König Karl XII. von Schweden: Band 1 Der Kampf Schwedens um die Vormacht in Nord- und Osteuropa (1697–1709) [Reprint 2015 ed.] 9783110831801, 9783110053036


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German Pages 319 [340] Year 1958

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Table of contents :
Vorwort zur 2. Auflage
I. Karls XII. Jugend, Vormundschaft und Regierungsantritt (1684—1700)
II. Der Ausbruch des Nordischen Krieges und die Abschüttelung der Gegner (1700—1702)
III. Der Kampf um Polen und die Ostseeländer (1702 bis 1705)
IV. Der Einmarsch in Sachsen und das Altranstädter Jahr (1706—1707)
V. Der Stoß auf Moskau (1707—1708)
VI. Der Rechtsabmarsch in die Ukraine (1708—Sommer 1709)
VII. Der Untergang der Armee Karls XII. 1709 (Poltawa, Perevolotnja und die Flucht in die Türkei)
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König Karl XII. von Schweden: Band 1 Der Kampf Schwedens um die Vormacht in Nord- und Osteuropa (1697–1709) [Reprint 2015 ed.]
 9783110831801, 9783110053036

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David v. K r a f f t o d e r

früher: Sammlung

David K o c k , wahrscheinlich

\\ ris>rniVI>.

kopiert. K a r l XII. v o n Srlnvedeii Juireudbildiiis.

KÖNIG KARL XII. VON SCHWEDEN VON

OTTO H A I N T Z

ERSTER Der

Kampf

um die Vormacht

BAND Schwedens

in Nord-

und

Osteuropa

(1697—1709)

ZWEITE

AUFLAGE

BERLIN

WALTER

DE

1958

G R U Y T E R

& CO.

vormals G. J. Göachen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.

© Copyright 1958 by Walter de Grnyter & Co., Berlin Printed in Germany Archir-Nr. 4149 58 Alle Rechte, einschließlich des Rechtes der Herstellung •on Fotokopien and Mikrofilmen, vorbehalten. Druck: Thormann & Goetsch, Berlin-Neukölln

VERNERVON

HEIDENSTAM,

DEM D I C H T E R U N D W I E D E R E R W E C K E R GROSSER ZEITEN UND I H R E R IN M E M O R I A M

MENSCHEN,

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort zur 2. Auflage

IX

I. Karls XII. Jugend, Vormundschaft und Regierungsantritt (1684—1700)

1 — 28

II. Der Ausbruch des Nordischen Krieges und die AbsAüttelung der Gegner (1700—1702)

2 9 — 63

III. Der Kampf um Polen und die Ostseeländer (1702 bis 1705)

64—131

IV. Der Einmarsch in Sachsen und das Altranstädter Jahr (1706—1707)

132—182

V. Der Stoß auf Moskau (1707—1708)

183—230

VI. Der Rechtsabmarsch in die Ukraine (1708— Sommer 1709)

231—266

VII. Der Untergang der Armee Karls XII. 1709 (Poltawa, Perevolotnja und die Flucht in die Türkei)

267—307

KARTEN 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Übersichtskarte Die Schlacht bei Narwa Die S&lacht bei Küssow Die Schlacht bei Fraustadt Die Schlacht bei Holowczyn Der Feldzug von Poltawa Die Schlacht bei Poltawa TITELBILD

David v. Krafft oder David Kock, Jugendbildnis Karls XII.

32 48 64 128 208 256 272

V O R W O R T Z U R 2. A U F L A G E

Der erste Band dieser Biographie ist im Jahre 1936 erschienen. In den beiden Jahrzehnten, die seitdem unter gewaltigen weltpolitischen Erschütterungen über die Menschheit hinweggegangen sind, hat trogdem die Erforschung der Geschichte der Staaten und Völker unseres Erdteils um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, die eine ähnliche Umbrudiszeit gewesen ist wie diejenige, in der wir heute leben müssen, nicht geruht. Vielleicht sind sogar aus dieser, wenn man so sagen darf, Parallelität zwischen dem Emporsteigen beider neuer Epochen, die der Zeitraum von anderthalb Jahrhunderten voneinander trennt, mancherlei Impulse für die Hinwendung des heutigen Interesses auf die von Krisen geschüttelten ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts hervorgegangen. In jedem Falle aber ist vor, während und nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges eine Anzahl von neuen und bedeutenden Untersuchungen zur Geschichte des großen Nordischen Krieges, aus dessen Schöße neben dem gleichzeitigen Spanischen Erbfolgekriege die damalige Zeitenwende in Europa Gestalt gewonnen hat, besonders von den Historikern der skandinavischen Nationen veröffentlicht worden. Sie beziehen sich selbstverständlich nicht zulegt auch auf die Persönlichkeit Karls XII., der eine der großen und zugleich interessantesten Zentralfiguren dieser Zeitenwende gewesen ist. Die Auswertung dieser seit 1936 neu erschienenen Quellenuntersuchungen und Darstellungen hat zu vielen Umgestaltungen des Textes der ersten Auflage geführt. Von wesentlicher Bedeutung ist aber nur die neue Auffassung der Epochenschlacht von Poltawa, wie sie in erster Linie aus den Aufsehen erweckenden Untersuchungen des Generals Gustaf Petri hervorgegangen ist, deren wichtigste Ergebnisse er in einem viel beachteten Vortrag vor Karolinska Förbundet 1956 am Todestage Karls XII. vorgelegt hat. Ich habe es diesem ausgezeichneten Mann zu danken, daß er mir seine Manuskripte zugänglich gemacht hat. Audi eine Anzahl von jüngeren meist schwedischen Historikern ist mit inter-

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essanten Beiträgen an dieser neuen Auffassung des Herganges und der Ursachen der Niederlage von Poltawa und der Katastrophe der bis zu diesem Wendepunkt sieggewohnten schwedischen Königsarmee in der fernen Ukraine beteiligt. Durch diese Forschungen ist das klassische, bis dahin allgemein für unumstößlich gehaltene Bild des Feldzuges von Poltawa, wie es zuerst Professor Arthur Stille vorgezeichnet und dann Oberst Carl Bennedich in dem schwedischen Generalstabswerk »Karl XII pä slagfältet« mit suggestiver Kraft ausgestaltet hat, sehr wesentlich modifiziert worden. Jedoch habe ich die in der ersten Auflage meines ersten Bandes vertretene Grundauffassung von der Größe wie aber auch von der Begrenztheit des Genius dieses absoluten Monarchen jegt in keinem Stücke abzuändern brauchen. »Ich sehe in ihm « — so sagte ich im Vorwort zu meiner ersten Auflage — » den genialeu Militär, der als erster die für Europa am Horizont der kommenden Zeiten emporsteigende russische Gefahr klar erkannt hat und der Konzeption großer und kühner politischer Ideen durchaus fähig war. Ich glaube, daß er gescheitert ist teils an der Übermacht widriger Umstände, teils an einer in den irrationalen Tiefen seines Wesens ruhenden Unterschätjung des diplomatischen Handwerks, dessen Beherrschung, wie die Weltgeschichte zu allen Zeiten gezeigt hat, von schicksalentscheidender Bedeutung für das Leben der Staaten und Völker ist.« Diese Grundauffassung vom Wesen des Königs tritt, teilweise nach der einen oder der anderen Richtung hin sogar noch schärfer pointiert, auch in der Literatur seit 1936 hervor, so z. B. in dem ausgezeichneten zweibändigen Werk von Carl v. Rosen » Bidrag tili kännedom om de händelser som närmast föregingo svenska stormaktsväldets fall« (Stockholm 1936) sowie schon früher bei Arnold Munthe »Carl XII och den ryska sjömakten « (nach des Verfassers Tode mit dem dritten Band abgeschlossen und veröffentlicht in Stockholm 1927). Den historiographisch so ungemein interessanten und zwischen den Extremen sich bewegenden Entwicklungsweg der Beurteilung der Persönlichkeit Karls XII. seit den Tagen von Voltaires weltberühmter » Histoire de Charles XII.« (erste Auflage Rouen 1731) habe ich kurz skizziert im Vorwort zur ersten Auflage dieses Bandes und dann breiter ausgeführt in einer kleinen Schrift »Karl XII. von Schweden im Urteil der Geschichte « (Schriftenreihe der Preußischen Jahrbücher, Berlin 1936).

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Meine eigene Grundauffassung von der Wesensart, der Größe und den Begrenztheiten der Persönlichkeit des Königs sowie von den immanenten Ursachen des Zusammenbruchs seines Lebenswerkes hat sich mir vollauf bestätigt im Verlaufe der Arbeit am zweiten Teil meiner Biographie, der 1951 bei Norstedt & Söner in Stockholm erschienen ist, und ebenso bei der Fertigstellung des abschließenden dritten Bandes, der jetjt gleichzeitig mit der Neuauflage des ersten Bandes vorgelegt wird. Es lebt also eine einheitliche Grundauffassung in der Linienziehung aller drei Bände. Ü b e r die archivalischen Grundlagen aller drei Bände, soweit eigene Ardiivstudien vorgenommen worden sind, ist jeweils im Vorwort Rechenschaft abgelegt worden. Das Gesamtwerk liegt nunmehr nach jahrzehntelanger Arbeit dem historisch interessierten Publikum vor. Ich habe dem deutschen Verlag Georg Stilke und dem schwedischen Verlag P. A. Norstedt & Söner dafür zu danken, daß sie auf ihre Verlagsrechte verzichtet haben. Vor allem aber bin ich der Gesellschaft Karolinska Förbundet in Stockholm zu Dank verpflichtet, daß sie die nicht unbedeutenden finanziellen Opfer für die Herauslösung des zweiten Bandes aus dem schwedischen Vertragsverhältnis übernommen hat. Und nicht zulegt gilt mein Dank auch dem Verlag Walter de Gruyter & Co., der vor dieser durch die Verhältnisse etwas schwierigen verlegerischen Aufgabe nicht zurückgeschreckt ist. Ich darf aber nicht versäumen, auch der beiden Männer dankbar zu gedenken, die mir durch ihre stete Ermutigung, Beratung und Hilfe den Abschluß meiner Arbeiten überhaupt erst ermöglicht haben: des Reichsarchivrats Dr. Herman Brulin und des Generalmajors Dr. h. c. Gustaf Petri. Schließlich ist noch ein Wort über die Datierung der Ereignisse erforderlich. Wenn nichts anderes angegeben ist, folge ich dem sogenannten » schwedischen S t i l « , der dadurch entstand, daß im J a h r e 1700 der Schalttag in Schweden fortgelassen wurde. Jedoch unterblieb die ursprünglich vorgesehene Angleidiung des Kalenders an die in den katholischen Ländern damals schon lange übliche gregorianische Zeitrechnung. In der dargestellten Periode differiert also der » schwedische S t i l « von dem » alten S t i l « des julianischen Kalenders, den Rußland trotj seiner Reformbedürftigkeit beibehielt, um einen Tag nach rückwärts, und von dem »neuen Stil« des gregorianischen Kalenders, zu dem im J a h r e 1700 Dänemark, die Niederlande und die protestantischen Staa-

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ten des Deutschen Reiches übergingen, um zehn Tage nach vorwärts. Die Schlacht bei Poltawa fand also nach »schwedischem Stil« am 28. Juni, nadi » altem Stil« am 27. Juni, nach »neuem Stil« am 8. Juli 1709 statt.

OttoHaintz.

KAPITEL I

Karls XII. Jugend, Vormundschaft und Regierungsantritt (1684—1700).

Das Erbgut eines groß und eigenartig veranlagten Herrschergeschlechtes hat in der Persönlichkeit König Karls XII. von Schweden seine letjte und ausgeprägteste Form gefunden. Von seiner Urgroßmutter, einer Schwester des großen Gustav Adolf, her kreiste in seinen Adern noch das heiße, leidenschaftliche Blut der Wasa. Durch diese Frau hatte sich der in männlicher Linie erlöschenden Familie der schwedischen Wasa verbunden das aufstrebende, kühne und anschlägige Geschlecht eines kleinen deutschen Fürstenhauses aus dem Stamme der Wittelsbather, die im 18. Jahrhundert durch ihre Familienverbindungen zeitweilig die weltbeherrschenden Dynastien derBourbonen und der Habsburger zu überschatten im Begriff schienen.1 Einer der zahlreichen pfälzischen Zweige des Hauses Wittelsbach waren die Grafen von Zweibrücken-Kleeburg. Als die verheerenden Fluten des dreißigjährigen Kriegselends sich über Deutschland ergossen, war aus der Ehe zwischen Johann Kasimir von Zweibrücken und Katharina von Wasa Karl X. Gustav hervorgegangen, der erste der pfälzischen Könige unter der Krone Schweden. Von weiblicher Seite her lebte in Karl XII. fort das Blut zweier aus einer Wurzel entsprossener, nahe verwandter und doch untereinander seit alters her erbittert verfeindeter nordischer Herrschergeschlechter, das des königlichen Hauses von Dänemark und seiner Seitenlinie Holstein-Gottorp. Karls XII. Großmutter war die stolze und prachtliebende Königin Hedwig Eleonora, geborene Prinzessin von Holstein-Gottorp, seine Mutter die dieser Frau so wesensverschiedene fromme Königin Ulrike Eleonore, eine dänische Königstochter. 1 Vgl. hierzu besonders Prinz Adalbert v. Bayern, Das Ende der Habsburger in Spanien, Bd. I, II, München 1929.

1 Haintz, König Kail XII., Bd. X

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Diese Geschlechterkette hat i n König K a r l XII. einen Typus von ausgesprochen nordisch-germanischer Wesensart hervorgebracht. Im Religiös-Irrationalen wurzelnd, von starken Willensimpulsen, der Konzeption k ü h n e r und weitausschauender P l ä n e fähig, völlig f r e i von Todesfurcht, ein aristokratischer Verächter aller gemeinen Triebe der menschlichen Seele, dabei a b e r schlicht in seinem Wesen u n d jedem P o m p abgeneigt, w a r er eine ausgeprägte H e r r s c h e r n a t u r . Niemand hat m e h r als er Menschen zu den höchsten Leistungen, zu größeren O p f e r n anzuspornen vermocht. Die geistigen Gaben, die ihm die unerforschliche Vorsehung aus dem mannigfaltigen E r b e bedeutender V o r f a h r e n auf seine großartige Lebensbahn mitgegeben hat, waren in eigentümlicher, zulegt verhängnisvoller Weise zwiespältig. Unzweifelhaft war er, als Takt i k e r wie als Stratege, handelnd wie planend, ein genialer Soldat. Als Politiker besaß er die Fähigkeit weitschauender u n d zukunftweisender Zielsetzung. Dagegen fehlten ihm Blick u n d Gefühl f ü r das H a n d w e r k der Diplomatie, ebenso das Augenmaß f ü r das Erreichbare u n d f ü r die inneren K r ä f t e seines Staates. Den Geisteswissenschaften und den schönen K ü n s t e n stand er wohl f r e m d gegenüber, dagegen h a t t e er eine starke Begabung f ü r die exakten Disziplinen. Seine Menschenkenntnis war nicht sehr entwickelt, sein natürliches Gefühl f ü r Religion, Pflicht u n d E h r e hochgespannt, aber starr. Sehr f r ü h schon sind alle diese Eigenarten seines Wesens fertig ausgeprägt. Die J a h r e seiner Erziehung haben, ohne daß der väterliche Erziehungsplan dies beabsichtigt hätte, die Linien des ihm von den Ahnen h e r überkommenen Charakterantliges vertieft, nicht ausgeglichen und ergänzt. Seine Lehrzeit f ü r den k ü n f t i g « n Herrscherberuf blieb unabgeschlossen, d a ihn der vorzeitige Tod des Vaters schon in sehr jugendlichem Alter in die höchste V e r a n t w o r t u n g f ü r Volk u n d Vaterland hineingestellt hat. Sein Lebensweg in selbstverantwortlicher Tat, vom unerforschlichen Schicksal ihm von Anfang an als eine bleibende Aufgabe gestellt, ist an allen Scheidewegen seiner Regierung ausschließlich bestimmt worden durch den i m m a n e n t e n Imperativ der eigenen Persönlichkeit. Keinem f r e m d e n Einfluß zugänglich, hat der König, so unerschütterlich wie sonst keiner der absoluten Monarchen Europas, alle entscheidenden Entschlüsse einsam gefaßt, n u r dem i m m e r gleich strahlenden Leitstern des eigenen Wesens folgend. In den geheimen rätsei- und widerspruchsvollen Tiefen

König Karl XII. von

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seiner Brust suchte und fand der Einsame den ihm gewordenen göttlichen Auftrag. Si deus pro nobis, quis contra nos? 1 Am frühen Morgen des 17. Juni 1682 wurde der Kronprinz Karl im alten, wenige Jahre darauf durch eine Feuersbrunst zerstörten Schlosse zu Stockholm geboren. Einen Monat später geschah durch die Zeremonie der heiligen Taufe seine feierliche Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft der Kirche Martin Luthers. Unter seinen Taufpaten stehen symbolhaft an erster Stelle die alte Königin Christine von Schweden, Gustav Adolfs abtrünnige Tochter, ferner die Königin von Dänemark und der Chef des Hauses HolsteinGottorp; in drei Generationen hatten diese stolzen Herrsdiergeschlechter die Ströme ihres Blutes, die Eigenart ihres geistigen Seins den jeweils nachfolgenden Erben des schwedischen Königsthrones mitgegeben. Drei jüngere Brüder des Kronprinzen starben schon im zartesten Kindesalter, zum tiefen Schmerze der Eltern. Von den zwei überlebenden Töditern heiratet die ältere, Hedwig Sophia, Karls XII. Lieblingsschwester, die früh vollendete, den jungen Herzog Friedrich IV. von Holstein- Gottorp; die andere, die spätere Königin Ulrike Eleonore die jüngere von Schweden, wird die Gemahlin des Prinzen Friedrich von HessenKassel. Für die Erziehung des kronprinzlidien Kindes sind zwei Instruktionen bestimmt gewesen. Die ältere, knapp gehaltene und auf das Notwendige beschränkte vom 11. Dezember 1688 ist vom Vater selbst verfaßt und eigenhändig niedergeschrieben worden. Sie sollte dem ersten Lehrer des jungen Prinzen, dem professor eloquentiae in Uppsala, Andreas Norcopensis, als Richtschnur dienen. Die zweite Instruktion vom 29. März 1690 stammt von dem Kanzleirat Grafen Erik Lindschiöld, den Karl X I . zum Gouverneur seines Sohnes ausersehen hatte. Sie lehnt sich an die Instruktion für die Erziehung Karls X I . an, und in ihr hat der vielbelesene und geistig interessierte Verfasser das Ideal eines allseitig gebildeten Monarchen vorgezeichnet. In beiden Instruktionen steht vorweg die Unterweisung in den Ewigkeitswerten des christlichen Glaubens, die dem Bischof und späteren Erzbischof 1 Ein bewegendes Bild der Herrscherpersönlichkeit Karls XII., wie sie eingebettet ist in das in ihm fortlebende Erbgut seiner Vorfahren und wie sie sich entwickelt hat aus den Traditionen früherer Zeiten zu den historischen Aufgaben, die ihm gestellt wurden, zeichnet, freilich ein wenig idealisierend, nach dem Stande der damaligen Forschung P. Engdahl in: Kar. Förb. Ärsbok 1930 S. 147—255.



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Erik Benzelius anvertraut wurde. Leitete doch das absolute Königtum seine Prärogative her aus göttlichem Ursprung und göttlicher Sendung. Unter den weltlichen Wissenschaften war als unentbehrlich vorangestellt die Beherrschung der notwendigsten Sprachen. So hat denn der junge Prinz bereits in früher Jugend neben der schwedischen Muttersprache das Deutsche fließend sprechen und schreiben können und schon zeitig an lateinischen Klassikern diese damals immer noch lebendige Sprache beherrschen gelernt. Auch im Französischen hat Prinz Karl gründliche Kenntnisse erworben, hat sich aber dieser Sprache, anscheinend aus einer inneren Abneigung heraus, soweit wir wissen, später niemals selber bedient. Daneben trat von Anfang an der Unterricht in der vaterländischen und der Weltgeschichte, ferner in den Staats- und Rechtswissenschaften. Selbstverständlich war es, daß der Thronfolger eine gründliche Schule in allen Zweigen des Kriegswesens durchmachen mußte. Hier fand er in seinem Kammerherrn, dem späteren Ceneralquartiermeister Karl Magnus Stuart, einen hochbegabten Soldaten und Lehrer, der das Interesse seines lernbegierigen Schülers vor allem auf Befestigungskunst und Ingenieurwissenschaften hinlenkte. Von der Kriegsgeschichte her wurden die Grundfragen der Taktik und Strategie aufgerollt. Sie fanden ihre Behandlung nicht im Sinne der damals herrschenden westeuropäischen Manöverstrategie, sondern im Geiste der beweglicheren und energischeren Kriegskunst Gustav Adolfs, Baners und Torstensons und des Feldmarschalls Erik Dahlbergh, der diese große Tradition fortgesetjt hatte. Dahlbergh hatte Karls X. Gustav und Karls XI. Feldzüge führen und ihre Schlachten schlagen helfen. 1 Ein gerütteltes Maß von Anforderungen war es also, das die frühreifen Geisteskräfte des königlichen Kindes und Jünglings voll in Anspruch nahm. Selbstverständlich ging daneben her die Übung in den ritterlichen Künsten des Reitens, Fechtens und Tanzens, und schon in sehr jungen Jahren hat der Kronprinz den Vater auf seinen Musterungen, Reisen, Jagden und bei höfischen Festen begleitet. Schnell ward in ihm lebendig, ein Erbe wagemutiger Vorfahren, die Freude an der Jagd, an der reiterlichen Leistung und am Waffenspiel. Sein Jugendlehrer Andreas Norcopensis, unter dem Namen Nordenhjelm in den Adelstand erhoben, war 1694, sein erster 1 Vgl. hierzu die gründliche Untersuchung in: Schwedischer Generalstab, Karl XII. pä slagfältet, Bd. I, S. 202 f.

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Gouverneur, der Freiherr Erik Lindschiöld, schon 1 6 9 0 gestorben. An des ersteren Stelle trat der Staatssekretär Tomas Polus und, da dieser durch seine Amtsgesdiäfte allzusehr in Anspruch genommen war, dann noch der Kammerherr Baron Gustav Cronhjelm. Des Prinzen Gouverneur wurde der Königliche R a t Freiherr Nils Gyldenstolpe, ein Staatsmann, dem freilich die auf einer ausgebreiteten Bildung beruhende Autorität seines Vorgängers fehlte. Von seinen Jugenderziehern hat Karl X I I . als Regent Liebe und Wertschätjung vor allem bewahrt seinem militärischen Mentor Stuart und dem als Staatsdiener hochbewährten Polus. Die Erziehungsmethoden, die bei dem Kronprinzen Karl Anwendung gefunden haben, sind wiederholt kritisiert worden: die Unterwürfigkeit, welche die Umgebung des königlichen Kindes, insbesondere auch seine Lehrer, diesem bezeigt haben sollen, das unverhältnismäßige Übergewicht, das der Religion, vor allem dem Alten Testament, gegenüber den anderen Fächern eingeräumt worden sei, die allzu hoch gespannten Anforderungen an die kindliche Fassungskraft und andererseits die Zersplitterung der Interessen, die hervorgerufen wurde durch die Vielzahl der Lehrer und die Überfülle der verschiedenartigsten Bildungsgegenstände. Man hat den Mängeln eines solchen Erziehungssystems die Hauptschuld daran beimessen wollen, daß der spätere König seine Entschlüsse immer nur nach eigenem Ermessen, wenn nicht nach eigener Willk ü r faßte, daß er ein übersteigertes Gefühl von der ausschließlichen Verantwortlichkeit des souveränen Herrschers seinem Gott gegenüber entwickelt hat, daß er einer starren, fatalistischen Auffassung von dem endlichen Siege der Rechtsidee im Kreislaufe eines menschlichen Daseins, gemäß der engen alttestamentarischen Lehre von Lohn und Strafe, gehuldigt habe. 1 Doch wohl zu Unrecht und in starker Überschätzung des Einflusses pädagogischer Maßnahmen auf die Entwicklung der menschlichen Seele. Die Triebkräfte, die aus der Erbmasse des Menschen und aus dem Leben selbst emporwachsen, pflegen stärker zu sein als die Impulse, welche die Erziehung gibt. Die Gaben, welche die geheimnisvolle Schöpferkraft der Natur dem jungen Könige auf seinen Lebensweg mitgegeben hat, waren außergewöhnliche, außer1 So E. Carlson, Konung Karl XII :s egenhändiga bref, Einleitung, bes. S. XVI f.; F. F. Carlson, Sveriges Hietoria, Bd. VI S. 94 f.; A. Munthe, Karl XII. och den ryska ejömakten, Bd. I S. 36 f.

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gewöhnlich auch in ihrer Disharmonie und Zwiespältigkeit. Die zeitbedingte Ideenwelt, in die er hineinwuchs, war die eines gottgewollten Absolutismus; über ihre Schranken hat ihn sein Lebensweg nie hinausgeführt. Diese Kräfte haben seine Gestalt so geformt, wie sie in der Geschichte fortlebt, in ihrer Größe wie in ihrer Unzulänglichkeit, in ihrer gewaltigen Leistung wie in ihrem tragischen Untergang. Der väterliche Erziehungsplan war an und für sich nicht schlecht. Bedenklich, wenn nicht verhängnisvoll war, daß Karl XII. zu früh, mit 15% Jahren, in den Besitj der unumschränkten Königsmacht trat. Wegen des frühen Todes der Eltern mußte die Erziehung des Prinzen abgebrochen werden, bevor er die Altersstufe erreicht hatte, auf der der heranreifende jugendliche Geist zu selbständiger und kritischer Haltung erwacht. Am 26. Juli 1693, als der kronprinzliche Knabe eben das elfte Lebensjahr vollendet hatte, starb seine Mutter, die Königin Ulrike Eleonore, tief betrauert von dem ihr so wesensverschiedenen König, ihrer Umgebung und dem ganzen Land. Und kaum vier Jahre später, am 5. April 1697, raffte ein furchtbar qualvolles Krebsleiden dem noch nicht einmal fünfzehnjährigen Kronprinzen auch den Vater hinweg. Die schweren Stunden am Sterbebette der Eltern, die Abschiedsworte der guten Mutter, das schwere, heroisch erduldete Ende des Vaters, alle diese traurigen Jugenderlebnisse haben einen unauslöschlichen Eindruck in der Seele des Sohnes hinterlassen. Im Ablauf von wenig mehr als einem halben Jahrhundert hat sich der Aufbau des schwedischen Absolutismus vollzogen. Nicht ohne retardierende Momente, zeitweise aber mit atemberaubender Schnelligkeit und in gewaltigen Konflikten erfüllt dies dramatische Geschehen die Regierung der drei Könige des pfälzischen Hauses. Es bietet, im Gleichartigen wie im Gegensätzlichen, im Bereich der schöpferischen und führenden Persönlichkeiten wie auf dem Felde des historischen Geschehens, mancherlei interessante Parallelen zu der gleichartigen Entwicklung in Preußen. Der Aufbau der neuen Staatsform geschah im norddeutschen Hohenzollernstaate zwar aus viel kleineren Anfängen heraus und langsamer als in Schweden, aber im ganzen doch stetiger, organischer. Die großen brandenburgisch-preußischen Herrscher, die die Teilung der Gewalten im Ständestaat ersetzten durch die uneingeschränkte Alleinherrschaft des Souveräns, hoben ihren Staat aus der politischen Ohnmacht, dem allgemeinen Ruin und dem

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Elend des Dreißigjährigen Krieges empor. Die drei schwedischen Könige aus pfälzischem Hause dagegen übernahmen das glänzende Erbe der baltischen Großmacht Gustav Adolfs und seiner militärisdien Diadochen. Aber sowohl Karl X. Gustav wie dann auch Karl XI. wurde, ein jeder auf der Höhe seines Lebens und seiner Schaffenskraft, durch einen viel zu frühen Tod abberufen und aus einer Fülle unvollendeter, zum Teil kaum in Angriff genommener Aufgaben durch das unerbittliche Schicksal herausgerissen. Die beiden dadurch notwendig gewordenen Vormundschaftsregierungen bedeuteten doch jedesmal einen jähen Abbruch in der politischen Entwicklung, ein Wiederaufleben der ständischen Willensenergien. Brandenburg-Preußen blieb das erspart. Seine fürstlichen Baumeister an dem Neuaufbau des Absolutismus konnten den Kreis ihres Lebens und Schaffens vollenden und ihr Werk ohne die politischen Gefahren und die unvermeidlichen Krisenzustände eines Zwischenregiments jedesmal den Händen voll regierungsfähiger Nachfolger übergeben. Karls X. Gustav großartige Persönlichkeit erscheint in vielen Zügen wesensverwandt der des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, seines genialen Waffengefährten in der Polenschlacht von Warschau. Doch waren ihm noch nicht einmal sechs kurze Regierungsjahre beschieden. Seine kriegerischen Unternehmungen, sein außenpolitisches Werk hat er nicht zu Ende führen können; die innerpolitischen Reformen, die damals in der Luft lagen und die Friedrich Wilhelm in seinem Staate fest begründet hat, vermochte Karl X. Gustav kaum in Angriff zu nehmen. So hinterließ der Hohenzoller in Brandenburg-Preußen trotj mancher Fehlschläge doch ein nach außen und innen vollendetes Lebenswerk, der Pfälzer im Reiche Gustav Adolfs dagegen nur unvollendete Aufgaben, den Torso einer großen Zielsetjung. Am schlagendsten erscheint die Parallele zwischen Karl XI. und Friedrich Wilhelm I., trog des Generationsunterschiedes, der diese beiden Herrscher zeitlich voneinander trennte. Auch Karl XI. war seines Landes »größter innerer König«. Er beschränkte sich wie der preußische Soldatenkönig auf den Aufund Ausbau der Wehrmacht, die Brechung der ständischen Sonderrechte, die Fundamentierung der landesherrlichen Souveränität und die Ordnung der Staatsfinanzen. Wie Friedrich Wilhelm I. weder ein genialer Staatsmann noch ein großer Feldherr, verzichtete er auf stolze außenpolitische Pläne und auf kühne militari-

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sehe Entwürfe. Beide waren sie Bahnbrecher kommender Schicksalserfüllung und fühlten sich als die Wegbereiter des größeren Sohnes und Erben. Beider Söhne haben denn auch durch den heroischen Glanz ihrer Taten ihren und den väterlichen Namen unsterblich gemacht. Friedrichs des Großen Schicksalsweg führte durch furchtbar schwere Krisen doch schließlich empor zu Selbstbehauptung, Sieg und Größe; der Karls X I I . ein Menschenalter früher in einen durch seine düstere und grandiose Tragik einzigartigen Untergang hinein. Trotj vieler, teilweise überraschend gleichartiger Wesenszüge war die Persönlichkeit Friedrichs unendlich viel reicher beanlagt als die Karls. Audi hatte er, als er zur Regierung kam, unter der brutalen Zucht seines Vaters bereits eine harte, heilsame Schule der Selbstüberwindung durdhmachen müssen. Aber die innere Logik des Geschichtsablaufs, die scheinbar zufällige Verwicklung der Fäden der Politik stellte beide königlichen Männer schließlich vor eine dem Wesen nach gleiche Aufgabe: sich zu behaupten gegen die erwürgende Einkreisung durch eine Koalition übermä«htiger Gegner. Vor dieser Aufgabe, der schwersten, die die Geschichte dem Politiker wie dem Heerführer stellen kann, haben die Willens- und Geisteskräfte Friedrichs bestanden, die Karls XII. schließlich versagt. Bis zur Schicksalsperipetie vollzog sich beider Männer Königsweg nach den gleichen immanenten Gesetzen eines solchen Kampfes um Sein oder Nichtsein, war ihre Lebenskurve die gleiche, so verschieden nach den Besonderheiten der Ausgangslage und der Zeitverhältnisse der äußere Tatsachenablauf auch gewesen sein mag. Der Untergang Karls X I I . und seiner Armee wurde auch der Untergang des schwedischen Absolutismus, der Untergang der schwedischen Großmacht. Ebenso wenig hätte Friedrichs des Großen absoluter Staat, die preußische Keimzelle des Bismarckreiches, Bestand gehabt, hätte Preußens großer König im Siebenjährigen Kriege nicht standzuhalten vermocht. Was an solchen säkularen Wendepunkten staatlichen Geschehens schicksalhaft ist, was Zufall, was im einmaligen Sein großer Persönlichkeiten begründet ist, das zu entwirren ist dem menschlichen Streben nach Erkenntnis versagt; was den Bezirken freien menschlichen Handelns entstammt, was vom Schöpferwillen als Erfüllung göttlicher Sinngebung vorausbestimmt ist, das zu begreifen ist der für uns Sterbliche unerreichbaren Zusammenschau des göttlichen Geistes vorbehalten. Immer aber wird es von höchstem Interesse bleiben,

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das Emportauchen eines Genius aus dem Strom des geschichtlichen Werdens, aus der Fülle der historischen Gestalten zu beobachten, die rassischen und die persönlichen Bedingtheiten seiner Herkunft zu erforschen, seine Jugendentwicklung und schließlich den Ablauf seines Lebensganges zu verfolgen, der Karl X I I . den Erfolg eines Friedrich versagte und ihm ein napoleonisches Schicksal auf die Schultern legte. Im Alter von erst 1 5 % J a h r e n hat König K a r l X I I . mit seiner Thronerhebung durch den Reichstag vom November 1697 die väterliche Macht übernommen. Hoffnungen des Adels auf Erleichterung oder gar Rückgängigmachung des Reduktionswerkes, das den adligen Grundbesitj bereits aufs schwerste erschüttert hatte, Gegensäge zwischen der französischen und der kaiserlichen Partei unter den Vormündern und den Mitgliedern des Rates, ferner die allgemeine Unzufriedenheit mit der Vormundschaftsregierung nicht nur bei den Ständen, sondern auch innerhalb des Rates, alle diese Ursachen gemeinsam haben diese verfrühte Maßnahme in ziemlicher Übereilung zustande kommen lassen. 1 D e r junge König übernahm die absolute Herrschermacht, die sein Vater in Schweden gegenüber den Ständen sidter begründet hatte, ungeschmälert aus den Händen der Vormünder. Die Krönungszeremonie zeigte, daß er gewillt war, im Geiste seines Vaters, dem er allezeit höchste Verehrung gezollt hat, als absoluter Monarch die Geschicke des Staates in eigene Hand zu nehmen. Die Regierung der Vormünder, deren Machtbefugnisse von K a r l X I . in seinem Testament von 1693 mit Sorgfalt bis ins einzelne vorher bestimmt worden waren, hatte mit großer Energie die Grundlagen des Absolutismus aufrechterhalten. Die Stände hatten keinerlei Einfluß auf die Regierungsgeschäfte durchsetzen können. Diese wurden vielmehr ausschließlich von den Vormündern und dem Königlichen R a t geführt; die inneren Angelegenheiten, auf deren Beherrschung die absolute Regierungsform beruhte, lagen in den Händen der Vormünder allein. Vor allem die Kommissionen zur Wiederaufrichtung der früheren königlichen Rechte und Einkünfte, durch die Karl X I . mit gewalttätiger Hand und oft wider Gesetj und Moral die Axt an die Wurzeln der Macht des hohen Adels gelegt 1 Über die Vormundschaftsregierung und die Vorgänge bei der Thronerhebung Karls XII. bringt eine gründliche zusammenfassende Darstellung G. Carlquist, Karl XII :s ungdom och första regeringsär, bei S. E. Bring, Karl XII. tili 200 ärsdagen af hans död, S. 57 f. (Dies wichtige Sammelwerk wird künftig zitiert: bei S. E. Bring.)

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hatte, arbeiteten unverändert weiter, und die Vormundschaftsregierung suchte das fast vollendete W e r k mit Beschleunigung zu Ende zu führen. Es ist kein Zweifel, daß K a r l X I I . bei seiner Thronbesteigung in den vollen Besitj der unumschränkten Königsmacht trat. E s zeigte sich audi sofort, daß er des festen Willens war, die Fundamente des Absolutismus in vollem Umfang zu behaupten. Die Hoffnungen, die der hohe Adel auf einen Abbau des Reduktionswerkes gesetzt hatte, wurden durch eine scharfe Ablehnung der Bitt- und Beschwerdeschrift des Adels sehr rasch enttäuscht. Bereits am 30. November 1697 erließ der junge König eine ganze Anzahl von Regierungsbesdilüssen, von denen der wichtigste die rasche Durchführung und Vervollständigung des sogenannten Einteilungswerkes betraf. Diese militärische Organisation verpflichtete die einzelnen Landschaften, vor allem Altsdiwedens und Finnlands, je ein Infanterieregiment zu stellen, und hielt die Bauern, die auf den durch die Reduktion eingezogenen Gütern angesiedelt waren, zur Gestellung und zum Unterhalt von berittenen Truppen an. Nunmehr wurden über die Bestimmungen des Einteilungswerkes hinaus die Tremänningsregimenter dadurch gebildet, daß immer j e drei der zur Gestellung und zum Unterhalt eines Soldaten der Indelningsarmee verpflichteten Bauern gemeinsam noch einen Mann zu stellen hatten. In Finnland traten an die Stelle der Tremänningsregimenter die Verdoppelungsregimenter, und die Standespersonen in den schwedischen Ländern wurden zur Aufstellung von Dragonerregimentern, den sogenannten Standesdragonern, verpflichtet. Dadurch wurde eine freilich noch unausgebildete Reservearmee von etwa 20 0 0 0 Mann neuer Truppenformationen geschaffen. 1 Alsbald zeigte sich auch, daß den bisherigen Vormündern, die in ihre alten Posten als Königliche R ä t e und Behördenchefs zurückgetreten waren, insbesondere dem Kanzleipräsidenten Graf Bengt Oxenstierna, kein ent1 C. O. Nordensvan (in: Karolinska Förbundets Arsbok 1916 S. 120 f., 171 f.) bringt eine genaue Aufstellung sämtlicher Regimenter, über die König Karl Ende 1700 verfügte, nach ihrer Truppenstärke. Die Gesamtstärke der schwedischen Armee betrug danach damals etatsmäßig fast 87000 Kombattanten. Über das Einteilungswerk urteilt völlig abwegig der sonst ausgezeichnete Forscher C. Schirren (Rezensionen, S. 88), der überhaupt den königlichen Absolutismus in Schweden merkwürdig schroff verwirft. Ähnlich scharf kritisierte das Werk Karls X I . C. v. Noorden, Europäische Geschichte im 18. Jahrhundert, Bd. II S. 12 f. Vgl. dazu auch die neueren Forschungen des Dänischen Generalstabswerks, Bd. I S. 167 f., 314 f., ferner N. Herlitz, Nordiska krigets förhistoria och första är (bei S. E. Bring S. 116/17) und H. Hjäme, Karl XII. och riksförsvaret (bei S. E. Bring S. 4 f., 11 f.).

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scheidender Einfluß eingeräumt wurde. Vielmehr wurden die beiden Kanzleiräte und Staatssekretäre Piper und Polus, die König Karl zugleich in den Rang der Königlichen B ä t e und in den Grafenstand erhob, des Königs vornehmste Berater. Polus bearbeitete und gegenzeichnete die königlichen Schriftstücke, die die außenpolitischen Geschäfte betrafen, Piper die königlidien Erlasse über die inneren Angelegenheiten. Die einzelnen Kollegien der Staatsverwaltung wie auch besonders der Königliche B a t in seiner Gesamtheit, verloren demgegenüber noch mehr als bereits unter Karl X I . an Einfluß. 1 Die Vormundschaftsregierung hat noch nicht ganz acht Monate gedauert. Trot} der Kürze dieses Zeitraums und der politischen Gegensätze, die Vormundschaft und B a t zerklüfteten, war es ihr doch gelungen, Schwedens angesehene Stellung unter den europäischen Mächten aufrechtzuerhalten, wenn nicht gar zu verbessern. Die geschickte Hand des Barons Nils Lillieroot, des schwedischen Gesandten im Haag, hatte in sehr schwierigen Unterhandlungen zwischen den Großmächten während der Monate September und Oktober 1697 den Frieden zu Byswijk zustande gebracht und dadurch äußerlich einen weithin sichtbaren politischen Erfolg erzielt. E r war um so größer, als das deutsche Stammesherzogtum der schwedischen Könige, Pfalz-Zweibrücken, einst von Ludwig X I V . mit Frankreich »reuniert«, wieder herausgegeben wurde. 2 Auch in der holsteinischen Frage, der gefährlichsten Beibungsstelle zwischen der schwedischen und der dänischen Politik, hatte die Vormundschaftsregierung glücklich operiert. Dänemark hatte geglaubt, den Tod Karls X I . und die derzeitige wenig günstige wirtschaftliche Lage in Schweden benutjen zu können, um die Streitfragen, über die die Mächte des Altonaer Vertrages von 1689 seit langem zu Pinneberg in Holstein verhandelten, zu Dänemarks Vorteil zu wenden und die im Entstehen begriffene schwedische Länderkette zwischen Oder- und Wesermündung zu sprengen. Der Streit drehte sich vor allem um das ius armorum, das der 1 Über die Organisation der schwedischen Zentralbehörden während Karls XII. Regierung berichtet E. Naumann (bei S. E. Bring S. 531 f.), vgl. auch H. Hjärne, Karl XII., S. 11 f., 82 f. 2 Wesentlich ungünstiger beurteilt die Erfolge der Außenpolitik der Vormundschaftsregierung G. Carlquist, S. 59/60; vgl. auch C. Hallendorff, Bidrag tili det stora nordiska krigets förhistoria, S. 5 f. (Upsala 1897), G. Syveton, Louis XIV. et Charles XII. (Revue d'histoire diplomatique 1898).

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junge Herzog Friedrich IV. von Gottorp, dessen Geschlecht sich mit dem dänischen Königshause in die Regierungsgewalt in d e n H e r z o g t ü m e r n teilte, gemäß d e m Altonaer Vertrag f ü r sich in Anspruch nahm. Mit t a t k r ä f t i g e r Unterstützung Karls XI. von Schweden h a t t e der Herzog bereits eigene T r u p p e n aufgestellt und Befestigungen angelegt. Nach dem Tode des schwedischen Königs h a t t e n aber dänische T r u p p e n einen Teil der nordholsteinischen Schanzen mit offener Gewalt zerstört. Schon vorher, sofort nach Karls XI. Tode, h a t t e D ä n e m a r k Fühlung mit R u ß l a n d gesucht, was um so bedenklicher war, als die Befestigungen in Schwedens Besitzungen südlich der Ostsee durchweg in sehr schlechtem Zustande waren. 1 Allerdings waren Rußlands K r ä f t e noch durch den Türkenkrieg gebunden, den es gemeinsam m i t Österreich, Polen und Venedig f ü h r t e . In dieser bedrohlichen Lage h a t t e die schwedische Vormünderregierung sehr energische Maßn a h m e n getroffen. Ein Teil der F l o t t e war mobil gemacht, schwedische Regimenter w a r e n zur Verstärkung der T r u p p e n in Deutschland bereitgestellt, und mit E r f o l g war die I n t e r v e n t i o n der übrigen Garantiemächte des Altonaer Vertrages, England, Holland u n d Braunschweig-Lüneburg, angerufen worden. Dänem a r k h a t t e es nicht gewagt, zu weiteren kriegerischen M a ß n a h m e n zu schreiten. Den Ausschlag a b e r h a t t e eine Mitteilung an den dänischen Gesandten in Stockholm gegeben, daß zur Zeit keine Aussicht bestände auf eine Ehe des jungen Herzogs von Holstein mit d e r Prinzessin Hedwig Sophie, der Schwester Karls XII. Nunm e h r h a t t e D ä n e m a r k , unterstützt von dem einflußreichen französischen Gesandten d'Avaux u n d von d e r franzosenfreundlichen P a r t e i in Schweden, durch einen Sondergesandten in Stockholm, den ausgezeichneten Diplomaten Baron Jens Juel, ernstliche Versuche gemacht, seinerseits durch eine doppelte Heiratsverbindung einen d a u e r n d e n Ausgleich zwischen den beiden nordischen Reichen zu begründen und dadurch Schweden an der holsteinischen F r a g e zu desinteressieren. Auch ein Streit zwischen Schweden u n d dem Kaiser war schließlich beigelegt worden. Als W o r t f ü h r e r des Niedersächsischen Krei1 Über die holsteinische Frage während der Vormundschaftsregierung vgl. besonders N. Herlitz (bei S. E. Bring) S. 89 f., über die verwickelten Souveränitätsverhältnisse in den Herzogtümern und ihre Entstehung H. Hjärne, Karl XII., S. 33/34 und 57f., ferner vor allem: Dänischer Ceneralstab, Bd. I S. 3 f und 11 f., sowie das Norwegische Generalstabswerk, Bd. I S. 1 f., und E. Olmer in: Sv. Hist. Tidskrift 1898 S. 1 f.

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ses hatte Schweden nämlich durch seine Truppen das Güstrower E r b e , das der Kaiser Mecklenburg-Schwerin zugesprochen hatte, zugunsten von Mecklenburg-Strelitj mit Gewalt besetjt, und dieser Zwischenfall hatte eine Zeitlang sogar die Friedensverhandlungen zu ß y s w i j k erheblich behindert. In Polen herrschten völlig verwirrte Verhältnisse, da der eben erst an Stelle der verstorbenen Majestät Johann Sobieskis zum König gewählte Kurfürst August II. der Starke von Sachsen noch keineswegs irgendeine festere Autorität besaß. Eine solche mußte bei der Zerrüttung des polnischen Staatswesens und seiner überalterten Ständeverfassung erst allmählich aufgebaut werden. Hatte doch der gewählte König, der den obersten Reithsstand darstellte, neben sich die Nebenregierung des Senats, der als zweiter Reichsstand die Bischöfe, Woiwoden, Kastellane 1 und zehn höchsten Beamten umfaßte und 144 Köpfe zählte. Diese Nebenregierung wurde unter dem Vorsitj des Kardinalprimas von Gnesen durch die zehn höchsten Beamten 2 und einige senatores residentes ausgeübt. Und schließlich war jede einschneidende Regierungsmaßnahme von der Zustimmung des Reichstages abhängig, auf dem außer den Senatoren noch die auf den Landtagen der Palatinate gewählten Vertreter der zahlreichen Rittersdiaft, die sogenannten Landboten, Sit} und Stimme hatten. E i n einziger Einspruch konnte auf Grund des 1652 beschlossenen liberum veto hier jeden Beschluß verhindern. Vor allem aber war der Aufenthalt königlicher Truppen auf dem Gebiet der Republik von der Zustimmung des Reichstages abhängig. Das stehende Heer des Doppelstaates, die sogenannte Kronarmee von Polen und von Litauen, war nicht einmal dem Könige, sondern der Republik verpfliditet. B e i seiner Thronerhebung hatte sich August verbunden, die avulsa imperii wieder ans Reich zu bringen. Solche waren die an Schweden, Rußland und die Türkei früher verlorenen Randgebiete. Wenn König August dies auch benutzte, um seine Truppen ins Land zu führen, so waren ihm doch bei "de» Inswerksetjung solcher Ziele durch die Verfassung die Hände weitgehend gebunden. Unter so beschaffenen Umständen war eine Bedrohung für Schweden von dieser Seite her zunächst nicht zu erwarten, und es hatte sich daher auch in keiner Weise ernsthaft gegen die Kandi1 Eine Art Stellvertreter und Unterbeamten der Woiwoden, besonders im militärischen Kommando. 2 Je ein Großmarschall, Großkanzler, Großschatzmeister, Untermarschall und Unterkanzler der Krone Polen und von Litauen.

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datur des Sachsen festgelegt. Allerdings richteten sich des ehrgeizigen neuen Polenkönigs Pläne sehr bald gegen das schwedische Livland, ein avulsum imperii, das 1660 im Frieden zu Oliva verloren worden war. Sie wurden bestärkt durch den livländischen Edelmann Johann Reinhold Patkul. Als Sprecher der Ritterschaft seines Heimatlandes gegen die Überführung ritterlicher Güter in Staatsbesitz durch den umstrittenen Rechtsgang des sogenannten »Reduktionswerkes« hatte sich dieser Mann in hochverräterische Umtriebe verwickelt, war zum Tode verurteilt worden und durchreiste seit seiner Flucht, gehetjt von Rachsucht und Ehrgeiz, als politischer Abenteurer Europa. Gerade damals hatte er Eingang am sächsischen Hofe gefunden. Trot} dieser zunächst noch kaum sichtbaren Gefahr, die das Wirken des gefährlichen Mannes bald für Schweden bedeuten sollte, hinterließ jedenfalls die Vormundschaftsregierung dem jungen Könige ein durchaus günstiges außenpolitisches Erbe. Nachdem die Gewitterwolken des immer latenten holsteinischen Konflikts si