Untersuchungen zu Platons Auffassung von der Hedoné: Ein Beitra zum Verständnis des platonischen Tugendbegriffes 9783666251276, 9783525251270


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Untersuchungen zu Platons Auffassung von der Hedoné: Ein Beitra zum Verständnis des platonischen Tugendbegriffes
 9783666251276, 9783525251270

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H Y P O M N E M A T A HEFT 35

HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR ANTIKE U N D ZU I H R E M N A C H L E B E N

Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Christian Habicht / Günther Patzig / Bruno Snell

H E F T 35

VANDENHOECK & R U P R E C H T IN

GÖTTINGEN

ALF

HERMANN

Untersuchungen zu Piatons Auffassung von der Hedoné Ein Beitrag zum Verständnis des platonischen Tugendbegriffes

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN

GÖTTINGEN

© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1972. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischeru Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

MEINEM V E R E H R T E N KAY H A N S E N

LEHRER

Vorwort Die vorliegende Abhandlung ist eine überarbeitete Dissertation, die in den Jahren 1967/68 in Tübingen entstand. Anlaß hatte eine 1959 publizierte Dissertation von Hanns-Dieter Voigtländer gegeben, deren Aussagen über Piatons Hedoné-Begriff ein neuerliches Aufgreifen des Themas herausforderten. Für die langjährige wissenschaftliche Betreuung und die Anregung zu dieser Arbeit bin ich Herrn Professor Hartmut Erbse zutiefst dankbar. Für einige wesentliche philosophische Überlegungen, die aus einer Reihe von Gesprächen resultieren, habe ich Herrn Professor Carl Friedrich Freiherr v. Weizsäcker zu danken. Stuttgart 1971

6

Alf Hermann

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen

9

Die Η Δ Ο Ν Η - ein zentrales Thema des Protagoras'. 1. Das Anliegen des Dialogs 2. Die sogenannte hedonistische Erörterung

10 10 11

3. Η Δ Ο Ν Η u n d Α Ν Δ Ρ Ε Ι Α im .Protagoras'

18

4. Die im .Protagoras' gegebene Definition der ivSpeia im Hinblick auf die Frage nach der chronologischen Einordnung des Dialogs

21

Die Kontrastposition der Begriffe Η Δ Τ und Α Γ Α Θ Ο Ν 1. Die ironische Identifikation im .Protagoras' 2. Die Antithese von ηδύ und àyadóv im .Gorgias' 3. Der fortschrittliche Versuch einer Synthese von ηδύ und ά-γαθόν im .Protagoras' 4. Der Hades-Mythos am Schluß des .Gorgias' - Das Angenehme im Jenseits als Bestätigung der guten Lebensweise im Diesseits

27 27 28 31 35

Die Stufung in bessere und schlechtere ΗΔΟΝΑΙ und das Vermögen, die Wertverschiedenheit zu erkennen 1. .Protagoras' 2. .Gorgias' 3. .Phaidon' 4. .Politeia' 5. .Phaidros' 6. .Philebos' 7. .Nomoi'

38 38 39 42 47 51 52 57

Η Δ Ο Ν Η und Α Ρ Ε Τ Η 1. .Protagoras' 2. .Gorgias' 3. .Phaidon'. 4. .Politeia' 5. .Philebos' 6. .Nomoi'

59 59 61 63 66 67 69

Η Δ Ο Ν Η und ΕΠΙΣΤΗΜΗ

73

Abschließende Zusammenfassung

77

Literaturverzeichnis

79

7

Vorbemerkung Hinter der Frage nach Piatons Auffassung von der ηδονή steht eine grundsätzliche Frage, die in der Platon-Forschung geradezu traditionell ist und die man deshalb auch die .platonische Frage' genannt hat. War Piaton, als er zu schreiben begann, im Besitze einer fest umrissenen Konzeption, nach der er in der Folge der Dialoge sein philosophisches Programm gleichsam abwickelte, oder aber läßt jede Schrift eine bestimmte Entwicklungsstufe im Denken Piatons erkennen? Anders gefragt: Fügen sich die Aussagen verschiedener Dialoge in ein einziges philosophisches System, indem sie einander ergänzen, oder lassen sich auch in den wesentlichen Punkten Widersprüche feststellen, die nur als Wandel der Auffassung zu deuten sind? Zum Wesentlichen im platonischen Werk gehört die Frage nach Wesen und Einheit der άρβτή. Für sie ist der ^Öoi^-Begriff nicht ohne Bedeutung, wie sich herausstellen wird. Es empfiehlt sich daher, mit der Untersuchung der ηδονή dort zu beginnen, wo erstens über diesen Begriff ausführlich gehandelt wird, zweitens in fundamentaler Weise nach der άρετή gefragt wird. Beides ist im .Protagoras' der Fall. In dieser Arbeit soll auf die Weise verfahren werden, daß zunächst die für den ηδονή -Begriff grundlegenden Ausführungen im .Protagoras' zusammenhängend interpretiert werden. Im Anschluß daran werden die wichtigsten in diesem Dialog aufgeworfenen Fragen und eventuell gegebenen Antworten gesondert vorgenommen und andere Dialoge zum Vergleich herangezogen. Auf diesem Wege mag am ehesten deutlich werden, ob Piatons Urteil über die ηδονή im Wesentlichen unverändert bleibt oder ob es unterschiedlich ausfällt. Das Verfahren hat einen weiteren Vorteil: es berücksichtigt den gravierenden Umstand, daß die zeitliche Abfolge einiger Dialoge noch keineswegs gesichert ist. Eine Begriffsuntersuchung auf der Grundlage einer möglicherweise falschen Chronologie kann kaum zu verbindlichen Schlüssen führen. Als jüngeres Beispiel für eine auf diese Weise bedenklich verfahrende Arbeit ist die Dissertation Hanns-Dieter Voigtländers 1 zu nennen, auf die wiederholt Bezug zu nehmen sein wird. Voigtländer entledigt sich des Datierungsproblems in einer Fußnote und richtet seine Darstellung des platonischen f^oi^-Begriffes nach der vermeintlich gesicherten Reihenfolge jener Dialoge, die er nacheinander auf die ηδονή hin untersucht.

Hanns-Dieter Voigtländer, Die Lust und das Gute in Piatons .Protagoras' und .Gorgias' und beim späten Piaton. Dissertation Frankfurt/M. 1959.

9

Die ΗΔΟΝΗ — ein zentrales Thema des ,Protagoras' 1. Das Anliegen des Dialogs Der .Protagoras' gehört zu den umstrittensten Dialogen Piatons. Vor allem hat man die Ernsthaftigkeit der im Dialog vorgetragenen Meinungen angezweifelt. Pohlenz 2 nannte diese Schrift eine Komödie, Wilamowitz 3 sah in ihr eine Satire. Man hat behauptet, Piaton vertrete im ,Protagoras' eine „hedonistische Theorie" 4 . Von dieser wiederum glaubten die einen, Piaton meine es ernst mit ihr, die anderen, er wolle sie lächerlich machen 5 . Nachdem solche Auffassungen einmal geäußert worden sind, kann es nicht mehr genügen, die im ,Protagoras' vertretenen Meinungen nur zusammenzutragen, sondern die Frage nach der Ernsthaftigkeit und nach Piatons wahrer Überzeugung stellt sich unausweichlich mit. Thema des Dialogs ist die άρετή, wobei die Frage nach deren Wesen in der scheinbar einfachsten Weise gestellt wird, nämlich als Frage nach der Lehrbarkeit. Die Antworten, die der Dialog gibt, und besonders das aporetische Ende des Gesprächs haben dazu verleitet, dem Protagoras' unernste Absichten zu unterstellen. Aber, wie so oft bei Piaton, erweist sich auch hier, daß sich hinter Witz und Ironie mehr verbirgt als „ein Werk jugendlichen Spiels, einer übermütigen Laune ohne philosophische Bedeutung" 6 . Witz und Ironie bestehen in diesem Falle z.B. darin, daß der Sophist Protagoras zunächst deijenige ist, der die άρβτή für lehrbar hält, Sokrates dies jedoch bestreitet, während am Ende gerade Sokrates für die Lehrbarkeit eintritt, Protagoras aber zweifelt.

2

Aus Piatons Werdezeit, 1913, S. 85. Platon I, 1919, S. 137ff. 4 Der Begriff .Hedonismus' wird in der Literatur nicht immer eindeutig verwendet und ist besonders in Hinblick auf die von Piaton vertretene Lebensanschauung unscharf. Im allgemeinen wird man denjenigen als Hedonisten bezeichnen, dessen erklärtes Lebensziel allein die ηδονή ist und der sich daher diese Empfindung verschafft, wo und wann immer sie sich ihm anbietet (so ζ. B. die kyrenaische Richtung). Piaton aber weist durchaus glaubwürdig nach, daß das äußerste Maß an ηδονή nicht durch die bedingungslose Hingabe, sondern vielmehr durch die wohlüberlegte Auswahl unter den sich anbietenden Gefühlen zu erreichen ist, ja daß bisweilen der Weg zur ηδονή nur über die λύπη führen kann. Piaton würde daher wohl denjenigen einen wahren Hedonisten nennen, der tatsächlich auf die günstigste ήδονή-Κύπη -Bilanz aus ist und sich zu diesem Zwecke die Empfindungen wohlüberlegt aussucht (so z.B. die epikureische Richtung). Es muß sich zeigen, ob nicht Piaton selbst in diesem Sinne zum Hedonismus neigt. 5 Vgl. S. 14, Anm. 22. 6 Wilamowitz, Sappho u. Simonides 179 A 2. 3

10

D i e U m k e h r u n g der jeweiligen S t a n d p u n k t e soll ganz fraglos erheiternd w i r k e n , hat aber e i n e n durchaus ernsten Hintergrund. Solange Sokrates m i t Protagoras auf d e s s e n E b e n e diskutiert, m u ß er d i e αρετή seinen A u g e n der S o p h i s t die αρετή

für nicht lehrbar erklären, d a in

gar nicht s o versteht, d a ß er sie lehren

k ö n n t e . Sobald S o k r a t e s j e d o c h seine eigene T u g e n d a u f f a s s u n g z u g r u n d e l e g t 7 , die sich m i t der sophistischen nicht d e c k t , m u ß er v o n der Lehrbarkeit überzeugt sein. So wird P i a t o n s A u f f a s s u n g in dieser Sache d u r c h die U m k e h r u n g d e r Standp u n k t e d e u t l i c h . Er hält d i e άρετή,

w i e die S o p h i s t e n sie v e r s t e h e n , für n i c h t

vermittelbar, w o g e g e n er sie, w i e Sokrates sie versteht, fur lehrbar h ä l t 8 . D a m i t bestreitet er d e n S o p h i s t e n das R e c h t , die αρετή

z u lehren, w ä h r e n d er das

pädagogische Wirken d e s S o k r a t e s z u rechtfertigen s u c h t . N i e m a n d wird bestreiten, d a ß P i a t o n a u c h in Hinblick a u f seine e i g e n e Tätigkeit e b e n daran gelegen sein m u ß t e 9 .

2. Die sogenannte hedonistische Erörterung D e r Passus i m .Protagoras', der über die ηδονή

h a n d e l t , setzt s o scheinbar unver-

m i t t e l t ein, w i e er e n d e t . Der Z u s a m m e n h a n g der E r ö r t e r u n g 1 0 mit d e m Voraus7 Mit Einführung der μετρητική τε'χι>η (356 D) wird der sokratische Satz vom Tugendwissen wirksam. 8 Die Auffassung, daß jede Tugend eine έπιστήμη und insofern lehrbar sei, hat man wohl mit Recht sokratisch genannt. Piaton hat dieser Auffassung in seinen ersten Dialogen offenbar Rechnung getragen, sich aber spätestens im ,Menon' davon abzusetzen versucht. (Vgl. dazu auch Anm. 9!) Für Piaton sind die einzelnen Tugenden Verhaltensweisen, die jeweils auf einer bestimmten έπιστήμη beruhen, sie also voraussetzen. (Beispielsweise im ,Laches' scheint Nikias den historischen Sokrates und dessen Behauptung, Tugend sei Wissen, gegen den platonischen zu verteidigen, der die Gleichung bestreitet). Die Lehrbarkeit einzelner Tugenden und schließlich der άρετή überhaupt ist freilich bei der platonischen Auffassung weniger sicher als bei der sokratischen, so daß zweifelhaft ist, ob Piaton von der Lehrbarkeit der άρετή ähnlich überzeugt gewesen sein kann, wie es Sokrates offenbar gewesen ist. 9 Im ,Menon' wird nachgewiesen, daß die άρετή weder φύσβι (89 A) ist noch als έπιστήμη jemals Lehrer gefunden hat (89 Eff.). (Vgl. auch 100 Β: άρετή dv ε'ιή οΰ'τε φύσβί oihe διβακτόν, άλλά deiçL ßoiptf. κτλ.) Es wird darauf hingewiesen, daß weder die Sophisten (89 B - 9 2 C) noch sonst καλοί Kàyaôoi ανδρβς (92 E - 9 4 E) die άρετή haben weitergeben können. Natürlich wird damit die Lehrbarkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr dürfte Piaton die besondere φρόνησκ, als die er die άρετή im ,Menon'bezeichnet,den wahren Philosophen zugleich mit der Fähigkeit zugesprochen haben, diese auch zu vermitteln. Den unmittelbaren Anschluß des ,Menon' an den .Protagoras' hat Böhme (Von Sokrates zur Ideenlehre, Beobachtungen zur Chronologie des platonischen Frühwerks. Diss. Bernenses 1959, S. 1 6 - 1 8 ) mit zwingenden Argumenten plausibel gemacht. Anders G. Rudberg (in Symbolae Osloenses XXX, 1953, S. 41), der den lehrenden Sokrates des ,Menon' weit von dem „realistisch unbeherrschten" Sokrates des .Protagoras' entfernt. Rudberg sieht im .Gorgias' den Übergang vom sokratischen zum platonischen Denken. 10

351 Β 3 - 3 5 9 A 1.

11

gegangenen und Folgenden wird aber aus der Zielsetzung völlig ersichtlich. Sokrates bemüht sich darum, die Macht der Erkenntnis zu beweisen. Dazu muß er die πολλοί davon überzeugen, daß die Erkenntnis auch Macht hat über die ηδονή, in deren Abhängigkeit die πολλοί zu stehen glauben und die sie für letztlich unbeherrschbar halten. Um die Bedeutung der Erkenntnis aber geht es in weiten Teilen des .Protagoras' überhaupt. Sokrates kann nur dann am Ende der Auseinandersetzung mit dem Sophisten die αρετή als lehrbar erklären, wenn sie das Wissen des Guten ist, also auf επιστήμη beruht, die derjenige, der sie besitzt, weiterzugeben imstande ist. In unmittelbarem Umkreis der Diskussion um die ηδονή handelt Piaton über die ανδρεία. Sie ist ein Teil der αρετή und muß ebenfalls ein bestimmtes Wissen sein, wenn sich im Wissen Wesen und Einheit der αρετή zeigen sollen. Was dieses Wissen mit jenem verbindet, das über die ηδονή herrschen soll, wird noch darzulegen sein. Der Passus, den man — ob zu Recht oder zu Unrecht, sei einstweilen noch dahingestellt — als den „hedonistischen" Teil des Dialogs bezeichnet hat, beginnt — nach bewährter Methode — mit allgemeinen, aber nicht unscharf formulierten Fragen des Sokrates. Gefragt wird zunächst, ob einige Menschen gut, andere schlecht leben 1 1 . Protagoras bejaht und erkennt damit die Begriffe àyadóv und κακόν für den subjektiven Bereich an. Sodann wird nach der Identität des angenehmen Lebens (ήδέως ζην) mit dem guten Leben (eu ζην) bzw. des unangenehmen (άηδώς) mit dem schlechten (κακώς) Leben gefragt. Hier bleibt die spontane Zustimmung des Protagoras aber aus 1 2 . Vorläufig schließt er sich lieber den πολλοί an, die einiges Angenehme für schlecht und einiges Unangenehme für gut halten. Die gemeinsame Untersuchung soll darüber endgültig entscheiden. Noch eine zweite Frage soll in die Diskussion mit aufgenommen werden: die Frage nach der Macht der έπιοτήμη über die ηδονή. In diesem Punkt stellt sich Protagoras nicht auf die Seite der πολλοί, sondern er ist vielmehr mit Sokrates der Meinung, daß die Erkenntnis den Menschen in die Lage versetzt, alle Gefühle nach Belieben zu beherrschen. Die πολλοί dagegen glauben, den Gefühlen ausgeliefert zu sein (ηδονών ήττάσθαι), auch wenn sie erkennen, was gut ist und was schlecht 1 3 ' 1 4 . 11

351 B. 351 B/C. Bemerkenswert ist die Einschränkung, die Protagoras ohne lange Überlegung macht. Er sagt 351 C lf.: E'inep τοις καλοίς y, βφη, ?ώη ήδόμει>ος. Damit wird der Überzeugung Ausdruck verliehen, daß die Qualität der ηδονή vom Wert des Objektes abhängt, an dem die ηδονή entsteht. In dieser Äußerung deutet sich an, was später im ,Philebos' ausgeführt wird, nämlich die Objektivierung der ηδονή. Man mag hier einen ersten Hinweis darauf erkennen, daß die im .Protagoras' propagierte μετρητική τέχνη nicht einfach und ausschließlich ein quantitatives Messen meint. 12

13

352 Df. Friedländer (Platon II, 1930, S. 25) bemerkt irrtümlich: Protagoras gehe erst mit Sokrates, um dann zur Menge hinabgedrängt zu werden, „von der der Sophist sich nicht dauernd getrennt halten kann". Man darf nicht übersehen, daß Piaton - höchst kunstvoll 14

12

Die Ansicht der πολλοί, daß die Gefühle stärker seien als die Erkenntnis, wird von Sokrates recht überzeugend formuliert, und es ist kaum anzunehmen, daß Piaton diese Meinung für abwegig oder gar lächerlich hielt: „Weißt du nun, daß die meisten Menschen mir und dir nicht folgen, sondern behaupten, daß viele, obwohl sie erkennen, was das Beste ist, dieses nicht tun wollen — dabei wäre es ihnen möglich — sondern anderes tun. Und alle, die ich nun gefragt habe, welches der Grund dafür sei, erklären, von der ηδονή überwunden oder von der λύπη oder von irgendeinem der Gefühle, die ich gerade nannte 1 5 , beherrscht, tun die, die es tun, eben dieses" 1 6 . Es fragt sich: was verstehen die πολλοί unter dem áyadóv, wenn doch die ηδονή daran hindert, das Beste zu tun (βέλτιστα πράττειv)1 Offensichtlich ist, daß die πολλοί zwischen äyaßov und ηδύ einen Unterschied machen. Die πολλοί selbst können sich gegenüber Sokrates allerdings nicht wirklich äußern. Ihre Positition im Dialog ist geschwächt, da sie nicht nur abwesend sind, sondern auch Protagoras als ihr zeitweiliger Mitstreiter in der entscheidenden Diskussion ausfällt. Folglich kann Sokrates seinen fiktiven Gesprächsgegnern die Antworten nach Belieben unterstellen. Piaton läßt ihn diese Freiheit nutzen, um seme Ziele anzusteuern, und so erweist sich hier der Protagoras' als ein ganz besonders künstlicher Dialog. Von den πολλοί wird angenommen, daß sie zugeben würden, κακόν zu nennen, was im Augenblick zwar ηδονή bereitet, in der Folge aber größere λύπη11. Etwa von Speise, Trank und Wollust beherrscht 1 8 , handelt man sich Krankheit ein 1 9 . Die ηδονή währt dabei nur einen Augenblick lang 20 , die λύπη dagegen wird sich über längere Zeit erstrecken, wie das bei einer Krankheit der Fall ist. So wird resümiert: „Dies also, meint ihr, sei das Schlechte, die λύπη, und das Gute sei die ηδονή, wenn ihr doch behauptet, eben das xaipew sei immer dann schlecht, wenn es größerer ήδοναί beraubt, als es selbst enthält, oder größere λύπαι bereitet, als ήδοναί in ihm waren." 2 1 - seinen Sokrates in zwei Richtungen kämpfen läßt. Es ist nicht einundderselbe Kampf gegen die πολλοί und gegen die Sophisten. Die πολλοί treten bescheidener auf, und ihre Ansichten werden lediglich etwas korrigiert bzw. anders formuliert. Die Sophisten dagegen, hier durch den prominenten Protagoras vertreten, sollen als Scharlatane entlarvt werden, die ein bedeutendes Handwerk ausüben, von dem sie im Grunde nichts verstehen. Es ist daher kein Zufall, daß der Sophist sehr wohl von der Menge getrennt gehalten wird. 15 Es wurden die Gefühle θυμός, ηδονή, λιίπη, 'έρως und φόβος genannt (352 Β 7f.). 16 352 D 17 353 Df. 18 353 C. 19 353 E. 20 3 5 3 D 1: èv τ φ παραχρήμα. Hier stellt sich die „größere" ήδονή zunächst allein als diejenige dar, die sich über die längere Zeit erstreckt. Die Vieldeutigkeit des Komparatives μείζων ist allerdings weiter im Auge zu behalten! 21 354 C: TOUT' 'dpa ήη/εΐοθ' είναι κακόν, τήν λύπην, καί hyadòv την ήδονήν, ènei και αύτο το χαίρειν τότε Xéyere κακόν ειναί, οταν μειζόνων ήδονών άποστερή ή όσας αϋτά εχει, ή λιίπας μεί'{ους -παρασκευόξχ) ιών èv αύτφ ήδονών.

13

Den πολλοί kommt es auf den Überschuß von ηδονή an. Die Identität von ηδύ und à-γαθόν jedoch ergibt sich daraus nicht. Sie wird unterstellt, und es ist zu beachten, wie wenig ernst es Piaton um den Identitätsbeweis ist 22 . Dieser Beweis ist bewußt als unglaubwürdig angelegt und erwirkt am Ende gerade das Gegenteil, nämlich die Absurdität der Identifikation von ηδύ und d'y aß όν. Das sei im folgenden kurz ausgeführt. Die πολλοί streben nach dem Überschuß von ηδονή. Einige ήδοναΐ sind nicht ohne das Dulden von λύπη zu erlangen, wie die πολλοί selbst erkannt haben. Das konsequente Streben ist also nicht das Streben nach jeder nur möglichen ηδονή, sondern nach einem Überwiegen der ήδοναΐ gegenüber den unvermeidlichen λΟπαι, also das Streben nach der, wie man es ausdrücken könnte, letztlich größten ηδονή. Der Wunsch nach einer möglichst günstigen ήδονή-λύπη-Bilanz ist bei den πολλοί zwar vorhanden, aber seine Erfüllung wird vereitelt durch die Verlockung der èv τω -παραχρήμα zu erlebenden ηδονή, die stärker ist als jede bessere Erkenntnis. So behaupten die πολλοί im Grunde nichts anderes, als bisweilen der gegenwärtigen, (zeitlich) näherliegenden ηδονή zu erliegen und daher die letztlich größere ηδονή, die sie durchaus als größer erkannt haben, freiwillig23 auszuschlagen. Wenn Sokrates nun aus der Tatsache, daß die πολλοί die letztlich größte ηδονή erstreben, den Schluß zieht, daß die Menge demnach .gut' und .angenehm' für einerlei hält, so ist dies höchst zweifelhaft. Erstens wird ja festgestellt, daß ηδονή bisweilen aus λύπη hervorgeht — und umgekehrt. Damit wird die λύπη ,gut' genannt, aus der größere ηδονή entsteht 24 . Wenn es aber gute λύπη gibt, 22 R. Hackforth (Hedonism in Plato's Protagoras, Class. Quart. 22, 1928) widerspricht Taylor und Cornford mit Recht, indem er bemerkt, daß die Identität weder von den πολλοί noch von Protagoras behauptet werde. W. Jaeger (Paid. II, 1944, S. 187) räumt ein, Sokrates debattiere in wenig ernster Stimmung: „Bei der ausgelassenen Stimmung des Sokrates müßten wir argwöhnen, daß er uns mit der Gleichsetzung von .gut' und .angenehm' vielleicht zum Narren halte." Ernster nehmen v. Arnim (Piatos Jugenddialoge und die Entstehungszeit des Phaidros, 1914, S. 3ff.) und Friedländer (Platon II, 1930, S. 280 Anm. 24) die Gleichsetzung. Wie v. Arnim erklärt, die Identifikation gelte für die πολλοί, aber nicht für Sokrates, so sagt Friedländer, Sokrates begebe sich vorläufig auf die Diskussionsebene der πολλοί. Dieselbe Vorstellung liegt auch der Arbeit von Voigtländer zugrunde.

Richtig ist dagegen, daß die πολλοί die Identität von vornherein bestritten haben, daß der Identitätsbeweis des Sokrates mit einem echten Beweis nichts zu tun hat und daß daher der Glaube an die Identität für Sokrates-Platon schon gar nicht anzunehmen ist. Der ,Beweis' soll - ironisch - die Identität ad absurdum führen, wobei diese allerdings zur zeitweiligen Arbeitshypothese gemacht wird, um die ebenfalls schon in Frage gestellte Gleichung Tugend = Wissen noch einmal herzuleiten. 23 èeé\eiv, 352 D 6. 24 354 C: „Ihr identifiziert also die λύπη mit dem κακόν, das ά-γαθόν mit der r¡Óovr¡. Denn selbst das xaipeiv nennt ihr ein κακόν, wenn es euch größerer ήδοναΐ beraubt, als es selbst enthält, oder größere λΰπαι zur Folge hat . . . "

14

können ,gut' und ,angenehm' nicht dasselbe sein. Zweitens besteht keinerlei Anlaß zur Annahme, daß die Lebensweise, die für die beste gehalten wird, notwendig mit dem Guten selbst {äyaßov αύτό) identisch sein muß. Vielmehr kann das Gute selbst gerade dasjenige sein, das den Überschuß von ηδονή gegenüber λύπη bewirkt, das aber selbst außerhalb des menschlichen Bereiches zu suchen ist. In der Tat wird im .Protagoras' im Grunde nicht nach dem Guten selbst, sondern nach der άρετη des Menschen gefragt. Mit Geschick verhindert es Piaton, daß der objektive Bereich in die Diskussion um die ηδονή einbezogen wird. Dem Leser des .Protagoras' könnte jederzeit der Gedanke kommen, nach dem objektiven Wert der jeweiligen Sache zu fragen, von der eine angenehme Wirkung ausgeht. Schließlich ist immer etwas angenehm. Piaton aber weicht aus, indem er die Identität nicht als die Gleichung der Adjektive ηδύ und αγαθόν, sondern der Substantive ηδονή und (rò) äyaßov formuliert 2 5 . Man gewinnt den Eindruck, daß Piaton schon im .Protagoras' andeuten will, eine wie große Diskrepanz zwischen dem äyaßov menschlichen Lebens und dem objektiv Guten naturgemäß besteht. Wäre die ηδονή das Gute, so wäre sie zweifellos auch mächtig — wenigstens in den Augen Piatons. Daß das Gute Macht hat, ist ein fundamentaler Gedanke der platonischen Philosophie, ist gleichsam ein ethischer Leitsatz. Jedoch gerade die Unterlegenheit der ηδονή gegenüber der έπιοτήμη soll im ,Protagoras' bewiesen werden. Die Identität der ηδονή mit dem äyaßov muß daher eine denkbar schlechte Voraussetzung für diesen Beweis sein. So kann es auch nicht überraschen, wenn die auf so zweifelhaftem Wege hergeleitete Identität in unserem Dialog wenig später offen verhöhnt wird. Die Fragwürdigkeit des Identitätsschlusses tritt zutage in der Anwendung der Gleichung auf die Meinung der πολλοί, daß die Macht der ηδονή daran hindere, das jeweils Beste zu tun. Bei Identität von ηδονή und äyaßov wären die Begriffe ohne weiteres austauschbar. Die Meinung der πολλοί müßte sich dann auf die folgende Weise formulieren lassen: „. . . man tut Schlechtes, erkennend, daß es schlecht ist, dennoch, weil man vom Guten überwunden ist." 2 6 In dieser Formulierung hört sich die Meinung der πολλοί in der Tat lächerlich an. Vorausgesetzt, die πολλοί hätten sich — im Falle eines fairen Gesprächs mit Sokrates — von der Identität überzeugen lassen, so müßten sie nun ihre Behauptung von der Macht der ηδονή über die Erkenntnis für unsinnig halten. Aus diesem Resümee wird die Ironie des Identitätsschlusses ganz deutlich. Da das xaipew unter Umständen ein κακόν sein kann, ist jeder Gedanke an Identität absurd. Vgl. auch ,Gorgias' 495 E: ,Gut' und .schlecht' schließen einander aus. Aus ηδονή mag λύπη entstehen, aber aus άγαθόν kann niemals κακόν werden. 25 3 5 4 C. Die Adjektive ηδύ und ά-γαθόν lassen unwillkürlich an das jeweilige Objekt denken, dem sie zugedacht sind. Indem aber die ηδονή mit dem Guten gleichgesetzt wird, soll (vorübergehend) der Anschein erweckt werden, das Gute sei lediglich das für den Menschen Gute. 26 3 5 5 D: . . . πράττει τις κακά, yi-γνώσκων οτι κακά έστιν, ον δέον αυτόν πράTTCLV, ήττώμβυος ύπό τ ω ν ά γ α θ ώ ν .

15

Doch in Wahrheit ist eben jene Identitätsthese absurd und von Sokrates einstweilen nur unterstellt. Ein ernsthafter Angriff auf die Meinung der πολλοί steht somit noch aus 27 . Indem die πολλοί das Leben mit einem Maximum an ηδονή fur erstrebenswert erklärten, haben sie zwar nicht die Identität von ηδύ und äyadov behauptet, aber doch einen engen Zusammenhang der beiden Begriffe. Diesem Zusammenhang wird im .Protagoras' nicht weiter nachgegangen, wohl aber dem Phänomen des ηδονών ήττάσθαι, das die πολλοί dafür verantwortlich machen, daß sie sich — wider besseres Wissen — auch jener ηδονή hingeben, die in größerem Maße λύπη nach sich zieht. Was die πολλοί mit dem ηδονών ήττάσθαι meinen, ist dem modernen Leser selbstverständlich, da er den psychologischen Aspekt des Problems in Rechnung stellt. Natürlich ist die Verlockung des Angenehmen, das sofort erlangt werden kann, größer als die Furcht vor dem erst später (eventuell) daraus resultierenden Unangenehmen, und zwar einfach deshalb, weil die stärkste Wirkung vom Augenblicklichen ausgeht. Für Piaton aber handelt es sich in erster Linie um eine philosophische Frage. So wird das entscheidende Argument für die Meinung der πολλοί, das nur psychologisch zu verstehen ist, von Sokrates auf der Ebene philosophischer Theorie entkräftet: „Wenn nämlich einer sagen würde: ,Sokrates, es besteht doch ein großer Unterschied zwischen dem gegenwärtig Angenehmen und dem erst zukünftig Angenehmen und Unangenehmen', dann würde ich sagen: .Besteht der etwa in etwas anderem als in ήδονή und λύπηΊ Nur darin besteht er!'" 28 Psychologisch gesehen besteht der Unterschied, wie gezeigt, eben doch in etwas anderem 29 . 21 Es ist bezeichnend für das methodische Vorgehen Piatons, daß Beweise nicht von vornherein auf höchster Ebene geführt werden. Den kritischen Leser werden immer nur jene letzten Beweisführungen überzeugen, an die Piaton selbst geglaubt haben dürfte. Piaton hat aber offenbar auch diejenigen für seine Thesen gewinnen wollen, die in anderen Kategorien als er denken, die falsche Meinungen haben und dadurch falsche Voraussetzungen in die Diskussion hineintragen. Indem Piaton auf diesen falschen Voraussetzungen aufbaut und dennoch zu richtigen Schlüssen gelangt, überzeugt er auch die im Niveau unterlegenen Gesprächsgegner. Für den Eingeweihten sind die ersten, auf tieferer Ebene geführten Beweisgänge nur Überredung, noch nicht Überzeugung.

28

356 A: elyàp τικ Xéyoton „'Αλλά πολύ διαφέρει,ώ Σώκρατες, τò παραχρήμα ηδύ τοϋ elq τον voTepov χρόνον και ήόε'ος και λυπηρού", Μώι> 'άΧλορ τψ,φαίην αν 'eyíoye, τ) ηδονή και λύπη ; où yàp εσθ' ό'τω αλλψ. " Pohlenz (a.a.O. S. 103) wirft Platon vor: „Daß hier ein psychologisches Problem vorliegt, sieht er überhaupt nicht." Daß Piaton den psychologischen Aspekt des Problems überhaupt nicht gesehen hat, ist höchst unwahrscheinlich, da die Tragödie solche Aspekte ständig vor Augen geführt hatte ( z . B . E u r . Hippol. 376ff., wo das, was die πολλοί'™ ,Protagoras' behaupten, ganz offensichtlich psychologisch formuliert worden ist). Immerhin stellt sich Sokrates ausdrücklich dem Einwand, daß ein Unterschied bestehe zwischen gegenwärtiger und erst zukünftiger ηδονή. Dieser Einwand kann nur den psychologischen Aspekt meinen, anderenfalls müßte er von Sokrates erläutert werden. Man wird annehmen dürfen, daß Piaton an dieser Stelle ganz bewußt die philosophische Überspielung des psychologischen Argumentes gewählt hat.

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Auf theoretischer Ebene hat Sokrates recht, wenn er sagt, das Näherliegende scheine zwar größer als das Ferne, sei es aber nicht notwendig. Durchaus motiviert empfiehlt Sokrates daher, Nahes und Fernes ungeachtet der Entfernung miteinander zu vergleichen und so das in Wirklichkeit Größere auszumachen: „Da sich aber gezeigt hat, daß das Heil des Lebens in der richtigen Auswahl von ηδονή und λύπη liegt, von mehr oder weniger, größerer oder kleinerer, fernerer oder näherer, zeigt sich diese (sc. Auswahl) da nicht zuerst als Messen, als ein Prüfen von Überschuß und Untermaß bzw. gegenseitiger Gleichheit? — Ganz unbedingt!" 30 Die Einführung der μετρητική ist bedeutungsvoll. Der Mensch, der sich ihrer bedient, gibt sich den Verlockungen des Lebens nicht wahllos hin, sondern er mißt, vergleicht und wählt dann so aus, daß er einen letztlichen Überschuß an ηδονή erlangt. Die μετρητική wird τέγνη und έπιστήμη genannt 31 . Also herrscht in der besten Lebensweise eine, ja möglicherweise die έπιστήμη. Die Feststellung, daß ήδονή von έπιστήμη beherrscht werden kann, widerspricht noch nicht der Meinung der πολλοί, daß bisweilen umgekehrt ηδονή über έπιστήμη herrscht. Schließlich waren die πολλοί ja keineswegs überzeugt davon, auf die bestmögliche Weise zu leben. Vielmehr sahen sie sich durch das, was sie ηδονών ήττάσθαι nannten, eben daran gehindert. Sokrates muß also noch den Beweis antreten, daß die έπιστήμη grundsätzlich die Affekte beherrscht bzw. daß da, wo sie nicht herrscht, ihr Gegenteil, die Unwissenheit32, das Verhalten des Menschen bestimmt. Um das ηδονών ήττάσθαι überhaupt zu leugnen, müßte bewiesen werden, daß der Mensch, wenn er die έπιστήμη besitzt, dieser niemals zuwiderhandelt. Diesen Beweis aber bleibt Piaton schuldig. An die Stelle des Beweises tritt eine Hypothese. Eine Hypothese allerdings, die fur Platon Grundüberzeugung war und ohne die sein ganzes pädagogisches Engagement kaum verständlich wäre: „Ist es nicht so, sagte ich, daß niemand freiwillig dem Schlechten nachgeht, auch nicht dem, von dem er glaubt, daß es schlecht sei, und daß dieses, wie es scheint, nicht in der Natur des Menschen liegt, dem, was er für schlecht hält, willentlich statt des Guten nachzugehen; und daß niemand, wenn er gezwungen würde, von zwei Übeln eines auszuwählen, das größere wählen würde, wenn er das geringere wählen könnte?" 33 . 30 357 A: ίπεί δε δη ηδονή'; re και λύπης εν όρθή τη α'ιρέσει έφάνη ήμιν ή σωτηρία τοϋ βίου ούσα, τοϋ re ττλέονος και ίλάττονος και μείζον ος και σμικροτέρου και πορρωτέρω κ at èyyvrépw, apa πρώτονμένού μετρητική φαίνεται, υπερβολής re και ένδειας ούσα και Ισότητος προς άλλήλας σκεψις; - 'Αλλ' άνάγκη. 31 357 Β. 32 άμαιSia, 357 Ε 1. άμαθία ή μεγίστη, 357 Ε 2. 33 3 5 8 C: ίίλλο τι ούι>, ¡¡'φην èyù>, έπί ye τα κακά ουδείς εκών ερχεται ονδε ίπί α ο'ίεται κακά είναι, ούδ' εστι τ οϋτο, ώ ς εοικεν, έν άν&ρώπου φύσει, im α όίεται κακά είναι εθέλειν ιέναι άντί τώι> άγαθών 'όταν re άναγκασθή δυοιν κακοίν το ετερον αίρείσθαι, ουδείς το μείζον α'φήσεται έξόν το ελαττον,

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Was Sokrates gesagt hat, findet bei Protagoras und seinen Freunden volle Zustimmung. Damit wird der von den πολλοί anfänglich 34 geäußerten Meinung lediglich schlicht widersprochen, widerlegt wird sie nicht. Indem aber alle Gesprächspartner den hypothetischen Äußerungen des Sokrates zustimmen, wird die Vorstellung vom ηδονών ηττάσθαι aufgelöst. Wer Erkenntnis hat, der handelt auch danach, niemand entscheidet sich wissentlich fur das Schlechtere 35 . Wählt aber einer das Schlechtere, so hat er offenbar keine Erkenntnis vom Besseren, handelt also aus Unverstand. Was die πολλοί als ηδονών ηττάσθαι bezeichneten, hat sich als άμαθία ή μεγίστη36 erwiesen. Wie ausgeführt, zeigt sich am Ende der „hedonistischen" Erörterung die ηδονή der έπιοτήμη unterworfen. Damit ist zwar offenbar, daß die ηδονή nicht das Gute ist — eher könnte die έπιστήμη das äyaßov sein! —, es ist aber ebenso offenbar, daß die ηδονή unter der Bedingung, daß sie nicht größere λύπη nach sich zieht, eine höchst erstrebenswerte Sache ist, zu der die έπιστήμη verhilft 37 . Ein gewisser Anteil am Guten scheint der ηδονή demnach zuzukommen.

3. ΗΔΟΝΗ und ΑΝΔΡΕΙΑ im Protagoras' Der Zusammenhang der „hedonistischen" Erörterung mit den umgebenden Partien im Protagoras' ist, wie bereits angedeutet, nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Zur Diskussion steht das Problem der αρετή und damit die Frage nach ihrer Einheit 38 . Protagoras ist nicht der Ansicht, daß σοφία, σωφροσύνη, ανδρεία, δικαιοσύνη und όσιότης fünf Namen für einunddieselbe Tugend seien. Vielmehr habe jede einzelne dieser άρεταί ihre eigene Funktion 3 9 . Die ganze αρετή wird mit einem Gesicht verglichen, in dem die verschiedenen Teile ihre spezielle Aufgabe haben 4 0 . Aus den Teiltugenden falle, so behauptet Protagoras, die άνδρεία besonders heraus 41 . Denn viele Menschen, die sonst keine Tugend besitzen, seien von hervor34

3 5 2 D. Dazu Voigtländer (Diss. 37): „Die Uberzeugung Piatons ist so stark, daß sie zuungunsten des Beweises selbst in den gesamten Beweis mit hineinwirkt. Die Erkenntnis ist mächtig, sie bestimmt das Leben." Es handelt sich im Grunde nicht um einen Beweis. 36 3 5 7 E 2. 37 Voigtländer (Diss. 35): „Nunmehr ist es möglich geworden, die Notwendigkeit des Wissens auch in einem auf Lust gerichteten Leben einsichtig zu machen." Das Ergebnis der Erörterung ist sehr viel repräsentativer. Das Wissen scheint in jedem Leben eine notwendige Rolle einzunehmen, für das überhaupt in irgendeiner Weise die ηδονή akzeptiert wird. Es kommt nicht unbedingt darauf an, daß die ηδονή einziges τέλος menschlichen Strebens ist, sondern es genügt bereits, daß sie erstrebenswerter ist als die λύπη, um die Forderung nach der μετρητική zu rechtfertigen. 38 Ab 348 C. 39 349 B. 40 ιδίαν δύναμιν, 349 C 5. 41 349 D. 35

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ragender Tapferkeit. Mit dieser Behauptung des Protagoras stellt Piaton das Wesen der àvòpeia zur Debatte. Gegen die These von der Sonderstellung der àvSpeia ist die Argumentation des Sokrates gerichtet. Protagoras muß zugeben, daß diejenigen, die sich beispielsweise auf das Schwimmen verstehen, besonders kühn 4 2 ins Wasser springen, ja daß überhaupt die Kundigen auf dem Gebiet, in dem sie kundig sind, sich kühner verhalten als die Unkundigen 43 . Dagegen seien die Unkundigen, wenn sie sich ebenso kühn verhalten wie die Kundigen, nicht eigentlich kühn zu nennen, sondern tollkühn 4 4 . Sokrates folgert, daß nach diesem Gedankengang àvbpeia und αοψία einerlei sein müssen. Die Sonderstellung der άνδρεία scheint damit aufgehoben 45 . Protagoras hat allen Grund, der Argumentation des Sokrates zu widersprechen. Mit dem Eingeständnis, daß die Tapferen kühn und die Kundigen kühner als die Unkundigen seien, ist nicht die Identität von Weisheit und Tapferkeit behauptet. Denn wenn die Tapferen kühn sind, müssen nicht notwendig alle Kühnen auch tapfer sein 46 . Es besteht demnach vorläufig kein Anlaß anzunehmen, daß alle, die etwas wagen — sei es, daß sie es tun, weil sie kundig, sei es, weil sie unkundig und daher ahnungslos sind —, tapfer zu nennen seien: „Denn Kühnheit entsteht den Menschen ebenso aufgrund von Fertigkeit wie von einer Willensregung und von Wahnsinn — das Gleiche gilt für die Kraft; dagegen Tapferkeit entsteht aus der Natur und der Wohlerzogenheit der Seelen" 47 . Mit dieser Diagnose des Protagoras bricht die Diskussion um die dvòpeia und deren Stellung in der Gesamttugend abrupt ab und weicht jener „hedonistischen" Erörterung, die schon interpretiert wurde. Äußerlich stellt erst eine mitten in die Erörterung eingeschobene Bemerkung des Sokrates die Verbindung her: „Ich glaube, sagte ich, daß dieses uns etwas dazu beiträgt, von der Tapferkeit herauszufinden, wie sie sich zu den übrigen Teilen der Tugend verhält" 4 8 . Wie ausgeführt, endet die „hedonistische" Erörterung mit der Hypothese des Sokrates, niemand wähle freiwillig das Schlechte, wenn er es als schlecht er42

θ α ρ ρ α λ ε ω ς , 350 A 1. oi Επιστήμονες τ ω ν μη έπισταμένων βαρραλεώτεροι είσιν, 350 A 6f. 44 μαινόμενοι, 350 Β 6. 45 3 5 0 C. Über die Fehlerhaftigkeit des Beweises vgl. Hirschberger, Die Phronesis in der Philosophie Piatons vor dem Staate. Philol. Suppl. 25, S. 88f„ S. 97. 46 Ein entsprechender Einwand war auch gegen die Gleichung ηδονή = àyaeòv zu machen. Wenn das Streben nach ήδονή gut ist, muß nicht notwendig alles Gute angenehm sein. Daß es sich später als Piatons Überzeugung herausstellt, daß alles Gute für den Menschen angenehm ist, entkräftet den Einwand speziell gegen die Beweisführung im .Protagoras' in keiner Weise. 47 351 Α: θάρσος μεν yàp και άπό τέχνης yiyverai ίνθρώποις και άπό θυμού ye και άπό μανίας, ώσπερ ή δύναμις, άνδρεία δε άπό ρύσεως καίεύτροφίας τ ω ν ψυχών yíyperai. 353 Β: Οΐμαι, f¡v δ' έ γ ώ , είναι τι ήμϊν τούτο προς τό έ£ευρεΰ> περί άνδρείας, προς τάλλα μόρια τα της άρε της π ώ ς ποτ' εχει. 43

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kannt habe, und daher sei die Erkenntnis mächtig über die ηδονή. Eben diese Hypothese wird in die wiederaufgenommene Diskussion um die άνδρεία mit hinübergezogen: „Denn wovor man Angst hat, das hält man, wie eingestanden, für schlecht; niemand aber wird sich an das, was er für schlecht hält, heranmachen oder es freiwillig hinnehmen" 4 9 . Da die Angst einen wichtigen Faktor im Bereich der άνδρεία darstellt — zur Tapferkeit gehört die Überwindung der Angst - , wird dieser hypothetische Gedanke zur Grundlage für die Bestimmung der άνδρεία. Sokrates kommt auf die Behauptung zurück, die Tapferkeit sei sehr verschieden von den übrigen Teilen der Tugend 5 0 . Diese Behauptung stört das Gleichgewicht und die Harmonie der Tugendteile. Protagoras macht aber das überraschende Zugeständnis, daß die Tapferen nicht auf das Furchtbare (δεινά) losgehen, sondern auf das, was sie als ungefährlich (τά μη δεινά) erkannt haben 5 1 . Mit diesem Zugeständnis ist die Hypothese des Sokrates voll wirksam geworden, denn: was man fürchten muß, ist schlecht, und niemand geht auf das los, was er als schlecht erkannt hat. Bei dem Tapferen ist offenbar vorauszusetzen, daß er weiß, worauf er losgeht. Die richtige Einschätzung der jeweiligen Situation unterscheidet den Tapferen vom Kühnen wie auch vom Feigen. Demnach beruht die ανδρεία auf der richtigen Beurteilung der Gefahr oder, wie es jetzt im .Protagoras' formuliert wird, auf der Erkenntnis des Furchtbaren bzw. Ungefährlichen, die dem Tapferen ermöglicht, nur auf das Ungefährliche (= καλόν, ά·γαθόν, ηδύ)52 loszugehen. Bemerkenswert ist nun, daß diese Voraussetzung für tapferes Verhalten, nämlich die richtige Vorstellung von den δεινά und den μη δεινά, von Sokrates als die Definition der ανδρεία formuliert wird, wobei auch nicht etwa von richtiger Vorstellung (ορθή δόξα) die Rede ist, sondern von Wissen (σοφία): „Das Wissen also um das Furchtbare und das nicht Furchtbare ist die Tapferkeit..." 5 3 . Es liegt auf der Hand, daß wir es nicht mit einer definitiven Formulierung des Wesens der ανδρεία zu tun haben. Zu eilig und zu unumstritten wurde aus der Voraussetzung für tapferes Verhalten die Definition selbst, und zu gewaltsam wird der Begriff der οοφία in der Definition untergebracht, ohne daß zuvor geprüft wurde, ob der Tapfere diese σοφία überhaupt notwendig besitzt und ob die richtige Einschätzung einer bevorstehenden Situation als σοφία richtig gekennzeichnet ist. Offenbar will Piaton im ,Protagoras' keine neuen Aspekte der ανδρεία aufdecken, sondern will mit Hilfe der (aus dem ,Laches' schon bekannten?) relativ rasch hergeleiteten Definition die grundsätzliche Übereinstimmung der Tugendteile nachweisen. Zu diesem Zweck ersetzt er nicht zufällig den in 49 358 E: àyàp δεδοικεν, ώμωΧάγητai ή·γεισθαι κακά elvai • à bè ηγείται κακά, olire lévac έπί ταύτα olire λαμβάνειν εκόντα. 50 3 5 9 Α. 51 359 Α. 52 360 Α 3. 53 360 D: Ή σοφία lipa των δεινών και μτ) δεινών άνδρεία έστϊν . . .

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οΰδένα

der Definition des Nikias 54 verwendeten Begriff der èmστήμη durch den der σοφία. Die σοφία wird sonst als eigenständiger Teil unter den Tugenden geführt, jetzt soll ihre Verwendung in der Definition einer anderen Tugend die Nähe dieser zu den übrigen Tugenden demonstrieren. Schließlich soll wohl auch die ανδρεία von der μετρητική τέγνη getrennt gehalten werden, die ja ihrerseits eine έπιστήμη genannt worden war. Würde jetzt - wie im ,Laches' - die ävbpeia als έπιστήμη bezeichnet, so müßte der Eindruck entstehen, zwischen μετρητική und àvbpeia bestehe keinerlei Unterschied. In diesem Fall wäre schon jetzt klar, daß statt der àvbpeia die ganze Tugend gefunden wurde, was ja im .Laches' zur Aporie führt. Immerhin ist Protagoras widerlegt in seiner Behauptung, es gebe tapfere Menschen, die im übrigen ganz und gar untüchtig und unverständig seien. Er hat sich selbst widerlegt, als er eingestand, der Tapfere gehe nur auf das los, was er nicht fürchten müsse. Mißmutig, aber notgedrungen gibt Protagoras schließlich zu, daß die àvbpeia unter den Teilen der άρετή keine Sonderstellung einnimmt. Denn wie auch alle anderen Tugenden verträgt sie sich nicht mit Unverstand 55 .

4. Die im JProtagoras' gegebene Definition der àvbpeia im Hinblick auf die Frage nach der chronologischen Einordnung des Dialogs Nur die richtige Einordnung des Protagoras' in das Gesamtwerk Piatons kann darüber entscheiden, ob sich das hier entworfene Bild der ηδονή in das System fügt, mit dem der Begriff von Piaton in anderen Dialogen entwickelt wird, oder ob die als hedonistisch bezeichnete Erörterung aus diesem System herausfällt. Eine falsche Einordnung — es ist hier lediglich an eine relative Chronologie zu denken! — wird unsere Vorstellung von dem Konzept, mit dem Piaton zu Werke ging, zwangsläufig verzerren. Das, was im .Protagoras' als Definition der άνδρεία formuliert wird, ist, wie bereits festgestellt, im Grunde nur die Voraussetzung für tapferes Verhalten. Die Gleichsetzung der Tapferkeit mit ihrer Voraussetzung ist ein dialektischer Kunstgriff Piatons, der dem Zwecke dient, die Tapferkeit als ein Wissen und schließlich die Tugend überhaupt als lehrbar zu erweisen. Die Aporie am Ende des Dialogs ist, wie so oft in den Frühdialogen Piatons, gewaltsam herbeigeführt 54 Über die im ,Laches' von Nikias gegebene Definition der àvSpeia und ihr Verhältnis zu der im .Protagoras' entwickelten Defintion sind die Ausführungen S. 22ff. zu vergleichen! 55 3 60 E. Für die Frage nach der Lehrbarkeit der άρετή ergibt sich die anfangs erwähnte Konsequenz. Protagoras, der sich dagegen wehrte, daß die Tapferkeit ein Wissen sei, hatte damit die Lehrbarkeit der iperr\ insgesamt in Frage gestellt und sich selbst die Berechtigung genommen, die ώρβτή zu lehren. Sokrates dagegen hat seinen Satz, jede Tugend sei ein Wissen, noch einmal bestätigen lassen. Er vertritt damit die Lehrbarkeit der άρβτή, freilich mit der anfangs des Dialogs gemachten Einschränkung, daß sich bislang niemand als Lehrer der Tugend erwiesen habe.

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und eher die Parodie auf eine Aporie. Wenngleich die Definition der άνδρεία nicht befriedigen kann, da nur die Zielsetzung des Dialogs sie rechtfertigt, ist dennoch der Abstand zur endgültigen Definition, wie sie im vierten Buch der ,Politela' gegeben wird, nicht allzu groß 5 6 . Die im .Protagoras' entwickelte Definition der άνδρεία (σοφία των he ωών) erscheint in fast derselben Formulierung auch im ,Laches'. Bemerkenswert ist aber, wo und auf welche Weise sie im .Laches' eingeführt wird. Die Frage nach der ανδρεία ist das Thema des Dialogs schlechthin. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen vonseiten des Laches gelingt es Nikias, eine Definition vorzutragen, gegen die Sokrates kaum noch etwas einzuwenden hat: „Diese, Laches, nämlich die Erkenntnis des Furchtbaren und des Ungefährlichen im Kriege und überhaupt in allen Fällen (ergänze: behaupte ich wenigstens, sei die Tapferkeit)" 5 7 . Die gegen diese Definition am Ende des Dialogs von Sokrates erhobenen Bedenken richten sich gegen den Begriff der èiηστήμη. Von etwas, das ausschließlich in der Zukunft liege, könne es keine έπωτήμη geben, da eine solche stets alle Aspekte umschließe, so daß es eine έπιστήμη nur von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem zugleich gebe 5 8 . Bezeichnenderweise rät Sokrates nach diesem Einwand nun nicht, den Begriff der έπιστήμη durch den der ορθή δόξα zu ersetzen, sondern er zieht es vor, Nikias in die Aporie zu führen. Wenn die ανδρεία eine έπιστήμη sei, dann nicht nur eine έπιστήμη zukünftiger Übel und Güter, sondern aller Übel und Güter - unabhängig vom Zeitpunkt. Damit aber habe man, so stellt Sokrates richtig fest, die αρετή schlechthin gefunden, nicht aber den Teil der Tugend, den die ανδρεία ausmache 59 . Es gilt festzuhalten, daß die Definitionen der ανδρεία im .Protagoras' und am Schluß des .Laches' einander fast aufs Wort entsprechen. Beiden ist darüber 56 .Politela' 430 Β: την 8r¡ τοι&ύτην δύναμιν και σωτηρίαν δια παντός δόξης ορθής 7 e και νομίμου beivüjv re π épi και μη άνδρείαν 'eyu>ye καλώ και τίθεμαι . . . („Diese solche Kraft und durchstehende Bewahrung der richtigen und den Gesetzen entsprechenden Vorstellung von dem, was furchtbar ist und was nicht, benenne und setze ich fest als Tapferkeit.") 57 194 Ef.: Ταύτης eyojye, ώ Λάχης, την των betvCjv κ ai θαρραλέων 'επιστήμην και év πολέμω καί,'εν τοις άλλοις απασιν. 58 198 Dff. 59 Das Vorgehen des Sokrates ist insofern besonders ironisch, als er dem Nikias vorwirft, er habe mit seiner Definition nur ein Drittel der Tapferkeit beschrieben, da sie sich als ein Wissen auch auf Gegenwärtiges und Vergangenes zu richten habe (199 C). Indem die Definition entsprechend um zwei Drittel erweitert wird, erscheint die ανδρεία nunmehr als das Wissen um das Gute überhaupt (199 Df.), also als die ganze άρετή, jener άρετή, die Piaton im .Protagoras' durch das Erkennen des letztlich Angenehmen als des Guten zu fassen versucht.

Daß der Begriff der έπιστήμη in der Definition des Nikias zwar in die Aporie führt, daß er aber nicht verbessert und somit die Definition selbst nicht korrigiert wird, ist nicht ohne Bedeutung für den Vergleich mit der im .Protagoras' gegebenen Definition der άνδρεία.

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hinaus gemeinsam, daß bei ihnen, was die Art der Entwicklung und Kommentierung betrifft, nicht der Eindruck der Endgültigkeit erweckt wird, daß aber die Präsenz oder wenigstens die Nähe der später in der ,Politeia' verbindlich formulierten Definition deutlich spürbar ist. Im ,Laches' wie im ,Protagoras' verzichtet Piaton - offenbar bewußt - darauf, eine endgültige Definition zu geben, damit Sokrates seine Gegner in die Aporie fuhren kann. Auf diese Weise bleibt dem Leser selbst überlassen, den Weg zur Bestimmung der Tapferkeit richtig zu Ende zu gehen 6 0 . Im Protagoras' stehen infolge der anderen Themenstellung nicht wie im .Laches' mehrere Definitionen zur Wahl, sondern jene eine (σοφία τών δεινών) wird nach relativ knapper Auseinandersetzung fixiert. Da sie mehr einer Leistung des Sokrates als des Protagoras entspringt, ist man geneigt, die Meinung Piatons - wenigstens in Annäherung — dahinter zu vermuten. Nehmen wir nun an, Piaton hätte nach dem .Protagoras' unternommen, einen ganzen Dialog nur über das Wesen der ävbpew. zu verfassen, dann hätte er nur so vorgehen können, daß er die zuvor im .Protagoras' gewonnene Definition an den Anfang stellte, um sie der Diskussion preiszugeben. Er hätte Zweifel an der bekannten Definition entstehen lassen, Korrekturen angebracht oder Ersatz in einer besseren Definition gesucht. Man würde erwarten, daß Piaton den .Laches' mit einem Definitionsversuch hätte enden lassen, der zumindest irgendeinen Vorzug gegenüber der aus dem ,Protagoras' bekannten Bestimmung aufwies. Nichts von alledem ist der Fall. Am Ende des ,Laches' ist nicht der geringste Fortschritt gegenüber den Ausführungen über die ävbpeia im ,Protagoras' zu verzeichnen, und man wird den ,Laches' nicht für so bedeutungslos halten dürfen, daß man ihm unterstellt, er ziehe am Ende die im .Protagoras' entwickelte Definition der Tapferkeit lediglich in Zweifel, ohne aber einen besseren Vorschlag zu machen, der an das Wesen der ävbpeia näher heranführe. So wenig wahrscheinlich nach den gemachten Ausführungen die Abfolge .Protagoras' - .Laches' ist, so plausibel läßt sich die Priorität des .Laches' machen. Bevor Nikias sich um eine Definition der άνδρεία bemüht, setzt Sokrates sich mit einigen Versuchen des Laches auseinander. Natürlicherweise ist der letzte Definitionsversuch des Laches der fortschrittlichste und beste: „Die verständige Beharrlichkeit wäre also deiner Ansicht nach die Tapferkeit" 6 1 . In dieser Definition ist der Begriff der καρτερία enthalten, ein Begriff, an dessen Fehlen die spätere Definition des Nikias leidet. Kombiniert ergeben die Definitionen des Laches und des Nikias im Wesentlichen das Richtige. Der Leser kann selbst diese Kombination vornehmen und wird ungefähr zu dem gelangen, was sich im vierten Buch der ,Politela' über die ανδρεία gesagt findet. Somit kann kein Zwei60 Im .Protagoras' ist die Definition der àvbpeia als σοφία insofern Ursache der späteren Aporie, als sie den Satz vom Tugendwissen bestätigt und die Standpunkte in der Frage nach der Lehrbarkeit vertauscht (vgl. S. 10f.). 61 192 D: Ή φρόνιμος 'άρα καρτερία κατά τον σον \oyov àvòpeia âv e'¿η.

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fei bestehen, daß Piaton sich über das Wesen der àvòpeia zu Zeiten des .Laches' schon im klaren war. In dem vom Thema her ganz anders angelegten ,Protagoras' geht es nicht so sehr darum, neue Erkenntnisse über bestimmte Tugenden zu sammeln. Die Zeit der breit angelegten Suche nach Definitionen scheint in diesem Dialog überschritten. Stattdessen wird eine Definition wie die der àvòpeia zielstrebig entwickelt, um zum Zwecke weiterführender Beweise gleichsam als Arbeitshypothese benutzt zu werden. Sokrates kommt die Rolle zu, den Sophisten Protagoras zu blamieren, indem er ihm nachweist, daß seine Vorstellungen von der άρετή, deren Einheit er bestreitet, ihn nicht berechtigen, als Lehrer der Tugend aufzutreten. Dem Nachweis der Einheit der άρετή dienen die Bemühungen im .Protagoras', und eben dazu bedient sich Sokrates jener Tapferkeitsdefinition, die im ,Laches' als letzte und bisher ergiebigste zwar kritisiert, aber unverbessert stehengeblieben war, nämlich der des Nikias. Man spürt erneut, daß diese Definition noch Mängel hat, aber sie erweist sich als überzeugend genug, um den Sophisten in Verlegenheit zu bringen. Protagoras sträubt sich gegen die Behauptung, daß die àvòpeia eine έπιστήμη sei, doch weiß er auch wiederum nicht, was sonst die àvòpeia sein könnte. So muß er sich notgedrungen dem Vorschlag anschließen, den Nikias im ,Laches' schon gemacht hatte und dem noch kein besserer gefolgt war. Und indem Protagoras sich, da er auf der Sonderstellung der àvòpeia beharren möchte, gegen die Gleichung àvòpeia = έπωτήμη zur Wehr zu setzen sucht, sie schließlich aber doch in Ermangelung eines besseren Vorschlags anerkennen muß, beweist er auf zweifache Weise, daß er die άρετή nicht lehren kann. Denn erstens erklärt er die Tugend für nicht lehrbar, wenn er ihr absprechen möchte, ein Wissen zu sein, zweitens ist sein eigenes Verständnis von den Teiltugenden wie etwa von der Tapferkeit so unzureichend, daß er sich von Sokrates eine Definition einreden lassen muß, die nicht einmal dessen wahrer Überzeugung zu entsprechen scheint. Piatons wahre Meinung über die àvòpeia scheint im ,Protagoras' ebenso deutlich durch wie im ,Laches'. Vielleicht sogar deutlicher, denn die Definition des Nikias im .Laches' wird im Protagoras' zunächst richtig als Voraussetzung für tapferes Verhalten dargeboten und dann etwas gewaltsam zur Definition selbst gemacht. Darüberhinaus wird im Protagoras' durch Einbezug des ηόονή-Aspektes die Definition präziser faßbar und in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt. Die Definition des Nikias wird demnach im ,Protagoras' erst wirklich motiviert, so daß der endgültigen Formulierung der àvòpeia in der ,Politeia' dann nichts mehr im Wege steht 62 . 62 Eine entgegengesetzte Auffassung vertritt v. Arnim (a.a.O. S. 24ff.). Er meint, die Kombination der von Laches und Nikias gegebenen Defintionen k o m m e der endgültigen Lösung näher als die nicht einmal ernsthaft angezweifelte Definition, die Sokrates im .Protagoras' entwickelt.

Dazu ist zu sagen, daß der Vergleich jener Kombination mit der im .Protagoras' gebrachten Definition äußerst fragwürdig ist. Die Kombination muß der Leser selbst vollziehen, sie

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Bei Ansetzung des Protagoras' nach den Dialogen um .Laches'63, also nach der Gruppe der sogenannten Tugenddialoge, rückt die Schrift nahe an die ,Politela' heran64. Dieser Sachverhalt verpflichtet nun seinerseits, die Stellung des ,Gorgias' im platonischen Frühwerk zu untersuchen, eines Dialogs, der ja auch gerade über die ηδονή wesentliche Ausfuhrungen enthält. In Zusammenhang mit dem ήδο^ή-Begriff wird die Frage nach dem Verhältnis ,Gorgias'-.Protagoras' in dieser Arbeit noch häufig zur Diskussion stehen. Aber auch im ,Gorgias' werden Andeutungen über die àvòpeia gemacht. In eigenartiger Weise scheinen sie einerseits unsicher und unverbindlich, andererseits in mancherlei Hinsicht vorausweisend auf die Definition des Begriffes in der .Politeia'. Beispielsweise klingt im ,Gorgias' an, ohne allerdings näher erläutert zu werden, daß die àvòpeia nicht επιστήμη ist, sondern daß sie mit επιστήμη einhergeht 65 . Aus einer späteren Bemerkung66 könnte man herauslesen, worin diese επιστήμη besteht. Da heißt es, daß der Besonnene (σώφρων) notwendig auch tapfer sei, da er die Eigenschaft habe, jeweils die „Ereignisse und Menschen, Freuden und Schmerzen (ήδονάς και λύπας) zu fliehen und zu suchen", die er soll, und „auswird ihm in keiner Weise nahegelegt, die Definition im .Protagoras' dagegen wird in scharfer Formulierung dargeboten. Richtiger ist daher, jede im .Laches' versuchte Definition einzeln mit der im .Protagoras' gegebenen zu vergleichen. Dabei wird sich, wie ausgeführt, letztere als fortschrittlicher und präziser erweisen als jede Definition im .Laches', auch als die am Ende stehende, fast gleichlautende des Nikias. Durch die Berücksichtigung der ήδονή als τέλος menschlichen Strebens wird zudem die Definition der àvSpeia in den Gesamtzusammenhang der àperij gestellt, was die höhere Zielsetzung im .Protagoras' deutlich kennzeichnet. 63 Einen übersichtlichen Katalog der wichtigsten in der Platon-Forschung gemachten Versuche, den .Protagoras' im Werk Piatons sinnvoll zu placieren, gibt Robert Böhme (a.a.O. S. 1 6 - 1 8 ) . Böhme führt den Beweis für die Priorität des .Laches', ohne den Vergleich der àeSpeia-Definitionen durchzuführen (S. 95ff.). 64 Zu beachten ist die Gruppierung, die Kurt Singer (Piaton der Gründer, Mnch. 1927, S. 28f.) vorgenommen hat. Nach dem von ihm beobachteten Wandel des Sokratesbildes hält er eine Einteilung in eine frühere Gruppe um .Gorgias' (Apologie, Kriton, Euthyphron, HippiasI u. II, Laches) und eine spätere um .Protagoras' (Charmides, Lysis, Thrasymachos) fur angezeigt. Dagegen macht v. Arnim (a.a.O. S. 35) den .Protagoras' zum ersten platonischen Dialog überhaupt, führt dafür allerdings ein Argument an, das ihn eher widerlegt. Durchaus mit Recht sagt v. Arnim, man müsse von Piaton erwarten, daß er durch seinen ersten Dialog „die dialogische Kunstform als die beste für philosophische Untersuchungen erweise, so daß der Leser deutlich erkennt, warum Piaton dieser Form vor dem zusammenhängenden dogmatischen Lehrvortrage und überhaupt vor allen übrigen Lehrformen den Vorzug gibt". Zweifellos erwartet man von Piatons erster Schrift, durch die er „den sokratischen Dialog als Kunstform der philosophischen Literatur kreierte", eine besonders reine Form des Dialogs. Tatsächlich aber findet im .Protagoras' nur das belanglose Vorspiel als echter Dialog statt, während Sokrates das philosphische Gespräch mit Protagoras lediglich aus der Erinnerung referiert. Das Wesentliche des Dialogs wird demzufolge in indirekter Rede wiedergegeben. Vgl. auch S. 31ff. 65 μετά έίτιστήμης, 495 C 5. 66 5 07 Β 4ff.

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zuharren" (καprepeiv), wo er soll. Es fehlt (noch?) die zusammenfassende Bezeichnung der zu fliehenden Ereignisse, Menschen, Empfindungen usw. als τα ôewà und der zu suchenden als τα μη ôeira. Wo, wie, wann der Tapfere ausharren soll 67 , erfahrt man nicht. Insofern muß man die Auskünfte, die der ,Gorgias' über die àvòpeia gibt, weniger definitiv nennen als die schärferen Formulierungen in ,Laches' und .Protagoras'. Nach der Lektüre dieser beiden Dialoge weiß der Leser, was im ,Gorgias' nur vage angedeutet wird, daß zu der καρτερία (Definition des Laches) eine επιστήμη gehört, die das Furchtbare und das Ungefährliche als eben solches erkennt (Definition des Nikias) und entsprechend das Handeln bestimmt. Die zusätzliche Leistung des .Protagoras' besteht vor allem in der Deutung des nicht Furchtbaren als καλόν, à-γαθόν und ηδύ. Freilich ist einzuräumen, daß die Bemerkungen über die àvòpeia im ,Gorgias' zu beiläufig gemacht werden, als daß sie zuverlässig zu chronologischen Schlüssen führen könnten. 67

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οπου Sel, 507 Β 8.

Die Kontraposition der Begriffe Η Δ Τ und ΑΓΑΘΟΝ 1. Die ironische Identifikation im .Protagoras' Die Ungleichheit der Begriffe ηδύ und äyafiov kann für Piaton kaum problematisch gewesen sein. Es kennzeichnet Piatons Philosophie, daß zwischen dem Bereich menschlicher Wahrnehmung und dem des wahrhaft Seienden deutlich unterschieden wird. Unter dieser Voraussetzung scheidet die Möglichkeit grundsätzlich aus, daß der an sich phänomenologische Begriff des ηδύ mit dem ontologischen des àyaâw identifiziert wird 6 8 . Daß Piaton sich dennoch mit dem Versuch der Identifikation ausfuhrlich abgibt, mag zwei Gründe haben. Erstens dürfte nicht nur unter den πολλοί, sondern auch unter den Anhängern bestimmter philosophischer Richtungen die Meinung verbreitet gewesen sein, daß sich das Gute ganz in dem erschöpfe, was der einzelne Mensch jeweils als angenehm empfinde 6 9 . Zweitens ist der Begriff des αγαθόν, solange die Ideenlehre nicht fonmuliert ist, keineswegs eindeutig. Der Leser platonischer Frühdialoge weiß eigentlich nie so recht, ob gerade das absolute, objektive oder das relative, lediglich für den Menschen geltende äyaßbv gemeint ist. Wenn also die völlige Übereinstimmung des Angenehmen mit dem absoluten Guten auch nicht ernsthaft in Betracht kommen kann, so doch immerhin die mit dem „menschlichen Guten" (άνθρώπινον àyadóν). Es ist sicher, daß nur diese letztere Identifikation im .Protagoras' diskutiert wird. Sie allerdings ist durchaus diskussionswürdig. Ausdrücklich wird dennoch nicht von zweierlei Prägungen des αγαθόν gesprochen, und der Begriff des ανθρώπινου äyaßov erscheint in Zusammenhang mit dem der ηδονή erst im späten ,Philebos'. 68 Über die Ernsthaftigkeit der Identifikation bestehen, wie anläßlich der ,Protagoras'-Interpretation schon ausgeführt, recht unterschiedliche Auffassungen (vgl. ζ. B. S. 14, Anm. 22). Pohlenz (a.a.O. S. 145f.) ist fest davon überzeugt, daß die Gleichsetzung von ηδύ und à-γαθόν einem frühen Stadium platonischen Philosophierens entspricht. Dieselbe Meinung vertrat vorher Friedrich (Piatons Lehre von der Lust im .Gorgias' und ,Philebos'. Diss. Halle 1890), der sich darauf berief, daß die Identität „so o f t und klar ausgesprochen wird, daß alle Versuche, den Abschnitt umzudeuten, mißlingen müssen". Dagegen richtiger Böhme (a.a.O. S. 83), der von einer „hypothetischen Benutzung der vom Autor nicht geteilten Anschauung" spricht. Tatsache ist, daß den πολλοί die Identifikation von Sokrates unterschoben wird und Piaton einen komischen Effekt bewußt zu erzielen sucht. Dabei bleibt aber als ein ernsthaftes Resultat der Überspitzung übrig, daß eine enge Beziehung des ήδύ zu dem für den Menschen Guten zu bestehen scheint. Eben darin ist die fortschrittliche Aussage des .Protagoras' zu suchen, daß indirekt der ηδονή eine wesentliche Rolle in der äpeτή des Menschen zugesprochen wird. 69 Von der „hedonistischen Theorie" im .Protagoras' sagt v. Arnim (a.a.O. S. 14), sie sei „von einem anderen Philosophen entlehnt".

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2. Die Antithese von ηδύ und áyadóv im ,Gorgias' Ausdrücklich gegen die Identität von ηδύ und àyadóv sind breite Ausführungen im ,Gorgias' gerichtet. Sie entwickeln sich aus einer Reihe von Versuchen, die ρητορική zu definieren. In einer Definition, die zur Diskussionsgrundlage wird, nennt Sokrates die Rhetorik eine „Erfahrung im Bewerkstelligen einer Gefälligkeit und einer angenehmen Empfindung" 7 0 . Indem er die Rhetorik eine εμπειρία nennt, spricht er ihr ab, eine τέχνη zu sein. Er hält sie demnach für eine Scheinkunst, deren Wert allgemein überschätzt wird. Wörtlich bezeichnet er die Rhetorik als den „Teil einer Sache, die nicht zum Schönen gehört" 7 1 . Diese Formulierung läßt den Schluß zu, daß Sokrates die ηδονή nicht grundsätzlich fiir gut hält, da sie als ein äyaßov zugleich ein καλόν wäre 72 und dann auch die ρητορική als das Vermögen, die ηδονή zu erzeugen, zu den καλά πράγματα gehören müßte. Daß Sokrates der Rhetorik den Rang einer τέχνη bestreitet und sie eine εμπειρία nennt, kann nur den Grund haben, daß sie als τέχνη mit έπιστήμη verbunden sein müßte, wobei in diesem Falle nur jene έπιστήμη in Frage käme, die erkennt und entscheidet, welche ήδοναί es wert sind erzeugt zu werden und welche nicht. Die έμπειρία dagegen zeichnet sich gerade durch Mangel an έπιστήμη aus. Sie nämlich verzichtet auf die Auswahl und erzeugt kritiklos jede beliebige Art von ηδονή. Es ist offenbar, daß nicht jede ηδονή von gleichem Wert ist. Zahlreiche Beispiele im ,Gorgias' dienen der Demonstration, daß die Begriffe ηδύ und àyaBóv nicht nur nicht identisch sind, sondern unter Umständen geradezu das Gegenteil meinen. Mitunter gewinnt man im ,Gorgias' sogar den Eindruk, hier solle sich das ηδύ als κακόν erweisen. Doch der Schein trügt. Es wird deutlich gemacht, daß sowohl auf Seiten des äyaßov wie auch des κακόν angenehme Empfindungen möglich sind 7 3 . 70

εμπειρία χάριτος τίνος κ ai ηδονής άπεργασιας, 4 6 2 C 7. Π ράμματος TLVOÇ μόριον ούδβνός τών καλών, 4 6 3 A 3f. 72 Übereinstimmung bzw. Unterschiedlichkeit der Begriffe καλόν und äyadov können und müssen hier nicht gründlich herausgearbeitet werden. Es sei aber erwähnt, daß Piaton im 71

,Gorgias' Ausfuhrungen über das καλόν macht, deren Ernsthaftigkeit allerdings mehr als zweifelhaft ist. 4 7 4 D heißt es, eine Sache sei καλόν entweder in Hinblick auf ihre ώψ€λία oder auf die ηδονή, die sie bereitet. Da Piaton gerade im ,Gorgias' bestrebt ist, die negativen Aspekte der ηδονή hervorzukehren, scheint es unglaubwürdig, daß er allen Ernstes sagen will, alles, was ηδονή bereite, sei καλόν. Dann nämlich wäre die Rhetorik, da sie ηδονή bereiten will, „Teil einer der schönen Sachen". Man darf annehmen, daß die Bestimmung des καλόν 4 7 4 D bezüglich des ήδονή-Αspektes eine vorläufige Konzession an die πολλοί bzw. an die Gesprächsgegner darstellt, zumal dieser Aspekt des καλόν im folgenden des Dialogs stets ausgeschaltet wird. Dagegen scheint der d v e \ i a - A s p e k t durchaus ernst gemeint. Alles, was ώψΐλιμον bzw. äyaßov ist, fällt selbstverständlich unter die καλά πράγματα. Eben deshalb ist die Rhetorik keine schöne Sache, weil es ihr an ώφελία mangelt. 73 Wie die Äußerung des Sokrates, die Rhetorik - als Routine im Erzeugen von ηδονή sei nicht Teil einer schönen Sache, an sich schon dazu verleitet, die ηδονή für nicht nur

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An einem von Platon bevorzugten Beispiel, dem der ärztlichen Behandlung, versucht Sokrates einmal gegenüber Polos, einmal gegenüber Kallikles die Ungleichheit von ηδύ und αγαθόν zu demonstrieren. Sokrates: Ist es nun etwa angenehm, vom Arzt behandelt zu werden, und finden die Gefallen daran, die in Behandlung sind? - Polos: Das glaube ich durchaus nicht. — So.: Aber nützlich ist es doch. Oder nicht? — Po.: Doch. — So.: Denn es befreit von großem Übel, so daß es sich lohnt, den Schmerz auszuhalten und (dann) gesund zu sein. - Po.: Wie sollte es nicht! 7 4 Entsprechend die Argumentation gegenüber Kallikles: Sokrates: Und, nicht wahr, die Begierden zu befriedigen, etwa, wenn man hungrig ist, so viel zu essen, wie man will, und wenn durstig, zu trinken, das gestatten dem Gesunden die Ärzte meistens, dem Kranken aber erlauben sie ganz einfach niemals, seine Wünsche zu erfüllen. Das kannst doch auch du bestätigen? — Kallikles: Ja. 75 Oder schließlich anders herum argumentiert: Sokrates: Denn was läge daran, Kallikles, einen kranken und zerrüttet daniederliegenden Körper viele Speisen, und zwar die angenehmsten, zu geben oder Getränke oder sonst etwas, das unter Umständen nicht mehr nützt als das Gegenteil, ja, wenn man es recht besieht, sogar weniger? 76 Ist es nicht so? - Kallikles: Ja. nicht schön, sondern sogar für schändlich zu halten, so wird auch in den Beispielen gegen die Identität von ηδύ und kyadáv die Neigung des ηδύ zum κακόν ungleich mehr betont als die zum àyadóv. Diese aus der Absicht des Dialogs (Widerlegung der „hedonistischen" Lebensanschauung) heraus verständliche Tendenz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Piaton im gleichen Atemzuge die Identität von ηδύ und κακόν ausscheidet, sie gar nicht erst zur Diskussion stellt. Entsprechend verlagert liegt der Akzent im .Protagoras' auf der Annäherung des ηδύ an das àyaBàv. Solche Akzentverschiebungen sollte man jedoch nicht ohne weiteres als Widersprüchlichkeit oder als philosophischen Fortschritt Piatons deuten. Vielmehr entsprechen sie dem dialektischen Fortgang der Begriffsentwicklung, in diesem Falle der Entwicklung eines angemessenen Urteils über Wert und Unwert der verschiedenen Arten von ηδονή. 74

4 7 8 Β: Σ Ω . Xp' ούν το ιατρβύβοθαι ηδύ έστιν, και χαίρουσαι oi iarpeuoßevoC, - ΠΩΛ. Οϋκ eßoiye δοκεϊ. - Σ Ω . Ά λ λ ' ώφέλιμόν ye. η γάρ; - ΠΩΛ. Ναι. - Σ Ω . Μεγάλου yàp κακού άπαλλάττεται, ώστε λυσιτελεί ύπομεϊναι την ά\η/ηδόνα και i/γιή eîvai. ΠΩΛ. Πώς yàp ob'; 75 505 Α: Σ Ω . Ούκούν και τάς iniθυμίας άποπψπλόναι, οίον πβινώντα φαΊΐϊν οοον βούλΐται η διψώντα πιεϊκ, vyiatvovra uèv έώσιν οι 'ιατροί ώ ς τα πολλά, κάμνοντα δέ ώ ζ έπος ειπείν ούδεποτ έώσιν έμπίμπλασθαι ών επιθυμεί; συγχωρείς τούτά ye και σύ; — ΚΑΛ. "Εγωγε. 76 504 Ε: Σ Ω . Τί yàp όφελος, ώ Καλλικλεις, σώματι ye κάμνοντι και μοχθηρώς διακείμ ε ν η σιτία πολλά διδόναι και τα ηδιστα η ποτά η αλλ' ότιούν, ο μη άνήθ€ΐ αύτόν ε'σθ' òri πλέον ή τουναντίον, κατά ye τον δίκαιον λόγου και βλαττον; εστι ταύτα; - Der Relativsatz ist in der üblichen Übersetzung kaum verständlich. Als Beispiel Schleiermacher: „ . . . w a s ihm bisweilen um nichts mehr dient oder im Gegenteil recht gesprochen, wohl noch weniger."

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Es ist klar, worauf Sokrates hinaus will. Es gibt Situationen, in denen es von Nutzen ist, Unangenehmes zu leiden, schädlich dagegen, das Angenehme zu suchen. Sokrates behauptet nicht, daß dies immer so sei. Es mag sich dabei sogar um Ausnahmefälle handeln. Aber so wenig die Identität von ηδύ und κακόν behauptet wird, so abwegig erscheint nun auch das grundsätzliche Zusammengehen von ηδύ und αγαθόν 77 . Das Angenehme scheint auch wiederum nicht neutral zwischen Gutem und Schlechtem zu stehen, sondern — je nach Situation bald dem Guten, bald dem Schlechten zu dienen 78 . Die Ungleichung ηδύ Φ àyadóv ist erst aufschlußreich, wenn eindeutig ist, was unter dem αγαθόν verstanden wird. Eine Definition des äyaßov wird im ^orgias' aber nicht geleistet, wenngleich bemerkenswert ist, daß Sokrates die Begriffe àyaBòv und ώφέλιμον durchweg als austauschbar ansieht. Durch die Verwendung des ώφέλιμον wird der an sich bestehenden Notwendigkeit, das àyadóv genauer zu bestimmen, mit Geschick begegnet 79 . Dem ώφέλιμον haftet die Zeitgebundenheit an. Nützlich ist eine Sache, die, unabhängig von ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit, zu einem späteren Zeitpunkt gut ausgeht. Wobei dann allerdings wieder zu fragen bleibt, inwiefern der Ausgang einer Sache als gut bezeichnet werden darf. Im ,Gorgias' wird das nur angedeutet. Etwa Gesundheit scheint etwas Gutes zu sein. Sie ist gegeben, wenn Gegen diese und andere ähnliche Übersetzungen sind ein grammatikalischer und ein sachlicher Einwand zu machen: 1. Das πλέον verlangt einen Vergleich, denn in Verbindung mit όνήσει ist der Komparativ πλέον auch nur komparativisch zu übersetzen. 2. μή . . . πλέον und ε'λαττον bilden keine Gegensätze, wenn durch die Konjunktion Vi eine Alternative angeboten wird. So wäre τούνατίον als Adverb nur dann sinnvoll, wenn anstelle des η ein άλλα den Gegensatz einleitete. Beide Einwände legen nahe, das rj als Vergleichspartikel und τουναντίον entsprechend substantivisch aufzufassen: „. . .was ihm womöglich nicht mehr nützt als das Gegenteil", nämlich als das Verbot aller momentanen gewünschten Annehmlichkeiten und als die unangenehme ärztliche Behandlung. Der Schluß des Satzes ist in der überlieferten Form anzufügen. Die Konjekturen von Cornarius ($} κατά ye) und Schleiermacher (κατά Sè) schaffen zwar einen möglichen Anschluß, sind aber nicht unbedingt erforderlich. Mit κατά ye ist der Nachsatz hinreichend abgesetzt: „. . .ja, wenn man es recht besieht, sogar weniger". 77

Das áyadáv ist 504 E 8 im òvrjaei eingefangen. Friedrichs (a.a.O. S. 26) geht etwas zu weit, wenn er jegliche Beziehung zwischen fj6i5 und àyaeóv im ,Gorgias' leugnet und von „einander widersprechenden Lebensanschauungen" spricht. Richtig ist allerdings, daß der Eindruck einer gewissen Gegensätzlichkeit der Begriffe durch Überbetonung der Verschiedenheit erweckt wird und auch wohl erweckt werden soll. Dieser Eindruck wird jedoch am Ende des Dialogs vom Hades-Mythos aufgehoben, über den noch zu handeln sein wird. 79 Mit dem Begriff ώφέλιμον ist, wie Hirschberger (a.a.O. S. 133) richtig ausführt, nur das relative Gute benannt. Das absolute àyaeóv gibt lediglich die Richtung für die menschliche ÙLpeT-ή, ist also für den Vergleich mit dem ηδύ untauglich, da dieses fürs erste eo ipso relativ ist. Allein, die Problematik des absoluten und relativen àyaeóv wird im ,Gorgias' weitgehend verschleiert und erst in der ,Politela' aufgelöst. 78

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der Körper in Ordnung ist 80 . Desgleichen muß in der Seele Ordnung herrschen, wenn sie sich gut befinden soll. Beim αγαθόν scheint also der Begriff der Ordnung eine Rolle zu spielen.

3. Der fortschrittliche Versuch einer Synthese von ήδύ und àyafiôv im .Protagoras' Für denjenigen, der sich mit dem ωφέλιμοι' anstelle eines definierten àyaBòvBegriffes zufrieden gibt, mag das Arzt-Beispiel im ,Gorgias' überzeugend belegen, daß die Begriffe ,gut' und .angenehm' stark verschieden sind. Wie unzureichend aber die Aussage des Vergleiches von ήδύ und ώψέλιμον ist und wie wenig diese Gegenüberstellung von dem wahren Verhältnis der Begriffe ηδύ und äyaßov verrät, zeigt ein Blick auf einen entsprechenden Passus im .Protagoras': „Ihr Menschen, die ihr behauptet, daß Schmerzliches auch wieder gut sei, meint ihr damit nun nicht folgendes, daß beispielsweise die Leibesübungen, die Feldzüge, die ärztlichen Behandlungen, die in Brennen und Schneiden, Arzneinehmen und Fasten bestehen, zwar gut sind, aber schmerzhaft? Würden sie das sagen? — Er teilte diese Meinung. — Nennt ihr dies nun etwa deswegen gut, weil es im Augenblick äußerste Qualen und Schmerzen bereitet, oder weil in der Folgezeit Gesundheit daraus entsteht und Wohlbefinden des Körpers und Wohlstand der Stadt und Herrschaft über andere und Reichtum? Das würden sie wohl sagen, wie ich meine. — Er glaubte es auch. — Sind aber diese Dinge aus irgendeinem anderen Grunde gut als aus dem, weil sie in ήδοναί endigen und in der Vertreibung und Abwendung von λύπαιί Oder könnt ihr ein anderes Ende nennen, auf welches sehend ihr diese Dinge gut nennt, als ήδοναί und λύπαιί Sie würden nein sagen, wie ich glaube. — Auch ich glaube, daß sie nein sagen würden, sagte Protagoras." 81 . Hier im ,Protagoras' wird die ιίχρβλία. durch ηδονή und λύτιη interpretiert. Das, was im ,Gorgias' ώψέλιμον genannt wird und das äyaßov bezeichnen soll, meint 80

Bei den gelegentlich im ,Gorgias' unternommenen Versuchen, das à-γαθόυ näher zu bestimmen, vertreten κόσμος, τάξις, όρθότης den objektiven Bereich. Im subjektiven dagegen erscheint das à-γαθάν als οώρρον, welches wiederum das δίκαιον gegenüber den Menschen, das οσιον gegenüber den Göttern einschließt. (Vgl. .Gorgias' 506 Cff.). 81 354 Äff.: ΤΩ άνθρωποι oc λέγοντες αν àyadà άνιαρά είναι, àpa où τα τοιΛδε λέγετε, οίον τά Te -γυμνάσια και τάς στρατείας και τάςύπότών 'ιατρών θεραπείας τάς διά καύσεων re και τομών και φαρμακειών και λιμοκτσνιών yiyiιομένας, οτι ταύτα άγαθά μεν ίστιν, àviapà δε; Φαΐεν αν, - Συνεδόκει. - Πότερον ούν κατά τάδε àyαθά αυτά καλείτε, οτι τ φ παραχρήμα ό&ύνας τάς έοχάτας παρέχει και άλγηδόνας, η οτι είς τον ύστερον χρόνσν νγίειαί τε άπ' αυτών yiyvovrai και εύεξίαι τών σωμάτων και τών πόλεων σωτηρίαι και άλλων άρχαί και πλούτοι; Φαίει» αν, ώς έγφμαι. - Συνεδόκει. - Ταύτα δε άγαθά έστι δι' άλλο τι ή οτι ε'ις ηδονάς άποτελευτφ και λυπών άπαλλαγάς τε και άποτροπάς; íj 'έχετέ τι ίίλλο τέλος λέyetv, είς ο άποβλέψαντες αυτά άγαθά καλείτε, άλλ' ηδονάς τε κ ai λύπας; Ο ύκ αι> φαιεν, ώς έγφμαι. - Ούδ' έμοι δοκεϊ, εφη ò Πρωταγόρας.

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eigentlich nur die Zwiespältigkeit des ήδορή-Begriffes, wie sich jetzt herausstellt. Wir dürfen demnach im .Protagoras' eine fortschrittliche Behandlung unseres Problems erwarten82. Hier erweist sich als ein Charakteristikum der ηδονή, daß sie größere λύπη nach sich ziehen kann — wie umgekehrt die λύπη bisweilen größere ηδονή zur Folge hat. Auf diese Weise also wird aufgedeckt, wie unzureichend das Verhältnis des ηδύ zum wahren, bisher noch nicht fixierten äyaßöv erfaßt wird, wenn ηδύ und ώφέλιμον zum Vergleich stehen und daraus, wie es im ,Gorgias' der Fall ist, die Ungleichung aufgestellt wird. Wenn also im ,Gorgias' mit Hilfe einiger noch sehr unscharfer Begriffe versucht wird, den Nachweis für eine erhebliche Diskrepanz zwischen ηδύ und äyaßöv zu erbringen83, dann wird dort — gemessen an der Interpretation des Problems im Protagoras' — im Grunde nur festgestellt, daß unter Umständen Angenehmes sehr unangenehme, Unangenehmes sehr angenehme Folgen haben kann. Irgendwo darüber scheint vermittelnd das àyadóv zu stehen. In beiden Dialogen, ,Gorgias' und .Protagoras', erweist sich das Übereinstimmen von ηδύ und äyaßöv als unhaltbar84, jedenfalls die Übereinstimmung im Sinne 82

Daran darf auch nicht hindern, daß im ,Gorgias' für das ύ,-γαθάν Begriffe wie τάξις, δίκαιον usw. eingeführt werden, die scheinbar über das Phänomen der ηδονή weit hinausreichen und die im .Protagoras' keinerlei Erwähnung finden. Ob nicht auch ,Ordnung', ,Gerechtes' und dergleichen Begriffe aus dem Objektiven für den Menschen letztlich ηδονή bedeuten, wird im .Gorgias' nicht gefragt. Nach dem .Protagoras' k ö n n t e man es bereits vermuten. Die späteren Dialoge (insbes. ,Politela' u. .Philebos') bestätigen schließlich diese Annahme. 83 Die Aussage, daß ηδύ und άγαθόν keine gleichwertigen Begriffe sind, entspricht selbstverständlich Piatons Überzeugung zu jeder Zeit. Doch wir begegnen wiederum der Gepflogenheit Piatons, festen Überzeugungen zunächst jeweils auf einem Wege Ausdruck zu verleihen, der diejenigen überredet, die weniger kritisch über die Sache nachdenken, dagegen diejenigen zweifeln läßt, die sich nicht überreden lassen. Die Unterschiedlichkeit von ηδύ und àyadóv wird im weiteren Verlauf des platonischen Werkes durchaus überzeugend dargelegt. Es gehört, wie sich zeigt, zur Methode Piatons, den Leser durch das zunächst zweifelhafte Beweisen von im Grunde Richtigem zum Widerspruch und zum konstruktiven Mitdenken gleichsam herauszufordern. 84 Anders Pohlenz (a.a.O. S. 146), der den Fortschritt des ,Gorgias' darin zu erkennen glaubt, daß Piaton, von der Überzeugung kommend, alles Angenehme sei gut, im ,Gorgias' „aufjubelt", „als er endlich Kallikles zu dem Zugeständnis gebracht hat, ότι ήδοναί τινές eìmv ai μεν άγαθαι ai 6è κακαί (499 C)". Diese Deutung von Pohlenz verrät, wieviel vom Verständnis einzelner Dialogpartien für die richtige Einordnung der Schrift in das Gesamtwerk abhängen kann, wie umgekehrt die richtige Einordnung das Verständnis zu erleichtern vermag. Inwieweit ein Interpret wie Pohlenz die vermeintliche Abfolge der Dialoge zur Deutung heranzieht oder gerade umgekehrt verfährt, ist nachträglich meist nicht mehr auszumachen. Ganz sicherlich aber hat Voigtländer in seiner Dissertation den erstgenannten Weg eingeschlagen und sich dabei oftmals täuschen lassen, wie noch zu zeigen sein wird.

Böhme (a.a.O. S.83) führt für die Priorität des ,Gorgias' ins Feld, die Bekämpfung der Identität (.Gorgias') müsse wohl ihrer Benutzung als Arbeitshypothese (,Protagoras') vorausgehen. Es folgt bei Böhme eine ausführliche Begründung des Arguments.

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einer Identität. Im ,Gorgias' insofern, als das ηδύ nur augenblicksbezogen gedacht und einem äyaßov gegenübergestellt wird, das als ώφέλιμον in Gegenwart und Folge zerfallt, wobei Gegenwart und Folge grundverschieden sein können. Eine Identität von ηδύ und äyaßov mußte unter diesen Umständen ausscheiden. Im Protagoras' werden die Vorzeichen dann umgedreht, und zwar mit vollem Recht. Das, was zuvor ώφέλιμον genannt worden war, erscheint jetzt als das in Gegenwart und Folge zerfallende ηδύ. Das wahre äyaßov aber hat diesen Zeitaspekt gerade nicht, unter dem ώφέλιμον und ηδύ gesehen werden müssen. Was gut ist, das ist immer gut und nicht bald gut, bald schlecht. Eben deshalb scheint im .Protagoras' die Identität von ηδύ und äyadov lächerlich, weil im Falle des ηδύ zwischen Gegenwart und Folge so erhebliche Differenzen auftreten können, daß sich augenblickliches ηδύ in der Folge geradezu als άηδές erweisen kann. Es steht nicht expressis verbis im .Protagoras', daß das äyaßov den zwiespältigen Wesenszug des ηδύ nicht hat. Doch eben der Versuch des Sokrates, mit der Identifikation von ηδύ und äyaßov - bewußt lächerlich — zu operieren, läßt die Notwendigkeit erkennen, das äyaßov als etwas Zeitloses (äei Öv), Einheitliches (ev) und solchen Phänomenen wie ηδονή und λύπη übergeordnetes Prinzip zu suchen 8S . Kapp (The Theory of Ideas in Plato's Earlier Dialogues, in Ausgew. Schriften Bin 1968, S. 55ff.) bemerkt (S. 81), daß der ,Gorgias' keinen Bezug zum .Protagoras' aufweise, daß dagegen der .Protagoras' die Ansichten des .Gorgias' bezüglich .gut' und .angenehm' nur scheinbar mißachte. Wenn Kapp dann aber fortfährt, der .Protagoras' könne nur von dem verstanden werden, der die im .Gorgias' vertretenen Ansichten für die wirkliche Überzeugung Piatons genommen habe, mag man ihm nur noch ungern folgen. Für Kapp steht der .Gorgias' am Ende der 1. Periode Piatons ( 3 9 9 - 3 9 0 v. Chr.), der .Protagoras' am Anfang der 2. Periode ( 3 8 6 - 3 7 7 ? ) , in die auch der .Laches' fällt. Dodds (Plato, Gorgias. A Revised Text with Introduction and Commentary, Oxf. 1959, S. 18ff.) erwähnt die Möglichkeit, daß der .Gorgias' mit seiner Bitterkeit und Kritik an Athens Politik und Politikern eine unmittelbare Reaktion Piatons auf das Sokrates-Urteil gewesen sein könnte. Doch da Dodds traditionsgemäß den platonischen Sokrates für lustfeindlich hält, setzt er den .Gorgias' im Frühwerk Piatons dann doch später an als den .Protagoras', in dem Sokrates die Gleichung Tugend = Wissen „nur hedonistisch" herleiten kann. Die fast allgemeine Vorstellung in der Forschung, daß Piaton ein erklärter Gegner des Hedonismus schlechthin gewesen sein müsse, scheint Fehlurteile bei chronologischen Überlegungen in besonderer Weise begünstigt zu haben. 85 Wenn Voigtländer (Diss. S. 53f.) mit Wilamowitz (Platon I, S. 211) im .Gorgias' einen „gewandelten Sokrates" zu erkennen glaubt, der „nicht mehr" forscht, sondern einen festen Glauben besitzt, den er zu behaupten weiß und für den er zu Felde zieht, dann setzt er voraus, daß der forschende Sokrates demjenigen, der seine Meinung vertritt, vorangeht und unterlegen ist. Man bedenke aber, daß Sokrates in den Dialogen ein Instrument Piatons ist, das dieser nach Belieben einsetzt. Warum sollte nicht Sokrates zunächst eine Meinung vertreten, die - vielleicht authentisch - nicht Piatons Überzeugung entspricht, durch die aber möglicherweise Fragen auch ganz prinzipieller Art erst aufgeworfen werden können? Es wird noch zu zeigen sein, daß insbesondere der Hades-Mythos am Schluß des .Gorgias' Probleme aufwirft, die dann im .Protagoras' in Form von scharf formulierten Fragen zur Diskussion gestellt werden.

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Noch ein zweites Beispiel aus dem ,Gorgias' mag die Fragwürdigkeit der Gegenüberstellung ηδύ — ώφέλψον in Hinblick auf das wahre Verhältnis ηδύ — αγαθόν demonstrieren. Sehr ausführlich wird die Frage diskutiert, was besser sei, das Unrechtleiden oder das Unrechttun, und was nach einmal begangenem Unrecht besser sei, das Bestraftwerden oder das Straffreiausgehen. Beim ersten Teil der Frage geht es Piaton darum, den Standpunkt zu widerlegen, das Unrechttun sei besser, weil es angenehmer sei 86 . Bei Behandlung des zweiten Teils der Frage läßt die Argumentation des Sokrates den vermeintlichen Gegensatz des ηδύ zum ά-γαθόν besonders deutlich hervortreten 8 7 . Zunächst kommen Sokrates und Polos überein, daß die Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) schön (καλόν) sei. Wenn die Gerechtigkeit schön ist, ist es auch schön, gerecht zu strafen. Dann aber ist es auch schön, gerecht bestraft zu werden. Denn wie einer einem anderen etwas antut, so widerfährt es jenem auch, dem es angetan wird. (Die Fragwürdigkeit dieses Beweisgedankens ist in unserem Zusammenhang belanglos!) Das Schöne ist laut Definition 8 8 entweder in bezug auf ηδονή oder auf ώφέλία schön. Also muß die gerechte Strafe, da sie als Strafe ja in jedem Falle unangenehm ist, notwendig nützlich sein, und eben nützlich nicht nur aus der Sicht des Strafenden, sondern in gleicher Weise aus der Sicht dessen, der bestraft wird. Der Nutzen der gerechten Strafe zeigt sich in der bessernden Wirkung auf die Seele. Wer jedoch straffrei ausgeht, wird eben dadurch zu weiteren Untaten animiert und bessert sich nicht. Das Beispiel wird im .Protagoras' nicht wieder aufgenommen, aber es ist leicht vorstellbar, wie es in der Version dieses Dialogs formuliert würde: Der Verbrecher, der für seine Untat angemessen hat büßen müssen und nun von weiteren Auf den Wandel des Sokrates-Bildes beruft sich auch Rudberg (a.a.O. S. 30ff.), wenn er den ,Gorgias' für später erklärt. Im ,Protagoras' sei Sokrates noch „unsicher" (S. 32) und „realistisch unbeherrscht" (S. 41), die Debatte verlaufe daher unentschieden. Im ,Gorgias' dagegen trete er absolut, kompromißlos auf und gehe ohne nennenswerte Opposition als Sieger hervor. So vollziehe sich im ,Gorgias' die Wandlung vom historischen zum platonischen Sokrates, der dann im ,Menon' nur noch der „Lehrer" des platonischen Gedankenguts sei. Wo sich tatsächlich die erwähnte Wandlung des Sokrates vollzieht und ob diese überhaupt in einem bestimmten Dialog stattfindet, ist kaum zu klären. Ein sich veränderndes Sokrates-Bild findet sich auch im ,Laches' und besonders auffällig gerade im .Protagoras'. Jener Sokrates, der am Ende des Dialogs die Lehrbarkeit der άρετή erklärt, könnte eben der sein, der im ,Menon' dann als „Lehrer" erscheint. Es wäre plausibel, daß Piaton mehrfach ansetzt, den historischen durch den platonischen Sokrates abzulösen. 86

4 7 5 Β ff. 4 7 6 Β ff. 88 Die Definition des καλόν, die 474 D gegeben wird, ist wenig aufschlußreich und kaum ernstzunehmen (vgl. S. 28 Anm. 72). Der Beweis 476 Eff. hätte auf den Umweg über sie verzichten können. Denn so gut wie Sokrates das δίκαιον als ein καλόν erklärt, so gut hätte er es auch gleich ein άγαθόν nennen können. Bislang sind die Begriffe καλόν und äyadov gleichermaßen unzureichend erläutert. 87

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Vergehen absieht, kehrt unbehelligt in die menschliche Gemeinschaft zurück und kann hinfort ein angenehmes Leben führen. Der Ungestrafte dagegen sinnt auch weiterhin auf Übeltaten, die ihm für den Augenblick Annehmlichkeiten (Reichtum u.a.) verschaffen, die ihn aber bei seinen Mitmenschen gefürchtet und verhaßt machen. Die Gesellschaft stößt ihn aus und läßt ihn nicht zur Ruhe kommen, womit er letztlich das bei weitem unangenehmere Leben für sich gewählt hat. Was geht — kurz zusammengefaßt — aus .Gorgias' und .Protagoras' über das Verhältnis von ηδύ und àyatìàv hervor? Aus dem ,Gorgias' war die Sicherheit zu gewinnen, daß ηδύ und àyadòv (ώφέλιμον) nicht grundsätzlich vereinbar sind. Im .Protagoras' zeigte sich darüber hinaus, daß das ηδύ in seiner Zwiespältigkeit, seinem Gegenwarts- und seinem Zukunftsaspekt, nicht mit dem in Wahrheit zeitlosen äyaßov auf eine Ebene zu bringen ist. So mußte der Versuch einer Identifikation der Begriffe kläglich scheitern. Ein Einfluß des äyaßov auf das ηδύ in irgendeiner nicht näher erklärten Weise wurde im ,Protagoras' viel offensichtlicher als im ,Gorgias'. Zwischen der Aussage des ,Gorgias', daß Angenehmes geradezu schlecht sein kann, und der des .Protagoras', daß das letztlich Angenehme erstrebenswert ist, steht am Ende des ,Gorgias' gleichsam als Überleitung von der mehr negativen zu der mehr positiven Beleuchtung der ηδονή eine Folge mythologischer Bilder, die das Schicksal der menschlichen Seelen im Hades beschreiben.

4. Der Hades-Mythos am Schluß des .Gorgias' Das Angenehme im Jenseits als Bestätigung der guten Lebensweise im Diesseits In Hinblick auf das bisher von der ηδονή gewonnene Bild kommt dem Mythos am Schluß des ,Gorgias' größte Bedeutung zu. In ihm wird der Boden gelegt für die im .Protagoras' ausgesprochene Forderung nach einer έπιστήμη, die zur Auswahl möglichst λυπη-freier ήδοναί verhelfen soll. Der Mythos beschreibt das Schicksal der Seelen nach dem Tode der menschlichen Körper, denen sie innewohnten 89 . Die gute Seele gelangt, nachdem sie dem vergänglichen Leib entflogen ist, zu den Inseln der Seligen, um dort „in vollkommener Glückseligkeit außerhalb des Schlechten" 90 zu leben. Die schlechte, aber nicht hoffnungslos schlechte Seele erhält eine Gefängnisstrafe, die sie läutert und ihr ermöglicht, eines Tages wieder frei zu leben 91 . Es ist demnach von Vorteil fiir die heilbar schlechten Seelen, bestraft zu werden, aber „dennoch wird ihnen der Nutzen nur durch 89 90

"

523 Äff. èv πάσχί εύδαιμονίμ έκτος κακών, 525 Β U. 5 2 7 Β.

5 2 3 Β. 2.

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Schmerzen und Qualen zuteil — sowohl hier als auch im Hades. Denn auf andere Weise ist es nicht möglich, vom Unrecht loszukommen." 92 Aus Gründen der Warnung und Abschreckung Wird den heilbar Schlechten vor Augen geführt, wie die unverbesserlichen Frevler auf ewig Schmerzen leiden 93 . Was ist es also, das der Seele widerfahrt, wenn sie in Gemeinschaft mit dem Körper gut (tugendhaft), weniger gut oder ganz und gar schlecht gelebt hat? Das Gute der Seele beweist sich im Hades, wo gerichtet wird, durch das Maß an ηδονή, das ihr dort zuteilwird 94 , das Schlechte dagegen durch das Maß an Pein und Schmerz (λύπη), das der Seele bereitet wird und das umso länger währt, je mehr die Seele gefrevelt hat. Die großen Belohnungen fur eine Seele sind demnach die Befreiung von jeglicher λύπη und das Erlangen von λύπηfreier, also reiner ηδονή. Was dagegen die Seele am meisten zu fürchten hat, ist die λύπη, die nach schlechtem Leben droht und unter Umständen ewig währt. Was sonst kann die ώφελία fiir die gerecht bestraften Seelen meinen, wenn nicht die Aussicht darauf, über das Leiden von λύπη zu beständiger ήδονή zu kommen 95 . Der Mythos zeigt, daß der Mensch über das beste Leben zum letztlich angenehmsten, über das schlechteste zum letztlich unangenehmsten Leben gelangt. So wird am Schluß des ,Gorgias' eingestanden, was vorher bestritten schien, daß die ηδονή im Grunde und letztlich erstrebenswert, die λύπη meidenswert ist. Der Mythos rechtfertigt so auf der einen Seite die im .Protagoras' dann ausgesprochene Forderung nach einer έπιστήμη, die ermöglicht, sich die letztlich größte ηδονή zu verschaffen, und zeigt auf der anderen Seite, daß das Gute in irgendeiner Form das Angenehme bedingt (oder auch umgekehrt) und daß oh92

525 Β: όμως 8è δι' άΚγηδόνων καί οδυνών yiyverai αύτοις ή ώφβ\ία καί ένθάδε καί èv Άιδου· ού yàp οΐόν re 'άλλως άδικιας άπαλλάττβσάαι. 93 διά τάς αμαρτίας τα μέγιστα καί όδυνηρότατα καί φοββρώτατα πάθη πάσχοντας τον àei χρόνοι», 525 C. 94 Damit widerlegt der Mythos Voigtländer, der mit Ferber jegliche Beziehung zwischen ηδύ und äyaäov im ,Gorgias' zu leugnen sucht. Voigtländer (Diss. S. 54) spricht von „zwei einander widersprechenden Lebensanschauungen" und von einem „schroffen Gegensatz". Ebenso trifft die Auffassung von Friedrichs (a.a.O. S. 26) und Ferber (Piatons Polemik gegen die Lustlehre. 1912, S. 140f.), daß die ήδονή im ,Gorgias' nur mit den niederen Begierden in Erscheinung trete (492 A), nur für die Ausführungen Piatons vor dem Hades-Mythos zu. Welcherart jene ηδονή, mit der ein gutes Leben im Jenseits belohnt wird, zu denken ist, bleibt im .Gorgias' freilich dunkel. Eine präzise Deutung der menschlichen ευδαιμονία gibt auch der späte ,Philebos' nicht, wenngleich nach diesem Dialog außer Zweifel steht, daß an die Befriedigung irgendwelcher niederen Begierden als Zeichen menschlicher Eudämonie nicht gedacht werden darf. 95

Die zeitliche Ausdehnung von ηδονή und λύπη - ein eindeutig quantitativer Aspekt - , die den Grad der Belohnung bzw. Strafe kennzeichnet, ist, da auf mythischer Ebene genannt, wohl zu übertragen, also als Qualität der Empfindungen anzusehen. Derselbe Aspekt erscheint dann noch einmal im .Protagoras' 353 Cff., wo der vorübergehenden ärztlichen Behandlung der dauerhafte Zustand der Gesundheit gegenübersteht.

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ne das Gute ein Höchstmaß an ηδονή nicht zu erreichen ist 96 . Was allerdings ein .gutes' Leben und was schließlich das ,Gute selbst', was also konkret für den Menschen richtungsweisend ist bzw. sein sollte, beantwortet auch der Mythos am Schluß des .Gorgias' nicht. Es wird lediglich etwas von dem im Dialog zunächst gewaltsam unterdrückten Wert der ηδονή und von dem irgendwie bedingenden Verhältnis von ηδύ und àyaOòv sichtbar. Und damit allerdings meint Piaton es so ernst, wie er es in den Worten zum Ausdruck bringt, mit denen Sokrates den Mythos ankündigt: „Denn so, als ob es wahr ist, will ich dir erzählen, was zu erzählen ich beabsichtige"97. Der Bericht, den Sokrates geben will, soll mehr als ein μύθος98 sein, er soll die Wahrheit sagen. 96

Es ist nach wie vor zwischen dem Guten selbst und dem spezifisch menschlichen Guten zu unterscheiden, obwohl, wie schon erwähnt, dieses Problem noch nicht ausdrücklich angeschnitten wird. Wenn in diesem Zusammenhang (Hades-Mythos) vom „guten Leben" die Rede ist, so ist das tugendhafte Leben gemeint, wobei natürlich ein enger Bezug von der äpeτή zum àyatìòv αύτό gesehen werden muß, der erst in der ,Politela' deutlicher gemacht wird. 97 ώ ς άληθτ) yàp οντά σοι λέξω α μ έ λ λ ω \eyew , 523 A l f . 98 5 2 3 Α 2. Der Begriff μύθος meint hier ein Märchen ohne vollen Wahrheitsgehalt. Bei Piaton stehen in einem solchen Mythos, wie etwa in dem oben behandelten Hades-Mythos, die wahrsten Aussagen, die sich wegen der begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache anschaulich nur in mythischen Bildern machen lassen. Mit diesem Verfahren versuchten bekanntlich schon vorsokratische Naturphilosophen objektive Wahrheit darzustellen. Dazu vgl. Reinhardts (Piatons Mythen, Vermächtnis der Antike 219).

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Die Stufung in bessere und schlechtere ΗΔΟΝΑΙ und das Vermögen, die Wertverschiedenheit zu erkennen 1. .Protagoras' Die unmittelbare Gegenüberstellung von ηδύ und άγαθόν findet nach den Dialogen jGorgias' und Protagoras' zunächst nicht mehr s t a t t " . Sie erübrigt sich, nachdem in den genannten Schriften hinreichend deutlich geworden ist, daß die beiden Begriffe nicht gleichwertig und daher zur unmittelbaren Konfrontation wenig geeignet sind. Vom ,Phaidon' ab übernimmt das àyatìóv die Rolle des Maßstabes für die unterschiedliche Beurteilung verschiedenartiger ήδοναί. Das Verhältnis ηδύ — àyaθόν nimmt nunmehr die Gestalt an, daß das ηδύ jeweils „besser" oder „schlechter" sein kann, d. h. mehr oder weniger Anteil am Guten hat. In ,Gorgias' und ,Protagoras' erweist sich, wie ausgeführt, die Identifikation von ηδύ und äyaßov als absurd. Die Alternative ist aber nicht die Gleichsetzung von ηδύ und κακόν, sondern die Differenzierung der ηδονή gegenüber dem nicht differenzierbaren ά·γαθόν. Die Kunst, verschiedenwertige ήδοναί zu unterscheiden, nennt Piaton im ,Protagoras' eine μετρητική τέχνη. Über die Einführung des Begriffes der μετρητική ist in der ,Protagoras'-Interpretation schon gehandelt worden. Es ist daran zu erinnern, daß im ,Protagoras' die Auswahl unter den ήδοναί weder eindeutig nach quantitativen noch nach qualitativen Gesichtspunkten empfohlen wird. Zunächst scheint mit „größerer" ηδονή nur die längere Dauer der Empfindung gemeint zu sein, dann aber wird dieser Komparativ unschärfer, und Anzeichen von qualitativer Differenzierung treten in Erscheinung 100 . Die μετρητική hilft die Macht des Scheins überwinden. Der Schein verwirrt die Seele, „die Meßkunst dagegen würde dieses Scheinbild ausschalten, würde, indem sie das Wahre offenbart, bewirken, daß die Seele Ruhe hat, da sie bei dem Wahren bleibt, und würde so das Leben lebenswert machen" 1 0 1 . Daß So99

Sie erfolgt noch einmal im ,Philebos\ aber unter veränderten Voraussetzungen (vgl. S. 69). 100 "Hîiç μέν τοινυν τέχντι κ ai επιστήμη εστίν αυτ η, εις αύθις σκεψόμεθα, 357 Β 5f. Damit vertröstet Sokrates auf einen späteren Dialog, denn erst der ,Philebos' klärt darüber auf, welcher Art die μετρητική τέχνη ist, die zur richtigen Auswahl der ήδοναί verhilft. 101 356 D f.: . . . ή Sè μετρητική 'άκυρον μέν 'άν έποίησε τούτο το φάντασμα, δηλώσαοα δε το άληθές ήουχίαν αν έποίηοεν 'έχειν την ψυχή ν μένουοαν έπΐ τ ψ άληθεΐ κα'ι 'έσωσε ν αν τον βίον;

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krates d e n Begriff d e s αληθές

zur B e z e i c h n u n g der „ g r ö ß t e n " ηδονή

s c h e u t , ist als A n z e i c h e n dafür a n z u s e h e n , daß i m Falle der ηδονή

nicht

zwischen

G r ö ß e u n d Wahrheit, d . h . z w i s c h e n Q u a n t i t ä t 1 0 2 u n d Qualität, e i n Z u s a m m e n hang b e s t e h e n m u ß 1 0 3 .

2. ,Gorgias' Es ist auffällig, d a ß die μετρητική

im ,Gorgias' nicht erwähnt wird. D i e Inter-

p r e t e n h a b e n sich — freilich o h n e E r f o l g -

die Frage gestellt, w i e s o P i a t o n die-

sen s o breit e n t w i c k e l t e n Begriff in der angeblich n ä c h s t e n Erörterung d e s Them a s völlig übergehen k o n n t e , so als sei v o n i h m nie die R e d e g e w e s e n 1 0 4 . In der Tat fehlt nicht nur der B e g r i f f der μετρητική

im ,Gorgias', s o n d e r n die gan-

ze P r o b l e m s t e l l u n g , aus der im .Protagoras' der B e g r i f f hervorgeht. B e d ü r f t e es eines w e i t e r e n B e w e i s e s dafür, daß der ,Gorgias' die frühere Schrift ist, hier w ä r e einer g e f u n d e n 1 0 5 . 102

Unter Quantität ist hier unter keinen Umständen die Heftigkeit (Intensität) der Empfindungen zu verstehen. 103 Die ethische Theorie des Sokrates, daß über die den Schein ausschaltende μετρητική die Einsicht in das Wahre ermöglicht werde und diese Einsicht wiederum zum angestrebten höchsten Lustgewinn führe, ist ganz im Sinne späterer Überlegungen Piatons (,Philebos'!), hat aber, in der Nähe von ,Gorgias' und ,Phaidon' geäußert, große Verwirrung ausgelöst. So entschließt sich Gigon (Studien zu Piatons Protagoras, in Phyllobolia Von der Muehll, Basel 1946, S. 91 ff.) sogar zur Athetese des ,Protagoras', da er für diese Ethik keinen Platz im platonischen Frühwerk findet (S. 102). Der Dialog stehe „gedanklich seltsam abseits" und sei im Verhältnis zu seinem Umfang „merkwürdig überflüssig". Die unlösbare Verbundenheit von Lust als Telos und Episteme habe „mit Piaton nichts zu tun". Davon abgesehen, daß der .Protagoras' wesentliche Gedanken Piatons zur ηδονή und deren Verhältnis zum hyadov, also zum wahren τέλος vorbereitet (vgl. ζ. B. Anm. 105 und S. 59ff.), muß das Verfahren befremden, einen Dialog, von dem Gigon selbst sagt, er gelte „fast unbestritten als eines der Meisterwerke Piatons, ebenbürtig dem Phaidon oder dem Symposion", zu athetieren, weil er dem Bild nicht zu entsprechen scheint, das man sich ohne ihn von Piaton gemacht hat bzw. machen kann. Muß nicht das gültige Platon-Bild ganz besonders auf einen solchen Dialog gegründet werden, der außergewöhnliche Gedanken entwickelt? 104 Bedenklich ist die Schlußfolgerung, Piaton könne die μετρητική im .Protagoras' nicht ernst meinen, weil er im .Gorgias' keinerlei Bezug auf sie nimmt (v. Arnim, Hirschberger u. a.). Solche Konsequenzen zeigen, wieviel für das Verständnis Piatons davon abhängen kann, in welcher Abfolge man die Dialoge sieht. 105 Ausgezeichnet argumentiert Böhme (a.a.O. S . 8 2 ) : „Es ist nun leicht vorstellbar, daß Piaton zuerst den vom Handwerklichen her konzipierten, der έμπειρια und τριβή entgegengesetzten, und durchaus ernst gemeinten Gedanken des Technikos vortrug (der vermutlich vom historischen Sokrates inspiriert war), um dann später auf die nach Zweck und Grad der Vollgültigkeit sehr differenzierte Hilfskonstruktion der μετρητική τέχνη zu kommen, in der das Handwerkliche („Technische") nur noch Gleichnis, aber nicht mehr Gleiches ist, und in der Piaton sehr konkret auf Dinge anspielt, die aus der Sphäre dessen sind, was er bald lehren wird." Böhme führt weiter aus, wie unmöglich dasselbe umgekehrt aussehen würde.

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Die Einführung der μετρητική ist für Platon sinnvoll erst möglich, nachdem er das ώφέλψον des ,Gorgias* im Protagoras' als das, was „letztlich zu ήδοναί führt und λνπαι vertreibt" 1 0 6 , interpretiert und so die ηδονή entsprechend aufgewertet hat. Wir suchen also den Begriff der μετρητική im ,Gorgias' eben deshalb vergeblich, weil die ηδονή in diesem Dialog noch nicht so erstrebenswert erscheint, wie sie tatsächlich ist. Freilich werden auch im ,Gorgias' schon Äußerungen gemacht, die den Gedanken an etwas wie die μετρητική nahelegen könnten. So bringt Sokrates einige ήδοναί ins Gespräch, bei denen es selbst seinem Diskussionsgegner Kallikles schwerfällt, sie für gut zu erklären 107 . Sokrates nennt das Kratzen bei Krätze 108 und das Leben der Lüstlinge 109 . Von diesen ήδοναί hält Kallikles nicht viel 110 , und so fällt die Begründung dafür, daß er dennoch 1 1 1 an der Identität von ηδύ und àyadóv festhalten will, auch nicht sehr überzeugend aus: „Damit nun nicht der Satz gegen meine Überzeugung ist, wenn ich sage, es bestehe ein Unterschied, behaupte ich (auch weiterhin), es handele sich um einunddasselbe." 112 Sokrates bleibt den Beweis nicht schuldig, warum die genannten ήδοναί als weniger gut anzusehen seien als andere. In beiden Fällen handelt es sich um die Befriedigung körperlicher Begierden 113 . Was es damit auf sich hat, wird an einem Beispiel 114 erläutert: Das Hungern ist ein körperliches Begehren und als solches schmerzlich. Das Essen dagegen ist, indem es befriedigt und vom Schmerze befreit, angenehm. Wer nun hungernd ißt (oder durstend trinkt), leidet die λύπη der Begierde und erfährt zugleich die ήδονή der Befriedigung. Die λύπη des Hungers (bzw. des Durstes) verliert sich gleichermaßen und gleichzeitig mit der ήδονή der Befriedigung, beides hört gemeinsam auf 1 1 5 . Was also die ήδονή bei der Befriedigung körperlicher Begierden, also auch.beim Jucken und beim Knabenschänden, auszeichnet, ist der Umstand, daß sie mit der Begierde selbst einhergeht und somit immerfort von λύπη begleitet ist. 106

. . . ort elç ή&ονάς ämreXevTq. και λυπών άπαλλαγάς re καΐ άποτροπάς, 354 Β 6f. 4 94 Cff. 108 κνήσθαι, 4 9 4 C 7. 109 τών κιναίδων, 4 9 4 Ε 4. 1,0 4 9 4 Ε: Ούκ αίσχΰνη e k τοιαύτα 'dyojv, ώ Σώκρατες, τους λόγους; 111 Praktisch ist eingestanden, daß man gute und schlechte ήδοναί unterscheiden muß (. . . διορίξηται τών ηδονών όποΐαι άη/αθαί και κακαί, 495 A I f . ) . 112 495 Α: ϊνα δή μοι μη άνομολο-γούμΕνος η ò λόγος, iàv έτερον φήοω elvax. 113 Die Reaktionen des Kallikles erwecken zwar den Eindruck, als handele es sich um qualitativ minderwertige ήδοναί, aber es besteht keine Berechtigung, hier die Andeutung qualitativ gestufter gegenüber quantitativ gestufter ήδονή im .Protagoras' zu sehen. Was als niedere ήδονή erscheint, zeigt sich in der nachfolgenden Analyse als ständig von λύπη begleiteter, ja von λύπη bedingter ήδονή. Das Übermaß an λύπη verlangt demnach eine niedrige Einstufung solcher ήδονή, denn die Begierde geht der Bcfriedigungs-rjóo^ bereits voraus, erlischt aber erst, wenn auch die ήδονή vorüber ist. 107

Eine scharfe Trennung von quantitativer und qualitativer Stufung der ήδοναί im Sinne Piatons! 114 496 Cff. 115 497 C.

40

ist also nicht

Wenn bei diesen Ausführungen im .Gorgias' der Gedanke an eine μετρητική aufkommen kann, dann nur insofern, als hier die Möglichkeit einer Stufung der ήδοναί nach dem jeweiligen Maß der begleitenden oder vorhergehenden λύπη sichtbar wird. Doch dieser Gedanke bleibt dem Leser überlassen, ausgesponnen wird er von Piaton erst im .Protagoras'. An einer zweiten Stelle im ,Gorgias' findet so etwas wie eine Ankündigung der μετρητική τέχνη statt, ohne daß es zur Entwicklung dieses Begriffes kommt 1 1 6 . Kallikles findet sich zu dem Zugeständnis bereit, daß ηδύ und àyaffôv zweierlei seien. Genauer noch, Kallikles räumt ein, daß man zwischen „besseren" und „schlechteren" 117 ήδοναί unterscheiden müsse. Damit wird eine Stufung der ήδοι>ή anerkannt, wobei als Maßstab für die Beurteilung im ,Gorgias' die ώφελία genannt wird: „Sind nun etwa die guten (ήδοναί) die nützlichen, die schlechten aber die schädlichen? — Ja, gewiß. — Die nützlichen aber sind die, die etwas Gutes bewirken, die schlechten aber, die etwas Schlechtes? — Ja." 1 1 8 Da das äyaßöv unerklärt bleibt, läßt sich auch nicht näher bestimmen, was ωφέλιμοι ήδοναί sind. Daß es die ήδοναi sind, die nicht „größere" λύπη zur Folge haben, stellt sich erst im .Protagoras' heraus. Die Feststellung aber, daß ήδοναί wertverschieden sein können, rechtfertigt schon die Frage nach der Fähigkeit, wertvollere von weniger wertvollen ήδοναί za unterscheiden: „Ist es nun etwa jedermanns Sache auszuwählen, welche ήδοναί gut sind und welche schlecht, oder bedarf es jedesmal eines Sachverständigen? - Es bedarf eines Sachverständigen." 119 Hier wird also ausgesprochen, daß zur richtigen Auswahl der unterschiedlich zu bewertenden ήδοναί eine τέχνη erforderlich ist. Um was für eine τέχνη es sich dabei handeln kann, wird allerdings nicht ausgeführt. Im .Protagoras', wo die ήδονή als ein wesentlicher Bestandteil des lebenswerten Lebens der Menschen anerkannt ist und wo der Überschuß an ήδονή sich als Erscheinungsform des Guten im subjektiven Bereich herausstellt, kann die τέχνη als eine

116

4 9 9 Β ff.

117

βελτίους, χβιρους, 4 9 9 Β 8. us 499 j). ·Αρ· hyadai μέν al ώφέλιμοι, κακαί δΐ ai βλαβεροί; - Πάνυ ye. Ωφέλιμοι δε ye ai àyaôôv τι ποιοΰσαι, κακαί δε κακόν τι; — Φημί. Anstelle v o n κακαί müßte konsequenterweise βλαβεραί stehen. Der Austausch der Vokabeln entspricht j e d o c h dei logischen Absicht, den Unterschied zwischen áyadóv und ώφέλψον zu verwischen. Indem die „gute" ήδονή als die „nützliche" und die „nützliche" als die ,,in G u t e m endigende" bezeichnet wird, wird zugleich behauptet, „gut" und „nützlich" seien dasselbe und seien verschieden. Piaton verfährt im .Gorgias' demnach auf die Weise, daß er die Begriffe àyaeòv und ώφέΧιμον zunächst wie identische V o k a b e l n austauscht, w o b e i er aber das ώφέλιμον bevorzugt, weil es scheinbar leichter verständlich ist, daß er dann das ώφέλψον als das, was àyadóv τι bewirkt, erklärt und daß er schließlich schuldig bleibt, das àyadóv τι seinerseits zu bestimmen. 5 0 0 Α : Σ Ω . Ap' ούν πανTÔÇ άνδρός έοτιν έκλέξασθαι ποία àyaBà και οποία κακά, τ) τεχνικού &e¡ εκαοτον; — ΚΑΛ. Τεχνικού.

τών

ηδέων

èariv

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μετρητική bestimmt werden, die ηδονή und λνπη gegeneinander abwägt und den Menschen die richtige Auswahl treffen läßt 12°. Andeutungsweise findet eine Stufung der ηδονή auch im Hades-Mythos am Schluß des ,Gorgias' statt. Da hier die ηδονή als Belohnung, nämlich als Folge guten Lebens in Erscheinung tritt, fällt es allerdings schwer, an „bessere" und „schlechtere" ήδοναί zu denken. Die im Mythos ausgeführten ήδοναί und λύπαι unterscheiden sich an Heftigkeit und Dauer. Dabei ist jedoch in Rechnung zu stellen, daß der Mythos Bilder verwendet und daher nicht wörtlich verstanden werden will 121 .

3. .Phaidon' Schon im .Phaidon' wird offensichtlich, daß Piaton die im .Protagoras' entwikkelte μετρητική keineswegs nur quantitativ verstanden wissen wollte. Die am Ende des .Protagoras' offenstehende Frage, was als „größere" bzw. „geringere" ηδονή anzusehen sei und was als Maßstab fur die Meßkunst betrachtet werden müsse, findet im ,Phaidon' eine klare, allerdings noch keineswegs hinreichende oder gar erschöpfende Antwort. Die Antwort lautet: Die somatischen ήδοναί sind geringzuschätzen und nach Möglichkeit völlig zu meiden. Die erstrebenswerten ήδοναί müssen demnach geistiger (seelischer) Natur sein. Die Begründung für die Ablehnung der somatischen ήδοναί zeigt Fortschritte gegenüber .Gorgias' und Protagoras'. Die Behauptung im ,Gorgias' einige ήδοναί seien schädlich und deshalb schlecht, hatte im Protagoras' einen neuen Sinn dadurch erhalten, daß das „Schädliche" als das „letztlich Unangenehme" erklärt wurde. Konnte man also im ,Gorgias' noch zwischen „guten" und „schlechten" ήδοναί unterscheiden, so gab es im ,Protagoras' nur noch mehr oder weniger λύπη-freie ήδοναί. Diese Differenzierung, wie sie im ,Protagoras' stattfand, bleibt im ,Phaidon' unbestritten. Sie ist durchaus endgültig. Jedoch damit, daß Piaton nun den Bereich des objektiven Seins mit in seine Überlegungen einbezieht, erhält die Beurteilung der ήδονή einen neuen Aspekt. Der Blick in die Welt des 120 Voigtländer (Diss. S. 7 7 ) muß, da er den ,Gorgias' für fortschrittlich hält, zwangsläufig zu einem anderen Ergebnis kommen: „ . . . man muß um die (sehr am Rande im ,Protagoras' bereits berührte) d7a0ó^bestimmte Stufung der Lust wissen. So ist der .Gorgias' unter dem Gesichtspunkt der έπιστήμη, soweit diese Lust und Unlust zum Gegenstand hat, eine Entfaltung, eine Vertiefung des .Protagoras'." Richtig ist, daß in beiden Dialogen eine „¿ryaöoy-bestimmtc Stufung" der ηδονή präsent ist, und zwar im .Protagoras' nicht nur am Rande, sondern sehr ausdrücklich. Denn der Überschuß an ήδονή war ja als gut bezeichnet worden. D o c h im .Gorgias' bleibt die Stufung noch unbestimmter als im .Protagoras', w o das äyadov wenigstens diese Gestalt des rjSoni-Überschusses annimmt, während es im .Gorgias' nur vage, andeutende Erklärungen findet. 121

42

Vgl. dazu S. 37 Anm. 98.

wahrhaft Seienden ist nur der Psyche des Menschen möglich, ist seiner geistigen Schau vorbehalten. Das Erblicken der Ideen, insbesondere der Idee der Ideen, des äyaßov, ist das höchste Ziel, das der Mensch erstreben kann. Bei diesem Streben aber ist der Körper hinderlich m . Seine Begierden und ηδοναί lenken von dem Weg der Seele zu den Ideen ab oder stehen ihm sogar entgegen. Diese Überlegung veranlaßt Piaton, im ^ h aid on' die somatischen ηδοναί zu v e r t e i len. Daß die Ablehnung der körperlichen Begierden und Freuden im ,Phaidon' so radikal vollzogen wird wie nie zuvor und nie danach, dürfte seinen Grund nicht zuletzt darin haben, daß der Dialog offenkundig auf die ihm zugrundeliegende Situation Rücksicht nimmt. Es wäre sicherlich falsch, zu behaupten, im ,Phaidon' spreche nicht Piaton, sondern der historische Sokrates. Aber es gibt eine Reihe von Anzeichen dafiir, daß manche Äußerungen des Sokrates in ihrem philosophischen Gehalt authentisch sein könnten und daß Piaton hier und da in dieser Schrift mehr im Sinne des Sokrates als im eigenen Sinne argumentiert. Die Grundhaltung gegenüber der ηδονή im ,Phaidon' ist sicherlich platonisch. Einige besonders auffällige Formulierungen und Argumentationen aber sind zu offenbar der Situation, der Stimmung, der Thematik angepaßt, fur die jene Überlegungen des Sokrates bestimmend zu sein scheinen, die dieser tatsächlich im Angesicht des Todes angestellt haben könnte. Die Situation im .Phaidon' ist gekennzeichnet durch den unmittelbar bevorstehenden Tod des Sokrates. Dem Tod sieht Sokrates mit staunenswerter Gelassenheit entgegen. Aus seinen letzten Äußerungen spricht — jedenfalls nach Piatons Aufzeichnungen im ,Phaidon' - eine kompromißlose Geringschätzung des diesseitigen, körpergebundenen Lebens, die es ihm leicht zu machen scheint, den Giftbecher zu leeren 123 . Diesen letzten Ausführungen des Sokrates, die er im engsten Freundeskreis macht, liegt spekulativ die Vorstellung zugrunde, daß die Gemeinschaft von Körper und Seele im Augenblick des Todes zerbricht und die ewig lebende Seele dem vergänglichen Körper entweicht, um (vorübergehend oder auch für immer) ins Jenseits einzugehen 124 . Im Jenseits wird die Seele mit der ganzen Wahrheit konfrontiert, die sie schon im Diesseits nach Möglichkeit hat suchen sollen. Bei dieser Suche stand ihr jedoch, wie schon erwähnt, der Körper hindernd im Wege.

122

66 Β ff. Es muß dahingestellt bleiben, ob der historische Sokrates, wenn er in Erwartung seines Todes tatsächlich solche oder ähnliche Gedanken, wie sie im ,Phaidon' stehen, gehabt hat, diese eigens dazu entwickelte, um die natürliche Todesangst eher überwinden zu können, oder ob es sich dabei um letzte Konsequenzen einer Philosophie handelte, von der Sokrates so überzeugt war, daß Todesangst gar nicht erst a u f k o m m e n konnte. 124 6 4 C. 123

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Insofern die ήδοναί des Körpers vom Streben nach Wahrheit ablenken, sind sie grundsätzlich zu verwerfen 125 . Die Trennung von Körper und Seele, wie Sokrates sie vollzieht, bietet also einen sehr konkreten Anhaltspunkt für die Beurteilung der ήδοναί. So findet im ,Phaidon' eine einfache Stufung in somatische, meidenswerte und psychische, erstrebenswerte ήδοναί statt 1 2 6 . Im .Phaidon' beginnt Piaton sein Unterfangen, die ηδονή am ά-γαθόν αύτό, dem letzten Ziel menschlichen Strebens, zu messen und sie in wahrhaft bessere und schlechtere ήδοναί aufzuteilen. In dieser ersten Phase stellt er die positive Bewertung der psychischen ήδοναί noch weitgehend zürück, indem er sich auf die radikale Verurteilung der ήδοναί des Leibes beschränkt. Die im .Protagoras' vorgeschlagene Methode, mittels der μετρητική eine möglichst günstige ήδονή-λύττη -Bilanz zu erzielen, wird im ,Phaidon' keineswegs verurteilt. Sie wird im Gegenteil ausdrücklich mit einer gewissen Art von σωφροσύνη in Zusammenhang gebracht, wenngleich nicht mit der besten 1 2 7 . Die Anwendung der Meßkunst bezeichnet Sokrates als εύήθης σωφροσύνη128. Das Beiwort εϋήθης will sagen, diese Besonnenheit sei zwar von gutem Willen getragen, sei aber dennoch einfältig, denn wer nur auf die größtmöglichen ήδοναί bedacht ist, sieht nicht das Gute selbst und ist letztlich - trotz μετρητική - immer noch den ήδοναί erlegen 129 . Die hier vorgebrachte Kritik an der μετρητική - um eine Verurteilung handelt es sich ja nicht! — meint offensichtlich den quantitativen Aspekt der Meßkunst 130 . Wer einige ήδοναί meidet, um andere (sprich: heftigere, länger währende usw.) zu erlangen 131 , bleibt bei der subjektiven Beurteilung der Gefühle und sieht nicht das àyaBôv, an dem er die ήδοναί eigentlich messen sollte. Das ήδονών ήττάσθαι trifft demnach auf den im Sinne des .Protagoras' messenden und auswählenden Menschen so lange zu, wie es sich um ein Messen ohne objektiven Maßstab handelt. Es soll hier nicht auf jede einzelne Äußerung eingegangen werden, mit der im ,Phaidon' gegen die ήδοναί des Leibes zu Felde gezogen wird. Hinsichtlich der 125

6 4 D f f . und 8 2 C. Eine ausfuhrliche Darstellung der psychischen ήδοναί findet sich im ,Phaidon' nicht, sondern erst in ,Politela' und ,Philebos'. 1 2 1 68 E. 128 68 E 5 . Hier hat Pep. Ars. άνδραποδώδη statt ebr/άη, was 6 9 Β 7 bestätigt wird. Die Deutung der Stelle würde damit sehr erleichtert. 129 άκολασίρ τινί σώφρονες είσιν, 68 E 2. 130 Daß damit die Meinung der πολλοί im .Protagoras', man könne wider besseres Wissen den ήδοναί erliegen, nachträglich bestätigt werden soll, ist kaum anzunehmen, denn dann fiele auch der Grundsatz Piatons, das Wissen führe zwangsläufig zum richtigen Handeln. Wahrscheinlicher ist dagegen, daß der μετρητική, sofern sie nur die Intensität der jeweiligen ήδοναί mißt, der Rang der επιστήμη abgesprochen werden soll. Nur eine επιστήμη, die mit dem Maßstab des àyadóv mißt, garantiert eine richtige Lebensführung (vgl. S . 4 6 ! ) . Ein Hinweis auf den Aspekt der μετρητική, der hier gemeint ist, findet sich auch 83 C. 131 68 E. 126

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Stufung und der unterschiedlichen Bewertung der ήδοναί ist allein die Tendenz des ,Phaidon' von Interesse. Den Grundgedanken faßt Piaton selbst zusammen: „Nicht wahr, auch die Besonnenheit, die auch die große Menge so bezeichnet, nämlich nicht auf Begierden versessen sein, sondern sich gleichgültig und anständig ihnen gegenüber verhalten, kommt die nicht nur denen zu, die den Körper überaus geringschätzen und in Liebe zur Weisheit leben? — Notwendig, sagte er." 1 3 2 In diesem Satz ist der Unterschied zwischen der schon erwähnten „einfältigen" zur wahren Besonnenheit eingefangen. Der wahrhaft Besonnene geht nicht von der Überlegung aus, welchen Begierden er nachgeben soll, sondern er richtet seinen Blick auf die Ideen und speziell das àyaÔôv. Bei diesem höheren Streben bedeuten ihm die ήδοναί des Leibes nichts mehr 133 . Das Hauptargument gegen die somatischen ήδοναί fuhrt zu der im ,Phaidon' wiederholt erhobenen Forderung, die Seele müsse sich vom Körper freimachen, um den Weg zu den wahren Dingen finden zu können. Bei aller Verschiedenheit von Leib und Seele sind es gerade die ήδοναί des Leibes, die die Seele an den Leib fesseln, die also die völlige Loslösung der Seele verhindern. Piaton drückt diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: „Weil jede ηδονή und λύπη sie (die Seele) gleichsam mit einem Nagel an den Körper festnageln und anheften und sie leibähnlich machen, wobei sie dasjenige für wahr hält, was auch der Leib dafür ausgibt" 134 . Die Seele empfindet demnach, was der Leib erleidet, und sie steht somit im Einflußbereich des Leibes. Der Einfluß ist schlecht, weil die subjektiven Reaktionen des Körpers der objektiven Wahrheit nicht entsprechen und die Seele auf diese Weise getäuscht wird. Dieser Gedanke führt zurück auf unsere Ausgangsfrage, was im Zusammenhang mit der ήδονή der Komparativ „größer" meinen könne. Für die Beantwortung dieser im Protagoras' offenbleibenden Frage gewinnen wir aus dem ,Phaidon' die Erkenntnis, daß der menschliche Körper — je nachdem — heftiger oder weniger heftig reagiert und entsprechend seine Reaktionen an die Seele weitergibt, 132 68 Cf.: Ονκούν και ή σωφροσύιτ], ην και οί πολλοί ύνομάξουσι σί-οφροσύνην, το περί τάς έπνθυμίας μή έπτοήσθαι άλλ' ό λ ι γ ώ ρ ω ς εχειι; και κοσμιως, αρ' ob τούτοις μόνοις προσήκει, τοις μάλιστα 7οΟ σώματος όλι-γωρσύσίν τι και èv φιλοσοφία f ώ σ ι ν \ Man muß ergänzen, daß die „Liebe zur Weisheit" ihrerseits ήδονςιϊ hervorbringt, auf die hier nur nicht näher eingegangen wird. 133 So wie die extrem scharfe Trennung zwischen Leib und Seele im ,Phaidon' situationsgebunden scheint, so auch die Behauptung, daß Philosophie die Geringschätzung des Leibes voraussetzt. Für Sokrates scheint dieser Gedanke im Angesicht des Todes völlig plausibel. Piaton dagegen vertritt in anderen Dialogen, namentlich in der ,Politela', den sehr viel gemäßigteren und realistischeren Standpunkt, daß die Seele den Leib regieren, nicht aber ignorieren soll. 134 8 3 D: "Οτι εκάστη ήδονή και λύπη ώσπερ ήλο» έχουσα προσηλοϊ αύτήν προς τό σώμα και προσπερονψ και ποιεί σωματοειδή, δοξάξσυσαν ταύτα άλ-η&η είναι απερ 'αν και τό σώμα ψη.

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daß aber die auf solche Weise als größer empfundenen ήδοναί nicht unbedingt die in Wahrheit bedeutenderen sein müssen; daß nämlich „die Seele eines jeden Menschen gezwungen wird, sobald sie sich heftig über etwas freut oder betrübt, zu glauben, daß die jeweilige Ursache dieser Empfindungen das Wirksamste und Wahrste sei, obwohl das gerade nicht der Fall ist. Und das sind doch meistens die sichtbaren Dinge, oder nicht? - Ganz gewiß." 135 Dem Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren steht derjenige der objektiven Wahrheit gegenüber, in welchen einzudringen die Seele bestrebt sein muß. Wie es in diesem Bereich aussieht, wird im ,Phaidon' nicht ausgeführt. Wir erfahren nur, daß durch die ορατά Reaktionen von Körper und Seele hervorgerufen werden, die über die wahren Verhältnisse hinwegtäuschen. Man versteht die Stufung der ηδονή im ,Phaidon', nämlich die Abwertung der körperlichen, ganz im Bereich der ορατά beheimateten ήδοναί gegenüber den geistigen, bei der Schau der Övra sich einstellenden erst dann wirklich, wenn man sie als eine Folge der Ausfuhrungen im ,Protagoras' begreift. Das Ergebnis des Protagoras', die Macht des Wissens über die Gefühle, wird im ,Phaidon' bestätigt, aber mit dem Fortschritt, daß das Wissen um die jeweils „größere" ηδονή (μετρητική τέχνη) ein höheres Wissen sein muß, das sich im Bereich der 'όντα, d.h. des objektiv Guten auskennt. Bei der Auswahl von ηδοναί darf man sich nicht darauf verlassen, daß der Leib durch seine Reaktionen ein Gradmesser für die wahre Bedeutung der jeweiligen ηδονή sein könne. Der Leib registriert Ausmaß und Heftigkeit dessen, was er leidet. Eben dadurch aber täuscht er die Seele über den objektiven Wert der Empfindung hinweg. Um diesen Wert zu erkennen, bedarf die Seele der höheren Einsicht in die Welt der Ideen und des Guten. Ohne diese Einsicht bleibt jede Tugend ein Schattenbild 136 wahrer Tugend „und in der Tat knechtisch, da sie nichts Gesundes und Wahres an sich hat." 137 So ist die μετρητική, die dem Tausch einer ηδονή gegen die andere und einer λύπη gegen die andere dient 138 und die nur das jeweilige Ausmaß der Empfindungen vergleichen hilft 139 , nur als ein Schattenbild jener έπιστήμη anzusehen, die den Blick auf das Gute selbst richtet. „In das Geschlecht der Götter zu gelangen, steht keinem zu, der nicht philosophiert hat und nicht ganz und gar rein dahingeht, sondern nur dem Lernfreudigen." 140 Die nach den Reaktionen des Leibes sich richtende μετρητική ist kaum philosophisch zu nennen: „Eben deswegen, meine Freunde Simmias und 135 83 C: "Οτι ψυχή παντός άνθρωπου άναγκάξεται αμα τε ησθήναι σφόδρα η λυπηθήναι έπΐ τω και ηγείσθαι περί ο αν μάλιστα τούτο πάσχχι, τούτο evapyeararov re elvai και άληθέατατον, οί)χ ούτως 'έχον• ταύτα δέμάλιστα (τά> ορατά • η oli; - Πάνυ ye. 136 σκιαγραφία, 69 Β 6/7. 137 και τω οντι άνδραποδώδτις re και ούδεν ΐτγιές ούδ' άληθες '¿χα, 69 Β 7f. 138 ήδονάς προς ήδονάς καί λύπας προς λύπας . . . καταλλάττεσθαι, 69 A 6f. 139 μείξω προς έλάττω ωσπερ νομίσματα, 69 A 8f. 140 82 Β: Εις δέ yε θεών yéi>ος μή φιλοαοφήσαντι καί παντελώς καθαρφ άπιόντι ού θέμις άφικνεισθαι άλΧ τ) τω φιλομαθεϊ.

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Kebes, enthalten sich die wirklichen Philosphen aller körperlichen Begierden und harren aus und geben sich ihnen nicht hin." 1 4 1 In welcher Weise aber eine am äyadöv orientierte μετρητική eine gute Lebensführung garantiert, wie weit also die rein psychischen ήδοναί erstrebenswert sind, darüber handelt Piaton zu einem späteren Zeitpunkt, wobei er schon in der ,Politeia' die im ,Phaidon' allzu radikale Ablehnung alles Körperlichen weitgehend abschwächt.

4 . .Politeia'

In der ,Politeia' kann die Unterscheidung rangverschiedener ήδοναί erstmalig ganz konkrete Formen annehmen, weil die zunächst immer aufgeschobene Formulierung des àyaSòv αυτό stattfindet und danach vorausgesetzt werden kann. Auf welche Weise Piaton die Ideenlehre entwickelt und wie er den Ideen das äyaßov als die Idee der Ideen voranstellt, muß hier nicht ausführlich dargelegt werden. Einige Bemerkungen über das äyaßov, wie es sich in der ,Politeia' darstellt, sind jedoch zu machen, da sich Piatons Beurteilung der ήδονή nunmehr ganz am äyaßov orientiert. Es sind vor allem zwei Wesenszüge des äyaßov, die — jeder auf seine Weise — Einfluß auf die ηδονή ausüben. Friedländer formuliert zusammenfassend, daß die „Idee des Guten" einerseits „jenseits des Seins und mithin jenseits des Logos" steht, andererseits aber „als Ziel allem unausweichlich die Richtung gibt" 142 . Diese Wesenszüge des äyaßov werden in der ,Politeia' ausfuhrlich beschrieben 143 . Als Seinsprinzip ist das äyadov für jegliche Ordnung verantwortlich, insbesondere auch für die Ordnung der Seele 144 . Als τέλος menschlichen Strebens ist das äyaßov zwar, da es eben noch „jenseits des Logos" liegt, wenig geeignet. Die Ausstrahlung der 'ιδέα τού äyaßov reicht jedoch in den menschlichen Bereich hinein, so daß der Begriff des Guten in spezieller Prägung 145 auch auf das menschliche Leben sinnvoll anzuwenden ist. Mit anderen Worten: das äyaßov ist extrem objektiv, findet sich aber eminent wirksam im subjektiven Bereich. Beide Wesenszüge betreffen insofern die ηδονή, als Wert und Unwert einer angenehmen Empfindung entscheidend von der Wahrhaftigkeit des ήδονή -erzeugenden Objektes abhängen, die ήδονή selbst aber ein höchst subjektives Phänomen bleibt, dem die Menschen grundsätzlich zugeneigt sind, noch bevor sie irgendeine Wertung vornehmen. 141

82 C: ά λ λ ά τούτων ται τύν κατά τά σώμα εαυτούς.

evena, ώ èraipe Σιμμία re και Κέβης, οί ορθώς φιλόσοφοι άπίχονέπιθνμιών ά π α σ ώ ν και καρτβροναι και ού παραδι&όασι αϋταϊς

142

A.a.O. S . 3 9 2 . 505 Ä f f . 144 Daß in κόσμος bzw. τάξις das àyadóv zu finden sei, wurde schon im ,Gorgias' behauptet ( z . B . 5 0 6 D f f . ) . Es fehlte dort aber noch an jeglicher Fundierung des Gedankens. 145 Ausführlich wird das άνθρώπινον à-γαθόν im ,Philebos' diskutiert. 143

47

Die beiden Aspekte des àyatìóv, der objektive und der subjektive, werden von Piaton auch noch auf folgende Weise charakterisiert: Das Gute „verleiht dem Erkennbaren die Wahrheit und dem Erkennenden das Vermögen" des Erkennens 1 4 6 . Auf die ηδονή bezogen: Das Gute verleiht dem Objekt, das die ηδονή erzeugt, die Wahrheit und damit der ηδονή selbst den Wert. Dem Menschen dagegen verleiht es das Vermögen, das Objekt als wahr zu erkennen und die möglicherweise mit diesem verbundene ηδονή entsprechend zu beurteilen. Wir erhalten demnach als Maßstab für das messende Auswählen der ήδοναί den Wahrheitsgehalt des Objektes, mit dem eine angenehme Empfindung verbunden ist. Dieser Wahrheitsgehalt ist zu erkennen mittels einer in die Ideenwelt eindringenden und sie durchschauenden επιστήμη. In diesem Lichte ist nunmehr die im .Protagoras' geforderte μετρητική τέγνη zu sehen 147 . Welche Stufung der ηδονή ergibt sich nun aus der Auffindung des objektiven Maßstabes? Um diese Frage befriedigend zu beantworten, ist etwas weiter auszuholen. Über die σωφροσύνη sagt Piaton: „Irgendwie eine gewisse Ordnung . . . ist die Besonnenheit und eine Beherrschung gewisser ήδοναί und Begierden." 148 Aus dieser Formulierung geht unmißverständlich hervor, daß das am Guten orientierte Leben den Genuß „gewisser" ήδοναί ausschließt 149 . Beherrschung gewisser ήδοναί und έπιθυμίαι. ist das, was man Selbstbeherrschung 150 nennt. Dieses Phänomen des „stärker sein als man selbst" bedarf der näheren Erklärung. Piaton gibt die Erklärung. Er teilt die Seele in drei Teile ein (Χσγιστικόν, θυμοειδές, έπιϋυμητικόν) und deutet die Selbstbeherrschung als die Herrschaft eines Teils über den anderen. Genauer: das „Vernünftige" der Seele herrscht über das „Begehrliche" l s l . Wie jeder Stand im Staate so muß auch jeder Teil der Seele „das Seine t u n " 1 5 2 . Es ist also durchaus das Recht des „begehrenden" 146

το την άλήθειαν παρέχον τοις Ύ^νωσκομέι'οις και τω γιγνώσκοντι τήν δύναμιν άποδώόν, 508 Ε. 147 Werner Jaeger (Paid. III, S. 9 u. Anm. 43) unterscheidet zwischen bloßem Wägen subjektiver ηδονή- und ÀiOTTj-Empfindungen und dem Messen nach objektivem Maßstab, wobei er ersteres den πολλοί, letzteres den φιλόσοφοι unterstellt. Es ist abermals darauf hinzuweisen, daß die πολλοί im .Protagoras', sofern sie sich der anempfohlenen μετρητική bedienen, sich nicht notwendig auf ein quantitatives Messen beschränken, da die μετρητική, wie Piaton sie im .Protagoras' entwickelt, ein Messen nach objektivem Maßstab durchaus mit einschließt. Im übrigen ist bereits ausgeführt worden, daß eine Unterscheidung zwischen qualitativem und quantitativem Messen das von Piaton gemeinte Vermögen, die ήδοναί differenziert zu beurteilen, unzulässig simplifiziert. 148 430 Ε: Κόσμος πού τις ...ή σωφροσύνη èoTtv καί ήδονών τίνων και έπιθυμιών iyKpaτεια. 149 Der Kreis der zu meidenden ήδοναί variiert von Dialog zu Dialog, je nachdem, wie idealistisch oder realistisch philosophiert wird. 150 κρείττον αϋτοΰ, 431 Β 7. 151 431 Bf.; 442 Α. 152 433 Äff.; 441 D; 443 Β. Die beiden Seelenteile λογιστικόν und ¿πιθυμητικόν werden 439 Äff. als bisweilen geradezu kontrovers sich verhaltend beschrieben.

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Teils, eben zu begehren. Jedoch ist es zugleich seine Pflicht, sich vom „überlegenden" Teil beherrschen zu lassen. Es ist das θυμοβώές schließlich, das dem λσγιστικόν die Triebkraft verleiht, die dieses benötigt, um das έπιθυμητικόν in Schranken zu halten 1 5 3 . Aus der so verstandenen Ordnung der Seele ergeben sich für die ήδοναί folgende Konsequenzen. Wenn das έπιθυμητικόν dazu neigt, seine Kompetenzen zu überschreiten, und wenn es daher unter die Herrschaft des λσγιστικόν gestellt werden m u ß , sind mit den έπιθυμίαι offensichtlich jene ήδοναί verbunden, die nicht ohne Einschränkung erstrebenswert sind. Diese ήδοναί müssen beherrscht werden, da sie zur Maßlosigkeit neigen und ihnen der unmittelbare Bezug zum άγαθόν fehlt, den nur das λσγιστικόν hat. Die, wie es scheint, zweifelhaften ήδοναί im Bereich des έπιθυμητικόν sind nun nicht ohne weiteres mit den somatischen zu identifizieren, denen Piaton im .Phaidon' eine klare Absage erteilte. Es ist aber gar keine Frage, daß die somatischen ήδοναί in den Bereich des έπιθυμητικόν gehören und daher der Kontrolle bedürfen. Denn die ήδοναί des Leibes beruhen ja durchweg auf der Befriedigung vorausgehender Begierden und Bedürfnisse. Das έπιθυμητικόν der Seele würde diesen Befriedigungen so haltlos stattgeben, daß die Ordnung des Leibes und in der Folge auch die Ordnung der Seele zerstört würden, sofern das λσγιστικόν es unterließe, mäßigend einzugreifen. Im übrigen aber gehören zunächst einmal alle ήδοναί in den Bereich des έπιθυμητικόν, ob sie nun den Leib betreffen oder nicht, wenn ihnen nur eine Begierde vorausgeht. Der Mangel dieser ήδοναί, die an sich durchaus ihre Berechtigung haben, solange sie von der Vernunft kontrolliert werden, besteht darin, daß es sich niemals um „reine" (λύπη-freie) ήδοναί handeln kann. Schon im ,Gorgias' stand zu lesen, daß jede Begierde, wie etwa Hunger und Durst, λύπη bereite 1 5 4 . Da sogar festgestellt wurde, daß auch dann noch, wenn die Befriedigung stattfindet, die λύπη der Begierde nachwirkt, bis ηδονή und λύπη gleichermaßen weichen, müssen demnach die ήδοναί im Bereich des έπιθυμητικόν grundsätzlich als solche angesehen werden, die von einem Übermaß an λύπη begleitet w e r d e n 1 5 5 . Immerhin sind so fundamentale Bedürfnisse wie etwa Hunger und Durst nicht zu umgehen, denn ihre Befriedigung ist für den Menschen lebenswichtig 1 5 6 . So kann denn auch der Mensch der ήδοναί, die sich bei der Befriedigung körperlicher Begierden einstellen, nicht grundsätzlich entsagen wollen. Eben dieser Tatsache trägt Piaton Rechnung, wenn er einen der drei Seelenteile als έπιθυμητικόν benennt. 153 154 155 154

440 E f. .Gorgias' 496 Cff. 583 Β ff. 558 Dff.

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Während P l a t o n i m .Phaidon' d i e s o m a t i s c h e n ήδοναί

r u n d w e g a b l e h n t e , zeigt

sich in der ,Politeia', w i e d i e s e A b l e h n u n g w e n i g e r radikal verstanden w e r d e n k a n n . N ä m l i c h nicht als F o r d e r u n g , d e s G e n u s s e s dieser ήδοναί z u entraten, s o n d e r n als H i n w e i s darauf, daß diese ήδοναί z u w ä h l e n sind, d a sie in h o h e m Maße v o n λύπη ras'!). D i e v o r a n g e h e n d e n έπιθυμίαι

grundsätzlich

nur m i t V o r b e h a l t

b e g l e i t e t w e r d e n (.Protago-

sind als n o t w e n d i g e Ü b e l a n z u s e h e n , u n d

ihre B e f r i e d i g u n g e n m ü s s e n , w e n n sie s c h o n erforderlich sind, der V e r n u n f t unterstellt w e r d e n , d a m i t sie m a ß v o l l b l e i b e n 1 5 7 .

V o n der ήδονή,

d i e sich b e i der Befriedigung eines Triebes einstellt, unterschei-

d e t P i a t o n j e n e , d i e u m ihrer selbst w i l l e n als Erfüllung angestrebt wird. Letztere k a n n in allen drei S e e l e n t e i l e n s t a t t f i n d e n , da jeder Teil sein e i g e n e s Wollen h a t 1 5 8 . D i e V e r n u n f t verfügt n i c h t nur, sie urteilt a u c h über d e n Wert der ήδονή159. s t u f t selbstverständlich j e n e ήδονή

Sie

a m h ö c h s t e n ein, die aus d e m E r k e n n e n d e s

S e i e n d e n e n t s t e h t 1 6 0 , die sich also im λοτγιστίκόν u n d r e i n 1 6 1 . D a s L e b e n , in d e m das λ 'άπαν, ò δ' άνεπιστημόνως άμα κα'ι έκτο'; τών καιρών τάναντία αν έκείνω ft¿T).

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a u c h d e m G e s e t z g e b e r z u t u n , n ä m l i c h G e s e t z e z u erlassen, die d e m e i n z e l n e n w i e d e m g a n z e n Staat e i n o p t i m a l e s W o h l e r g e h e n zusichern. Es gibt also G e s e t z e , w e i l nicht jeder M e n s c h aus s i c h heraus zur άρετή

findet.

S o d i e n e n die νόμοι gleichsam als Wegweiser z u m t u g e n d h a f t e n L e b e n 2 5 0 , i n d e m sie V e r n u n f t m i t d e m n u n e i n m a l b e s t e h e n d e n B e g e h r e n d e s M e n s c h e n n a c h ηδονή

v e r e i n e n 2 5 1 . D a s an d e n G e s e t z e n orientierte L e b e n ist s o a n g e n e h m w i e

möglich. D u r c h t u g e n d h a f t e s , d e n G e s e t z e n f o l g e n d e s L e b e n ehrt der M e n s c h seine Seele, die er gleich n a c h d e n G ö t t e r n als Z w e i t e s h o c h s c h ä t z e n s o l l 2 5 2 . Er führt sie d a m i t ihrer B e s t i m m u n g z u , n ä m l i c h der ευδαιμονία.

D i e s e w i e d e r u m ist ange-

nehm253. Weil die ήδοναί

d e s L e i b e s in d e n , N o m o i ' w e i t g e h e n d e A n e r k e n n u n g g e f u n d e n

h a b e n , reichen die bisher stets g e n a n n t e n άρεταί zur w a h r e n ευδαιμονία

der Seele nicht m e h r aus, u m

z u fuhren, d e n n diese T u g e n d e n w a r e n ja rein seelischer

Natur. S o fuhrt P i a t o n , w e n n er n a c h d e n b e s t e n L e b e n s w e i s e n fragt, n e b e n d e m b e s o n n e n e n , w e i s e n , t a p f e r e n a u c h das gesunde L e b e n a u f , da eine n o c h s o w o h l b e h a l t e n e Seele in e i n e m k r a n k e n u n d l e i d e n d e n Körper schlechterdings n i c h t ευδαίμων

sein k a n n 2 5 4 . D i e g e n a n n t e n L e b e n s w e i s e n s t i m m e n darin überein, daß

250

688 A f . Der Passus wird von Voigtländer mißverstanden: er wirft Piaton „unscharfe Begrifflichkeit" vor (Diss. S. 175), weil neben der ή-/εμών συμπάσης άρετής (vgl. S. 69, Anm. 247!) nichts übrigbleibe für die weitere άρετή. Die άρετή zerfällt trotz der genannten Gemeinsamkeit ihrer Teile in verschiedene Kompetenzen (vgl. S. 69!), die unterschiedlich benannt sein wollen. So ist die ipeτή nicht nur das, was Piaton hier als ή-γεμών συμπάσης άρε της aufführt, sondern darüberhinaus die Gesamtheit (Summe) der Teiltugenden, die unterschiedliche Bezugsbereiche haben. 251 Die Gesetze stimmen mit dem überein, was auch von der richtigen Erziehung der Kinder erwartet wird (653 A). 252 727 c ist offenbar die ävSpeia gemeint, durch die man seiner Seele die Ehrerbietung erweist. Auffällig ist allerdings, daß bei der Umschreibung der άνδρεία von Überwindung der λύπαι, nicht aber irgendwelcher ήδοναί die Rede ist wie noch in der ,Politela' (442 Bf.). Wie es scheint, soll jetzt ganz und gar vermieden werden, überhaupt ήδοναί in Mißkredit zu bringen. 253

Z.B. 733 Df., wo die Übereinstimmung von ηδονή und ευδαιμονία ausdrücklich bezeugt wird. Ebenfalls ist 663 A zu nennen: ευδαιμονία bedeutet ηδονή, denn sie ist κλέος και •προς άνθρώπων re και θεών und το μητε τινά άδικείν μήτε ύπό τίνος ά£ικΐΙσθαι. 663 Α 9f. wird der Gedanke überzeugend genannt, der zwischen angenehm, gerecht, gut und schön nicht unterscheidet: Ούκοϋν ό μεν μή χωρι?ωι> λογος ηδύ τε και δίκαιον και ά-γαθάν καΐ καλόν πιθανός . . . Dieser λόγος muß nicht die Identität der aufgeführten Begriffe meinen, obwohl er so formuliert scheint. Eindeutig ist freilich die Aussage, daß die άρετή zur ευδαιμονία führt und diese sich unter anderem als ηδονή präsentiert. Müller (Der Aufbau der Bücher II und III von Piatons Gesetzen. Diss. Königsberg 1934) richtig zu 663 A: „Was aber die wahre εύδαιμονία verleiht, kann nicht άηδές sein." Umso unverständlicher, daß Müller zu bestreiten sucht, daß Piaton irgendwelche Konzessionen an den Hedonismus mache (S. 34, 36, 37 u. a.). 254

734 Af.

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sie letztlich mehr ηδονή als λύπη verschaffen, also in eben dem, was Wesen und Einheit der άρετή zu sein schienen. Die Gesundheit darf als die άρετή des Leibes schlechthin gelten. Die Besonnenheit hat die Nachfolge der ,protagoreischen' μβτρηηκή angetreten, indem sie durch ihren mäßigenden Einfluß die richtige Auswahl unter ήόοναί und λύπαι treffen läßt und eben dadurch ihren entscheidenden Beitrag zum Erlangen der εύδαψονία leistet 255 . 255 Müller, der sich wiederholt gegen jegliche „hedonistische Mißdeutung" der ,Nomoi' aussprechen zu müssen glaubt (a.a.O. S . 4 2 u.a.), erklärt aus eben diesem Grunde den Passus 732 D 8 - 7 3 4 E 2 für unecht. Er geht damit über Ferber (Der Lustbegriff in Piatons Gesetzen, N.J. 1913, S.338ff.) hinaus, der in diesem Passus zwar auch erhebliche Konzessionen Piatons an den Hedonismus registriert, sich zu einer Athetese aber dennoch nicht entschließt.

Müller sieht einen Widerspruch in der Tendenz des 5.Buches gegenüber der des 2. Buches der ,Nomoi'. Das Mißverständnis Müllers erklärt sich aus dessen Bestreben, Piaton zu einem erklärten Antihedonisten zu stempeln und jeden Passus, der es irgendwie zuläßt, in diesem Sinne auszulegen. Die Ausführungen 7 3 2 - 7 3 4 lassen sich auch von Müller nicht antihedonistisch umdeuten, so daß keine andere Wahl zu bleiben scheint, als zu athetieren. Piatons Feststellung, daß der Mensch grundsätzlich die ηδονή zu erlangen, die λύπη zu meiden sucht, wird von Müller (S.42) kommentiert: „Das ist natürlich die Logik eines unklaren Geistes, nicht Piatons." Zweifellos ist dies die Logik jenes Piatons, der schon im .Protagoras' einerseits die πολλοί meinte, die das Glück des Lebens schlicht im ήδονη-Überschuß sehen, ohne aber den Weg dorthin zu kennen, andererseits die φιλόσοφοι meinte, die erkennen, daß ηδονή möglichst rein und wahr sein muß, um ευδαιμονία zu bedeuten, und daß diese nur auf dem Wege der άρετή zu erlangen ist, deren Wesen man zuvor verstanden haben muß. Das ist wohl kaum „primitivster Hedonismus", wie Müller (S.42) meint.

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ΗΔΟΝΗ und ΕΠΙΣΤΗΜΗ Es war den vorausgegangenen Kapiteln zu entnehmen, welche gewichtige Bedeutung im Zusammenhang mit der ηδονή seit .Protagoras' der έπιστήμη zukommt. Das Bild der ηδονή formt sich geradezu in der Gegenüberstellung mit der έπιστήμη. Diese erweist sich bald als Gegenspieler, bald als Bundesgenosse der ηδονή. Soweit Piatons Vergleich der beiden Begriffe zum richtigen Verständnis des in den Dialogen entworfenen Bildes von der ηδονή entscheidend beiträgt, soll er im folgenden wenigstens in großen Zügen noch einmal nachvollzogen werden. Daß dies mit einer Untersuchung des έπιστήμη-Begriffes bei Piaton nichts zu tun haben kann, liegt auf der Hand. Wie ausgeführt, enthält der .Protagoras' die Aussage, daß der Mensch, sofern er die ηδονή fur etwas Gutes und somit Erstrebenswertes hält, einer (der?) επιστήμη bedarf. Es sei nicht damit getan, so heißt es, sich der ηδονή hinzugeben, wann immer sie sich anbietet, sondern man müsse unter ήδοναί und λΰπαι so auswählen, daß man im Endeffekt mehr ηδονή als λύπη gewonnen habe. Es soll demnach die Bilanz des menschlichen Lebens so wenig λύπη und so viel ηδονή wie möglich aufweisen, wobei in letzter Konsequenz mit Hilfe der έπιστήμη eine absolute λύπη-freie ηδονή gesucht wird. Am einfachsten ist eine in diesem Sinne angewendete έπιστήμη als μετρητική τέχνη benannt, wie das im .Protagoras' der Fall ist. Es scheint nämlich zunächst, als könne sich eine solche έπιστήμη darin erschöpfen, daß durch sie gegenwärtige ηδονή mit nachfolgender λύπη bzw. gegenwärtige λύπη mit nachfolgender ηδονή messend verglichen wird, so daß dann die Entscheidung nach der Möglichkeit des ηδονή -Überschusses getroffen werden kann. Im .Protagoras' wird bezeichnenderweise nicht näher ausgeführt, auf welche Weise ηδονή zu messen sei. Die ηδονή hat zu viele Aspekte, als daß von vornherein eindeutig wäre, welchen Maßstab man wo an sie anlegen muß. Es zeigt sich jedoch in späteren Erörterungen des Themas, daß an ein quantitatives Messen von irgendwie gearteten ήδουη-Mengen nicht gedacht wird. Mit fortschreitender Diskussion der ηδονή wandelt sich die μετρητική τέχνη folgerichtig in eine έπιστήμη, die nach objektivem Maßstab urteilt 256 . Zum 256 Der Wandel hat sich in der .Politeia' bereits vollzogen. Dazu Jaeger (Paid. III, S. 9): „Die Idee des Guten im .Staat' ist die absolute Norm, die der in Piatos Denken schon früh auftretenden und bis zuletzt festgehaltenen Vorstellung der Philosophie als einer höchsten Meßkunst zugrunde liegt. Eine solche Meßkunst konnte nicht, wie die Sophisten und die Menge im .Protagoras' glaubten, auf das bloße Wägen von subjektiven Lustund Unlustgefühlen gegründet werden, sondern nur auf einen völlig objektiven Maßstab."

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Maßstab wird der jeweilige Anteil der ηδονή am Guten, speziell an der Wahrheit. Der Grad der Wahrheit bestimmt zugleich den Grad der Reinheit. Der Anteil am äyaßov αύτό sichert der wahren ηδονή ihre bedeutende Rolle im άνθρώ7iLvov äyaOöv, zu dessen Bestandteil sie neben der έπιστήμη erklärt wird. Daß die ηδονή zwangsläufig von der έπιστήμη beherrscht wird, wenn έπιστήμη überhaupt vorhanden ist, wird zwar im .Protagoras' mit Nachdruck behauptet, aber nicht restlos überzeugend bewiesen. Ob nun das Leben, in dem ηδονή erstrebt und von der έπιστήμη beherrscht wird, von Piaton eindeutig für das bestmögliche gehalten wird, ist nach dem Protagoras' allein nicht zu entscheiden. „Nunmehr ist es möglich geworden, die Notwendigkeit des Wissens auch in einem auf Lust gerichteten Leben einsichtig zu machen . . . " , sagt Voigtländer in seiner Interpretation des .Protagoras' 257 . Aus dem „auch" in der Formulierung geht hervor, daß eine auf ηδονή gerichtete Lebensweise lediglich den Ansprüchen der πολλοί, nicht aber denen der Philosophen entsprechen kann. Aber trifft das zu? Stenzel 258 bemerkt, im .Protagoras' werde der Anfang gemacht, die ηδονή mit der έπιστήμη zu kombinieren, indem versucht werde, „die Lust vor den rechnenden Verstand zu stellen". Tatsächlich wird dieser Versuch als ein vollgültiger Schritt auf dem Wege getan, der schließlich zu dem fuhrt, was im .Philebos' άοθρώπινον äyaßov genannt wird und als Kombination von ηδονή und έπιστήμη erscheint. Es stimmt nicht, daß Piaton für die Philosophen ein grundsätzlich anderes τέλος anzugeben hat als für die πολλοί. Ein solcher Gedanke wäre ausgesprochen unplatonisch und würde die pädagogischen Absichten Piatons gründlich verkennen. Voigtländers Annahme, die πολλοί strebten nach ηδονή, Sokrates dagegen habe das äyaßov als Lebensziel im Auge, wobei aber im Protagoras' dem Streben der πολλοί durch Einführung der μετρητική Rechnung getragen werde, geht von der falschen Voraussetzung aus, daß für PlatonSokrates ηδονή und äyaßov eine echte Alternative darstellen. Die Unterscheidung in ήδονή als ein Lebensziel und äyaßov als ein anderes 259 wird zwar im Wiederum ist anzumerken, daß von „bloßem Wägen von subjektiven Lust- und Unlustgefühlen" im .Protagoras' nicht ausdrücklich gesprochen wird. Die μετρητική wird ja nicht von den Sophisten oder den πολλοί gegenüber Sokrates vertreten, sondern vielmehr von Sokrates an jene herangetragen. Insofern wird, indem Sokrates die μετρητική für eine gute Sache erklärt, weniger den πολλοί eine falsche Handhabung dieser τ έ χ ν η vorgeworfen, zumal der Begriff ja erst ganz neu eingeführt wird, sondern ein Messen nach objektivem Maßstab vorbereitet. A m Ende steht folgerichtig der Satz, Gott sei das Maß aller Dinge (,Nomoi' 7 1 6 C). Das Gute als „exaktestes Maß" bestätigt auch der frühe Aristoteles (Dial, fragm. ed. Walzer S. 99). 257

Diss. S. 35. Platon der Erzieher, 1928, S. 2 6 2 . 259 Nach Voigtländer findet sich im .Protagoras' die Lebensweise der πολλοί, im .Gorgias' dagegen - fortschrittlich - der wahre βίος der Philosophen: „Dort war das rechte Leben 258

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,Gorgias' zunächst versucht, im Hades-Mythos aber schon aufgegeben. Im .Protagoras' wird sie deutlich angezweifelt, indem dargelegt wird, daß die ηδονή unter der Bedingung, daß eine έπιστήμη über sie herrscht, im (άνθρώπινον) áyaOóv geradezu aufgeht. Das auf diese Weise gewonnene τέλος - meine man nun damit das αγαθόν oder die ευδαιμονία — ist für πολλοί und Philosophen dasselbe260. Es ist freilich zuzugeben, daß es den πολλοί weitgehend am richtigen Verständnis der ηδονή fehlt, wenn sie sich zu ihr als τέλος bekennen, und daß sie entsprechend den Maßstab nicht haben, der die μετρητική praktikabel macht. In den frühen Dialogen Piatons, in denen Sokrates noch den Standpunkt vertritt, jede Tugend sei eine έπι στήμη, scheint es eben die έπιστήμη zu sein, in der sich die Einheit der αρετή zeigt. Im .Protagoras' kündigt sich die entscheidende Erweiterung dessen an, was alle Tugenden vereinigt, nämlich die Erweiterung um den hedonistischen Aspekt. So wird endgültig im ,Menon' der Satz vom Tugendwissen aufgehoben 261 . Im JPhilebos' wird schließlich ausgeführt, was im .Protagoras' so fundamental vorbereitet worden war, daß nämlich allen Tugenden eben dies gemeinsam ist, daß sie als ein bestimmtes Verhalten der Seele mittels έπιστήμη wahre ηδονή verschaffen. Wäre dieses nicht schon Piatons Auffassung gewesen, als er den .Protagoras' schrieb, müßte der Aufwand befremden, mit dem in diesem Dialog — um noch einmal mit Stenzel zu sprechen — versucht wird, „die ηδονή vor den rechnenden Verstand zu stellen". Im ,Philebos' stellt sich, nachdem das aus ηδονή und έπιστήμη gemischte Leben als das erstrebenswerte bestimmt worden ist, noch die Frage, welcher Teil der Mischung, ηδονή oder έπιστήμη, dem àyatìòv amó näher stehe. Die Frage wird zugunsten der έπιστήμη beantwortet, unter anderem auf die Weise, daß die ηδονή zur Gattung des Unbegrenzten (άπειρον), die έπιστήμη. (φρόνησις) zu der des Begrenzten (τό δέ πέρας 'έχον) und zugleich Grenze Gebenden geschlagen wird 262 . Zum Guten aber gehören Grenze und Maß. Beides bringt von sich aus nur die έπιστήμη mit sich, nicht aber die ηδονή. der Lust durch Wissen garantiert, hier, w o die Lust selbst in ihrem Wert in Frage gestellt wird, wird das rechte Leben überhaupt auf das Wissen gegründet." (Diss. S. 68). Spätestens im .Philebos' jedoch zeigt sich, daß das nur auf Wissen gegründete Leben nicht dem Ideal menschlicher Lebensform entspricht, wohl dagegen das Leben, in dem ηΒονή und ίπιστήμη einander bedingen. Daran gemessen ist die speziellere Aussage des .Protagoras' fortschrittlich gegenüber der allgemeinen im .Gorgias'. 260 Voigtländer (Diss. S. 6 5 ) vertritt die Auffassung, Piaton habe im .Gorgias' „die Rechtfertigung des Lust-ré\oç fur alle Zeiten unmöglich gemacht". Man k ö n n t e umgekehrt behaupten, Piaton habe im Hades-Mythos des .Gorgias' das LustreXoç - freilich mit der Voraussetzung des richtigen ηδονή- und damit ¿^aftjv-Verständnisses - für alle Zeiten gerechtfertigt. 261

Vgl. S. 11, Anm. 8. 262 27 E f f . „Unbegrenzt" ist, was „mehr" oder „weniger" annehmen kann, was relativ ist, fließend und was daher zur Maßlosigkeit neigt. Dagegen „begrenzt" ist, was in sich geschlossen und einheitlich, absolut, beständig und daher voller Maß ist (24 Ä f f . ) .

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Insofern einige ήδοναί, nämlich die wahren und reinen, Grenze vertragen, sind sie reif für die Mischung mit den έπιστήμαι263, durch die sie begrenzt werden. Der ι>ούς regiert — wie den Kosmos des Weltganzen — die Mischung aus ήδοναί und έπιστήμαι264, das Denken mit seinen Unterarten (νους, φρόνησις, έπιστήμη, έπιστήμαι) ist Element, aber zugleich auch Ursache26S der Mischung, indem es einerseits begrenzt ist, andererseits Grenze gibt und dadurch die Mischung erst hervorbringt266. Am Schluß des ,Philebos' werden ηδονή und έπιστήμη noch einmal an drei Kriterien des äyaßov gemessen, nämlich an αλήθεια, συμμετρία, κάλλος. Auch dabei schneidet die έπιστήμη jeweils besser ab als die ηδονή261. Allerdings wird zu diesem Vergleich der beiden „Güter" die ηδονή wieder insgesamt, d. h. die niederen, auf Begierdenbefriedigung beruhenden ήδοναί eingeschlossen, erfaßt. So steht am Ende die ηδονή als Gesamtheit aller möglichen ήδοναί in der Gütertafel hinter den έπιστήμαι auf dem fünften Platz. Noch vor den έπιστήμαι rangieren μέτρων(καίριον), καλόν und νούς (φρόνησις)268. 263

62

264

2 8 Dff.

Β.

265

Dazu Krämer (Arete bei Platon und Aristoteles, 1 9 5 9 , S. 1 7 9 f . ) : „Damit ist angedeu-

tet, daß die eigentliche Mischung zwischen πέρας

und Üneipov

sich allein im R a u m der

ηδονή vollzieht und vom Denken nur vermittelt wird." Dennoch ist Voigtländei zuzugeben, daß „in dem Verhältnis von αίτια zu πέρας

eine ge-

wisse Unklarheit" bestehen bleibt. (Diss. S. 1 3 0 ) . Diese Unklarheit rührt nicht zuletzt daher, daß die Terminologie unscharf bleibt, daß nämlich bis zum Ende des Dialogs (einschl. der Gütertafel) die Begriffe νούς, φρόνηαις,

und έπιστήμη

unzulänglich voneinander abge-

grenzt nebeneinander und statt einander Verwendung finden. 266

31 A.

267

6 5 Β ff.

268

6 6 Β ff.

Z u m Verständnis der nicht restlos motivierten Gütertafel am Schluß des .Philebos' vgl. Susemihl in Philolog. Suppl. II, S. 7 5 f f .

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Abschließende Zusammenfassung Nachdem in dieser Arbeit einige Grundzüge und Aspekte der ηδονή über verschiedene Stationen des platonischen Dialogwerks hinweg verfolgt worden sind, kann ein Resümee gezogen werden. Vor allem anderen sollte sich gezeigt haben, wie planvoll und systematisch Piaton die (ethische) Bedeutung des ήδοι>ή-Begriffes entwickelt und wie aufwendig und gründlich er seine spezielle, äußerst subtile Art von hedonistischer Lebensanschauung 269 darzustellen sucht. Piatons Konzeption sei in aller Kürze noch einmal nachgezeichnet. Zunächst wird im ,Gorgias' versucht, dem platten Hedonismus, der immer und überall die ηδονή sucht, mit dem Nachweis zu begegnen, daß ηδύ und àyaûôv verschieden, bisweilen geradezu gegensätzlich sein können. Dieser Nachweis gelingt nicht sehr überzeugend, weil über den schwierigen Begriff des àyaBóv noch zu wenig Klarheit besteht. Im Hades-Mythos am Schluß des ,Gorgias' kündigt sich bereits eine enge Bindung der ηδονή an das άγαθόν an, da die ηδονή als Lohn fur ein tugendhaftes Leben in Aussicht gestellt wird. Im .Protagoras' wird die auf diese Weise angedeutete Beziehung der ηδονή zum àyatìòv dann zur Identifikation überspitzt. Die bewußt unglaubwürdig angelegte Gleichsetzung der beiden Begriffe führt einerseits zu der Überzeugung, daß die ηδονή nicht das Gute selbst ist, läßt aber andererseits keinen Zweifel daran, daß unter gewissen Voraussetzungen das Angenehme erstrebenswert ist und somit zur besten Lebensweise gehört. Repräsentativ ist darüberhinaus das Ergebnis des .Protagoras', daß nur mit έπιστήμη ein wirklich angenehmes Leben zu fuhren ist. Daß die wahre έπωτήμη, die Erkenntnis des Seienden, die niederen, auf Begierdenbefriedigung beruhenden ήδοναί ausschließt, findet sich im ,Phaidon' breit ausgeführt. 269

Völlig richtig deutet Gomperz (Griech. Denker II, Leipz. 1903, S. 261) die besondere Form des platonischen Hedonismus an: „Weniger häufig, aber keineswegs beispiellos ist in seinen Schriften die so natürliche Zurückführung der Glückseligkeit auf Lustempfindungen. Somit ist zwischen dem Inhalt der Tugend und der Lust eine Brücke zu schlagen möglich. Diese muß der vermittelnde Nachweis bilden, daß entweder die aus welchen Beweggründen immer erstrebte Tugend zugleich die höchste Lust gewährt, oder daß das Streben nach dem höchsten Maße von Lust nur auf diesem Weg an sein Ziel gelangt." Leider hat Gomperz es versäumt, sich anläßlich solcher Überlegungen zu fragen, welches Stadium hinsichtlich des άρετή-ήδοιηί-Verhältnisses im .Gorgias' erreicht ist. Ohne weitere Prüfung setzt er den ,Gorgias' merklich später als den ,Protagoras' an, was ihn dazu verfuhrt, den „Piaton des frühen ,Protagoras'" oder „der späten .Gesetze'" von dem des .Gorgias' zu unterscheiden (S. 283). Gomperz spricht von „unzulänglicher Bestreitung der Hedonik" im ,Gorgias\ zieht daraus aber nicht den zwingenden Schluß, daß der .Protagoras' dementsprechend viel weiter in das gesuchte Wesen der b.peτή eindringt. Unzutreffend ist eine Bemerkung Voigtländers (Diss. S. 142 A n m . 5 0 ) : Vor die Wahl gestellt würde Piaton „die Lust ganz verwerfen".

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Eine Differenzierung niederer und höherer, d . h . unwahrer und wahrer, unreiner und reiner ήδοναί, die sich im .Phaidon' erst ankündigt, nimmt in der .Politeia' konkrete Formen an durch die Dreiteilung der menschlichen Seele. Den Begierden wird der dritte Teil der Seele zugewiesen, die ήδοναί in diesem Bereich müssen als minderwertig gelten und als der Herrschaft des vernünftigen Seelenteils bedürftig. Der regierende vernünftige Teil jedoch, der direkte Verbindung zur objektiven Wahrheit, also auch zum Guten selbst hat, erlebt seinerseits ηδονή, und zwar jene objektiv wertvolle, die im ,Philebos' dann wahr und rein genannt wird. Sie ist frei von λύπη und insofern rein, sie beruht auf έπιστήμη und ist an diese unlöslich gebunden. Es bestätigt sich, was im .Protagoras' zwar noch nicht zwingend bewiesen, aber doch durchaus wahrscheinlich schien, daß nämlich die ηδονή nicht das àyatìòv αϋτό ist, daß sie aber erheblichen Anteil am Guten hat und in Verbindung mit der έπιστήμη das Ganze des άνθρώπινον ά-γαβόν ausmacht. Damit hat Piaton zugleich die Frage nach Wesen und Einheit der άρ€τή beantwortet. Jede einzelne Tugend führt auf ihre Weise aufgrund einer gewissen Erkenntnis zum letztlich Angenehmsten. Daß die άρετή, durch die Gesetze den Menschen gleichsam verordnet, zum eigentlich angenehmen Leben nicht erst im Jenseits, sondern schon im Diesseits fuhrt, wird schließlich in den ,Nomoi' noch einmal herausgestellt. Hier wird ausgeführt, wie weit die άρετή im Sinne des άνθρώπινον àyaBóv des ,Philebos' zu realisieren ist, und dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, was bedingt auch schon in der ,Politeia' der Fall war, daß der Mensch aus seinen natürlichen Bedürfnissen heraus auch solcher ήδοναί bedarf, die im idealen Sinne nicht zum Guten gehören. In der Platon-Forschung herrscht bis zum heutigen Tage die Meinung vor, Piaton sei ein erklärter Gegner des Hedonismus gewesen. Er war es ganz sicherlich nicht. Vielmehr weiß der Leser nach der Lektüre von ,Philebos' und ,Nomoi' recht gut, welcher Gedanke hinter jener bedeutungsvollen Hypothese im .Protagoras' stand, daß kein Mensch, der das Gute als gut erkannt habe, freiwillig das Schlechtere für sich wählen würde. Es bleibt nur diese eine Erklärung, daß — nach Piaton — das Gute für den Menschen letztlich ηδονή bedeutet, und zwar diesseitig wie jenseitig. Und da Piaton nicht entging, wie sehr die Menschheit zu jeder Zeit zuallererst auf ηδονή bedacht ist, und da er selbst ganz offenbar das, was er als gut erkannte, als in höchstem Grade angenehm empfand, konnte er im ,Protagoras' aus voller Überzeugung behaupten, kein Mensch entscheide sich wissentlich für das Schlechtere. In der ηδονή als Erscheinungsform des Guten und als τέλος menschlichen Strebens sah Piaton eine Erfüllung der άρετή und somit ein Charakteristikum menschlicher Eudämonie. Diese Überzeugung Piatons ist in seinem Idealismus so wohl begründet wie in seinem Realismus, den er am Schluß semes Werkes in letztlich doch zwingender Konsequenz offenbart.

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Die Platon-Zitate in den Fußnoten entstammen der Ausgabe: Piatonis Opera I - V , ed. Ioannes Burnet, Oxford 1900-1907. Bd. I, 1900, repr. 1956. Bd. II, 1901, repr. 1950. Bd. III, 1903, repr. 1954. Bd. IV, 1907, repr. 1962.

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