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German Pages 302 [293] Year 1992
JÖRG-PETER FINDEISEN
Karl XII. von Schweden
JÖRG-PETER FINDEISEN
Karl XII. von Schweden Ein König, der zum Mythos wurde
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Findeisen, Jörg-Peter: Kar! XII. von Schweden : ein König, der zum Mythos wurde I von Jörg-Peter Findeisen.Berlin : Duncker und Humblot, 1992 ISBN 3-428-07284-7
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Schutzumschlag: Hauke Sturm Printed in Germany ISBN 3-428-07284-7
Vorwort Eine Biographie Karls XII. zu schreiben, also eine Folge von Schlachten und Feldzügen zu schildern, scheint im Zeitalter der Abrüstung und allgemeiner Ablehnung kriegerischer Aktivitäten von vornherein ein Wagnis, ist dieser Schwedenkönig aus dem deutschen Hause PfalzZweibrücken doch landläufig die Verkörperung des Kriegerkönigs überhaupt, gilt er dem deutschen Leserpublikum historischer Schriften als eroberungsbesessener und kriegslüsterner Monarch, könnten zahllose verurteilende Synonyme für diesen Herrscher allein aus den Streitschriften deutscher zeitgenössischer Gegner Karls XII. aufgelistet werden. Über Jahrhunderte hinweg prägten Ablehnung, Haß und Verleumdung das Bild dieses hervorragenden Feldherrn in den meisten regionalen deutschen Lesebüchern und Geschichtswerken über die europäische Entwicklung zu Beginn des 18. Jahrhunderts, stand der Schwede immer im Schatten der glorifizierten Zeitgenossen, kannte und rühmte man in Österreich und Süddeutschland den Türkenbezwinger Prinz Eugen, den "edlen Ritter", verehrte den "alten Dessauer" in Preußen, in Hannover den Herzog von Marlborough, nannte in der DDR achtungsvoll den Namen Peters I. von Rußland. Und doch, schon wenige Jahre nach dem Tode Karls XII. reagierten Historiker und Publizisten auf die Flut von Haßschriften mit ersten Rechtfertigungsversuchen, wandte sich schließlich auch Friedrich II. von Preußen dem schwedischen König zu; anfangs wohlwollend, später kühler, distanzierter. Seine Polemik gegen Karl XII. ist der Mehrheit deutscher Leser vertrauter als die sachlichen Wertungen des großen Militärhistorikers Clausewitz. Auch das umfangreiche biographische Werk des einem "nordischen Heldentum" verpflichteten Otto Haintz konnte das Interesse an Karl fCII. bei einem breiten Leserpublikum kaum stimulieren, allzu vordergründig wurde der König knapp zwei Jahrzehnte nach der vernichtenden Niederlage nazistischen Rassedünkels als Vorkämpfer germanischnordischer Lebensformen gegen Rußland mißbraucht.
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So schien eine neue, auch vom Umfang her lesbare Auseinandersetzung mit dem König und Feldherrn Karl XII. wenigstens für den deutschen Sprachraum notwendig. Das mußte um so dringlicher gelten, als in Nordeuropa in den letzten Jahrzehnten einige interessante Biographien bzw. Darstellungen einzelner Lebensabschnitte Karls XII. publiziert wurden, die der übergroßen Mehrheit deutscher und wohl auch russischsprechender Interessenten durch die Sprachbarriere verschlossen bleiben. Für einen deutschen Historiker und vor allem nach der kurzen Skizze über Karl XII. durch Jan Peters eine bemerkenswerte Grundlage, zu einer historisch gerechteren Wertung des Schwedenkönigs zu finden. Und doch, Probleme blieben, summierten sich zu einem Berg! Alleine die Entscheidungen über Datierungen, Orts- und Namensschreibungen zwangen zu vielfältigen Kompromissen. Heutige Dörfer in der Sowjetunion oder Polen waren damals schwedisch, preußisch, zählten zum Osmanischen Reich und wechselten auch schon im zeitgenössischen Sprachgebrauch. So wurden zahlreiche polnische Orte in schwedischen Quellen mit deutschen Namen belegt, findet sich die Dwina immer als Düna, um ein Beispiel anzuführen. Besonders deutlich wurden unterschiedliche Auffassungen zwischen sowjetischen und schwedischen Historikern in den Diskussionen über die Entscheidungsschlacht zwischen Karl XII. und Zar Peter I. Hier galt es zu sichten, zu eigenen Urteilen zu finden, eine bestimmte ahistorische Sichtweise aufzugeben. Im Verständnis heutiger Historiker fungiert die Schlacht bei Poltawa als eine Zäsur weltgeschichtlicher Entwicklung. Doch auch dem zeitgenössischen Chronisten war sie bereits ein Wendepunkt europäischer Geschichte. So verstanden viele Politiker unmittelbar nach Bekanntwerden der Ereignisse jenes 27. oder 28. Juni/ 8. Juli 1709, daß die Großmacht Schweden dem aufstrebenden russischen Zarenreich in einer Entscheidungsschlacht unterlegen war. Bis heute sind die damals aufgeflammten Diskussionen nicht erloschen, beschäftigen sich die Fachleute in ihren Auseinandersetzungen mit den Möglichkeiten und Grenzen der schwedischen Schlachtkonzeption ebenso wie mit den Argumenten russischer und sowjetischer Historiker über die Unvermeidlichkeit einer Katastrophe für das schwedische Heer in der Tiefe Rußlands. Vor einigen Jahren versuchte W. A. Artamonow eine zusammenfassende Wertung des Geschehens bei Poltawa
Vorwort
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aus der Sicht der sowjetischen Historiographie. Dieser Grundsatzartikel hat entsprechende Darstellungen in der früheren DDR nachdrücklich beeinflußt. Sowohl Peter Hoffmann als auch Helmut Schnitter fußen eindeutig auf dieser Version und Jan Peters spitzte diese Auffassung seinerzeit zu der These zu, daß "dieser Krieg nicht zu gewinnen war" (Peters, 151). Dagegen näherte sich Erich Donnert kürzlich in seiner Peter-Biographie in zahlreichen Details den schwedischen Quelleninterpretationen an, in denen häufig eine schwedische Siegeschance nicht a priori ausgeschlosssen wird. Widersprüche also, die Fragen aufdrängen. Sucht man Antworten, muß man wohl berücksichtigen, daß die sowjetische Militärgeschichtsschreibung Poltawa als einen Eckpfeiler ihres Traditionsverständnisses betrachtet. In den entsprechenden Publikationen wertet sie die Schlacht an der Worskla als frühes Symbol für die Unbesiegbarkeit Rußlands. In diesem Geiste hatte schon Alexei Tolstoi in sein berühmtes Peter-Epos, das er in den Jahren vor der sich abzeichnenden welthistorischen Auseinandersetzung des Sowjetstaates mit Hitler-Deutschland bzw. während des Krieges verfaßte, aktuelle Fragen in die Geschiebe des Nordischen Krieges und der Kämpfe zwischen Karl XII. und Peter I. projiziert. Im Unterschied zu den Autoren der jüngsten sowjetischen Publikation zur Geschichte des Nordischen Krieges, die kategorisch erklärten, im Gegensatz zur bürgerlichen Geschichtsschreibung die einzig wissenschaftliche Darstellung vorzulegen und "die antiwissenschaftlichen Konzeptionen der bürgerlichen Historiographie zu entlarven" (Istorija, 9 ff.), hatte sich Artamonow schon vor einem Jahrzehnt wenigstens partiell um eine differenziertere Sicht bemüht. Ihm ist beizupflichten, daß "die historisch-politische Bedeutung der Schlacht bei Poltawa" auch bei den schwedischen Historikern unbestritten ist (Artamonow, 561). Unterschiede in den Urteilen erwachsen aus der jeweiligen Interpretation der verfügbaren Quellen, mehr noch aber aus Art und Umfang der herangezogenen zeitgenössischen Materialien. Russische und sowjetische Historiker benutzten nahezu ausschließlich "offizielle russische Dokumente" (Artamonow, 561), und das ohne kritische Einschränkungen, obwohl Zar Peter seinerzeit selbst entschied, was als wesentlich gelten sollte, und auch die Ereignisse wertete, indem er beispielsweise sein "Tagebuch" -das 1770 in Petersburg veröffentlichte "Journal" -für die geplante spätere Publikation sehr gründlich "redigierte". Die zweifelhafte Tendenz "offizieller Hofberichterstattung" bzw. die Wie-
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dergabevon "Geschehen" im Sinne souverän herrschender Persönlichkeiten ist ja ein Faktum, das nicht nur jedem Historiker bekannt ist. Ohne die zahlreichen, selbstverständlich sehr subjektiv gefärbten schwedischen Memoiren, Tagebücher und Regimentsverzeichnisse sowie die Flut an Briefen der Offiziere und Soldaten an ihre Angehörigen und Freunde überbewerten zu wollen, müssen doch deutliche Unterschiede zu den russischen Materialien markiert werden. Schwedischerseits liegt damit - sieht man von den natürlich auch vorhandenen Schriften betroffener Heerführer ab - ein Dokumentenmaterial vor, das für "Rechtfertigungen" und Beschönigungen weitaus weniger Raum bietet als Zar Peters eigenes "Tagebuch". Leider hat Artamonow konkrete quellenkritische Vergleiche unterlassen und deshalb nicht wahrgenommen, daß der Wahrheitsgehalt bei vielen schwedischen Quellen deutlich höher zu werten ist als die von ihm hauptsächlich genutzten offiziellen Schreiben. Es fehlt bei ihm auch ein Urteil über den nach damaligem Verständnis hohen Entwicklungsstand der schwedischen Verwaltung zu Beginn des 18. Jahrhunderts, der exakte Datierungen, Orts- und Ablaufbeschreibungen ermöglichte, alles Dinge, die den russischen "Dokumentalisten" unwichtig waren. So ist der Zeitpunkt des Todes vieler Offiziere, selbst zahlreicher Soldaten, übermittelt, der Ort ihres Sterbens festgeschrieben. Die schwedischen Gefangenen mußten ihre toten Kameraden auf dem Schlachtfeld dort begraben, wo sie gefallen waren. Die Überlebenden berichteten in Briefen in die Heimat über das Schicksal ihnen bekannter Musketiere, Grenadiere und Dragoner aus dem eigenen Dorf und aus benachbarten Kirchspielen. Nach ihrer Freilassung aus russischer Gefangenschaft besuchten sie häufig die Angehörigen und brachten persönliche Erinnerungsstücke der toten Freunde heim. Die Musterungsrollen der Landschaftsregimenter enthalten oftmals die entsprechenden Daten für die Rekruten der einzelnen Regionen, geben manchmal sogar Auskunft über Familienangehörige, eine wahrhaft außergewöhnliche Quellendokumentation, ideal für die Auseinandersetzung um Soll- und Ist-Stärken der schwedischen Armee vor Poltawa! Ergänzend sei noch erwähnt, daß Karl XII. die barocke Prahlsucht seiner fürstlichen Zeitgenossen August und Peter absolut fremd war. Es existiert kein einziger Beleg von der Hand des schwedischen Herrschers, in dem sich der König - analog, den Schilderungen Zar Peters - als "Held" gefällt. Eine Einflußnahme auf die Darstellung seiner Feldzüge und Schlachten, die "Zensur" der Berichte durch Karl XII.,
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kann somit ausgeschlossen werden, zumal Karl XII. schon 1718 den Tod fand. Im übrigen brachten die Jahre nach dem Tode dieses schwedischen Monarchen die "Freiheitszeit" mit sehr kritischen Einstellungen zum Absolutismus, und so manche damalige Publikation spiegelt deutlich diesen Geist. Problematisch ist bereits die Datierung der Schlacht. Häufig wird als exaktes Datum der "8. Juli" 1709 nach dem seit 1582 eingeführten Gregorianischen Kalender angegeben. In Rußland galt jedoch seit dem 1. Januar 1700 wie in Schweden der Julianische Kalender. Seit dem 1. März 1700 differierten die Datierungen um elf Tage. Interessanterweise datieren sowohl die schwedischen als auch einige zeitgenössische deutsche Quellen die Schlacht auf den 28. Juni. Die sowjetischen Geschichtswerke sowie einige Autoren in der früheren DDR weisen als Schlachttag dagegen den 27. Juni aus. Merkwürdigerweise trägt Zar Peters Bericht an König Friedrich I. von Preußen als Datumsvermerk den 8. Juli. In der schwedischen Poltawa-Historiographie wird bis in die Gegenwart, entsprechend dem damaligen Zeitverständnis in Schweden, die zeitgenössische Datierung "28. Juni" übernommen. Offenbar war damals dort die Verschiebung um 11 Tage noch nicht akzeptiert worden. So gesehen hat sich auch Jan Peters zulässig für den 28. Juni entschieden, der sowjetische SkandinavienHistoriker Kan wiederum legte sich, dem "neuen Stil" folgend, auf den 8. Juli fest. In einer Biographie des Schwedenkönigs sollte wohl an Datierungen festgehalten werden, wie sie Karl XII. selber wählte, so eine Zeitrechnung versucht werden, die auch weitgehend mit seinen Briefen und Notizen übereinstimmt, nur dann abgewichen werden, wenn es sich um allgemeine Fixpunkte der europäischen Geschichte handelt und die Ereignisse außerhalb des schwedischen Bezugsraumes lagen. Findet sich für die unterschiedliche Datierung noch eine Erklärung, lassen sich offenkundige Widersprüche in der Schilderung des Schlachtverlaufs zwischen sowjetischen und schwedischen Historikern nicht übersehen. In dieser Biographie wurde bewußt auf eine wissenschaftliche Polemik verzichtet, nötigenfalls die unterschiedlichen Auffassungen angeführt und nach eigenen Überzeugungen entschieden, welches Argument einleuchtender erscheint. Um der besseren Lesbarkeit willen wurde in Anlehnung an die Biographie Peters I. durch Erich Donnert bzw. Jan Peters' Karl-Skizze
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Vorwort
die traditionelle Schreibweise der Duden-Transkription gebraucht. Anliegen dieser Biographie soll es sein, in Anknüpfung an solcherart Bekanntem dem Leser Details über Karl XII. mitzuteilen, jenen Herrscher, den Jan Peters den "rätselhaften Haudegen" nannte. Mag der Leser entscheiden, ob dieses Attribut zutreffend gewählt wurde!
Inhaltsverzeichnis Karls Kindheit .. . ... .. .. . . . .. . .. . . . .. .. . . . .. .. .. . . . . . . . .. .. .. .. . .. .. . . . .. . .. . . . . .
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Von Kopenhagen bis Narwa ........................... . .................. ....
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Sechs Jahre Krieg in Polen . .. . ... . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . .. . . .. . .. . .. .. . . . . . . . . .. .
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Auf dem Weg in die Katastrophe - der Sieg des Königs bei Holowzin und die Niederlage Lewenhaupts bei Lesnaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Poltawa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Von Poltawa bis zum Prut - zwei Tage Verspätung für eine welthistorische Entscheidung . .. .. . .. .. . .. .. ... .. . .. . . . .. .. .. . .. .. ... .. .. ... . ... . 145 "König Eisenkopf" - ein unveränderter König Karl XII. am Beginn seines letzten Lebensabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 166 Verzweifelter Kampf um die deutschen Territorien - eine neuerliche Niederlage Karls XII. . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. . . . .. . .. . .. .. . . .. . . . ... . . .. . .. . . . . . . 188 Ein letztes Aufbäumen - der Kampf Karls XII. um einen günstigen Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Der 30. November 1718 ........ .... ... .. .... .... ... .. . ..... .. .. .......... . .... 231 Karl XII. -
ein rätselhafter König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 246
Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
"Dem am siebenzehenten Juni 1682 glücklich aufgegangenen neuen Sterne und Sprossen des königlichen Stammes, dem schwedischen Prinzen Carl, wünscht die nordische Welt zu dem väterlichen und grosväterlichen Ruhme neuen Anwachs" Text einer schwedischen Münze anläßlich der Geburt des Kronprinzen Karl
Karls Kindheit Als an diesem Frühsommermorgen des 17. Juni 1682 alle Kirchenglocken der Hauptstadt Stockholms läuteten, war es endlich soweit, das langersehnte Ereignis eingetreten. Wenige Minuten vor 7.00 Uhr hatte Königin Ulrika Eleonora einen Knaben entbunden. Schon am nächsten Tag ertönten alle Glocken erneut. Der kleine Karl, Sohn des Königs Karls XI. von Schweden, wurde durch die Nottaufe in die große Gemeinschaft aller Gläubigen des protestantischen Schwedens aufgenommen. Damals ahnte wohl niemand in dieser denkwürdigen Stunde, daß dort im Taufkissen einer der eigenwilligsten zukünftigen Regenten der Weltgeschichte lag, berufen, einige Jahre das ganze festgefügt scheinende feudale Europa in Atem zu halten. Gar zu klein und schwächlich wirkte der Thronfolger. Eile schien geboten, ihn zu taufen, wußte doch niemand, ob er überleben würde. Später, sehr viel später erst, sollten die Zeitgenossen sich an einige absonderliche Begebenheiten erinnern, würden Legenden um die ersten Stunden des jungen Prinzen blühen. Nun wußte man zu berichten, daß das Sternzeichen "Löwenherz" über Stockholm geleuchtet habe, als der kleine Karl das Licht der Welt erblickte. Ein heftiger Sturm hätte in eben dieser Minute Schindeln und Dachpfannen von den Dächern
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der Hauptstadt gerissen. Das bedeutungsvollste Zeichen sei jedoch gewesen, so wollten es die Weitblickenden, die Zukunft Schwedens Vorausschauenden damals ganz genau gewußt haben, der Thronfolger war mit geschlossenen Fäusten zur Welt gekommen. Als man die kleinen Händchen öffnete, seien sie voller Blut gewesen. Wahrlich eine gewaltträchtige Zukunft, die sich so der skandinavischen Großmacht prophezeite! Er halte nicht viel von derlei Geschwätz, berichtete 1740 der langjährige Feldkaplan und Seelsorger Karls XII. in seiner großangelegten Lebensbeschreibung des Königs. Als ärgerliche Replik auf Voltaires spektakuläres Werk über den Schwedenkönig hatte er sie aufgeschrieben, noch immer eine der besten und umfangreichsten Quellenstudien über den damals bereits verklärten "Heldenkönig". Niemand wußte es im übrigen besser als dieser Pastor Jöran Nordberg. Er hatte den jungen König in sein erstes Feldlager begleitet, war ihm bis in die Weiten Rußlands gefolgt, hatte schließlich- aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt - auch während der letzten Lebensjahre des Monarchen aufmerksam dessen Weg verfolgt. So war er in der Tat berufen, den Legenden um "seinen König" eine neue hinzuzufügen, seine, die aber zweifellos der Wahrheit näher kam als alle anderen. Denn nichts als die Wahrheit wollte er berichten, der fromme Geistliche! Aber das war schwer genug. Nicht allein, weil auch im Königreich Schweden eine andere Zeit angebrochen war. Nein, es war schon ein absonderlich schwieriges Unterfangen, über diesen Herrscher zu schreiben, wollte man mehr als nur Ereignisse auflisten, suchte man Absichten und Wünsche Karls zu ergründen. Es ist zu allen Zeiten viel gerätselt worden über den unbegreiflich verschlossenen, oft nahezu krankhaft scheu wirkenden Karl XII. Manche Biographen wünschten den offenkundigen Widerspruch zwischen dem furchtlosen "Kriegerkönig Karl" und seinem sonstigen Auftreten einer erblichen Veranlagung und der väterlichen Erziehung anzulasten. Als Königin Christina, die Tochter des schon zu Lebzeiten als "Glaubensheld" verehrten Gustavs li. Adolf am 16. Juni 1654 freiwillig abdankte, folgte ihr der Vetter aus dem Hause Pfalz-Zweibrücken als Karl X. Gustav auf den Thron. Der frühe Tod des militärisch zeitweilig sehr erfolgreichen neuen schwedischen Königs 1660 und die Regent-
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schaft eines hochadligen Rates während der Kinderjahre Karls XI. erschütterten die Großmachtpositionen Schwedens und die Stellung der Krone im Konflikt mit der Hocharistokratie. Die ersten Regierungsjahre Karls XI. waren angefüllt mit schmerzlichen militärischen Niederlagen. Dahin schien der Ruhm der schwedischen Kriegsmacht. Die Niederlage gegen die brandenburgischen Truppen bei Fehrbellin 1675 war nur ein erster sichtbarer Ausdruck der Folgen allgemeiner Mißwirtschaft der Vormundschaftsregierung gewesen. Kaum mündig erklärt, stand Karl XI. vor schier unlösbar scheinenden Problemen. Mangel herrschte überall. Es gab weder eine schlagkräftige Armee noch war die Flotte einsatzbereit. Es fehlte an Waffen, Monturen, Proviant und vor allem an Geld. Die schwedische Krone war arm, die Staatskasse leer, die königlichen Domänen verpfändet oder dem Adel als Anerkennung für seine Dienste während des Dreißigjährigen Krieges und durch die Königin Christina zugeeignet. Der Versuch Karls X. Gustav, der Krone den notwendigen Güterbesitz zurückzugewinnen, war nur ein kurzes Zwischenspiel gewesen. Allzu begrenzt waren seine Möglichkeiten geblieben in den wenigen Jahren seiner Herrschaft. Er hatte auf dänischen, deutschen und polnischen Schlachtfeldern kommandiert, die auf dem Reichstag 1655 beschlossene Teilrückgabe der ehemaligen Kronländereien wenig kontrollieren können. Nach seinem Tode hatte die hocharistokratische Vormundschaftsregierung die Restaurierung der Macht des Hochadels begünstigt. Die Herren wußten schon, was sie ihren Freunden und Verwandten schuldig waren. Von einer Rückgabe - der sogenannten "Reduktion" - der Domänen war nun keine Rede mehr gewesen. Warum auch, man hatte über anderes zu sprechen! Beispielsweise darüber, ob man sich nicht wieder stärker Frankreich zuwenden sollte. Klingende Münze aus dem französischen Staatssäckel öffnete da manchem Mitglied des Reichsrates die Ohren. Und im übrigen glich König Karl XI. so gar nicht dem energischen und temperamentvollen Vater. Der knapp 19jährige Monarch war noch im Sommer 1674 von dem Italiener Magalotti so beschrieben worden, wie ihn auch die Mehrheit der hohen Räte sah. Der König wirke, "als fürchte er sich vor allem". Er wage niemandem ins Gesicht zu sehen und "bewege sich ständig, als ginge er auf Glas. Aber wenn er zu Pferde sitze, scheine er ein völlig anderer Mensch zu sein, da sehe er wirklich wie ein König aus" (Grimberg, 4, 145). Ja, reiten konnte er und für die schwedische Militärmacht zeigt er lebhaftes Interesse. Das konnte ein jeder sehen.
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So mußte der traurige Zustand der Armee, der wichtigsten Säule des schwedischen Ostsee-Imperiums, den jungen König besonders treffen. Und nach der unerwarteten Niederlage gegen die bedeutungslos scheinenden Brandenburger erst recht! Es mußte etwas getan werden. Auf die Herren Reichsräte schien wohl weniger Verlaß, als der noch unerfahrene Monarch bisher geglaubt hatte. Da blieb keine Zeit für scheue Zurückhaltung. Und so zeigte er sich nun verändert, gar nicht mehr linkisch und verschüchtert. Die blutige Schlacht bei Lund im äußersten Süden Schwedens zwischen Dänen und Karls XI. Truppen am Morgen des 4. Dezember 1676 entschied endgültig über den Besitz Südschwedens. Und es war vor allem das Verdienst des jungen Regenten, der sich hier keineswegs furchtsam zeigte. Sein kühner Ritt an der Spitze der schwedischen Kavallerie beflügelte das Heer. Im erbitterten Kampf Mann gegen Mann wurden die Dänen besiegt, eine der blutigsten Schlachten des Jahrhunderts. Von etwa 16 000 Kämpfenden fielen 8 933 Dänen und Schweden auf dem Schlachtfeld. Gegen alle Warnungen seiner Generäle hatte Karl XI. diesen Kampf gewagt, wohl in der Gewißheit, unbedingt siegen zu müssen. Zwei schwere Niederlagen der schwedischen Flotte gegen die vereinigte holländische und dänische Übermacht ließen ihm keine Wahl. Getrieben von Verzweiflung und tiefverwurzelter Überzeugung, auf schwedischem heimatlichen Boden siegen zu können, schlug Karl XI. kurze Zeit später mit 9 000 Schweden bei Landskrona 12 000 Dänen in einem neuerlichen achtstündigen blutigen Kampf, befreite alle eroberten Festungen Südschwedens. Nach Niederlagen, Rückzügen, desparaten Zweifeln und Todesabsichten war das Karls XI. letzter Sieg im Felde. Sein Schlachtfeld wurde nun das Reich in seinem inneren Zustand. Hier sollte er nun bald von Triumph zu Triumph schreiten, mehr erreichen als seine Vorgänger, Grund legen für künftige schwedische Kriegserfolge. Einig sind sich die schwedischen Historiker darüber, daß die Schlacht bei Lund auch der Wendepunkt im persönlichen Verhalten Karls XI. war. Der König hatte sich selbst besiegt, Selbstvertrauen gewonnen und Konsequenzen gezogen. Fortan wollte er persönlich entscheiden, ohne die Herren im Reichsrat regieren, souverän bestimmen, wie es der König in Dänemark, wie es Ludwig in Frankreich konnte. Kaum war der Friede 1679 mit Dänemark vereinbart, ehelichte Karl XI. die Schwester seines dänischen Rivalen. Er wählte Ulrika Eleonora
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von Dänemark, ohne zuvor die Herren im Reichsrat zu hören. Nein, scheu und verschüchtert war er nun keineswegs mehr! Seiner auch geistig regen Gemahlin soll er gleichzeitig bedeutet haben, sie hätte "Uns Kinder zu gebären" und nicht mitzuregieren. Zunächst wandte sich der König gegen jene Reichsräte, die Schweden -für gutes französisches Geld, versteht sich- an der Seite Frankreichs in dessen Kriege hineingezogen hatten. Die königlichen Vormünder hatten sich nämlich "überreden" lassen, Schwedens Grenzen durch eine mit französischen Subsidien finanzierte schwedische Armee zu schützen. Freilich, Schweden hatte lange, sehr lange Grenzen. Rund um die Ostsee mußte der Staat seine Eroberungen aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts verteidigen: Livland, Estland, lngermanland, Karelien, auf deutschem Boden Teile Pommerns, die Herzogtümer Bremen und Verden, die Städte Wismar und Stettin. In Kriegszeiten ernährte sich die schwedische Armee in Feindesland. Im Frieden war das große Heer nicht zu unterhalten. Jedenfalls nicht mit den bisherigen Mitteln und Methoden! Und Frankreichs Hilfe hatte sich für das Reich als teuer, all zu teuer bezahlt, erwiesen. Höchste Zeit also, wieder von anderem zu reden! So erhielt der junge siegreiche Herrscher auf dem Reichstag 1680 vor allem von den nichtadligen Ständevertretern lebhaften Beifall für die neuerlich erhobene Forderung nach "Reduktion". Schweden sollte nicht mehr von ausländischen Subsidien abhängen. Es sollte aus eigener finanzieller Kraft seine Probleme lösen. Allerdings, die friedensbewahrende Armee würde viel Geld kosten. Geld aber konnte die Krone in benötigtem Umfange nur aus ihren ehemals so zahlreichen Gütern ziehen. Also mußte der König diesen Besitz zurückerhalten ... Mit den Stimmen der steuerpflichtigen Stände - Priester, Bürger und Kronbauern - und einem Teil des niederen Adels im Ritterhaus setzte Karl XI. eine U ntersucliung der Tätigkeit seiner Vormünder und die Rückgabe der früheren Kronländereien durch. Den Argumenten der um ihren Besitz bangenden Hocharistokraten hielten die Bauern im Reichstag entgegen, daß "weder des Königs Autorität, des Vaterlandes Wohlfahrt und der Untertanen Freiheit lange währen könnten, wenn der Krone Güter und Höfe mit all ihrem Einkommen, die fest und stehend sind", privatem Nutzen dienen. Vor allem hätten die Herren im Reichsrat "gegen alles natürliche Recht und Billigkeit der Krone 2 Findeisen
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Güter", wogegen die Reichsstände schon von jeher "Einspruch erhoben haben" (SRP, 1680, 290-311). Mehr als die Hälfte der Besitzungen des Hochadels kam so an die Krone zurück. Gleichzeitig wurde die Stellung der steuerpflichtigen Bauern gesichert, die Mehrheit der schwedischen Bauern dem Zugriff des Hochadels entzogen. Ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Sanierung der Finanzen, wesentlich für den Wunsch des Regenten, künftig ohne die hochadligen Räte regieren zu können! Der Reichstag beschloß auf Vorschlag des Königs und seinerVertrauten am 9. Dezember 1680, daß Karl XI. als "mündiger König ... sein Reich als sein eigenes von Gott verlehntes Erbreich steuert, einzig und allein vor Gott für seine Aktionen resonabel" (SRP, 1680, 375 ff.). Schon ein Jahr später änderte Karl XI. den Titel des Reichsrates in "Königlicher Rat". Dessen Mitglieder sollten nun nicht mehr das Reich vertreten, sondern nur noch als Berater des Königs fungieren. Noch vor der Geburt des Thronfolgers stimmten 1682 Königlicher Rat und Reichstag zu, daß die Gesetzgebung an den König gebunden werde. Geschickt hatte der engste Vertraute des Königs, Erik Lindschöld, selbst der Sohn eines Schmiedes, auf einen "Unterschied zwischen Gesetz und Verordnungen" verwiesen, so das Einverständnis auch der Adelsopposition erlangt, das prinzipielle Recht der Stände auf Zustimmung zu Gesetzesvorlagen aufzugeben. Von nun an durfte Karl XI. unter der Rubrik "Ausführungsbestimmungen" Gesetze "nach Behagen" verfügen (SRP, 1682, 20 ff.). Schon damals berichtete der dänische Gesandte in Stockholm dem Kopenhagener Hof, "der König wäre nun an keine Gesetze mehr gebunden, sondern souverän geworden, weil er der Untertanen Konsens in den wichtigsten Dingen nicht mehr nötig hat" (Barudio, 55). Das war nun allerdings ein bißchen übertrieben, zumindest voreilig formuliert gewesen. Erst im Jahre 1693 stimmte der Reichstag anläßlich der Trauerfeierlichkeiten beim Ableben Ulrika Eleonoras, der Mutter Karls XII., einer Formulierung zu, die Karl XI. zum absoluten Herrscher erklärte. Während die Prediger in diesen Tagen von allen Kanzeln der Stockholmer Kirchen das Samuel-Wort verkündeten: "Ihr sollt seine Knechte sein", verabschiedete der Reichstag die "Souveränitätserklärung". Karl XI. war "zu einem .. . allen gebietenden und beherrschenden souveränen König gesetzt, der keinem auf Erden für seine Aktionen resonabel ist, sondern Macht und Gewalt hat, nach seinem Behagen sein Reich wie ein christlicher König zu steuern und zu regieren" (Barudio, 59).
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So war der Thronfolger, der künftige zwölfte Karl, bereits als potentieller Alleinherrscher geboren worden. Über ihm würde nach zeitgenössischem Verständnis nur noch Gott stehen. Sein kommendes Königturn war von Gottes Gnaden. Nur diesem war er verantwortlich. Vorläufig allerdings erwuchs ihm noch eine andere strenge Autorität: der Vater. Ihm und seinem ehrenden Andenken blieb der Sohn zeit seines Lebens in tiefer Bewunderung zugetan. Streng war er, der Königsvater Karl XI. Zielstrebig wirkte er auf sein großes, seit der Lunder Schlacht fixiertes Ziel hin, Schweden wieder eine schlagkräftige Armee zu schaffen. Dafür arbeitete er diszipliniert nach einem strengen Tagesrhythrnus. Morgens zwischen 3.00 und 4.00 erhob er sich. Bereits gegen 5.00 Uhr füllten sich auch die Vorzimmer seiner Räte. Die Zeitgenossen erwähnten verwundert, daß Karl XI. selbst arn Morgen nach seiner Hochzeitsnacht mit Ulrika Eleonora um 5.00 Uhr in der Frühe aufgestanden und die Soldaten der Wache inspiziert habe. Möglich, daß der Monarch die Ehe tatsächlich nur als Instrumentarium zur Sicherung des königlichen Nachwuchses betrachtete, im Ehebett nur ein Notwendiges an Zeit und Kraft verschwenden wollte. Was daraus wurde, war ohnehin für die häufig kränkelnde Gattin zu viel. In weniger als sieben Jahren gebar Ulrika Eleonora sieben Kinder. Auf die erstgeborene Tochter Hedwig Sophia im Juli 1681 folgte der Thronfolger ein knappes Jahr später. Dann wurden drei weitere Prinzen geboren, die alle jedoch bis 1686 wieder verstarben. Die im Januar 1688 geborene Ulrika Eleonora, nach der Mutter benannt, wurde die einzige, die schließlich Karl XII. überleben sollte. So war es insbesondere die Sorge um das Schicksal ihrer beiden Töchter, mit der Königin Ulrika Eleonora arn 26. März 1693 aus dem Leben schied. An ihrem Sterbelager hatte der kleine Karl der Mutter versprechen müssen, sich zeitlebens um das Wohl der Schwestern zu mühen. Ein Kinderschwur, den er nie vergaß! Überhaupt scheint Ulrika Eleonora, vorn König in das "Kinderzimmer" verwiesen, die wenigen Jahre ihres Ehelebens der Pflege und Erziehung ihrer Kinder gewidmet zu haben, ein erwähnenswerter Umstand, der an den meisten Höfen jener Jahre offenbar nicht die Norm war. Nicht nur der kleine Karl hat sie sehr geliebt. "Sie war beliebt und verehrt von allen, weil sie freundlich und gut war", schrieb der französische Botschafter in Stockholrn, Graf Jean Antoine de Mesrne D'Avaux unmittelbar nach ihrem Tode (Bain, 21).
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Fühlte sich Karl XI. vor allem als Landesvater, so nahm Ulrika Eleonora den ihr gewiesenen Platz als Mutter und Hort der königlichen Familie sehr ernst. Der König - so dokumentieren es zeitgenössische Quellen- fand in seiner Frau einen Rückhalt, einen Punkt der Besinnung, wenn er von seinen beständigen, ermüdenden Inspektionsreisen ausruhen wollte. Anders als die übergroße Mehrheit der europäischen Regenten jener Zeit lebte Karl XI. dem Kronprinzen nicht das Bild eines von Mätressen umgebenen Herrschers vor. Der König habe sich nach dem Ableben Ulrika Eleonoras - so erzählte man sich damals am schwedischen Hofe - mit schweren Selbstvorwürfen geplagt, sich mit der Erkenntnis gequält, seiner Gemahlin viel zu wenig Zeit erübrigt zu haben. So mag es auch Reue über unwiderbringlich Vertanes gewesen sein, was den Monarchen bewegte, die Erziehung des Thronfolgers nun selbst zu übernehmen, ihm besondere Zuneigung zuzuwenden, den Jungen selbst bei anstrengenden Ritten durch das ausgedehnte Königreich an seiner Seite zu wissen, ihn Reiten, Fechten, Schießen, vor allem aber Disziplin und Selbstüberwindung zu lehren. Im übrigen, auch dem Vater war nicht mehr viel Zeit beschieden. Und doch, als Karl XI. am 5. April1697 um 22.00 Uhr nach schwerem, qualvollen Krebsleiden im alten Stockholmer Schloß verschied, schien vieles angepackt, manches geregelt. Die Armee war reorganisiert, eine zeitgemäße Erziehung und Bildung des Thronfolgers gesichert. Schwedens bedeutendster König am Beginn der bürgerlichen Umwälzung des Landes, der 1792 durch eine Adelsverschwörung ermordete Gustav III., hatte nur Hohn für den wenig gebildeten Karl XI. übrig. Der königliche "Quartiermeister" war schon dem Kronprinzen Gustav zutiefst verhaßt. Ihm lastete er die beginnende "Verfremdung" zwischen König und Adel in Schweden an. Die Notwendigkeit des Reduktionswerkes für die Heeresorganisation Ende des 17. Jahrhunderts hat dieser kluge und weitblickende König nicht verstehen wollen. Der junge Karl XII. dagegen, an die Spitze des Reiches gestellt, hatte sofort Maßnahmen eingeleitet, die Neustrukturierung des schwedischen Heeres im Sinne des Vaters abzuschließen. So wurde das sogenannte "Einteilungswerk" durch neue Verfügungen erweitert. Schon 1680 hatte der Reichstag auf Wunsch Karls XI. das "Gesetz über die Einteilungen" verabschiedet. Jeder schwedischen und finnischen Landschaft wurde auferlegt, Soldaten für die königliche Armee
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zu rekrutieren und zu unterhalten. Zwölfhundert Soldaten zählte ein solches Landschaftsregiment im Schnitt. Die Bauern der betreffenden Region waren verpflichtet, auch in Friedenszeiten innerhalb ihres Rekrutierungsbezirkes diese Soldaten zu verpflegen, deren Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Der Soldat saß - einer Gruppe Bauern zugeteilt- auf einem kleinen Soldatenhof, oft nur eine Hütte. Doch erhielt er von "seinen" Bauern einige Taler Sold jährlich, einen schmalen Akkerstreifen, etwas Gartenland und zwei Fuder Heu zugewiesen. An den Stellplätzen wurden die Regimentsmonturen aufbewahrt. Etwa im Alter von 45 Jahren wurden die Soldaten durch neue Rekruten abgelöst. Dieses "Einteilungswerk" war größtenteils aus der Reduktion der adligen Bodenanteile geschaffen worden. Die Kavalleristen wie auch die Offiziere kamen gewöhnlich von sogenannten "Sattelgütern". Diese in verschiedenen Größen und Qualitäten geschaffenen Amtsgüter waren der materielle Rückhalt der Offiziere unterschiedlichster Dienstgrade, der Korporale und Reiter. Sogenannte "rusthallare"- die Besitzer eines "Reiterhofes" - hatten gegen Befreiung von den Steuern die Ausrüstung und den Unterhalt eines Kavalleristen übernommen. Offiziere und Soldaten waren "Militärs" nur während der Manöver und im Kriege. Dann wußten sie ihr Eigentum in guter Obhut ihrer" Gruppenbauern". Eine solche Armee benötigte für die Mobilmachung längere Zeit als die stehenden Heere anderer europäischer Staaten. Aber einmal gesammelt und in Marsch gesetzt, war der Bestand dieser Armee weitaus weniger gefährdet durch Desertationen. Der König und die Generäle sorgten durch ständige Inspektionen dafür, daß sich Soldaten und Offiziere als Krieger übten und zu einem schlagkräftigen Heer zusammenwuchsen. In Schweden standen so gegen Ende der Herrschaft Karls XI. neben einigen geworbenen Regimentern 18 000 "eingeteilte" Infanteristen und 8 000 Kavalleristen, in Finnland mehr als 7 000 Mann Fußtruppen und 3 000 Reiter zur Verfügung. Daneben hatte der König eine Flotte mit 7 200 Seeleuten in Schweden und Finnland geschaffen. Der Monarch überprüfte selbst die Aufmarschpläne, die exakte Angaben über Marschziele, Quartiere und Einschiffungshäfen enthielten, eine auch jenseits der Ostsee schnell verfügbare Armee. Bei Musterungen und Übungen entschied er oft persönlich, welche Soldaten und Pferde ausgetragen und welche neuen Rekruten in die Musterungsrollen
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eingeschrieben wurden. In der Tat der Kern einer Streitmacht, die der Sohn nutzen konnte. Kronprinz Karl wuchs an der Seite des Vaters auch in dieses Amt. Karl XI. hatte immer bedauert, daß Zeit und Umstände ihm selbst wenig Gelegenheit zum Lernen gelassen hatten. Aus diesem Grunde verfügte er schon wenige Jahre nach der Geburt des Prinzen Instruktionen für dessen künftige Bildung, wohl wissend, wie wichtig es für den Thronfolger war, sich gründlich im Lesen, Schreiben und Rechnen zu üben. Nachdem bereits die Mutter begonnen hatte, dem kleinen Karl an Kupferstichen religiösen Inhalts Texte des Alten Testaments zu erläutern und ihm Grundbegriffe der deutschen Sprache beigebracht hatte, erhielt der Prinz im Alter von vier Jahren seinen ersten Lehrer. Der König hatte den Professor für Rhetorik an der Universität Uppsala, Andreas Norcopensis, der ein Jahr später als Nordenhielm nobilitiert wurde, ausgewählt. Eine ungewöhnliche Entscheidung, die Pastor Nordberg zu der Bemerkung veranlaßte, man sehe am Unterrichtsplan "mit Verwunderung, wie ein vier und fünfzigjähriger Mann sich in allen Stücken nach eines vierjährigen Kindes Sinn richten" mußte (Nordberg, I, 13). Zunächst lernte der kleine Karllesen. Der Religionsunterricht wurde intensiviert, schwedische Geschichte nach Samuel Pufendorfs "Einleitung zur schwedischen Historie" gelehrt, geographische Vorstellungen geweckt. Erhalten sind erste Schreibübungen des Prinzen aus dem Jahre 1687 und ein Brief an die frühere Königin Christina in Rom 1688.Karl mußte, so berichtet Nordberg, Abend für Abend der Mutter einen schriftlichen Bericht über den Tagesablauf vorlegen. Mütterlicher Lohn war ein "Taschengeld", das der Kronprinz nach eigenem Ermessen verwenden durfte, nicht ohne allerdings auch hierüber erneut schriftlich abrechnen zu müssen ... Eine Legende? Möglich und fast wahrscheinlich! Gewiß ist, daß Karl XII. in späteren Jahren sehr ungelenk und wenig bereitwillig Verwandten und Vertrauten Tagesabläufe schilderte. Indes, auch das mag eine nur zu verständliche Reaktion auf diese gewiß unbequeme Form mütterlicher Erziehung gewesen sein. Abneigungen Karls gegen solchen Zwang ständiger Berichterstattung mußten auch durch ebensolche Forderungen seines Lehrers genährt werden. Ein Schriftwechsel über den kronprinzliehen Alltag mit Nordenhielm ist erhalten geblieben.
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Noch nicht einmal sieben Jahre alt, wurde Karl auf Drängen des Königs "am Tage nach Neujahr" (Nordberg, I, 15) 1689 der Mutter und ihren Frauen genommen, der Obhut eines Gouverneurs übergeben. Die Trennung vom "Frauenzimmer" -wie es PastorNordberg formulierte- war tatsächlich endgültig. Und so mag es nicht ausgeschlossen sein, daß der ehemalige königliche Beichtvater 1740 bewußt diese damals gebräuchliche Wendung für Frauenraum und Frau gebrauchte. Wer außer ihm sollte wohl besser über Karls XII. entsprechende Neigungen und Wünsche gewußt haben, das Bedauern vieler Zeitgenossen geteilt haben, daß Karl XII. keinen Nachfolger hinterließ, Frauen zeitlebens mied . .. Vorerst hieß Trennung vom "Frauenzimmer" vor allem Lernen für den Thronerben. König Karl XI. hatte am 11. Dezember 1688 dem Lehrer des Prinzen eigenhändig eine Instruktion über die künftige Unterweisung des Thronfolgers aufgesetzt, der am 31. März 1690 weitere umfangreiche königliche Forderungen an Nordenhielm folgten. Dieses vom Hofkanzler Johan Bergenhielm ausgefertigte Schreiben trägt die Unterschrift Karls XI. und ist in wesentlichen Passagen identisch mit der ersten Instruktion. Obwohl Karl XI. schon 1679 betont hatte, daß er "einzig und allein vom höchsten Gott dependiere" (Barudio, 46), ließ der König den Prinzenerzieher wissen, er habe Karl "beständig zu Gemüthe zu führen ... , daß seine königliche Geburt nur eine zufällige Sache sey, und er sich derselben durch wahre Tugend würdig machen, auch dermahleins seine verliehene Macht und Gewalt auf keine andere Weise zu anderer Unterdrückung und seinem eigenen Verderben mißbrauchen" dürfe (Nordberg, 111, 5). Offenbar war es ein wohldurchdachter Entschluß Karls XI. gewesen, als Lehrer solcher Grundsätze gerade N ordenhielm zu gewinnen. Dieser hatte noch 1685 die ständische Regierungsform ausdrücklich in der Bemerkung verteidigt, die grundgesetzliehen Veränderungen in Schweden - die absolutistische Herrschaft König Karls XI. - sollten ihn nicht an Sympathieerklärungen für Parlamente hindern können. Um so bemerkenswerter die bald vollzogene Sinneswandlung des gelehrten Mannes aus Uppsala. Besonders ihm weisen Kenner der schwedischen Geschichte bis in unsere Tage wesentlichen Anteil an der Ausprägung absolutistischer Überzeugungen des Kronprinzen zu. Die Königliche Bibliothek in Stockholm bewahrt handschriftliche Aufzeichnungen des jungen Karl und seines Lehrers Nordenhielm aus
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den Jahren 1688 bis 1692 auf. Inzwischen zum Kanzleirat aufgestiegen, suchte der gelehrte Rhetoriker in religiös getragenen Disputen dem Prinzen Morallehren und Verhaltensweisen durch Rede und Gegenargument zu vermitteln. Und wieder mußte Karl schreiben! Schriftlich fixierte Fragen des Lehrers mußte er ebenso beantworten. Ende des vorigen Jahrhunderts publizierte der schwedische Historiker Ernst Carlson die Briefe Karls XII. Erfreulicherweise ergänzte er diese Sammlung noch durch die Schreibübungen des Kronprinzen. In einer Zeit, in der sich konservative Historiker - durch Kreise des schwedischen Hofes ermuntert- intensiv bemühten, den "Heldenkönig" in leuchtenden Farben zu schildern, mußte die sachliche, kritische Analyse Karls XII. Carlson gewiß nicht nur Freunde gewonnen haben. Er hatte damals mit Nachdruck betont, die "Denkübungen" Nordenhielms belegten, "welch gefährliche Meinung von seiner hohen Urtheilsfähigkeit man dem Kronprinzen schon in seiner Kindheit beigebracht und wie man ihn nach den Grundsätzen des absolutistischen Regierungssystems darangewöhnt hatte, die Umgebung in demütiger Nachgiebigkeit vor seinem erleuchteten Verstande sich beugen zu sehen. Fast alle diese Denkübungen oder moralischen Dialoge werden so geführt, daß der Prinz im Meinungsaustauch die Oberhand behält und sein Lehrer sich für kläglich besiegt erklärt, wobei N ordenhielm pathetisch erklärt: ,Also behält der Herr nach seiner alten Gewohnheit victoriam über mich'" (Carlson, XIX). Da findet sich beispielsweise ein Disput über die Pflicht, andere vor Schäden an Leib und Leben bewahren zu müssen. Was tut ein Christ, wenn ein Narr das Feuer sucht? Nachdem Nordenhielm seinen Schüler zunächst überzeugte, er müsse jenen vor Schmerz bewahren, "da er selbst sein Heil nicht kennt", wechselte der Lehrer die "Fronten". Er griff die hinfälligen Argumente Karls auf, um mit dem Lob des nunmehr einsichtigen Kronprinzen zu schließen. Und wieder hatte der "Herr ... gewonnen" (Carlson, 440). Es scheint schwer zu entscheiden, was mehr zu bewundern ist. Soll man das Geschick Nordenhielms hervorheben, Karl zum "Triumph" zu lenken oder die Ernsthaftigkeit, mit der dieser Prinz seine Antworten suchte. Denn auch das läßt sich nicht leugnen: Wesentliche Charakterzüge Karls wie Wahrheitsliebe, ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, ein besonderes Ehrgefühl und Charakterfestigkeit wurden hier geformt. Kaum ein Thronfolger hat wohl solche Appelle überzeugter "in sich aufgenommen als dieser junge Prinz" (Bengtsson, 19).
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Als Jöran Nordberg 1740 Unverständnis äußerte, daß sich ein so bedeutsamer Gelehrter wie Nordenhielm "eines Kindes Sinn" anpaßte, war in Schweden der Absolutismus bereits seit zwei Jahrzehnten Geschichte, das Königreich auf dem Wege zu einer Art Adelsrepublik, dessen Monarchen wenige Jahre später nicht einmal mehr ein Vetorecht gegen Entscheidungen des wieder erstarkten Reichsrates verblieb. Als Nordenhielm jene Dispute führte, war er jedoch alles andere als ein Einzelfall, seine Stimme nur eine im Chor der überzeugten Verfechter absolutistischer Herrschaftsstrukturen auch in Schweden. An seiner Seite stand, wenn auch nur noch kurze Zeit bis zu seinem Tode im Frühjahr 1690, der enge Vertraute und Bahnbrecher des Absolutismus auf dem Reichstag 1682, Graf Erik Lindschöld, als Gouverneur des Prinzen. Im übrigen dürfte sich Nordenhielm als aufmerksamer Beobachter des Zeitgeschehens den sichtbaren Veränderungen, den Erfolgen Karls XI., auf die Dauer kaum verweigert haben. Anhänger des Absolutismus waren in Schweden vor allem nichtadlige Kräfte, offenkundige Gegner dagegen jene, die bisher das Sagen hatten und unter deren Herrschaft das Land Schaden genommen hatte, die Herren vom Hochadel! Deren Ansprüche mochten rechtens sein, schädlich für die Mehrheit im Königreich waren sie allemal. Die Frage, warum Bürger und Bauern das Königtum in Schweden um 1680 herum so massiv unterstützten, hat seit dem vorigen Jahrhundert die Historiker immer wieder beschäftigt. Die Kanonen der Waffenschmieden des in Schweden nobilitierten "Kanonenkönigs" Louis de Geer aus den Niederlanden wurden früh auf den europäischen Schlachtfeldern zum Symbol einer neuen Zeit in Schweden. Eine erfolgreiche militärische Taktik rückte das Land aus dem Schatten seiner peripheren Lage plötzlich ins Licht europäischer Politik. Hervorragend gerüstete Armeen begründeten den Großmachtanspruch dieses skandinavischen Staates. Schwedisches Eisen, Kupfer, Holz und Teer wurden geschätzte Produkte in ganz Europa. Sicher ist es selbst der Mehrheit der gebildeten Zeitgenossen kaum bewußt geworden, daß mit der Entstehung erster zentralisierter Manufakturen im Bergbau, Hüttenwesen und Textilgewerbe die frühkapitalistische Ära auch in Schweden begonnen hatte, zu dominierend waren die Waffenerfolge, wurden die Grenzen des Reiches vor allem durch Krieg und Diplomatie verändert, siegten die berühmten alten Geschlechter des Hochadels als Feldherrn und Generäle auf den Schlacht-
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feldern Europas, brachten die Offiziere und Soldaten umfangreiche Kriegsbeute ins Land. Und doch waren mit den sogenannten "brukspatroner"- den Hüttenbesitzern- und dem "skepsbroadel" -den GroßkaufleutenUnternehmer gewachsen, die auf neue Weise produzierten und handelten. Das an den Schiffsbrücken Stockholms lebende Handelsbürgertum, häufig geadelt, noch öfter aber einem "neuen Adel" auch materiell und geistig verbunden, verfügte über bedeutende Kapitalien. Gemeinsam mit zahlreichen ausländischen Unternehmern, aber auch mit weitsichtigen Vertretern des Hochadels investierte es in Berg- und Hüttenwerke, beherrschte bald den europäischen Eisen- und Kupfermarkt. Schwedens Heere wurden hier ausgerüstet und später, mit der beginnenden Uniformierung, auch eingekleidet. Sie alle, ob Hüttenbesitzer oder Textilunternehmer, benötigten viele kleine Gewerbetreibende in den wachsenden Städten und Kirchspielen. Eine Armee von Spinnern, Webern, Holzknechten, Schmieden und Gießern wurde gebraucht, vieles für die - zahlenmäßig noch immer wenigen - Manufakturen wurde unter den Dächern der bäuerlichen Hütten vorgefertigt. Es war ein einflußreiches Unternehmertum in den Eisen- und Kupferhütten bzw. den privaten Waffenschmieden, nicht mehr auszusparen in den politischen Kalkulationen derjenigen, die Schwedens Geschicke lenkten. Gedeih und Blüte des Landes waren unlösbar mit dessen Entwicklung verbunden, ihm mußte man Wege weisen, Schutz auf ausländischen Märkten garantieren. Der Reichstag 1686 beschloß die Begünstigung der einheimischen Manufakturen. Auch in der schwedischen Staatskanzlei unter den Reichstagsabgeordneten und in der Umgebung Karls XI. fanden sich viele Bewunderer der en!?.lischen und holländischen Wirtschaftsen~icklung. Wie die dortigen Okonomen strebten auch Schwedens Wirtschaftsfachleute nach einer positiven Handelsbilanz im Ex- und Import des Landes. Die Sache schien ja auch relativ einfach, mußte man doch nur die Einfuhrund Ausfuhrlisten der Zollstationen miteinander vergleichen. Hatten die Kaufleute mehr schwedische Produkte im Ausland abgesetzt als Waren aus Holland, England, Deutschland, dem Osten und Süden Europas ins Land gebracht, dann hatte das Land gewonnen, würde die Geldsumme in Schweden wachsen. Das schien so überzeugend, das man es einfach verstehen mußte! Wer da seinerseits alte Privilegien hervorsuchte, diese Entwicklung aufhalten wollte, den Kopf hochreckte, der mußte gebeugt werden ...
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So leitete auch in Schweden der Absolutismus eine neue Entwicklungsstufe der Feudalordnung ein. Alte ständische Rechte galten nicht mehr, mancher Freiherr und Graf mußte sich unterordnen, sich auf seine Güter zurückziehen und auf den Ruf des Königs warten. Dort allerdings änderte sich nichts oder doch nur wenig, sieht man von dem selbstverständlich schmerzenden Verlust so vieler schöner Dörfer und Güter ab, ein Eingriff, den man nur zähneknirschend hinnahm, dem König wohl kaum verzieh ... Dem Land bekam es gut, was König Karl und seine Helfer dort durchsetzten. Eigendich war es auch vielen vom Adel recht, Bürger und Bauern sahen neue Möglichkeiten. Die deutlich sichtbare Zentralisierung des Landes, die entsprechenden Anordnungen Karls XL, das spürten viele, entsprachen der Notwendigkeit, einen weiträumig dimensionierten Markt zu schaffen, möglichst alle Landesteile einzubeziehen. Und natürlich konnte es nur gut sein, so dachten es noch viel mehr, daß der König auf Ordnung hielt, den Herren vom Reichsrat die Flügel stutzte, Gesetze schuf gegen Bettler und Herumtreiber, dafür sorgte, daß gearbeitet wurde, die Steuern breiter verteilt werden konnten, Gerichte das ihre taten, auf das jeder sein Recht bekam. Wer Geld lieh, wollte das Seine zurück. Ja, wer etwas besaß, konnte durchaus zufrieden sein, der König hatte ein Auge auf alles. Die Armee und Flotte wuchsen, selbst in der Neuen Welt waren Länder erworben, wohl nur ein Anfang zwar, und manchem schien die Orientierung auf ferne Länder in Übersee höchst unnötig. Einerlei, bald würde man dort, aber vor allem rund um die Ostsee, unter dem Schutz der neugewachsenen Kriegsmacht seine Geschäfte ausdehnen können. Tatsächlich nahm Schwedens Gesellschaft nun eine ähnliche Entwicklung wie England in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor der Revolution. Auch hier bildete sich allmählich ein neuer Adel neben dem alten Feudaladel, stiegen von nun an einerseits schneller Angehörige des Bürgertums in den Adelsstand auf, andererseits beschleunigte sich die Verbürgerlichung des Adels. Gleichzeitig begann eine Entwicklung, die jedoch erst nach dem Tode Karls XII. zum beschleunigten Wachstum frühkapitalistischer Formen führte. Der schwedische Absolutismus bewahrte die Bauern vor der drohenden Versklavung analog zur ostelbischen und baltischen Leibeigenschaft. Die Krone benötigte Steuerzahler und Soldaten für ihre Großmachtpolitik. Das aber lag auch im Interesse des gerade politisch entmachteten schwedischen Feudaladels. Dieser war durch die bisherigen
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Eroberungen zu Reichtum und Landbesitz in Deutschland, dem Baltikum und Polen gelangt und versprach sich von einer Unterordnung unter den absolutistischen Herrscher Karl XI. neue Eroberungen, beobachtete mit besonderem Interesse dessen intensive Aufrüstung. So setzte sich die Krone auch mit dem Konsens des gesamten Adels über die Interessen einzelner Aristokraten hinweg. Das Bürgertum in der Ständeversammlung- dem Reichstag- unterstützte die Entwicklung absolutistischer Herrschaftsformen auf der Basis der "Reduktion" ebenfalls. Es versprach sich Steuererleichterungen und außenpolitische Unterstützung bzw. Privilegien zur beschleunigten Entwicklung der Manufakturen und Sicherung des Binnenmarktes gegen Konkurrenz aus Deutschland, England und Frankreich. Manche dieser Zusammenhänge blieben selbstverständlich den Zeitgenossen Karls XL und auch dem Lehrer Nordenhielm verschlossen. Als "Propagandist" des schwedischen Absolutismus in der Erziehung des Thronfolgers leiteten diesen möglicherweise nur die spürbaren Vorteile durch die Gunst des Königs. Auch blieben ihm nur noch wenige Jahre der Einflußnahme auf den kleinen Karl, 1694 verstarb Nordenhielm. Neue Lehrer traten an seine Stelle, berühmte Männer wie der Artillerie- und Festungsexperte Karl Magnus Stuart und der fähige Staatssekretär Thomas Polus, der den Unterricht jedoch meist dem Baron Gustav Cronhielm überlassen mußte, zu unentbehrlich blieb Polus dem König in den Staatsgeschäften. Im übrigen waren die schulischen Fortschritte des Thronfolgers nicht zu übersehen. Dem nun Achtjährigen wurde ein neuer, umfassenderer Lehrplan erstellt. Theologie, Latein, Deutsch, Französisch, schwedische und Weltgeschichte, Staats- und Rechtswissenschaft, Mathematik und Fortifikationstechnik waren nun die Lernfächer, die seinen Alltag bestimmten. Interessanterweise sah bereits die damalige Instruktion vor, Sprachen nicht durch Abfragen grammatischer Regeln, sondern an geeigneten Texten zu unterrichten. Sonst "könnte sich auch Überdruß und Abscheu vor dem Studium unvermerkt in das Herz Seiner Königlichen Hoheit einschleichen", heißt es in dem neuen Erziehungsplan von 1690 (Nordberg, III, 8). Während der königliche Knabe auf diese Weise frühzeitig bemerkenswerte Fortschritte im Erlernen des Deutschen und Latein erzielte, lehnte er bereits als Achtjähriger den Gebrauch des Französischen ab. Er
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wolle, so soll er seinem Gouverneur, dem alten Lindschöld, entgegnet haben, wohl Französisch lernen "und wenn ich dem König von Frankreich begegne, werde ich französisch mit ihm sprechen. Schickt er aber seinen Gesandten zu mir, paßt es sich besser, daß der Gesandte Schwedisch lernt, als daß ich seinetwegen Französisch lerne, denn ich halte meine Sprache ebenso hoch wie er die seine" (Bengtson, 15). Zweifellos eine ungewöhnliche Haltung für einen Achtjährigen, möglicherweise durch Lindschöld "pointiert". Und doch dokumentiert diese Erwiderung erste Früchte der Erziehung zum künftigen unumschränkten Herrscher Schwedens. Des Königs und Nordenhielms Absichten zeitigten Erfolge, Karl hatte gelernt, Beschlüsse aus eigenem Ermessen zu fassen, war überzeugt, mehr zu sein als irgend ein Gesandter selbst des großen Frankreichs. In der Tat hat König Karl XII. später französisch vorgetragenen Reden geduldig zugehört, zum Entsetzen der ausländischen Höflinge und Gesandten jedoch immer nur Schwedisch oder in Latein geantwortet. Einerlei, wie immer man Äußerungen dieser Art bei dem kleinen Karl wertet, ob man einen Anflug künftigen Nationalstolzes verstehen will, die keimende Überzeugung herausliest, als künftiger schwedischer Herrscher in den Traditionen Gustavs II. Adolf zu Großem berufen zu sein, nur einfach Herrschsucht interpretiert, deutlich wird immer, daß hier ein Knabe heranwuchs, der über ungewöhnliche Geistesgaben verfügte. Er war ganz sicher ein begabter Schüler, las früh die Kriegsund Heldenbeschreibungen der Römer im Original, begeisterte sich für die Alexander-Biographie des Quintus Curtius und noch im Lager vor Polens alter Hauptstadt Krakow 1702, mit einem gebrochenen Bein bettlägerig, las er dieses. Buch erneut, fühlte sich wohl selbst als neuer Alexander. Karl hatte ein auffallend gutes Gedächtnis, interessierte sich besonders für Kriegsgeschichte, Mathematik, Architektur, dort vor allem für Fortifikationstechnik. Seinem militärischen Lehrmeister Stuart war Karl auch noch als schon erfolgreicher Heerführer besonders zugetan. Früh schon hatte der Kronprinz gelernt, auf der Jagd die Waffen zu gebrauchen. Den ersten Wolf schoß er als Siebenjähriger, wenigstens berichteten es die anwesenden Höflinge. Sein Vater war stolz auf ihn. Die Jagdbüchse des kleinen Karl zeigt man noch heute in der Königlichen Rüstkammer im Stockholmer Schloß. Häufig durfte der Kronprinz nun an der Seite des Vaters auch auf die Bärenjagd gehen. Auch
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hier war ihm der Vater durch persönlichen Mut und Geschick ein begeisterndes Vorbild, so mutig, so stark wollte er auch werden. Der noch immer schmal und schwächlich erscheinende Knabe zeigte Ausdauer und Geschick. Fähigkeiten, die niemand erwartet hatte. Kinderkrankheiten wie das Dreitagefieber und die Pocken überstand er problemlos. Und immer häufiger begleitete er den Vater auch auf langen Ritten durch das Land. Der damalige französische Botschafter hielt die Galoppritte Karls XI. und die häufigen Stürze für die Ursache der todbringenden Krankheit des Königs. SeitJahren habe sich der Monarch Reitstrapazen über 500 und 600 Kilometer in solcher Hast zugemutet, "daß ein guter Kurier das in zwei Tagen nicht bewältigen konnte, was er in einem tat" (Bain, 26). Und der Vater versuchte alles, den Sohn zu ähnlichen Leistungen zu befähigen. Karl XII. - vermutlich seit Attilas Tagen der europäische Herrscher, der "die meiste Zeit im Sattel verbrachte . . . und auf dem Pferderücken am weitesten herumgekommen" war (Bengtsson, 21) - ritt als Vierjähriger während des Exerzierens der königlichen Garde erstmalig auf einem Pony um das Regiment, eine prägende Begegnung für seine künftige "Berufung". Damals führte noch ein Offizier das Pferdchen am Zügel, später lenkte der Kranzprinz an der Seite des Vaters das Tier allein, und mit sieben Jahren übernahm er sein eigenes Leibregiment. Schon im August 1695 erlebte der Thronfolger das erste Reitergefecht während einer Übung zweier Schwadronen der Gardekavallerie und war begeistert. Das wollte er auch einmal können ... Als sein Lehrer, der Oberstleutnant Stuart, im Frühjahr 1697 eine neue Lafette entwickelt hatte, durfte Karl zusammen mit dem schwerkranken Vater bei der Erprobung dabei sein. Ein Besuch der königlichen Kanonengießereien Stockholms blieb ihm ebenso unvergeßlich wie das Erlebnis, als der Vater vor den Toren der Hauptstadt persönlich "die ganze Garde im Djurgärden drillte", wie der Thronfolger in ein gelegentlich benutztes Tagebuch notierte (Bengtsson, 25). Auch der Vater empfand zunehmend Freude über diesen Sohn, dessen Fortschritte er sorgfältig in seinen persönlichen Aufzeichnungen vermerkte. Besonderes Glück bereitete dem strengen Erzieher, wenn sein Sohn ihn übertraf. So schrieb er mit väterlichem Stolz, daß der Zehnjährige im felsigen Waldgebiet Lidingö nahe Stockholms einen Wolf getroffen hatte, den der Vater vorher verfehlt hatte. Im Jahre 1695
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registrierte Vater Karl, daß der Sohn einen Damhirsch "auf 96 Schritt" erlegt habe. Mehr und mehr wurde der Sohn dem Vater ähnlich. Ostern 1697 rückte heran. Der vom Tode gezeichnete Karl XI. konzentrierte alle verbliebene Lebenskraft auf das letzte große gemeinsame Erlebnis mit dem Thronfolger, auf Karls Konfirmation. Ein gemeinschaftliches Abendmahl, die bedeutendste religiöse Feierlichkeit im Leben protestantischer Gemeinden, sollte symbolisch die Kinderzeit Karls beenden und andeuten, daß ihn nun auch der Vater, schweren Herzens zwar, aus seiner Obhut in das Leben entlassen wollte. Der väterliche Wunsch blieb unerfüllt. Von unerträglichen Schmerzen geschüttelt, konnte sich Karl XI. nicht mehr vom Krankenlager erheben. Wenige Tage später, am Ostermontag, dem 5. April 1697, verstarb er. Viele vom Adel werden aufgeatmet haben, zeichneten sich doch deutliche Parallelen zum Ende der Herrschaft Karls X. Gustav ab. Wieder übernahm ein minderjähriger Kronprinz das Reich. Hoffnung keimte auf bei einigen Aristokraten, daß einige der für sie furchtbaren Maßnahmen des verstorbenen Königs, die schreckliche "Reduktion", nun rückgängig, wenigstens aber gemindert würden. Derlei Hoffnungen wurden noch genährt durch die Einsetzung einer neuerlichen Vormundschaftsregierung. Wie seinerzeit Großvater Karl X. Gustav hatte auch Vater Karl XI. in seinem Testament bestimmt, nach welchen Richtlinien die Vormünder im Namen des Thronfolgers zu regieren hätten. Und wieder war auch die alte Königinwitwe, die Gemahlin Karls X. Gustav und Großmutter Karls XII., neben die fünf ausgewählten königlichen Räte gesetzt, die Interessen von König und Reich wahrzunehmen. Alles schien so wie damals, 1660, als Karl XI. dem Vater folgte. Und doch waren es jetzt andere Zeiten! Niemand im Hochadel konnte vergessen, welch überraschende Wandlung Karls XI. den alten Vormündern mehr als nur Verdruß und Unbequemlichkeiten bereitet hatte, aus dem scheuen Jüngling plötzlich ein energischer Herrscher wurde. Hochverratsprozesse, unnachgiebige Forderungen gerade an jene, die im Namen des Königs entschieden hatten. Karls fünfzehnjähriger Sohn würde bald, nur zu schnell, die Herrschaft selbst übernehmen. Und seine Krone war absolut! Da schien es passender, sich schnell auf eine Mündigkeitserklärung zu verständigen. Niemand der Vormünder wünschte eine Wiederholung der Ereignisse nach 1680. Da war es wirklich schon besser, man ließ es so wie es war, selbst, wenn man einige Freunde enttäuschte. Die Zeiten waren ohnehin schlimm genug.
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In Schweden herrschte nach mehreren Mißernten in weiten Teilen des Landes schreckliche Hungersnot. Nach der Erntekatastrophe des Sommers 1695 war im August 1696 nach zwei Frostnächten wiederum alle Saat verdorben. In Finnland und dem schwedischen Norden blieb nur die Hoffnung auf Getreidelieferungen aus Livland, Pommern und Südschweden. Aber die Wege waren lang und Tausende verhungerten, bis Hilfe kam. Im Frühjahr 1697 raffte eine Epidemie die Erschöpften familienweise dahin, allein in Finnland etwa ein Drittel der Bevölkerung. Die Kirchenbücher sind angefüllt mit Sterbevermerken. Hungernde stürmten die wenigen Getreidemagazine, scharenweise überzogen heimatlose Bettler und Diebe die nördlichen Provinzen des Reiches, erreichten Stockholm, um auf den Straßen der Hauptstadt zu sterben. Der Landeshauptmann Gustaf Douglas hatte dem König noch kurz vor dessen Tode einen erschütternden Bericht gesandt. "In einigen Kirchspielen stirbt das Volk so haufenweise, daß die Lebenden kaum nachkommen damit, die Toten zu begraben, und bei Gerichten macht man nichts anderes als Diebessachen zu verurteilen". (Äberg, 78). Auch die internationale Lage schien wenig erfreulich. Der Gegensatz zwischen Habsburgern und Bourbonen, Österreich und Spanien einerseits und dem mächtigen Frankreich andererseits, zwang zur Stellungnahme. Lebendig, allzu erinnerlich, war vielen im Hochadel noch der Zorn Karls XI. auf alle, die für eine frankreichabhängige Politik votiert hatten. Was sollten sie tun, die Vormünder des jungen Karls? Und wie lange sollten sie überhaupt noch regieren? König Karl XI. hatte darüber nichts in seinem Testament vermerkt! Kanzleipräsident Graf Bengt Oxenstierna war für einen engen Anschluß an den Kaiser. Schweden war ja über seine deutsche Provinz Pommern verfassungsrechtlich eng an das Reich gebunden. Andere Regierungsmitglieder, unter ihnen der frühere Prinzenerzieher Graf Nils Gyldenstolpe, waren Frankreich verbunden. Aber Gyldenstolpe zählte nicht zu jenen, denen der Thronfolger besondere Zuneigung entgegenbrachte. Und dieser selbst hüllte sich in Schweigen. Natürlich, der Fünfzehnjährige durfte auch nach dem Willen seines verstorbenen Vaters noch nicht in die Regierungsgeschäfte eingreifen. Doch schien es allen die beste Garantie, sich schon jetzt seine Zustimmung zu sichern. Konnte er doch dann, mündig geworden, nicht mit Vorwürfen kommen .. . Häufig findet sich in den Protokollen des Rates der Vermerk, die junge Majestät habe dem Vorschlag zugestimmt. Manchmal
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wurde auch notiert, es sei besser, "diese Angelegenheit ruhen zu lassen" (Bengtsson, 31 ). Majestät hatten dazu hartnäckig geschwiegen. Da stand in den frühen Nachmittagsstunden des 7. Mai 1697 plötzlich das große alte StockholmerSchloß in Flammen. Es war ein ausgedehnter Gebäudekomplex, der auch die mittelalterliche Burg einschloß, im nördlichen Teil von einem Schloßflügel begrenzt, der gerade vom Schloßarchitekten Nieodemus T essin, dem jüngsten Sproß einer Stralsunder Familie, die nach Schweden umgesiedelt war, umgebaut wurde. Kurz vor dem Ableben Karls XI. hatte man dort die neue Barockkirche eingeweiht. Noch lag auch, aufgebahrt und für das feierliche Begräbnis vorbereitet, die Leiche des Königs in einem Saal des großen Schlosses. Die beiden Gardisten, die im großen Reichssaal des Schlosses postiert waren, hatten ihre Plätze verlassen. Der eine saß in der Schloßküche und hielt sich dort an die Speisereste, der andere hielt es zur gleichen Zeit mit der Liebe, trug ein Stück Stoff als Geschenk zu einer Frau außerhalb des Schlosses .. . So breitete sich das Feuer unbemerkt schnell auf den langgestreckten Dachböden über dem großen Reichssaal aus. Bald war hier nichts mehr zu retten. Eilig trug man die alte Königswitwe, Karls Großmutter, hinunter, mehrere Offiziere bargen den königlichen Leichnam. Auch der Hof mit dem Thronfolger und den beiden Schwestern verließ das brennende Schloß. Eine riesige Volksmenge strömte auf den Plätzen und Straßen rund um den Königssitz zusammen. Mit wachsendem Entsetzen beobachteten die Massen, wie die Feuersbrunst das ganze Schloß zerstörte. Einige Stunden lang mühten sich Beamte und Soldaten, die wertvollen Urkunden und Bücher des Reichsarchivs und der Bibliothek zu retten. Über zwei Drittel der teilweise unersetzlichen Bücher und Manuskripte verbrannten. Auch die neue Schloßkirche wurde eingeäschert. Schließlich leckten die Flammen am großen Eckturm "Drei Kronen" hoch. Mit gewaltigem Getöse stürzten die acht Kanonen des Turmes in die Tiefe, rissen die dort aufgehängte große Glocke der Schloßkirche mit sich. Als die ausgebrannten Mauern des gewaltigen Bauwerkes in sich zusammenfielen, ging ein Schaudern durch die bestürzt das grausige Geschehen verfolgende Menge. War es nicht wie damals, 1628, beim Untergang der stolzen "Vasa"? Die Alten hatten es noch gesehen, alle wußten doch, was sich da seinerzeit angekündigt hatte. War doch damals König Gustav li. Adolf in Deutschland gefallen, hatte man ihn 3 Findeisen
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nicht ebenso kalt und still in die Ritterholmskirche tragen müssen wie demnächst den unlängst verstorbenen Karl XI.? Der große Turm mit den drei vergoldeten Kronen galt als Symbol für die Macht und Größe des schwedischen Reiches. Bedeutete das etwa das Ende Schwedens? Sorge und Unruhe breiteten sich aus. Im ganzen Land predigten die Pastoren im August dieses Jahres von den Kanzeln Buße, Buße und immer wieder Buße. Wie sollte es weitergehen? Das war auch der zentrale Gedanke in der Grabrede des Erzbischofs Olov Svebelius beim Begräbnis König Karls XI. am 24. November 1697. Überall hörte man nur Klagen, "der König, der Landesvater ist tot. Die Gemahlin des Königs, die Landesmutter ist tot. Tot sind auch vier Söhne und Leibeserben. Die herrliche Burg und der schöne Palast des Königs sind vom Feuer verzehrt und in Asche gelegt. Und die Einwohner des Landes verschmachten vor Hunger und vergehen" (Aberg, 78). Dazu wachsende Unruhe im Hochadel . . . So mag es schon zutreffen, daß es vorrangig die wieder zunehmenden innenpolitischen Gegensätze waren, die eine schnelle Krönung des jungen Karl begünstigten. Hinter den kindlichen Herrscher gestellt, glaubte die eine oder andere Adelsfraktion, ihre Ziele sicherer erreichen zu können. Und die Gelegenheit schien günstig. Am 6. November 1697 wurde der Reichstag einberufen, um das Begräbnis Karls XI. gebührend vorzubereiten. Sollten doch die Stände bestimmen, ob man seinen Sohn bereits jetzt zum König krönen sollte. Wohl protestierte einer der königlichen Lehrer dagegen, auch die Geistlichkeit äußerte Bedenken. Als jedoch die Mehrheit der Ritterschaft die frühe Reife und den Verstand des Thronfolgers priesen, wagte niemand mehr Einwände, wirkte der Text der Eröffnungspredigt nach. Von der Kanzel war der JosuaT ext verkündet worden, "Wie wir Mose gehorsam sind gewesen, so wollen wir dir auch gehorsam sein". Und es war allen klar gewesen, die Worte galten dem neuen jungen König. Obwohl sich die vier Stände noch am 9. November nachmittags geeinigt hatten, vorläufig noch bei der Vormundschaftsregierung zu bleiben, entschieden sich noch am selben Abend gegen 18.00 Uhr in einer neuerlichen Diskussion alle Reichstagsabgeordneten einmütig für eine vorzeitige Mündigheitserklärung "wegen der ungemeinen und vortrefflichen sowohl Leibes als Gemüthsgaben" (Nordberg, I, 63). Wer wollte schon in einem solchen Augenblick zweifeln an der Reife des
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Königs, zumal dieser bereits bedeutet hatte, er würde nach des Vaters Leichenbegängnis die schwere Bürde auf seine Schultern nehmen. So schloß mit der Krönung Karls XII. am 29. November 1697 der Reichstag, der einzige, den der neue Monarch als Forum nutzte. Und auch diese Krönung war manchem wieder als ein Zeichen erschienen. Entgegen der Tradition hatte der Fünfzehnjährige sich selbst gekrönt. Wer außer Gott hätte wohl auch ein solches Recht beanspruchen können? So denkend und handelnd, war Karl XII. mit der selbstherrlich aufs Haupt gesetzten Krone zur Kirche geritten und hatte sie, Zepter und Zaum in den Händen, beim Schwung in den Sattel verloren. Auch wollten manche gesehen haben, daß der königliche Knabe Karl an seinem Hermelinmantel gespielt und aus dem weißen Pelz dunkle Zottel gepflückt hätte. So werde er dereinst sein Reich aussaugen, deutete man damals diese Geste, berichtete Nordberg, der treue Chronist des Königs. Und entschuldigend für den geliebten Heldenkönig hatte der Pastor hinzugefügt, es sei ja ganz normal gewesen, daß einer mit vollen Händen beim Sprung auf das Pferd die Krone verlieren mußte. Im übrigen sei es ein feierlicher Krönungsakt gewesen. Über dem reitenden jungen König trugen die Vertreter des Hochadels einen herrlichen SeidenhimmeL Nach dem Gottesdienst habe die feierliche Salbung des jungen Herrschers stattgefunden, unter dem donnernden Salut aller Schiffs- und Festungskanonen. Dann sei eine große Summe Geld unter das wartende Volk verteilt worden. Karl XII. hatte aller Welt und insbesondere seinen Schweden demonstriert, was er unter einem souverän regierenden König verstand, daß er von Gottes Gnaden und nur sich selbst verantwortlich sei. Das hatten die Herren vom Hochadel sehr wohl verstanden. Als Karl XII. den traditionellen Königseid unterließ, sei ihnen "ein bestürzend qualvoller Schmerz durch Mark und Bein gegangen", wie einer der hochadligen Anwesenden vermerkte (Bain, 43). Ja, der junge König nahm sie fest in die Pflicht, wünschte jedoch eigene Aufgaben ihnen gegenüber unabhängig vom Hochadel zu bestimmen.
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"Die Garde ist bereits auf dem Marsche, und alle Anderen haben Ordre erhalten ... " Brief an Generalleutnant Rehnsköld vom 13. 7. 1700
Von Kopenhagen bis Narwa Schnell waren die Krönungsfeierlichkeiten vorüber, dominierte wieder alltägliches Geschehen in Stockholm und im Reich, harrten die zahllosen Probleme dringender Lösung. Krone, Purpurmantel und Zepter wurden staubsicher verpackt, auch das Interesse des jungen Monarchen wandte sich nun anderem zu. Da waren Jagden und wilde Ritte, in denen man sich beweisen konnte. Da war auch der junge Herzog von Holstein-Gottorp, der sich anschickte, Schwager zu werden. Gemeinsam jagten beide, oft nur mit Keulen und Netzen bewehrt, Bären im Waldgehege von Kungsör nahe Stockholms, ritten lärmend durch die nächtliche Hauptstadt, prüften, wer im Köpfen von Kälbern geschickter den Degen handhabte, schlugen auch mal Fenster ein und tranken im übrigen um die Wette Wein. Gewiß, das waren königliche Vergnügungen, und Ähnliches ereignete sich wohl an den meisten Barockhöfen jener Zeit. In Schweden schien es jene zu bestätigen, die erwartet hatten, daß der kindliche König den Regierungsgeschäften fernbleiben würde. Allzu verlockend mußte ihm die gerade gewonnene Souveränität erscheinen. Karl tat weiterhin alles, derlei Hoffnungen zu bestätigen. So schoß er bedenkenlos im neuen Schloß, dem ehemaligen W rangelschen Palast, den man als königliches Domizil erworben hatte, fragte wenig, ob Tapeten oder Möbel litten. Einem Pagen schlug er die Bratenschüssel aus der Hand, dem Grafen J ohan Stenbock riß er die Perücke vom Kopf, grobe Späße, die allzu deutlich die Warnungen der Lehrer Karls XII. bekräftigten. Ein Halbwüchsiger amüsierte sich hier. Und die
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Scherze wurden noch gefährlicher, als Friedrich IV. von HolsteinGottorp 1698 Karls ältere Schwester Hedwig Sophia geehelicht hatte, summierten sich halsbrecherische Reitkunststücke des häufig weinberauschten Königs, registrierte die nächste Umgebung des Monarchen mit Sorge derartige Spiele. Bald tuschelte man am Hofe, der Holsteiner als nächster Erbe ziele auf diese Weise auf den schwedischen Thron. Und doch fiel vielen auf, daß der ausgelassene, wilde Knabe sofort ein anderer wurde, galt es Regierungsentscheidungen. Das umfangreiche Erziehungs- und Bildungsprogramm der Kindertage trug in der Tat reiche Früchte. Schweigsam und mit tiefem Ernst bedachte der junge Monarch alle Fragen, die seine Vertrauten vortrugen, die der Entscheidung des absolutistischen Herrschers bedurften. Auch hier fühlte sich Karl als Erbe seines Vaters. Gleich nach der Mündigkeitserklärung hatte ihm ein enger Vertrauter Karls XI. das eigenhändige politische Testament des verstorbenen Königs ausgehändigt. Hierin hatte ihm der strenge, kaum jemandem vertrauende Vater empfohlen, mit welchen Räten und auf welche Weise Schweden weiter regiert werden sollte. Vor allem hatte Karl XI. seine schwer gewonnenen Einsichten niedergeschrieben, den Sohn verpflichtet, alles persönlich zu kontrollieren, vor allem den Hochadel niemals unbeaufsichtigt gewähren zu lassen. Karl XII. entschied sofort. Im Sinne des Vaters wählte er seinen früheren Lehrer, den Kanzleirat Polus, und den an der Seite Karls XI. gereiften Karl Piper. Beide wurden in den Grafenstand erhoben und zu Königlichen Räten für die Außen- bzw. Innenpolitik bestimmt. Schon kurz nach seiner Krönung erklärte König Karl XII., er wünsche die Arbeiten an einem neuen schwedischen Recht und einer zeitgemäßen Bibelübersetzung beschleunigt. Seine besondere Aufmerksamkeit fand das "Einteilungswerk", das große militärische Vermächtnis des Vaters. Noch immer war die Heeresreform nicht überall vollendet. Besonders in Südschweden erwartete der Monarch energische Aktivitäten. Und er bestimmte auch sofort, daß die solcherart geschaffene Armee zu vergrößern sei. So befand der junge König, daß immer drei Bauern gemeinsam für einen zusätzlichen Soldaten veranwertlieh sein sollten. Sie mußten ihn rekrutieren und versorgen. Bald entstanden die ersten "Dreimänner-Regimenter" in Schweden, denen auf Befehl des Königs in Finnland die sogenannten "Verdopplungsregimenter" zur Seite tra-
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ten. Gleichzeitig verpflichtete Karl XII. alle sogenannten Standespersonen, aus eigenen Mitteln Dragonerregimenter aufzustellen. Ein gigantisches Rüstungsprogramm, das nun seinen Abschluß fand, so daß König Karl XII. Ende 1700 über mehr als 85 000 eingeschriebene Soldaten verfügte. Sogleich hatte der junge Monarch auch Schritte zur weiteren Förderung des Handels und der Gewerbe befohlen, wohl verstehend, daß seine Rüstungspolitik mehr Geld kosten würde, als es Bauern und "Standespersonen" aus ihren privaten Schatullen aufbringen konnten, zumal die Hungersnot in Nordschweden, Finnland und den baltischen Provinzen sich noch auszuweiten drohte. Der königliche Arbeitstag begann, wie beim Vater gelernt, um 5.00 Uhr morgens. Vor allem die Haltung der Mächte rings um Schweden bereitete den Vertrauten des Königs Sorge. Noch während der Vormundschaftsregierung war Schwedens außenpolitisches Prestige weiter gestiegen. Im holländischen Im Haag hatte Baron Nils Lillieroot im Oktober 1697 den Frieden von Ryswijk als Mittler zwischen den verfeindeten europäischen Großmächten Frankreich einerseits und Deutschland, Holland und England andererseits erwirkt. Frankreich hatte sogar auf das bereits einverleibte Pfalz-Zweibrücken verzichten müssen, zweifellos vor allem ein Entgegenkommen an die schwedische Krone. Ja, Schweden war wieder eine geachtete europäische Macht! Und doch mehrten sich bedrohliche Zeichen, zogen sich Gewitterwolken zusammen, deren Blitze auch Schweden treffen konnten. Seit langem belastete die sogenannte holsteinsehe Frage die Beziehungen Dänemarks und Schwedens. Die demonstrative Heirat Karls XI. hatte hier nur vorübergehend Gegensätze entkrampft. Bald waren die Spannungen zwischen den beiden skandinavischen Regierungen erneut gewachsen. Gar zu bedrohlich nahm sich die Union Holstein-Gottorps mit dem großen Nachbarn Schweden für das solcherart in die Zange genommene Dänemark aus. Schon Karl XI. hatte in den neunziger Jahren den Herzog von Holstein-Gottorp ermuntert, sein Land zu befestigen und eigene Truppen aufzustellen. Dänemark hatte diese Allianz als wenig freundlich empfinden müssen, betrachtete es doch Holstein-Gottorp als - mehr oder weniger autonomen- Teil seines Territoriums und sah in der Militarisierung der Herzogtümer einen Schritt zur endgültigen Abtrennung vom "Mutterland".
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Ein Bündnis Schwedens mit Holstein-Gottorp weckte außerdem recht unangenehme Erinnerungen an jene Tage, als Karl X. Gustav in Dänemark eingefallen war und das Land an Schweden binden wollte. Immerhin schrieb man es nur einer zeitweiligen Entschlußlosigkeit des Pfälzers zu, daß er Kopenhagen nicht sofort gestürmt hatte, sich die Verteidiger sammeln konnten. Wohl blieb da noch der Sund, hatte man jetzt eine starke dänische Flotte, aber wie schnell konnten erneut wieder schwedische Regimenter vor Kopenhagen schanzen. Nein, das hatte man nicht vergessen am dänischen Hof! Vorstellungen dieser Art waren so gar nicht nach dem Geschmack des alten dänischen Königs Christian V. Wen eigentlich in Europa wollte es wundern, daß es nur die Erfahrungen des schonischen Krieges und der blutigen Lunder Schlacht 1676 waren, die martialische Proteste Christians ausbleiben ließen? Doch hatten Gespräche mit Rußland ein gemeinsames Interesse an Beschränkungen des schwedischen Einflusses offenbart. Auch konnte erwartet werden, daß der neugewählte König von Polen, Kurfürst August von Sachsen, ähnlichen Argumenten aufgeschlossen sein sollte. Hatte er sich doch verpflichten müssen, der Krone Polens einige frühere Besitzungen zurückzugewinnen. Und hier nun stand wiederum Schweden sichtbar im Wege ... Daher handelte man in Kopenhagen sofort, nachdem sich dort die Nachricht vom Ableben Karls XL bestätigt hatte. Die zahlreichen ökonomischen Probleme Schwedens und die Jugend Karls XII. ließen eine sofortige Reaktion Stockholms kaum erwarten. Schnell wurden dänische Truppen tätig, leisteten gründliche Zerstörungen. Friedrich IV. von Holstein-Gottorp stand hilflos in seinen zertrümmerten Werken, reiste dann jedoch seinerseits entschlossen in die schwedische Hauptstadt, gewann hier die Zuneigung des jungen Karls XII. und dessen Schwester, vergrößerte solcherart die dänischen Befürchtungen. Nicht auszudenken, wenn diese Freundschaft zwischen Karl und Friedrich sich in Märschen holsteinscher und schwedischer Truppen ins Innere Dänemarks konkretisierte, König Karl XII. gar auf der Jagd oder einem seiner wilden Ritte verunglückte, der Holsteiner die schwedische Krone tragen könnte, Gedanken, die nicht nur den dänischen König quälten. Frankreich hatte daher eine neuerliche Heirat zwischen einer dänischen Prinzessin und dem schwedischen Monarchen empfohlen. Um so betrüblicher, daß Karl XII. und seine Ratgeber so gar nicht empfänglich schienen, desto schrecklicher die Zukunft Dänemarks, wußte man doch auch am dänischen Hof, mit welcher Hingabe der Schwede an seiner
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Schwester hing. Schwager Friedrich jedenfalls reiste als Oberbefehlshaber der schwedischenTruppenberuhigt nach Holstein-Gottorp zurück. Seinem Befehl würden gegebenenfalls die schwedischen Armeen folgen, ein Federstrich mußte das mächtige Schweden in eine neuerliche dänisch- holsteinsehe Affäre hineinziehen. Frankreich, so bedauerte man in Paris, würde auf einen starken Bundesgenossen gegen Holland, England und den Kaiser verzichten müssen. Da starb, mitten in dieser unruhigen Zeit, 1699 König Christian V. Eine feste Koalition gegen Schweden hatte er nicht knüpfen können, zu unsicher schien die europäische Entwicklung. Der bevorstehende Kampf um das spanische Erbe beherrschte das Denken aller Mächtigen Europas. Täglich erwartete man den Tod Karls Il. von Spanien, des letzten Habsburgers auf dem spanischen Thron. Er hinterließ keine Erben. Ein Krieg zwischen Österreich und Frankreich war daher unvermeidlich. Holland und England würden Partei ergreifen müssen, sollte Frankreich nicht übermächtig werden. Ein Krieg im Norden war folglich wenig erwünscht, beide Gruppierungen strebten vielmehr nach einem Bündnis mit Schweden, suchten die Verfügungsgewalt über die neuformierten schwedischen Regimenter. Stockholm benötigte dringend Geld, wollte es seine ökonomischen Probleme lösen, das wußte man überall in Europa. Tatsächlich verblieben zunächst 6 000 schwedische Soldaten gemäß einem Vertrag vom März 1698 weiterhin im Dienste der Generalstaaten, des holländischen Staates. Zweifellos auch ein Indiz, daß König Karl XII. damals an eine baldige schwedische Offensive nicht dachte! Aber es war wohl trotzdem auch der "frühzeitig erkennbare Drang des jungen Königs nach Kriegsruhm" (Peters, 138), der eine weitere Zuspitzung der Konflikte im Norden förderte. Karl XII. und seine engsten Ratgeber unternahmen wenig oder nichts, die Spannungen zu Dänemark zu entschärfen. Im Gegenteil, Schweden verband sich zu Jahresbeginn 1698 mit den Seemächten Holland und England zu einem Defensivbündnis, dessen Spitze sich auch gegen Dänemark richtete. Trotzdem gelang es der Stockholmer Regierungskanzlei, eine Frontstellung zu Frankreich zu vermeiden. Auch Brandenburg hatte im selben Jahr einen Vertrag erneuert, der Schweden nach dieser Seite hin absicherte. Mit Lüneburg konnte sogar im März 1698 eine Garantie der Rechte des Herzogs von Holstein-Gottorp ausgehandelt werden. Diesem wurde eine souveräne Außenpolitik zugebilligt sowie das Recht zugestanden, ohne Zustimmung Dänemarks Kriege führen und seine
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Koalitionspartner auch gegen den Willen Kopenhagens auswählen zu dürfen. Dänemark selbst hatte mit dem Heiratsprojekt alle Gespräche mit der Zarenregierung abgebrochen und wünschte eine friedliche Regelung des leidigen Holstein-Problems. Der inzwischen- am 29. März 1698 - mit dem König von Polen vereinbarte Bündnisvertrag enthielt zwar einen Geheimvertrag zur holsteinsehen Frage, dessen Ratifizierung der schlaue August aber offenbar bewußt hinausgeschoben hatte. Das war ja nun auch nicht sehr ermutigend für den dänischen Hof. Als jedoch alle dänischen Bemühungen in Schweden ergebnislos blieben, nur eine nichtssagende Bündnisvereinbarung zu Jahresende 1698 verkündet werden konnte, ein Teil der deutschen Regimenter Schwedens in Holstein einrückte und der Bau an den Festungswerken wieder begonnen wurde, erneuerte Kopenhagen die Verhandlungen in Moskau. Jetzt wurde Gestalt, was bisher in Kopenhagen, Dresden und der Zarenhauptstadt nur vage gedacht worden war. Es entstand ein Angriffsbündnis gegen den unliebsamen schwedischen Nachbarn, dessen Grenzen allen zu weit und gar zu schwach verteidigt erschienen. Wer eigentlich sollte einen knapp achtzehnjährigen Reitkünstler ernsthaft fürchten, wenn Männer gegen ihn antraten, solche, die über schier unbegrenzte Mittel verfügten wie Zar Peter oder auf eigene Kriegserfahrungen verweisen konnten wie König August. Und hatte nicht der russische Herrscher gerade erst die gefährlichen Türken besiegt, die Festung Asow mit 136 Kanonen erobert? Vereint schien es ein leichtes Spiel, man mußte nur seine Trümpfe schnell genug ausspielen, bevor die Seemächte, Frankreich und eventuell auch der Kaiser gar zu laut protestieren konnten ... Am 24. August 1699 vereinbarten König Christian V. und Zar Peter ein geheimes Bündnis Dänemarks mit Rußland. Nur wenige Wochen nach dem Tode des dänischen Monarchen wurde am 25. September des gleichen Jahres in Dresden ein Vertrag zwischen Dänemark und Schweden unterzeichnet. Schon am 11. November 1699 schloß sich auch der Zar durch ein Bündnis mit König August der Allianz gegen Sachsen an. Ja, das herzliche Einvernehmen des trinkfesten, bärenstarken August mit dem nicht weniger branntweinfreudigen Peter war den europäischen Höfen nicht verborgen geblieben. Als der junge Zar von seiner Europareise heimkehrte, hatten sich beide Monarchen in den letzten Julitagen und zu Beginn des Augustmonats 1698 in Rawa im südlichen Polen getroffen. Beide fanden "ohne unterlaß in trinkhen"
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weitestgehende Übereinstimmung, ja ein beängstigend brüderliches Verhältnis. Man war sich nicht nur näher gekommen in der Überzeugung, daß schöne Frauen das Leben ebenso versüßten wie ein kräftiger Schluck schweren Weines, man hatte sogar die Kleider getauscht, und Zar Peter war mit Augusts "Rokch, Huth und schlechtem Degen" (Hoffmann, Peter, 12) Ende August in Moskau eingetroffen, wie es der kaiserliche Gesandte verwirrt nach Wien vermeldete, man es bald an allen europäischen Höfen verwundert registrierte. Das schien schon beunruhigend für manche Regierung. Doch wußte man auch, daß Peter erst den Krieg mit der Pforte beenden wollte. Die Türken im Rücken blieben eine zu große Gefahr und ließen es geraten sein, zunächst mit dänischen und sächsischen Vorstößen zu beginnen, russische Truppen sollten später den Triumph über Schweden abrunden. Natürlich blieben Unternehmungen dieser Art, so geheim sie auch immer angelegt sein mochten, den erfahrenen Politikern in Stockholm, Im Haag und anderswo nicht verborgen. Was lag für Stockholm näher, als seinerseits in Dresden anzufragen, ob Vetter August nicht für ein Bündnis mit Schweden zu gewinnen sei? Bei dieser Gelegenheit konnte man ihn doch gleich noch befragen nach seiner prinzipiellen Haltung zu Schweden. Und Schwedens Gesandter, Graf Mauritz Vellingk, wußte denn auch bald über besonders warme Gefühle König Augusts zu seinem jungen schwedischen Cousin zu berichten. Wenig später traf auch eine große polnische Gesandtschaft in Stockholm ein und versicherte den gastfreundlichen Schweden die ewige Zuneigung der polnischen "Republik". Reich beschenkt - unter anderem auch mit zehn schwedischen Kanonen- verließen die Gäste das Land, ließen beruhigte Gastgeber zurück. Alles deutete daraufhin, daß sich die Auseinandersetzungen auf Dänemark beschränken würden, denn auch eine schwedische Gesandtschaft ins weite Rußland war nach langen, aufreibenden Verhandlungen mit sehr verbindlichen Beteuerungen zaristischer Friedensliebe heimgekehrt. Allerdings hatten die Gesandten auch berichten müssen über sonderbare Klagen Zar Peters über schwere Beleidigungen während seines Riga-Aufenthaltes am Beginn der Europareise im Frühjahr 1697. Die große russische Gesandtschaft war damals daran gehindert worden, die Festungsanlagen zu vermessen, in höflichen Worten, versteht sich, aber doch zum Mißfallen des inkognito reisenden Zaren. Auch hatte es beim Aufbruch der illustren Gesellschaft allerlei Forderungen der Händler und Gastwirte gegeben. Doch waren sie von Schwedens altem Feldmarschall in Riga, Graf Erik Dahlberg, anstandslos beglichen worden, so daß man auch diesbezüglich Zar Peters Verärge-
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rung für unbegründet hielt, wahrlich kein Grund, an den freundlichen Abschiedsworten des Zaren zu zweifeln. Immerhin hatte Peter ja auch jahrelang nichts von derlei schwerwiegenden Kränkungen verlauten lassen. Die Dänen allerdings bereiteten ernsthaft einen Krieg vor, das war nun nicht mehr zu übersehen. Schon am 24. Oktober 1699 hatten ihre Gesandten alle europäischen Höfe wissen lassen, daß Dänemark die neuerlichen Rüstungen in Holstein nicht hinnehmen könne und dort wiederum einmarschieren werde. In Schweden, im sicheren Gefühl der Neutralität Sachsen-Polens und Rußlands, nahm man derartige Ankündigungen gelassen auf. Auch blieb es zunächst bei der Drohung, ein weiterer Grund, Ruhe zu bewahren. In Stockholm wußte man nicht, daß die dreimonatige Verzögerung vor allem entstand, weil Augusts vertraglich zugesicherte sächsische Hilfstruppe, 8 000 Soldaten, nicht früher marschbereit war. Und außerdem beruhigte die Politiker in der schwedischen Hauptstadt, daß der alte Graf Bengt Oxenstierna, ein äußerst erfahrener Diplomat, just am 13. Januar 1700 England und Holland zur Unterschrift genötigt hatte, bei einem feindlichen Angriff auf Schweden bewaffnete Hilfe zu leisten. Da schien nun wahrlich die Zukunft geregelt, die wenig glückliche Weisung Karls XII. zum Einmarsch der schwedischen Regimenter in Holstein kompensiert. Beruhigt brach König Karl XII. zur Bärenjagd nach Kungsör auf. Da überbrachte ihm, völlig überraschend, am 9. März 1700 ein erschöpfter Kurier, der quer durch Finnland und rund um den Bottnischen Meerbusen gehastet war, die Nachricht vom Angriff sächsischer Truppen in Livland. Ohne die übliche Kriegserklärung hatten die Generäle Flemming und Carlowitz am 11. Februar die Grenze überschritten, die Schanze von Kobrun besetzt. Karl habe dem Vetter diese heimtückische Täuschung nie verzeihen können, erklärten bereits zeitgenössische Verteidiger des Schwedenkönigs dessen künftige unnachgiebige Haltung gegenüber August von Sachsen-Polen. Doch berichteten alle damaligen Quellen ebenso einmütig, der junge König habe ruhig die Jagd fortgesetzt, die üblichen Feiern zu deren erfolgreichem Abschluß beobachtet und sei Jann, nun aber sehr entschlossen, nach Stockholm gereist, den ihm aufgezwungenen Krieg zu führen. Nordberg erzählt, Karl habe sich überrascht geäußert, daß seine "beyden Vettern Krieg haben wollen. Es mag also darum seyn. König August hat seyn Wort gebrochen, und wider die Abrede gehandelt. Wir haben eine gerechte Sache: GOTT wird uns wohl helfen.
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Ich will die Sache erstlich, mit dem einen abthun und hiernächst kann ich allezeit mit dem andern sprechen" (Nordberg, I, 133). Mag sein, daß Karl XII. seinerseits wirklich keinen Angriff begonnen hätte. Doch wird man schwerlich übersehen können, daß seine Order zum Einsatz schwedischer Truppen im Lande des Schwagers einer Kriegserklärung an Dänemark gleichkam. Das war ihm und seinen Vertrauten offenbar auch bewußt, denn schon im Spätherbst 1699 waren einige Regimenter mobilisiert, war die neugeschaffene Flotte inspiziert und eine spezielle Steuer verfügt worden. Am 11. März 1700 marschierten dänische Truppen, unmittelbar nach Bekanntwerden der sächsischen Offensive in Livland, in Holstein ein. Karl XII. und seine Generäle hatten ihren dänischen Krieg! Bald zeigte sich, wie wohlüberlegt Vater Karl XI. die Aufmarschpläne durchdacht hatte. Auf dieser Basis konnte Generalleutnant Karl Gustav Rehnsköld den Einsatz der Regimenter exakt festlegen. Generalquartiermeister Stuart wurde in den Süden des Landes geschickt, die Festungen in Kriegszustand zu versetzen. Schleunigst wurden weitere Dragonerregimenter formiert. Verstärkungen landeten in Wismar und Pommern, General Baron Nils Gyllenstierna marschierte mit weiteren Truppenkontingenten nach Holstein. An der Spitze seiner Leibtrabanten verließ Karl XII. am 14. April 1700 Stockholm, wohl kaum ahnend, daß er seine Hauptstadt nie wieder sehen sollte. Im Troß des jungen Königs auf dem Wege nach Dänemark führten die Reitknechte den ,.,Brandklepper", das legendäre Pferd Karls XI. Es war dem Monarchen zu Beginn der Schlacht bei Lund von dem Korporal des smaländischen Reiterregiments Hakon Stahle überlassen worden, als das Pferd des Königs im ersten Schlachtgetümmel erschossen worden war. Nun wurde es- 24 Jahre später- stolz als Symbol alter und künftiger Siege über die Dänen mitgeführt. Keiner konnte damals wissen, daß es noch über weite Wege traben mußte, Siege und Niederlagen erleben, vor Poltawa ebenso wie im türkischen Bender grasen und schließlich 1718, im Todesjahr Karls XII., in Lund verenden werde. Wahrlich eine Pferdegeschichte, die gleichzeitig die Geschichte schwedischer Größe und Tragik sein sollte, Symbol für Aufstieg und Untergang des schwedischen Absolutismus. Bei Landskrona, Malmö und Ystad sammelte sich die schwedische Armee, erwartete den Beginn der Kriegshandlungen und die Einschiffung nach Dänemark oder den deutschen Provinzen. Vorerst aber zeigte
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sich, daß die schwedische Flotte nur unzureichend ausgerüstet war. Zwar hatte der Generaladmiral, Graf Hans Wachtmeister, 38 Linienschiffe und 8 Fregatten mit 2 700 Kanonen und 15 000 Seeleuten auf der Rheede vor Karlskrona liegen, denen Dänemark nur 29 Linienschiffe und 8 Fregatten mit 2 000 Kanonen entgegensetzen konnte, doch hatte die leere Staatskasse die letzten Vorbereitungen der Schweden verzögert. Aber Wachtmeister hatte die Hafeneinfahrten durch starke Batterien schützen lassen, so daß die plötzlich heransegelnde dänische Flotte umkehren mußte, ohne die hilflos ankernden Schweden gefährden zu können. Und schon näherte sich ein größeres englisch-holländisches Geschwader zum Schutze Schwedens, Zeit für die Dänen, sich in den Sund zurückzuziehen und möglichst an der schmalsten Stelle des Öresunds die Weiterfahrt der Hilfsflotte zu sperren, eine Vereinigung der gegnerschen Flotten zu verhindern. Es war vor allem dem Drängen des tatendurstigen jungen Königs zuzuschreiben, daß trotz aller Finanzprobleme am Geburtstag des Monarchen, dem 17. Juni, die schwedische Flotte in drei Geschwadern auslaufen konnte. Es blieb nicht viel Zeit für die Entscheidung in Dänemark. Nach kleineren Rückschlägen sammelten sich an der livländischen Grenze erneut die sächsischen Truppen. Karl XII. benötigte aber einen möglichst umfassenden Si~g über die dänische Flotte, dem dann eine ebenso schnelle wie gründliche Vernichtung der dänischen Landtruppen folgen sollte. Erst dann, so glaubte der Monarch, könne er sich gegen die Sachsen wenden. So zwang ein strenger, unfreundlicher königlicher Befehl den zögernden Generaladmiral zu einem gefährlichen Segelmanöver an der Insel Sahholmen und den wartenden Dänen vorbei in den Sund. Wohl vereinigten sich die alliierten Flotten, der ängstliche Aufbruch der schwedischen Marine verhinderte jedoch die geplante Vernichtung der Dänen. Deren Schiffe zogen sich in den Schutz der Kopenhagener Hafenforts zurück, Schwedens wichtigstes Kampfziel war nicht erreicht. Mit Dänemark im Rücken war schlecht Kriegführen gegen den sächsischen Vetter, wenn Engländer und Holländer ihre Schiffe zurückgezogen hatten. Die dänische Flotte mußte aus dem sicheren Schutz heraus. Und das war jetzt am besten durch eine überraschende Landung auf Seeland und mit dem Marsch auf Kopenhagen zu erzwingen. Schließlich war der dänische Cousin mit seinen Hauptstreitkräften in Holstein gebunden und das zunehmend mehr, als ihm lieb sein konnte. Karl XII. gewann Engländer und Holländer, die dänische Flotte auch weiterhin vor Kopenhagen festzuhalten. Generalquartiermeister Stuart
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erhielt die Weisung, die Landung schwedischer Regimenter auf Seeland vorzubereiten. Karl und sein ehemaliger Lehrer entschieden, am Strand von Humlebäck südlich von Helsingör steigt die Armee an Land! Der 25. Juli 1700 begründete den Ruhm des jungen schwedischen Königs. Nach längeren verwirrenden Bootsmanövern vor der dänischen Küste, auf die Dänemarks schwache Abwehrkräfte verzweifelt reagierten, stießen die flachen Landungsboote auf den Strand. Karl XII. war einer der ersten auf dänischem Boden. Er watete durch schulterhohes Wasser an Land und riß durch sein Beispiel die Bootsbesatzungen mit. Bald nach 18.00 Uhr warfen die ersten schwedischen Einheiten, vier Bataillone, Verschanzungen unter der sachkundigen Anleitung des verwundeten Generalmajors Stuart auf, setzten sich weitere Kompagnien der Schweden fest. Zwölf dänische Fregatten, die das Landungsunternehmen zerschießen sollten, wurden von den englischen Schiffen zurück in den Schutz der Kopenhagener Kanonen gedrängt. Nach knapp zwei Wochen hatte Kar! XII. 10 000 Soldaten zum Angriff auf Kopenhagen gesammelt. Das Ende der gefährlichen dänischen Flotte schien greifbar nahe. In der Frühe des 11. August 1700 marschierten drei Kolonnen schwedischer Truppen unter dem Befehl des Monarchen auf Kopenhagen. Es mangelte ihnen jedoch an schwerer Belagerungsartillerie. Trotzdem wünschte Karl XII. den Angriff auf die nur schwache Garnison. Sah sich der junge Schwedenkönig bereis als Erbe und Testamentsvollstrecker des Großvaters, Kar! X. Gustav, glaubte er, den uralten schwedischen Traum eines siegreichen Einzugs in Kopenhagen endlich verwirklicht? Er hat uns keine direkte Antwort auf diese Frage gegeben, sicher ist nur, daß ihn der schon am 8. Juli vereinbarte Frieden von Travendal empfindlich getroffen hatte. Tagelang weigerte sich Kar! XII., die Konsequenzen dieses Abkommens zwischen Dänen und Holsteinern zu akzeptieren. Doch blieb ihm nichts mehr zu tun! Dänemarks Führung hatte, zutiefst erschreckt und die Gefahr erkennend, dem Herzog von Holstein-Gottorp eine Kriegsentschädigung von 260 000 Reichstalern und die volle Souveränität in den beiden Herzogtümern zugestanden. Kopenhagen wollte künftig Festungen und 6 000 Soldaten akzeptieren, wie sich die dänische Seite auch vom sächsischen Bündnispartner lossagte. Gerettet war die dänische Flotte, die nach dem für Schweden verlustreichen Manöver bei Saltholm nunmehr einer allein operierenden schwedischen Marine überlegen war.
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Generaladmiral Wachtmeister verfügte nur noch über achtzehn einsatzbereite Schiffe mit einer durch Seuchen stark dezimierten Besatzung. Karl XII. konnte keinesfalls zufrieden sein mit diesem Krieg. Und schon gar nicht mit diesem Frieden! Schwager Friedrich hatte Schwedens Einsatz wenig hilfreich gelohnt. Er hatte seinen Preis erzielt. Aber ihm war von den holländischen, englischen und lüneburgischen Verbündeten ziemlich unverhüllt bedeutet worden, daß sie keinerlei Interesse an einer Zerschlagung Dänemarks hätten. Ein übermächtiges Schweden im Norden, ja gut, das mochte im Sinne Karls und Friedrichs sein, entsprach aber nicht den Wünschen der anderen Helfer des Holsteiners. Da galt es den Spatz in der Hand für Friedrich IV. von Holstein-Gottorp. Obwohl König Karl XII. den Adjudanten des Schwagers arn Abend des 12. August mit der Nachricht vorn Travendaler Frieden ignorierte, Dänemarks offiziellen Gesandten arn 13. August konnte er jedoch ebensowenig wegschicken wie den englischen Oberbefehlshaber, Admiral Sir George Rooke. Dieser hatte den König im Lager vor Kopenhagen aufgesucht und den Monarchen über den befohlenen Rückzug des englisch-holländischen Geschwaders informiert. In der Tat bedauerlich, aber er hatte seine Order, der Brite. Die Blockade der dänischen Flotte war aufgehoben worden, und er könne nur noch helfen, den sicheren Rücktransport seiner schwedischen Freunde zu garantieren. So blieb nur die schriftliche Mitteilung an König Friedrich V. von Dänemark, daß auch Karl XII. die Kampfhandlungen einstelle. Am 20. August begann der Abzug der schwedischen Armee über den Sund, arn 24. des Monats landete schließlich auch König Karl XII. selbst mit der letzten größeren Einheit wieder in Helsingborg, entschlossen, sich nun nach Livland zu wenden, hier die Entscheidung zu suchen, mit dem anderen Vetter zu "sprechen", mit dem aber gründlich! Die Nachrichten über den livländischen Krieg lauteten keineswegs mehr so günstig wie nach den ersten schwedischen Erfolgen im Frühsommer. Die sächsische Armee war verstärkt worden, kampferprobte Truppenkontingente bewegten sich erneut auf die Festung Riga zu, führten schweres Belagerungsgeschütz mit. König Karl XII. war in Eile, es galt, die notwendige Entsatzarmee möglichst bald und vor allem gut ausgerüstet in den voraussehbaren Winterfeldzug zu führen. Und natürlich fehlte es nach wie vor an Geld. So schien es nur natürlich, daß die Mehrheit der königlichen Berater geneigt war, die zahlreichen Vermittlungsangebote anzunehmen. Wuß-
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te man doch, daß König August auch kein besonderes Interesse an einer Fortsetzung des Krieges hatte. Der Sachse hatte sich seinen Feldzug anders gedacht. Und so meinte man nun auch im schwedischen Lager, ein vorteilhafter Friede mit dem Königvon Sachsen-Polen würde die Staatskasse auffüllen, Schwedens europäische Positionen in diesen so zukunftsträchtigen Tagen weiter stärken. So gesehen, waren doch noch Vorteile aus dem Dänemarkfeldzug zu ziehen. Doch zeigte Karl XII. so gar kein Interesse an derlei Überlegungen, beachtete die in Helsingborg wartenden Abgesandten der meisten europäischen Höfe kaum, waren doch alle Angebote mit dem Wunsch verbunden, den Schwedenkönig zum Frieden zu bewegen, ein Gedanke, der dem achtzehnjährigen Karl offenbar keinesfalls zusagte. Freude empfand der Monarch nur über einen Sonderbotschafter des Zaren, zerstreute dieser doch Gerüchte über russische Rüstungen gegen Schweden. Fürst Andreas Jakobowitsch Schilkow überbrachte herzliche Grüße von Zar Peter. In einem in warmen Worten gehaltenen persönlichen Schreiben beteuerte dieser seine aufrichtige Friedensliebe und kündigte die Ankunft einer großen russischen Gesandtschaft in Stockholm zur Erneuerung alter Verträge an. Zufrieden und sehr beruhigt verabschiedete Karl XII. am 31. August den Abgesandten, in dessen Gepäck nun auch ein ebenso herzliches Antwortschreiben des schwedischen Monarchen an den Zaren befördert wurde. Erfreut war Karl auch deshalb, weil er sich nun wieder ganz den Vorbereitungen des Livlandfeldzuges zuwenden konnte. Und da blieb wahrlich noch vieles zu entscheiden für den absolutistischen Herrscher! Insbesondere fühlte sich Karl XII. einem permanenten Friedensdruck seiner Vertrauten in der Staatskanzlei ausgesetzt, zwar ganz vorsichtig formuliert, aber beharrlich vorgetragen. Vor allem der alte Oxenstierna drängte gemeinsam mit dem französischen Botschafter Graf de Guiscard auf eine positive Entscheidung Karls XII. Enttäuscht mußten sie am 21. September die Antwort des Königs lesen: "Der Kaiser, Frankreich und Brandenburg kontinuieren mit dem Anerbieten ihrer Vermittlung. Frankreich hat auch die Bedingungen des Königs von Frankreich mitgeteilt, worüber Sie sich geäußert haben. So gereicht Ihnen zur gnädigen Antwort, daß Wir gegen eine so treulose und ungerechte Invasion, die der genannte König gegen uns verübt hat, gesonnen seien, Uns Recht und Satisfaktion durchUnsere rechtmäßigen Waffen zu verschaffen. Wir sind nun mit demtransportnach Livland am Werk. Also können Wir weder eine Vermittlung noch eineNegotion
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zulassen, ehe alles restituiert ist und Wir eine befriedigende Satisfaktion erhalten haben." (Bengtsson, 85). Und am 29. September überreichte Graf Piper dem französischen Gesandten ein spezielles Schreiben seines Herrn an König Ludwig XIV. "Er, der König in Schweden, habe gar zu vielen und starken Beweiß in Händen", man könnte sich auf Augusts Friedensversprechungen nicht verlassen, "ohne sich zuletzt betrogen zu sehen" (Nordberg, I, 155). Da traf eine neue Hiobsbotschaft in Stockholm ein. Schon einige Tage vor dem Rückzug Karls XII. von Seeland, am 19. August, hatte Zar Peter in Moskau, am Tage nach dem Friedensschluß mit der Pforte, Schweden den Krieg erklärt, Karls Botschafter in Moskau inhaftieren lassen und war Anfang September mit einer gewaltigen Armee nach Ingermanland aufgebrochen, derweil Fürst Schilkow wenige Tage vorher Karl noch von Freundschaft redete. Der Schwede fand sich ein zweites Mal gefoppt. Zar Peter hatte bereits am 16. Juni den Generalstaaten im Im Haag eine Note überreichen lassen. Dort hatte er versichert, er suche nur Genugtuung für die unwürdige Behandlung während seiner Europareise in Riga 1697. Die beunruhigte holländische Regierung hatte außerdem am 9. August Kenntnis eines Zarenbriefes an König August erhalten, in dem Peter den Krieg mit Schweden ankündigte. So hatten sich die Generalstaaten noch am 29. September ihrerseits an den Zaren gewandt und zum Frieden gemahnt. Gleichzeitig bot auch Englands Monarch Peter Hilfe an, die angeführte Verstimmung friedlich beizulegen. Insbesondere die Generalstaaten drückten ihr Befremden aus, "da der Czar biß vor zwey Monaten von keinen ihm angethanen Beleidigungen das geringste erwehnet, und vielmehr versichert habe, er wolle mit Schweden in Ruhe leben, daß er so unvermuthet zu einem so gewaltsamen Mittel schreiten mögen" (Nordberg, I, 217). Karl XII. sah sich nun unvermutet zwei Gegnern in Livland gegenüber. Als er mit seiner eilig eingeschifften kleinen Armee am 6. Oktober 1700 bei Pernau landete, hatte sich aber König August bereits hinter die polnische Grenze zurückgezogen. Ihm war offensichtlich nicht nach einem "Gespräch von Mann zu Mann" mit dem heranhastenden, ungewöhnlich "redesüchtigen" Karl, zumal der junge Schwede fraglos nur den Degen sprechen lassen wollte, wie man August inzwischen hinterbracht hatte. Zar Peter hatte seinerseits heftig auf August einreden müssen. Von viel Geld war gesprochen worden, so "laut", daß der Inhalt der "Rede" den Generalstaaten zu Ohren gekommen war, und schließ4 Findeisen
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lieh sah sich der Zar veranlaßt, selbst an der Spitze einer großen Armee näher an seinen wankelmütigen Verbündeten heranzumarschieren. Auch er wollte seinen Krieg! König Karl XII. entschied sehr schnell, der Zar sollte ihn haben! Dieser Entschluß fiel um so leichter, als Peters Armee bereits seit dem 23. September die schwedische Festung Narwa belagerte. Und deren Situation verschärfte sich von Tag zu Tag. Kaum eine schwedische Festung in dem von Hungersnöten geplagten Livland war ausreichend mit Lebensmitteln versorgt und der chronische Geldmangel hatte die Munitionsvorräte mehr als begrenzt. Zweifellos war es das Verdienst des jungen königlichen Feldherrn, seine Armee in Gewaltmärschen an das russische Lager herangetrieben zu haben. Unglaubliches leisteten die schwedischen Soldaten, Ungewöhnliches vollbrachte auch ihr König. Am 6. November sammelte Karl XII. bei Wesenberg etwa 3 000 Reiter und mehr als 5 000 Infanteristen. 37 Geschütze führte die schwedische Armee mit. Gegen den Rat aller Generäle und einiger anwesender ausländischer Diplomaten im Feldlager verfügte Karl XII. den Angriff. Ein Sieg schien nahezu ausgeschlossen. Vor allem die finnischen Regimenter waren nur unzureichend bekleidet. Krankheiten hatten die Kampfkraft der kleinen Armee geschwächt. Die Reiterschwärme des Generals Boris Petrowitsch Scheremetjew hatten alles getan, einem eventuellen schwedischen Entsatzheer jegliche Versorgungsbasis zu nehmen. Und sie standen am Pyhäjöggi- Paß, dem einzigen Weg nach Narwa, bereit, hier die Schweden zurückzuwerfen, falls sie wider Erwarten tatsächlich bis dorthin kommen sollten. Am Morgen des 13. November war Karl XII. alles in allem mit 10 537 Mann aufgebrochen. Nur jeden zweiten Tag erhielten die Schweden etwas Verpflegung aus den mühsam durch knietiefen Schlamm mitgeführten Bagagewagen. Vier Tage später vertrieben Karls Voraustruppen, 400 Mann mit dem König an der Spitze, Scheremetjews 6 000 Kosaken. Abends kampierten die schwedischen Soldaten bei strömendem Regen meist stehend im Schlamm. Karl XII. selbst nächtigte auf etwas Stroh inmitten seiner Truppen. Wir hatten "Mangel an alles", schrieb der Leutnant Wisocki-Hochmuth in sein Tagebuch (Bengtsson, 101). Und weiter trieb der König die Truppen. Halb verhungert und fast erfroren erreichten sie am 19. November ein kleines Dorf, knapp zwanzig Kilometer vor Narwa. Einige schwedische Kundschafter inspizierten noch in der selben Nacht die russischen Belagerungslinien,
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lieferten wertvolle Hinweise für Generalleutnant Rehnsköld. Im russischen Oberkommando selbst hatte die Nachricht von Scheremetjews Flucht die Generäle ebenso verwirrt wie die dreiste Behauptung eines gefangenen schwedischen Offiziers, Karl XII. nahe mit 30 bis 32 000 Soldaten. Der Zar und seine Generäle kommandierten mindestens 40 000 Mann. Der sächsische General Ludwig Nikolaus Hallard hatte einen durch zahlreiche Schanzen gesicherten Belagerungsring geschaffen, Peter selbst in seiner Jugend bei Preobrashenskoje als "Bombardier" den Kampf Mann gegen Mann geübt, vor Asow seiner Schwester Natalja vom furchtlosen Kampf in vorderster Linie berichtet. Doch hatten er und viele andere auch nicht vergessen, daß Peter 1689, nur im Nachthemd und fast wahnsinnig vor Angst, vor seiner Halbschwester Sofija, die ihm angeblich nach dem Leben trachtete, in einen nahen Wald geflohen war. Auch jetzt, über Nachrichten vom Heranrücken des jungen schrecklichen Schweden nachsinnend, den offenbar nichts aufhalten konnte, überwältigte den Zaren wieder die Furcht. Das war noch nicht jener Peter, der später im Schlachtgeschehen von Poltawa die Entscheidung suchte. Hier vor Narwa fand der Zar plötzlich, daß dringende Gespräche mit August von Sachsen-Polen nicht länger aufzuschieben waren. Er übergab, wie Augenzeugen berichteten, unter hysterischem Weinen und Flehen dem wohl kaum weniger ängstlichen ältlichen Herzog Charles Eugene von Croy den Oberbefehl und verließ seine Armee. Höhnend prägten die Schweden später eine Münze, die den Zaren als bitterlich weinenden Feigling verspottete. Mag sein, daß sich die völlig versagenden ausländischen Offiziere im Heer des Zaren mit Schilderungen dieser Art reinwaschen wollten, unverständlich bleibt die überstürzte Abreise Peters dennoch. Der Herzog von Croy hatte Erfahrungen im Kampf gegen die Schweden. Im dänischen Dienst hatte er gegen die Armee Karls XI. gekämpft, als dänischer Kommandant von Helsingborg schon damals die Überlegenheit der Schweden anerkennen müssen. Und er war inzwischen erheblich älter geworden. Vor allem aber kannte Zar Peter seine Armee. Diese, auf seine Anwesenheit und Unfehlbarkeit als "Väterchen Zar" fixierte Masse, voll tiefen Mißtrauens gegen "gottlose Ausländer", mußte auf die Nachricht von seiner Abreise erschrocken reagieren. Das Eintreffen der flüchtenden Scharen Scheremetjews unmittelbar nach Peters Flucht im Lager von Narwa am Morgen des 19. November tat ein Weiteres.
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Und doch wirkte die Ankunft der Schweden am nächsten Tag eher beruhigend auf das russische Heer. Hinter einem breiten Graben, durch Palisaden und einen Kanonenhügel geschützt, schien der Aufmarsch der Armee Karls XII. gegen 10.00 Uhr morgens vielen zunächst wie der Vormarsch der Vorhut. In größerer Ruhe harrten nun auch der Herzog von Croy und seine Generäle der Dinge, die nach ihrer festen Überzeugung nicht kommen konnten. Ein solches Lager griff niemand mit derartig geringen Kräften an! Würde der Schwede tatsächlich einen Sturm wagen, hier mußte er den frischen Lorbeer von Kopenhagen verlieren. Krieg wurde schließlich nach anerkannten Regeln geführt. Das waren Grundsätze, nach denen auf allen europäischen Schlachtfeldern die Armeen gelenkt wurden, Prinzipien, die natürlich auch Karl und seine Generäle kannten. Und doch sollte es diesmal ganz anders kommen! Gemeinsam mit General Rehnsköld hatte Karl XII. eine vor den russischen Schanzen liegende Anhöhe bestiegen, den Hermannsberg. Hier hinaus zogen die Artilleristen ihre Geschütze, links und rechts des Hügels sammelten sich die Infanterieeinheiten der Schweden. Vor dem schwedischen Lager breitete sich wie in einem langgestreckten Oval das Schlachtfeld aus. Die hintere Hälfte begrenzte die hier in einem weiten Bogen fließende Narowa, an deren Ufer - etwa im stärksten Radius- die Festung Narwa lag. Gegenüber, nur durch den Fluß getrennt, stand die Vorstadt Iwangorod, auch noch in schwedischer Hand. Den vorderen Bogen des Ovals bildeten sieben Kilometer lange Befestigungsanlagen der russischen Armee von einer Seite der Narowakrümmung bis zur gegenüberliegenden. Zahlreiche kanonenbestückte Schanzen und ein besonders befestigtes Lager zwischen Stadt und Hermannsberg waren die Schwerpunkte im russischen Lager. Den rechten - nördlichen - Flügel der russischen Stellungen gegen die sich formierenden schwedischen Angreifer schützte stellenweise sumpfiges Gelände. Hier führte auch eine Brücke über die Narowa, der einzige Fluchtweg der russischen Truppen, falls die Schweden die Linie überrennen sollten. Den südlichen Flügel in Hallarts Befestigungssystem bildete hügeliges, mit Büschen und Zwergwaldungen bedecktes Gelände. Ein Rückzug hier mußte die russische Armee zwingen, durch das kalte Wasser der Narowa zu schwimmen. Hallart hatte die Linie noch durch spanische Reiter und in den Boden gerammte spitze Pfähle schützen lassen. Karl XII. und Rehnsköld entging jedoch nicht, daß die sieben Kilometer lange Brustwehr trotz der
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zahlenmäßig starken russischen Belagerungsarmee nicht überall dicht besetzt werden konnte. Das hatte Rehnsköld schon nach dem Eingehen der Kundschaftermeldungen berücksichtigt und König Karl XII. einen entsprechenden Angriffsplan vorgelegt. Ein Teil der schwedischen Kavallerie sollte vor dem rechten Flügel der russischen Befestigungen konzentriert werden, um eventuell über den Wassergraben nach vorn angreifenden oder gar flüchtenden russischen Einheiten sofort entgegengeworfen werden zu können. Rehnsköld Angriffsdisposition sah vor, daß die schwedischen Kolonnen unter dem Schutz konzentrierten Kanonenfeuers vom Hermannsberg an zwei relativ schwach besetzten Punkten - direkt neben der schwedischen Artilleriebasis und angesichts der russischen Hauptbasis - die Verschanzungen durchbrechen, dann jeweils nach links und rechts schwenken, die russischen Verteidiger in ihren eigenen Linien aufrollen sollten. Dabei würden die flüchtenden Scharen auf den Fluß zugetrieben und vernichtet werden. Ein einfacher, aber genialer Plan, so völlig dem Regelwerk der damaligen Kriegskunst widersprechend, daß Croy und Hallart die schwedischen Vorbereitungen mit Unverständnis beobachteten. Als starke schwedische Kolonnen gar zurückmarschierten, wuchs die Verwirrung der russischen Heerführer weiter. Erst spät begriffen sie, daß diese Einheiten im Wald Zweige und Äste brachen, um daraus Faschinenbündel zum schnellen Überwinden der Gräben zu flechten. Unter mörderischem Kanonenfeuer bereiteten sich gegen 14.00 Uhr die Sturmbataillone auf den Angriff vor. Die Soldaten hatten Mäntel und Ranzen abgelegt, warteten auf das Angriffssigrial, starrten in einen sich schnell verdunkelnden Himmel, so düster, wie das Gemüt der meisten Männer, die nun schon den vierten Tag keinen Bissen Brot empfangen hatten, denen das vor ihnen liegende russische Lager ebenso wie die eigene Feste Narwa als Paradies erschienen, in dem es endlich zu essen, Wärme und Trockenheit geben sollte, in das man so schnell wie möglich hinein und die Russen hinaus mußten ... Und dann brach ein Schneetreiben los, "ein entsetzliches Unwetter", wie der Leibtrabant Johan Stiernhöök später berichtete (Bengtsson, 109). So plötzlich und so dicht trieb der Wind die Schneeflocken, das einige schwedische Heerführer den Angriff verschieben wollten. Doch Karl XII. ließ angreifen, erfaßte augenblicklich den sich bietenden Vorteil. Dieser Schnee wehte den Russen direkt in die Augen, verhüllte die Angreifer! Etwa dreißig Schritt vor der russischen Linie tauchten die schwedischen
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Bataillone aus dem Schneetreiben auf, schossen eine tödliche Salve, "die, Ehre sei Gott, gute Wirkung tat", wie Stiernhöök, selbst ganz vorn dabei, vermerkte (Aberg, 92). Dann warfen die Soldaten die Reisigbündel in die Gräben, stießen die spanischen Reiter um und stürzten sich mit Degen, Bajonetten und langen Piken auf die total verwirrten russischen Soldaten. "Wir massakrierten alles, was uns in die Quere kam, und es war ein gar zu schreckliches Massaker. Sie schossen stark zurück und schossen viel gutes Volk von uns nieder" (Aberg, 93 ). Den Durchbruch Stiernhööks und seiner Kameraden konnten die Russen jedoch nicht mehr verhindern. Schnell brach die erwartete Panik unter den Verteidigern aus. "Die Verwirrung war so gewaltig, und alle sprangen in ihrer Bestürzung herum wie Schafe, die keinen Herrn hatten", berichtete ein russischer Offizier. "Es war einfach unmöglich, die Regimenter zusammenzuhalten. Es gab keinen Offizier, der sie kommandierte und niemanden, der darauf hörte" (Aberg, 93). Scharen kopflos fliehender russischer Soldaten versuchten, den schützenden Wald zu erreichen, wurden aber von der vor den Gräben gesammelten schwedischen Kavallerie zurück gegen die eigenen Verschanzungen getrieben, drängten nun zu der einzigen Brücke. Dorthin aber stürmten auch die Leibtrabanten König Karls XII. Noch dichter ballte sich die Masse der Flüchtenden auf der Brücke, die plötzlich zerbarst, zahllose Schreiende mit sich in die kalten Fluten riß. Auf dem anderen, dem linken russischen Flügel stob Scheremetjews Kavallerie zur Narowa, warfen sich die Reiter auch hier in Todesangst in das Wasser. Dort, in der reißenden Strömung, ertranken mehr als Tausend in einer Stromschnelle. Scheremetjew und die Masse der russischen Kavallerie konnte sich jedoch retten. Als die Brücke zusammenbrach, dort nur noch die Garderegimenter des Zaren erbittert Widerstand leisteten, ergaben sich der Herzog von Croy und General Hallart dem schwedischen Obristen Magnus Stenbock. Weiter aber tobte das blutige Gemetzel. Einige russische Generäle sammelten ihre Mannschaften in einer eilig zusammengeschobenen Wagenburg, entschlossen, weiterhin Widerstand zu leisten. Verstärkungen vom rechten schwedischen Flügel mußten herangeführt werden. Auch Karl XII. ritt hastig herbei, geriet in einen Sumpf, konnte nur mit Mühe von einigen finnischen Soldaten herausgezogen werden, stürmte weiter,
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einen Stiefel im Morast zurücklassend, der Kampf an dieser Wagenburg forderte sein mitreißendes Beispiel ... Gegen 17.00 Uhr, bei Eintritt der Dämmerung, war die Schlacht entschieden. Zwar hielten die hinter der Wagenburg verschanzten russischen Gardisten weiter stand, inzwischen war jedoch auch der russische Kanonenhügel im konzentrierten schwedischen Artilleriefeuer sturmreif geschossen, konnten einige schwedische Geschütze vor die Wagenburg gezogen werden, krachten erste wohlgezielte Salven auf die dortigen Verteidiger. Erst jetzt ergaben sich in den frühen Nachtstunden die letzten Kämpfer des russischen Nordflügels bedingungslos mit ihren Generälen Fürst Jakow Fjodorowitsch Dolgeruki, Afternon Michailowitsch Golowin und Alexander Artschelowitsch, dem Prinzen von Georgien, an der Spitze. Und auch jetzt reagierte Karl XII. sofort. Schnellließ er die Brücke reparieren, schickte die gefangenen russischen Mannschaften führerlos, aber doch mit ihren Handwaffen davon. Die erschöpften, kaum noch kampffähigen schwedischen Soldaten konnten die Trümmer des russischen Heeres nicht bewachen. Auch war ein großer Teil der schwedischen Mannschaften schon betrunken, wanden sich andere in Krämpfen am Boden, lösten sich selbst die diszipliniertesten schwedischen Einheiten auf, zu groß waren Hunger und Durst, als daß die Sieger an den russischen Branntweinvorräten vorbeilaufen konnten ... und noch immer standen im hügeligen, buschbedeckten Gelände, dem linken russischen Flügel, starke intakte Verbände des Gegners. Nach der Umgruppierung der meisten schwedischen Truppen zum Sturm auf die Wagenburg und zur Zerschlagung des Nordflügels verfügte Karl XII. hier nur über wenige schwedische Regimenter. Die Lage wurde kritisch. Mehr als zehntausend russische Soldaten konnten von ihrem Befehlshaber, dem deutschen General Adam Weide, zum Gegenangriff formiert werden. Wer sollte da Widerstand leisten? Caspar W rede, ein Offizier aus der Armee Karls XII., schrieb damals seinem Vater, die Soldaten seien so betrunken gewesen von dem Branntwein, den sie in den russischen Zelten gefunden hatten, daß die Offiziere die Gefangenen fortschicken mußten. Man hätte für nichts garantieren können, wenn "sie uns angegriffen hätten" (Bain, 77). Aber General Weide, selbst schon verwundet, wagte keinen Gegenstoß. Die Kapitulation des Nordflügels raubte ihm jegliche Energie. So legten am Morgen des 21. November noch einmal fast 12 000 Soldaten die Waffen vor Karl XII. nieder. Diesmal gestattete der König den Abmarsch nur ohne Handwaffen.
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230 Truppenfahnen des russischen Heeres, 180 Geschütze, 18 Generäle und fast ebenso viele Regimentskommandeure Peters, dazu große Vorräte an Handfeuerwaffen, Munition und die Kriegskasse des Zaren mit 32 000 Rubel fielen dem Sieger in die Hände. In der Nähe Narwas, beiJarma, erbeuteten die Schweden große Lebensmittelvorräte. Unmittelbar nach der Zerschlagung der russischen Armee lief eine Versorgungsflotte in den Hafen Narwas ein. Bedeutende Vorräte für Peters Truppen konnten in den Magazinen der schwedischen Festung gestapelt werden. Aber auch Karls XII. Armee hatte hohe Verluste zu beklagen. Fast 2 000 Tote und Verwundete wurden gezählt. Die Zeitgenossen rechneten mit etwa 18 000 getöteten russischen Soldaten. Die Historiker wissen heute, daß etwa 6 000 auf dem Rückzug verhungerten. Fügt man diese Verluste hinzu, büßte der Zar ca. 15 000 Soldaten ein. Größere Kontingente der freigegebenen russischen Truppen konnte er bald wieder in neue Feldzüge nach Ingermanland und Livland führen, mindestens 25 000 hatten die Katastrophe von Narwa überlebt, waren demoralisiert, aber nicht gebrochen. Zar Peter hatte in seiner ersten Bestürzung zwei Wochen nach der Niederlage voh Narwa König Wilhelm III. von England um Friedensvermittlung bei dem jungen fürchterlichen Schweden gebeten. Doch erholte er sich ebenso schnell wieder. Schon am 16. Dezember ließ er den Generalstaaten mitteilen, er habe sich in guter Ordnung und aus freien Stücken zurückgezogen. Die Narwa-Niederlage sei für ihn bedeutungslos. Im Bündnis mit Sachsen-Polen und Dänemark würde er bald wieder vorstoßen. Tatsächlich reorganisierte Peter seine Armee, lernte aus den Fehlern vor Narwa. Bereits ein Jahr später waren die verlorenen Geschütze ersetzt, verfügte er über 245 neue Kanonen. Kaum war Karl XII. mit seinen Hauptkräften abmarschiert, griffen die neuformierten russischen Verbände, erst zögernd, dann immer massiver, erneut in Ingermanland an. Nach neuerlichen anfänglichen Mißerfolgen vernichtete schließlich Scheremetjews Übermacht am 18. Juli 1702 die im Lande verbliebenen Verbände des Generals Wolmar Anton von Schlippenbach. Den Schweden blieben nur noch die Festungen. Und ihr König mit den besten Truppen war weit ... Bis in unsere Tage diskutieren Historiker und Militärexperten über die Entscheidung Karls XII., die Reste der Zarenarmee nicht weiter zu jagen, Schwedens Grenzen im Baltikum so schlecht zu schützen. Sicher
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war der schwedische Herrscher überzeugt, durch den großen Sieg bei Narwa seine Ostseeprovinzen auf längere Zeit gegen weitere russische Vorstöße gesichert zu haben. Doch wird man Erklärungen nicht allein in fehlerhaften Einschätzungen der russischen Kräfte sehen können, fragen wird man müssen, welche Alternative Karl XII. Ende November 1700 in Ingermanland wirklich blieb. Schon seit dem beginnenden 17. Jahrhundert war immer wieder deutlich geworden, daß Schweden "mit zu geringen Mitteln auf die großen Objekte" (Lundqvist, 57) großmachtpolitische Ziele verfolgte. Für realistischer denkende Kreise der herrschenden Klasse Schwedens - vor allem unter den höheren Beamten und Offizieren - hatte Karl XII. das damals Machbare erreicht. Mit Sachsen-Polen sollte schnell Frieden geschlossen, die Positionen an der russischen Grenze ausgebaut werden! In Narwa standen nun nur noch kaum 8 000 Mann kampffähige Truppen. Neue Rekruten aus der Heimat wurden zwar erwartet, würden aber das Heer zunächst nur unbedeutend verstärken können. Wohl hatte die kleine Garnison durch die russische Beute wieder gefüllte Magazine, doch konnte in dem total verwüsteten Land so bald keine neue Ernte reifen. Auch hatte Zar Peter die russische Grenzbevölkerung evakuieren lassen. So war selbst dort nichts zu holen. Und doch, selbst diese kleine Armee mußte verpflegt werden! Daher hatte General Otto Velligk bereits wenige Tage nach dem Einmarsch in Narwa seinem jungen Monarchen ein Memorandum überreicht, daß noch für den Winter Vorstöße auf Nowgorod und Pskow vorsah. Nach einer kurzen Erholungspause sollten die schwedischen Truppen wieder angreifen und dem Zaren einen Siegfrieden aufzwmgen. Doch war im Raum Narwa eine entsprechende Formierung der schwedischen Arme undenkbar. Schon griff die Ruhr um sich. Der neuernannte Generalmajor Stenbock schrieb seiner Frau nach Schweden, seine "Kranken und die Pferde krepieren wegen der schweren, ausgestandenen Strapazen. Ich habe nicht mehr als 200 Mann, die Dienst tun in meinem Regiment". Und seinem Schwiegervater, dem alten Grafen Oxenstierna, Schwedens höchstem Kanzleibeamten im Königlichen Rat, klagte Stenbock, sie seien dort bei N arwa, um sich zu erholen. Doch wisse nur Gott allein, welche "magere Weihnachten sie feiern würden". Hier sei wirklich guter Rat nötig (Aberg, 94 ).
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Und raten wollten sie ihrem jungen König, die Herren Generäle und hohen Beamten. Karl XII. war bereits am 13. Dezember mit der Garde nach Schlos Lais, wesdich des Peipussees, marschiert. Hier schien die Versorgungslage etwas günstiger. Allmählich rückte die Armee nach. Glänzend schien es den Siegern aber auch hier nicht zu gehen. Zufrieden war nur der junge Monarch. Seiner Schwester Ulrika Eleonora teilte er am 26. Februar 1701 mit, es ginge "ganz lustig zu. Die Leute vom Hofe hier sind sehr weichlich und kränkeln. Herrn Nils College Aronius ist mit Tode abgegangen. Der Apotheker hat, obgleich er alle Spezereien besass, auch daran glauben müssen und verschiedene andere" (Carlson, 45). Ja, das Sterben hielt an im Heer Karls XII. Und als General Stenbock mit 600 Schweden bei einem Streifzug an den Peipussee auf einige tausend russische Soldaten stieß, kehrte er wieder um, ohne ihnen ein Gefecht zu liefern. Sie waren ihm nun doch zu zahlreich erschienen. Und Stenbock war wahrlich kein Ängstlicher! Es war Zeit geworden für einen guten Frieden. Das meinten viele im Heer und daheim in der Staatskanzlei. Der Reiter Lars Rask vom Leibregiment zu Pferd schrieb damals seiner in Flista in Östergötland wartenden Frau, auch er sei schwerkrank gewesen, gottseidank nun wieder völlig genesen. Er hoffe, "heim zu Euch im Sommer mit Jesu Hilfe zu kommen, und ich denke, daß vor Mitsommer ich und meine Kameraden in Schweden sein werden" (Aberg, 96 f.). So wie er dachten wohl die meisten. Die Stockholmer Kanzlei hatte Karl XII. erneut Friedensverhandlungen mit König August von Sachsen-Polen vorgeschlagen. Selbst Graf Piper stimmte für die Annahme des vorteilhaften Friedensangebots des sächsischen Gegners. Und Frankreichs Gesandter winkte mit Subsidien für Karl XII. Geld benötigte die Staatskanzlei dringender denn je. Selbst hohe Offiziere erhielten bereits längere Zeit keine Löhnung mehr. Im übrigen unterbreitete auch der kaiserliche Gesandte günstige Friedensvorschläge, die Graf Oxenstiernas volle Unterstützung fanden. König Karl XII. lehnte jedoch alle Angebote ab. Er wollte weitermarschieren, den Gegner vernichten! So schrieb selbst General Stenbock betrübt dem Schwiegervater, man könne mit dem jungen König nicht reden. Hier gehe es "wunderlich zu. Nichts gilt mehr an Rat oder Fakten. Es scheint, als empfange der König allein von Gott, was er unternehmen solle" (Aberg, 98).
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Der Feldzugsplan für 1701 sah einen Einmarsch der Hauptkräfte unter Karl XII. in Kurland vor, eine kleinere Armee sollte an der russischen Grenze aufmarschieren. Sofort nach der Vertreibung der Sachsen aus Kurland wollte Karl XII. gegen Pskow marschieren ... So zwang der uneinsichtige, vernünftigen Argumenten verschlossene absolutistische Herrscher Schwedens seine Gegner in eine neue Allianz, mußten seine Generäle und Soldaten weiter warten, bis sie daheim von den Mühen des Winters ausruhen, Erworbenes genießen konnten. August von Sachsen-Polen und Zar Peter festigten auf Schloß Birsen in Samogitien am 16. Februar 1701 ihr Bündnis, das nun zum Kampf ums Überleben beider Herrscher wurde. Zwischen 15 - 20 000 russische Soldaten versprach der Zar dem Sachsen, hielt diese Zusage auch. Hohe Geldsummen wurden dem sächsisch-polnischen Herrscher und dem Kardinal-Primas von Polen aus der Zarenkasse angewiesen.
"Von hier ist nichts besonders Wichtiges zu berichten, außer daß wir ... jeden Ort niederbrennen lassen, wo sich der Feind sehen läßt. Neulich habe ich eine ganze Stadt eingeäschert und die Bürger aufgehängt." Brief Karls XII. an Generalleutnant Rehnsköld vom August 1703
Sechs Jahre Krieg in Polen Am Morgen des 9. Juli 1701 krachten wieder Salven sächsischer und schwedischer Geschütze, verhüllten Pulverdampf und Rauch die Schanzen hüben und drüben des Dwinastromes bei Riga. Im Frühnebel, um 4.00 Uhr, begann Kar! XII. den Tag auf seine Weise, entflammte der Krieg von neuem. Mit 195 Schiffen, großen und kleinen Kähnen, setzten etwa 6 000 bis 7 000 Schweden mit ihrem königlichen Feldherrn über die Dwina. Zwölf kanonenbestückte schwimmende Festungen auf großen Prahmen sicherten den gefahrvollen Angriff auf die sächsischrussischen Stellungen auf der kurländischen Seite des Flusses. Etwa 9 000 sächsische Infanteristen unter den Generälen Otto Arnold Paijkul und Adam Heinrich von Steinau und knapp 18 000 russische Soldaten, geführt von Fürst Anikita Iwanowitsch Repnin, verteidigten gut ausgebaute Stellungen. Ein erfolgreicher Flußübergang schien nahezu ausgeschlossen. Selbst mit 300 000 Mann könne Kar! hier nicht angreifen, meinte noch am Abend des 8. Juli der Herzog von Kurland im sächsischen Lager. Karl XII. hatte den Schlag gegen die Verbündeten sorgfältig vorbereitet. Seine Regimenter waren durch Verstärkungen aus der Heimat um etwa 10 000 Rekruten aufgefüllt worden. Als die Armee am 17. Juni 1701 aus ihrem Sammellager Dorpat aufbrach, hatten Feldmarschall Dahlberg und Generalquartiermeister Stuart bei Riga Kähne gesammelt, eine Schwimmbrücke vorfertigen lassen und den exakten Operations-
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plan erarbeitet. Es galt, 18 000 Schweden zu einem vernichtenden Schlag über den Fluß zu bringen, Sachsen und Russen in ein schmales Gebiet zwischen Meer und Dwina zu drängen, dort aufzureiben, den Feldzug gegen Zar Peter durch die Vernichtung seines sächsischen Alliierten vorzubereiten. Karl XII. hatte vieles getan, um Feldmarschall Steinau, den gegnerischen Oberkommandierenden, möglichst lange im Ungewissen über Ort und Zeitpunkt des Angriffs zu lassen. Noch am Abend des 6. Juli tauchte schwedische Kavallerie vor der Festung Kockenhusen- meilenweit von Riga entfernt - auf, lenkte der König scheinbar seine Truppen dorthin. Doch dann schwenkten die Schweden überraschend nach Norden ab, hetzten an einem einzigen Tag bis Riga, standen am Abend des 7. Juli im Schutze der stärksten baltischen Festung Schwedens. Schwerer Wellengang am 8. Juli verhinderte den Überraschungschlag. Steinaugewann Zeit, von Kockenhusen das Gros der dorthin kommandierten sächsischen Kavallerie heranzuführen. Aber auch jetzt war Karl XII. wieder der Schnellere! Der Alarm weckte Paijkuls Artilleristen erst, als die Landungsflottille bereits in der Flußmitte ruderte. Sofort eröffnete Rigas schwere Festungsartillerie eine furchtbare Kanonade auf die sächsischen Linien, erschwerte so die Aufstellung der Regimenter General Paijkuls. Nachdem sich die ersten schwedischen Bataillone unter der persönlichen Führung ihres jungen Herrschers in der kurländischen Erde festgekrallt, spanische Reiter zwischen sich und den Sachsen aufgerichtet, dem ersten Gegenstoß sächsischer Kürassiere die gefürchteten langen Piken entgegengestemmt hatten, brachten die schwedischen Pioniere die Schiffsbrücke in die bewegte Dwina aus, sammelte Karl XII. seine Reiterei für den entscheidenden Schlag. Schon war der erste sächsische Angriff abgewehrt, zog sich Fürst Repnin sofort kampflos und hastig zurück, waren die Sachsen ein zweites und drittes Mal vorgerückt, wankte der schwedische rechte Flügel für einen Augenblick. Doch retteten die wenigen, bereits in Booten übergesetzten berittenen Gardeschwadronen und eilig herangeführte Infanterieverstärkungen die schwedische Linie. Daher zog der verwundete Steinau nach einem weiteren erfolglosen Ansturm auf die Schweden seine Truppen geordnet zurück.
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Nun sollte der schwedische Vernichtungsstoß folgen! Karls XII. Kavallerie mußte die zurückweichenden sächsischen Regimenter nach Norden zwischen Meer und Fluß zusammenpressen, den Gegner in Panik versetzen, die fliehenden Russen erreichen und vernichten. Aber der Wind riß die Schiffsbrücke auseinander, trieb Teile der Konstruktion schnell am vorgesehenen Landungsplatz, am Schlachtfeld vorbei, zwang Karl XII. erneut, in den wenigen Booten weitere kleinere Kavallerieeinheiten über den Fluß rudern zu lassen. Gegen 7.00 Uhr morgens war die Chance dahin, hier an der Dwina den Krieg zu entscheiden. Steinaus Sachsen waren nicht mehr zu vernichten, räumten in den nächsten Wochen Kurland, zogen sich in geschlossenen Marschkolonnen hinter die polnischen Grenzen in Preußen zurück. Wieder hatten Karls Truppen größere Mengen an Lebensmitteln und Waffen erbeutet, wie Oberstleutnant Jon Stälhammar seiner Ehefrau auf dem Gut Salsta schrieb. Aber wirklich gewonnen war nach Meinung des Königs auch diesmal nichts. Karl XII. hatte erneut nicht nachdrücklich mit Vetter August "reden" können ... Und auch jetzt plädierten alle Vertrauten des Schwedenkönigs für einen guten Frieden mit August. Hatte man doch nun auch noch Kurland erworben, galt es, Schweden auf diese Weise abzurunden, die Beute aufzuteilen. Das war doch der Sinn des Krieges, was galt da Rache an August, was sollte ein totaler Sieg über die Sachsen. Generäle und Kanzleiräte wollten ihren Anteil am Sieg. Dieser Friede, so glaubten sie, sollte sehr ergiebig sein, gerade jetzt, nach dem neuerlichen Triumph. Verwirrt mußten alle erfahren, daß Karl XII. den Krieg gegen den König von Polen auf polnisches Gebiet tragen, den Feldzug gegen Rußland aufschieben wolle. Als Ende Januar 1702 die schwedische Armee aus den mageren kurländischen Winterquartieren aufbrach gegen Süden ins Polnisch-Litauische, da klagte auch General Stenbock verzweifelt, nur Gott allein wüßte, "wie wir da wieder herauskommen sollen" (Aberg, 99). Nein, ein Krieg gegen Polen und den bereits gedemütigten August konnte keinen Gewinn bringen, mußte Ärger bedeuten, der Mehrheit der beutegierigen hohen schwedischen Offiziere sinnloser Tod erscheinen. Und völlig unverständlich die neue Forderung des Königs nach Absetzung König Augusts! Karl XII. hatte tatsächlich ein Schreiben des Kardinalprimas, des höchsten Beamten der polnischen Adelsrepublik, mit Friedensvorschlä-
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gen König Augusts am 30. Juli 1701 mit der Forderung beantwortet, "den König in Polen zu nöthigen, von dem Throne herunter zu steigen, dessen er sich dadurch unwürdig gemacht, weil er die Gesetze und beschworenen Verträge gebrochen habe" (Nordberg, I, 271 ). Im übrigen sei die "Republik" Schweden zu Dank verpflichtet, wenn dieses sie von einem Herrscher befreie, der die Freiheiten und Rechte des polnischen Adels verletze. Nahezu alle Historiker stimmen überein, daß Karls XII. Polenpolitik dem Zaren die notwendige Reorganisation der russischen Armee ermöglichte. Es scheint, als war sich Karl XII. bewußt, daß Peter der gefährlichere Gegner war. Weniger sicher ist man sich heute, welche Hoffnungen der schwedische König mit dem Einmarsch in Polen verband, warum er sich mit dem sinnlosen Entschluß zur Absetzung Augusts selbst die Hände band, in einem jahrelangen Marsch kreuz und quer durch das polnische Riesenreich den Feind jagte. Polen war noch immer ein gewaltiger territorialer Komplex, trotz bedeutender Landeinbußen seit dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Aber es war "ein Reich, das aufgehört hatte, ein Staat zu sein" (Bengtsson, 138). Sicher trifft es nur formal zu, daß die Adelsrepublik ein Reich von "200 000 erblichen Souveränen" war (Bengtsson, 139). Vielleicht haben sich die meisten polnischen Adligen als solche gefühlt, säbelrasselnd, sich wieder und wieder befehdend, ohne sonderlichen Aufhebens sich auch gegenseitig liquidierend, so der eine dem anderen zu nahe kam, dessen individuelles Fühlen einer "Freiheit" verletzte. Und doch reduzierte sich die Souveränität letztendlich auf eine Gruppe Magnaten, die ihre adligen Parteigänger mehr oder weniger deutlich dirigierten. Vermindert man daher die Zahl der "Souveräne" ganz erheblich, bleibt doch die Feststellung der polnischen Historiographie unbestritten, in "der Adelsrepublik herrschte Anarchie" (Polen, 88). Die Mehrheit des polnischen Adels - immerhin fast zehn Prozent der Bevölkerung verteidigte energisch "solche grundlegenden, unantastbaren Rechte wie die freie Königswahl und das Liberum Veto" (Polen, 88). Wohl schon den Zeitgenossen in ganz Europa war das berühmte Veto-Recht ein mehr als umstrittenes Recht. Den einen erschien es Ausdruck höchster Freiheit, des adligen Standes, versteht sich, den anderen war es schon damals Anarchie! 1652 hatte erstmalig ein einzelner Abgeordneter des adligen Reichstages, des Sejm, durch seinen Einspruch die Auflösung des polnischen Reichstages erzwungen. "Heilig" war natürlich vor allem dem niederen Adel "das Prinzip der Gleichheit
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aller Mitglieder des Adelsstandes" (Polen, 88) und das Recht der direkten Wahl des Königs. Dafür hob man schon von Zeit zu Zeit auch mal die Waffen gegen den einen oder anderen Magnaten. In der Regellösten aber einzelne oppositionelle Adlige durch ihr Veto den Reichstag oder Provinzialsejm nur in Absprache mit ihrem jeweiligen Magnaten auf. Diese Magnaten stützten sich auf umfangreiche Ländereien, kommandierten eigene Armeen und lenkten ihren abhängigen niederen Adel. Stolz auf ihre Unabhängigkeit und unveräußerlichen Rechte waren sie allemal, Magnaten und kleine adlige Herren, reagierten empfindlich auf Eingriffe in diese Welt. Mag sein, daß Karl XII. in seiner Ablehnung ihm unverständlicher Rechte und Strukturen nicht bereit war, die Einwände seiner Berater zu akzeptieren, mit Polens Adel ebenso souverän verfahren wollte wie mit der schwedischen Ritterschaft. Seinen Vertrauten mußte es in der Tat gruseln! Da bot sich der absolutistische Herrscher Karl XII. den polnischen "Adelsdemokraten" als Partner zum Kampf gegen den nach absolutistischer Herrschaft in Polen strebenden sächsischen Kurfürsten an. Fast konnte es scheinen, als glaubte Karl XII. selbst an seine patriotisch gefärbten Appelle an den polnischen Adel, hätte vergessen, daß Augusts Wahl vor allem eine Geldfrage gewesen war, Geld, sehr viel Geld nur, den Sachsen auch wieder stürzen konnte. Und Geld, das nun hatte der Schwedenkönig gerade nicht. Das wiederum wußten nicht nur seine Ratgeber! Noch einmal meldete sich warnend aus Stockholm der alte Graf Oxenstierna. Ein Einmarsch in Sachsen sei ausgeschlossen, würde einige deutsche Fürsten aktivieren und Schweden müßte neue Gegner niederringen, ohne wesentliches gewinnen zu können. Ein Krieg mit Polen mußte Dänemark und Kurbrandenburg ermuntern, damit hätte Schweden gefährliche Feinde zu besiegen, bemerkte der Ratspräsident weiter. So würden "die schwedischen Völker ... von einer Landschaft in die andere marschieren, und dadurch, wie auch durch Krankheiten ... aufgerieben werden" (Nordberg, I, 319). Noch gefährlicher sei die Forderung nach Augusts Absetzung. Besser wäre doch nun wahrlich der Gewinn von Kurland und Polnisch-Livland für Schweden. Karl könne den Krieg mit diesen Erfolgen beenden undTeile der Armee an England und Holland vermieten. Mit weiteren Kontingenten solle Schweden dann Rußland angreifen, sich später vielleicht erneut gegen August und Polen wenden. Jetzt gelte es, Rußland zurückzudrängen, das "sonst die Oberhand behalten; alles verwüsten, die Städte in Liefland angreifen" werde (Nordberg, I, 320).
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Das waren nun wahrlich prophetische Worte, formuliert, ohne daß einer ein Seher sein mußte. Das hatte der bisherige Kampfverlauf deutlich gezeigt, sollte auch König Karl XII. verstehen müssen. So hatte dann auch Graf Piper kurze Zeit später in einem Memorandum äußerst freimütig an seinen Herrscher appelliert. Eine Entthronung sei eine grundsätzlich unmoralische Sache, hatte der Rat geschickt formuliert, wohl wissend, wie überzeugt sein junger Monarch an der göttlichen Legitimität der Monarchie festhielt, andererseits aber geltend machte, August sei lediglich erwählt und folglich nicht von Gottes Gnaden. Deshalb hatte Piper sich auch schnell konkreten Fragen zugewandt. Wie wolle der Monarch, falls er August gestürzt habe, einen eigenen Kandidaten auf dem polnischen Thron halten ohne ständige Präsenz einer schwedischen Armee in Polen? GanzEuropa würde Schweden "alS' eine komische Sorte Volk" betrachten, das einen aussichtslosen Krieg in einem fremden Land führe, derweil die eigenen Lande von den Russen verwüstet wären. Und Piper wagte sogar einen Angriff auf Karls stärkste moralische Bastion, die steif und fest verteidigte Behauptung einer alttestamentarischen Racheverpflichtung gegen den Verräter August, gegen den Glauben des Herrschers an die Gerechtigkeit eigenen Kampfes. "Ist es wirklich wahre Christenpflicht, einen unverständlichen Haß gegen einen Feind zu pflegen, der seinen Fehler eingesteht und bereit ist, nicht nur Wiedergutmachung für das Vergangene zu leisten, sondern auch Sicherheit für die Zukunft zu geben ... Eure Sache kann nicht länger gerecht sein in den Augen eines gerechten und gütigen Gottes." Wahrlich mutige Worte, denen Piper noch hinzufügte, Karl würde sich zu Unrecht weiter schmeicheln, "daß Gott länger an seiner Seite sei" (Bain, 109). Schon hatte sich deutlich gezeigt, daß der russische Widerpart in Ingermanland und Livland nicht länger im Vertrauen auf Gottes Hilfe durch total unterlegene schwedische Verbände zu bezwingen war. Kaum war Karl XII. mit einer kleinen Streitmacht in Litauen eingefallen, hatte sich in einem sinnlosen Kleinkrieg mit polnischen Gegnern geschlagen, das Gros seiner Armee am 1. Dezember 1701 in Kurland in Verwirrung und Unruhe zurücklassend, um plötzlich tief befriedigt, am 30. des Monats zurückzukehren und so zu tun, als sei nichts gewesen, da traf die erste wirklich schwere Unglücksbotschaft ein, General Schlippenbach war an diesem 30. Dezember von Scheremetjew nahezu völlig aufgerieben worden. Zur gleichen Zeit hatte ein eilig nach Warschau einberufener Sejm August zwar Kummer und Verdruß bereitet, absetzen aber wollten die polnischen Adligen ihren erwählten Herr5 Findeisen
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scher keineswegs. Sie gehorchten weder dem Sachsen noch dem Schweden. Solches ließ August noch stärker geraten sein, den Frieden mit König Karl zu suchen, Zar Peter und dessen Freundschaft als wenig nützlich zu empfinden. Kein Wunder, daß Graf Piper immer wieder entschieden für ein vorteilhaftes Abkommen mit dem König von Sachsen-Polen eintrat. Doch hatte ihm Karl XII. einige Monate nach dem Einmarsch in Polen bestimmt entgegengehalten, wenig überzeugend zwar, doch offenbar selbst so denkend, König August in Polen bleibe immer ein sicherer Feind der Schweden, "das erste, wenn der Friede geschlossen würde und wir gegen Rußland zögen, wäre, daß er russische Gelder annehmen und uns in den Rücken fallen würde, und dann wäre unser Unternehmen noch gewagter als jetzt. Was Livland währenddessen leidet, soll durch gewisse Freiheiten und Privilegien gesühnt werden, wenn uns Gott einmal Frieden gibt" (Bengtsson, 165). Leider existieren nur wenige Quellen, die Aufschluß über Karls XII. Gedanken und Empfindungen in diesen entscheidenden Tagen geben. Seinem Vertrauten hat er jedenfalls trotz dieser offenen Worte seine Gunst nicht entzogen. Er hat ihn angehört und dann seine Entscheidung getroffen, ein absolutistischer Herrscher, der an Augusts Friedensbereitschaft nicht glauben wollte! So mußte Livland weiter leiden, obwohl "Gott und König August" damals offenbar zum Frieden bereit waren. Vor allem König August schien gerade in diesen Wochen so gar nicht zu weiteren Kriegstaten gegen den rachegierigen Vetter aus Schweden aufgelegt, Schlimmes hatten ihm seine Polen auf dem Warschauer Reichstag angetan. Worte waren gefallen, die August in Sachsen niemals hörte und wohl auch kaum geduldet hätte. Man hatte seinen Krieg ungebührlich scharf verurteilt, war nur bereit gewesen, seine Friedenswünsche auch von Seiten des Sejm durch eine Gesandtschaft in Karls Feldlager in Kurland zu unterstützen. Wenigstens hatte die Mehrheit der anwesenden Herren vom Adellautstark versichert, Karl XII. würde durch seine Absetzungsforderung nur erreichen, daß die Polen Blut und Leben für ihren selbst erwählten König opferten. Das mochte König August die insgesamt doch recht bitteren Wahrheiten ein bißeben versüßen, sollte König Karl XII. vor unbedachten Aktionen warnen, hatten doch auch König Wilhelm von England und der Kaiser, jeder aus sehr eigennützigen Gründen, gerade noch einmal zum Frieden gemahnt. Und doch, wieder einmal entschied der junge souveräne schwedische Herrscher alles ganz anders. So ersann König August ein weiteres
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Mittel. Was weder freundlich warnende Botschaften anderer Monarchen, Oxenstierna noch Piper erreichen konnten, sollte die schöne Aurora von Königsmarck, einst die Geliebte des Sachsen, nunmehr erzwmgen. Sicher sollte man mit einem nachsichtigen Lächeln über die zahllosen Legenden um Augusts amouröse Abenteuer und die vielhundertfache Vaterschaft des "starken Sachsen" hinwegsehen. Es bleiben aber, ganz im Geiste jenes Zeitalters, einige berühmte Mätressen des auf diesem Felde offenbar recht eifrigen und erfolgreicheren Dresdners. Unter ihnen steht zweifellos Maria Aurora von Königsmarck, die erste in der Reihe der Favoritinnen, als eine der schönsten und klügsten Damen, die für kurze Zeit Zuneigung und Gunst des Kurfürsten und späteren Polenkönigs genossen. Immerhin fand sie der schnell wieder desinteressierte August mit der einträchtigen Stelle einer Pröbstin des weltlichen Damenstifts Quedlinburg ab. Auf die Dauer gesehen, schien dieses Amt der geschäftstüchtigen Schwedin denn so gewinnabwerfend auch wieder nicht. So brach die Reichsgräfin Ende 1701 nach Warschau auf. Nun keineswegs, um dort König August an vergangeneTageund fröhliche Spiele zu erinnern, nein, sie wollte weiterreisen ins königlich-schwedische Winterquartier Würgen in Kurland. Dort wünschte sie mit Graf Piper finanzielle Forderungen der Familie Königsmarck zu diskutieren, höchstpersönlich auch ihrerseits einen Anteil am schwedischen Kriegserfolg zu sichern. Die schöne Aurora, die noch Voltaire als die "berühmteste Frau zweier Jahrhunderte" feierte (Bain, 96), galt Anfang des 18. Jahrhunderts als immer noch schön und bemerkenswert klug. Sie hatte August 1694 gewonnen, ihm Ende 1696 den späteren Grafen Moritz von Sachsen geboren, der im Dienste Ludwigs XV. als Marschall von Frankreich und Held der Pariser Damensalons berühmt wurde. August hatte seinen Sohn legitimiert ... Auch sonst fühlte sich die schöne Gräfin dem Polenkönig zu Dank verpflichtet. Schnellließ sie sich in Warschau von dem früheren Gönner überzeugen, daß hier auch für sie noch mehr zu gewinnen war. Sie entschloß sich, Karl XII. in einer sehr persönlichen Audienz einen Frieden abzuringen. Notfalls sollte die Königsmarck, so ihr "Ringen" weniger erfolgreich sein würde - kaum vorstellbar für König August und die Reichsgräfin -, alle Forderungen Karls XII. akzeptieren. Erst einmal Ruhe wollte der aufgeschrecke Monarch in Warschau gewinnen. Wen dürfte es später verdrießen, müßte er alles widerrufen, was Aurora freigiebig versprechen würde. Der Frauen
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Worte galten nun einmal jenseits kaminbeheizter Räume und verheißungsvoller Kissenpracht nicht viel in jener Zeit. Die Historiker wissen kaum etwas über konkrete Vorschläge, die Aurora von Königsmarck zu überbringen hatte. GrafPiperund General Rehnsköld schienen sie aber erwägenswert. Beide konnten für ein Treffen Auroras mit König Karl XII. gewonnen werden. Und das nun keineswegs auf jene Weise, in der Aurora seinerzeit den Moritz und später das Quedlinburger Amt "empfing". Doch schienen Piper und Rehnsköld ihren Monarchen treffender beurteilt zu haben als der Vetter aus Sachsen ... sie ließen die Gräfin um .eine Audienz bitten. Und Aurora bat, vergebens das erste Mal als offizielle Botin König Augusts! Sie schrieb ein zweites Mal, herzlicher, gewinnender, bat um eine Privataudienz bei dem jungen Helden. Hatte sie doch erst kürzlich ihm einige Zeilen eines Gedichtes gewidmet, beklagend, daß er so gar keine Neigung zeigte, die Herzen der Frauen ebenso zu attackieren wie die Stellungen seiner dänischen, russischen und sächsischen Gegner. Befremdet und wohl auch verwirrt mußte die schöne Frau erfahren, daß der sonderbare Jüngling auch diesmal ablehnte. Aurora, energisch und selbstbewußt, entschied sich für ein Duell "mit ihren Waffen". Im "Handstreich" wollte sie den jungen Monarchen erobern, wenigstens durch ihr Lächeln ein Gespräch erzwingen ... Als sie an jenem Januarmorgen aus ihrer Kalesche stieg, wagte sie das Äußerste. Karl XII. ritt auf seinem täglichen Galopp auf dem engen, schlammigen Weg heran, hier mußte er sie bemerken, würde halten müssen. Im Hofknicks verharrte sie, vertrauend, daß König Karl XII. als Kavalier gezwungen sei, nunmehr einige Worte mit ihr zu wechseln. Dieser aber ritt wortlos vorbei, lüftete lediglich artig den Hut.... Karl XII. traf eine der schönsten Frauen so tief in ihrem Selbstbewußtsein, daß Aurora von Königsmarck wenig später abreiste. Hier war nun wirklich nichts zu erreichen! Und es war auch wirklich Zeit für sie. Karl XII. war tief verärgert ins Lager zurückgekehrt. Ein scharfer Befehl beorderte alle fröhlich liebespendenden Frauen im Troß zu einer Strafpredigt zusammen, dann ließ sie der König aus der Zeltstadt vertreiben. Das war nun wahrlich ein deutlicher Wink, bezeugte Karls XII. Urteil über die ehemalige Mätresse August des Starken, zeigte, wie schlecht der Polenkönig beraten war, ausgerechnet Schwedens Herrscher einen solchen Friedensengel zu senden. Den Ausgang dieser Mission bedauerten ganz sicher nicht nur Piper, Rehnsköld und andere höhere Offiziere und Beamte. Die Mehrheit der
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schwedischen Offiziere und Soldaten erlebte nun für die nächste Zeit den Soldatenalltag noch trostloser, als es der ständige Mangel an Verpflegung und warmer Unterkunft ohnehin mit sich brachte. Seither aber blühten die Legenden vom frauenfeindlichen Heldenkönig endgültig. Man wußte schon, daß König Karl hier keineswegs spaßte. Schon früher in Schweden hatte der junge Monarch einen Gardesoldaten zum Tode verurteilen lassen, weil dieser als verheirateter Mann die Frau eines anderen Soldaten besessen hatte. Johan Sehröder war "schuldig der doppelten Hurerei" mit Kerstin Persdotter befunden und trotz der Einwände aller königlichen Ratsmitglieder erschossen worden (Aberg, 81). Ja, Karl XII. war offenbar weder durch militärische noch solche "weiblichen" Waffen zu besiegen! In seiner Verzweiflung sandte König August noch einen Diplomaten mit reichlich bemessenen Bestechungsgeldern für Generäle und hohe Beamte - durchaus üblich in jener Zeit - ins schwedische Lager. Sollte Karl XII. dann eben mit einem Mann verhandeln, wenn er das so wollte! Schnell zeigte sich, daß dieser auch das nicht wollte . .. Er ließ den Grafen und Kammerherrn Vitzhum von Eichstedt, Augusts Sondergesandten, verhaften und nach Riga in die Festung bringen. Da war nun, Ironie Karls XII., ein sächsischer Würdenträger dort, wohin kurze Zeit vorher die ganze sächsische Armee drängte. Und weitere Sachsen sollten folgen, jedenfalls war Schwedens König nicht abgeneigt, auf diese Weise Augusts Initiativen zu vergelten. Vitzhums Papiere wurden beschlagnahmt, der vorerst letzte ernsthafte Friedensversuch des Sachsen auf dem polnischen Thron war damit gescheitert. Karl XII. wollte keinen Frieden. Am 24. Januar 1702 marschierte er mit der gesamten Armee ins litauische Samogitien, sammelte vor Kaunas seine Truppen zum Vorstoß auf Warschau. Am 23. März lenkte der schwedische König seine Soldaten ins Innere Polens. Der Krieg sollte durch eine Entscheidungsschlacht gegen König August rasch beendet werden. Doch es wurde ein langer Krieg, zeitlos in den Weiten der verschiedensten Landesteile geführt, gegen einen Feind, der immer wieder unterlag, stets von neuem sich sammelte, ein Krieg, der mehr und mehr zum Volkskrieg der polnischen Adligen und Bauern gegen den schwedischen Eindringling wurde. Es war eine merkwürdige Armee, die Karl XII. nach Warschau führte. Wohl nicht zu unrecht nannte der Kardinal-Primas den halsstarrigen
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König von Schweden jetzt einen "modernen Attila" (Bain, 98). Ein Augenzeuge im Lager der polnischen Friedenspartei beschrieb Karls Armee als Vorbeimarsch von "16 000 bedauernswerten, halbnackten, schlechtgenährten Lumpenkerlen mit zu Schanden gerittenen Pferden und ohne Artillerie, aber unübertroffen in Ausdauer und kriegerischer Tapferkeit" (Bain, 98). Und diese Armee befolgte ohne Murren und Lamentieren die Befehle ihres jungen Königs, stand bis in die unteren Chargen in der Regel überzeugt hinter dem jungen Feldherrn. T atsächlich sah der König so viel anders nicht aus wie seine Soldaten. Er unterschied sich auffallend von den wohlgenährten, prachtvoll uniformierten Generälen. Im einfachen praktischen Soldatenmantel, gewaltigen Stulpenstiefeln und Handschuhen, mit einem riesigen Degen an der Seite, ohne die übliche Perücke, ritt der Monarch inmitten seiner Garde, teilte mit den Soldaten die Mühen des Lagerlebens. Verständlich, daß der einfache schwedische Soldat diese Haltung seines Königs befriedigt registrierte. Während die Mehrheit der höheren Offiziere in beheizten Holzhütten im kurländischen Quartier den Winter verbrachte, lebte Karl XII. in einem einfachen Zelt im Heerlager. Nur manchmal erwärmten die Lakaien des Königs in der grimmigen Kälte das Zelt durch über offenem Feuer erhitzte Kanonenkugeln, die sie ins Zelt schleppten. Und gut begreiflich die Freude der schwedischen Gemeinen, wenn König Karl XII. von Zeit zu Zeit mit launiger Geste die Fenster der Offiziershäuser zertrümmerte, Schneebälle hineinwarf, damit auch die höheren Dienstgrade der Kälte ausgesetzt seien. Und sicher war es vielen Soldaten auch bekannt, daß der Herrscher von seinen Offizieren prinzipiell erwartete, sie sollten zunächst als Gemeine im Heere dienen. Wer von der Pike auf die Strapazen der Soldaten ertragen müßte, verstünde sie später als Heerführer besser. Dem Grafen Piper soll Karl XII. einmal erklärt haben, "wenn ein solcher junger Adliger sofort Offizier wird, hat er kein Verständnis für den gemeinen Mann. Wenn er aber selbst einmal als Gemeiner dienen mußte, Wache schieben und auf Außenposten stehen, dann weiß er, was der Gemeine leisten muß" (Bengtsson, 40). Auch das ist möglicherweise eine Legende, geschickt ausgestreut vom Grafen Piper, gedacht, Karls Verbundenheit mit seiner Mannschaft noch stärker zu dokumentieren. Und doch begannen die meisten schwedischen adligen Offiziere ihre militärische Laufbahn in der schwedischen Armee tatsächlich als einfache Soldaten. Und der Rat des Königs, Graf Piper, liebte dessen martialisches Gebaren keineswegs, verzichtete weder auf Perücke noch Fouragetreck, lag auch nie mit der Mannschaft
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im Schlamm. Es gibt also wenig Grund, Pipers Äußerungen anzuzweifeln. Während Karl XII. seine Generäle in Warschauer Adelspaläste einquartierte, bezog er selbst ein kleines Haus im Vorort Praga, dessen Räume nicht einmal tapeziert waren, wie die königliche Umgebung bestürzt bemerkte. Karl XII. hat sich in der Tat als Vater seiner Armee gefühlt, hat ihr überall und immer auf Kosten des Feindes und der Zivilbevölkerung die notwendige Verpflegung und Unterkunft zu sichern gesucht. Warschau, das sich bereits am 14. Mai 1702 kampflos ergab, mußte 30 000 Reichstaler zahlen. "Die Schweden können nicht von Wind und Wetter leben, und die Polen müssen sie erhalten, weil sie für sie gekommen sind", ließ Karl XII. den Verantwortlichen Warschausauf deren Klagen mitteilen (Bain, 99). Sehr bald zeigte sich, daß die Mehrheit der Polen wenig Wert auf die Ankunft und "Hilfe" der Schweden gegen König August legten und schon gar nicht bereit war, sie mit dem ihrigen wenigen zu unterhalten. Immer häufiger mußten größere Fourageabteilungen der schwedischen Armee in bisher unberührte Landesteile rücken und gewaltsam Lebensmittel und Geld eintreiben. Karl XII. erwies sich erneut als ein "Attila", der rücksichtslos denUnterhalt aus der Zivilbevölkerung pressen ließ. Seine Generäle und Regimentskommandeure wies er an, durch grausamen Terror die Zahlungsunwilligen zu entsprechender Leistung zu zwingen. Und fast immer traf es unschuldige Bauern und Bürger. Auch die heutige schwedische Historiographie vermerkt mit spürbarem Unbehagen das Massaker von Nieszawa. Im August 1703 ließ Karl XII. diese kleine Stadt südlich von Torun niederbrennen und ihre unschuldigen Bürger als Vergeltung eines Überfalls auf eine schwedische Abteilung in diesem Gebiet hängen. Offensichtlich befriedigt vermeldete er diese Maßnahme im Plauderten an General Rehnsköld. Es sei "nichts besonders Wichtiges zu berichten, ausser das wir uns ganz brav befinden und auch jeden Ort niederbrennen, wo sich der Feind sehen läßt. Neulich habe ich eine ganze Stadt eingeäschert und die Bürger aufgehängt" (Carlson, 249). Schon Carlson hatte 1894 die "schonungslose Härte und Gleichgültigkeit gegen die Leiden Anderer" aus den Briefen Karls XII. herausgelesen. Und er hatte als gewissenhafter Historiker weitere entsprechende Anordnungen des Königs anführen müssen bis zu der Forderung, daß "auch das Kind in der Wiege nicht geschont wird". Solche "barbarischen Anordnungen", wie Carlson kritisch vermerkte, stießen selbstverständ-
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lieh auf den Protest aller Verehrer Karls XII. Sie wären ihnen, faßte der Herausgeber der Briefe Karls XII. seinerzeit zusammen, "so unglaublich" vorgekommen, daß sie "die betreffenden an Rehnsköld gerichteten Briefe einfach für unecht" erklärten. Doch gäbe es keinen Zweifel, es waren Karls Befehle. Und Carlson fügte noch hinzu, es sei "nicht bloß das Bestreben, sein Heer auf Kosten eines fremden Landes zu verpflegen" gewesen, noch dominierender waren Karls politische Absichten, die ihn bewogen, Polen derart auszusaugen, seine Bewohner zum äußersten Widerstand zu reizen, "den Krieg bis ins Unendliche zu verlängern, das Land zu ruinieren". Karl hatte sich so daran gewöhnt, "den Krieg als eine Art Sport zu betrachten", daß er manchmal sein Hauptziel aus dem Auge verloren habe, einen schnellen Erfolg in Polen zu erreichen, dann Rußland zu schlagen (Carlson, XXXIV ff.).
Ja, es mag schon zutreffen, daß Karl den Krieg um des Kriegeswillen führte. Auch Peters hat in seiner Wertung der Polenfeldzüge Karls XII. geurteilt, das "Kriegsmilieu der Gefühllosigkeit und Barbarei" hätte die geistigen Anlagen des jungen Herrschers verkümmern lassen. Eine "fast infantile Freude" habe ihn wieder und wieder zu Scharmützeln und sonstigen Gelegenheiten bewogen, "den Feind ein wenig auszuklopfen" (Peters, 148). Gewinnen konnten er und Schweden wenig aus solchen Aktionen. Und dieser Krieg war nach der Besetzung Warschaus wiederum günstig für Schweden zu beenden. Erneut boten alle dem Sieger den Frieden an. Der Kardinal-Primas hatte auch im Namen des nach Krakow geflohenen Augusts vorteilhafte Friedensvorschläge zu unterbreiten. Und auch diesmal plädierten die Generäle und Minister Karls XII. für den Frieden mit großen Sicherheiten für Schweden, baten ihren Monarchen, den Gedanken an eine Absetzung des Polenkönigs fallenzulassen. Und ebenso halsstarrig hielt Karl XII. an seiner Entscheidung fest, "selbst, wenn sich die ganze Republik in Waffen erhöbe gegen ihn" (Bain, 100). Weiter marschierten die schwedischen Truppen. Nun führte sie ihr König nach Krakow. Neue Verstärkungen aus Pommern waren auf dem Marsch. General Niels Gyllenstierna brachte acht Regimenter heran, etwa 5 000 Soldaten nahten aus Litauen unter den Generälen Karl Gustav Mörner und Stenbock. Da traf im schwedischen Generalstab die Nachricht ein, König August und sein General Graf Jakob Heinrich von Flemming marschierten von Krakow aus der schwedischen Armee entgegen. Etwa 20 000 Sachsen hätten beim Dorf Kliszow in Südpolen befestigte Stellungen bezo-
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gen. 6 000 Polen unter dem Kronfeldherrn Hieronimus Lubomirski sollten zur Verstärkung ihres Königs auf dem Marsch nach Kliszow sem. Sofort beschleunigte Karl XII. das Marschtempo seiner kleinen Armee, um am 7. Juli 1702 etwa zehn Kilometer vor Augusts Lager zu verhalten. Ein Disput zwischen dem König von Schweden und seinen hohen Offizieren brachte der Armee eine notwendige Ruhepause. Graf Piper hatte schlau erinnert, eine kurzeVerzögerungdes Angriffs brächte nicht nur Mörners Regimenter zur schwedischen Hauptarmee, sondern vor allem die Chance, den Jahrestag des Sieges an der Dwina durch einen neuen entscheidenden Schlag gegen August zu krönen. Was für ein Genuß, den Polenkönig mit Mann und Maus genau ein Jahr nach der erfolgreichen Flucht der Sachsen gefangen nehmen zu können ... Piper hatte richtig gerechnet. Diesem Argument verschloß sich auch der ungeduldige Karl nicht. "Hungrige Hunde beissen gut", soll er seinen Generälen entgegengehalten haben (Bengtsson, 149), gleichzeitig bedeutet haben, die Idee eines entscheidenden Schlagesam 9. Juli gefiele ihm ausnehmend gut, er wolle so das Verlorene von der Dwina mit einem neuen Hieb zurückgewinnen. Diesmal solle ihn keine fehlende Brücke von Augusts Sachsen trennen. Der Warnung, seine kleine Armee verfüge nur über vier Geschütze, die Sachsen dagegen über einen gewaltigen Artilleriepark, setzte er mit der ihm eigenen Unbekümtp.ertheit und Furchtlosigkeit entgegen, man könne "bald die Artillerie des Feindes bekommen" und hätte dann mehr als nötig (Bengtsson, 150). Und dabei blieb es! Karl XII. wollte an diesem 9. Juli als Oberbefehlshaber selbst die Schlacht leiten, teilte seinem Schwager, dem Herzog von Holstein-Gottorp, und General Rehnsköld je einen Flügel zu, verbrachte die Nacht vor der Schlacht in gespannter Erwartung. Diesmal sollte sich der Krieg in Polen entscheiden. Am Morgen des 9. Juli 1702 brachen um 6.00 Uhr die schwedischen Kolonnen, trotz Mörners Regimenter nur etwa 12 000 bis 13 000 Mann stark, aus dem schwedischen Lager auf, links und rechts des Haupttreffens, der Infanterie, die schwedischen Kavallerieeinheiten. Zwischen beiden Lagern erstreckte sich ein ausgedehntes Waldgebiet, das die Schweden gegen Mittag in vier parallel marschierenden Kolonnen passierten. Als sie nördlich von Kliszow über einen Höhenrücken aus dem Waldschatten traten, sahen sie vor sich die sächsischen Feldbefestigungen. Augusts Armee hatte ihr Lager im Schutze eines sumpfigen Flusses, der Nida, und einem breiten Moorstreifen angelegt. Beim Anmarsch
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der schwedischen Truppen wurde der rechte sächsische Flügel neben einem bewaldeten Hügel formiert. Die kleine Anhöhe krönten 46 Kanonen der Sachsen, durch erdgefüllte Schanzkörbe geschützt, aus denen sofort, jedoch aus zu großer Entfernung, das Feuer auf die sich in dem Sumpfvorland sammelnden Soldaten Karls XII. eröffnet wurde. Das Zentrum und der linke Flügel der Sachsen schienen durch den undurchlässigen Morast unangreifbar. Nach kurzem Zögern vor dem langgestreckten Sumpf entschied sich Karl XII., seine Truppen parallel zu dem Moor, vorbei an dem geschützten, unerreichbar scheinenden sächsischen Zentrum und den Kolonnen des linken Flügels der Sachsen unter Feldmarschall Steinau nach links marschieren zu lassen. Etliche hundert Meter weiter, am Ende des Morastes, dem Artilleriehügel gegenüber, wollte der Schwedenkönig dann seine Truppen erneut formieren ·und mit der gesamten kleinen schwedischen Streitmacht den rechten sächsischen Flügel angreifen, den Hügel stürmen lassen. Durch sein Manöver zwang Karl XII. König August, das sächsische Zentrum näher an den rechten Flügel heranzuziehen. Schon kurze Zeit später drängten sich bedeutende sächsische Truppenkonzentrationen vor dem Hügel zusammen. Im Schutze des Sumpfstreifens blieb nur der linke Flügel unter Steinau. Überraschend für die Schweden sprengten plötzlich mit wildem Kampfgeschrei über die Hügelkämme rechts der sächsischen Artillerieposition knapp 10 000 Reiter der polnischen Kronarmee in vier Schlachtlinien hervor. Kronfeldherr Lubomirski war schneller als erwartet zu Augusts Armee gestoßen. Eine wahrlich verwirrende Situation, geschaffen, selbst erfahrene Feldherrn zu verunsichern! Gleichzeitig trommelten auch die Sachsen das Angriffssignal, rückten die Linien des rechten sächsischen Flügels den verdutzten Schweden entgegen, traf eine Falkonettkugel den Herzog von Holstein-Gottorp in die Seite. Der Kommandierende des linken schwedischen Flügels mußte tödlich verletzt vom Schlachtfeld getragen werden, der schwedische Angriff stockte. Sofort führte Karl XII. weitere Streitkräfte unter General Stenbock zur Abwehr der sächsisch-polnischen Attacke heran, stürmten seine ersten Bataillone den Hügel hinauf, warfen sich schwedische Pikaniere und Reiterei den farbenprächtigen, federbehängten polnischen Reiterschwärmen entgegen, schossen die schwedischen Musketiere, in der gewohnten Disziplin unberührt vorrückend, die erste Salve. Da erreichte Karl XII. eine neue, herunruhigende Nachricht!
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Feldmarschall Steinach revanchierte sich für Karls kühnes Manöver über die Dwina. Auch er marschierte überraschend über den Sumpf. Geschickt hatten die sächsischen Pioniere den Morast durch Faschinendämme präpariert, so Brücken geschlagen, die Karl XII. und seine Generäle nicht bemerkt hatten. Jetzt warfen sich Steinaus Reiter plötzlich von hinten, rechts und links auf die schwedische Nachhut unter dem Kommando General Rehnskölds. "Laßt sie gehen, wohin sie wollen, sie sollen bald zurückkommen", soll Karl XII. mit größter Kaltblütigkeit erwidert haben, als ihm ein Adjudant Rehnkölds die neue, gefährliche Zuspitzung des Schlachtgeschehens meldete (Bengtsson, 157). Ungerührt führte der König seine Truppen weiter gegen den Artilleriehügel, sah mit Genugtuung die polnische Kronarmee nach der ersten Salve stocken, nach der zweiten wenden und in wilder Flucht davon galoppieren. Die drohenden langen schwedischen Piken erschienen Lubomirski unüberwindlich. Er habe plötzlich das Gerücht gehört, Karl XII. und August hätten sich geeinigt auf Kosten Polens. Deshalb habe er Polen die Kronarmee erhalten wollen, verteidigte sich der Kronhetman später in Briefen an den Kardinal-Primas und vor der polnischen Adelsversammlung. So blieb General Flemming auf seine sächsische Kavallerie beschränkt, sah sich außerdem durch die Flucht der Polen in den eigenen Flanken entblößt, spürte bald den Druck der nun mit wachsender Siegeszuversicht vorwärtsdrängenden schwedischen Truppen. Auch Rehnsköld hielt stand. Obwohl fast umringt, verteidigten sich die kampferfahrenen Truppen mit den Leibtrabanten an der Spitze verbissen. Und wieder bewährte sich die schwedische Kavallerie im massiven Frontalangriff. Den in Linien heransprengenden, ihre Pistolen abfeuernden, dann seitlich wegschwenkenden Sachsen warfen sich die schwedischen Reiter in dichten Formationen mit dem blanken Säbel entgegen, ritten den Widerstand des Gegners nieder, hieben die hilflos ihre abgeschossenen Pistolen schwenkenden Sachsen zusammen, zersprengten die Verbände des schon siegessicheren sächsischen Feldmarschalls. Schließlich preschten Rehnskölds Dragoner über die Knüppeldämme ins gegnerische Lager, vorbei an den noch dampfenden Kochstellen, auf denen sächsische Bediente noch immer den Mittagsbraten für ihre Offiziere warmzuhalten sich mühten, weiter gegen das sächsische Zentrum. Hier aber versteifte sich der sächsische Widerstand. Augusts Infanterie wehrte sich tapfer, wie auch die schwedischen Sieger später bestätigten. Von ihrer fliehenden Kavallerie aufgegeben,
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war jedoch auch ihr Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit. Nach knapp vier Stunden war alles vorüber. In wilder Flucht hasteten nun auch die letzten sächsischen Verteidiger in die nahen Wälder, konnte König August nur knapp entkommen. Karl XII. hatte einen glänzenden Sieg errungen. Blieb Seeland vor allem Stuarts Verdienst, war Narwa besonders Rehnskölds Dispositionen erwachsen, mußte Kliszow uneingeschränkt Karl XII. zugeeignet werden. Alles, die Artillerie, mehr Geschütze als die Schweden verwenden konnten, der Troß, das gesamte sächsische Lager, fiel den Siegern in die Hände, dazu mehr als 1 000 Gefangene, Augusts Feldkasse mit 150 000 Reichstalern, seinem Silbergeschirr und dem Briefwechsel mit verschiedenen lokalen Heerführern und polnischen Behörden. Der wohl schrecklichste Verlust für die lebensfrohen Sachsen, alle Frauen des Lagers wurden eine Beute der Schweden. Nicht nur August mag es jetzt als eine glückliche Fügung empfunden haben, daß Karl XII. so wenig Verwendung für letztgenannten "Erwerb" hatte. Gegen den einzigen schwedischen Gefangenen, einen Rittmeister, dessen Pferd zu Schlachtbeginn durchgegangen war, ihn allzu schnell in die sächsischen Reihen getragen hatte, tauschte Karl XII. 500 gefangene Sächsinnen ein. Gut vorstellbar das Bedauern, mit dem die schwedischen Soldaten diesen "Wechsel" verfolgten, kaum denkbar, daß der ausgelöste Offizier später sonderlich beliebt bei seinen Kameraden war. König August war nach Krakow geflohen und sammelte dort die Reste seiner Armee. Erneut fehlte den erschöpften Schweden eine Reserve, die den total besiegten Feind wirksam verfolgen und vernichten konnte. Gyllenstiernas pommersehe Regimenter, mehr als 10 000 Mann, waren noch immer nicht heran. So konnte König August mit den verbliebenen Einheiten erneut in die östlichen Landesteile Polens entweichen. Karl XII. war seinem Ziel wiederum nicht wirklich näher gekommen. August war zwar erneut geschlagen, blieb aber als König den Polen wert. In Sandomierz, wohin August Abgeordnete aus zahlreichen Landesteilen Polens gerufen hatte, wiederholte der polnische Adel trotz aller Vorwürfe sein Bekenntnis zu König August, widersetzte sich erneut den Wünschen Karls XII. Und ebenso uneinsichtig wie zuvor lehnte der schwedische Herrscher jeden angebotenen Kompromiß ab.
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Die Vorschläge des Kardinal-Primas waren äußerst weitgehend und entsprachen den Vorstellungen der schwedischen Generäle und Kanzleiräte. Im Namen der polnischen "Republik" und König Augusts ließ er mitteilen, August würde Kursachsen an seinen Sohn abtreten, 6 Millionen Taler Kriegsentschädigung an Schweden zahlen, Zar Peter im Frühjahr des folgenden Jahres den Krieg erklären, Polen Kurland und Polnisch-Livland an Schweden abtreten, König August alle Privilegien des polnischen Adels noch einmal feierlich beschwören, die sächsischen Truppen vollständig aus Polen abziehen, seine sächsischen Beamten entlassen .. . Karl XII. müsse lediglich auf die Absetzung des Königs verzichten! König August hatte sofort nach der schweren Niederlage bei Kliszow durch einen kaiserlichen Sonderbotschafter um ein persönliches Treffen mit Karl XII. ersucht und erklären lassen, er käme den schwedischen Friedensforderungen so weit als möglich entgegen, nur König von Polen wünsche er zu bleiben. Das war nun wirklich ein Friede, der Schwedens Interessen entsprach, für den Graf Piper erneut seine ganze Autorität einsetzte, sich selbst der schwerkranke Stuart verwandte. Umsonst! König Karl XII. bestand auf der Absetzung König Augusts und der Wahl eines neuen, Schweden genehmen Monarchen, verkündete diese Entscheidung Ende September 1702 als unumstößlich. Am 5. Dezember 1702 erklärte der polnische Reichstag zu T orun, auch diesmal eine Minderheitsversammlung, alle Friedensbemühungen seien an Karls XII. Starrsinn gescheitert. Daher sollte das Bekenntnis von Sandomierz bekräftigt werden. Polens Adel wolle "dem Könige August, als ihrem Oberhaupte, gegen alle seine Feinde beyspringen ... wenn es auch ihr äußerstes und selbst ihr Leben kosten solle". Gleichzeitig wurden alle Anhänger Schwedens in Polen zu "Feinden des Vaterlandes" deklariert. Ebenso verkündete nun König August, "weil der König in Schweden alle Friedensvorschläge verwürffe", sei er "gezwungen, zu der natürlichen Nothwehre zu greifen" und Polen in den Krieg gegen Schweden zu führen (Nordberg, I, 381). Die Chance war vertan, den Krieg in Polen schnell zu beenden, polnische Hilfe für den kommenden Krieg gegen Rußland zu gewinnen. Den König könne nun wirklich niemand mehr verstehen, so ließen mehr oder weniger deutlich viele Offiziere und Beamte verlauten. Kanzleisekretär Olof Hermelin nutzte die Gelegenheit, Karl XII. unter vier Augen seine Bedenken vorzutragen. Doch habe, so berichtete er einem guten Freund in Stockholm, der König das Gespräch schließlich mit
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der Bemerkung beendet: "Zehn Jahre werden wir uns noch mit den Polen und zwanzig Jahre mit den Russen schlagen". Auf Hermelins ironische Entgegnung, dann würden "die Überlebenden" sehr trefflich geübt sein, hatte Karl XII. lächelnd gefragt, ob es denn nicht gut sei, "wohlgeübte Soldaten zu haben" (Bengtsson, 170). Und damit war auch dieser Versuch gescheitert, den König zu einem Frieden in Polen zu bewegen, wohl ein weiterer Beleg, daß der Krieg für Karl XII. zum Lebensziel geworden war. Ein kluger Kompromiß zwischen König August und Polen einerseits und den siegreichen Schweden andererseits hätte den Polenherrscher aus der russischen Allianz lösen können, zumal antirussische Gefühle bei der Mehrheit der Magnaten tief verwurzelt waren. Auch konnte Karl XII. bei entsprechenden Übereinkünften auf die Gegensätze zwischen den verschiedenen polnischen Würdenträgern und König August bauen. Ein neuerlicher Angriff der Sachsen gegen ihn schien nahezu ausgeschlossen. Schon im Januar 1702 hatte Polens König einen Vertrag mit dem Kaiser über die Entsendung von 8 000 sächsischen Soldaten zum Kampf gegen Frankreich vereinbart. August konnte also keineswegs eine Fortsetzung des Kampfes gegen Schweden wünschen. Zurecht folgert der derzeit beste Kenner sächsischer Geschichte, Karl Czok, in seiner Biographie "August der Starke und Kursachsen", die "wirtschaftliche und politische Machtbasis blieb im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten doch zu schmal, um solch weitgreifende Pläne zu realisieren" (Czok, 273). Um so unbegreiflicher, daß Karl XII. auch diesen Sieg nicht nutzen konnte, es noch immer nicht wollte. Es scheint deshalb berechtigt, mit Jan Peters zu betonen, Karl XII. fehlte der "Sinn für die Möglichkeiten eigener Fehler" (Peters, 144). Wie es der Knabe gelernt hatte, glaubte es der Erwachsene: Er hatte immer recht! Auf für uns heute kaum nachvollziehbare Weise blieb Karl XII. überzeugt, von Gott zur Ausübung seines königlichen Amtes bestimmt zu sein, unter seinem Schutz zu stehen, keines Menschen Urteil und Rat zu bedürfen, Gott allein verantwortlich zu sein, glaubte, er sei unschlagbar, könne jeden beliebigen Gegner besiegen. Und so zogen die schwedischen Truppen weiter, kreuz und quer durch Polen, verübten immer schrecklichere Greuel an der polnischen Bevölkerung, zwangen ständig breitere Kreise aller sozialen Gruppierungen zum Widerstand. Krakow hatte 60 000 Reichstaler zu zahlen und die schwedische Armee monatelang zu unterhalten. Im Frühling 1703 mußte Lublin zahlen, wurden Dörfer und Städte längst der Weich-
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selniederung ausgeplündert. General Stenbock berichtete König Karl XII. stolz, er "grassiere wie es sich ergibt und habe nun ziemliche Furcht unter das Volk gebracht ... Ich bin mit der Fackel in der Hand marschiert, und wo ein Dod im Weg lag und nicht bezahlt hatte, zündete ich es an allen Ecken und Enden an. Einige Bauern verbrannten mit, aber ich kümmerte mich nicht darum, denn die Schelme sind es nicht besser wert". Auch er trieb einige hunderttausend Reichstaler ein, erhielt selbst seinen BeuteanteiL So setzte er die Weisung seines Königs um, der "Degen muß das beste tun. Der scherzt nicht", wie ihn Karl XII. wissen ließ, als erStenbockbeauftragte (Carlsson, 290). Im Oktober 1703 kapitulierte auch das starkbefestigte Torun, sechstausend sächsische Soldaten lagen "tot und krepiert" in der Festung. Wälle und Mauern ließ der schwedische König schleifen. Da, wo vorher die Befestigungen standen, "gab es danach nur noch aufgebrochenen Acker", berichtete Fähnrich Joachim Lyth (Aberg, 103). Und weiter marschierte Karl XII., hinter ihm die Ruinen Toruns. "Jetzt spricht nicht viel für Frieden, sondern alles rüstet für den kommenden Frühling, um von neuem zu beginnen", mußte Oberstleutnant Jon Stalhammar seiner Frau nach Hause auf das Smaländische Gut Salshult schreiben. 1704 wurde in der Erinnerung der schwedischen Soldaten "das Jahr der langen Märsche" (Aberg, 104). Karl XII. jagte August von Landesteil zu LandesteiL Am 27. August eroberten die Soldaten das reiche Lwow. ,,Viele, die das Glück hatten, machten hierbei eine schöne Beute, Geld und auch andere teure Sachen", notierte Fähnrich Lyth. Und Stalhammar schilderte seiner Frau kurz vor Weihnachten, das Jahr bilanzierend: "Wir sind nun dieses Jahr durch ganz Polen gekommen, ja 300Meilen (3 000 Kilometer) marschiert und haben jetzt zum Schluß König August vertrieben und zerschlagen, seine ganze Armee ruiniert und haben manchmal gräßliche Gefechte gehabt, so daß an vielen Stellen 1 500 ja 1 700 Leute des Feindes tot auf dem Platz liegen, sowohl Russen als auch Sachsen" (Aberg, 104). Der Krieg wollte trotzdem kein Ende nehmen. St:i.lhammar und seine Frau waren sich einig, die Söhne sollten keine Offiziere werden. "Laß die Jungen fleißig studieren und bitte sie, niemals Soldaten zu werden, denn das lohnt wenig. Laß sie stattdessen Latein lernen", bat der Oberstleutnant seine Frau, "so daß sie mit der Zeit für ein ehrliches Amt befähigt sind". Welche Verbitterung spricht doch aus diesen Zeilen eines der Offiziere Karls XII., belegt, daß es in der Armeeführung zu gähren begann. Zwei Söhne Stalhammars studierten in Lund, der dritte
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trat doch in die Armee ein, fiel vor den Augen des Vaters. "Gott liebte ihn, so beeilte er sich, ihn vor dem sehr Bösen fortzunehmen, daß wir ertragen müssen", tröstete der Vater die Mutter (Aberg, 104). Auch der Oberst des Leibregiments zu Pferd, Carl Gustav Creutz, träumte in seinen Briefen gemeinsam mit seiner Frau vom ersehnten Wiedersehen. Sie habe ihn neulich nachts daheim auf Arnö gesehen, im Traum, schrieb die in Uppland wartende Gattin. Sie wolle, daß endlich Frieden werde. Sie würde wohl Großmutter, wenn er nicht bald heimkäme. Im Sommer 1705, nach neuen Siegen, wuchs allmählich spürbare Unruhe in der schwedischen Armee. Man müsse ständig gegen irreguläre Einheiten kämpfen, schrieb Fähnrich Lyth. "Sie hängen uns ständig an den Fersen" (Aberg" 104), versteckten alles Hab und Gut in den dichten Wäldern und wehrten sich verzweifelt gegen die requirierenden schwedischen Fouragetrupps. Dazu kamen die Sorgen der einfachen schwedischen Soldaten, die ihre Frauen und Kinder wenig gesichert in der Heimat wußten. In Zeiten der Not, wie sie auch daheim herrschten, galten die Bestimmungen der Soldatenversorgung nur noch wenig. Das Land verarmte, immer weniger Bauern und ihre Knechte konnten das Land bearbeiten, die Ernte einbringen. Der Rekrutierungsausschuß benötigte jeden kriegstüchtigen Mann. Und so häuften sich auch die Klagen der Soldatenfrauen in den Briefen an ihre Männer in Polen. Elna Persson aus Skane berichtete ihrem Mann, "das Korn . . . im Gastgeberhof ... nahm Jappe Hellman. Ich habe nichts von der Saat bekommen, sondern Jappe sagte mir, daß mir von seinem Eigentum nicht mehr zustünde wie einer Taube" (Aberg" 106). Tauben genügen einige Körner, Elna Persson konnte davon nicht leben! Gedanken, Nöte dieser Art, beschäftigten Karl XII. nicht. Für ihn zählten schon damals nur die kampfbereiten Soldaten. Er forderte ständig neue Reserven, weitere Dragoner, Musketiere, Pikeniere. Das Land, sowohl Schweden wie auch Polen, hatte Opfer zu bringen. Ingermanland und Livland würden ja auch erst später einige Privilegien erhalten, bis dahin mußte man nur etwas aushalten. Außerdem habe gerade der alte Stuart mitgeteilt, daß dort im Kurland der Oberst Graf Adam Ludwig Lewenhaupt bei Saladen eine mehrfache Übermacht an Russen und Litauern geschlagen hatte. Naja, das war doch etwas! Das wog zwar nicht den Verlust von Dorpat an die Russen, das Ende der kleinen schwedischen Flotte auf dem Peipussee und die schließliehe Erstürmung der Festung Narwa im Spätsommer 1704 durch die russische Armee
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auf. Dort waren immerhin 6 000 kampferfahrene schwedische Soldaten verlorengegangen, war Oberst Horn gefangengenommen worden. Aber Saladen war doch ein Lichtblick. Bald würde König August abgesetzt sein, Polen einen neuen Herrscher haben. Dann mußte alles gut werden, er, Karl XII. von Schweden, war jedenfalls im Recht! Tatsächlich war August inzwischen von einem kleinen Teil des polnischen Adels unter dem Druck der Schweden abgesetzt, war am 2. Juli 1704 der Wojewode von Poznan, Stanislaw Leszcynski, zum König von Polen und Großfürsten von Litauen "gewählt" worden, in einem Spektakel, wo kaum zu entscheiden war, wer für ihn gestimmt und wer sich für König August erklärt hate. Einerlei, Karl XII. hatte es so gewollt und alles tun lassen, um Leszczynski durch schwedische Bajonette auf den Thron zu zwingen. In derTat hatte man den Thronprätendenten selbst sehr lange überreden müssen. Nun war er also da, ein König ohne Macht, abhängig von den schwedischen Waffen, nahezu mittellos. Auch dieses Ziel schwedischer Politik war nicht wirklich erreicht worden. Karls Beratern war klar gewesen, daß ein neuer König nur mit dem Konsens aller polnischen Adelsabordnungen zu einer echten politischen und militärischen Hilfe werden konnte. Der Monarch einer Minderheit mußte die warnenden Worte des alten Oxenstiernas bestätigen, daß Karl XII. zur Präsenz schwedischer Truppenkontingente zum Schutz des neuen Königs gezwungen sei. Und August war immer noch da, Stanislaw Leszcynski noch nicht einmal gekrönt. Erst nach weiteren schweren sächsischen Niederlagen konnte auch das erzwungen werden, setzte der Erzbischof von Lwow, nicht der Kardinal-Primas, Stanislaw am 24. September 1705 die Krone aufs Haupt, in Warschau, nicht in der alten Krönungsstadt Krakow. Und auch das war kein Ausdruck von Stärke der schwedischen Partei um den neuen König Stanislaw. Da half auch die schnelle Unterzeichnung des Friedens zwischen Schweden und der "Republik" Polen am 18. November 1705 in Warschau wenig. Der Autor der neuesten schwedischen Darstellung zur Geschichte des Feldzuges Karls XII. nach Rußland bemerkt treffend, das Friedenstraktat dokumentiere, "wofür sich die schwedischen Soldaten schlugen" (Eng/und, 33). Es ging den schwedischen Politikern, dem Adel und Besitzbürgertum noch immer um die Beherrschung des Ostseeraums. So war festgelegt worden, daß der polnische Handel über das schwedische Riga geleitet werde. Polen wurde zur Zerstörung seines Hafens 6 Findeisen
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Palanga verpflichtet. Schwedischen Kaufleuten sollten günstigere Bedingungen für Handelsniederlassungen in Polen eingeräumt, ihre dortigen Handelsprivilegien erweitert und jeder russische Transithandel durch Polen verboten werden. Die schwedischen Diplomaten wußten offenbar besser als ihr König, wofür es sich zu kämpfen lohnte. "Wenn auch die Polen zu keiner formalen Landabtretung gezwungen wurden, war es doch ein harter Frieden, mit dem die Schweden ihnen den Hals zudrückten" (Eng/und, 33). Polens ungebetene Helfer gegen König August hatten ihren Preis! Die Mehrheit der Polen ihrerseits hatte noch immer eine andere Vorstellung von "Hilfe". So ging der Krieg der polnischen Anhänger König Augusts mit Karl XII. weiter. Schon am 14. Oktober 1705 hatten polnische Freischaren und russische Truppen Praga angegriffen, waren zurückgeworfen worden, blieben aber auch weiterhin eine Gefahr. In den östlichen polnischen Landesteilen sammelten sich neue, größere russische Verbände. Nach einem weiteren, am Ende fast ergebnislosen Zug Karls XII. nach Litauen, dem bedeutsamen Sieg General Rehnskölds bei Fraustadt nahe der schlesischen Grenze am 3. Februar 1706 über die letzte größere sächsische Feldarmee unter General Johann Mattbias von Schulenburg entschloß sich Karl XII. zum Einmarsch in Sachsen. Im August 1706 brach der schwedische König aus seinem Warschauer Quartier auf, passierte am 21. August bei Rawitsch die schlesische Grenze, erreichte am 27. des Monats bei Schönburg in der Oberlausitz sächsisches Gebiet. Er marschierte an Dresden vorbei, überquerte bei Meißen die Eibe und bezog am 12. September in Altranstädt bei Leipzig Quartier. Schon am nächsten Tag ritt er mit einigen Begleitern nach Lützen, um Gustav II. Adolph zu ehren. Bereits am 14. September 1706 unterzeichneten Graf Piper und Hermelin in Namen Karls XII. den Frieden von Altranstädt. August hatte seine Unterhändler mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Er selbst stand tief in Litauen im Quartier von Nowogrodek, im Schutze einer russischen Armee unter dem Günstling des Zaren, des Generals und späteren Fürsten Alexander Danilowitsch Menschikow. Graf Piper hatte immer wieder das Risiko eines Einmarsches in Sachsen verworfen. Der Kaiser, die Seemächte bzw. zahlreiche deutsche Staaten konnten dadurch zu gefährlichen Reaktionen veranlaßt werden. Doch zeigte sich, daß alle sächsischen Sympathisanten durch den großen europäischen Krieg um das spanische Erbe, das Ringen mit der gewalti-
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genKriegsmacht Ludwigs XIV. von Frankreich, viel zu sehr gebunden waren, um Karl XII. politisch oder gar militärisch entgegenzutreten. Nun endlich konnte Karl XII. den sächsischen Gegner niederwerfen, den Krieg in Polen entscheiden. Der russische Verbündete Augusts des Starken war durch große Bauernaufstände an schnellen wirkungsvollen Hilfsmaßnahmen gehindert. Hier in Sachsen erreichte Karl das erstrebte Ziel, August verzichtete auf den polnischen Thron, König Stanislaw schien vorerst seines gefährlichsten Gegners entledigt. Andererseits hatte Karl XII. durch die harten Friedensbedingungen selbst den Grund gelegt, daß König August diesen Frieden nur als einen vorübergehenden Waffenstilistand betrachten konnte. Bei passender Gelegenheit mußte der sächsische Kurfürst und König ohne Land nach Verbündeten gegen den Schwedenherrscher suchen, den Krieg erneut beginnen. Wenig war also erreicht, während eines Rußlandkrieges nicht erneut mit dem sächsischen Feind rechnen zu müssen. Und König Stanislaw war so gar keine Hilfe! Schon wenige Tage nach der Ratifikation des Friedensvertrages von Altranstädt mußte der neue polnische König um schwedische Truppen ersuchen. WeiteTeile Polens wurden von russischen Heeren beherrscht. Karl XII. hatte seinen Sieg über den sächsischen Vetter, das langersehnte "gründliche Gespräch", mit dem Verlust nahezu aller polnischen und litauischen Positionen und der baltischen Provinzen Schwedens bezahlt. Die von Schweden erhoffte Garantie des Altranstädter Friedens durch die Großmächte blieb ebenfalls aus. Das diplomatische Ränkespiel der Andeutungen einer möglichen Allianz Schwedens mit Frankreich als Druckmittel auf die Seemächte und den Kaiser hatte Karl XII. durch allzu bestimmte Versicherungen seiner unbedingten Neutralität entschieden. So war einiges gewonnen, vieles aber weiterhin offen. Karls XII. eigentlicher Gegner, Zar Peter, gewann weitere wertvolle Zeit für die Reorganisation seiner Streitkräfte.
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"Der Marsch ist während dieses ganzen Sommers ziemlich beschwerlich gewesen, sowohl wegen der Witterung als wegen der häßlichen Wege." Brief Karls XII. vom 4. August 1708 an seine Schwester Ulrika Eleonora
Auf dem Weg in die Katastropheder Sieg des Königs bei Holowzin und die Niederlage Lewenhaupts bei Lesnaja Diesmal schien einiges anders, als König Karl XII. an der Spitze seiner Armee am 22. August 1707 aus Sachsen aufbrach. Das waren keine kurländischen oder gar polnische Bilder. Mit Erstaunen registrierten die Zeitgenossen eine ungewöhnliche Zuneigung der sächsischen Bauern und Bürger für ihre schwedischen Besatzer, berichteten über Abschiedsszenen, die an den Ausmarsch schwedischer "Einteilungsregimenter" aus ihren Heimatbezirken erinnerten. Und ebenso empfanden es offensichtlich auch die abrückenden schwedischen Truppen. Das "goldene Jahr" der Armee Karls XII. ging zu Ende. Fähnrich Joachim Lyth schrieb in sein Tagebuch: "Hier hatten wir einen Vorgeschmack der süßen und wohlschmeckenden Früchte des Landes Kanaan, denn das war ein über die Maßen gutes und fruchtbares Land, und sein Volk war uns sehr geneigt und günstig" (Aberg, 112). War es möglicherweise nur Erleichterung der Sachsen, die ungebetenen "Gäste" abmarschieren zu sehen? Immerhin hatte das Land Unsummen an Kontributionen aufbringen müssen, galt Kursachsen als "ausgesaugt", sollte sich das Land erst nach mehreren guten Ernten um 1720 wieder erholt haben. Aber die Schweden hatten bar bezahlt für jedes Tier, die Monturen und alle anderen Ausrüstungsgegenstände. So sah mancher Bauer und Handwerksmann die guten Kunden wohl auch mit persönlichem Bedauern ziehen ...
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Es waren etwa 19 000 Schweden gewesen, die "abgerissen", "zerlumpt", "ausgemergelt und stark mitgenommen", "Zigeunern nicht unähnlich"- wie es die Zeitgenossen schilderten (Grimberg, 624) -, nach sechs Jahren Hin- und Hermarschierens, wechselnd zwischen Kleinkrieg, verlustreichen Feldschlachten und erschöpfendem Jagen nach immer fühlbarer schrumpfenden Lebensmittelbasen bei wachsender Feindseligkeit der Bauern, Bürger und Adligen der verschiedensten polnischen Palatinate, im Hochsommer 1706 Sachsen überschwemmten, einem Zug hungriger Heuschrecken gleich. Furcht hatte die Sachsen gepackt. Wer konnte, floh vor dieser heranstampfenden Macht. Wagenkolonnen besitzender Bürger und adliger Herren mit schnell zusammengerafftem Hab und Gut rollten über die Straßen und Wege nach Thüringen, Brandenburg-Preußen, in andere Nachbarstaaten des Reichs, von Panik getrieben. Gar zu schrecklich klangen die Berichte über Grausamkeiten schwedischer Truppen in Polen, weckten Erinnerungen an die Greuel des langen, großen Schwedenkrieges siebzig, achtzig Jahre vorher. Und einige lebten noch aus jener Zeit des entsetzlichen dreißigjährigen Mordens. Doch hatte König Karl XII. sofort strenge Kriegsartikel veröffentlichen lassen. Schutz vor Willkür für alle willigen Steuerzahler, strenge Bestrafungen jener Soldaten, die ohne Entgelt Leistungen verlangten, Bauern und Bürger Sachsens drangsalierten, so hatte er verkünden lassen und auch einige strenge Exempel durchgesetzt. Hinzu kam eine gute Ernte 1706. Und die Sachsen zahlten willig, konnten das offenbar ohne große Not. Jetzt rückten "dicke, fette Kerle in ihrer blauen und gelben Livre" aus Sachsen, wie ein schwedischer Student an der Leipziger Universität seiner Familie nach Uppsala berichtete. Das Elend der sächsischen Frauen und Mädchen sei unvorstellbar gewesen, das Klagen und Weinen hätte kein Ende genommen, schrieb der junge Anders Alstrin (Aberg, 117). Mag sein, daß es manche Sächsinnen tatsächlich so erlebten! Um König Karl XII. weinte aber zweifellos keine der Schönheiten zwischen Dre-sden und Leipzig. Und auch Vetter August dürfte mehr als befreit aufgeatmet haben, als der schwedische Monarch an der Spitze eines Heeres von 32 000 bis 35 000 Soldaten ausrückte. Viel ist berichtet worden über die letzte Visite des Schwedenkönigs beim sächsischen Monarchen. Bekanntlich soll Karl XII. August den Starken um eine Probe seiner Kraft gebeten, sich freiwillig durch eine
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gebogene Eisenstange fesseln lassen haben. Sicher ein eindrucksvolles Bild, so recht geeignet, den Leichtsinn des schwedischen Herrschers zu illustrieren, aber auch ein Beleg für Karls XII. Überzeugung, daß Souveräne eine besondere Art Menschen seien. So soll der schwedische König einst in Polen seinem treuen Leibknecht Mans Lang mit dem Galgen gedroht haben, als dieser mit einer Muskete König August am Weichselstrand auflauern wollte. Was Karl XII. in jenen Oktobertagen 1704 ausschloß, das mußte auch für August 1708 selbstverständlich sein. Auch dieser manchmal skrupellose Traktierer konnte seinen königlichen Gast nicht einfach einkerkern oder gar ermorden lassen. Eine Art Ehrenkodex der Herrschenden also? Vielleicht! Möglicherweise war es auch nur das Wissen, daß damals, 1632, der Tod Gustavs II. Adolph, des großen Vorgängers Karls XII., die "Schweden" zu einer Kraftanstrengung stimulierte, die königlose Armee das Schlachtfeld von Lützen gegen den großen Wallenstein behauptet hatte ... Wen interessierte da, daß es keine 20 Prozent Schweden und Finnen mehr waren, die damals dort kämpften. Jetzt waren es jedenfalls weitaus mehr von dieser Sorte Soldaten hier im Land. Und General Rehnskölds Sieg bei Fraustadt war noch frisch in Erinnerung. Offenbar hingen diese schwer begreiflichen schwedischen Untertanen sehr an ihren Königen ... August jedenfalls soll die Stange wieder aufgebogen haben. Wie dem auch sei, es ist ja genau genommen auch nur eine von vielen Legenden, raumgebend für mancherlei Deutungen. UndJöran Nordberg, dem wir die genaue Schilderung des kurzen Ausflugs seines Herrschers verdanken, erwähnt denn auch diese Episode nicht. Tatsächlich war Karl XII. am Nachmittag des 27. August mit nur sieben Begleitern von überau in der Nähe Meißens nach Dresden gesprengt, hatte das Stadttor incognito passiert, war zur Hauptwache nach Neustadt weiter getrabt. Hier am Markt wohnte Generalfeldmarschall Flemming, hörte das Pferdegetrappel, die Aufregung unten auf dem Platz. Ein neugieriger Blick aus dem Fenster, Karl XII. war erkannt. Der General stürzte dem Allgewaltigen zu Füßen, untertänig den Stiefel des Königs berührend - wie es die Anwesenden offenbar als ungewöhnlich und bemerkenswert registrierten, es an Jöran Nordberg berichteten-, leitete den Monarchen höchst beflissen weiter zum Schloß, zum Schlafraum König Augusts. Ein unpäßlicher Sachsenherrscher im Schlafrock zur frühen Abendstunde, zweifellos ein merkwürdiger Anblick für den schwedischen Kriegerkönig. Einem kurzen gemeinsamen Besuch bei der alten Kurfürstenwitwe folgte ein Ritt der beiden Souveräne durch d:ie Stadt, ein Abschiedssalut der Kanonen auf den Festungs-
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wällen beschloß den seltsamen Ausritt Karls XII. Den Vorwürfen seiner Generäle und Graf Pipers hielt Karl lächelnd entgegen, es "war doch keine Gefahr dabei, die Armee war ja bereit" (Nordberg, li, 29). Gefährlich war es wohl diesmal wirklich nicht, denn eine solche bedingungslos auf seinen Herrscher eingeschworene Armee hatte bis dahin kein schwedischer König sammeln können. Und jenseits der Grenze warteten bereits die Rekruten der Einteilungsbezirke der schwedischen Heimat, weitere 9 000 Soldaten. Zu dieser Zeit verfügte Karl XII., rechnet man hinzu die Regimenter in seinen deutschen Besitzungen, die Heimatgarnisonen und die Kampftruppen in Polen unter General Ernst Detlef von Krassow, zur Untersützung König Stanislaws bestimmt, über mehr als 110 000 Kavalleristen und Infanteristen. Nie wieder sollte der schwedische Monarch eine solche Streitmacht kommandieren. Und sie war vor allem mit sächsischem Geld bezahlt worden. "Über 35 Millionen Reichstaler, Zerstörungen und Requirierungen nicht gerechnet", hatte Sachsen aufbringen müssen, um diese Armee zu finanzieren (Czok, 200). Alles war neu, die Uniformen, die Pferde, Waffen, das Pulver und die Kugeln, selbst die Kassenwagen waren mit vollen Kriegskassen beladen. So wird es wohl zutreffender sein, eine allgemeine Erleichterung der sächsischen "Gastgeber" anzunehmen, die Trauer über den Abmarsch der "teuren Gäste" doch wohl auf wenige zu begrenzen. Zufrieden registrierte auch die Mehrheit der europäischen Herrscher den Abmarsch der Schweden. Mit zunehmender Unruhe hatte man an den Höfen das stetige Anwachsen der schwedischen Armee mitten im Herzen Deutschlands verfolgt. Weder der Kaiser noch dessen deutsche, holländische und englische Verbündete waren fähig, einen militärischen Schlag gegen Karl XII. zu führen. Und Frankreich hegte große Hoffnungen. Der alte Mann in Versailles, Ludwig XIV., sah doch mit ziemlicher Sorge auf die Entwicklung an Frankreichs Grenzen. Seine Gegner drangen überall vorwärts. So hatte auch er sich seinen Krieg nicht gewünscht. Ein Marsch des schwedischen Heeres nach Wien mußte die Nöte des französischen Monarchen schlagartig beenden, den spanischen Erbfolgekrieg zugunsten Frankreichs entscheiden. Daher sammelten sich in Karls Hauptquatier in Altranstädt die Diplomaten beider verfeindeter Blöcke, suchte ein Sondergesandter des "Sonnenkönigs" eine Allianz zwischen Frankreich und Schweden zu vereinbaren. Umsonst, Karl XII. wollte nicht! Weder für Frankreich noch für dessen Gegner gedachte er zu kämpfen, nein, auch nicht für
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großzügig bemessene Gelder. Frankreichs Gesandter war vergebens hergereist. Und auch England bemühte sich. Selbst der erfolgreiche Heerführer der antifranzösischen Koalition, John Churchill, Herzog von Marlborough, hatte sich zu einem Gespräch mit Karl XII. im April 1707 hier eingefunden. Und wieder boten sich glänzende Aussichten für Schweden, seine Positionen durch einen erfolgreichen Frieden zu sichern. Sogar ein dänischer Gesandter traf mit einem Vermittlungsangebot für einen Frieden zwischen Zar Peter und König Karl ein, wie Staatssekretär Olof Hermelin in einem Brief vom 9. Februar 1707 an seinen Stockholmer Freund Samuel Barck berichtete. Karl XII. lehnte auch dieses Angebot ebenso bestimmt ab wie neuerliche Überlegungen einer Teilung Polens unter Stanislaw und August, ein Vorschlag, der den Sachsenherrscher mit Sicherheit für lange Zeit aus der antischwedischen Koalition geführt hätte. Stattdessen verschlechterten schwedische Forderungen an den Kaiser die Positionen Schwedens auf lange Sicht. Im Frühjahr 1707 spitzten sich die Unstimmigkeiten mit dem Habsburger Hof gefährlich zu. In einem Brief an die englische Königin vom 25. Juni des Jahres erwähnt Karl XII., sicher nicht ohne Hintergedanken, es gebe gute Gründe für ihn, sich "in den Erblanden des Kaisers" Satisfaktion zu verschaffen (Bengtsson, 264). Immerhin hatte Joseph I. russische Soldaten über Österreichs Territorium flüchten lassen, die Werbungen Schwedens in Breslau behindert, war Karl XII. durch Äußerungen eines kaiserlichen Höflings beleidigt worden, ohne daß sich der Wiener Hof entschuldigen wollte ... Kriege waren schließlich schon mehr als einmal um geringeren Anlaß begonnen worden. Zweifellos mußte ein Krieg in Mitteleuropa, ein Einmarsch in Österreich, Italien, Kampfhandlungen längst des Rheins bei guten Versorgungsmöglichkeiten für die kriegserfahrene schwedische Armee ungleich verlockender sein als Hungermärsche durch unwegsames, menschenleeres Gelände und die Weiten Osteuropas. Auch sollten die beutelüsternen Offiziere und Mannschaften dort sehr viel leichter persönlichen Gewinn finden können. Ein Krieg also, der auf breite Zustimmung beim schwedischen Adel rechnen konnte. Das waren Aussichten für alle, die ihrerseits von neuerlichem Machtzuwachs auf deutschem Boden träumten, in Erinnerung an die Zeiten Gustavs II. Adolph schwelgten. Wenn schon kein Frieden, dann doch wenigstens Krieg nicht im wilden Moskowiter-Reich.
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Nicht von ungefähr hatte Frankreichs erfolgreicher Heerführer, Marschall Claude Louis Hector von Villars, in einem Brief an Graf Erik Sparre, einen der Vertreter der Frankreich-Partei am schwedischen Hof, die Ablehnung einer französisch-schwedischen Allianz durch Karl XII. lebhaft bedauert. Er wäre, so ließ er Sparre wissen, glücklich gewesen, an der Seite Karls zu kämpfen, diesen "zum Herrn und Kaiser in Europa" erheben zu können (Bengtsson, 262). Ein etwas merkwürdiger Wunsch eines französischen Generals, eines Kämpfers für Frankreichs Vormachtstellung in Europa, wohl eher eine Geste für den Schweden, kaum sonderlich ernst gemeint. Folgt man den Vermutungen und Schlußfolgerungen einiger schwedischer Historiker, dann hat König Karl XII. auch in dieser Richtung hier in Altranstädt nachgedacht. Schon angesichts des Schlachtfeldes von Lützen soll er, merklich gerührt- und das wollte bei dem Schweigsamen, Unnahbaren, dem König ohne Gefühlsregungen wahrlich einiges besagen - bedeutet haben, er "habe immer versucht" zu sein wie Gustav II. Adolph (Bengtsson, 246). Und auch jener hatte kurze Zeit mit der Idee eines "evangelischen Kaisertums" gelebt ... Eine entsprechende Entscheidung hat Karl XII. schließlich nicht getroffen. Auch in diesem Falle hielt er offenbar konsequent an seiner selbstgestellten Aufgabe fest, die Angreifer Schwedens zu bestrafen, einen einmal "aufgezwungenen" Krieg siegreich abzuschließen. Möglicherweise blieb er auch bei seiner einst in Stockholm geäußerten Erklärung, "niemals selbst einen ungerechten Krieg zu beginnen" (Bain, 55). Es war auch so ein fast unumschränkt seine Bedingungen diktierender Karl XII., der für die Zukunft Schwedens neue gefährliche Gegensätze zum Kaiser heraufbeschwor. Völlig unnötig erzwang er schließlich auch die Beendigung der Rekatholisierung schlesischer Besitzungen des Kaisers und sicher war Kaiser Josephs I. Reaktion auf päpstliche Vorwürfe nicht übertrieben. "Der Heilige Vater kann froh sein, daß der König von Schweden nicht begehrt hat, daß ich selbst Protestant werde; denn wenn er es getan hätte, weiß ich nicht, was ich hätte anfangen sollen" (Bengtsson, 265). Nein, Karl XII. verlangte das nicht. Es hätte Schweden auch kaum Gewinn gebracht, erregten sich doch in Religionsfragen noch immer die Gemüter. Aber auch Schlesien lag weit entfernt von Schweden. Und es war Habsburger Einflußgebiet. So war Karls XII. Intervention vor allem eine Demütigung für den Kaiser, die man in Wien ganz sicher
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so bald nicht vergessen würde. Und wie schnell konnten sich die Dinge ändern, das Kriegsglück sich wenden. Sollte Kar! XII., was Gott verhüten mochte, einmal eine Schlacht verlieren, gar eine schwere Niederlage erleiden, mußte sich eine solche Politik für Schweden gefährlich auswirken. Das sahen Karls Berater mit begreiflichem Unbehagen. Dann mußten sich derartige Entscheidungen ebenso rächen wie die Vernachlässigung preußischer Bündnisangebote an Kar! XII. Mehrfach, 1706 und 1707, versprach König Friedrich I. von Preußen für eine schwedische Unterstützung preußischer Gebietsansprüche zwischen Ostpreußen und Pommern, seine Armee würde die schwedischen Provinzen in Deutschland schützen. Ein verlockender Vorschlag, dessen Preis Polen zahlen sollte. Und ein Frieden war nötig geworden! Allzu viele verläßliche alte Soldaten ersehnten ihn, waren des Krieges müde geworden, nicht mehr bereit, König Karl nach Rußland zu folgen. Schon in Sachsen waren viele erfahrene Unterführer und Altgediente aus der Armee ausgeschieden, andere - und gar nicht wenige - waren desertiert, ungewöhnlich für die schwedische Armee. Oberstleutnant Jon Stalhammar hatte im November 1706 seiner Frau geschrieben, er hoffe, sie bald zu sehen. Es müsse nun endlich Frieden werden, er wolle Freude und Glück wiedergewinnen nach all dem Schrecklichen, "das man während dieser schweren Zeiten auszustehen hatte" (Aberg, 113). Es wären so viele ausländische Gesandte im königlichen Hauptquartier. "Alle meinen, daß wir Frieden mit den Russen bekommen", hatte er noch im März 1707 geschrieben, im Juli erneut auf eine unmittelbar bevorstehende Rückreise nach Schweden gehofft (Aberg, 113). Wie er hatten auch viele hohe Offiziere auf den endgültigen Frieden gewartet. Und wiederum wurden sie alle enttäuscht. Kar! XII. war auch diesmal nicht zu raten! Erneut bestätigte sich, daß gegen den Willen und Eigensinn dieses absolutistischen Monarchen jeder noch so gute Vorschlag, alle Einwände vergeblich waren. Nun dachte Kar! bereits an eine Absetzung Zar Peters, wurden solche Pläne sogar dem preußischen Hof kurze Zeit nach dem schwedischen Ausmarsch aus Sachsen bekannt. Als Rußlands Herrscher mit Friedenswünschen antwortete, nur auf Ingermanland mit dem Zugang zur Ostsee bestand, Kompensationen in Polen anbot, verkündete Kar! XII. seinen Offizieren und Politikern, lieber wolle er "den letzten Schweden opfern, als Nöteborg abtreten!" (Fryxel, 182). Und das meinte er durchaus ernst. Ein absolutistischer Monarch also, der sich über den Willen der Mehrheit seiner feudalen Klasse hinwegsetzte, ein schwedischer Sonderfall der Machtfülle eines Königs? Es scheint fast so!
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Schon vor Beginn des neuen Feldzuges hatten so bewährte Generäle wie Graf Arwed Horn, Graf Magnus Stenbock, Baron Jakob Burensköld und Karl Nieroth ihren Abschied erbeten und waren nach Schweden zurückgekehrt - die einzig mögliche Form des Protestes gegen den königlichen Starrsinn. Karls Festhalten an dem machtlosen Stanislaw mußte sie um so mehr verbittern, als der hilflose Pole selbst immer wieder die Thronentsagung anbot, damit den Weg freigab für eine Schweden genehmere Lösung. Und König Stanislaw warnte seinerseits Karl XII. vor dem Plan einer Absetzung Peters, sah neue schwere Verwicklungen voraus, bat um Frieden. Vergeblich! Schließlich schrieb sogar Graf Piper sein Abschiedsgesuch, einer der Treuesten, dem absolutistischen Königtum in Schweden besonders verbunden. Auch er ahnte kommendes Unheil, wünschte selbst endlich daheim die Früchte dessen zu genießen, was er und die Armee erzwungen hatten. Warum spielte dieser König mit seinem und dem Wohl seines Reiches? Piper waren die Jahre im Feldlager nun ganz gewiß nicht leichtgefallen. Schnell zu Reichtum gelangt, liebte er die Annehmlichkeiten des Lebens. Karl mochte Freude am Krieg empfinden, Piper und der übergroßen Mehrheit der Generäle und Beamten war und blieb der Kampf auch nach dem Sieg in Sachsen nur ein notwendiges Mittel zum persönlichen Gewinn. Und man hatte doch alles gewonnen, was möglich war, das durfte doch nicht verlorengehen! Konnte ein solches Unternehmen wie der vorgesehene Rußlandfeldzug überhaupt erfolgreich sein, was sollte die Zertrümmerung des Zarenreiches Schweden, also ihm und seinesgleichen, eigentlich bringen, mußte nicht das Ende schließlich schrecklich werden, war das Land nicht bereits erschöpft? Besser als mancher jener hohen Offiziere, die nun die Armee beim Abmarsch aus Sachsen verlassen hatten, kannte Graf Piper den Preis der glänzenden Machtstellung seines Königs. Nahezu alle Geldquellen Schwedens waren verpfändet, selbst die Zölle und Steuern für die Erzproduktion und den Verkauf schwedischen Kupfers in Europa flossen nicht mehr in die leeren Staatskassen. Und König Karl wollte nicht begreifen, daß jahrelange Unregelmäßigkeiten in der Auszahlung der Beamtengehälter, ja deren Reduzierung um die Hälfte, dem Wachstum patriotischer Gefühle und der Neigung zum Herrscher in dieser einflußreichen Schicht kaum sonderlich förderlich sein konnten. Drückende Geldnot belastete das Handelsleben, erschwerte die Arbeit der Gewerbetätigen, verärgerte auch das einflußreiche Besitzbürgertum und den Adel auf seinen Gütern. Dazu kamen die ständigen willkürlichen Steuerausschreibungen und Rekrutenaushebungen, die sich spürbar auf die Wirt-
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schaft des Landes auswirkten. Längst galten die alten Gesetze und Festlegungen König Karls XI. nicht mehr, forderte der junge Heldenkönig wieder und wieder neue Opfer. Und es herrschte nicht mehr jene Zustimmung des Jahres 1700, damals, als viele meinten, man müsse das von den Vätern Ererbte verteidigen. Wohl niemand in Schweden verstand den Herrscher, begriff Karls Polenpolitik, konnte den Krieg um die Absetzung König Augusts und die gleichzeitige Preisgabe schwedischer Ostseeprovinzen gutheißen, niemand außer dem Monarchen selbst! "Das Volk", schrieb aus Stockholm Samuel Barck nach dem Fall Narwas an Staatssekretär Olof Hermelin, "beginnt zu murren, daß der König im fremden Land herumzieht und sein eigenes in den Händen der Barbaren läßt". Er hatte hinzugefügt, Gott möge dem vergeben, "dessen Schuld es ist, daß eine solche Grenzfestung so wenig und wertlos mit dem versehen wurde, was sie brauchte" (Grimberg, 4, 631 f.). Beide -sowohl Barck als auch Hermelin - wußten natürlich, daß es Karls XII. strenge Weisungen waren, alle in Schweden mühsam zusammengesammelten Vorräte an Waffen, Lebensmitteln und Rekruten nach Polen zu senden. Schon während der Belagerung von T orun hatte Hermelin an Barck nach Stockholm berichtet, er "wage nicht zu schreiben, was ich weiß und denke. Hier ist keine Hoffnung; alles wird täglich schlechter. Ich bin völlig verzweifelt, gebe mich aber gleichwohl zufrieden, daß es nicht anders sein kann. Ihr seid glücklich, daß Ihr nicht seht und hört, was wir sehen ... und wer ist die Ursache dazu anders als der, der keinen Rat annehmen will." (Grimberg, 4, 575.) Zur gleichen Zeit hatte auch der Königliche Rat dem Monarchen in einem umfangreichen Rapport die Not des Landes beschrieben, Karl XII. gebeten, "das Reich vor seinem Untergang zu retten", Frieden zu schließen (Grimberg, 4, 631 f.). Solche Appelle wies der König ebenso verärgert zurück wie alle Erklärungen, aus dem erschöpften Schweden keine weiteren Geldreserven erschließen zu können. Er konnte und wollte in diesen Klagen nur Zeugnisse mangelnder Einsatzbereitschaft und Nachlässigkeit seiner Beamten sehen. Das Volk, alle, alle, hatten alles zu geben für ihn, für seine Ziele. Eine Diskussion darüber konnte es nicht geben! Er war Schwedens König, Gottes verlängerter Rachearm, und im übrigen war und blieb er unfehlbar, alles im Verhalten des Herrschers spricht für eine solche Lesart. So hatte die Heimat ohne Murren zu zahlen. Seine Siege - und daß er unbesiegbar sei, ein neuer großer Alexander, wie er es selbst bei den Friedensverhandlungen in Altranstädt hörbar gemurmelt hatte, zwar auf Latein, in ein Zitat gekleidet, aber doch verkündet,
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nein, daran zweifelte Karl XII. nicht -, seine künftigen Siege also würden alle entschädigen, die jetzt zahlen sollten. Später, wenn er die Feinde bestraft habe, sollten sie alle feiern können. Gott war mit ihm, ließ ihn von Erfolg zu Erfolg marschieren, war mit ihm selbst in scheinbar aussichtslosen Unternehmungen. Warum verstanden die anderen das nicht, es war doch unübersehbar. Wer Augen und Ohren hatte zu sehen und zu hören, der hatte doch bemerken müssen, daß er, Karl XII., aus höchsten Gefahren glücklich entkommen, zahlenmäßig weit überlegene Gegner zu Paaren trieb ... Der Herrscher blieb gegen alle vorsichtig geäußerten Einwände unbewegt, das Land mußte nur noch ein wenig weiter ausharren, neue Belastungen ertragen. Karl XII. hatte aus den polnischen Erfahrungen nichts gelernt, die Machtfülle in Altranstädt auf seine Weise interpretiert, war durch die Nachgiebigkeit des Kaisers, die Höflichkeit der mächtigen Seestaaten England und Holland in seinen Überzeugungen bestärkt worden. Selbst ein Seegefecht eines schwedischen Kriegsschiffes einige Jahre vorher gegen acht englische Kaperer hatte ihn nicht gewarnt. Nur intensive diplomatische Bemühungen hatten den Konflikt beilegen können, der Schwedens Flotte um ein starkes Schiff und geübte Mannschaften red~ zierte. Das hatte vielen in Schweden und der Feldkanzlei zu denken gegeben, allzu deutlich war signalisiert worden, England und Holland würden eine schwedische Blockade ihres Rußlandhandels nicht hinnehmen. Neue, schwere Konflikte waren vorauszusehen. Hier in Altranstädt hatten die Seemächte ausdrücklich ihren Friedenswillen betont, Karl XII. Unterstützung angeboten. Aber der König war darauf nicht eingegangen. Weiter trieb es ihn, ließ ihn selbst die eigenen Machtgrundlagen schwächen, Schritt für Schritt bewegte sich Karl XII. der Katastrophe entgegen. Und seine Umgebung begann es mehr und mehr zu fühlen. Schon am 13. April1700 hatte Karl XII. ein Dokument unterzeichnet, das damals noch offene Reduktionsforderungen der Krone beschränkte. Das aber bedeutete Abkehr vom Erfolgsweg des Vaters, Aufgabe der eigenen Machtbasis der Krone, mußte die Finanzen Schwedens schwer erschüttern, die Macht des Hochadels von neuem begründen. Erfüllten sich so nun doch die Hoffnungen der Adelsfraktionen des Reichstages von 1697? Ein furchtbarer Preis, gezahlt mit dem Verlust der Großmachtstellung Schwedens, getragen von einem ausgebluteten, verarmten Land. Daran- aber das verstanden damals sicher nur wenige- änderte auch die prallgefüllte Kriegskasse mit ca. 20 Millionen Talern wenig,
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die Karl XII. aus Sachsen hinwegführte. Weiterhin forderte der König Geld, Waffen, Lebensmittel und vor allem neue Soldaten aus Schweden, mußte es fordern für seinen Krieg. Und er drohte allen Beamten daheim, die säumig erschienen ... Im November 1707 erreichten die Schweden die Weichsel. Karl XII. ließ südlich von Torun bei Wloclawek Brücken bauen, wollte so schnell wie möglich über den Strom setzen. Das wildbewegte Wasser riß jedoch jeden Balken sofort in Strudeln und Treibeis davon. Karl und seine Truppen mußten warten. So konnte es wie ein Weihnachtsgeschenk anmuten, als endlich Heiligabend der Strom gefror, Armee und Troß "unter großem Abenteuer" (Aberg, 118) über das dünne Eis setzten. Und wieder einmal triumphierte schwedisches Ingenieurwissen. Bretter und Strohballen, mit Wasser übergossen, verstärkten, schnell überfroren, die Eisdecke. Trotzdem verlor die schwedische Armee Pferde und Wagen, ein Vorgeschmack auf Kommendes. Die russische Armee unter Fürst Menschikow zog sich sofort aus der Weichselniederung hinter denNarewund dessen Sumpfgebiet zurück, die russische Führung hatte großen Respekt vor dem fürchterlichen Angreifer. Neuerliche Friedensvorschläge des Zaren folgten, wurden aber "fortgewischt von einem selbstsicheren und siegesgewissen König Karl" (Englund, 34). Allerdings vermied der schwedische Heerführer jedes frontale Anrennen der russischen Verteidungsstellungen, wohl wissend, wie schwer in diesem Krieg vorzeitige Verluste wiegen würden. Um Menschikows Truppen zu umgehen, wich das schwedische Heer nach Norden aus, drang in drei Marschsäulen in das ausgedehnte masurische Waldgebiet ein, für damalige Kriegsvorstellungen ein nahezu unmögliches Unternehmen. Und auch das russische Oberkommando war überzeugt, auf den fast unbegehbaren Waldpfaden reiste man nicht, führte schon gar nicht eine Armee unter Kriegsbedingungen, geschweige denn Artillerie und Troßwagen für einen großen Feldzug. Während des Polenkrieges hatte Karl XII. dieses Gebiet sorgsam gemieden, galt doch auch die Bevölkerung des masurischen Seen- und Waldraumes als wehrhaft und furchtlos. Und wieder brannten Dörfer und Höfe der Polen. Ein schrecklicher Marsch durch Regen, Sümpfe und dichte Wälder begann, dazu in die Knochen kriechende Kälte und ständige Feuerüberfälle der verzweifelt kämpfenden Bauern.
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Als sich die ersten Bauerngruppen den Schweden näherten, ihre Bedingungen vortrugen, hatte König Karl XII. grausam antworten lassen. Nein, viel Raum für Ehre und Gerechtigkeit im Umgang mit Bauern fand sich nicht im Denken dieses Herrschers. Den Parlamentär der Masuren, durch ein weißes Hemd gekennzeichnet, ließ er sofort niederschießen, als jener Forderungen zu formulieren wagte. Er wollte "die Bauern das Strafbare des Unterhandeins mit Königen" lehren (Fryxell, 185). Gewiß, dieser Mann war möglicherweise ehrlicher als König August, aber es war eben nur ein polnischer Bauer, kein Verhandlungspartner für König Karl XII. Barbarische Befehle erneuerten die schwedischen Greuel für Polens gequältes Volk. Wieder wollte der König den Widerstand brechen durch Anordnungen, "jeden Bewohner, dessen man habhaft werden könne, zu hängen, und alle Häuser nieder zu brennen" (Fryxell, 185). Und auch diese Order Karls XII. wurde befolgt. Generalmajor Carl Gustav Creutz zwang in diesen Tagen 50 Bauern, sich einer nach dem anderen aufzuhängen. Den letzten Bauern erschoß schließlich ein schwedischer Soldat. Und Fähnrich Lyth erlebte am 17. Januar 1708 das Ende des Dorfes Dambrowa, "ein über die Maßen wohl bebautes, großes und schönes Dorf, fast eine Stadt, aber es gab keinen Menschen dort". Die Einwohner hatten den ganzen vorhergehenden Tag die fouragierenden Schweden beschossen. Am Abend waren vier Kompagnien über die Bauern im Walde hergefallen, hatten alle niedergeschossen, anschließend das Dorf "total in Asche gelegt" (Aberg, 118). An anderer Stelle folterten die Soldaten, töteten Kinder vor den Augen der Eltern, um so die Preisgabe der Lebensmittelvorräte und Wertgegenstände zu erzwingen. "Viel Volk wurde massakriert, sowie alles, was sich dort befand, verbrannt", notierte der Dragoneroberst Nils Gyllenstierna, "so glaube ich, daß die, die überlebten, so schnell die Schweden nicht vergessen werden" (Eng/und, 36). Ja, geweint und geklagt haben auch dort die Mädchen und Frauen, aber es war ganz sicher eine andere Trauer als die der Sächsinnen. Im übrigen werden es nicht viele gewesen sein, die dem Morden und Brennen entgingen. Masurens Dörfer waren "in einem Flammenregen, eins nach dem anderen" verschwunden, summiert die moderne schwedische Historiographie kritisch den Durchzug der Armee, distanziert sich so von dem brutalen Vorgehen Karls XII. (Eng/und, 35). Auch diese neuerliche militärische Glanzleistung des Schwedenkönigs wurde durch ein entsetzliches Blutbad an der Zivilbevölkerung bezahlt.
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Für die russischen Streitkräfte längst der N arewlinie wurde das plötzliche Auftauchen Karls XII. zu einerneuen bösen Überraschung. Schon am 22. Januar 1708 erreichte der schwedische König mit der Vorhut die russische Armee am Fluß Bobr bei Goniadz an der litauischen Grenze, stürmten die schnellen Schweden über schadhafte Knüppeldämme durch das angrenzende Sumpfgebiet, trieben einen Keil zwischen die russische Verteidigungslinie und deren Hauptstreitkräfte. Und wieder mußten Menschikows Reiterscharen in größter Hast zurückgezogen werden. Wenige Tage später standen die Schweden vor der vorgesehenen vierten russischen Kampflinie, dem Niemen. Und hier nun hielt sich Zar Peter selbst auf. Dieses Hindernis konnte Karl XII. auf keinen Fall umgehen, dort sollten die Schweden - so wünschten es die russischen Gegner einen schweren Blutzoll entrichten, wollte sich die russische Führung erst nach hartem Widerstand geordnet zurückziehen. Zweifellos ein kluger Plan, darauf zielend, die kampfstarke schwedische Armee zu schwächen, deren weiteren Vormarsch zu verlangsamen, die Moral und Siegeszuversicht der Schweden allmählich zu mindern. Und doch siegte Karl XII. erneut. In einem schnellen Stoß erreichte er mit dem Leibregiment und einer kleinen Anzahl Dragoner, ganze 650 Reiter, die Stadt Grodno. Für Zar Peter und seine Generäle gab es nur eine Erklärung, als die Schweden mit König Karl XII. an der Spitze die russische Kavallerie an der Niemenbrücke attackierten: Das Gros des Gegners griff an! Wirkungsvolle Abwehr war nicht mehr zu organisieren! Peter floh in einer bereitgehaltenen Kalesche, mehrere tausend russische Soldaten verließen Grodno nahezu kopflos. Bald aber meldete man dem Zaren die zahlenmäßige Schwäche der schwedischen Eindringlinge. Schnell entschlossen warf er den deutschen Brigadegeneral Mühlenfels mit 3 000 Kavalleristen zum Gegenschlag in das nichtbefestigte Grodno. Diesen Leichtsinn, dem Zaren unbegreiflich, sollte Bruder Karl büßen. War der grenzenlos Überhebliche nicht vielleicht sogar gefangenzunehmen? Das Vorhaben mißlang, die wenigen schwedischen Posten am östlichen Schlagbaum ließen sich nicht überraschen. Im Handgemenge war ohnehin kaum zu entscheiden, wer Freund, wer Feind war, zu dunkel war die Nacht. Und schnell verschwanden die russischen Angreifer wieder in der Finsternis, sprengten zurück, dem Zorn Peters entgegen,
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der General Mühlenfels in Arrest werfen ließ, an eine drakonische Bestrafung dachte, so daß dieser bald darauf zu den Schweden floh. Schon Ende Januar trieb Karl XII. seine Truppen weiter. Vilnius war das nächste Ziel. Und wieder folgten die Schweden den zurückflutenden russischen Truppen derart dicht, daß diese die Magazine in Litauens Hauptstadt nur teilweise vernichten konnten. Ähnlich erging es den russischen Streifkorps in anderen Teilen des Landes. Unbegreiflich rasch drang der unbezwingbar scheinende schwedische Gegner vor und verlustreich war der russische Rückzug. Am 8. Februar zog Karl XII. mit seiner Vorhut in Smorgon ein, wartete sechs Wochen, marschierte dann weiter nach Radoschkowitsch nordwestlich von Minsk, verweilte hier mit der Armee in Winterquartieren vom 17. März bis zum 6. Juni. Erneut wurden die Vorräte knapp. Generalquartiermeister Axel Gyllenkrock arbeitete an neuen Feldzugsplänen. Er und die Mehrheit der Generäle erwarteten den lang ersehnten Stoß nach Norden, die Befreiung der baltischen Provinzen, die Ausdehnung des schwedischen Territoriums im Nordosten, die Sicherung der Ostsee als "schwedisches Meer". Doch König Karl XII. schwieg. Dafür redeten andere um so mehr. Neben der Fraktion der Realisten hatte sich eine Gruppe Karrieristen um Karl XII. gesammelt. Sie wetteiferten, die geheimen Wünsche des verschlossenen Monarchen zu erahnen, dessen Gedanken- wie abenteuerlich sie auch immer sein würden - in lauten Worten zu preisen, solcherart die Gunst des Monarchen zu gewinnen. Generalmajor Baron Anders Lagercrona, der Mehrheit der schwedischen hohen Offiziere als übler Intrigant verhaßt, galt als schlimmster Wortführer dieser Gruppe. Er gefiel sich in verächtlichen Äußerungen über den russischen Gegner, malte den Feldzug in den schillerndsten Farben, bestätigte in peinlichen Übertreibungen die Siegesgewißheit und Arroganz Karls XII. Ein solcher Herrscher kam, sah und siegte über die Horden undisziplinierterfeiger russischer Heerscharen. Und Karl XII., selbst nie zu Lobpreisungen der eigenen Person neigend, ließ Lagercrona gewähren, schenkte ihm sichtliches Wohlwollen, ermunterte so andere Schmeichler. Generalmajor Graf Axel Sparre, zweifellos ein anderer Charakter als Lagercrona, verkündete im Beisein Karls XII., eine alte Prophezeiung besage, ein Sparre würde einmal Gouverneur von Moskau werden ... Und ein lächelnder König dachte offenbar daran, diese "Verheißung" Wirklichkeit werden zu lassen. Generalquartiermeister Gyllenkrock registrierte derartige Vorstelmit wachsender Sorge. Erst in russischer Gefangenschaft schrieb
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er seine Erinnerungen, denen wir die besten Informationen über die entscheidende Woche vor Marschbeginn in die Katastrophe verdanken. In klarer Erkenntnis der unermeßlichen Schwierigkeiten bei einem Vordringen in die Weiten der russischen Wälder und Sümpfe, der sich rasend schnell türmenden Versorgungsprobleme, berechnete er einen Vormarsch nach Pskow, wandte sich beredt gegen den drohenden Zug nach Moskau. Und auch er suchte Bundesgenossen, diskutierte mit Staatssekretär Hermelin und Generalfeldmarschall Rehnsköld. Auch dieses Gespräch, so recht geeignet, die Kriegsführung Karls XII. zu illustrieren, hat der Generalquartiermeister aufgezeichnet. Rehnsköld mühte sich, die Bedenken Gyllenkrocks mit dem Argument zu zerstreuen, der König habe bereits feste Pläne. Gyllenkrock müsse begreifen, "daß weder Sie noch ich, noch irgend jemand anders den dessein des Königs ergründen kann, denn wenn wir schlafen, dann arbeiten seine Gedanken mehr als man glaubt" (Bengtsson, 287). Man darf dem Generalquartiermeister- der auch später wiederholt seine Bedenken gegen Karls XII. Ansichten offen im Beisein des Königs aussprach- durchaus Glauben schenken, wenn er versichert, er habe Rehnsköld entgegnet, "unglückliche desseins und Aktionen können böse Suiten haben". Die Antwort des Generalfeldmarschalls, Karl sei "wohl auf der Hut, und Gott ist in besonderem Maße mit ihm, und er wird seinen dessein glorioser ausführen, als man glaubt" (Bengtsson, 287), hat ihn jedenfalls wenig beeindruckt, schon gar nicht beruhigt. Es ist nicht auszuschließen, daß Rehnsköld eine Diskussion der Pläne Karls XII. nicht wollte, nicht einmal mit dem höchsten technischen Offizier des Heeres. Vieles spricht aber auch dafür, daß der Feldmarschall selbst von der Unfehlbarkeit seines Herrschers überzeugt war, die Kampfkraft der russischen Armee ähnlich sträflich unterschätzte. Und zweifellos war er kaum weniger sicher als Karl XII. und die Mehrheit der Offiziere und Soldaten, daß Gott sehr persönlich hinter dem König stand, dessen Hirn und Degen lenkte. Immer wieder ist von den Fachhistorikern berechtigt bemerkt worden, daß die Rolle der Feldgeistlichen in der schwedischen Armee kaum überschätzt werden könne. Ständige Gottesdienste, selbst bei Schnee und grimmiger Kälte, bei strömendem Regen gehalten, tägliche Predigten über die besonderen Aufgaben der schwedischen Armee, trugen ihre Früchte. Die Masse der Soldaten war sicher, daß Karl XII. einen gerechten Krieg zur Bestrafung seiner Gegner führte. Nicht wenige
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fühlten sich als Kinder Gottes auf der Suche nach dem gelobten Land, König Karl war ihnen Moses, seine Angriffsbefehle besaßen göttliche Weihe. Und die Prediger wurden nicht müde, das Alte Testament in diesem Sinne zu deuten. Wieder und wieder hörten Soldaten und Offiziere in den Gebetsstunden, daß schon die Israeliten auf Gottes Geheiß die Feinde gnadenlos töteten, deren Städte und Dörfer verheerten. War das nicht Erklärung und Entschuldigung genug für eigenes Verhalten, rechtfertigte die Bibel nicht die Konsequenz des Königs? Und daß Karl XII. Gottes Gebote von Strafe und Vergeltung gründlich befolgte, davon zeugten die brennenden Dörfer des Feindes ebenso wie die fliehenden Armeen. Gott war sichtlich auch weiterhin mit den siegenden Schweden! Wohl niemand in jener Welt des beginnenden 18. Jahrhunderts, ausgenommen einige wenige aufgeklärte Denker und wirkliche Atheisten, zweifelte damals in Schweden, daß Gottes Hilfe und Eingreifen sehr unmittelbar waren. Die Feldprediger verwiesen in ihren Auslegungen der Worte undTaten Gottes auf so überraschende Wetterwunder wie das sich plötzlich beruhigende Wasser im Sund vor Seelands Küste, just in dem Augenblick, als Karl seine Regimenter landete, auf die dichten Schneewolken bei Narwa und Fraustadt ..., wahrlich "überzeugende" Argumente, von nicht wenigen in der Armee Karls XII. persönlich erlebt. Und immer wieder sandte Gott auch im letzten Augenblick seiner hungernden Armee offenkundige Beweise seiner Anteilnahme, entscheidende Siege über die Feinde und gefüllte Vorratslager. Natürlich sah man mit Unruhe und Furcht den Strapazen und Entbehrungen des neuen Feldzuges entgegen, wußte ja auch nur zu gut aus eigener Erfahrung, wieviele Kameraden nicht in den Genuß der Früchte des verheißenden schließliehen Endsieges kommen würden. Aber für "Gottes Kinder" öffnete sich doch die Pforte zum Paradies. Und sie würde sehr weit geöffnet sein für alle, dietreuund ohne Murren König Karls Befehle befolgten. So jedenfalls wußten es die schwedischen Prediger unermüdlich zu verkünden. Das sagten sie den Sterbenden, denen sie auf dem Schlachtfeld, in den Krankenzelten und Hütten das Abendmahl reichten, damit richteten sie die Zurückgebliebenen auf, mit diesen Worten ermunterten sie die Zaghaften, Fluchtbereiten. Eine kleine Armee schwedischer Feldgeistlicher war immer dabei, begleitete die Soldaten sogar in das Kampfgetümmel, trieb die Zurückweichenden wieder vorwärts. Es waren in der Tat keine Heuchler, die hier das Wort Gottes verkündeten, ein Wort, welches auch das des Königs, seines Hochadels und des Besitzbürgertums war, dessen Botschaft lautete: Züchtige die Feinde und mehre Schwedens Reichtum und Macht! 7•
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So wurden Schwedens kriegführende Bauern zum Heldentod und anspruchslosem Feldleben stimuliert - und König Karl XII. war immer dabei, überzeugte durch sein Beispiel. Oberst Gyllenkrock allerdings war zu sehr Kenner und nüchterner Kalkulator des Krieges, um im Vertrauen auf die unberechenbare Hilfe Gottes den Feldzug und seine Etappen festzulegen. In einer Diskussion im Hauptquartier von Radoschkowitschi mit Karl XII. wagte er, seine Einwände vorzutragen. Allzu deutlich hatte der Herrscher auf die Straße nach Moskau gewiesen. Der Weg dorthin führte weiter durch tiefe Sümpfe und Wälder, dünn besiedeltes Land, dessen weite Ebenen oft bis zum Horizont unter Wasser standen, auf grundlosen Wegen, wo jeder Schritt zur Qual werden konnte, Wagen und Kanonen versinken mußten. Und das im Kampf gegen einen Feind, der schon damals, 1700, nach der Niederlage bei Narwa, zwischen sich und die Schweden einen brennenden Korridor gelegt, Ähnliches beim Rückzug aus Polen während des Vorstoßes König Karls im Frühjahr 1706 nach Osten über den Niemen versucht hatte, der jetzt, im Kampf um die Existenz, wenn "er den Vormarsch nicht hindern kann, ... unfehlbar beginnen (werde), sein eigenes Land zu verbrennen", wie Gyllenkrock warnte. Und wieder setzte Karl XII. seinen Willen wider alle Vernunft durch. "Wir müssen es wagen, so lange wir Glück haben!" (Äberg, 118). Und damit war auch das endgültig entschieden! Verzweifelt schrieb auch OlofHermelin an Samuel Barck nach Stockholm: "Der König spannt den Bogen in allem zu stark, daß man fürchtet, daß alles auf einmal zerbricht. Hier helfen keine Vorstellungen mehr." (Äberg, 118). Selbst, wenn man berücksichtigt, daß Gyllenkrock seinen Dialog mit dem Herrscher mit den Erfahrungen der Katastrophe aufzeichnete, die Formulierungen erst mit dem Wissen um die Niederlage schärfer wurden - von Karl XII. liegen keine entsprechenden Aufzeichnungen vor -, gibt es wenig Grund, an dem Inhalt und der Richtung des Gesprächs zu zweifeln. Niemand solle sich auf das Glück verlassen, hatte der Generalquartiermeister dem König auf dessen Glücksbeschwörungen entgegengehalten. Das zeige das Beispiel des mächtigen Frankreichs und seines großen Königs. Dessen Armee sei zu tief in Deutschland eingedrungen, seiner Versorgungsbasis verlustig, dort so schwer geschlagen worden, daß sich die Franzosen nicht wieder erholen können. Gewiß, so hatte der König erwidert, "der Franzose ist im Unglück". Und Gyllenkrocks neuerlichem Einwand, Glück oder Unglück sei Got-
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tes Entscheidung, entgegnete Karl XII. schließlich, das Gespräch beendend: "Es hat keine Not, macht Euch keine Sorge." (Bengtsson, 288). Ganz sicher wirkte hier nach wie vor die Erfahrung Karls XII., daß sein russischer Gegner bisher trotz der verbrannten Erde wenig erfolgreich gewesen war. Der König vertraute auf zahlreiche, scheinb,.r sicher zu erwartende Veränderungen in der allgemeinen politischen und militärischen Lage, "Glück" nach Berechnung gewissermaßen. So war nun Ende März Graf Adam Ludwig Lewenhaupt, der erfolgreiche Bezwinger der russischen Armeen in Kurland, ins Hauptquartier nach Radoschkowitschi kommandiert worden und hatte Order empfangen, die kurländischen Truppen bei Riga zusammenzuziehen und mit ihnen einen riesigen Troß von mehreren tausend Wagen heranzuführen. Etwa 11 000 frische schwedische Soldaten wurden erwartet. Auf diese Vorräte gestützt, sollte auch ein wochenlanger Marsch durch verheertes Ödland gewagt werden können. Schließlich hatten es die Polen - und deren Krieger schätzte Karl XII. möglicherweise noch geringer - im letzten Jahrhundert doch auch geschafft, in Moskau einzuziehen, das Zarenreich zu beherrschen. Und war nicht Rußland in diesen Monaten wieder in Gährung, drohte das Riesenreich auseinanderzufallen? Fragen, die Karl XII. überlegt haben dürfte, die seine Entscheidung beeinflußten. Gewaltige Bauernunruhen hatten zwischen 1704 und 1706 Zentralrußland erschüttert, in weiten Landstrichen war die zaristische Administration 1707 nicht mehr fähig, Verwaltungsfunktionen zu erfüllen. In den folgenden Jahren "erfaßten diese Bauernunruhen das gesamte Zentralrossische Gebiet" (Hoffmann, Absolutismus, 87). Im Ural war es zu Erhebungen gekommen, im Wolga-Oka-Raum widersetzten sich 1707 bis 1710 bewaffnete Bauernabteilungen den Zarentruppen. Noch frisch war die Erinnerung an den großen Astrachaner Aufstand der Jahre 1705 und 1706. Die Erhebung des Kondratij Afanassejewitsch Bulawin erschütterte das Dongebiet, auch die Baschkiren hatten sich soeben zu einem Jahre währenden Kampf gegen die Moskauer Zentralregierung erhoben. Und auch in den Gebieten der Ukraine, an der polnisch-russischen Grenze, wartete ein Teil der kosakischen Oberschicht auf den geeigneten Moment, sich von Zar Peters Herrschaft zu befreien. Der Hetman Iwan Mazeppa, wenige Jahre vorher noch auf Befehl des Zaren ein Kosakenheer in Polen gegen Karl XII. führend, hatte
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Schwedens König ein Bündnis angeboten. Auch die Pforte hatte ihr Interesse an gemeinsamen Aktionen gegen Zar Peter signalisiert, wollte Asow zurückgewinnen. Oh ja, die Dinge entwickelten sich in der Tat nicht ungünstig. Karl XII. konnte wohl zufrieden sein. Zar Peter hatte viele Gründe, den bevorstehenden Angriff der Schweden zu fürchten. Im Frühsommer 1708lagen sich beide Armeen in einem ausgedehnten Aufmarschraum gegenüber. Karl XII. sammelte seine Regimenter zwischen Vilnius und Minsk, die russischen Haupstreitkräfte lagerten hinter der Beresina von Polock und Witebsk bis Mogiljow. Zusammen mit einem Korps des Generalmajor Georg Lybecker in Karelien und Lewenhaupts Kurländern stützte sich Karl XII. zu dieser Zeit auf etwa 70 000 Soldaten. Zar Peter verfügte mit 24 000 Mann unter General Apraxin in lngermanland, 16 000 im östlichen Livland unter General Bauer, mehreren kleinen Streifkorps insgesamt über 100 000 Soldaten, eine Übermacht, deren Kampfkraft jedoch wesendich geringer schien als die der schwedischen Streitkräfte. Und Karl XII. hatte bisher noch jedes Mal einen Weg gefunden, die russischen Befestigungen zu stürmen oder zu umgehen, plötzlich in der Flanke seines Gegners aufzutauchen. Im Juni 1708 rückte die schwedische Hauptarmee zum Dnepr vor. Vorausgegangen war wiederum ein Scheinmanöver der schwedischen Führung. Generalmajor Axel Sparre ritt mit einer stärkeren Kavallerieeinheit weiter auf der großen Straße von Polen ins Innere Rußlands nach Borissowo, wo Zar Peter die russische Armee zur Abwehr konzentriert hatte. Etwa zur gleichen Zeit überschritt Karl XII. jedoch bereits die Beresina und erreichte bald darauf den Drut. Dort beim Dorfe Bielnitschi stand Feldmarschall Heinrich von der Goltz mit einer größeren russischen Einheit. Ihn wünschte Karl XII. einzuschließen und zu vernichten, wollte so das Potential der Zarenarmee bedeutend schwächen. Um Goltz bei Bielnitzschi festzuhalten, organisierte der schwedische Monarch mehrere Scheinangriffe auf die befestigten russischen Stellungen am Drut durch seine beweglichen polnischen Verbände, selbst setzte Karl XII. am 26. Juni nördlich der russischen Massierungen bei Aleschkowitschi über den Drut - und kam doch nur äußerst langsam vorwärts im unwegsamen Gelände, konnte den sofort erfolgenden Rückzug des russischen Generals nicht unterbinden, die Vereinigung starker russischer Kontingente bei Holowzin nicht verhindern, mußte hier eine Schlacht wagen. Und wiederum wollte Karl XII. durch einen schnellen überraschenden Schlag die russische Armee bezwingen.
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Als die schwedische Vorhut am 30. Juni 1708 das Dorf Holowzin im Fluß- und Sumpfgebiet des Wabitsch erreichte, konnte Karl XII. nicht sofort angreifen, zu stark standen die russischen Truppen gesammelt, zu gering waren die schwedischen Kräfte. In einem kurzen Reitergefecht sicherten Karls Dragoner zwei Brükken in das Dorf, verschanzten sich hier am westlichen Uferrand des kleinen dreiarmigen Flusses. Beide Führungen wußten, die WabitschLinie konnte nicht umgangen werden, Karl XII. mußte hier frontal angreifen- und darauf bauten die russischen Verteidiger. Wo aber würden die Schweden den Hauptstoß wagen? Scheremetjew und Menschikow konnten keine Antwort finden. Da hatten Überläufer, von denen man aber nicht wußte, ob Karl XII. sie geschickt hatte, Informationen über schwedische Angriffsvorbereitungen im Raum nördlich Holowzins gebracht. Und tatsächlich entdeckten russische Späher hier auch stärkere Reiterverbände der Armee Karls XII. War also hier der Überraschungsschlag zu erwarten? Die russische Führung beschloß, den General Ludwig Nikolaus Hallart mit einer Infanteriedivision und eine Kavalleriebrigade unter General August Ferdinand von Pflug dort zu postieren. Ein breiter Sumpf zwischen diesen Truppen und der Hauptmacht bei Holowzin unterband allerdings jedes Zusammenwirken der russischen Verbände. Karls Plan, die gegnerischen Befehlshaber zu verwirren, war offensichdich erfolgreich ... Der schwedische König nutzte die nächsten Stunden zur gründlichen Erkundung des Geländes um das Dorf Holowzin. Die Brückenübergänge in den Ort blockierte auf dem östlichen Ufer ein starkes Korps unter Feldmarschall Scheremetjew. Hier standen, für Karl XII. deutlich erkennbar, mehr als 10 000 Soldaten, war Artillerie aufgefahren. Tatsächlich verfügte der russische Befehlshaber über 14 000 Mann. Doch stand auch Scheremetjew relativ isoliert, denn an seiner Südflanke erstreckte sich ein etwa zwei Kilometer breiter Sumpfstreifen, den die russische Führung für undurchdringlich hielt. Südlich dieses morastigen Geländes stand Fürst Repnin, der seinerzeit im sächsischen Verb;md das Landungsmanöver Karls XII. an der Dwina erlebt hatte, den noch immer mehr Furcht als Siegeswillen beherrschte, der mit unglücklichem Gesicht die wachsende Stärke der schwedischen Regimenter vor seinen Stellungen bemerkte, dessen Selbstmitleid in gleichem Maße wuchs. Er kommandierte 7 500 Infanteristen und hatte zehn Geschütze auf das schwedische Ufer gerichtet.
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Südlich der Einheit Repnins formierte Feldmarschall Goltz 10 000 Dragoner in drei getrennten Brigaden unter den Befehlshabern Ifland, Heinske und dem Prinzen Friedrich von Hessen-Darmstadt, alle drei anerkannte Kavalleriekommandeure. Ohne Hallans und Pflugs Truppen waren die russischen Streitkräfte etwa 38 000 Mann stark. Ihnen konnte Karl XII. zwischen 12 000 und 17 000 Angreifer entgegenschicken. Eine aussichtslose Situation, die ungewöhnliche Entscheidungen erforderte. Während seiner Erkundungsritte mit dem Generalquartiermeister Oberst Gyllenkrock und dem Chef der schwedischen Artillerie, Oberst Rudolf von Bünow, hatte der schwedische Monarch herausgefunden, daß der Wabitsch gegenüber dem kleinen Sumpfabschnitt an der Südflanke Repnins ziemlich flach war. Trotz des Hochwassers würden dort die schwedischen Infanteristen durchwaten können. Allerdings mußten sie dann auch den Sumpf bezwingen. Hier konnten die ausgewählten Garderegimenter möglicherweise scheitern, dann eine hilflose Beute der russischen Artillerieschläge werden. Das war ein Risiko, eine schwereVerantwortungfür Karl XII. Und was würde geschehen, wenn die Kavallerie des Südflügels, wenn Goltz' Dragoner Repnin schnell zur Hilfe eilten, den nach einer Sumpfdurchquerung erschöpften, ungeordneten Schweden plötzlich in die Flanke fielen? Offene Fragen, die Karl XII. mit seinem Angriffsbefehl an dieser Stelle entschied. Der nächste Tag würde die Antwort bringen ... Am Abend des 3.Juli sammele Oberst Gy Henkrock die schwedischen Formationen für den Flußübergang, rollten Bünows Artilleristen im Schutze der Dunkelheit die Geschütze an den Fluß. Um 3.00 Uhr morgens am 4. Juli marschierten die Garderegimenter mit König Karl an der Spitze bei strömendem Regen aus dem Sammelraum ab. Die erste Kolonne, aus fünf Bataillonen bestehend, watete bereits vier Kilometer durch Schlamm und Morast, ehe sie im Morgengrauen den Fluß erreichte, auf einen alarmierten russischen Gegner traf, der vorerst jedoch in großer Unordnung zu keiner koordinierten Abwehr fähig war. Treffsicher und wirkungsvoll schlugen Bünows Granaten in den nördlichen Schanzenabschnitt der Repninschen Stellungen ein, vergrößerten die Sorgen und Ängste des Fürsten. Inzwischen sprangen, krochen, liefen die schwedischen Sturmspitzen bereits durch den breiigen Morast des Sumpfes, zogen sich gegenseitig weiter voran. Bald waren die mitgeführten Faschinenbündel verbraucht
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Fürst Repnin sandte Eilboten auf Eilboten an Scheremetjew und Goltz mit der dringlichen Bitte, durch schnelle Verstärkungen zu helfen. Von Minute zu Minute steigerte sich seine Furcht, schon ließ er seine Regimenter Zug um Zug aus der Schanze abrücken. Klagend soll er seinen Offizieren zugerufen haben, die benachbarten Befehlshaber erhörten die Hilferufe nicht, "Gottes Zorn" sei über ihnen. Gott hatte eigentlich alles getan, Repnins Verteidigung zu erleichtern und es war wohl auch nicht wirklich dessen Zorn, den der Fürst zu fürchten hatte. Die Wut Peters sollte bald schrecklicher und vor allem fühlbarer über Repnin und die fliehenden Scharen kommen ... Karl XII. hatte zweifellos den schwächsten Punkt in der russischen Barriere gefunden, Repnins Versagen wurde der Schlüssel zum Sieg. Obwohl sich die russische Artillerie allmählich auf die sich langsam durch den Sumpf quälenden Gardebataillone einschoß, Goltz' erste Kavallerieeinheit herannahte, räumte der Fürst eine gut geschützte Stellung, ermöglichte so den schwedischen Angreifern einen wirkungsvollen Schlag gegen die letzten verbliebenen Regimenter der Verteidiger. Auch Feldmarschall Goltz hatte Mühe im schlammigen Gelände am südlichen Flügel. So konnte Generalfeldmarschall Rehnsköld mit nur wenigen Schwadronen die herangaloppierenden Regimenter Iflands abwehren, mit weiteren, über den Fluß geführten Verstärkungen den Gegner schließlich zurückwerfen. Iflands fliehende Scharen rissen die nun ebenfalls das Schlachtfeld erreichenden Dragoner Heinskes mit in das allgemeine FluchtgetümmeL Den Sieg der schwedischen Kavallerie vervollständigte ein Überraschungsangriff auf die noch in Marschkolonnen anreitenden vier Regimenter des Prinzen von Hessen-Darmstadt. So siegten auch hier etwa 2 500 Schweden über 10 000 Gegner. Schließlich hatte sich auch Feldmarschall Scheremetjew zum Angriff entschlossen, war - zögernd zwar - langsam Repnin zur Hilfe marschiert. Doch waren seine ersten Bataillone zurückgewichen, als sie die schwedischen Eindringlinge am Sumpfrand entdeckten. Mit diesen Truppen war Karl XII. noch nicht zu schlagen. Das fühlte wohl auch der vorsichtige Scheremetjew. So drängte er nun seinerseits über den Fluß, wollte die Brücken passieren, um in den ungeschützten schwedischen Troß einzudringen, Karls XII. wichtigste Basis zu schwächen, wenn nicht gar vernichten. Zweifellos ein kluger Entschluß, geeignet, den weiteren Vormarsch der schwedischen Armee ganz wesentlich zu erschweren. Da aber waren die ersten Einheiten der schwedischen Hauptarmee heran. Das Västerbotten-Regiment unter Oberst Gideon Fock erreichte
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in diesem Augenblick den Wabitsch, verstärkte die Dragonerabteilung an den Brücken, warf Scheremetjew zurück. Und nun griff Karl XII. seinerseits mit der gesamten übergesetzten Infanterie den russischen Feldmarschall an. Eine Katastrophe für Zar Peters Heer bahnte sich an ... Glück im Wechselspiel! So wie Oberst Fock im entscheidenden Moment den schwedischen Train rettete, stoppte nun ein Gerücht über die drohende Vernichtung Rehnskölds den Vormarsch Karls, sicherte Scheremetjew den Rückzug. Die russische Niederlage war ohnehin schwer genug. Zar Peter tobte. Es war wohl weniger eine Frage der Verluste, die unterschiedlich beziffert wurden, zwischen 1 500 bis 5 000 Toten und Verwundeten schwankten, selbst der Verlust der russischen Geschütze und des Trosses fiel weniger ins Gewicht. Auch die schwedischen Zahlen mit 267 Toten und mehr als 1 000 Verwundeten waren hoch anzuschlagen. Karls Leibtrabanten - ein Eliteverband von nur 150 Soldaten - beklagten 13 Tote und 29 Verletzte. Der Gardekapitän Carl Magnus Posse berichtete seinem Bruder nach Schweden, welche hohen Verluste sein Regiment erlitten hatte, was "für ein schreckliches Feuer ... unser Regiment überstehen mußte: Über 70 Mann auf dem Platz und 289 verwundet und es ist bereits ein großer Teil seinen Verletzungen erlegen". Hinzu kamen Hunger und ständiger Regen. "Hilft uns Gott nicht schnell, ist es aus mit uns", resümierte Posse die Situation nach diesem Sieg für sich und seine Kameraden (Aberg, 119). Nein, Zar Peters Verluste waren nicht entscheidend! Wesentlicher für den russischen Herrscher war die Tatsache, daß nun der Weg nach Smolensk frei war, der Gegner erneut gesiegt hatte, eine äußerst vorteilhafte Stellung wieder nicht gehalten werden konnte, die Moral der zurückweichenden russischen Truppen weiter sinken würde. Und so wütete Zar Peter, strafte alle, die geflohen waren. 64 Soldaten wurden füsiliert, Fürst Repnin wurde degradiert, zur Zahlung der Kosten für die verlorenen Waffen aus eigener Schatulle verurteilt. Ein Kriegsgericht drohte auch Scheremetjew und Goltz. Zar Peter war fest entschlossen, seine furchtsamen Generäle zu künftigen Siegen über die Schweden zu zwmgen. König Karl XII. wertete Holowzin, wie er später andeutete, als seinen vielleicht wertvollsten militärischen Erfolg. Er hatte diesen außerordentlichen schwierigen Schlag geplant, die entscheidenden Vorstöße selbst angeführt, den Gegner in dem offenen Gelände zwar nicht vernichten können, sich aber die strategische Initiative sichern können.
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Und der Weg nach Moskau schien frei. Am 9. Juli erreichte Karl XII. die große Stadt Mogiljow am Dnepr, Zeit für eine neuerliche Ruhepause für die erschöpfte Armee. Hier aus Mogiljow schrieb Oberstleutnand Jon Stälhammar seinen letzten Brief an die Frau daheim in Smäland, hier war es auch, wo sein erst siebzehnjähriger jüngster Sohn Johan Adolf an den Verletzungen aus der Schlacht bei Holowzin verstarb. J ohan Adolf war erlöst, der Vater aber und seine Soldaten litten Hunger, wehrten sich verzweifelt gegen ständige Angriffe russischer Streifkorps. Mancher "brave schwedische Mann" müsse nun hinein ins Innere Rußlands, "aber es steht bei Gott und dem Glück für den, der da wieder hinauskommt". Und in einem kurzen Nachwort schrieb er noch, gerade seien seine Knechte von einer russischen Streife angefallen, einige getötet, acht Pferde verloren, unter den Gefallenen "Carl und Daniel. Gott mag nun wissen, wie ich zurechtkomme. Das war ein allzu großes Unglück auf einmal, Gott helfe mir armen Mann. Ich wünschte, daß ich von hier fort wäre, aber nun sind wir so weit fort, daß man nirgendwo hin kommt, sondern aushalten muß." (Aberg, 120). Kurze Zeit später verstarb Stälhammar, endete wie so viele Schweden in diesen Tagen. Die Hetzjagd nach den zurückweichenden russischen Truppen kostete Kraft. Die Lebensmittelvorräte schwanden erschreckend. Und Zar Peter ließ alles vor Smolensk verbrennen. Wo blieb General Lewenhaupt? Warum kamen die notwendigen Vorräte an Pulver, Lebensmitteln, Medikamenten und Heu, ja, vor allem Heu für die Pferde, nicht? Ein Eilbote nach dem anderen ritt aus dem schwedischen Hauptquartier dem kurländischen Riesentroß entgegen, sollte General Lewenhaupt zu größerer Eile antreiben. Dieser hatte erst im September die Beresina erreicht, war ungewöhnlich langsam marschiert, nachdem seine Armee Ende Juni den Raum Riga verlassen hatte. Und General Lewenhaupt hatte selbst offenbar wenig Energie entwickelt, den Marsch nach Rußland sonderlich zu beschleunigen. Er war erst am 29. Juli zu seiner Armee gereist, die damals noch nördlich von Vilnius marschierte. Schon den Zeitgenossen war General Graf Lewenhaupt eine umstrittene Persönlichkeit. Im Hauptquartier von Radoschkowitschi hatte ihn Karl XII. wenig beachtet, seine kurländischen Erfolge nicht gewürdigt. Dem Monarchen und den anderen Generälen galt Lewenhaupt als Vertreter einer anderen Kriegsschule. In holländischen Diensten hatte der Graf eine militärische Karriere begonnen, blieb dieser Taktik zeitlebens verbunden. Ihm bedeutete eine exakt formierte Linie mehr als ein Sieg
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auf dem Schlachtfeld, witzeltep. die Militärs in seiner Umgebung. Persönlich mutig, galt er als vorsichtiger Heerführer mit geringer Autorität bei seinen Unterführern. Eine auffallende Neigung, überall persönliche Angriffe und Mißgunst gegen sich zu erwarten, diese Komplexe durch eine Mischung aus übersteigertem Selbstwertgefühl und beständigem Absichern bei Vorgesetzten zu kompensieren, sowohl arrogant als auch verunsichert aufzutreten, störten auch Karl XII. Lange überlegte der Monarch, ob er Lewenhaupt mit der Mission der Heranführung der Reservearmee betrauen sollte, zog ihn auch nicht ins Vertrauen, übergab ihm nur die notwendigsten Informationen über den geplanten Feldzug. So trieb es den Oberbefehlshaber in Kurland kaum sonderlich ins Feldlager Karls XII., wo er bestenfalls zweitrangige Kommandostellen übernehmen konnte. Erst die energische Order des Königs ließ ihn im September die Marschquoten erhöhen, nachdem Lewenhaupt am 25. August in Dolginow den Kurier traf. Um seine heranmarschierende Reserve zu decken, schwenkte Karl XII. in der ersten Septemberhälfte im Raum Malatize-Starycze-Tatarsk unweit Smolensk, 400 Kilometer vor Moskau, im Wechsel nach links und rechts. Er suchte den russischen Gegner, wollte ihn zu einer Feldschlacht zwingen. Fähnrich Joachim Lyth berichtete, daß sie am 10. September die russische Armee auf der anderen Seite eines ausgedehnten Sumpfgebietes entdeckten. Karl XII. griff sofort mit zwei Regimentern an, "mit großem Mut, ehe wir über den Morast kamen. Aber sie flüchteten sofort und steckten im Fliehen alle umliegenden Dörfer und Städte an, so daß wir ohne Mondschein 24 große Feuer zählen konnten, die der Feind auf dem Wege vor uns und auf beiden Seiten um uns herum angezündet hatte" (Aberg, 121). Vor den Schweden breitete sich eine Feuerwand aus, die ein Vorwärtskommen der Armee ohne Verpflegungsbasis ausschloß, einen Rückzug in das ausgesogene Land aber ebenfalls nicht zuließ. Auf Lewenhaupt glaubte Karl XII. nicht länger warten zu können, der Hauptarmee drohte der Hungertod. Der König stand erneut vor einer schweren Entscheidung. Mit den Vorräten des kurländischen Trosses konnte seine Armee das verbrannte Gebiet bis Moskau durchqueren, jedoch war Lewenhaupt noch immer nicht in unmittelbarer Nähe. Wendete sich Karl XII. nach Süden, um von dort einen anderen Weg auf Moskau zu suchen, seine Armee zu versorgen, gab er den Raum für die russischen Streitkräfte frei, konnten größere Einheiten des Zaren den anfälligen Troß mit mehreren tausend Wagen attackieren.
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Noch einmal versuchte Oberst Gyllenkrock, den Monarchen für einen Marsch nach Norden zu gewinnen. Gemeinsam mit Graf Piper beschwor er Karl XII., wenigstens noch eine Woche auf Lewenhaupt zu warten, "um ihn zu retten und sich selbst durch seine Truppen und Vorräte zu stärken" (Fryxell, 202). Aber der König vertraute den Nachrichten seiner polnischen Späher, deren Rapporten zufolge General Lewenhaupt bereits über den Dnepr gesetzt sei und sich der riesige Troß südwestlich von Tatarsk bewege ... Sicher ist es eine Ironie der Geschichte, daß der mißtrauische König, der seine eigenen hohen Offiziere über seine Pläne in Ungewißheit ließ, der ständig besorgte, der Feind könne Informationen erhalten, gerade in dieser entscheidenden Situation die Berichte der polnischen Reiter nicht kontrollierte. Er hatte allerdings etwa zur gleichen Zeit von dem zurückgekehrten Kurier erfahren, dieser habe General Lewenhaupt am 29. August in Dolginow erreicht. Der Kurier war nun wieder im Lager eingetroffen, folglich sollte nach Karls Schätzungen der Troß Mitte September tatsächlich am Dnepr stehen, schließlich marschierte Lewenhaupt durch feindfreies Gelände. Grund genug also, die Aussagen der polnischen Walachen nicht anzuzweifeln. Und so schwenkte die hungernde, nur noch höchst unzureichend versorgte schwedische Armee nach Süden. Karl XII. hatte lange auf den langsamen, unbegreiflich langsamen Lewenhaupt gewartet, zu lange, wie sich bald darauf für die neue südliche Initiative des Königs erweisen sollte, zu kurz für Lewenhaupts Riesentrain. Dessen Wagen rollten nun in die Katastrophe. Am 29. September wurde die schwedische Reservearmee beim Dorf Lesnaja, nur 20 Kilometer von Propoisk an der Soza (Soach), von überlegenen russischen Truppen unter Zar Peter angegriffen. Den ganzen Tag über tobte die Schlacht. Gegen 16.00 Uhr befahl der Zar den vierten Angriff auf Lewenhaupts Linien, endlich senkte sich die Dunkelheit über das Schlachtfeld. In dieser Nacht verbrannte der schwedische Befehlshaber den größten Teil seiner Wagen, vernichtete die Vorräte und seine Artillerie, rettete Pferde und den Rest der Mannschaft. Am nächsten Tag erreichten die Schweden Propoisk, vereinigten sich mit ihrer Vorhut, verbrannten die restlichen Bagagewagen und überschritten den Fluß, etwa 6 400 Soldaten, die nur das nackte Leben und die Pferde gerettet hatten. Verloren war das gesamte rollende Materiallager, in dem "ich nicht nur Überfluß an allerhand Proviant für die mir folgenden Truppen hatte, sondern auch im Notfall, wenn ich etwas
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übertreiben will, die ganze königliche Armee sechs Wochen lang erhalten konnte", summierte Lewenhaupt in seiner Rechtfertigungsschrift die Katastrophe (Bengtsson, 347). Triumphierend verkündete später der Zar, der Sieg bei Lesnaja war "die Mutter des Sieges bei Poltawa, und diese Schlacht nur ein Kinderspiel gegen jene" (Fryxell, 210). Und diesmal war selbst Karl XII. sichtbar erschüttert. Generalquartiermeister Gyllenkrock vermerkte, er habe mehrere Nächte beim König sitzen und ihn ablenken müssen. Allzu düster schien in diesen Tagen die Zukunft der schwedischen Armee.
"Denn er sagte nicht zu seinen Offizieren und Soldaten: ,Geht hin und schlagt euch tapfer!', sondern er sagte: ,Kommt mit!' und war selbst unter den Vordersten." Pastor Jöran Nordberg über Karls XII. Beispielwirkung während des Rußlandfeldzuges
Poltawa Es war ein ungewöhnlicher Sommer 1709, drückend heiß. Eine schreckliche, nahezu alle lähmende Müdigkeit hatte sich über die Armee gelegt, breitete sich von Tag zu Tag wie eine gefährliche Krankheit aus, schwächte in furchterregendem Maße die Kampfkraft der schwedischen Truppen weiter, Durchfall und Wundfieber griffen um sich. Als sich am 27. Juni Feldmarschall Graf Rehnsköld, GrafPiperund der Kommandeur des Dalregiments, Oberst Gustav Hendrik von Siegroth, in der Schlafkammer des verwundeten Königs in einem Kloster auf einem Höhenzug oberhalb der belagerten ukrainischen Festung Poltawa zum Kriegsrat versammelt hatten, war es endlich gesagt worden, hatte es Oberst Siegroth ausgesprochen, ohne Rücksicht auf die Gefühle des Herrschers. Er könne auf seine Soldaten nicht mehr vertrauen, hatte der Führer dieses Eliteverbandes bemerkt, auf dem Rückzug bestanden. Und Karl XII. hatte sich aufgebäumt, scharf entgegnet, dann wünsche er, daß "weder er selbst noch irgend einer von der Armee lebend zurückkehren sollte" (Englund, 63). Eine Reaktion, die wohl kaum sonderlich geeignet war, den Vertrauten des Monarchen Siegeszuversicht einzuflößen, deutliches Zeichen der beängstigend fortgeschrittenen Krise dieser bisher unbesiegten Armee. Karls XII. siegesgewohnte Truppen befanden sich tatsächlich in einem katastrophalen Zustand, täglich mehrten sich die Anzeichen
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schwindender Kampfmoral selbst in den zuverlässigsten Regimentern. Eine Flut von Briefen nach daheim zeugte nun auch "von aufkeimenden Zweifeln unter den Kriegern" (Englund, 59). Erstmalig breiteten sich jetzt auch Sorgen und Ängste unter der Masse der einfachen Soldaten aus, übertrug sich das Wissen der höheren Offiziere, aus einer schier aussichtslosen Position heraus zu operieren, wie in einem Sack zwischen Dnepr, Psel und Worskla - auf ein etwa 50 Kilometer breites Gebiet beschränkt - eingeschnürt, mit der Belagerung einer eigentlich unbedeutenden kleinen Festung befaßt zu sein, Poltawa, einer Stadt tief unten im Süden der Ukraine, weit entfernt vom Ziel aller Sehnsüchte, von Moskau, wo doch dieser Krieg erfolgreich beendet werden sollte, der letzte der Feinde Schwedens besiegt sein würde, wie es der König, die Offiziere und Geistlichen versprochen hatten. - Aber dies war nicht Moskau, der Weg dorthin war weiter denn je und wo blieben die angekündigten Verstärkungen? Jetzt im Kriegsrat war es ausgesprochen worden, hatte man sich nicht länger täuschen können in der vagen Hoffnung auf heranziehenden Ersatz, auf den baldigen Kriegseintritt der Türken und Tataren. Am 22. Juni war Oberst Sandul Koltza von einer Reise nach Bender zum dortigen Serasker, dem obersten Bevollmächtigten des Sultans für diesen Teil des osmanischen Reiches, zurückgekehrt. Und er hatte außer freundlichen Worten, Sympathieerklärungen, nur die Gewißheit mitgebracht, daß man in Konstantinopel weitere Erfolge der schwedischen Truppen abwarten wollte. Abgesandte des Tatarenkhans Devlet Gerai waren zusammen mit Koltza im Lager vor Poltawa eingetroffen und hatten dessen Bedauern vorgetragen, ohne Zustimmung des Sultans nicht losschlagen zu dürfen. Und zu allem Übel war an diesem Tage auch noch der Sekretär Otto Wilhelm Klinkowström von der schwedischen Armee in Polen angeritten gekommen. Und seine Nachricht war vielleicht die betrüblichste. Zwischen König Stanislaw und General Krassow stand eine russische Armee unter den Generälen Goltz und August Ferdinand von Pflug. Und eine polnisch-litausche oppositionelle Armee unter Kronfeldherr Adam Nikolaus Sienawski operierte Schulter an Schulter mit den russischen Eindringlingen. Das erhoffte schwedisch-polnische Entsatzheer mit dringend benötigtem Pulver, Kugeln und Monturen stand bei Jaroslovice in Westpolen, mehr als 1 000 Kilometer entfernt. Die übrigen Truppen Schwedens sammelten sich gerade erst um Wismar. Nein, Hilfe von außen konnte nicht kommen! Damit war jedes weitere Verbleiben hier bei Poltawa sinnlos geworden. Man dürfe "keinen einzigen Tag länger bei Poltawa verhar-
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ren", urteilte nun auch Feldmarschall Rehnsköld während des Kriegsrates am 27. Juni (Englund, 62 f.). Fast eine Woche war vergangen, seit die schwedische Führung diese niederschmetternden Nachrichten erhalten hatte. Aber Rehnsköld konnte sich zu keinem Entschluß durchringen vor diesem Kriegsrat, vor dem Tag, an dem König Karl XII. endlich aus tiefem Wundfieber wieder bei vollem Bewußtsein war, die Wunde an seinem Fuß nicht mehr lebensgefährlich wirkte. An seinem Geburtstag, zehn Tage vorher, hatte Karl einen Gegenstoß organisiert, den Übergang der russischen Hauptstreitkräfte nahe Poltawas über die Worskla abgewiesen. Oh ja, die Russen sollten schon über den Fluß, aber nicht an dieser Stelle! Und so hatte Karl XII. auch nach der Verwundung weitere Weisungen erteilt, Abwehrstellungen kontrolliert. General Lewenhaupts besorgte Frage nach der Verletzung hatte er mit wegwerfender Geste abgetan, es sei "nur im Fuß, die Kugel sitzt drinnen, ich werde sie herausschneiden lassen, so daß es pfeift" (Bengtsson, 145).- Nun, so einfach war es dann doch nicht gewesen, obwohl Karl XII. auch während der Operation mit gewohnter Energie alle Schmerzen ertrug, seine Ärzte zu entschlossenem Handeln antrieb, die beunruhigt herbeigeeilten Generäle ermutigte. Aber die schier unerträgliche Hitze hatte dann doch gewirkt, starkes Wundfieber mit Entzündung des Beines waren gefolgt und die Ärzte hatten den König am 20. und 21. Juni fast völlig aufgegeben. Inzwischen war Zar Peter mit der gesamten russischen Armee über die Worskla gegangen und hatte dort eine befestigte Stellung am Flußufer, wenige Kilometer nördlich Poltawas, aufgebaut, die am 22. Juni von Rehnsköld angebotene Feldschlacht aber verweigert. Karls XII. Wunsch, die russische Armee einmal, nur ein einziges Mal, zur Feldschlacht stellen zu können, war nun endlich erfüllbar, nun brauchte er nur anzugreifen. Aber bis zu diesem 27. Juni hatte Karl das kaum wirklich erfassen, noch weniger die Aussichtslosigkeit seiner Gesamtsituation verstehen können. Als gegen 16.00 Uhr der Kriegsrat endete, war alles entschieden. Der Mangel an Munition schloß einen Vormarsch auf Moskau aus. Nach einer notwendigen entsprechenden Schlacht würden die schwedischen Soldaten bestenfalls noch Kugeln und Pulver für wenige Schüsse übrig haben. So blieb auch nach einem Sieg hier bei Poltawa wahrscheinlich nur der Rückzug nach Polen. Vorher mußte aber Zar Peter auf jeden 8 Findeisen
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Fall geschlagen werden. Eine kampfstarke russische Armee würde keinen Rückzug der Schweden über den Dnepr nach Polen zulassen ... Und diese russische Armee war stark. Als Zar Peter die russischen Truppen an diesem 27. Juni, einem Sonntag, neue Verschanzungen aufwerfen ließ, berichtete Fürst Menschikow in einem Brief seiner Frau zuversichtlich, zwar stünde man jetzt dem Feind viel näher als gestern noch, doch scheine das Lager "gut gewählt. Unsere Truppen haben dazu Befestigungen aufgeführt, und man glaubt, daß der Gegner schnell gezwungen sein wird, diesen Platz zu verlassen und sich zurückzuziehen ... " (Englund, 66). Auch in der russischen Führung war man sich über die desolate Lage Karls XII. und seiner Armee bewußt. Mit diesen Truppen konnte selbst ein solcher König nicht mehr an eine siegreiche Schlacht denken! Seit der Wende bei T atarsk nach Süden hatte Karls XII. Armee unbeschreibliche Strapazen durchlebt, unter größten Opfern ein riesiges menschenleeres Waldgebiet zwischen dem Smolensker Raum und der Ukraine durchquert. Und das war eine neue, schmerzliche Erfahrung für die schwedische Armee und ihren König gewesen. Der russische Wald war nicht Masurien, dieses war dagegen ein Spaziergang gewesen! Pastor Jöran Nordberg, der diesen Marsch erlebte, hatte noch Jahrzehnte später das Grauen vor Augen, als er schrieb: "Was dieser Weg in dem großen Gehöltze, das achtzehn Meilen lang war (das sind 180 Kilometer), an Menschen und Vieh wegnahm, das ist fast unbeschreiblich. Die letzten Regimenter hatten keinen Wegweiser nötig, indem die Pferde, die umgefallen waren, die Kleider und das Gewehr, und was man sonst nebst andern Sachen zur Erleichterung der Bagage, wegwerfen mußte, dazu hinlänglich waren." (Nordberg, II, 69). Pastor Andreas Westerman, einer der Bataillonsprediger der Leibgarde, berichtete in seinen Aufzeichnungen über den siebentägigen Marsch durch das unwegsame Waldgelände in stetigem Abwehrkampf gegen die schnellen russischen Streifkorps. Wir "hatten reichlich Gelegenheit zu erfahren, was böse ist", schilderte Westerman- natürlich recht einseitig -die Stimmung der schwedischen Soldaten, die hilflos auf den herumstreifenden Feind reagierten. "Viele Wagen fuhren sich im Morast fest und mußten zurückgelassen werden, und die Verwundeten und Kranken starben." Fähnrich L yth klagte in seinem Tagebuch, er und seine Kameraden "mußten hier vor unsern Augen sehen, wie Leute und Pferde, vom Hunger ermattet, zu Boden fielen und jämmerlich starben". Dazu mußten sie "auch zur Nacht Wache halten in Regen und Unwetter, denn Gelegenheit, ein Zelt aufzuschlagen war nicht". Ein anderer junger
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Offizier, Fähnrich Robert Petre, berichtete, daß er während der zehn Tage Waldmarsch "nicht so viel Essen wie eine Handgröße hatte" und sich mühsam von Beeren ernährte (Aberg, 121 ff.) Selbst die Borke der Bäume wurde gekaut. L yth vermutete, daß sie mehr Pferde und Soldaten als in mancher großen Schlacht verloren. Und darauf folgte der Marsch durch Sewerien, auf dem viele Schweden noch größere Not litten, wie Lyth ausdrücklich vermerkte. Erst an der Grenze zur Ukraine, in einem Landstrich mit größeren Dörfern, konnten sich die fast verhungerten Schweden wieder erholen. Bis zum 11. Oktober hatte Karl XII. seiner Armee hier die nötige Ruhepause gegönnt. Aber der Plan des Königs war nicht erfüllt. Beim Abmarsch von Tatarsk hatte er mehrere tausend Schweden unter Generalmajor Lagercrona zur Sperrung der Straße von Zentralrußland nach Sewerien bei Potscheb abgesandt. Eile tat not. Starodub, die zentrale Stadt auf dem Wege zwischen Kaluga und der Ukraine war ein nächstes strategisches Ziel der Schweden. Aber Lagercrona hielt sich nicht an die Marschpläne des Generalquartiermeisters. Er "verkürzte" mit Hilfe russischer Bauern den Weg - und wurde in die Irre geführt. Als Karl XII. selbst handelte, war es bereits zu spät, Scheremetjews Truppen hatten Potschep besetzt. Wenige Tage später mußte der König erfahren, daß sein witziger, redegewandter, die Russen verachtender Günstling Lagercrona vor der offenen Stadt Starodub verharrte, selbst auf Bitten und Vorstellungen seiner Offiziere nicht zu bewegen war, den Ort zu besetzen. Er habe keine entsprechende Order, so bedeutete dieser unfähige General seinen Unterführern. Bald darauf kündeten drei russische Kanonenschüsse den vor Starodup lagernden Schweden, daß auch dieser Platz verloren war. Lagercrona "müsse verrückt sein und den Verstand verloren haben", beklagte Karl XII. seine Entscheidung, ausgerechnet diesen Offizier mit dem wichtigsten Kommando dieser Wochen betraut zu haben (Bengtsson, 97). Weitere unangenehme Überraschungen erwarteten den schwedischen Monarchen an der Grenze zur Ukraine. Auf Mazeppas Verrat reagierte Fürst Menschikow mit schnellen Maßnahmen. Am 27. Oktober 1708 war der Hetmann mit etwa 4 000 Kosaken ins schwedische Lager eingeritten. Als Karl XII. nach einigen erfolgreichen größeren Gefechten am 3. November über die Desna setzte, nach Baturin marschieren wollte, hatten Menschikows Truppen am gleichen Tag die Stadt gestürmt, alles verbrannt, erstickten den Aufstandsversuch der kosakischen Ober-
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schiebt in der Ukraine. Statt der angekündigten 20 000 marschierten nun nur noch einige tausend höchst unzuverlässiger Anhänger Mazeppas an der Seite der Schweden, war der Hetmann selbst ein Gejagter. Vorerst empfing die Ukraine die Schweden jedoch mit offenen Armen, glaubten viele von ihnen nach den Strapazen der letzten Monate, für alles entschädigt zu sein. Enthusiastisch priesen manche Schweden in ihren Tagebüchern und Briefen die reiche Ukraine, lobten die freundliche Aufnahme in sauberen, wohleingerichteten Häusern. Dann aber kam der schrecklichste Winter seit Menschengedenken und König Karl XII. trieb seine Soldaten zu neuen Angriffen. Am Abend des 23. Dezember stieg die Kälte innerhalb weniger Stunden über das menschenerträgliche Maß und für viele blieb nur das freie Feld zur Übernachtung. "Es war so kalt, daß die Ochsen unter dem Joch niederfielen und steintot waren. Die Vögel, die in der Luft flogen, fielen zur Erde nieder und waren tot. Ja, viele dürften sich an den Heiligabend erinnern wie auch an das Fest, wenn sie überhaupt noch so lange am Leben blieben", berichtete der Korporal Erik Larsson Smepust. Die fürchterliche Kälte hielt an, so "daß keine Predigt, sondern nur Betstunde gehalten werden konnte", trug Oberst Carl Magnus Posse in sein Journal (Bengtsson, 354). Der Dragoneroberst Nils Gyllenstierna ritt am Weihnachtsmorgen auf diesem Weg und fand ihn voller erfrorener Soldaten und Pferde. Bagagewagen und Krankenkarren standen mit angefrorenen Kutschern auf den Böcken selbst noch vor den Toren der kleinen Stadt Gadjat. Dazu kam eine Legion Verkrüppelter, denen die Feldscher erfrorene Glieder amputieren mußten. Fähnrich Petre erwähnte, er habe einen Infanteristen gesehen, der sich niedersetzen wollte, "dessen Rückgrat brach mit einem solchen Knall, wie wenn man eine Pistole löst" (Bengtsson, 356). Und dann kam das Massaker von Weprik. Karl XII. hatte völlig sinnlos hunderte seiner besten Truppen auf die kleine Erdfestung stürmen lassen, war stundenlang nicht bereit, den Mißerfolg seiner überhasteten Aktion einzugestehen. Selbst Jöran Nordberg summierte den Verlust von mehr als 400 Toten und Verwundeten mit der kritischen Feststellung, es wäre "keine sonderliche Beute daraus zu holen" gewesen (Nordberg, II, 114). Dagegen waren einige wichtige Unterführer gefallen, auf deren Erfahrung in der Truppenführung Karl XII. kaum verzichten konnte. Im Januar und Februar 1709 hatte Karl XII. in neuerlichen Angriffen russische Teilstreitkräfte geschlagen, am 13. Februar in Zentralrußland
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Kolomak erreicht, um dann vor einer vorübergehenden, ebenso ungewöhnlichen Tauwetterperiode wieder in die Ukraine zurückweichen zu müssen. Und wieder hatte auch dieses Unternehmen Soldaten und Material gekostet, waren die Erfolge keine Kompensation für die Verluste. Jöran Nordberg, der selbst dabei war, wußte schon, wovon er schrieb, als er die Stimmung der schwedischen Armee in diesem Frühjahr schilderte. Es sei nur das ungebrochene Vertrauen in den König gewesen, "was noch die Truppenbey gutem Gemüthe erhielt, .. . so viel mehr, da derselbe mit ihnen alles Uebel ertrug, und sich selbst weniger als sonst jemanden schonete" (Nordberg, li, 123). Aber selbst dieser furchtlose König konnte die Zeichen nicht mehr übersehen. Seine Armee benötigte Ruhe, durfte nicht mehr durch Teilerfolge reduziert werden, mußte endlich in eine entscheidende Schlacht gegen die russische Hauptarmee geführt werden. Zar Peter mußte dazu gezwungen werden, Poltawa sollte der Köder sein. Anfang Mai 1709 begann Karl XII., die Festung Poltawa zu belagern. Zar Peter hatte die Besatzung auf 4 000 Verteidiger erhöht, die Wälle mit 28 Geschützen bestückt, größere Vorräte an Kriegsmaterial eingelagert. Doch waren die Schanzen und Festungswerke nur unzulänglich und einer so erfahrenen Armee wie der schwedischen kaum längere Zeit gewachsen. Poltawa dehnte sich oberhalb einer Erhebung längs der Worskla auf einem etwa einen Quadratkilometer einnehmendem Gebiet in den Maßen 1 000 mal 600 m aus. Durch einen tiefen Hohlweg war die kleine Stadt an dem hier bis zu 100 Meter breiten Fluß, an einem alten Übergang der großen Straße von Charkow nach Kiew, in zwei Quartiere geteilt. Das größere Stadtviertel galt als das eigentliche Poltawa, der kleinereTeil war die Vorstadt Masurowka mit ausgedehnten Kirschgärten. Nordwestlich von Poltawa lag noch eine weitere Vorstadt, durch einen niedrigen Erdwall geschützt, die aber bereits von den Belagerern zerstört war. Auch Poltawas Befestigung bestand nur aus einem Erdwall mit Holzpalisaden und einem kleinen Graben davor. Karl XII. ließ Laufgräben, Parallelen und Belagerungsschanzen vor Poltawa mit auffallender Exaktheit anlegen, reduzierte die Beschießung der Festung auf fünf Schüsse pro Tag, registrierte zufrieden, daß Zar Peter allmählich die gesamte russische Armee auf der östlichen Seite der Worskla zusammenzog. So konnte man bei relativ guter Versorgungslage und der Aussicht auf heranmarschierende Verstärkungen aus Polen der Dinge harren, die da kommen sollten, kommen mußten.
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Früher oder später würde die russische Armee angreifen, ihre gefährdete Festung entsetzen, die schwedische Armee vernichten wollen, ein Heer, das offenbar so schwach war, daß es selbst eine so unbedeutende Anlage nur unter größtem Zeitaufwand einnehmen konnte. Als der Artillerieoberst Rudolf von Bünow am 18. Mai die Beschießung intensivieren wollte, erlebte Fähnrich Petre, daß "Seine Majestät weiteres Kanonieren diesmal nicht zulassen wolle, ... wurde um 11 Uhr abends damit aufgehört, jedoch gegen den Willen des genannten Oberst, der, wie ich hörte, darum ersuchte, sechs Stunden, wie er es wollte", Poltawa beschießen zu dürfen. Doch habe Karl XII. Bünow freundlich die Schulter getätschelt, ihn "Großvater" genannt und gebeten, nicht böse zu sein, denn "wir bekommen sie wohl immer" (Bengtsson, 373). Und auch Generalquartiermeister Gyllenkrock, der die Belagerung leitete, mußte in diesen Tagen erstaunt erfahren, daß ein brennender hölzerner Turm in Poltawas Verteidigungssystem derzeit keinen Grund für einen Sturm der Außenwerke ergab. Karl XII. wollte keine schnelle Einnahme der Festung. In diesen Tagen vor der Entscheidungsschlacht waren die Palisaden zerschossen, der Wall an vielen Punkten durchgraben, Poltawa überreif für den Sturm. Aber der König untersagte noch immer jeden Angriff, Gyllenkrock durfte lediglich nach dem 12. Mai in einem Teil der Außenwerke eine schwedische Batterie postieren, so den Druck auf die Festung weiter erhöhen. Jetzt aber, Ende Juni 1709, waren die russischen Truppen endlich da, wohin sie König Karl und seine Generäle wünschten. Sie standen mit dem Rücken zur Worskla, in einem befestigten Lager verschanzt, aus dem nur zwei schmale Rückzugswege hinausführten. Konnte man dieses Lager stürmen, den Erfolg von Narwa wiederholen, wäre es der Untergang der Armee des Zaren. Gewaltige Vorräte würden erbeutet, der Zug auf Moskau dann vielleicht doch möglich. Karl XII. wollte diese russische Katastrophe, benötigte sie dringend .. . Rund um Poltawa erstreckte sich eine weite Ebene mit zahlreichen Senken und Höhen, dehnten sich größere Wälder und dichter Buschbewuchs aus. Südlich Poltawas mit Front gegen den Südteil der Stadt und Masurowka hatten die Schweden eigene Verschanzungen ausgehoben. Auch ihr Lager wurde durch einen tiefen Graben gespalten. Die Hauptarmee Karls XII. - die Infanterie - lagerte in der Ebene an einem kleinen Bach südlich der Festung. Die verbündeten Saporoger Kosaken,
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die vor allem als Armierungstruppen in den Belagerungswerken eingesetzt waren und deren gereizte Stimmung jederzeit in offene Meuterei umschlagen konnte, lagerten weiter südlich des Camps der schwedischen Infanterieregimenter. Nordwestlich Poltawas erstreckte sich eine langgedehnte bewaldete Anhöhe, an deren Südspitze das Kloster stand, in dem der schwedische Stab operierte und der verwundete König lag. Das war der JakowzyWald. An seinem nördlichen Ende, unmittelbar hinter den Resten des Dorfes Jakowzy, etwa fünf Kilometer von Poltawa entfernt, war das neue russische Feldlager eingerichtet worden. Ebenfalls etwa fünf Kilometer von der Festung und dem schwedischen Infanteriestütztpunkt entfernt, erstreckten sich in westlicher Richtung die Zelte der schwedischen Kavallerieeinheiten zwischen den zerstörten Dörfern Ribtsi und Puschkarjowka. Südlich des letzteren war der schwedische Train gesammelt. Der schwedische Angriffsplan baute auf die offensichtlichen Schwächen des russischen Lagers. Zar Peter hatte fast 30 000 Soldaten auf der Fläche eines Quadratkilometers in einem unregelmäßigen Viereck konzentriert. Am 26. Juni hatte der Zar befohlen, das neue Lager an drei Seiten durch Gräben und Wälle zu schützen, 73 Geschütze aufzustellen und die Angriffseite durch spanische Reiter weiter zu sichern. Die dem Fluß zugewandte, hier etwa 60 Meter steil über dem Ufer der Worskla aufsteigende vierte Seite hatte er unbefestigt gelassen. Das schwedische Oberkommando entdeckte zufrieden, daß nur ein nördlicher Weg aus der Verschanzung führte, der sich durch zahlreiche Erhebungen wand und der beständig von oben beschossen werden konnte. Entsprechendes Flankenfeuer mußte verheerende Wirkungen auf die fliehende Armee zeitigen. Auch der zweite Fluchtweg direkt zum Ufer hinunter konnte einen Übergang einer so großen Armee über den Fluß nicht sichern. Ohne Brücke mußten sich hier demoralisierte Massen hilflos verkeilen, ein Opfer der durchbrechenden schwedischen Truppen werden. Die schwedischen Kundschafter hatten jedoch auch beunruhigende Beobachtungen gemeldet. Etwa einen Kilometer westlich des russischen Lagers erstreckte sich hinter einer tiefen Senke im flachen Gelände ein zweites dichtes Waldgebiet, der Budistschi-Wald. Im Norden schloß sich die Iwantinsti-Anhöhe mit den Trümmern dieses Dorfes an. Durch das zerstörte Dorf floß ein kleiner versumpfter Fluß, der in einer morastigen Senke endete. Im Norden war die Ebene um das russische Lager,
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das künftige Schlachtfeld, durch weitere Sumpfstrecken, morastige Bäche und kleinere Erhebungen mit Häuserresten begrenzt. Der einzige Zugang- und eventuelle schwedische Rückzugsweg-in das Gelände für die Entscheidungsschlacht führte durch eine schmale Öffnung zwischen Budistschi- und Jakowzy-Wald. Zwischen den beiden dichten Wäldern dehnte sich eine etwa 1 200 bis 1 500 Meter breite, nur mit spärlichem Buschbestand bewachsene Anhöhe. Hier hatte Zar Peter sogleich schanzen lassen. Sechs Redouten, in einer Linie im Abstand von nur etwa 150 bis 170 Metern errichtet, kanonenbestückt, sperrten den Zugang ins freie ausgedehnte Gelände vor dem russischen Feldlager. Wollten die Schweden hier wirklich durchbrechen, liefen sie durch eine Feuerwand. Am Sonnabend hatten die russischen Soldaten begonnen, vier neue Schanzen, jede etwa 50 mal 50 m breit, fünf Meter hoch, mit Brustwehr und Wallgraben im rechten Winkel zu der Längssperrung anzulegen. Das gesamte Schanzensystem bildete nun die Form eines riesigen "T" und würde eine angreifende schwedische Armee schon vor den sechs Redouten in zwei Teile spalten, "gleich einem Wellenbrecher" (Eng/und, 55). Und diese" Wellen" schwedischer Angreiferwürden während des Vorrückens auf die Redoutenlinie ständig seitlich beschossen werden können. Als Schutz für seine Schanzensperre hatte der Zar noch Fürst Menschikows Kavallerie postiert, etwa 9 000 Reiter mit 13 Geschützen. Eventuell durchbrechende schwedische Angriffskolonnen würden so auf herangaloppierende Kavallerie treffen. Ein Überraschungsangriff auf das russische Feldlager schien damit ausgeschlossen. Aber war das wirklich so? Die schwedische Führung glaubte an diesem 27. Juni, eine passable Lösung für den Angriff am kommenden Morgen gefunden zu haben, das Risiko auf ein Minimum reduzieren zu können. Die schwedische Armee bestand aus etwa 8 200 Infanteristen, in 18 Bataillone eingeteilt, denen für den Angriff vier leichte Geschütze zugeteilt wurden. 7 000 Kavalleristen, in 109 Schwadronen gegliedert, sollten die Infanterie unterstützen, Menschikows Reiterei vertreiben. Ein Wallachenregiment mit 12 Schwadronen, 1 000 Reitern, sollte durch einen Scheinangriff südlich des russischen Feldlagers für die nötige Unruhe sorgen, vom eigentlichen Aufmarsch ablenken. Neben den 16 000 für die Schlacht eingeteilten Soldaten verfügte Karl XII. an diesem Nachmittag des 27. Juni noch über 1 100 Soldaten in den Belagerungswerken, die durch 200 Kavalleristen verstärkt waren
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und zwei Geschütze behielten, 2 000 Reitern zum Schutze des Trosses, der weiter südlich des Dorfes Puschkarjowka zusammengezogen werden sollte, zahlreiche Kosaken und 28 Geschütze mit ausreichender Artilleriemunition, die jedoch sämtlich beim Troß belassen wurden. Karl XII. und seine Generäle schätzten Kanonen vor allem als Belagerungswaffen, den massiven Einsatz von Artillerie in einer Feldschlacht lehnte der schwedische König ab. Am Unterlauf der Worskla operierten noch weitere 1 800 Kavalleristen. Die schwedische Führung konnte gegebenenfalls für die Entscheidungsschlacht fast 20 000 Soldaten mobilisieren. Russischerseits schätzte die schwedische Seite etwa 40 000 Gegner, deren Kampfstärke aber noch immer von Feldmarschall Rehnsköld relativ gering veranschlagt wurde. Tatsächlich hatte der Zar 25 500 Infanteristen, 9 000 Kavalleristen, 4 000 Infanteristen in der Schanzlinie, 1 000 weitere Fußsoldaten und ebenso viele Reiter beim Dorf Jakowzy südlich seines Feldlagers, zahllose Kosakenschwärme und mehr als 4 000 Soldaten in Poltawa unter seinem Befehl. Die russische Armee verfügte insgesamt über 130 Geschütze verschiedensten Kalibers. Die mehr als doppelt so starke russische Streitmacht sollte in einem Überraschungsangriff bezwungen werden, so sah es der im schwedischen Kriegsrat beschlossene Angriffsplan vor. Angriff, immer wieder Angriff, der plötzliche konzentrierte Einsatz todesmutiger schwedischer Soldaten auch gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner war bisher das Erfolgsrezept des schwedischen Herrschers gewesen. Diese Form des Krieges war für die schwedische Armee "maßgeschneidert". Die Frage war nur, würde das Konzept eines Überraschungsangriffs umgesetzt werden können? Da König Karl XII. noch immer nicht reiten konnte, hatte im Einverständnis mit dem Herrscher Feldmarschall Rehnsköld den Oberbefehl übernommen. Die beiden Offiziere, GrafPiperund der Monarch hatten während des Kriegsrates offenbar beschlossen, die Infanterie in vier Kolonnen durch das Schanzensystem beim ersten Morgengrauen in größter Schnelligkeit und überraschend für die russischen Verteidiger auf das eigentliche Schlachtfeld zu führen. Dort sollte das Lager gestürmt, die fliehenden Feinde durch die schwedische Kavallerie vernichtet werden. Das läßt sich heute im wesentlichen nur rekonstruieren. Keiner der am Kriegsrat Beteiligten hat später jemals über Details des Angriffsplans
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gesprochen, Aufzeichnungen hinterlassen. Wieder einmal wünschte Karl XII. keine" vorzeitige" Information seiner eigenen Generäle. Selbst der Generalquartiermeister Oberst Gyllenkrock wurde erst nach Abschluß der Beratung zum König und dem Feldmarschall gerufen. Der Oberst wurde beauftragt, die Kolonnen einzuteilen. Informationen über den vorgesehenen Schlachtablauf erhielt auch er nicht. Den seit dem frühen Nachmittag vor den königlichen Räumen im Kloster wartenden höheren Infanterieoffizieren wurden anschließend lediglich Kopien des Aufmarschplanes zum Schanzensystem überreicht, General Lewenhaupt als Kommandeur der Infanterie eingesetzt, während der Feldmarschall ins Kavallerielager geritten war, um hier die Generalmajore Carl Gustav Creutz und Hugo Barnilton zu instruieren. Wie Graf Lewenhaupt erfuhren auch diese beiden Befehlshaber nur, daß sie noch in denN achtstunden-nach erhaltener Order- zum Redoutensystem aufzubrechen hätten, dort in der Frühe die ersehnte Entscheidungsschlacht beginnen würde. Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, die kriegserfahrenen schwedischen Heerführer Karl XII. und Graf Rehnsköld hätten sich erst während des Schlachtverlaufes entscheiden wollen. Analysiert man heute die getroffenen Vorbereitungen, fällt auf, daß die Infanteriekolonnen weder mit Sturmgerät noch mit entsprechender Artillerie und Granaten ausgerüstet wurden. Karls Truppen sollten noch in der Dunkelheit durch das Schanzensystem hindurchdrängen, möglichst den unnötige Opfer fordernden Kampf um die Redouten vermeiden, Zar Peters Frist reduzieren, die russischen Hauptstreitkräfte im Feldlager zu formieren. Die russischen Besatzungen in den Schanzen sollten in der bleischwarzen Finsternis der ukrainischen Nacht kein Schußfeld finden, die schwedischen Truppen mußten schnell und geschlossen durch die Schanzen hindurch, ohne Zeitverlust, so wollte es der schwedische König! Dann würden der Feldmarschall und Karl XII., der, auf einer Bahre liegend, seine Truppen begleiten wollte, weiter Order erteilen . .. Als um 23.00 Uhr, in mondloser Nacht, an diesem 27. Juni der Aufbruchbefehl für die Infanterie erteilt wurde, die Ordonnanzen ins Kavallerielager trabten, brach das befürchtete Chaos aus. General Lewenhaupt hatte schon am Nachmittag den Feldmarschall gebeten, noch bei Tageslicht die Formierung der Marschkolonnen üben zu dürfen. Das war verworfen worden, um den russischen Gegner nicht zu warnen. Vom Überraschungsmoment, dem plötzlichen Losschlagen gegen den hoffentlich tief schlafenden, sich in Sicherheit wähnenden Feind hing
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der Erfolg des schwedischen Planes ab. Zar Peter sollte in seinem Lager wie in einer großen Mausefalle eingeschlossen und vernichtet werden. Und so hatte sich Lewenhaupt neben der Bahre des Königs ausgestreckt, war eingeschlafen. Nicht einmal seine Pferde standen bereit, die Knechte warteten mehr als 400 Meter vom Kloster entfernt. Wertvolle Zeit verging, bis sich Lewenhaupt um die Truppen kümmern konnte. So traf ein äußerst verärgerter Feldmarschall auf ein erschreckendes Durcheinander der zu den Stellplätzen hastenden Soldaten und einen gerade erst herangaloppierenden inkompetenten Infanteriekommandeur Lewenhaupt, der nicht einmal sagen konnte, welche Bataillone in der Dunkelheit herumirrten und das Chaos verursachten. Lewenhaupt hatte keinerlei Übersicht. Mehr als eine Stunde ordneten die Offiziere die Kolonnen. Endlich, nach einer für unerläßlich erachteten anschließenden Gebetsstunde, marschierte die Infanterie gegen 1.00 Uhr morgens aus dem Sammlungsraum ab, 70 Kompagnien, in 18 Bataillone auf vier Kolonnen verteilt. Gegen 2.00 Uhr erreichte die erste Kolonne unter Generalmajor Axel Sparre den Zielraum 600 Meter vor der südlichsten Redoute, folgten schnell die zweite unter Generalmajor Berndt Otto Stackelberg, die dritte, von Generalmajor Karl Gustav Roos kommandiert, legten sich die Soldaten einer neben dem anderen still ins feuchte Gras, wurden vom eifrig an der Verschanzung arbeitenden Gegner nicht bemerkt. Gegen 2.30 Uhr war auch die vierte Kolonne unter Generalmajor Anders Lagercrona eingetroffen, der sich König Karl XII. mit einer speziell ausgewählten Leibwache und seinem Hofstaat angeschlossen hatte. Nun wartete die schwedische Führung auf die Kavallerie, die nicht kam. Und die Zeit zum Angriff verrann, langsam dämmerte der Morgen heran, bald würde es zu spät sein für den Überraschungsschlag. Trotz vorheriger Orientierung durch Generalmajor Creutz und einen Rittmeister am Sonntagnachmittag waren die Kavallerieverbände sowohl des rechten als auch des linken Flügels fehlgeritten. Als Creutz endlich durch ausgesandte Ordonanzen zum Sammelraum geleitet war, dem König und dem Feldmarschall berichtet, kurz danach auch Hamilton seine Reiter herangeführt hatte, wurde weitere wertvolle Zeit durch einen Erkundungsritt verschwendet. Nun lenkte Feldmarschall Rehnsköld sein Pferd nach vorn zu den Redouten . .. Es war ein schwarzer Tag für die schwedische Armee. In diesen Minuten wirkte sich die fehlende Information der Unterführer verhängnisvoll aus. In der Überzeugung, vor den Erdwällen der Schanzen zum
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Kampf gesammelt zu sein, formierten die Offiziere die Infanterie und Teile der Kavallerie in Linie, wurde die Kolonneneinteilung aufgehoben. Es dämmerte, langsam wuchsen die Konturen der Schanzen aus dem Dunkel, wurden Linien deutlich. Da knallte ein Pistolenschuß, zerriß die Stille, alarmierte die schlafenden Russen. Der zurücksprengende Feldmarschall fand alles "in Verwirrung", beschimpfte Generalmajor Sparre, vergrößerte die Unsicherheit unter den Offizieren weiter. "Alles ist wunderlich hier", drückte Oberst Siegroth seine Bestürzung gegenüber Oberst Gyllenkrock aus (Englund, 83). Auch er begriff offenbar nicht, warum der Feldmarschall keine Linienaufstellung wünschte. Waren der König und Rehnsköld von der neuen Redoutenlinie überrascht worden, war der Kriegsrat nur von einer Sperrlinie ausgegangen, hatte er die "Wellenbrecher" nicht vorher bemerkt? Auch darüber sind die schwedischen Historiker uneins. Schon wenig später erhielt General Lewenhaupt dann doch den Befehl des Feldmarschalls, seine Truppen am rechten Flügel in Schlachtlinie zu formieren. Widersprüche über Widersprüche. Zeichen einer hochgradigen Nervosität und Verwirrung in der schwedischen höchsten Führung. Einerlei, das Überraschungsmoment war dahin. Wollten Karl XII. und Rehnsköld trotzdem die Entscheidung, dann mußten sich die Schweden nun durch das Schanzensystem, durch eine zu erwartende Feuerwand, hindurchkämpfen. Und das ohne Hilfsmittel. Niemand hatte Sturmleitern und Faschinenbündel vorbereitet, nur vier kleine Feldgeschütze wurden mitgeführt. Rückzug oder Vormarsch, ein schwerer Entschluß für das schwedische Oberkommando. Der König, Graf Piper und der Feldmarschall schwankten. Da schlug die erste russische Kanonenkugel in die Reihen der wartenden Leibgarde ein, zwei Grenadiere sanken zu Boden. Weitere Kugeln trafen. Der Kapitän des Östgöta-Infanterieregiments, CarlJohan Horn, und vier Musketiere starben, zwei weitere Gardisten neben der Bahre des Königs fielen, die ersten Toten der großen Schlacht. Weiteres Ratschlagen schien sinnlos, ein Rückmarsch verschlechterte die schwedischen Siegeschancen noch mehr. Nie wieder würde die Armee unbemerkt bis vor die Redouten kommen. "Also in Gottes Namen, so wollen wir vorwärtsgehen", entschied der Feidmarsehall (Englund, 91). Exakt mit der aufgehenden Sonne um 4.00 Uhr marschierten die schwedischen Bataillone los. Nun hatte die Schlacht wirklich begonnen.
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Noch immer herrschteUnklarheitüber das AngriffszieL Wohl waren Befehle mit den Ordonanzen ausgesandt, aber einige Bataillonskommandeure glaubten noch immer, es gelte den Schanzen. Und auch die Kolonnenführer warteten auf ihre Order. Oberst Siegroth ritt mit dem Angriffsbefehl zu Generalmajor Roos, dessen Kolonne die ersten Redouten stürmen sollte. Andere Adjutanten übermittelten Weisungen durchzubrechen, möglichst zwischen den Redouten auf das ausgedehnte freie Gelände hindurch vor das russische Lager zu stürmen. Lewenhaupt empfing offenbar entsprechende Befehle. Vermutlich sollte Roos' Kolonne die ersten Redouten angreifen, um die russischen Verteidiger zu hindern, die vorbeistürmenden Verbände durch einen Kugelregen in die Flanken zu schwächen. Die Reichweite der russischen Geschütze lag etwas über 1 000 Meter, die effektivste Wirkung erzielten Treffer bei einem Abstand zwischen 300 und 400 Metern. Eine leichte Kanone mit dem Kaliber für drei bis sechs Pfundkugeln konnte sechs bis acht Schüsse in der gleichen Zeit abgeben, die ein Musketier für eine Ladung benötigte. Und die Wirkung einer solchen Eisenkugel war beträchtlich, sprengte Gehirne, riß Körper förmlich auseinander, warf manchmal die dichtgedrängt vorwärtshastenden Soldaten gruppenweise nieder. Und noch verheerender mußten die Treffer durch Kartätschen sein. Diesen Typ gefüllter Ladungen von Schrott- und Eisenteilen in Papp-, Holz- oder Eisenhüllen, die in den Reihen des Gegner wie ein tödlicher Metallregen wirkten, schoß man, wenn feindliche Verbände sich in einer Reichweite unter 200 Metern befanden. Artillerie bekämpfte man gewöhnlich durch Gegenschläge aus eigenen Geschützen. Bei Holowzin hatte Oberst Bünow bewiesen, wie treffsicher die schwedischen Kanoniere schießen konnten, hatte den Erfolg der morastdurchwatenden Truppen wesentlich abgesichert. Aber Karl XII. gebrauchte Geschütze in Feldschlachten äußerst selten. Der "Heldenkönig" setzte auf den Angriff mit der blanken Waffe, warf dichte Menschenmassen gegen die feindliche Linie, vertraute wenig auf die Treffsicherheit der Geschütze. Degen und Bajonett töteten zuverlässiger . .. An diesem Morgen standen zahlreiche schwedische Kanonen, 16 Geschütze mit dreipfündigem und fünf mit sechspfündigem Kaliber fernab der Schanzen beim Troß südlich des Dorfes Puschkarjowka. Und die Munitionswagen waren gefüllt. Die Dreipfünder konnten jeder mindestens 150 Schuß abfeuern, die Sechspfünder verfügten pro Rohr über 110 Schuß. Aber der Transport hätte einen schnellen Nachtmarsch gefährdet, den vorgesehenen überraschenden Durchbruch durch das
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Schanzensystem behindert. So waren sie beim Troß geblieben, beredtes Zeugnis für einen anders geplanten Schlachtverlauf. Aber nun fehlten sie, wurde der Mangel an wirkungsvoller Artillerie zu einem wesentlichen Faktor im weiteren Schlachtgeschehen. Jetzt mußten Roos' Grenadiere und Musketiere nahezu schutzlos stark befestigte Verschanzungen stürmen, gegen Kartätschenregen anrennen, die ein Gegner schoß, der wußte, daß er auf keinerlei Gnade der Schweden rechnen konnte. Denn so war es fast immer gewesen, die Truppen Karls XII. metzelten ohne Erbarmen auch jene Russen, die um Pardon baten, ihre Gewehre wegwarfen. So hatte Feldmarschall Rehnsköld bei Fraustadt in einem entsetzlichen Massaker die gefangenen Russen erschießen lassen. 500 von ihnen waren "ohne Gnade in einem Kreis zusammengeschossen und gehauen worden, daß sie wie Schlachtschafe übereinanderfielen", wie es ein schwedischer Augenzeige notierte (Englund, 68). Und so geschah es wieder bei Erstürmung der beiden ersten Werke, deren Besatzung "niedergemacht wurde bis auf den letzten Mann, ... jedes Bein, das sich dort befand", wie es der Fähnrich Anders Philström berichtete (Englund, 96). Und weiter rollte die Angriffswoge der Schweden, mehrten sich aber bereits Unordnung und Mißverständnisse. Die beiden zu Roos' Kolonne zählenden Gardebataillone schlossen sich unter ihrem Regimentskommandeur Carl Magnus Posse den anderen Gardeverbänden in der vierten Kolonne auf dem rechten Flügel an, hasteten in einem Bogen an den nächsten vorgeschobenen Redouten vorbei. Auch in der ersten Kolonne auf dem linken Flügelliefen einige Bataillone an den folgenden Schanzen vorbei, stürmten direkt auf die hintere Redoutenlinie zu, die quer das weite Feld zwischen den beiden Wäldern abriegelte. Ebenso reagierten auch drei weitere Bataillone aus Roos' Verband. "Roos begriff nicht, wie die Hälfte seiner Kolonne plötzlich verschwinden konrite", faßte Peter Englund diese wichtige Etappe der Schlachtentfaltung zusammen, kennzeichnet so die wachsende Verwirrung innerhalb der schwedischen Angreifer (94). Und doch gewannen die Schweden auch jetzt noch schnell an Raum, bewegten sich die Sturmkolonnen zielstrebig durch das Abwehrfeuer. Ein energischer überraschender Vormarsch wäre wohl für Zar Peter sehr problematisch geworden. Die russischen Kanoniere hätten kaum ausreichend Zeit gefunden, ihre Geschütze zu richten, die todesverachtend vorwärtsstrebenden Angreifer aufzuhalten. Karl XII. und sein Feldmarschall verstanden das Waffenhandwerk ... Nun aber trafen die restlichen schwedischen Einheiten auf russische Soldaten in der dritten Redoute, die entschlossen um ihr Leben kämpf-
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ten, die verstanden, daß sie den Angriff der blauen Reihen zurückschlagen mußten, wollten sie überleben. Und das wollten dieseMänneraus General Aigustows Brigade. So wehrten sie den ersten und zweiten Sturm der Värmländer und Jönköpinger Musketiere, Pikeniere und Grenadiere ab, nicht wissend, daß sich hier bereits die Schlacht entschied ... Längst waren die meisten Bataillone an den "Wellenbrechern" vorbei, hatten auch die berühmten Dalkerle unter Oberst Siegroth den Gegner in der zweiten vorgeschobenen Redoute vernichtet, fanden sich nun nahezu einsam im Raum zwischen der zweiten und dritten Schanze. Weder Siegroth noch der Kolonnenführer Roos wußten, wohin sie sich jetzt wenden sollten. Und Siegroth hatte am Kriegsrat teilgenommen ... Der älteren schwedischen Poltawa-Forschung galt der frühe Tod Oberst Siegroths als eine wesentliche Erklärung für die zunehmende Verwirrung der Bataillone um Roos. Damit sei der einzige Offizier gefallen, der gewußt hätte, wohin der Stoß der Schweden zielte, "damit war der dünne Faden, auf dem der Zusammenhang des Ganzen beruhte, unwiderbringlich zerrissen ... hatte Siegroth, ehe der Angriff begann, keine Zeit gefunden, Roos den Verlauf der Dinge richtig zu erklären", summierte Frans G. Bengtsson in seiner berühmten Studie über Karl XII. (399). Tatsächlich führte dieser begabte Regimentskommandeur der "Dalekarlar" - "einer Art inoffizieller Garde" (Englund, 111)seine Soldaten gegen die beiden ersten Schanzen, sah die zurückströmenden Värmländer und das Jonköping-Bataillon und entschied, den Kameraden beim neuerlichen dritten Sturm auf die tapfer verteidigte Redoute zu helfen. Etwa 200 Meter vor der Befestigung traf eine Kartätschenladung Siegroth schwer, wenige Augenblicke später fiel auch sein Stellvertreter, Oberstleutnant Fredrik Drake. Und weiter rollte die Sturmwelle, wurde abgewiesen, formierte sich zu neuem Angriff, das reine Blutbad. Bald standen nur noch vier der bisher 21 Hauptleute auf den Beinen. Ähnliche Verluste beklagten die Värmländer und Jonköpings Soldaten, die ebenfalls zu neuen Angriffen angetreten waren. Ein sinnloser Kampf um eine Schanze, die für die Schlacht bedeutungslos war, nachdem die schwedische Armee aus ihrem Feuerbereich verschwunden war. So muß es wohl mehr als unverständlich bleiben, daß Siegroth trotzdem in den Kampf um die dritte Schanze eingriff, statt die bereits abgewiesenen Bataillone zu sammeln, Roos selbst weiterzuleiten. Der Dal-Oberst mußte bemerkt haben, daß die Masse der schwedischen Armee bereits durchgebrochen war. Konnte er nicht, tödlich
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verletzt, aber noch bei Bewußsein, die weiteren Angriffe abbrechen lassen? Generalmajor Roos verhielt an der dritten Schanze, führte seine Kolonnenreste - immerhin noch ein Drittel der schwedischen Infanterie, sechs Bataillone - nicht weiter, ließ die Verbände an der Redoute verbluten. Schließlich waren etwa 40 Prozent seiner Gesamtstärke gefallen, ungefähr 1 100 Mann tot oder verwundet. Da endlich forderte ein Leutnant der Dal-Truppen, Olof Pommerin, ein 31jähriger, den General auf, "das Volk nicht länger zusammenschießen zu lassen" (Englund, 114). Und der Kommandeur reagierte, sammelte die Reste, besann sich endlich auf die Notwendigkeit, die verschwundene Armee zu suchen. Noch immer befehligte General Roos ungefähr 1 500 Mann von ursprünglich 2 600, unter ihnen, auf einer provisorischen Bahre liegend, der sterbende Siegroth. Und dieser forderte nun den schnellen Anschluß an die Hauptstreitkräfte. Wo aber sollte Roos suchen, verklungen war der Lärm des Kampfes. Und auch Siegroth konnte nicht raten, wußte nicht einmal die Richtung vorzuschlagen. Es scheint, als hätten Karl XII. und Rehnsköld auch während des Kriegsrates keinen detaillierten Schlachtplan diskutiert. So verlor Roos weitere wertvolle Zeit, indem er einzelne Offiziere aussandte, die Position der Armee zu ergründen. Und es war nun bereits 6.00 Uhr am Morgen. Wollten die Schweden die russische Armee in deren Lager vernichten, dann mußten sie sich beeilen ... Noch immer war es eine beachtliche Macht, die Rehnsköld und Lewenhaupt gegen die russische Armee führen konnten. Wohl hatte Menschikow seine Kavallerie zwischen den Schanzen der hinteren Redoutenlinie vorgezogen, schwache schwedische Kavallerieeinheiten neben den- rechts der "Wellenbrecher" -laufenden Bataillonen Lewenhaupts geworfen, war jedoch nach ersten Erfolgen von der starken schwedischen Reiterei gebremst worden. Nun drängte sich die zurückflutende russische Kavallerie zusammen mit den schwedischen Verfolgern durch die Lücken zwischen den Redouten, floh schließlich in wilder Hast zum großen russischen Feldlager, noch immer bedrängt von den Schweden. Und mit ihnen waren auch Lewenhaupts Bataillone rechts an den hinteren Schanzen vorbeigestürzt, hatten andere Infanteriebataillone zwei Redouten in der Sperrlinie gestürmt, marschierte nun das Gros der schwedischen Armee ebenfalls zum russischen Feldlager.
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Die schwedische Kavallerie griff gewöhnlich in dichter Masse, Knie an Knie in einer Linie an, zwei oder drei Reiter tief. Dabei jagten die Soldaten ihre Pferde im höchsten Galopp vorwärts, suchen unbedingt als fester Block beieinander zu bleiben, durch eine heranbrechende Pferdewand den Gegner in Furcht zu versetzen. Selten kam es zum Gefecht Reiter gegen Reiter. Beide Seiten ritten als Masse gegeneinander, die sich unterlegen wähnende wich zurück. Gewöhnlich sammelten sich beide Verbände erneut und ritten wieder aufeinander zu. Das konnte sich so lange wiederholen, bis der Schwächere nicht mehr zu formieren war und in wilder Auflösung floh. An diesem 28. Juni fanden sich vor allem die schwedischen Schwadronen auf dem linken Flügel zur gewohnten Kampfformation. Der inzwischen als Leutnant dienende Joachim Lyth schilderte einen heftigen Kampf auf dem großen freien Feld, in dem die Russen bald beträchtliche Verluste erlitten. 2 000 Kosaken boten dem Prinzen Maximilian Emanuel von Württemberg, einem der Heerführer Karls XII., den Wechsel auf die schwedische Seite an. Lyth mußte jedoch notieren, daß der Prinz keine Entscheidung ohne Karl XII. wagte, den Parlamentär der Kosaken zurücksandte. Gegen 5.00 Uhr morgens neigte sich auf dem linken Flügel der Sieg den Schweden zu. Schon war die schwedische Kavallerie am russischen Feldlager, trieb die russische trotz der Salven von den Wällen vorbei auf eine breite sumpfige Niederung hin, das sogenannte "Große ouvrage". Rechts begrenzten die Steilhänge am Worskla-Ufer die weitere Flucht der russischen Kavallerie. Dort fand sich kein Platz mehr zum neuen Sammeln. Das Ende der gegnerischen Reiterei schien nahe. Schon begann man im russischen Lager mit ersten Rückzugsvorbereitungen. Eine siegreiche schwedische Kavallerie, die das nördliche Gelände beherrschte, den Rückzugsweg kontrollierte, gemeinsam mit der Infanterie ins Lager eindringen konnte, bedrohte den Zaren im Rücken. Jöran Nordberg, am Nachmittag des Schlachttages bereits russischer Gefangener, bewahrte entsprechende Äußerungen des Zaren. Peter hatte in einem Gespräch mit den gefangenen schwedischen Generälen Lewenhaupt, Creutz und Karl Gustav Kruse wenige Tage später seine zeitweiligen Befürchtungen und Rückzugsgedanken erwähnt, Kruse die Worte des Zaren aufgezeichnet, das Papier dem Hofprediger Karls XII. überlassen. Ja, um diese Zeit schienen die Schweden einem Erfolg tatsächlich sehr nahe. Und doch war es noch immer nicht wie sonst, fortwährend 9 Findeisen
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gelang es der schwedischen Führung nicht, die Truppen wie gewohnt zu formieren. So rief Oberst GeorgJohn Wrangel dem Generalquartiermeister Gyllenkrock im Vorüberreiten auf deutsch zu: "Gott sei gepriesen, alles geht gut. Gott gebe nur, daß wir richtig geordnet werden" (Englund, 107). Da stoppte Feldmarschall Rehnsköld etwa einen Kilometer vor dem Sumpf den Angriff der schwedischen Kavallerie. Der Oberbefehlshaber fürchtete, seine Infanterie würde ohne Unterstützung der kampfstarken Schwadronen ihre Aufgaben nicht erfüllen können, wollte eine Zersplitterung der Reiterei in zahllosen Verfolgungsjagden im schwierigen Gelände vermeiden. Als Rehnsköld seine Order erteilte, hatte die Mehrheit der Infanteriebataillone unter General Lewenhaupt auf dem rechten Flügel gerade erst das freie Gelände erreicht, mußte noch etwa 1 000 Meter weiter bis zum russischen Lager marschieren. Aber auch Lewenhaupt meinte zu sehen, daß die Kutscher im russischen Lager begannen, Pferde vor Wagen und Geschütze zu spannen ... Erschreckt hatte die russische Führung registrieren müssen, daß die Redouten überrannt, die eigenen Kavallerieverbände geworfen waren. Und die blauen Linien, die schrecklichen Schweden, bewegten sich auf das russische Lager zu, stoppten erst ungefähr 100 Meter vor den Wällen bei einigen Kirschbaumgärten. Hier sperrte ein vier Meter breiter, tiefer Morast den weiteren Vormarsch, zwang die Schweden, den Sumpf unter starkem Beschuß aus den russischen Geschützen zu umgehen. Erleichterung im russischen Lager, Gott seis gedankt und Väterchen Zar, der alles so klug bedacht hatte ... Derweilen waren Fehlorientierung, ja Unordnung bei den schwedischen Unterführern kaum noch zu übersehen. So verlor das kampferfahrene Grenadierbataillon viele seiner besten Soldaten, als es unmittelbar vor dem russischen Lager im Artilleriefeuer verharrte, auf die zurückgebliebenen bzw. mit General Lewenhaupt längs des Morastes marschierenden anderenVerbände wartete. Endlich hatte der Kommandeur der Infanterie, in dessen Nähe auch die Bahre mit dem König getragen wurde, seine verfügbaren zehn Bataillone zum neuen Angriff auf das russische Lager geordnet, traten etwa 5 000 bis 6 000 Schweden zum Sturm gegen 35 000 Verteidiger an, da stoppte der Feldmarschall auch diesen Vormarsch. Wendung nach Westen, Formierung der gesamten Armee in größerer Entfernung vom russischen Lager, lautete Rehnskölds Befehl.
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Eine verschenkte Gelegenheit, den Gegner im Lager zu überrennen, die letzte Chance, ihn dort zusammenzupressen und das zu erwartende Chaos zu seiner Vernichtung auszunutzen? Ja, so sagten einige Zeitgenossen, meinen auch manche Historiker. Vielleicht, wenn man bedenkt, welche Erfolge die schnellen entschlossenen Attacken der Schweden wiederholt gegen Zar Peters Truppen erwirkten. Wohl möglich, daß die russische Führung dann mit dem Rückzug begonnen, sich so selbst in die Katastrophe gerissen hätte. Aber Lewenhaupts Bataillone mußten mindestens noch 100 Meter durch einen dichten Kartätschenhagel, bevor sie das Lager erreicht hätten. Und diesmal fehlte schwedische Artillerieunterstützung, konnte nicht wie bei Narwa das russische Feuer niedergekämpft werden. So gesehen scheint Rehnskölds Order wohl doch vernünftig, schloß jedenfalls das Risiko eines Scheiterns der Infanterie Lewenhaupts aus, baute auf die wichtige Verstärkung durch die fehlenden Bataillone des Generalmajor Roos. In diesem entscheidenden Moment fehlte dem schwedischen Oberbefehlshaber ein Drittel seiner gesamten Infanterie. Das aber wußte General Lewenhaupt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, als er verärgert mit seinen Truppen über die weite Ebene zum Budistschi-Wald marschierte. Aber auch Rehnsköld und die Kavalleriekommandeure begriffen nicht, warum Roos nicht endlich auf dem Schlachtfeld erschien. Und es war nun bereits 6.00 Uhr morgens. Kuriere des Feldmarschalls ritten zurück zu den Schanzen, sollten die vermißten Bataillone schleunigst heranführen. Das Västmanland-Regiment und das Dragonerregiment des Oberst Nils Hielm wurden zurückgesandt, General Roos gegebenenfalls zu unterstützen. Aber wo war Roos eigentlich? Das wußte niemand in der schwedischen Führung, da lag das wirkliche Problem! In einer langen Senke unmittelbar östlich des Budistschi-Waldes, den Blicken der russischen Verteidiger im Lager entzogen, sammelten sich die Infanteristen und zurückbeorderten Kavallerieverbände. Scharen zufriedener schwedischer Offiziere fanden sich bei Karl XII. ein, dessen stark beschädigte Bahre die Träger abgesetzt hatten. Glückwünsche zu den bisher errungenen Erfolgen mischten sich mit besorgten Fragen nach Roos' Verbleiben. "Gott gebe, Generalmajor Roos wäre hier", soll Oberst Gyllenkrock bemerkt, der König optimistisch erwidert haben, Roos werde "schnell hierher kommen", schon habe man ihm ja Truppen entgegengesandt (Englund, 117). Auch jetzt war Karl XII. zweifellos ein Mittelpunkt in der Schlachtführung, zeigte sich informiert, griff seinerseits in das Geschehen ein, 9'
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mußte ebenso wie der Generalquartiermeister die Unordnung bei der Kavallerie bemerkt haben. Noch immer wirbelten vor allem die Schwadronen des rechten Flügels durcheinander, konnten sich nicht zur Linie formieren. Zu beengt war der Platz für alle hier in der Senke. So ließen die Kommandeure teilweise ihre erschöpften Mannschaften absitzen, mußten ihnen eine Ruhepause einräumen. Und noch immer war weder Nachricht von Roos eingetroffen, noch hatten sich die ausgesandten Truppen und Ordonanzen zurückgemeldet ... Es war etwa 7.00 Uhr morgens, als Generalmajor Roos auf seiner Suche nach der Hauptarmee, noch immer zwischen den Redouten wartend, eine lange Linie Kavalleristen auf sich zu reiten sah. Ein entgegengesandter Adjutant, der Fähnrich Bengt Sparre, wendete jedoch plötzlich das Pferd und jagte in gestrecktem Galopp zurück. Fünf russische Dragonerregimenter ritten zum Angriff auf den Rest der sechs schwedischen Infanteriebataillone- auf eine Kampfstärke von vier zusammengeschmolzen - heran, eine fast fünffache Übermacht stand gegen die bereits schwer erschütterte schwedische Formation. Da traf der Generaladjutant Nils Bande bei General Roos ein, wollte die Versprengten zur Hauptarmee leiten ... Zu spät, Roos konnte dem Kampf nicht mehr ausweichen. Und seine Lage war alles andere als gut. Fünf russische Infanterieregimenter unter dem Generalleutnant Heinske marschierten zur Verstärkung der Dragoner ebenfalls heran, die Schweden sahen sich vorn und im Rücken bedroht. Da blieb keine Zeit zur Orientierung auf die Hauptarmee. Schon bemerkte Roos im Wald ein weiteres heranrückendes russisches Bataillon. Das zwang den General zur Umgruppierung seiner gerade formierten Linie. Die Närke-Musketiere wurden gegen den Wald geschickt, die drei verbleibenden Bataillone so aufgestellt, daß sie sich gegenseitig den Rücken deckten. Aber Roos konnte nur noch wenige Offiziere einsetzen. Auch in der schwedischen Armee erfüllten die Offiziere zwei bedeutsame Aufgaben während des Kampfes. Zunächst wirkten sie vor ihren Einheiten beispielgebend, rissen durch ihre Todesverachtung die Soldaten mit. Daher beklagte die schwedische Armee in allen großen Schlachten immer eine relativ hohe Zahl gefallener und verwundeter Offiziere. Was König Karl XII. mit der Losung "Kommt mit und schlagt Euch an meiner Seite" für die gesamte Armee bedeutete, war den Soldaten der Regimentskommandeur, sein Stellvertreter, die Majore und Hauptleute. Doch selbst in dieser Armee wurden einige Offiziere hinter ihren
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Truppen aufgestellt, die laut Kriegsreglement "ebenso wie die Unteroffiziere zusehen sollten, daß die Soldaten sich nicht wegschleichen, daß sie ihre Reihen geschlossen halten, wenn sie feuern sollten" (Eng/und, 119). Und sie mußten jene Soldaten gnadenlos niederstrecken, die vor dem Feind fliehen wollten. Es waren auch die Offiziere, die entschieden, wann die Mannschaften feuern sollten. In der schwedischen Armee galt Karls XII. Devise, erst zu schießen, wenn man "das Weiße in den Augen des Feindes sieht" (Eng/und, 122). Gewöhnlich wurden zwei Schuß in der Minute abgefeuert, in Anmarsch auf den Gegner drei bis fünf Salven abgegeben. Frühestens begann man in einem Abstand von 150 bis 200 Metern zu schießen. Aber General Lewenhaupt hatte zwei Tage vor der Schlacht während eines Hinterhaltes einer kleinen schwedischen Schützengruppe auf Kosaken bestürzt wahrgenommen, daß die abgefeuerten schwedischen Musketenkugeln ungefähr 20 Meter vor den Schützen entfernt kraftlos in den Sand fielen. Karl XII. hatte den Rapport des Generals zurückgewiesen, weigerte sich, das Beobachtete zu glauben. Aber das Pulver der schwedischen Armee war tatsächlich verdorben. Das wußten die Regimentskommandeure bereits. Um so wichtiger, daß Roos' Musketiere erst bei "Augenkontakt" schossen! Auf kürzeste Distanz abgefeuert, konnte die Wirkung auf die heranmarschierende dichtgeschlossene russische Infanteriemasse verheerend sein ... Diesmal jedoch versagten die Nerven der schwedischen Soldaten. Gegen die Befehle ihrer wenigen Offiziere schossen sie zu früh, feuerte zuerst die hintere Linie, dann drückten auch die vorderen Schützen ab, wichen vor dem folgenden russischen Bajonettangriff entsetzt und hilflos zurück. Panik brach aus. Karl XII. und seine Generäle warteten vergebens auf die sechs Bataillone des Generalmajor Roos. Mit dem Rest weniger hundert Soldaten, die sich durch den Mut und die Standhaftigkeit der Dalkerle noch einmal durchschlagen konnten, kapitulierte der General schließlich nahe der Festung Poltawa, noch immer auf die Hauptarmee wartend. Da aber war auch deren Schicksal schon entschieden, waren die russischen Truppen aus dem Lager herausmarschiert, hatten die Schweden die letzte Hoffnung verloren, Zar Peters Armee im engen Wallquadrat zu erdrücken. Fast zwei Stunden Wartens waren vergangen, Zeit genug zu erkennen, daß die starken russischen Lagerbefestigungen den Einsatz schwedischer Reserven erforderten. So hatten Karl XII. und sein Feldmarschall zusätzlich zu den Ordonanzen, die Roos heranführen sollten, auch
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einen Generaladjutanten zum Troß gesandt. Der Offizier sollte dort Artillerie und weitere Regimenter mobilisieren. Aber auch das war nun eine Zeitfrage. Die Unterschätzung des russischen Gegners durch Karl XII. und Graf Rehnsköld rächte sich jetzt ... Da endlich sahen die schwedischen Generäle Infanteriekolonnen aus dem Redoutengürtel heranmarschieren. Gott sei Dank, Roos kommt, verbreitete sich schnell Erleichterung in den Reihen der schwedischen Armee, begann Rehnsköld mit neuen Schlachtvorbereitungen. Jetzt sollte die Entscheidung fallen, mußte Zar Peter vernichtet, wenigstens aber zurückgedrängt werden. Schwer vorstellbar, daß der Feldmarschall angesichtsseiner offenkundigen Probleme noch mit einer entscheidenden Niederlage des Feindes rechnete. Aber siegen mußte er, ein Rückzug, selbst wenn er ohne besondere Verluste zu organisieren war, Zar Peter untätig im Lager bliebe, würde demoralisierende Auswirkungen haben ... Bataillon auf Bataillon marschierte aus dem Schutz der Senke herauf auf eine bewaldete Höhe des Tachtaulowarückens zu. Noch immer hoffte die schwedische Führung, nördlich des Lagers den Rückzugsweg der russischen Armee blockieren zu können, den Gegner im Lager zu erdrücken. Doch dann kam die Schreckensnachricht, russische Verbände hätten die eroberten Redouten wieder besetzt, standen in festen Linien zwischen den Schweden und deren Troß. Und die Roos entgegengesandten Verbände brachten fürchterliche Gewißheit. Sie hatten dessen Vernichtung durch russische Regimenter von ferne beobachten können. Damit war es endgültig sicher, erfüllten sich heimlich geahnte Befürchtungen einiger Offiziere, man mußte die Entscheidung ohne den Generalmajor Roos suchen. Und es kam noch schlimmer! Nun wurde die Entscheidung den Schweden aufgezwungen. Jetzt marschierte die russische Infanterie aus ihrem Lager heraus, formierte sich in einer langen, dichten Reihe vor den eigenen Wällen, nun drohte den wenigen Schweden die Katastrophe. Und auch das erhellt Geist und Haltung des schwedischen Oberbefehlshabers, kennzeichnet die Denkstrukturen dieses begabten Heerführers. Als Generalmajor Creutz den Feldmarschall über den beginnenden Aufmarsch der russischen Truppen informierte, weigerte sich Rehnsköld, die neue Hiobsbotschaft zu glauben. Das russische Manöver konnte nur darauf zielen, den Raum neben dem Lager zu sichern, den
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Fluchtweg seitlich zwischen den Wällen heraus decken zu wollen, mehr Initiative räumte der Feldmarschall der russischen Führung nicht ein. "Kümmern Sie sich nicht darum", war alles, was Creutz als Antwort hörte. Anders reagierte dagegen der auf seiner Trage wartende Karl XII. Ärger kam auf zwischen dem Herrscher und seinem Vertrauten, als Karl äußerte, heute habe "der Feldmarschall nicht gut recognosziert". Und beide stritten, ob Rehnsköld das Territorium wirklich so gut kenne wie er glaubte. Mehrfach bat der König seinen Oberbefehlshaber, die Nachrichten vom Ausmarsch der russischen Truppen zu überprüfen. Rehnsköld blieb überzeugt, "die Russen würden niemals so kühn sein" (Eng/und, 131). Erneut erwies sich die Schlachtkonzeption als ungenügend durchdacht, war von einer schwer begreiflichen Arroganz des schwedischen Oberkommandierenden bestimmt. Manches spricht wohl für die Vermutung einiger Poltawa-Forscher, daß König Karl XII. im Vollbesitz seiner Kräfte einige Entscheidungen anders, auf jeden Fall früher getroffen hätte. Der Monarch war es auch, der schließlich den Leutnant der Trabanten,Johan Hierta, zur Kontrolle des Gerüchts aussandte. Und ein mißgestimmter Feldmarschall war nun seinerseits noch einmal losgeritten, sich selbst zu überzeugen. Es sollte nicht sein, was nicht sein durfte! Wahrlich eine merkwürdige Atmosphäre in der schwedischen Führung an diesem Tag, in dieser entscheidenden Stunde, wo Rehnsköld Beobachtungen so kampferfahrener Offiziere wie Creutz und Hierta negierte, Zeit verschwendete, die er nun wahrlich nicht mehr hatte. Und es kam zu neuen Meinungsverschiedenheiten zwischen Karl XII. und seinem Feldmarschall. Der König wünschte sofort einen konzentrierten Reiterangriff auf die russische Kavallerie am rechten Flügel der sich formierenden Linie. Dort stand Generalleutnant Rudolf Felix Bauer mit weniger als 9 000 Reitern. Und noch immer fürchtete die russische Kavallerie den schwedischen Gegner. Rehnsköld benötigte aber die Reiterei als Stütze für die Infanterie, lehnte daher Karls Vorschlag ab. Doch ließ das Gelände die Sammlung der schwedischen Reiterei in der gewohnten Weise überhaupt nicht zu. Zwischen den aufmarschierenden Infanteriebataillonen und dem Budistschi-Wald mit seinem morastigen Vorgelände blieb wenig oder gar kein Raum für die Schwadronen. So mußte sich die Kavallerie hier hinter dem Fußvolk sammeln. Aber Karl XII., zweifellos noch nicht wieder wirklich genesen, beugte sich dem Feldmarschall. "Naja, gut, macht, was Ihr wollt", hat Oberst Gyllenkrock später die Reaktion des Königs zusammengefaßt (Eng/und, 142). Der Monarch selbst hat seinerseits niemals gestat-
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tet, Rehnsköld zum Schuldigen der Niederlage zu stempeln, hat den Feldmarschall immer wieder verteidigt. Die Schlacht war nicht mehr zu gewinnen. Ein Wettlauf begann mit den aufmarschierenden russischen Verbänden um die beste Ausgangsposition für den entscheidenden Zusammenprall der Infanterie. Die eng zusammengefaßte russische Linie, etwa zwei Kilometer lang, marschierte den Schweden entgegen, die jetzt überstürzt begannen, ihre Schlachtordnung in südlicher Richtung neu zu formieren. Ein Sturm auf den nördlichen Abschnitt des russischen Lagers war sinnlos geworden. Jetzt gehörte Zar Peters Armee das ganze Schlachtfeld. Und selbst mit breiten Lücken zwischen den Bataillonen konnte Rehnsköld die eine dünne schwedische Linie nur auf 1 400 bis 1 500 Meter ausdehen, sah mit Sorge, wie sich seine Kavallerie am rechten Fügel im sumpfigen Gelände vor dem Wald ineinander verkeilte. Und immer neue Schwadronen drängten nach. Wer sehen wollte, bemerkte es: Das reine Chaos bahnte sich an ... 4 000 Schweden, in zehn Bataillone formiert, blickten 22 000 heranmarschierenden Russen, in zwei Linien ausgerichtet, entgegen. General Lewenhaupt hat nach der Schlacht sehr eindrucksvoll formuliert: "Mit diesen, so zu sagen, zur Opferung gehenden armen und naiven Schafen, mußte ich gehen, die gesamte Infanterie des Feindes anzugreifen" (Eng/und, 150). Es war der König von Schweden selbst, so urteilt heute Peter Englund, der seine Soldaten "opferte", seine Untertanen "zum Tode verurteilte". Es sei nicht ihr Kampf gewesen, in dem sie nun verbluten mußten. "Sie sollten geopfert werden für die Zölle des schwedischen Staates, die großen baltischen Güter der Aristokraten, die runden Profite der Handelskapitalisten" (Eng/und, 151). Und sie wurden geopfert, zur Schlachtbank geschickt von diesem König, der selbst schwerverwundet auf einer Trage lag, auch in der Stunde des Untergangs der Mehrheit der schwedischen Soldaten noch alles galt. Allerdings war ein Angriff, wollte man nicht auf dem Schlachtfeld die Kapitulation anbieten, jetzt die einzige Alternative. Karl XII. und Graf Rehnsköld vertrauten - anders als der nüchterne Rechner Lewenhaupt - auch diesmal der alles überrollenden schwedischen Angriffskraft. Das Treffenzweier Infanterieverbände entschied sich zu dieser Zeit gewöhnlich dann, wenn es dem Gegner nicht gelang, durch seine Salven den Angreifer zu stoppen. Erreichte die geschlossene Linie trotz der
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fallenden Kameraden die Verteidiger, brach fast immer Panik bei den Angegriffenen aus, wandten sich diese zur Flucht. Gerade in dieser Taktik lag die Stärke der schwedischen Armee. Vom Bewußtsein getrieben, mit König Karl an der Spitze unbesiegbar zu sein, überrollten die schwedischen Soldaten ihre fast immer zahlenmäßig überlegenen Feinde. Und der Monarch wußte, warum er häufig den angreifenden Musketieren das Schießen ausdrücklich untersagte. Stürzten seine Soldaten mit dem Degen, der Pike und dem Bajonett gegen einen feuernden Gegner vorwärts, so blieb ihnen als einzige Überlebenschance nur der schnellstmögliche Sturm auf die feindlichen Reihen. Der schreckliche Kugelregen versiegte erst, wenn der Gegner erreicht war. Würde aber die schwedische Sturmlinie bereits vorher gestoppt werden, dann war eine allgemeine Flucht nicht zu verhindern, eine Niederlage unvermeidlich. Sieg oder Niederlage mußten sich also im Angriffslauf auf die russischen Linien entscheiden. Als Rehnsköld den Angriffsbefehl gab, waren die russischen Truppen noch 700 bis 800 Meter entfernt. Als die Schweden losschritten, stoppte das russische Oberkommando den Vormarsch seiner Kolonnen. Mit einer Marschgeschwindigkeit von 100 Schritt in der Minute- 75 Meter -überwanden Karls Infanteristen etwa 600 Meter, dann beschleunigten sie. Für die letzten 150 bis 200 Meter rechneten die Kommandeure mit einem Sturmlauf von ca. einer Minute. 60 Sekunden Anrennen gegen eine Feuerwand, Durchhalten im Wettstreit mit der Angst, das war wieder und wieder trainiert worden, hatte sich in mehreren großen Schlachten seit 1700 bewährt. Aber diesmal drängten die Schweden ohne eigene Artillerieunterstützung - wer wollte die vier Geschütze rechnen - gegen rund 100 feindliche Rohre, die spätestens 200 Meter vor dem Zusammenprall Kartätschen speien würden. Und an beiden Flügeln drohten die langen russischen Linien ungehindert die stürmenden Schweden seitlich und dann im Rücken zu fassen. Hier nun erwuchs nach Rehnskölds Konzept die wichtigste Funktion der Kavallerie. Creutz' Schwadronen sollten im Moment des ,.Aufpralls" am rechten Flügel hinter der Infanterie auf die einschwenkenden russischen Bataillone einhauen, diese Verbände zerstreuen. Ebenso mußten Hamittons Reiter die linke Flanke schützen. Aber dort war die Verwirrung innerhalb der schwedischen Kavallerie noch größer. So war es wohl weniger prophetische Gabe als rechnerische Überlegung, als sich Graf Piper im Sattel reckte, die vorwärtsschreitende schwedische Armee überblickte und ausbrach: ,.Gott muß
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ein Wunder für uns machen, wenn es diesmal gut für uns ausgehen soll!" (Eng/und, 156). Doch Gott wollte offensichtlich an diesem Tag kein weiteres schwedisches Wunder vollbringen. So mußten die schwedischen Infanteristen, denen König Karl XII. mit seinen Trägern folgte, allein der grünuniformierten Mauer entgegengehen, noch immer überzeugt, daß Gott jeden ihrer Schritte lenkte. Die letzten 500 Meter war es ein Opfergang gegen die dicht fliegenden russischen Geschosse. Aber sie schritten stetig weiter, die todesmutig gottvertrauenden schwedischen Soldaten, noch immer hoffend, daß Gott ihnen und ihrem König auch diesmal beistehen, das übliche Wunder vollbringen würde, marschierten im Takt der Trommeln weiter, nur weiter, schnell über diese Distanz der heranfliegenden Kugeln und Kartätschen hinweg an den Feind heran. "Die Haare sträubten sich beim Donner der Kanonen und Kartätschen", erinnerte sich der Schwadronspastor Johannes Siöman von Smalands Kavallerieregiment nach der Katastrophe (Englund, 158). Und ein preußischer Beobachter, der Oberstleutnant David Natanael Siltmann, berichtete, es sei nahezu unmöglich, die Heftigkeit des russischen Geschützfeuers zu beschreiben, es glich einem Hagelsturm. "Sie liefen vorwärts, den Tod vor Augen und wurden meistenteils von den russischen Kanonen niedergeschossen, bevor sie die Musketen gebrauchen konnten", schilderte einer der Überlebenden diesen Todesmarsch, der Infanterieleutnant Friderich Christoph von Weihe (Englund, 158). 50 Meter vor der russischen Linie traf sie der Schlag einer einzigen schrecklichen Musketensalve. Zurück blieb eine fast exakt geordnete Linie blauuniformierterToter und Sterbender, die im U mfallen ein Geräusch verursachten, das ein russischer Offizier als das Krachen eines einstürzenden Hauses beschrieb. Selbst General Lewenhaupt, an der Spitze seiner Bataillone reitend, im Pulverdampf kaum etwas erkennend, konnte nicht glauben, daß "irgend einer seiner so betroffenen Infanterie das überlebt haben könnte" (Eng/und, 161). Und doch erreichten die Gardebataillone der Schweden auf dem rechten Flügel die russische Linie. Sofort wichen hier die Feinde zurück, verließen ihre Geschütze, flohen, brachen in der ersten schwedischen Salve auf Nahdistanz zusammen. Die grüne Mauer der Regimenter Kasanka, Pskowska, Sibirska, Moskowska, Butirska und N owgorodska schwankte, die erste russische Linie drängte zurück in die zweite, der Zusammenbruch schien wieder nahe ... war Gott doch mit den Schweden, war das das Wunder? Piken und Bajonette bohrten sich in die Rücken der
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fliehenden russischen Soldaten. Einige schwedische Infanteristen des ersten Gardebataillons wendeten die eroberten russischen Kanonen und feuerten auf die zweite russische Linie. Hier konnte eine schnelle schwedische Kavallerieattacke vielleicht alles entscheiden ... Gegen den linken schwedischen Flügel stand die russische Elite, unter ihnen die Garde des Zaren, die Semjonowsker und Preobrashensker Regimenter. Zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Schweden klaffte eine riesige Lücke, fehlten Rehnsköld die nowendigen Truppen. Auch lief der linke Flügel der Schweden weniger entschlossen, langsamer gegen den Feind, erreichte die Linie erst, nachdem die Verbände der rechten Flanke schon in die russische Front eingedrungen waren. Und sie wichen auch sofort zurück, konnten den Feind nicht hindern, an beiden Flügelenden und zwischen den Bataillonslücken hindurch zu stoßen, sahen sich schnell auch im Rücken bedroht, riefen angsterfüllt nach ihrer Kavallerie ... Während Generalmajor Creutz auf dem rechten Flügel mit einem Teil seiner Schwadronen eingreifen konnte, den Gegner zurückwarf, die feindliche Infanterie attackierte, war die Masse der schwedischen Reiterei auf dem linken Flügel überhaupt nicht gesammelt, konnte Hamilton nicht eingreifen. Da brach die schwedische Infanterie auf dem linken Flügel zusammen, wandte sich, floh. Vergebens versuchte General Lewenhaupt, die Fliehenden zu halten, das Fußvolk erneut zu ordnen. Die Bataillone der Närkinge und Östgötar ließen sich nicht mehr kommandieren, rissen weitere Kompagnien, Bataillone, Regimenter mit sich. Eine wilde, panikgetriebene Masse stürzte zurück zum Budistschi-Wald, fort, nur weg aus dem mörderischen Gemetzel. Das war die Katastrophe für Karl XII. und seine Armee, Gott hatte sich ab gewandt. "Nicht einmal der Teufel kann sie zum Stehen bringen", entgegnete resignierend der ebenfalls dem Chaos wehrende Generalmajor Sparre dem verzweifelt auf die Flüchtenden einschlagenden, schreienden Lewenhaupt (Eng/und, 171). Wie eine Flutwelle überschwemmte der siegreiche russische Gegenstoß das Schlachtfeld, fielen die vorwärtsstrebenden grünen Verbände nun den Gardebataillonen des rechten schwedischen Flügels in den Rücken, schossen Salve auf Salve in die sich auflösenden blauen Verbände. Kämpfend erzwangen zwei Gardebataillone der Schweden den Durchbruch, erreichten die schützenden Ausläufer des Budistschi-Waldes, die meisten ihrer Kameraden in den anderen Gardeeinheiten, Soldaten und Offiziere, fielen jedoch, Und ein Gerücht lief durch die Reihen der Kavallerie, die nun auch zurückfluteten: Der König ist tot!
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Karls XII. Bahre stand jedoch auf einem kleinen Hügel hinter dem rechten schwedischen Flügel. Hierher sprengte der geschlagene Feldmarschall, rief seinem Herrscher zu, die Infanterie flüchte, "alles geht schief, alles geht schief!" (Englund, 178), wandte das Roß, forderte die Leibtrabanten und Träger auf, den König zu schützen und galoppierte zurück in das Chaos. Dort aber hasteten nun alle, die noch laufen konnten, zurück, weg aus dem nicht versiegenden Kugelregen. Wollte der schwedische Monarch nicht in die Hände seiner Gegner fallen, durften er und seine Träger nicht länger verweilen, mußten auch sie schnell fort. Bald schon entdeckten die feindlichen Truppen den merkwürdigen Zug, schossen, trafen die Bahre, töteten einen Gardesoldaten nach dem anderen, reduzierten die Wand lebender Schutzschilde um Karl XII. Wenig später standen von 24 Gardisten nur noch drei. Als der stark aus seiner Fußwunde blutende Monarch auf ein Pferd gehoben wurde, schlug im seihen Moment eine Kanonenkugel in die Gruppe, tötete das Tier. Hier traf es auch den Hofhistoriker Gustav Adlerfeldt, 28 Jahre alt, beschäftigt mit der minutiösen Aufzeichnung aller Siege seines Königs. Die erste Niederlage konnte der Chronist nicht mehr notieren, der Tod setzte den Schlußpunkt, erhalten blieb das Manuskript. Und weiter ging die Flucht. Karl XII. zwang seinen schwerverwundeten Trabantenleutnant Johan Hierta aus dem Sattel, ließ den Getreuen zurück, "dem nichts anderes zu thun" blieb als "sein letztes Ende (zu) erwarten", wie der Hofprediger Jöran Nordberg glaubte, als er den taumelnden Leutnant sofort von russischen Soldaten umringt sah (Nordberg, li, 150). Doch auch er überlebte, wurde von seinen Brüdern gerettet. Karl XII. nobilitierte ihn 1710, prieß den Leutnant als treuen Untertanen, der "als Unser Pferd erschossen worden, alsobald von seinem abgestiegen, undUns dasselbebeyeiner Gelegenheit überlassen, da er weder ein anderes bekommen, noch selbst auf einige Weise sich retten konnte. Er hat solchergestalt, aus bloßer Liebe für Uns, sein Leben den Feinden gutwillig dargestellt, von welchen er auch sogleich umringt ward ..." (Nordberg, III, 150). Wohl eine verspätete Entschuldigung des Königs für eine wenig menschliche Geste, wahrscheinlich nur erklärlich aus der Überzeugung des Herrschers, für die Armee, für Schweden bedeutsamer, unersetzlicher zu sein als sein Leutnant. Feigheit war es zweifellos nicht, Karl XII. fürchtete den Tod wahrlich nicht. Aber sein Name allein war es, der nun die flüchtenden Soldaten aufhielt. Als General Lewenhaupt
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mit dem Ruf unter die Fliehenden ritt, der Herrscher sei in der Nähe, ihn gelte es zu retten, da zündete noch einmal der Funke. "Ist der König da, so wollen wir stehenbleiben", wurde zur Antwort (Englund, 192). Kampfentschlossenene Soldaten sammelten sich erneut, wuchsen bald auf einige tausend an. Kar! XII. blieb auch jetzt der Magnet, der seine Soldaten anzog, die Erschöpften, Verwundeten neu belebte. Es bleibt ein schwer verständliches Phänomen, welche Wirkung der "Heldenkönig" noch immer ausstrahlte. Und König Kar!, nun wieder zu Pferde, äußerte bereits, die Truppen sammeln zu wollen, einen neuen Angriff zu wagen. Weiter aber trieben ihn die Begleiter, zurück zum Troß. Dort standen noch Reserven, befand sich die Artillerie. Langsam ebbte der Schlachtlärm ab, verstummten die russischen Geschütze. 1 471 Schüsse, davon fast 1 000 Kugeln, der Rest Kartätschen, waren während des Kampfes aus den Rohren gefeuert worden, hatten die schwedische Linie zerbrochen. Nun war es bereits kurz nach 13.00 Uhr, die russischen Truppen folgten den besiegen Schweden nicht weiter, nur kleine Streifkorps beunruhigten die Soldaten noch gelegentlich. Puschkarjowka mit dem Troß lag vor Karl und dem Rest der Armee. Hier warteten noch weitere 2 000 Kavalleristen, verstärkt durc:h etliche tausend ukrainische und Saporoger Kosaken. Und doch war die allgemeine Verunsicherung der Truppen derart spürbar, daß der Bataillonsprediger Sven Agrell überzeugt war, einen sofortigen russischen Angriff würde "nicht ein Bein" im Troßlager überleben (Englund, 206). In eine Kalesche gebettet, suchte der König Aufschluß über das Ausmaß der Niederlage zu gewinnen, zog auch sofort die Belagerungstruppen bei Poltawa an sich ... Rund 19 700 Soldaten und Offiziere hatten Feldmarschall Rehnsköld und Kar! XII. am frühen Morgen in den Kampf geführt. 6 900 tote und sterbende Soldaten lagen nun verstreut zwischen den Redouten und auf dem Schlachtfeld, mindestens 1 500 teils Schwerverwundete waren ins Troßlager gewankt, etwa 2 800- unter ihnen der Feldmarschall, die Generäle Hamilton, Schlippenbach, Stackelberg, Karls XII. persönlicher Freund, der Prinz Maximilian Emanuel von Württemberg und Graf Piper- waren Gefangene des Zaren. Der schwedische Totalverlust ohne die Verwundeten belief sich auf mehr als 50 Prozent. Noch nie hatte ein schwedischer König eine derartig verheerende Niederlage erlitten. Der Zar bezifferte seine Verluste auf 1 345 Tote und 3 290 Verwundete. Karl XII. beschloß, sich längs der Worskla zurückzuziehen, wollte den Weg in Türkische Reich gewinnen. Am 28. Juni gegen
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19.00 Uhr brach die schwedische Armee zum Dnepr auf, marschierten die Truppen mit Trommelschlag und Pfeifenklang ab, mit sich den langen schwerfälligen Troß. Der König wagte nicht, auf die notwendige Bagage zu verzichten, den Marsch zu den Türken ohne ausreichende Versorgungsbasis zu beginnen. So waren schon am nächsten Tag die schnellen Dragonerregimenter General Bauers den Schweden auf den Fersen. Am 30. Juni erreichten die Reste der schwedischen Armee zwischen den Dörfern Taschtachka und Perewolotschna den Dnepr bei der Mündung der Worskla, war das Heer an der letzten Furt über die Worskla bei Kisjenka vorbeimarschiert, dicht gefolgt von den russischen Truppen. Generalquartiermeister Gyllenkrock aber hattetrotz aller Bemühungen den breiten, stark fließenden Strom nicht überbrücken können. Es mangelte an Kähnen und Holz für die vorgesehene Pontonbrücke. So hatte Gyllenkrock schon mehrfach dem heranmarschierenden Heer Meldungen gesandt, den König gebeten, vorerst bei Kisjenka zu verharren, dort auf weitere Botschaften zu warten. Und wieder war der Wunsch der Vater aller Gerüchte. Schnell verbreitete sich trotz aller Warnungen des Generalquartiermeisters in der Armee Zuversicht, der Übergang über den Dnepr sei vorbereitet ... Als Karl XII. mit der Vorhut Taschtachka erreichte, verstand er sofort. "Ja, ja, ich will umwenden", zurück nach Kisjenka, dort über die Worskla setzen, soll er gemurmelt haben (Englund, 234). Noch immer nicht annähernd genesen, sich schwach fühlend, wahrscheinlich wieder an Wundfieber leidend, ließ der König den Wagen wenden, kam jedoch nur noch ein kurzes Stück Wegs zurück. Zu spät, die Truppen waren hoffnungsvoll gefolgt. Auch General Lewenhaupt erfaßte sofort die gefährliche Situation. Das Gelände hier glich einer riesigen Falle für die Reste der schwedischen Armee. Steile Erhebungen boten den russischen Verfolgern ein günstiges Schußfeld auf die sich am breiten Strand des Flusses sammelnden Schweden. Kam die Armee hier nicht schnell über den Strom, dann würde es in kurzer Zeit kein schwedisches Heer mehr geben, sollte alles verloren sein. Längs des Ufers von Perewolotschna bisTaschtachka sammelten sich allmählich Soldaten, Pferde und Troßwagen, in einem Gelände, das nahezu offen war, nur von Büschen und Gras bewachsen, durch vereinzelte Sümpfe und morastige Stellen durchbrechen. Und nur ein Weg
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führte hinaus aus diesem Flußstreifen, die Straße zurück. Aber die Truppen hatte nur ein Gedanke vorwärtsgetrieben, beherrschte ihr ganzes Trachten: weg vom Feind, fort vom Ort der entsetzlichen Niederlage! Eine Umkehr mußte sie wieder dem furchtbaren Gegner entgegen führen. Wer wollte, wer konnte diese Soldaten dazu bewegen ... So entschied sich die schwedische Führung, mit den wenigen verfügbaren Booten so viel Mannschaften hinüber zu rudern wie möglich, eine Maßnahme, nur verständlich aus der Katastrophe von Poltawa. Nur zu schnell wurde sichtbar, daß dies unmöglich war, konnte keiner der höheren Offiziere weiter die Augen verschließen. Mazeppas schwimmkundige Kosaken erlitten hohe Verluste, als einzelne seiner Verbände mit den Pferden über den Dnepr setzten. Man mußte sofort ·aus diesem Gelände heraus! Aber alle, der König, die Generäle, Offiziere und Soldaten waren am Ende ihrer Kräfte, eine lähmende Resignation breitete sich aus. Es blieb nur noch, den König zu überzeugen, die Trümmer der Armee zu verlassen, sich über den Dnepr zu retten. Dafür würden die Boote noch reichen ... Doch Karl XII. wollte kämpfen. Gyllenkrocks Einwänden, die Kampfmoral der Armee gestatte derzeit keinen Zusammenstoß mit dem russischen Gegner, begegnete der Monarch mit gewohnter Unnachgiebigkeit. "Sie werden fechten, wenn ich es ihnen befehle!" Noch immer begriff der absolutistische König, der Herrscher von Gottes Gnaden, nicht die Zeichen der Zeit, glaubte uneinsichtig an sich und seine gottgefällige Sendung. Schon in Puschkarjowka hatte er, kaum daß die Kalesche stoppte, Optimismus verbreiten wollen, mit einem gekünstelten Auflachen bemerkt, das Geschehene würde "nicht so viel bedeuten" (Englund, 207). Und auch jetzt vergingen Stunden, ehe ihn Lewenhaupt und die anderen Befehlshaber überreden konnten; wirklich ein treffendes Bild, so recht kennzeichnend für Charakter und Haltung dieses Königs, das Peter Englund zum Schlußgeschehen bei Perewolotschna entwirft. "Eine Horde flennender und lamentierender höherer Offiziere, Höflinge und Ratgeber wimmerte, betete und bat: Majestät müssen sich retten und sich nicht der Gefahr aussetzen, gefangengenommen zu werden" (238 f.). Und das Bitten schwoll zum Orkan, als Karl XII. andeutete, er wolle die Truppen zu einem letzten heldischen Sterben führen. Der König ließ sich erst überzeugen, als die Generäle versprachen, die Armee über die Worskla zur Krim zu führen. Erst jetzt war er bereit, mit einer kleinen Eskorte nach Otjakow am Schwarzen Meer zu reisen, wollte dort die Streitkräfte erwarten.
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Ja, sie waren wirklich mehr als erleichtert, die wahrlich nicht ängstlichen Generäle, als Karl XII. das Lager verlassen hatte. Es war eben doch einander Ding, dem Tod ins Auge sehen zu sollen in dem Bewußtsein, von einem König geopfert zu werden, einem Herrscher gehorchen zu müssen, dessen Ehre selbst die vorteilhafteste Kapitulation ausschloß. Und kämpfen konnten und wollten sie nicht mehr. Jeder weitere Widerstand schien sinnlos geworden. So kapitulierten Lewenhaupt und Creutz mit knapp 20 000 vor einer kleinen Verfolgerarmee von maximal 9 000 ähnlich erschöpften Russen unter Fürst Menschikow. 983 Offiziere, unter ihnen drei Generäle, 11 Oberste, 16 Oberstleutnants, 23 Majore, 256 Rittmeister und Hauptleute, 304 Leutnants, 12 575 Soldaten, dabei noch 9 152 Kavalleristen, 1 407 Zivilbeamte des Heeres mit 945 Handwerkern, Kutschern und Troßknechten. Hinzu kamen noch weiteretausendemitgereister Personen, allein 1 675 Frauen und Kinder. Fürst Menschikow empfing 31 Geschütze, 142 Fahnen, die Kriegskasse mit etwa zwei Millionen Taler Münzwert, weitere Regimentsgelder in Höhe von etwa 400 000 Münzen und 300 000 Münzen aus Mazeppas Geldbeständen. In die Hände der Sieger fielen auch Beutestücke aus Polen und Sachsen, griffige Zeugnisse einstiger Größe Schwedens. Poltawa und die Kapitulation von Perewolotschna waren die Wende in der Geschichte der schwedischen Großmachtzeit, waren auch Zäsur im Leben Karls XII. Für immer dahin war der Nimbus der Unbesiegbarkeit des noch immer jungen "Heldenkönigs". Zar Peter erfaßte schon wenige Stunden nach dem Sieg bei Poltawa die welthistorische Bedeutung der Schlacht. In einem Brief an den Grafen Fjodor Apraxin notierte er den berühmten Satz: "Jetzt ist vollends mit Gottes Hilfe der Grundstein für St. Petersburg gelegt" (Hoffmann, Peter, 32), stand Rußland fest an der Ostsee.
"Ew. Maj. könnte mit besserem Erfolg über jede Sache mit dem Rat in Stockholm als mit dem König verhandeln, der nach Meinung der meisten Menschen jedes Gefühl verloren hat dafür, was er seinem Land und dessen Bürgern schuldig ist." Der Sondergesandte der Seemächte in Bender, James Jefferyes, in einer Mitteilung an die englische Regierung vom 6. Oktober 1711
Von Poltawa bis zum Prut zwei Tage Verspätung für eine welthistorische Entscheidung? Zahlreiche Soldaten waren bei Perewolotschna ertrunken, als sie den gewaltigen, schnell fließenden Dnepr auf dem Pferderücken oder hastig zusammengeschnürten Flößen überqueren wollten. Nur wenige tausend Kosaken, einige hundert schwedische Offiziere, häufig verwundet, eine größere Anzahl Hofbeamter, die überlebenden Trabanten und wenige, stark gelichtete Bataillone Soldaten hatten das rettende Südufer des breiten Stromes erreicht, marschierten einer ungewissen Zukunft entgegen, still, gedrückt, keineswegs sonderlich zuversichtlich. Zu furchtbar war das Erlebte gewesen, zu nahe noch der Feind, zu lebendig die Bilder des Grauens. Ein solches Gemetzel hatten Karls XII. Soldaten vorher nur als Sieger erlebt, als Opfer trieb sie nun eine bis dahin unbekannte Furcht. Die Fouriere hatten kaum Lebensmittel über den Fluß retten können. Es mangelte an frischem Wasser, Brennmaterial und die vielen Schwerverletzten im kleinen Troß um Karl XII. erschwerten die Flucht. Otschakow, die türkische Grenzfestung, war weit, mehr als 350 Kilometer entfernt. Dazwischen lag die endlos scheinende, nahezu unbewohnte Steppe . . . und stündlich konnten die ersten russischen Verfolger heranI 0 Findeisen
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reiten. Nein, Zeit zur notwendigen Ruhe, zur Analyse des Geschehens blieb nicht, Otschakow, die Rettung lag viel zu fern ... Mühsam bewegte sich die kleine Kolonne vorwärts, rollten die wenigen Wagen mit den Verletzten durch die anhaltende Hitze. Für den Monarchen filterten die Lakaien das trübeWasserder fast ausgetrockneten Flußarme durch Servietten, die Masse der erschöpften Soldaten schlürfte die braune, ekelerregende Brühe. Das Fleisch verendeter Pferde war neben trockenen Brotresten und wilden Beeren die einzige N ahrungsquelle. Nach fünftägigem Marsch erreichten die Trümmer des schwedischen Heeres mit dem König den Bug. Doch verweigerte der Gouverneur von Otschakow, Abderrahman Pascha, den Flüchtlingen den Übergang über den Strom. Er habe keine entsprechenden Befehle aus Stambul. Und Konstantinopel, wie die Europäer die türkische Metropole nannten, lag viele Tagesritte entfernt ... Aufgeschlossener, freundlicher gar, wurde der Pascha erst, als Karls XII. Bote, der General und Fürst Stanislaw Poniatowski - als Pole mit den Gebaren der türkischenNachbarnvertraut-die Kasse öffnete. Zweitägiges Feilschen und eine größere Summe Geld, zuletzt noch energische Drohungen, überzeugten Abderrahman ... Doch konnte am 8. und 9. Juli in den wenigen verfügbaren Booten nur etwa ein Drittel- die Leibtrabanten, ein Infanteriebataillon, einige Schwadronen, die Hofbeamten -über den Fluß gerudert werden. Die zahlreicheren polnischen Reiter und Saporoger Kosaken retteten sich wiederum auf ihren Pferden über den Fluß. 800 Schweden fielen den russischen Verfolgern noch hier am Bug- auf türkischem Territorium -in die Hände. Nur 500 Soldaten und Offiziere begleiteten Karl XII. weiter nach Bender, der türkischen Hauptfestung der Region. Der schwedische König, vor wenigen Tagen noch Heerführer der besten europäischen Armee, war nun wenig mehr als ein machtloser Flüchtling. Das aber wußte Karl XII. noch nicht, als ihm der Serasker von Bender, der oberste Militärbefehlshaber dieses Raumes, einen triumphalen Empfang bereitete, dem Pascha von Otschakow für sein Zögern wenig später die todverkündende Seidenschnur vom Sultan zugesandt wurde. Noch immer wähnte sich Karl XII. als Führer einer Armee, die zwar "durch einen wüsten und unglücklichen Zufall ... am 28. vergangenen Monats in einer Feldschlacht Abbruch erlitten" habe, die aber "den Feindtrotz dieser Verluste binnen Kurzem" wieder besiegen
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werde, wie der König der heimatlichen Verteidigungsbehörde in Stockholm aus dem Lager bei Otschakow am 11. Juli 1709 mitteilte (Carlson, 354 - 5). Ein Gesandter ritt nach Konstantinopel, der türkischen Regierung ein baldiges Bündnisangebot Karls XII. anzudeuten; ein weiterer wurde ins Gebiet der Krimtataren abgefertigt. Er sollte den Khan Devlet Gerai auf General Lewenhaupts Ankunft vorbereiten und den Durchmarsch des schwedischen Armeekorps nach Bender vereinbaren. Zweifellos glaubte der schwedische Monarch, daß er bald wieder an der Spitze einer Armee von mehr als 10 000 kampferprobten schwedischen Soldaten, unterstützt durch zehntausende beutegieriger Tataren unter Devlet Gerai - dessen Haß auf Zar Peter und Kriegslust Karl XII. bekannt waren - den Kampf aufnehmen könnte. Und sicher hoffte der König auch auf einen Bündnisvertrag mit der Pforte. Unmittelbar an der türkischen Grenze stehend, für die osmanische Führung zur Realität geworden, mußte es doch gelingen, Konstantinopel zum Angriff auf den gemeinsamen Feind zu bewegen. Nun, da er selbst hier war, sollten die Türken doch verstehen können, daß sie zu ihrem eigenen Vorteil marschieren, angreifen mußten. Schließlich stand er jetzt, für jedermann sichtbar, an ihrer Seite, er, Karl XII., der unbesiegte Feldherr, den lediglich ein Mißgeschick getroffen hatte, ein Unglück, das mit türkischer Hilfe- einigeTage Ruhe, Pulver und Kugeln, neuen Pferden und Geld, ja, natürlich viel Geld - schnell vergessen werden könnte. Wohl berechtigt schloß seinerzeit Frans G. Bengtsson, daß Karls XII. Haltung in diesen ersten Tagen im Lager von Bender aus der Überzeugung erwuchs, jedes Nachgeben, jede "Kapitulation" vor den Gegebenheiten bedeute "einen moralischen Kollaps, das Ende des Vertrauens in eine vernünftige Weltordnung", wie sie der absolutistische Herrscher verstand. Er habe fortan nach dem Wahlspruch gelebt: "Fiat justitia, pereat mundus - der gerechte Sieg wird kommen, auch wenn von König und Volk das Äußerste verlangt wird" (Bengtsson, 451 ). Die Aussichten auf den Sieg seiner gerechten Sache schienen in der Tat dem schwedischen König nicht ungünstig. Die Pforte trug noch immer schwer an dem Verlust der Festung Asow am Schwarzen Meer. So war sein - uns heute allerdings schier unbegreiflicher - Optimismus wohl nicht nur aus der Not geboren, den Mitgliedern der Verteidigungskommission in Stockholm Mut und Entschlossenheit demonstrieren zu müssen. Im übrigen schien es ihm selbstverständlich, daß sein schwedisches Volk das "Äußerste" zu wagen hatte. JQ•
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Schon die Zeitgenossen bewegte, daß Karl XII. trotz des Verlustes so vieler seiner Untertanen bei Poltawa ungerührt neue Kriegsvorbereitungen traf, "die auch seine nächste Umgebung zu der Überzeugung kommen ließ, daß er nunmehr vollkommen gefühlslos sei", wie es selbst Bengtsson, durch und durch Karl-Verehrer, eingestand (445). Doch haben einige schwedische konservative Historiker Karls XII. Gleichgültigkeit immer wieder mit dem Lob entschuldigt, der König habe keine Fehler an der Niederlage bei anderen gesucht, die Soldaten gewürdigt, die "in großer Kampfeslust . . . den Feind, ungeachtet aller seiner Vortheile, beständig angegriffen und verfolgt" hätten (Carlson, 354). Das ist richtig und hebt ihn von anderen Monarchen ab. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß dieser Herrscher kein Mitgefühl für jene bezeugte, die nach dem entsetzlichen Aderlaß in der Ukraine nun hilflos ohne Söhne und Männer in der Heimat warteten. Sie wenigstens benötigten seine tätige Hilfe, erhofften königliche Aktionen gegen Hunger und Epidemien, das Massensterben der Kinder und Alten. In seinem Brief an die Verteidigungskommission forderte Karl XII. neue Rekruten. Das Schicksal der Angehörigen der toten Soldaten berührte er mit keinem Wort. So resümierte auch der schwedische Militärhistoriker Alf Aberg, Karls neue Rekrutierungsbefehle füllten die Gutshäuser und Soldatenhöfe; aber "die alten Familien mußten sich schnell auf den Weg in ein ungewisses Schicksal begeben. Niemand wußte, wie viele noch vom Offizierskorps und den Mannschaften der verschwundenen Armee lebten. Nur eins war sicher: Der Staat übernahm keine Verantwortung für deren Familien" (Aberg, 156). Aber gerade in der Gewißheit, ihre Familien in heimatlicher Sicherheit zu wissen, unterschied sich die schwedische Armee grundlegend von den Söldnerformationen anderer absolutistischer Staaten. Hierin lag eine Stärke der Heeresreform Karls XI. Eine Aufgabe dieses Prinzips mußte eine weitere Säule untergraben, auf die sich Macht und Unbesiegbarkeit des schwedischen Staates gründeten. Jede neue Armee, wie bereitwilig sie sich auch immer den Befehlen Karls XII. fügen würde, konnte nicht mehr mit der gleichen Zuversicht marschieren, wie es jene taten, die nun bei Poltawa oder in russischer Gefangenschaft geblieben waren. Schon der Publizist der eigenhändigen Briefe Karls XII., Ernst Carlson, hatte sich seinerzeit über die "Gefühlslosigkeit" des Monarchen in dessen Brief vom Elend des Winterfeldzuges in der Ukraine um die Jahreswende 1708 auf 1709 unangenehm berührt geäußert. Karl hatte damals seiner Schwester berichtet, "obwohl Einige" - und Carlson hatte verbittert angemerkt, daß es mehrere tausend waren, die erfroren
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- "unglücklich waren, und ihnen die scharfe Kälte Schaden zufügte", war es doch "etwas Zeitvertreib", der "Winter doch ein fröhlicher ... gewesen" (Carlson, 94). In ähnlichem Geiste scheint auch der erste Brief nach der Katastrophe an die Schwester geschrieben. Alles sei gut gegangen, nur gegen "Jahresende und durch einen besonderen Zufall hatte die Armee das Unglück, Verluste zu erleiden, die, wie ich hoffe, binnen Kurzem wieder gut gemacht sein werden". Er sdbst sei kurz vor der Schlacht verwundet worden, habe daher einigeTage nicht reiten können, das sei nun jedoch hoffentlich bald wieder möglich (Carlson, 96 f.). Selbst, wenn man berücksichtigt, daß Karl XII. seine Schwester beruhigen wollte, bleibt dieses Dokument doch ein Zeugnis erschreckender Gleichgültigkeit für die vielen Tausende, die ihr Leben geopfert hatten für eben jenen König. Und es mutet in der Tat merkwürdig an, daß der Monarch im gleichen Brief der Schwester tief erschüttert schreibt, ein "böses Gerücht" über den Tod der älteren Schwester habe ihn sehr beunruhigt. Doch habe er es schließlich als unmöglich zurückgewiesen, so nach schweren inneren Qualen wieder Frieden gefunden (Carlson, 96). Hedwig Sophia war bereits am 11. Dezember 1708 in Stockholm an den Masern verstorben. Otto Klinkowström hatte diese Nachricht zusammen mit der Botschaft vom Rückzug der Armee König Stanislaws und General Krassows am 22. Juni ins Lager von Poltawa gebracht. Doch hatte Graf Piper entschieden, dem schwerverwundeten König vorerst die niederschmetternde Kunde zu verheimlichen. Erst auf türkischem Boden erfuhr Karl XII. vom Ableben der Schwester. Er habe "keine sichtbare Gemütsbewegung" über die Niederlage gezeigt, sei aber durch die Todesnachricht so erschüttert gewesen, daß er "wie ein Kind weinte", faßte Carlson den auch von Karls Umgebung registrierten offenkundigen Widerspruch im Verhalten des Monarchen zusammen (Carlson, 96). Noch knapp ein Jahr später drückte Karl XII. tiefe Betroffenheit über Hedwig Sophias Tod in einem weiteren Brief an Ulrika Eleonora aus. Nur einmal, Jahre später, berührte der König gegenüber der Schwester schließlich auch die Ereignisse nach Poltawa. Obwohl er hier ausdrücklich betonte, den "Offizieren und Gemeinen durchaus nicht die Schuld aufbürden" zu wollen für die Kapitulation von Perewolotschna (Carlson, 124), folgte auch in diesem Brief kein Hinweis darauf, daß Karl XII. die sinnlos geopferten Toten beklage, das Leid der Hinterbliebenen bedauere, Maßnahmen für sie ergriffen hätte oder beabsichtige. Nein, derselbe Herrscher, der Mühsal und
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Kampf mit seinen Truppen teilte, den nicht wenige von ihnen auch jetzt noch verehrten, bewunderten, dem sie vertrauten, vergaß sie ungerührt, wenn sie seinen Zielen nicht mehr dienlich erschienen. Zweifellos auch ein neuer Gegensatz in der Persönlichkeit dieses Monarchen, der an König Stanislaw festhielt, als diese Entscheidung ihm auch die letzten günstigen Friedensmöglichkeiten raubte. Doch scheint Karls Beharren auf Stanislaw vor allem aus seiner tiefen Überzeugung erwachsen, Gott habe ihn in das Herrscheramt berufen und dürfe ihn nur vorübergehend prüfen, alles würde sich zum Guten fügen müssen. Am 19. Dezember 1710 hatte Karl XII. seiner Schwester aus Bender berichtet, er sei "überzeugt, daß es binnen Kurzem geschehen wird", daß "die Feinde ebenso wie früher zu Kreuze kriechen werden. Unser Herr wird Schweden wie ehedem so auch jetzt beistehen, so daß der Schaden, der nun einmal angerichtet ist, Schweden zu um so größerer Förderung und Ehre gereichen wird" (Carlson, 103).- Und König Stanislaw blieb offenbar im Machtkonzept Karls XII. der Platz erhalten, für den das Reich Schweden auszuhalten hatte bis zu "größerer Förderung und Ehre" ... So bleibt auch für dieNachlebenden die Diskrepanz fast unbegreiflich zwischen dem tiefen menschlichen Leid des Monarchen über den Tod der Schwester und den unbeteiligten nichtssagenden Darstellungen des Untergangs seiner Armee, gepaart mit einem wahrlich unverständlichen Optimismus, der keineswegs aus Schönfärberei und Großmannssucht erwuchs. Diese Überzeugung, die derzeit schwierige Situation werde sich "binnen Kurzem" zu seinen Gunsten ändern, hielt Karl XII. für Jahre im türkischen Exil fest. Am 3. August 1709 traf der schwedische General Johan August Meijerfelt im Lager von Bender ein. Karl XII. hatte ihn unmittelbar nach der Niederlage bei Poltawa mit Verhandlungsinstruktionen für Staatsrat Piper ins russische Lager gesandt. Doch hatte Zar Peter die Absicht des schwedischen Königs sofort durchschaut, auf diese Weise Zeit für den Rückzug zu gewinnen. Meijerfelt war arrestiert worden. Nun sandte ihn der Zar, König Karl XII. Rußlands Forderungen zu überbringen. Damit erhielt der schwedische König endlich auch sichere Informationen über die Kapitulation von Perewolotschna. So war nun seine Hoffnung zerronnen, an der Spitze einer mit türkischen Waffen, Geld und Proviant schnell wieder formierten Armee den Kampf gegen Zar Peter sofort wieder aufzunehmen; dahin auch die Gewißheit, "auf einigen Beystand von der ottomanischen Pforte", auf die der Herrscher nach zeitgenössischem Eingeständnis schon jetzt "seine Rechnung ... machte" (Nordberg, II, 163). Nun wünschte Karl XII. so schnell wie
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möglich nach Polen zu reisen, um hier die Truppen König Stanislaws und General Krassows auf einen neuerlichen Feldzug gegen Rußland vorzubereiten. General Meijerfelt reiste von Bender weiter nach Stockholm, brachte mit den königlichen Berichten über Poltawa und den Rekrutierungsbefehlen auch die Ankündigung der baldigen Ankunft Karls XII. in Pommern oder Stockholm mit. Im Herbst 1709 sandte Karl XII. Oberst Gyllenkrock mit 160 Schweden und etwa 1 300 bis 1 400 Saporoger Kosaken an die polnische Grenze,.den Heimritt der Reste des schwedischen Heeres vorzubereiten. Noch unmittelbar vor dessen Gefangennahme durch starke russische Truppen auf türkischem Gebiet bei Czarnowitz am 24. September 1709 hatte Karl XII. seinen Generalquartiermeister wissen lassen, er "hoffe selbst baldbeyihm zu sein" (Nordberg, II, 171). Doch vermuteten schon die Zeitgenossen, Karl XII. haben Gyllenkrock gesandt, ihn und die kleine Gruppierung geopfert, um die laufenden Friedensgespräche zwischen der Pforte und Rußland zu stören. Ein verärgerter Sultan, verletzt in seinen Hoheitsrechten, sollte Rußland den Krieg erklären. Selbst 1740 war das Gerücht "noch heut zu Tage beyvielen nicht verschwunden", Karl XII. habe damit "der ottomanischen Pforte eine gewünschte Gelegenheit .. ., mit Rußland zu brechen" geben wollen (Nordberg, II, 171). Obwohl sehr einleuchtend, ist diese Absicht jedoch durch Dokumente nicht zu belegen. Haben Karl XII. und seine Berater diesen Zusammenstoß wirklich inszeniert, so ist alles in der üblichen, nur auf den engsten Kreis Vertrauter beschränkten Weise vorbereitet worden. Gyllenkrock hatte keine Informationen. Auch aus den Kreisen der russischen Angreifer ist nicht bekannt geworden, daß ihnen aus dem Lager König Karls XII. entsprechende Nachrichten zugespielt wurden. Allerdings blieb Karl XII. nach dem völligen Verlust der Leweuhaupt-Armee nur noch die Alternative, in der Türkei das Bündnis mit der Pforte zu vereinbaren, das Land schleunigst zu verlassen und dann sofort an der Spitze seiner Polenarmee die türkisch-schwedische Allianz durch eine Offensive im Nordosten zu festigen. So gesehen konnte die Opferung Gyllenkrocks und die baldige Heimreise durchaus im Interesse Karls XII. liegen. Der erhoffte türkische Stoß ins südliche Rußland würde, so glaubte der Schwedenkönig, Zar Peter bald in erhebliche militärische Schwierigkeiten bringen. Und der türkische Großwesir tat zunächst alles, dem
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schwedischen Monarchen die Bereitschaft der Pforte zu kombinierten militärischen Aktionen vorzuspiegeln. Großwesir Ali Tschurlili, der oberste Beamte der Pforte, wünschte jedoch keinen neuen Krieg gegen Rußland. Nach den schweren Niederlagen der letzten Jahrzehnte stand den Osmanen der Sinn wenig nach neuerlichen kriegerischen Abenteuern. Ali Tschurlili wollte die Anwesenheit des berühmten Zarengegners lediglich als Trumpfkarte in seinen Verhandlungen mit den russischen Bevollmächtigten nutzen, den 1700 mit Ru~land auf zehn Jahre befristeten Frieden zu möglichst günstigen Bedingungen zu verlängern. War König Karl nun einmal schon in Bender und kostete Stambul erschreckend hohe Summen türkischen Geldes, dann sollte der ungebetene Gast dem türkischen Staat wenigstens einiges an "Zinsen" einbringen, eine zweifellos einleuchtende ,.fromme Denkungsart" des wahrlich nicht zimperlichen Großwesirs. Um den Monarchen bis zum Abschluß der Verhandlungen in Bender zu halten, versprach Tschurlili Karl XII. leichtsinnig im Namen seines Herrschers, Sultan Achmed III., eine Armee von 50 000 Janitscharen. Die kampferprobten türkischen Truppen sollten die kleine schwedische Gruppe mit ihrem König sicher an die schwedische Grenze durch polnisches Territorium geleiten. Sofort nach Neujahr 1710 teilte der Großwesir dem hohen schwedischen Gast überraschend den Abschluß des Friedensvertrages mit und ließ ihn wissen, daß seine Abreise nun möglichst bald geschehen könne, selbstverständlich ohne das zugesicherte Heer. Karl XII. solle unter dem Schutz des aufständischen Fürsten Ferenc Rak6czi reisen. Dieser aber, das wußte natürlich auch der schwedische Monarch, wurde vom Zaren mit Geld unterstützt, war dessen Verbündeter ... Tschurlili ahnte nicht, gegen wen er sein raffiniertes diplomatisches Spiel wagte, um welchen Preis er kämpfte. Am 28. Februar 1710 hatte die neuaufgestellte schwedische Armee unter General Stenbock bei Helsingborg am Öresund eine überlegene zu Jahresbeginn in Skäne gelandete dänische Armee in einer zweistündigen blutigen Schlacht besiegt, die dänischen Invasoren vertrieben. Der völlig unerwartete schwedische Triumph stärkte auch in Konstantinopel die schwedische Fraktion im Diwan, dem obersten Regierungsorgan der Pforte. Schon im Sommer 1710 wurde der Großwesir nach scharfen Protesten Karls XII. vom Sultan abgesetzt. Er habe "von den russischen Abgesandten so grosse Geschenke und .. . viel Geld genommen", verlauteten die Gerüchte im Serail, zufrieden von Karls Vertrauten in Konstantinopel nach Bender berichtet. Man "sprach von vierzigtausend Ducaten, die
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der Großvezir allein monatlich geschenkt bekommen, und von zwo Millionen Reichsthaler, welche ihm ... nebst ... Anhange bey Hofe, waren verehret worden" (Nordberg, li, 225). Der Sultan ließ Karl XII. versichern, er fühle sich an die Zusage des sicheren Geleits gebunden. Wenig später wurde Tschurlili mit der berüchtigten Seidenschnur erwürgt. Mit dem neu ernannten Nurman Pascha schöpfte Karl XII. neuerliche Hoffnungen auf eine baldige Kriegserklärung der Türkei an Zar Peter. Aus Konstantinopel wurde nach Bender berichtet, eine größere Anzahl türkischer Kriegsschiffe sei zum Schwarzen Meer gesegelt und solle "die Vestungen beobachten ..., mit deren Anlegung der Czar in voller Arbeit begriffen" sei. Auch stimmte es ermutigend, daß die Kriegspartei im Diwan verbreiten ließ, "der gemeine Mann ... verlangt einen Krieg mit Moscau, daß auch sogar einige daher einen Aufstand befahreten" (Nordberg, li, 223). Karl konnte zufrieden sein, Aufstandsgerüchte waren etwas, wo selbst ein Sultan im schönsten Harem unruhig werden konnte ... Und doch sah sich der schwedische König schnell wieder enttäuscht. Nach wenigen Monaten wurde der rußlandfeindliche energische Großwesir durch Mehemet Pascha Baltadschi ersetzt. Der Krieg aber sei beschlossene Sache, so meldeten es die Vertrauten nach Bender. Karl XII. war es im Bündnis mit dem Tatarenkhan gelungen, den Sultan für eine Kriegserklärung zu gewinnen. Geschickt hatte der schwedische Monarch dafür auch die Grenzverletzung durch russische Truppen und Gyllenkrocks Gefangennahme aufgezählt, dem Sultan durch einen als Türken verkleideten Leibtrabanten eine Klageschrift vor der großen Moschee in Konstantinopel überreichen lassen. Im Juni 1710 hatte der Großwesir dem russischen Gesandten mitgeteilt, die Pforte könne nicht länger dulden, daß Rußland in Polen Truppen unterhielte. Der Sultan habe sich zum Geleit des schwedischen Monarchen "mit vierzigtausend Mann durch Polen" entschlossen und fordere die sofortige Räumung Polens (Nordberg, li, 228). So trat Baltadschi ein schweres Erbe an. Die Gesandten des Kaisers und der Seemächte hatten dringend zum Frieden geraten. Sie wünschten keine gefährliche Zuspitzung der Auseinandersetzung im Norden. Neben Sachsen konnten weitere deutsche Staaten in den Krieg hineingezogen werden, ihre Truppen vom französischen Kriegsschauplatz nach Osten beordern. Das Ringen gegen Frankreich aber- so wußten es
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die Gesandten - beanspruchte alle Kräfte. Der Kaiser ließ daher Baltadschi mitteilen, ein Einmarsch von 40 000 Janitscharen in Polen "würde ahnfehlbar zwischen diesem Reiche und der Pforte" zum Krieg führen, kaiserliche Truppen würden den Bundesgenossen August unterstützen (Nordberg, II, 230). Doch konnte der verängstigte Großwesir die Kriegserklärung der Türkei am 21. November 1710 nicht mehr verhindern, zu stark war die Kriegsfraktion hinter Karl XII., zu erinnerlich war ihm das Schicksal Tschurlilis. Ausdrücklich führte das türkische Manifest als eine Kriegsursache die russischen Grenzverletzungen am Bug und bei Czarnowitz sowie Gyllenkrocks Gefangennahme an. Hatte Karl XII. also doch ungerührt seine Soldaten geopfert, um einen Kriegsgrund zu liefern? Einerlei, der Zar wurde aufgefordert, alle Eroberungen schwedischer Territorien einschließlich Petersburg zu räumen, die Trophäen von Poltawa zurückzusenden, seine Flotte bei Woronesch zu zerstören, die Festung Asow zu schleifen und sich von seinem sächsischen Verbündeten August von Polen loszusagen. Forderungen, denen sich der siegreiche Zar auf keinen Fall unterwerfen würde. Im Gegenteil, Peter sandte am 16. Januar 1711 seinerseits einen Brief an den Sultan. Er bezog sich - wie er es nannte - auf "ausgestreute" Gerüchte durch den König von Schweden, "die otternanisehe Pforte wolle seinetwegen mit Rußland brechen" (Nordberg, II, 228) und drohte mit einem militärischen Gegenschlag seiner Armeen, wohl wissend, daß die türkische Mobilmachung längere Zeit beanspruchen, die Pforte einen große Krieg gegen Rußland fürchten würde. Karls XII. Plan schien aufzugehen. Am 29. November 1710 traf er sich in Bender mit Devlet Gerai zu Beratungen über den bevorstehenden Rußland-Feldzug. Am gleichen Tage hatte die Pforte den russischen Gesandten, Pjotr Andrejewitsch Tolstoi, in das Staatsgefängnis "Sieben Türme" bringen lassen. Von neuerlicher Siegeszuversicht erfüllt, ließ Karl XII. Münzen prägen mit seinem Bildnis und der Inschrift "Er ist mit einer gerechten Sache und mit dem Schwerte bewaffnet" (Nordberg, II, 261 ), solcherart seine unveränderte Überzeugung demonstrierend, für eine höhere Gerechtigkeit zu fechten. Und wieder ritten Boten nach Stockholm. Entsprechende Befehle, die Aufstellung einer Kontinentalarmee zu beschleunigen, ergingen zu Jahresbeginn aus Bender an den Rat in Stockholm. Damals wandte sich Karl XII. auch in einem Schreiben an seine schwedischen Untertanen, denen er versprach, als Beweis "seiner Liebe
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für ihre Wohlfahrt, wollte er den Bauern im ganzen Reich itzt ihre bevorstehende(n) Auflagen erlassen" (Nordberg, li, 262). Zweifellos schöne Worte, aber wohl mehr doch Heuchelei, denn gleichzeitig appellierte der König an den Patriotismus der Bauern, sie sollten freiwillig "alles Nützliche zur Ausführung des Krieges beytragen, dadurch ihre uralte Ehre und voriges Ansehen beybehalten, und sich von keiner Schwierigkeit überwinden lassen". Und wieder versprach der Monarch, "durch göttlichen Segen und Beystand, einen ehrlichen und sicheren Frieden zu erhalten, da sie hiernächst alle glücklich und vergnügt leben könnten" (Nordberg, li, 262). Ein neuer "königlicher Wechsel" auf Verheißungen einer glücklichen Zukunft, an dessen Einlösung immer weniger glauben wollten. Da half wohl auch wenig, daß der Rat in Stockholm die Siegesnachricht von Helsingborg an den Kaiser am 7. März 1710 mit den Worten schloß: "Ein jeder erkennete hierunter die Hand des Herrn der Heerscharen", Münzen in Schweden geprägt wurden mit Inschriften wie: "Die Rache Gottes hat die Dänen ausgetrieben" und "Durch Gottes Rache" sei Skäne befreit (Nordberg, li, 206 ff.). Das mochte vorübergehend gläubige Gemüter aufmuntern. Der Alltag mit den erdrückenden königlichen Forderungen ließ patriotisch-religiöse Hofnungen schnell verkümmern ... Karl XII. blieb überzeugt, hier in der Türkei wesentliche Voraussetzungen für neue schwedische Erfolge vorbereiten zu können. Dem Rat daheim befahl er, die Flotte auszurüsten, die Landung von Truppen in Pommern vorzubereiten. Der König plante ernsthaft einen neuen schwedischen Einmarsch in Polen. Und wieder wie einst in Altranstädt schockierte er alle potentiellen Bündnispartner. Dringlicher denn je benötigte Schweden jetzt die Seemächte, um Dänemarks Flotte zu neutralisieren, den Travendaler Frieden zu garantieren. Neue dänische Angriffe waren zu erwarten, starke Heereseinheiten sammelten sich an den Grenzen der schwedischen Besitzungen im Reich. England und Holland, keineswegs besonders sichere Alliierte Karls XII., durften nicht verärgert werden. Ihren Wünschen sollte Karl entgegenkommen, so jedenfalls sahen es auch die Mitglieder des Rates in Stockholm. Bender war wahrlich nicht Altranstädt. Es galt zu retten, was da zu erhalten war. Die Möglichkeiten, Schwedens Verluste zu begrenzen, schienen nach Stenbocks Sieg bei Helsinborg günstig. Die Mächte der antifranzösischen Koalition hatten mit Erstaunen das unerwartete Aufbäumen des schon besiegt gewähnten Schwedens registriert, suchten nun durch eine
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Neutralisierung Schleswig-Holsteins, des dänischen Jütlands, Polens und der deutschen Staaten einschließlich der schwedischen Besitzungen einer neuerlichen Ausweitung des nordischen Ringens entgegenzuwirken. In Stockholm war man schnell bereit, dieN eutralitätsakte des Kaisers, der Seemächte und Hannovers anzuerkennen. Der Rat hatte sich bereits im Herbst 1709 selbst mit der Bitte um eine Sicherheitsgarantie für Pommern, Wismar und die Herzogtümer Bremen und Verden an die Initiatoren der nunmehr vorgeschlagenen Neutralitätserklärung gewandt. Kanzleipräsident Graf Arvid Horn war überzeugt, Schwedens Truppen auf deutschem Boden seien für eine aktive Kriegführung unzureichend. So könne das Land die deutschen Territorien vorerst durch den Verzicht auf eine Offensive vor gegnerischen Angriffen schützen, gegebenenfalls den Vertrag aufkündigen, folgerte der einflußreiche Politiker, gewann die Zustimmung der anderen Ratsmitglieder. Die Stockholmer Regierung ließ durch ihre Gesandten das Einverständnis zum Neutralitätsvertrag erklären, betonte jedoch ausdrücklich, die Zustimmung des Monarchen sei unerläßlich, sandte entsprechende Botschaft an Karl XII. in Bender. Wenigstens war Zeit gewonnen, Schweden den Wünschen der Seemächte entgegengekommen und verpflichtete diese, nach dem baldigst zu erwartenden Ende des Spanischen Erbfolgekrieges als Garanten der Friedensschlüsse von Travendal und Altranstädt aufzutreten, schrieb Horn seinem König. Zweifellos ein wohldurchdachter Schritt, weiteren territorialen Verlusten Schwedens entgegenzuwirken. Und wieder entschied König Karl anders! Er hatte dem Großwesir den schnellstmöglichen Einmarsch der neuen schwedischen Armee in Polen versprochen. Eine Neutralisierung, wie sie die Seemächte und der Kaiser erstrebten, könnte - so fürchtete Karl XII. - energische Operationen der Türken verlangsamen, möglicherweise Friedensgespräche der Pforte mit dem Zaren auslösen. Baltadschis Zögern und Furcht war dem schwedischen Monarchen keineswegs verborgen geblieben. Daher reagierte der absolutistische Herrscher aus dem fernen Bender, realistischen Überlegungen uneinsichtig verschlossen, verärgert in Briefen am 19. und 26.Juni 1710 auf die eigenmächtigen Entscheidungen seines Rates, brüskierte England und Holland erneut. Am 30. November, wenige Tage nach der türkischen Kriegserklärung an Rußland, protestierte der schwedische König offiziell gegen die N eutralisierung, untersagte den Politikern in Stockholm in einer Weisung vom 4. Dezember jede weitere Verhandlung über dieses Vertragswerk. Erneut
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warf Karl XII. sein "Alles oder nichts" gegen die wohlüberlegten Erwägungen seiner Stockholmer Kanzlei. Schon am 21 . November - analog zur Verkündung des türkischen Kriegsmanifestes-hatte er Sachsen den Krieg erklärt, erneut kompromißlos auf Augusts Thronverzicht in Polen bestanden. Bitten der Seemächte um Handelserleichterungen und freie Schiffahrt in die baltischen, von Rußland besetzten Häfen, beantwortete Karl XII. gleichzeitig mit einem kategorischen "Nein", halsstarrig ignorierend, daß Schweden auf solche Weise in völlige Isolierung geraten mußte, sich der Druck Englands und Hollands auf Dänemark mindern würde. Und die Dänen kamen, hatte doch Friedrich IV. nur zögernd der N eutralisierung zugestimmt, war ebenso wie der Zar und König August dem diplomatischen Zwang der antifranzösischen Koalitionspartner erlegen. Froh, durch Karls XII. Erklärung seinerseits nicht mehr an die Vereinbarung gebunden zu sein, sandte der dänische Herrscher größere Truppenkontingente nach Wismar. Am 14. Juli 1711 schlossen die Dänen diese schwedische Festung ein, erreichten am 24. August Damgarten, besetzten in den nächsten Tagen Anklam, T reptow und Demmin. Dem russischen Korps General Bauers an der pommerschen Grenze führte der Zar im August weitere Verstärkungen heran. Peter traf sich in diesen Wochen auch mehrfach mit König August, beriet künftige Angriffskonzepte. Am 7. September standen Dänen, Russen und Sachsen vor Stralsund, floh König Stanislaw nach Schweden, ein Herrscher ohne Land. Die schwedische Polenarmee existierte nicht mehr, Horns Befürchtungen hatten sich bewahrheitet, König Karl XII. verfügte über keine Angriffskontingente zur Unterstützung des türkischen Aufmarsches an Rußlands Südgrenze . . . Schon im März 1711 waren Devlet Gerais Tataren gezwungen, den Asow-Feldzug abzubrechen. Baltadschis Riesenheer rückte nur zögernd am Unterlauf der Donau vor, hatte doch auch Prinz Eugen von Savoyen, die höchste Autorität des Wiener Hofes, im Namen des Kaisers drohend auf einen schnellen Friedensschluß zwischen der Pforte und dem Zaren gedrängt. Gar zu gern hätte Baltadschi solchen Wünschen entsprochen, Friedensvorschläge unterbreitet. Aber der furchtbare Schwedenherrscher, der Ungläubige, der so völlig unorientalisch dachte, drängte zum Krieg und Devlet Gerai, der mächtige Khan der Tataren, der gefährliche Widersacher im Diwan, hatte sich Baltadschis Heer angeschlossen, tat
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seinerseits alles, ihn, den Großwesir vorwärts zu treiben. Und Baltadschi fürchtete die Seidenschnur. Hatte doch der Sultan soeben dem Gesandten Karls XII. eine schriftliche Versicherung überreichen lassen. Sollte es der schwedische König - so lautete die Botschaft - "für nöthig finden, den Krieg fortzusetzen; so verspräche der Kaiser, ihn auf seine Kosten zu unterhalten, bis der König von dem Czarn völlige Sicherheit hätte" (Nordberg, II, 305). Wahrlich eine schwere Entscheidung für Baltadschi, die Wahl zwischen dem Marsch in den Krieg, den er fürchtete, und der kühnen Entscheidung, eine Schlacht gegen die Russen zu vermeiden, so die sichere Feindschaft vieler um Karl XII. und Devlet Gerai zu riskieren ... Und die russischen Truppen unter Feldmarschall Scheremetjew rückten in Eilmärschen dem türkischen Heer entgegen. Nein, Mehemet Baltadschi blieb keine Wahl! In der derzeit jüngsten Biographie Peters I. von Erich Donnert wird der Zusammenstoß am Prut relativ breit behandelt. In der Tat haben die Ereignisse dort schon den Zeitgenossen Rätsel aufgegeben. Am 6. Juni 1711 hatte sich der Hospodar der Moldau, Demetrius Cantemir, dem russischen Heer angeschlossen. In beredten Bildern hatte er dem Zaren und dessen Generälen die Schwächen der türkischen Truppen geschildert, sie überzeugt, die hungernde, von Tatarenschwärmen beunruhigte russische Armee gegen Bender zu führen und über den Prut zu setzen, um ein angeblich großes Vorratslager der türkischen Truppen bei Braila zu erobern. Doch führte auch der Hospodar, wie seinerzeit Mazeppa, nur geringe Verstärkungen heran, war der russischen Armee keine wirkliche Hilfe. Wie dem Kosakenhetman blieb auch Cantemir schließlich nur das Exil, ihm allerdings Rußland, wo Peter dem Hospodar Unterschlupf gewährte, obwohl dessen Vorspiegelungen das russische Heer in eine Katastrophe leiteten. Am 18. Juni 1711 wurde eine größere russische Vorausabteilung unter dem Oberstleutnant Pitz und dem Oberst Holland von den Tataren aufgerieben, ein Fiasko der erschöpften, ausgehungerten russischen Truppen deutete sich an, ein warnendes Zeichen, daß Zar Peter und dessen Generäle nicht verstanden, nicht begreifen wollten. Der Zar führte nun in Eilmärschen dem wartenden Scheremetjew die Gardetruppen nach Jassy heran. Nach einem verlustreichen Gefecht seiner Vorhut unter General Leberecht Gottfried Janus gegen Devlet Gerais Tataren zog sich Scheremetjew langsam zurück, dem heranmarschierenden Zaren entgegen.
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Als Zar und Feldmarschall am 10. Juli 1711 bei Husi, dem türkischen Husch, wieder über den Prut setzten, der drohenden Einkreisung durch die türkisch-tatarischen Truppen entgehen wollten, war es bereits zu spät. Die türkische Artillerie zwang das russische Oberkommando, am Ufer des Pruts in fliegender Hast ein Feldlager anzulegen. Es mag eine Legende sein, die Zar Peter die Worte zuschreibt, er habe sich ähnlich wie "sein Bruder Karl" ohne Magazin zu weit ins feindliche Lager gewagt (Bain, 204). Konservative schwedische Historiker haben diese Gleichsetzung der Situation am Prut mit Poltawa immer wieder aufgegriffen. Das mahnt zur Vorsicht, ahnt man doch eine Abwertung Zar Peters durch die Hervorhebung der Analogien. Andererseits läßt es sich wohl tatsächlich nicht leugnen, daß auffallende Parallelen unübersehbar sind. Ein ständiger Kleinkrieg der Tataren hatte die Versorgung der russisehen Armee total unterbunden. Obwohl der Großwesir bereits zu diesem Zeitpunkt den Krimtataren befahl, in ihren Lagern auf der Krim zu verharren, der Pascha von Otschakow Order empfing, heranrükkende Tatarenkontingente dort festzuhalten, ließen sich Devlet Gerais schnelle Verbände nicht von neuen Vorstößen abhalten. Hier lockte leichte Beute, die Gewinnaussichten wuchsen von Tag zu Tag. Am 9. Juli blockierten die Tataren die letzten Rückzugswege des Zaren und schließlich setzte auch der Großwesir, widerwillig zwar, mit dem Gros derJanitscharenüber den Prut, ließ seine Streitkräfte stürmen. Er folgte, wie die Zeitgenossen vermuteten, einem von Karl XII. entworfenen Kriegsplan ... Obgleich vier türkische Angriffe abgewiesen wurden, war mit einbrechender Dunkelheit am 9. Juli die Lage der russischen Armee hoffnungslos geworden. 120 000 Türken und Tataren hieltendie etwa38 000 Russen in ihrem Lager fest. Nur 150 Meter von den russischen Verschanzungen entfernt, warfen die Janitscharen Wälle auf, begannen am 10. Juli von einer Anhöhe herab das russische Lager mit ihrer schweren Artillerie zu bombardieren. "Die Situation der Belagerten schien hoffnungslos, ~er Zar der Verzweiflung nahe, der einzige Ausweg die Kapitulation", faßt Donnert die Entwicklung zusammen (Donnert, 86). Bereits die Zeitgenossen hatten erkannt, "es war nicht mehr nöthig, einen Schuß zu thun, sondern nur zu warten, bis sie sich gutwillig zu Gefangenen ergeben würden" (Nordberg, II, 312). Zar Peter hat in der Krönungsurkunde der Zarin, der einstigen livländisch-schwedischen Untertanin Katharina Cruns, betont, sie habe sich
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besondere Verdienste um die russische Krone erworben, "insonderheit aber in der Schlacht mit den Türken am Prut, .. . in einer fast verzweifelten Zeit" (Nordberg, II, 313). Diese Worte und türkische Berichte über sieben schwer beladene Wagen, die nachts aus dem russischen ins Lager des Großwesirs gerollt seien, haben das Gerücht aufkommen lassen, die türkische Führung sei gekauft worden, die Zarin habe Baltadschi bestochen. Sicher scheint heute nur, daß die russische Armee keinerlei Lebensmittel und fast keine Pferde mehr besaß, während die türkischen Truppen- die wahrscheinlich zahlenmäßig um das Dreifache überlegen waren - über bemerkenswert gute Vorräte verfügten. In der Tat "hatte die Pforte in diesem Augenblick, wie niemals zuvor und zu keiner Zeit später, alle Trümpfe in der Hand. Es lag in ihrer Macht, Rußland, wenn nicht schon für immer, so doch für lange Zeit, entscheidend zu schwächen", resümiert Donnert wohl zu recht (Donnert, 87). Damals bot sich Schwedens "Alliiertem" - es gab allerdings keinen Bündnisvertrag zwischen Karl XII. und Achmed III. - die Chance, die mit Poltawa begonnene welthistorische Entwicklung zu stoppen, Schwedens gefährlichsten Gegner auszuschalten, Rußlands Aufstieg zur europäischen Großmacht aufzuhalten. Insofern war "Poltawa kein irreparables Unglück", um eine Erkenntnis des schwedischen Historikers Nisbet Bain aufzugreifen, die jener 1895 formuliert hatte (Bain, 224). Aber Baltadschi hat diese Möglichkeit nicht genutzt, nicht nutzen wollen. Wahrlich ein "Wunder" am Prut, wie die Zeitgenossen ironisch bemerkten, das "Miracel des Zaren Peter". Karls XII. fähigster diplomatischer und militärischer Kopf in der Türkei, der Pole Stanislaw Poniatowski, Vater des letzten polnischen Königs, hat 1719, wenige Monate nach Karls Tod erklärt, hätten "die Ratgeber des Königs ihn nicht von seiner Reise zur türkischen Armee abgehalten . .., dann wäre jetzt das Königreich Schweden zweifellos im Besitz seiner verlorenen Provinzen" (Bengtsson, 466). Das ist nicht auszuschließen. Doch hatte Karl XII. die Einladung Baltadschis abgeschlagen. Er war der Empfehlung seines Kanzlers Henrik Gustav von Müllern gefolgt, der eingewandt hatte, der Monarch könne nicht als Gast eines "Beamten" am Feldzug teilnehmen. Nur die Anwesenheit des Sultans rechtfertige eine derartige Einladung ... Sicher ließ es Karls monarchisches Selbstbewußtsein nicht zu, andererseits haben wohl auch zu recht konservative Verehrer Karls XII. bedrückt vermerkt, der König hätte es wohl nicht ertragen können, "zu einer Armee zu kommen, über die er nicht den Befehl führte" (Bengtsson, 466). So aber fehlte der auch von Baltadschi gefürchtete "König Eisenkopf" - wie
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ihn die Janitscharen nannten- im entscheidenden Moment im türkischen Lager, als Zar Peter dem Großwesir ein Friedensangebot sandte. Noch am 11. Juli hatte der Vizekanzler Peter Schafirow Zar Peters Schreiben überreicht. Der verdutzte Großwesir las hier die Versicherung des russischen Herrschers, falls einige seiner Leute dem Sultan "des Czaren Meinung anders vorgebracht (hätten), und hätte dieser, wider alles Vermuthen, das Unglück gehabt, daß der Sultan über ihn mißvergnügt wäre, ... so wäre er bereit, in diesem Augenblicke alles wieder gut zu machen, worüber Seine Hoheit sich gegen ihn beschwerete. Wenn der edelmüthige General dem Czarn einen Waffenstillstand, von etlichen Tagen, wollte zugestehen, worum er ihn inständig anflehete, und indessen seine Offiziere, als Geißeln, ... sendete; so sollte der Großvezir finden, wie bereitwillig der Czar wäre, dem durchlauchtigen, großmächtigen Fürsten, für alle seine vornehmsten Beschwerden, allen Abzug zu geben, um welcher willen dieser Krieg ... angekündigt worden ... der Czar stellete alle Bedingungen in des Großvezirs Belieben ... Er bäte den Großvezir, ... das starke Schießen aus seinem groben Geschütz aufhören zu lassen." (Nordberg, II, 314). Ein bemerkenswertes Friedenspapier des Zaren, wohl kaum anders zu deuten als ein bedingungsloses Kapitulationsangebot und sicher auch nicht Ausdruck besonderer militärstrategischer Tüchtigkeit des Zaren und seines Feldmarschalls. Zar Peter war- anders als König Karl XII. -nicht bereit, seine Truppen bis zum letzten Mann aufzuopfern, wohl auch nicht gewillt, so selbst den Tod zu finden. Daher die ungewöhnlich schmeichelnde Unterwerfung unter das Gutdünken Baltadschis. Dieser wiederum- froh, den ungewollten Krieg siegreich beenden zu können - war schnell bereit, dem Zaren Gutes zu tun. Das verheerende Geschützfeuer wurde eingestellt, der Protest des Tatarenkhans abgewiesen, dessen Hinweis auf des Sultans Zorn verworfen. Er sei "jetzt an des Sultans Stelle, und es stehet in meiner Macht, zu thun, was mir gefällt," übermittelte ein enttäuschter Khan die Entscheidung Baltadschis an General Poniatowski. Und Obet;"stleutnant Sven Lagerberg, Karls XII. Vertrauter bei Devlet Gerai, berichtet in seinem Tagebuch, der Tatarenkhan habe bei Unterzeichnung des Friedens durch den Großwesir "wie ein Kind geweint" (Nordberg, II, 314 f.). Im schwedischen Reichsarchiv ist die Mitteilung General Poniatowskis an Karl XII. erhalten, in größter Eile auf ein Stück Papier gekritzelt. Unter dem Datum 11. Juli 1710 - erregt hatte Poniatowski sich im Jahresdatum ~eirrt- hatte Karls Sonderbeauftragter beim Großwesir II Findeisen
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bemerkt: ,,Sire, mit größter Untertänigkeit werfe ich mich zu Füßen Eurer Majestät, um mitzuteilen, daß wir den Zaren und seine ganze Armee umringt haben . . . Der Zar hat bei dem Wesir um Frieden gebeten, den er auch mit Eurer Majestät schließen will. Man hat geantwortet, daß Scheremetjew sich einfinden soll, um die Bedingungen zu erfahren, und währenddessen werden alle Vorbereitungen zum Kampf getroffen. Der Wesir hat mir versprochen, daß er keine Abschlüsse ohne Eure Majestät machen will, dessen Gegenwart daher notwendig ist, und zwar sofort . .. Ich bitte Eure Majestät um Entschuldigung, daß ich auf einem solchen Papierfetzen schreibe, konnte aber nichts Besseres finden ... " (Bengtsson, 470). Als der Bote am Nachmittag des 12. Juli in Bender eintraf, warf sich Karl XII. sofort auf ein Pferd und galoppierte zum Prut. Doch war die Entscheidung schon gefallen, der Monarch traf zwei Tage zu spät am Nachmittag des 13. Juli im türkischen Feldlager ein. Baltadschi hatte gegen alle Absprachen ohne Einverständnis Karls XII. das Friedensdokument vorgelegt, das der Zar "etwa drey oder vier Stunden" vor Karls Ankunft am Prut unterzeichnet hatte (Nordberg, II, 316). Gleichzeitig hatte der Großwesir der russischen Armee Proviant ins Lager gesandt, sich leichtfertig den tödlichen Haß des Schwedenkönigs zugezogen. Zutiefst verbittert hat Karl XII. seinen Gesandten in Konstantinopel am 20. Juli 1711 angewiesen, beim Sultan über Baltadschis Verhalten Beschwerde zu führen. Dabei hat der König eine eigene Wertung der Lage Zar Peters mitgesandt. "Entweder konnte man ihn im Verlauf weniger Stunden mitte1st einiger Geschütze, ohne weiter einen Mann zu wagen, dazu zwingen, mit der ganzen Armee um Quartier zu bitten, sobald nur einige Geschütze auf die dazu bequemsten Stellen aufgefahren wurden, oder der Feind würde, falls man sich seiner ohne einen Schuss bemächtigen wolle, durch Hunger und bösartige Dünste genöthigt worden sein, sich im Verlauf von vier oder höchstens fünf Tagen mit seinem ganzen Kriegsheer gefangen zu geben." (Carlson, 364). Zar Peter "war nicht allein bereit, Alles zu bewilligen, was man von ihm verlangt hätte, sondern er selbst konnte nichts anderes erwarten, als vollständig gefangen genommen zu werden." Er, der König, habe den Großwesir noch vor dem Abmarsch der russischen Kontingente persönlich gebeten, die "in jeder Beziehung zuverlässige Sicherheit vom Feinde" für die Einhaltung des vereinbarten "Accorde" zu gewinnen (Carlson, 364 f.).
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Karls Biograph, Jöran Nordberg, hat den Wortlaut des Gesprächs wiedergegeben, das Karl XII. unmittelbar nach Unterzeichnung des Friedens zwischen Russen und Türken mit Mehemet Baltadschi führte, in der Tat kein freundlicher Gedankenaustausch! Ein aufs äußerste gereizter, sich nur mühsam beherrschender König hatte dem Großwesir, der sich auf der Höhe des Erfolgs wähnte, scharf zu verstehen gegeben, es sei ein Friede "gemacht ... und meine Angelegenheiten, gerade gegen des Sultans Versprechen, und wider dein eigenes Wort" nicht berücksichtigt. Welch ein Unterschied bereits in der von Karl XII. gewählten Anrede, dem geringschätzig artikulierten "Du" und den Attributen, mit denen Zar Peter den Großwesir hoffierte ... Karl XII. verachtete diesen türkischen Würdenträger, war nicht bereit, ihn als gleichrangigen Partner zu akzeptieren. Das mußte Positionen verhärten, den scheinbar siegreichen Großwesir in seiner Ablehnung bestärken ... Baltadschi hatte aus Ali Tschurlilis Schicksal nichts oder doch zu wenig gelernt. Er habe, so soll der Großwesir erwidert haben, "für die Pforte so viel gewonnen, daß ich vergnügt bin". Es war offenbar leicht, Baltadschi zufriedenzustellen! Ein fast fröhlicher Großwesir schlug auch Karls XII. Bitte ab, ihm Freiwillige zu überlassen, die abziehenden Russen doch noch zu vernichten. Er wolle "es bey dem Sultan verantworten", es sollte der Pforte "nicht einen Mann kosten", so beschwor der schwedische König den selbstgefälligen türkischen Befehlshaber. Und spätestens hier hätte der unglückliche strahlende Sieger aufhorchen müssen, Karl XII. bat ... Das tat dieser Monarch nur einmal, vorher nicht und niemals wieder! Wer diesem zutiefst sendungsbewußten absolutistischen Herrscher eine solche Bitte abschlug, der konnte nicht mit Vergebung rechnen, hatte einen gefährlichen, vielleicht den gefährlichsten Todfeind gewonnen. Baltadschi hatte sein Urteil gesprochen, Karl XII. würde seine ganze Energie aufwenden, auch diesen Staatsbeamten der Pforte zu vernichten und der Sturz des Großwesirs mußte um so sicherer sein, als der Prutfriede in dieser Form dem Osmanischen Reich wenig Gewinn brachte, eine Taube in der Hand freigegeben, stattdessen ein Spatz auf dem Dach gejagt wurde ... nun war Baltadschi selbst ein Gejagter. Bereits Jöran Nordberg betonte, die Gruppe um Baltadschi stieß auf den erbitterten Widerstand derTatarenund ihres Khans, der Großwesir habe zu seiner Rechtfertigung vor den Janitscharen ausstreuen müssen, er handelte auf allerhöchsten Befehl des Sultans, denn "die ganze türkische Armee war mißvergnügt. Insonderheit ... die Janitscharen" bedauerten, daß ihnen die russische Beute entging (Nordberg, II, 316 f.). tt•
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So war es denn auch der Janitscharenbefehlshaber, der gemeinsam mit Devlet Gerai wenige Monate später die Entmachtung Baltadschis durchsetzte, vom Sultan zum neuen Großwesir ernannt wurde. Baltadschi, dessen Besitz der Sultan einzog, verschwand in der Verbannung, bedeutungslos geworden. Unwiderruflich dahin aber war die letzte große Chance Karls XII., den Aufstieg Rußlands aufzuhalten, den Triumph Zar Peters über die bisherige Großmacht Schweden zu verhindern, den Lauf der Geschichte noch einmal nach seinen Wünschen zu lenken. Vertan waren - so können wir heute konstatieren - die Jahre im türkischen Exil. Ein weiteres Mal würde der große Zar solche Fehler nicht wiederholen. Spätestens jetzt hätte der schwedische Monarch in sein Reich zurückkehren müssen. Doch blieb Karl XII. weiterhin in Bender, in der Illusion gefangen, jetzt erst recht den großen Krieg der Türkei mit Rußland entfachen zu können, wohl aus der gewohnten Unnachgiebigkeit heraus, keinerlei Zugeständnsise einzuräumen, den Zaren total vernichten zu müssen. Derweilen verkam sein Reich weiter. Immer offensichtlicher wurde der Widerspruch zwischen Karls XII. Interessen und denen seines Volkes. So hat der Gesandte der Seemächte in Bender, James Jefferyes, wohl berechtigt empfohlen, man solle künftige Verhandlungen nur noch mit dem Rat in Stockholm führen, Karl XII. habe jeglichen Sinn für das Machbare verloren. Die folgenden Ereignisse gaben dem Engländer recht. Schon bedrohten russische Truppen Finnland. Im Sommer 1710 hatte Zar Peter Karelien mit den Festungen Wyborg und Kexholm gewonnen. Nach dem Prut-Frieden entbrannte der Kampf um Schwedens deutsche Besitzungen, die nun keineNeutralitätserklärung mehr schützte. Im Spätfrühjahr 1713 rüstete der Zar zur Vernichtung der schwachen schwedischen Truppen in Finnland. Dabei erwies sich die neugeschaffene russische Galeerenflotte den tiefgängigen schwedischen Kriegsschiffen in der Schärenwelt vor der finnischen Küste überlegen. Die wendigen russischen Galeeren ruderten an den schwedischen Seeverteidigungen vorbei, landeten starke Truppenkontingente an den Stränden bei Helsingfors, dem heutigen Helsinki. Dem Druck dieser Verbände hatten die Generäle Georg Lybecker und Karl Gustav Armfeit nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Auch Finnland ging verloren. 1714 wuchs zum ersten Male die Furcht vor einer russischen Landung im Schärengürtel Mittelschwedens, konnten Zar Peters Regimenter auch vor Stockholm erwartet werden. In Bender sammelten sich die Klagebriefe des Rates, baten die Herren um Graf Horn immer dringlicher um Rückkehr des Königs. Karl XII.
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las verärgert die Darstellungen über Chaos und Verfall in Schweden. Was sollten die unnützen Berichte? Am 3. Februar 1711, noch vor den Ereignissen am Prut, hatte Karl XII. dem Rat geantwortet, über den Notstand in der Heimat sei "schon oft wiederholt worden, daß es genug wäre, wenn man nur ganz kurz mittheilte, daß er entweder noch ebenso ist wie früher, oder auch schlechter. Dadurch würden wir hinreichend an eine Sache erinnert, die überdies genügend bekannt ist, aber auf keine andere Weise besser geheilt werden kann als dadurch, daß Wir uns einen ehrenvollen und vonheilhaften Frieden verschaffen. Ein solcher kann nicht durch trübselige Berichte" erreicht werden (Carlson, 359). Zweifellos waren auch die Ratsmitglieder überzeugt, daß Klagen nicht ausreichten, Schwedens Probleme zu lösen. Sie wünschten schnelle Friedensentscheidungen ihres Monarchen, denn es wurde schlechter in Schweden. Pest und Hunger herrschten im Land, rafften Soldaten und zivile Einwohner hinweg, "unbeschreibliches Elend war die Folge", resümiert Jan Peters die Auswirkungen der königlichen Kriegspolitik Nun fraß sich der fortgesetzte Krieg weiter und weiter ins Mark des schwedischen Volkes (Peters, 153).
"Man kann aufhören, Glück zu haben, denn das liegt nicht in unserer Hand. Aber man darf nicht aufhören, ein ehrenhafter Mann zu sein." Karl XII. in einem Gespräch 1714 mit Graf Axel Löwen
"König Eisenkopf" ein unveränderter König Karl XII. am Beginn seines letzten Lebensabschnitts Immer wieder hatte König Karl XII. auf die Landung einer neuen schwedischen Armee in Pommern gedrängt, eine Offensive schwedischer und Stanislaw ergebener polnischer Truppen gegen die sächsischen und russischen Streitkräfte in Polen gefordert. Er hatte Jahr für Jahr verärgert neue Weisungen zur beschleunigten Ausrüstung dieses Heeres erteilt, immer erzürnter Rat und Behörden in Schweden für Säumigkeit und mangelnde Energie getadelt. Wohl war es ihm gelungen, am 10. Dezember 1711 eine zweite Kriegserklärung der Türkei an Rußland zu erwirken. Doch hatten der Sultan und seine Berater nach dem Ausbleiben der versprochenen schwedischen Truppen bald wieder - am 16. April1712- Frieden mit dem Zaren vereinbart. Die türkischen Diplomaten ließen keinen Zweifel, nur noch die Landung einer kampfstarken schwedischen Armee in Polen oder Pommern würde die Pforte bewegen, erneut gegen Peter zu marschieren. Im übrigen war der Großwesir Jussuf Pascha gegen einen neuerlichen Krieg gegen Rußland. Zar Peter habe doch gerade Asow zurückgegeben. Der Friedensvertrag des Frühjahres 1712 sah jedoch auch die Räumung Polens durch die russischen Truppen bis Sommer des Jahres vor, eine Vereinbarung, die Zar Peter keinesfalls erfüllen wollte. Eine neue Chance für Karls Polenpolitik, für dessen Günstling Stanislaw? Im Mai sandte der schwedische Monarch eine größere Einheit seiner polnischen und kosakischen Streitkräfte unter dem Feldherrn Johann
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Grudzinski über die polnische Grenze. Der Starost sollte antirussische und antisächsische Empörungen der polnischen Bevölkerung schüren, einen Volkskrieg für König Stanislaw auslösen, den Heimweg für Karl XII. öffnen, Boden für einen neuerlichen Feldzug schwedischer und der Truppen Stanislaws gegen Zar Peter bereiten. Dann würde die türkische Armee endlich marschieren, der russische Nachbar doch noch in die Knie zu zwingen sein ... Grudzinski erreichte nach Teilerfolgen bei Krakow und Poznan die brandenburgische Grenze, wurde aber am 28. Juni 1712 bei Krotoszyn vernichtet. Die erhoffte polnische Erhebung blieb aus. Der Feldzug Grudzinskis habe ihn gezwungen, noch über die vereinbarte Rückzugsfrist hinaus Truppen in Polen zu unterhalten, ließ Zar Peter in Konstantinopel erklären. Und der Großwesir nickte zustimmend. Nicht so Sultan Achmed 111.! Auch der Tatarenkhan Devlet Gerai und Karls weitere Vertraute wirkten weiter, den Großherrn zu einer neuerlichen Kriegserklärung zu bewegen. Karl XII. wußte, General Magnus Stenbock, jetzt der fähigste schwedische Feldherr daheim, trug nun seine Hoffnungen. Am 23. Februar 1712 hatte der König den Grafen zum Oberbefehlshaber der erwünschten neuen Kontinentalarmee ernannt, vertraute auf die Energie dieses Heerführers. Stenbock sollte der Mann sein, trotz aller Schwierigkeiten eine Armee nach Polen zu führen. Tatsächlich war der Sieger von Helsingborg, nachdem er am 19. Mai diesen Befehl empfangen hatte, mit Feuereifer an dessen Ausführung gegangen. Die Landung einer neuen kampfstarken Armee in Polen war nun nur noch eine Frage der Zeit ... Und dann war es geschehen. Ein ausgesandter höherer Würdenträger des Sultans, eskortiert durch mehrere Offiziere aus der Umgebung Karls XII., kehrte am 24. Oktober nach Konstantinopel zurück, berichtete Achmed 111. von der fortdauernden Anwesenheit russischer Truppen in Polen. Auch hatte der Stallmeister des Sultans "vernommen, daß aus Schweden frische Völker in Pommern angelangt wären, und daß die Polen alle Tage auf die Zeitung von einer vorgefallenen Schlacht in der Gegend warteten. Einige wollten sagen, daß die Schweden, sogleich nach ihrer U eberkunft, die Russen angegriffen und aus dem Felde geschlagen hätten. Doch wäre er hiervon nicht gewiß versichert" (Nordberg, II, 404 f.). Es reichte dem Sultan auch so! Achmed 111. entnahm dem Bericht zweierlei: Die Pforte hatte einen Kriegsgrund, denn Rußland erfüllte hartnäckig die Bestimmungen des Prut-Friedens noch immer nicht. Einem so legitimierten türkischen Angriff auf Ruß-
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land stände endlich eine starke schwedische Streitmacht zur Seite, würde die türkischen Kriegshandlungen durch Angriffe in Polen und der Ukraine ergänzen. Karl XII. erreichte in Bender ein persönlicher Glückwunsch des Sultans. Am 29. Januar stürzte der Großwesir Jussuf Pascha, wurde kurze Zeit später ebenfalls erdrosselt. Achmed III. selbst wollte nun alles regeln. Alle Energie zusammenraffend - eine um so größere Leistung, als er bis dahin so gar keine aufbrachte und so völlig ohne diesbezügliche Erfahrungen war -, wollte er sich an die Spitze der türkischen Armee stellen, sie zum Siege führen. Die Prutschande sollte sich nicht wiederholen! Noch im November 1712 begab sich der Großherr nach Adrianopel ins Feldlager, wo die türkische Armee gesammelt wurde. Noch einmal erschien König Karl XII. die Zukunft licht, glaubte er erneut an eine Wende, registrierte mit Freude die wiederholten Beratungen des Sultans mit seinem Botschafter Funk und dem Sondergesandten Graf Poniatowski. Und wieder hatte der Sultan dem schwedischen Monarchen eine starke Eskorte durch Polen angeboten, die notwendige Summe Geld zugesagt, um alle Hindernisse zu überwinden. Karl XII. mußte schnell die Führung seiner schwedischen Armee übernehmen, so jedenfalls meinte es der Sultan, überzeugt, der auch von ihm persönlich bewunderte "Heldenkönig" sei unschlagbar mit einerneuen schwedischen Armee. Gemeinsam sollten sie doch siegen müssen, würde er, Achmed III., unvergeßlichen Ruhm an die osmanischen Fahnen heften, die Tradition der großen türkischen Eroberersultane wieder beleben ... Aber gesichert werden mußte er unbedingt, der notwendige Erfolg, wenn er schon seinen Palast verließ, nur mit einem kleinen Harem die Unwägbarkeiten und Unbequemlichkeiten des Feldlagers ertragen wollte. Und außerdem, Sultan Achmed wollte leben, vor allem als Herrscher überleben! Um so bestürzter reagierte der Großherr auf die ungewöhnlich schnell in Konstantinopel bekanntgewordene Nachricht von einem Waffenstillstand in Pommern. General Stenbock hatte am 19. November mit dem sächsischen Feldmarschall und Diplomaten Graf Flemming eine Waffenruhe und Verhandlungen über ein Ende des sächsischschwedischen Krieges vereinbart. König Stanislaw hatte seinerseits angeboten, auf den polnischen Thron zu verzichten und so wesentliche Hindernisse einer Einigung mit August von Sachsen-Polen aus dem Weg geräumt ...
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Karl XII. reagierte gereizt. Er sah gefährliche Auswirkungen auf das neue türkisch-schwedische Kriegsprojekt voraus. Die pforte mußte das Vertrauen in ihn, in seine unumschränkte Herrschaft in Schweden und in seine Zuverlässigkeit verlieren. In einem scharfen Befehl gebot der Monarch seinem General am 17. Dezember, sofort wieder anzugreifen und nach Polen zu marschieren. Er "könnte nicht glauben, daß sie, ohne seinen Befehl, sich eine so unerhörte und unverantwortliche Sache unterstanden hätten, ... indem sie, ohne seinen Willen, einen Stillstand machen wollten. Noch weniger käme ihnen zu, die geringste Unterhandlung mit dem Feinde einzugehen, welches keinem Generale oder Kriegsrath erlaubt wäre .. . ohne des Königs besondere Vollmacht". Er mißbillige diese Entscheidung, weil sie "gerade mit seinem Besten stritte, ganz und gar". Daher befehle er Gehorsam und sofortige Aufkündigung der Waffenruhe, den Angriff ohne Rücksicht auf vereinbarte Fristen (Nordberg, II, 384). Karl XII. vermutete nicht zu unrecht, daß der schlaue Flemming selbst dafür gesorgt hatte, daß die Pforte in kürzester Zeit Kenntnis des Waffenstillstands erhielt. So versuchte Karl zu retten, was ihm noch möglich schien. Umsonst, General Stenbock war selbst ein Opfer früherer souveräner Entscheidungen seines Monarchen geworden. Karl XII. hatte in seinen Befehlen noch im Frühjahr 1712 unmißverständlich auf einer Landung in Pommern bestanden, den Zustand der schwedischen Flotte wenig oder gar nicht berücksichtigt. Der Generaladmiral hatte seine Pflicht zu tun und die dänische Flotte auszuschalten! Darüber gab es keine Diskussion für Karl XII. Stenbock erwies sich als fähig, die notwendige Summe von 400 000 Reichstaler in dem ausgesogenen Schweden zusammenzutragen. Er bewegte das Handelsbürgertum, den "Schiffsbrückenadel", der Flotte in Karlskrona neun große "Spanienfahrer", zum Einsatz als artilleriebestückte Kriegsschiffe geeignet, bereitzustellen. So verfügte Schweden Ende August 1712 tatsächlich noch einmal über 24 Linienschiffe mit 1 746 Geschützen. Diese Flotte war stark genug, die dänische Ostseeherrschaft zeitweilig aufzuheben. Ein dänisches Geschwader leichter beweglicher Schiffe beherrschte den Greifswalder Bodden, unterstützt durch die 16 Linienschiffe zählende Flotte Admiral Gyldenlöwes bei Bornholm. Als jedoch der Däne den überlegenen Mastenwald der Schweden sichtete, zog er sich schleunigst in den Öresund zurück. Generaladmiral Wachtmeister ankerte in der Kögebucht vor Seelands Küste und sperrte der dänischen Flotte
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die Einfahrt in die Ostsee. Der Weg nach Pommern für Stenbocks Landungsarmee schien frei, blieb aber nach schwedischer Überzeugung gefährdet. Das kleine dänische Geschwader auf dem Bodden konnte mit seiner Artillerie die Landungsoperation erschweren, große Verluste waren bei einem dänischen Angriff zu befürchten. Dagegen wäre die Ausschiffung der schwedischen Armee jetzt im September in der Danziger Bucht ein wichtiges Signal für die erwünschte polnische Erhebung gegen die sächsisch-russische Drangsal gewesen. König Stanislaw, im schwedischen Exil lebend, hatte daher dem Rat in Stockholm und General Stenbock eine solche selbständige Auslegung des königlichen Befehls empfohlen. Die Einwirkung dänischer wie auch russischer Seestreitkräfte war in diesem Fall ausgeschlossen. Aber sowohl der Befehl vom 7. März als auch eine neuerliche Weisung Karls XII. am 18. Juni ordneten eine Landung in Pommern an. Niemand wagte eine Entscheidung gegen den Willen des Herrschers, der jedoch im fernen Bender das konkrete Kräfteverhältnis um Rügen im Spätsommer 1712 nicht kennen konnte. Hier fehlte Schweden ein so souveräner Befehlshaber wie Feldmarschall Rehnsköld. Dieser hätte - übrigens ganz im Sinne Karls XII.- vermudich die veränderte Situation berücksichtigt. Jetzt standen vor Stralsund sächsische und russische Truppen, die dänische Armee sammelte sich in Holstein, das dänische Geschwader beherrschte die Gewässer um Rügen ... General Stenbock, nicht mutig und wohl auch nicht willens, sich Karls XII. durch die Zeit überholten Befehl zum besten einer offensiven Kriegführung zu widersetzen, traf eine verhängnisvolle Entscheidung. Er verlangte vom Generaladmiral den Schutz der Transportflotte vor der Küste Rügens. Der Admiral verließ die Kögebucht und steuerte die Küste Pommerns an, gab der dänischen Seemacht den Weg in die offene Ostsee frei. · Möglicherweise hätte die Entsendung einiger entbehrlicher schwedischer Fregatten zur Sicherung des Landungsunternehmens gereicht. Der siebzig Jahre alte, ohnehin nie besonders risikofreudige Generaladmiral wagte jedoch keine Schwächung seiner Flotte vor der dänischen Küste. So kreuzte nun die starke schwedische Marine seit Anfang September vor Bornholm. Um die Mitte des Monats verließ Admiral Gyldenlöwe, durch norwegische Fregatten verstärkt, den Öresund und nahm Kurs auf Rügen. Inzwischen stiegen am 15. und 16. September 1712 bei Wittow an der Nordwestküste Rügens die ersten schwedischen Regimenter an Land. Generaladmiral Wachtmeister hatte seine Flotte
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nördlich von Hiddensee gesammelt, konnte jedoch am 18. September ein dänisches Manöver nicht verhindern, das Gyldenlöwes Schiffe in einer Flaute zwischen die schwedischen Schlachtschiffe und die sich Wittow nähernden Materialtransporter Stenbocks trieb. Noch an diesem Nachmittag zerstörten die Dänen das Gros der mehr als 100 Schiffe zählenden Lastenflotte. Verloren war unersetzliches Material für die nun fast hilflos auf Rügen wartenden gelandeten schwedischen Soldaten. Es war jedoch eine hervorragend ausgebildete Armee von 9 400 Soldaten. Viele von ihnen waren nach dem großen Sieg von Helsingborg von Siegeszuversicht und Vertrauen in General Stenbock erfüllt. Mitte Oktober ergänzte der General seine Truppen durch die entbehrlichen Stralsunder Einheiten auf 16 000 Mann - 6 200 Kavalleristen, 9 000 Infanteristen, 400 Artilleristen mit 30 Geschützen- und verfügte jetzt über ein kampfstarkes Korps. Problematisch blieb jedoch nach wie vor der akute Mangel an Lebensmitteln und Ausrüstungsgegenständen. Immer wieder ist von den Historikern diskutiert worden, ob Stenbock mit einem Durchbruch zwischen Greifswald und Ribnitz die strategische Offensive gewinnen konnte. Jene, die den General entschuldigen wollen, verweisen auf das Aussichtslose der Situation. Ohne materielle Basis hätte sich die schwedische Armee bald aufgelöst. Andere denken, der energische Befehlshaber, der einJahrzehntvorher ähnlich schwierige Versorgungsprobleme meistern konnte, hätte auch jetzt in Polen ausreichende Mittel für einen erfolgreichen Vormarsch gefunden. Dem steht sicher entgegen, daß eine starke sächsisch-russische Armee gefolgt wäre, weitere kampfstarke russische Einheiten in Polen zu überwinden waren. Und es gab keine festen Stützpunkte mehr, abgesehen davon, daß Karl XII. fern war ... Wieder andere Historiker sehen in der Landung in SchwedischPommern den entscheidenden Fehler. Sie verweisen dabei auch auf die Gefahr eines schnellen dänischen Vorstoßes. Mit einem energischen Eilmarsch hätte General Jobst von Scholten die dänische Armee aus Holstein zur Vereinigung mit Sachsen und Russen führen können. Stenbock benötigte drei Wochen, um seine gelandeten Truppen von Wittow bis Strelasund zu führen. In dieser Frist wäre es Scholten möglich gewesen, die Entfernung zum Stralsund zurückzulegen. Dann konnten mehr als 20 000 Schweden auf engstem Raum zusammengedrängt werden, wäre die Katastrophe nur eine Zeitfrage gewesen. Stenbock wagte keinen Durchbruch nach Süden. Nur so hätte er seinen Auftrag erfüllen können, anschließend sofort nach Polen zu
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marschieren. Stattdessen überschritten seine Truppen am 24. Oktober die Recknitz und rückten in Mecklenburg ein. Das bisher relativ verschonte Land zwischen Wismar und Damgarten bot wichtige Versorgungsmöglichkeiten. Doch bedeutete jedes Verweilen in dieser Region, daß Stenbock bald zwischen alle alliierten Armeen geraten würde. Eile tat not! Im weiten Raum zwischen der Oder und Mecklenburg standen etwa 30 000 Sachsen und Russen. Ein rascher Anriff auf die bei Tribsees lagernden 14 000 Reiter unter König Augusts Befehl schien nicht aussichtslos. Jedoch war vorauszusehen, daß sich der König von Polen sofort zurückziehen würde, hatte er doch im Polenkrieg gegen Karl XII. mehr als einmal Gelegenheit gefunden, sich als "beweglicher Taktiker" auszuweisen. Die schwedische Armee mußte dann in den stark mitgenommenen vorpommerscheu Landstrichen mit einer Hungersnot rechnen. So entschied sich Stenbock, auf weitere Truppenverstärkungen und Materiallieferungen aus Schweden zu warten. Falscher konnteso wissen wir heute - der General nicht handeln. Tag für Tag verstrich, ohne daß die sehnsüchtig erwarteten schwedischen Segel auf der Reede von Wismar gesichtet wurden. Die Einschiffung in Karlsham verzögerte sich bis Anfang Dezember. Da war es für einen solchen Seetransport zu spät. Um seine Armee in Mecklenburg bis zum Eintreffen der dringend benötigten Reserven zu sichern, hatte Stenbock am 19. November 1712 in Güstrow jenen verhängnisvollen Waffenstillstand mit Sachsen vereinbart. Verhängnisvoll aus vielerlei Gründen! Wohl gelang es dem schwedischen General anschließend, einen Fehler des dänischen Oberbefehlshabers, General von Scholten, zu einem Sieg bei Gadebusch am 9. Dezember 1712 zu nutzen. Im Frühsommer 1713 mußte er jedoch, nach Holstein ausgewichen, bei der Festung Tönningen kapitulieren. Dahin war die letzte Hoffnung Karls XII .... Unmittelbare Folgen hatte der Waffenstillstand aber auf das Verhältnis Karls XII. zum Sultan. Der schwedische König hatte es richtig geahnt, die Kunde von der Waffenruhe Ende 1712 traf die Pforte wie ein Schlag. Um so schwerer wog, daß sich der schwedische Monarch plötzlich weigerte, die Türkei zu verlassen. Achmed III. hatte, zufrieden über die angeblichen schwedischen Aktivitäten in Polen, den Tatarenkhan angewiesen, mit der notwendigen Truppenmacht Karl XII. durch Polen zu eskortieren. Und er hatte eine gewaltige Summe Geld an den schwedischen König auszahlen lassen. Völlig überrascht wurde Achmed III. durch einen Brief Karls XII. vom 29. Dezember 1712. Hier erklärte der schwedische Monarch, er
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hätte das Darlehen von 600 000 Reichstaler zur Befriedigung der türkischen Gläubiger in Bender nutzen müssen. Daher benötige er eine neue Anleihe über weitere 500 000 Reichstaler, um den Marsch nach Polen vorbereiten zu können. Tatsächlich hatte Karls Haushaltung in Bender ungeheuere Summen verschlungen, war der Rest der aus Rußland geretteten sächsischen Kontributionen bald aufgebraucht, wurden von Karls Vertrautem, Oberstleutnant Freiherr ChristianAlbrecht von Grothusen, beständig neue Schuldverschreibungen, häufig ohne fixierte Bedingungen, aufgenommen. Mehr als 10 000 Personen lebten in Bender im Lager des Königs, wurden großzügig entlehnt. Mehr als in früheren Zeiten bestand Karl XII. auf dem äußeren Schein eines souveränen Königshofes, sollte Verschwendung verdeutlichen, daß hier der König von Schweden residierte. Für die eigene Person weiterhin bedürfnislos, verschleuderte der Herrscher das von Wucherern mit Höchstzinssätzen belastete Geld durch zahlreiche großzügige Geschenke an türkische Würdenträger in Bender und Konstantinopel, an Tatarenführer und polnische Parteigänger König Stanislaws in Bender. Grothusen, frei jeglicher hinderlicher Buchführung, ganz dem eigenen Kavallierempfinden nach lebend, lieh weiter Geld, zahlte zurück, wo nichts zu zahlen war, fragte nicht nach Rückgabe verschriebener Schuldbelege. So wuchs die Verschuldung ins U nermeßliche. Karl XII. selbst kümmerte sich nie um diese Geldgeschäfte. Grothusen würde es schon machen! Unangenehm, daß nun kein Geld mehr da war, selbst die Schulden noch nicht beglichen waren. Grund genug, die Pforte um weitere Zahlungen anzugehen, wohl wissend, daß damit eine sofortige Abreise unmöglich wurde. Doch verstand man in Adrianopel sofort, daß der schwedische Monarch seinen Abmarsch hinauszögern wollte, reagierte natürlich zunächst verständnislos und verärgert. Da hatte er, der Großherr aller Türken, nun schon wegen dieses Schweden mehrere Großwesire und zahlreiche hohe Würdenträger erdrosseln lassen, hatte, von Verrätern umgeben, alles auf den berühmten "Eisenkopf" gesetzt, der sprichwörtlichen Redlichkeit Demirbachis vertraut - und nun spielte auch dieser mit ihm ein schmutziges Spiel! Der Tatarenkhan Devlet Gerai, sonst der wärmste Befürworter gemeinsamer Aktionen mit dem Schwedenkönig, hatte gerade geklagt. Obwohl die tatarischen Truppen bereitstünden, den Abmarsch König
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Karls von Bender zu eskortieren, unternehme der Herrscher nichts. "Er begegnete den türkischen Officirern, und den Musulmännern überhaupt mit der größten Verachtung. Alle die Geschenke und Unkosten, welche der Sultan dem Könige in Schweden gemacht und zu seinem Unterhalte angewandt hätte, wären ganz und gar vergeblich ... Die Tataren, welche auf den König warteten, lägen unter blossem Himmel und litten Noth. Sie murreten über des Königs Verzögerungen". Er, Devlet Gerai, wolle auch nicht verschweigen, daß er von einem Waffenstillstand gehört habe, den General Stenbock vereinbart hätte. Der König von Schweden versuche, "die Pforte allein in einen Krieg mit dem Czharn zu verwickeln; wozu der römische Kaiser und Polen, nebst mehrem Feinden der Pforte, von allen Seiten stoßen sollten" .. Es sei sogar zu befürchten, daß sich der Zar und August in Bender mit Karl vereinigen, dem Schwedenkönig die Türkei überlassen wollten ... , wahrlich Vorstellungen, die Sultan Achmed III. aufs höchste beunruhigen mußten. Zumal auch der neue Großwesir und der oberste religiöse Würdenträger, der Mufti, ebenfalls ernste Bedenken äußerten. König Karl XII. habe "eine Bedeckung und Geld genug, daß er seinen Weg" ziehen sollte (Nordberg, II, 464 f.). Ein großer Diwan, eilig zusammengerufen, riet dem türkischen Herrscher, den König von Schweden notfalls mit Gewalt des Landes zu verweisen. Zwei Eilboten erreichten in den ersten Januartagen nacheinander Bender. Der Serasker befahl Karl XII. in des Sultans Namen die sofortige Abreise. Am 10. Januar fand sich der Serasker beim König ein und bat ihn um den raschen Aufbruch. Und wieder reagierte Karl XII. in gewohnter Weise. Beleidigend verwies er den Serasker "seines Weges", negierte alle Warnungen mit der verletzenden Antwort, so der Serasker einen Herrn habe, solle er dessen Befehle befolgen, des Sultans Befehle könnten es jedenfalls nicht sein ... Am 14. Januar 1713 entschied der gereizteSulannach einem neuerlichen Disput mit seinen Würdenträgern, Devlet Gerai habe Karl XII. persönlich anzudeuten, "daß er sich mit den Gruppen, die ihm zugeordnet wären, auf die Rückreise durch Polen begeben möchte. Würde er sich solches zu thun weigern; so solle man ihn und alle seine Leute mit Gewalt nehmen, und sie zu Wegen nach Salonica bringen, wo allezeit französische Schiffe lägen, die ihn weiter nach Marseille schaffen könnten. Wenn er sich aber zur Gegenwehr setzte, müßte man, ohne Ansehen, alles niedermachen, nur den König nicht, dessen geheiligte Person
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man sollte beym Leben erhalten, und auf den itztgenannten Weg fortschicken." (Nordberg, li, 467). Die Dinge nahmen eine Entwicklung, die weder Stenbock noch Karl XII. voraussehen konnten, die mit der Vernichtung der TransportflotteStenbocks unabänderlich wurde. Die Zeitgenossen, wohl vertraut mit dem unbeugsamen Starrsinn Karls XII., selbst die Osmanen hatten ihm deshalb den Namen "Eisenkopf" gegeben, fragten sich, warum der schwedische König diesen Entschluß der Pforte provozierte? Karl XII. hatte am 29. Dezember dem Sultan u. a. geschrieben, daß die bei Bender zusammengezogenen Tataren zahlenmäßig zu schwach seien, ein Argument, das der Sultan nicht akzeptierte, das jedoch offenbar berechtigt war. Noch heute sind sich die Historiker uneins, was Devlet Gerai bewogen hatte, geheime Verhandlungen mit König August zu führen. Sowohl PastorNordberg als auch Voltaire haben unabhängig voneinander über Unterredungen der Sachsen mit Devlet Gerai berichtet. Ein Kurier des Marschall Flemming an den Khan war im Dezember 1712 auf abenteuerliche Weise von Karls XII. Leuten gefangengenommen worden. So erfuhren die Schweden den Kurierweg des Khans nach Sachsen und überlisteten kurze Zeit später den Boten des Khans. Nordberg bemerkte, niemand außer dem König habe die Briefe gelesen, doch "merkte man ... von dem Tage an, daß das Mißtrauen des Königs gegen den Chan immer größer ward" (Nordberg, li, 415). In Karls Umgebung vermutete man, Devlet Gerai habe sich angeboten, Karl XII. an August den Starken zu übergeben. "So bald der König August mit polnischen Völkern im Anzug wäre, wollte sich der Tatarchan gänzlich zurückziehen, und den König Carl mit seinen Schweden im Stiche lassen. Man könnte allezeit vorgeben, daß die Tataren zu wenig gewesen, ... Widerstand zu leisten" (Nordberg, li, 415). Nordberg führt als Kronzeugen den Fürsten Lubomirski an, der 1720 in Wien auch Prinz Eugen von der Richtigkeit dieser Darstellung überzeugte. Da auch Voltaire, der sich auf Zeugnisse Flemmings berief, diese Geschichte so berichtete, läßt sich ein wahrer Kern nicht ausschließen. Auch kann man einem Brief Grothusens vom 12. Januar 1713 an den schwedischen Gesandten Oberst Funk in Adrianopel entnehmen, daß einige Vertraute Karls XII. inzwischen den Inhalt der Korrespondenz Devlet Gerais mit König August ebenfalls kannten. Die Originaldokumente verbrannten im Königshaus in Bender. Doch berief sich auch Karl XII. noch im April1713, Monate nach seiner Gefangennahme und dem Verlust der Papiere, auf diese Gefahr. Er habe "beyde male
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sichere Nachricht gehabt ... , daß man mit den Feinden in einem geheimen Verständnis gestanden, und daß man ihn in ihre Hände zu liefern gedacht" (Nordberg, Il, 490). Die Frage bleibt offen, was Devlet Gerai zum Verrat bewog, war er doch gerade im Krieg gegen Rußland Karls XII. wichtigster Verbündeter. Einige Historiker unseres Jahrhunderts vermuteten, der Tatarenkhan habe auf eine Aussöhnung Augusts und Karls gehofft. Er hätte Karls Unversöhnlichkeit brechen wollen, indem er König August eine brüderliche Geste ermöglichen wollte. Ein gefangener, aber von August sofort freigegebener Karl XII. hätte Frieden schließen müssen, in König August den besten Alliierten gegen den nun übermächtigen Zaren gewonnen. Der Khan habe die Bereitschaft zum Thronverzicht König Stanislaws gekannt und daher mit seinem Aussöhnungsprojekt eine große Allianz Polens, der Türkei und Schwedens gegen Rußland erwirken wollen. Das kann, so unverständlich und kurzschlüssig es uns auch erscheinen mag, nicht völlig ausgeschlossen werden. Andererseits hatte Karl XII. mit seiner Ablehnung, als Gast des Großwesirs und des Tatarenkhans den Prutfeldzug zu erleben, den Khan auch persönlich beleidigt. Immerhin fühlte sich dieser Fürst dem schwedischen König ebenbürtig, und Karl XII. hätte somit auch ohne Verlust an Legitimität im Lager des Tatarenherrschers weilen können. Nordberg läßt uns auch wissen, daß die neuerlichen Geldforderungen Karls XII. den Khan verärgert hätten, sogar "nach einigen Wochen ... offenbare Feindschaft ausbrach" (Nordberg, II, 412). Devlet Gerai habe gedroht, den König mit Gewalt zur Abreise zu zwingen. Eine tatsächlich schwer begreifliche Entscheidung des Khans. Will man den Tatarenkhan nicht für so naiv halten, wie es jene wollten, die ihn als Opfer einer Intrige König Augusts sehen, bleiben wohl nur persönliche Verärgerung, möglicherweise auch die Erkenntnis, mit König Karl XII. sei ein Krieg gegen Rußland nicht mehr zu gewmnen. Es war mit Sicherheit das energische Eintreten Devlet Gerais gegen Karl XII. im Diwan, das den schließliehen Entscheid Achmeds 111. bewirkte. Wahrscheinlich wußte der Großherr am 18. Januar 1713 während des Großen Diwan in Adrianopel noch nichts von Stenbocks Sieg bei Gadebusch. Einige seiner Würdenträger waren aber bereits informiert. Als Karl XII. am 31. Januar des Sultans persönlichen Reise-
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befehl erhielt, hatte sich Achmed III. bereits wieder anders entschieden. Der schwedische Erfolg bei Gadebusch ließ keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Kriegspolitik Karls XII. Dem Khan und dem Serasker lagen jedoch klare Weisungen vor, die schwedischen Befestigungen zu stürmen, falls der Monarch den Abmarsch verweigerte. Die Order des Sultans, jede offene Gewalt gegen Karl XII. zu vermeiden, kam zu spät ... Zu den populären Themen schwedischer Geschichtsschreibung zählen auch heute noch Darstellungen des sogenannten Handgemenges von Bender, der Kalabalik, wie es die Schweden nennen. Mit bemerkenswert ironischer Distanz verfilmten schwedische Regisseure diesen griffigen Stoff vor einigen Jahren. Es wurde ein Welterfolg, der vor allem aus der schonungslosen Entlarvung der Menschenverachtung des Königs erwuchs. Den konservativen Historikern war die Kalabalik allerdings immer die Konsequenz des unbeugsamen Willen König Karls XII. und Ausdruck besonderer Pflichterfüllung sowie bewundernswürdiger Todesverachtung. Der Monarch hätte, wollte er nicht seinen Widersachern in Polen ausgeliefert werden, keine andere Wahl gehabt. Als Gefangener des Sultans wäre er sicher gewesen ... eine zweifelhafte Lesart! Es war wohl doch vor allem Starrsinn, unbegreifliche Arroganz, Verachtung der Türken und wahrscheinlich auch nicht wenig Rauflust. Wenn schon keine große Schlacht, dann ein Krieg im "Saal"! Er, Karl XII., würde mit einer Handvoll schwedischer Elitesoldaten beweisen, daß selbst mehr als 10 000 Janitscharen und Tataren an seinem Willen zerbrechen würden. Wenigstens sollten sie ihn fürchten lernen ... Also doch die vielzitierte Freude an Kampf und Krieg? Da ihn seine polnischen und kosakischen Truppen sofort bei Annäherung der türkisch-tatarischen Streitkräfte verlassen hatten, bereitete Karl XII. die Verteidigung des Lagers vor, auf die Todesbereitschaft seiner mehr als 1 000 schwedischen Soldaten vertrauend. Im übrigen glaubte der König, die Janitscharen würden das Lager nicht angreifen, überzeugt, er, Demir-bachi, der Eisenkopf, sei auch den türkischen Soldaten ein unantastbares Ideal. Immer wieder hatten ihn diese Soldaten gefeiert, manchmal sogar gerufen, er solle ihr Pascha sein, sie zu großen Siegen gegen die Russen führen ... Scheinbar behielt Karl XII. recht. Zwar feuerten die Janitscharen einige Kanonenschüsse auf das feste Königshaus ab, verweigerten dann jedoch den Sturm auf das schwedische Lager. Kar! XII. triumphierte am 31. Januar. 12 Findtisen
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Am nächsten Morgen während des Gottesdienstes der Schweden erscholl dann aber vieltausendfach das "Allah ill akbar", stürmten die türkischen und tatarischen Soldaten ins Lager. Kampflos streckten Karls Offiziere und Soldaten auf den Wällen die Waffen, waren aufs äußerste verschreckt, ganz anders war es nun, nicht so, wie es der König versprochen hatte ... Tatsächlich hatten die moslemischen Truppen gemeutert. Demir-bachi war wohl auch ihnen wirklich das Ideal des Kriegerkönigs. Aber der verzweifelte Serasker ließ ihnen schließlich den Brief Achmeds III. vorlesen, überzeugte die Soldaten, der ungläubige Eisenkopf verachte alle Moslems. Und so waren sie nun doch gekommen. Sieben Stunden lang verteidigte der Monarch das sogenannte Königshaus mit etwa 50 Soldaten und Offizieren. Mit der blanken Waffe in der Hand hatte er sich zum Haus durchgeschlagen, ein Schuß einen Teil seines Ohres weggerissen. Verbrecher zeichnete man in diesen Tagen in weiten Teilen Europas durch Verstümmelung der Ohren, welche Symbolik in diesem Schuß! Vielleicht traf es hier wirklich einen Verbrecher, den schlimmsten möglicherweise, den Schweden in diesen Jahren hervorbrachte, einen, dessen Hände blutbefleckter waren als die der größten Massenmörder in der Geschichte des Landes. War es so etwas wie ein Urteil der Geschichte? Karl XII. war nun auch äußerlich ein Gezeichneter. In einem wahnwitzigen Säbel-an-Säbel-Kampf warfen der König und seine Trabanten die bereits in Massen in die Räume des Königshauses eingedrungenen Feinde hinaus. Acht Dukaten hatte der Serasker jedem versprochen, der den gefürchteten "Eisenkopf" lebend gefangennehme, eine Summe, die manchen vergessen ließ, daß Karl XII. keineswegs bereit war, sich friedfertig in sein Schicksal zu finden. Lange hielt sich im türkischen Lager das Gerücht, der König selbst habe eine große Zahl der auf ihn Eindringenden getötet, Karl erinnerte sich später nur an drei. Andere töteten er und einige Trabanten gemeinsam, mancher seiner Tapferen sank an seiner Seite tödlich getroffen dahin. Ein blutiges Spiel, betrieben durch eine Unmenge kampferfahrener, entschlossener Männer, denen der Tod drohte, wenn sie dem schwedischen König den Tod gaben, gespielt aber auch von jenen wenigen, die schnell verstanden, daß man den Monarchen um jeden Preis lebend wollte, Faust gegen Degen und Pistole gewissermaßen. Es konnte nicht ausbleiben, daß Sterbende und Verwundete zornig die Waffen auch wirklich gegen Karl XII. richteten ... Als das brennende Haus in der achten Stunde des ungleichen Gemetzels den Rest der Schweden mit ihrem König zum Ausfall zwang,
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verwickelte sich Karl XII. in seine Sporen, stürzte zu Boden, war endlich gefangen, vorüber das Handgemenge von Bender! Froh, glücklich fast, schien der Serasker. Der Monarch war am Leben, das sollte hoffentlich genügen, selbst zu überleben. Gar zu gefährlich war dieser Auftrag des Sultans gewesen, das hatten er und Devlet Gerai nur zu wohl gewußt. Er sei froh, daß dieses harte Spiel so glücklich vorüber sei, begrüßte der Serasker ehrfurchtsvoll den gefangenen Demir-bachi. "Zum Scherze war es zu viel, und zum Ernst zu wenig", soll Karl XII. entgegnet und königsstolz verkündet haben, wer Hand an ihn zu legen wagte, hätte "nichts besseres verdient" als den Tod. Eine deutliche Drohung an den Serasker (Nordberg, Il, 474). Die konservativen Historiker und Biographen Karls XII. fühlten sich "an die alten Sagen", "an berühmte Bilder des altgermanischen Heldenzeitalters" erinnert (Bengtsson, 474). Otto Haintz sah gar in Karl XII. den "Sieger", als der "Vorhang vor dem großartigen Schauspiel der Kalabalik gefallen war" (Haintz, 2, 138 ff.). Der Sondergesandte der Seemächte, der Engländer Jefferyes, urteilte realistischer. Er könne nicht genug bedauern, wie traurig das Schauspiel ihm schien, "der früher diesen Fürsten in seiner größten Gloria und als Schrecken fast ganz Europas gesehen habe, ihn jetzt so tief gefallen zu sehen" (Haintz, 2, 140). Der schwäbische Wissenschaftler Jacob Stählin hat in seiner berühmten Anekdotensammlung auch die Reaktionen Zar Peters, des großen Gegenspielers Karls XII., überliefert. Er sehe, soll der russische Herrscher erschrocken auf die Neuigkeiten der Kalabalik bemerkt haben, daß Gott den schwedischen König verlassen habe. Vorerst schienen jedoch vor allem die unglücklichen Befehlsausführenden von allen verlassen. Der Großwesir Soliman Pascha wurde abgesetzt, der Serasker bald danach degradiert und später hingerichtet, Devlet Gerai nach Rhodas verbannt. Inzwischen war nämlich dem Sultan die Nachricht des Sieges bei Gadebusch bekannt geworden. Karl XII. schien rehabilitiert, blieb jedoch ein Gefangener mit großen Freiheiten, war nicht mehr der Souverän von Bender. Zunächst im Schloß Demotika und seit dem April in Timurtasch bei Adrianopel verbrachte der schwedische König den größten Teil des Jahres 1713. Der Nachricht vom Sieg bei Gadebusch waren schnell die Kunde vom Einmarsch Stenbocks in Holstein und endlich der Kapitulationsbericht gefolgt. Nur wenige Wochen später, am 5. Juni 1713, schloß t2•
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Ali Pascha, nunmehr der siebte Großwesir seit Karls XII. Ankunft in der Türkei, einen auf 25 Jahre anberaumten Frieden mit Rußland. Endgültig gescheitert war damit der Versuch des schwedischen Herrschers, Zar Peter durch einen kombinierten türkisch-schwedischen Angriff zu entthronen. Zu dieser Zeit aber verbrachte Karl XII. - rätselhaft auch diesmal- seine Tage als Kranker im Bett, "übrigens ohne recht erkennbaren Grund", wie Jan Peters ironisch vermerkt (Peters, 155). Man muß allerdings einräumen, daß sich der König beim Handgemenge den rechten Fußknochen gebrochen hatte, im Juli und August an einer gefährlichen Malaria erkrankte, dort in Timurtasch viele seiner Getreuen am Fieber starben. Dieses und die Erkenntnis, die Jahre in der Türkei ergebnislos verloren zu haben, dürften schließlich selbst den unbeugsamen Willen Karls XII. erschüttert haben. Und betrübliche Botschaften reihten sich weiter aneinander. Da war schon kurz vor dem Handgemenge in Bender plötzlich König Stanislaw in der Türkei aufgetaucht. Geleitet von wenigen Vertrauten hatte sich der unglückliche Pole eingefunden, um Karl XII. umzustimmen. Stanislaw wollte dem Thron entsagen und den Ausgleich mit König August ermöglichen. Karl XII. weigerte sich, der Pole blieb beharrlich. So wartete nun mehr als ein Jahr ein zweiter besiegter Monarch auf türkischem Boden auf eine Entscheidung. Endlich gab Karl XII. nach. Sein deutsches Erbe, das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, wurde zur vorübergehenden Residenz des früheren polnischen Königs. Der schwedische Monarch entschloß sich zu Verhandlungen mit König August. Ohne einsatzbereite Armee schienen nun Gespräche die letzte Chance zur Rettung Schwedens. Schon waren die baltischen Festungen gefallen, geriet Finnland in russische Hand, drangen die Dänen in HolsteinGottorp ein, setzte sich Hannover in Verden und Teilen Bremens fest, marschierten preußische Truppen in Stettin ein. Einige Zeit vorher hatte Preußen erneut eine Aussöhnung König Karls mit August von Sachsen-Polen vorgeschlagen. Ein preußischer Sondergesand ter, Johann F riedrich Eosander von Göthe, war nach Bender gereist. Hier entwickelte er Gedanken einer antirussischen Allianz Sachsens, Schwedens und Preußens. Gar zu mächtig war Zar Peter geworden. Der preußische Minister Heinrich Rüdiger von Illgen hatte Eosander beauftragt, Karls XII. Haltung zu diesem Projekt zu ergründen, wünschte "Denselben zu bewegen, das Plan, so der hiesige Hoff wegen Stiftung des Friedens im Norden formiret, anzunehmen" (Haintz, 2,
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131). Eosander konnte im Herbst 1712, noch vor den dramatischen Ereignissen der Kalabalik, verkünden, König August sei ebenso bereit wie der König von Dänemark. Preußen selbst verlangte zu dieser Zeit nur die Übergabe der Festung Elblag als "Belohnung". Doch scheiterten die Verhandlungen. Karl XII. lehnte damals gerade Stanislaws Angebot der Thronentsagung ab und ließ Preußen wissen, ein Bündnis mit König Friedrich sei ihm lieb, Absprachen mit August lehne er ab . .. Es ist sicher eine Ironie der Geschichte, daß der enttäuscht heimreisende Eosander an der siebenbürgischen Grenze dem nach Bender eilenden Stanislaw begegnete. Der am 11. April 1713 zu Utrecht geschlossene Friede zwischen England, den Generalstaaten und Fankreich begrenzte den großen Spanischen Erbfolgekrieg drastisch. Dem Kaiser und seinen deutschen landesherrlichen Verbündeten fehlten nun die notwendigen Subsidien der Seemächte. Die Kriegshandlungen ebbten ab. Preußen hatte bereits in Utrecht einen eigenen Frieden mit Frankreich vereinbart, das Gros seiner Truppen stand nun für künftige Auseinandersetzungen im Nordischen Krieg bereit. Der neue König Friedrich Wilhelm I. schien entschlossen, Preußens Anteil an der schwedischen Beute nicht auf Verhandlungen um Elblag zu begrenzen. Schon 1712, während Sachsen und Russen erstmalig vor Stettin schanzten, hatte Preußen vorgeschlagen, Stettin "in custodiam" zu nehmen (Haintz, 2, 232). Mit dem Abzug der Belagerer war dieser Plan hinfällig gewesen. Am 10.Juni 1713 vereinbarten aber der holstein-gottorpsche Minister Baron Georg Heinrich von Görtz und Karls Generalbevollmächtigter auf deutschem Boden, Baron Maurice Vellingk, Stettin und Wismar sollten vorübergehend Gottorp und einer "neutralen Puissance" übergeben (Haintz, 2, 232), solcherart aus den Kampfhandlungen heraus gehalten werden. Bei Kriegsende wären beide Festungen wieder an Schweden zu übergeben. Holstein-Gottorp und Preußen vereinbarten am 23. Juni folgerichtig die Sequestrierung Stettins und Wismars. Karl XII. hatte inzwischen, am 8. August, Vellingk seine Haltung erklären lassen. Preußen wolle sich solcherart in den Besitz Stettins setzen, würde es dann nicht wieder zurückgeben. Daher sei die Sequestrierung unakzeptabel für Schweden. Den beiden Festungskommandanten verbot der König ausdrücklich die Übergabe an Preußen. Tatsächlich hatte sich auch Holstein-Gottorp, in klarer Verletzung schwedischer Interessen, in einem Geheimartikel verpflichtet, bei Frie-
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deosschluß preußische Forderungen auf Stettin zu unterstützen. Das Herzogtum wollte sich damit die preußische Hilfe für die Thronfolge des gottorpschen Hauses in Schweden nach Karls XII. Ableben sichern. Im Sommer 1713 unterbreitete der schwedische Monarch Preußen den Vorschlag, gemeinsam für die Wiedereinsetzung König Stanislaws zu kämpfen und versprach dafür Ermland mit Elblag und einen Korridor von dort nach Pommern. Auch sollte Preußen die Hälfte der russischen Kriegsentschädigungen erhalten, ein völlig irrealer Plan der Kanzlei in Bender! Baron Vellingk wagte nicht, diesen Plan in Berlin vorzutragen. Inzwischen trieben die russischen und sächsischen Truppen ohnehin die Laufgräben näher und näher an Stettins Wälle, das sie seit dem Juli 1713 erneut belagerten. Als der Sturm unmittelbar bevorstand, gab General Meijerfelt den nun sinnlos gewordenen Widerstand gegen die preußisch-gottorpsche Sequester-Idee auf, sicherte so, was noch zu retten war. Zwei schwedische Bataillone wechselten formal in Gottorps Dienst, die Hauptkräfte der schwedischen Besatzung rückten mit klingendem Spiel nach Stralsund ab. Der russische Oberbefehlshaber der alliierten Belagerungsarmee, Fürst Menschikow, vereinbarte mit Preußens König Friedrich Wilhelm I. am 6. Oktober 1713 den Hauptrezess zu Schwedt und ließ zwei preußische Bataillone in die Festung Stettin einrücken. Ein geheimer Artikel erlaubte Preußen desweiteren die Besetzung Schwedisch-Pommerns bis zur Peene, schloß Wolgast, Anklam und Demmin ein. Bereits am 9. Oktober wandte sich Preußens Gesandter in Wien vertraulich an die kaiserlichen Behörden mit dem Gedanken, man solle "die Schweden gar von dem deutschen Boden" vertreiben (Haintz, 2, 237). Und am 27. März 1714 erneuerte Preußen diesen Vorschlag noch einmal. Karl XII. hatte in der Tat triftige Gründe, der Hilfe Preußens zu mißtrauen. Wohl war Stettin nicht an Sachsen und Russen übergeben worden, die holstein-preußische Garnison hatte als "Treuhänder" die Fahnen auf den Festungsmauern gehißt, die schwedischen Truppen abgelöst. Die zeitweilige Besetzung Stettins und Vorpommerns bis zur Peene war jedoch die Erfüllung langerstrebter Wünsche Preußens seit den Tagen des großen Brandenburger Kurfürsten, das Vermächtnis des Triumphes von Fehrbellin. Nun hatte Schweden einen unerwünschten "Beschützer" seiner Interessen an der Oder, dessen Schutz allerdings alles andere als uneigennützig gewährt wurde. Am 24. März 1714ließ Karl XII. dem preußischen König antworten, er sei ve~ndert, daß die Krone Preußens mit Schwedens Feinden
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verhandelt habe, "ohne daß man das geringste davon" ihm "selbst, oder seinen Staatsbedienten und Abgesandten" mitgeteilt hätte (Nordberg, II, 518). Er habe den Vergleich zwischen Vellingk und Görtz sofort abgelehnt. Preußen könne daher auch nicht bei der schwedischen Krone um Entschädigungen anhalten. Im Mai schrieb Karl XII. erneut, er hoffe, der König in Preußen würde Appelle Schwedens an den Kaiser um Hilfe bei der Rückgewinnung Stettins verstehen. Zur gleichen Zeit sammelten sich vor Stralsund und Wismar immer stärkere feindliche Truppenkontingente, stand der Zusammenbruch der schwedischen Heeresmacht auf deutschem Boden unmittelbar bevor. Auch in Schweden brodelte es mehr denn je. Einige Mitglieder des Reichsrates begannen ernsthaft an eine Absetzung des Königs zu denken. Nils Bain, der Biograph Karls XII. Ende des 19. Jahrhunderts, hat seinerzeit treffend bemerkt, der Monarch habe niemals begriffen, daß das erschöpfte schwedische Volk unter der schweren Bürde zusammenbrechen könne. "Der stolze Gedanke alles zu retten, ließ keinen Platz in seiner Brust für den klugen Gedanken zu retten, was noch zu retten war." Doch habe der Stockholmer Rat die Probleme völlig anders beurteilt (Bain, 234). Schon nach dem Sieg bei Helsingborg schrieben die Ratsmitglieder dem König, nach menschlicher Voraussicht bedeutete es lediglich, daß Schweden einige Monate länger existieren könnte. Sie hatten ohne vorherige Genehmigung Karls XII. schon 1710 eine begrenzte, sorgfältig ausgewählte Anzahl Ständevertreter versammelt. Zwischen April und Juni dieses Jahres hatten sie von ihnen ihre bisherigen Maßnahmen rechtfertigen, gleichzeitig aber bedeuten wollen, daß Karl XII. "Herr nicht allein über ihre Besitztümer sondern auch Herr über ihre Herzen sei" (Bain, 234). So hatte Kanzler Horn die Einberufung des Reichstages vor dem Monarchen verteidigt. Karl XII. reagierte freundlich aber bestimmt mit der Erklärung, ein Reichstag sei völlig unnötig. Wenig später wuchsen die Verstimmungen zwischen Rat und König in den Auseinandersetzungen um die Neutralisierung der deutschen Besitzungen. Karl XII. sandte aus Bender allen Botschaftern die Weisung, nur noch von ihm selbst Befehle anzunehmen. Ein neuer herber Schlag gegen die Autorität des Rates! Die Männerum Arvid Horn weigerten sich jetzt immer häufiger, die oft durch die Zeit überlebten Befehle des Königs aus dem fernen Bender zu erfüllen. Besonders stark wuchs die Opposition zu der von Karl XII. 1711 gewünschten Landung schwedischer Truppen in
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Deutschland. Der Kanzler drückte die Ansicht des Rates aus, als er betonte: "Wir müssen beurteilen, was den Interessen Seiner Majestät am besten dient, und was deshalb zu entscheiden ist. Wenn Seine Majestät mir befiehlt, Regimenter in eine Festung zu schicken, die bereits in den Händen des Feindes ist, würde es mir unmöglich sein zu gehorchen aufgrundder veränderten Umstände" (Bain, 237 f.). Im Frühsommer 1713 versuchte schließlich Vellingk, den König zu Kompromissen zu bewegen. Er sei "nicht höflich genug, sich mit der Versicherung zu schmeicheln, wir könnten wieder auf die Beine aus eigener Kraft kommen und unsere Feinde (und die ganze Welt um sie herum) zwingen, die Verträge und Abkommen zu respektieren, die wir ihnen durch unsere Siege diktierten" (Bain, 245). Aber auch diesmal blieb Karl XII. uneinsichtig.ln seinem Brief am 18. Mai 1713 an Vellingk entgegnete der König, "es muß uns religiöse Verpflichtung sei, den heiligen Schwur zu halten, den wir ablegten, niemals aufzugeben und irgendeinen Teil jener Territorien und Landstriche zu übergeben, die uns unsere Vorväter, die Könige von Schweden, in unsere Hände gegeben haben" (Bain, 245). Unberührt allen Elends und der offenkundigen Zuspitzung der Lage hoffte Karl XII. weiter, verwarf jeden noch so vorsichtigen Rat zu Zugeständnissen. Und wieder ging eine Chance nach der anderen dahin, die günstigen Konjunkturen nach dem Sieg von Gadebusch zu nutzen. Nicht aufgegriffen wurde das Angebot des Friedenskongresses zu Utrecht 1712, zwischen Schweden und seinen Feinden zu vermitteln. Karl XII. verweigerte die Zustimmung. Verärgert verwies er auf Englands und Hollands Aktivitäten in Konstantinopel gegen die antirussische Politik Schwedens, den fortgesetzten Handel mit den baltischen Städten, die Versäumnisse als Garantiemächte von Travendal und Altranstädt. Nein, der schwedische König war nicht bereit, veränderte Machtverhältnisse zu akzeptieren. So war er auch nicht zu Gesprächen geneigt, als August der Starke Verhandlungen über eine Teilung Polens zwischen ihm und Stanislaw vorschlug. Der Sachse und Preußen lebten nun in wachsender Furcht vor dem immer stärker werdenden Nachbarn Rußland. Solche Projekte entsprachen nicht Karls XII. Moralvorstellungen. Zweifellos ein auch für uns Nachgeborene sympathisches Moment im Auftreten des Königs. Ja, er hatte unverrückbare Ehrvorstellungen. Das muß die Geschichtsschreibung vermerken! Im übrigen traute Karl XII. König August noch immer schlichtweg nicht! So blieb auch Eosanders Vorstoß nur Episode. Da halfen alle Beschwörungen der schwedischen Diplomaten und Offiziere nichts, Karl XII. hielt an Stanislaw fest,
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weigerte sich, Polen aufzuteilen. Und er forderte weiterhin von allen Nachbarn bedingungslose Unterstützung der für rechtens erachteten schwedischen Positionen. Diese Haltung versteifte sich noch, nachdem die Nachricht vom Sieg bei Gadebusch Bender erreichte. Gott hielt wieder seine Hände über Schweden, jeder hatte nur zu verstehen, daß die schwedische Armee unbesiegbar war. Für die schwedische Politik wurde es verheerend, daß die Nachrichten von der Kalabalik nahezu zusammenfielen mit dem Bericht über die Kapitulation der Stenbock-Armee bei Tönningen. Nun gaben die Seemächte den schwedischen König endgültig verloren. Und Rußland eroberte Region für Region in Finnland. Immer noch verharrte Karl XII. in der Türkei, unterband weiterhin alle diplomatischen Bemühungen der Realisten in Deutschland und Schweden. Nicht, daß der Monarch grundsätzlich jede diplomatische Aktivität verwarf, nein, nur blieben alle Angebote weit hinter der Wirklichkeit zurück, konnten keine Grundlage für erfolgversprechende Verhandlungen werden. Laut lachte beispielsweise der preußische König, als ihm der schwedische Gesandte im Namen Karls anbot, was Friedrich Wilhelm I. bereits hatte. Als Horn Gespräche mit Rußland beginnen wollte, untersagte Karl XII. sofort alle Sondierungen. Auch Ludwig XIV. wandte sich noch einmal, kurz vor seinem Tode, an den schwedischen Souverän und unterstützte einen preußischen Gedanken zur Sicherung der schwedischen Territorien. Frankreich akzeptierte dabei sogar Friedrich Wilhelms Forderung nach Stettin und Pommern bis zur Peene. Es sei Karls Pflicht als Herrscher, die wahren Interessen seines Reiches zu berücksichtigen, Heldenmut mit staatsmännischer Klugheit zu verbinden, appellierte der greise Sonnenkönig an den König von Schweden. Wieder setzte Kar! XII. - nun schon stereotyp - dagegen, lieber verlöre er ganz Pommern, als auf Stettin zu verzichten. Da schwenkte Preußen endgültig ins Lager der Feinde. Wenn Schweden die Beute nicht garantieren wollte, mußte es eben mit dessen Gegnern sein. Preußen wollte seinen Anteil um jeden Preis. Ehrgefühle, wie sie der Schwede empfand, waren Friedrich Wilhelm I. fremd. Sein Herz schlug für die Vergrößerung Preußens. Ein neuer Räuber erhob Ansprüche an den alten Räuber Schweden. Nun sah der Stockholmer Rat keine andere Möglichkeit mehr als den Monarchen zu zwingen, ein Zwang mit legitimen Mitteln, ein Druck gehorsamer Untertanen auf einen Monarchen, dessen Politik alles verdarb, der Volksunruhen geradezu heraufbeschwor. Schon kur-
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sierte in Schweden das Gerücht, der Senat verheimliche, Karl XII. sei entweder tot oder verrückt. "Dieses Reich", erklärte der Rat 1713, "kann nur noch mit einem menschlichen Körper verglichen werden, dessen meiste Sehnen durchgeschnitten sind und aus dessen Venen der größte Teil des Blutes bereits in solcher Weise geflossen ist, daß die Dinge zu diesem Zustand gekommen sind, daß jene von uns, die noch leben, nur noch die Frist weniger Monate zwischen sich und dem totalen Ruin sehen" (Bain, 255). Aus dieser Erkenntnis heraus riefen Rat und Kanzler Horn im Herbst 1713 trotz ausdrücklichen königlichen Verbots einen Reichstag ein. Und sie luden Prinzessin Ulrika Eleonora ein, anstelle des abwesenden Königs im Rat zu präsidieren, eine Aufforderung, der die Schwester des Königs nur zu willig nachkam, erschreckend schnell, wie König Karl XII. festgestellt haben dürfte. Die Stände kamen am 14. Dezember 1713 in Stockholm zusammen, stimmten einer Erklärung zu, die ihren Monarchen zur Rückkehr aufforderte, in untertänigen Formulierungen, aber mit unüberhörbarer Entschlossenheit. "Wenn die Prinzessin, der Rat und die Stände nur resolut und einmütig wären, könnte der König leicht abgesetzt werden", beurteilte Frankreichs Gesandter die Stimmung in Schweden (Bain, 257). Schon beschlossen die Stände, auch gegen den Willen des Königs zu handeln. Als Karls XII. neuerliche Verbote und Weisungen bekannt wurden, erklärte der Geheime Ausschuß des Rates am 10. März 1714, er bestände darauf, daß Prinzessin Ulrika Eleonora "mit der Autorität als Schwester des Königs und nächster Thronerbe, mit Rat und Ständen in Verbindung treten, Maßnahmen ergreifen sollte, einen Frieden zu den besten Bedingungen zustandezubringen" (Bain, 258 f.). Tatsächlich stand Schweden nun am Rande eines Bürgerkrieges, das war die Forderung, Karl XII. zu stürzen! Generalmajor Heinrich von Liewen brachte das Ständepapier vom Dezember 1713 als Eilkurier ins ferne Demotika, wo der königliche Ehrengefangene des Sultans nun weilte. Und Liewen hatte viel zu berichten. Die Haltung seiner Schwester mußte Kar! XII. eigenartig berühren. Er hatte ihr immer herzliche Briefe geschrieben, das Versprechen am Sterbebett der Mutter ernst genommen. Doch hatte er nicht vermeiden können, der älteren, der Lieblingsschwester, stärkere Gefühle, mehr Hinwendung zu bekunden. Und er hatte die Liebe auf deren Sohn übertragen, einen Konkurrenten für Ulrika Eleonora in der Thronfolge.
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Jetzt wurde für manchen sichtbar, die Prinzessin trat hinter jene Ständesprecher, die ihr unter der Hand die Regierungsgewalt zusprachen. Ulrika Eleonora versuchte, jene auch gegen den Zorn des noch immer in Stockholm unantastbaren Arvid Horn zu schützen. Dieser aber zwang die Prinzessin, seinen Enthüllungen beizuwohnen und sich zu distanzieren. Die Gefahr eines Thronwechsels war vorerst abgewandt. Doch konnte nun selbst ein so eigenwilliger Herrscher wie Karl XII. nicht länger zweifeln, seine Krone blieb gefährdet, er mußte zurück, die Dinge im Reich selbst in die Hand nehmen. Im Herbst 1714, nach geschickten neuerlichen Intrigen König Augusts, die seine Abreise verzögerten, war es endlich soweit, der schwedische König verließ die Türkei. Es begann jener legendäre Ritt, der sowohl die Zeitgenossen überraschte, die gewohnt waren, auf dem Pferderücken Leistungen vollbringen zu müssen, als auch die Menschen unserer Tage staunen läßt, welch eine Energie in diesem absolutistischen Monarchen lebte, aus welchen Kraftquellen er schöpfen konnte.
"Haben Fürsten das Recht, Dinge zu tun, die für gewöhnliche Menschen unehrenhaft sind? Ich wäre dazu nicht imstande, auch wenn es um zehn Königsthrone ginge. Und wenn ich hundert Städte gewinnen könnte, möchte ich es nicht auf dieselbe Weise tun wie der König von Preußen, als er sich Stettins und Hinterpommerns bemächtigte oder später, um das unrechtmäßig Erworbene zu behalten, sich ohne jede Berechtigung offen meinen Feinden anschloß. Könige sind dazu da . .. Gerechtigkeit auf Erden zu fördern." König Karl XII. in einem Gespräch mit Axel Löwen 1715
Verzweifelter Kampf um die deutschen Territorieneine neuerliche Niederlage Karls XII. Am 15. März 1714 war General Liewen in Karls XII. neuem Quartier in Demotika eingetroffen, hatte den untertänig formulierten, höchst demütig abgefaßten Wunsch der Stände auf Rückkehr des Monarchen vorgetragen, eine kaum zu überlesende Forderung trotz der bittenden Worte. Gegen die wütenden Vorwürfe des Königs hatte der alte Heerführer den Rat verteidigt, dem Monarchen mutig entgegengehalten, "Wo nichts ist, da hat auch der Kaiser sein Recht verloren. Wir dienen nun alle in Schweden ohne Lohn ... Und bei Gott, Eure Majestät können es mit Gnade oder Ungnade aufnehmen, kommen Eure Majestät nicht nach Hause, so geht das Reich verloren" (Grimberg, 5, 173). Wiederholt hatte schon der enge Vertraute Karls XII. in Bender, Generalmajor Axel Sparre, seinem König bedeutet, Schweden könne einen anderen Herrscher wählen, begebe er sich nicht endlich heim.
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Die Forderung nach Frieden drohe in der Tat alle zu einigen, die Karl XII. als entscheidendes Hindernis auf diesem Wege sehen, mußte Liewen erklären. Das war nicht mehr zu übergehen! Der General hatte in Demotika vorzustellen, daß viele Ständevertreter in Stockholm bereits ernsthaft einen Friedensschluß selbst gegen den Willen des Monarchen diskutierten. Er solle den König auf die Gefahr eines Bürgerkrieges hinweisen, hatte Graf Horn den alten Liewen vor der Abreise beschworen, ihn gebeten, Karl XII. unbedingt zur Rückkehr zu bewegen. Schon kursierten anonyme Denkschriften in Stockholm mit der Forderung, Rat und Stände sollten gemeinsam Friedensverhandlungen einleiten, einen Vertrag auch dann unterzeichnen, wenn ihn Karl XII. ausdrücklich ablehne. Priester und Bürger forderten im Geheimem Ausschuß die Entscheidung, der Reichstag müsse bis zum Friedensschluß versammelt bleiben. Jetzt wurde sogar an den König in Demotika ein Schreiben adressiert, die Stände hätten beschlossen, "auf die beste Weise Frieden zu suchen" (Rosen, 83). Dem Befehl des Monarchen, der Reichstag habe sich aufzulösen, wurde dann zwar entsprochen, die Stimmung aber blieb explosiv ... Grollend hatte Karl XII. schließlich eingewilligt, die Abreise vorzubereiten, verärgert, daß ihn anderes als sein eigener Wille zwang. Aber unübersehbar war nun auch für ihn die Gefahr geworden, Krone und Reich zu verlieren, handelte er nicht sofort. Und wieder verzögerten die Türken die Abreise des längst nicht mehr erwünschten schwedischen "Souveräns". Unruhen in Mesopotamien und Syrien erschütterten jetzt das Osmanische Reich. Der Zar und König August registrierten erfreut, daß damit die Pforte als Angreifer für die nächste Zeit ausscheiden mußte. Auch waren mit dem Friedensschluß von Rastadt am 6. März 1714 zwischen Frankreich und dem Kaiser neuerliche türkische Initiativen gegen die beiden nördlichen Verbündeten für eine längere Frist nahezu gebannt, schon wegen der drohenden Haltung des Wiener Hofes. Sultan Achmed III. war keine Karte mehr im Spiel Karls XII. gegen den Zaren und seinen sächsischen "Bruder". Und doch war die Furcht des sächsischen Herrschers auf dem polnischen Thron vor einem allzu frühen Erscheinen des schrecklichen Schweden in Polen nach wie vor groß. Wußte man denn, ob König Stanislaw an der Seite des unberechenbaren Karls XII. nicht einen neuen umfassenden Bürgerkrieg in Polen entfachen würde? Groß war der Haß der gequälten Polen auf die notgedrungen erduldeten sächsisch-russischen Regimenter. Nein, die Polen zahlten wirklich nicht gerne ...
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So hatte der geschickte August, intrigenerfahren, noch immer wenig ängstlich in der Wahl seiner Mittel, Friedensbereitschaft signalisiert, die Pforte in der Hoffnung bestärkt, nun auf diplomatischem Wege eine antirussische Koalition Schwedens und Sachsen-Polens fügen zu können. Siegte man schon nicht militärisch, wollte man wenigstens solcherart den russischen Einfluß beschränken, die Grenze zwischen dem Osmanischen Reich und Rußland sichern. Daher wünschten der Sultan und seine Berater, den schwedischen Monarchen bis zum Abschluß der eingeleiteten neuen Verhandlungen mit König August in Demotika hinzuhalten. Doch war im September 1714 endgültig deutlich geworden, daß Rußland die Friedensvereinbarungen mit der Türkei nicht erfüllen, August eine Rückreise Karls XII. durch Polen nicht akzeptieren würde, an ein Bündnis mit Schweden schon gar nicht zu denken schien. Daher atmete die ein weiteres Mal getäuschte Pforte befreit auf, als Karl XII. nicht auf der seinerzeit vereinbarten Eskorte bestand, sondern wissen ließ, er habe den Plan einer Rückreise durch Polen aufgegeben und erwäge die Heimfahrt durch die Besitzungen des Kaisers. Nachdem sicher schien, daß die Pforte in Bälde König August als Herrscher Polens anerkennen würde, hatte Karl XII. entschieden, dem nun endgültig entmachteten Stanislaw Pfalz-Zweibrücken als dauerhaftes Exil zuzuweisen, den König ohne Thron durch Deutschland in die neue Residenz gesandt, die Verhandlungen mit dem Wiener Hof über die eigene Durchreise eingeleitet. 100 000 Reichstaler hatten seine Beauftragten in Wien geliehen, Zinssätze zwischen 9 und 30 Prozent akzeptiert, heim nach Schweden wollte nun der König, koste es, was es wolle! Und die Pforte gewährte ebenfalls ein weiteres Darlehen. Der Kaiser zeigte sich interessiert. Gar zu mächtig waren die norddeutschen Fürsten geworden, wuchsen zu völlig unabhängigen, allzu souveränen Herrschern, beide, gekrönte Könige nun, dem Kaiser gleichgestellt, sollten sie durch den schwedischen "Kriegsgott" in ihrer Machtfülle beschränkt werden. Ja, man lebte in Wien nur dem Wunsch, Karl XII. Gutes zu tun, war bereit, sein Eintreten für die schlesischen Protestanten 1708 zu vergessen, forderte nur, er müsse dieses Land auf seiner Heimreise meiden. Frankreichs Marschall Viiiars hatte in Baden Prinz Eugen für eine katholische Allianz der beiden rechtgläubigen europäischen Herrscher zu erwärmen gesucht, Schweden als notwendiges Gegengewicht auf deutschem Boden erhalten wollen, bemerkt, man könne auch durch
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Karl XII. den wachsenden Einfluß der Seemächte auf Europas Politik zurückdrängen, ein Ziel, das beide, Ludwig XIV. und den Kaiser einigen sollte. Nun ja, Frankreichs Wünsche waren ganz sicher nicht die Karls VI. in Wien, das sah kaum einer klarer als der große Eugen. Aber nützlich konnte der Schwedenkönig schon sein, auch wenn er als wirkliche Alternative ausschied. Der Wiener Hof wußte, wie wenig Bedeutung Schwedens Stimme nun im großen europäischen Konzert zukam, die Zeiten, da man Karl XII. an der Spitze einer siegreichen Armee auch in Wien fürchtete, waren lange dahin ... Und doch reagierte Prinz Eugen erstaunt, als ihm Karls XII. Entscheidung vorgetragen wurde, incognito zu reisen. Es seien Gebiete, "wo man Menschen finden kann, die für 30 sous eine Muskete auf ihn hinter einer Hecke abfeuern" würden, ließ der erschreckte Wiener Würdenträger die schwedischen Unterhändler wissen (Hatton, 486). Umsonst, Karl XII. wünschte keinen, dann wohl unvermeidlichen Besuch beim Kaiser ... Nach einem feierlichen Abschiedsempfang seines Botschafters in Konstantinopel, geehrt durch zahlreiche wertvolle Geschenke und von einer Rieseneskorte seiner türkischen "Gastgeber" geleitet, brach Karl XII. am 20. September 1714 von Demotika auf, reiste nach Pitesti an die Grenze der Habsburger Erblande. Hier traf er am 10. Oktober seinen aus Bender heranmarschierenden Truppenrest, die Höflinge und polnischen Getreuen, insgesamt 1 162 Personen. Immer wieder, weil orientalisch fremd anmutend, ist auch berichtet worden, daß eine Armee von Gläubigern aus Bender folgte. Noch Anfang dieses Jahrhunderts rechneten Historiker 60 - 70 Vertreter jener Gruppen, die Ansprüche an den schwedischen Staat oder einzelne Schweden stellten. Solche Schilderungen reflektierten jene Atmosphäre voller Exotik, die in Schweden an"Tausend und eine Nacht" erinnerten, das Bild Karls XII. um einige weitere ungewöhnliche Farbtupfer bereichern sollten. Die Forschungen der Gegenwart reduzieren den Gläubigertroß auf 29 Türken, Juden und armenische Christen, die Karls XII. heimziehendes Gefolge bis in den Norden Europas begleiteten, dort teilweise auf Jahrzehnte blieben, vom schwedischen Staat mehr oder weniger großzügig versorgt. Nachdem der König sein Korps in fünf Gruppen eingeteilt, jede von ihnen einem Generalmajor unterstellt und Axel Sparre als Oberbefehlshaber bestätigt hatte, marschierte die erste Abteilung am 25. Oktober
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ab, folgten die anderen jeweils im Abstand eines Tages. Der General Steinville ließ die den Törzburger Paß hindurch ziehenden Schweden sorgfältig zählen, registrierte 1 168 Mann mit 1 625 Pferden und 147 Wagen "in miserablem Zustand" (Bengtsson, 502). Der dänische Gesandte in Wien berichtete nach Kopenhagen, er habe die Schweden in schlechter Verfassung und mit schlechten Pferden durchziehen sehen, Analogie jener Berichte, die einst die schwedische Armee vor ihrem Einmarsch nach Sachsen schilderten. Wie anders war es aber jetzt! Kein reiches Sachsen erwartete die Trümmer der schwedischen Heeres macht, arm kamen sie zurück aus dem Osmanenreich, ein Spiegelbild vergangener Größe schwedischer Machtfülle. Und neue Entbehrungen erwarteten sie in der Heimat, dem bald heißumkämpften Schwedisch-Pommern. Da mutet es schon seltsam an, daß der sächsische Gesandte ebenfalls aus Wien seinem König mitteilte, die Soldaten hätten überall auf ihrem Marsch zur Eile gedrängt, wollten schleunigst ihrem König folgen aus Sorge, es könne zu neuen Kämpfen kommen und sie "versäumen möchten, dann bei ihrem König zu sein. Hieraus erkennt man ihre große Anhänglichkeit und wie sehr affektioniert sie noch ihrem Herrn sind" (Bengtsson, 502). Worte, die König August bestärken mußten, an der Seite seiner Verbündeten die Entscheidung zu suchen, dem Schwedenkönig in Pommern die Basis für neue gefährliche Feldzüge zu nehmen. Denn noch immer fühlte sich Karl XII. nicht besiegt. "Ich habe geruhet, nun bin ich erwacht. Bekomme vom Himmel erneuerte Macht", verkündete eine Prägung einer der vielen Sondermünzen auf die Rückkehr des Königs, Geist dessen, was Karl XII. empfand (Nordberg, II, 559). Der König hatte für seine Gruppe in Pitesti 25 Offiziere ausgewählt, unter ihnen den Grafen Ture Bielke, der ihm auch äußerlich entsprach, und den bewährten Grafen Poniatowski. In einer abschließenden Diskussion war bestimmt worden, daß Karl XII. mit zwei Begleitern als "Kapitäne" der schwedischen Armee getarnt vor der Gruppe mit Bielke und Poniatowski reiten sollte. "Kapitän Peter Frisk", wie sich Karl XII. in seinem Paß auswies, gab sich gemeinsam mit Gustav Fredrik von Rosen und Otto Fredrik von Düring, die als Johan Palm und Erik Ungern reisten, als Quartiermacher des Königs aus, orderten die Pferde an den Poststationen und in den Wirtshausern für den nachfolgenden König Karl XII. von Schweden. Karl solle hin und wieder einen Krug Wein leeren und mit den Schankmädchen scherzen, so hatten seine Ratgeber empfohlen. Niemand würde dann in dem schnauzbärtigen Peter Frisk mit der dicken schwarzen Perücke, dem goldbetreßten Hut
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und braunen Rock den Monarchen vermuten, wußte doch ganz Europa von der Askese Karls XII. zu erzählen. Tatsächlich betonte auch die Beschreibung des Herrschers, die der Wiener Hof allen höheren Beamten längs der Reiseroute des schwedischen Königs zur pflichtgemäßen Betreuung des hohen Gastes übersandte, ausdrücklich Karls sprichwörtliche Verachtung "fremder Haare", des Weines und der Frauen. Wen will es wundern, daß der wie Karl XII. gekleidete Ture Bielke prompt auch von dem Österreichischen Feldmarschalleutnant Graf Johann Welczek für den Herrscher gehalten wurde. Und Bielke überwand sich, wies demonstrativ den angebotenen Wein zurück, verlangte ein Glas Wasser ... Inzwischen war Peter Frisk mit seinen beiden Begleitern über den Paß "Rotherturm" nach Siebenbürgen geritten. Am 27. Oktober aufgebrochen, verirrten sich die drei zunächst und erreichten nur mit Hilfe eines Schweinehirten den richtigen Weg, waren so erst am Mittag des 29. Oktober in Hermannstadt eingetrofen. Weiter hatte Karl XII. seinen Begleiter Düring getrieben, geführt von zwei einheimischen Postreitern, während Rosen zur Sicherung im Abstand von vier Stunden dem Quartett folgen mußte. Düring war bald zusammengebrochen. Strapazen dieser Art war nur der König gewachsen. Sie mußten die Reise im Postwagen fortsetzen, Karl XII. die Ungeduld zügeln. Durch Siebenbürgen waren die beiden, von Rosen gesichert, zunächst nach Klausenburg gefahren, dann weiter über Debreczen, Buda nach Wien. In seinen Erinnerungen berichtete Rosen, die Ruhepausen in den Herbergen hätten nie länger als eine Stunde gewährt, schlafen konnten der Herrscher und seine Begleiter nur im Postwagen. So wären sie am 5. November nach Wien gekommen, hier wieder in den Sattel gestiegen. Fort ging der Ritt über Passau, Straubing, Regensburg, Nürnberg, Erlangen, Bamberg, Würzburg, Remlingen, Esselbach, Dettingen, Hanau nach Kassel. Endlich war Freundesland erreicht, erwartete der alte Landgraf von Hessen-Kassel den hohen Gast, hoffte, die seit geraumer Zeit betriebenen Verhandlungen über die Ehe seines Sohnes Friedrich mit Karls Schwester zu möglichst günstigen Vereinbarungen abschließen zu können. König Karl XII. sollte sich die Hilfe seines neuen Alliierten doch zumindest die Versicherung über die Thronfolge kosten lassen ... Das aber wollte der noch immer ledige König gerade nicht! Und wieder triumphierte Karl XII. Unter den vielen Anekdoten, den zahlrei13 Findeisen
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chen "absolut zuverlässigen" Augenzeugenberichten über Zusammentreffen mit König Karl, oft gleichzeitig an weit auseinanderliegenden Orten bei Ruhepausen in Gasthäusern, die des Monarchen Reisezeit um Wochen verlängert hätten, erscheint vielleicht jene zutreffend, die vom gemeinsamen Mittagessen des Oberst Kagg - manche Quellen sprechen von einem Generalmajor -, eines Schweden in hessischen Diensten, mit Kar] XII. und Düring am Stadtrand Kassels berichtet. Der Landgraf hatte seinen schwedischen Offizier dort postiert mit dem Auftrag, die Ankunft Karls XII. sofort zu melden, damit der Fürst einen festlichen Empfang vorbereiten könne. Offenbar hatte der schwedische König inzwischen auch Gefallen an der Maskerade gefunden. Obwohl sich wichtige Gespräche mit dem Landgrafen anboten, dessen Hilfe als Vermittler am preußischen Hof abgestimmt werden mußte, Geldfragen zu regeln waren, wünschte Kar] XII. auch hier vermutlich keine Zeit zu verlieren, das Überraschungsmoment zu erhalten. Stimmen die Überlieferungen, dann haben der König und Düring den hessischen Offizier genüßlich getäuscht. Düring habe mit derben Späßen auf Kosten seines "Kameraden" Peter Frisk das aufkommende Mißtrauen Kaggs zerstreut. Karl XII. selbst hätte- als der Hesse die Abstinenz bemerkte - erklärt, er trinke immer erst nach dem Essen und dann demonstrativ ein Glas Wein geleert. Beim Abschied vom nunmehr beruhigten Kagg soll der König, bereits im Sattel sitzend, dem Offizier auf schwedisch zugerufen haben: "Lebwohl, mein lieber Kagg. Grüß den Landgrafen von mir!" (Bengtsson, 500). Dann seien er und Düring im Nebel verschwunden.
Ja, es mag tatsächlich einiges für die Wahrscheinlichkeit dieser Geschichte sprechen. Andererseits, der Boden für Überlieferungen dieser Art war fruchtbar in jenen Tagen, als der geheimnisumwitterte schwedische Kriegerkönig so plötzlich, wieder ganz unüblich für Herrscher seines Zeitalters, aus dem fernen Morgenland auftauchte, sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit Pommern näherte, geschwinder, als es die Kuriere damals schafften. Über Dömnitz, Grabow, Parchimund Tribsees führte der Weg die beiden Reiter zum Tribseer Tor Stralsunds, das in der Nacht vom 10. zum 11. November erreicht wurde. Gegen Mitternacht klopften zwei angebliche Eilkuriere an die verriegelte Pforte und begehrten, mit wichtiger Botschaft vor General Karl Gustav Dücker, den Kommandanten, geführt zu werden. Niemand erwartete zu dieser Stunde bereits den Monarchen. Um Tage war der König derNachriebt von seiner Abreise voraus. So dauerte
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es noch einige Stunden, bis der Kommandant von den beiden Kurieren hörte. Sollte man General Dücker wirklich mitten in der Nacht aus dem Bett holen, weil zwei Offiziere sich wichtig gaben? Da hielten die vorsichtigen Torwachen doch besser den üblichen Dienstweg ein, befragten ihre Offiziere. Erst gegen 5.00 Uhr - nach anderen Quellen nach zwei Stunden - standen die beiden vor dem General. Todmüde nickte der Monarch wenig später am Tisch in der Badestube des Kommandanten ein, eine Viertelstunde nur, wie es konservative Historiker ehrfuchtsvoll vermelden, solcherart andeuten, daß auch dieser König nicht frei von menschlichen Bedürfnissen war, doch andererseits sein mächtiger Wille eben nur einige Minuten der Ruhe erlaubte ... einerlei, sicher ist, die alte Fußwunde von Poltawa war aufgescheuert, die Beine geschwollen, so daß man dem König die Stiefel aufschneiden mußte. Zwei Wochen waren weder Karl XII. noch sein Begleiter aus Schuhwerk und Kleidern gekommen. Exakt 13 Tage und 4 1/2 Stunden hatte die Reise gedauert. Die Strecke von Wien nach Stralsund waren Karl XII. und Düring in sechs Tagen geritten, etwa 1 500 Kilometer hatten sie im Sattel gesessen, durchschnittlich ungefähr 250 Kilometer täglich bewältigt. Düring war, so berichteten Augenzeugen, vor Erschöpfung halbtot, Rosen erreichte erst einige Tage später die Festung. Karl XII. saß bereits am Nachmittag des 11. November wieder am Schreibpult und diktierte Briefe. Er habe den "ganzen Nachmittag" geschrieben, verlautete in Stralsund, wo Bürgerschaft und Garnison in großer Erregung ihres ungewöhnlichen Königs harrten, von dem nicht wenige in diesen Tagen eine radikale Änderung ihrer schwierigen Lebensverhältnisse erwarteten. Und ähnliches geschah in Schweden! Mag sein, daß die Zeitgenossen übertrieben, die königstreue Haltung des schwedischen Volkes glorifizierten. Für uns heute erscheint es nahezu undenkbar, daß allein die Nachricht der Ankunft Karls XII. in Pommern die Volksmassen für kurze Zeit den Groll und die Unzufriedenheit vergessen ließ. Überall im Lande sollen die Menschen aufrichtig froh reagiert haben, als die Kunde eintraf. Ein naiver Königsglaube, offenbar tief verwurzelt im schwedischen Volk, wohl vor allem dem Ruf des Vaters, Karl XI., geschuldet? Vermutlich dachten viele, der Held so zahlreicher siegreicher Schlachten würde nun, endlich heimgekehrt, jene Hoffnungen erfüllen, die man auf ihn so lange in der Erinnerung an jene glanzvollen Anfangsjahre seiner Herrschaftsperiode begründet hatte. Außerdem saß die Überzeugung tief, nicht nur in Schwe13*
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den, daß die Monarchie die beste, die gottgefälligste Regierungsform sei, Grund genug also, daß man in Schweden jauchzte. Bald zeigte sich jedoch, Karl XII. dachte nicht daran, Schweden den langersehnten, dringend benötigten Frieden zu bringen. Im Gegenteil, er veranlaßte sofort Maßnahmen, die Rüstungen und Rekrutierungen zu beschleunigen, eine neue große Armee sollte formiert werden. So wuchs die Enttäuschung in Schweden schnell. Nein, dieser König bedeutete wohl nichts Gutes mehr für das Land! Und er blieb ja auch fern in Pommern, kam nicht einmal herüber über die Ostsee in die eigentliche Heimat. Wieder trafen nur seine Kuriere in Stockholm ein, forderten neue Opfer im Land. Krieg, immer wieder nur Krieg! Den Zeitgenossen und späteren Historiker-Generationen wurde diese neue Periode im Leben Karls XII. gleichbedeutend mit dem Beginn der Ära Görtz. Der geniale führende diplomatische Kopf HolsteinGottorps, Baron Heinrich von Görtz, traf im Dezember 1714 in Stralsund ein und gewann schnell das Vertrauen des Königs. Bald wurde er Karl XII. der wichtigste Mitarbeiter in der Entwicklung neuer Methoden der kriegswirtschaftlichen Reorganisation des Landes. Schon in Bender hatte Karl XII. 1713 die Grundlinien einer neuen Kanzleiordnung ausarbeiten lassen. Die bisherigen Entscheidungsbefugnisse des Kanzleikollegiums in Stockholm wurden "Delegierten" des Königs zugeordnet. Die beabsichtigte Veränderung entsprach einer Form der Kabinettsminister-Regierung aller innen- und außenpolitischen Angelegenheiten des Landes und kam einer weiteren Entmachtung des Rates gleich. Baron Görtz erwies sich als der geeignete Mann, Karls Wünsche zurUmgestaltungder schwedischen Verwaltungsstruktur durchzusetzen. Zunächst vereinbarte er mit dem König einen Kontrakt für ein Jahr persönlicher Dienste für Kar] XII. und verband sich, notwendige Gelder zur Aufrüstung des Landes zu beschaffen. König Karl XII. entschied sich zur gleichen Zeit, vorerst in Stralsund zu bleiben. So wollte er einerseits alle Gegner auf Schwedisch-Pommern lenken, Schweden die notwendige Atempause sichern, glaubte andererseits, den europäischen Entscheidungen auf dem Kontinent näher als in Stockholm zu sein. Noch immer hoffte der König auf eine Wende auf dem deutschen Kriegsschauplatz. Der Tod Ludwig XIV. am 1. September 1715 beraubte Schweden jedoch seines letzten mächtigen Verbündeten.
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Schon im Juni dieses Jahres hatte der Kaiser Karl VI. dem Prinzen Eugen geschrieben, daß er sich gegen Karl XII. entschieden habe. "Wir müssen teilnehmen in dem Wettlauf im Norden ... müssen mit England zusammenarbeiten, um unseren Vorteil nicht einzubüssen" (Hatton, 448). Entgegen der ursprünglichen Absicht des Wiener Hofes, den schwedischen König gegen die nordische Allianz zu unterstützen, war die kaiserliche Kursänderung auf die Kriegserklärung Preußens an Schweden am 1. Mai 1715 erfolgt. Der Kaiser hatte verstanden, daß der Anschluß Hannover-Englands an Karls XII. Feinde nur noch eine Frage der Zeit war. Damit erschien alles entschieden und der Kaiser wollte wenigstens formal bei den künftigen Reichsaufteilungen gehört werden. Karl XII. hatte vorausgesehen, daß König Friedrich Wilhelm I. von Preußen ins Feindeslager schwenken würde. Axel Löwen hat nach dem pommerseben Krieg ein bilanzierendes Gespräch aufgezeichnet, in dem Karl XII. seine Moralauffassung umriß und Preußens Entscheidung verurteilte. "Haben Fürsten das Recht, Dinge zu tun, die für gewöhnliche Menschen unehrenhaft sind? Ich wäre nicht imstande, und wenn es um zehn Königskronen ginge. Und wenn ich hundert Städte gewinnen könnte, möchte ich es nicht auf diese Weise tun wie der König von Preußen, als er sich Stettins und Hinterpommerns bemächtigte oder später, um das unrechtmäßig Erworbene zu behalten, sich ohne jede Berechtigung offen meinen Feinden anschloß" (Bengtsson, 550). Handlungen dieser Art waren Karl XII. in der Tat unmöglich! Obwohl manche Historiker ihm im Zusammenhang mit dem Rußlandfeldzug auch Eroberungsabsichten unterstellten, in seiner Umgebung zweifellos an eine weitere Ausdehnung Schwedens im Baltikum gedacht wurde, sind Pläne und Methoden, wie sie der preußische König anwandte, dem schwedischen Monarchen nicht nachzuweisen, entsprachen auch nicht seiner Gedankenwelt. Als im Juli 1715 Friedrich IV. von Dänemark mit seinem Stab den schwedischen Scharfschützen sehr nahe kam, erinnerten sich einige der Soldaten der Kanonaden auf das Zelt Karls XII. vor Torun. Und sie hätten auf den Dänen gezielt, "wenn man nur versichert gewesen, daß es der König wol aufgenommen hätte" (Nordberg, II, 598). War doch bekannt, welches Schicksal Karl XII. seinerzeit dem eigenen Leibknecht angedroht hatte, als dieser auf König August anlegte. Karl XII. konnte in diesen Tagen zu Beginn der Kämpfe um Stralsund nicht wissen, daß er wenig später Pommern verlassen und heftig auf ihn geschossen wür-
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de. Die Denkweise seiner königlichen "Brüder" aber kannte er doch. So spricht es für die Konsequenz dieses Herrschers, der auch Schüsse auf den dänischen König untersagte. "Nein, es würde unverantwortlich seyn, und euch euer Leben gekostet haben, wenn ihr auf solche Weise einiges Unglück· angerichtet hättet. Was dasjenige anlanget, was bey Thoren geschehen ist; so will Ich darum kein Unrecht thun; weil es andere gethan haben." (Nordberg, II, 598). Es kann kein Zweifel sein, daß Karls XII. Verachtung für den hinterhältigen Preußenkönig ehrlich war, eine wirkliche Sinnesäußerung dieses Monarchen. Blieben ihm die sinnlos geopferten Toten von Poltawa auch gleichgültig, sein Wort und seine Ehre als Monarch waren unantastbar, ein Widerspruch, natürlich, aber eine Antwort auf manche fragwürdige Entscheidung Karls XII. Seiner Schwester berichtete der König bereits am 2. Mai 1715, der "Brandenburger" beginne "Händel mit uns zu suchen. Er hat bereits verschiedene Feindseligkeiten verübt, noch ehe der Krieg schriftlich erklärt worden ist" (Carlson, 140). Das war Preußens Reaktion auf Karls XII. Versuche, die preußische Besatzung aus Stettin und Teilen Pommerns abzulösen. Der schwedische König bemühte sich, durch Vermittlung des Landgrafen von Hessen, Preußens Kosten der Sequestrierung Stettins und Pommerns bis zur Peene zu ersetzen. Gleichzeitig bot Karl XII. die Versicherung an, Schwedisch-Pommerns Territorium nicht als Basis für einen Angriff auf Sachsen oder Polen zu nutzen. Auf keinen Fall wollte er Preußen zu Kriegshandlungen provozieren. Andererseits war der König entschlossen, die preußischen Truppen nicht über die Peene vorrücken zu lassen. Daher zwang Karl XII. Anfang Februar 1715 die Garnison von Wolgast, 20 preußische Soldaten, die Stadt zu verlassen. Zu dieser Zeit bereitete jedoch Friedeich Wilhelm I. bereits die Besetzung der strategisch wichtigen Inseln Wollin und Usedom vor. "Als ich", so schrieb Karl XII. seiner Schwester, "sein schädliches Vorhaben merkte und sah, daß er seine Mannschaft verstärkte, die auf der Insel U sedom im Quartier lag, von wo aus er unseren Leuten in ihren Quartieren Schaden thun konnte, so ließ ich unsere Leute in größter Eile von Usedom Possession ergreifen und seine paar hundert Mann, die auf der Insel lagen, vertreiben und zu ihren Truppen zurückschicken" (Carlson, 141). Damit hatte Preußen endlich einen Kriegsgrund! Selbstverständlich reagierte Friedrich Wilhelm I. empört auf Schwedens "Angriff", wagte Karl XII. doch, Preußen an der Besetzung schwedischen Territoriums zu hindern, Land, das Brandenburg seit langer Zeit beanspruchte. Damit war es rechtens, außerdem hatte auch Zar Peter dem zugestimmt.
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Der Zar und König August ermunterten Preußen, lobten Friedrich Wilhelm I. für den Versuch, im März 1715 Wollin zu befestigen, wohl wissend, daß Karl XII. sich wehren mußte. Als Konsequenz aus Schwedens Verteidigung seines Territoriums ließ Preußens König sofort die schwedische Zivilverwaltung Stettins vertreiben, verwies den Gesandten des Landes. Am 7. April hatten Dänemark und Preußen vereinbart, daß Stralsund und Rügen an Dänemark, Bremen und Verden an Hannover fallen, Preußen im Besitz Stettins verbleiben sollte. Nach Preußens Kriegserklärung rückte ein sächsisch-preußisches Heer gegen die Peenemünder Schanze vor und eroberte sie am 11. August 1715. Bereits AnfangJuli 1715 marschierte eine weitere dänisch-sächsischpreußische Armee auf Stralsund und begann die Belagerung. 28 000 Dänen und 27 000 Preußen und Sachsen standen etwa 17 000 schwedischen Soldaten gegenüber. Karls XII. Lage war aussichtslos. Unter Vizeadmiral Jens Sehestad drang eine dänische Flotte nach einem erfolgreichen Seegefecht mit dem schwedischen Boddengeschwader am 13. und 14. September in den Greifswalder Bodden ein. Die schwedische Ostseeflotte hatte sich nach einer unentschiedenen Schlacht nordöstlich von Rügen gegen die Dänen nach Karlskrona zurückziehen müssen. Wie der dänische Gegner in Kopenhagen, so mußten die Schweden ihre Schiffe daheim reparieren lassen, ihre Ausrüstung vervollständigen. Zurück blieben in der Ostsee zwischen Bornholm und Rügen nur englische Verbündete Dänemarks, die offiziell nur die englische Handelsschiffahn schützten, tatsächlich aber mit einigen Schiffen der antischwedischen Allianz zur Verfügung standen. Man wolle ein "schwedisches Übergewicht auf der Ostsee ... verhindern", lautete die englische Erklärung (Hatton, 457). Karl XII. empfahl seiner Flottenführung, England nicht zu provozieren. Eine bereits ausgelaufene schwedische Versorgungsflotte mußte wieder umkehren, zu drohend richteten sich die englischen Kanonen auf die Schweden. Damit wurde der Weg frei zur Eroberung des Greifswalder Boddens, stand die Landung der Alliierten auf Rügen unmittelbar bevor. Im Mai 1715 war Karl XII. mit dem Pferd schwer gestürzt, das Tier hatte seinen Brustkorb gequetscht. Englands Gesandter Jeffereyes berichtete nach London, der König huste Blut und sei bettlägerig. Wahrlich eine gute Zeit, den Marsch auf Stralsund fortzusetzen, die Eroberung Rügens vorzubereiten, Gelegenheit auch für König Georg I., als
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Kurfürst von Hannover Schweden den Krieg zu erklären. Am 4. Oktober eröffnete Hannover Feindseligkeiten gegen Karl XII. Die Bündnisverhandlungen zwischen Georg I. und Friedrich IV. von Dänemark hatten sich hingezogen. Der englische König konnte es nicht wagen, Dänemarks Forderungen zu erfüllen. Lange bestand Friedrich IV. auf einer offiziellen staatlichen Erklärung über das Zusammenwirken der englischen und dänischen Geschwader gegen Schweden. Schließlich gab sich der Däne mit einem mündlichen Versprechen Georgs zufrieden. Doch auch nach diesem Kompromiß mußte der Kurfürst von Hannover und König von England vorsichtig agieren, zu groß war der Widerstand der Opposition im britischen Parlament. Außerdem fürchtete auch König Georg eine Annäherung Schwedens an die Jakobiten. Die Stuart-Partei in Schottland blieb der aktivste Gegner Georgs I. in England. Abenteuerliche Pläne wurden diskutiert. König Karl XII.- so wollten es einige J akobiten und mancher schwedische Diplomat- sollte an der Spitze eines kleinen schwedischen Korps in Schottland landen und die schottischen Clans gegen den Hannoveraner führen, eine wirkliche Gefahr, so schien es Georg I. zeitweilig. Ein Bürgerkrieg in England war nicht auszuschließen. Die Schotten waren schon unter weitaus ungünstigeren Verhältnissen marschiert. Vorsicht schien geboten. Die Lage änderte sich erst mit dem Herbst 1715. Auch hier wirkte der Tod Ludwigs XIV. zuungunsten Karls XII. Der Weg für den Kompromiß zwischen Hannover und Dänemark wurde frei, England blieb offiziell neutral, das Gros der englischen Flotte verließ die Ostsee, es blieben einige Schiffe im dänischen Dienst. Damit war der Krieg um Pommern endgültig entschieden. Am 22. Oktober eröffneten die Feinde das Bombardement der Festung Stralsund. Hier waren große Vorräte an Pulver und Lebensmitteln eingelagert. So lange Rügen in schwedischer Hand blieb, wußte Karl XII., war die Stadt kaum einzunehmen. Die neuen Befestigungen schufen Raum für eine Garnison von mehr als 30 000 Verteidigern, die aber fehlten dem schwedischen König. Auch mangelte es an Geschützen. Die Dänen und Preußen hatten dagegen ihre schwere Artillerie herangeschafft. Am 1. November 1715 entschieden sich die Alliierten, Truppen auf Rügen zu landen. Sie hatten 640 Schiffe unterschiedlicher Größe gesammelt, die Könige von Dänemark und Preußen weilten an Ort und Stelle,
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der Prinz Leopold von Anhalt-Dessau, ein erfahrener Heerführer, kommandierte die vereinigten Heere. Schon seit dem Sommer des Jahres, nachdem er sich vom Unfall mit seinem Pferd erholt hatte, versuchte Karl XII., die Verteidigung Rügens und der Insel Ruden im Bodden zu sichern. Die Schanze auf dem Ruden verteidigte der erfahrene Oberst Axel von Löwen. Fielen die Werke in Feindeshand, so wußten es beide, würde es unmöglich werden, die notwendigen Vorräte und Verstärkungen über die Ostsee nach Stralsund zu schiffen. Daher reagierte Karl XII. sofort, als ihn die Berichte von den unmittelbaren Landungsvorbereitungen seiner Gegner erreichten. Der König setzte mit 800 Infanteristen und 2 000 Reitern nach Rügen über. Er rechnete mit fünffacher Übermacht und konzentrierte seine Streitkräfte mit acht Kanonen bei Palmer Ort. Hier ließ er schanzen. Der Feind entschloß sich jedoch, jedes Risiko zu vermeiden. Nachdem er zwei Tage in bewegter See vor Palmer Ort geankert hatte, segelte seine Flotte plötzlich nach Groß-Stresow. Karls XII. Gegner hatten aus den früheren schwedischen Landungsoperationen gelernt, der König wurde mit seinen eigenen Waffen besiegt. Die Alliierten landeten überraschend am 4. November bei Groß-Stresow, ohne auf Widerstand zu treffen. Wieder einmal verfügte Karl XII. über zu wenig Soldaten. Erst am späten Abend erreichte der schwedische König mit seinen Truppen den Strand, fand den Feind bereits gut geschützt hinter Gräben, Wällen und spanischen Reitern. Und wieder wagte Karl XII. alles! Noch in der gleichen Nacht griffen seine wenigen Bataillone die feindlichen Linien an. Morgens um 3.00 Uhr am 5. November 1715 fiel die Entscheidung um Karls XII. letzte deutsche Bastion. Im kühnen Stoß bezwangen die Schweden das äußere Verteidigungssystem der Dänen und Preußen, drangen bis zum schützenden inneren Erdwall vor. Hier aber wies die dänische Infanterie den ersten Angriff der tapferen Soldaten Karls XII. ab. Dem schwedischen Herrscher wurde das Pferd erschossen, eine Musketenkugel traf ihn in die Brust, als er den zweiten Sturm anführen wollte. Vorüber war der Kampf. Wohl wissend, nur sein persönliches Beispiel könnte die wenigen Angreifer zu einem erneuten Sturm mitreißen, verfügte der verletzte Monarch sofort den Rückzug. Rügen war verloren. Nun galt es, der Festung Stralsund die Verteidiger zu retten. 400 tote Schweden blieben
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bei Groß-Stresow auf dem Schlachtfeld, 200 weitere Blaugelbe waren verwundet worden, gefallen auch der Generalmajor Grothusen, Karls XII. Geldbeschaffer in Bender. Niemand in Schweden würde ihn nun für jene Verwaltung der Finanzen behelligen können, die das Land noch auf Jahrzehnte belasten sollte. General Graf Johan Valentin von Dalsdorf mußte schwer verwundet fortgetragen werden, ein Opfer schwedischen Heldenmutes in aussichtsloser Situation. Noch am Abend vor dem Angriff hatte er verlauten lassen, sollten er und die Seinen siegen, würde er zum Mond reiten und diesen zwischen den Zähnen nach Stralsund tragen ... Wie Graf Piper bei Poltawa war auch er sich der Hoffnungslosigkeit des Kampfes bewußt, lebte einer Pflicht, die noch heute Verwunderung auslösen muß. Frankreichs Sondergesandter in Stralsund, Louis Henry-Francois Colbert de Croissy, als Friedensmittler beauftragt, bald ehrlich begeistert von Karl XII., bemerkte treffend in einem Brief an einen Freund, der König von Schweden reiße seine Umgebung zu immer neuen Heldentaten vorwärts, widerlege die alte Weisheit, daß niemand vor den Augen seines Kammerdieners als Held bestehe. In guter Ordnung erreichten die Reste des kleinen Korps Karls XII. Altefähr, zunächst vom Feind nicht verfolgt. Vielleicht fürchteten die Gegner den Widerstandswillen dieser Gruppen tatsächlich so, daß sie einen sofortigen Gegenschlag nicht wagten, wie konservative schwedische Historiker glaubten. Karl XII. konnte so hinüber in die Festung gerudert werden, der Endkampf um Stralsund begann. Berücksichtigt man die geringe Zahl Soldaten an der Seite des Herrschers, den Anfangserfolg, dann sei diese Niederlage "eine der größten Aktionen Karls XII.", soll der Rittmeister Peter Schönstrom nach dem Kampf geäußert haben (Bengtsson, 510). Sicher ist das auch eine jener kritiklosen Glorifizierungen des "Heldenkönigs", vielleicht aber doch mit einer gewissen Berechtigung angemerkt. Karl XII. blieb keine Wahl, wollte er nicht bereits zu dieser Zeit den Kampf aufgeben. Das aber kam einer völligen Kapitulation Schwedens gleich, zu der dieser Herrscher noch immer nicht bereit war und wohl auch nicht sein konnte. Der König hoffte auf den Zeitfaktor, setzte auf den wachsenden Zwist zwischen den Verbündeten, den Streit der Räuber um den Anteil an der Beute. Doch waren die Versäumnisse auf Rügen nicht mehr zu korrigieren, die Verbindung zum Mutterland zerstört . .. Oberst Löwen sparte nicht mit Vorwürfen, als er im Dezember 1715 in Ystad seinen Monarchen wieder traf. Er, der König, hätte die Flotte
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vor Rügen konzentrieren, eine Seeschlacht mit den Dänen im offenen Ostseewasser vermeiden müssen. Und Karl XII. "lauschte ... mit großer Geduld und Milde", wie Löwen in seinen Erinnerungen hervorhob. Der Monarch habe entgegnet, er sei "nicht kundig gewesen in der Verteidigung von Städten ... vielleicht sei er ein besserer Verteidigungsingenieur bei der nächsten Belagerung" (Hatton, 463). Der Oberst blieb überzeugt, sein Herrscher habe den Kampf bereits mit dem Fall Usedoms verloren, "dem Schlüssel für die ganze Verteidigung". Der König hätte hier seinem, Löwens Rat folgen sollen, stärkere Kräfte einzusetzen. Hier soll nicht entschieden werden, ob Oberst Löwen zu recht kritisierte. Es scheint einleuchtend, daß Karl XII. über zu wenig Truppen verfügte, eine Reduzierung der Stralsunder Garnison angesichts der heranmarschierenden Alliierten mehr als riskant war. Peenemünde konnte wohl auch durch Verstärkungen nicht dauerhaft verteidigt werden. Wichtig ist aber die Feststellung, daß Karl XII. hier bereit war, eigene Fehleinschätzungen mit seinen Vertrauten zu diskutieren. Als militärischer Führer achtete er stets die Meinungen seiner Unterführer, entwickelte bemerkenswerte, seinen sonstigen legitimistischen Überzeugungen widersprechende Haltungen. Er blieb überzeugt, angesichts der Todesgefahr zeige sich auf dem Schlachtfeld der wahre Wert eines Menschen. Karl XII. bewunderte beispielsweise Oberst Löwen für den gelungenen Rückzug vom Ruden und die Rettung der Garnison nach Schweden. Stets hatte der König in seinen Briefen prinzipiell das Können und den Mut seiner Soldaten und Offiziere als Siegesursache gewürdigt. Daher akzeptierte er auch militärische Überlegungen und Auffassungen, die den seinen konträr waren. Als Karl XII. verwundet nach Stralsund gebracht wurde, zweifelte niemand mehr unter den hohen Offizieren, daß der Fall der Festung bevorstand. Während der König auf Rügen den Kampf vorbereitete, waren Sachsen und Preußen am 25. Oktober in den wichtigen Raum vor dem Frankentor eingedrungen. Als Kenner der Stralsunder Örtlichkeiten hatte der preußische Oberstleutnant von Köppen die Truppen über eine Untiefe während des Niedrigwassers geleitet. Während eines Scheinangriffs auf andere Bastionen war der Überraschungsschlag gelungen. Wohl konnte die Zitadelle gehalten werden, die Feinde setzten sich aber vor dem Frankentor fest. Sofort eingeleitete Gegenangriffe stockten bei den schweren Verlusten der schwedischen Truppen, nahezu 200 fielen, 500 gaben sich gefangen. Ein letzter großer Ausfall, von Karl XII. am 7. Dezember vor dem Kniepertor selbst geführt, scheiterte.
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Des Königs Gefährte auf der Reise aus der Türkei, Otto Frederik von Düring, fiel mit vielen anderen. Wenige Tage später, am 10. Dezember, übergab der König den Oberbefehl an General Dücker. Nun mußte es offen eingestanden werden, selbst Karls XII. demonstratives Verweilen in den vordersten Linien stabilisierte die Verteidung nicht mehr. Der Gegner drang Abschnitt für Abschnitt in die zerschossenen Festungswerke ein, setzte sich dort fest. Reaktionen des Königs auf einschlagende Sprenggranaten wie die oft beschriebene Tat Karls XII. am 16. November mochten zwar die Einwohner beeindrucken, den Verteidigungswillen der Soldaten förderten sie kaum. Als damals eine Bombe auf dem Marktplatz niederfiel, in unmittelbarer Nähe des Monarchen und einer Gruppe Offiziere liegenblieb, war der König wie gewohnt kaltblütig hinzugesprungen und hatte das Geschoß mit dem Fuß in eine Baugrube gestoßen, wo es schadlos explodierte. Auch andere Demonstrationen seiner Furchtlosigkeit bei verschiedenen feindlichen Aktionen änderten wenig, Angst und Verzweiflung der Stralsunder Bürger wuchsen. Deputationen der Bürgerschaft baten den Monarchen, die Festung zu verlassen, die Kapitulation zu erlauben. Am 11. Dezember hatte sich Karl XII. schließlich in das U nabänderliche gefügt, beschlossen, die verlorene Stadt über das Eis zu verlassen. Wie schon mehrmals vorher endete so ein weiterer Zyklus von Heldentagen "ohne Sinn und Verstand", wie es Jan Peters zusammenfaßt. Sinnlos für die Stralsunder gewiß, durch deren Stadt die dänischen, sächsischen und preußischen Geschosse "wie Schmetterlinge" flogen, wie Peters einen Briefschreiber in der belagerten Stadt zitiert (Peters, 157), sicher kein besonders überzeugender Vergleich in diesen Dezembertagen. Aber es war doch wie überall im schwedischen Staatsverband in diesen Tagen vor allem der "gemeine Mann ... übel zufrieden" (Peters, 157 f.), mehrten sich die Versuche der Soldaten zu desertieren. Wieder drohte die Gefahr, gemeinsam mit dem furchtlosen König in einem letzten Aufbäumen den Tod zu finden, war Perewolotschna für Dücker, Daldorf und andere gegenwärtig. So mag man auch hier sehr erleichtert gewesen sein, als der König in allerletzter Minute die Flucht beschloß. In der Nacht vom 11. zum 12. Dezember kündeten die Breschen im inneren Verteidigungsgürtel unwiderruflich den unmittelbar bevorstehenden Fall Stralsunds an, sammelten sich die gegnerischen Truppen zum Sturm, blieben nur noch wenige Stunden ... Um 2.00 Uhr morgens in dieser Nacht war Karls XII. kleine Schaluppe in den vorbereiteten Eiskanal geglitten, einige Meilen oberhalb Hid-
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densees warteten die schwedischen Schiffe auf den Monarchen. Schon nach einer Stunde mußten die Ruderer aufgeben, die Dämmerung abwarten, zu fest saß das Boot im Eis, mußte mit Äxten und Sägen bei Tagesanbruch die Weiterfahrt erzwungen werden. Für diese gefahrvolle Reise hatte Karl XII. nur den Kammerpagen J ohan Manderstierna und die Adjutanten Oberst von Rosen, den zweiten Begleiter auf dem Ritt von Demotika und Johan Otto von Düring, den Bruder seines gefallenen Reisegefährten, gewählt. Auf zwei Jachten folgten einige wichtige Kanzleibeamte und die Schar polnischer Offiziere, die nicht in die Hände des rachsüchtigen Königs von Sachsen und Polen fallen sollten, dazu die Gruppe türkischer Gläubiger. Als der Wind auffrischte, wechselte der König auf eine der beiden Jachten. Unter ständigem Geschützfeuer des Feindes quälten sich die Boote durch die Eisbarriere. Bald lagen zehn Tote in Karls XII. Jacht, wurde die Kanzleijacht unterhalb der Wasserlinie getroffen, mußten deren Insassen auf dem Eis weiterlaufen. Zwölf Stunden etwa währte der Kampf mit der Natur, endlich erreichte der Monarch den bei Hiddensee wartenden Prahmen "Walfisch", konnte in das freie Wasser entkommen. Ebenso gelang den übrigen die Flucht auf der verbleibenden Jacht. Vor der nahen schwedischen Küste bei Ystad wechselte Karl XII. auf die dort kreuzende "Snappupp", eine größere Jacht, die ihn und seine wenigen Begleiter am Morgen des 13. Dezember gegen 6.00 Uhr in schwerem Wetter bei T relleborg an Land setzte. Nach mehr als fünfzehn Jahren betrat der König wieder schwedischen Boden, erreichte am späten Nachmittag unerkannt Ystad, stieg in jenem Haus ab, das er "im Octobermonate" 1700 nach dem siegreichen Angriff auf Seeland vor dem großen Triumph von Narwa einige Tage bewohnte, wie sein Biograph Jöran Nordberg vermerkte (Nordberg, II, 620). Nun war er nicht mehr der hoffnungsvolle Jüngling, der auszog, europäische Geschichte zu diktieren, jetzt schrieben sie andere, war er ein Besiegter, dem die Feinde das Handeln aufzwangen. Um seinen Krieg zu rechtfertigen, hatte Preußens König in Wien erklären lassen, Schwedens Monarch habe "zu keinem Vergleiche im allergeringsten Neigung" gezeigt, seinem "blutdürstigem Gemüthe" habe der Kampf bis zum letzten Mann entsprochen (Nordberg, II, 625). Karl XII. hätte nur den "Untergang, durch Feuer, Mord und Raub, zum Endzweck" gehabt. So müsse es dieser König" vor Gott ... verantworten, wenn er es nicht in Güte abwendete". Selbst der französische
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Gesandte sei schließlich resigniert abgereist, weil der schwedische König unter keinen Umständen zum Frieden neigte (Nordberg, II, 625). Interessanterweise reagierte der in Harnburg wartende französische Vermittler hierauf mit einem Brief an den preußischen Minister Heinrich Rüdiger von Ilgen, in dem er vorgab, das Schreiben des preußischen Monarchen für eine Fälschung zu halten. .,Verständige Leute . . . entdeckten gar bald, daß es des Königs in Preußen und der Wahrheit Feinde ... wären, welche solche Briefe ausstreueten, die dem König keine Ehre brächten" (Nordberg, II, 626). Daher beschwor Croissy Minister von Ilgen, "aus Liebe für seinen Herrn" die Wahrheit darzustellen. Schließlich habe er im Namen Karls XII. wiederholt Friedensangebote unterbreitet, Wismar als Pfand bis zum Friedensschluß und eine Sequestrierung Stralsunds an eine Drittmacht angeboten. Friedrich Wilhelm I. hätte das jedoch abgelehnt, "er, der König in Preußen, würde keinen Frieden machen, bis von dem Könige in Schweden Liefland, Ingermanland, Esthland, ganz Pommern, Bremen, Verden und das Herzogthum Schleswig abgetreten werden". Daraus habe er, Croissy, schließen müssen, .,es wäre dem König in Preussen mit dem Frieden kein Ernst", er habe von Karl XII. etwas gefordert, was Schweden nicht besäße und folglich nicht abtreten könne, nämlich Schleswig! Von einer Resignation seinerseits könne aber keine Rede sein. Daher böte er erneut im Namen Frankreichs seine Mitwirkung für einen allgemeinen Friedensschluß im Norden an (Nordberg, II, 626). Deutlicher kann wohl die Heuchelei Friedrich Wilhelms I. nicht entlarvt werden. Preußens König war jedes Mittel recht, den Besitz Stettins und Pommerns bis zur Peene garantiert zu erhalten. Da scheute er auch keine leicht durchschaubaren Lügen . .. Ihm war aber klar, daß er sein Ziel nur dauerhaft vereinbaren konnte, wenn Schweden niedergeworfen und durch die Interessengemeinschaft aller an der Beute Beteiligten niedergehalten würde. Eine solche Politik, die selbst derartige Verleumdungen nicht ausließ, mußte die Verachtung Karls XII. für den "Brandenburger" steigern. So wie der König in Preußen sich gab, würde er, Karl XII., nie handeln, das wußte er, auch nicht für den Preis eines plötzlichen überraschenden Triumphs.
" ... so will S. Kgl. Maj .... ernstlich anbefohlen haben, daß alle Befehlshaber in den Landorten in jeder Weise bei der Werbung behilflich sein und dafür verantwortlich gemacht werden sollen, wenn mangels der Unterstützung, zu der sie kraft ihres Amts verpflichtet sind, verhindert wird, daß eine hinreichende Zahl tauglicher Mannschaft aufgebracht wird." Karl XII. über neue Rekrutierungen am 3. Januar 1716
Ein letztes Aufbäumen der Kampf Karls XII. um einen günstigen Frieden Schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Ystad sandte Karl XII. dem Architekten Nieodemus T essin eine Weisung, im Stockholmer Schloß eine Wohnung vorzubereiten. Er solle dabei bedenken, daß sein verletztes Bein beim Treppensteigen Mühe bereite. Deshalb wolle er möglichst zu ebener Erde wohnen. . Wenn er denn tatsächlich in diesen ersten Wochen nach der Heimkehr an eine baldige Reise nach Stockholm gedacht haben sollte, so wurde doch der Weiterritt in die Hauptstadt sehr schnell verschoben. Wohl hätte er gerne die Schwester wiedergesehen, aber "die Beschaffenheit der Zeiten läßt es mich höchst nöthig finden, daß ich noch ein wenig hier verweile, um einige kleine Veranstaltungen zu treffen, auch um nahe bei der Hand zu sein, wenn Nachrichten von der deutschen Seite eingehen .. .", schrieb der König bereits am 14. Dezember 1715, unmittelbar nach seiner Landung auf heimatlicher Erde (Carlson, 150). Noch am 23. Januar 1716 teilte Karl der Schwester mit, der Krieg erfordere, daß er sich "in Nähe der Grenze aufhalten und zunächst einige kleine Sachen erledigen muß", bevor er nach Stockholm weiterreisen könne. Kämen einige erwartete Zivilbeamte, "das zu schreiben, was nothwendi-
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gerWeise vorher erledigt werden muß", werde er" vielleicht nach irgend einem Seehafen reisen" (Carlson, 155). Möglich, daß Kar! XII. hier in Ystad nur die Neuformierung dernun bereits - dritten schwedischen Armee einleiten und dann von Stockholm aus den neuen Feldzug organisieren wollte. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß der König sehr schnell entschieden hatte, vorerst für längere Zeit am Ort des Geschehens zu bleiben. Und das sollte nach Meinung Karls XII. und seines militärischen Stellvertreters, des Schwagers und Erbprinzen von Hessen-Kassel, Südschweden sein. So gesehen war die Weisung an Tessin wohl eher ein Auftrag, der Zeit einräumte, kaum sonderlich eilig gewesen sein konnte. Schon am 23. Oktober 1715 war der Erbprinz in Ystad eingetroffen, um die nächsten wichtigen Entscheidungen abzustimmen, den Krieg gegen Dänemark zu intensivieren. In diesen Beratungen war der Plan gereift, durch einen Überraschungsangriff auf Kopenhagen den Verlust Stralsunds auszugleichen, zumindest wollte man Dänemark in Norwegen angreifen - und das so schnell wie möglich! Informationen eines desertierten dänischen Offiziers ließen Kar! XII. verstehen, ein Marsch über den zugefrorenen Öresund auf Kopenhagen schien möglich. Erinnerungen an die Landung auf Seeland im Sommer 1700, mit denen Karls XII. Glanzperiode als unbesiegter Kriegerkönig begann, mögen den Monarchen in jenen letzten Dezembertagen fünfzehn Jahre später bewegt, den Entschluß befördert haben. Der Krieg mußte weitergeführt werden, darüber waren sich Karl und der Schwager einig. Der Erbprinz hatte in Ystad über Schwedens militärische Ressourcen berichtet und den sofortigen Einmarsch in das fast ungeschützte Norwegen empfohlen. Schon im Herbst 1715 war Friedrich von Hessen in Stralsund für den Angriff auf Dänemarks Nordreich eingetreten, erwartete eine spürbare Entlastung Schwedens in Norddeutschland und vor Stralsund. König Friedrich IV. konnte unmöglich die Vernichtung seiner schwachen Verbände um Norwegens Hauptstadt Christiania und den Vormarsch schwedischer Truppen zur Nordseeküste zulassen. Englands Flotte mußte in diesem Fall vor der britischen und schottischen Küste kreuzen, jedes Eingreifen in den Seekrieg unterlassen, zu gefährlich war eine mögliche direkte Verbindung Schwedens mit den schottischen Rebellen ... das dicke Eis um die Jahreswende erlaubte noch kühnere Pläne! König und Erbprinz erschieden sich für zwei Varianten. Während sich vorerst ein schneller Marsch über die Insel Ven mitten im Öresund auf Kopenhagen denken und vorbereiten ließ,
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wurde ein Angriff ins Innere Norwegens nicht ausgeschlossen, gleichfalls festgelegt. Der Erbprinz sammelte Truppen in Südschweden, konzentrierte eine Heeresmacht bei der Festung Landskrona, bereit, sowohl nach Westen als auch nach Norden zu marschieren. Eine kleine Abteilung schwedischer Soldaten rückte über das Eis zur Insel Ven vor, der Weg nach Kopenhagen schien offen. In Dänemarks Hauptstadt wuchs die Nervosität, lebte die Angst des Jahres 1700 wieder auf. Arbeitskommandos versuchten, das Eis vor Seelands Stränden aufzusägen ... Da brach in schweren Stürmen zwischen dem 9. und 11. Januar 1716 die gefrorene Decke des Öresunds auf, die unmittelbare Gefahr für Kopenhagen war gebannt. Auch heute sind die Historiker sich nicht einig, ob Karl XII. mit diesem Eismarsch über den Sund lediglich von dem Norwegenfeldzug ablenken wollte. Kar! X. Gustav, der Großvater, hatte zwei Generationen vorher durch einen ähnlichen Schlag über den zugefrorenen Belt Seeland erreicht und Dänemark schwer erschüttert. Natürlich mußte ein Zug nach Seeland in diesen Tagen immer auch das Risiko einschließen, hinter Karl XII. könnte die "Brücke" über den Sund zerbersten, der Monarch dann mit einem zahlenmäßig kleinen Teil der schwedischen Armee auf Seeland von seinen schwedischen Basen abgeschnitten sein, eine Isolierung wie in Pommern nicht auszuschließen wäre. Doch war die Entfernung zwischen Südschweden und Seeland ungleich geringer, die Eroberung des nur schwach besetzten Kopenhagens auch das Ende der in den Winterquartieren wartenden dänischen Flotte, ein Triumph, der das Kräfteverhältnis in der Ostsee entscheidend verändern würde ... Es ist wohl anzunehmen, daß ein so entschlossener Feldherr wie Karl XII. vor diesem Risiko kaum zurückschreckte. Der Weg der alliierten Gegner über Jütland und den großen Belt nach Seeland war weit, ohne Unterstützung einer bedeutenden Seemacht war er - sollte das Eis hier aufbrechen - in diesen Wintertagen kaum zu wagen. Schon Albrecht von Wallenstein hatte 1628 seinen dänischen Feind Christian IV. von Jütland aus nicht angreifen können. Die Insel Seeland war eine nahezu uneinnehmbare Festung ohne Flottenunterstützung ... so dürfte der Wetterumschwung diesen kühnen Plan eines direkten Vorstoßes in das Herz Dänemarks verhindert, den schwedischen Herrscher endgültig auf Norwegen fixiert haben. Zwei wesentliche Ziele wollte Kar! XII. mit diesem Winterfeldzug zu Beginn des Jahres 1716 erreichen. Noch immer galt ihm die Devise 14 Findeisen
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als beste Lösung für das arme Schweden, der Krieg müsse die Armee im Ausland ernähren, erspare dem Land unerträgliche Kosten. Als der Monarch am 26. Februar den Vormarsch auf Christiania, dem heutigen Oslo, begann, sollten Dänemarks norwegische Südprovinzen Fourage, Unterkünfte und Geld aufbringen. Wichtiger aber war noch die zweite Aufgabe, die Karl XII. lösen mußte. Es galt, die seit längerer Zeit angekündigte Landung russischer und dänischer Truppen in Südschweden zu verhindern. Der König hatte in wenigen Tagen etwa 3 000 Soldaten in Värmland an der norwegischen Grenze gesammelt, General Karl Gustav Mörner stieß von Vänersborg am See Vänern in Richtung auf das norwegische Moss über die Grenze vor, passierte schnell die gefährliche norwegische Festung Fredriksten über der Stadt Fredrikshall. Beide Armeekorps wollten sich in Christiania vereinigen. Ein Scheinangriff durch 800 Kavalleristen südlich des Svinesunds auf Rövos sollte das dänische Oberkommando der Norwegenarmee verunsichern, schnelle Abwehrmaßnahmen vor Christiania erschweren. Eine Proklamation Karls XII. an das norwegische Volk verkündete, die Schweden kämen nicht als Eroberer. Plünderungen und Bedrückungen würden ausgeschlossen, wenn die Nordmänner pflichtgemäß ihren Beitrag zum Unterhalt der schwedischen Armee entrichteten. Im übrigen, so meinte man im schwedischen Kommando, könne es den Bauern zwischen Glommen - dem grenznahen Strom - und der Hauptstadt Christiania wohl höchst gleichgültig sein, ob sie ihre Steuern zukünftig König Karl XII. oder dem Monarchen im fernen Kopenhagen abliefern sollten. Erste Zusammenstöße mit den geringen norwegischen Streitkräften offenbarten jedoch einen beachtlichen Widerstandswillen der Angegriffenen. In dem kleinen Ort Höland leistete der dänische Oberst Ulrich Christian Kruse erbitterte Gegenwehr, wurden Karls XII. Generäle Fürst Poniatowski und der Erbprinz von Hessen schwer verwundet, konnte der schwedische Herrscher nur im kühnen Gegenstoß seiner wie immer zu schwachen Voraustruppen den mutigen Dänen zurückwerfen, den verletzten Oberst gefangennehmen. Wenig später bescheinigte der König Kruse in einer Urkunde, "daß er in dem, was vorgefallen, alles gethan, was einem braven und redlichen Offizier zu käme" und gab ihn frei (Nordberg, II, 642). Einem tapferen Feind begegnete Karl XII. allzeit ritterlich. Auch hier achtete er Mut und Konsequenz als höchst männliche Tugend und gestand auch diesem Gegner ehren-
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volle Behandlung zu, teilte im übrigen auch diesmal vom ersten Tage an Mühsal und Gefahren mit seinen Soldaten. Sicher auch ein Grund für die offenbar noch immer in der schwedischen Armee fortlebende Zuneigung der einfachen Soldaten für den König. So schrieb beispielsweise der Soldat Erik Vitlock dem Pfarrer in Nyköping, Gott sei es gedankt, daß "wir unsern gnädigen König mit uns haben. Er kümmert sich sehr um uns" (Aberg, 162). Tatsächlich hatte Karl XII. im hohen Schnee seinen im Gänsemarsch folgenden Soldaten den Weg gebahnt. Raubes Winterwetter mit starken Schneestürmen hatte den schwedischen Angriff auf Christiania nach dem Gefecht mit Kruses Kontingent für einige Zeit gestoppt. So fand der dänische Oberbefehlshaber Zeit, sich auf die Festung Akershus in Christiania zurückzuziehen, neue Linien tief im Land aufzubauen. Die Besetzung der Hauptstadt konnte er nicht verhindern. Im übrigen war die dänische Situation trotz der ersten Erfolge des schwedischen Königs so kritisch nicht. Die notwendige Eile des Überraschungskrieges hatte Karls XII. Vorbereitungen auf ein Minimum begrenzt. General Mörner hatte das schwere Geschütz im tiefen Schnee zurücklassen müssen, Karls Korps hatte keine Artillerie mitgeführt. Eine Belagerung des gut versorgten Akershus konnte somit nicht begonnen werden. Die dänischen Kanoniere schossen gut, die Verluste der Schweden stiegen rasch. Der Soldat Olof Vängelsson schrieb seiner Frau in Vällingen in Dalsland über die schweren Tage in Christiania. Die Dänen schossen "vom Schloß und eine Kanonenkugel schlug mir den Hut vom Kopf, einer wurde verwundet, aber nicht aus meiner Kompagnie". Peter Wallin berichtete seiner Frau in Västergödand über große Verluste seiner Einheit, er selbst leide jedoch keine Not, sie solle sich um ihn nicht sorgen ... (Aberg, 162). Briefe, die wohl dokumentieren, daß die schwedische Armee vor und in Christiania auf härteren Widerstand stieß als erwartet. Schon nach einem Monat mußte Kar! XII. am 18. April Christiania räumen, zu hoch waren die Verlustzahlen, zu stark die aus Dänemark herübersegelnden Verstärkungen. In diesen Tagen scheiterte ein schwedischer Vorstoß auf die dänische Riegelstellung bei Gjellebekk am westlichen Ufer des heutigen Oslofjords. Der Kampf endete mit der Gefangennahme Oberst Löwens, des Helden vom Ruden. Der Generalmajor Christian Ludwig von Ascheberg, verantwortlich für die Sicherung der Verbindungen nach Schwe-
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den, wich wegen eines Gerüchts einer dänischen Landung bei Fredrikstad furchtsam auf schwedisches Territorium zurück. Schweden verlor Anfang April in Moss mehr als 600 Mann mit dem tapferen Oberst Falkenberg ... Solche Fakten zwangen selbst Otto Haintz, Karls XII. strategische Überlegungen für diesen Feldzug nachdenklich zu diskutieren. Die Belagerungsartillerie konnte lediglich auf dem Wasserweg von Göteborg herangebracht werden, mußte auch er einräumen. Der Mangel an Geld und Ausrüstungen für dieses Geschwader sollte Karl XII. wohl doch bewußt gewesen sein. Der König habe offensichtlich ,.damit gerechnet, es werde trotz aller Schwierigkeiten doch möglich sein, einige der größeren Kriegsschiffe von Göteborg in Konvoifahrt für Artillerietransporter noch vor dem Eintreffen eines überlegenen dänischen Geschwaders nach Christiania heranzubringen". Sonst wäre, folgert Haintz, der Angriff auf Norwegens Hauptstadt ,.ein bloßes Spiel mit dem Kriegsglück gewesen", das er Karl XII. nicht zutraue, denn dessen frühere Feldzüge hätten doch gezeigt, er habe ,.niemals die Berechnung aller Eventualitäten verabsäumt" (Haintz, 3, 95) ... Nun ja, da kann und muß der Leser wohl zweifeln! Die von Haintz angeführten Fakten und der fast rührend wirkende Appell an den Betrachter, König Karl XII. doch keine Versäumnisse oder gar leichtfertiges Handeln zu unterstellen, können den inneren Widerspruch nicht auflösen, abgesehen von Fehlern während des Rußlandfeldzuges. Den Widerstandswillen der Norweger und die Schwierigkeiten der Kriegführung haben der schwedische König und der Erbprinz von Hessen offenkundig nicht real eingeschätzt. Nachdem statt der Göteborg-Flotte ein dänisches Geschwader die See vor dem Oslofjord beherrschte, Anfang April dänische Truppen nahe Drammens und bei Fredrikstad gelandet waren, mußte sich Karl XII. in Eilmärschen zum Glommen zurückziehen. Hier am Fluß bei Sandsud leistete der Monarch erneut Übermenschliches. Unter Einsatz seines Lebens führte er die Reste der schwedischen Armee über den Fluß, sein erschossenes Pferd blieb zurück, der gestürzte König humpelte wieder einmal mit verrenktem rechten Fuß, den Schmerz verleugnend, zu seinen Soldaten. Und erneut fühlten die Gemeinen und Offiziere, ihr Herrscher schonte sich nicht, wagte sein Leben für sie. Und wohl kaum einer fragte, warum Karl XII. sie hierher zum Glommen geführt hatte, ob dieser Krieg für Schweden lebenswichtig war, welchen Preis die schwedischen Bauern und Bürger für ihres Königs Feldzug zu zahlen hatten.
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Von seinem neuen Hauptquartier in T orpum bei Fredrikshall bereitete der Monarch sofort neue Angriffe vor. Angebliche norwegische Überläufer hatten die Kunde gebracht, die Festung Fredriksten sei nachts von wenigen Soldaten bewacht, die Mehrheit der Garnison schlafe in der Stadt. So könne man die kleine, aber wichtige Festung leicht überrumpeln, benötige keine Belagerungsgeschütze und gewönne eine bedeutende Position auf norwegischem Boden für einen neuen Feldzug in nächster Zukunft. Karl XII. wurde versichert, der heimliche Anmarschweg seiner Soldaten sei bei Dunkelheit leicht zu bewältigen, die Angreifer würden in die Stadt eindringen und den Überraschten den Weg in die Festung versperren können ... 1 800 Infanteristen und 400 Reiter durchquerten, von Norwegern geführt, in der Nacht vom 23. zum 24. Juni den Tistedalfluß südlich Fredrikshall. Karl XII. hatte dem Vorschlag zugestimmt, einen Umweg von zwanzig Kilometern zu marschieren, um die norwegischen Wachen nicht zu warnen ... Steile Höhen verrieten bald die Absicht der einheimischen Führer, die nun eiligst das Weite suchten, den König und seine Soldaten sich selbst überließen. Nach halsbrecherischem Abstieg- auch jetzt ging Karl XII. "mit seinem Beyspiele" voran (Nordberg, II, 651)- erreichte das kleine Korps die Stadt erst bei Sonnenaufgang. Drei Kanonenschüsse empfingen die Schweden. Wohl konnten Karl XII. und seine Truppen die Stadt erstürmen, die Festung blieb jedoch verschlossen und leistete Widerstand. Und auch hier trafen die norwegischen Geschütze gut. Als die Bürger Fredrikshalls die Holzhäuser ihrer Stadt am Nachmittag des 24. Junis anzündeten, mußten die Schweden auch diesen Platz aufgeben. Damit war die letzte Chance dahin, den Feldzug 1716 wenigstens mit einem Teilerfolg abzuschließen, verloren auch die Hoffnung, durch eine anschließende Belagerung diesen wichtigen Punkt im dänischen Abwehrsystem vor Christiania einzunehmen. Am 27. Juni war der dänische Kapitän Peter Wessel, soeben mit dem Namen Tordensköld geadelt, mit einigen Kriegsschiffen überraschend in den Fjord Dynekiel am Eingang des Svinesunds eingedrungen. Dort lag seit kurzer Zeit ein kleines Geschwader Göterborger Transporter mit schwerer Artillerie, deren Geschütze in den nächsten Tagen zur Festung heraufgezogen werden sollten. Nach dreistündigem Gefecht hatten die Dänen die
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zwölf schwedischen Schiffe vernichtet und das Belagerungsgeschütz erbeutet. Karl XII. mußte sofort den Rückzug befehlen. Am 28. Juni überquerte die erfolglose schwedische Armee den Svinesund. Die Korps verharrten an der schwedisch-norwegischen Grenze. Der neue Feldzug sollte gründlich vorbereitet werden, so wollte es der König. Eine der ersten Maßnahmen Karls XII. war der Befehl, die Festung Sundsborg am Svinesund als Basis für den nächsten Angriff auf Norwegen anzulegen. Das Drängen des langsam genesenden Erbprinzen von Hessen, sofort nach Südschweden zu eilen, drohenden Gefahren einer russisch-dänischen Landung entgegenzuwirken, nahm Karl XII. nicht sonderlich ernst. Er glaubte nicht, daß der Zar die besten russischen Truppen dänischen Wunschvorstellungen aufopfern würde. Schließlich, so argumentierte er, war ein Angriff überhaupt nicht möglich. Die dänische Flotte kreuzte noch vor der norwegischen Küste und die gegnerischen Truppen würden wohl kaum durch den Sund schwimmen Die Absicht in Karls XII. Konzept, die Dänen zu binden, war aufgegangen. So schien es vorerst ausreichend, einige Regimenter nach Skane zu beordern, die dort stationierten Einheiten zu verstärken. Im übrigen waren die Weisungen des Monarchen eindeutig! Sollten die Feinde in Südschweden einfallen, würden Lund, Landskrona und Helsingsborg aufgegeben, die beiden Letzteren, Festungen, niedergebrannt, der Rückzug ins Innere des Landes angetreten, die südschwedischen Provinzen durch das zurückweichende Heer so verheert, daß Zar Peter und König Friedrich dort keine Lebensmittel und Unterkünfte finden würden. Er, Karl XII., hatte ja in Rußland und der Ukraine gelernt, wie man einen starken Angreifer schwächen könne ... Außerdem waren deutliche Risse in der Koalition auch Karl XII. nicht verborgen geblieben. Aufmerksame Beobachter hatten längst registriert, daß sich Zar Peter und König Georg I. nicht sonderlich mochten. Dänen, Preußen und Sachsen sahen mit wachsender Sorge das mehr als ungezwungene Verhalten des russischen Herrschers. Vor allem Dänemark klagte unüberhörbar über den Preis, der für den russischen Bundesgenossen zu zahlen war. Nein, vorerst schien das Risiko im südlichen Schweden nicht sonderlich hoch. Karl XII. beschloß, endlich dem Wunsch Ulrika Eleonoras auf ein Wiedersehen mit dem Bruder zu entsprechen. Allgemein bekannt und immer wieder breit berichtet ist in Schweden der abenteuerliche Alleinritt des Herrschers zu seiner Schwester am
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30. August 1716. Ulrika Eleonora wartete im Schloß zu Vadstena am meerähnlichen Vätternsee. Karl galoppierte über Strömstad, Uddevalla und Vänersborg ins kleine Hjo, beredete, ja beschwor dort einen Fischer, ihn trotz der tobenden Elemente über das wildbewegte Wasser zu rudern, sprang bei Hästholmen an Land, stürzte schließlich verdreckt und durchnäßt am Abend in den Kreis der erschreckten Hofdamen, überraschte die Schwester. Wie so vieles im Leben dieses berühmtesten schwedischen Herrschers ist auch dieser Kurzbesuch geheimnisumwittert geblieben. Aus einem Brief Ulrika Eleonoras an den Erbprinzen von Hessen in Kristianstad und ihre Anmerkungen zu Jöran Nordbergs Biographie ihres Bruders 1740 erfuhren schon die Zeitgenossen von tiefverwurzelten geschwisterlichen Gefühlen der beiden. Natürlich ist es möglich, daß Ulrika Eleonora die Reaktionen Karls XII. überzeichnete. Beide seien in Freudentränen ausgebrochen. "Seine Stimme stockte und die Tränen waren nicht weit, als der Name der Mutter erwähnt wurde" (Hatton, 479). Ja, die Erinnerung an die geliebte, viel zu früh verstorbene Mutter mag Karl XII. ebenso heilig gewesen sein wie der Gedanke an die ältere Schwester, deren Sohn er mit stetig gleichbleibender Neigung bedachte. Und nichts spricht dagegen, daß dem König auch die wenigen Stunden mit Ulrika Eleonora, der jüngeren Schwester, der er immer vertraute, zärtliche Briefe schrieb, zu Herzen gingen. Nach dem Abendessen am 31. August gegen 22.00 Uhr schwang sich Karl XII. wieder in den Sattel, ritt fort auf Jonköping zu, von dort weiter nach Skane. Die Legende berichtet, er habe Vadstena auf dem nun steinalten "Brandklepper" verlassen, dem berühmten Pferd des Vaters aus der Schlacht bei Lund. Ulrika Eleonora habe das Pferd eigens für den Bruder nach Vadstena führen lassen. Es war 1716 von den Tataren - die es nach der Kalabalik besaßen - zurückgekauft und als lebendes Denkmal einstiger, zäh bewahrter schwedischer Größe heimgebracht, wohl denkbar, daß die Schwester dem Bruder so Trost und Siegeszuversicht bedeuten wollte. Sicher allerdings ist es keineswegs. Einerlei, nach kurzem Umweg über die Küstenbefestigungen bei Helsingborg erreichte der König am 6. September Lund. Hier sollte für mehr als zwei Jahre das Hauptquartier der schwedischen Armee zur Abwehr der angekündigten und vorbereiteten Landung der Feinde sein. Es liest sich jedoch wie ein Treppenwitz der Geschichte, daß Karl XII. ausgerechnet an jenem Tag in Lund eintraf und die Leitung der
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Abwehr feindlicher Operationen in Südschweden übernahm, als Zar Peter Engländern und Dänen bekundete, für dieses Jahr sei es bereits zu spät, das Landungsunternehmen zu wagen. Die Weigerung des Zaren, seinen Verpflichtungen nachzukommen, die gewaltige russische Armee in Seeland einzuschiffen und über den Sund zu senden, hat die Historiker immer wieder zu Interpretationen veranlaßt. Peter hatte in der Tat gewichtige Gründe. Kurze Zeit nach seiner Abreise aus Kopenhagen hat er in Schwerin seine Entscheidung begründet, er habe nicht für die Dänen "in das Feuer laufen wollen" und auf seine Sorgen verwiesen, in Skane auf Karl XII. zu treffen. Warum sollte er "alles auf das Spiel setzen, ohne einen glücklichen Erfolg vor Augen zu sehen" (Nordberg, II, 666). Er hat dabei seine Erfahrungen am Prut angeführt und sich geweigert, Krieg ohne Versorgungsmagazine zu führen. Auch habe er bei der Belagerung Wismars vermerken müssen, daß ihn seine Verbündeten um die Früchte des Sieges hätten betrügen wollen. Außerdem wolle "er Dänemark nicht ... zum Herrn und Meister des Sundes" machen (Nordberg, II, 668). Zurück verblieben verstimmte Engländer und empörte Dänen, als der Zar absegelte. Karl XII. konnte frohlocken, die angedrohte Landung im Frühjahr 1717 blieb mehr als fragwürdig, nachdem auch der Bitte Zar Peters von Dänemarks König nicht entsprochen wurde, die russische Flotte und 20 Bataillone einschließlich 1 000 Pferde in Winterquartieren auf Seeland zu unterhalten. Die Bedenken des Zaren waren wohl wirklich nicht grundlos. Nicht wenige Kenner der schwedischen Geschichte haben vermutet, daß König Karl XII. eine Landung seiner Feinde direkt erhofft habe. Eine mit dem Rücken zur heimatlichen Hütte kämpfende, von ihm geführte schwedische Armee sollte wohl zu ähnlichen Leistungen fähig sein, wie es seinerzeit General Stenbock bei Helsingborg bewies. Die Landung russischer Truppen, deren Kampfweise in Finnland schreckliche Verwüstungen zurückgelassen hatte, mußte den Widerstandswillen des schwedischen Volkes in besonderer Weise stimulieren. Das spürte auch der große Zar. So sollte wohl ·doch ein Zusammenhang zwischen der Ankunft Karls XII. in Lund und dem Entscheid Peters gesehen werden. Dann war es auch nicht vordergründig der Wunsch des russischen Herrschers, in Dänemark Fuß zu fassen, als er am 13. September von Friedrich IV. forderte, "daß ihm der König in Dänemark wollte zwey Thore in Kopenhagen überlassen, und eine kleine Besatzung mit in der Stadt zustehen, damit er ... wenn es un-
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glücklich ablief, eine sichere Zuflucht hätte" (Nordberg, II, 663). Zar Peter wußte wohl, daß der Schwedenkönig nicht besiegt und ein Angriff in der Höhle des schwedischen Löwen ein lebensbedrohliches Unterfangen war. Längst war den Koalitionspartnern klar geworden, daß ihre Hoffnungen Illusionen waren, Karl XII. könnte nach dem Fall von Stralsund zu einem Verzichtfrieden geneigter sein. So bröckelte das Bündnis schnell. Preußens Friedrich Wilhelm ließ keinen Zweifel daran, daß er zu einem Krieg in Schweden nicht bereit war. Ebenso hatte sich August von Sachsen-Polen zurückgezogen. England-Hannoverund Rußland wünschten ihrerseits, die Eroberungen möglichst in einem günstigen Friedensvertrag mit Karl XII. zu sichern und beide Mächte waren bereit, die Interessen des anderen des eigenen Vorteils wegen zu opfern. Karls Biograph Nils Bain bemerkte schon 1895 sehr einleuchtend, dem König sei nun klar gewesen, er dürfe seine Feinde vor allem nicht "spüren lassen, wie erschöpft das Land wirklich war. Je mehr es sich in Waffen zeigte, je drohender seine Haltung war, desto wahrscheinlicher würde es sein, daß es sich Respekt erwerben und Frieden zu akzeptablen Bedingungen erhielte. Aber seine Ressourcen waren nun so gering und der Zustand des Landes so erbärmlich", daß Karl XII. endlich verstand, daß er nur noch um den bestmöglichen Kompromiß kämpfen konnte. Die Einnahmen aus den Steuern des Jahres 1716 waren bereits vorzeitig verbraucht, neue Gelder "konnten nur mit äußerster Schwierigkeit eingetrieben werden; die Bauern flohen zu Hunderten in die Wälder und verstümmelten sich sogar, um die Rekrutierung zu vermeiden" (Bain, 269). Teilweise leistete der Adel bereits bewaffneten Widerstand gegen Einschreibungen seines Hofgesindes. Ein holländischer Reisender, Justus von Effen, berichtete über Eindrücke einer Schwedenfahrt 1719. Er habe immer nur Greise oder Kinder als Kutscher der Postwagen gesehen. Häufig seien es sogar kleine Mädchen gewesen, die die Pferde gelenkt hätten. "In ganz Schweden sah ich keinen einzigen jungen Kerl zwischen 20 und 40 außer den Soldaten. Der grausige Krieg hat nahezu die gesamte Jugend in diesem unglücklichen Reich gekostet . . . Das ganze Reich ist auf eine unglaubliche Weise brach, oft fanden wir bei der Ankunft auf einem Herbergshof weder Volk noch Pferde" (Jonasson, 88). Zweifellos wären van Effens Beobachtungen und Schlußfolgerungen kaum anders ausgefallen, hätte er seine Reise ein Jahr vorher, während
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der Vorbereitungen des zweiten Norwegenfeldzuges bzw. in jenen Wochen angetreten, als Karl XII. seine letzten Armeen in Süd- und Mittelnorwegen angreifen ließ. Möglicherweise hätte van Effen dann nicht einmal junge Männer in Uniformen erblickt. Die katastrophale Lage Schwedens war nach einigen besseren Ertragsjahren durch Mißernten seit 1716 weiter verschärft worden. Berichte der Landeshauptleute im Herbst 1717 belegen einen erschrekkenden Mangel an Saatgetreide. Schwedische Historiker vermuten, der Ernteertrag der Jahre 1717 und 1718 "muß noch geringer gewesen sein als 1709- 10 und in bestimmten Landesteilen ebenso schrecklich wie während der Mißernteperiode 1695- 97" (jonasson, 88). Der Verlust der Ostseeprovinzen und die Blockade durch dänische und englische Kriegsschiffe steigerten den Mangel. Strenge Exportbeschränkungen und staatlich verordnete Maximalpreise konnten die Not der Besitzlosen nur wenig lindern. Die Kirchenbücher und Aufzeichnungen der Behörden vermelden eine erneute starke Sterblichkeit. Ein allerdings sehr unsicheres Zahlenmaterial weist für 1697 etwa 1 363 000 Menschen aus und beziffert die Summe für 1718 nur noch auf 1 205 000 Einwohner. Mißernten, Pestepidemien und die Verluste in den ständigen Kriegen Karls XII. hatten einen schmerzlichen Tribut gefordert. Seit Anfang September 1716 leitete Karl XII. von Lund aus die Reorganisation der schwedischen Armee. Er sandte Schreiben auf Schreiben mit Forderungen an die Landeshauptleute und regionalen Militärbefehlshaber, die Rekrutierungen zu beschleunigen. Experten schätzen, daß auf diese Weise bis zum Herbst 1718 noch einmal etwa 60 000 Soldaten in Schweden bewaffnet und notdürftig ausgebildet wurden, oftmals jedoch unzureichend ausgerüstet und uniformiert. So mußte auch Frans G. Bengtsson Dokumente anführen für wachsende Unlust der schwedischen Bevölkerung, in weiteren Schlachten ihres Königs den blaugelben Rock zu tragen. Damals - so berichtete dieser Biograph Karls XII. - schrieb der Schulmeister eines kleinen Ortes ein Gedicht auf den Tod des Küsters. Glücklich sei der Tote bei den Engeln zu preisen, während sein Amtsnachfolger "bei den Soldaten" ein ungleich traurigeres Schicksal zu vergegenwärtigen habe (Bengtsson, 524). Sicherlich ein überzeugender Beleg für die Haltung selbst jener Menschen, die bisher ergeben hinter ihrem König standen, eines von vielen ungezählten Beispielen dafür, daß die Geduld des schwedischen Volkes allmählich eine letzte Grenze erreichte. Doch ein unduldsamer König
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trieb mit eisernem Willen die Kriegsvorbereitungen weiter, setzte aber gleichzeitig zunehmend auf diplomatische Ränke, die Front seiner Gegner zu splittern. Baron Görtz war mit weitreichenden königlichen Vollmachten nach Holland gereist, um hier neue Allianzen, Separatfriedensschlüsse und Hinhaltetaktiken zu diskutieren. Und er war in der Tat ein Meister der Diplomatie. Wohl nicht zu Unrecht bezeichnete Nils Bain den "Großwesir" -wie Karls XII. empörte Ratsmitglieder den verhaßten "Ausländer" und Vertrauten des Königs titulierten - als "den geborenen Diplomaten, der zwanzig Mal mehr tat als T alleyrand oder Metternich, mit nicht einem Zwanzigstel ihrer Ressourcen" (Bain, 278). In einem ersten Gespräch mit dem Zaren am 16. Juni 1716 sondierte Görtz die Friedensbereitschaft Rußlands. Gezielte Indiskretionen über die entsprechenden Neigungen des Zaren elektrisierten die anderen Alliierten. Der Baron beherrschte das Spiel, wußte wohl um die persönlichen Abneigungen Zar Peters und Königs Georgs. Sofort ließ England über Schwedens Botschafter in London signalisieren, daß es bei schwedischem Verzicht auf Bremen und Verden seine Verbündeten verlassen und Frieden mit Karl XII. schließen würde. Görtz konnte zufrieden sein, die Dinge entwickelten sich prächtig. Da strandete in schwerer See eine schwedische Postjacht vor der norwegischen Küste und der inzwischen ebenfalls höchst beunruhigte dänische Monarch las bald darauf mit ungetrübter Freude von gleichzeitigen Unterhandlungen der Herren Görtz und Gyllenborg, dem Londoner Botschafter Schwedens, mit Vertretern der schottischen Stuarts in Holland und England. Von viel Geld für Schweden war da die Rede, Schiffe sollten in Holland erworben werden für Karl XII., Waffen gekauft, "12 000 Mann, mit Waffen für 30 000" sollten in Schottland landen und- so verstand Friedrich IV. sogleich- der Kern für die Armee gegen König Georg I. sollten schwedische Soldaten sein. Karl XII., dies glaubte man in Kopenhagen und bald darauf auch in London ganz sicher zu wissen, war informiert und billigte die Verhandlungen seiner Vertrauten. Tatsächlich hatte Graf Gyllenborg schon seinerzeit in Stralsund beim König anfragen lassen, ob er denJakobiten 6 000 schwedische Soldaten versprechen dürfe. Und Schwedens Gesandter in Frankreich, Graf Erik Sparre, hatte 1716 eine ähnliche Anfrage nach Schweden gerichtet. Beide Vorschläge waren allerdings von Karl XII. ablehnend beantwortet worden.
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Soweit so gut für König Georg! Aber seine holländischen Agenten wußten diesmal zu berichten, daß Baron Görtz 80 000 Reichstaler von Vertretern des schottischen Thronprätendenten Jakob Eduard Stuart empfangen und bereits den Kauf von 6 Kriegsschiffen hier im Haag vereinbart hatte. Eile schien geboten und Englands Vertreter in Holland handelten sofort, erwirkten die Festnahme des allzu agilen Görtz. Obwohl dieser, von der Verhaftung Gyllenborgs in London benachrichtigt, sofort zur deutschen Grenze aufgebrochen war, ergriffen ihn seine Verfolger am 30. Januar 1717 unmittelbar vor der deutschen Stadt Arnheim. Die erhofften Papiere belastender Natur fanden sie nicht, der gewiefte Baron hatte alles vernichtet. Grund genug für den Zaren, nun seinerseits die Holländer zu drücken, die unverzügliche Freilassung des "Großwesirs" zu fordern. Als Karl XII. die jakobitische "Anleihe" sofort zurückzahlen ließ, durch die französische Krone verbindlich erklärte, er habe eine solche Verschwörung gegen König Georg weder initiiert noch plane er jetzt die Teilnahme, da mußte Görtz am 21. Juli 1717 aus dem ohnehin sehr freien holländischen Arrest entlassen werden, kehrte auch Gyllenborg nach Schweden zurück. Interessanterweise belobigte Karl XII. seinen Gesandten demonstrativ für treue Dienste. Die beste Kennerinder englischen Quellen zur damaligen schwedischen Geschichte, Ragnhild Hatton, hat belegen können, daß Karl XII. eine Landung in Schottland niemals plante und daß die englische Regierung dies wohl wußte. Georg I. wollte die Unruhe im englischen Parlament lediglich zur Verteidigung seiner antischwedischen Politik nutzen und so den Gegensatz zwischen seinen hannoveranischen Wünschen und den britischen Interessen verschleiern. Doch gelang es ihm lediglich, im Februar 1717 eine Totalblockade der schwedischen Küsten im Unterhaus durchzusetzen, die erhoffte Kriegserklärung wurde abgelehnt. Verwirrende Gesprächsrunden des gewandten Görtz mit dem Zaren und gleichzeitig neuerliche Unterredungen mit englischen Unterhändlern beherrschten das politische Leben der Jahre 1717 und 1718. England wurde Bremen und Verden im Tausch gegen dessen Zustimmung einer schwedischen Eroberung Norwegens und Bornholms angeboten, einem Vorschlag, den König Georg schweren Herzens zurückweisen mußte. Baron Görtz, der auch die Verhandlungen mit England kontrollierte, hatte sich zwischenzeitlich auf dem holländischen Schloß Het Loo mit
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Zar Peter einigen können, auf den Alandinseln mit direkten Friedensverhandlungen zu beginnen. Dänische Vorwürfe hatten den Zarentrotz lauter Freundschaftsbeteuerungen nur weiter an die schwedische Seite gedrängt. Karl XII. sei ein zuverlässiger Partner, lobte der Zar nun seinen gefährlichen Widersacher. Auch Rußlands Kräfte waren erschöpft. Der Zar hatte erreicht, was er wollte und nun bereiteten Peter die Intrigen der "Altrussen" große Sorgen. Diese bedienten sich des Zarewitsch Alexej und wünschten die Rückkehr zu einem Rußland vor Peters Reformen. Im Mai 1718 begannen Görtz und der russische Beauftragte Baron Andrej Ostermann mit ihren Delegationen die Verhandlungen in Lövö auf Aland. Bis heute haben die Historiker keinerlei Instruktionen Karls XII. an seinen "Großwesir" gefunden. Doch sind seit geraumer Zeit zwei unterschiedliche Korrespondenzreihen des Barons an den Monarchen bekannt. Während die eine Serie der offiziellen, mit angeblichen russischen Zugeständnissen gefüllten Berichte des Barons über Kanzler von Müllern an den König geleitet wurde, scheinen die parallelen Rapporte streng vertraulich von Görtz an Karl XII. direkt gesandt worden zu sem. Dieses Verfahren kann wohl nur so gedeutet werden, daß Görtz und Karl XII. bewußt eine Desinformation bestimmter Kreise der Hofkanzlei und des Hofes wünschten. Zwei Parteien standen sich in nächster Umgebung Karls XII. als Rivalen gegenüber. Sie prioritierten jeweils den anderen Verhandlungspartner. Natürliche Gegner in der Frage einer eventuellen Thronfolge bei einem frühen Tode des Königs waren einerseits Ulrika Eleonora und ihr Gemahl, der Erbprinz von HessenKassel, und der junge Herzog von Holstein-Gottorp, Karls Neffe und Sohn der geliebten älteren Schwester andererseits. Baron Görtz lehnte als erster Minister Holstein-Gottorps und "Privatbeauftragter" Karls XII. eine Lösung ab, die einen Separatfrieden mit Dänemark erstrebte. Görtz beabsichtigte, eine Ehe zwischen seinem Holsteiner Fürsten und einer T echter des Zaren anzubahnen, Rußland so in eine Front gegen England und Dänemark zu manövrieren, das Baltikum für schwedische Gewinne in Norwegen und Deutschland einzutauschen. Mit Hilfe des Zaren sollten Pommern, Bremen, Verden zurückgewonnen, HolsteinGottorp als souveräner Staat wiederhergestellt, Mecklenburg eventuell im Tausch gegen baltische verlorene Provinzen erworben werden. Dafür schien Görtz die Aufgabe Ingermanlands, Livlands und Teile Kareliens diskutabel.
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Der Erbprinz versuchte einerseits, Karls XII. Interesse vom Erwerb Norwegens auf eine Fortsetzung des Krieges gegen den Zaren an der Seite Dänemarks zu wenden. Die Preisgabe Holstein-Gottorps erschien dem Hessen und seinen Freunden eine um so glücklichere Lösung, als damit gleichzeitig auch der Thronrivale ausgeschaltet wäre. Ein vom Zaren gestützter Holsteiner mußte nach dem Tode Karls XII. ein nahezu unantastbarer Konkurrent sein. Da England dänische Interessen favorisierte, neigte diese Gruppe dazu, Verhandlungen mit England zu befürworten und auf Bremen und Verden zu verzichten. Karl XII. glaubte im Gegensatz zum Erbprinzen nicht an einen leichten Erfolg Schwedens gegen Rußland. Er wertete die angelegten russischen Küstenbefestigungen im Baltikum als schwer einnehmbar, sah leichtere Siegeschancen im Krieg mit Dänemark. Daher hatte der König Görtz offenbar gestattet, dem Zaren Ingermanland, Teile Kareliens ohne Wyborg und Narwa für entsprechende russische Gegenleistungen anzubieten. Manches spricht allerdings dafür, daß beide diese Vorschläge nur als "Angebote" betrachtet haben, den Zaren solcherart an den Verhandlungstisch zu ziehen, ihn während der Unterredungsdauer von energischen Angriffen auf Schweden abzuhalten. Gegebenenfalls sollte die Preisgabe schwedischen Territoriums als zeitweilig angesehen werden. Vorschläge dieser Art hat Görtz in seinen vertraulichen Briefen unterbreitet, Reaktionen Karls XII. darauf sind allerdings nicht erhalten. Doch scheint es, als habe sich der König hier nicht binden wollen, sich auf eine Art doppelbödige Moral zurückgezogen, die ihn "sauber" hielt, alles dem "Großwesir" anlastete. Ein Verbot derartiger Überlegungen oder gar die Abberufung des Barons hat Karl XII. jedenfalls nicht verfügt. So läßt sich die bekannte alte Auffassung der Historiker nicht halten, der skrupellose Görtz und der moralisch lautere Karl XII. hätten unterschiedliche Zielstellungen verfolgt. Görtz war offensichtlich nicht der "verzweifelt" um einen akzeptablen Akkord mit dem Zaren gegen den Willen seines "uneinsichtigen Königs" ringende Diplomat, betont Ragnhild Hatton. Beide setzten auf die Kriegskarte. Tatsächlich wissen wir über diesen verwickelten geheimen Briefwechsel zwischen Baron Görtz und Karl XII. nur, weil die Kopien im persönlichen Nachlaß des "Großwesirs" aufgefunden wurden. Der König hatte alle entsprechenden Briefe sofort verbrannt.
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In Übereinstimmung mit Karl XII. führte Görtz Verhandlungen mit Rußland von einer Position der Stärke aus, erzwang als eine Reaktion des guten Willens der russischen Seite den Austausch Feldmarschall Rehnskölds gegen einen gefangenen Zarengeneral, brachte die wachsenden Neigungen Preußens und Sachsen-Polens zu verbesserten Beziehungen mit Schweden in die Gespräche ein, ließ diese Informationen aber auch in die Unterredungen mit den Briten einfließen. Der Beginn des neuen Norwegenfeldzuges demonstrierte sowohl dem Zaren als auch den Engländern die scheinbar ungebrochene Kraft Schwedens. Seinem Sekretär schrieb Görtz am 6. Juni 1718, wenige Wochen vor Eröffnung der Feindseligkeiten in Mittelnorwegen: "Ich bin jedoch der Meinung, daß wir gerade jetzt in der stärksten Position für Verhandlungen sind, für die wir die größten Anstrengungen machen sollten, denn die Furcht wirkt mehr auf den Feind als alle anderen Berechnungen und alle politischen Finessen" (Hatton, 516). Um die englandorientierte Hofpartei - vor allem den Erbprinzen -im Ungewissen zu lassen, aber auch die britischen Unterhändler zu weitreichenden Zugeständnissen zu zwingen - Görtz ahnte, wie schnell diese "Informationen" weitergereicht wurden -, schrieb der "Großwesir" die "fiktiven" Berichte an die Kanzlei über die angebliche russische Bereitschaft, auf die meisten territorialen Erwerbungen im Baltikum zu verzichten. Seine Darstellung der tatsächlichen russischen Forderungen, die er direkt an den König schickte, ergänzte der Diplomat durch wiederholte vertrauliche Gesprächsrunden mit Karl XII. in Schweden. Deshalb mußte er mehrfach den Verhandlungstisch im Sommer und Herbst 1718 in Lövö verlassen. Als Graf Gyllenborg in seiner Abwesenheit mit Baron Ostermann weiter verhandelte, löste er sowohl auf russischer Seite als auch in der schwedischen Kanzlei Entsetzen aus. Rußlands Forderungen und die Berichte des Baron Görtz klafften weit auseinander. Kanzler von Müllern forderte ultimativ den Abbruch der Verhandlungen auf Abmd ... Interessanterweise wünschten beide, Zar Peter und König Karl XII. die Fortsetzung der Friedensgespräche. Das läßt den Schluß zu, daß Karl XII. zumindest nicht überrascht wurde. Möglicherweise war ihm der Zeitgewinn das Dominierende. Ganz sicher fühlte er sich nicht betrogen von seinem "Großwesir". Am 26. November 1718 hatte der König im Laufgraben vor der norwegischen Festung Fredriksten ein langes Gespräch mit dem freigelassenen Feldmarschall Rehnsköld. Unmittelbar darauf bemerkte der Monarch gegenüber dem General Philipp Bogislaw von Schwerin, er glaube an kein Resultat auf Aland. Er wolle
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Südnorwegen erobern bis zum Glommen als "natürlicher Grenze", die übrigen Gebiete als Tauschobjekte bei Friedensverhandlungen verwenden. Weiterhin, so berichtete General Schwerin später, habe Karl XII. erklärt, Preußens Friedenswille würde mit einem Teile Pommerns und Stettins honoriert. Eine Kapitulation vor der Masse der Feinde scheide aber aus, "denn es wäre ein größerer Schaden für Schweden, auf einen unbilligen und unsicheren allgemeinen Frieden einzugehen als einen langen Krieg fortzusetzen, der außerhalb der inneren Grenzen Schwedens geführt wird" (Hatton, 559). Sicher ein sehr widersprüchliches Dokument, so recht geeignet, eine flexiblere Haltung des Königs dem alten Starrsinn gegenüberzustellen. Offen muß vieles bleiben über die Einstellung des Monarchen wenige Tage vor seinem Tod, unklar auch, ob Schweden überhaupt noch fähig war, den Krieg außerhalb der Landesgrenzen zu führen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Notwendigkeit, Rußland und England gegeneinander auszuspielen, bereits als weniger zwingend erwiesen. Wohl hatte König Georgs Flotte die spanischen Geschwader vernichtet, doch hatte der Kaiser am 21. Juli 1718 mit der Türkei den vorteilhaften Frieden von Passarowitz vereinbart. Damit konnte er nun seinen Einfluß im Norden erhöhen und den kaiserlichen Druck sowohl auf England-Hannover als auch auf Zar Peter, August von SachsenPolen und Friedrich Wilhelm I. von Preußen verstärken. Spanien suchte bereits Verbindungen zu Schweden. Grund genug also für Karl XII., seinem diplomatischen Genie den Spielraum für hinhaltende Gespräche einzuräumen, ein Abschiedsgesuch des "Großwesirs" abzulehnen, gleichzeitig neue militärische Erfolge vorzubereiten, um dann von noch stärkeren Positionen aus weiter zu verhandeln. Als Baron Görtz im Inland die "Papierwährung" eingeführt hatte, unter anderem "Notgeld" in Form von 25, 10 und 5 Silbertaler-"Scheinen" und Kupfergeldstücke mit dem aufgeprägten Wert eines Silbertalers kursierten, da hatte er auch die Einrichtung eines Fonds zur späteren Einlösung dieser "Wertpapiere" gewünscht. Eine sogenannte "Tagessteuer" aller Schweden sollte die Deckung des "Notgeldes" garantieren. Die Einnahmen aus dieser progressiven Steuer und den üblichen Abgaben hatte Görtz 1718 auf 27 Millionen Silbertaler berechnet. Nur unter diesen Bedingungen wollte er sein Finanzprojekt zur neuerlichen Aufrüstung Schwedens wagen. Auch diesmal hatte Karl XII. seine Zustimmung erteilt, gleichzeitig aber verfügt, sein Bild und Schwedens Wappen dürften diese Münzen
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nicht zieren. In den Augen des Volkes sollte Görtz der Verantwortliche sein, Karl XII. wünschte auch in diesem Falle sauber zu bleiben. Während Görtz maximal zusätzlich zwei Millionen mit solchen Mitteln erwirtschaften wollte, ließ Karl XII. während der diplomatischen Missionen seines Vertrauten stattdessen zwölf Millionen umlaufen, manche Historiker schätzen sogar 34 Millionen. Allerdings hatte Görtz seinem Herrscher noch in einem Brief vom 22. November 1718 versprochen, "Was die Münzen angeht, so nehme ich es auf mich, genügend Mittel anzuweisen, um alles in Silber und Gold einzuwechseln, wenn auch nicht gleich, so doch im zweiten Jahr nach dem Frieden mit England und Rußland. Die Summe darf nur nicht 30 Millionen übersteigen." (Lindeberg, 37 f.). Mit Karls XII. Einverständnis bereitete der "Großwesir" dann die Verordnung über den "Sechserpfenning" vor. Diese Vermögenssteuer, nach welcher jeder vermögende Schwede ein Sechstel seines Gesamtbesitzes an die Krone abzuliefern hatte, eine letzte gigantische Anstrengung des Reiches gegen die drohende Hungersnot des Winters 1718, traf die Besitzenden in Schweden. Am 20. November 1718 hatte Karl XII. diese Verordnung unterzeichnet, eine Entscheidung, die die Vermögenden weder dem König noch seinem Vertrauten verziehen. Nun murrten Adel, Handelsbürgertum und auch die Geistlichkeit laut, waren entschlossen, die Durchführung zu verhindern. Der König und sein allmächtiger Privatminister aber konnten zufrieden sein, die Machtpositionen Karls XII. waren durch die neue Armee auch innenpolitisch weiter gewachsen, der Warenaustausch mit dem Ausland florierte trotz der angehobenen Zölle auf Eisen und Kupfer. Karl XII. war in der Tat nicht bange vor der Zukunft. Sein Konzept eines günstigen Friedens nach einer neuerlichen, diesmal wohlvorbereiteteten Waffendemonstration in Norwegen schien aufzugehen. Die Jahre intensiver Vorbereitungen in Lund trugen nun Früchte. Manchem der Biographen Karls XII. erschienen dieJahredes Königs in Lund fast wie eine "Idylle", eine Bestätigung der großen Begabungen des Herrschers für Mathematik und Landeskultur, Beweis der Fähigkeiten, unter Friedensbedingungen das Erbe des Vaters zum Wohle des Landes fortzusetzen. Karl XII. bezog ein einfaches Bürgerhaus, Eigentum des Theologieprofessors Martin Hegardt, dessen Frau und Kinder später geadelt, Kar! XII. Pate eines Neugeborenen wurde. Sich selbst einer eisernen 15 Findeisen
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Disziplin unterwerfend, begann der Monarch den Tag um 3.00 Uhr morgens mit Audienzen und Vorträgen seiner Beamten, manchmal tagte er bis in die späten Abendstunden. Gewöhnlich ritt er zwischen 7.00 Uhr und 14.00 Uhr bei jedem Wetter aus, kontrollierte wie früher die Rekrutierungen und Befestigungen der Umgebung. Etwa 500 Militärs und Zivilbeamte waren in der kleinen Universitätsstadt in Bürgerhäusern einquartiert, klagten viel über die ländliche Umgebung. Daran änderte auch die Warnung des Königs wenig, die herumstreunenden Schweine würden als "gebührenfreie Gaben" betrachtet, so sie die Bürger weiterhin in den Gassen um seinen "Hof" (Hatton, 486) herumlaufen ließen. Lund war nun einmal nicht Stralsund und schon gar nicht Stockholm. Aber die Stadt verfügte über eine bedeutende Universität, hier wirkten die Mathematiker und Physiker Christopher Polhem und Emanuel Swedberg, der später als Swedenborg Weltruhm erlangte. Es war gerade jener Swedenborg, der ein sehr kritisches Urteil über den Herrscher fällte. Karl XII. habe mit falscher Anspruchslosigkeit gelebt, sich nur selbst geliebt, absoluter Herrscher über Schweden und die Welt sein wollen. Doch habe er die mathematische Begabung bewundern müssen. Einmal "wurde befohlen, einige Exempel zur Probe anzuführen und dazu solche, bei denen man meinte, auf keine andere Weise das Resultat feststellen zu können als durch die Anwendung der gebräuchlichen Rechnung, Buchstaben und Gleichungen. Aber bei jeder einzelnen Aufgabe strengte Seine Majestät sein Nachdenken und seine Spekulation so sehr an, daß er kurz darauf ohne Hilfe von Formeln den Zusammenhang erforschte und gleich darauf sagte, daß das angegebene Beispiel so oder so gelöst werden könnte und müßte, und es stimmte auch so mit der eigentlichen Ausrechnung, daß man dagegen keinen Einwand erheben konnte. Und ich kann versichern, daß es mir unbegreiflich war, wie man durch bloßes Nachdenken ohne Hilfe der gebräuchlichen algebraischen Rechenweise derartiges ergründen konnte. Es schien so, als wollte seine Majestät seinen Verstand schärfen und das von Natur und durch Neigung erworbene Eindringen vertiefen, da er Gelegenheit hatte, in solchen Dingen mit dem berühmten Mechaniker und Mathematiker, dem Handelsrat Christopher Polhem, zu wetteifern, von dem er wußte, daß er besser als andere Anwesende darüber urteilen konnte" (Bengtsson, 526). Ähnliches äußerte Polhem, der seine Anerkennung jedoch vor allem auf Karls XII. Fähigkeit reduzierte, "große Zahlen im Kopf zu multiplizieren" (Bengtsson, 525).
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Der König besuchte des öfteren akademische Dispute, verfaßte selbst eine kleine philosophische Abhandlung im Geiste Thomasius, kam dabei Spinozas Lehrsätzen gefährlich nahe, so dicht jedenfalls, daß der Sekretär Carsten Feif von einer Veröffentlichung oder gar einer Zusendung an Thomasius abriet. Karl solle sich nicht als "Lehrjunge" des Thomasius ausweisen, argumentierte der geschickte Politiker. Feif fürchtete beunruhigende Reaktionen der orthodoxen schwedischen Geistlichkeit auf das offensichtlich aufklärerisch beeinflußte Denken des Monarchen, zweifellos ein interessantes Aufgabengebiet für eine Spezialforschung zur Religionsauffassung Karls XII. Obwohl tief religiös, neigte er wenigstens in den späteren Jahren, vielleicht unter dem Einfluß islamischer Erfahrungen, zur Toleranz. Sein Beichtvater in Lund, der H~rediger Anders Rhyzelius, hat auch später immer wieder unterstrichen;der König habe sich aufrichtig "Gott rechenschaftspflichtig" gewähnt (Hatton, 489). Berichte norwegischer Bauern und Priester bestätigen ebenfalls die tiefe Gläubigkeit, das vollständige Aufgehen des Monarchen in Gebeten und Bibeltexten. Rhyzelius erinnerte sich, daß er einmal das "Unglück und den Verfall des Vaterlandes" diskutierte und der Herrscher heftig widersprach. Doch habe Rhyzelius niemals vergessen, "daß er mit einem absoluten Monarchen sprach und der König beruhigte sich schnell. Er konnte oft die Widerwärtigkeit beklagen, in die das Reich geraten war, sagte aber, daß, wenn es Frieden wird, alles schnell geheilt würde" (Aberg, 163). Die Vorlesungen in lateinischer Sprache bereiteten Karl XII. keine Schwierigkeiten, er empfahl jedoch, sie einem breiteren Publikum in schwedischer Übersetzung anzubieten, interessierte sich damals sehr für etymologische Probleme der schwedischen Sprache. Daneben entwickelte er einen regen Gedankenaustausch mit Baumeister Tessin, diskutierte allgemeine Fragen der Architektur und seine speziellen Vorstellungen beim Ausbau des Stockholmer Schlosses. Auf Anregung Karls XII. begann Polhem im Januar 1718 mit den Arbeiten zum Götakanal, ein für Schwedens Wirtschaftsentwicklung außerordentlich wichtiges Projekt, das nach dem Tode des Königs abgebrochen, erst 1832 vollendet wurde. Natürlich widmete sich Karl XII. in Lund besonders der Reorganisation der Armee. Zunächst schuf er eine neue Leibschwadron für das fast völlig zusammengeschmolzenes Leibtrabantenkorps, 360 ausgets•
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wählte Soldaten und Offiziere der verschiedensten Regimenter, geborene Schweden zwischen 20 und 30 Jahren und ledig. Anschließend faßte er die Regimenter zu Brigaden, den sogenannten ,.indelningar" zusammen. Die bisherige Regimentsverfassung, wonach ein Regimentschef auch gleichzeitig ein höheres Kommando führen konnte, wurde aufgehoben. Zwei oder drei Regimenter waren nun als Brigade ein'em Generalleutnant unterstellt, diese Verbände wiederum zu Divisionen, den ,.tilldelningar" zusammengefaßt, ein permanenter Generalstab geschaffen. Mißt man Zar Peters Leistungen unter anderem auch an der Entwicklung der modernen russischen Armee und formuliert hier das Wort ,.genial", ist wohl auch für diese Neuformierung eine entsprechende Überlegung angebracht. Karl XII. erwies sich als lernfähig, förderte den Generalmajor Karl Cronstedt und dessen Projekt einer Reorganisation der schwedischen Artillerie. In den Jahren 1717 und 1718 wurde ein Artilleriekorps mit 3 380 Artilleristen aufgebaut, Verbesserungen durch die Einführung der "Einheitspatrone" mit einer Pergamenthülle von Ladung und Projektil erzielt, Cronstedts ,.Schnellschußgeschütz" in der Armee eingeführt. Der König ehrte seinen ersten Artilleristen im August 1718 mit der Ernennung zum Freiherrn. Noch im Frühsommer 1718 hatten sowohl der Erbprinz als auch General Meijerfelt gegen einen Winterfeldzug in Norwegen polemisiert. Es sei besser, diese unwegsame Landschaft zu meiden und den Angriff auf dem Kontinent zu wagen, meinten beide. Karl XII. hatte aber schließlich entschieden, daß General Armfeit Anfang August überraschend auf T randheim marschieren, Festung und Hafen besetzen, damit erneut die widerborstigen Engländer beunruhigen solle. 36 000 Soldaten, unter ihnen 13 000 Kavalleristen, würden wenig später in drei Säulen in Südnorwegen eindringen. Der Erbprinz hatte über Strömstad vorzustoßen, Karl XII. wollte selbst bei Västra Ed in Dalsland seine Abteilungen formieren, eine kleinere Einheit sollte bei Holmdal in Värmland die Grenze überschreiten, so sah es der Feldzugsplan vor. Als ziemlich wahrscheinlich darf gelten, daß der Norwegenfeldzug nur die erste Etappe sein sollte, anschließend eine Landung in Deutschland, Dänemark oder Polen vorgesehen war.
V mfangreiche- man muß es wohl so nennen -ideologische Vorbe-
reitungen kennzeichneten die letzten Monate vor dem Angriff, nachdem der Herrscher am 11. Juli 1718 Lund verlassen und nach Bohuslän
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geritten war. Immer wieder suchte Karl XII. Gespräche mit einfachen schwedischen und norwegischen Menschen, unterhielt sich mit den Bauern. Ein adelsstolzer Offizier vermerkte damals verächtlich in seinem Tagebuch, der Monarch habe mit einer alten Frau "geschwatzt", als wären siebeidealte teure Freunde. Den aus Poltawa-Gefangenschaft ausgewechselten deutschen Feldscher Schultz, der 1718 nach Strömstad reiste, Karl XII. persönlich danken wollte, empfing der Monarch mit dem deutschen Satz:"Wir erkennen Euch wieder!" (Hatton, 540). Und Feldscher Schultz ließ sich verklärten Gesichts umgehend erneut als Sanitäter einschreiben, Karl XII. wußte wahrlich seine Soldaten zu nehmen! Zur gleichen Zeit vollbrachten die schwedischen Ingenieure unter Swedenbergs Leitung eine großartige organisatorische Leistung. Da die dänische Flotte die Küstenlinie um Strömstad beherrschte, den Idlefjord kontrollierte, rollten die Schweden eine Ruderflottille auf dem Landweg über zwanzig Kilometer von Strömstadt zum Idlefjord, überraschten die dort ankernden dänischen Schiffe, zwangen die dänischen Verteidiger hinter den Glommen zurück. Wieder standen schwedische Truppen vor der Festung Fredriksten. Diesmal führten sie Geschütze mit sich, begannen die Belagerung. Mitte Oktober 1718 waren die Verbindungen der Garnison zu den norwegischen Linien abgeschnitten. In Tistedal richtete Karl XII. das Hauptquartier ein. Schnell sollte es gehen, die kleine Festung mußte bald fallen, der Vormarsch auf Christiania über den Glommen war wichtiger. Und wieder versuchte der Monarch, durch das persönliche Beispiel die Schanzarbeiten vor den Außenforts des Fredrikstens zu beschleunigen. "Tag und Nacht in Regen und Kühle wollte der König selbst in den Laufgräben dabei sein", die Arbeiten vorantreiben, berichteten Rehnsköld und General Mörner Anfang Dezember nach Stockholm. Sie hatten dem König ihre Hilfe angeboten, ihn ermahnt, sich und seine Kräfte zu schonen. Er sei jünger als sie, könne sich "zur Arbeit begeben", hatte dieser entgegnet (Hatton, 549). Am 27. November war er als zweiter auf die Brustwehr des Forts Gyllenlöwe geklettert, hatte dieses wichtige Werk mit 200 Grenadieren erstürmt. Wohl waren die Verluste der Soldaten, die im harten Boden die Laufgräben aushoben, in der fünften Nacht mit 55 Toten relativ hoch gewesen, insgesamt hatte Karl XII. jedoch bis zum Morgen des 30. November wenig mehr als 100 Infanteristen verloren.
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Eigentlich wollte der König bereits am Morgen des 29. November den Befehl über die Sturmvorbereitungen an den bewährten General Dücker übergeben. Er selbst wollte das Gros der Armee über den Glommen führen. Der Fall der Festung konnte nur noch eine Frage von wenigen Tagen sein. Da erreichte ihn die Nachricht, Baron Görtz sei von Uddevalla unterwegs, ihn über den jüngsten Stand der Alandverhandlungen zu unterrichten. So entschied der Herrscher, den Beginn der Schanzarbeiten an der neuen Linie, wenige hundert Meter von den Festungsmauern entfernt, am Abend des letzten Novembertages zu kontrollieren. Es sollte auch sein letzter Tag werden.
"Herre Jesus. Der König ist erschossen. Laufen Sie zu General Schwerin und berichten Sie ihm das!" Generaladjutant Arvid Johan von Kaulbars zu Leutnant Bengt Viihelm Carlberg gegen 21 .30 Uhr am 30. Dezember 1718
Der 30. November 1718 Der 30. November 1718 begann wie ein gewöhnlicher Morgen im Kriegeralltag Karls XII. Nichts deutete daraufhin, daß es "der unglückliche und für ganz Schweden höchstbetrübliche Tag" werden sollte, der "dem großen König ... Leib und Leben raubete", wieJöran Nordberg das Schlußkapitel seiner Biographie einleitete (Nordberg, II, 750). Nach einer langen Regennacht war der König aus den Laufgräben vor der Festung ins Hauptquartier zurückgekehrt, hatte die durchnäßten Kleider in der Kammer des Feldmarschalls Carl Gustav Mörner gewechselt, den noch schläfrigen kränkelnden Mörner aufgemuntert, war schließlich in einerneuen Montur, im blauen Rock mit vergoldeten Messingknöpfen, den gelben Kniehosen, Stulpenstiefeln und schwarzem Hut mit hoher Krempe, zum Gottesdienst geritten. Es war der erste Advent. Karl XII. hörte den Prediger am Vormittag und war nachmittags zum Adventsingen gegangen. Beim anschließenden Befehlsempfang hatten die Generäle wieder einmal gebeten, der Monarch möge sich um Christi und Schwedens Willen mehr schonen. Und erneut hatte Karl XII. abgewinkt. Dann war er aufs Pferd gestiegen, hatte den Hut geschwenkt und sich vor allen Stabsoffizieren auffällig verbeugt, "als wenn er Abschied von ihnen nehmen wollte" (Äberg, 163 f.), wie sie später alle vermeinten. Vermutlich haben die Offiziere ähnliches wirklich empfunden in ihren Erinnerungen an jenes Ereignis, das schlagartig die Geschichte
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Schwedens veränderte, nicht auszuschließen, daß Karl XII. an diesem Adventsonntag selbst von besonderen Gefühlen bewegt war, sich der Größe bewußt war oder es doch demonstrieren wollte. An diesem Abend sollte die neue Linie gegraben werden, waren die Vorbereitungen beendet, der Verlauf der Trasse abgesteckt, würde der Anfang vom Ende der Festung Fredriksten eingeleitet werden. Der französische Befestigungsingenieur Philipp Maigret fand den heranreitenden König bei bester Laune, von Todesahnungen offenbar keine Spur. Karl XII. wandte sich wie üblich von Punkt zu Punkt im Grabensystem vor der Festung, befragte die Offiziere nach ihren Meinungen. Das in diesen Tagen nahezu völlig von den Einwohnern verlassene Fredrikshald breitete sich längs des Südufers des Tistedalflusses aus. Dort mündete der kleine Strom in eine Seenkette und schließlich in den Idlefjord, erweiterte sich zum Svinesund. Über der zwischen Tistedalfluß und Idlefjord gelegenen Stadt erhob sich unmittelbar über den Häusern eine steile felsige Anhöhe mit den Festungsbauten des Fredriksten. Der nördliche Teil der Festung ragte mehr als 100 Meter über dem Tistedalflußbett als unangreifbarer Abschnitt empor. Ebenso unbezwingbar stellte sich die südliche Mauerfront dar. Zur Stadt hin war die sogenannte innere Bürgerschanze den Festungsbauten vorgeschoben. Allein erfolgversprechend blieben Angriffe auf die Ostseite des Mauerkomplexes. In einem allmählich abfallenden Gelände erhoben sich dort einige Felskuppen, die durch mehrere hochgemauerte Bastionen miteinander verbunden waren. Zwei gewaltige Eckbastionen sicherten das Festungssystem, dem hier zwei Gräben vorgelagert waren. Angriffe auf diesen gefährdeten Abschnitt wurden durch das Fort Gyldenlöwe erschwert. Diese kleine Befestigung war auf einer etwa 600 Meter entfernten Felskuppe aufgeführt, um den Gegner zu binden, feindlichen Artilleriebatterien nur Positionen weit vor der Festungsmauer hinter einer natürlichen Geländevertiefung zuzugestehen. Südlich der Festung, wiederum durch eine Schlucht getrennt, erhob sich das Fort Stortornet - der große Turm - nahe der Südbastion der eigentlichen inneren Festung. Einige hundert Meter weiter in südöstlicher Richtung drohten die Schießscharten des Fort Overberget das Hochfort - als Flankenschutz. Jeder Vorstoß der schwedischen
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Truppen auf die Mauern des inneren Ringes konnte so von Stortornet und Overberget wirkungsvoll in der südöstlichen Flanke durch Artilleriefeuer gestört werden. Allerdings war die kleine Festung nur durch etwa 1 400 Soldaten besetzt. Davon hielten sich während der kurzen Belagerung in Overberget 200 Verteidiger, in Stortornet und Gyldenlöwe je 30 auf. Auch fehlten sichere, tief in den Fels gearbeitete Kasematten. Die hohen Mauern mußten günstige Ziele für die schwedische Artillerie bieten, nachdem das schwachbesetzte Gyldenlöwe gefallen und Generalmajor Carl Cronstedt die Belagerungsgeschütze hinter die Mulde zwischen Festung und Fort Gyldenlöwe vorziehen konnte. Die überwiegende Mehrheit der schwedischen Sturmtruppen wartete in einem Lager am Tistedalfluß. Von dort war im November ein gedeckter Weg östlich um die Festung herum fertiggestellt worden. Weder Overberget noch Stortornet hatten die Verteidiger Gyldenlöwes unterstützen können. Unebenheiten im Gelände zwischen den drei Außenforts schützten die Schweden. An diesem 30. November soll Maigret dem König versichert haben, die Festung werde binnen einer Woche fallen. Wenn dieses Gespräch zwischen dem Monarchen und seinem Ingenieur möglicherweise auch ein Phantasieprodukt war, wie sich schon einige zeitgenössische Biographen stritten, so war doch die Annahme richtig, der Fredriksten war keine acht Tage mehr zu verteidigen, Grund genug für Karl XII., zufrieden zu sein. Der neue Graben führte auf 40 Meter Länge zur Festung heran, gefährdete das norwegische Abwehrsystem auf das äußerste. Ein Ausfall der Belagerten war zu erwarten, so daß für diese letzte Novembernacht starke schwedische Einheiten zum Schutz der Grabenden konzentriert wurden. Die neue Linie führte zur Eckbastion "Prins Christian" und begrenzte die Feuerwirkung der Kanonen von Stortornet und Overberget, der erhöhten Außenbastion. Im toten Winkel des "Prins Christian" mußten nach kurzem gefährlichen Grabenstück die Arbeiten zügig voranschreiten. Karl XII. hatte, um die eingeteilte Schanzmannschaft vor ähnlich hohen Verlusten wie in der fünften Nacht zu bewahren, 50 Soldaten für eine Ablenkungsgrabung eingeteilt, Nebelschwaden taten ein übriges. Die Nacht wurde nur ungenügend durch brennende Pechkränze und Leuchtkugeln der Festungsmannschaft erhellt, bis der Mond durch die Wolken schimmerte.
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Ungeduldig hatte der Herrscher die Arbeitsmannschaften erwartet, den diensthabenden Offizier, Leutnant Bengt Viihelm Carlberg, entgegengesandt, die Verspäteten anzutreiben. Erst nach deren Eintreffen hatte sich Karl XII. in seiner Hütte in der Nähe der Gräben eingefunden und dort das Abendessen eingenommen. Und wieder glaubten einige Historiker, besonderes vermerken zu müssen. Der Monarch habe den Tafeldecker Johan Hultgren am Rockknopf gepackt, dem Getreuen, der ihn bereits auf der Flucht von Poltawa begleitet und versorgt hatte, gnädigen Tonfalls eröffnet, er werde jetzt zum Küchenmeister befördert. Sollte das wirklich Zufall sein, fragten diese Biographen. Doch ist sicher, daß Karl XII. versprach, den Wunsch des Tafeldeckers, darüber eine schriftliche Vollmacht zu erhalten, sofort bei seiner Rückkehr nach Tistedal edüllen zu wollen ... wohl auch kein Beleg über Todesahnungen des Königs. Gegen 21.00 Uhr in den Laufgraben zurückgekehrt, fand der Monarch die Soldaten bei intensiver Arbeit. Die "neue Linie" zweigte zunächst ein kurzes Stück im rechten Winkel von der alten Parallele ab, schwenkte dann nach rechts, verlief nun ungefährdet von den beiden Außenbastionen. Zu dieser Stunde wurde von der Festung aus 55 Kanonen und Mörsern heftig geschossen. Um besser sehen zu können, die Arbeitenden durch seine Todesverachtung erneut anzufeuern, war der König auf die Erdaufschüttung des Laufgrabens in der Nähe der Abzweigung geklettert, hatte die Erde auf der inneren Seite festgetreten, lag nun oben auf dem Wall, hatte den Mantel ausgebreitet, den Kopf auf die Arme gestützt, frei und ungeschützt für feindliches Feuer. Eine Gruppe Offiziere stand unterhalb der Stiefel des Herrschers. Der Bericht Leutnant Carlbergs erwähnt acht bis zehn Militärs, die Karls Bemerkungen ergeben lauschten. Und wieder wurde dem König "gute Laune" bescheinigt. Er habe über "alle möglichen Sachen geplaudert" (Aberg, 164). Angeblich bat Maigret Karl XII. um Vorsicht, beschwor ihn, sich nicht leichtsinnig der Gefahr auszusetzen. "Das ist nicht der richtige Platz für Eure Majestät. Musketenkugeln und Kanonenkugeln haben so wenig Respekt vor einem König wie vor einem einfachen Soldaten ... ". "Habt keine Angst", so soll Karl XII. ruhig entgegnet haben und die anderen Offiziere hätten den Franzosen mit dem Hinweis zum Schweigen bewegt: "Je mehr Ihr ihn warnt, je mehr wird er sich selbst der Gefahr aussetzen" (Bain, 298).
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Manche Zweifel sind im nachhinein auch gegen den Bericht des Leutnants geäußert worden, bestimmte Details mögen in der Aufregung falsch wiedergegeben sein, sind vielleicht bewußt unscharf geblieben, zu mysteriös waren die Umstände des Todes für einige. Die Worte Maigrets und Karls XII. mögen nicht eben so geäußert worden sein, der Bericht des Leutnants erwähnt ein solches Gespräch überhaupt nicht. Im übrigen halten einige Historiker die entsprechenden französischen Aufzeichnungen für tendenziös, geprägt, die Unschuld der anwesenden Franzosen zu beweisen. Man habe plötzlich "einen dumpfen Aufschlag" gehört, "als wenn ein großer Stein auf feuchte Erde fällt, und im seihen Moment sank der Kopf des Königs auf seinen Mantel nieder, während seine linke Hand kraftlos zur Seite fiel, obwohl sein Körper exakt in der gleichen Stellung wie vorher blieb", wie es Maigret 1723 niederschrieb, Details, die sich im Carlberg-Rapport nicht finden (Bain, 299). Generaladjutant von Kaulbars soll als erster aus der Erstarrung erwacht, ausgerufen haben: "Herr Gott, der König ist erschossen!" Später hätten, so berichtete Carlberg, Maigret und einige andere Offiziere den Körper des toten Herrschers in den Graben heruntergezogen. Karl XII. habe einen Einschuß in den linken Schädel nahe des Auges gehabt, auf der rechten Schläfenseite sei das Projektil wieder ausgetreten, die Wunde so groß gewesen, daß drei Finger hineinpaßen, wie es in einer zeitgenössischen, wenige Jahre nach Karls XII. Tod publizierten Beschreibung behauptet wird. Und hier nun beginnen die ungelösten Fragen. Ein Einschuß von links sprach für ein feindliches Geschoß von den norwegischen Bastionen, ein Treffer in die rechte Schläfe aus Nahdistanz schloß einen gezielten Schuß aus den eigenen Reihen nicht aus. Als Leutnant Carlberg seine Notizen unmittelbar nach Karls XII. Tod anfertigte, mag er manches anders gesehen haben. Uns liegt nur sein Bericht vor, der Jahrzehnte später geschrieben wurde, als ziemlich sicher war, daß der Offizier bestimmte Interessengruppierungen zu berücksichtigen hatte. Interessanterweise wollte sich Carlberg nicht festlegen, aus welcher Richtung der Schuß fiel. Manche offene Frage ist hier im Ansatz zu suchen. So behauptete bereits Nordberg, Karl XII. sei "an der rechten Schläfe getroffen ... untenbeydem linken herausgegangen" wäre das Geschoß (Nordberg, II, 751 ). Zu diesem Zeitpunkt diskutierte man schon überall in Schwe-
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den die Möglichkeit, Karl XII. könne ermordet sein. Widersprüchlichkeiten über die Einschußstelle sollten bis in unsere Tage ihre Bedeutung behalten. Zunächst wurde an diesem Spätabend des 30. November beschlossen, der Armee den Tod des Königs zu verheimlichen. Leutnant Carlberg hatte auf Weisung des Generaladjutanten den General von Schwerin herbeigeholt. Der General hatte, wie Carlberg registrierte, den toten Körper nicht berührt, aber sofort Maßnahmen verfügt, Wachen auszustellen, die jeden Kontakt zwischen den Grabenden in der "neuen Linie" und dem Offizierspulk um den Leichnam verhindern sollten. Eine Bahre wurde herbeigeschafft, die Träger mußten sie etwa 20 Schritt vor dem toten König abstellen. Zwei Soldatenmäntel seien über den Körper gelegt worden, berichtete Carlberg. Interessanterweise übernimmt auch der Militärhistoriker Aberg die wichtige Feststellung, der französische Adjutant des Erbprinzen von Hessen-Kassel, "Andre Sicre kam nun aus der Dunkelheit" des Grabensystems. Er soll- eine heute äußerst bedeutsame Behauptung- "den flachen Hut dem König abgenommen und stattdessen seine weiße Perücke und seinen betreßten Hut dem Haupt aufgestülpt haben, so daß die Soldaten nicht wissen sollten, daß der König tot sei" (Aberg, 166). Auf General Schwerins Befehl wählte Leutnant Carlberg zwölf Soldaten als Trägergruppe "für einen erschossenen Offizier" aus. Kapitän Maleolm Hamilton, der Vorgesetzte dieser Ausgesuchten, vermutete sofort bei solcher Eskorte, daß es dem König galt. Carlberg will das auf dessen Frage auch bejaht haben. Die Nachricht vom Tode des Monarchen verbreitete sich aber vor allem deshalb rasch, weil der Leichnam im unebenen Gelände von der Bahre fiel und die Träger erschrokken ihren Herrscher erkannten. "Was soll nun aus uns werden", klagten die verwirrten Soldaten, durcheinander murmelnd, wie es Carlberg berichtete (Aberg, 167). Die Beschwörungen des Leutnants, das Geheimnis zu wahren, mochten da wenig ändern, auch das Trinkgeld nahe der Königsunterkunft im Dorf Tistedal die schnelle Verbreitung der Nachricht nicht hindern, schon am folgenden Tag wußte es die gesamte Armee. Sorgen, Ängste und Kummer vieler waren groß, ganz sicher auch erschütternd empfunden die Notiz des Leutnants, als er, Kapitän Philipp Schultz, ein Kammerlakei und ein Leibtrabant die Bahre auf den Boden der Holzhütte niedergestellt hatten, der Offizier sich die Ereignisse der letzten Stunden vergegenwärtigte. Da lag "unser geliebter großer König tot und blutig", schrieb Carlberg seine Eindrücke nieder,
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nahm diese Gemütsbewegung in den späteren Bericht auf, um so bemerkenswerter, da der Leutnant auf viele andere Details verzichtete (Aberg, 167). Eine Stunde etwa, so berichtete er weiter, verweilte General Schwerin schweigend an der Leiche, wie die anderen durch die halbgeöffnete Tür beobachten konnten. Kein Zweifel, das viele im Heer Karls XII. in dieser Stunde ehrlich trauerten, ebenso sicher auch, daß vor allem im höheren Offizierskorps auch mancher erleichtert seufzte. Alle mögen in dieser bedeutsamen Stunde ähnlich wie General Schwerin über die nächste Zukunft gesonnen haben. Keine Zeit verlor indessen der Adjutant des Erbprinzen. Er ritt ins Hauptquartier Friedrichs von Hessen auf dem Herrenhof Torpum, bei sich "des Königs zerschossenen Hut" (Aberg, 167). Der Erbprinz reagierte sofort. Zwei ihm ergebene Offiziere wurden dem Holsteiner Baron von Görtz entgegengesandt mit dem Auftrag, Karls XII. Vertrauten zu arretieren. Sicre selbst wurde sofort nach Stockholm abgefertigt, der Schwester des Königs und Gattin des Erbprinzen, Ulrika Eleonora, den Hut des Herrschers vorzuweisen, die hessische Partei zu schnellen Reaktionen zu bewegen, den Anhängern des Herzogs von Holstein-Gottorp zuvorzukommen. Noch in der Todesnacht versammelten sich die Generäle und der junge Herzog von Holstein-Gottorp in der Kammer um die Leiche des Königs. In den frühen Morgenstunden traf auch der Erbprinz aus T orpum ein. Gegen den Widerspruch des Herzogs - auch darüber streiten sich die Historiker - entschieden die anderen den sofortigen Rückzug der schwedischen Armee. Die Festung war gerettet, auch dieser Kampf um einen günstigen Frieden damit vergebens geworden, umsonst auch das hier geflossene Blut schwedischer Soldaten. Dem Heer wurde erklärt, die Führung habe sichere Informationen über eine Invasion russischer und dänischer Truppen in Schweden, daher müsse die Belagerung sofort abgebrochen werden ... Und wieder- so wird berichtet- trug auch der Gardesoldat Nils Frisk, schon bei Krakow und Poltawa einer der Träger der königlichen Bahre, seinen Monarchen. Und auch Feldmarschall Rehnsköld, der bei Poltawa den König lebend auf der Bahre zurückließ, begleitete nun kaum befreit aus russischer Haft - erneut seinen aufgebahrten Herrscher, nun einen Toten. Nichts ist bekannt über Rehnskölds Gefühle, ebenso wenig über Korporal Frisks Gedanken, für den es das dritte
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und gar nicht das glückliche Mal war. Nein, die "guten Dinge" erfüllten sich hier gewiß nicht, weder für Nils Frisk noch für Schweden. Der Krieg sollte weitergehen noch für drei Jahre, nun aber ohne den Feldherrn, den einzigen, den alle Gegner noch immer fürchteten. Zum Idlefjord führte am 6. Dezember 1718 der Leichenzug mit einem einfachen Sarg aus Fichtenholz. Ein Boot trug den toten König über das Wasser, weiter schritten die Träger mit der teuren Last nach Uddevalla, wo um die Weihnachtszeit 1718 Melchior Neumann, der Leibmedikus, den toten Körper einbalsamierte, ein Bildhauer dieTotenmaske modellierte. In einen kostbaren Eichensarg umgebettet, trug man den Toten Anfang Januar weiter, erreichte Schloß Karlberg bei Stockholm am 27. Januar 1719. Mehr als 18 Jahre waren vergangen, seit Karl XII. zum letzten Mal durch Stockholms Straßen geritten war. Nun kehrte er heim, anders, als es viele im Lande erhofft hatten, nicht mehr hoch zu Roß, still und für immer schweigend, wie es nun viele auch heimlich begrüßten. Mit höchsten militärischen Ehren wurde Schwedens bedeutsamster Kriegerkönig am 27. Februar 1719 in die Riddarholmskirche der Hauptstadt geleitet. Unmittelbar hinter dem Toten folgend, scheinbar einträchtig, der Erbprinz von Hessen-Kassel und der junge HolsteinGottorper, die neue Königin, Karls XII. Schwester, war nicht dabei. Noch einmal paradierten die Leibtrabanten, befehligt von J ohan Hierta, auf dessen Pferd sich Karl XII. vom Schlachtfeld bei Poltawa retten konnte. Nun war dem König von niemandem mehr zu helfen. Auch J ohan Hierta mag seine eigenen Gedanken in dieser Stunde gehabt haben ... Schon damals waren offenbar Stimmen im Heer und im Volk laut geworden, der König sei durch Mörderhand gefallen. Äußerungen, die nie mehr verstummen sollten, bis in unsere Tage hinein Scharen von Historikern, Medizinern und Waffenexperten beschäftigen. Einige Historiker glauben, aus dem wohl wichtigsten Dokument der Todesnachricht, dem Carlberg-Bericht, entsprechende Andeutungen herauslesen zu können. Allerdings schrieb der einstige Leutnant diesen Rapport erst zwischen 1762 und 1774, lange nach dem Tode des Erbprinzen und späteren Königs Friedrich I. von Schweden, wurde seine Darstellung gar erst 1816 publiziert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Laut seiner "Selbstbiographie" hat der spätere Architekt
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und Stadtingenieur in Göteborg seine Aufzeichnungen unmittelbar nach den Ereignissen im Laufgraben vor dem Fredriksten angefertigt, "auf höheren Befehl", wie er später notierte (Grimberg, 5, 343), einleuchtend, das jener Auftraggeber den ersten Entwurf erhalten haben muß. Doch ist ein solches Papier bis heute nicht aufgefunden worden. Der Herzog von Holstein-Gottorp beschrieb einige Stunden nach dem Tode Karls XII. im Einverständnis mit den Feldmarschällen Mörner und Rehnsköld in einem Brief an den Königlichen Rat in Stockholm die ihm geschilderten Vorgänge. Es existiert ein anonymer Augenzeugenbericht, den die Historiker heute dem Generaladjutanten des Königs, Arvid Johan von Kaulbars, zuschreiben. Auch diese Quelle wurde auf "höhere Anforderung niedergeschrieben" (Haintz, 3, 286), erst 1898 wieder entdeckt. Auf Bitten des schwedischen Gesandten in Paris schrieb am 23. Dezember 1723 der Oberst Philipp Maigret seine Version, wohl wissend, daß damals bereits Verdachtsmomente gegen Andre Sicre, den Generaladjutanten des Erbprinzen- der im übrigen am 30. November nichts in den Laufgräben vor Fredriksten zu suchen hatte, eigentlich seinem Befehlshaber in Torpum zur Verfügung stehen sollte-, diskutiert wurden, manche Stimmen auch ihn, Maigret, belasteten. Die allgemeine Erregung in Schweden bewegte die Regierung in Stockholm 1728, von allen am 30. November im Grabensystem vor dem Fredriksten anwesenden Offizieren Äußerungen einzuholen. Ein Fragespiegel der Regierungskanzlei sollte die Vorgänge erhellen. So hat auch der damals bereits in russischen Diensten stehende General Schwerin einen Bericht eingesandt, in dem er auch das Gespräch mit dem Monarchen vom 28. November ausführlich referierte. Auch dieser Rapport wurde erst 1895 veröffentlicht. Außerdem existiert noch die Nachricht des norwegischen Kommandanten Oberst Landsberg an König Friedrich IV. von Dänemark, die naturgemäß die Aktivitäten der Garnison spiegelt, den Abbruch der Schanzarbeiten registrierte, die Ereignisse im Laufgraben am 30. November selbstverständlich nicht wiedergeben konnte. Oberst Landsberg kam zu dem Schluß, der schwedische König sei zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr gefallen. Interessanterweise hat keiner der Berichterstatter - wahrlich erfahrene Militärs - die exakte Todeszeit festgehalten. Nur der Vergleich aller Berichte erlaubt die Fixierung, "kurz vor 21.30", die heute allgemein akzeptierte Uhrzeit.
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Kann man es natürlich auch als Versuch analysieren, genauere Untersuchungen der Umstände zu erschweren, so ist wohl auch der Schluß erlaubt, es als Zeichen einer deutlichen Verwirrung aller Beteiligten zu werten, sicher nicht der Beweis, daß hier ein Mordkomplott - wenn es dann eins war - einer größeren Gruppe unzufriedener Offiziere umgesetzt wurde. Allerdings ist sicher belegt, daß vor allem die höheren Offiziere die Fortsetzung des Norwegenfeldzuges mißbilligten. Karls Hofprediger Anders Rhyzelius hat in jenen Novembertagen Gespräche der Generalität registriert, Äußerungen gehört, "ein Schuß sollte Schluß machen mit dem ganzen Feldzug" (Hatton, 562). Ebenso haben die schwedischen Historiker herausgefunden, daß in der Umgebung des Generalmajors Cronstedt die angebliche Behauptung des Artillerieexperten diskutiert wurde, der Monarch "würde innerhalb des laufenden Kalendermonates sterben". Und besonders gewichtig scheint einigen Biographen die Feststellung, Cronstedt solle noch am 30. November auf entsprechende Bemerkungen versichert haben, "der Tag ist noch nicht vorbei" (Hatton, 562). Sicher können solche Darstellungen auf "Erinnerungen" nach dem Todesschuß gewachsen sein, gewann manche beiläufige Bemerkung, auch "schwarzer Humor", an eigener Dimension. Beweiskraft haben solche Aussagen wohl ebenso wenig wie die bis heute nicht belegte Beichte Generalmajor Cronstedts auf dem Totenbett, er habe ein besonderes Gewehr präpariert, mit dem dann der Trabantenkorporal Stiernenroos den Herrscher erschossen hätte. Es scheint verbürgt, daß der letztere in dieser Nacht nicht in dem Grabennetz weilte. Den Mordgerüchten hat zweifellos die Selbstbezichtigung Andre Sieres besondere Nahrung gegeben, als er sich 1722 als Fieberkranker aus dem Fenster seiner Stockholmer Wohnung heraus als Mörder Karls XII. bekannte. Wieder genesen, widerrief er dann seine Worte. Während die norwegische Historikerin Ragnhild Hatton vermerkt, Sicre habe der Gruppe zu Füßen Karls XII. angehört und "die frühere Annahme - daß er versteckt im Verbindungsgraben lag und auf eine Gelegenheit wartete, den König zu erschießen - muß als unhaltbar betrachtet werden" (Hatton, 573), entnehmen Aberg, Bengtsson und Haintz beispielsweise den Berichten, daß Sicre erst nach dem tödlichen Schuß zur Gruppe stieß, "weiter entfernt" in der Nähe General Schwerins stand. Immerhin befragte auch Voltaire für seine Karl-Biographie
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seinen Landsmann Sicre in Paris, ob er geschossenhabe. Die Versicherung des Offiziers, er hätte es tun können, Karl XII. als Helden aber viel zu sehr verehrt, als daß er zu solcher Tat fähig gewesen sei, räumt wohl auch nicht alle Zweifel aus. Im schwedischen Volk wirkte vor allem die Tatsache prägend, daß Friedrich von Hessen-Kassel, der Nutznießer des Todes, die Armee sofort nach Schweden zurückführte, selbst nach Stockholm eilte, die Nachfolge Ulrika Eleonoras zu sichern. Die Lüge von den eingefallenen dänischen und russischen Truppen und der überhastete Rückzug standen deutlich den bis dahin verfolgten Zielen Karls XII. entgegen, mußten die allgemeine Überzeugung nähren, der Erbprinz habe seine Absichten nur durch den Tod des Königs sichern können. Auch glaubte man später zu wissen, er habe ,.einen nervösen und ruhelosen Tag" an diesem 30. November "in seinem Quartier in Tistedalen verbracht" (Bengtsson, 534).
Auch war bald bekannt geworden, daß der Generaladjutant des Erbprinzen- eben jener Sicre- wider besseres Wissen verkündet hatte, Karl XII. sei bei der Erstürmung eines Forts durch einen Schuß in die rechte Schläfe getötet worden. Gerüchte, Friedrich "war gut vorbereitet auf den Tod des Schwagers und hatte bereits lange vorher Pläne erarbeitet, die Nachfolge zu sichern" (Jonasson, 99), taten ein übriges. Eingeweihte wußten auch, daß der Erbprinz im Frühjahr 1718 durch den hessischen Hofrat Heim eine Denkschrift für seine Gemahlin hatte erarbeiten lassen, die für den Fall des Ablebens Karls XII. alle Maßnahmen regelte, um Ulrika Eleonora notfalls auch durch Gewalt die Krone zu sichern. Angesichts der Gefahren, denen sich Karl XII. ständig aussetzte, keine ungewöhnliche Voraussicht! Der schwedische Historiker Grimberg maß einem Traumgesicht des ehemaligen Leibarztes Melchior Neumann im Jahre 1720 besonderes Gewicht in den Diskussionen um die Mordtheorien bei. Der Chirurg habe in diesem allgemeinen Klima von Gerüchten über die Ereignisse vor dem Fredriksten, selbst damals in depressiver Stimmung, seinen Traum vom 14. April des Jahres berichtet, ängstlich alles jedoch auf die Innenseite eines Buchumschlages eines seiner Bücher schreibend. So wurden die Notizen des Arztes erst 1859 bekannt, 1864 veröffentlicht. Er hätte, so vermerkte Neumann, in dieser Nacht im Traum die Einbalsamierung von Uddevalla wiederholt, und als er den Körper des 16 Findeison
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toten Königs gedreht habe, um auch den Rücken einzureiben, hätten plötzlich die Hände des Herrschers, halb warm, halb kalt, zugegriffen und seine Finger festgehalten. Ein kurzer Wortwechsel beider hätte dem Schuß gegolten, der Monarch nach kurzem Zögern Neumanns ängstliche Frage, ob Majestät "von der Festung her erschossen wurde" beantwortet mit: "Nein, Neumann, es kam einer gekrochen". Und schweißgebadet sei er, der Arzt, aufgewacht (Grimberg, 5, 340 f.). Leicht vorstellbar, wie die öffentliche Bekundung solcher Traumbilder auf die Menschen in Schweden wirkte, erzählt von einem, der vielen als enger Vertrauter des Verstorbenen galt, wohl auch wahrscheinlich, daß Neumann darüber zu Freunden gesprochen hat, damals, in einer Zeit, in der man gemeinhin die Existenz von Hexen und Zauberern nicht anzweifelte, Träume Vorhersagen, deutbare Visionen waren. Obwohl die Regierung sich zunächst auch nach Sicres.Selbstbezichtigung mit internen Befragungen zufrieden gab, schließlich war inzwischen der Erbprinz als Friedrich I. zum König in Schweden gekrönt, zwang offenbar die nicht enden wollende Unruhe im Lande schließlich den Rat, in den vierziger Jahren erneut zu ermitteln. Jetzt führte Graf Fersen neuerliche Gespräche mit einigen Offizieren, ließ eine hochrangige Kommission den Sarg König Karls XII. in der Riddarholmskirche 1746 öffnen. Damals wurde protokolliert, der tödliche Schuß sei in die rechte Schläfe eingedrungen. Das hatte bereits eine Mitteilung der Stockholmer "Gazette" am 10. Dezember 1718 vermerkt. Ragnhild Hatton hat in ihrer sehr gründlichen Biographie betont, der Glaube, Karl sei von rechts getroffen worden, wäre weit verbreitet gewesen, obwohl alle "Offiziere, die sich im Laufgraben am 30. November befanden, sich einig waren, daß der Schuß von links kam" (Hatton, 573). Erstaunlicherweise hatte auchJöran Nordberg, dem alle Berichte der Offiziere aus dem Jahre 1728 und vermutlich wohl auch die offiziellen Augenzeugendarstellungen Maigrets und Kaulbars vorlagen, behauptet, Karl XII. sei "an dem rechten Schläfen getroffen", das Geschoß "unten beydem linken herausgegangen" (Nordberg, II, 751), während doch Leibmedikus Neumann in seinem Untersuchungsbericht von einem Einschuß von links geschrieben hatte. In derTat ein merkwürdiger Widerspruch! Im Jahre 1784 sprach der englische Historiker William Coxe einen Soldaten des Overberget, der ihm versicherte, das weitentfernt liegende Fort habe in der Nacht des 30. November überhaupt keinen Schuß
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abgefeuert. In ihren Berichten sprachen allerdings Carlberg, Kaulbars und auch Landsberg von starkem Feuer dieser Befestigung, sonderbar, weil es schwerfällt zu glauben, daß sich der alte Soldat an diesen denkwürdigen Tag seines Lebens so schlecht erinnern sollte. Spätestens zwei, drei Tage nach diesem geschichtsträchtigen Abend wußte auch er, daß Karl XII. am 30. November verschieden war. Er dürfte keinerlei politische Absichten mit einer Aussage verbunden haben. Carlberg und Kaulbars aber wußten natürlich sehr wohl, daß ihre Darstellungen eines feindlichen Kartätschengeschosses die gegnerische Kanonade voraussetzten. Kommandant Landsberg dürfte wohl auch wenig Grund gesehen haben, die Feuerwirkung seiner Festung in der Abwehr der Angreifer, die Größe des Einsatzes seiner Garnison herabzusetzen. Auch da bleibt ein Widerspruch! 1859 erzwangen empörte monarchistische Gegner der Mordtheorie eine neuerliche Untersuchung des Leichnams und wandten sich vor allem gegen die Erkenntnis, der von Generaladjutant Sicre nach Stockholm gebrachte Hut Karls XII. beweise den Einschuß von rechts. Der Hut sei eine Fälschung, erklärten sie damals. Die medizinische Analyse der Wunden bezeuge das Eindringen des Projektils in die linke Schläfe ... während Otto Haintz 1958 zu der Erkenntnis fand, sollte "der König den durchschossenen Hut wirklich getragen haben, dann hätte der Schuß von rechts her sein Haupt durchbohrt" (Haintz, 3, 298), gelangt Ragnhild Hatton- die Mordtheorie verwerfend- einige Jahre später zu dem überraschenden Schluß, gerade der Hut belege einen Einschuß von links. Auch das ist eine jener vielen Ungereimtheiten in der Diskussion, deren Ende auch heute nicht abzusehen ist. Im übrigen schließt auch -darüber sind sich die Experten inzwischen einig- ein Treffer von links einen Mordschützen keineswegs aus. Neue Nahrung erhielt die Mordtheorie durch den Fund eines bleigefüllten Messingknopfes in der Nähe der Kirche von Öxnevalla im Jahre 1924. Der Direktor des MuseumsinVarberg und eine Gruppe medizinischer Schußsachverständiger waren überzeugt, damit ein greifbares Beweisstück für den Mordschuß zu besitzen. Die Methode der sogenannten Volkskunde-Forschung spürte den Soldaten Märten Nilsson Nordstierna aus Öxnevalla in Västergötland auf, dessen Kompagnie in der Todesnacht in der "neuen Linie" schanzte. Die Legende berichtet, er habe, in die Heimat zurückgekehrt, dem Pfarrer des Kirchspiels seine Seelenqualen gebeichtet. Er hätte gesehen, wie der König aus nächster 16"
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Nähe erschossen wurde, die Kugel dicht neben sich auf den steinigen Boden aufschlagen hören, sie in der Dunkelheit gefunden und mit nach Öxnevalla getragen. Auf den Rat seines Seelsorgers habe er sie dann fortgeworfen in der Hoffnung, seinen Frieden zu finden ... Der gefundene Knopf stammt nachweislich aus der Zeit Karls XII. und könnte tatsächlich von ihm getragen worden sein. Es existiert ein Aquarellgemälde des Königs aus der türkischen Zeit, wo Karl XII. einen Rock mit eben solchen Knöpfen trug. Für einige Experten gilt als erwiesen, daß der gefundene Knopf eine orientalische Arbeit sei, in der schwedischen Armee unüblich gewesen wäre. Also ein Knopf vom Waffenrock des Königs? Schußexperimente mit solchen bleigefüllten Knöpfen in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts erbrachten den Beweis, daß Wunden der Größe, wie sie Karls XII. Schädel aufweist, gesprengt werden, so meinen einige Experten, andere widersprechen ... Karl XII. galt vielen Soldaten als "schußfest". Die Wunder von Narwa, Torun, der Kalabalik, ja selbst der Schuß an der Worskla- am Geburtstag und nur deshalb gefährlich- hatten in jenenTagen weitverbreiteten Aberglaubens auch unter den Gebildeten die Überzeugung genährt, der König könne nur durch etwas "persönliches", den Zauberschutz aufhebendes, getötet werden ... Einerlei, die Fragen bleiben! Einschuß- und Austrittsloch im Schädel des Monarchen weisen eine nahezu waagerechte Schußbahn auf, bezeugen eine ungewöhnliche Durchschlagskraft des Geschosses. Mögen auch bei der Einbalsamierung Gewebereste und Knochensplitter entfernt worden sein, es bleibt die Erkenntnis, gegen einen Nahschuß spricht das Fehlen der typischen Gewebeverbrennungen, ein Schuß aus den Festungswerken von links -den Forts- wirft Fragen nach dem Geschoßkanal und den unterschiedlichen Größen der Einschuß- und Austrittswunde auf. Erst um 1900 herum konnten Projektile mit entsprechend notwendiger Anfangsbeschleunigung abgefeuert werden, ausreichender Stoff also für weitere Expertendiskussionen. Möglicherweise werden erst Schußversuche aus Kanonen und Musketen der Karolinerzeit weitere Schlüsse erlauben. Soviel ist jedenfalls heute sicher, daß man Kartätschen erst dann einsetzte, wenn sich vorwärtsstürzende Gegner bis auf 200 Schritt der eigenen Linie genähert hatten. In diesem Falle waren die Forts beispielsweise viel zu weit entfernt. Ein Treffer von den Wällen der eigentlichen Festung - auch diese Entfernung schließt ein Gutachter
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und Kenner der Schußwaffen dieser Jahre für die notwendige Flugbahn des Geschosses aus - würde eine merkwürdige Kopfdrehung Karls XII. im Moment des Todes einschließen. Das aber hat keiner der berichtenden Augenzeugen bemerkt. Für Otto Haintz hat "eine unerforschliche höhere Macht ... das Todesgeschoß gelenkt" (Haintz, 3, 293), Ragnhild Hatton bleibt bei einem norwegischen Schuß, denn alle "dokumentierten Augenzeugen hätten eine Kartätschenkugel als wahrscheinliche Ursache für Karls XII. Tod genannt" (Hatton, 575). Gustav Jonasson, der Autor der entsprechenden Passagen in der gegenwärtigen Ausgabe der schwedischen Nationalgeschichte läßt diese Frage offen. Sie bleibe "weiterhin ungelöst" (jonasson, 99). Das scheint derzeit wohl die beste Entscheidung. Aber merkwürdigerweise verteilte der Erbprinz am 3. Dezember 1718 die gerade eingetroffene Lieferung von 100 000 Talern guter Silbermünze, für die Fortsetzung des Krieges dringend erforderlich, an die anwesenden hohen Offiziere. Die Feldmarschälle Rehnsköld und Mörner als auch General Dücker erhielten jeder 12 000 Taler, alle Generäle zwischen 2 000 und 800, Generalmajor Cronstedt die fünffache Summe Kann damit auch keinesfalls auf eine Beteiligung des Generalkorps geschlossen werden, mag es doch die eine oder andere deutlichere Information unterbunden haben. Gustav Jonasson kritisiert wohl nicht zu Unrecht, die Offiziersberichte seien von "offenbaren Fehlern" geprägt und der "Absicht ... zu zeigen, daß der König von einer feindlichen Kugel getötet wurde" (jonasson, 99). Einig sind sich alle, Befürworter und Gegner der Mordtheorie, das "Rätsel wird wohl bleiben", wie J an Peters 1981 zusammenfaßte (Peters, 13). Der Schwede Axel Strindberg hat 1937 treffend bemerkt, "das Merkwürdigste des Rätsels mit Karl XII. war vielleicht, daß man ihn doch noch bis 1718 ertrug" (Peters, 158). So gesehen wäre der Tod des Heldenkönigs dann die Auflösung aller Fragen um ihn.
"Knie nieder, Svea, vor der Gruft, Hier ruht dein größter Sohn. Die Inschrift, die verblichen nun, Ist Heldendichtung schon."
Esaias Tegner, "Karl XII." "das Merkwürdigste des Rätsels mit Karl XII. war vielleicht, daß man ihn doch noch bis 1718 ertrug". Axel Strindberg, 1937
Karl XII. - ein rätselhafter König Der Schuß von Fredrikshall tötete einen "Gott auf Erden" (Barudio, 62). Mit Karl XII. starb Schwedens souveränster "Erbkönig", wohl der absolutistische Monarch par excellence, unbeschränkter selbst als der "Sonnenkönig", wie viele Historiker meinen. Der Krieg der Generäle und des Erbprinzen sollte sich noch bis 1721 hinziehen, und erfolgreicher als Karl XII. 1718 waren die Militärs zweifellos nicht. Russische Truppen verheerten im folgenden Jahr die Küste Schwedens, brannten verschiedene Städte nieder. Die Folgen des plötzlichen Todes des gefürchteten Königs und Feldherrn waren so möglicherweise noch schwerwiegender für das Land als die geplante Landung Karls XII. auf dem europäischen Kontinent für das Jahr 1719. Wohl hätten Land und Leute weiterhin einen furchtbaren Blutzoll zahlen müssen, der Krieg aber wäre doch außerhalb der Grenzen des Landes ausgetragen worden. Und kriegsmüde waren alle .. . Bliebe natürlich die Frage, ob die Ressourcen Schwedens dem König überhaupt einen neuen Angriff erlaubt hätten? War die Flotte einsatzbereit? Sicher eine der schwierigsten, wenn nicht gar die Frage aller Fragen. Karl XII. hatte in Norwegen noch einmal eine kampfstarke Armee konzentriert. Mit dem Fall des Fredrikstens wäre der Weg zum Glom-
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men, der "natürlichen Grenze" zwischen Schweden und DänemarkNorwegen, wie sie Karl XII. verstand, freigeworden. Möglicherweise wäre der Kampf um Südnorwegen mit der starken Festung Akershus ein weiterer Stolperstein schwedischen Erfolgszwangs geworden, Spekulationen erscheinen da wenig nützlich. Ob Zar Peter Karl XII. in Schweden angegriffen hätte, erscheint aber doch ziemlich unwahrscheinlich. Der Zar wußte um die Gefahren einer Niederlage gegen diesen Mann ... Nach dem 30. November 1718 gab es keinen militärischen Ersatz für den gefallenen König und Heerführer. Und Karl XII. teilte bekanntlich nicht die Illusionen des Erbprinzen über erfolgreiche Angriffsoperationen im Baltikum, nicht auszuschließen also eine Einigung zwischen den beiden großen Kontrahenten. Der sowjetische Historiker und Kenner schwedisch-russischer Geschichte, A. S. Kan, wertete Karls XII. Verhandlungen mit Zar Peters Abgesandten auf den Aland-Inseln als ernsthaften Versuch, meinte, der schwedische Herrscher hatte "insgeheim beschlossen ..., die baltischen Gebiete zu opfern, um die übrigen schwedischen Eroberungen zu sichern"(Kan, 78). Folgt man diesen Überlegungen, drängt sich die Frage auf, wer auf deutschem oder dänischem Boden hätte einer dort gelandeten Armee von mehr als 20 000 kampfstarken schwedischen Soldaten unter Karl XII. nennenswerten Widerstand ohne russische Hilfe leisten können? Und die Beziehungen Zar Peters zu Dänemark und König Georg I. von England-Hannover waren ja nach den Verstimmungen des Herbstes 1716 wahrlich nicht mehr die besten. Im übrigen brauchte auch Rußland dringend Frieden, mußte seine Eroberungen sichern ... Viele offene Fragen, mehr Wenn und Aber, als es der Historiker lieben kann. Es scheint ja auch müßig nachzudenken, ob Karl XII. den Frieden Schwedens mit seinen Nachbarn vorteilhafter gestaltet hätte als es die Vereinbarungen mit Hannover im Jahre 1719, mit Preußen und Dänemark 1720 und der Frieden zwischen Schweden und Rußland am 30. August 1721 im finnischen Nystad garantierten. Er konnte nicht mehr gefragt werden, sein "Ja" oder "Nein" gebieterisch verkünden, der Opferung Holstein-Gottorps entgegentreten. Die Hoffnungen der Generäle und des Erbprinzen, der Verzieht auf Stettin, Bremen und Verden könnte die baltischen Besitzungen retten, erfüllten sich nicht. Die Großmacht Schweden gab es nicht mehr, wenn auch das Land Finnland, Teile Pommerns und Wismar zurückerhielt. Die angreifenden Räuber hatten dem alten, nun sehr geschwächten
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"Löwen" die Beute jahrhundertelanger Kämpfe in einem zwei Jahrzehnte währenden Ringen abgejagt, fortan würde Schweden in der Erinnerung an jene große Zeit des Landes Ersatz suchen müssen, konnten bestenfalls die zahllosen Gedenkmünzen auf die vielen Großmachtherrscher, auf Karl XII. geputzt werden, mußte man sich mit ihrem Leuchten begnügen, war es den Memoirenschreibern und den Geschichtsbüchern vorbehalten, den Glanz auch des "Heldenkönigs" zu erhalten. Geblieben sind in der Tat unzählige Legenden und die Berichte der Zeitgenossen über Karl XII., Lob und Kritik, widersprüchliche Einschätzungen seiner Persönlichkeit, seiner Motive und Gefühle, das Für und Wider um Recht und Unrecht seiner Kriege. Den gekrönten Gegnern blieb der rätselhafte Monarch aus dem Norden, der so ganz anders wie sie reagierte, häufig ein kriegs-und mordlüsterner Wüterich, wenigstens gaben sie es vor und ließen es laut verkünden, nannten ihn einen ehrgeizigen Eroberer, manchmal auch einen tragisch-komischen rechthaberischen Starrkopf, ganz sicher verstanden sie sein Verhalten kaum. In den Geschichtswerken ihrer Völker überlebte der schwedische König in diesem Sinne, wurde er in deutschen, dänischen, russischen bzw. sowjetischen Darstellungen zum "Buhmann", ließ manchen Historiker zu Verdammungsurteilen finden. Auch die schwedische Öffentlichkeit würdigte oder beklagte die Entscheidungen Karls XII. Sehr treffend hat schon Ragnhild Hatton bemerkt, Angstgefühle in Schweden oder Europa vor dem mächtigen russischen Staat in den folgenden Jahrhunderten hätten die Wertungen der Persönlichkeit dieses ungewöhnlichen Königs entscheidend beeinflußt. Manchmal wurde er "als ein König beschrieben, der, hätte er ausreichend Unterstützung erhalten, den russischen Koloss in Schach halten können"(Hatton, 579). Jan Peters hat an den Äußerungen Otto Haintz demonstriert, welches Gewicht König Karl in der ideologischen Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten erwuchs, eine "Aktualisierung" des Königs, deren sich Karl XII. wahrscheinlich entschieden erwehrt hätte, ruhmselig jedenfalls war er nun wahrlich nicht und dem Heldenkult mit seiner Person wohl wenig aufgeschlossen, sah als königliche Pflicht, was er tat und tun zu müssen glaubte.
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Schwedens nationalstolze Anhänger Karls XII. sammelten schließlich 1862 die stattliche Summe von 11 000 Reichstaler, um ihrem "Heldenkönig" das - wie sie meinten - längst fällige Denkmal zu setzen. Und sie wählten den Jahrestag der Schlacht von Poltawa, zweifellos ein antirussisches Bekenntnis in jener Zeit, eine historische Reminiszenz an Schwedens vergangene Großmachttage gleichermaßen, Erinnerungen an eine fast gewonnene welthistorische Schlacht. Sie vergaßen dabei, wie gründlich übermächtige Reiche von ihren kleinen Nachbarn gehaßt werden, daß Schwedens Souveräne dann zu jenen "Ordnungshütern" des alten Europas gewachsen wären, die sie selbst so haßten, die Kehrseite der Großmachtmedaille auch in Schweden. "Bet, Kindchen, bet, morgen kommt der Schwed", eine Neuauflage des Klageliedes aus den dunklen Tagen deutsch-schwedischer Beziehungen ... Noch heute weist in diesem Sinne der steinerne Krieger gebieterisch mit ausgestrecktem Arm nach Osten, den blanken Degen in der Hand, eine "Revision" Poltawas anregend, Schwedens und Europas Feind entgegenstrebend, wie es jene antirussischen Kräfte damals symbolisieren wollten, Mahnung wohl auch an jene, die in unserem Jahrhundert Karls XII. Rußlandpolitik für ihre Ziele erklärten. Ähnliches erfuhren die Deutschen in der DDR. Mit der Persönlichkeit Friedrichs li. von Preußen taten sich Historiker, Geschichtslehrer und Publizisten Jahrzehnte schwer, reduzierten sich die "Leseproben" preußischer Geschichte auf Eroberungskriege und Spießrutenlaufen. Inzwischen ist der Preußenkönig manchem wieder Friedrich der Große geworden, gilt der belesene "Philosoph auf dem Thron" als kompetenter Zeitzeuge, zählt wohl auch sein Urteil über den Heerführer Karl XII. Und wieder drohen dem Bild des schwedischen Königs wenigstens im deutschsprachigen Raum neue Verzerrungen! Voltaire hatte in seiner mehr Dichtung denn Wahrheit scheinenden Biographie Karls XII. 1731 betont, der Schwedenkönig sei "die merkwürdigste Erscheinung, die seit mehr als zweitausend Jahren gelebt hat"(Voltaire, 3), ein Werk, daß Friedrich II. von Preußen beeinflußte, dessen militärtheoretischen Gehalt er jedoch stark anzweifelte. Für den berühmten Preußen stand Karl XII. 1752 in einer Tradition schwedischer Kriegerkönige für den "Ruf des schwedischen Namens bis in die fernsten Lande", war ihm eine würdigende Bemerkung als ruhmvoller Herrscher wert (Testament, 1752, 106). Er "urteilte weder nach den übertriebenen Schilderungen seiner Lobredner noch nach den Zerrbildern seiner Tadler", schrieb Friedrich II. einige Jahre später im Oktober
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1759 (Friedrich, 304). Kar! XII. habe "die Augen der Kriegsmänner durch die Fülle immer glänzenderer Taten geblendet". Doch wolle auch er "den Ruf dieses hervorragenden Kriegshelden" nicht schmälern, nur dessen Stärken und Schwächen gegeneinander abwägen (Friedrich, 305). Hier analysierte er "die verschiedenen Charakterzüge dieses eigenartigen Königs" und folgerte, ,;daß er mehr tapfer als geschickt, mehr tätig als klug, mehr seinen Leidenschaften unterworfen als seinem wahren Vorteil zugetan war" (Friedrich, 317). Doch sei "dieser Fürst trotzdem einer der außerordentlichsten Menschen gewesen, deren Auftreten in Europa das größte Aufsehen erregt habe" (Friedrich, 305), seine Erfolge verdankte Kar! XII. einer natürlichen Begabung. Allerdings würden die meisten seiner Pläne bei näherer Prüfung verlieren, dagegen jedoch die Taten gewinnen. Friedrich II. kritisierte insbesondere den Leichtsinn des schwedischen Königs, ohne Magazine tief ins Innere Rußlands vorzustoßen. "Bei so viel unüberwindlichen Schwierigkeiten war vorauszusehen, daß die Schweden bei jenem Zuge an Beschwerden und Hunger zugrunde gehen, ja, daß selbst ein Sieg sie aufreiben mußte" (Friedrich, 310). Ein Marsch auf das neugegründete Petcrsburg und die Zerstörung von "Rußlands Fenster nach Europa" hätte der Denkweise eines großen Feldherrn entsprochen. Überhaupt habe "sein brennender Rachedurst und die ihn beherrschende Ruhmbegierde" Schweden mehr geschadet, als wenn der König ein Verschwender gewesen wäre, eine Armee von Köchen und Mätressen unterhalten hätte (Friedrich, 317). Nein, der kühle Preuße konnte sich nicht hineindenken in den schwedischen Feldherrn, dessen Beweggründe nicht verstehen. Einiges scheint ihm auch falsch berichtet worden zu sein. Seine Darstellung der Schlacht bei Poltawa deckt sich weder mit den Erkenntnissen der russischen und sowjetischen noch der schwedischen Geschichtsforschung, die sich ja auf verfügbare zeitgenössische Daten beziehen, bleibt eine merkwürdige Mischung aus ungenauen Erlebnisberichten und Erdachtem, unterstellt Karl XII. Motivationen, die dieser nicht hatte. Ähnlich kritisch, wenn auch zurückhaltender, hatte Friedrichs Neffe Gustav III., König von Schweden, in entsprechenden Betrachtungen Karl XII. gewertet. Ihm war der Ahnherr "eher außergewöhnlich denn groß. Er hatte sicher nicht das richtige Eroberertemperament, das einfach auf den Gewinn von Territorien zielt. Karl nahm Gebiete mit der einen Hand nur, um sie mit der anderen fortzugeben. Besser als Alexander, mit dem es ungerecht wäre ihn zu vergleichen, war er viel weniger gegenüber seinem Rivalen Peter in den Qualitäten, die einen großen
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Regenten machen, wie er ihn in jenen Qualitäten übertraf, die einen großen Helden machen" (Bain, 314). Mit Alexander dem Großen verglich ihn auch einer, der es wohl wissen mußte. Der bis in unsere Tage nachwirkende Militärtheoretiker Carl von Clausewitz nannte ihn einen der "neuen Alexander" und sicher tut es dem Bild Karls XII. wenig Abbruch, hier gemeinsam mit Gustav II. Adolf von Schweden, dem berühmten Gegenspieler Wallensteins, und Friedrich II. von Preußen genannt zu werden. Man bezeichne Karl XII. nur deshalb nicht als überragendes Genie, "weil er die Wirksamkeit seiner Waffen nicht einer höheren Einsicht und Weisheit zu unterwerfen, nicht damit zu einem glänzenden Ziel zu gelangen wußte" (Clausewitz, 149). Doch würdigte Clausewitz den schwedischen König ausdrücklich neben den anerkannten militärischen Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts wie dem Herzog von Marlborough, dem Prinzen Eugen von Savoyen und Friedrich II. von Preußen als Meister der Verfolgung des geschlagenen Feindes. Und es spricht wohl auch keineswegs gegen Karl XII., wenn Clausewitz diesen König gemeinsam mit Gustav II. Adolf und Friedrich II. von Preußen "als die Vorläufer Bonapartes" anführte ( Clausewitz, 864). Im Jahre 1868 würdigte Schwedens Erbprinz Oscar Frederik anläßlich der Einweihung des Denkmals Karls XII. das Wirken des "Heldenkönigs". Er "nahe ... sich seinem Bilde ... nicht ohne Beben" (Oskar Frederik, 7), einem Helden, den "ein Friedrich der Große, ein Napoleon I., andere ausgezeichnete Heerführer, von militärischen Schriftstellern zu schweigen, nicht zauderten, ... als Vorbild vorzuhalten" (Oskar Frederik, 77). Zweifellos eine Wertung, die Fragen aufwirft ... Schwedische Generalstabsoffiziere waren nach dem Ersten Weltkrieg überzeugt, Karl XII. hätte 1718 "trotz der verzweifelten politischen Lage Schwedens ... in weniger als drei Jahren sein kleines Heer zum schneidigsten Kriegsinstrument des damaligen Europas" umgestaltet, Erfolge in der Vervollkommnung der Artillerie und "der taktischen Verwendung der aus den verschiedensten Waffengattungen gewünschten Verbände und in derNeuordnungdes Generalstabsdienstes" erzielt, sei seiner "Zeit weit vor aus" gewesen (Haintz, Urteil, 20). In dieser Tradition fußend, urteilte Otto Haintz 1936 analog dem konservativen schwedischen Historiker Harald Hjärne, Karl XII. müßte als "der geniale Militär gesehen werden", der als erster Europäer die Gefahr eines erstarkten Rußlands verstanden habe.
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Es war eben diese unzulässige Projizierung moderner politischer Auseinandersetzungen in die Geschichte und das Wirken Karls XII., die Jan Peters zu scharfen Reaktionen veranlaßte. Doch wirkt es wie ein Pendelschlag zur anderen Seite, wenn dieser Historiker erklärt, Karl XII. mußte unterliegen, "weil dieser Krieg nicht zu gewinnen war" (Peters, 151). Es liegt nahe zu vermuten, hier werden Grundüberzeugungen des 20. Jahrhunderts in der sowjetischen Historiographie von der "gesetzmäßigen Niederlage" jedes Eindringlings in den weiten russischen Raum in das beginnende 18. Jahrhundert übertragen. Berücksichtigt man die schweren Erschütterungen Rußlands durch die nationalen und sozialen Bewegungen dieser Jahre, bedenkt die diplomatischen Aktivitäten der schwedischen Kanzlei, die Tataren ebenso wie Türken und Polen zu aktivieren, weiß, wie häufig Eroberer in Moskau vor der Dynastie der Romanows residierten, dann scheint Karls XII. Rußlandfeldzug weniger aussichtslos als beispielsweise der Krieg Napoleons und die Vorstöße der deutschen Wehrmacht. Selbst am Prut hätte sich das Leben Peters I. anders gestalten können, wäre die Chronik der schwedischen Großmachtzeit vermutlich neu begonnen worden ... Es ist nicht so, sondern anders gekommen! Gegen die Allianz Dänemarks, Englands, Rußlands und einiger deutscher Territorialstaaten stand der Schwedenkönig nach 1715 zunächst tatsächlich auf verlorenem Posten. Um 1718 gab es diesen Blockjedoch nur noch dem Namen nach. Sicher mußte die schwedische Großmachtstellung früher oder später aufgrund der beschränkten materiellen Ressourcen des nördlichen Landes verlorengehen. Dem hätte jedoch ein in Rußland erfolgreicher Karl XII. - sei es im Petersburger Raum oder bei Poltawa oder ein siegreicher Feldzug auf mitteleuropäischem Boden 1719 noch wesentliche Hindernisse errichtet. Vor 1719 mußte der Ausbau baltischer und Ostseeprovinzen dem schwedischen Staat entsprechende Machtmittel zuführen. Das aber scheint dem angeblich so eroberungsgierigen schwedischen Herrscher widerstrebt zu haben. Wer Karls XII. Motivationen zu ergründen sucht, findet Ernst Carlsons Feststellung, dieser König "strebte nicht nach Eroberungen, ... eiferte nur danach, gewissen abstrakten Forderungen rechtlicher Natur Geltung zu verschaffen", in mancher Beziehung bemerkenswert. Die Überzeugung, "die Sache seines guten Rechts" müsse schließlich doch mit Gottes Hilfe siegen, hat Karl XII. geleitet, muß von jedem nachvollzogen werden, der die Beweggründe des "Kriegerkönigs" festschreiben möchte, einer Wertung, der sich
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wohl auchJan Peters anschließt. Doch kann sich dieser Kenner schwedischer Geschichte offenbar nicht bereit finden, dem schwedischen Herrscher militärisches Genie zuzubilligen. Ihm war, analog der Haltung Friedrichs II. von Preußen, Karl XII. nur der Draufgänger, der schwedische Kampfweise des 17. Jahrhunderts fortsetzt. Dem soll an und für sich nicht widersprochen werden, doch hat Karl XII. diese "schwedische Art" zu kämpfen, eben anders als seine Vorgänger zeitweilig zur Vernichtung seiner Gegner einsetzen können. Bleibt also die Frage, ob es sich hier vordergründig um eine Diskussion über die Definition militärischer Genialität überhaupt handelt? Sieht man das Genie eines Heerführers auch dadurch bewiesen, daß er in besonderen Situationen die richtigen Entschlüsse trifft, wertet man die Leistungen Karls XII. bei der Umgehung feindlicher Riegelstellungen in Polen, Rußland und Norwegen als Ausdruck bedeutender militärischer Entscheidungen, dann können Fehlverhalten im ukrainischen Feldzug 1709 und im Jahre 1716 in Norwegen den Eindruck wohl schmälern, besondere militärische Begabungen des Königs nicht verdecken. Selbst die Niederlage bei Poltawa steht für die Genialität der Schlachtenplanung Karls XII. Der Gedanke, im Dämmerlicht überraschend durch die - allerdings ebenso großartig gedachte - T-Verschanzung durchzubrechen, die mehrfach überlegenen Streitkräfte Zar Peters in dem engen Lager anzugreifen, sie zu vernichten, bevor sie ihre Kraft entfalten konnten, scheint großartig konzipiert, offenbar das Produkt weniger Stunden intensiver Diskussionen Karls XII. und seiner Vertrauten. Akzeptiert man, daß Schweden unter Karl XII. mit "zu geringen Mitteln im Hinblick auf die großen Objekte" in den Kampf ging (Peters, 139), dann muß bewundernd vermerkt werden, wie es dieser Herrscher verstand, gestützt auf eine fähige Generalität und wohl auch auf eine effektive Bürokratie, immer wieder Reserven in diesem europäischen Randstaat nahezu zwei Jahrzehnte zu erschließen. Kaum einer der berühmten Feldherrn der Weltgeschichte erzwang so viele überraschende Waffenerfolge, war seinen Soldaten so sehr Symbol der Unbesiegbarkeit wie dieser Herrscher. Sollte sich alles nur auf eine Folge unerwarteter glücklicher Zufälle reduzieren lassen? Auch hier also Fragen, die offenbleiben müssen, zu denen Argumente wenig befriedigende Antworten anbieten. Wählt man jedoch die bekannte Formel, Genie ist zu 90 Prozent Fleiß, dann ist die Unbeirrbarkeit Karls XII., die Ausdauer und Willensstärke dieses Monarchen- selbst, wenn alles auf "Halsstarrigkeit"- reduziert wird - ein überzeugender Beleg. Karl XII. bleibt auf seine Weise "ein vielleicht gar nicht unsympa-
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thischer Gegenspieler" der Könige seiner Zeit, um hier Jan Peters' Gedanken aufzugreifen und über den Kontrast zu August dem Starken auf die Gesamtheit der kämpfenden Herrscherpersönlichkeiten auszudehnen (Peters, 143). Natürlich ist nicht zu leugnen, daß der schwedische König ebenso grausam Krieg führte wie andere, seine Soldaten ihm letzdich nur Mittel zum Zweck blieben. Und doch, einiges ist eben anders! Er fasziniert durch die Bereitschaft, mit dem Blick des einfachen Soldaten den Kriegsalltag zu erleben, als König den Seinen voranzugehen, eine Schlacht durch den persönlichen schonungslosen Einsatz zu entscheiden. Mag das häufig auch leichtsinnig, gewöhnlich unnötig gewesen sein, den schwedischen Soldaten flößte es jenen Mut ein, der sie vielfache Überlegenheiten des Gegners nicht fürchten ließ. Und es dokumentierte eine bis in unsere Tage geschätzte Eigenschaft eines "Leiters", nicht mehr von anderen zu fordern als von sich selbst, die eigene Person den anderen auch in diesen Kriterien voranzustellen. Karl XII. sagte eben nicht: Geht und macht! Er rief seinen Soldaten zu: Kommt mit und war der Erste. Diesem Credo J öran Nordbergs ist wohl wenig hinzuzufügen. Solche Eigenschaften, noch verstärkt durch die ganz ungewöhnliche Bescheidenheit in Briefen und Reden, möglicherweise auch eine bewußte Demonstration, aber selbst dann in dieser Konsequenz beeindrukkend und sympathieerweckend, heben Karl XII. aus der Masse der Herrscher und Heerführer der Weltgeschichte heraus, Grund genug, sich auch künftig mit diesem Fürsten zu beschäftigen. Nicht auszuschließen, daß die Psychologen Züge entdecken, die dem Historiker verschlossen bleiben, Antworten finden, die ein Biograph nur vermuten kann. Wahrscheinlich auch, daß sie die Frage ausleuchten, warum dieser Herrscher den Degen virtuos handhabte, anderen, dem Manne zugeschriebenen natürlichen Veranlagungen scheinbar abweisend gegenüberstand. Ja, es war wohl so, daß Frauen lange Zeit dem "Krieger Karl" unheimlich blieben. Sieht man von dem sehr engen Verhältnis zur früh verstorbenen Mutter und der zuweilen etwas ungewöhnlich anmutenden Zuneigung zur älteren Schwester ab, so fällt natürlich die unveränderte Ablehnung von Bindungen an Frauen jeglicher Art noch im türkischen Exil auf, Grund genug für ein schwedisches Filmerteam, noch vor einigen Jahren gerade diesen Umstand in den Mittelpunkt einer Filmkomödie zu rücken, die weit über Schwedens Grenzen hinaus Aufsehen erregte. Bekannt sind die immer wieder angeführten Erklärungen Karls XII., er sei noch zu jung, erst müsse er die kriegerischen Aufgaben
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seines Herrscheramtes lösen, weniger diskutiert dagegen auch Belege, daß der König sehr wohl an eine spätere Verbindung dachte. Seinem Sekretär Feif hat er 1716 vertraut, er wolle heiraten, "wenn der Herr uns Frieden gibt. Und da will ich mir eine Gattin suchen, nicht nach der Staatsraison, sondern so, daß sie mir wirklich gefällt und mich wirklich liebt, so daß ich mir keine halten muß, die man auf französisch ,Maitresse' und ,Hure' auf schwedisch nennt". Ebenso hat Ulrika Eleonora in einem Brief vom 1. September 1717 berichtet, der Bruder sei "nicht abgeneigt" zu heiraten. Der englische Historiker William Coxe als weiterer "Zeitzeuge" berief sich auf ein Gespräch mit dem Sohn des Grafen Poniatowski, dem langjährigen engen Vertrauten des Königs seit den Tagen von Bender, Karl XII. habe Heiratspläne gehabt ... Ob also Jan Peters mit der Feststellung, es "fehlte ganz einfach an normalen Wünschen in dieser Hinsicht. Hemmungen und Verklemmungen solcher Art machten des Königs Bindung an die Armee vermutlich und sozusagen ersatzweise noch enger" (Peters, 145), ins Schwarze trifft, bleibt dann wohl doch sehr fraglich. Es scheint eher, als hätte - wahrscheinlich auch aus einer tief religiös verankerten Überzeugung - die eheliche Liebesverbindung einen anderen Stellenwert im Leben des Königs gehabt als die Reduzierung auf eine "Art verzweifelter Unlust am anderen Geschlecht" (Peters, 145). Beispielsweise bestand der junge Karl XII. auf der Erschießung eines verheirateten Gardesoldaten, der Ehebruch mit einer anderen Soldatenfrau gestanden hatte. Die Appelle einflußreicher Ratsmitglieder, der König solle Johan Sehröder begnadigen, denn nirgends "in der ganzen Christenheit strafe man eine solche Sünde mit dem Tode", wurden abgewiesen (Aberg, 81). Karl XII. lebte auch hier dem Bilde seines Vaters nach. Und wer will entscheiden, ob es ihm nicht wirklich ernst war, nach den Kriegsjahren ein Familienleben zu führen, dann aber mit jener Konsequenz, die ihn bis dahin in die Feldzüge trieb. Die Klagen des Vaters, er habe Karls Mutter viel zu wenig Zeit erübrigt, mögen den Jungen tief berührt haben. Sieht man, wie sehr sich der Herrscher vom Vorbild des Vaters leiten ließ, dann ist auch eine solche Deutung erlaubt ... Es bleibt wohl dabei, daß der Charakter des Königs bleibende Impulse aus der Erziehung in den Kindertagen erhielt, Karl XII. zeitlebens den hier festgefügten Prinzipien folgte. Daher sind nun Psychologen und Theologen stärker gefragt, deren Hilfe der Historiker nicht entbehren kann, will er die Regungen Karls XII. ergründen. Nur so wird man den rätselhaften Schweiger, den schwer faßlichen "Starrkopf", den "Kö-
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nig Eisenkopf" überzeugender verstehen und beschreiben können. Was dennoch darzustellen war, bleibt fesselnd genug. So muß es eher überraschen, daß das Goethe-Wort: "Jeder wackere Schwede verehrt Karl XII" (Goethe, 19, 414) heute wohl kaum noch Geltung besitzt ...
Zeittafel 1682 17. Juni:
Geburt des Prinzen Kar! in Stockholm
1693 26. März:
Tod der Mutter, Ulrika Eleonora d. Älteren, Königin von Schweden, Prinzessin von Dänemark
1697 5. April:
Tod des Vaters, Karls XI., König von Schweden
7. Mai:
Brand des alten Königsschlosses in Stockholm
Juni:
Wahl Augusts des Starken, Kurfürsten von Sachsen, als August li., König von Polen
Sept./Okt.: Frieden zu Ryswijk 6. Nov.:
Einberufung des Reichstages
9. Nov.:
Einmütige Entscheidung der Stände für Mündigkeitserklärung Karls XII.
24. Nov.:
Beerdigung Karls XI.
14. Dez.:
Krönung Karls XII. in Stockholm
1698
Ehe der geliebten älteren Schwester Hedwig Sophia mit Friedrich IV. von Holstein-Gottorp
1699 24. Aug.:
Geheimes Bündnis Dänemarks und Rußlands gegen Schweden; Tod König Christians V. von Dänemark
25. Sept.:
Bündnis Dänemarks und Sachsens gegen Schweden
11. Nov.:
Bündnis Rußlands und Sachsens gegen Schweden
1700 13. Jan.:
Bündnis Schwedens mit den Seemächten
11. Febr.:
Angriff der Sachsen in Livland
9. März:
Karl XII. erfährt auf der Jagd vom Angriff sächsischer Truppen auf Riga
11. März:
Dänische Truppen marschieren in Holstein ein
14. März:
Karl XII. verläßt für immer seine Hauptstadt
25. Juli:
Landung Karls XII. auf Seeland
8. Juli:
Frieden von Travendal
Zeittafel
258
19. Aug.:
Zar Peter erklärt in Moskau öffentlich Schweden den Krieg
23. Sept.:
Beginn der Belagerung Narwas durch Zar Peter
20. Nov.:
Sieg Karls XII. bei N arwa
1701 9. Juli: 30. Dez.: 1702 23. März:
Sieg Karls XII. an der Dwina bei Riga Russischer Sieg über das schwedische Livlandheer General Schlippenbachs Marsch Karls XII. aus Litauen nach Polen
14. Mai:
Einmarsch Karls XII. in Warschau
9. Juli:
Sieg Karls XII. bei Kliszow über König August
1704 2. Juli:
Wahl Stanislaw Leszczynskis zum König von Polen und Großfürsten von Litauen
1705 24. Sept.:
Krönung Stanislaws in Warschau
18. Nov.: 1706 3. Febr.:
Friedensvertrag zwischen Polen und Schweden Sieg General Rehnskölds bei Fraustadt über die sächsische Armee
27. Aug.:
Einmarsch Karls XII. in Sachsen
14. Sept.:
Frieden von Altranstädt
1707 27. Aug.:
Abschiedsvisite Karls XII. bei König August in Dresden
November: Karl XII. erreicht mit seinem Heer wieder die Weichsel 1708 4. Juli:
Sieg Karls XII. über die russische Armee bei Holowzin
29. Sept.:
Zar Peter siegt bei Lesnaja über die schwedische Nachschubkolonne des General Lewenhaupts
3. Nov.:
Fürst Menschikow erobert die abtrünnige Kosakenfestung Baturin
23. Dez.:
Beginn einer Kältekatastrophe in der Ukraine
1709 Mai: 17. Juni:
Beginn der Belagerung Poltawas durch Karl XII. Verwundung Karls XII. an der Worskla
27./28. Juni/8. Juli: Niederlage Karls XII. bei Poltawa 1. Juli:
Kapitulation der schwedischen Armee unter General Lewenhaupt bei Perewolotschna nach Karls XII. Flucht über den Dnepr
8. Juli:
Kar] XII. erreicht die türkische Grenzfestung Otjakow
Zeittafel
259
1710 Sommer:
Eroberung Wyborgs und Kexholmens durch die russisehen Truppen
1711
Zar Peter unterzeichnet den Prut-Frieden, erlebt das "Wunder am Prut", seine Rettung aus türkischer Umzingelung, einige Stunden vor Ankunft Karls XII. im türkischen Lager
13. Juli:
1712 19. Nov.:
1713
9. Dez.:
Sieg Seenbocks bei Gadebusch über die dänische Armee
1. Febr.:
Kalabalik in Bender, Gefangennahme Karls XII. durch das türkische Heer
11. April:
Frieden zu Utrecht zwischen England, den Niederlanden und Frankreich
Sommer:
Kapitulation Stenbocks bei Tönrungen
5. Juni:
Friedensvertrag Rußlands mit der Türkei
14. Dez.:
Eröffnung eines Krisenreichstages in Stockholm gegen den Willen Karls XII.
1714 20. Sept.:
Aufbruch Karls XII. aus dem türkischen Exil in Demotika
27. Okt.:
Beginn des legendären Ritts Karls XII. mit wenigen Begleitern aus der Türkei nach Stralsund
10./11. Nov.:
Ankunft Karls XII. und seines Begleiters Düring in Stralsund
1715 Frühjahr:
Beginn des Kampfes um Pommern
5. Nov.:
Niederlage Karls XII. bei Groß-Stresow gegen die dänisch-preußischen Truppen unter Leopold von Anhalt-Dessau
12. Dez.:
Karl XII. verläßt Stralsund über das Eis
1716 26. Febr.:
t7•
Waffenstilistand General Seenbocks mit Marschall Flemrning
Karl XII. marschiert in Norwegen ein
18. April:
Die schwedische Armee muß Christiania (Oslo) wieder räumen
27. Juni:
Dänischer Seesieg im Dynekielfjord über die schwedisehen Artillerietransporter, Ende des 1. Norwegenkrieges
6. Sept.:
Karl XII. beginnt in Lund mit den Vorbereitungen eines ncuen Norwegenfeldzuges
Zeittafel
260
1717
Reorganisation der schwedischen Armee
1718 Mai:
Beginn von Friedensverhandlungen zwischen Schweden und Rußland auf den Alandinseln
11. Juli:
Karl XII. reitet zur norwegischen Grenze
Oktober:
Beginn der Belagerung der Festung Fredriksten in Südnorwegen
30. Nov.:
Tod Karls XII. im Laufgraben vor dem Fredriksten
1719 27. Febr.:
Bestattung Karls XII. in der Riddarholmskirche in Stockholm
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Personenregister Abderrahmann Pascha, Gouverneur von Otschakow 146 Achmed III., Sultan 152, 160, 167, 168, 172, 174, 176, 177, 178, 189 Adlerfelt, Gustav, Hofhistoriker Karls XII. 140 Agrell, Sven, Bataillonsprediger 141 Aigustow, russ. Brigadegeneral 127 Alexander der Große 29, 251 Alexej, Zarewitsch 220, 221 Ali Pascha, Großwesir 180 Ali Tschurlili, Großwesir 152, 153, 154, 163 Anders Alstrin, schwed. Student in Leipzig 85 Apraxin, Fjodor, russ. Admiral 102, 144 Armfelt, Karl Gustav, schwed. General 164, 228 Aronius, schwed. Heeresapotheker 58 Artamonow, W. A., sowj. Historiker 6, 7, 8 Artschelowitsch, Alexander, Prinz von Georgien, russ. General 55 Ascheberg, Christian Ludwig von, schwed, Generalmajor 211 Attila, Hunnenkönig 30, 70, 71 August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König in Polen 8, 39, 41, 42, 43, 48, 49, 51, 58, 59, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 69, 71, 73, 75, 76, 77, 78, 81, 82, 83, 85, 86, 88, 95, 154, 157, 168, 172, 175, 176, 180, 181, 184, 187, 189, 190, 192, 197, 199, 217, 254, 257, 258
Avaux, Jean Antoine des Mesme D', franz. Botschafter in Stockholm 9 Aberg, A., schwed. Historiker 32, 34, 54,57,58,62,79,80,84,85,90,94, 95,100,106,107,108,115,148,211, 227, 231, 234, 237, 240, 255 Bain, N., schwed. Historiker 19, 30, 35, 65, 67, 70, 71, 72, 89, 159, 160, 183, 184, 186, 217, 219, 234, 235, 251 Baltadschi, Mehemet Pascha, Großwesir 153, 154, 156, 157, 158, 160, 161, 162, 163, 164 Barck, Samuel, Beamter in Stockholm 88, 92, 100 Barudio, G., Historiker 18, 23, 246 Bauer, Felix, russ. General 102, 135, 142, 157 Bengtsson, F. G., Biograph Karls XII. 24, 29, 30, 33, 49, 50, 53, 63, 66, 70, 73, 75, 78, 88, 89, 98, 101, 110,113, 115, 127, 147, 148, 160, 162, 179, 192, 194, 197, 202, 218, 226, 240, 241, 243 Bergenhielm, Johan, Hofkanzler Karls XI. 23 Bielke, Ture Gabriel, Graf, Offizier Karls XII. 192, 193 Bande, Nils, Generaladjutant Karls XII. 132 Bünow, Rudolf von, schwed. Artillerieoberst 104, 118, 125 Bulawin, Kondratj Afanasejewitsch, Bauernführer im Dongebiet 101 Burensköld, Jakob, schwed. General 91
264
Personenregister
Carlberg, Bengt Wilhelm, schwed. Leutnant 231, 233, 235, 236, 238, 243 Carlowitz, Georg Carl, sächs. Generalmajor 43 Carlson, E., schwed. Historiker 24, 58, 71, 79, 147, 148, 149, 150, 162, 164,198,207,208,252 Christian IV., dän. König 209 Christian V., dän. König 39, 40, 41 Christina, schwed. Königin 14, 15,22 Clausewitz, Carl von, preuß. Offizier und Militärtheoretiker 5, 251 Coxe, William, engl. Historiker des 18. Jhs. 242, 255 Creutz, Carl Gustav, Oberst, später Generalmajor Karls XII. 80, 95, 122,123,129,134,135,137,139,144 Croissy, Louis Henry-Francois Colbert de, franz. Gesandter in Stralsund 202, 206 Cronhielm, Gustav, Baron, Lehrer Karls XII. 28 Cronstedt, Carl, schwed. Artilleriegeneral 228, 233, 240, 245 Croy, Charles Eugene von, Herzog, russ. General 51, 52, 53, 54 Cruhs, Katharina, Livländerin, später Gemahlin Peters I. 159 Czok, K., Historiker 78, 87 Dahlberg, Erik, schwed. Feldmarschall und Gouverneur von Riga 42,60 Dalsdorf, Johan Valentin von, Graf, schwed. General 202, 204 Demetrius Cantemir, Hospodar der Moldau 158 Dolgeruki, Jakow Fjodorowitsch, russ. General 55 Donnert, E., Historiker 7, 9, 158, 159, 166 Douglas, Gustaf, schwed. Landeshauptmann 32
Drake, Fredrik, schwed. Oberstleutnant 127 Dücker, Carl Gustav, Freiherr, schwed. General 194, 195, 204, 230, 245 Dühring, Johan Otto von, Adjutant Karls XII. 205 Düring, Otto Fredrik von (Erik Ungern), Adjutant Karls XII. 192, 193, 194, 195, 204, 259 Effen, Justus van, holländ. Kaufmann 217, 218 Englund, P., schwed, Historiker 81, 82, 94, 95, 111, 112, 113, 114, 120, 124, 126, 127, 128, 130, 131, 133, 135, 136, 138, 139, 140, 141, 143 Eugen, Prinz von Savoyen 5, 157, 190, 191, 197, 251 Falkenberg, Melchior, schwed. Oberst 212 Feif, Carsten, Freiherr, schwed. Beamter 227, 255 Fersen, Axel von, Graf, schwed. Reichsrat 242 Flemming,Jakob Heinrich von, Graf, sächs. Feldmarschall 43, 72, 75, 86, 168, 169, 175, 259 Fock, Gideon, schwed. Oberst 105, 106 Friedrich, von Hessen-Darmstadt, russ. Reitergeneral 104, 105 Friedrich (später Friedrich 1.), Erbfürst von Hessen-Kassel, König von Schweden 193, 208, 209, 210, 212, 214, 221, 222, 228, 237, 238, 241, 242, 245, 246 Friedrich 1., preuß. König 9, 90, 181 Friedrich II., preuß. König 249, 250, 251, 253 Friedrich IV., dän. König 47, 157, 197, 200, 208, 214, 216, 239
Personenregister
Friedrich IV., Herzog von HolsteinGottorp 36, 37, 38, 39, 40, 47, 73, 74, 257 Friedrich Wilhelm 1., preuß. König 181, 182, 185, 197, 198, 199, 206, 217, 224 Frisk, Nils, schwed. Gardesoldat 237, 238 "Frisk, Peter", Deckname Karls XII. 192, 193, 194 Fryxell, A., schwed. Historiker 90, 95, 109, 110 Funk, Thomas, schwed. Botschafter in Konstantinopel 168, 175 Geer, Louis de, Großunternehmer und schwed. "Kanonenkönig" 25 Georg 1., Kurfürst von Hannover u. brit. König 199,200,214,219,220, 224, 247 Gerai, Devlet, Tatarenkhan 112, 147, 154, 157, 158, 159, 161, 164, 167, 173, 174, 175, 176, 179 Görtz, Georg Heinrich von, Baron 181, 183, 196, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 230 Göthe, Johann Friedrich Eosander von, preuß. Gesandter in Bender 180, 181, 184 Goethe, Johann Wolfgang von 256 Golowin, Afternon Michailowitsch, russ. General 55 Goltz, Heinrich von der, russ. Feldmarschall 102, 104, 105, 106, 112 Grimberg, C., schwed. Historiker 15, 85, 92,188,239,241,242 Grothusen, Christian Albrecht von, Freiherr, Finanzbeauftragter Karls XII. in Bender u. schwed. Generalmajor 173, 175, 202 Grudzinski, Johann, poln. Offizier in schwed. Diensten 167 Güldenlöwe, Ulrich Christian, dän. Admiral 169, 170, 171
265
Guiscard, Louis, Graf, franz. Botschafter in Stockholm 48 Gustav II. Adolf, schwed. König 14, 29, 33, 82, 86, 88, 89, 251 Gustav III., schwed. König 20, 250 Gyldenstolpe, Nils, Prinzenerzieher 23 Gyllenborg, Kar!, schwed. Gesandter in London 219, 220, 223 Gyllenkrock, Axel, schwed. Oberst u. Generalquartiermeister 97, 98, 100, 104, 109, 110, 118, 122, 124, 130, 131, 135, 142, 151, 153, 154 Gyllenstierna, Nils, Baron, schwed. General 44, 72, 76 Gyllenstierna, Nils, schwed. Dragoneroberst 95, 116 Haintz, 0., Biograph Karls XII. 5, 179, 180, 181, 182, 212, 239, 240, 243, 245, 247, 251 Hallart, Ludwig, Nikolaus, russ. General 51, 52, 53, 54, 103, 104 Hamilton, Hugo, schwed. General 122, 137, 139, 141 Hamilton, Malmcolm, schwed. Kapitän 236 Hatton, R., norweg. Historikerin 191, 197, 199, 203, 215, 220, 222, 223, 224, 226, 227, 229, 240, 242, 243, 245, 248 Hedwig Sophia, Prinzessin u. Herzogin von Holstein-Gottorp, Schwester Karls XII. 19, 37, 40, 149, 150, 257 Hegardt, Martin, Theologieprofessor in Lund 225 Heim, David, hess. Hofrat u. Ratgeber des Erbprinzen von HessenKassel 241 Heinske, russ. Generalleutnant 104, 105, 132 Hellman, Jappe, Gastgeberhof-Herr in Skane 90
266
Personenregister
Hermelin, Olof, Kanzleisekretär Karls XII. 77, 78, 82, 88, 92, 98, 100 Hielm, Nils, schwed. Dragoneroberst 131 Hierta, Johan, Trabantenoffizier Karls XII. 135, 140, 238 Hjärne, H., schwed. Historiker 251 Hoffmann, P., Historiker 7, 42, 101, 144 Holland, russ. Oberst 158 Horn, Arwed, Graf, schwed. General u. Reichsrat 91, 157, 164, 183, 187, 189 Horn, Carl Johan, schwed. Kapitän 124 Horn, Henning Rudolf, schwed. Oberst u. Kommandeur von Narwa 81 Hultgren, Johan, Tafeldecker Karls XII. 234 Ifland, russ. Reitergeneral 104, 105 Illgen, Heinrich Rüdiger, preuß. Minister 180, 206 Janus, Leberecht Gottfried, russ. General 158 Jefferyes, James, Gesandter der Seemächte in Bender 145, 164, 199 Jonasson, G., schwed. Historiker 217, 218, 241, 245 Joseph I., deut. Kaiser 88, 89 Jussuf Pascha, Großwesir 166, 168 Kagg, schwed. Offizier in hess. Diensten 194 Kan, A. S., sowjet. Historiker 9, 247 Kar! II., span. König 40 Karl VI, deut. Kaiser 197 Karl X. Gustav, schwed. König 14, 15, 31, 39, 46, 209
Karl XI., schwed. König 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 33, 34, 37, 38, 39, 44, 51,195,257 Kaulbars, Arvid Johan von, Generaladjutant Karls XII. 231, 235, 239, 242, 243 Otto Wilhelm, Klinkowström, schwed. Beamter 112, 149 Königsmarck, Aurora von 67, 68 Köppen, von, preuß. Oberstleutnant 203 Koltza, Sandul, schwed. Oberst 112 Krassow, Ernst Detlof von, schwed. General 87, 112, 149, 151 Kruse, Karl Gustav, schwed. General 129 Kruse, Ulrich Christian, dän. Oberst 210, 211 Lagerberg, Sven, schwed. Oberstleutnant 161 Lagercrona, Anders, Baron, schwed. Generalmajor 97, 115, 123 Landsberg, Benhold Nikolai, dän. Kommandant des Fredriksten 239, 243 Lang, Mans, Leibknecht Karls XII. 86 Leopold, von Anhalt-Dessau ("Der alte Dessauer") 5, 201, 259 Leszczynski, Stanislaw, König von Polen 81, 83, 87, 88, 91, 112, 149, 150, 151, 157, 166, 167, 168, 170, 176, 180, 181, 182, 184, 189, 190, 258 Lewenhaupt, Adam Ludwig, Graf, schwed. General 80, 84, 101, 102, 107, 108, 109, 110, 113, 122, 123, 124, 125, 128, 129, 130, 132, 133, 136, 138, 139, 140, 142, 143, 144, 147, 151, 258 Liewen, Heinrich von, schwed. Generalmajor 186, 188, 189
Personenregister Lillieroot, Nils, schwed. Botschafter in den Generalstaaten 38 Lindsköld, Erik, Graf, Reichsrat, Gouverneur Karls XII. 18, 25, 29 Lindeberg, H., schwed. Historiker 225 Löwen, Axel, Graf, schwed. Oberst 166, 188, 187, 201, 202, 203, 211 Lubomirski, Hieronimus, Kronfeldherr Polens 73, 74, 75, 175 Ludwig XIV., franz. König 16, 49, 83, 87, 191, 196, 200 Lundkvist, S., schwed. Historiker 57 Lybecker, Georg, schwed. General 102, 164 Lyth, Joachim, schwed. Fähnrich, später Leutnant 79, 80, 84, 95, 108, 111, 115, 129 Magalotti, Italiener 15 Maigret, Philipp, franz. Ingenieuroberst in schwed. Diensten 232, 233, 234, 235, 239, 242 Manderstierna, Johan, Page Karls XII. 205 Marlborough, John Churchill, Herzog von 5, 88, 251 Maximilian Emanuel von Württemberg 129, 141 Mazeppa, Iwan, Kosakenhetmann 101, 115, 116, 143, 158 Meierfeldt, Johan August, schwed. General 150, 151, 182, 228 Menschikow, Alexander Danilowitsch, Fürst, russ. General 82, 94, 96,103,114,115,120,128,144,182, 258 Metternich 219 Mörner, Karl Gustav, schwed. General 72, 73, 210, 211, 229, 231, 239, 245 Moritz von Sachsen, Graf, illeg. Sohn Augusts des Starken, Marschall von Frankreich 67
267
Mühlenfels, russ. Brigadier 96, 97 Müllern, Henrik Gustav von, Kanzler Karls XII. 160, 221, 223 Napoleon I. 251 Natalja, Zar Peters I. Schwester 51 Neumann, Melchior, Leibmedikus Karls XII. 238, 241, 242 Nieroth, Karl, schwed. General 91 Norcopensis (Nordenhielm), Andreas, Lehrer Karls XII. 22, 23, 24, 25, 28, 29 Nordberg, Jöran, Beichtvater Karls XII. 14, 22, 23, 25, 28, 34, 43, 44, 49, 63, 64, 77, 86, 87, 111,' 114, 116, 117, 129, 140, 150, 151, 153, 154, 155, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 167, 169, 174, 175, 176, 179, 182, 192, 197, 198, 205, 206, 210, 213, 215, 216, 231, 235, 242, 254 Nordstierna, Manen Nilsson, schwed. Soldat 243 Nurman Pascha, Großwesir 153 Oscar F rederik, schwed. König 251 Osterman, Andrej Iwanowitsch, Baron, Gesandter Peters I. zu den Aland-Verhandlungen 221, 223 Oxenstierna, Bengt, Graf, Kanzleipräsident Karls XL u. Karls XII. 32, 43, 48, 57, 58, 64, 67, 81 Paijkul, Otto Arnold, sächs. General 60, 61 Persdotter, Kerstin, Soldatenfrau 69 Persson, Elna, Soldatenfrau aus Skane 80 Peter I. 5, 6, 7, 8, 9, 41, 42, 43, 48, 49, 50, 51, 56, 57, 59, 61, 63, 66, 77, 83, 88, 90, 91, 96, 101, 102, 106, 107, 109, 110, 113, 114, 119, 120, 122, 123, 129, 131, 133, 134, 136, 141, 144, 147, 150, 151, 153, 154, 157, 158, 159, 161, 162, 164, 166, 167,
268
Personenregister
170, 180, 198, 214, 216, 217, 219, 220,221,224,228,247,250,258,259 Peters, J., Historiker 6, 7, 9, 10, 40, 72,78, 164,180,204,245,247,252, 253, 254, 255 Petre, Roben, schwed. Fähnrich 115, 118 Pflug, August Ferdinand von, russ. General 103, 104, 112 Piper, Kar!, Graf, König. Rat Karls XII. 37, 49, 58, 65, 67, 68, 70, 71, 73,77,82,86,91,109,111,121,124, 137, 141, 149, 202 Pitz, russ. Oberstleutnant 158 Philström, Anders, schwed. Fähnrich 126 Polhem, Christopher, Mathematiker u. Physiker an der Universität Lund 226, 227 Polus, Thomas, Graf, Staatssekretär u. Königl. Rat Karls XI. u. Karls XII. 28, 37 Pommrin, Olof, schwed. Leutnant 128 Poniatowski, Stanislaw, poln. General in schwed. Diensten 146, 160, 161, 168, 192, 210, 255 Posse, Carl Magnus, schwed. Gardekapitän 106, 116, 126 Pufendorf, Samuel 22 Quunitius Curtius, altröm. Biograph Alexanders des Großen 29 Rakoczi, Ference, ungar. Fürst 152 Rask, Lars, schwed. Leibgardist Karls XII. 58 Rehnsköld, Karl Gustav, Graf, schwed. Feldmarschall 36, 44, 51, 52, 53, 60, 68, 71, 73, 75, 76, 82, 86, 98,105,106, 111,113,121,122,123, 124, 126, 128, 130, 131, 134, 135, 136, 137, 141, 170, 223, 229, 237, 239, 245, 258
Repnin, Anikita Iwanowitsch, Fürst, russ. General 60, 61, 103, 104, 105, 106 Rhyzelius, Anders, Beichtvater Karls XII. in Lund 227, 240 Rooke, George, brit. Admiral 47 Roos, Kar! Gustav, schwed. Generalmajor 123, 125, 126, 127, 128, 131, 132, 133, 134 Rosen, Gustav Frederik von Oohan Palm), Adjutant Karls XII. 192, 193, 195, 205 Rosen, J ., schwed. Historiker 189 Schafirow, Peter, Vizekanzler Peters I. 161 Schilkin, Andreas Jakobowitsch, Fürst, russ. Gesandter in Stockholm 48, 49 Scheremetjew, Boris Petrowitsch, russ. Feldmarschall 50, 51, 54, 56, 103, 105, 106, 158 Schlippenbach, Wolmar Anton von, schwed. General 56, 65, 141, 258 Schnitter, H., Historiker 7 Schönström, Peter, schwed. Rittmeister 202 Scholten, Jobst von, dän. General 171, 172 Schröder, Johan, schwed. Gardesoldat 69, 255 Schulenburg, Johann Mattbias von der, sächs. General 82 Schultz, deut. Feldscher in schwed. Diensten 229 Schultz, Philipp, schwed. Kapitän 236 Schwerin, Philipp Bogislaw von, schwed. General 223, 224, 235, 236, 237, 239, 240 Sehestad, Jens, dän. Vizeadmiral 199 Sicre, Andre, Adjutant des Erbprinzen von Hessen-Kassel 236, 237, 239, 240, 241, 242
Personenregister Siegroth, Gustav Hendrik von, schwed. Oberst 111, 124, 125, 127, 128 Sienawski, Adam Nikolaus, poln. Kronfeldherr 112 Siltmann, David Natanael, preuß. Oberstleutnant, Beobachter im Heer Karls XII. 138 Siöman, Johannes, schwed. Schwadronspastor 138 Smepust, Erik Larsson, schwed. Korporal 116 Sofija, Halbschwester Peters I. 51 Soliman Pascha, Großwesir 179 Sparre, Axel, schwed. General 97, 102, 123, 124, 139, 188, 191 Sparre, Bengt, schwed. Offizier 132 Sparre, Erik, Graf, schwed. Botschafter in Paris 89,219 Spinoza 227 Stackelberg, Berndt Otto, schwed. Generalmajor 123, 141 Stählin, Jacob, deut. Wissenschaftler in Rußland 179 Stahle, Hakan, schwed. Korporal in der Schlacht bei Lund 44 Stalhammar, Johan Adolf, schwed. Freiwilliger im Rußlandfeldzug Karls XII. 107 Stalhammar, J on, schwed. Oberstleutnant, Vater des Johan Adolf 62, 79, 90, 107 Steinau, Adam Heinrich, schwed. Feldmarschall 60, 61, 62, 74, 75 Steinville, österr. General 192 Stenbock, Johan, Graf, Hofmeister Karls XII. 36 Stenbock, Magnus, Graf, schwed. General 54, 57, 58, 62, 72, 74, 79, 91, 152, 155, 167, 168, 169, 170, 171, 174, 175, 176, 179, 185, 216, 259 Stiernenroos, schwed. Trabantencorporal 240
269
Stiernhöök, Johan, schwed. Historiker 53, 54 Strindberg, A., schwed. Historiker 245,246 Stuart, Jacob Eduard, schott. Thronprätendent 220 Stuart, Karl Magnus, schwed. General 28, 29, 30, 44, 45, 46, 60, 76, 77 Svebelius, Olof, Erzbischof Schwedens 34 Swedenborg, Emanuel, Mathematiker an der Universität Lund 226, 229 T alleyrand 219 Tegner, Elias, schwed. Dichter 246 Tessin, Nicodemus, schwed. Architekt 33, 207, 208, 227 Thomasius 227 Tolstoi, A., sowjet. Schriftsteller 7 Tolstoi, Pjotr Andrejewitsch, russ. Botschafter in Konstantinopel 154 Ulrika Eleonora d. Ält., Königin von Schweden 13, 16, 18, 19, 20, 257 Ulrika Eleonora d. J üng., Königin von Schweden 19,58,84, 149,186,187, 21~ 215,221,241,255 Vangelsson, Olof, schwed. Soldat aus Vällingen in Dalsland 211 Vellingk, Mauritz, Baron, schwed. Gesandter in Dresden 42, 181, 182, 183, 184 Vellingk, Otto, schwed. General 57 Villars, Claude Louis Hector, Herzog von, franz. Marschall 89, 190 Vitlock, Erik, schwed. Soldat aus Nyköping 211 Vitzhum von Eichstedt, Kammerherr Augusts des Starken 69 Voltaire 14, 67, 175, 240, 249 Wachtmeister, Hans, Graf, schwed. Admiral 45, 47, 170 Wallenstein 86, 209, 251
270
Personenregister
Wallin, Peter, schwed. Soldat aus Västergötland 211 Weide, Adam, russ. General 35 Weihe, Friderich Christoph von, schwed. Leutnant 138 Welczek, Johan, Graf, österr. Feldmarsehaileutnant 193 Wessel, Peter (Tordensköld), dän. Admiral 209, 213
Westerman, Andreas, schwed. Bataillonsprediger in Karls XII. Leibgarde 114 Wilhelm III., brit. König 56, 66 Wisocki-Hochmuth, schwed. Leutnant 50 Wrangel, Georg Johan, schwed. Oberst 130 Wrede, Caspar, schwed. Offizier 55
Ortsregister Adrianopel 168, 173, 175, 179 Aleschkowitschi 102 Altefähr 202 Altranstädt 82, 83, 87, 89, 92, 93, 156, 184, 258 Anklam 157, 182 Arnheim 220 Arnö 80 Asow 41, 51, 102, 147, 154, 157, 166 Astrachan 101 Harnberg 193 Baturin 115, 258 Bender 44, 112, 146, 152, 153, 154, 155, 168, 172, 173, 174, 180\ 181, 182, 183, 195, 202, 259 Bielnitschi 102 Birsen 59 Borissowo 102 Braila 158 Breslau 88 Buda 193
147, 156, 175, 185,
150, 162, 177, 188,
151, 164, 179, 191,
Charkow 117 Christiania (Oslo) 208, 210,211,212, 213, 229, 259 Czarnowitz 151, 154 Dambrowa 95 Damgarten 157, 172 Debreczen 193 Demmin 157, 182 Demotika 179, 186, 188, 189, 190, 191, 259 Dettingen 193
Djurgarden 30 Dömitz 194 Dolginow 108, 109 Dorpat 60, 80 Drammen 212 Dresden 41, 42, 67, 86, 258 Elblag 181, 182 Erlangen 193 Esselbach 193 Fehrbellin 15, 182 Flista 58 Fraustadt 82, 86, 99, 126, 258 Fredrikshall 210, 213, 232 Fredrikstad 212 Fredriksten 213, 223, 229, 232, 233, 239, 241, 246, 260 Gadebusch 172, 176, 177, 179, 184, 185, 259 Gadjat 116 Gjellebekk 211 Göteborg 212, 213, 239 Goniadz 96 Grabow 194 Greifswald 171, 199 Grodno 96 Groß-Stresow 201, 202, 259 Güstrow 172 Hanau 193 Hästholmen 215 Helsingborg 47, 48, 51, 152, 155, 167, 171,183,214,215,216 Helsingfors (Helsinki) 164 Helsingör 46
272
Ortsregister
Hermannstadt 193 Het Loo 220 Hjo 215 Höland 210 Holmdal 228 Holowzin 84, 102, 103, 106, 107, 125, 258 Humlebäck 46 Hussi (Husch) 159 Im Haag 42, 49, 220 lwangorod 52 lwantinsti 119 Jakowzy 119, 121 Jarma 56 J aroslovice 112 Jassy 158 Jonköping 127, 215 Kaluga 115 Karlberg 238 Karlshamn 172 Karlskrona 45, 199 Kassel 193, 194 Kaunas 69 Kexholm 164, 259 Kiew 117 Kisjenka 142 Kliszow 72, 73, 76, 77, 258 Kobrun 43 Kockenhusen 61 Kolomak 117 Konstantinopel (Stambul) 112, 146, 147, 152, 153, 167, 173, 184, 191 Kopenhagen 36, 39, 41, 45, 46, 47, 192, 199, 208, 209, 210, 216, 219 Krakow 29, 72, 76, 78, 81, 167, 237 Krotoszyn 167 Kungsör 36, 43 Lais 58 Landskrona 16,44,209,214 Lesnaja 84, 109, 110, 258
Lidingö 30 Lövö 221, 223 London 219 Lublin 78 Lützen 82, 86, 89 Lund 16, 39, 44, 79, 214, 215, 216, 218, 225, 226, 227, 228, 259 Lwow 79, 81 Malatize 108 Malmö 44 Marseille 174 Masurowka 117, 118 Meißen 82, 86 Minsk 97, 102 Mogiljow 102, 107 Moskau 49,97,98, 100,107, 108,112, 113, 118, 153 Moss 210, 211 Narwa 36, 50, 51, 52, 56, 57, 80, 99, 100, 118, 131, 222, 244, 258 Nöteborg 90 Nowgorod 57 Nowgorodek 82 · Nürnberg 193 Nystad 247 überau 86 Öxnevalla 243 Otjakow (Otschakow) 143, 145, 146, 147, 159, 258 Palanga 82 Palmer Ort 201 Parchim 194 Paris 67 Passarawitz 224 Passau 193 Peenemünde 199, 203 Perewolotschna 142, 143, 144, 145, 149, 150, 204, 258 Pernau 49 Petersburg 144, 252
Ortsregister
Pitesi 191, 192 Polock 102 Poltawa 6, 7, 8, 9, 44, 51, 113, 117, 118, 119, 121, 143, 144, 145, 148, 149, 154, 159, 160, 195, 234, 252, 253, 258 Potscheb 115 Poznan 81, 167 Praga 71, 82 Preobrashenskoje 51 Propoisk 109 Pskow 57, 59, 98 Puschkarjowka 119, 121, 143 Pyhäjöggi-Paß 50
110, 133, 150, 237,
111, 141, 151, 249,
125, 141,
Quedlinburg 67, 68 Radoschkowitschi (Radoschkowitz) 97, 100, 101, 107 Rawa 41 Rawitsch 82 Regensburg 193 Remlingen 193 Ribnitz 171 Ribtsi 119 Riga 42, 47, 49, 60, 61, 69, 81, 101, 107, 257, 258 Röros 210 Rotherturm-Paß 193 Ryswijk 38, 257 Saladen 80, 81 Salonica 174 Salsta 62 Sahholmen 45, 46 Sandomierz 76, 77 Sandsud 212 Schönburg 82 Schwedt 182 Schwerin 216 Smolensk 106, 107, 114 Smorgon 97 Starodub 115
273
Starycze 108 Stettin 17, 180, 181, 182, 183, 185, 198, 199, 206, 223, 247 Stockholm 13, 18, 19, 23, 26, 29, 33, 36, 40, 42, 43, 48, 58, 64, 88, 89, 92, 147, 154, 155, 156, 157, 164, 170, 185, 186, 187, 189, 195, 207, 208, 226,229,238,239,257,259,260 Stralsund 33, 157, 171, 183, 194, 195, 197, 198, 199, 200, 202, 203, 204, 206, 217, 219, 259 Straubing 193 Strömstad 215, 228, 229 Sundsborg 214 Taschtachka 142 Tatarsk 108, 109, 114, 115 Timurtasch 179, 180 Tistedal 229, 234 Tönningen 172, 185, 259 Törzburger Paß 192 Torpum 213, 239 Torun 77, 79, 92, 94, 197, 198, 244 Travendal 46, 47, 155, 156, 184, 257 TreUeborg 205 Treptow 157 Tribsees 172, 194 Trondheim 228 Uddevalla 215, 230, 238, 241 Uppsala 23, 85 Utrecht 181, 184, 259 Vadstena 215 Vällingen 211 Vänersborg 210, 215 Västra Ed 228 Varberg 243 Versailles 87 Vilnius 97, 102, 107 Warschau 67, 69, 71, 72, 81, 258 Weprik 116
274
Ortsregister
Wesenberg 50 Wien 42, 87, 157, 182, 189, 190, 191, 192, 193, 195, 197, 205 Wismar 17, 44, 112, 156, 157, 172, 181,183,206,216,247 Witebsk 102 Wittow 170, 171
Wlodawek 94 Wolgast 181, 198 Woronesch 154 Würzburg 193 Wyborg 164,222,259 Ystad 44, 202, 205, 207, 208
Bildnachweis Abb. 1 Karl XII. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis). Abb. 2 Ulrika Eleonora die Ältere. Königliche Bibliothek Stockholm, Maps and Prints Division, Sv. P. 2. Abb. 3 Karl XI. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Slg. Wadzeck Bd. 30, Nr. 332. Abb. 4 Das alte Stadtschloß von Stockholm. Königliche Bibliothek Stockholm, Maps and Prints Division, A. 1. Abb. 5 Ulrika Eleonora die Jüngere. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Slg. Wadzeck Bd. 30, Nr. 351. Abb. 6 Karl XII. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb. 7 Reichswappen Schwedens. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis). Abb. 8 Bengt Oxenstierna. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb.9
Jöran Nordberg. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis).
Abb. 10 Karl Piper. Königliche Bibliothek Stockholm, Maps and Prints Division, Sv. P. 7. Abb. 11 Der junge König Karl XII. beutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb.12 August der Starke. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb. 13 Peter der Große. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb.14 Christian V. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb. 15 Friedrich IV. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Slg. Wadzeck Bd. 31, Nr. 359. Abb. 16 Leopold I. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung.
276
Bildnachweis
Abb. 17 Anna, Königin von Großbritannien. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Slg. Hansen, England, Schottland, 2° 37, Nr. 85. Abb. 18 Wilhelm III. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb. 19 Friedrich I. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb. 20 Zeitgenössische karthographische Darstellung der Landung der Schweden auf Seeland. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Dokumentenbereitstellungszentrum.
Abb. 21 Gedenkmünze zum Friedensabkommen von Travendal. FriedrichSchiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis). Abb. 22 Zeitgenössische karthographische Darstellung der Belagerung von Narwa. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Dokumentenbereitstellungszentrum. Abb. 23
Gedenkmünze auf den Sieg der Schweden bei Narwa. FriedrichSchiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis).
Abb. 24 Schlacht bei Narwa. Sächsische Landesbibliothek Dresden, Abt. Deutsche Fotothek. Abb. 25
Karl Gustav Rehnsköld. Königliche Bibliothek Stockholm, Maps and Prints Division, Sn. 7.
Abb. 26 Jakow Fjodorowitsch Dolgoruki. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Porträtsammlung. Abb. 27 Zeitgenössische karthographische Darstellung der Schlacht an der Dwina. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis). Abb. 28 Die Schlacht bei Poltawa. Königliche Bibliothek Stockholm. H .P.C. XII. C. 14. Abb. 29 Erbprinz Friedrich von Hessen-Kassel. Königliche Bibliothek Stockholm, Maps and Prints Division, Sv. P. 13. Abb. 30 Georg Heinrich Görtz. Deutsche Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung I Literaturarchiv, Slg. Hansen, Staats- und Standespersonen 2° 44, Nr. 59. Abb. 31
Gedenkmünze auf den Tod Karls XII. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Audiovisuelles Zentrum (Foto: Peter Michaelis)
Abb. 1: Karl XII.
Abb. 2: Ulrika Eleonora die Ältere die Eltern Karls XII.
Abb. 3: Karl XI.
Abb. 4: Das alte Stadtschloß von Stockholm vor dem Brand im Jahre 1697
Abb. 5: Ulrika Eleonora die Jüngere, die Schwester Karls XII.
Abb. 6: Karl XII.
Abb. 7: Reichswappen Schwedens
Abb. 8: Bengt Oxenstierna
Abb. I 0: Kar) Piper
Abb. 9: Jöran Nordberg, Karls XII. Beichtvater
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Abb. I l : Der junge König Kar! XII.
Abb. 12: August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen
Abb. 13: Peter der Große, Zar von Rußland
Abb. 14: Christian V., König von Dänemark und Norwegen, Vater Friedrich V.
Abb. 15: Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen
Abb. 16: Leopold 1., deutscher Kaiser
Abb. 17: Anna, Königin von Großbritannien
Abb. 18: Wilhelm III., König von England
Abb. 19: Friedrich I., König in Preußen
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