertrag 1090, 1098, 1120, 1153 Vergütungsanspruch 1147 Verjährung 1126ff. Vertragsschluss 1089f. Vertrag „ohne Rechnung“ 1089 Vorleistungspflicht 1085 Widerruf des Verbraucherbauvertrags 1090

Stichwortverzeichnis

– Zurückbehaltungsrecht bei Mängeln 1119f. Werkunternehmerpfandrecht 1155ff. Wertermittlungspflicht des Darlehensgebers 652bf., 689 Wertpapiere 69 Wertpapierleihe 708 Wettbewerb – Gebietsschutz 821 – Konkurrenzschutz 27ff., 820ff. Widerrufsbelehrung 538 – Verletzung der Belehrungspflicht 688 – Verzugsschäden 546 – Wertersatzhaftung 548ff., 553f. – Zeitpunkt der Widerrufsbelehrung 540 – Zufallsschäden 552 Widerrufsdurchgriff 663ff. – § 358 Abs. 4 Satz 5 665f. – Beitritt zu einer Gesellschaft und 664 – Regress des Darlehensnehmers 666f. – Rückforderungsdurchgriff 690 Widerrufsrecht siehe Verbraucherwiderrufsrechte Wiederkauf/-verkauf 529f. Willensdogma 6ff. Willenserklärung siehe Anfechtung der Willenserklärung siehe ergänzende Vertragsauslegung – als Vertrauenstatbestand 2ff. – Protestatio facta contraria 658, 1296 – Rechtsbindungswille 108, 754f., 1152, 1295 – Wirksamkeit im Zeitpunkt der Vornahme 60, 241, 436, 605, 995, 1381 „Wirtschaftliche Geschäftsfähigkeit“ 35, 652b, 1374 Wirtschaftsprüfer 1058 Wissensvorsprung 443, 675, 680ff., 1118, 1278 Wissenszurechnung 257, 728 Wohnfläche 847 Wohnraummiete siehe Betriebskosten siehe Eigenbedarfskündigung siehe Kaution siehe Kündigungsrecht des Vermieters siehe Sachmangel (Miete) siehe Schönheitsreparatur – Abgrenzung zur Geschäftsraummiete 806

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– Aufklärungspflichten des Mieters 813ff. – Aufklärungspflichten des Vermieters 809ff. – außerordentliche Kündigung durch den Vermieter 1002ff. – Barrierefreiheit 824 – berufliche Nutzung von Wohnraum 963f. – Betriebskosten 933ff. – Beteiligungsklausel 816 – Bildung von Wohnungseigentum 901f. – Dritte, Einbeziehung 825ff. – Drittschadensliquidation 863ff. – Duldungsansprüche gegen Mieter 815a, 969ff. – Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen 969ff. – Form des Vertragsschlusses 807f. – Gebrauchsüberlassungsanspruch des Mieters 815ff. – Gebrauchsüberlassungspflicht als Dauerpflicht 815 – Gegenleistungsgefahr 918ff. – Grundrechte 803, 818f. – Instandhaltung, Instandsetzung 816f. – Kauf bricht nicht Miete 893ff. – Kaution 928ff. – Kleinreparaturklausel 816 – Kündigungsrechte des Vermieters 983ff. – Mieterhöhung 917 – Mietnomadentum 843 – Minderung 833ff. – Nachmieter 922 – Neuerrichtungspflicht 904 – ordentliche Kündigung durch Vermieter 983ff. – Parabolantenne 818f. – Räumungsanspruch 976ff. – Räumungsvollstreckung 980 – Sachmangel 844ff. – Schadensersatz 864ff. – Schönheitsreparatur 949ff. – Störereigenschaft des Mieters 974f. – Studentenwohnheim 899 – Rechtsmangel 854ff. – Untermiete 827ff., 830a, 961 – Verhältnis der Mieter untereinander 831

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Stichwortverzeichnis

– Vermieterpfandrecht 923ff. – Vertrag mit Schutzwirkungen für Dritte 863 – zugesicherte Eigenschaften 847, 857 – Zwangskauf als Schadensersatz 330, 979 Wucher 603f. – Mietwucher 917 Wucherähnliches Rechtsgeschäft 59, 604ff., 716 – Darlehen 604ff. – gemischte Schenkung 785 – Kauf 59 – Leasing 716 – Maklervertrag 1253 – Werkvertrag 1150 Zahlungsverkehr 1335ff. siehe Kreditkarte – Abbuchungsauftrag 1343 – Autorisierung 1342, 1351, 1355 – bare und unbare Zahlung 1336ff. – bereicherungsrechtliche Rückabwicklung 1342a – ec-Karten-Missbrauch 1347 – Einschränkung der Barzahlungsmöglichkeit in AGB 1338 – Einzugsermächtigung 1344 – Girovereinbarung 1341ff. – kein Widerruf der Einzugsermächtigung 1344ff. – Kreditkartenzahlung 1350ff. – Kontobelastung 1342 – Kontoberichtigungsanspruch 1342 – Kreditkarte 1350ff. – Lastschriftverfahren 1343ff. – Online-Banking 1348 – Pharming 1348 – Schick- nicht Bringschuld 1337

– Überweisung 1336, 1342, 1348 – Unbare Zahlung 1336ff. – Wettbewerb im Zahlungsverkehr 1339f. – Zahlungskarten, Haftung für 1347ff. Zahnriemen–Fall 162ff. Zeitpunkt der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts 60, 241, 436, 995, 1381 Zession – Abtretungsverbote 588ff., 724, 1021 – antizipierte 587 – Globalzession 593 – und verlängerter Eigentumsvorbehalt 593ff. – Veritätshaftung 591 Zinsanpassungsklauseln 615f. Zinsmargenschaden 622 Zurückbehaltungsrecht – Kaufrecht, bei Sachmangel 227 – Kaution, kein 929 – Mietrecht 858ff. – nichtige Zweckabrede 1397 – Sperrung eines Telefonanschlusses 1022 – Verwirkung 860 – wegen Betriebskosten bei der Geschäftsraummiete 947 – Werkvertrag 1119f. Zurückweisungsrecht 85ff., 874, 1139 Zusicherung einer Eigenschaft – Mietrecht 847 – Reisevertragsrecht 1205 Zustandsstörer 974f. Zwangskauf, Lehre vom 330, 979 Zwangsvollstreckung – Pfändbarkeit des Auskunftsanspruchs 1021 – Rücktritt vom Teilzahlungskauf 703 Zweckerreichung und -verfehlung 1166ff. Zweikondiktionentheorie 269, 272ff.