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German Pages 219 Year 2018
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 129
Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch Von
Micha Cless
Duncker & Humblot · Berlin
MICHA CLESS
Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 129
Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch Von
Micha Cless
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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D29 Alle Rechte vorbehalten © 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-15568-2 (Print) ISBN 978-3-428-55568-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85568-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern und meinem Bruder
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie hat zwischen Einreichung und Drucklegung an mehreren Stellen Kürzungen, Ergänzungen und sonstige Änderungen erfahren. Die Arbeit ist auf dem Stand Mitte Mai 2018. Vereinzelt konnte auch danach veröffentlichte Literatur berücksichtigt werden. Mein tief empfundener und herzlicher Dank gilt zuerst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Klaus Ulrich Schmolke, LL.M. (NYU), der mich auf meinen Wegen stets engagiert und mit vielfältigen Anregungen und Ratschlägen begleitet und bereichert hat. Herrn Prof. Dr. Robert Freitag, Maître en droit (Bordeaux), danke ich nicht nur für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, sondern auch für wertvolle fachliche Hinweise. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe sei den Herren Professoren Holger Fleischer, Hanno Merkt und Gerald Spindler gedankt. Weiter möchte ich meinen Freunden und Kollegen in Erlangen und Mannheim für ihre unermüdliche Unterstützung danken: Ausdrücklich genannt seien nur Milan Bayram, Dominik Meier, Konstantin Neubert, Dr. Ben Koslowski und Dr. Sebastian Feige. Viele ungenannt Bleibende wissen, dass sie nicht weniger mitbedacht sind. Berlin, im August 2018
Micha Cless
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Die Einführung der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. Einbettung der Arbeit in allgemeinere Entwicklungen und Diskussionen . . . . 19 1. Funktionale Subjektivierung – Unionsbürger als „Hüter des Unionsrechts“ 19 2. Das Paradigma des Private Enforcement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 a) Grundgedanke und Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 b) Exkurs: Private Enforcement im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Regulierungsprivatrecht aus Unions- und mitgliedstaatlicher Perspektive 22 B. Sanktionsregime des reformierten Marktmissbrauchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Öffentlich-rechtliche Sanktionsvorgaben der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Strafrechtliche Sanktionsvorgaben der CRIM-MAD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Verhältnis beider Sanktionssysteme zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. Reaktionen auf das Schweigen der MAR zur zivilrechtlichen Haftung . . . . . . 28 V. Deutsche Umsetzung durch Erstes und Zweites FiMaNoG . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Aufgaben und Befugnisse der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Erweiterte und angepasste Bußgeldtatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Erweiterte und angepasste Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Bewertung der deutschen Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Schweigen des Gesetzgebers zur privaten Haftung – Sperrwirkung? . . . . . . . . . . 34 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Allgemeiner negativer Satz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Regelungslücke als Kriterium einer Sperrwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Europaweit einheitliche Anwendung der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 V. Parallelen im angelsächsischen Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 D. Status quo privater Haftung für Marktmissbrauch in anderen EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
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E. Mitgliedstaatliche Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MARVerstößen aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Objektive primärrechtskonkretisierende Vorgaben des EuGH zur Durchsetzung von Unionsrecht mittels Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Verhältnismäßigkeit der Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. „Abschreckende“ Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Zivilrechtliche Haftung als Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4. Subsidiarität mitgliedstaatlicher Sanktionierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Freiwilligkeit der Einführung zusätzlicher Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . 50 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Subjektive Rechte als Voraussetzung zivilrechtlicher Haftung . . . . . . . . . . . . . 51 III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung des EuGH? . . . 53 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Modifikationen in der Folgerechtsprechung: Rs. Manfredi . . . . . . . . . . . . . 54 3. Erste Lehren aus der Kartellschadensersatzrichtlinie für die MAR . . . . . . . 55 4. Überlegungen zur Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) (Abgeleitete) sachlich-gegenständliche Kompetenz des EuGH . . . . . . . . 57 b) Reichweite und Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Vergleich der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 d) Effet-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 e) Bewertung des Entdeckungsarguments und die Lösung der MAR . . . . . 61 aa) Vergleich mit der Anlageberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Lösungsansatz der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 cc) Weitere Meldepflichten im EU-Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . 63 dd) Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 f) Konvergenz der Sanktionierungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 g) Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Haftungspostulat aus Übertragung der Muñoz-Entscheidung des EuGH? . . . . 68 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Vergleich mit Courage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Überlegungen zur Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Reichweite und Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Vergleich der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Effet-Argument und subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 d) Rechtsfolge und Pflichtinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
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V. Bewertung von Courage und Muñoz und Maßstabsbildung für die Auslegung der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Keine direkte Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Dogmatik des subjektiven privaten Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Revision des effet-Gedankens als relatives Optimierungsgebot . . . . . . . . . . 77 4. Kritik der Rechtsverleihungspraxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Exkurs: Nachteile richterlicher Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6. Vorschlag ausdrücklicher Kriterien für die Aufstellung eines Haftungspostulats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Keine abschließende unionsrechtliche Sanktionsordnung . . . . . . . . . . . . 84 b) Vereinbarkeit einer funktionalen Subjektivierung mit Konzept und Regelungszielen des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung zur Regelungszielerreichung 85 d) Erforderlichkeit: Unerwünschtes Durchsetzungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . 85 VI. Vereinbarkeit einer funktionalen Subjektivierung mit Konzept und Regelungszielen des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Wortlaut-Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Art. 1 MAR als programmatischer Grundstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Rechtsform-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Regelungskonzept der MAR bei der Aktivierung Privater . . . . . . . . . . . . 91 c) Überprüfungsprärogative des Verordnungsgebers aus Art. 38 MAR . . . . 92 d) Rechtsaktübergreifender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Historisch-genetische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Ökonomische Hintergründe der Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Manipulationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Insiderhandelsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Begriffliche Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (1) Offenheit des Begriffs „Anlegerschutz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (2) Offenheit des Begriffs „Individualschutz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Anlegerschutz im Sinne der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (1) Anlegerschutz als Regelungsziel der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (2) Präzisierung des Anlegerschutzes im Rahmen von Art. 14 MAR 104 (3) Präzisierung des Anlegerschutzes im Rahmen von Art. 15 MAR 105
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Inhaltsverzeichnis (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (5) Erklärungsansatz: „Schadensdiffusion“ bei Individualschutz durch Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Gegenbeispiel eines klar intendierten Vermögensindividualschutzes 107 5. Gesamtergebnis der Auslegung der MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 VII. Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. In Bezug zu nehmendes Regelungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Empirischer Befund zum kapitalmarktrechtlichen Enforcement . . . . . . . . . 109 3. (Mehr) Prävention durch private Haftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Theoretisches Für und Wider einer Abschreckungswirkung . . . . . . . . . . 111 b) Voraussetzungen der Geltendmachung privater Ansprüche . . . . . . . . . . . 113 aa) Aufdeckbarkeit marktmissbräuchlichen Verhaltens für Private . . . . . 113 (1) Bei Marktmanipulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (2) Bei Insiderhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Vorliegen eines (bestimmbaren) Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (1) Bei Marktmanipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Bei Insiderhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Keine gegenläufigen wirtschaftlichen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . 122 dd) Anlegerfreundliche Ausgestaltung der Haftungsvoraussetzungen . . . 123 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Gefahr der Überabschreckung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5. Haftung als Beitrag zum Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz . . . . . . . . . . 126 6. Spillover-Effekte für die repressive Marktmissbrauchsbekämpfung . . . . . . 127 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Bedürfnis nach empirischer Überprüfung des Durchsetzungsdefizits . . . . . 129 2. Definition und Maßstab des Durchsetzungsdefizits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Durchsetzungsdefizit vor der Reform des Marktmissbrauchsrechts . . . . . . . 133 a) Einschätzung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Stimmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Ergebnisse empirischer Studien zum Durchsetzungsdefizit vor der MAR? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Zukünftige Durchsetzung der Art. 14, 15 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Erkenntnisse aus der Umsetzung der MAD 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Weitere Plausibilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Insbesondere: Abschreckung durch Kriminalisierung . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Empirische Erkenntnisse zur strafrechtlichen Abschreckung . . . . . . 143 bb) „Der kalkulierende Täter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
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cc) Freiheitsstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 dd) Subjektive Einflussgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 ee) Expressive function of law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 ff) Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 d) Einschätzungsprärogative des EU-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5. Mildere Alternativen zum Haftungspostulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 6. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 IX. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 F. EU-Recht auf Schadensersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Grundlinie der Francovich-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Zur Übertragbarkeit von Francovich auf Unionsrechtsverstöße durch Private 153 1. Schlussanträge zur Rs. Banks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Stimmen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Proprium der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Kompetenz des EuGH für ein EU-Recht auf Schadensersatz . . . . . . . . . 156 c) Verknüpfung der Rechtsprechungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 G. Konstitutionelle Überprüfung des Befunds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Recht des Geschädigten auf einen Schadensersatzanspruch? . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Art. 47 GRCH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Zulässigkeit eines nur fragmentarischen Vermögensschutzes . . . . . . . . . . . . 160 II. Schadensersatzhaftung als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Sphäre des Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Zivilrechtliche Haftung nach deutscher Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Haftung gemäß §§ 97, 98 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Erfassung verbotenen Insiderverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Erfassung marktmanipulativen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Marktmanipulationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Vorläuferregelung des § 20a WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Neuregelung des Art. 15 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Insiderverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Haftung gemäß § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
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Inhaltsverzeichnis II. Haftungspostulat oder sonstige Vorgaben aus dem Äquivalenzgrundsatz? . . . 173 1. Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Relevanz für ein Haftungspostulat hinsichtlich der Art. 14, 15 MAR . . . . . 175 III. Vorlage nach Art. 267 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
J. Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 I. Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Kompensation durch Haftung und Fairnessgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Alternativer Ausgleichsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Alternativen zur Marktmissbrauchsbekämpfung durch Haftung . . . . . . . . . . . . 180 1. Verstärkter Ausbau von Hinweisgebersystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Big Data . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 K. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 L. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
A. Einleitung I. Die Einführung der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) Die am 3. 7. 2016 in Kraft getretene Marktmissbrauchsverordnung (MAR)1 und die sie flankierende Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (CRIM-MAD)2 bedeuten eine wesentliche Zäsur auf dem Weg zu einer Europäischen Kapitalmarktunion3. Gemäß Art. 1 verfolgt die MAR das Ziel, einen gemeinsamen Rechtsrahmen für Insidergeschäfte, die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) zu errichten. Hiermit will sie die Integrität der Finanzmärkte in der Union sicherstellen und den Anlegerschutz und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte stärken. Bedenkt man, dass die Kommission etwa für das Jahr 2010 die durch marktmissbräuchliches Verhalten entstandenen Schäden EU-weit auf rund 13,3 Mrd. Euro geschätzt hatte, lässt sich die volkswirtschaftliche Relevanz der Thematik erahnen4. Die MAR reiht sich in die allgemeine Tendenz ein, das Kapitalmarktrecht durch Verordnungen zu harmonisieren5. Die europaweite Finanzmarktkrise6 der letzten Jahre hat eine Vereinheitlichungstendenz ausgelöst, mit der eine Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage zukünftig weitgehend verhindert werden soll7. Zwar lagen die Hauptursachen der Finanzkrise 2007/2008 nicht in einer epidemischen und un-
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Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 1 – 61. 2 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 179 – 189. 3 Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593; zum Begriff: Schneider, AG 2012, 823; titelgebend in Veil, ZGR 2014, 544, 545. Vgl. Europäische Kommission v. 18. 2. 2015, Grünbuch Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM (2015) 63 final. Dazu auch Hopt, EuZW 2015, 289 f.: „langwierig und schwierig, aber notwendig“; Heuer/Schütt, BKR 2016, 45. 4 Siehe Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 16 f., 200. Dazu näher McVea, in: Moloney/Ferran/Payne, The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 631, 638. 5 Merkner/Sustmann, AG 2012, 315 f.; Veil, ZGR 2014, 544, 545. 6 Aktuell zur Aufarbeitung Binder, ZGR 2016, 299. 7 Veil, ZGR 2014, 544, 545.
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A. Einleitung
sanktionierten Verbreitung marktmissbräuchlicher Verhaltensweisen8. Gleichwohl weist eine Studie aus dem Jahr 2012 darauf hin, dass insbesondere der Auftakt der Finanzkrise im November 2007 teils von massiven „bear raids“, also Marktmanipulationen, begleitet wurde9. Insoweit handelt es sich auch bei der MAR um kriseninduzierte Gesetzgebung mit typischen Folgegefahren10.
II. Gegenstand und Gang der Untersuchung Laut bisheriger BGH-Rechtsprechung löst marktmissbräuchliches Verhalten keine Schutzgesetzhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus11. Die MAR gibt Anlass, die zivilrechtliche Haftung erneut zu überprüfen – und zwar aus einer spezifisch unionsrechtlichen Perspektive. Dabei tut sich ein breites Spektrum an Meinungen auf12: So gehen einige Stimmen davon aus, die Mitgliedstaaten seien bereits de lege lata unionsrechtlich verpflichtet, Marktmissbrauch mit zivilrechtlicher Haftung zu bewehren13. Teils wird damit gerechnet, der EuGH werde einer privaten Normdurchsetzung wie im Kartellrecht zum Durchbruch verhelfen14. Manche Stimmen melden immerhin Zweifel an, ob der derzeitige Verzicht auf eine Haftung über § 823 Abs. 2 BGB noch haltbar sei15 und sehen den Gesetzgeber in einer Klarstellungspflicht16. 8
Die Hauptursache ist wohl im fatalen Zusammenspiel politisch induzierter Ausweitung der Kreditvergabe am US-amerikanischen Immobilienmarkt sowie weitergereichten Ausfallrisiken durch Verbriefungen zu sehen, deren Ratings ihre mangelnde Bonität nicht erkennen ließen. Vgl. dazu etwa Spremann/Gantenbein, Finanzmärkte, 4. Aufl. 2017, S. 266 ff.; ferner Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, 12th ed. 2017, S. 343 f., 374 f.; prägnant auch Hull, Optionen, Futures und andere Derivate, 9. Aufl. 2015, S. 242 ff. 9 Misra/Lagi/Bar-Yam, Evidence of market manipulation in the financial crisis, December 13, 2011 (Addendum: January 4, 2012), abrufbar unter: https://arxiv.org/abs/1112.3095. 10 Vgl. Binder, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 65, 70 f. m.w.N.: „vielfach nur symbolische Regulierung und Systembrüche“; s. grundlegend zu diesem Phänomen Romano, 43 Hofstra L. Rev. 25 (2014). 11 Siehe dazu näher unter H.I.2. 12 Einen Überblick über das Meinungsspektrum gibt Schmolke, NZG 2016, 721, 724. 13 Hellgardt, AG 2012, 154 ff.; Tountopoulos, ECFR 2014, 297 ff.; Poelzig, ZGR 2015, 801 ff.; Schockenhoff/Culman, AG 2016, 517, 520; Beneke/Thelen, BKR 2017, 12 ff. für Art. 14 MAR; Rau, BKR 2017, 57, 61 f. für die Referenzwertmanipulation; Wahner, Zivilrechtlicher Anlegerschutz in der Marktmissbrauchsverordnung, 2017, S. 171 ff. 14 Vgl. Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 154. 15 So etwa jüngst Roth, GWR 2016, 291; vgl. auch Fleischer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 20a Rn. 154b; Maume, ZHR 180 (2016), 358, 368; s. auch Zetzsche, in: Gebauer/ Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 84. In diese Richtung aber ohne klare Positionierung Grundmann, in: Staub HGB, Bd. 11/1, 5. Aufl. 2017, 6. Teil Rn. 437; offenlassend Wolf/Wink, in: Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 31 Rn. 61 ff., 85 ff. bzgl. Marktmanipulation sowie § 31 Rn. 76 ff. bzgl. Insiderhandel. 16 Vgl. Roth, GWR 2016, 291.
II. Gegenstand und Gang der Untersuchung
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Nach wiederum anderer Ansicht verbleibt die zivilrechtliche Haftung weiterhin im freien Ermessen der Mitgliedstaaten17. Die Lösung muss zunächst an der MAR selbst ansetzen. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 30 ff. ausdrücklich, ein verwaltungsrechtliches Aufsichtsund Sanktionssystem einzurichten. Daneben hält die CRIM-MAD die Mitgliedstaaten zur Strafbewehrung bestimmter MAR-Verletzungen an. Zu einer zivilrechtlichen Haftung schweigen beide Rechtsakte. Die Arbeit prüft schwerpunktmäßig, ob Unionsrecht – vor allem in Gestalt des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Effektivitätsgrundsatzes – eine solche Haftung für eine Verletzung der MAR verlangt. Hierbei konzentriert sie sich auf die zentralen Marktverhaltensnormen des Art. 14 (Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen) sowie Art. 15 (Verbot der Marktmanipulation). Nach einer kurzen Einbettung der Arbeit in den Kontext allgemeinerer Entwicklungen und Diskussionen (A.III.) wird das vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich vorgesehene Sanktionsregime überblicksartig skizziert (Kapitel B.). Ob dem Schweigen des Verordnungsgebers eine Sperrwirkung für nationale Haftungsregelungen beizumessen ist, geht Kapitel C. nach. Im Anschluss wirft Kapitel D. einen kurzen Blick auf die Rechtslage in einigen EU-Mitgliedstaaten. Kapitel E. widmet sich der Frage, ob der Effektivitätsgrundsatz in den Ausprägungen, die er in der Rechtsprechung des EuGH gefunden hat, von den Mitgliedstaaten verlangt, eine zivilrechtliche Haftung einzurichten („Haftungspostulat“). Hierzu beleuchtet E.I. zunächst, wie Mitgliedstaaten die Verletzung von Unionsrecht generell sanktionieren müssen (u. a. wirksam, verhältnismäßig und abschreckend) und inwieweit dies für die Sanktionsbewehrung der MAR relevant ist. In dieser aus einem strafrechtlichen Kontext stammenden Vorgabe kann man eine objektivwirksamkeitsbezogene Dimension des Effektivitätsgrundsatzes18 erkennen, weil den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, mit welchen rechtlichen Mechanismen sie die ausreichende Durchsetzung erreichen. Der EuGH treibt die Unionsrechtsdurchsetzung bekanntlich aber zugleich immer wieder speziell durch die Verleihung subjektiver Rechte voran (funktionale Subjektivierung). Dem Effektivitätsgrundsatz kann insoweit eine subjektivrechtliche Dimension abgewonnen werden19 (dazu ab E.II.). Hier stellt sich die Frage, ob sich die zentralen Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Courage aus dem
17 So beispielsweise Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 393; ebenfalls zurückhaltend Schmolke, NZG 2016, 721, 728; ders., in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 15 Rn. 99. Im Ergebnis auch Veil, ZGR 2016, 305, 323; Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 509 f. 18 s. hierzu Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 251 ff. 19 s. hierzu Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 251 ff.
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A. Einleitung
Kartelldeliktsrecht (E.III.) sowie Muñoz aus dem Marktorganisationsrecht (E.IV.) auf die MAR übertragen lassen. Aus beiden Entscheidungen ist sodann der implizite Maßstab des EuGH bei der Aufstellung primärrechtlich fundierter Haftungspostulate zu gewinnen (E.V.2.). Dabei erweist sich, dass dieser dem Charakter des Effektivitätsgrundsatzes als nur relatives Optimierungsgebot (E.V.3.) und der institutionellen Balance als Abwägungsbelang (E.V.4.) nicht ausreichend Rechnung trägt. Daher schlägt die Arbeit eine Modifikation des Maßstabs vor (E.V.6.), auf deren Grundlage die MAR ausgelegt wird (E.VI. – E.VIII.). In diesem Rahmen wird in einem ersten Schritt eine denkbare funktionale Subjektivierung mit dem Konzept und den Regelungszielen des MAR-Verordnungsgebers abgeglichen (E.VI.). Dabei liegt der Schwerpunkt auf systematischen Erwägungen (E.VI.2.) sowie auf teleologischen und ökonomisch fundierten Überlegungen zum Anlegerschutzkonzept der MAR (ab E.VI.4.). In einem zweiten Schritt ist die Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung zur Erreichung der Regelungsziele zu überprüfen (E.VII.). Nach einer kurzen Vergewisserung über das in Bezug zu nehmende Regelungsziel (E.VII.1.) wird der empirische Befund (E.VII.2.) erörtert. Unter E.VII.3. rücken Überlegungen zur Präventionswirkung sowie die Gefahr einer Überabschreckung der Marktteilnehmer (E.VII.4.) ins Blickfeld. Beleuchtet wird weiter, ob eine Haftung das Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz zu steigern verspricht (E.VII.5.) und Spillover-Effekte für die öffentlich-rechtliche Durchsetzung auslösen kann (E.VII.6.). In einem dritten Schritt ist zu überlegen, ob bestehende oder zu erwartende Durchsetzungsdefizite eine zivilrechtliche Haftung erforderlich machen (E.VIII.). Schwerpunktmäßig wird die Durchsetzungssituation vor der Reform des Marktmissbrauchrechts beschrieben (E.VIII.3.). Anschließend plausibilisiert Unterkapitel E.VIII.4. die zukünftige Durchsetzungssituation. Nach dieser Auseinandersetzung mit den Vorgaben europäischen Primärrechts in der Form, die dieses durch die Rechtsprechung des EuGH gefunden hat, thematisiert Kapitel F., ob die in der Francovich-Entscheidung des EuGH aufgestellten Staatshaftungskriterien auch gelten sollten, wenn Private Unionsrecht verletzen. Die bis dahin gewonnenen unionsrechtlichen Ergebnisse unterzieht Kapitel G. einer konstitutionellen Kontrolle am Maßstab der EU-Grundrechtecharta. Kapitel H. richtet den Blick auf die deutsche Rechtslage und untersucht, inwieweit bereits bestehende zivilrechtliche Haftungsregelungen marktmissbräuchliches Verhalten erfassen (H.I.). Auf dieser Grundlage kann sodann ermittelt werden, ob die deutsche Rechtslage auch nach Maßgabe des Äquivalenzgrundsatzes unionsrechtskonform ist (H.II.). Die Vorlagethematik nach Art. 267 AEUV ist nur kurz zu streifen (H.III.). Schlaglichtartige rechtspolitische Überlegungen in Kapitel J. runden die Arbeit ab: Die zivilrechtliche Haftung wird – nun unter den Gesichtspunkten der Kom-
III. Einbettung der Arbeit in allgemeinere Entwicklungen und Diskussionen
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pensation und Fairness anstelle der Prävention – erneut beleuchtet (J.I.). Schließlich sind zur Haftung alternative Mittel für eine weitere Bekämpfung marktmissbräuchlichen Verhaltens zu erwägen (J.II.). Kapitel K. gibt einen kurzen Ausblick. Kapitel L. fasst die gewonnenen Ergebnisse der Arbeit zusammen.
III. Einbettung der Arbeit in allgemeinere Entwicklungen und Diskussionen Die Frage nach einem unionsrechtlichen Haftungspostulat steht im Zusammenhang mit allgemeineren Entwicklungen und Diskussionen, die nachfolgend schlaglichtartig aufgezeigt werden sollen. 1. Funktionale Subjektivierung – Unionsbürger als „Hüter des Unionsrechts“ Geht man davon aus, dass die MAR oder das Unionsrecht im Allgemeinen eine zivilrechtliche Haftung vorgibt, der Individualansprüche korrespondieren, so würde der einzelne Unionsbürger mit der tatsächlichen oder zumindest drohenden Verfolgung dieser Ansprüche zugleich die Einhaltung des Unionsrechts befördern. Eine derartige Einbeziehung des Unionsbürgers in die dezentrale Vollzugskontrolle wurde in der deutschen verwaltungsrechtlichen Dogmatik als funktionale Subjektivierung bezeichnet20. Sie kann das in der traditionellen Aufgabenteilung zwischen Union (erlässt Verhaltensnormen) und Mitgliedstaaten (regeln die Rechtsfolgen/Sanktionen) angelegte strukturelle Vollzugsdefizit21 kompensieren22. In der Rechtsprechung des EuGH ist dieser Grundgedanke der Sache nach bereits in der Entscheidung Van Gend & Loos angelegt23 : Darin wird der einzelne Unionsbürger erstmals als Rechtssubjekt verstanden, dem aus dem Gemeinschaftsrecht individuelle Rechte erwachsen können, auch wenn die Verträge dies nicht ausdrücklich bestimmen24. Weiter heißt es in der Entscheidung, dass die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen eine wirksame Kontrolle
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Erstmals wohl Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, 161 ff.; Ruffert, DVBl 1998, 69 ff. 21 Siehe dazu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 262. 22 Vgl. dazu Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 50 ff. et passim; s.a. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 262 f.; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 97 ff. 23 EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963 – C-26/62, Slg. 1963, I-1 – Van Gend en Loos. Dazu auch Chalmers/Davies/Monti, European Union Law, 3rd ed. 2014, S. 293 f.; Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.01. ff. 24 EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963 – C-26/62, Slg. 1963, I-1 S. 25 – Van Gend en Loos.
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A. Einleitung
darstelle, welche die durch die Kommission ausgeübte Kontrolle ergänze25. Die Bedeutung dieser Entscheidung kann nicht hoch genug veranschlagt werden26. Gebietet Unionsrecht (aus Sicht des EuGH) eine funktionale Subjektivierung, kann diese grundsätzlich auch öffentlich-rechtlich erfolgen (etwa in Gestalt eines Staatshaftungsanspruchs gegen den Mitgliedstaat, dessen Behörden Unionsrecht pflichtwidrig [nicht] anwenden)27. Lediglich wenn der nationale Gesetzgeber dies gerade ausgeschlossen hat, wie etwa in § 4 FinDAG,28 oder ein öffentliches Recht zur Durchsetzung aus sonstigem Grund aussichtslos erschiene, müsste die Subjektivierung zwingend privatrechtlich erfolgen29. In jeder Hinsicht kann sie als Auslegungstopos des Art. 4 Abs. 3 EUV entstammenden Effektivitätsgedankens verstanden werden. Wie zu zeigen sein wird, handelt es sich aber letztlich um einen richterrechtlichen Korrekturmechanismus. Dieser sollte nur subsidiär zum Einsatz kommen, wenn die durchzusetzende Bestimmung gar keine Sanktionen vorsieht oder ihre Sanktionsregelungen nicht ausreichen, die Normadressaten zur Rechtsbefolgung anzuhalten. 2. Das Paradigma des Private Enforcement Die zivilrechtliche Haftung für marktmissbräuchliches Verhalten kann auch als eine Frage nach Möglichkeiten, Formen und Grenzen eines Private Enforcement der MAR erörtert werden. Private Enforcement kann dann als die spezifisch privatrechtliche Ausformung der funktionalen Subjektivierung aufgefasst werden. a) Grundgedanke und Herkunft Die Verleihung privater Rechte soll den „Entdeckervorsprung“ der dezentral tätigen Marktteilnehmer nutzbar machen und diese zur Rechtsverfolgung anregen30. Befürworter halten Privaten zugute, schneller, flexibler und kosteneffizienter zu arbeiten und eine „regulatory capture“ zu erschweren31. Privatpersonen werden im 25
EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963 – C-26/62, Slg. 1963, I-1 S. 26 – Van Gend en Loos. Vgl. auch zum rechtsethischen Gehalt wohl aber etwas idealisierend Kohler/PufferMariette, ZEuP 2014, 696, 705: „Aus dem einfachen Marktteilnehmer wird ein Marktbürger“. Zu den Umständen s. indes Eilmansberger, CMLR 41 (2004), 1199, 1202: „a bit of an accident“(!). Vgl. ferner Rasmussen, 12 I CON 136 – 163 (2014). 27 Den Hinweis verdankt der Verf. Alexander Hellgardt. 28 Siehe auch Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 656 f. 29 Siehe Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 196, 197. 30 Vgl. Langenbucher, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2014, 5, 13 f. zum Für und Wider. 31 Vgl. Langenbucher, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2014, 5, 13 f. Vgl. auch Ackermann, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 1, 5. Zur „regulatory capture“ in der Bankenkrise siehe Admati/Hellwig, Des Bankers neue Kleider, 3. Aufl. 2014, S. 316 ff. 26
III. Einbettung der Arbeit in allgemeinere Entwicklungen und Diskussionen
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öffentlichen Interesse in Dienst genommen, worin man den in anderem Kontext entwickelten Grundgedanken von Adam Smith erkennen kann, dass das Streben nach einem individuellen Vorteil zugleich das allgemeine Wohl fördern mag32. Auf die MAR gewendet: Wer den Ersatz des eigenen Schadens gerichtlich durchsetzt, fördert zugleich die Aufdeckung von Regelverstößen, das allgemeine Vertrauen in die Marktintegrität und die Abschreckungswirkung der Marktverhaltensnormen, ohne dies auch beabsichtigen zu müssen. Privatrechtlichen Sanktionen kann zur Erreichung rechtskonformen Verhaltens mindestens ebenso viel Gewicht zukommen wie der öffentlich-rechtlichen Sanktionierung durch Geldbußen33. Das Konzept des Private Enforcement ist US-amerikanischer Provenienz und entstammt dem anti trust law. Dort bezeichnet es die Durchsetzung des öffentlichen Kartellrechts im Wege der zivilgerichtlichen Klage34. Der Begriff hat somit eine prozessuale Färbung, bezeichnet aber im Kern denselben Gedanken wie die funktionale Subjektivierung. So verwundert es nicht, dass der per se rechtsgebietsübergreifende Begriff des Private Enforcement auch auf europäischer Ebene – soweit erkennbar – erstmalig im Bereich des Kartelldeliktsrechts Verwendung gefunden hat35. Speziell für das Marktmissbrauchsrecht fasst Avgouleas unter Private Enforcement Schadensersatzklagen von Anlegern, die einen Verlust erlitten haben, welcher das Ergebnis eines marktmissbräuchlichen Verhaltens ist, sei es in Form von Insiderhandel oder Marktmanipulation36. Die Einbindung Privater zur Rechtsdurchsetzung im Wege gesetzlicher Verpflichtung, etwa durch Meldepflichten von Börsenplatzbetreibern (vgl. Art. 4 MAR) sollte als zur Rechtsverleihung umgekehrter Ansatz auch begrifflich unterschieden werden: Hier bietet es sich an, schlicht von einer Aktivierung Privater zu sprechen. b) Exkurs: Private Enforcement im deutschen Recht Bekanntlich gibt es spezielle Normen, die die Durchsetzung objektiven Rechts mittels privater Rechtsbehelfe einer Privatperson (oder Vereinigung) ermöglichen. Beispielhaft seien vor allem der kartellrechtliche § 33 GWB und die lauterkeitsrechtlichen §§ 8 – 10 UWG genannt, für das Öffentliche Recht § 2 UmweltRechtsbehelfsgesetz. Im allgemeinen deutschen Zivilrecht kann man jedenfalls § 823 Abs. 2 BGB als eine Private Enforcement ermöglichende Bestimmung auf32
Vgl. A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Vol. I, S. 456. 33 Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 543. 34 Vgl. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 56 ff. Vgl. etwa: J. I. Case Co. v. Borak – 377 U.S. 426, 432 (1964). 35 Vgl. etwa die Definiton bei Milutinovic, The „Right to Damages“ under EU Competition Law, S. 14: „(…) the term ,private enforcement‘ refers to the application of the Articles 101 and 102 TFEU by individuals or undertakings, alone or in combination with other provisions of Union or national law, before the national courts of the Member State“. 36 Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 449.
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A. Einleitung
fassen. Dort führt die Verletzung gerade einer allgemein öffentlich-rechtlichen Norm zu einem privaten Schadensersatzanspruch37, sofern diese als Schutzgesetz eingeordnet werden kann. Solange keine spezielle gesetzliche Anspruchsgrundlage geschaffen wird, wäre § 823 Abs. 2 BGB auch das Vehikel für eine richterrechtliche Haftungsbewehrung der MAR. 3. Regulierungsprivatrecht aus Unionsund mitgliedstaatlicher Perspektive Die Zunahme privater Rechtsdurchsetzung steht im größeren Zusammenhang eines sich schon seit Anbeginn des Binnenmarktes herausbildenden europäischen Regulierungsprivatrechts38. Kurz gesagt kann man darunter verstehen, dass Privatrecht nicht mehr allein ein auf Autonomie und Selbstbindung bezogenes System zur Organisation privaten Handelns in einer Marktgesellschaft ist39. Vielmehr etablieren sich quer zu den nationalen Trennlinien zwischen öffentlichem und Privatrecht rein der Funktionalität von Wettbewerb und Regulierung unterworfene sektorale Marktordnungen40, wie die des Kapitalmarktrechts41. Während dem europäischen Normgeber eine eigene Kompetenz für das Privatrecht fehlt, kann der EuGH diesen Prozess methodisch durch den effet utile forcieren42. Die unionsrechtlich konsequent vorangetriebene Ausbildung eines Regulierungsprivatrechts rührt zugleich an die tradierten Funktionsbestimmungen der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnung. Aus zivilrechtlicher Warte geht es darum, ob das Privatrecht als Teilrechtsordnung überhaupt angeblich disziplinfremde Ziele verfolgen soll, die traditionell durch das Öffentliche Recht einschließlich des Strafrechts angestrebt werden43. Ob das Privatrecht mit der (zusätzlichen) Beförderung des Gemeininteresses44 eine legitime Funktion erfüllt, kann grundsätzlich 37 Dieser Einordnung steht auch nicht das hergebrachte Schutzzweckkriterium entgegen: Private Enforcement so zu fassen, dass es sich auf die Durchsetzung von Normen beschränkt, die ausschließlich (!) im öffentlichen Interesse liegen, wäre wohl zu eng. Dies liefe auf eine Gleichsetzung privater Rechtsdurchsetzung mit der nach allgemeiner Ansicht unzuläsigen Popularklage hinaus. 38 Dazu grundlegend: Micklitz, GPR 2009, 254 ff.; 2010, 2 ff.: Europäisches Regulierungsprivatrecht: Plädoyer für ein neues Denken; s.a. Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 2016, S. 135, 140 sowie 165; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016. 39 Micklitz, GPR 2009, 254, 257. 40 Zum Begriff vgl. zuletzt Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 4 f. 41 Micklitz, GPR 2009, 254, 255 ff. Vgl. auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 257; Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 539. 42 Micklitz, GPR 2009, 254, 257. 43 Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355, 360. Die Grundprämisse der Unterscheidbarkeit von autonomen und heteronomen Regelungszielen ist freilich erklärungsbedürftig. 44 Podszun spricht prägnant von einer „Publifizierung des Privatrechts“, Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014, S. 96 ff., 280 ff.
III. Einbettung der Arbeit in allgemeinere Entwicklungen und Diskussionen
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hinterfragt werden45. Die Sicht auf ein dem Obrigkeitsstaat zu entziehendes, vollkommen apolitisches Privatrecht dürfte im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat aber ebenfalls überholt sein46. Private werden jedenfalls dann nicht in ungebührlicher Weise mit staatlichen Aufgaben befrachtet, soweit sie nicht gesetzlich verpflichtet, sondern ihnen lediglich private Klagemöglichkeiten eröffnet werden47. Die Frage, ob die Durchsetzung einer EU-Verordnung wie der MAR zusätzlich im Wege einer zivilrechtlichen Haftung gewährleistet werden soll, muss auch vor dem Hintergrund einer Funktionsbestimmung des Privatrechts erörtert werden.
45
Siehe hierzu Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 73: so „(…) soll der Bürger eben nicht die Päckchen eines müde gewordenen Staates schleppen (…)“; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 404 f. Siehe zu einer rein normativ-individualistischen Begründung der Privatautonomie etwa Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, Das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, S. 6 f.; in rechtstheoretischer Hinsicht Weinrib, The Idea of Private Law, 1995, S. 204 ff. Ein radikales Gegenmodell hierzu entwirft Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016 – bündig auf S. 9: Privatrecht kann vielmehr für jedes verfassungsrechtlich legitimierte Regulierungsziel eingesetzt werden.“ 46 Instruktiv zum historischen Hintergrund und m.w.N. Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 17 ff. Jüngst und einen Perspektivenwechsel einfordernd auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016. 47 Siehe zum „freiheitsfördernden Moment privater Klage“ Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 32 ff. Zur Frage, ob und wie die Indienstnahme Privater sozialethisch begründbar ist, siehe vertiefend Ackermann, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 1, 12 f.
B. Sanktionsregime des reformierten Marktmissbrauchsrechts Anders als etwa die Rating-VO1 (Art. 35a) enthält die MAR keine ausdrückliche Regelung zur zivilrechtlichen Haftung für die Verletzung ihrer Bestimmungen. Der europäische Verordnungsgeber hat sich ausschließlich für ein öffentlich- und strafrechtliches Sanktionssystem entschieden. Die Aufsichtsbehörden sollen auf gleichwertige, starke und abschreckende Sanktionsregelungen für alle Finanzvergehen zurückgreifen können, wie es im Einklang mit ständiger EuGH-Rechtsprechung2 in Erwägungsgrund (70) heißt. Mit dieser im Wesentlichen bereits in Art. 14 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG (MAD 2003)3 enthaltenen Formel begnügt sich der Verordnungsgeber indes nicht, sondern gibt den Mitgliedstaaten nun erstmalig die Grundstrukturen des Rechtsfolgenbereichs vor4. Laut Kommissionsmitteilung vom 8. 12. 20105 und de Larosière-Report hatten sich die bisherigen Finanzmarktbestimmungen als unzureichend erwiesen und die für Marktmissbrauch vorgesehenen Sanktionsregelungen in den Mitgliedstaaten als „generell schwach und heterogen“6.
I. Öffentlich-rechtliche Sanktionsvorgaben der MAR Art. 30 Abs. 1 MAR verpflichtet die Mitgliedstaaten, die nationalen Behörden mit Mindestbefugnissen für angemessene verwaltungsrechtliche Sanktionen und 1 Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen, ABl. L 302 vom 17. 11. 2009, S. 1 – 31. 2 Dazu unten ausführlicher unter E.I. 3 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 4. 2003, S. 16 – 25. 4 Kalss, EuZW 2012, 361 ff: Der europäische Normgeber „entdeckt“ den Rechtsfolgenbereich. Ebenso Wurmnest/Heinze, in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 39. Zur Herkunft der Leitprinzipien aus dem britischen Recht siehe Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/ Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 290. 5 KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 2 ff. 6 Bericht der hochrangigen Gruppe „Finanzaufsicht in der EU“ unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière, 25. 02. 2009, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/finances/ docs/de_larosiere_report_en.pdf, S. 26; s.a. Sorgenfrei/Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. 2017, Kommentierung zu §§ 38 Abs. 1, Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3c, 3d Nr. 2 WpHG i.V.m. Art. 15, 12 MAR Rn. 19.
II. Strafrechtliche Sanktionsvorgaben der CRIM-MAD
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andere Maßnahmen auszustatten, die Absatz 2 der Vorschrift aufzählt: Demnach soll die Aufsichtsbehörde anordnen können, dass eine gegen die MAR verstoßende Person ihre Verhaltensweisen einzustellen und von der Wiederholung abzusehen hat (lit. a). Den infolge des Verstoßes erzielten Gewinn muss die Behörde einziehen dürfen (lit. b). Der mitgliedstaatliche Gesetzgeber muss ihr die Befugnis einräumen, eine öffentliche Warnung auszusprechen (lit. c), die Zulassung einer Wertpapierfirma zu entziehen oder auszusetzen (lit. d), ein vorübergehendes (lit. e) oder dauerhaftes Tätigkeitsverbot für Führungsaufgaben zu verhängen (lit. e) und Eigengeschäfte vorübergehend zu untersagen (lit. g). Zudem muss die Behörde eine finanzielle Sanktion verhängen können, die mindestens bis zur dreifachen Höhe der durch die Verstöße erzielten Gewinne oder vermiedenen Verluste gehen kann, sofern sich diese beziffern lassen (lit. h). Der Bußgeldrahmen wird dann sowohl für natürliche Personen (lit. i) als auch für juristische Personen (lit. j) spezifiziert. Naming and shaming der verantwortlichen Personen gehören nun ebenfalls zum vorgegebenen Sanktionsrepertoire7 (Art. 34 MAR). Die Öffnungsklausel in Art. 30 Abs. 38 erlaubt es den Mitgliedstaaten, der zuständigen Behörde weitere Befugnisse zu übertragen und noch höhere Sanktionen festzulegen. Erwägungsgrund (71) präzisiert, dass den Mitgliedstaaten weiterhin „strengere verwaltungsrechtliche Sanktionen“ oder „andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen“ frei stünden. Die Öffnungsklausel bezieht sich somit nicht auf zivilrechtliche Sanktionen, vielmehr fallen diese komplett aus dem Regelungsbereich der MAR hinaus. Mit der Zumessungsregel des Art. 31 Abs. 1 MAR verpflichtet der Verordnungsgeber die Mitgliedstaaten in Einklang mit Erwägungsgrund (71) dazu, sicherzustellen, dass die Behörden bei der Bestimmung der Art und Höhe der verwaltungsrechtlichen Sanktionen „alle relevanten Umstände“ berücksichtigen. Diese werden dann beispielhaft aufgezählt: So sollen u. a. Schwere und Dauer des Verstoßes berücksichtigungsfähig sein (lit. a), der Grad an Verantwortung der normverletzenden Person (lit. b) oder deren erzielten Gewinne (lit. d).
II. Strafrechtliche Sanktionsvorgaben der CRIM-MAD Neben der verwaltungsrechtlichen steht die strafrechtliche Sanktionierung durch die CRIM-MAD9, der EU-Gesetzgeber geht damit zweispurig vor10. Zwar hätte man 7
Krause, CCZ 2014, 248, 258. Vgl. auch Erwägungsgrund (71). 9 s. allgemein Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 278, 292: „Zeitenwende“; Kudlich, AG 2016, 459 ff.; Renz/Leibold, CCZ 2016, 157 ff. Der zusätzlichen Richtlinie bedurfte es deshalb, weil die EU auf dem Gebiet des Strafrechts keine Kompetenzen zum Erlass von Verordnungen hat, s. Art. 83 Abs. 2 AEUV, vgl. Ritz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, Einl. Rn. 99. 10 Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 93. 8
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B. Sanktionsregime des reformierten Marktmissbrauchsrechts
die Regelbefolgung vor dem Hintergrund der Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts11 auch alleine über das Ordnungswidrigkeitenrecht absichern können, doch wollte der europäische Normgeber wegen des hohen Rechtsguts der Marktintegrität und des Marktvertrauens auf eine strafrechtliche Bewehrung nicht verzichten12. Diese bringt eine im Vergleich zu anderen Sanktionsmechanismen gesteigerte soziale Missbilligung zum Ausdruck13. Zugleich wird vor allem Freiheitstrafen eine stärkere Präventionswirkung als verwaltungsrechtlichen Sanktionen zugeschrieben14. Bis zum 3. 7. 2016 mussten sämtliche Mitgliedstaaten zumindest die besonders schwerwiegenden15 Formen marktmissbräuchlichen Verhaltens in ihrem nationalen Recht unter Strafe stellen (Art. 13 CRIM-MAD). Zum Erlass der CRIM-MAD hat der Richtliniengeber erstmalig die strafrechtliche Annexkompetenz des Art. 83 Abs. 2 AEUV in Anspruch genommen16. Im Kern sollten drei Straftatbestände geschaffen werden, jeweils mindestens für schwerwiegende Fälle und vorsätzliches Verhalten: (1) Insider-Geschäfte, Empfehlung an Dritte oder Anstiftung Dritter zum Tätigen von Insider-Geschäften in Art. 3. (2) Unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen in Art. 4 sowie (3) Marktmanipulation in Art. 5 der CRIM-MAD. Das Höchstmaß für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation muss dabei mindestens vier Jahre Freiheitsstrafe, das für die unrechtmäßige Offenlegung von Insider-Informationen mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe betragen (Art. 7 Abs. 2, 3 CRIM-MAD).
11 Der ultima-ratio-Gedanke ist auch unionsrechtlich grundsätzlich anerkannt, vgl. Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 109 m.w.N. 12 Vgl. Kudlich, AG 2016, 459, 461. 13 s. Erwägungsgrund (6) CRIM-MAD; COM MEMO/14/78 v. 04.02.104, Directive on criminal sanctions for market abuse – Frequently Asked Questions Nr. 4: „Criminal sanctions demonstrate social disapproval of a qualitatively different nature compared to administrative sanctions or compensation mechanisms under civil law”. Vgl. auch Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 322: „social demerit“; Veil, ZBB 2014, 85, 86; Möllers, AcP 208 (2008), 1, 33 f.; Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3rd ed. 2014, S. 766. 14 So bspw. KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 15; Sorgenfrei/Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. 2017, Kommentierung zu §§ 38 Abs. 1, Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3c, 3d Nr. 2 WpHG i.V.m. Art. 15, 12 MAR Rn. 19 m.w.N.; Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 322. 15 Was darunter zu verstehen ist, wird in den Erwägungsgründen (11) – (12) näher charakterisiert. 16 Kudlich, AG 2016, 459; Pananis, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Aufl. 2015, § 38 WpHG Rn. 26 m.w.N. kritischer Stimmen. Vgl. dazu auch die Subsidiaritätsrüge des Bundesrats, BR-Drs. 646/11. Vgl. dazu das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. 06. 2009, NJW 2009, 2267, 2288 f. Rn. 362: Darin bejaht das Bundesverfassungsgericht die verfassungskonforme Auslegbarkeit der Bestimmung, verlangt hierfür aber den empirischen Nachweis, dass ein gravierendes Vollzugsdefizit besteht, welches nur durch Strafandrohung beseitigt werden kann.
III. Verhältnis beider Sanktionssysteme zueinander
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Zudem verlangt Art. 6 Abs. 2 CRIM-MAD, dass auch der Versuch der Marktmanipulation strafbar ist17. Die Mitgliedstaaten müssen nach Art. 8 Abs. 1 die Verantwortlichkeit juristischer Personen sicherstellen und zwar neben der nach Abs. 2 einzurichtenden Haftbarmachung bei mangelnder Überwachung und Kontrolle (letztere wird gegenwärtig über § 130 OWiG in Verbindung mit § 30 OWiG bewerkstelligt)18. Art. 9 der CRIM-MAD lässt im Hinblick auf juristische Personen auch nichtstrafrechtliche Geldbußen genügen, wodurch sich die Richtlinie mit dem ohnehin bereits in der MAR festgelegten verwaltungsrechtlichen19 Bußgeldtatbestand in Art. 30 Abs. 2 lit. j überschneidet.
III. Verhältnis beider Sanktionssysteme zueinander Das Verhältnis zwischen beiden Sanktionssystemen wird nur ansatzweise geregelt20. Die CRIM-MAD soll nach ihrem Erwägungsgrund (23) die MAR ergänzen und ihre wirkungsvolle Umsetzung gewährleisten. Laut Erwägungsgrund (72) der MAR steht es den Mitgliedstaaten frei, für ein und denselben Verstoß sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Sanktionen festzulegen. Daneben soll der Informationsaustausch zwischen Verwaltungs- und Strafbehörden sichergestellt werden, vgl. etwa Art. 25 Abs.1 Ua. 4 MAR. Die Mitgliedstaaten müssen weiter gewährleisten, dass verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen den Grundsatz des ne bis in idem nicht verletzen (Erwägungsgrund (23) CRIM-MAD). Zur alten Sanktionsregelung des Art. 14 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG hatte der EuGH bereits in der Rs. Spector festgehalten, dass bei der Zumessung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion eine nur hypothetische spätere strafrechtliche Sanktion nicht zu berücksichtigen sei21. Dies dürfte auch für die MAR und CRIM-MAD gelten22. Der EGMR hat in der Rs. Grande Stevens im Zusammentreffen strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Sanktionen nach italienischem Recht aber eine Verletzung des ne bis in idem gesehen (vgl.
17 Pananis, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Aufl. 2015, § 38 WpHG Rn. 26; Krause, CCZ 2014, 248, 258; Sorgenfrei/Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. 2017, Kommentierung zu §§ 38 Abs. 1, Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3c, 3d Nr. 2 WpHG i.V.m. Art. 15, 12 MAR Rn. 336. 18 Pananis, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Aufl. 2015, § 38 WpHG Rn. 26. 19 Vgl. Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 549. 20 Luchtman/Vervaele, NJECL 2014, 192, 219; Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 322: „the relation (…) remains obscure.“ 21 EuGH, Urt. v. 23. 12. 2009 – C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 74 ff. – Spector Photo Group. 22 Überblicksartig zum Stand der EuGH-Rechtsprechung im Marktmissbrauchsrecht und zu deren Fortgeltung unter dem MAR-Regime zuletzt Hansen, ECFR 2017, 367.
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B. Sanktionsregime des reformierten Marktmissbrauchsrechts
Art. 50 GRCH sowie Art. 4 Protokoll Nr. 7)23. Der Spielraum für eine besonders abschreckende und durchsetzungssteigernde Doppelsanktionierung ist insoweit begrenzt und setzt eine Einzelfallprüfung voraus24.
IV. Reaktionen auf das Schweigen der MAR zur zivilrechtlichen Haftung Bereits mit Blick auf die Kommissionsentwürfe wurde angemerkt, diese blendeten die zivilrechtliche Sanktionsebene vollständig aus25. Die fehlende Auseinandersetzung mit einem Private Enforcement sorgte teils für Verwunderung26. Besonders der Deutsche Anwaltverein zeigte sich bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisch: Er äußerte erhebliche Zweifel, ob die Ziele der Marktmissbrauchsverordnung alleine durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen erreicht werden könnten27. Es liege auf der Hand, dass ein regelkonformes Verhalten erst dann wirksam erreicht werden könne, wenn der Rechtsverletzer konkret zu befürchten habe, den von ihm bei Dritten hervorgerufenen Schaden auch kompensieren zu müssen28. Weiter regte der Deutsche Anwaltverein an, eine sich konzeptionell an §§ 97, 98 WpHG (ehemals §§ 37b, 37c WpHG) orientierende Haftungsnorm in der Verordnung zu verankern oder zumindest in der Verordnung klarzustellen, dass die genannten Tatbestände auch geeignet seien, den individuellen Anleger zu schützen und es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibe, entsprechende Schadensersatznormen im nationalen Regelungsregime zu verankern29. Indem die MAR diese Thematik offenlasse, sei es am nationalen Gesetzgeber, dem Anleger zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeiten zu eröffnen oder zu verschließen, was eine mit der Zielsetzung der MAR gerade unvereinbare weitere Rechtszersplitterung in der EU bewirke30. Schließlich vertrat der Deutsche Anwaltverein die Ansicht, die Bestimmungen des Verordnungsentwurfs seien nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB qualifizierbar, wenn der Verordnungsgeber nicht ausdrücklich klarstelle, dass auch
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Siehe dazu EGMR (II. Sektion), Urt. v. 4. 3. 2014 – 18640/10, 18647/10, 18663/10, 18668/10, 18698/10 (Grande Stevens u. a. ./. Italien) NJOZ 2015, 712; zuletzt EuGH, Urt. v. 20. 3. 2018 – C-537/16, ECLI:EU:C:2018:193; Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 281 f. Siehe dazu auch Klöhn/Büttner, ZIP 2016, 1801, 1805. 24 Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 281 f. 25 Walla, BB 2012, 1358, 1360. 26 Hellgardt, AG 2012, 154: „überrascht“. 27 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins v. 12. 6. 2012, Nr. 50/12, S. 4. 28 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins v. 12. 6. 2012, Nr. 50/12, S. 4. 29 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins v. 12. 6. 2012, Nr. 50/12, S. 6. 30 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins v. 12. 6. 2012, Nr. 50/12, S. 30.
V. Deutsche Umsetzung durch Erstes und Zweites FiMaNoG
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der Schutz des individuellen Anlegers bezweckt sei31. Bekanntlich ist dies nicht geschehen.
V. Deutsche Umsetzung durch Erstes und Zweites FiMaNoG Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der MAR und der CRIM-MAD hauptsächlich mit dem Ersten32 und in vereinzelten Punkten mit dem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz33 umgesetzt. Dabei ging er an einigen Punkten über die Vorgaben hinaus, obwohl er ausweislich der Regierungsbegründung zum Ersten FiMaNoG nur eine 1:1-Umsetzung beabsichtigte34. Nachfolgend soll ein kurzer Überblick über die wesentlichen und für die Arbeit relevanten Änderungen im WpHG gegeben werden35. 1. Aufgaben und Befugnisse der BaFin Die BaFin hat nun entsprechend angepasste und erweiterte Aufgaben und Befugnisse (§§ 6 ff. WpHG): So kann sie etwa gemäß § 7 Abs. 1 WpHG auf Verkehrsdaten von Telekommunikationsbetreibern zugreifen sowie nach § 7 Abs. 2 WpHG telefonische Aufzeichnungen, elektronische Mitteilungen sowie weitere Verkehrsdaten herausverlangen. Auch darf sie nun beispielsweise nach § 6 Abs. 13 WpHG die Beschlagnahme von Vermögenswerten anordnen, worunter die Gesetzesbegründung auch das „Einfrieren“ versteht, also die vorläufige Sicherung von Vermögenswerten36. Der neue § 125 WpHG verankert eine Ermächtigungsgrundlage für Naming and Shaming, wobei die BaFin nicht einmal den Eintritt der Bestandskraft eines Bußgeldbescheids abzuwarten hat (vgl. § 125 Abs. 4 WpHG, Art. 34 Abs. 2 MAR)37. § 6 WpHG verleiht noch zahlreiche weitere Eingriffsbefugnisse38. Das Erste FiMaNoG führte schließlich neue Eingriffsbefugnisse auch ins KWG39 sowie ins BörsG40 ein. 31 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins v. 12. 6. 2012, Nr. 50/12, S. 30 f. Darauf wird unter H.I.2. zurückzukommen sein. 32 BGBl. 2016 I, S. 1514. 33 BGBl. 2017 I, S. 1693. 34 BT-Drs. 18/7482, 3. 35 Für den weiteren Überblick sind insbesondere hervorzuheben: Poelzig, NZG 2016, 492; Teigelack/Dolff, BB 2016, 387. 36 BT-Drs. 18/7482, 59. 37 Krit. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 15 Rn. 46. 38 § 6 Abs. 6 Nr. 2 WpHG: Anordnung der Einstellung rechtswidrigen Verhaltens; § 6 Abs. 7 WpHG: Untersagung von Eigengeschäften natürlicher Personen; § 6 Abs. 8 WpHG: Untersagung der Berufstätigkeit einer natürlichen Person für ein beaufsichtigtes Unternehmen; § 6 Abs. 9 WpHG: öffentliche Warnung. 39 § 35 Abs. 2 Nr. 7 KWG: Aufhebung der Erlaubnis; § 36 Abs. 2 KWG: Abberufung, Tätigkeitsuntersagung; § 36a Abs. 1 KWG: Tätigkeitsverbot.
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B. Sanktionsregime des reformierten Marktmissbrauchsrechts
2. Erweiterte und angepasste Bußgeldtatbestände Die Grobstruktur der geänderten Bußgeldtatbestände lässt sich so zusammenfassen41: Die Marktmanipulation im Anwendungsbereich der MAR ist gemäß § 120 Abs. 15 Nr. 2 WpHG in sämtlichen Erscheinungsformen bei Leichtfertigkeit und Vorsatz ahndbar42. Wie § 120 Abs. 2 Nr. 3 WpHG anordnet, gilt dies nunmehr gleichermaßen für Marktmanipulationen mit Waren und ausländischen Zahlungsmitteln43 (§ 25 WpHG). Hierbei unterscheidet § 120 Abs. 2 Nr. 3 WpHG auch nicht mehr zwischen handels- und informationsgestützten Marktmanipulationen44. Verbotene Insiderdealings sind gemäß § 120 Abs. 14 WpHG in Verbindung mit § 119 Abs. 3 Nr. 1 – 3 WpHG bei Leichtfertigkeit als Ordnungswidrigkeit ahndbar. Der Bußgeldrahmen bei Marktmissbrauch wurde bereits durch das Erste FiMaNoG bei natürlichen Personen auf bis zu 5 Mio. Euro, bei juristischen auf bis zu 15 Mio. Euro oder 15 % des jährlichen (Konzern-)Gesamtumsatzes erhöht, § 120 Abs. 18 S. 1, 2 Nr. 1 WpHG45. Für juristische Personen wird er durch den im Einzelfall höheren Betrag von Nominalbetrag oder Anteil am Gesamtjahresumsatz begrenzt, § 120 Abs. 18 S. 2 Nr. 1 WpHG46. Nach § 120 Abs. 18 S. 3 WpHG kann der Bußgeldrahmen zudem am Vorteil ausgerichtet werden, der aus dem Verstoß gezogen wurde, und bis zu dessen dreifacher Höhe gehen47, auch wenn damit betragsmäßig die maximale Bußgeldhöhe nach den § 120 Abs. 18 S. 1, 2 Nr. 1 WpHG überschritten wird. Insofern handelt es sich aber nicht um eine Vorteilsabschöpfung als eigenständige und kumulativ hinzutretende Sanktion48. Das Heranziehen des im konkreten Fall höchsten Bußgeldrahmens ist ebenfalls eine überschießende Umsetzung49. Dies gilt auch für die nach § 120 Abs. 18 S. 4 WpHG fortbestehende
40 § 39 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 BörsG: Ausgleichspflicht bei Marktmanipulation im Rahmen einer Unternehmensübernahme. 41 Siehe auch die graphische Übersicht bei Szesny, DB 2016, 1420, 1425. 42 Gleichsinnig Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 389. 43 Die Neuregelung des § 25 WpHG nennt Emissionszertifikate nicht mehr, da diese nun als Finanzinstrumente gelten, siehe § 2 Abs. 4 Nr. 5 WpHG, 2014/65/EU Art. 4 Nr. 15 Anhang I Abschnitt C (11). 44 Siehe § 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG a.F. sowie § 39 Abs. 3c WpHG a.F. 45 Poelzig, NZG 2016, 492, 497. 46 s. Poelzig, NZG 2016, 492, 497; Kudlich, AG 2016, 459, 464; krit. Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 390. 47 Theusinger/Teigelack, juris-PR-Compl 2/2016 Anm. 3. S. 2. Alte Rechtslage: „… bis zum Zweifachen des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils …“, § 39 Abs. 4 S. 3 WpHG a.F. 48 Vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/7482, 66 („Vorgaben zur Höhe“, Umsetzung nur von Art. 30 Abs. 2 lit. h – j MAR). Die Bezeichnung als Vorteilsabschöpfung sollte der Klarheit halber daher besser vermieden werden. 49 Vgl. dazu etwa Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 390 („Alternativität“); ebenso Kudlich, AG 2016, 459, 464.
V. Deutsche Umsetzung durch Erstes und Zweites FiMaNoG
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Schätzungsbefugnis anstelle eines Bezifferbarkeitserfordernisses50. Die Verantwortlichkeit juristischer Personen wird weiterhin über § 30 OWiG sowie § 14 StGB gewährleistet. 3. Erweiterte und angepasste Straftatbestände Die Straftatbestände lassen sich im ersten Zugriff wie folgt untergliedern: Im Bereich der Marktmanipulation verlangt die vorsätzliche Begehung wie bisher einen Einwirkungserfolg auf den Preis, § 119 Abs. 1 WpHG. Darin konkretisiert der deutsche Gesetzgeber in unionsrechtlich zulässiger Weise die „Schwere“ im Sinne des Art. 5 CRIM-MAD51. Zwar ist die leichtfertige Marktmanipulation nur noch als Ordnungswidrigkeit nach § 120 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 15 Nr. 2 WpHG verfolgbar52, jedoch ist nun auch die versuchte Marktmanipulation strafbar53 und wird bei fehlendem (nachweisbaren) Einwirkungserfolg regelmäßig zu prüfen sein (§ 119 Abs. 4 WpHG)54. Das Zweite FiMaNoG hat die Versuchsstrafbarkeit nun auf den von § 25 WpHG erweiterten Anwendungsbereich erstreckt und auch insoweit eine Vereinheitlichung geschaffen. Im Hinblick auf die Verletzung von Art. 15 MAR hat der deutsche Gesetzgeber die gewerbsmäßige, die bandenmäßige sowie die Marktmanipulation in einer beruflichen Tätigkeit als Qualifikationen55 erfasst und – überschießend – zu einem Verbrechenstatbestand hochgestuft56, § 119 Abs. 5 WpHG. Dadurch bilden sie neben dem Einwirkungserfolg im Grundtatbestand die in der CRIM-MAD angesprochene „besondere Schwere“ ab, wie sie deren Erwägungsgründe (11), (12) konkretisieren. Das Zweite FiMaNoG hat mit § 119 Abs. 6 WpHG schließlich einen Ausnahmestrafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe für bestimmte minder schwere Fälle der Marktmanipulation eingeführt, um dem Verhältnismäßgkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen57. 50 Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 390. Siehe Art. 30 Abs. 2 lit. h: „… sofern diese sich beziffern lassen“; siehe dazu ferner Poelzig, NZG 2016, 492, 499. 51 Vgl. BT-Drs. 18/7482, 64; gleichsinnig Szesny, DB 2016, 1420, 1422; s.a. Erwägungsgründe 11, 12 CRIM-MAD. A.A. wohl Bator, BKR 2016, 1, 2 f., der mit Blick auf Art. 5 Abs. 2 lit. a, i CRIM-MAD mit dem Einwirkungserfordernis eine unionsrechtlich unzulässige Umwandlung vom schlichten Tätigkeitsdelikt in ein Erfolgsdelikt sieht. 52 Renz/Leibold, CCZ 2016, 157, 165. 53 Mit Vergleich der alten Rechtslage Poelzig, NZG 2016, 492, 496. 54 Vgl. Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 392; Theusinger/Teigelack, juris-PR-Compl 2/2016 Anm. 3. S. 2. 55 Siehe etwa BT-Drs. 18/7482, 64; Beukelmann, NJW-Spezial, 12/2006, 376; Renz/Leibold, CCZ 2016, 157, 168. 56 Krit. hierzu u. a. Szesny, DB 2016, 1420, 1425 („unverhältnismäßig“); Stellungnahme des Arbeitskreises Kapitalmarktstrafrecht der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung (WisteV) zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte – 1. FiMaNoG, WiJ, 2016, 123, 125 ff. 57 Siehe BT-Drs. 18/11775, 647 zur Begründung.
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B. Sanktionsregime des reformierten Marktmissbrauchsrechts
Für das Insiderrecht ergibt sich folgender Befund: Sämtliche von Art. 14 MAR verbotenen Insider-Verhaltensweisen sind nach § 119 Abs. 3 WpHG strafbar, wobei § 119 Abs. 4 WpHG wiederum die Versuchsstrafbarkeit anordnet (insoweit überschießend, als Art. 6 Abs. 2 CRIM-MAD in Parallelität zu Art. 14 MAR nur eine Versuchsstrafbarkeit für das Tätigen von Insidergeschäften gebietet). Bloß leichtfertige Verstöße sind dagegen nicht mehr strafbar58. Der Täterkreis wurde jedoch auf Sekundärinsider ausgedehnt59. Mit Beibehaltung des bisherigen Strafrahmens von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bleibt der deutsche Gesetzgeber über der Vorgabe der CRIM-MAD (siehe dort Art. 7 Abs. 2, 3)60. 4. Bewertung der deutschen Umsetzung Der deutsche Gesetzgeber hat seinen Spielraum zumeist zugunsten einer strengen Umsetzung genutzt und ist in einigen Punkten deutlich über diesen hinausgegangen („goldplating“)61. Insgesamt kann man die Umsetzung als ausgesprochen „schneidig“ bezeichnen62.
VI. Ergebnis Die EU hat die Mitgliedstaaten verpflichtet, aufsichtsrechtliche Befugnisse bei Marktmissbrauch in erheblichem Umfang zu erweitern und Sanktionsmöglichkeiten verwaltungsrechtlich wie strafrechtlich drastisch zu verschärfen63. Viele Stimmen begrüßen dies im Grundsatz64 und gehen von einer deutlich erhöhten Abschre-
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BT-Drs. 18/7482, 65; Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 392. BT-Drs. 18/7482, 64; Roth, GWR 2016, 291, 292; Poelzig, NZG 2016, 492, 502. 60 Szesny, DB 2016, 1420, 1421; s. aber Teigelack/Dolff, BB 2016, 387, 393, welche die Möglichkeit, nur Geldstrafen zu verhängen, mit Blick auf Art. 7 CRIM MAD als unionsrechtswidrig ansehen. 61 Allgemein zu diesem Begriff s. Burmeister/Staebe, EuR 2009, 444, 445. 62 s. auch Kudlich, AG 2016, 459, 463: „beinahe […] Overkill […]“. Grundlegende Kritik an der weiteren Kriminalisierung: Stellungnahme des Arbeitskreises Kapitalmarktstrafrecht der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung (WisteV) zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte – 1. FiMaNoG, WiJ, 2016, 123, 125 ff.; s.a. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/7482, 64 f. Gegen eine weitere Kriminalisierung auch Trüg, Konzeption und Struktur des Insiderstrafrechts, 2014, 193 ff. et passim; Leipold, in: Lüderssen/Kempf/Volk, Die Finanzkrise, das Wirtschaftsstrafrecht und die Moral, 2010, S. 327, 332 ff.; Beukelmann, NJW-Spezial, 12/2006, S. 376. 63 Vgl. Kalss, EuZW 2012, 361 ff.; siehe auch Hellgardt, AG 2012, 154, 163; Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 291 f. 64 Krit. aber Luchtman/Vervaele, NJECL 2014, 192, nach deren Ansicht man noch weiter gehen müsste. 59
VI. Ergebnis
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ckungswirkung aus65. Obgleich für die Rechtsform der Verordnung im Vergleich zu Richtlinien nicht typisch66, hält die MAR für die Mitgliedstaaten viele Umsetzungspflichten bereit, um eine wirksame Sanktionierung zu gewährleisten, vgl. Art. 39 Abs. 3 MAR. Der Verordnungsgeber hat einen Mittelweg beschritten: Weder überlässt er die Sanktionierung wie in vielen früheren Rechtsakten ganz den Mitgliedstaaten67, noch schafft er selbst ein abgeschlossen-einheitliches Sanktionssystem. Zwar nimmt die MAR in Erwägungsgrund (70) auf die Kommissionsmitteilung Bezug, welche die Möglichkeit privater Schadensersatzklagen ausdrücklich als möglichen Anreiz zur Regelbefolgung benennt68. Der Verordnungsgeber schweigt jedoch zu einer zivilrechtlichen Haftung.
65 Siehe z. B. Becker/Rodde, ZBB 2016, 11, 16; Poelzig, NZG 2016, 492, 501 f. Vgl. auch BaFin Journal Juli 2016, S. 26 f. 66 Vgl. aber zur Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit solcher „framework regulations“ Adam/ Winter, in: Winter, Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 507, 517 f. 67 s. etwa Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.06. 68 KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 5.
C. Schweigen des Gesetzgebers zur privaten Haftung – Sperrwirkung? Aus dem Schweigen des Verordnungsgebers könnte die Schlussfolgerung zu ziehen sein, dass eine zivilrechtliche Haftung für Verletzungen der MAR nicht gewollt und daher abzulehnen ist. Der ausdrücklichen MAR-Vorgabe eines Public Enforcement würde dann eine Sperrwirkung zugeschrieben.
I. Problemaufriss Die Generalanwaltschaft bemerkte in der Rs. HAG, man solle sich davor hüten, in das Schweigen des Gesetzgebers zu viel hineinzulesen – Schweigen sei seinem Wesen nach zweideutig und könne je nach der subjektiven Auffassung desjenigen, der es deute, entweder als Zustimmung oder als Missbilligung ausgelegt werden1. In Anbetracht dieser Ambiguität öffnet man einer eigenmächtigen judikativen Rechtspolitik Tür und Tor, geht man allzu leichtfertig über das gesetzgeberische Schweigen hinweg. Dies wird etwa in der Rs. Sturgeon2 greifbar: Ohne eine Regelungslücke festzustellen, nahm der EuGH einen Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 der Fluggastrechteverordnung3 auch für Flugverspätungen an, obwohl die Verordnung nur für die kurzfristige Annullierung und die Beförderungsverweigerung auf die Entschädigungsnorm des Art. 7 verweist4. Die entsprechende Anwendung hielt er vom allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz geboten, da Fluggäste, deren Flug annulliert wurde, und diejenigen, die von Verspätung betroffen sind, einen ähnlichen Schaden erlitten und sich in einer vergleichbaren Lage befänden5. Damit rief der EuGH 1 Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge v. 13. 3. 1990 – C-10/89, Slg. 1990, I-3725 Rn. 53 – CNL-SUCAL ./. HAG. Technischer zur Austauschbarkeit von „argumentum e contrario“ und Lücke: Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 44. 2 EuGH, Urt. v. 19. 11. 2009 – Verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923 – Sturgeon u. a. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. L 46 vom 17. 2. 2004, S. 1 – 8. 4 s. auch Politis, EuZW 2014, 8. 5 Garben, CMLR 50 (2013), 15 ff.; Politis, EuZW 2014, 8, 10; AG Nürtingen, Urt. v. 27. 9. 2010 – 11 C 1219/10, BeckRS 2010, 23900.
II. Allgemeiner negativer Satz?
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massive Kritik hervor6. Die Kritiker sind mit guten Gründen der Ansicht, dass sich der Unionsgesetzgeber damals (!) tatsächlich bewusst dagegen entschieden habe, Fluggästen im Verspätungsfall Ausgleichsansprüche gegen Fluggesellschaften einzuräumen7: Nach Auffassung des Gesetzgebers seien Luftfahrunternehmen regelmäßig selbst für Nichtbeförderung und Annullierung verantwortlich, während Verspätungen häufig dem Flugverkehrsmanagement oder anderen externen Faktoren zuzurechnen seien8. Daher sollten letztere auch nicht zu Ausgleichsansprüchen gegen die Luftfahrunternehmen führen9. Die Verordnung sollte einen Anreiz setzen, verbraucherunfreundliche Praktiken abzustellen, was bei nicht von Flugunternehmen zu vertretenden Situationen keinen Sinn ergibt10. Im Vorschlag der Kommission heißt es folglich auch: „Die Kommission hatte bereits in ihrer Mitteilung über den Schutz der Fluggäste zum Ausdruck gebracht, dass Luftfahrt- und Reiseunternehmen in der gegenwärtigen Situation nicht verpflichtet werden sollten, Fluggäste bei Verspätungen zu entschädigen“11. Im Zusammenhang mit der MAR steht anders als in der Fluggastrechteverordnung zwar die zivilrechtliche Haftung in toto zur Debatte. Die Entscheidung stellt gleichwohl ein warnendes Gegenbeispiel für die Gefahr dar, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung die Absicht des Gesetzgebers zu konterkarieren.
II. Allgemeiner negativer Satz? Die Entwicklungsoffenheit der MAR wäre von vornherein abzulehnen, wenn man von der Existenz eines „allgemeinen negativen Satzes“ ausginge12: Demnach soll kein Anspruch bestehen, der vom Recht nicht ausdrücklich vorgesehen ist13. Im
6 Garben, CMLR 50 (2013), 15 ff.; Politis, EuZW 2014, 8, 10; AG Nürtingen, Urt. v. 27. 9. 2010 – 11 C 1219/10, BeckRS 2010, 23900; LG Köln, Beschl. v. 26. 7. 2011 – 10 S 224/10, BeckRS 2011, 27370. Auf Seiten des EuGH aber BGH NJW-RR 2013, 1065. 7 LG Köln, Beschl. v. 26. 7. 2011 – 10 S 224/10, BeckRS 2011, 27370, Rn. 30; Politis, EuZW 2014, 8, 9. 8 Siehe Begr. der KOM zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, KOM (2001) 784 endg., Nr. 23. 9 Vgl. Politis, EuZW 2014, 8, 10. 10 Vgl. Politis, EuZW 2014, 8, 10. 11 Begr. der KOM zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, KOM (2001) 784 endg., Nr. 23. 12 Dieser geht zurück auf Zitelmann, Lücken im Recht, 1903, S. 17 ff. 13 Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 506. Vgl. dazu Möglichkeiten und Grenzen der implicit private cause of action (gerade im Kapitalmarktrecht der USA) – Veil/
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C. Schweigen des Gesetzgebers zur privaten Haftung – Sperrwirkung?
Hintergrund aller besonderen Rechtssätze, die eine Handlung mit Strafe oder Schadensersatzpflicht bedrohen oder ihr sonst eine rechtliche Folge geben, stehe immer als selbstverständlich und unausgesprochen der allgemeine negative Grundsatz, dass, von diesen besonderen Fällen abgesehen, alle Handlungen straffrei und ersatzfrei blieben14. Im ersten Zugriff mag der Gedanke der allgemeinen Handlungsfreiheit dafür streiten. Die Lehre vom allgemeinen negativen Satz wird allerdings seit langer Zeit überwiegend und mit den besseren Gründen abgelehnt15: Ihr liegt ein unzulässiger Umkehrschluss zugrunde. Denn nur daraus, dass der Gesetzgeber an bestimmte Voraussetzungen einen Anspruch knüpft, folgt nicht zwingend, dass er in allen anderen Fällen einen Anspruch ausschließen wollte16. In dieser Pauschalität liegt eine Übersteigerung des Kodifikationsgedankens zulasten der mit der Rechtsfortbildung betrauten Judikative. Die Generalanwaltschaft setzt sich in den Schlussanträgen in der Rs. Muñoz ebenfalls mit dem Schweigen der betroffenen Verordnungen auseinander. Sie verneint einen Grundsatz, nach dem eine privatrechtliche Durchsetzung automatisch ausgeschlossen sei, wenn die Verordnung nur eine öffentlich-rechtliche Regelung ausdrücklich vorsehe17. Damit dem Schweigen ein ausschließender Erklärungswert zukommen könne, müsse es in irgendeiner Form qualifiziert sein18 (zum Beispiel durch eine dahingehende Verlautbarung in den Gesetzgebungsmaterialien). An einem derart qualifizierten Schweigen fehlt es aber im Hinblick auf die MAR19.
III. Regelungslücke als Kriterium einer Sperrwirkung? Dem EuGH könnte die Entwicklung eines zivilrechtlichen Haftungspostulats für marktmissbräuchliches Verhalten von vornherein verwehrt sein, wenn diese eine Regelungslücke voraussetzte, die MAR aber als sanktionsrechtlich „lückenlose“ Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010; s. auch Fazzone, 1980 Duke L. J. 928, 932 (1980): expressio unius est exclusio alterius. 14 Zit. nach Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 49. 15 Vgl. statt vieler Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 49 f.: „überholt“; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 506 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 199. 16 Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 506 f.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 49 f. 17 Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 13. 12. 2001 – C-253/00, I-7291 Rn. 55 – Muñoz und Superior Fruiticola. Dazu auch Biondi, CMLR 40 (2003), 1241, 1246. 18 Das Schweigen kann, muss aber nicht „beredt“ sein, vgl. Basedow, ZEuP 2014, 400, 402. 19 Interessant in diesem Zusammenhang KOM v. 20. 10. 2011 SEK (2011) 1218 endg., Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Darin werden unter Ziff. 4.4. mögliche Handlungsoptionen zur Gewährleistung einheitlicher, wirksamer und abschreckender Sanktionen aufgezählt. Die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung wird mit keinem Wort als Handlungsoption erwähnt.
IV. Europaweit einheitliche Anwendung der MAR
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Verordnung anzusehen wäre. Der Lückenbegriff dient letztlich der Unterscheidung zwischen Auslegung und besonders begründungsbedürftiger Rechtsfortbildung. Seit geraumer Zeit setzt sich die Ansicht durch, dass Auslegung und Rechtsfortbildung nicht trennscharf unterschieden werden können20. So verwendet der EuGH stattdessen den einheitlichen, dem französischen Recht entlehnte Begriff der interprétation21. Gleichwohl bleibt die entscheidende Frage, ob eine Rechtsfortbildung im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen stünde oder diesen folgerichtig für unbedacht gebliebene Sachverhalte zu Ende führte. Dies kann aber erst anhand einer Gesamtschau des gesetzgeberischen Regelungskonzepts beurteilt werden, die in Kap. E.VI. vorgenommen wird.
IV. Europaweit einheitliche Anwendung der MAR Der immer wieder von der MAR betonte Gedanke der Einheitlichkeit22 würde jedoch für eine Sperrwirkung sprechen, wenn nur diese eine einheitliche (öffentlichrechtliche) Sanktionierung gewährleisten könnte. Da die Rechtslage hinsichtlich privater Haftung für Marktmissbrauch bereits vor Inkrafttreten der MAR in den Mitgliedstaaten uneinheitlich war23, hätte der EU-Verordnungsgeber die Haftung aber ausdrücklich (negativ) regeln müssen, wenn er den Einheitlichkeitsgedanken auf die zivilrechtliche Sanktionierung hätte erstrecken wollen. Auch der mindestharmonisierende Charakter24 von MAR (und CRIM-MAD) im Rechtsfolgenbereich relativiert den Einheitlichkeitsgedanken. Das Ziel der Rechtsvereinheitlichung25, das durch die Rechtsformwahl der Verordnung typischerweise angestrebt wird, ist auf den Gegenstand des Regelungsaktes selbst begrenzt26. Der Einheitlichkeitsgedanke unterstützt somit weder die Annahme einer Sperrwirkung noch umgekehrt die eines Haftungspostulats. 20 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 187 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 606; Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, 2011, S. 112; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 503; vgl. im Kontext der Courage-Entscheidung Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 50 Fn. 205. 21 Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 2008, S. 55; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 503 f. m.w.N.; Dobler, in: Roth/Hilpold, Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten, 2008, S. 509, S. 512 ff. Zwar findet sich in der EuGH-Rechtsprechung gelegentlich auch der Begriff der Lücke, doch wird dieser nicht systematisch verwendet, vgl. Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, 2011, S. 109; ferner von Oettingen, Effet utile und individuelle Rechte im Recht der Europäischen Union, 2010, S. 172 f. 22 Vgl. nur Erwägungsgründe (3), (4), (5), (45), (56), (65), (82), (83) MAR. 23 Siehe dazu sogleich unter D. 24 Vgl. etwa Erwägungsgründe (70), (71), Art. 30 MAR. 25 Im Gegensatz zur bloßen Rechtsangleichung, vgl. dazu Schroeder, in: Streinz, EUV/ AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 38; von Danwitz, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch EU-Wirtschaftsrecht, 44. EL Februar 2018, B. II. Rn. 83 ff. 26 Vgl. Kiesewetter/Parmentier, BB 2013, 2371.
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C. Schweigen des Gesetzgebers zur privaten Haftung – Sperrwirkung?
V. Parallelen im angelsächsischen Rechtskreis Ein Blick in den angelsächsischen Rechtskreis zeigt, wie unterschiedlich die Rechtsprechung auf das Schweigen reiner Verbotsgesetze zu zivilrechtlichen Haftungsfolgen reagieren kann. 1. USA Im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht wurde eine private Haftung trotz gesetzgeberischen Schweigens unter dem Begriff der „implied/implicit private cause of action“ diskutiert, vor allem bei Verletzung der Rule 10b-5 SEC (1934)27. Die allgemeine „doctrine of implied remedies“ des U.S. Supreme Court nahm ihren Anfang in der Rs. Texas and Pacific Railway vs. Rigsby28 und wurde dann häufig auch von den Instanzgerichten herangezogen29. Durch die Einordnung eines Verstoßes gegen eine objektiv-rechtliche Norm als wrongful act, wird diese in ihren Rechtsfolgen ähnlich wie in der deutschen Schutzgesetzdogmatik in das allgemeine Deliktsrecht einbezogen30. Speziell für Rule 10b-5 SEC (1934) bejahte erstmalig der District Court for the Eastern District of Pennsylvania einen solchen Rechtsbehelf in Kardon v. National Gypsum Co31. Damit wurde die Bestimmung bald zur „schärfsten Waffe“ Privater gegen Insiderhandel und Marktmanipulation32. Obgleich der U.S. Supreme Court die Ausbreitung der impliziten Klagerechte in der Folge durch eine restriktivere Linie einzudämmen versuchte, entfaltete die Rechtsverleihungspraxis eine Art Eigendynamik. In den 1960er Jahren legte das Gericht in der Entscheidung J. I. Case Co. Borak33 fest, dass das entscheidende Kriterium für einen impliziten Rechtsbehelf sein solle, ob die bestehenden Haftungsregeln ausreichend seien, um den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck wirksam durchzusetzen34. 27
§ 240.10b-5 17 CFR Ch. II (4-1-11 Edition). 241 U.S. 33: „A disregard of the command of the statute is a wrongful act, and where it results in damage to one of the class for whose especial benefit the statute was enacted, the right to recover the damages from the party in default is implied, (…). This is but an application of the maxim ,Ubi jus ibi remedium‘“. 29 Goldstein, 50 Fordham L. Rev. 611, 614 seq. (1982); Fazzone, 1980 Duke L. J. 928, 929 (1980). 30 Vgl. Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 91 mit dem Hinweis auf Restatement (Second) of Torts § 286, Comment c (1965). 31 District Court, E.D. Pennsylvania, 69 F.Supp. 512 (E.D. Pa. 1946). Vgl. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 59 ff.; Buxbaum, Die private Klage, 1972, S. 9. 32 Ebke, Wirtschaftsprüfer und Dritthaftung, 1983, S. 187. Zur Kritik und Reformbedürftigkeit auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 61. 33 377 U.S. 426, 84 S.Ct. 1555 III. [6]-[10]: „(…) We, therefore, believe that (…) it is the duty of the courts to be alert to provide such remedies as are necessary to make effective the congressional purpose. (…)“. 34 Fazzone, 1980 Duke L. J. 928, 930 (1980). 28
V. Parallelen im angelsächsischen Rechtskreis
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In Cort v. Ash35 hat der U.S. Supreme Court dann einen Vier-Faktoren-Test entwickelt, anhand dessen er entschied, ob eine Norm trotz Fehlens einer ausdrücklichen Regelung einen zivilrechtlichen Anspruch gewährt36. Demnach kam es darauf an, ob (1) der Kläger einem speziellen Personenkreis angehört, zu dessen Wohl das Gesetz erlassen wurde, (2) ob es irgendein Anzeichen dafür gibt, einen impliziten Rechtsbehelf zu schaffen oder zu versagen, (3) ob das implizite Klagerecht konsistent mit der Gesamtabsicht des Normgebers wäre und (4) ob die Materie nicht traditionell dem Recht der Bundesstaaten überlassen ist37. In den folgenden Entscheidungen gab der Supreme Court eine strengere Linie vor, verschob den Schwerpunkt wieder weg von policy-Erwägungen auf den Gesetzgeberwillen und kehrte zur expressio unius-Regel38 zurück39 (wonach die ausdrückliche Nennung einer Sache den Ausschluss einer anderen nichtgenannten Sache bedeutet): Während zuvor der Verzicht auf einen ausdrücklichen Ausschluss für ein implizites Klagerecht ausgereicht hatte, sollte das bloße Schweigen nun zur Ablehnung eines solchen Klagerechts führen40. Im Zeichen dieser Entwicklung steht auch die Entscheidung Stoneridge v. Scientific Atlanta, in welcher der Supreme Court klar die Gewaltenteilung zwischen dem Kongress und der Judikative gefährdet sieht41: Im Lichte des Private Securities Litigation Reform Act von 1995 hält das Gericht zwar die Haftung aus § 10(b) SEA für grundsätzlich legislativ bestätigt, zugleich entnimmt es dem Reformgesetz aber den Willen, die Haftung nun nicht noch weiter (auf sekundäre Akteure wie Unternehmenskäufer sowie Kunden von sham contracts) auszudehnen42. Auch wenn die Anforderungen an die Haftung nach Rule 10b-5 SEC (1934) im Laufe der Zeit verschärft wurden, ist die Haftung als solche doch nun so fest etabliert, dass diese Entwicklung irreversibel scheint43. Man kann durchaus sagen, dass der Supreme Court mit Stoneridge den gegenwärtigen Stand der § 10(b)-Haftung gleichsam „einzufrieren“ versucht44.
35
Cort v. Ash, 422 U.S. 66, 78 (1975). Krauel, Insiderhandel, 2000, S. 124. Ausführlicher zur Rechtsprechungsgenese: Hazen, The Law of Securities Regulation, 1985, § 13, S. 438 seq. 37 422 U.S. 66, 95 S.Ct. 2080, 45 L.Ed.2d 26 [8]. 38 Vgl. zu dieser Regel FG Köln, Urt. v. 24. 3. 2010 – 2 K 2514/04, BeckRS 2010, 26029013. 39 Goldstein, 50 Fordham L. Rev. 611, 619 seq. (1982); Touche Ross & Co. v. Redington, 442 U.S. 560, 99 S.Ct. 2479. 40 Touche Ross & Co. v. Redington, 442 U.S. 560, 99 S.Ct. 2479. § 568 II [5]: „… implying a private right of action on the basis of congressional silence is a hazardous enterprise, at best.“. 41 552 U.S. 148, 128 S.Ct. 761. C [10][11][12]. 42 552 U.S. 148, 128 S.Ct. 761. C [10][11][12]. Siehe auch Perry, 12 Wall Street Lawyer 1, 6 (2008). 43 Vgl. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 62. 44 In der Sache gleiche Einschätzung: Perry, 12 Wall Street Lawyer 1, 9 (2008). 36
40
C. Schweigen des Gesetzgebers zur privaten Haftung – Sperrwirkung?
2. Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich existiert wie in den USA keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage, auf die Anleger sich berufen können, wenn sie durch Verletzungen gegen das Insider- oder Marktmanipulationsverbot einen Schaden erleiden45. Auch hier stellte sich die Frage nach einer implicit cause of action auf Basis von s. 118 FSMA aF46, s. 397 FSMA47, s. 52 CJA48. In der Entscheidung Hall v. Cable and Wireless Plc49 sprach sich der Commercial Court gegen ein derartiges implizites Klagerecht aus50 und zementiert damit die tendenziell kritisch bis ablehnende Haltung der britischen Gerichte51. Das Gericht beließ es bei einem Hinweis auf die aufsichtsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten unter ss. 123, 383 FSMA (penalties, restitution orders). Die Abwesenheit einer ausdrücklichen zivilrechtlichen Haftungsregel sei ein klares Indiz dafür, dass eine solche nicht beabsichtigt gewesen sei52.
VI. Ergebnis Sowohl im europäischen Rechtsraum als auch in den USA besteht Konsens, dass nur eine klare Äußerung des Gesetzgebers, sei sie im Normtext selbst, sei sie in den Gesetzgebungsmaterialien, die richterrechtliche Entwicklung einer impliziten zivilrechtlichen Haftungsfolge blockieren kann. Ob und inwieweit man bei einem Schweigen des Gesetzestexts und der Gesetzgebungsmaterialien im Zweifel implizite Klagerechte annimmt oder nicht, unterliegt dagegen auch innerhalb verschiedener Rechtsordnungen starken Schwankungen und teilweise gegenläufigen Tendenzen. Die Entwicklungsgeschichte in den USA zeigt, dass auch hier die Gerichte eine Pionierrolle eingenommen haben und der Gesetzgeber die dadurch geschaffene Rechtslage im Kern bestätigt hat. Mit der Annahme eines implied right/cause of 45
Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 84. Financial Services and Markets Act 2000 (Market Abuse) Regulations 2014. 47 Financial Services and Markets Act 2000 (Misleading statements and practices) Regulations 2014. 48 Criminal Justice Act 1993 (The offence of insider dealing). 49 [2011] B.C.C. 543 = [2009] EWHC 1793 (Comm). Zuletzt bestätigt in der Entscheidung Brown v. Innovatorone Plc, [2012] EWHC 1321 (Comm). 50 [2011] B.C.C. 543 – No. 23. 51 Vgl. Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 393. Vgl. auch allgemein die Entscheidung Doe d. Murray v. Bridges 109 E.R. 1001 [859]: „(…) where an Act creates an obligation, and enforces the performance in a specified manner, we take it to be a general rule that performance cannot be enforced in any other manner.“ 52 [2011] B.C.C. 543 – No. 23. Eine zivilrechtliche Haftung gleichwohl für möglich haltend Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 394. Zu weiteren in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, diese aber verneinend: Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 85 f. 46
VI. Ergebnis
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action öffnet man aber schnell die Büchse der Pandora: Nicht nur läuft man Gefahr, bestehende ausdrückliche Haftungsregelungen zu umgehen53. Man bürdet den Gerichten zugleich auf, den Haftungstatbestand als solchen fortlaufend herauszubilden und mit konkurrierenden Regelungen zu harmonisieren54. Das Argument einer bloßen Wirksamkeitssteigerung, auf das sich der EuGH gerne fokussiert, würde aus aktueller US-Sicht jedenfalls nicht mehr ausreichen, die nunmehr eine strenge Rückbindung an einen manifest gewordenen Gesetzgeberwillen verlangt55.
53
Vgl. Fazzone, 1980 Duke L. J. 928 (1980). Vgl. Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 92; zum Problem des „overlap“ Fazzone, 1980 Duke L. J. 928, 940 (1980). Zu Reformüberlegungen: Rose, 108 Col. L. Rev. 1301 (2008). 55 Bezüglich Rule 10b-5 SEC (1934) ist dies eigentlich nicht möglich, dazu schon Ebke, Wirtschaftsprüfer und Dritthaftung, 1983, S. 189. 54
D. Status quo privater Haftung für Marktmissbrauch in anderen EU-Mitgliedstaaten Dieses Kapitel wirft einen exemplarischen Blick auf die zivilrechtliche Haftung für marktmissbräuchliches Verhalten in anderen EU-Mitgliedstaaten, ohne eine Rechtsvergleichung zu unternehmen. Eine Haftung für Marktmanipulationen nach allgemeinem Deliktsrecht ist in Österreich anerkannt: Der österreichische OGH hatte den damaligen nationalen Marktmanipulationstatbestand des § 48a Abs. 1 Z. 2 BörseG aF im Anschluss an die überwiegende Auffassung im österreichischen Schrifttum als Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB qualifiziert1. Im reformierten österreichischen BörseG findet sich keine spezielle Bestimmung zur privaten Haftung. Es ist davon auszugehen ist, dass die Rechtslage beibehalten wird, auch wenn Bezugspunkt der Schutzgesetzhaftung nun unmittelbar Art. 15 MAR sein muss. Für die Insiderregelung in § 48b BörseG aF wurde dies zwar soweit ersichtlich nicht entschieden, doch mindestens im Schrifttum überwiegend befürwortet2. Frankreich hat sein Kapitalmarktrecht mit der LOI n8 2016-819 du 21 juin 2016 réformant le système de répression des abus de marché (1)3 an die MAR und CRIMMAD angepasst. Eine zivilrechtliche Haftung findet sich im geänderten Code monétaire et financier ebensowenig wie in dessen älteren Fassungen4. Auch der Règlement général der AMF5 enthält keine Regelung6. Vereinzelt haben französische Gerichte dem Grunde nach eine Schadensersatzverpflichtung nach allgemeinem Deliktsrecht (Art. 1382 Code civil) bei verbotenen Insidergeschäften im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens anerkannt7. Im Bereich der Marktmanipulation ist dies aber soweit ersichtlich bislang nicht geschehen8.
1
ÖOGH, Beschl. v. 15. 3. 2012 – 6 Ob 28/12d S. 12; s.a. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2015, § 22 Rn. 72 f. 2 Vgl. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2015, § 21 Rn. 89 m.w.N. 3 Abrufbar unter: https://www.legifrance.gouv.fr. 4 Abrufbar unter: https://www.legifrance.gouv.fr. 5 Autorité des marchés financiers. 6 Das alte dem Marktmissbrauch gewidmete Buch 6 wurde komplett aufgehoben. 7 Siehe dazu Veil, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2014, § 13 Rn. 156 m.N. zur Rspr.; Veil/Koch, Französisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 20 ff.; Hopt, WM 2013, 101, 112 Fn. 6; Sergakis, The Law of Capital Markets in the EU, 2018, S. 170 f. 8 Siehe Teigelack, in: Veil, Europäisches Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2014, § 14 Rn. 90.
D. Haftung für Marktmissbrauch in anderen EU-Mitgliedstaaten
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Das britische Recht steht nach wie vor einem Private Enforcement generell sehr zurückhaltend gegenüber9. Spezielle Anspruchsgrundlagen bei Marktmissbrauch gibt es nach wie vor nicht. Die europäischen Vorgaben aus MAR und CRIM-MAD hat im Wesentlichen der Financial Services and Markets Act 2000 (Market Abuse) Regulations 201610 umgesetzt, der an diesem Befund nichts geändert hat: In dessen Ziff. 9. (3) wird der gesamte Abschnitt zum Marktmissbrauch aus dem FSMA 2000 aufgehoben11. Dagegen bleibt die Möglichkeit der behördlichen Restitution12 unter s. 383 FSMA 2000 erhalten13. Die wohl fortbestehende, auf Emittenten beschränkte allgemeine Informationshaftung nach s. 90 A FSMA i.V.m. schedule 10 A ändert an diesem Gesamtbild nichts14. In Irland sah der Investment Funds, Companies and Miscellaneous Provisions Act 2005 in sec. 33, (1), (2) in Verbindung mit der alten Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG und den ehemaligen irischen Market Abuse Regulations 2005, Part 215, eine spezielle zivilrechtliche Haftung für Insiderdealings vor (in letztgenannter Nr. 5 (6)) sowie bei Marktmanipulation (Nr. 6 (2)). Die zivilrechtliche Haftung für Marktmissbrauch wurde jedoch durch den Companies Act 2014 (No. 38/2014) zum 1. 6. 2015 insgesamt wieder außer Kraft gesetzt (siehe darin s. 4 (1) i.V.m. schedule 2 part 1). Die Vorgaben von MAR und CRIM-MAD hat Irland sodann im Wesentlichen mit den European Union (Market Abuse) Regulations 201616 umgesetzt (darin wurden auch die Market Abuse Regulations 2005 wieder aufgehoben17). Ein ähnlicher Befund gilt für Zypern: Dort sah bislang Sec. 47 des Law on Insider Dealing and Market Manipulation (Market Abuse) 200518 eine umfassende Schadensersatzverpflichtung für Marktmissbrauch vor. Mit der Umsetzung durch das Market Abuse Law 2016 L.102(I)/201619 ist diese jedoch ebenfalls ersatzlos weggefallen (vgl. dort Art. 13).
9
Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 84; Wundenberg, ZGR 2015, 124, 136; zum Ganzen Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 389 ff. 10 S.I. 2016 No. 680, abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk. 11 Aus Sec. 150 FSMA 2000 kann auch im Einzelfall keine Haftung folgen, weil die Verbotstatbestände keine „rules“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Vgl. schon zur alten Rechtslage Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 85 f. 12 Siehe dazu ausführlicher unter J.I.2. 13 Vgl. Anpassung dieser Bestimmung an die MAR in The Financial Services and Markets Act 2000 (Market Abuse) Regulations 2016 (= S.I. 2016 No. 680) in Ziff. 10 (15). 14 Siehe dazu Wundenberg, ZGR 2015, S. 144. 15 S.I. No. 342/2005, abrufbar unter: http://www.irishstatutebook.ie. 16 S.I. 349 of 2016 (2016 Regulations), abrufbar unter: http://www.irishstatutebook.ie. 17 S.I. 349 of 2016 (2016 Regulations), abrufbar unter: http://www.irishstatutebook.ie. 18 N. 116 (I)/2005, abrufbar unter: https://www.cysec.gov.cy/en-GB/legislation/market-ma nipulation/. 19 Abrufbar unter: https://www.cysec.gov.cy/en-GB/legislation/market-manipulation/.
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D. Haftung für Marktmissbrauch in anderen EU-Mitgliedstaaten
Vor der Installation des neuen Marktmissbrauchregimes kann man die Rechtslage in der EU nach alledem als heterogen bezeichnen. Vereinzelt gab es spezielle Haftungstatbestände. Im Gefolge der Umsetzung von MAR und CRIM-MAD scheint sich aber sogar ein leichter Trend weg von einer zivilrechtlichen Haftung abzuzeichnen. Worauf dies zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Die Haftungsregelungen könnten sich als bloßes „law in the books“ erwiesen haben. Die Aufhebungen in Irland und Zypern sind möglicherweise einem redaktionellen Kahlschlag geschuldet (en bloc) oder es forderte beide Länder schlicht genug, das Public Enforcement kohärent umzusetzen.
E. Mitgliedstaatliche Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes? Dieses Kapitel widmet sich der Frage, ob aus dem primärrechtlich verankerten Effektivitätsgrundsatz in der Ausprägung, die er in der Rechtsprechung des EuGH gefunden hat, ein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Gebot ableitbar ist, eine Verletzung der zentralen Marktverhaltensnormen der Art. 14, 15 MAR mit zivilrechtlichen Ansprüchen geschädigter Anleger zu sanktionieren. Dazu wird zunächst beleuchtet, wie das EU-Primärrecht die Mitgliedstaaten generell verpflichtet, Unionsrechtsverstöße zu sanktionieren (E.I.). Unerlässlich ist eine kurze Vergewisserung über die Verleihung subjektiver Rechte im Unionsrecht als notwendige Voraussetzung einer privaten Haftung (E.II.). Sodann sollen die Courage- sowie die Muñoz-Entscheidung des EuGH als wesentliche Ausprägungen eines primärrechtlich fundierten Postulats privater Haftung dargestellt und mit Blick auf eine mögliche maßstabsbildende Funktion für die Auslegung auch der MAR kritisch bewertet werden (E.III. – E.V.). Daraufhin ist die MAR selbst im Wege der Auslegung dahingehend zu befragen, ob sie Basis einer funktionalen Subjektivierung sein kann (E.VI.). Wie zu zeigen sein wird, ist es hierfür auch erforderlich, sich mit der Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung (E.VII.) sowie der Durchsetzungsintensität des Insider- und des Manipulationsverbots zu befassen (unter E.VIII.).
I. Objektive primärrechtskonkretisierende Vorgaben des EuGH zur Durchsetzung von Unionsrecht mittels Sanktionen Mitgliedstaaten sind generell aus Art. 4 EUV verpflichtet, die Befolgung von Unionsrecht1 sicherzustellen und ggf. Verstöße gegen dieses zu sanktionieren2. Das gilt für Richtlinien wie für Verordnungen3, obwohl für deren Wirksamkeit kein 1
Weyer, ZEuP 2003, 318, 322 m.w.N. in Fn. 32. EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989 – C-68/88, Slg. 1989, I-2965 Rn. 23 – Kommission ./. Griechenland; EuGH, Urt. v. 10. 7. 1990 – C-326/88, Slg. 1990, I-2911 Rn. 17 – Hansen; EuGH, Urt. v. 2. 10. 1991 – C-7/90, Slg. 1991, I-4371 Rn. 11 – Vandevenne u. a.; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1994 – C-352/92, Slg. 1994, I-3385 Rn. 23 – Milchwerke Köln/Wuppertal; EuGH, Urt. v. 26. 10. 1995 – C-36/94, Slg. 1995, I-3573 Rn. 20 – Siesse; EuGH, Urt. v. 27. 2. 1997 – C-177/95, Slg. 1997, I-1111 Rn. 35 – Ebony Maritime und Loten Navigation; EuGH, Urt. v. 15. 1. 2004 – C-230/01, Slg. I-937 Rn. 36 – Penycoed; Hellgardt, AG 2012, 154, 165 m.w.N. in Fn. 123. 3 Vgl. Calliess/Kahl/Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 4 EUV Rn. 59 m.w.N., allerdings speziell für Verordnungen mit ausdrücklichem Durchführungsvor2
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
mitgliedstaatlicher Umsetzungsakt erforderlich ist4. Selbstverständlich bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten das von der MAR vorgesehene verwaltungsrechtliche Instrumentarium einrichten müssen sowie die von der CRIM-MAD vorgesehenen Strafbewehrungen. Anders als die am Individualrecht ansetzende Frage nach Sekundäransprüchen bei Verletzung der MAR dockt die Sanktionsrechtsprechung an den unionsrechtlich begründeten Pflichten der Mitgliedstaaten an5. Der Effektivitätsgrundsatz findet damit eine objektiv-rechtliche Ausprägung6. Die nunmehr klassisch gewordene Passage in den EuGH-Entscheidungen lautet, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 EUV verpflichtet sind, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Regelung keine besondere Vorschrift enthält, die für den Fall eines Verstoßes gegen die Regelung eine Sanktion vorsieht, oder wenn sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften verweist, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten7. Dabei müssen die Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktionen verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muss8.
Soweit ersichtlich findet sich diese Passage zum ersten Mal in der Rs. Kommission/Griechenland9. Deren Anlass war, dass die Griechische Republik die nach nationalem Recht vorgesehenen Straf- bzw. Disziplinarverfahren bei einem Verstoß gegen gegen die europäischen Marktorganisationsregeln für Getreide nicht eingeleitet hatte. Die Rechtsprechung spiegelte die klassische Arbeitsteilung zwischen EU behalt; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV 5. Aufl. 2016, Art. 291 AEUV Rn. 4, Art. 288 AEUV Rn. 21 m.w.N. 4 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 288 AEUV Rn. 101. 5 Vgl. Weyer, ZEuP 2003, 318, 322; gleichsinnig auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 251. Insofern kann man sagen, dass bei der Qualifikation als Schutzgesetz beide Ansätze ineinandergreifen. 6 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 251. 7 Grundlegend EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989 – C-68/88, Slg. 1989, I-2965 Rn. 23 – Kommission ./. Griechenland; EuGH, Urt. v. 10. 7. 1990 – C-326/88, Slg. 1990, I-2911 Rn. 17 – Hansen. 8 EuGH, Urt. v. 10. 7. 1990 – C-326/88, Slg. 1990, I-2911 Rn. 17 – Hansen; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989 – C-68/88, Slg. 1989, I-2965 Rn. 23 – Kommission ./. Griechenland; EuGH, Urt. v. 2. 10. 1991 – C-7/90, Slg. 1991, I-4371 Rn. 11 – Vandevenne u. a.; EuGH, Urt. v. 30. 9. 2003 – C-167/01 – Inspire Art, Rn. 62; EuGH, Urt. v. 15. 1. 2004 – C-230/01, Slg. I-937 Rn. 36 – Penycoed; EuGH, Urt. v. 3. 5. 2005 – verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 Rn. 65 – Berlusconi u. a.; EuGH, Urt. v. 26. 4. 2007 – C-348/04, Slg. 2007, I3391 Rn. 59 – Boehringer Ingelheim u. a.; EuGH, Urt. v. 10. 7. 2008, – C-54/07, Slg. 2008, I5187 Rn. 38 – Feryn. 9 EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989 – C-68/88, Slg. 1989, I-2965 Rn. 23 – Kommission ./. Griechenland.
I. Objektive primärrechtskonkretisierende Vorgaben des EuGH
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und Mitgliedstaaten wider10, nach welcher die Regelung des Rechtsfolgenbereichs weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen blieb11. Insofern reagierte sie auf die strukturell angelegte Gefahr eines Durchsetzungsdefizits12. Zugleich wurde sie später in einer Vielzahl an Unionsrechtsakten kodifiziert13. 1. Verhältnismäßigkeit der Sanktion Verhältnismäßig ist eine Sanktion, wenn sie zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele geeignet und erforderlich ist14. Die Sanktionshöhe muss sich an der Schwere des Fehlverhaltens orientieren15. Den Mitgliedstaat trifft unter bestimmten Voraussetzungen eine „Sanktionierungsverantwortung“. Dabei muss die Normdurchsetzung sowohl mittels materiell-rechtlicher Sanktionen als auch durch das Verfahrensrecht im hergebrachten (deutschen) Sinne gewährleistet werden16. Die öffentlich-, straf- und privatrechtlichen Sanktionen stehen zueinander grundsätzlich in einem Verhältnis funktionaler Äquivalenz17. Der EuGH hat zuletzt mit Blick auf die Verbraucherkreditrichtlinie18 die Grenzen mitgliedstaatlicher Sanktionierung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit aufgezeigt19: Gegenstand war eine mitgliedstaatliche Sanktionsregelung, die den Kreditgeber mit negativen Rechtsfolgen bei fehlenden Angaben im Kreditvertrag belastet. Laut EuGH waren diese Angaben ihrer Art nach gar nicht dazu bestimmt, 10 Vgl. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 15 Rn. 90; Schmolke, NZG 2016, 721, 725 ff. 11 Siehe Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 6 f. Siehe ebd. S. 6 f. Fn. 24 m.w.N.: die vielfach zitierte nationale Verfahrensautonomie lässt sich weiter präzisieren und enthält die wesentliche Kategorie der „Rechtsbehelfsautonomie“; s. auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 8 f., abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 12 Siehe dazu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 262. 13 Einen Überblick gibt Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 260. 14 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 14. 10. 2004 – verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3568, 3568 Rn. 90 – Berlusconi u. a. 15 Beispielhaft: Generalanwältin Sharpston, Schlussanträge vom 6. 4. 2006, C-348/04, Slg. 2007, I-3397 Rn. 76 – Boehringer Ingelheim; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 305 m.w.N.; s.a. Art. 31 Abs. 1 lit. a MAR. 16 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 258. 17 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 7. 1994 – C-352/92, Slg. 1994, I-3385 Rn. 23 – Milchwerke Köln/ Wuppertal; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013, C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 41 – Hirmann; Schmolke, NZG 2016, 721, 727; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355, 405; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 261. 18 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133 vom 22. 5. 2008, S. 66 – 92. 19 EuGH, Urt. v. 9. 11. 2016 – C-42/15, ECLI:EU:C:2016:842 Rn. 60 – 73 – Home Credit Slovakia.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
dem Verbraucher die Einschätzung seines Verpflichtungsumfangs zu ermöglichen. Aus diesem Grund sah er die Sanktionsregelung als unverhältnismäßig an20. Dies zeigt, dass die Verhältnismäßigkeit im Rahmen mitgliedstaatlicher Sanktionierungspflicht nicht floskelhaft ist, sondern praktisch relevant werden kann. 2. „Abschreckende“ Sanktionen Eine Sanktion ist abschreckend, wenn sie geeignet ist, den Einzelnen davon abzuhalten, unionsrechtlich vorgegebene Bestimmungen zu verletzen21. Eine Sanktion wirkt nicht abschreckend, wenn Unternehmen eine geringe Geldbuße oder eine mögliche Sanktion in Kauf nehmen, weil sie von der Nichtbefolgung überwiegende Vorteile erwarten22. Dies beurteilt der EuGH abstrakt-theoretisch23, d. h. unter impliziter Zugrundelegung der REMM-Hypothese24. In der Rs. LCL Le Crédit Lyonnais hatte das Gericht ebenfalls über eine Sanktionsregelung zur Durchsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie zu entscheiden. Die Pflichtverletzung des Darlehensgebers führte zwar dazu, dass dieser den vertraglichen Zinsanspruch verwirkte. Da der Kreditnehmer als Verwirkungsfolge aber in einigen Konstellationen sogar einen höheren gesetzlichen Zins schuldete, sah der EuGH die Regelung nicht als abschreckend an25. Das Gericht berücksichtigt zudem die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Sanktion verhängt wird: Wer einen Verstoß begehe, müsse befürchten, tatsächlich mit der Sanktion belegt zu werden26. Bei zivilrechtlicher Sanktionierung hält der EuGH einen Strafschadensersatz nach Art US-amerikanischer Punitive Damages indes nicht für unionsrechtlich geboten27.
20 EuGH, Urt. v. 9. 11. 2016 – C-42/15, ECLI:EU:C:2016:842 Rn. 66, 72 – Home Credit Slovakia. 21 Vgl. Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 14. 10. 2004 – verb. Rs. C-387/02, C-391/ 02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3568, 3568 Rn. 89 m.w.N. – Berlusconi u. a.; s. auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 302; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 41 ff. 22 KOM-Mitteilung v. 3. 5. 1995, Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt, KOM (95) 162 endg., S. 2. 23 EuGH, Urt. v. 27. 3. 2014 – C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 52 – LCL Le Crédit Lyonnais: „in allgemeinerer Weise“. 24 Siehe dazu Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 106 ff. 25 EuGH, Urt. v. 27. 3. 2014 – C-565/12, ECLI:EU:C:2014:190 Rn. 52 – 55 – LCL Le Crédit Lyonnais. 26 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 14. 10. 2004 – verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3568, 3568 Rn. 89 m.w.N. – Berlusconi u. a. 27 Zuletzt EuGH, Urt. v. 17. 12. 2015 – C-407/14, ECLI:EU:C:2015:831 – Arjona Camacho, dazu Raif/Nann, GWR 2016, 193; siehe zur Unzulässigkeit von punitive damages im deutschen Recht BGHZ 118, 312, 334 ff., ferner BVerfGE 91, 335, 343 ff.; Mann, 101 Yale L. J. 1795 – 1873 (1992). Zu den Voraussetzungen für eine verhaltenssteuernder Wirkung von Sanktionen siehe E.VII.2.a)].
I. Objektive primärrechtskonkretisierende Vorgaben des EuGH
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3. Zivilrechtliche Haftung als Sanktion Ein allgemeiner unionsrechtlicher Sanktionsbegriff hat sich noch nicht herausgebildet28. Zivilrechtliche Haftungsregelungen sollten aber als Sanktionen eingestuft werden können29. Dafür spricht schon die funktionale, d. h. rechtsgebietsübergreifende30 und finale Ausrichtung des Unionsrecht, die den Mitgliedstaaten überlässt, wie sie Regelungsziele erreichen. Mitgliedstaaten steht es nämlich grundsätzlich frei, Verstöße gegen Unionsrecht (zusätzlich) mit einer zivilrechtlichen Haftungsfolge zu sanktionieren31. Dies setzt der EuGH in vielen Entscheidungen voraus. So hat das Gericht etwa im Fall von Colson und Kamann geprüft, ob die damalige Antidiskriminierungsrichtlinie32 die Mitgliedstaaten verpflichtete, für Verletzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes bestimmte Rechtsfolgen oder Sanktionen einzurichten. Der EuGH hat einen zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch als taugliche Sanktion angesehen, sofern dieser nicht rein symbolischer Natur ist33. Dies sollte gleichermaßen für kompensatorische Ansprüche gelten34. Ebenso wie ein Bußgeld verteuern sie die Normverletzung und setzen so einen Anreiz, die unionsrechtlichen Verhaltensanforderungen zu achten35. 4. Subsidiarität mitgliedstaatlicher Sanktionierungspflicht Die Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, greift aber nur subsidiär, d. h. bei Nichtvorhandensein eigenständiger unionsrechtlicher Sanktionsregelungen36. Das Marktmanipulationsverbot aus Art. 15 sowie das Insiderverbot aus Art. 14 MAR stellen keine leges imperfectae dar37, bei denen die Mitgliedstaaten 28
Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 263. Siehe zum Sanktionsbegriff der Kommission KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 5. 30 Siehe hierzu bereits A.III.3. 31 Zu grundlegenden rechtstheoretischen Überlegungen zur Sanktion: Bitter, Die Sanktion im Recht der Europäischen Union, 2011, S. 9 – 37. 32 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 39 vom 14. 2. 1976, S. 40 – 42. 33 EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984 – C-14/83, Slg. 1984, 1891 Rn. 16 – von Colson und Kamann. 34 Vgl. Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 261 ff., der allerdings für eine Auslegung im konkreten Fall plädiert. 35 Vgl. Rott, Effektivität des Verbraucherrechtsschutzes: Rahmenfestlegungen des Gemeinschaftsrechts, S. 80. 36 Gleichsinnig Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.12, S. 40. Auch mit Blick auf die Gewährung individueller Rechte folgt der EuGH dem Subsidiaritätsgedanken, siehe EuGH, Urt. v. 12. 10. 2004 – C-222/02, Slg. 2004, I-9425 Rn. 50 – Paul u. a.; Hellgardt AG 2012, 154, 158; Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 247. 37 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2008, S. 222. 29
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
naturgemäß eine Sanktionsverantwortung trifft. Denn wie bereits ausgeführt, sieht die MAR gerade ein verwaltungsrechtliches Instrumentarium vor, welches strafrechtlich durch die CRIM-MAD flankiert wird. Die Art. 30 – 34 MAR sowie die Art. 3 ff. CRIM-MAD stellen daher „besondere Vorschriften“ im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung38 dar, die eine eigene Aufsichts-, Untersuchungsund Sanktionsordnung begründen (Erwägungsgrund 70 der MAR). Der Unionsgesetzgeber hat hiermit in Wahrnehmung seiner Einschätzungsprärogative zum Ausdruck gebracht, welche Sanktionierung er als ausreichend wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ansieht. Schließlich verweist die MAR im Gegensatz zu anderen Rechtsakten im Bereich des europäischen Kapitalmarktrechts39 nicht auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Schon deshalb ist die hier als Sanktionsrechtsprechung bezeichnete Judikatur des EuGH mit Blick auf eine mögliche zivilrechtliche Haftung nicht weiterführend40. 5. Freiwilligkeit der Einführung zusätzlicher Rechtsbehelfe Gegen ein Haftungspostulat bei Verletzung der MAR spricht zudem, dass Mitgliedstaaten EU-Rechtsakte im Regelfall mit den bereits vorhandenen nationalen Sanktionsmechanismen durchsetzen dürfen41. Sie sind nur dann verpflichtet, neue Rechtsbehelfe zu schaffen, wenn der durchzusetzende EU-Rechtsakt dies ausdrücklich vorgibt oder die nationale Rechtsordnung gar keinen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem wenigstens inzident Unionsrechte gewährleistet werden können42. Zwar werden die EuGH-Entscheidungen Oleificio Borelli sowie Nunes teils als Aufgabe dieser Rechtsprechung interpretiert43, doch trifft dies nicht zu: In Oleificio Borelli betonte der EuGH lediglich (erneut), Mitgliedstaaten müssten die gerichtliche Kontrolle sämtlicher nationaler Behördenentscheidungen ermöglichen und zur Not eine entgegenstehende innerstaatliche Zulässigkeitsvoraussetzung eines vor-
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Siehe hierzu unter E.I. Siehe hierzu unter E.VI.2.d). 40 s. gleichsinnig in allgemeinerem Zusammenhang Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 267. 41 Siehe EuGH, Urt. v. 7. 7. 1981 – C-158/80, Slg. 1981, 1805 Rn. 44 – Rewe ./. Hauptzollamt Kiel; EuGH, Urt. v. 13. 3. 2007 – C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 40 ff. – Unibet; s.a. Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.01, S. 25 f.; Weatherill, Law and Values in the European Union, 2016 S. 183; Craig/de Búrca, EU Law, 6th ed. 2015, S. 228 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 259; Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 852 ff. 42 EuGH, Urt. v. 13. 3. 2007 – C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 41 – Unibet; s. dazu auch Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.01, S. 26 m.w.N. 43 Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 182 Fn. 54 et passim; s. aber instruktiv zur Durchbrechung dieses Grundsatzes in der weiteren Rechtsprechung des EuGH Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 869 – 878. 39
II. Subjektive Rechte als Voraussetzung zivilrechtlicher Haftung
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handenen Rechtsbehelfs suspendieren44. In Nunes erkannte der EuGH die mitgliedstaatliche Befugnis an, strafrechtliche Sanktionen einzurichten, auch wenn der Unionsrechtsakt allein zivilrechtliche Sanktionen vorgibt45. Dass die Durchsetzung unionsrechtlicher Bestimmungen nicht ungünstiger sein darf als die rein nationaler Regelungen (Äquivalenz), ist selbstverständlich und zieht sich durch nahezu alle Entscheidungen46. 6. Ergebnis Die Sanktionsrechtsprechung des EuGH formt den Effektivitätsgrundsatz objektivrechtlich aus und kann nach alledem grundsätzlich auch eine zivilrechtliche Haftung einschließen47. Allerdings kann aus ihr keine mitgliedstaatliche Pflicht abgeleitet werden, eine zivilrechtliche Haftung bei Verletzung der Art. 14, 15 MAR zur Verfügung zu stellen, da MAR und CRIM-MAD bereits ein differenziertes Sanktionssystem bereithalten48. Die Sanktionierungsverantwortung der Mitgliedstaaten beschränkt sich daher auf die darin ausdrücklich geregelten Vorgaben. Für deren Umsetzung bleibt die Sanktionsrechtsprechung freilich als normativer Maßstab zu beachten49.
II. Subjektive Rechte als Voraussetzung zivilrechtlicher Haftung Während der EuGH in der Sanktionsrechtsprechung objektiv die mitgliedstaatlichen Pflichten zur Durchsetzung des Unionsrechts festlegt („wirksam, verhältnismäßig, abschreckend“), setzt er in den Entscheidungen Courage und Muñoz auf subjektive Rechte („funktionale Subjektivierung“). Subjektive Rechte kann das Unionsrecht mittels des Effektivitätsgrundsatzes sogar dort gewähren, wo eine ausdrückliche Regelung fehlt (subjektivrechtliche Dimension des Effektivitäts44 EuGH, Urt. v. 3. 12. 1992 – C-97/91, Slg. 1992, I-6313 Rn. 13 – 15 – Oleificio Borelli ./. Kommission. 45 EuGH, Urt. v. 8. 7. 1999 – C-186/98, Slg. 1999, I-4883 Rn. 5,6,12,14 – Nunes und de Matos. 46 E. g. EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989 – C-68/88, Slg. 1989, I-2965 Rn. 24 – Kommission ./. Griechenland; EuGH, Urt. v. 7. 7. 1981 – C-158/80, Slg. 1981, 1805 Rn. 44 – Rewe ./. Hauptzollamt Kiel; EuGH, Urt. v. 13. 3. 2007 – C-432/05, Slg. 2007, I-2271 Rn. 43 – Unibet; EuGH, Urt. v. 3. 12. 1992 – C-97/91, Slg. 1992, I-6313 Rn. 14 – Oleificio Borelli ./. Kommission. Zur Äquivalenz mit Blick auf den Marktmissbrauch siehe H.II. 47 Ebenso Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 51 f.; Poelzig, ZGR 2015, 801, 807 Fn. 27. 48 Vgl. unter B. 49 Die Rechtsprechung ist auch dann zu beachten, wenn ein Rechtsakt gar keine expliziten Sanktionen vorgibt, siehe Wagner, AcP 206 (2006), 352, 418.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
grundsatzes50). Dies hat der EuGH für das Primärrecht bereits in der Van Gend & Loos-Entscheidung festgehalten51. Das Gericht hatte sich darin mit dem „Geist, der Systematik und dem Wortlaut des EWG-Vertrages“ auseinandergesetzt und im Ergebnis ein Recht des Einzelnen gegen den Mitgliedstaat gewonnen52. Dies wurde als paradigmatische Argumentation aus dem Gesamtsystem des Vertrages bezeichnet53. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Bestimmung ein Recht verleiht, führt auf unsicheres Gelände, trifft diese hierzu keine klare Aussage54. Aus verwaltungsrechtlicher Perspektive wurde zumindest noch 1996 das Fehlen einer Theorie des subjektiv-öffentlichen Rechts im Unionsrecht55 konstatiert. Dies gilt erst recht für eine allgemeine Theorie des subjektiven Rechts im Unionsrecht56. Dessen Konturenlosigkeit rührt daher, dass die großzügige Rechtsverleihungspraxis des EuGH lange Zeit mitgliedstaatliche Verstöße gegen liberalisierende Gemeinschaftsnormen zum Gegenstand hatte57. Dem Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen (nun Art. 34 AEUV) kann etwa ohne Weiteres ein entsprechendes Recht auf die unbeschränkte Einfuhr entnommen werden (sofern die Beschränkung nicht gerechtfertigt ist). Dieses kann durch schlichte Nichtbeachtung der entgegenstehenden nationalen Vorschrift in einem mitgliedstaatlichen Verfahren durchgesetzt werden. Insoweit ist die Vollziehbarkeit/unmittelbare Wirkung notwendig und hinreichend zugleich für die Begründung einer individuellen Rechtsposition58. Anders verhält es sich dagegen bei horizontalen, verhaltensregulierenden EUBestimmungen wie den Art. 14, 15 MAR oder den kartellrechtlichen Wettbewerbsregeln in Art. 101 f. AEUV: Sie können nur durchgesetzt werden, wenn Unions- oder mitgliedstaatliches Recht hierfür einen eigenen sekundären Rechtsbehelf gewähren59. Einen solchen Rechtsbehelf hat der EuGH dann zwar etwa in den Entscheidungen Muñoz (im Lauterkeitsrecht) und Courage (im Kartellrecht) als 50
Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 251 ff. EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963 – C-26/62, Slg. 1963, I-1 S. 25 – Van Gend en Loos. 52 EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963 – C-26/62, Slg. 1963, I-1 S. 24 ff. – Van Gend en Loos. Dazu instruktiv: Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 81 ff. 53 Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 889. 54 Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 47 Rn. 8. 55 Grundlegend von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 231; vgl. auch Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416 f. 56 s. zu dieser Frage auch Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.04, S. 30 m.w.N. sowie Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 87. 57 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 105, 197. 58 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 105. 59 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 105. 51
III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung
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Postulat in den Raum gestellt, jedoch ohne zugleich die individualrechtliche Dogmatik in nennenswerter Weise weiterzuentwickeln60. Nachfolgend sollen die Entscheidungen Courage und Muñoz vor diesem Hintergrund analysiert und bewertet werden. Dabei soll zunächst anhand des jeweiligen Regelungskontexts ermittelt werden, ob diese – für sich betrachtet – auf die MAR übertragbar sind (E.III. und E.IV.).
III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung des EuGH? Als nächstliegender Anknüpfungspunkt für einen privaten Schadensersatzanspruch bei Marktmissbrauch bietet sich die EuGH-Rechtsprechung zum Kartelldeliktsrecht an, die in der Courage-Entscheidung ihren Ausgangspunkt hat61. Darin nahm der EuGH Anleihen in der Rs. Francovich und entwickelte erstmals das Erfordernis einer privatrechtlichen Haftung für Verletzungen des Kartellverbots und für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (nun Art. 101, 102 AEUV). Der deutsche Gesetzgeber gewährleistet diese Haftung nunmehr mit § 33 GWB, der im Zuge der 9. GWB-Novelle an die neue Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/ EU62 angepasst wurde63. 1. Sachverhalt Der Courage-Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde64: Die im Vereinigten Königreich klagende Brauerei Courage Ltd. und das Unternehmen Grand Metropolitan fusionierten 1990 und übertrugen die von ihnen verpachteten Schankwirtschaften auf die Inntrepreneur Estates Ltd. (nachfolgend IEL), deren Anteile sie jeweils hälftig hielten. Die Klägerin und IEL vereinbarten, dass sämtliche Pächter ihr Bier ausschließlich zu festgelegten Tarifen von der Klägerin beziehen. Der Beklagte Crehan schloss 1991 zwei Bezugsverpflichtungen zugunsten der Klägerin. Diese erhob zwei Jahre später Klage auf Zahlung für Bierlieferungen. Der Beklagte wandte ein, die Alleinbezugsverpflichtung verstoße gegen Art. 85 EGV und erhob Widerklage auf Ersatz des ihm 60 Vgl. Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 199. 61 Dieckmann, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 40 Rn. 18. 62 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 5. 12. 2014, S. 1 – 19. 63 BGBl. 2017 I, S. 1416 ff. 64 Die Wiedergabe des nachfolgenden Sachverhalts orientiert sich an den Schlussanträgen des Generalanwalts Mischo v. 22. 3. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6300 f. – Courage und Crehan.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen dadurch entstandenen Schadens: Die Klägerin habe ihr Bier an nicht durch eine Alleinbezugsverpflichtung gebundene Kunden deutlich billiger verkauft als an die derart gebundenen Schankwirtschaften. Die zum Alleinbezug verpflichteten Pächter verdienten so wesentlich weniger und seien zur Aufgabe ihrer Tätigkeit gezwungen.
Der EuGH stellte den Zusammenhang zu den Rechtssachen Van Gend & Loos, zu Costa und zu Francovich her, indem er erneut festhielt, dass jedem Einzelnen Rechte entstehen können, nicht nur, wo der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch dort, wo der EG-Vertrag Einzelnen, Mitgliedstaaten oder Organen der Gemeinschaft eindeutige Verpflichtungen auferlegt65. Er qualifizierte das Missbrauchsverbot marktbeherrschender Stellungen sodann als „grundlegende Bestimmung“, da dieses für die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben und insbesondere das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich sei66. Zum wiederholten Male hielt das Gericht fest, dass die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen unmittelbare Wirkung im Horizontalverhältnis erzeugen67. Die volle Wirksamkeit des Art. 85 EGV (jetzt Art. 101 AEUV) werde beeinträchtigt, könne nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden sei68. Ein derartiger Schadensersatzanspruch erhöhe nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und sei geeignet, von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können69. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen70. Für die Bestimmung der zuständigen Gerichte und der Verfahrensmodalitäten verwies der EuGH mangels einschlägiger Gemeinschaftsregelung auf das mitgliedstaatliche Recht71. 2. Modifikationen in der Folgerechtsprechung: Rs. Manfredi In der Manfredi-Entscheidung72 hat der EuGH die Courage-Rechtsprechung weiterentwickelt. Insbesondere leitete er aus dem Effektivitätsgrundsatz und dem Recht einer jeden Person auf Schadensersatz ab, dass ein Geschädigter Ersatz auch des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) sowie die Zahlung von Zinsen verlangen
65
EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 19 – Courage und Crehan. EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 20 – Courage und Crehan. 67 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 23 – Courage und Crehan. 68 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage und Crehan. 69 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan. 70 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan. 71 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 29 – Courage und Crehan. 72 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 – Manfredi. 66
III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung
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könne73. Anderenfalls könne ein Ersatz des Schadens bei wirtschaftlichen oder kommerziellen Rechtsstreitigkeiten tatsächlich unmöglich sein74. In Rn. 99 der Entscheidung kommt der EuGH auf den Strafschadensersatz zu sprechen. Er erkennt ihn nach Maßgabe des Äquivalenzgrundsatzes nur dort als zwingende Rechtsfolge an, wo ihn das innerstaatliche Recht bei vergleichbaren Klagen anordnet75. 3. Erste Lehren aus der Kartellschadensersatzrichtlinie für die MAR In der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/EU hat sich der EU-Gesetzgeber die wesentlichen Aussagen der Rechtssachen Courage und Manfredi zu Eigen gemacht76 : Insbesondere sind die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtet zu gewährleisten, „dass jede natürliche oder juristische Person, die einen durch die Zuwiderhandlung hervorgerufenen Schaden erlitten hat, den vollständigen Ersatz dieses Schadens verlangen und erwirken kann“. Sie nimmt zudem zahlreiche Konkretisierungen vor, die bislang dem mitgliedstaatlichen Recht belassen waren. Auch verfolgt sie das Ziel, behördliche und privatrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung nunmehr kohärent zu koordinieren und reagiert somit auf eine bislang als defizitär wahrgenommene Situation77. Dies zeigt, dass der Richtliniengeber einerseits die Pionierrolle des EuGH im Kartell(delikts)recht anerkannt hat, und dass andererseits ein Bedürfnis nach legislativer Kodifizierung nicht von der Hand zu weisen war, um Folgeprobleme der Rechtsprechung zu bewältigen. Nun ist jedoch insbesondere mit Blick auf den Aktenzugang zu Kronzeugenerklärungen heftig umstritten, ob die Kartellschadensersatzrichtlinie primärrechtskonform ist. Die Antworten hängen davon ab, inwieweit teilweise entgegenstehende EuGH-Vorgaben selbst das Primärrecht bindend konkretisieren oder inwieweit ihnen eine nur Gesetzes vertretende sekundärrechtliche Wertigkeit zukommt, in deren Folge der EU-Gesetzgeber sie jederzeit frei korrigieren kann78. Daraus ergibt sich wiederum, inwieweit der EuGH die legislative 73 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 95 – Manfredi. 74 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 96 – Manfredi. 75 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 99 – Manfredi. 76 Vgl. Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 106 Fn. 405, 108. Zur historischen Entwicklung im Einzelnen vgl. Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 6.10 ff. 77 Vgl. etwa RL 2014/104/EU Erwägungsgrund (6). Krit., weil einen „Sanktions-Overkill“ befürchtend: Steinle, EuZW 2014, 481. Dazu auch Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 467. 78 Siehe dazu umfassend W.-H. Roth, ZHR 179 (2015), 668 ff.; krit. Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 13, 25 f., abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Gestaltungsfreiheit des EU-Gesetzgebers mittels seiner richterlichen Primärrechtsinterpretation beschneiden kann. Die Auseinandersetzung über die Kartellschadensersatzrichtlinie zeigt deutlich, das richterrechtlich aufgestellte Haftungspostulate erhebliche Folgeprobleme aufwerfen können. Diese drohten auch, erklärte der EuGH ein Private Enforcement der MAR für geboten. Einerseits schiene es zunächst wenig überzeugend, dieses mit dem Effektivitätsgrundsatz aus Art. 4 Abs. 3 EUV zu begründen, dem Haftungspostulat selbst aber nur sekundärrechtlichen Charakter zuzuschreiben. Andererseits würde die primärrechtliche Einordnung eine Rechtslage schaffen, hinter die der EU-Gesetzgeber nicht mehr zurückgehen könnte, obwohl er sich selbst zunächst nur für ein Public Enforcement entschieden hat. Richtigerweise ist der Konflikt normhierarchisch aufzulösen79 : Den Durchsetzungspflichten kann kein höherer Rang zukommen als dem durchzusetzenden Rechtsakt selbst80. Ein vom EuGH geschaffenes Haftungspostulat muss der Unionsgesetzgeber jedenfalls dann korrigieren können81, wenn die durchzusetzende Norm sekundärrechtlichen Charakter hat und zwar unabhängig davon, ob man dem Haftungspostulat eine primär- oder einen sekundärrechtliche Qualität zuschreibt: Indem der Unionsgesetzgeber über den materiellen Anwendungsbereich der primären Verhaltensnorm bestimmt, legt er fest, welche Lebenssachverhalte überhaupt eine Sanktionsfolge auslösen. Insoweit muss auch die nachgelagerte Entscheidung über die Art der Sanktionierung und das angestrebte Durchsetzungsmaß zunächst bei ihm liegen und kann nicht a priori primärrechtlich vorgegeben sein. Die Grenze des primärrechtlich Zulässigen ist erst dann überschritten, wenn der EU-Gesetzgeber offenkundig „unwirksames Recht“ schafft und damit die Geltungskraft des EU-Rechts insgesamt zu beschädigen droht. Setzen sich diese Einsichten aber von vornherein durch, bedarf es auch keiner späteren legislativen Korrektur, deren Zulässigkeit weitere Probleme aufwirft, wie das Beispiel der Kartellschadensersatzrichtlinie zeigt. 4. Überlegungen zur Übertragbarkeit Der EuGH hat bislang in Ermangelung einer entsprechenden Vorlagefrage nicht geklärt, ob er die kartelldeliktische Rechtsprechung (der Sache nach) auch bei
79 Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 62 f. m.w.N; differenzierend W.-H. Roth, ZHR 179 (2015), 668 ff.; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 62 f. m.w.N. Normenhierarchisch argumentiert auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 13, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130, allerdings in Bezug auf das primärrechtlich vorgegebene Kartellrecht. 80 Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 62. 81 Gleichsinnig Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 62.
III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung
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Verletzung der Art. 14, 15 MAR anwenden will82. Ob eine solche Übertragung Sinn ergäbe, wird nachfolgend erörtert. a) (Abgeleitete) sachlich-gegenständliche Kompetenz des EuGH Der EuGH müsste für die Übertragung der Courage-Rechtsprechung kompetent sein. Gemäß Art. 19 Abs. 1 Ua. 1 Satz 2 EUV ist er dazu verpflichtet, die Wahrung des Rechts zu sichern. Daraus wird auch seine Rechtsfortbildungskompetenz abgeleitet83. Diese kann nicht weitergehen als die Kompetenz des Unionsgesetzgebers84. Auszugehen ist vom Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV85. Kapitalmarktrechtliche Rechtsakte werden meist auf die Kompetenz zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt gestützt, Art. 114 Abs. 1 Satz 2 AEUV86. Inhaltliche Voraussetzung ist laut EuGH, dass die auf Art. 114 AEUV gestützte Maßnahme die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes tatsächlich verbessern soll87. Die Prospekt- und die Transparenzrichtlinie wurden einschließlich ihrer zivilhaftungsrechtlichen Bestimmungen auf Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV gestützt, d. h. auf die Kompetenz, die Niederlassungsfreiheit durch die Koordination bestimmter Schutzbestimmungen zu verwirklichen88. Dem weit auszulegenden Begriff der Schutzbestimmung soll auch der Anlegerschutz einschließlich zivilrechtlicher Haftung unterfallen89. Eine allgemeine Regelungskompetenz des europäischen Gesetzgebers für das Zivilrecht existiert (derzeit) nicht90. In Betracht kommt daher, zivilrechtliche Haftungsregelungen auf eine Annexkompetenz zu Art. 114, Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV zu stützen. Erlaubt eine unionsrechtliche Kompetenzregelung den Erlass materiell82
Wundenberg, ZGR 2015, 124, 134. Neuner, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 12 Rn. 8; krit. Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht 2011, 262 ff.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, Europäisches Verwaltungsrecht, Europäisierung des Verwaltungsrechts und Internationales Verwaltungsrecht Rn. 84. 84 Neuner, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 12 Rn. 13. 85 Harnos, ZEuP 2015, 546, 548. 86 Vgl. Hellgardt, AG 2012 154, 155; krit. zur inhärenten Missbrauchsgefahr bzw. latenten Kompetenzüberschreitung Basedow, EuZW 2012, 1: „List der Kommission?“. Vgl. auch umfassend Strese, Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zur Privatrechtsangleichung im Binnenmarkt, 2006. 87 EuGH, Urt. v. 5. 10. 2000 – C-376/98, Slg. 2000, I-8419 Rn. 83 – Tabakwerbeverbotsrichtlinie, zum damaligen Art. 100a I EGV; Streinz; Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 980. 88 Wundenberg, ZGR 2015, 124, 149 mit weiterführenden Ausführungen zur Einbeziehung zivilrechtlicher Haftungsregelungen. 89 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 50 AEUV Rn. 23; Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 50 AEUV Rn. 18; Wundenberg, ZGR 2015, 124, 149; im Ergebnis auch Poelzig, ZGR 2015, 801, 812 f. 90 Wundenberg, ZGR 2015, 124, 149. 83
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
rechtlicher Verhaltenspflichten, soll dies nach Ansicht mancher auch die Einrichtung (privater) Sanktionsregelungen umfassen, soweit diese zur Zielerreichung erforderlich sind91. Dies überzeugt: Durchsetzungsregelungen wirken sich praktisch stark auf die Harmonisierung aus92. Einer möglichst effektiven und sinnvollen Verhaltenssteuerung wäre es abträglich, einzelne Sanktionsarten zur Durchsetzung der Verhaltensnormen von vornherein auszunehmen93. Eine Harmonisierung einzelner privater Haftungstatbestände und anderer privatrechtlicher Sanktionen sollte im Bereich des Kapitalmarktrechts grundsätzlich möglich sein94, da sie den Binnenmarkt tatsächlich verbessern kann. Insoweit maßt sich der EU-Gesetzgeber keine allgemeine zivilrechtliche Regelungsbefugnis an. Daher ist auch eine abgeleitete sachlich-gegenständliche Rechtsfortbildungskompetenz des EuGH grundsätzlich zu bejahen. b) Reichweite und Wesentlichkeit Für die Übertragbarkeit ist zudem relevant, welche Reichweite der EuGH seiner Entscheidung beimisst. Anders als in der grundlegenden Francovich-Entscheidung zur Staatshaftung spricht das Gericht in Courage und Muñoz weder von einem „allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts“ noch bezieht es sich auf die „gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten“95. Sah Francovich eine allgemeine mitgliedstaatliche Haftung für die Verletzung sämtlicher unionsrechtlicher Bestimmungen vor („by breaches of community law“), beschränkt sich Courage auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung96. Dies spricht gegen eine Verallgemeinerungsfähigkeit und Übertragung auf andere Rechtsakte wie die MAR. Wie bereits dargelegt, bemüht der EuGH die „Wesentlichkeit“ der kartellrechtlichen Bestimmungen für das Funktionieren des Binnenmarktes, um sein Haftungspostulat zu plausibilisieren. Diese „Wesentlichkeit“ ist als Unterscheidungsmerkmal denkbar ungeeignet97. Anstatt sich auf dieses wenig aussagekräftige Kriterium zu verlassen, liegt es näher, den Unterschied zwischen Primär- und Sekun91
Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 297. Gleichsinnig Zetzsche, EBOR 11 (2010), 231, 250; s. ferner Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 28 f. 93 Für die strafrechtliche Sanktionierung gilt die spezielle Rechtsgrundlage des Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV. 94 Wundenberg, ZGR 2015, 124, 150; s. auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 26 ff., 31 f. (für das binnenmarktrelevante Zivilrecht). Restriktiver Harnos, ZEuP 2015, 546, 550 ff. 95 Leczykiewicz, 12 CYELS 257, 260 f. (2010). 96 Vgl. Leczykiewicz, 12 CYELS 257, 262 f. (2010); s. auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 97 Vgl. Leczykiewicz, 12 CYELS 257, 261 f. (2010). Krit. auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 136. 92
III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung
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därrecht als Indiz heranzuziehen. Die primärrechtliche Natur des Art. 101 AEUV bietet ebenso wie der Interessenkonflikt im Staatshaftungsrecht ein besonderes Veranlassungsmoment zur Rechtsfortbildung98. Während gerade im Primärrecht kaum Rechtsfolgen normiert sind, was eine schöpferische Interpretation des EuGH überhaupt erst erforderlich macht, hat sich der legislative Wille im Sekundärrechtsakt regelmäßig auch auf Rechtsfolgenseite manifestiert (und sei es nur durch die Delegation an die Mitgliedstaaten). Der Sekundärrechtscharakter der MAR wiegt als Indiz gegen die Übertragbarkeit der Courage-Entscheidung daher deutlich schwerer als die freilich nicht von der Hand zu weisende Bedeutung99 der Marktintegrität für den Binnenfinanzmarkt. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers kann insoweit nur primärrechtlich eingeschränkt sein, wenn das subjektive durchzusetzende Recht wie bei Art. 101 AEUV selbst primärrechtlicher Natur ist100. c) Vergleich der Rechtsdurchsetzung Zum Zeitpunkt der Courage-Entscheidung existierte die VO (EG) 1/2003101 bekanntlich noch nicht, die später die Festsetzung von Bußgeldern (Art. 23 VO (EG) 1/2003) sowie von Zwangsgeldern (Art. 24 VO (EG) 1/2003) ermöglichen sollte. Eine Sanktionierung erfolgte ausschließlich über Art. 15, 16 der ersten Durchführungsverordnung 17/1962102. Deren Buß- bzw. Zwangsgeldrahmen war dabei nicht im Ansatz vergleichbar mit dem heute geltenden. Außer der von Art. 11 vermittelten Befugnis, Auskünfte einzuholen, hatte die Kommission auch keinerlei Untersuchungs- und Ermittlungsbefugnisse. Vor diesem Hintergrund erschien die angemessene Durchsetzung der Art. 85, 86 EGV aF zum Zeitpunkt der Courage-Entscheidung weitaus zweifelhafter, als dies heute für die MAR gilt, die der EU-Gesetzgeber von vornherein mit einer schneidigen Sanktionsordnung ausgestattet hat. d) Effet-Argument Wie der EuGH den Effektivitätsgrundsatz verwendet, wird vorläufig isoliert für die Courage-Entscheidung erörtert103. Der EuGH spricht darin zum einen von „voller“104, zum anderen von „praktischer Wirksamkeit“105, die er als deren Unterfall 98
Siehe dazu auch F.II.3.a). Vgl. Poelzig, ZGR 2015, 801, 814 f. 100 Siehe Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 538 f. 101 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 4. 1. 2003, S. 1 – 25. 102 EWG Rat: Verordnung Nr. 17: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. 13 vom 21. 2. 1962, S. 204 – 211. 103 Allgemeine Ausführungen zum Effektivitätsgrundsatz enthält dann Kapitel E.V. 104 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage und Crehan. 105 Ebd. 99
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einzuordnen scheint106. Weiter erwähnt das Gericht, eine Schadensersatzhaftung erhöhe die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln. Der EuGH setzt sich dabei weder mit der tatsächlichen Durchsetzungssituation der Art. 85, 86 EGVaF auseinander, noch erörtert er das bestehende Sanktionsregime de iure. Der Verwendung des Effet-Arguments liegen der Sache nach zwei mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Annahmen zugrunde: Zum einen schreibt das Gericht der geforderten Haftung eine Abschreckungswirkung bzw. Präventionsfunktion zu („abzuhalten geeignet …“107). Zum anderen verweist es auf den „Entdeckungsvorsprung“ Privater108 („oft veschleierte Vereinbarungen oder Verhaltensweisen“109). Betrachtet man Courage isoliert, scheint der EuGH von einem Gebot maximaler Wirksamkeit auszugehen und davon, dass eine zivilrechtliche Haftung generell die Rechtsdurchsetzung verbessert. Verallgemeinerte man dies, müssten sämtliche EURechtsakte mit einer zivilrechtlicher Haftung bewehrt werden. Im Rahmen der klassischen Arbeitsteilung zwischen Unionsgesetzgeber und Mitgliedstaaten würde eine solche „automatische Ergänzungspflicht“ die legislative Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten faktisch aufheben110. Der Unionsgesetzgeber würde mit einer Erklärungsobliegenheit belastet, unionale zivilrechtliche Ansprüche ausdrücklich im Normtext auszuschließen, wenn er deren Einrichtung nicht beabsichtigt111. Diese würde seine legislative Gestaltungsfreiheit einschränken. Bei einer Rechtsfolgenregelung auf europäischer Ebene würde diese Lesart des Effektivitätsgrundsatzes die ebenso schutzwürdige Gestaltungsfreiheit des EU-Gesetzgebers beschneiden112. Ein derart von der konkreten Durchsetzungssituation losgelöstes Haftungspostulat liefe auf einen allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsanspruch für die Verletzung von Unionsrecht hinaus. Dafür fehlte dem EuGH jedoch schon die Rechtsfortbildungskompetenz, da der Unionsgesetzgeber selbst nicht ermächtigt ist, einen allgemein-zivilrechtlichen Haftungsanspruch zu schaffen113. Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, der Courage-Entscheidung ein 106 Der Gedanke der praktischen Wirksamkeit (effet utile) ist als subjektivrechtliche Ausprägung des Effektivitätsgrundsatzes von dessen objektivrechtlicher Ausformung zu unterscheiden, so Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 250 ff. Zur objektivrechtlichen Ausprägung siehe bereits oben unter E.I. 107 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan. 108 Siehe dazu bereits unter A.III.2. 109 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan. 110 Vgl. im Zusammenhang mit der Finanzmarkt-Richtlinie Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 275: „maximalharmonisierender Charakter“. 111 Ähnlich Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 25, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130, der in derlei Fällen eine Korrektur durch Gesetzgeber für praktisch „kaum vorstellbar“ hält. 112 Siehe dazu unter E.V.4. 113 Siehe dazu auch unter F.II.3.b).
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Gebot maximaler Sanktionsbewehrung zu entnehmen, das unbesehen des spezifischen Regelungskontexts auch auf die MAR zu erstrecken wäre. e) Bewertung des Entdeckungsarguments und die Lösung der MAR Laut Wagner setzte sich in Courage die Einsicht durch, „dass die Kommission mit ihren begrenzten personellen Ressourcen nicht dazu in der Lage ist, die Masse des Fallmaterials auf anspruchsvollem rechtlichen und ökonomischen Niveau zu bearbeiten, während die reichen Informationsressourcen und Durchsetzungsinteressen der Marktteilnehmer ebenso ungenutzt brach liegen wie die Potenziale der Zivilgerichtsbarkeit“114. aa) Vergleich mit der Anlageberatung Das Entdeckungsargument für eine zivilrechtliche Haftung überzeugt im Kontext der MAR aber allenfalls eingeschränkt. Dies verdeutlicht zunächst ein Vergleich mit der ebenfalls kontrovers diskutierten Haftung bei fehlerhafter Anlageberatung: Verstöße gegen die aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltensregelungen der MiFID II115 geschehen im privaten Bereich zwischen Anlageberater und Kunden. Hier wäre eine umfassende Aufklärung durch Aufsichtsbehörden nur um den Preis überbordender staatlicher Überwachungsbefugnisse zu haben. Dies wäre weder praktikabel noch wünschenswert. In derlei Fällen überzeugt es eher, mutmaßlich Geschädigten einen Kompensationsanspruch zu verleihen und deren unmittelbares Betroffensein für die Normdurchsetzung zu nutzen116. Geht es um die Aufdeckung marktmissbräuchlichen Verhaltens am Sekundärmarkt, haben private Marktteilnehmer aufgrund des für sie weitgehend anonymen Handelsgeschehens aber kaum einen Informationsvorsprung gegenüber Aufsichtsbehörden, bei denen die auf Grund der vielgestaltigen gesetzlichen Meldepflichten generierten Daten zentral zusammenlaufen117. bb) Lösungsansatz der MAR Die MAR adressiert das Informationsbeschaffungsproblem selbst: Sie will es durch eine begrenzte Aktivierung Privater innerhalb des Public Enforcement, d. h. systemimmanent lösen118. Zunächst lassen sich anlass- bzw. verdachtsbezogene 114
Wagner, AcP 206 (2006), 352, 405. Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/ 61/EU, ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 349 – 496. 116 Dazu instruktiv und differenzierend Freitag, ZBB 2016, 1, 16 f. 117 Vgl. hierzu ausführlicher E.VII.3.b). 118 Gleichsinnig Schmolke, NZG 2016, 721, 727. 115
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Melde- und Organisationspflichten sowie besondere Regelungen zum Umgang mit Hinweisgebern unterscheiden. Laut Art. 16 Abs. 1 Ua. 1 MAR müssen Marktbetreiber und Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, wirksame Regelungen, Systeme und Verfahren zur Vorbeugung und Aufdeckung von Marktmissbrauch einrichten und unterhalten (siehe auch Erwägungsgründe 45, 46 MAR). Art. 16 MAR verweist auf Art. 31 und Art. 54 MiFID II, die diese Pflichten ausdrücklich den MTFs119 und OTFs120 zuweisen und mit Inhalt füllen. Art. 16 Abs. 1 Ua. 2 MAR begründet eine umfassende Meldepflicht der Marktbetreiber und Wertpapierfirmen, die einen Handelsplatz betreiben, gegenüber der zuständigen Behörde des Handelsplatzes, die auch verdächtige Stornierungen und Änderungen von Orders umfasst (sog. STORs, Suspicious Transaction and Order Reports121). Da Art. 16 Abs. 1 Ua. 2 MAR nur eine Meldepflicht begründet, ist die Verdachtsschwelle niedrig anzusetzen122. Weitgehend inhaltsgleiche Pflichten treffen gewerbliche Wertpapierhändler und -vermittler (Art. 16 Abs. 2 MAR). Die Kommission erließ hierzu bereits am 17. Dezember 2015 die Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392123. Zudem setzte sie die delegierte Verordnung (EU) 2016/957124 in Kraft, die als Level-2-Rechtsakt u. a. technische Regulierungsstandards sowie Mitteilungsmuster zur Vorbeugung, Aufdeckung und Meldung von Missbrauchspraktiken oder verdächtigen Aufträgen oder Geschäften enthält. Die MAR verlangt von den Mitgliedstaaten darüber hinaus sicherzustellen, dass die mitgliedstaatlichen Behörden wirksame Mechanismen schaffen, die die Meldung tatsächlicher oder mutmaßlicher Verstöße gegen die MAR ermöglichen, um die Behörden hierüber in Kenntnis zu setzen, Art. 32 MAR. Erwägungsgrund 63 der MAR macht klar, dass sich darin der von Marktteilnehmern und Wirtschaftsakteuren jedenfalls im Rahmen der MAR zu leistende Beitrag zur Marktintegrität erschöpft. Der Ansatz, Hinweisgeber zu schützen und sie dadurch zur Meldung von Verstößen
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Siehe Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 MiFID II. Siehe Art. 3 Abs. 1 Nr. 8 MAR i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 23 MiFID II. 121 Das in Deutschland zu verwendende Formular ist abrufbar unter: https://www.bafin.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/WA/dl_wa_muster_fuer_verdachtsmeldungen.html? nn=7957984. 122 Mock, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, B.16.03. 123 Durchführungsrichtlinie (EU) 2015/2392 der Kommission vom 17. Dezember 2015 zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Meldung tatsächlicher oder möglicher Verstöße gegen diese Verordnung, ABl. EU Nr. L 2015, S. 126 – 132. 124 Delegierte Verordnung (EU) 2016/957 der Kommission vom 9. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf technische Regulierungsstandards für die geeigneten Regelungen, Systeme und Verfahren sowie Mitteilungsmuster zur Vorbeugung, Aufdeckung und Meldung von Missbrauchspraktiken oder verdächtigen Aufträgen oder Geschäften, ABl. L 160 vom 17. 6. 2016, S. 1 – 14. 120
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zu ermutigen, überzeugt125 : Hinweisgeber sind ebenso wie Handelsplatzbetreiber viel näher am eigentlichen Geschehen der Marktmanipulation und des Insiderhandels als die Anleger, deren Vermögen möglicherweise gemindert wird. cc) Weitere Meldepflichten im EU-Kapitalmarktrecht Als weitere Kategorie neben dem verdachtsbezogenen Reporting und der Ermöglichung von whistleblowing126 kann man die anlassunabhängigen Meldepflichten einordnen: Der Unionsgesetzgeber hat in weiteren Rechtsakten kapitalmarkt- und teils speziell marktmissbrauchsbezogene Meldepflichten127 geschaffen, sodass man in Zusammenschau mit den oben erwähnten Kategorien128 von einem sich allmählich herausausbildenden „Transaktionsmelderecht“ sprechen kann. Im Zusammenspiel sollen diese Mechanismen die Datenbasis herstellen, auf deren Grundlage die nationalen Aufsichtsbehörden marktmissbräuchliches Verhalten identifizieren können129. Art. 4 MAR verpflichtet Betreiber von geregelten Märkten sowie Wertpapierfirmen und MTF- wie OTF-Betreiber, den Aufsichtsbehörden unverzüglich jedes Finanzinstrument zu melden, das zum Handel zugelassen, erstmalig gehandelt oder dessen Zulassung zum Handel beantragt wurde (sog. FIRDS-System der ESMA130). Die Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte von Führungskräften (Art. 19 MAR) dient ebenso wie das Führen von Insiderlisten (Art. 18 MAR) der Prävention und der Aufdeckbarkeit marktmissbräuchlichen Verhaltens131. 125 s. auch Mock, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, B.32.05, der auf die parallele Hinweisgeberregelung in Art. 41 der Prospekt-Verordnung (EU) 2017/1129 hinweist, und hierin Anzeichen dafür sieht, dass sich derlei Regelungen zu einem Standardwerkzeug entwickeln werden. Siehe zudem die Ausführungen unter J.II.1. 126 Siehe unter E.III.4.e)bb). 127 Zu den verschiedenen Funktionen der Transparenzregelungen siehe Moloney, in: Busch/ Ferrarini, Regulation of the EU Financial Markets, 2017, 12.10. 128 Siehe unter E.III.4.e)bb), (1) anlass- bzw. verdachtsbezogene Reporting sowie (2) besondere Regelungen zum Umgang mit Hinweisgebern. 129 Mock, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, B.4.01 ff.; siehe hierzu auch Delegierte Verordnung (EU) 2016/909 der Kommission vom 1. März 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf technische Regulierungsstandards für den Inhalt der Meldungen, die den zuständigen Behörden zu übermitteln sind, sowie für die Zusammenstellung, Veröffentlichung und Pflege der Liste der Meldungen, ABl. L 153 vom 10. 6. 2016, S. 13 – 22; Durchführungsverordnung (EU) 2016/378 der Kommission vom 11. März 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf den Zeitplan, das Format und Muster für die Übermittlung der Meldungen an die zuständigen Behörden gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 72 vom 17. 3. 2016, S. 1 – 12. 130 Siehe Reference data submission under Article 4(1) of Regulation No 596/2014 on market abuse (MAR), ESMA/2016/724, abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/de fault/files/library/2016-724_requirements.pdf. 131 Pietrancosta, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.4.30 ff.
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Das allgemeine Transaktionsreporting wird auf Unionsebene zuvörderst von MiFID II und MiFIR132 geregelt (siehe insbesondere Art. 22 MiFID II, Art. 24 – 27 MiFIR133). Beide setzen den schon in der MiFID I134 verfolgten Ansatz fort, den Aufsichtsbehörden eine lückenlose Überwachung der Märkte und Handelsteilnehmer zu ermöglichen135. Von zentraler Bedeutung sind hierfür die Meldepflichten nach Art. 26 MiFIR. Anders als § 9 WpHG a.F. umfasst diese Norm alle Finanzinstrumente, die einen auch nur abstrakten Handelsplatzbezug haben (wie etwa OTCDerivate, deren Basiswert an einem Handelsplatz gehandelt wird)136. Welche Informationen im Einzelnen mitzuteilen sind, regelt die Del. VO (EU) 2017/590137. Zur Identifizierung juristischer Personen ist der LEI-Code zu verwenden, den zuerst die EMiR138 für das Transaktionsregister in das EU-Kapitalmarktrecht eingeführt hat139. Natürliche Personen werden über die sogenannte CONCAT-Kennung identifiziert (Art. 6 Del. VO (EU) 2017/590). Nach Art. 9 kann auch der Computer-Algorithmus anzugeben sein, nach dem eine Transaktion ausgeführt wurde. Dass diese Pflichten speziell der Wahrung der Marktintegrität dienen sollen, stellt u. a. Art. 24 MiFIR klar140. Die Erfüllung der gesetzlichen Meldepflichten kann größtenteils an Datenbereitstellungsdienste übertragen werden, die ihrerseits regulatorischen Anforderungen unterliegen141.
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Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. L 173 vom 12. 6. 2014, S. 84 – 148. 133 Näher Knippschild, in: Temporale, Europäische Finanzmarktregulierung, 2015, S. 113 ff. auch mit praktischen Hinweisen zur Nutzung von Synergieeffekten bei der Ausgestaltung von Compliance-Strukturen. 134 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. L 145 vom 30. 4. 2004, S. 1 – 44. 135 Knippschild, in: Temporale, Europäische Finanzmarktregulierung, 2015, S. 113, 114. 136 Lange/Baumann/Prescher/Rüter, DB 2018, 556, 564. 137 Delegierte Verordnung (EU) 2017/590 der Kommission vom 28. Juli 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Meldung von Geschäften an die zuständigen Behörden, ABl. L 87 vom 31. 3. 2017, S. 449 – 478. 138 Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, ABl. L 201 vom 27. 7. 2012, S. 1 – 59. 139 Lange/Baumann/Prescher/Rüter, DB 2018, 556, 564. 140 Siehe auch Lange/Baumann/Prescher/Rüter, DB 2018, 556, 564. 141 Dazu Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017, 32.76.
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Weitere Regelungen in anderen EU-Rechtsakten zeigen, dass der EU-Gesetzgeber die Marktmissbrauchsbekämpfung als über die MAR hinausgehende Querschnittsaufgabe versteht: Die Benchmark-Verordnung142 enthält in Artikel 14 eine dem Art. 16 MAR ähnliche Regelung zur Meldung von Verstößen, ausgehend von dem Gedanken, dass Beschäftigte des Administrators potenzielle Verstöße oder Schwachstellen, die zu Manipulationen führen können, am besten feststellen können (vgl. Erw.gr. 29 Benchmark-VO). Bei Verdacht auf eine Referenzwertmanipulation ist der Administrator verpflichtet, diesen der Behörde zu melden. Die Leerverkaufsverordnung143 verpflichtet zur Meldung signifikanter NettoLeerverkaufspositionen in Aktien und in öffentlichen Schuldtiteln an die zuständigen Behörden (Art. 5, 7), damit die Aufsichtsbehörden überprüfen können, ob die Leerverkaufspositionen systemische Risiken verursachen oder marktmissbräuchlich eingesetzt werden (Erw.gr. 7, 8, 40)144. dd) Umsetzung in Deutschland In Deutschland hat das Erste FiMaNoG auf Grundlage des § 4d FinDAG die BaFin verpflichtet, ein System zur Annahme von Meldungen über potentielle oder tatsächliche Verstöße u. a. gegen die MAR zu errichten. Auf dieser Grundlage beruht nun die BaFin-Verstoßmeldeverordnung145, die Näheres regelt. Nach § 5 Abs. 8 BörsG sind Börsenträger zur Einrichtung von Hinweisgebersystemen verpflichtet, eine parallele Vorschrift enthalten § 23 Abs. 6 Nr. 3 VAG für Versicherungsunternehmen sowie § 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 3 KWG für Finanzinstitute. Damit hat der deutsche Gesetzgeber seine Umsetzungsverpflichtungen aus Art. 32 MAR erfüllt. Die in Art. 16 MAR unmittelbar146 statuierten Betreiberpflichten hat die Bundesrepublik in § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 6 WpHG für MTFs und OTFs konkretisiert147. Ihre Einhaltung wird wiederum nach § 88 Abs. 1 Nr. 5 lit. a WpHG (ohne besonderen Anlass durch die BaFin) sowie nach § 89 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. a WpHG (durch externe Prüfer) kontrolliert. Weitere Meldepflichten nach Art. 16 142 Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ABl. L 171 vom 29. 6. 2016, S. 1 – 65. 143 Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. L 86 vom 24. 3. 2012, S. 1 – 24 144 Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017, 40.15 et seq. 145 Nach dem Ersten FiMaNoG hieß sie noch „Marktmanipulations-Verstoßmeldeverordnung“, vgl. BGBl. 2017 I, S. 1693, Art. 22. 146 Grundmann, in: Staub HGB, Bd. 11/1, 5. Aufl. 2017, 6. Teil Rn. 484. 147 Ehemals § 31f Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 WpHG, siehe BT-Drs. 18/10936, 239 Nr. 71.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
MAR weist § 7 Abs. 5 BörsG den Handelsüberwachungsstellen zu, die nach § 7 Abs. 1 BörsG ein eigenes Börsenorgan darstellen. Ihnen kommt eine Schlüsselrolle bei der Aufdeckung marktmissbräuchlichen Verhaltens zu148. Die Meldepflicht aus Art. 4 MAR hat der deutsche Gesetzgeber in § 8 WpHG umgesetzt, die aus Art. 26 MiFIR bildet § 22 WpHG ab (früher § 9 WpHG). ee) Zwischenergebnis Private werden also nach geltendem Recht bereits in großem Umfang zur Aufdeckung von Marktmissbrauch funktionalisiert, nur eben nicht im Wege kompensatorischer Berechtigung, sondern mittels gesetzlicher Verpflichtung149 und – soweit es um Hinweisgeber geht – durch besonderen Schutz von Persönlichkeitsrechten. Vor diesem Hintergrund überzeugt das in Courage wichtige Argument, private Haftung ermögliche mehr „Entdeckung“ von Verstößen und steigere so die Rechtsdurchsetzung, mit Blick auf die MAR nicht, um ein Haftungspostulat zu begründen. f) Konvergenz der Sanktionierungsregime Spätestens mit der Einführung umsatzbezogener Bußgelder im Marktmissbrauchsrecht in § 120 Abs. 18 WpHG, aber auch mit Blick auf andere Bestimmungen wie etwa § 125 WpHG, zeichnet sich eine Konvergenz kartell- und kapitalmarktrechtlicher Sanktionierung ab150. Diese Konvergenz könnte systematisch dafür sprechen, die für das Kartellsanktionsrecht grundlegende Courage-Entscheidung auf die MAR zu übertragen und die Vereinheitlichung somit auch zivilrechtlich zu vervollständigen151. Wie das Kartellrecht soll das Kapitalmarktrecht Marktteilnehmer überwachen, die Preise bzw. Kurse nach eigenem Gutdünken setzen oder jedenfalls beeinflussen können und die daher nicht mehr alleine von der Wettbewerbssituation diszipliniert werden152. Marktintegrität als sachliches Leitprinzip und ordnungsstiftende 148 Siehe etwa BaFin-Jahresberichte 2015, S. 231; 2016, S. 177; 2017, S. 132, alle abrufbar unter: https://www.bafin.de/DE/PublikationenDaten/Jahresbericht/jahresbericht_node.html. 149 Siehe unter E.VI.2.b), „pflichtenbasierter Ansatz“. 150 Graßl, DB 2015, 2066, 2071; Krause, CCZ 2014, 248, 258; vgl. auch Diskussionsbericht von Harzmeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 311, 312; s.a. Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 133, 154. Zu den dadurch aufgeworfenen Schwierigkeiten im Kartellrecht vgl. Klusmann, ZGR 2016, 252, insbesondere 265. Vgl. ferner als Vorstudie zur stärkeren wissenschaftlichen Durchdringung des Überschneidungsbereichs von Kapitalmarkt- und Kartellrecht Fleischer/Bueren, ZIP 2013, 1253 ff. Zur selben Thematik auch Thomas, ZWeR 2014, 119. 151 So im Ergebnis bejahend Wahner, Zivilrechtlicher Anlegerschutz in der Marktmissbrauchsverordnung, 2017, S. 206 ff. 152 Kainer, in: Möslein, Private Macht, 2016, S. 423, 431.
III. Haftungspostulat aus Übertragung der Courage-Entscheidung
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Grundwertung153 prägt auch das Wettbewerbsrecht. Beide Gebiete sind von Informationsasymmetrien gekennzeichnet und haben auf Unionsebene gesetzte Marktverhaltensregeln zum Gegenstand, die sich auf große Teile der Unionsbürger auswirken154. Die inhaltliche Verwandtschaft zeigt deutlich Art. 12 Abs. 2 lit. a MAR, der die Sicherung einer marktbeherrschenden Stellung hinsichtlich des Angebots eines Finanzinstruments als marktmanipulatives Verhalten einordnet155. Die Begrenzung der Sanktionszumessung durch den Umsatz soll in beiden Rechtsgebieten existenzvernichtende Sanktionen ausschließen156. Ein genereller Wille des EU-Gesetzgebers, das kapitalmarkt- mit dem kartellrechtlichen Sanktionsrecht zu vereinheitlichen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Im Kartellrecht gibt es keine strafrechtlichen Sanktionen, weshalb dem Bußgeldrecht dort eine „Platzhalterfunktion“ zukommt und es besonders aufgerüstet wurde157. Zwar stößt auf Kritik, dass sich der Unionsgesetzgeber im Marktmissbrauchsrecht für eine zusätzliche strafrechtliche Sanktionierung entschieden hat aber im Kartellrecht, das für die Binnenmarktverwirklichung mindestens so zentral ist, nur öffentlich- und zivilrechtliche Sanktionen existieren158. Die bereits zweigleisige Sanktionierung nach MAR und CRIM-MAD spricht aber eher gegen die Erforderlichkeit eines zusätzlichen Private Enforcement159. Eine andere, hier aber nicht weiter interessierende Frage ist, ob der straf-, statt zunächst zivilrechtliche Zugriff mit Blick auf den zunehmend marginalisierten ultima-ratio-Gedanken sinnvoll erscheint160. g) Folgefragen Würde der EuGH ein zivilrechtliches Haftungspostulat bei Verletzung der MAR aufstellen, müsste dieses sinnvoll ausgestaltet und in die mitgliedstaatlichen Haftungssysteme integriert werden. Zu klären wäre etwa, ob eine Verurteilung auf 153
Fleischer, NJW-Beilage 23/2002, 37, 38. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 389. 155 Hierzu auch Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17. Dezember 2015, ABl. L 88 vom 5. 4. 2016, Anh. 2 Abschnitt 1 Nr. 2, lit. b; siehe weiter die ähnlichen Formulierungen in Art. 101 Abs. 1 lit. a; Art. 102 lit. a AEUV. Vgl. auch Poelzig, ZGR 2015, 801, 814. Näheres zur kartellrechtlichen Haftung unter H.I.4. 156 Vgl. Poelzig, NZG 2016, 492, 499. Siehe näher zum Kartellrecht: Hellmann, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 46 Rn. 111 ff. 157 Veil, ZGR 2016, 305, 314. Allerdings sehen viele Stimmen die kartellrechtlichen Bußen als Strafen an, weil sie exorbitant hoch sein können: „Sanktion mit strafrechtsähnlichem Charakter“, dazu bspw. OGH Wien, Beschl. v. 12. 9. 2007 – 16 Ok 4/07 = BeckRS 2009, 07985 unter E.III.1. ff. 158 So Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 98 f., 109. Zur möglichen Kriminalisierung von Kartellrechtsverstößen siehe Günsberg, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 212 ff. 159 Zur strafrechtlichen Abschreckungswirkung unter E.VIII.4.c). 160 Siehe dazu unter bereits unter B.II. sowie weitergehend zur Kriminalisierung des Marktmissbrauchs unter E.VIII.4.c). 154
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Schadensersatz für die Bemessung von Bußgeldern Konsequenzen haben sollte. So ist etwa in Art. 35a Abs. 6 Rating-VO festgelegt, dass die zivilrechtliche Haftung die ESMA nicht daran hindert, ihre nach Art. 36a bestehende Befugnis, Bußgelder zu verhängen, „voll“ auszuschöpfen. Etwas anders liest sich die Kartellschadensersatzrichtlinie in Art. 18 Abs. 3, wonach Schadensersatzleistungen bei der späteren Bußgeldbemessung mildernd berücksichtigt werden können. Auch Akteneinsichtsrechte müssten abgestimmt werden161. Es wäre zwar einerseits konsequent, bei Übertragung der Courage-Rechtsprechung auch Folgefragen mit Blick auf die Kartellschadensersatzrichtlinie zu lösen. Andererseits könnte dies keineswegs kapitalmarktrechtsadäquate Lösungen garantieren162. 5. Ergebnis Die obigen Überlegungen zum unterschiedlichen Regelungskontext der kartellrechtlichen Situation und der Art. 14, 15 MAR sprechen insgesamt gegen eine Übertragung der Courage- und Manfredi-Rechtsprechung auf das neue Marktmissbrauchsrecht. Zwar hat der EuGH das Haftungspostulat in der Courage-Entscheidung nicht (ausdrücklich) mit spezifisch kartellrechtlichen Durchsetzungsdefiziten begründet. Schon allein aufgrund der fehlenden allgemein-zivilrechtlichen Kompetenz des EU-Gesetzgebers wäre dies aber unerlässlich.
IV. Haftungspostulat aus Übertragung der Muñoz-Entscheidung des EuGH? Soweit ersichtlich hat sich der EuGH bislang nur in der Muñoz-Entscheidung mit einem privaten Anspruch zur Durchsetzung einer EU-Verordnung auseinandergesetzt, die selbst keine Haftungsregelung enthielt163. Im Ausgangsverfahren wurde ein privater Unterlassungsanspruch geltend gemacht (injunction suit). 1. Sachverhalt Der Muñoz-Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: 161 EuGH, Urt. v. 14. 6. 2011 @ C-360/09, Slg. 2011, I-5161 – Pfleiderer; Hellgardt, AG 2012, 154, 167; s.a. Glöckner, WRP 2015, 410, 413; s. auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 31 ff., abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 162 Dies bestätigt auch Poelzig, ZGR 2015, 801, 830 f., die dann aber bei der Frage der Ausgestaltung des ihrer Ansicht nach erforderlichen Haftungsanspruchs auf den S. 831 ff. an der Kartellschadensersatzrichtlinie Maß nimmt. 163 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 – Muñoz und Superior Fruiticola.
IV. Haftungspostulat aus Übertragung der Muñoz-Entscheidung
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Die Klägerinnen Muñoz und Fruiticola bauten Trauben u. a. der Sorte Superior Seedless in Spanien an, die sie auch im Vereinigten Königreich vermarkteten. Die Beklagten Frumar/ Redbridge verkauften Tafeltrauben derselben Gattung, kennzeichneten diese jedoch als White Seedless, Sult and Coryn. Damit verstießen sie gegen ihre Kennzeichnungspflichten aus den Verordnungen Nr. 1035/72 und Nr. 2200/96. Die für die Rechtsdurchsetzung zuständige öffentliche Körperschaft HMI164 weigerte sich, Maßnahmen gegen den Verstoß einzuleiten165. Die Klägerinnen erhoben daraufhin Klage vor dem High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, um die Beachtung der besagten Verordnungen zu erzwingen. Die Beklagten räumten unterdessen ein, die Kennzeichnungsregelungen verletzt zu haben. Gleichwohl wies der High Court die Klage mit der Begründung ab, die Verordnungen verliehen den Klägerinnen kein Recht, gegen deren Nichtbeachtung Zivilklage zu erheben. Schließlich legte der Court of Appeal die Frage dem EuGH vor166.
Der EuGH verstand die Vorlagefrage dahingehend, ob es einem Wirtschaftsteilnehmer möglich sein müsse, die Beachtung der Bestimmungen der Verordnungen Nr. 1035/72 und 2200/96 über Qualitätsnormen für Obst und Gemüse im Wege eines Zivilprozesses gegen einen Konkurrenten durchzusetzen167. Er wiederholte seine Rechtsprechung in der Rs. Variola168 und stellte fest, dass Verordnungen Rechte Einzelner begründen können, welche die mitgliedstaatlichen Gerichte schützen müssen169. Sodann bestimmte er den Zweck der Verordnung anhand der Begründungserwägungen und erkannte diesen im Verbraucherschutz sowie in der Erleichterung eines lauteren Wettbewerbs170. Obwohl keineswegs logisch zwingend, entnahm er diesem Zweck, dass die volle Wirksamkeit der Verordnungen ihre Durchsetzbarkeit im Wege eines Zivilprozesses voraussetze171. Dies versuchte er andererseits damit zu untermauern, dass eine solche Klagebefugnis die Durchsetzungskraft der gemeinschaftsrechtlichen Qualitätsnormen verstärke und Konkurrentenklagen vor nationalen Gerichten besonders geeignet seien, wesentlich zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in
164
Horticultural Marketing Inspectorate. Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 13. 12. 2001 – C-253/00, I-7291 Rn. 72 – Muñoz und Superior Fruiticola; Betlem, 64 C.L.J. 126, 137 (2005). 166 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 17 ff. – Muñoz und Superior Fruiticola. 167 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 24 – Muñoz und Superior Fruiticola. Hervorhebung durch den Verfasser. 168 EuGH, Urt. v. 10. 10. 1973 – C-34/73, Slg. 1973, 981 – Fratelli Variola Spa ./. Amministrazione delle finanze dello Stato. 169 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 27 – Muñoz und Superior Fruiticola. 170 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 29 – Muñoz und Superior Fruiticola. 171 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 – Muñoz und Superior Fruiticola. 165
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
der Gemeinschaft beizutragen172. Den Kreis der Anspruchsberechtigten schränkte er auf „Konkurrenten“ ein, ohne den Konkurrentenstatus näher zu bestimmen173.
2. Vergleich mit Courage Vergleicht man Courage mit der späteren Muñoz-Entscheidung, fallen folgende Gemeinsamkeiten auf: (1) Beide Entscheidungen schweigen darüber, ob die Durchsetzung der Norm generell defizitär ist. Die Verstärkung bzw. Erhöhung der Durchsetzungskraft im Einzelfall scheint dem EuGH für die Annahme eines Haftungsgebots zu genügen174. (2) Gemeinsam scheinen sie die „volle Wirksamkeit“ des Rechtsakts zu verlangen, was eine Deutung des Effektivitätsgrundsatzes als Maximalgebot nahe legt175. (3) Sowohl in Courage als auch Muñoz klingt die Komplementärfunktion privater Rechtsdurchsetzung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Aufsichtsregime an176. (4) Ihnen liegt ein Informationsbeschaffungsproblem öffentlicher Aufsichtsbehörden zu Grunde177.
172 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz und Superior Fruiticola. 173 Vgl. dagegen EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 26 – Courage und Crehan: „any affected individual“. Weitergehend könnte man fragen, ob dieser anhand der kartellrechtlichen Rechtsprechung zu konkretisieren wäre. 174 Vgl. dazu die Gegenansicht des erstinstanzlichen britischen Gerichts: „Muñoz acted correctly when it complained to HMI and asked it to intervene. But HMI’s failure to do so does not justify the creation of a new right enforceable by Muñoz and others in a similar situation.“ High Court of Justice, 26. 3. 1999, 3 Common Market Law Reports 684 Nr. 60 (1999); zur britischen Rechtslage weiter Betlem, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Joustra/du Perron/ Veldman, Towards a European Civil Code, 3rd ed., 2004, S. 677, 693. 175 Vgl. jedoch Weyer, ZEuP 2003, 318, 328. Anders auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 271. 176 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 27 – Courage und Crehan; EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 91 – Manfredi: „… zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen“; EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 31 – Muñoz und Superior Fruiticola: „… zur Sicherung eines lauteren Handels und der Markttransparenz in der Gemeinschaft beizutragen“. Vgl. zur Komplementärfunktion Langenbucher, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2014, 5, 39; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 528 f. 177 Schmolke, NZG 2016, 721, 725.
IV. Haftungspostulat aus Übertragung der Muñoz-Entscheidung
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(5) Zum Zeitpunkt der Courage-Entscheidung gab es keinen nennenswerten unionsrechtlichen Sanktionsmechanismus178, die Bestimmungen Art. 85, 86 EGV waren nur schwach geschützt. Das trifft für die Marktorganisationsverordnungen, die Gegenstand der Muñoz-Entscheidung waren, im Kern ebenfalls zu. (6) Schließlich sind beide Entscheidungen Ausnahmen vom Grundsatz des EuGH, wonach Mitgliedstaaten keine neuen Rechtsbehelfe zu schaffen verpflichtet sind179. Folgende Unterschiede treten hervor: (1) In der Rs. Muñoz wurde der EuGH um eine Vorabentscheidung aus einem injunction suit ersucht. Der Gerichtshof spricht dann aber offener, den Mitgliedstaaten mehr Spielraum belassend, von civil proceedings180. Dagegen hat der EuGH in Courage die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass der Kläger Schadensersatz verlangen kann181, also die konkrete Rechtsfolge bezeichnet und somit eine strengere Vorgabe aufgestellt. (2) In Courage sagt der EuGH, „Jedermann“ sei berechtigt, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen. In Muñoz kann nur der Mitbewerber („competitor“) Unterlassung verlangen. (3) In Courage stellt der EuGH fest, dass es sich bei den Wettbewerbsregelungen des EGV um „wesentliche Bestimmungen“ des Unionsrechts handelt, während Muñoz auf eine solche Feststellung für die Marktorganisationsverordnungen verzichtet. (4) In Muñoz schafft der EuGH zwar anders als in Courage materiell keine neue Sanktion, die über den Pflichteninhalt der Marktorganisationsverordnung hinausginge. Doch hält er einen privaten Unterlassungsanspruch für primärrechtlich geboten, obwohl der durchzusetzende Sekundärrechtsakt eigene Sanktionen in Gestalt behördlicher Kontrollen enthielt182. Die Entscheidungen stellen somit keine einheitliche Rechtsprechungslinie dar, weshalb beide differenziert zu betrachten sind. 3. Überlegungen zur Übertragbarkeit Müsste der von Marktmissbrauch Betroffene in Ansehung von Muñoz auch zivilrechtlich auf Unterlassung klagen können oder jedenfalls irgendeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelf haben („civil proceeding“)? 178 Vgl. nun Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 4. 1. 2003, S. 1 – 25. 179 Vgl. Nowak, EuZW 2001, 715, 718. Differenzierend Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.26, S. 56; s. auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 70 f. Instruktiv zur Durchbrechung dieses Grundsatzes in der weiteren Rechtsprechung des EuGH Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 869 ff. 180 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 24, 30, 32 – Muñoz und Superior Fruiticola. 181 Vgl. aber Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 206. 182 s. auch Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 200.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
a) Reichweite und Wesentlichkeit Die Tragweite der Entscheidung wird im Schrifttum höchst unterschiedlich eingeschätzt183. Eine Erweiterung der Anspruchsberechtigten im Vergleich zur Courage-Rspr. wird teilweise darin gesehen, dass der EuGH darin die Zuerkennung subjektiver Rechtspositionen noch auf „grundlegende Bestimmungen“ des Unionsrechts beschränkt hatte, zu denen die Qualitätsnormen in der Marktorganisation (Verordnungen Nr. 1035/72 und Nr. 2200/96) eher nicht zählen dürften184. Es bliebe dann lediglich zu überlegen, ob eine Eingrenzung der Anspruchsberechtigten vorgenommen werden müsste, die dem Merkmal des „Konkurrentenstatus“ in Muñoz in sachlich angemessener Weise entspricht. Die Argumentation des Gerichts bezieht sich in den entscheidenden Randnummern 30, 31 aber nur auf die Qualitätsnormen der Verordnungen Nr. 1035/72 und Nr. 2200/96. Der EuGH spricht also nicht von Verordnungen im Allgemeinen, nicht einmal von denen der Marktorganisation. Eine Absicht des EuGH, in Muñoz einen allgemeinen privaten Anspruch auf Einhaltung von Verordnungsrecht zu schaffen, ist vor diesem Hintergrund fernliegend185. b) Vergleich der Rechtsdurchsetzung Die VO (EWG) Nr. 1035/72186 sah in Art. 8 Abs. 1 die Durchführung stichprobenweiser Kontrollen durch mitgliedstaatliche Behörden auf allen Handelsstufen vor, um die Einhaltung der Qualitätsnormen sicherzustellen. Diese Vorschrift findet auch in der Nachfolgeregelung VO (EG) Nr. 2200/96187 eine inhaltlich identische, beinahe wortgleiche Parallelregelung in Art. 7 Abs. 1 – 3. Ergänzend verlangt Art. 38 Abs. 1 der Verordnung von den Mitgliedstaaten, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu treffen, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten. Wie die Stichprobenkontrollen durchzuführen sind, konkretisiert Art. 38 Abs. 2, 3 VO (EG) Nr. 2200/ 96. Die Verordnungen sahen somit ein System behördlicher Rechtsdurchsetzung vor. 183 Betlem, 64 C.L.J. 126, 134 (2005): „landmark ruling“, 148: „a new genuineley European tort is emerging: breach of ,EC-statutory‘ duty.“; Eilmansberger, CMLR 41 (2004), 1199, 1228: „very significant judgment“. Vgl. dagegen Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 249: „vereinzelt geblieben“. 184 Vgl. König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2010, S. 77 Fn. 242; Weyer, ZEuP 2003, 318, 355. Dazu auch Poelzig, ZGR 2015, 801, 815. 185 Vgl. aber Betlem, 64 C.L.J. 126, 134 (2005): „the ratio decidendi of this ,landmark ruling‘ covers all usage of tort law as a tool of enforcing EC public law standards before national civil courts.“ Für das in dieser Passage erneut anklingende Informationsbeschaffungsproblem, um das beide hier wiedergegebenen Urteile des EuGH kreisen, wird auf die obigen Ausführungen unter E.III.4.e) verwiesen. 186 Verordnung (EWG) Nr. 1035/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, ABl. L 118 vom 20. 5. 1972, S. 1 – 17. 187 Verordnung (EG) Nr. 2200/96 des Rates vom 28. Oktober 1996 über die gemeinsame Marktorganisation von Obst und Gemüse, ABl. L 297 vom 21. 11. 1996, S. 1 – 28.
IV. Haftungspostulat aus Übertragung der Muñoz-Entscheidung
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Sie verliehen jedoch weder selbst konkrete Sanktionierungsbefugnisse noch machten sie den Mitgliedstaaten entsprechende Vorgaben. In Art. 50 der Muñoz zugrundeliegenden VO Nr. 2200/96 werden die Mitgliedstaaten nur generell in die Pflicht genommen, alle geeigneten Maßnahmen zu erlassen, um Verstöße gegen die Bestimmungen zu ahnden und Betrugshandlungen vorzubeugen. Die Verordnung ist somit ein Paradebeispiel für die traditionelle Arbeitsteilung, bei welcher der Unionsgesetzgeber die Verhaltensnormen bestimmt (vgl. Art. 3 Abs. 1 der VO) und die Mitgliedstaaten die Rechtsfolgen von Verstößen188. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur MAR und CRIM-MAD, die bereits auf sekundärrechtlicher Ebene ein umfangreiches und differenziertes Sanktionssystem errichten. Die Gewährung privater Rechte als „Lückenbüßer“ verpasster Sanktionsbewehrung überzeugt insoweit noch weniger: Mit der unionsrechtlichen Regelung des Rechtsfolgenbereichs entfällt die normative Berechtigung einer großzügigen funktionalen Subjektivierung189. c) Effet-Argument und subjektives Recht Auf den Vortrag der Klägerinnen, die unmittelbare Anwendung einer Regelung zwischen Privatpersonen setze eine „klare und unbedingte Verpflichtung“ voraus, ging der EuGH nicht weiter ein190. Die Generalanwaltschaft hatte die Vorlagefrage in drei Unterfragen zergliedert: (1) Verleiht eine Verordnung einer Person ein Recht auf Einhaltung gegen eine andere Person? (2) Verlangt Unionsrecht die Durchsetzbarkeit eines solchen Rechts? (3) Bis zu welchem Maße verlangt das Unionsrecht von den Mitgliedstaaten, einen zivilrechtlichen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen?191 Das Gericht hat diese Gliederung indes ebenfalls nicht aufgenommen192. Stattdessen gab es keine ausdrückliche Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Verordnungsbestimmung qua funktionaler Subjektivierung zivilrechtlich durchsetzbar sein soll193. Vielmehr vermengte der EuGH die Teilfragen in unglücklicher Weise und ließ den gruppenbezogenen Verordnungszweck sowie die Wirksamkeitsverstärkung zur Annahme durchsetzbarer Privatrechte genügen. Die Wirksamkeitsverstärkung dürfte – im ersten Zu-
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Schmolke, NZG 2016, 721, 726. Schmolke, NZG 2016, 721, 727. 190 So auch Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 13. 12. 2001 – C-253/00, I-7291 Rn. 37 – Muñoz und Superior Fruiticola; Biondi, CMLR 40 (2003), 1241, 1245. Der EuGH gibt die Behauptung lediglich wieder, EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 25 – Muñoz und Superior Fruiticola. 191 Betlem, 64 C.L.J. 126, 137 (2005). 192 Ähnlich Betlem, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Joustra/du Perron/Veldman, Towards a European Civil Code, 3rd ed., 2004, S. 677, 688. 193 Betlem, 64 C.L.J. 126, 136 (2005). 189
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
griff – nahezu immer gegeben sein194. Somit lieferte das Gericht kein handhabbares Kriterium zur Unterscheidung, wann eine privatrechtliche Haftung anzunehmen ist und wann nicht, auch wenn das Argument des effet utile durch den objektiv ermittelten Regelungszweck der Unionsnorm eingehegt wird195 und der EuGH einem allgemeinen Normvollziehungsanspruch eine implizite Absage erteilt hat196. Zudem äußert sich der EuGH widersprüchlich, wenn er die Verleihung einer Klagebefugnis einmal als Voraussetzung, dann als bloße Verstärkung der vollen Wirksamkeit benennt. Das Gericht befasst sich zudem nicht mit der Frage, ob eine verwaltungsgerichtliche Drittschutzklage gegen die zuständige Behörde HMI ausreichend gewesen wäre197 oder ob unmittelbare Geltung auch unmittelbare (gerichtliche) Durchsetzbarkeit gerade gegen den privaten Gesetzesübertreter nach sich ziehen muss. Dies überrascht angesichts der Offenheit der funktionalen Subjektivierung sowohl für eine öffentlich- als auch eine privatrechtliche Ausgestaltung. Der Verweis auf eine verwaltungsprozessuale Klage hätte je nach mitgliedstaatlicher Rechtslage den Grundsatz wahren können, dass Mitgliedstaten keine gänzlich neuen Rechtsbehelfe zur Durchsetzung von Unionsrecht einrichten müssen198. Durch den Verzicht auf Abgrenzungskriterien setzt sich der EuGH dem Vorwurf der Beliebigkeit aus. Daran ändert nichts, dass die statische und hergebrachte nationalstaatliche Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht dem Unionsrecht eigentlich fremd ist199, da der EuGH sich auf die Kategorie gerade zivilrechtlicher Rechtsbehelfe einlässt. Das Gericht bleibt eine überzeugende und allgemeine Begründung schuldig, unter welchen Voraussetzungen ein Mitgliedstaat einen zivilrechtlichen Rechtsbehelf bereitstellen muss und dies mit Blick auf das Sanktionsprogramm des Unionsgesetzgebers sowie die mitgliedstaatliche Autonomie gerechtfertigt ist.
194 Vgl. Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 136; s. auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 523 f. Zur Gefahr einer „Einpreisung“ vgl. Weyer, ZEuP 2003, 318, 340 m.w.N. 195 König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2011, S. 79. 196 König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2011, S. 79 f. 197 Vgl. zur prinzipiellen Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltbarkeit der funktionalen Subjektivierung m.w.N. Schmolke, NZG 2016, 721, 728. 198 Siehe dazu auch unter E.I.5. 199 Vgl. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL 2017, § 40 Rn. 23 f.; Micklitz, GPR 2009, 254, 255 ff. Vgl. auch Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 257; 10 f. Gleichsinnig Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 2016, 135, 140.
IV. Haftungspostulat aus Übertragung der Muñoz-Entscheidung
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d) Rechtsfolge und Pflichtinhalt Der EuGH verlangt in Muñoz keine bestimmte zivilrechtliche Rechtsfolge, sondern generell „civil proceedings“ zur Durchsetzung verordnungsrechtlicher Verhaltenspflichten200. Die Entscheidung hatte jedoch allein einen Unterlassungsanspruch zum Gegenstand. Das Gericht begründete somit keine zusätzliche materielle Rechtspflicht der Beklagten: Diese müssen die unmittelbar geltende Verordnung ohnehin zukünftig beachten. Der EuGH machte aus einer bereits bestehenden Verhaltenspflicht eine zugleich privatrechtliche und zivilprozessual durchsetzbare Pflicht. Damit erweiterte er den Kreis der Durchsetzungsberechtigten ins Horizontalverhältnis. Sollte ein mitgliedstaatliches Gericht jedoch über eine nach nationalem Recht nicht vorgesehenen privaten Schadensersatzfolge befinden müssen201, stünde die (mittelbare) Begründung einer zusätzlichen Rechtspflicht bzw. materiell neuen Sanktion in Frage. Dafür ist Muñoz nicht ergiebig. Vielmehr folgte der EuGH in diesem Punkt bezeichnenderweise gerade nicht der Generalanwaltschaft, die nahelegte, den Rechtsbehelf der Klägerin auch Schadensersatzansprüche auszudehnen202. Für das Marktmissbrauchsrecht ist aber gerade die nachträgliche Kompensation von Anlegern bedeutsam203. 4. Ergebnis Der EuGH hat anlässlich der Muñoz-Entscheidung keinen allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsbehelf für die Durchsetzung von Verordnungsrecht gefordert. Die Marktorganisationsverordnungen überließen die Sanktionierung anders als MAR und CRIM-MAD weitgehend den Mitgliedstaaten. Die unterschiedliche Ausgangslage spricht gegen eine Übertragung der Muñoz-Entscheidung. Für die Frage des Schadensersatzes ist das Urteil zudem unergiebig, da es nur allgemein von zivilrechtlichen Rechtsbehelfen spricht und im konkreten Fall keine zusätzlichen Rechtspflichten der Beklagten begründet hat.
200 In der englischen Sprachfassung heißt es: „(…) it must be possible to enforce that obligation by means of civil proceedings“, siehe EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 30 sowie ähnlich Rn. 32 – Muñoz und Superior Fruiticola. 201 Vgl. dazu H.III. 202 Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 13. 12. 2001 – C-253/00, I-7291 Rn. 60 – Muñoz und Superior Fruiticola. 203 Krit. zur Tragweite eines Unterlassungsanspruchs im Marktmissbrauchsrecht auch Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 329: „[…] for the most part acts of market abuse are not ongoing offences; typically they already have been completed when detected. […]. In this context, private enforcement only makes sense if linked with a right to compensation“. Unter welchen Voraussetzungen ein Schadensersatzanspruch wiederum Präventionswirkung entfalten und somit zur Normdurchsetzung beitragen kann, siehe unter E.VII.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
V. Bewertung von Courage und Muñoz und Maßstabsbildung für die Auslegung der MAR 1. Keine direkte Übertragbarkeit Die Entscheidungen Courage und Muñoz werden teils als (begründungsbedürftige) Ausnahmen vom Grundsatz204 verstanden, dass Mitgliedstaaten keine neuen Rechtsbehelfe einrichten müssen, wenn das Unionsrecht dies nicht ausdrücklich vorsieht205. Wie bereits dargelegt, sprechen die unterschiedliche Regelungskontexte gegen eine direkte Übertragung beider Entscheidungen auf Sachverhalte des Marktmissbrauchs: Im Gegensatz zu den Rechtslagen in Courage und Muñoz enthalten MAR und CRIM-MAD bereits eine ausdifferenzierte Sanktionsordnung, die als Datum des EU-Gesetzgebers zunächst hinzunehmen ist. Damit konkretisiert dieser selbst das seiner Ansicht nach angemessene Durchsetzungsmaß206. Das beiden Entscheidungen zugrunde liegende Entdeckungsproblem will der EU-Gesetzgeber systemimmanent durch eine begrenzte Aktivierung Privater im Rahmen des Public Enforcement lösen (Art. 16 MAR, Art. 32 MAR). 2. Dogmatik des subjektiven privaten Rechts? Der EuGH hat in beiden Entscheidungen keine (überzeugende) Dogmatik des subjektiven privaten Rechts bzw. der funktionalen Subjektivierung entwickelt207. Deutlich wird dies angesichts seiner wenig nachvollziehbaren Begriffsverwendung („Voraussetzung“, „Verstärkung“ der Wirksamkeit, „volle“, „praktische“ Wirksamkeit). Weder in Courage noch in Muñoz stellt das Gericht konkrete Überlegungen zum Schutzzweck an208. Dadurch löst sich das subjektive Recht konsequenterweise von seiner Privatnützigkeit209. 204
Siehe bereits unter E.I.5. Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.26, S. 56; s. aber auch Dougan, National Remedies before the Court of Justice, Issues of Harmonisation and Differentiation, 2004, S. 379, der darauf hinweist, dass im Courage-Fall selbst gar kein Bedürfnis nach einem zusätzlichen Rechtsbehelf bestand, da das englische Recht grundsätzlich in derlei Fallkonstellationen Schadensersatz gewährleistete. Zu den Entscheidungen ausführlich unter E.III., E.IV. 206 Gleichsinnig im Zusammenhang mit der alten Finanzmarkt-Richtlinie Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 275. 207 Siehe bereits oben unter E.II. Hierzu krit. auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 127 mit Überblick über das Meinungsspektrum; differenzierend Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 193 ff., der einerseits „ein spezifisches Konzept der Unionsrechtsordnung erkennt“ (S. 193), jedoch auch konstatiert, dass „(…) kaum griffige Umschreibungen der positiven Voraussetzungen, die der EuGH an die Bejahung eines individuellen Rechts stellt“, existieren, ebd. S. 194. 208 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 282. 209 So Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 291; s.a. Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 100 f. Zur Frage, ob damit das 205
V. Bewertung von Courage und Muñoz für die Auslegung der MAR
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Letztlich hat der EuGH implizite Klagerechte210 angenommen, (1) wenn die private Haftbarmachung dem Regelungsziel seiner Ansicht nach förderlich war211 und er (2) den bestehenden Sanktionsmechanismus als ungenügend eingeschätzt hat. Das subjektive Recht, das der EuGH im Wege der Auslegung herauslesen kann, bildet die Brücke zwischen der objektiven Durchsetzungspflicht des Mitgliedstaats und dem Rechtsbehelf des Betroffenen. Das „Herauslesen“ des subjektiven Rechts ist der eigentliche Vorgang der funktionalen Subjektivierung. Dabei hat der EuGH jeweils mehr oder weniger deutlich vorausgesetzt, eine zivilrechtliche Haftung sei auch geeignet, das mutmaßliche Durchsetzungsdefizit abzubauen. Der teilweise durch Arbeits- und Funktionsbedingungen des EuGH erklärbare Ansatz soll nachfolgend kritisch gewürdigt werden. 3. Revision des effet-Gedankens als relatives Optimierungsgebot Die offene Textur212 des Art. 4 Abs. 3 EUV macht in besonderem Maße erforderlich, den Unterschied zwischen der Rechtslage und dem rechtspolitisch – möglicherweise – Wünschenswerten zu wahren213. Der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte effet-Gedanke ist die tragende Säule sowohl der Auslegung und Fortentwicklung des materiellen Primär- als auch des Sekundärrechts214. Warum der EuGH gelegentlich von „praktischer“, teils von „voller“ Wirksamkeit spricht, bleibt unklar. Eine umfangreiche und überzeugende Rechtsprechungsanalyse Seyrs kommt zu dem Ergebnis, dass der unterschiedlichen Begriffsverwendung des EuGH keine sachlichinhaltliche Differenzierung zugrunde liegt215. Wie gezeigt lassen die Entscheidungen vermuten, der EuGH verstehe den effet-Grundsatz so, dass bereits jede (mutmaßliche) Wirksamkeitssteigerung durch eine zivilrechtliche Haftung hinreicht, um eine entsprechende Bereitstellungspflicht der Mitgliedstaaten auszulösen. Dies klingt
Konzept der Privatrechtsgesellschaft gefährdet wird, ders. ebd., S. 107 ff. m.w.N. zur Diskussion. 210 Von „indirekt begründeten Unionsrechten“ spricht Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 126 et passim. 211 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 284; s. auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 185 („notwendig“(!)); Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 233; vgl. auch Riesenhuber, System und Prinzipien, 2003, S. 271 f. 212 Grundlegend und begriffsprägend Hart, The Concept of Law, 2nd ed. 1997, S. 127 f. 213 Vgl. sprechakttheoretisch am Beispiel des Begriffs „kooperativer Verfassungspluralismus“ Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 102 ff., 108. 214 Vgl. W.-H. Roth, WRP 2013, 257. 215 Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, 2008, S. 282 ff.; ebenso Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 271. A.A.: Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, 1995, S. 245: „praktische Wirksamkeit als ein Minus gegenüber der vollen Wirksamkeit“.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
auch in der Komplementärfunktion privater Haftung an, die der EuGH in beiden Entscheidungen benennt („Beitrag“, „Ergänzung“)216. Eine solche Sichtweise stünde jedoch im Widerspruch zur hergebrachten Definition des effet utile: Danach ist ein Mitgliedstaat nur verpflichtet, die praktische Durchsetzung des Unionsrechts „nicht übermäßig zu erschweren“217. So bewirkt Art. 4 Abs. 3 EUV insbesondere die Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte, den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen andernorts aus dem Unionsrecht erwachsen218. Dass ein Recht bereits besteht, wird demnach vorausgesetzt. Der Effektivitätsgrundsatz stellt sich primär als Verhinderungs- oder Vereitelungsverbot219 dar und nicht als Basis einer mitgliedstaatlichen Pflicht, neue Rechte zu verleihen und Rechtsbehelfe zu eröffnen. Weitere Gesichtspunkte sprechen dafür, den Effektivitätsgrundsatz nur als relatives Optimierungsgebot zu verstehen220: Art. 4 Abs. 3 EUV ist an die Mitgliedstaaten und deren staatliche Stellen gerichtet221. Liest man Art. 4 Abs. 3 Ua. 2 EUV mit Art. 4 Abs. 3 Ua. 1 EUV zusammen, tritt als übergeordneter Gedanke die Wechselseitigkeit des Loyalitätsverhältnisses zwischen Mitgliedstaaten und EU hervor222. Ob sich daraus eine Handlungspflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung verdichtet, kann nur in Ansehung des konkreten Falles im Wege einer Abwägung mit der mitgliedstaatlichen Autonomie ermittelt werden223. Dabei können auch andere unionsrechtliche Prinzipien (Verhältnismäßigkeit, insitutionelle Balance oder Rechtssicherheitserfordernisse) die Reichweite des effet utile begrenzen.
216
s. dazu auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 528 f. Vgl. Harnos, ZEuP 2015, 546, 566 f. 218 von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 4 EUV Rn. 64 m.w.N. 219 Potacs, EuR 2009, 465, 480. 220 Potacs, EuR 2009, 465, 476 ff.; Rott, EuZW 2003, 5, 8 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 295; vgl. ferner Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 275. In diesem Sinne wohl auch W.-H. Roth, WRP 2013, 257, 258; Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 11.14, S. 471 ff.; Tomasic, Effet utile, 2013, S. 132 f. et passim; Eckel, EuZW 2015, 418, 420; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 275; s. zum Aspekt der Rechtssicherheit auch Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 892. 221 von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 4 EUV Rn. 62; s. zur Frage einer unmittelbaren horizontalen Wirkung des Effektivitätsgrundsatzes jüngst (verneinend) Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 85 ff. 222 Monographisch zum Loyalitätsgedanken Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, 2001. 223 Gleichsinnig Potacs, EuR 2009, 465, 473 f., 478; ähnlich Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 275; umfassend zum Effet utile als Abwägungsgebot Tomasic, Effet utile, 2013, S. 214 f. et passim. 217
V. Bewertung von Courage und Muñoz für die Auslegung der MAR
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Besonderes Gewicht hat dabei der bereits in der Meroni-Rechsprechung des EuGH angelegte Gedanke des institutionellen Gleichgewichts224, das der EuGH fortan weiterentwickelt hat, um Streitigkeiten zwischen Unionsorganen aufzulösen225. Danach haben die Verträge ein System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Organen der Gemeinschaft geschaffen, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist226. Jedes Organ hat seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe auszüben227. Aufgrund der Eigenheit der Europäischen Union ist damit zwar keine klassische Gewaltenteilung im staatsrechtlichen Sinne gemeint, wohl aber der Gedanke von checks and balances228. Der EuGH ist nicht nur Hüter dieser institutionellen Balance229, sondern als Organ (Art. 13 Abs. 1 EUV) zugleich selbst an diese gebunden230. Daher muss er sich bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze zurückhalten und zunächst die gesetzgeberische Konzeption der primär zur Rechtssetzung berufenen Organe Parlament und Rat respektieren231. 224 EuGH, Urt. v. 13. 6. 1958 – C-9/56, Slg. 1958, 11, 44 – Meroni ./. Hohe Behörde; Jacqué, CMLR 41 (2004), 383, 384. 225 Craig, Institutions, Power and Institutional Balance, in: Craig/de Burca, The Evolution of EU Law, 2011, S. 41, 71, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=1912016. s. zu Anwendungsfällen auch Schmahl, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. 2015, § 6 Rn. 19. 226 EuGH, Urt. v. 22. 5. 1990, C-70/88, Slg. 1990, I-2041 Rn. 21 – Parlament ./. Rat. 227 E. g. EuGH, Urt. v. 22. 5. 1990, C-70/88, Slg. 1990, I-2041 Rn. 22 – Parlament ./. Rat; EuGH, Urt. v. 16. 7. 2015, C-425/13, ECLI:EU:C:2015:483 Rn. 69 m.w.N. – Kommission ./. Rat. 228 Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge v. 30. 6. 2009 – C-101/08, ECLI:EU:C:2009:410 Rn. 104 – Audiolux u. a.; Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 653; vgl. auch Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 15 ff.; Hatje/von Förster, in: Hatje/Müller-Graff, Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht, 2014, § 10 C. Rn. 26, 34; Bergmann, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, 5. Aufl. 2015, S. 535 f. 229 EuGH, Urt. v. 22. 5. 1990, C-70/88, Slg. 1990, I-2041 Rn. 23 – Parlament ./. Rat. 230 Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge v. 30. 6. 2009 – C-101/08, ECLI:EU:C:2009:410 Rn. 107 – Audiolux u. a. In dem Fall ging es u. a. darum, ob es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts gebe, wonach ein Hauptaktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder ausübt, verpflichtet wäre, Minderheitsaktionären Aktien zu den gleichen Bedingungen abzukaufen zu denen er eine Beteiligung erworben hat, vgl. EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, C-101/08, Slg. 2009 I-09823 Rn. 64 – Audiolux u. a. 231 Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge v. 30. 6. 2009 – C-101/08, ECLI:EU:C:2009:410 Rn. 107 – Audiolux u. a.; im Ergebnis auch EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, C-101/08, Slg. 2009 I-09823 Rn. 63 – Audiolux u. a., der sich aber nicht ausdrücklich auf den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts bezieht. Siehe näher Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 22, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130; gleichsinnig im kartellrechtlichen Kontext ders., Umbrella Pricing and Cartel Damages under EU Competition Law, EUI Working Paper Law 2015/18, S. 1, 14; vgl. weiter Garben, CMLR 50 (2013), 15, 24 f. zur Kritik an der Sturgeon-Entscheidung.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Bei Regelungsverzicht des Unionsgesetzgebers gilt dies der Sache nach auch gegenüber dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber, ob man darin nun eine vertikale Verlängerung des Grundsatzes verstehen mag232 oder näherliegend eine Folge aus dem Subsidiaritätsgrundsatz sowie dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2, 3 EUV). Im Modell klassischer Arbeitsteilung233 würde eine Lesart als Maximalgebot die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten, unionsrechtliche Verhaltensnormen – auch unter Berücksichtigung ihrer systemischen Eigenheiten234 – durchzusetzen, praktisch aufheben. Bei Regelung des Rechtsfolgenbereichs auf Unionsebene wie im Falle von MAR und CRIM-MAD würde die legislative Gestaltungsfreiheit des EU-Normgebers beschnitten: dessen Entscheidung gegen eine zivilrechtliche Haftung würde durch die gegenläufige Verpflichtung der Mitgliedstaaten missachtet. In beiden Fällen wäre das instiutionelle Gleichgewicht gestört. Ob die unionsrechtlich geforderte Effektivität ohne ein zusätzliches Haftungspostulat bereits gewährleistet ist oder rechtstatsächlich verfehlt wird, kann letztlich nur im Wege einer wertenden Betrachtung auf Grundlage eines empirischen Befunds oder hilfsweise nach den Regeln vernünftigen Vermutens235 entschieden werden. Der effet-Grundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten aber grundsätzlich nicht zu mehr, als die ausdrücklichen Vorgaben von MAR und CRIM-MAD innerhalb der vorgesehenen Umsetzungsspielräume zu verwirklichen. 4. Kritik der Rechtsverleihungspraxis des EuGH Angesichts der großzügigen Rechtsverleihungspraxis des EuGH verwundert es auch nicht, dass viele Stimmen damit rechnen, dass der EuGH sich als Wegbereiter der privaten Normdurchsetzung auch im Marktmissbrauchsrecht erweisen wird236. Die Loslösung des subjektiven Rechts von seiner Privatnützigkeit ist Voraussetzung einer funktionalen Subjektivierung, die anderenfalls überflüssig wäre und für sich betrachtet auch nicht kritikwürdig: Im Gegenteil erscheint die Subjektivierung als gerechtfertigtes Integrationsmittel insbesondere der Anfangsphase der Europäischen Gemeinschaft. Ansatzpunkt ist der vom EuGH geleistete Begründungsaufwand237. Mit dem effet-Argument ist die Gefahr verbunden, einen dem Mitgliedstaat vom Unionsgesetzgeber eigentlich verbürgten Gestaltungsspielraum durch die judikative 232
In diese Richtung Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 654. Siehe Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 6 f. 234 Vgl. Harnos, ZEuP 2015, 546, 559. 235 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978/1991, S. 287. 236 Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 154; Veil, ZGR 2016, 305, 323 f. 237 s. auch Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 262 ff., der die „Begründungstechnik“ als dysfunktional ansieht, im Ergebnis aber keine „durchgreifenden funktionalen Bedenken“ hat, S. 263. 233
V. Bewertung von Courage und Muñoz für die Auslegung der MAR
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Hintertür wieder einzuschränken238. Die alleinige Bezugnahme auf diesen Topos umgeht die inhaltliche Begründung, weshalb eine bestimmte Sanktionsregelung ungeeignet sein soll239. Dabei greift ein Haftungspostulat entweder in die negative Gestaltungsfreiheit des EU-Gesetzgebers, der sich bewusst gegen eine zivilrechtliche Haftung entschieden hat, ein oder in die abgeleitete Gestaltungsfreiheit des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers, wenn diesem die Entscheidung über zivilrechtliche Haftungsfolgen überlassen ist240. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens könnte der EuGH stärker herausarbeiten, warum er im Einzelfall ein Haftungspostulat aufstellt, etwa indem er die Sanktionierungsmechanismen de iure und de facto bewertet und dies offenlegt. Seine mangelhafte Konturierung führt dazu, dass das Konzept des subjektiven Rechts seine Selektionsaufgabe (vs. Popularklage) und seine Anstoßfunktion zur Substanzbestimmung des Rechtsinhalts zu verfehlen droht241. Dies wird deutlich, wenn das Unionsrecht Rechtsbehelfe einräumt, die angeblich über den unmittelbar-vorrangigen Vollzug einer Unionsrechtsnorm hinausgehen242, also etwa auf Schadensersatz. Die Frage drängt sich auf, ob der erwünschte Effekt derartig ungelenker Subjektivierung nicht ins Gegenteil umschlagen kann243. Eine undifferenziert expansive Handhabung kann im Ergebnis dem subjektiv-rechtlichen Gehalt der Rechtsordnung schaden244. Dies ist der Fall, wenn die Gewährung oder Versagung subjektiver Rechtspositionen von den Rechtsunterworfenen als Willkürakt oder zumindest Dezisionismus empfunden werden muss245 oder Rechte postuliert werden, die sich praktisch als nicht durchsetzbar erweisen. Vor dem Hintergrund des institutionellen Gleichgewichts im Verhältnis zum europäischen Gesetzgeber aber auch zu den Mitgliedstaaten verlangt eine Rechtsfortbildung, die in deren (negative) legislative Gestaltungsfreiheit eingreift, einen höheren und nachvollziehbareren Rechtfertigungsaufwand. 238 Vgl. dazu beispielsweise Franzen, in: Geis/Lorenz, FS Maurer zum 70. Geburtstag, 2001, S. 889, 898 zu Art. 6 der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG und ihrer Einschränkung durch die EuGH-Entscheidung EuGH, Urt. v. 22. 4. 1997 – C-180/95, Slg. 1997, I2195 – Draehmpaehl ./. Urania Immobilienservice. 239 Franzen, in: Geis/Lorenz, FS Maurer zum 70. Geburtstag, 2001, S. 889, 898. 240 s. auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 24, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 241 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 198 f. 242 Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 198 f. 243 Ähnlich Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 198 f. Dazu ferner Ladeur, Bitte weniger Rechte!, in: F.A.Z. v. 7. 12. 2016. Siehe auch unter E.VI.4.b)bb)(5). 244 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 82. EL Jan. 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 117. 245 Zur konstitutionellen Folgeproblematik siehe unter G.II.
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5. Exkurs: Nachteile richterlicher Rechtsfortbildung Für den restriktiveren Einsatz richterlicher Rechtsfortbildung streiten abseits demokratischer Legitimation weitere Gründe: Der EU-Gesetzgeber geht proaktiv vor und kann den Mitgliedstaaten bestimmte Maßnahmen vorgeben246. Dabei bindet er frühzeitig betroffene Interessengruppen und Fachkreise ein und schafft im Ergebnis ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit247. Eine Rechtsfortbildung durch den EuGH ist hingegen naturgemäß reaktiv und zufällig-einzelfallorientiert248. Sie bewirkt regelmäßig nur eine „negative Integration“. Der an die Vorlagefrage gebundene EuGH kann alternative, möglicherweise vorzugswürdige Wirksamkeitssteigerungen im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV nicht berücksichtigen. EUund mitgliedstaatlichen Gesetzgebern ist es im Rahmen ihrer legislativen Gestaltungsfreiheit indes möglich, einen sinnvollen Ausgleich zwischen einer Effektivitätssteigerung und gegenläufigen Belangen herzustellen249. Diese spezifischen Nachteile richterlicher Rechtsfortbildung sprechen ebenfalls für einen judicial restraint. 6. Vorschlag ausdrücklicher Kriterien für die Aufstellung eines Haftungspostulats Jedenfalls für eine komplexe Regelungsmaterie wie das Kapitalmarktrecht ist die Annahme, zivilrechtliche Haftung steigere die Wirksamkeit von Verhaltensnormen, weder evident noch pauschal richtig. Zwar ist zu konzedieren, dass eine Gesetzesfolgenabschätzung im Kapitalmarktrecht generell an Grenzen stößt250 und man sich vielfach mit trial and error begnügen muss. Dann stellt sich aber die Frage, wessen Einschätzungsprärogative maßgeblich ist. Es kann nur die des Unionsgesetzgebers sein251, der primär zur Rechtsetzung berufen ist, während dem EuGH vor allem eine Kontrollfunktion zukommt (etwa im Rahmen von Art. 263 AEUV).
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Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 10.31, S. 429. Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 10.32, S. 429. s.a. Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge v. 30. 6. 2009 – C-101/08, ECLI:EU:C:2009:410 Rn. 108 f. – Audiolux u. a.; vgl. EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, C-101/08, Slg. 2009 I-09823 Rn. 58 – Audiolux u. a. Vgl. ferner Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 653, wonach die Funktionszuweisung im Licht der institutionellen Balance dem optimalen Mitteleinsatz zur Zielerreichung der Organe dient. 248 Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 10.31, S. 429. 249 Gleichsinnig EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, C-101/08, Slg. 2009 I-09823 Rn. 62 – Audiolux u. a. 250 Dazu Binder, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 65, 76, 80 ff. 251 Siehe zu Begründungsansätzen, warum die Einschätzungsprärogative beim (nationalen) Gesetzgeber liegt, Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, 2014, S. 226 ff. Zu den erkenntnistheoretischen Annahmen, die der Zuweisung zugrunde liegen vgl. ebd. S. 204 ff. 247
V. Bewertung von Courage und Muñoz für die Auslegung der MAR
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Faustformelartig kann man festhalten: Je weiter der europäische Gesetzgeber – über die Statuierung von Verhaltensnormen hinaus – in den traditionellerweise den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Sanktionsbereich eingreift, desto weniger Raum verbleibt für etwaige primärrechtlich begründete Sanktionsverpflichtungen der Mitgliedstaaten: Denn der zuvörderst berufene europäische Gesetzgeber nimmt mit seiner Sanktionsregelung bereits implizit eine Interpretation vor, welche Form und Intensität der Sanktionen primärrechtlich geboten ist252. Wenn der EU-Gesetzgeber die Entscheidung treffen darf, ob er subjektive Rechte gewährt oder nicht, muss er erst recht entscheiden dürfen, welche sekundären Rechtsfolgen (bzw. Sanktionen) er an deren Verletzung knüpft. Legt der Unionsgesetzgeber keine zivilrechtliche Rechtsfolge fest, können die Mitgliedstaaten darüber grundsätzlich frei entscheiden: In jüngeren Entscheidungen hat der EuGH gerade im kapitalmarktrechtlichen Zusammenhang wiederholt den weiten mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum bei der Sanktionsausgestaltung betont: so anlässlich der MiFID I253 sowie der Transparenz-, der alten Marktmissbrauchs- und der Prospektrichtlinie254. Diesen (negativen) Gestaltungsspielraum255 dürfen Mitgliedstaaten auch in dem von MAR und CRIM-MAD nicht determinierten Bereich der zivilrechtlichen Haftung für sich in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund sollen Kriterien erörtert werden, anhand derer ein richterrechtliches im Effektivitätsgrundsatz verankertes Haftungspostulat ausnahmsweise (!) legitimierbar ist256. Dabei soll im Wesentlichen die modifizierte Prüfung eines öffentlich-rechtlichen Eingriffs vorgeschlagen werden, die den relativen Charakter des Effektivitätsgrundsatzes widerspiegelt. Schließlich wird hierdurch ein wertungsmäßiger Gleichlauf zur Sanktionsrechtsprechung des EuGH257 hergestellt. Die Kriterien greifen die Trias „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ aus der Entscheidung „Griechischer Mais“ auf. Sie dienen aber in diesem Kontext nicht dazu, die Mitgliedstaaten positiv zur Sanktionierung zu verpflichten: Stattdessen können sie zugleich den EuGH negativ zur Unterlassung verpflichten, ein Haftungspostulat rechtsfortbildend aufzustellen. Die am Loyalitätsverhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten ansetzenden Kriterien bewahren den vom EU-Gesetzgeber belassenen Regelungsspielraum somit auch im Verhältnis zum EuGH. Sie lassen sich als Synthese der objektiv- und der subjektivrechtlichen Dimension des Effektivitätsgrundsatzes verstehen. 252
Gleichsinnig W.-H. Roth, ZHR 179 (2015), 668, 676. EuGH, Urt. v. 30. 5. 2013 – C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 Rn. 56 ff. – Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos. 254 EuGH, Urt. v. 19. 12. 2013, C-174/12, ECLI:EU:C:2013:856 Rn. 40 ff. – Hirmann. 255 Vgl. etwa Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 622. 256 Einen anderen Ansatz verfolgt Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 515 ff. et passim, der eine Regelvermutung privater Durchsetzbarkeit aufstellt, dann aber auch Voraussetzungen ungeschriebener Schadensersatzansprüche formuliert, vgl. ebd. S. 518 ff. 257 Siehe hierzu oben unter E.I. 253
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a) Keine abschließende unionsrechtliche Sanktionsordnung Eine vollharmonisierte Rechtsfolgenregelung des europäischen Gesetzgebers belässt zwar dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber die Möglichkeit, nach nationalem Recht eine zivilrechtliche Haftung vorzusehen. Diese sanktioniert dann nicht nur europäische Verhaltensanordnungen, sondern bleibt eigenständiger Ausdruck der den Mitgliedstaaten verbleibenden zivilrechtlichen Regelungsbefugnis. Eine Vollharmonisierung würde aber ein auf Art. 4 Abs. 3 EUV gestütztes Haftungspostulat ausschließen, da der EuGH damit das vom EU-Gesetzgeber frei justierbare Durchsetzungsmaß unterliefe. Angesichts des mindestharmonisierenden Charakters der Sanktionsvorgaben in MAR und CRIM-MAD ist dieser Punkt hier aber unproblematisch258. b) Vereinbarkeit einer funktionalen Subjektivierung mit Konzept und Regelungszielen des Unionsgesetzgebers Aus dem Verzicht auf Schutzzweckerwägungen in Courage und Muñoz leiten die Befürworter eines Haftungspostulats ab, der EU-Gesetzgeber müsse nicht die Absicht verfolgt haben, Schäden Einzelner zu vermeiden oder jedenfalls auch Individualinteressen zu schützen259. Notwendig soll nur sein, dass der Unionsrechtsakt ein personenbezogenes Rechtsgut in Bezug nimmt260. Dies führt den Grundgedanken der funktionalen Subjektivierung konsequent fort. Doch ist deren Sinnhaftigkeit vorrangig mit dem spezifischen Regelungskonzept des Unionsgesetzgebers abzugleichen. Auf die MAR gewendet: Eine weitgehend voraussetzungsfreie funktionale Subjektivierung darf dem EU-Gesetzgeber und den Mitgliedstaaten nicht die Freiheit nehmen, nur einen reinen Institutionenschutz zu gewährleisten, wie er für die meisten Mitgliedstaaten in weiten Teilen des Kapitalmarktrechts prägend ist und für den gute Gründe sprechen261. Will man die (negative) Entscheidungsfreiheit des EU-Gesetzgebers262 ernstnehmen, kommt man nicht umhin, die MAR dahingehend zu befragen, wie sie selbst einem Institutionen- und/oder individuellen Haftungsschutz gegenüber steht. Dieser Frage soll im Rahmen der Auslegung der MAR nachgegangen werden263.
258
Siehe hierzu bereits oben unter C. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 284; siehe zur funktionalen Subjektivierung bereits oben A.III.1. 260 Ruthig, BayVBl 1997, 289; Schoch, NVwZ 1999, 457, 464; Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 160. Vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 82. EL Jan. 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 117a. 261 Vgl. etwa im Zusammenhang mit Insiderhandel unter E.VII.2.b)bb)(2). 262 Siehe beispielsweise Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 622. 263 Dazu unter E.VI. 259
V. Bewertung von Courage und Muñoz für die Auslegung der MAR
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c) Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung zur Regelungszielerreichung Soweit ersichtlich wurde im Zusammenhang eines primärrechtlich fundierten Haftungspostulats bislang nicht hinterfragt, ob und inwieweit eine zivilrechtliche Haftung überhaupt geeignet ist, das Erreichen der konkreten Regelungsziele (Marktintegrität etc.) zu fördern. Dabei verlangt der EuGH auch von den Mitgliedstaaten, dass diese im Rahmen ihrer Umsetzungsspielräume die Sanktionsmittel auswählen, die unter Berücksichtigung des von der jeweiligen Richtlinie verfolgten Zwecks am geeignetsten sind264. Versteht man private Haftung in unionsrechtlicher Lesart zunächst schlicht als weitere Sanktion, mag dies im ersten Zugriff evident erscheinen. Doch verlangen Komplexität und die Eigenheiten der betroffenen Verhaltensnormen und mitgliedstaatlichen Haftungssysteme eine nähere Betrachtung, die unter E.VII. angestellt werden soll. d) Erforderlichkeit: Unerwünschtes Durchsetzungsdefizit Schließlich soll überprüft werden, inwieweit es gerade einer zivilrechtlicher Haftung zum Erreichen des Regelungsziels bedarf265. Hierbei ist der Frage nachzugehen, ob tatsächlich ein erhebliches Versagen des Public-Enforcement-Systems zu konstatieren ist („konkrete Betrachtungsweise“)266. Der verschärfte Maßstab trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Haftungspostulat eine Korrektur des Unionsgesetzgebers267 darstellt, der von vornherein eine Haftung in der MAR wenigstens in Grundzügen hätte installieren können (siehe etwa Art. 35a Rating-VO). Ließe der EuGH ein Versagen des Sanktionsmechanismus im vorgelegten Einzelfall genügen, hätte dieses dagegen kein ausreichendes Gewicht, eine generelle Erweiterung der Sanktionsmittel zu rechtfertigen. Das generelle Durchsetzungsdefizit sollte empirisch nachweisbar sein268 oder sich durch sonstige Argumente plausibilisieren lassen. Anderenfalls muss die Entscheidung über eine Haftbarmachung in der Einschätzungsprärogative des primär
264 EuGH, Urt. v. 26. 4. 2007 – C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Rn. 58 – Boehringer Ingelheim u.a. m.w.N. zur Rechtsprechung. 265 Vgl. allgemein auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 129; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 521 ff. 266 Dazu unter E.VIII. 267 Ähnlich wie eine materielle Asweitung vorhandener Sanktionen, dazu im Zusammenhang mit der Fluggastrechteverordnung Politis, EuZW 2014, 8, 11 f. 268 Siehe zur Erforderlichkeit einer empirischen Rückbindung ausführlich unter E.VIII.1. Im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren hat der EuGH vereinzelt bereits auf statistische Daten zurückgegriffen, Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 278 f. mit Verweis u. a. auf EuGH, Urt. v. 1. 2. 2001 – C-333/99, Slg. 2001, I-1025 Rn. 34 f. – Kommission ./. Frankreich; EuGH, Urt. v. 27. 11. 2003 – C-185/00, Slg. 2003, I14189 Rn. 102 f. – Kommission ./. Finnland.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
berufenen EU-Gesetzgebers verbleiben, der diese jedenfalls im Zuge der MAR offensichtlich negativ ausgeübt hat. Auch in diesem Zusammenhang269 zeigen sich die Fallstricke einer Rechtsfortbildung im Korsett des Art. 267 AEUV: Der EuGH darf ein zivilrechtliches Haftungsgebot nur generell aus Unionsrecht ableiten und somit nicht auf einen einzelnen Mitgliedstaat beschränken270. Ohne Rückkoppelung an die konkrete Durchsetzungssituation müssten sämtliche Mitgliedstaaten eine zivilrechtliche Haftung vorsehen, nur weil ein Mitgliedstaat nach Auffassung des EuGH keine ausreichende Marktintegrität gewährleisten kann sowie an die Verletzung der Art. 14, 15 MAR keine zivilrechtlichen Haftungsfolgen knüpft. Dies wäre eine Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten trotz ungleicher Rechtslagen ohne sachlichen Grund. Ein solcher Eingriff in die nationale Regelungshoheit wäre für all’ diejenigen Mitgliedstaaten nicht gerechtfertigt, welche die ausdrücklichen Vorgaben der MAR wirkungsvoll umgesetzt haben und einer zivilrechtlichen Haftung ablehnend gegenüber stehen (sei es aufgrund der Besonderheiten ihrer Haftungssysteme, aus rechtskulturellen oder anderen Gründen).
VI. Vereinbarkeit einer funktionalen Subjektivierung mit Konzept und Regelungszielen des Unionsgesetzgebers Verordnungen können bekanntlich unmittelbar Rechte und Pflichten für die Unionsbürger begründen, d. h. Horizontalwirkung zwischen ihnen entfalten271, was schon aus Art. 288 UAbs. 2 AEUV folgt. Die horizontale Wirkung der Unionsrechtsnorm kann man als Mindestvoraussetzung privater Durchsetzbarkeit auffassen272. Normiert eine Verordnung private Rechte und Pflichten nicht ausdrücklich, 269
Siehe bereits oben unter E.V.5. Eine solche Beschränkung findet sich in den Entscheidungen Courage und Muñoz nicht. Der EuGH könnte immerhin generalisierend ein Haftungspostulat von der konkreten Durchsetzungssituation in den Mitgliedstaaten abhängig machen. 271 „Schon nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Gemeinschaftsrechts erzeugt sie [die Verordnung] also unmittelbare Wirkungen und ist als solche geeignet, für die Einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind.“ EuGH, Urt. v. 14. 12. 1971 – C-43/71, Slg. 1971, 1039 Rn. 9 – Politi ./. Ministero delle finanze. Vgl. auch König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2011, S. 61; ferner Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 41; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 288 AEUV Rn. 101; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rn. 20. Vgl. auch die Formulierung des EuGH, Urt. v. 14. 7. 1994 – C-91/92, Slg. I-3325 Rn. 24 – Faccini Dori ./. Recreb: die Gemeinschaft darf nur dort Verpflichtungen der Bürger anordnen, „wo ihr der Erlass von Verordnungen zugewiesen ist.“ 272 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 279. Vgl. auch Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 84; von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 104 ff. 270
VI. Vereinbarkeit einer Subjektivierung mit Konzept des Unionsgesetzgebers
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kann sich durch Auslegung ein implizites Klagerecht gewinnen lassen. Wie gezeigt, unternahm der EuGH dies, wenn eine zivilrechtliche Haftung nach seinem Dafürhalten dem Regelungsziel förderlich und das Durchsetzungsniveau der Verhaltensnormen zu gering war. Die zentralen Verbotstatbestände des Art. 14 (Verbot von Insidergeschäften) und Art. 15 MAR (Verbot der Marktmanipulation) sind ähnlich der US-amerikanischen SEC rule 10b-5 als reine Verbotsnormen formuliert273, weshalb man ihnen selbst keine weiteren Schlussfolgerungen auf eine zivilrechtliche Haftung entnehmen kann. Daher sollen die Verbotstatbestände der Art. 14, 15 MAR in ihrem systematischen Zusammenhang ausgelegt werden. Daraus ergibt sich, ob eine funktionale Subjektivierung das gesetzgeberische Regelungskonzept konsequent fortführte oder zu diesem in einem Spannungsverhältnis stünde. 1. Wortlaut-Erwägungen a) Erwägungsgründe Ausweislich des Erwägungsgrundes (8) will die MAR den Anlegerschutz verbessern und die Integrität der Märkte wahren. Auch Erwägungsgrund (24) benennt dies als Verordnungsziel. Dessen Formulierung spricht die Investoren als personelle Gruppe an. Das könnte darauf hinweisen, dass die Vorschrift nach ihrem objektiven Regelungszweck zumindest auch Interessen Einzelner schützt, soweit sie der Gruppe der Anleger/Investoren angehören. In eine ähnliche Richtung weisen weitere Formulierungen: Hinsichtlich des Insiderhandels benennt Erwägungsgrund (23) ausdrücklich den „Nachteil Dritter“, der die Kehrseite der ungerechtfertigten Vorteile des Insiders darstelle. Erwägungsgrund (27) statuiert eine Auslegungsregel speziell für öffentliche Übernahmeangebote: Danach soll die Verordnung entsprechend der von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen ausgelegt werden, „die den Schutz der Interessen der Inhaber übertragbarer Wertpapiere dienen, (…)“. Eine haftungsbezogene Formulierung enthält Erwägungsgrund (40). Die Haftbarmachung dürfte sich auf die ausdrücklichen vorgegebenen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen in Art. 30 f. MAR beziehen und gibt lediglich an, wer Adressat einer Sanktion sein kann. Eine Schutzrichtung mit konkretem Bezug zur Marktmanipulation und zum Insiderhandel deutet Erwägungsgrund (44) an, wonach Referenzwertmanipulationen zu „beträchtlichen Verlusten für die Anleger (…) führen“. Im Zusammenhang mit der Verbreitung falscher oder irreführender Informationen sagt Erwägungsgrund (47) MAR aus, dass diese Form der Markt273
Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor § 15 Rn. 17 m.w.N. zur USamerikanischen Rechtsprechung. Anders als beispielsweise § 15 WpHG a.F. in § 37b WpHG a.F. haben diese Normen auch innerhalb der MAR keinen zusätzlichen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Haftung, vgl. Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, c Rn. 10 m.w.N.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
manipulation „den Anlegern in besonderer Form schade“274. Für die informationsgestützte Marktmanipulation275 wird daher ein Private Enforcement sogar als mit der hergebrachten Schutzzwecklehre vereinbar und geboten angesehen276. Laut Erwägungsgrund (63) sollen „auch die Marktteilnehmer und Wirtschaftsakteure einen Beitrag zur Marktintegrität leisten“. Was sich verheißungsvoll wie ein Auftakt zum Private Enforcement in Manier der Courage-Entscheidung liest, hat dann aber doch nur den Informationsaustausch zwischen den Marktteilnehmern und der überwachenden Behörde zum Gegenstand. Dabei soll die zuständige Behörde Aufgaben an Marktteilnehmer zu dem Zweck delegieren dürfen, die wirksame Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung zu gewährleisten. Hierin zeigt sich die bereits beschriebene begrenzte und systemimmanente Indienstnahme Privater innerhalb des bestehenden Public Enforcement277. b) Art. 1 MAR als programmatischer Grundstein In Art. 1 wird die Stärkung der Integrität der Finanzmärkte, des Anlegerschutzes und des Vertrauens der Anleger als Verordnungsziel bestimmt278. Man kann darin den programmatischen Grundstein der gesamten Verordnung sehen. Während das Verhältnis zwischen Funktions- und Individualschutz etwa in Deutschland und Österreich Gegenstand anhaltender kontroverser Debatten ist, wird das Verhältnis auf Unionsebene kaum problematisiert279. Aus dem Begriff „Anlegerschutz“ kann man nicht schlussfolgern, ob der Verordnungsgeber mit der MAR einen reinen Funktionsschutz280 des Kapitalmarkts bezweckt oder konkret (auch) die Personengruppe der Investoren/Anleger und deren Vermögensschutz sowie ihre Kompensation im Blick hat. Eine klarstellende Regelung, wie das nationale Recht sie teilweise vorsieht281, gibt es in der MAR nicht. Anlegerschutz kann prinzipiell auch ausschließlich öffentlich-rechtlich erfolgen282, etwa im Sinne eines Vertrauenskollektivschutzes283
274
Poelzig, ZGR 2015, 801, 816 f. Grundlegend zur Unterscheidung: Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 246. 276 So Poelzig, ZGR 2015, 801, 815 f. Dazu ausführlicher unter H.I.2.a)bb). 277 Siehe sogleich ausführlicher zum Regelungskonzept der MAR unter E.VI.2.b). 278 Siehe auch E.VI.5.a). 279 Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 12. 280 Zum Funktionsschutz: Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 7. 281 E. g.: § 4 Abs. 4 FinDAG: „Die Bundesanstalt nimmt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahr.“ 282 So etwa BGH, Urt. v. 17. 9. 2013 – XI ZR 332/12 („Lehmann“) = BKR 2014, 32, 35; Assmann ZBB 1989, 49, 61 ff. Dagegen aber bereits Hopt, Kapitalanlegerschutz, 1975, S. 336 f. 275
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(Vertrauen aller Marktteilnehmer in das Funktionieren des Marktes284). Der Wortlaut ist für die Präzisierung des von der MAR vorgesehenen Anlegerschutzkonzepts somit unergiebig, weshalb die Frage im Rahmen der teleologischen Auslegung zu vertiefen ist285. c) Ergebnis Die aus Auslegungshilfen fungierenden Erwägungsgründe weisen demnach Spurenelemente einer personalen Schutzrichtung der Marktmissbrauchsnormen auf. Am großzügigen – d. h. nicht nach hier vertretener Auffassung modifizierten – Maßstab des EuGH gemessen, erscheint es gewiss als vertretbare Auslegungsvariante des Wortlauts, auf Basis des Art. 1 der MAR sämtliche ihrer Bestimmungen, die für sich betrachtet dem Anlegerschutz dienen, als subjektiv-rechtlich aufgeladen anzusehen286. Über die Rechtsfolge wäre damit noch nichts gesagt. Insbesondere würde die Schadenskompensation allein dadurch nicht zum rechtlich geschützten Interesse. Verlangt man einen über die lose Bezugnahme auf eine personale Gruppe hinausgehenden Hinweis auf eine Schutzabsicht des Verordnungsgebers, sind die Formulierungen der MAR unergiebig287. 2. Systematische Erwägungen Nachfolgend sollen zunächst einige die MAR selbst betreffende Erwägungen systematischer Natur angestellt werden288, sodann sollen auch weitere kapitalmarktbezogene EU-Rechtsakte im Wege des wertenden Vergleichs in Augenschein genommen werden [E.VI.3.d)].
283 Vgl. Watter, in: Watter/Vogt, Basler Kommentar Börsengesetz Finanzmarktaufsichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, Art. 1 BEHG Rn. 11; Binninger, Gewinnabschöpfung als kapitalmarktrechtliche Sanktion, 2010, S. 115 m.w.N.; Fleischer, in: Fleischer/Merkt, Gutachten F+G zum 64. DJT 2002, F 25 f. m.w.N. 284 Furrer/Körner, in: Remien, Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 233, 234; vgl. auch Grundmann, in: Staub HGB, Bd. 11/1, 5. Aufl. 2017, 6. Teil Rn. 337. 285 Siehe dazu unter E.VI.4. 286 Vgl. dazu auch jüngst: Zetzsche, ZHR 179 (2015), 490, 494, wenngleich speziell zur Schutzgesetzeigenschaft der MAR. 287 Zum Umgang mit dem Wortlautargument bei der MAR siehe Klöhn, AG 2016, 423, 424. 288 Zur begrenzten Tragfähigkeit des systematischen Arguments bei der MAR vgl. Klöhn, AG 2016, 423, 425.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
a) Rechtsform-Argument Die Rechtsform der Verordnung ist auf dem Vormarsch im EU-Kapitalmarktrecht289. Ihre Wahl wird teilweise als Argument für eine zivilrechtliche Haftbarmachung angeführt290. Sie bedeute, dass der Unionsgesetzgeber eine einheitliche Anwendung sicherstellen wolle, was unionsrechtlich festgelegte remedies zivilrechtlicher Natur erforderlich mache291. Mit einer Verordnung wolle der EU-Gesetzgeber das Verhalten von Individuen direkt regulieren292. Ihre Rechtsnatur solle zudem die Wesentlichkeit (essentiality) indizieren, die der EuGH noch in der Courage-Entscheidung zur Voraussetzung zivilrechtlicher Haftbarmachung erklärte293. Versteht man den effet-Gedanken als „Optimierungsgebot“294, so sei diese Funktion im Rahmen einer Verordnung zudem noch stärker als bei naturgemäß punktuellen und fragmentarischen Richtlinienbestimmungen295. Da der Verordnungsgeber die zivilrechtliche Haftung nicht zum Regelungsgegenstand gemacht hat, kann sich das Erfordernis der einheitlichen Anwendung aber nicht auf diese beziehen. Angesichts der legislativen Absicht, ein level playing field zu schaffen, wäre es überraschend, wenn der Verordnungsgeber die nur in manchen Mitgliedstaaten ansatzweise vorhandene zivilrechtliche Haftung296 einerseits für erforderlich gehalten, sich dann aber auf die bloße Auslegbarkeit eines Individualrechts aus der MAR verlassen hätte. Die Rechtsform der Verordnung verbürgt zudem kaum die besondere Wesentlichkeit einer Bestimmung für den Binnenmarkt, sondern dürfte primär der politischen Entscheidung für das vom Normgeber bevorzugte Harmonisierungskonzept geschuldet sein. Zudem verschwimmen die Unterschiede zwischen Richtlinie und Verordnung zunehmend297. Verordnungen weisen immer häufiger an die Mitgliedstaaten adressierte Vorgaben auf, wie sie üblicherweise in Richtlinien zu finden sind, während Richtlinien teilweise immer detaillierter werden298. Man kann insoweit von
289 Siehe etwa Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 23; Schneider, AG 2012, 823. 290 Sehr weitgehend Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 306 f.; s.a. Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 607. 291 Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 306. 292 Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 307. 293 Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 307; vgl. Leczykiewicz, 12 CYELS 257, 261 f. (2010). 294 Schmidt-Aßmann, DVBl 1993, 924, 931. 295 Franzen, in: Geis/Lorenz, FS Maurer zum 70. Geburtstag, 2001, S. 889, 902. 296 Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3rd ed. 2014, S. 968. 297 Siehe dazu auch Schneider, AG 2012, 823, 824; Mülbert, ZHR 176 (2012), 369, 374; Möllers ZEuP 2016, 325, 355 („vom Zufall geprägt“); siehe auch Schroeder, in: Streinz, EUV/ AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 46. 298 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 46.
VI. Vereinbarkeit einer Subjektivierung mit Konzept des Unionsgesetzgebers
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framework regulations sprechen299. Die dadurch entstehenden Hybride mögen vordergründig hilfreich sein, um die vielfach beklagte Normenflut nicht noch durch weitere Zerfaserungen zu erhöhen, nehmen dem Rechtsanwender aber bedauerlicherweise den grundsätzlich mit der Verordnung verbundenen Gewinn, nicht weiteres nationales Umsetzungsrecht konsultieren zu müssen300. Dem effet-Grundsatz kann bei der Auslegung von Verordnungen umgekehrt nur ein tendenziell abgeschwächtes Gewicht zukommen, da der Mitgliedstaat hierbei nur ausnahmsweise mit Umsetzungspflichten belastet wird, deren Wahrnehmung allein des kontrollierenden Maßstabs des effet utile bedarf. Da eine Verordnung von unionsrechtlicher Warte gar nicht als genuin privat- oder öffentlich-rechtlich zu qualifizierien ist, hilft auch der Verweis auf die von Art. 288 Ua. 2 AEUV ausgesprochene unmittelbare und allgemeine Geltung nicht weiter. Eine Verordnung kann, muss aber keineswegs Rechte und Pflichten Privater begründen, vielmehr ist dies erst im Wege der Auslegung zu ermitteln301. Die Rechtsform der MAR ist daher kein Argument für ein zivilrechtliches Haftungspostulat. b) Regelungskonzept der MAR bei der Aktivierung Privater Der bisherige Auslegungsbefund und die Ausführungen zum Entdeckungsargument zeigen bereits, dass die MAR bei der Einbindung Privater302 einen pflichtenbasierten Ansatz verfolgt303 : indem sie Betreiber von Märkten, Wertpapierunternehmen, die einen Handelsplatz betreiben, und Personen, die gewerbsmäßig Geschäfte vermitteln und ausführen, gesetzlich zur Informationsgewinnung verpflichtet (vgl. Art. 16 MAR)304. Weitere Melde- bzw. Offenlegungspflichten legt Art. 4 MAR fest305. Dieser Ansatz verhält sich gerade umgekehrt zur funk299
Vgl. Adam/Winter, in: Winter, Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 507, 509 ff. 300 Zumal die Verordnung im Kapitalmarktrecht von Level-2- und Level-3-Maßnahmen nach Lamfalussy begleitet wird. Siehe zum Verfahren Klöhn, in: Langenbucher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2017, S. 342 ff.; Rötting/Lang, EuZW 2012, 8. 301 Ähnlich Betlem, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Joustra/du Perron/Veldman, Towards a European Civil Code, 3rd ed., 2004, S. 677, 688. 302 Siehe hierzu auch Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.19 ff.: „general trend in financial regulation“. 303 Siehe ausführlich unter E.III.4.e). 304 Siehe dazu in strafrechtlicher Hinsicht krit. Vogel, in: Pawlik/Zaczyk, FS G. Jakobs, 2007, S. 731, 742 ff. noch zur alten Rechtslage. Eine strukturell ähnliche Einbindung (von Intermediären) gibt es im europäischen Wett- und Glücksspielrecht, dazu Hofmann, ZfWG 2016, 304, 305 f. 305 Das EU-Kapitalmarktrecht bindet Private aber nicht nur durch Meldepflichten, sondern durch einen ganzen Strauß an unterschiedlichen Pflichten ein. Beispielhaft seien genannt: Aufzeichnungspflichten (Art. 16 Abs. 6, Erw.gr. (57) MiFID II, Art. 25 MiFIR, § 27 WpHG); Organisationspflichten (Art. 16 MAR, Art. 17 Abs. 1, 5 MiFID II, Art. 31 MiFID II), Art. 48 Abs. 9 MiFID II, Art. 54 MiFID II); Pflichten zur Handelsaussetzung und zum Ausschluss von Finanzinstrumenten vom Handel (Art. 32 MiFID II, Art. 52 MiFID II).
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tionalen Subjektivierung mittels der Verleihung privater Rechte306, ob man dies nun rechtspolitisch begrüßen oder bedauern mag. Die Aktivierung von Mitarbeitern beaufsichtigter Marktteilnehmer als whistle-blower in Art. 32 MAR erfolgt ebenfalls nicht im Wege der Berechtigung, sondern primär durch Schutz von Hinweisgebern vor ungerechter Behandlung (siehe etwa Art. 32 Abs. 2 lit. a MAR. Dass der Verordnungsgeber damit bereits eine Auswahlentscheidung über die Einbindungsformen Privater getroffen hat, spricht gegen eine zusätzliche funktionale Subjektivierung307. c) Überprüfungsprärogative des Verordnungsgebers aus Art. 38 MAR Nach Art. 38 MAR muss die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 3. Juli 2019 einen Bericht über die Anwendung der MAR und ggf. über die Erforderlichkeit einer Überarbeitung erstatten. Dabei soll ein Hauptaugenmerk auf den verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen und der Sanktionspraxis liegen, wie aus Art. 38 UAbs. 1 lit. a sowie Ua. 2 MAR hervorgeht. Dies zeigt, dass der EU-Gesetzgeber die Verordnung zunächst selbst erproben will, um dann gegebenenfalls eigene Schlüsse auch im Hinblick auf eine Reform des Sanktionsregimes zu ziehen308. Diese Überprüfungsprärogative würde ebenfalls unterlaufen, würde der EuGH die Durchsetzungssituation der MAR selbst bewerten und daraus eine mitgliedstaatliche Pflicht zur zivilrechtlichen Haftbarmachung ableiten309. d) Rechtsaktübergreifender Vergleich In zunehmendem Maße enthalten europäische Rechtsakte kursorische zivilrechtliche Haftungsregeln310. Diese erübrigen die Konstruktion eines Individualrechts im Auslegungswege. In systematischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob aus dem Vorhandensein zivilrechtlicher Haftungsregelungen in anderen (kapitalmarktrechtlichen) Normen der Schluss gezogen werden muss, dass der Verordnungsgeber eine private Haftung im Bereich des Marktmissbrauchs gerade nicht wollte311 (interinstrumental-interpretation312). Hierfür soll ein überblicksartiger Befund im der306
Vgl. Weyer, ZEuP 2003, 318, 325. Siehe aber Poelzig, ZGR 2015, 801, 814. 308 Schmolke, NZG 2016, 721, 728. 309 Im kartellrechtlichen Kontext Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 22, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 310 Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 147. 311 Vgl. dieselbe Überlegung bei Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 84 f. 312 Instruktiv Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882; vgl. ferner Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 ff. 307
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zeitigen EU-Kapitalmarktrecht erhoben werden. Die Beispiele verdeutlichen zudem, dass der europäische Gesetzgeber die zivilrechtliche Haftung den Mitgliedstaaten nicht stets ausdrücklich oder stillschweigend anheimstellt, sondern er generell bereit ist, seine legislativen Spielräume auch auf diesem Feld wahrzunehmen313. aa) Richtlinien Die Transparenzrichtlinie314 nennt in Art. 7 ebenfalls ausdrückliche Haftungsvorgaben: Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verantwortung für die in den Artikeln 4, 5, 6 und 16 vorgeschriebene Zusammenstellung und Veröffentlichung der Informationen zumindest beim Emittenten oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan liegt und dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Haftung auf die Emittenten, die in diesem Art. genannten Organe oder die beim Emittenten verantwortlichen Personen anwendbar sind.
Der Regelungsansatz entspricht dem der alten Prospektrichtlinie und lässt sich als grundsätzliche Anerkennung einer Haftung bei gleichzeitiger Wahrung der Umsetzungsautonomie charakterisieren315. Zwar sind diese Sanktionsnormen nicht rein programmatischer Natur, gleichwohl erschließt sich aus ihnen kein bestimmtes Konzept privater Rechtsdurchsetzung316. Dazu fehlen konkrete Haftungsvoraussetzungen317. Weder in der alten Marktmissbrauchsrichtlinie noch in der nunmehr außer Kraft gesetzten MiFID I fand sich jedoch eine vergleichbare Regelung zur zivilrechtlichen Haftung318, obwohl eine solche im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens erwogen
313 Vgl. dazu aber Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 18 f., die meinen, der europäische Gesetzgeber habe die diesbezügliche Kompetenz erst „entdecken“ müssen. Ein solches Bewusstsein des Gesetzgebers ist zwar zwangsläufig eine Fiktion oder Konstrukt, doch trifft dies auf jede Annahme eines Gesetzgeberwillens zu, ohne dass deshalb auf diesen Argumentationstopos als regulative Idee verzichtet werden könnte, s. Fleischer, in: Fleischer, Mysterium „Gesetzesmaterialien“, S. 1, 5 ff. 314 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 390 vom 31. 12. 2004, S. 38 – 57. Nachfolgende Hervorhebungen durch den Verfasser. 315 Wundenberg, ZGR 2015, 124, 131. 316 Anders Wundenberg, ZGR 2015, 124, 160 der sie als rein „programmatisch“ bezeichnet, was jedoch eher auf eine unverbindliche Absichtserklärung hinweist und insoweit etwas missverständlich erscheint. Ebenso Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 294 m.w.N. 317 Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 82. 318 Wundenberg, ZGR 2015, 124, 132.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
wurde319. Die Nachfolgeregelung MiFID II erlaubt (!) den Mitgliedstaaten ausdrücklich in Art. 3 Abs. 2 Ua. 3, einen näher spezifizierten Personenkreis für sämtliche Schäden bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen gegenüber den Kunden haftbar zu machen. Seit 26. November 2014 bietet die Kartellschadensersatzrichtlinie320 weiteres Anschauungsmaterial321. Sie enthält detaillierte Vorgaben zur zivilrechtlichen Haftung bei Verstößen gegen die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen der Union und der Mitgliedstaaten (ganze 36 mal kehrt die Formulierung „die Mitgliedstaaten gewährleisten …“ wieder). Die Rechtsprechungslinie des EuGH322 aus Courage und Manfredi ist somit weitgehend kodifiziert323. In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie heißt es: Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass jede natürliche oder juristische Person, die einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, den vollständigen Ersatz dieses Schadens verlangen und erwirken kann.
Sogar die (selbstverständliche) Beachtung des Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatzes ordnet Art. 4 ausdrücklich an. Neben prozessualen Vorgaben zur Offenlegung von Beweismitteln (Art. 5 ff.) finden sich konkrete materiell-zivilrechtliche Vorgaben etwa zur Verjährung (Art. 10) sowie zur gesamtschuldnerischen Haftung (Art. 11). Bemerkenswert sind auch die ausführlichen Erwägungsgründe, die über eine Paraphrase der bisherigen EuGH-Rechtsprechung und des Richtlinientextes weit hinausgehen und einige bislang offene Fragen des Kartelldeliktsrecht klären dürften. Das Recht auf Schadensersatz wird in Erwägungsgrund (4) mit dem Recht auf wirksamen Rechtsschutz aus Art. 19 Absatz. 1 Ua 2 des EUV sowie Art. 47 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta verknüpft. Erwägungsgrund (11) stellt klar, dass für Schadensersatzklagen in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften die innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren der Mitgliedstaaten heranzuziehen sind. Der Richtliniengeber hält weiter fest: Wenn die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht andere Voraussetzungen für Schadensersatz vorsehen, wie etwa Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden, sollten sie diese Bedingungen beibehalten können, sofern sie mit der Rechtsprechung des Gerichts319
COM, Public Consultation Review of the Markets in Financial Instruments Directive (MiFID), 08. 12. 2010 Ziff. 7.2.6., S. 63; Wundenberg, ZGR 2015, 124, 133. 320 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 5. 12. 2014, S. 1 – 19. 321 Siehe bereits oben unter E.III.3.; vgl. allgemein Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7 ff. Zur Umsetzung durch die 9. GWB-Novelle Bischke/Brack, NZG 2016, 99; Müller-Graff, ZHR 179 (2015), 691 ff. 322 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 – Courage und Crehan; EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 – Manfredi. 323 Vgl. Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7. Siehe dazu bereits oben unter E.III.3.
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hofs, dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz und den Bestimmungen dieser Richtlinie im Einklang stehen.
Der Richtliniengeber bemüht sich so erkennbar, die Kompatibilität der von ihm verlangten Haftung mit den mitgliedstaatlichen Zivilrechtssystemen herzustellen. bb) Verordnungen Auf Verordnungsebene setzt Art. 35a der Rating-VO324 eine zivilrechtliche Haftung fest. (1) Hat eine Ratingagentur vorsätzlich oder grob fahrlässig eine der in Anhang III aufgeführten Zuwiderhandlungen begangen und hat sich diese auf ein Rating ausgewirkt, so kann ein Anleger oder Emittent von dieser Ratingagentur für den ihm aufgrund dieser Zuwiderhandlungen entstandenen Schaden Ersatz verlangen. […].
Diese Regelung gilt als bemerkenswerter Richtungswechsel im europäischen Kapitalmarktrecht, da der europäische Gesetzgeber im Bereich der Finanzmarktregulierung erstmalig eine unmittelbar geltende Anspruchsgrundlage für Schadensersatz geschaffen hat325. Da die Rating-VO für zahlreiche wichtige Gesichtspunkte wie den Verschuldensmaßstab, die Verjährung oder die Ersatzfähigkeit des Schadens zurück auf das nationale Recht verweist, bricht sie aber aus der Tradition unionsrechtsautonomer Auslegung aus326 und bleibt eine Teilregelung327. Ein weiteres Beispiel liefert die Verordnung über Basisinformationsblätter für Anlageprodukte, sog. PRIIP-VO328. Diese bleibt hinter der ursprünglich beabsichtigten Harmonisierung der Haftungsnormen zurück329. Art. 11 Abs. 1 PRIIP-VO hält fest, dass einen PRIIP-Hersteller aufgrund des Basisinformationsblatts und dessen Übersetzung alleine noch keine zivilrechtliche Haftung trifft330. Sodann stellt Art. 11 Abs. 2 ein zivilrechtliches Haftungspostulat auf:
324
Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Ratingagenturen, ABl. L 302 vom 17. 11. 2009, S. 1 – 31. 325 Wundenberg, ZGR 2015, 124, 133. Ähnlich Möllers/Niedorf, ECFR 2014, 333, 362. s. auch W.-H. Roth, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 453, 461: „ein weiterer Schritt zur Entwicklung eines europäischen Haftungsrechts“. 326 W.-H. Roth, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 453, 461. 327 Einsele, JZ 2014, 703, 708 f. 328 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (PRIIP), ABl. L 352 vom 9. 12. 2014, S. 1 – 23. 329 Siehe Luttermann, ZIP 2015, 805, 812. 330 Ausgenommen sind Fälle, in denen das Basisinformationsblatt oder die Übersetzung irreführend oder ungenau ist oder nicht mit den einschlägigen Teilen der rechtlich verbindlichen vorvertraglichen und Vertragsunterlagen oder mit den Anforderungen nach Art. 8 übereinstimmt.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen (2) Weist ein Kleinanleger nach, dass ihm unter den Umständen nach Absatz 1 aufgrund seines Vertrauens auf ein Basisinformationsblatt bei der Tätigung einer Anlage in das PRIIP, für das dieses Basisinformationsblatt erstellt wurde, ein Verlust entstanden ist, so kann er für diesen Verlust gemäß nationalem Recht Schadensersatz von dem PRIIP-Hersteller verlangen.
Die Begriffe „Verlust“ oder „Schadensersatz“, auf die Abs. 2 Bezug nimmt, sollen wie in der Rating-VO nicht autonom unionsrechtlich, sondern laut Art. 11 Abs. 3 PRIIP-VO im Einklang mit dem geltenden nationalen Recht gemäß den einschlägigen Bestimmungen des internationalen Privatrechts ausgelegt und angewandt werden. Die zivilrechtliche Haftung ist damit laut Abs. 4 nicht abschließend geregelt. Stattdessen bleiben weitere Haftungsansprüche im Einklang mit dem nationalen Recht möglich. Die zuständigen Behörden sind gemäß Art. 24 Abs. 4 PRIIP-VO zudem befugt, den betroffenen Kleinanleger zu informieren, wenn sie verwaltungsrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen verhängt haben und ihm mitzuteilen, wo Schadensersatzansprüche anzumelden sind. Die neue Verordnung zu Europäischen langfristigen Investmentfonds (ELFIF bzw. engl. ELTIF)331, sieht in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich vor, dass der Verwalter eines derartigen Fonds für Schäden und Verluste haftet, die durch die Nichteinhaltung dieser Verordnung entstehen. Alles weitere bleibt offen. Die Benchmark-Verordnung332 enthält keine Regelung zu einer zivilrechtlichen Haftung, äußert sich aber in Erwägungsgrund (22) zu (potenziellen) Schadensersatzforderungen: Durch Manipulation oder Unzuverlässigkeit von Referenzwerten kann Anlegern und Verbrauchern Schaden entstehen. Darum sollte diese Verordnung einen Rahmen für die Aufbewahrung von Aufzeichnungen durch Administratoren und Kontributoren sowie zur Herstellung von Transparenz hinsichtlich des Zwecks eines Referenzwerts und der hierfür angewandten Methodik festlegen, was eine effizientere und gerechtere Beilegung potenzieller Schadenersatzforderungen in Einklang mit einzelstaatlichem Recht oder Unionsrecht ermöglicht.
Die Benchmark-Verordnung verlangt somit nicht die Bereitstellung zivilrechtlicher Haftungsmechanismen, obwohl der Verordnungsgeber diese offenkundig bedacht hat. Sie verfolgt – unter anderem – das Ziel, im Vorfeld günstige Voraussetzungen für eine private Rechtsdurchsetzung zu schaffen, soweit die Mitgliedstaaten eine solche vorsehen wollen.
331 Verordnung (EU) 2015/760 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über europäische langfristige Investmentfonds, ABl. L 123 vom 19. 5. 2015, S. 98 – 121. 332 Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ABl. L 171 vom 29. 6. 2016, S. 1 – 65.
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Die Prospektverordnung333 stellt eine weitgehende Vollharmonisierung des Prospektrechts her. In Art. 11 Abs. 1 verpflichtet sie die Mitgliedstaaten ausdrücklich sicherzustellen, (…) dass je nach Fall zumindest der Emittent oder dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan, der Anbieter, die die Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt beantragende Person oder der Garantiegeber für die Richtigkeit der in einem Prospekt und Nachträgen dazu enthaltenen Angaben haftet. (…).
Welche Fehler im Einzelnen die Prospekthaftung auslösen sollen, welche Kausalitätsanforderungen gelten und wie Schäden zu beziffern sind, lässt die Prospektverordnung wie ehemals die Prospektrichtlinie offen334. cc) Ergebnis Das Richtlinienrecht weist mehr und mehr zivilrechtliche Sanktionierungsvorgaben auf, deren Detaillierungsgrad typischerweise eher grob ist (Ausnahme Kartellschadensersatzrichtlinie). Im Verordnungsrecht finden sich ebenfalls zunehmend kursorische Haftungsregelungen335. Die private Haftung steht somit im Fokus des EU-Gesetzgebers, der aber offenkundig keinen one-size-fits-all-Ansatz verfolgt. Vielmehr zeichnen sich seine Haftungsregelungen durch hohe Varianz aus und verdanken sich wohl besonders mühsamen politischen Aushandlungs- und Kompromissbemühungen. Die Gemengelage zwischen kapitalmarktrechtlichen Regelungsakten der EU und mitgliedstaatlichem Haftungsrecht wird so von wachsender Komplexität geprägt336. Unzweifelhaft aber hat der EU-Gesetzgeber wiederholt seinen Willen unter Beweis gestellt, dort Regelungen zum Private Enforcement anzuordnen, wo er diese als angemessen erachtet hat337. Dies bedeutet auch, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in der MAR Ausdruck eines bewussten Regelungsverzichts ist und nicht eines Versäumnisses. Insoweit kann im Umkehrschluss aus den ausdrücklichen zivilrechtlichen Vorgaben anderer Regelungen geschlossen werden, dass der Verordnungsgeber der MAR schlicht keine zivilrechtliche Haftung wollte. Den Befund erhärten normierte Abweichungen von der unionsrechtsautonomen
333
Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71, ABl. L 168 vom 30. 6. 2017, S. 12 – 82. 334 Zur alten Prospektrichtlinie Wundenberg, ZGR 2015, 124, 130. 335 s. auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 112 f. mit einer rechtsgebietsübergreifenden Aufzählung. 336 Siehe W.-H. Roth, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 453, 472 ff., 478 am Beispiel der Rating-VO. 337 So Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.13, S. 18.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Auslegung („vertikale Verweisungen“338). An ihnen wird deutlich, dass der Unionsgesetzgeber die Eigenheiten mitgliedstaatlicher Haftungssysteme (noch) nicht im Wege einer unionsweiten Vereinheitlichung einebnen will339. 3. Historisch-genetische Erwägungen In den Gesetzesmaterialien zur MAR findet der Gedanke einer zivilrechtlichen Haftung keinerlei Beachtung, weder positiv noch negativ340. Bekanntlich hat der Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins, eine Schadensersatznorm in die MAR aufzunehmen oder jedenfalls den Mitgliedstaaten ausdrücklich anheim zu stellen, entsprechende Schadensersatznormen in ihr nationales Recht einzufügen, keinen Niederschlag gefunden341. Ein Vergleich mit der von der MAR abgelösten Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/ 6/EG ist ebenfalls nicht ergiebig. Deren Art. 14 verpflichtete die Mitgliedstaaten in Abs. 1 lediglich, bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften für geeignete Verwaltungsmaßnahmen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen gegen die verantwortlichen Personen zu sorgen und inkorporierte die oben wiedergegebene Sanktionsrechtsprechung, nach welcher diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Teilweise wird vertreten, der Verordnungsgeber habe bei Erlass der Marktmissbrauchsrichtlinie ausweislich der Gesetzesmaterialien von einer zivilrechtlichen Regelung Abstand genommen, da er damals noch davon ausgegangen war, hierfür gar keine Kompetenz zu haben342. Explizit findet sich diese Überlegung in den Gesetzesmaterialien jedoch nicht. Dass der europäische Gesetzgeber nunmehr jedenfalls davon ausgeht, eine solche Kompetenz wenigstens für das Grundgerüst einer zivilrechtli338
Siehe W.-H. Roth, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 453, 462 et passim. 339 Gleichsinnig W.-H. Roth, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 453, 463. 340 Vgl. KOM (2011) 651 endg., 20. 10. 2011, 2011/0925 (COD), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch); Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten v. 20. 06. 2012, 2012/C 177/01; Stellungnahme der EZB v. 22. 03. 2012, CON/2012/21; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses v. 21. 06. 2012 COM (2011) 651 final – 2011/0295 (COD) C 181/64; COM (2012) 421 final, 2011/0295 (COD), 25. 07. 2012, Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch); Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 10. September 2013 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung (EU) Nr. …/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über InsiderGeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch); Unterzeichnung durch Europäisches Parlament und Rat PE-CONS 2013 78/1/13. Siehe zu diesem Befund auch Hellgardt, AG 2012, 154, 163. Zur Entstehungsgeschichte der MAR s. überblicksartig Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Einl. Rn. 18 ff. 341 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins v. 12. 6. 2012, Nr. 50/12, S. 6. 342 Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, c Rn. 18 f.
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chen Haftung zu haben, folgt wiederum zwingend aus den oben angeführten Regelungen etwa der Prospekt-VO und der Rating-VO343. 4. Teleologische Erwägungen Die Frage impliziter privater Klagerechte344 muss auch mit Sinn und Zweck der MAR als ganzer sowie dem der Verbotstatbestände der Art. 14, 15 MAR im Besonderen abgeglichen werden. Eine vorherige Vergewisserung über den ökonomischen Hintergrund der Art. 14, 15 MAR ist hierfür unerlässlich. a) Ökonomische Hintergründe der Verbotsnormen aa) Manipulationsverbot Kapitalmärkte alloziieren Kapital effizient und erfüllen ihre volkswirtschaftlichen Funktionen345, wenn sich Informationen schnell und fehlerfrei in den Marktpreisen niederschlagen346. Sekundärmärkte zentralisieren Informationen über das Kauf- und Verkaufsinteresse an einem Finanzinstrument und gelten wegen des fortlaufenden Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage als bester Wertindikator eines assets347. Ein Manipulator greift gezielt in den Preisbildungsmechanismus bzw. verändert dessen Parameter und ruft somit eine Fehlinformation über den Wert des zugrundeliegenden Vermögensgegenstands hervor348. Der Marktpreis entfernt sich vom Fundamentalwert349 des Finanzinstruments. Die Bewertungseffizienz350 des Kapitalmarkts nimmt ab. Anleger treffen ihre Entscheidungen somit auf einer mindestens teilweise falschen Annahme über die zukünftige Profitabilität eines 343
Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, c Rn. 19. Vgl. Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 233. 345 Hierzu Sester, ZGR 2009, 310, 317 ff. 346 Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 212; Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 182. 347 Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 212. 348 Ledgerwood/Carpenter, 8 Rev. L. & Econ. 253, 282 (2012). Ähnlich Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3rd ed. 2014, S. 705; s.a. Gullifer/Payne, Corporate Finance Law, 2nd ed. 2015, S. 584 f. 349 Der Fundamentalwert ist der Wert, auf den sich alle Marktteilnehmer einigen würden, wenn sie im Besitz aller kursrelevanten Informationen wären, Harris, Trading and Exchanges, 2003, S. 222 f.; Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 72 ff.; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 49. Hintergrund ist die Kapitalmarkteffizienzhypothese in ihrer halbstrengen Form, siehe dazu näher Brealey/Myers/ Allen, Principles of Corporate Finance, 12th ed. 2017, S. 332. 350 Siehe dazu etwa Dietrich/Bienert, in: Abegg/Bärtschi/Dietrich, Prinzipien des Finanzmarktrechts, 2. Aufl 2017, § 1 Rn. 9. Kyle/Viswanathan 98 Am. Econ. Rev. 274 (2008) sprechen von „price accuracy“ und differenzieren diese von der allgemeinen Kapitalmarkteffizienz. 344
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assets und führen ihr Kapital damit nicht den am meisten Gewinn versprechenden Verwendungen zu, was letztlich die gesamte Volkswirtschaft schädigt351. Diese ineffiziente Ressourcenallokation ist eine Form des Marktversagens352. Das Verbot der Manipulation dient somit der Bewertungs- und Allokationseffizienz von Kapitalmärkten. Dabei steht außer Frage, dass eine strenge Markteffizienz niemals herstellbar ist, sondern Verhaltensregelungen normativ daran zu messen sind, inwieweit sie den bestehenden Grad der Kapitalmarkteffizienz steigern können (relative Markteffizienz)353. Der durch bekannt gewordene Manipulationen hervorgerufene Vertrauensverlust der Anleger führt zu Folgeproblemen: Die Such- und Verifikationskosten von Finanzagenten steigen, wodurch der bid-ask-spread wächst, den Anlegern entstehen höhere Transaktionskosten und die Marktliquidität nimmt ab354. Insofern sichert das Manipulationsverbot auch die Transaktionseffizienz. Die nachlassende Marktteilnahme und die erhöhte Volatilität machen Kapitalmärkte überdies noch manipulationsanfälliger355. Im schlimmsten Fall kann es zum Totalversagen eines Marktes kommen356. Das Marktmanipulationsverbot erfüllt also eine zentrale Rolle im volkswirtschaftlichen Gesamtgefüge zwischen Anlegern, Kapitalmärkten und Realwirtschaft. bb) Insiderhandelsverbot Die anhaltende Debatte über die ökonomische Sinnhaftigkeit eines Insiderhandelsverbots soll in diesem Rahmen nicht nachgezeichnet werden357. Stattdessen seien nur einige zentrale Punkte genannt: Im Gegensatz zu Manipulatoren arbeiten Insider dergestalt Informationen in den Preisbildungsprozess ein, dass sich der Kurs des 351
Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 212; Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 24 ff.; s.a. Köndgen, in: Fleischer/ Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, 100, 106, 109; Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 172. 352 Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation, 3rd ed. 2014, S. 705. 353 Sester, ZGR 2009, 310, 323 f., 345 im Anschluss an Gilson/Kraakman, 70 Va. L. Rev. 549, 554 ff. (1984) im Zusammenhang mit der Informationseffizienz. 354 Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 212 f.; Ledgerwood/Carpenter, 8 Rev. L. & Econ. 253, 282 f. (2012); s.a. Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 100, 109 ff.; vgl. ferner Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 743 (2006). Vgl. zu den Verifikationskosten Goshen/ Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 741 ff. (2006); Ledgerwood/Carpenter, 8 Rev. L. & Econ. 253, 282 (2012). 355 Ledgerwood/Carpenter, 8 Rev. L. & Econ. 253, 282 f. (2012). 356 Im Wege der adversen Selektion, siehe grundlegend Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, 84 Q. J. Econ. 488 – 500 (1970). Siehe dazu auch Schmolke, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, § 5 Rn. 274 ff. 357 Siehe dazu Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 93 ff. m.w.N.; ders., in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 7 Rn. 93 ff.
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betroffenen Finanzinstruments seinem Fundamentalwert annähert358. Dies ist – isoliert betrachtet – zu begrüßen, steigert es doch die Informations- und Bewertungseffizienz des Kapitalmarkts. In ökonomischer Hinsicht ist entscheidend, welcher Gruppe bei einer Gesamtbetrachtung die volkswirtschaftlich höchst bedeutsame Aufgabe anvertraut werden sollte, Informationseffizienz an Kapitalmärkten herzustellen359. Wie Klöhn im Anschluss an das US-amerikanische Schrifttum und im Einklang mit der empirischen Kapitalmarktforschung überzeugend herausgearbeitet hat, sind dies Outsider-Informationshändler in einem kompetitiven Markt und nicht Insider als Informationsmonopolisten, die ersteren die Arbitragemöglichkeiten nehmen und sie schlimmstenfalls vom Markt verdrängen360. Das Insiderhandelsverbot dient also zuvörderst dem Schutz der Informationshändler361, die am besten dafür sorgen können, dass der Marktpreis kursrelevante Informationen reflektiert362. Hinzu tritt der Fairness-Gedanke, dass sich ein privilegierter Informationszugang im Verhältnis zu anderen Anlegern nicht „auszahlen“ soll. Er ist mittelbar ebenfalls für die Kapitalmarkteffizienz von Bedeutung, da schwindende Marktteilnahme infolge eines Vertrauensverlusts des Anlegerpublikums auch die Liquidität beeinträchtigt sowie die Kapitalkosten erhöht363. Wer weiter am Markt teilnimmt, wird einen Risikoabschlag von seinen Renditeerwartungen vornehmen364. b) Anlegerschutz Als Anknüpfungspunkt einer funktionalen Subjektivierung bietet sich das Regelungsziel des Anlegerschutzes an. Nach einer kurzen allgemein-begrifflichen Annäherung soll geprüft werden, ob der MAR eine bestimmte gesetzgeberische Anlegerschutzkonzeption entnommen werden kann und wie sich diese zu einer funktionalen Subjektivierung verhielte.
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Siehe etwa Manne, 31 J. Corp. L. 167, 169 (2005) m.N. zu den empirischen Studien. Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 112; ders., in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 10. 360 Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 109 – 112; ders., in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 8 Rn. 135; grundlegend Goshen/ Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 733 ff. (2006). 361 Zum Begriff siehe Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 46 f. 362 Grundlegend Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 733 et passim (2006); Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, et passim; ders., in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 7 f. 363 Siehe etwa Harris, Trading and Exchanges, 2003, S. 591. 364 Kirchner, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 108, 112. 359
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aa) Begriffliche Annäherung (1) Offenheit des Begriffs „Anlegerschutz“ Herkömmlich untergliedert man den Anlegerschutz in seine zwei wesentlichen Dimensionen, Funktions- und Individualschutz365. Die Frage, ob der Gesetzgeber den Markt um seiner Funktionsfähigkeit willen als solchen schützen will (Funktionsschutz) oder (auch) die Marktteilnehmer persönlich bzw. gruppenbezogen (Individualschutz), ist nach wie vor relevant366. Das weitverbreitete Diktum von den „zwei Kehrseiten einer Medaille“367 ändert daran nichts368. Beide Schutzdimensionen müssen einander nicht stets und notwendigerweise befördern und ergänzen. So kann eine zivilrechtliche Schadensersatzanordnung als individualrechtliche Ausprägung des Anlegerschutzes in Widerspruch zum Effizienzziel kapitalmarktrechtlicher Verhaltensnormen geraten: Etwa wenn der Ersatz des Vertragsabschlussschadens zu einer Abwälzung des gesamten Kursrisikos auf den Emittenten oder den Transaktionspartner/Manipulator führt, was wiederum zu einer Fehlallokation von Kapital führt369. Zudem kann dadurch der Anreiz zu entsprechend eigener Sorgfaltswaltung gemindert werden (moral-hazard-Risiko)370. Ein weiteres Beispiel, in dem Funktions- und Individualschutz auseinanderfallen, gibt das Insiderrecht: Können Marktteilnehmer verbotswidrig erlangte Vermögensvorteile mittels eines Schadensersatzanspruchs gleichsam „abschöpfen“, wird die Fehlallokation anders als bei Offenlegung von Insiderinformationen nicht zum Wohl des Anlegerpublikums beseitigt, sondern durch die haftungsrechtlich veranlasste Weitergabe sogar noch aufrechterhalten371. Schließlich droht das Anlegervertrauen und damit auch eine volkswirtschaftlich wünschenswerte breite Partizipation der Bevölkerung an den Kapitalmärkten erschüttert zu werden, wenn eine Rechtsordnung zwar Schadensersatzansprüche bei
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So etwa Hirte/Heinrich, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Einl. Rn. 11. Siehe Hirte/Heinrich, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Einl. Rn. 11 ff.: „vielleicht die zentrale Rechtsfrage des gesamten Kapitalmarktrechts“. 367 Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 159; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 336 f.; ähnlich Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 5: „Zweckdichotomie“. 368 Gleichsinnig Ekkenga, ZIP 2004, 781, 784; s. a. Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 177. 369 Vgl. Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 197 f.; Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, S. 9, 90; vgl. ferner Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 198. 370 Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, 100, 119, dies jedoch nicht als Zielkonflikt, sondern als „Effizienzproblem“ auffassend. 371 Ekkenga, ZIP 2004, 781, 785. 366
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Marktmissbrauch vorsieht, diese sich aber als praktisch undurchsetzbar erweisen, was zu weiteren Kosten und erneuter Frustration der Geschädigten führt372. (2) Offenheit des Begriffs „Individualschutz“ Der Individualschutz als Unterkategorie des Anlegerschutzes bedarf der inhaltlichen Ausgestaltung: Dieser ist nicht zwingend als ein durch Haftung vermittelter individueller Vermögensschutz zu verstehen. Bekanntlich kann der einzelne Anleger auch rein reflexhaft geschützt werden, d. h. nur mittels eines Vertrauenskollektivschutzes auf eine nicht manipulierte Kursbildung373. Ein unversehrter Markt ist relativ informationseffizienter und führt dazu, dass Anleger „price-protected“ sind374. Ein uninformierter Anleger, der sich auf (unmanipulierte) Preise verlässt, partizipiert an der von Informationshändlern geleisteten Informationseinarbeitung und wird so in seinem Vertrauen auf den Wert des assets geschützt375. Die effiziente Marktpreisbildung ist daher laut einigen Stimmen der wirksamste Mechanismus zum Anlegerschutz376. Dieser ist infolgedessen auch nicht mit Verbraucherschutz gleichzusetzen377 (vielmehr zielt das Marktverhaltensrecht darauf ab, einen kompetitiven Markt für Informationshändler zu schaffen378). Umgekehrt gilt aber auch: Anlegerschutz und effiziente Kapitalmärkte können grundsätzlich als Institutionen im Allgemeininteresse durch subjektive Rechte geschützt werden379. Diese sind dann nicht rein privatnützig, sondern haben die Doppelfunktion, die Rechtsstellung des einzelnen Bürgers auszugestalten sowie die dezentrale Durchsetzungskontrolle zu befördern380. Diese Ablösung des privaten Rechts von seiner Privatnützigkeit381 ist dabei gerade die Pointe der vom EuGH geschaffenen funktionalen Subjektivierung382. Mülbert fasst das komplexe Verhältnis bündig zusammen: „Individualschutz kann Funktionsschutz leisten, ohne aber eine notwendige Voraussetzung hierfür zu bilden. 372 Dies zeigt die Wichtigkeit eines präventiven Ansatzes, denn dass der Verzicht auf Haftungsschutz Anlegervertrauen ebenfalls nicht fördert, ist klar. 373 Siehe bereits unter E.VI.1.b). 374 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 358 im Anschluss an Easterbrook/Fischel, 70 Va. L. Rev. 669, 693 f. (1984). Hierzu auch Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 182. 375 Vgl. Easterbrook/Fischel, 70 Va. L. Rev. 669, 693 f. (1984), die dieses Phänomen zugleich als „free ride“ bezeichnen; gleichsinnig Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 358. 376 Siehe Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 182; Lee, What is an Exchange?, 1998, S. 253. 377 Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 713 et passim (2006). Siehe aber zum schleichenden Wandel jüngst Buck-Heeb, JZ 2017, 279, 284 f. 378 Dazu näher im Zusammenhang mit dem WpHG Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 358 m.w.N. zum US-amerikanischen Schrifttum. 379 Vgl. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 289 f. 380 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 124. 381 Siehe bereits oben unter E.V.4. 382 Siehe dazu bereits in der Einleitung unter A.III.1.
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Und gegenläufig kann das Recht Anlegerindividualschutz zur Verwirklichung eigenständiger Gerechtigkeitswerte auch insoweit gewähren, als dies vom Funktionsschutz nicht zwingend gefordert wird oder sogar dysfunktional wirkt (…)“383. bb) Anlegerschutz im Sinne der MAR Der offene Begriff sowohl des Anlegerschutzes als auch seiner Unterkategorie des Individualschutzes bedarf der Konkretisierung, wofür die MAR mindestens Anhaltspunkte liefert. (1) Anlegerschutz als Regelungsziel der MAR Bereits die Vorgängerrichtlinie 2003/6/EG hatte eine (auch) anlegerschützende Stoßrichtung, wie etwa deren Erwägungsgründe (12), (24) ff., (43) sowie Art. 1 Nr. 2 Ua. 2 Sp. 1 zeigen. In Art. 1 der MAR stellt der EU-Gesetzgeber den Anlegerschutz ausdrücklich neben die „Integrität der Finanzmärkte“ und das „Vertrauen der Anleger“ und wertet ihn zu einem eigenständigen Regelungsziel auf. Dies entspricht anderen europäische Rechtsakten: So soll laut Erwägungsgrund (1) der Transparenzrichtlinie 2004/109/EG „sowohl [der] Anlegerschutz als auch die Markteffizienz“ erhöht werden. Ebenso verhält es sich bei der Prospektrichtlinie laut deren Erwägungsgrund (10). Ausweislich des Erwägungsgrundes (2) verfolgt die MAR das Ziel, einen integrierten, effizienten und transparenten Finanzmarkt zu schaffen, denn „das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte“ ist neben dem öffentlichen Vertrauen in die Märkte die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Die Hervorhebung spricht dafür, diese volkswirtschaftliche Funktion der Kapitalmarkteffizienz als Meta-Ziel384 der MAR zu sehen und dem Anlegerschutz hierfür einen instrumentellen Charakter zuzuschreiben. Seine Ausgestaltung muss insoweit auch daran gemessen werden, inwieweit er zum Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz beitragen kann385. (2) Präzisierung des Anlegerschutzes im Rahmen von Art. 14 MAR Im Zusammenhang mit dem Insiderhandelsverbot nennt Erwägungsgrund (23) der MAR als wesentliches Merkmal von Insidergeschäften, dass mittels Insiderinformationen ein ungerechtfertigter Vorteil zum Nachteil nicht informierter Dritter erzielt werde. Dadurch würden die Integrität der Finanzmärkte und das Vertrauen der Investoren untergraben. Erwägungsgrund (24) wiederholt dies und präzisiert, dass 383
Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 177. Siehe Sester, ZGR 2009, 310 ff. 385 s. aber Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 12. Vgl. zur historischen Entwicklung im Kartellrecht vom Individualrecht auf wirtschaftliche Betätigung zum reinen Institutionenschutz bis hin zur Parallelität beider Glöckner, WRP 2007, 490, 496 ff. 384
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dieses Vertrauen wiederum auf der Gewissheit beruhe, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung der Insiderinformationen geschützt würden. Der europäische Gesetzgeber ließ sich also von einem etwas vagen Fairness-Gedanken leiten386. Mit dem Verbot soll das (kollektive) Vertrauen der Anleger geschützt werden387, die weiter am Marktgeschehen teilhaben und so zur Liquidität des Kapitalmarkts beitragen sollen. Aus Erwägungsgrund (23) lässt sich zudem schließen, dass der Verordnungsgeber den kompetitiven Markt für Informationshändler schützen will388 : „Benachteiligte Dritte“ sind nur Outsider-Informationshändler, die Informationen suchen und analysieren und das Insiderrisiko nicht diversifizieren können389. Diese werden funktional geschützt, da ihnen die Aufgabe zugewiesen ist, neue Informationen in die Kursbildung „einzuarbeiten“390. Der von Art. 14 gewährleistete Anlegerschutz ist somit im Kern ein funktionalvermittelter und weist nicht auf individuelle Berechtigungen hin. (3) Präzisierung des Anlegerschutzes im Rahmen von Art. 15 MAR Eine teilweise Präzisierung des Anlegerschutzgedankens enthält zudem Erwägungsgrund (47). Demnach soll das Verbot informationsgestützter Manipulationen auch die Anlageentscheidungen auf Basis richtiger und unverzerrter Informationen schützen391. Der Schutz der Anlageentscheidung wird teilweise sogar als Dreh- und Angelpunkt des Anlegerschutzes verstanden392. Diese hängt wiederum gerade nicht von einer ex-post-Haftung ab, sondern wird durch bewertungs- und informationseffizient arbeitende, d. h. funktionierende Kapitalmärkte erst ermöglicht. Im Zusammenhang mit Referenzwertmanipulationen spricht Erwägungsgrund (44) an, dass Referenzwertmanipulationen nicht nur zu realwirtschaftlichen Verzerrungen führen können, sondern auch zu beträchtlichen „Verlusten für die Anleger“. Die spezielle Vorschrift des Art. 12 Abs. 1 lit. d MAR wird dann aber im Folgesatz mit dem Ziel gerechtfertigt, „die Integrität der Märkte“ zu wahren sowie die Durchsetzung des Manipulationsverbots durch „die zuständigen Behörden“. Die Annahme, das Marktmanipulationsverbot schütze primär das öffentliche Gut funktionierender, d. h. insbesondere informationseffizienter Märkte, wird zudem 386 Siehe Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 87. Instruktiv zum Fairness-Aspekt: Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 27 ff.; s. ders., in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 8, der darauf hinweist, dass der MAR-Verordnungsgeber jedenfalls implizit das Konzept des kompetitiven Marktes für Informationshändler anerkannt hat. 387 Hierzu auch Grundmann, in: Staub HGB, Bd. 11/1, 5. Aufl. 2017, 6. Teil Rn. 256, 337. 388 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 8 m.w.N. Siehe bereits unter E.VI.4.a)bb); E.VI.4.b)aa)(2). 389 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 8 m.w.N. 390 Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 10. 391 s. differenzierend Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 34, Art. 12 Rn. 240, Art. 15 Rn. 6. 392 Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 164 f.
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durch dessen tatbestandliche Ausgestaltung erhärtet. So enthält es Elemente eines abstrakten Gefährdungsdelikts in Art. 12 Abs. 1 lit. b („oder hierzu geeignet ist393“)394. Zudem oszilliert es in Art. 12 Abs. 1 lit. a i), ii), lit. c und Art. 12 Abs. 2 lit. b, c zwischen abstrakter und konkreter Gefährdung („oder … wahrscheinlich ist“). Der durch die Norm möglicherweise faktisch bewirkte individuelle Vermögensschutz bleibt somit reflexhaft und unspezifisch395. (4) Zwischenergebnis Die MAR weist zwar Spurenelemente einer personalen Schutzrichtung auf. Für einen rein objektiven Funktionsschutz spricht aber nicht nur der Verzicht auf eine Haftungsregelung oder sonstige denkbare Kompensationsmechanismen, sondern vor allem die Betonung der Marktintegrität sowie des Meta-Ziels der Kapitalmarkteffizienz: Effiziente Kapitalmärkte sind der beste Anlegerschutz396. (5) Erklärungsansatz: „Schadensdiffusion“ bei Individualschutz durch Haftung Warum der Verordnungsgeber auf eine Haftungsregelung verzichtet hat, geht wie bereits erwähnt nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien hervor397. Ein denkbarer Erklärungsansatz ist, dass die durch Marktmissbrauch398 ausgelöste „Schadensdiffusion“399 eine sinnvolle Begrenzung der Anspruchsberechtigung außerordentlich schwierig macht. Marktmanipulationen können eine Vielzahl an Parteien schädigen, so dass eine entsprechende Haftung potenziell unbegrenzt wäre400. Geschädigt werden regelmäßig (1) Liquiditätsspender, die ihre bids/offers nachteilig an die manipulierten Preise anpassen müssen, (2) die Transaktionspartner von Manipulatoren sowie sämtliche Marktteilnehmer, die gleiche Positionen halten, (3) weitere Marktteilnehmer401: Jede Manipulation kann nahezu unabsehbare Auswirkungen haben, wenn Derivate im gleichen Markt oder auf anderen Märkten auf sie Bezug
393
Was wohl als „generell“ geeignet zu verstehen ist. Art. 12 Abs. 1 lit. d MAR ist sogar nur als schlichtes Tätigkeitsdelikt ausgestaltet, d. h. nicht einmal eine abstrakte Gefährdung ist erforderlich, vgl. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 12 Rn. 289. 395 Vgl. BGHZ 100, 13 zu § 267 StGB als Schutzgesetz. Dazu krit. Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 114 f. 396 Stigler, The Citizen and the State, Essays on Regulation, 1975, S. 78, 88. 397 Siehe bereits oben unter E.VI.3. 398 Vgl. zum Insiderhandel unter E.VII.3.b)bb)(2). 399 Vgl. Wagner, ZGR 2016, 112, 149. 400 Ledgerwood/Carpenter, 8 Rev. L. & Econ. 253, 283 f. (2012); s.a. Ekkenga, ZIP 2004, 781, 785; Sergakis, The Law of Capital Markets in the EU, 2018, S. 194. Zur Schwierigkeit der individuellen Schadensbegründung siehe E.VII.3.b)bb). 401 Aufzählung nach Ledgerwood/Carpenter, 8 Rev. L. & Econ. 253, 283 f. (2012). 394
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nehmen402. Ähnliches gilt bei der Manipulation von Referenzwerten, die ihrerseits Grundlage einer Vielzahl anderer Finanzinstrumente sind403. So ist allein der LIBOR ein Referenzwert für Finanzkontrakte im Umfang von geschätzten 350 Billionen US-Dollar404. Zudem können sich Manipulationen negativ auf die gesamte Entwicklung eines Marktsegments und auf andere Branchen auswirken. Dies zeigt mindestens, dass die Verbotstatbestände zwar eine volkswirtschaftlich wichtige Funktion erfüllen, jedoch nicht auf individuellen Vermögensschutz zugeschnitten sind. Eine zivilrechtliche Haftungsfolge droht die Leistungsfähigkeit der Verbotsanordnungen damit tendenziell zu überfordern. Hier droht, dass das Regulierungsbemühen zur Effektivitätssteigerung das Recht an Leistungsgrenzen stoßen lässt und sogar negativ-desintegrierende Rückwirkungen auf das Recht selbst hat405 – wenn es die Kompensationserwartung nicht einlösen kann und so das Vertrauen in seine Geltungskraft schwindet. cc) Gegenbeispiel eines klar intendierten Vermögensindividualschutzes Dass der EU-Gesetzgeber auch ohne Haftungsregelung oder -vorgabe einen individuellen Vermögensschutz erkennbar bezwecken kann, verdeutlicht ein Seitenblick auf einen anderen Regelungskomplex: Die aus dem Jahr 1980 stammende Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers406. Deren Art. 3, 4 verpflichteten die Mitgliedstaaten, Garantieeinrichtungen zu unterhalten, die gewährleisten, dass nicht erfüllte Arbeitnehmeransprüche aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen auch im Insolvenzfall des Arbeitgebers bis zu einem bestimmten Zeitpunkt befriedigt werden. Hier knüpfte der Richtliniengeber an zivilrechtliche Ansprüche von Arbeitnehmern an und bezweckt offensichtlich deren Schutz vor Vermögensnachteilen. Vor diesem Hintergrund überzeugt, dass der EuGH die Nichtumsetzung durch den italienischen Staat sanktioniert hat, indem er einen Staatshaftungsanspruch aus der Taufe gehoben hat407. Die Offenheit des Anleger402 Vgl. z. B. Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 16. 403 Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 269. 404 The Economist August 5th 2017, „LIBOR pains“, S. 56. 405 Vgl. in sozialrechtlichem Kontext Teubner, in: Kübler, Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 289, 323. 406 Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. L 283 vom 28. 10. 1980, S. 23 – 27. Nunmehr aufgehoben und abgelöst durch Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. L 283 vom 28. 10. 2008, S. 36 – 42. 407 Ein weiteres Beispiel aus dem EU-Arbeitsrecht zieht Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 524 ff. heran: In EuGH, Urt. v. 27. 11. 2008 – C-396/07, Slg. 2008, I-
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schutzbegriffs und der Ausgangsbefund des Public Enforcement in der MAR schaffen jedoch keinen vergleichbaren Anknüpfungspunkt für eine funktionale Subjektivierung. 5. Gesamtergebnis der Auslegung der MAR Das Regelungsziel des Anlegerschutzes verlangt zu seiner Verwirklichung keine zivilrechtliche Haftung. Dass der Verordnungsgeber auf sie verzichtet hat, spricht neben seiner Betonung funktionierender Märkte dafür, dass er einen reinen Funktionsschutz bezweckt hat. Eine Haftung kann bei entsprechender Ausgestaltung jedoch sowohl den Anlegerschutz als eigenständiges Regelungsziel fördern als auch das Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz („erhöhte Abschreckungswirkung“). Insoweit ist der Anlegerschutz grundsätzlich tauglicher Anknüpfungspunkt einer funktionalen Subjektivierung, soweit deren Ausgestaltung das Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz berücksichtigt408 und so einen Widerspruch zur Anlegerschutzkonzeption des Verordnungsgebers vermeidet. Nach dem oben herausgearbeiteten modifizierten Maßstab409 bedarf eine erweiternde Korrektur des gesetzgeberischen Sanktionsprogramms mittels einer funktionalen Subjektivierung aber weiter, dass die Haftung zur Erreichung des Regelungsziels geeignet (E.VII.) und wegen eines beachtlichen Durchsetzungsdefizits erforderlich erscheint (E.VIII.).
VII. Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung Ein zivilrechtliches Haftungspostulat ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Haftung auch geeignet ist, das Regelungsziel zu erreichen. Nach einer kurzen Vergewisserung über das in Bezug zu nehmende Regelungsziel (E.VII.1.) und den empirischen Befund (E.VII.2.) soll die Präventionswirkung410 allgemein-modellhaft erörtert werden (E.VII.3.). Zudem ist die praktische Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche als Grundvoraussetzung wirksamer Inzentivierung in den Blick zu nehmen [E.VII.3.b)]. Zu berücksichtigen sind ferner die Gefahr der Überabschreckung (E.VII.4.), die Haftung als Beitrag zur Kapitalmarkteffizienz (E.VII.5.) sowie denkbare Spillover-Effekte für das Public Enforcement-Regime (E.VII.6.) 8883 – Juuri hatte der EuGH die Gebotenheit eines Schadensersatzanspruchs verneint, weil die in Frage stehende Regelung der Betriebsübergangsrichtlinie EU/2001/23 nur eine implizite Zurechnungsregelung darstelle, nicht aber auf ein materielles (Vermögens-)Schutzniveau für Arbeitnehmer abziele. 408 Siehe etwa zur Frage der Überabschreckung E.VII.4. 409 Siehe unter E.V.6. 410 Differenzierend zum Verhältnis zwischen Prävention und Rechtsdurchsetzung Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 548 f.
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1. In Bezug zu nehmendes Regelungsziel Wie oben herausgearbeitet411, ist das Meta-Ziel der MAR, die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte zu gewährleisten, damit diese ihre volkswirtschaftliche Aufgabe effizient erfüllen können. Zwar folgt aus Art. 4 Abs. 3 EUV als Fundament eines möglichen Haftungspostulats ein Effektivitätsgebot, kein Effizienzgebot412. Der Unionsgesetzgeber stellt die MAR aber selbst naheliegenderweise in den Dienst der Wohlfahrtsmaximierung. Dies bringt etwa Erwägungsgrund (2) klar zum Ausdruck413. Hierfür hat der Verordnungsgeber die zentralen Verbotsnormen Art. 14, 15 MAR geschaffen. Deren Einhaltung stellt insoweit ein eigenständiges (Unter-)Regelungsziel dar. Die Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung kann vor diesem Hintergrund an beiden Regelungszielen gemessen werden – nämlich sowohl daran, inwieweit die Haftung präventiv die Beachtung der Art. 14, 15 MAR befördert, als auch daran, inwieweit sie (generell) die Kapitalmarkteffizienz steigert. 2. Empirischer Befund zum kapitalmarktrechtlichen Enforcement Zur Rechtsdurchsetzung auf den Kapitalmärkten stehen einander die Studien von La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer414 sowie die von Jackson und Roe415 gegenüber416. Deren Gegenstand ist allerdings allein der Primärmarkt417. Beide Studien messen den Erfolg der Rechtsdurchsetzung in Relation zur Wirtschaftskraft der jeweiligen Jurisdiktion418 bzw. zu deren Kapitalmarktentwicklung419 und beleuchten damit primär die volkswirtschaftliche Effizienz unterschiedlicher Rechtsdurchsetzungsformen. Dabei kommen La Porta, Lopez-de-Silanes und Shleifer zum Ergebnis, die Regulierung durch unabhängige Behörden oder mittels strafrechtlicher 411
Siehe hierzu E.VI.4. Vgl. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 365. Etwaige Ineffizienzen der Rechtsdurchsetzung könnten gewissermaßen als (allerdings gesellschaftlich entrichteter) „Fairnesspreis“ verstanden werden. Weiterführend zum Fairness-Gedanken Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 100, 111 ff. 413 Siehe bereits oben unter E.VI.4.b)bb)(1). 414 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, What Works in Securities Laws?, 61 J. Fin. 1 (2006). 415 Jackson/Roe, Public and Private Enforcement of Securities Laws: Resource-Based Evidence, 93 J. Fin. Econ. 207 (2009). 416 Im Überblick und mit differenzierter Kritik an der Methodik Wagner, in: Casper/Klöhn/ Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 664 ff.; s.a. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 372 ff.; Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 244 f. 417 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, 61 J. Fin. 1. (2006); Jackson/Roe, 93 J. Fin. Econ. 207, 208, 216 ff. (2009); Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 665. 418 Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 664. 419 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 244. 412
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Sanktionen sei anders als die durch private Ansprüche aus Prospekthaftung bedeutungslos für die Prosperität von Kapitalmärkten420. Demgegenüber gelangen Jackson & Roe zu dem deutlich differenzierteren Urteil, öffentliche Rechtsdurchsetzung sei jedenfalls nicht weniger wertvoll für die Kapitalmärkte als private, insbesondere im Vergleich mit der geringen Leistungsfähigkeit privater Haftung421. Die privaten Haftungsstandards seien der Stärke der Finanzmärkte teilweise sogar abträglich422. Überzeugender an der Studie von Jackson & Roe ist bereits, dass sie zumindest näherungsweise die tatsächliche Vollzugsintensität zu messen versucht423, während sich Lopez-de-Silanes und Shleifer auf eine Kodierung der formalen Rechtslage stützen424. Letztlich ist die Aussagekraft beider Studien aber sehr begrenzt425. Speziell für den Sekundärmarkt gibt es derzeit gar keine empirischen Studien426. Hier stellt sich die Lage zudem komplexer dar: Die Aufsichtsbehörden haben keine Instrumente der ex-ante-Kontrolle, wie die Prospektpflichtigkeit sie ermöglicht, und sie müssen eine kaum übersehbare Vielzahl von Akteuren und Transaktionen überwachen427. In vielen Jurisdiktionen liefert das Privatrecht außervertragliche Schadensersatzansprüche – wenn überhaupt – nur in engen Grenzen und diese sind häufig kaum durchsetzbar428. Hierzu bedarf es also einer gesonderten, noch ausstehenden Analyse429. Ein empirischer Nachweis dafür, dass eine zivilrechtliche Haftungsbewehrung die Kapitalmarkteffizienz steigert, existiert derzeit genauso wenig wie ein allgemein anerkannter Nachweis, welche Regulierung volkswirtschaftlich effizienter ist.
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Vgl. La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, 61 J. Fin. 1, 20, 27 f. (2006). Jackson/Roe, 93 J. Fin. Econ. 207, 237 f. (2009). 422 Jackson/Roe, 93 J. Fin. Econ. 207, 235 (2009); Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/ Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 667. 423 Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 667. 424 Näher und krit. zur Methodik Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 668 ff.; s.a. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 372 ff.; Klöhn, in: Kalss/Fleischer/ Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 244 f. 425 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 244 f. 426 Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 670. 427 Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 670. 428 Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 670. 429 Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 671. 421
VII. Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung
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3. (Mehr) Prävention durch private Haftung? Mangels empirischer Erkenntnisse zum Private Enforcement auf dem Sekundärmarkt bleibt nur der Rückgriff auf allgemeine Modellüberlegungen430 (E.VII.3.a)), die sich vorliegend auf die Präventionswirkung einer denkbaren Haftung beschränken. Dabei sind auch die Voraussetzungen für eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen mit Blick auf die Eigenheiten von Marktmanipulation und Insiderhandel näher zu beleuchten (E.VII.3.b)). a) Theoretisches Für und Wider einer Abschreckungswirkung Dass deliktische Haftung auch einen Präventionszweck verfolgt, ist mittlerweile weitgehend anerkannt431. Private Haftung steigert die Wirksamkeit der Marktverhaltensnormen, soweit sie die Marktteilnehmer von vornherein von deren Verletzung abhält. Es entstehen dann keine Rechtsdurchsetzungs- oder Abwicklungskosten432. Im Modell rationaler Nutzenmaximierung433 werden Normen befolgt, wenn die zu erwartenden Kosten eines Normverstoßes den Nutzen, der aus dem Normverstoß zu erwarten ist, übersteigen434. Die Erwartungskosten eines Normverstoßes sind das Produkt aus der Höhe der insgesamt zu erwartenden Sanktionen und der Wahrscheinlichkeit der Sanktionierung435. Die Normverletzung bleibt im Hinblick auf zivilrechtliche Haftungskosten meist riskant, auch wenn die Schadensersatzfolge wie in Deutschland nach § 249 Abs. 1 BGB rein kompensatorisch ist. Die Zufügung von Kapitalmarktschäden ist im Regelfall kein „Nullsummenspiel“. Die Summe der Schäden kann den aus dem Normverstoß gezogenen Gewinn um ein vielfaches übersteigen. Ein Akteur wird dies im Vorfeld kaum sicher ausschließen können436. Die einzupreisende Entdeckungs-
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Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 395. Für das Unionsrecht ist dies vollkommen unstreitig, s. etwa Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355, 389 ff.; Wurmnest/Heinze, in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 39, 56 ff.; s.a. Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 539 ff.; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 105. 432 Schmolke, JZ 2015, 121, 125. 433 Dazu näher Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 106 ff. 434 Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 280. Ausführlich zum Standardmodell des homo oeconomicus, s. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Privatrecht, 2014, S. 106 ff. 435 Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 280. Grundlegend Gary S. Becker, Crime and Punishment: An Economic Approach, 76 J. Pol. Econ. 169 (1968), wiederabgedruckt in Becker/Landes, Essays in the Economics of Crime and Punishment, 1974, S. 1, 9 ff. 436 Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 118 f. Gleichsinnig im Ergebnis Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 376 ff. 431
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wahrscheinlichkeit437 mag zwar bei marktmissbräuchlichem Verhalten noch gering sein438. Doch kann der Anspruchsumfang das zur Abschreckung erforderliche Sanktionsniveau gleichwohl erreichen, wenn der Täter beispielsweise eine zusätzliche Bußgeldsanktion oder Geldstrafe gewärtigen muss439. Entgangene Einkünfte infolge eines behördlich verhängten Tätigkeitsverbots können die Sanktionshöhe ebenfalls steigern (siehe etwa Art. 30 Abs. 2 lit. e MAR). Dass zivilrechtliche Haftung tatsächlich eine zusätzliche verhaltenssteuernde Wirkung entfalten kann, erscheint aber zweifelhaft, drohen den Akteuren bereits scharfe strafrechtliche Sanktionen bis hin zu mehrjährigen Freiheitsstrafen440. Wenn sich ein Insidertäter im Einzelfall schon von verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen nicht abschrecken lässt, ist noch weniger zu erwarten, dass ihn eine mögliche zivilrechtliche Sanktionen von der Tat abhalten kann441. Zwar schreibt die CRIM-MAD die Bestrafung nur „zumindest in schwerwiegenden/schweren Fällen“ vor (Art. 3 – 5, jeweils Abs. 1). Da der Abbildung der besonderen Schwere in Form des von § 119 Abs. 1 WpHG verlangten Einwirkungserfolgs aber die von § 119 Abs. 4 WpHG angeordnete Versuchsstrafbarkeit zur Seite steht, entfaltet der § 119 WpHG gleichwohl eine erhebliche Reichweite. Insoweit verbleibt wenig Raum für eine spezifisch zivilrechtliche Abschreckungswirkung im nicht kriminalisierten Bereich marktmissbräuchlichen Verhaltens. Ein Unternehmen wird eine mögliche Schadensersatzhaftung in seiner Finanzplanung berücksichtigen und ein entsprechendes Compliance-System unterhalten, um finanzielle (Reputations-)Verluste442 durch Zivilklagen zu vermeiden443. Insoweit liegt es nahe, zwischen natürlichen und juristischen Personen zu unterscheiden und eine zusätzliche (!) Präventionswirkung zivilrechtlicher Haftung neben der Straf437
Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 119. Vgl. grundlegend Gary S. Becker, Crime and Punishment: An Economic Approach, 76 J. Pol. Econ. 169 (1968), wiederabgedruckt in Becker/Landes, Essays in the Economics of Crime and Punishment, 1974, S. 1 ff. 438 Dazu später unter E.VII.3.b)aa). 439 Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 280; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 373: Entscheidend ist das Gesamtmaß der drohenden zivilrechtlichen und öffentlichrechtlichen Sanktionen. Hierfür setzt wiederum der Gedanke des ne bis in idem Grenzen, dazu bereits unter B.III. 440 Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 249; Tippach, Das Insider-Handelsverbot und die besonderen Rechtspflichten der Banken, 1995, S. 46 f. Vgl. zur Abschreckungswirkung im Strafrecht unter E.VIII.4.c). 441 Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 249. 442 Zu dieser Thematik Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689. 443 Vgl. Möllers, AcP 208 (2008), 1, 9, 25; Veil, ZGR 2016, 305, 320; hierzu auch Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 555 ff.; Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.35. Zum Aufbau von Compliance-Strukturen ferner Seibt/Cziupka, AG 2015, 93 – 109.
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drohung vor allem für Unternehmen als plausibel anzusehen. Jedenfalls die von Art. 16 MAR adressierten Akteure sind aber ohnehin gesetzlich verpflichtet, betriebsinterne Sicherungssysteme einzurichten444. Ein Präventionsgewinn könnte weiter eintreten, wenn die gerichtliche Durchsetzung zivilrechtlicher Sanktionen wesentlich mehr Erfolgsaussichten hätte als eine straf- oder bußgeldrechtliche Verurteilung. Angesichts der vom BGH aufgestellten Voraussetzungen im Bereich der Kapitalmarktinformationshaftung ist aber auch dies eher zurückhaltend zu bewerten445. Eine dem Kompensationsgrundsatz folgende Schadensersatzhaftung kann somit grundsätzlich eine zusätzliche (!) verhaltenssteuernde Wirkung neben den sonstigen Sanktionsdrohungen entfalten. Die Wirkkraft sollte jedoch nicht sehr hoch veranschlagt werden. Die Voraussetzungen einer Präventionswirkung sollen im nachfolgenden Kapitel näher beleuchtet werden. b) Voraussetzungen der Geltendmachung privater Ansprüche Damit zivilrechtliche Ansprüche tatsächlich durchgesetzt werden, müssen Geschädigte zunächst erkennen können, dass sie durch marktmissbräuchliches Verhalten einen Vermögensnachteil erlitten haben [E.VII.3.b)aa)]. Zudem dürfen keine anderen wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen einer Geltendmachung entgegenstehen [E.VII.3.b)cc)]. Schließlich muss der materielle Haftungstatbestand so ausgestaltet sein, dass die Durchsetzung nicht an unüberwindbaren Darlegungs- und Beweisanforderungen zu scheitern droht [E.VII.3.b)dd)]. aa) Aufdeckbarkeit marktmissbräuchlichen Verhaltens für Private Dass private Akteure gegenüber Aufsichtsbehörden einen „Entdeckungsvorsprung“ haben, wird traditionell für eine private Rechtsdurchsetzung ins Feld geführt446. Dies überzeugt, wenn es wie in Muñoz um die Etikettierung von Konkurrenzprodukten geht, die ein Wettbewerber ohne nennenswerten Aufwand und ohne Zuhilfenahme hoheitlicher Befugnisse selbst überprüfen kann. Die Aktivierung Privater verspricht in der Aggregation eine höhere Informationssammlungs- und -verarbeitungskapazität als ein zentralisiertes behördliches System447. Ob die im 444 Siehe dazu etwa Blazhyyevska/Van Camp, in: De Meuleneere/Pijcke/Rosiers, Market Abuse – Les abus de marché, S. 203 ff. Siehe zudem Art. 9 Abs. 1 lit. a sowie Art. 31 Abs. 1 lit. g MAR als weitere Bestimmungen, die Unternehmen zur Einrichtung von ComplianceMechanismen motivieren dürften, dazu Veil, ZGR 2016, 305, 327 f. 445 Vgl. z. B. Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 661 f. 446 Vgl. Langenbucher, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2014, S. 5, 14. 447 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 237. Träger öffentlicher Gewalt können dagegen historische Informationen besonders effizient sammeln und dabei Skaleneffekte erzielen,
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ersten Zugriff überzeugende Annahme eines generellen privaten Entdeckungsvorsprungs auch speziell für marktmanipulatives Verhalten und Insidergeschäfte gilt, wird genauer betrachtet. (1) Bei Marktmanipulationen Zu entdecken, dass man Opfer einer Marktmanipulation ist, kann außerordentlich schwierig sein, und zwar sowohl im Hinblick auf die Wahrnehmung des Gesetzesverstoßes als auch hinsichtlich der Identifizierung des Täters448. Dies ist eine wesentliche Ursache für die wenig aussagekräftige bis nicht vorhandene Dunkelfeldforschung449. Im Bereich der Marktmanipulation bietet sich die Unterscheidung zwischen handels-, handlungs- und informationsgestützten Verhaltensweisen an450. Zunächst zu handelsgestützten Manipulationen: Private Akteure haben nur begrenzt Einsicht in das eigentliche Handelsgeschehen. Abseits freiwillig veröffentlichter Informationen kann ein Marktteilnehmer ohne Zuhilfenahme Dritter nur bestimmte Transaktionen nachverfolgen, die aufgrund besonderer gesetzlicher Verpflichtungen veröffentlicht werden, wie etwa gedeckte Leerverkäufe, die Schwellenwerte überschreiten451 (Art. 6 Leerverkaufsverordnung452). Dabei werden diese Veröffentlichungspflichten bei Marktmissbrauch möglicherweise gerade verletzt453. Börsen und Handelssystembetreiber können zu vergleichsweise niedrigen Kosten eine Vielzahl an Transaktionsdaten für die zuständigen Behörden sammeln und speichern454. Hierzu sind sie bereits durch MAR, MiFID II und MiFIR berechtigt und verpflichtet455. Dass Private, die sich nicht (als potenzielle whistleblower) in der Sphäre des Manipulators/Insiders bewegen, darüber hinaus Regelverstöße entdecken, die den Aufsichtsbehörden verborgen geblieben sind, ist – jedenfalls bei der ders., in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 179, 188; Weber/Faure, ERPL 2015, 525, 538 m.w.N. 448 Vgl. Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 238 f. 449 s. bereits unter E.III.4.e)bb) ff. 450 Siehe umfassend zur phänomenologischen Erfassung und Typisierbarkeit der Marktmanipulation Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 11 ff. 451 Weitere Beispiele: Insiderinformationen, Eigengeschäfte von Führungskräften, Stimmrechtsmitteilungen etc., einsehbar unter: https://www.unternehmensregister.de. 452 Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. L 86 vom 24. 3. 2012, S. 1 – 24. Einsehbar sind die Transaktionen unter https://www.bundesanzeiger. de. 453 Paralleles Beispiel im Insider-Recht: Insiderdealing von Führungskräften ohne Meldung nach Art. 19 MAR. 454 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 238. 455 Dazu ausführlicher unter E.III.4.e)bb) ff.
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handelsgestützten Manipulation – eher unwahrscheinlich. Bei ihr steht und fällt die Entdeckungswahrscheinlichkeit mit der Leistungsfähigkeit der technischen Systeme (Operationalisierung durch möglichst aussagekräftige Parameter456 und Datenverarbeitungskapazität). Für informationsgestüzte Manipulationen stellt sich die Lage differenzierter dar: Die Veröffentlichung falscher Informationen oder Gerüchte kann in der Breite von einer Vielzahl privater Akteure erfasst werden, wenn diese entsprechend inzentiviert sind457. Dasselbe dürfte für handlungsgestützte Erscheinungsformen der Marktmanipulation gelten. Zumindest professionelle Marktteilnehmer wie Hedge-Fonds oder Banken, die Eigenhandel betreiben, können möglicherweise offen zugängliche Informationen (Indizes, Preise) besser interpretieren, während Aufsichtsbehörden sie zwar sehen mögen, ihre marktmissbräuchliche Relevanz im „Noise“ der Informationen aber unter Umständen nicht erkennen458. So liegt nahe, dass (Information) Trader, die sich auf ein bestimmtes Marktsegment spezialisiert haben, Anomalien aufgrund ihrer besonderen Sachkunde/Marktnähe leichter als solche erkennen und daher einen Verdacht schöpfen können. Sie können somit in manchen Fällen einen relativen „Interpretationsvorteil“ gegenüber einer Aufsichtsbehörde haben, die sämtliche Märkte in ihrer ganzen Breite überwacht. Zudem gibt es einzelne Konstellationen, in denen der betroffene Marktteilnehmer auf der Gegenseite die Manipulation besonders leicht erkennen kann: Wenn etwa ein Manipulator telefonisch Wertpapiere anpreist und der Kurs kurz darauf erheblich einbricht, hat der Erwerber allen Grund zur Annahme, er sei Opfer eines Pump’n’ Dump geworden459. Gibt sich der Täter nicht zu erkennen, müssen aber gegebenenfalls mit Eingriffen in die Privatsphäre verbundene Ermittlungsbefugnisse ausgeübt werden, die wiederum alleine Trägern von Hoheitsgewalt zustehen460. Zudem liegt es nahe, dass ein Anleger zwar möglicherweise einen risikobehafteten Zivilprozess scheut, gleichwohl aber auch ohne Kompensationsabsicht seine „Entdeckung“ einer Aufsichtsbehörde meldet461. Insoweit können Private eine Anstoßfunktion haben, wenn die Behörde durch sie Anlass erhält, ihre hoheitlichen Ermittlungsbefugnisse auszu456 Die Indikatoren für manipulatives Handeln in Anhang I der MAR, die durch Anhang II der Del. VO 2016/522 weiter konkretisiert werden, bieten sich im ersten Zugriff als Basis auch für technische Operationalisierung an. 457 Vgl. Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 238. 458 Man kann hier an Edgar Allen Poe’s Novelle „The Purloined Letter“ denken, in welcher der gesuchte Brief einsehbar herumliegt, der Präfekt ihn jedoch nicht als solchen identifiziert, weil er davon ausgeht, dieser müsse versteckt sein, Poe, Complete Tales and Poems, New York 1975, S. 208 – 222. 459 Zu dieser Manipulationstechnik siehe Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 12 Rn. 141 f. 460 Vgl. Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 239. 461 Krit. wohl Weber/Faure, ERPL 2015, 525, 543.
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üben462. Man würde ihre Rolle jedoch überschätzen, schriebe man Privaten einen generellen „Entdeckungsvorsprung“ zu. (2) Bei Insiderhandel Insiderdelikte sind auch ohne besondere Verschleierungsmaßnahmen besonders schwer aufdeck- und verfolgbar463. In der Praxis der BaFin hat sich im Laufe der Zeit ein zweischrittiges Verfahren herausgebildet: Im Rahmen der sog. Marktanalyse sammelt sie Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen (allgemein zugängliche Medieninformationen, Ad-hoc-Mitteilungen, Anzeigen der Handelsüberwachungsstellen464 etc.) und wertet diese mithilfe bestimmter mathematischer Verfahren aus465. Danach leitet sie in den Fällen mit besonderer Auffälligkeit eine sog. förmliche Insideruntersuchung ein466. Banken übermitteln der BaFin die Eckdaten jedes abgeschlossenen Geschäfts467. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, andere Kreditinstitute, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Betreiber von außerbörslichen Märkten werden über Anzeigepflichten in die Marktanalyse eingebunden (nun Art. 16 Ua. 2 MAR). Im Rahmen der förmlichen Insideruntersuchungen ermittelt die BaFin die Insider unter Zuhilfenahme des Insiderverzeichnisses (nun in Art. 18 MAR) und ihrer Untersuchungsrechte468. Nach Ermittlung der Transakteure über die Banken werden diese mit den Insidern abgeglichen469. Geschädigten Anlegern wird es in der Regel nicht möglich sein, einen Insiderverstoß aufzudecken, da sie nicht die technischen und hoheitlichen Erkenntnismittel haben, die einer Aufsichtsbehörde zur Verfügung stehen, und Verstöße wohl in den meisten Fällen nur durch eine Zusammenschau und Auswertung unterschiedlicher Datensätze entdeckt werden können. Dies spricht zwar nicht dagegen, Anlegern Schadensersatzansprüche einzuräumen. Diese würden jedoch kaum zur Generierung zusätzlicher Informationen führen. Ihre Durchsetzbarkeit wäre weitgehend abhängig von behördlichen Verfahren. 462
12, 15.
Gleichsinnig Weber/Faure, ERPL 2015, 525, 534; ähnlich Beneke/Thelen, BKR 2017,
463 Vgl. Binninger, Gewinnabschöpfung als kapitalmarktrechtliche Sanktion, 2010, S. 161. Gleichsinnig Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 249 f.; Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 137 f. näher zur Tatentdeckung und zum Führen des Tatnachweises. 464 Siehe § 7 BörsG. 465 Himmelreich, Insiderstrafverfolgung durch die BaFin, 2013, S. 73; vgl. Villeda, Prävention und Repression von Insiderhandel, 2010, S. 330 ff.; Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 57 ff. 466 Himmelreich, Insiderstrafverfolgung durch die BaFin, 2013, S. 73; vgl. Villeda, Prävention und Repression von Insiderhandel, 2010, S. 338 f.; Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 67 ff. 467 Himmelreich, Insiderstrafverfolgung durch die BaFin, 2013, S. 86. 468 Himmelreich, Insiderstrafverfolgung durch die BaFin, 2013, S. 87 ff. 469 Himmelreich, Insiderstrafverfolgung durch die BaFin, 2013, S. 100 f.
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(3) Zwischenergebnis Die Schwierigkeit, marktmissbräuchliches Verhalten überhaupt erst zu entdecken, relativiert die von einer Haftung erhoffte Präventionswirkung erheblich, da dieser Umstand dem potenziellen Täter bewusst sein dürfte. Ein zusätzlicher Informationsvorteil durch eine Schadensersatzbewehrung könnte allenfalls im Bereich der informations- und handlungsgestützten Marktmanipulation erzielt werden, wenn der Täter seine Identität offengelegt hat470, also etwa bei einer Marktmanipulation durch fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen. Zudem können informierte Marktteilnehmer auch ohne Kompensationsanspruch bereit sein, Aufsichtsbehörden Meldung zu erstatten, und zudem gesetzlich dazu verpflichtet sein (siehe etwa Art. 16 Abs. 1 Ua. 2, Abs. 3 MAR)471. Einen generellen „Entdeckungsvorsprung“ haben private Anleger allerdings nicht. Vielmehr werden Anleger eher selten Informationen beisteuern können, die für die Aufdeckung marktmissbräuchlicher Verhaltensweisen einen Mehrwert gegenüber den Daten haben, die den Aufsichtsbehörden bereits aufgrund der diversen gesetzlichen Meldepflichten zugeliefert werden müssen. bb) Vorliegen eines (bestimmbaren) Schadens Während es aus behördlicher Sicht im Einzelfall durchaus sinnvoll sein kann, einen sehr komplexen und kostenintensiven Fall zu verfolgen, um ein abschreckendes Exempel zu statuieren, wird ein Privater nur aus seiner Sicht „lohnende Fälle“ verfolgen472. Akteure haben nur dann einen Anreiz zur Rechtsdurchsetzung, sofern sie durch das marktmissbräuchliche Verhalten einen individuellen Vermögensnachteil erlitten haben, den sie mittels einer Zivilklage geltend machen können. (1) Bei Marktmanipulation Marktmanipulatoren bewegen Preise, wobei sie diese im Gegensatz zu Insiderhändlern nicht den Fundamentalwerten der Finanzinstrumente annähern, sondern sie von ihnen entfernen473 (oder diesen nur zufälligerweise annähern474). Der Funda470 So auch Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 246, 249. 471 In diesem Zusammenhang ist wiederum auch auf die im Schrifttum angestellten Überlegungen zur intrinsischen Motivation bei whistleblowing zu verweisen, siehe etwa Schmolke, JZ 2015, 121, 127 f. m.w.N. 472 Vgl. Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 319. 473 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 374; s.a. Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, 100, 110. Siehe schon oben unter E.VI.4.a)aa). 474 Eine manipulationsbedingt zufällige Kursbewegung in Richtung Fundamentalwert entfällt spätestens mit Enttarnung der Manipulation, sie ist aber auch sonst der Kapitalmarkteffizienz abträglich, da sich wahre Informationen jederzeit einpreisen können und das Finanzinstrument dann im Ergebnis wieder falsch bewertet wird.
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mentalwert ist der Wert, auf den sich alle Marktteilnehmer einigen würden, wenn sie im Besitz aller kursrelevanten Informationen wären475. Ob Utilitätshändler476 durch eine bestimmte Manipulation einen Schaden erleiden, ist rein zufällig – stehen sie „auf der falschen Seite“ des Handelsgeschäfts, so kommt es zum Schadensfall, wenn sie verkaufen und der Kurs zu niedrig ist oder wenn sie kaufen und der Kurs zu hoch ist477. Informationshändler werden geschädigt, wenn sie gezwungen sind, ihre Positionen aufzulösen, während sich diese manipulationsbedingt vom Fundamentalwert entfernen478. Sowohl Poelzig479 als auch Hellgardt480 befürworten dem Grunde nach eine Übertragung der Schadensberechnung im Rahmen der §§ 97, 98 WpHG auf die Konstellationen marktmissbräuchlichen Verhaltens. In beiden Situationen kann man einen Kursdifferenzschaden annehmen, der in der Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetischen, angemessenen Transaktionspreis besteht481 und mit der Differenzhypothese482 vereinbar ist483. Die Wahlmöglichkeit eines Transaktionsschadens ist nach Hellgardt nicht unionsrechtlich geboten484, nach Poelzig nur bei informationsgestützten Manipulationen485. Die Annahme eines Kursdifferenzschadens erscheint als gangbarer Weg zur individuellen Inzentivierung des betroffenen Anlegers. (2) Bei Insiderhandel Bei Insiderhandel ist dagegen umstritten, ob und inwieweit dieser überhaupt einen individuellen Anlegerschaden verursacht. Die Frage überschneidet sich mit der generellen Diskussion über die ökonomische Sinnhaftigkeit eines Insiderhandels-
475 Harris, Trading and Exchanges, 2003, S. 222 f.; Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 72 ff.; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 49. Hintergrund ist die Kapitalmarkteffizienzhypothese in ihrer halbstrengen Form, siehe dazu näher Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, 12th ed. 2017, S. 332. 476 Vgl. Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 722 ff. (2006); Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 85 ff.; Harris, Trading and Exchanges, 2003, S. 176 ff. zur Kategorisierung von Händlern. 477 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 374. 478 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 374. 479 Poelzig, ZGR 2015, 801, 832 f. 480 Hellgardt, AG 2012, 154, 166. 481 Weichert, Der Anlegerschaden bei fehlerhafter Kapitalmarktpublizität, 2008, S. 209. 482 Zum normativen Schadensbegriff siehe Schmolke, ZBB 2012, 165, 171; Oetker, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 17, 23. 483 Zu den teleologisch-ökonomischen Argumenten für eine Beschränkung auf den Kursdifferenzschaden vgl. Schmolke, ZBB 2012, 165, 175. 484 Hellgardt, AG 2012, 154, 166. 485 Poelzig, ZGR 2015, 801, 832 f.
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verbots486. Diese vielfach umfangreich abgehandelte Problematik soll hier nicht ausgebreitet werden487. Indes soll aufgezeigt werden, dass bei Insiderhandel schon die Annahme eines individuellen Vermögensschadens problematisch ist. Nach Manne ist Insiderhandel ein victimless crime488 : Es sei praktisch ausgeschlossen, dass ein Anleger gerade durch den Insider zum Abschluss des Geschäfts verleitet oder vom Handel ausgeschlossen wurde, hätte er das Geschäft doch mit einem anderen Teilnehmer zu denselben Konditionen abgeschlossen489. Nach dieser Ansicht fehlt es also an einem kausalen Schaden. Anders sei dies nur in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Insider den Anleger unmittelbar verleiten würden, in die entgegengesetzte Richtung zu handeln, oder wenn Insider Transaktionen desselben Typs verhindern würden490. Ein weiterer Ausnahmefall wird von Einigen angenommen, wenn ein nichtinformierter Anleger mittelbar durch die Marktbewegung in Folge des Insiderhandels zu einer ungünstigen Transaktion verleitet wird491. Auch wenn man den erstmalig wohl von Manne geäußerten Einwand der hypothetischen Kausalität492 nicht gelten lässt, sind einige Konstellationen möglich, in denen durch ein Insiderverhalten betroffene Anleger gerade keinen Nachteil erleiden und infolgedessen auch nicht inzentiviert sein können, den Insiderverstoß privatrechtlich zu verfolgen493 : So gewinnt etwa ein passiver Anleger, wenn der Insider aufgrund einer positiven Insiderinformation handelt und damit einen Kursanstieg herbeiführt494. Bei der Einpreisung einer negativen Insiderinformation durch Insiderdealings realisiert sich für den passiven Anleger dagegen nach Hartmann ein allgemeines Geschäftsrisiko, da der Preis ständig negative Informationen reflektieren muss und der Marktpreis dem wahren Fundamentalwert angenähert wird495. 486 So auch Villeda, Prävention und Repression von Insiderhandel, 2010, S. 69 Fn. 399. Siehe zur ökon. Sinnhaftigkeit überblicksmäßig Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 93 ff. m.w.N. Siehe auch oben unter E.VI.4.a)bb). 487 Vgl. näher Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 46 f.; Villeda, Prävention und Repression von Insiderhandel, 2010, S. 69 ff. 488 Manne, 31 J. Corp. L. 167, 185 (2005). 489 Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, Vor §§ 12 – 14 Rn. 99, 100; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor §§ 12 – 14 Rn. 115 m.w.N. Villeda, Prävention und Repression von Insiderhandel, 2010, S. 70: „hypothetische Kausalität“. Dagegen bereits Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973, S. 47 Fn. 40. 490 Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 46 f.; Krauel, Insiderhandel, 2000, S. 43. 491 Sog. induced selling, vgl. Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 79. 492 Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 79. 493 Wobei das Sanktionierungsbedürfnis sowohl im Hinblick auf die sozialen Folgekosten als auch unter Fairnessgesichtspunkten in derlei Fällen gerade nicht entfällt. 494 Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 42 f. 495 Vgl. Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 43. Anders wohl Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973, S. 46, die auf die Un-
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Für Utility-Händler mag im Einzelfall ein Verlust entstehen, der bei Portfoliodiversifikation aber durch statistisch gleichverteilte insider-induzierte Mitnahmegewinne kompensiert wird496. Kann sich ein Anleger eine Kursentwicklung nicht anders als durch Insiderhandel erklären und handelt er parallel zum Insider, gewinnt er ebenfalls bis der Kurs die Insiderinformation voll eingepreist hat497. Umgekehrt erleidet der Anleger einen Nachteil, wenn er aufgrund der insider-induzierten Kursbewegung verkauft, obwohl er nach Bekanntwerden der Information durch einen weiteren Kursanstieg einen noch höheren Preis hätte erzielen können498. Einen Nachteil hat auch der auf der Marktgegenseite zum Insider stehende Anleger, der bei einer positiven Insiderinformation zu billig verkauft, oder bei einer negativen Insiderinformation zu teuer gekauft hat499. Der Anleger verliert also keineswegs immer. Doch selbst wenn dies der Fall ist, bleibt in normativer Hinsicht zweifelhaft, ob der Nachteil überhaupt als rechtlich relevanter Schaden aufgefasst werden sollte500. Berücksichtigt man, dass Insiderhandel den Marktpreis dem Fundamentalwert annähert501 und dass dieser stets aus den Variablen des erwartbaren Cashflows sowie den erwartbaren Risiken gebildet wird502, überzeugt die Annahme, dass ein Anleger einen von vornherein „beweglichen Vermögensgegenstand“ erwirbt und sich in der insiderinduzierten Annäherung an den „wahren Wert“ lediglich das mit jeder Anlage verbundene Bewertungsrisiko verwirklicht503. Demnach kann der Insider den uninformierten Anleger nur insoweit beeinträchtigen, als dieser aufgrund seines Informationsdefizits nicht ebenfalls eine zusätzliche Gewinnchance realisieren oder die Realisierung eines Verlustrisikos vermeiden kann504. Die Übervorteilung durch das Ausnutzen eines privilegierten und nicht wettbewerblich erworbenen Informationsvorsprungs mag unfair sein und ein Verbot legitimieren, begründet aber richtigerweise keinen Schaden, da der Marktwert nur dem „wahren Wert“ des Finanzinstruments angenähert wird.
gleichverteilung der Geschäftschance abstellen. Dagegen wiederum Schörner, Gesetzliches Insiderhandelsverbot, 1991, S. 46 ff. 496 Vgl. rechtsökonomisch Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 372 f. Zur Einzelfallbetrachtung Möllers AcP 208 (2008), 1, 28. 497 Krauel, Insiderhandel, 2000, S. 43 f.; Cox, 1986 Duke L. J. 628, 637 Fn. 33 (1986). 498 Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 79 f. 499 Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 44 f. Hier könnte ebenfalls ein Kursdifferenzschaden angenommen werden, vgl. Villeda, Prävention und Repression von Insiderhandel, 2010, S. 69 f. 500 So aber Steinhauer, Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizität, 1999, S. 70 ff. 501 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 374. 502 Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 352 f.; Harris, Trading and Exchanges, 2003, S. 222 f. 503 Gleichsinnig wohl Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 44. 504 So spricht Schörner vom „Abbau einer Begünstigung“ anstatt von einer „Schädigung“, vgl. Schörner, Gesetzliches Insiderhandelsverbot, 1990, S. 59.
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Dies mag ein Vergleich mit dem im Straßenverkehr geltenden Vertrauensgrundsatz verdeutlichen, nach dem man sich als Verkehrsteilnehmer auf das regelkonforme Verhalten anderer verlassen darf. Ebenso darf ein Anleger darauf vertrauen, dass andere Marktteilnehmer die Preisbildung nicht manipulativ verzerren. Wahre Informationen können aber jederzeit durch externe Ereignisse in den Preis eingearbeitet werden (auch unabhängig von der Erfüllung der Ad-hoc-Pflichten). Infolgedessen gibt es kein schützenswertes Vertrauen in einen falschen Preis, das schadensrechtlich abzusichern wäre. Stattdessen kommt die Einpreisung wahrer Informationen durch Insiderhandel der Realisierung eines allgemeinen Marktrisikos im Ergebnis gleich. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die geltende Haftungsregelung der §§ 97, 98 WpHG: Sie knüpft die Haftung an das Vorenthalten bzw. das Verfälschen einer für die Preisbildung relevanten Information an, nicht an die Ausnutzung eines dadurch erlangten Wissensvorsprungs. Die §§ 97, 98 WpHG vermeiden damit die mit einer pauschalen Haftungsbewehrung des Insiderverbots verbundenen Probleme505 und tragen so mehr zur Informationseffizienz bei. Obwohl gewichtige Stimmen eine individuelle, rechtlich relevante Schädigung gleichwohl bejaht haben506, hat sich weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ein Konsens darüber gebildet. (3) Zwischenergebnis Auch wenn die ökonomische Sinnhaftigkeit eines Marktmanipulations- und Insiderhandelsverbots mittlerweile nach wohl überwiegender Auffassung zu Recht außer Frage steht507, werden keineswegs alle Anleger, die von einem marktmissbräuchlichen Verhalten betroffen sind, benachteiligt. Abgesehen von der Gruppe der Informationshändler ist es bei Marktmanipulationen rein zufällig, ob man als Anleger profitiert oder verliert. Dadurch wird nur ein Teil der Betroffenen sich überhaupt veranlasst sehen, privatrechtlich gegen den Manipulator vorzugehen. Die Annahme einer individuelle Anlegerschädigung fällt bei der Marktmanipulation jedoch leichter, weil sie die Preisbildung im Gegensatz zum Insiderhandel wahrheitswidrig verzerrt. Insiderhandel benachteiligt ebenfalls nicht alle betroffenen Anleger. Die besseren Gründe sprechen zudem dafür, einen individuellen Vermögensschaden beim Insi505
Vorausschauend hat sich Hartmann schon vor der Normierung der §§ 37b, 37c WpHG a.F. für eine im Kern aber vergleichbare Haftung nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 15 WpHG a.F. ausgesprochen, vgl. Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 250 f. 506 Eindrücklich Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973, S. 47: „An der Tatsache, dass die Insidertransaktion – bei steigenden Kursen wie bei fallenden – den Nichtinformierten schädigt, führt kein Weg vorbei.“ 507 Vgl. Fleischer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor § 20a Rn. 9. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 24 ff.; offen Zetzsche, in: Gebauer/ Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 51.
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derhandel ganz zu verneinen. Infolgedessen kann eine zivilrechtliche Haftung aber auch nicht zur Prävention bzw. Sanktionierung des Insiderhandels instrumentalisiert werden. cc) Keine gegenläufigen wirtschaftlichen Interessen Bei einem Private Enforcement kann es sowohl zu einem Über- als auch zu einem Untermaß an Rechtsdurchsetzung kommen508 : Bei Streuschäden509 kann es angesichts der Rechtsverfolgungskosten und des Prozessrisikos rational sein, auf die Geltendmachung von Schadensersatz zu verzichten. Dies kann nur durch entsprechende kollektive Klagemöglichkeiten aufgefangen werden510, die das KapMuG jedenfalls in seiner gegenwärtigen Verfassung nicht liefert. Lassen sich gesetzeswidrige von legalen Verhaltensweisen nur schwer abgrenzen, was insbesondere auf Techniken der Kursbeeinflussung zutrifft, können Private auch motiviert sein, gleichwohl zu klagen und sich dann den Lästigkeitswert der Klage abkaufen zu lassen (die Folge ist ein over-enforcement)511. Es sind zudem weitere Konstellationen denkbar, in denen es gar nicht im Interesse des Geschädigten wäre, einen Schadensersatzanspruch wegen marktmissbräuchlichen Verhaltens durchzusetzen: So beispielsweise, wenn durch das öffentliche Bekanntwerden der Marktmanipulation ein weiterer Kursverfall zu befürchten wäre, was man als Gefahr eines „Vertiefungsschadens“ bezeichnen könnte. Dieser wäre zwar grundsätzlich ersatzfähig, da adäquat-kausal zurechenbar, den Geschädigten würde aber auch insoweit die Darlegungs- und Beweislast treffen. Erkennt ein geschädigter Marktteilnehmer eine Manipulation, kann es für ihn vorteilhafter sein, als Trittbrettfahrer auf den laufenden Trend aufzuspringen und selbst von der Manipulation zu profitieren. Ein prominentes Beispiel, wie schnell man als Geschädiger einer Manipulation vom Gejagten zum Jäger werden kann, liefert der Harlem Railroad Corner: In diesem Fall aus dem Jahr 1863 wurde ein Anleger Opfer eines groß angelegten bear raid, jedoch erkannte er diesen, kaufte sämtliche Unternehmensanteile auf und cornerte dann den Markt, indem er die (anderen) Manipulatoren schließlich zur Begleichung ihrer short-Positionen zu einem mehr als doppelt so hohen Preis zwang, als dieser vor der Manipulation stand512. 508
Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 240; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 372. 509 Allgemein zu Streuschäden siehe Schaub, JZ 2011, 13. 510 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 240. 511 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, S. 240 f.; vgl. ders., in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 179, 192. 512 Wiedergabe nach Allen/Gale, 5 Rev. Fin. Stud. 503, 504 (1992).
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Ebenso kann es sich beim Insiderhandel für den betroffenen Anleger lohnen, sich parallel zum Insider zu verhalten und somit von der Einpreisung der Insiderinformation zu profitieren. Eine Trittbrettfahrer-Problematik kann auch dergestalt entstehen, dass mutmaßliche Anspruchsinhaber auf die Durchsetzung verzichten, bis ein anderer Marktteilnehmer einen vergleichbaren Rechtsstreit mit Erfolg ausgefochten hat513. Schließlich kann die begrenzte Solvenz eines mutmaßlichen Täters von der prozessualen Durchsetzung entsprechender zivilrechtlicher Ansprüche abhalten. Ein Anleger, der (zunächst) einen Schaden erlitten hat, kann also auch wirtschaftliche Interessen haben, die ihn von einer Schadensersatzklage abhalten. dd) Anlegerfreundliche Ausgestaltung der Haftungsvoraussetzungen Es entspricht rationalem Desinteresse, auf eine private Rechtsdurchsetzung zu verzichten514, wenn diese mit übermäßigen Darlegungs- und Beweisanforderungen sowie einem unverhältnismäßigen Kostenrisiko befrachtet ist. Derartige Haftungsregelungen erweisen sich dann als kontraproduktiv, da sie als bloß symbolisches law in the books das Normvertrauen untergraben, das sie eigentlich befördern sollen515. Sie sind dann symbolisches Recht, dessen Anwendungsdefizit das Opfer erneut frustriert516. Unzureichend durchgesetzte Regelungen bringen Rechtsverletzern zudem relative Wettbewerbsvorteile ein und können auch insoweit schädlicher sein als ein genereller Regelungsverzicht517. Voraussetzung dafür, dass private Durchsetzung ein geeignetes Mittel zur Wirksamkeitssteigerung darstellt, ist also eine entsprechend anlegerfreundliche Ausgestaltung der materiellen und prozessualen Durchsetzungsbedingungen518. Der Kreis derer, die im Ergebnis aktivlegitimiert sind, muss so weit gezogen werden, dass die Summe der durchsetzbaren ersatzfähigen Vermögensbeeinträchtigungen abschreckend ist519. Andererseits dürfen diese aber nicht so günstig sein, dass es zu einer Überprävention (over-deterrence)
513 Langenbucher, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2014, 5, 13 f. Zur Free-Rider-Problematik im kollektiven Rechtsschutz siehe Möllers/Pregler, ZHR 176 (2012), 144, 165 ff. 514 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 301; s.a. Alexander, GRUR Int 2005, 809, 811. 515 Vgl. Möllers/Niedorf, zur Rating-VO, ECFR 2014, 333, 362 f.; Hartmann, Juristische und ökonomische Regelungsprobleme des Insiderhandels, 1999, S. 250 gegen zivilrechtliche Sanktionen für Insiderhandel. 516 In strafrechtlicher Hinsicht Weigend, StV 10/2016, S. I (Editorial). 517 Maume, ZHR 180 (2016), 358, 362. 518 Eine solche Ausgestaltung muss auch keineswegs zu einer Überabschrechung oder einem over-enforcement führen, solange der Normbefehl der Verhaltensnormen klar erkennbar ist. 519 In kartellrechtlichem Kontext vgl. Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 18, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130.
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kommt520. Schließlich muss der Gesetzgeber sinnvollerweise verhindern, dass die Kosten der Rechtsdurchsetzung nicht den mit ihr verbundenen sozialen Nutzen übersteigen521. Die hier sichtbar gemachten Schwierigkeiten bei der Zurechnung zwischen einem konkreten marktmissbräuchlichen Verhalten und einem dadurch hervorgerufenen individuellen Schaden522 zeigen, dass das Marktverhaltensrecht bei einer Haftbarmachung mit einer Aufgabe befrachtet wird, auf die es eigentlich nicht zugeschnitten ist. Insbesondere die Herausrechnung aller anderen unternehmensinternen und -externen Einflussfaktoren auf die Kursbildung können auch finanzökonomische Verfahren nur annäherungsweise leisten. Eine solche Haftungsbewehrung kann dann auch nur „lebendiges Recht“ sein, wenn sie durch verrechtlichte Heuristiken wie Pauschalierungen, Schätzungsbefugnisse oder Vermutungsregelungen abgestützt und dadurch erst handhabbar gemacht wird523. So sollte ein spezieller Haftungstatbestand beispielsweise nur den Nachweis von Preiskausalität, nicht aber der Transaktionskausalität verlangen, an dem in der Vergangenheit regelmäßig Klagen auf Grundlage von § 826 BGB gescheitert sind524. Das Erfordernis einer gesetzgeberischen Ausarbeitung, die in einen sekundären EU-Rechtsakt mündet, ist, wie der EuGH selbst in anderem Zusammenhang festgestellt hat, ein starkes Argument auf eine Rechtsfortbildung zu verzichten525. c) Ergebnis Damit ein Private Enforcement geeignet ist, die Durchsetzung der Art. 14, 15 MAR zu steigern, müssen einige tatsächliche Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere die Aufdeckung marktmissbräuchlichen Verhaltens dürfte Privaten schwer fallen, von Fällen der informations- und handlungsgestützten Manipulation abgesehen. Die Ausgestaltung der Schadensersatzhaftung darf weder zu rationaler Apathie noch zu einem over-enforcement führen. Eine bloße Rezeption der Art. 14, 15 MAR über das allgemeine Deliktsrecht kann dies kaum sinnvoll leisten.
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Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 319; s.a. unter E.VII.3.b)dd) sowie unter E.VII.4. 521 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 312. Grundlegend Shavell, 36 The Journal of Law and Economics 255 – 287 (1993). 522 Siehe dazu schon unter E.VI.4.b)bb)(5). 523 Vgl. insoweit den allerdings starker Kritik ausgesetzten Entwurf zum KapInHaG, abgedruckt in NZG 2004, 1042; s. zur Rolle der Kapitalmarkteffizienzhypothese für Zivilprozesse in den USA Sergakis, The Law of Capital Markets in the EU, 2018, S. 194 ff. 524 Vgl. dazu etwa Poelzig, ZGR 2015, 801, 833 ff.; Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/ Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 661 f. 525 EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, C-101/08, Slg. 2009 I-09823 Rn. 62 f. – Audiolux u. a.
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4. Gefahr der Überabschreckung? Vielfach wird die Gefahr gesehen526, eine zusätzliche zivilrechtliche Haftung könne zu einer „Überabschreckung“ der Marktteilnehmer führen, wodurch diese aus Furcht vor Sanktionen von eigentlich legalen, möglicherweise auch volkswirtschaftlich sinnvollen Handelsstrategien Abstand nähmen527. Eine Haftung wäre dann weniger geeignet, die Regelungsziele der MAR zu erreichen. Ein Normadressat muss erkennen können, welche Verhaltensweisen einer Verbotsnorm unterfallen und welche legal sind, damit diese die vom Gesetzgeber gewünschte verhaltenssteuernde Wirkung entfalten kann528. Natürlich gibt es zahlreiche klare Fälle wie die Täuschung durch fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen. Aber gerade im Bereich des algorithmisierten Handels kann es Praktiken geben, die die Bewertungs- und Informationseffizienz steigern und daher erwünscht sein sollten, deren Legalität aber zweifelhaft ist. Dies gilt etwa für Arbitragestrategien529, die den Informationsgehalt von Preisen verbessern530. Die Abgrenzung zwischen innovativen Handelsstrategien und verbotenen Verhaltensweisen kann im Einzelfall schwierig sein. Das Problem der Überabschreckung stellt sich dabei zunächst in allgemeiner Form beim rule design, d. h. der tatbestandlichen Ausgestaltung der Marktverhaltensnormen531. Ob der MAR-Verordnungsgeber die legislatorische Herausforderung gemeistert hat, kann angesichts des komplexen Regelungscorpus532 in Zweifel gezogen werden. Eine tatsächlich vorhandene Überabschreckung führt bei Private Enforcement dazu, dass es gar nicht zu einer gerichtlichen Klärung kommt. Lassen sich einzelne Marktteilnehmer nicht abschrecken und werden sie verklagt, stellt sich für jeden Einzelfall die Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit und es besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen. Es ist auch keineswegs widersprüchlich, zwar die Präventionswirkung einer etwaigen zivilrechtlichen Haftung als begrenzt anzusehen, zugleich aber eine Über526 Siehe beispielsweise Schmolke, AG 2016, 434, 439 ff.; Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 240 f.; Poelzig, ZGR 2015, 801, 825 f. 527 Vgl. Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 240 f.; s.a. Davies, 9 J. Corp. L. Stud. 295, 301 f. (2009). 528 Vgl. zum Beispiel die Erwägungen in BT-Drs. 18/7826, unter 2. Siehe auch IOSCO, Credible Deterrence In The Enforcement Of Securities Regulation, Juni 2015, S. 10 ff. 529 Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 241; s. ferner Hayek, 35 American Economic Review, 519, 521 f. (1945) zum Nutzen des Arbitrage und der dazu im Kontrast stehenden gesellschaftlichen Wahrnehmung. 530 Siehe zur Rolle von Arbitrageuren etwa Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 50 ff. 531 Siehe Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 468. 532 Vgl. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 72 ff.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
abschreckungsgefahr nicht von der Hand zu weisen: Eine zivilrechtliche Haftung mag den risikoaffinen Akteur nicht abschrecken, der – wenn überhaupt – nur von strafrechtlichen Sanktionen abgeschreckt wird. Ein eher risikoscheuer Akteur kann gleichzeitig von letztlich legalen Handelsstrategien Abstand nehmen. Die Überabschreckungsgefahr kann jedoch verringert werden533, etwa indem der Verschuldensmaßstab auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gesenkt wird534 (etwa durch entsprechende Anwendung der §§ 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 WpHG535). Eine Haftung sogar für leichte Fahrlässigkeit würde die Überabschreckungstendenz unnötigerweise verschärfen. Zudem ist davon auszugehen, dass bereits die strafrechtliche Sanktionierung eine erhebliche Abschreckungswirkung entfaltet536 und eine zusätzliche zivilrechtliche Haftung diese zumindest für risikoaverse Personen nicht nennenswert verschärfen dürfte. Der Gesichtspunkt einer möglichen Überabschreckung spricht im Ergebnis nicht per se gegen eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch. 5. Haftung als Beitrag zum Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz Das von Erwägungsgrund (2) MAR angesprochene „reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärke“ könnte (auch) davon abhängen oder mindestens dadurch begünstigt werden, dass Anleger Schäden durch Marktmissbrauch ersetzt verlangen können. Dies wäre der Fall, wenn Anleger sich (auch) dann für eine Investition am Sekundärmarkt entscheiden, weil das Marktmissbrauchsrisiko durch eine zivilrechtliche Haftung mindestens teilweise neutralisiert wird. In diesem Falle würde die Haftung die Liquidität steigern und dergestalt zur relativen Kapitalmarkteffizienz beitragen. Soweit ersichtlich gibt es jedoch keine empirischen Untersuchungen zu einer Korrelation zwischen etwa der Aktionärsquote und der Intensität des zivilrechtlichen Haftungsschutzes im Vergleich verschiedener Kapitalmarktjurisdiktionen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur findet der Gesichtspunkt des Haftungsschutzes bei der Erklärung von (Des)investitionsentscheidungen wenig bis gar keine Berücksichtigung537. Es scheint zudem wenig plausibel, dass ein Anleger seine Entscheidung, in einem bestimmten Kapitalmarkt zu investieren, vom dort gewährten zivilrechtlichen Haftungsschutz abhängig macht. Vorrangig dürfte der wirtschaftlich verfolgte Zweck und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des avisierten Kapitalmarktes sein. Dies ist auch bei einer Anlageentscheidung an einem 533
Poelzig, ZGR 2015, 801, 826. Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, S. 709; Poelzig, ZGR 2015, 801, 826. 535 Siehe Poelzig, ZGR 2015, 801, 835 f.; Hellgardt, AG 2012, 154, 166. 536 Siehe hierzu ausführlich unter E.VIII.4.c). 537 Vgl. bspw. Nagy/Obenberger, 50 Financial Analysts Journal, 63 – 68 (Jul.-Aug. 1994). 534
VII. Geeignetheit einer zivilrechtlichen Haftung
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nationalen Finanzmarkt zwischen unterschiedlich zivilrechtlich geschützten Anlageformen anzunehmen (in Zeiten des Niedrigzinses werden Aktien attraktiver538). Bei ensprechender Ausgestaltung verteuert eine zivilrechtliche Haftung aber marktmissbräuchliches Verhalten und kann somit einen zusätzlichen Anreiz zur Compliance geben539. Mehr Prävention540 führt wiederum zu mehr „price-protection“. Damit kann eine Haftung, wenn sie präventionswirksam ausgestaltet ist, die Kapitalmarkteffizienz steigern. Dass dieser Effekt jedoch nicht überschätzt werden sollte, wurde bereits ausgeführt541. Ein weiterer Gesichtspunkt lässt plausibel erscheinen, dass eine Haftung die Kapitalmarkteffizienz mindestens begünstigt: Werden im Zuge von Schadensersatzklagen marktmissbräuchliche Fälle aufgedeckt und dem Anlegerpublikum bekannt, können die Anleger die damit verbundenen Informationen wiederum in den Preis einarbeiten und dadurch den Kurs an den Fundamentalwert annähern. 6. Spillover-Effekte für die repressive Marktmissbrauchsbekämpfung Ein Private Enforcement könnte „positive Nebenwirkungen“ für die öffentliche Rechtsdurchsetzung haben und aus diesem Grund geeignet sein, zur Durchsetzung der Art. 14, 15 MAR beizutragen. Betreten private Akteure ebenfalls das Feld, kann dies durch Arbeitsteilung (Informationsaustausch) eine gewisse Ressourcenentlastung bewirken, bei der insgesamt mehr Fälle verfolgt werden können. Private und Behörden können wechselseitig Verfahren beobachten und vom Verlauf ihre Klageerhebung bzw. Verfahrenseinleitung abhängig machen. Dies darf freilich nicht dazu führen, dass die Mitgliedstaaten dies zum Anlass nehmen, die personellen und technischen Kapazitäten der Aufsichtsbehörden zu kürzen542. Private Enforcement kann letztlich überall dort einen Beitrag zur Sanktionierung des Marktmissbrauchs leisten, wo die öffentliche Rechtsdurchsetzung zu versagen droht. Behörden wird teilweise vorgehalten, sie würden ihre Opportunitätsspielräume möglicherweise zur Verfolgung besonders öffentlichkeitswirksamer Fälle
538
Gleichsinnig DAI, Aktionärszahlen des Deutschen Aktieninstituts 2015, S. 2, abrufbar unter: https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/studien/2016-02-09%20DAI%20Ak tionaerszahlen%202015%20Web.pdf; s. zur Motivation des Anlegerverhaltens auch Stellungnahme des Arbeitskreises Kapitalmarktstrafrecht der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung (WisteV) zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte – 1. FiMaNoG, WiJ, 2016, 123, 125 f. 539 Vgl. Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.35. 540 Dazu später ausführlicher unter E.VII.3. 541 Siehe oben unter E.VII.3. 542 Siehe zu dieser Thematik auch W.-H. Roth, WRP 2013, 257, 263 f. unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 6. 10. 2010 – C-389/08, Slg. 2010, I-9073 Rn. 28 – Base u. a.; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 278.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
nutzen543 und ließen sich sogar zur Verfolgung sachfremder politischer Ziele missbrauchen544 (sog. regulatory capture). Sollte dies im Einzelfall zutreffen, könnte eine zivilrechtliche Sanktionierung eine „Auffangfunktion“ haben545. 7. Zwischenergebnis Weder ein empirischer Befund noch eine modellhafte Betrachtung deutet darauf hin, dass eine private Rechtsdurchsetzung eine erhebliche Präventionswirkung zugunsten der Art. 14, 15 MAR entfalten kann. Beim Insiderhandel sprechen die besseren Gründe bereits gegen die Annahme eines individuellen Schadens, womit die Grundlage einer Inzentivierung entfällt. Selbst wenn man einen Schaden des Anlegers bejaht, muss es nicht immer in dessen wirtschaftlichem Interesse liegen, diesen auch einzuklagen. Auch in weiterer Hinsicht ist die verhaltenssteuernde Wirkung privater Klagemöglichkeiten in hohem Maße voraussetzungsreich546. Eine private Klagemöglichkeit bei informations- und handlungsgestützter Marktmanipulation kann aber die Aufdeckung speziell informations- und handlungsgestützter Manipulationen wenigstens geringfügig begünstigen, die Gesamtsanktion erhöhen und dergestalt einen Beitrag zur Wirksamkeitssteigerung leisten547. Die Gefahr der Überabschreckung wäre durch eine Anpassung des Verschuldensmaßstabs auflösbar.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit Ein Haftungspostulat, das die Sanktionsordnung des EU-Verordnungsgebers erweiternd korrigiert und die mitgliedstaatliche Gestaltungsfreiheit beschneidet, ist gerechtfertigt, wenn es erforderlich ist, um das Regelungsziel des Verordnungsge-
543 Klöhn, in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 179, 189. Dazu näher Posner, Economic Analysis of Law, 9th ed. 2014, § 24.3 S. 866. 544 Klöhn, in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 179, 189; vgl. Langenbucher, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2014: Anlegerschutz durch Haftung nach deutschem und europäischem Kapitalmarktrecht, 2014, S. 5, 13 f.; s.a. Ackermann, in: Casper/Klöhn/Roth/ Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 1, 5. 545 In diese Richtung Clopton, 69 Vand. L. Rev. 285 – 332 (2016); s.a. gleichsinnig Alkhamees, 20 Journal of Financial Regulation and Compliance, 41, 51 f. (2012). Zum Konzept wechselseitiger Auffangordnungen grundlegend Hoffmann-Riehm/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 565 ff.; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 310 ff. 546 Ackermann, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 1, 11: „institutionelles und verfahrensmäßiges Arrangement“. 547 Gleichsinnig Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 245.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
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bers zu erreichen548. Dies ist der Fall, wenn die Art. 14, 15 MAR durch das Public Enforcement nicht ausreichend durchgesetzt549 werden können550. 1. Bedürfnis nach empirischer Überprüfung des Durchsetzungsdefizits Das Durchsetzungsdefizit bleibt zentraler Ausgangspunkt einer (möglichen) Ausdehnung horizontaler Haftung durch den EuGH551. Ob das Vorliegen eines Durchsetzungsdefizits grundsätzlich mittels empirischer Erkenntnismittel überprüft werden sollte, verdient eine nähere Betrachtung. Der EuGH hat dies in seiner kartelldeliktsrechtlichen Rechtsprechung nicht für erforderlich gehalten. Auch in anderen Bereichen wie im Lauterkeitsrecht bemühte er sich bislang kaum um eine empirische Rückbindung seiner Auslegungsergebnisse552. Dabei darf der Gedanke praktischer Wirksamkeit nicht zur silver bullet werden, die eine argumentative Klärung vorzeitig beendet. Die Frage der empirischen Überprüfung war auch Gegenstand der LissabonEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts553, sodass sich hier ein kurzer Brückenschlag anbietet: In der Entscheidung befasste sich das Bundesverfassungsgericht u. a. mit der Verfassungskonformität des Art. 83 Abs. 2 Satz 1 AEUV, auf dessen Grundlage nunmehr bekanntlich die CRIM-MAD ergangen ist. Es stellte fest, dass der europäische Normgeber die strafrechtliche Harmonisierungskompetenz nur in verfassungskonformer Weise in Anspruch nehmen könne, wenn nachweisbar sei,
548
Vgl. Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 521, der von der „Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit bei Nichtdurchsetzung durch Schadensersatzansprüche“ spricht. 549 Zum Teil wird auch von „Vollzugsdefizit“ gesprochen: Dies erscheint passender bei dem klassischen dezentralen Vollzug von Unionsrecht durch mitgliedstaatliche Behörden. Bei unmittelbar geltenden unionalen Verhaltensnormen, bei denen lediglich die Sanktionierung von den mitgliedstaatlichen Behörden zu leisten ist, erscheint es im Hinblick auf die Verhaltensnormen treffender, von einem „Durchsetzungsdefizit“ zu sprechen. Beide Begriffe können aber synoym verwendet werden. 550 Dieser Punkt ist für diejenigen irrelevant, die bereits jede Wirksamkeitssteigerung zur Begründung eines Haftungspostulats genügen lassen. Hier wird jedoch ein Verständnis des Effektivitätsgrundsatzes als relatives Optimierungsgebot zu Grunde gelegt, dazu bereits unter E.V.3. 551 Siehe oben unter E.V.2. 552 Vgl. dazu Schweizer, GRUR 2000, 923 f.; Ahrens, WRP 2000, 812. Im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren hat der EuGH vereinzelt bereits auf statistische Daten zurückgegriffen, Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 278 f. mit Verweis u. a. auf EuGH, Urt. v. 1. 2. 2001 – C-333/99, Slg. 2001, I-1025 Rn. 34 f. – Kommission ./. Frankreich; EuGH, Urt. v. 27. 11. 2003 – C-185/00, Slg. 2003, I-14189 Rn. 102 f. – Kommission ./. Finnland. 553 BVerfG NJW 2009, 2267.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
dass ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich bestehe und nur durch die Strafandrohung beseitigt werden könne554. Der Versuch des Bundesverfassungsgerichts (das den AEUV nicht auslegen darf555), den europäischen Normgeber derart zu binden, stieß auf erheblichen Widerspruch im deutschen Schrifttum: Dieser kulminierte im Vorwurf, das Bundesverfassungsgericht versage dem Unionsgesetzgeber die erforderliche Einschätzungsprärogative, welche es dem nationalen Gesetzgeber selbstverständlich zubillige556. Zudem müsse eine unionsrechtlich harmonisierte Verhaltensweise zeitgleich mit einer Strafrechtsharmonisierung verbunden werden können557. Obgleich das Strafrecht in besonderer Weise domaine réservé der Mitgliedstaaten bleibt558, ist diese Kritik berechtigt. Vor diesem Hintergrund mag man eine entsprechende empirische Argumentationslast des Europäischen Gerichtshofs ablehnen, wo dessen rechtsfortbildende Befugnisse in Frage stehen, die sich aus den Kompetenzen des Unionsgesetzgebers ableiten. Dafür scheint zu sprechen, dass eine starre Gegensatzbildung zwischen normativem und empirischem Kriterium ohnehin nicht überzeugt: Wann nämlich ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich besteht, muss offensichtlich wiederum wertend entschieden werden559. Überzeugender ist es aber, eine solche Bindung zwar nicht dem europäischen Gesetzgeber aufzuerlegen, wohl aber dem EuGH: Im Hinblick auf das institutionelle Gleichgewicht560 und die vergleichsweise geringere demokratische Legitimation561 im Verhältnis zum europäischen Gesetzgeber sollte sich der EuGH im Grenzbereich zur legislativen Sphäre eine Selbstbeschränkung auferlegen. Seine Entscheidungen 554
BVerfG NJW 2009, 2267, 2288 Rn. 362. Zur Unerlässlichkeit speziell der CRIM-MAD vgl. Kudlich, AG 2016, 459, 461. Dazu auch Veil, ZBB 2014, 85, 86. 555 Dannecker/Bülte, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 4. Aufl. 2014, 2. Kap. E Rn. 371 m.w.N. 556 Exemplarisch: Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 83 AEUV Rn. 93. 557 Vgl. Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 83 AEUV Rn. 93. 558 BVerfG NJW 2009, 2267, 2288 Rn. 358. Vgl. aber zur Verteidigung des Art. 83 AEUV Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 83 AEUV Rn. 19 ff. 559 Vgl. im Wettbewerbsrecht zur Ist- und Soll-Vorstellung bei § 3 UWG Ahrens, WRP 2000, 812, 813: „quantitative Relevanzschwelle“. 560 Siehe dazu bereits unter E.V.3. 561 Leczykiewicz, in: Leczykiewicz/Weatherill, The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, 2013, S. 199, 206. Umfassend zur Thematik Baltes, Die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit des EuGH und des EuG, 2011; vgl. auch Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 5 Rn. 59 ff. Zutreffend weist Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 5 Rn. 63 f. zudem darauf hin, dass Eingriffe des EuGH in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in legitimatorischer Hinsicht schwerer wiegen als solche in die Rechtsordnung der Union.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
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können eine Pfadabhängigkeit hervorrufen562, aus welcher der eigentlich berufene EU-Gesetzgeber nicht ohne Weiteres ausbrechen kann563. Zieht der EuGH wie häufig in seiner Entscheidungspraxis den effet utile aus Art. 4 Abs. 3 EUV als Auslegungstopos heran, kann er damit auch Primärrecht konkretisieren, das wiederum den EU-Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Sekundärrecht bindet564. Zudem darf der EuGH ebensowenig wie mitgliedstaatliche Gerichte eine Einschätzungsprärogative für sich in Anspruch nehmen. Die durch eine empirische Befassung erhöhte inhaltliche Richtigkeitsgewähr könnte dieses Legitimationsdefizit wenigstens teilweise ausgleichen. Dem EuGH ist es auch verfahrensrechtlich möglich, empirische Fragen zu ermitteln. So kann der Gerichtshof nach Art. 25 EuGH-Satzung jederzeit Gutachten einholen565. Zwar handelt es sich bei der Frage eines generellen Vollzugsdefizits nicht um Falltatsachen, die üblicherweise alleine Gegenstand des Beweisrechts sind566. Eher sollte man hier von „Normtatsachen“567 (oder Rechtsfortbildungstatsachen568) sprechen: Denn es geht um die Zuhilfenahme „vorjuristischer“ Wissensund Erkenntnisbestände zur Operationalisierung von Rechtsnormen und nicht um Einzelfakten, die in ihrer Summe den klassischen Konfliktstoff bilden569. Auch derartige Tatsachen können jedoch sachverständig überprüft werden, da der EuGH hierbei weit freier ist als ein mitgliedstaatliches Zivilgericht570. Dass eine empirische Überprüfung der Durchsetzungssituation grundsätzlich nur möglich ist, wenn die unionsrechtliche Verhaltensvorschrift bereits über einige Zeit erprobt wurde, war ein wesentlicher Kritikpunkt an der Lissabon-Entscheidung571. Er 562 Vgl. bspw. Schmidt, dms 2/2010, S. 455 – 473; s. ferner Haltern, Europarecht, Bd. II, 3. Aufl. 2017, § 9 Rn. 59; zum Phänomen der Pfadabhängigkeit m.w.N. auch Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.14, S. 19. 563 Siehe dazu Höpner, in: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, Jahrbuch 2011/12, S. 79, 80 f. 564 Vgl. differenzierend und mit innovativem Ansatz W.-H. Roth, ZHR 179 (2015), 668 ff.; s. auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 13, abrufbar unter: https://ssrn. com/abstract=3020130. 565 Vgl. dazu Dittert, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, EuGH-Satzung Art. 25 Rn. 1 ff. 566 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 643. 567 Grundlegend: E. Schmidt, Der Umgang mit Normtatsachen im Zivilprozess, in: Broda/ Deutsch/Schreiber/Vogel, FS R. Wassermann, 1985, S. 807 ff. Darauf aufbauend: Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß, 1998. 568 Seiter, in: Grunsky/Stürner/Walter/Wolf, FS Baur, 1981, S. 573 f. 569 E. Schmidt, Der Umgang mit Normtatsachen im Zivilprozess, in: Broda/Deutsch/ Schreiber/Vogel, FS R. Wassermann, 1985, S. 811. 570 Vgl. Dittert, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, EuGH-Satzung Art. 25 Rn. 2. 571 Unter anderem, weil der Gesetzgeber die unionsrechtliche Verhaltensvorschrift dann nicht von vornherein mit einer Strafrechtsharmonisierung verbinden könnte, siehe nur Vogel/
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
gilt für die Rechtsfortbildung gerade nicht: Eine empirische Überprüfung wird durch deren notwendigerweise retrospektiven Charakter ermöglicht und neutralisiert zugleich deren inhärente Fallstricke572. Wenn eine empirische Überprüfung der Sache nach gar nicht möglich ist, weil oft nicht auf entsprechende Datensammlungen und einen im Wesentlichen gesicherten Forschungsstand zurückgegriffen werden kann573, spricht dies nicht dafür, auf das Kriterium zu verzichten. Vielmehr sollte sich die „empirische Befassungspflicht“ in einer solchen Situation in eine Zweifelsregelung umwandeln, die lautet: „Im Zweifelsfall keine Ausdehnung privater Haftung durch richterliche Rechtsfortbildung bei vorhandener Sanktionsordnung“574. Dadurch kann das institutionelle Gleichgewicht zwischen EU-Gesetzgeber und EuGH aber auch die (negative) Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten gewahrt werden.
2. Definition und Maßstab des Durchsetzungsdefizits Für die Frage, was unter einem Durchsetzungsdefizit zu verstehen ist, ist der Wille des Verordnungsgebers ebenfalls relevant. Da die vorliegende Arbeit keine empirische Klärung zu leisten vermag, soll auf die unterschiedlichen Ansätze zur Wirksamkeitserfassung rechtlicher Bestimmungen nicht näher eingegangen werden575. Dem Verordnungsgeber steht es frei, durch die Ausgestaltung der Sanktionsordnung den Durchsetzungsgrad sekundären Unionsrechts (mittelbar) zu justieren576. So kann er gute Gründe haben, auf eine „totale Durchsetzung“ oder Durchsetzung „um jeden Preis“ zu verzichten: Im Rahmen seiner legislativen Gestaltungsfreiheit mag er es etwa einem höheren Durchsetzungsgrad vorziehen, bestimmte negative soziale oder wirtschaftliche Begleiterscheinungen von Sanktionen zu vermeiden577. Sinnvollerweise wird er auch die jeweiligen enforcement costs in
Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 83 AEUV Rn. 93. 572 Vgl. bereits unter E.V.5. zu den Nachteilen richterlicher Rechtsfortbildung. 573 Dazu im Hinblick auf das Kapitalmarktrecht sogleich unter E.VIII.3.c). 574 Näher zum Vorschlag eines judicial self-restraint unter E.V.6. 575 Einen konzisen Überblick gibt Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 24 ff. Nach Hellgardt hat sich das von Karl-Dieter Opp und Andreas Diekmann entwickelte Kausalmodell als rechtssoziologischer Standard durchgesetzt. Eine graphische Darstellung dieses Modells liefert Opp, in: Wagner, Kraft Gesetz, 2010, S. 35, 38. Für einen komplexeren Ansatz siehe Rottleuthner/Rottleuthner-Lutter, in: Wagner, Kraft Gesetz, 2010, S. 13 ff., insbesondere S. 23; vgl. ferner Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 24 f. 576 Vgl. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 15 Rn. 92; s. auch im Zusammenhang mit der Finanzmarkt-Richtlinie Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 275. 577 Krit. zu den gesellschaftlichen Begleiterscheinungen einer zunehmenden „Verrechtlichung“ Galanter, 55 Mod. L. Rev. 1 – 24 (1992).
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
133
der volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz berücksichtigen578. Vor diesem Hintergrund kann eine rein abstrakte Betrachtung des Durchsetzungsgrads eine richterrechtliche Korrektur des Sanktionsprogramms nicht rechtfertigen579. Im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung darf man dem Unionsgesetzgeber aber unterstellen, dass er generell eine angemessene Effektivität nach Maßgabe des jeweiligen Regelungszwecks anstrebt580. Dieser Maßstab einer nur „angemessenen“ Durchsetzung fügt sich zudem widerspruchsfrei in den relativen Charakter des Effektivitätsgebots ein und vice versa581. In quantitativer Hinsicht kann man dort von einem Durchsetzungsdefizit sprechen, wo sich ein erheblicher Teil der Normadressaten nicht von einem Regelverstoß abhalten lässt582. 3. Durchsetzungsdefizit vor der Reform des Marktmissbrauchsrechts Bis zur Einführung von MAR und CRIM-MAD war weitgehend unstreitig, dass das Kapitalmarktrecht unter einem Durchsetzungsdefizit litt583, dessen Ausmaße jedoch unterschiedlich eingeschätzt werden. 578 Siehe etwa Vogel, in: Pawlik/Zaczyk, FS G. Jakobs, 2007, S. 731, 739; Entorf, in: Ott/ Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 1 ff.; vgl. zu den Schwierigkeiten, die sozialen Kosten einer Finanzmarktregulierung zu messen, Jackson, 24 Yale J. on Reg. 253 – 291 (2007). 579 Als Rechtfertigungsgründe kommen somit allenfalls in Betracht: (1) Die Mitgliedstaaten setzen die ausdrücklichen sekundärrechtlichen Sanktionsvorgaben pflichtwidrig nicht um. Hier wäre ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen den Mitgliedstaat allerdings das probate Gegenmittel. (2) Der Unionsgesetzgeber hat die Durchsetzungskraft seiner Sanktionsordnung überschätzt. 580 Im Zusammenhang mit der Finanzmarkt-Richtlinie Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 275; zur MAR Schmolke, NZG 2016, 721, 727. 581 Siehe bereits oben unter E.V.3. 582 In Anlehnung an Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 64. EL 2018, Art. 83 AEUV Rn. 94. Das Hauptaugenmerk liegt somit auch auf der Präventionswirkung einer möglichen zivilrechtlichen Haftung – siehe Schwerpunkt in E.VII. Dafür spricht auch, dass eine nachträgliche Kompensation die durch Marktmissbrauch entstandenen sozialen Kosten nicht zu beseitigen vermag, siehe dazu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 368; vgl. ferner Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 198. Klassischerweise werden Rechtsnormen aber dann als effektiv angesehen, wenn sie in hohem Maße befolgt werden und/oder im Übertretungsfall vom Rechtsstab sanktioniert werden, so Rottleuthner/ Rottleuthner-Lutter, in: Wagner, Kraft Gesetz, 2010, S. 13, 21 unter Bezugnahme auf Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 1964, S. 70: „Die Wirkung der Norm (…) besteht entweder in Realisierung des Normkerns oder in abweichendem Gebaren mit sozialer Reaktion als Folge.“ 583 So implizit der Bericht der hochrangigen Gruppe „Finanzaufsicht in der EU“ unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière, 25. 02. 2009, Rn. 201, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/inter nal_market/finances/docs/de_larosiere_report_en.pdf, S. 24; vgl. auch Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 14 ff., 199 ff.; Kudlich, AG 2016, 459, 465; Fleischer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor § 20a WpHG Rn. 38 ff.; Renz/Leibold, CCZ 2016, 157, 168; Maume, ZHR 180 (2016), 358 ff.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
a) Einschätzung der Kommission In einer Mitteilung vom Dezember 2010 konstatierte die Kommission vorsichtig, dass „die Finanzkrise Zweifel aufkommen ließ, ob die Finanzmarktvorschriften stets eingehalten und EU-weit ordnungsgemäß angewendet werden“584. Sie nahm auch Bezug auf den de Larosière-Bericht, der bereits hervorgehoben hatte, dass die Aufsicht ihre Aufgabe „mit schwachen, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat höchst unterschiedlichen Sanktionen (…) nicht erfüllen (könne)“585. Die Kommission beschrieb die Schwächen der Sanktionsregelungen unter der Richtlinie 2003/6/EG und legte das Hauptaugenmerk auf deren mitgliedstaatliche Heterogenität586. Deutlicher wurde sie im Oktober 2011, als sie – wiederum unter Bezugnahme auf den Bericht der High-Level-Group – sinngemäß festhielt, dass die schwachen und heterogenen mitgliedstaatlichen Sanktionsregime keinen effektiven Vollzug zuließen587. Die Kommission machte in ihrem Impact Assessment auch Ursachen für die Defizite des Public Enforcement-Regimes aus, wie beispielsweise fehlende Ermittlungsbefugnisse der Aufsichtsbehörden588. Der Frage, welches Ausmaß das Vollzugsdefizit hat, ging sie nicht näher nach. Allerdings hatte sie für das Jahr 2010 die durch marktmissbräuchliches Verhalten entstandenen Schäden EU-weit mit etwa 13,3 Mrd. Euro beziffert589. Dass nach Ansicht der Kommission bislang Defizite in der Rechtsdurchsetzung bestanden, dürfte jedenfalls wesentlicher Anlass für die Reform des europäischen Marktmissbrauchsrechts gewesen sein590. So heißt es auch in Erwägungsgrund (5) der CRIM-MAD: „Die Einführung verwaltungsrechtlicher Sanktionen durch die Mitgliedstaaten hat sich bislang nicht als ausreichend erwiesen, um die Einhaltung der Vorschriften zur Verhinderung und Bekämpfung von Marktmissbrauch sicherzustellen“.
584
KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 2. 585 Bericht der hochrangigen Gruppe „Finanzaufsicht in der EU“ unter dem Vorsitz von Jacques de Larosière, 25. 02. 2009, Rn. 201, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/ finances/docs/de_larosiere_report_en.pdf, S. 26. Vgl. nun auch Erwägungsgründe (3) – (5) MAR. 586 KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 7. 587 Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 23 f. 588 Ebd. S. 23 ff. Vgl. auch Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Zusammenfassung der Folgenabschätzung vom 20. 10. 2011, SEK (2011) 1218 endg. S. 3 f. 589 Siehe Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 16 f., 200. 590 So Hellgardt, AG 2012, 154, der die Ansicht der Kommission offensichtlich teilt.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
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b) Stimmen in der Literatur Mit Blick auf Deutschland wurde teilweise vorgebracht, weder die Staatsanwaltschaften noch die BaFin hätten bislang die personelle Ausstattung, flächendeckend gegen Täuschungen am Kapitalmarkt vorzugehen591. Möllers/Leisch bezeichneten die Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände des WpHG aus diesem Grund sogar als bloßes law in the books592. Vogels Einschätzung fiel ebenfalls düster aus, als er ein „dramatisch hohes Dunkelfeld“ und „gezielte Vermeidungsstrategien593 vermutete. Viele Stimmen äußerten sich gleichsinnig594. Zu einer etwas optimistischeren Einschätzung gelangt der selbst in der BaFin tätige de Schmidt: Zum einen konstatiert er, dass die BaFin jedenfalls von Jahr zu Jahr mehr Verdachtsfälle aufdecke und zur weiteren Verfolgung an die Staatsanwaltschaften weiterleite595. Zum anderen betont er, habe es bereits eine Reihe strafrechtlicher Verurteilungen mit teils empfindlichen Freiheitsstrafen gegeben und Ermittlungsverfahren im Wirtschaftsstrafrecht zeichneten sich seit jeher durch eine verhältnismäßig lange Verfahrensdauer aus596. Sämtliche Stimmen stützen sich dabei auf die zahlenmäßigen Erhebungen zur Sanktionspraxis597. c) Ergebnisse empirischer Studien zum Durchsetzungsdefizit vor der MAR? Soweit ersichtlich gibt es bislang keine empirischen Studien, die die Behauptung eines (massiven) Durchsetzungsdefizits im europäischen Marktmissbrauchsrecht überzeugend belegen598. Einige aufsehenerregende Fälle599 sollten nicht zu vor591
Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 4; Bruchwitz, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, §§ 37b, 37c Rn. 10; s. auch Hienzsch, HRRS 2006, 144. 592 Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 4. 593 Vogel, in: Assmann/Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2012, Vor § 38 Rn. 14. 594 Eichelberger: „großes Dunkelfeld an nicht erkannten und deshalb auch nicht angezeigten Taten“, in: Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation, § 20a WpHG, 2006, S. 140; Waßmer: „sehr großes Dunkelfeld“, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 20a Rn. 49; Pananis: „erhebliches Dunkelfeld“, in: Münchener Kommentar StGB, 2. Aufl. 2015, § 38 WpHG Rn. 12; Veil/Brüggemeier: „beträchtliche Gefahr des under-enforcement“, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 287. 595 de Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 20a WpHG Rn. 360. 596 de Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 20a WpHG Rn. 360 f. m.w.N. zur Rechtsprechung. 597 Vgl. etwa die Jahresberichte der BaFin, abrufbar unter: https://www.bafin.de/DE/Publika tionenDaten/Jahresbericht/jahresbericht_node.html. 598 Zumindest derzeit ein Solitär für den deutschen Rechtsraum: Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005; zur Lage im Vereinigten Königreich: Brendan, 24 Journal of Financial Regulation and Compliance, 248 – 267 (2016).
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
schnellen Annahmen verleiten. Die Rechtstatsachen zur Marktmanipulation und zum Insiderhandel wurden zwar immer wieder aufbereitet600, allerdings nur mit Blick auf die (uneinheitliche) Sanktionspraxis601. Das vorhandene Material lässt kaum Rückschlüsse auf die Ausmaße mutmaßlicher Regelverstöße zu602. Der Ansatz der klassischen Dunkelfeldforschung, deren primäre Instrumente Täter-, Opfer- sowie Informantenbefragungen sind603, stößt im Bereich des Marktmissbrauchs schnell an Grenzen604. Zur Marktmanipulation in der EU gibt es derzeit keine Dunkelfeldstudie. Im Bereich des Insiderhandels kam Hienzsch in einer empirischen Studie für den deutschen Kapitalmarkt zu einem bemerkenswerten Dunkelfeld von 95 %605. Er stützte sich auf Expertenbefragungen, anhand derer er die Gesamtzahl der Insidergeschäfte eines Jahres berechnete, indem er das Produkt aus den auftretenden Insiderinformationen, der Anzahl der betroffenen Insider und der Quote der Fälle bildete, in denen die Sonderkenntnisse verwertet wurden606. Dabei räumte er jedoch ein, dass sämtliche Zahlen grobe Schätzungen seien und sich viele Experten auch gar nicht auf eine schätzweise Bezifferung von Insiderverstößen einließen607. Dies relativiert die Aussagekraft der Studie erheblich und zeigt, wie schwer sich der Befolgungsgrad von Marktverhaltensnormen quantitativ erfassen lässt.
599 Siehe etwa die Auflistung von Park, in: Park/Sorgenfrei, Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. 2017, Teil 1: Einl. Rn. 7 f. 600 Vgl. etwa die Jahresberichte der BaFin, abrufbar unter: https://www.bafin.de/DE/Publika tionenDaten/Jahresbericht/jahresbericht_node.html; zur Lage im Vereinigten Königreich FCA, Annual Report and Accounts, online: https://www.fca.org.uk/annual-report-and-accounts-201 7-18; zur Rechtslage unter EG/2003/6 als Vorarbeit zur MAR vgl. Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 14 ff.; ferner beispielhaft Mock, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, § 20a WpHG Rn. 73 f.; Fleischer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 20a Rn. 38 ff.; Maume, ZHR 180 (2016), 358, 372 ff.; Sorgenfrei/Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, 4. Aufl. 2017, Kommentierung zu §§ 38 Abs. 1, Abs. 4, 39 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3c, 3d Nr. 2 WpHG i.V.m. Art. 15, 12 MAR Rn. 36 f. 601 ESMA Report Actual use of sanctioning powers under MAD, ESMA/2012/270, online: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2012-270.pdf. Für einen außereuropäischen Vergleich siehe etwa Bromberg/Gilligan/Ramsay, The extent and intensity of insider trading enforcement – an international comparison, 17 J. Corp. L. 73 – 110 (2017). 602 Gleichsinnig Schmolke, NZG 2016, 721, 727 f. Vgl. zu den generellen Schwierigkeiten einer empirischen Erfassung MacNeil, in: Moloney/Ferran/Payne, The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 280, 288. 603 Vgl. dazu etwa Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl. 2008, S. 348 ff.; Kunz/Singelnstein, Kriminologie, 7. Aufl. 2016, § 17 Rn. 3 ff. 604 Siehe auch Waßmer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor §§ 38 – 40b Rn. 47 ff.; Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 144 ff. 605 Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 144 ff. 606 Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 150. 607 Hienzsch, Das deutsche Insiderhandelsverbot in der Rechtswirklichkeit, 2005, S. 147.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
137
Ursächlich für die schwierige Erfassung dürfte im ersten Zugriff das Entdeckungsproblem608 beim Geschädigten sein, das bei den white collar crimes609 wie Marktmanipulation und Insiderverstößen typischerweise auftritt. Zwar gibt es gerade bei informationsgestützten Manipulationen Fälle, in denen ein Betroffener sofort erkennen oder zumindet einen dahingehenden Anfangsverdacht schöpfen kann, dass er Opfer eines marktmissbräuchlichen Verhaltens geworden ist. Häufig wird es sich aber so verhalten, dass ein Anleger den Kursverfall oder den Kursanstieg mangels Informationen gar nicht einem bestimmten Verhalten oder einem bestimmten Akteur zuweisen kann610, da ein Kursverfall bekanntlich das Produkt einer Vielzahl an exogenen und endogenen Einflussfaktoren sein kann und es selten unmittelbar Geschädigte gibt611. Diese Problematik setzt sich bei der Datenerfassung durch Aufsichtsbehörden fort. Die beste Methode zur Aufdeckung von Marktmissbrauch verspricht sich die Kommission „(…) from analysing market data for patterns of trading which were likely to have been manipulative (…)“612. Sie verweist hierzu auf Daten der britischen FCA613. Diese hatte sich in der Vergangenheit primär auf Insider Dealings fokussiert und hierbei die Preisbewegungen von Unternehmensbeteiligungen im Vorfeld von Unternehmensübernahmen bewertet (sogenannte APPMs = abnormal pre-announcement price movements)614. Zwar konstatierte sie 2010/2011 einen Rückgang, räumte allerdings schon damals ein, dass man nicht sagen könne, ob dieser (auch) auf verbesserte Regelbefolgung auf den Märkten zurückzuführen sei615. Die FCA relativierte die Aussagekraft der APPMs auch in ihrem letzten Report616. Zudem räumte sie ein, dass sich die Erhebungen auf Aktienmärkte beschränkten, die Märkte für andere Finanzinstrumente aber ausblendeten. Seit Umsetzung der alten Markt608
Siehe bereits unter E.VII.3.b)aa). Vgl. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392. Der Begriff des White collar crime wurde, soweit ersichtlich, von Edwin H. Sutherland geprägt, siehe Sutherland, White collar crime, 1983. 610 Vgl. Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 119 f.; Ackermann, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 1, 15. 611 Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392. 612 Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 15. 613 Damals noch FSA. 614 Siehe hierzu etwa FSA/FCA Annual Report 2010/2011, S. 63; FCA Annual Report 2015/2016, S. 16; FCA Annual Report 2016/2017, S. 20. Vgl. weitere Nachweise in Commission Staff Working Paper Impact Assessment, 20. 10. 2011, SEC (2011) 1217 final, S. 15 ff. 615 FSA/FCA Annual Report 2010/2011, S. 64. 616 FCA Annual Report 2016/2017, S. 20; FCA Annual Report 2015/2016, S. 16: „it is difficult to draw meaningful inferences from year-on-year changes of the size we observed“. Ebd. in Fn. 1: „Many factors other than insider trading could cause an abnormal price movement ahead of a takeover announcement. (…) It is not possible to determine which of these factors is behind each abnormal price movement and therefore whether any insider trading might have taken place.“ 609
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
missbrauchsrichtlinie im Juli 2005 wertet die FCA auch die sogenannten Suspicious Transaction Reports aus617. Ähnlich gehen die anderen Aufsichtsbehörden wie etwa die BaFin vor, die Handelsdaten systematisch mit spezieller Software analysiert618. Dabei hat die BaFin allein im Jahre 2013 rund 1,486 Mrd. Transaktionsdatensätze durchforstet619. Ein Urteil darüber, ob sich ein erheblicher Teil der Normadressaten von der vorhandenen Regulierung von einem Regelverstoß abhalten lässt oder nicht, lässt sich daraus aber nicht gewinnen. Es ist auch nur begrenzt aussagekräftig, die Zahl der Fälle, in denen ein Anfangsverdacht bestand, in Relation zur Zahl der positiven verwaltungs- und strafrechtlichen Verfahrensabschlüsse zu setzen620: Zum einen bewegt man sich dabei ausschließlich im Hellfeld621. Zum anderen stellt sich die Frage, wie selektiv bzw. „niedrigschwellig“ die Fälle aufgegriffen wurden und woran eine Sanktionierung scheiterte. Im Ergebnis kann derzeit niemand genau sagen, welches Ausmaß das Vollzugsdefizit hat und wie gravierend es ist622. Zudem müsste die Durchsetzungslage differenziert für sämtliche oder jedenfalls einen repräsentativen Anteil der Mitgliedstaaten analysiert werden, um ein belastbares Gesamtbild zu erhalten. Ob die MAD 2003 insgesamt wirksam war oder nicht, kann aber durch einen Vergleich der Kapitalmarkteffizienz vor und nach ihrer Einführung ermittelt wer617
FCA Annual Report 2015/2016, S. 54 f.; nun „STORs“, siehe FCA Annual Report 2016/ 2017, S. 38. 618 Vgl. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392. Zur Auswertung anormaler patterns als „Entdeckungsinstrument“ siehe auch Abrantes-Metz, The Power of Screens to Trigger Investigations in 7 Securities Litigation Report, Nov. 2010, 17. 619 Waßmer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor §§ 38 – 40b Rn. 47 ff. 620 Vgl. Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392 f., der dies aber auch ausdrücklich konzediert. 621 Bzw. je nach kriminologischer Terminologie auch im „Graufeld“, vgl. Göppinger, Kriminologie, 6. Aufl. 2008, S. 348 f. 622 So auch McVea, in: Moloney/Ferran/Payne, The Oxford Handbook of Financial Regulation, 2015, S. 631, 636 f.; s. auch ebd., S. 638 Fn. 34: „Interestingly, other studies reveal that irrespective of the real level of market abuse, market players perceive market abuse to be a widespread problem.“ Vgl. hierzu CFA Institute, Global Market Sentiment Survey 2015, S. 22 f., wonach die Sorge um „Market fraud“ in Deutschland jedoch nur an dritter Stelle steht; abrufbar unter: https://www.cfainstitute.org/Survey/gmss_2015_report.pdf; auch speziell beim High-Frequency-Trading gibt es zwar keinen empirischen Nachweis, jedoch ein „gemutmaßtes Problem“, siehe etwa IOSCO, Regulatory Issues Raised by the Impact of Technological Changes on Market Integrity and Efficiency Consultation Report, CR02/11, S. 28: „(…) IOSCO was not presented with clear evidence of the systematic and widespread use of abusive practices by those engaging in HFT. (…). However, the submission of large numbers of orders and trade across multiple venues poses significant challenges to market authorities. Many trading strategies used by HFT participants are so sophisticated that they raise an issue as to whether market authorities have the necessary resources to conduct effective market surveillance“. Vgl. aber Maume, ZHR 180 (2016), 358, 393, der thetisch ein „erhebliches Rechtdurchsetzungsdefizit“ konstatiert – auch „ohne tiefereinsteigende empirische Analysen“.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
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den623. Hier weisen Studien darauf hin, dass die MAD 2003 keineswegs wirkungslos war, sondern die Kapitalmarkteffizienz bereits erheblich verbessert hat. Eine Studie von Christensen/Hail/Leuz untersuchte im Rahmen eines 10-JahresFensters, wie sich die Umsetzung der alten Marktmissbrauchs- und der Transparenzrichtlinie auf die Kapitalmärkte der EU-Mitgliedstaaten ausgewirkt hat, und machte sich hierzu die für die Mitgliedstaaten differenzierten Umsetzungsfristen zunutze624. Sie kam zum Ergebnis, dass beide Richtlinien im Durchschnitt zu einer signifikanten Verbesserung der Kapitalmarktliquidität führten625. Dabei verglich sie auch die Umsetzungen verschiedener Mitgliedstaaten unter den Gesichtspunkten Kapazitäten der Aufsichtsbehörden (personelle Ausstattung etc.), Bußgelder und „enforcement actions“626. Ihr zufolge führt eine insoweit strengere Regulierung des Public Enforcement auch zu (noch) stärkeren Effekten627. Die Studie lässt den Schluss zu, dass die weitere Verschärfung des Public Enforcement (Bußgeld- und Strafrahmen, Ausweitung der Ermittlungs- und Aufsichtsbefugnisse) sich ebenfalls positiv auf die Kapitalmarkteffizienz auswirken wird628. Eine Studie von Shahzad/Mertens629 untersuchte ebenfalls die Effektivität der alten Marktmissbrauchsrichtlinie. Dabei nahm sie den Zeitraum von 2001 – 2006 in den Blick und konzentrierte sich auf die Frankfurter Wertpapierbörse630. Sie kam zum Ergebnis, dass die Umsetzung der MAD 2003 die SRV (stock return volatility) gesenkt hat, und leitete daraus auch einen Rückgang manipulativer Tätigkeiten ab631. Die Studie untersuchte auch weitere Parameter wie abnormal returns sowie Vorhersagen und Verhalten von Finanzanalysten632. Auch hier attestierte sie infolge der MAD 2003 eine Verbesserung der Bewertungs- und Informationseffizienz633. Insgesamt bewerteten Shahzad/Mertens die Effekte der MAD 2003 durchaus positiv634.
623
Zur Kapitalmarkteffizienz als Regelungsziel siehe bereits E.VII.1. Christensen/Hail/Leuz, Capital-Market Effects of Securities Regulation: Prior Conditions, Implementation, and Enforcement, 29 Rev. Fin. Stud. 2885 – 2924 (2016). 625 Christensen/Hail/Leuz, 29 Rev. Fin. Stud. 2885, 2915 (2016). 626 Christensen/Hail/Leuz, 29 Rev. Fin. Stud. 2885, 2889 (2016). 627 Christensen/Hail/Leuz, 29 Rev. Fin. Stud. 2885, 2915 f. (2016). 628 Dazu sogleich ausführlicher unter E.VIII.4. 629 Shahzad/Mertens, The European Market Abuse Directive: Has it Worked? 28 J. Int. Financial Manage. Account 27 – 69 (2017). 630 Shahzad/Mertens, 28 J. Int. Financial Manage. Account 27, 29 (2017). 631 Shahzad/Mertens, 28 J. Int. Financial Manage. Account 27, 65 f. (2017). 632 Shahzad/Mertens, 28 J. Int. Financial Manage. Account 27, 35 (2017). 633 Shahzad/Mertens, 28 J. Int. Financial Manage. Account 27, 53, 57, 59 (2017). 634 Shahzad/Mertens, 28 J. Int. Financial Manage. Account 27, 65 (2017): „we find evidence of a successful functioning of MAD“. 624
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Angesichts dieser Befunde setzen MAR und CRIM-MAD somit nicht an einem „Totalversagen“ der Vorgänger-Regelungen an. Zumindest in Deutschland aber wohl auch mit Blick auf die EU insgesamt hatte sich bereits die alte MAD 2003 durchaus bewährt. Augenscheinlich hat der EU-Gesetzgeber die MAD 2003 schneller reformiert als die empirische Kapitalmarktforschung sie evaluieren konnte. 4. Zukünftige Durchsetzung der Art. 14, 15 MAR Die Reform des Marktmissbrauchsrechts soll eine reale Abschreckungswirkung entfalten635. Die massive Erweiterung der aufsichtsrechtlichen Befugnisse und des Sanktionenrepertoires, welche der EU-Gesetzgeber in der MAR vorgegeben hat, sowie dessen strafrechtliche Ergänzung in der CRIM-MAD rechtfertigen im ersten Zugriff die Annahme, dass das Durchsetzungsdefizit zukünftig abnehmen wird636. Dass die neue öffentlich-rechtliche Sanktionsordnung eine generalpräventive Wirkung entfalten und die Durchsetzungskraft des Marktverhaltensrechts steigern wird, bezweifelt daher kaum jemand637. Ob sich diese Annahme weiter argumentativ erhärten lässt, ist Gegenstand dieses Kapitels. Dabei ist offenkundig, dass es derzeit noch zu früh für eine empirische Evaluierung ist. Daher bleibt zunächst nur, die Erfahrungen mit der MAD 2003 in den Blick zu nehmen sowie sich um eine Plausibilisierung der zukünftigen Durchsetzungssituation zu bemühen. a) Erkenntnisse aus der Umsetzung der MAD 2003 Eine beachtliche Studie zur alten Marktmissbrauchsrichtlinie lieferten auch Cumming/Groh/Johan638. Diese basiert auf einer aus dem Jahr 2012 stammenden ESMA-Untersuchung über den tatsächlichen Gebrauch von Sanktionsbefugnissen unter der MAD639. Die ESMA-Untersuchung bezog sich auf die Jahre 2008 – 2010. Laut Cumming/Groh/Johan hat eine verbesserte Ausstattung der Aufsichtsbehörden eine ebenfalls verbesserte Entdeckungssituation für marktmissbräuchliches Ver635 Vera Jourová, Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, in KOM, Pressemitteilung vom 1. 7. 2016: „Die Verwaltungsbehörden werden künftig über größere Befugnisse verfügen, um bei Marktmissbrauch zu ermitteln, und hohe Geldbußen verhängen können, während all diejenigen, die des Marktmissbrauchs für schuldig befunden werden, mit Haftstrafen rechnen müssen“. 636 Zum Zusammenhang zwischen verschärfter Regulierung und erhöhter Kapitalmarktliquidität siehe auch Christensen/Hail/Leuz, 29 Rev. Fin. Stud. 2885 – 2924 (2016). 637 So Veil, ZGR 2016, 305, 328; optimistisch auch Becker/Rodde, ZBB 2016, 11, 16; s.a. BaFin Journal März 2017, S. 16. 638 Cumming/Groh/Johan, Same Rules, Different Enforcement: Market Abuse in Europe (March 1, 2016). TILEC Discussion Paper No. 2014-019, abrufbar unter: https://ssrn.com/ab stract=2399064. 639 ESMA Report Actual use of sanctioning powers under MAD, ESMA/2012/270, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2012-270.pdf.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
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halten zur Folge640. Zudem indizierten die Daten, dass eine Anhebung der Mindestfreiheitsstrafe die Zahl der aufgedeckten „fraudulent cases“ um 10 % senkt641. Auch die Rechtspflicht, Sanktionen zu veröffentlichen, soll einen stark abschreckenden Effekt haben642. Die Daten legen nahe, dass Behörden stärkere Aktivitäten zur Aufdeckung und Meldung von Marktmissbrauch entfalten, wenn der Mindestbußgeldrahmen erhöht wird643. Die Personalausgaben und die Zusammenarbeit zwischen Behörden sollen ebenfalls eine abschreckende Wirkung haben644. Sieht man diesen Befund zusammen mit den bereits oben erwähnten Studien von Christensen/Hail/Leuz sowie von Shahzad/Mertens645, ist eine verstärkte Durchsetzung von MAR und CRIM-MAD infolge des (noch) weiter aufgerüsteten Sanktionsregimes plausibel. Dabei steht außer Frage, dass hierfür mit entscheidend ist, wie effektiv die Mitgliedstaaten die ausdrücklichen Vorgaben umsetzen. b) Weitere Plausibilisierung Die Abschreckungswirkung des neuen Sanktionsregimes kann nicht abstraktmodellhaft ermittelt werden, indem man beispielsweise die Bußgeldrahmen in Relation zur Entdeckungswahrscheinlichkeit setzt: Zum einen belassen MAR und CRIM-MAD den Mitgliedstaaten bereits wegen ihres mindestharmonisierenden Charakters im Rechtsfolgenbereich große Spielräume. Zum anderen sind viele Sanktionen und deren Folgen nicht bezifferbar, wie etwa die durch Naming and Shaming entstehenden Reputations(vermögens)schäden646 oder (vorübergehende) Berufsverbote, aber auch Begleiterscheinungen wie Scham, Angst vor sozialer Ächtung etc.647. Eine Sanktionspraxis wird sich unter dem neuen Regime erst schrittweise herausbilden müssen. Daher kann nur nach den Regeln des vernünftigen Vermutens648 plausibilisiert werden, wie sich die Durchsetzungssituation der Art. 14, 15 MAR weiter entwickeln wird. 640
Cumming/Groh/Johan, Same Rules, Different Enforcement: Market Abuse in Europe (March 1, 2016). TILEC Discussion Paper No. 2014-019, abrufbar unter: https://ssrn.com/ab stract=2399064; gleichsinnig Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.34. 641 Cumming/Groh/Johan, Same Rules, Different Enforcement: Market Abuse in Europe (March 1, 2016). TILEC Discussion Paper No. 2014-019, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/ abstract=2399064. 642 Ebd. 643 Ebd. 644 Ebd. 645 Shahzad/Mertens, 28 J. Int. Financial Manage. Account 27 (2017); siehe hierzu bereits unter E.VIII.3.c). 646 Zu dieser Thematik Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689. 647 s. Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 139. Vgl. auch zur Bemühung, soziale Faktoren in der Modellbildung zu berücksichtigen Entorf, in: Ott/ Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 17 ff. m.w.N. 648 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978/1991, S. 287.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Eine gewisse Skepsis ist insoweit angebracht, als die nationalen Aufsichtsbehörden auch personell und finanziell dazu in der Lage sein müssen, ihre erweiterten Befugnisse voll auszuschöpfen649. Die Zahl behördlicher Untersuchungen zum Marktmissbrauch in Deutschland650 hat für sich betrachtet keinen Aussagewert. Dies gilt insbesondere angesichts des stark erweiterten sachlich-gegenständlichen Anwendungsbereichs der MAR, wie ihn Art. 2 der Verordnung definiert651. Die materielle Reichweite der Verbotstatbestände hat ebenfalls zugenommen: Art. 15 MAR in Verbindung mit Art. 12 MAR und den Level-2-/3-Maßnahmen erfasst deutlich mehr Verhaltensweisen als seine Vorgängerregelung652 („Tendenz zur Überinklusion“653). Unter anderem durch die Erfassung der Sekundärinsider und weiterer Handungen wie dem Stornieren von Aufträgen oder der insider abstention hat auch das Insiderhandelsverbot eine merkliche tatbestandliche Ausweitung erfahren654. Andererseits haben die nationalen Behörden dank der MAR-Vorgaben in Art. 23, 30 f. MAR massiv erweiterte Aufsichts- und Ermittlungsbefugnisse, die mit den Befugnissen der Strafjustizbehörden nahezu vergleichbar sind655, sowie ausdifferenzierte und weitgehende Sanktionsmöglichkeiten656. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch der nationalen Aufsichtsbehörden untereinander und mit der ESMA wurden deutlich ausgebaut (siehe Art. 24 f. MAR)657, was sich gerade bei der Bekämpfung komplexerer marktübergreifender und sonstiger transnationaler Manipulationen positiv bemerkbar machen dürfte. Die Abschreckungswirkung der ohnehin erhöhten Bußgeld- und Strafrahmen dürfte durch das psychologische Phänomen der Risikoaversion der wohl überwiegenden Zahl der Marktteilnehmer noch weiter steigen658. Das Verhalten der meisten Menschen kann (auch modellhaft) nicht allein durch das Verhältnis zwischen Ent649 Vgl. Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 285. 650 Im Bereich der Marktmanipulation sank sie zuletzt von 272 neuen Untersuchungen im Jahr 2016 auf 226 neue Untersuchungen im Jahr 2017, BaFin-Jahresbericht 2017, S. 133. Im Bereich des Insiderhandels stieg die Zahl der neuen Untersuchungen von zuletzt 42 im Jahr 2016 auf 62 im Jahr 2017, BaFin-Jahresbericht 2017, S. 137. 651 Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 103 ff.; Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 2 Rn. 7 ff.; Zetzsche, in: Gebauer/ Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 59 ff. Dies wirkt sich im Hinblick auf das Insiderverbot jedoch kaum aus, da der deutsche Gesetzgeber diese Erweiterungen bereits durch überschießende Umsetzung der alten Marktmissbrauchsrichtlinie vorweggenommen hatte, s. hierzu Klöhn, AG 2016, 423, 426. 652 Vgl. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 116. 653 Schmolke, AG 2016, 434, 440 f. 654 Klöhn, AG 2016, 423, 432 f.; s.a. Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 130 ff. 655 Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 94. 656 Siehe hierzu auch Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.13. 657 Vgl. Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.25 ff. 658 Vgl. Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 6. Aufl. 2016, S. 770 f.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
143
deckungswahrscheinlichkeit und erwarteter Sanktions(höhe) vorhergesagt werden. Stattdessen verhalten sie sich nicht risiko-neutral, sondern preisen das Verlustrisiko zusätzlich ein (risk-premium). Aus diesem Grund unterlassen sie Handlungen, die unter bloßer Berücksichtigung eines geringen Entdeckungsrisikos äußerst profitabel erscheinen mögen. Zudem legen neuere empirische Befunde nahe, dass bislang nicht straffällig gewordene Menschen das tatsächliche Entdeckungs- und Verurteilungsrisiko systematisch überschätzen659. Daher ist von einer noch höheren faktischen Abschreckungswirkung auszugehen, als der verfügbare Sanktionsrahmen sie vermuten lässt660. c) Insbesondere: Abschreckung durch Kriminalisierung Schließlich dürfte die durch die CRIM-MAD geschaffene Kriminalisierung661 und das damit verbundene soziale Stigma sich als durchaus wirkungsvolles Abschreckungsmittel erweisen, das zur Einhaltung der Art. 14, 15 MAR diszipliniert. Marktmissbräuchliches Verhalten war in Deutschland schon vor der CRIM-MAD mit strafrechtlichen Konsequenzen bewehrt662, in den übrigen Mitgliedstaaten jedoch uneinheitlich bis gar nicht663. Die CRIM-MAD steht ganz im Zeichen eines allgemeinen Funktionswandels des Strafrechts zu einem Mittel des law enforcement664. aa) Empirische Erkenntnisse zur strafrechtlichen Abschreckung Zur Wirkung strafrechtlicher Sanktionen zur Prävention von Wirtschaftskriminalität gibt es wenig gesicherte empirische Erkenntnisse, da solche Effekte kaum 659
Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 147 m.w.N. zum empirischen Forschungsstand. s. Polinsky, An Introduction to Law and Economics, 4th ed. 2011, S. 83 ff. 661 Die Sinnhaftigkeit einer strafrechtlichen Bewältigung der Problematik wird vielfach in Zweifel gezogen, soll hier jedoch nicht näher thematisiert werden. Siehe beispielsweise zum Insiderstrafrecht Trüg, Konzeption und Struktur des Insiderstrafrechts, 2014; Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 452 ff.; Markham, Manipulation of Commodity Futures Prices – The Unprosecutable Crime 8 Yale Journal on Regulation 281, 356 (1991). 662 Vgl. oben unter B.V. 663 Dazu umfassend CESR, Report on Administrative Measures and Sanctions as well as the Criminal Sanctions available in Member States under the Market Abuse Directive (MAD), CESR/07-693. 664 Vgl. zum deutschen Wertpapierhandelsstrafrecht Vogel, in: Pawlik/Zaczyk, FS G. Jakobs, 2007, S. 731 ff.; vgl. KOM-Mitteilung v. 20. 9. 2011, Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU-Politik durch das Strafrecht, KOM (2011) 573 endg., S. 3; s.a. Wohlers, ZStW 2013, 443, 479 f.; grundlegend und krit. bereits Hassemer, ZRP 1992, 378 – 383; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355 f. Speziell in unionsrechtlicher Hinsicht und vor einem rein instrumentellem Gebrauch warnend Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84 ff. passim. Dort findet sich auch der pointierte Begriff: „EU effet utile crimes“ (S. 88). 660
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
messbar sind und Vorher/Nachher-Vergleiche nur bei Rechtsänderungen angestellt werden können665. In der Kriminologie stand man der Abschreckungswirkung von Kriminalstrafen seit langer Zeit überwiegend kritisch bis ablehnend gegenüber und betonte stattdessen die Bedeutung umweltinduzierter Einflußgrößen666. Doch wurden auch Gegenstimmen laut, hauptsächlich von Anhängern einer ökonomischen Theorie der Kriminalität667: So hält etwa Curti die Abschreckungswirkung jedenfalls im Rahmen einer empirisch fundierten Schätzung für klar belegbar668. Die Kommission geht ebenfalls von einer Abschreckungswirkung aus, die als wesentliches Motiv ihrer Strafrechtsgesetzgebung gelten darf669, auch wenn sie dies nicht näher begründet. Weitgehend anerkannt scheint nur, dass die zunehmende Schwere der angedrohten oder verhängten Strafe keine kriminalitätsmindernden Effekte hat670. bb) „Der kalkulierende Täter“ Die der ökonomischen Analyse zugrunde liegende Modellvorstellung des „kalkulierenden Täters“ dürfte gerade für den Täter einer Marktmanipulation oder eines Insiderdeals mehr als für jede andere Tätergruppe Erklärungskraft haben, denn diese Straftaten ereignen sich in einem rationalen Handlungskontext671. Instrumentelle Kosten-Nutzen-Überlegungen stellen Tatgeneigte zudem gerade bei der avisierten 665
Vgl. Schneider, in: Hilgendorf/Rengier, FS W. Heinz, 2012, S. 663, 665, 670 f.; s.a. Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 137 f. m.w.N.; Entorf, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 15; s.a. Friedrichs, Trusted Criminals, 4th int. ed. 2010, S. 355. Einen Überblick über den aktuellen kriminologischen Forschungsstand gibt Hirtenlehner, JSt 2017, 144. 666 Vgl. hierzu Curti, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 71, 91 f.; Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 101 m.w.N. zum kriminologischen Forschungsstand. 667 Grundlegend: Gary S. Becker, 76 J. Pol. Econ. 169 (1968); überblicksartig Entorf, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 1 ff.; s.a. Vanberg, Verbrechen, Strafe und Abschreckung, 1982, S. 37 ff. Zur Frage, warum die Sichtweisen von Kriminologen und Anhängern der ökonomischen Analyse divergieren, siehe Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 153 Fn. 72. 668 Curti, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 71, 87 ff., 91 ff.; vgl. auch Curti, Abschreckung durch Strafe, 1998. In kartellrechtlicher Hinsicht Günsberg, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 212, 227; Ebenfalls optimistisch: Goshen/Parchomovsky, 55 Duke L. J. 711, 741 f. (2006) sowie Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 140 f. und Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 573 ff. 669 Siehe hierzu den Vorschlag für die CRIM-MAD vom 20. 10. 2011, KOM(2011) 654 endg., S. 4; weiter KOM-Mitteilung v. 20. 9. 2011, Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU-Politik durch das Strafrecht, KOM (2011) 573 endg., S. 6, 9 – 13 et passim; KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2010, Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor, KOM (2010) 716 endg., S. 15 f. 670 Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 145, 147, 152 f. 671 Vgl. auch Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 145, 150, 152.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
145
Verletzung von Strafnormen an, deren moralische Verbindlichkeit sie als vergleichsweise gering einschätzen672. Das dürfte in der Tendenz auch für den teils als victimless crime673 apostrophierten Insiderhandel gelten sowie generell für Kapitalmarktkriminalität, die vielfach abstrakt bleibt und Menschen selten unmittelbar schädigt674. Dem vergleichsweise weniger spontan-affekthaft handelnden White-collar-Täter wird zudem eine überdurchschnittliche Strafempfindlichkeit zugesprochen, wodurch der Kostenfaktor der Sanktion besonders bedeutsam für die Entscheidung wird, eine Straftat zu begehen (oder eben nicht)675. Im Regelfall handelt es sich um Personen, die stark in soziale Gebilde eingebunden sind, bereits erheblich in ihren sozialen Status investiert und damit auch vieles zu verlieren haben (stakes in conformity)676. cc) Freiheitsstrafen Im Anschluss an das US-amerikanische Schrifttum betonen einige Stimmen, dass Freiheitsstrafen insbesondere geeignet seien, solche Täter abzuschrecken, die von finanziellen Sanktionen nicht erreicht werden, weil der aus der Normverletzung gezogene Gewinn diese entweder weit übersteigt oder die Sanktion die finanzielle Leistungsfähigkeit des Täters übertrifft und somit ohnehin uneinbringlich ist677. In dieselbe Richtung weist die plakative Kurzformel No one has ever preferred prison over fine678 (dass die Wirksamkeit strafrechtlichen Zugriffs auch in hohem Grad von
672
Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 145, 150 ff. m.w.N. Manne, 31 J. Corp. L. 167, 185 (2005). 674 Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392. 675 Vgl. Schneider, in: Hilgendorf/Rengier, FS W. Heinz, 2012, S. 663, 669 m.w.N. zum Stand der internationalen Wirtschaftskriminologie, siehe jedoch ebd., S. 671 zu den Grenzen (ir)rational handelnder Individuen; gleichsinnig Vogel, in: Pawlik/Zaczyk, FS G. Jakobs, 2007, S. 731, 745; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 139 ff.; Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 575; s.a. Friedrichs, Trusted Criminals, 4th int. ed. 2010, S. 357. Ein grundlegendes Modell der ökonomischen Kriminalitätstheorie erarbeitete Gary S. Becker, Crime and Punishment: An Economic Approach, 76 J. Pol. Econ. 169 (1968). Siehe dazu wiederum Curti, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 71, 72. 676 Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 151 f. 677 Wagner, ZGR 2016, 112, 145 f.; s.a. Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 136 ff., insbes. S. 141, der davon ausgeht, dass diese „äußerste Reaktion der Gesellschaft“ jede Kosten-Nutzen-Analyse sprengen dürfte; s.a. Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 105 („a much stronger message than a fine“); in kartellrechtlichem Zusammenhang Günsberg, in: Banach-Gutierrez/ Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 212, 225 m.w.N.; einen Überblick über die Argumente gibt auch Friedrichs, Trusted Criminals, 4th int. ed. 2010, S. 363 f. 678 Wiedergegeben von Günsberg, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 212, 226. 673
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
der finanziellen und personellen Ausstattung der Staatsanwaltschaften und Strafgerichte abhängt, ist wohl unstreitig679). dd) Subjektive Einflussgrößen Von den empirischen Nachweisschwierigkeiten darf nicht auf die Wirkungslosigkeit strafrechtlicher Verhaltenssteuerung geschlossen werden, vielmehr müssen hier die Grenzen empirischer Messbarkeit und Methoden eingestanden werden680. Der Blick auf die Statistiken zur strafrechtlichen Sanktionierung681 sollte ebenfalls nicht dazu verleiten, die Abschreckungswirkung mit Blick auf die geringe Verurteilungswahrscheinlichkeit zu verneinen. Die Erwartungswertbildung im Hinblick auf den Nutzen einer Straftat ist so komplex, dass der einzelne Akteuer auf stark vereinfachte Beurteilungsheuristiken zurückgreifen muss682. Hier kommt zum Tragen, dass für den individuellen Tatentschluss vor allem auch die subjektive Wahrnehmung des Sanktionsrisikos und der damit verbundenen Folgen maßgeblich ist683. Aus diesem Grund entwickelt sich derzeit auch die Frage nach den Umständen, unter denen bestimmte Typen von Menschen anfällig für eine verhaltenssteuernde Wirkung von Strafsanktionen werden, unter dem Stichwort der differentiellen Abschreckbarkeit zum forschungsleitenden kriminologischen Konzept684. Verurteilungen wegen Marktmanipulation und Insiderhandels sind zwar selten, sie fallen dann aber ungewöhnlich hart aus685. Insofern kann man davon ausgehen, einige öffentlichkeitswirksame „Leuchtturmfälle“686 entfalten auch dann hohe (subjektive) Abschreckungswirkung, wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit nach wie vor eher gering ist687. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch bereits Ermitt679 Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 288; gleichsinnig Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 110. 680 So Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 578 ff. Gleichsinnig Schneider, in: Hilgendorf/Rengier, FS W. Heinz, 2012, S. 663, 671. 681 Zuletzt BaFin-Jahresbericht 2017, S. 134, 137. 682 Curti, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 71, 83 f.; Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 456. 683 Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 103; Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 456; Schneider, in: Hilgendorf/Rengier, FS W. Heinz, 2012, S. 663, 675. Siehe überblicksartig auch zur empirischen Forschung Wright, In Defense of Prisons, 1994, S. 63 f., 80 ff., 101 ff. („perceptual/ subjective deterrence“). 684 Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 150 et passim. Die Forschung steht aber noch am Anfang. 685 Vgl. de Schmidt, in: Just/Voß/Ritz/Becker, WpHG, 2015, § 20a WpHG Rn. 361. 686 Siehe etwa für das Vereinigte Königreich den sog. Tabernula-Fall, Ring/Vaughan, Bloomberg Businessweek, 28. 6. 2016, online: https://www.bloomberg.com/features/2016-ope ration-tabernula/. Einen weiteren Fall, der mit empfindlichen Freiheitsstrafen endete, erwähnt FCA Annual Report 2016/2017, S. 34. 687 s. aber Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 456.
VIII. Erforderlichkeit: Durchsetzungsdefizit
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lungsverfahren erheblichen psychosozialen Druck auf den Beschuldigten aufbauen und der Täter so seine berufliche und soziale Stellung aufs Spiel setzt688, wenn er bereits in der Grauzone marktmissbräuchlichen Verhaltens agiert. Dies dürfte auch überwiegen, dass nach § 47 StGB kurze Freiheitsstrafen den Ausnahmefall darstellen und die Vollstreckung der Strafe jedenfalls bei Ersttätern im Regelfall zur Bewährung ausgesetzt wird689. ee) Expressive function of law Unsere moralische Bewertung und unser Verhalten wird dadurch mitgeprägt, dass die (straf)rechtliche Normierung eine bestimmte Wertung zum Ausdruck bringt690. Die Kriminalisierung von Marktmanipulation und Insiderhandel lässt darauf hoffen, dass der von Sanktionsnormen ausgehende Appell auf soziale Normen der betroffenen Verkehrskreise zurückwirkt, die über informelle Sanktionierung und Reputationsmechanismen das Verhalten beeinflussen691 (expressive function of law692). Der dadurch vermittelte Effekt ist unabhängig von den tatsächlich zu gewärtigenden Sanktionen693. ff) Durchsetzung Häufig wird eingewandt, bestehende Durchsetzungsschwierigkeiten würden bei einer Kriminalisierung aufgrund der strafprozessual gesteigerten Verfahrensanforderungen eher noch verschärft694. Allerdings sieht auch das OWiG entsprechende prozessuale Sicherungen vor, so dass man das Verwaltungsverfahren nicht ohne weiteres als schlagkräftigeres Mittel ansehen kann695, insbesondere wird das OWi688 Adams, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 126; gleichsinnig Mennicke, Sanktionen gegen Insiderhandel, 1996, S. 580; s. auch BaFin Journal Juli 2016, S. 25. 689 s. zu diesem Aspekt Kirchner, in: Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, 1999, S. 108, 123. 690 Vgl. Feldman/Lobel, 88 Tex. L. Rev. 1151, 1184 (2010). 691 Schmolke, JZ 2015, 121, 127; grundlegend Sunstein, On the Expressive Function of Law“, 144 U. Penn. L. Rev. 2021 (1996); s.a. Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 103 ff. s. allgemein zur Unternehmensreputation Klöhn/ Schmolke, NZG 2015, 689. 692 Sunstein, On the Expressive Function of Law“, 144 U. Penn. L. Rev. 2021, 2044 (1996). 693 Vgl. Schmolke, JZ 2015, 121, 127. 694 Avgouleas, The Mechanics and Regulation of Market Abuse, 2005, S. 454; s. auch Veil/ Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 286 ff.; gleichsinnig Franssen, in: Banach-Gutierrez/Harding, EU Criminal Law and Policy, 2016, S. 84, 101; Weber/Faure, ERPL 2015, 525, 536. Vgl. für das Kartellrecht Bischke/Brak, NZG 2016, 99, 101 m.w.N. (krit. Einschätzung durch das BKartA) sowie Hombrecher, NZKart 2017, 143, 146. 695 Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 286.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
Verfahren von denselben Verfahrensgrundrechten und Verfassungsgrundsätzen wie der Strafprozess geprägt696. Bei Freispruch im Strafverfahren kann ein Verhalten zudem nach § 21 Abs. 2 OWiG noch immer als Ordnungswidrigkeit geahndet werden697. Scheitert beispielsweise der strafprozessuale Nachweis des Einwirkungserfolgs oder des Vorsatzes im Rahmen von § 119 Abs. 1 WpHG, bleibt eine bußgeldrechtliche Ahndung nach § 120 Abs. 15 Nr. 2 WpHG unbenommen (vgl. § 21 Abs. 2 OWiG)698. d) Einschätzungsprärogative des EU-Gesetzgebers Die Frage sowohl nach dem Ausmaß marktmissbräuchlichen Verhaltens als auch nach dem besten Weg und dem richtigen Maß, Durchsetzungsdefizite weiter abzubauen, kann nur begrenzt objektiviert werden. Sie muss letztlich in die Einschätzungsprärogative699 des Verordnungsgebers fallen, die solange auch von der Rechtsprechung zu respektieren ist, bis sie sich durch die tatsächliche Rechtsbewährung als unzureichend erwiesen hat700. Ist dem EU-Gesetzgeber kompetenziell die Entscheidung zugewiesen, ob und wie er bestimmte Verhaltensweisen an den Kapitalmärkten verbietet oder freistellt, muss er erst recht auch über das erforderliche Durchsetzungsmaß entscheiden können. Die Bestimmung des Art. 38 MAR zeigt zudem, dass der Verordnungsgeber die Durchsetzungskontrolle bedacht hat701. Der Verordnungsgeber will selbst die Erforderlichkeit einer Kurskorrektur beurteilen und hat sich folglich für eine retrospektive702 und verbindliche Gesetzesfolgenabschätzung ausgesprochen. Die funktionale Subjektivierung erwiese sich in diesem Falle als Danaergeschenk: Das Unterschieben eines zivilrechtlichen Haftungspostulats würde das Überprüfungsrecht des Verordnungsgebers vorwegnehmen und entwerten.
696 Siehe bspw. Mitsch, in: Karlsruher Kommentar OWiG, 5. Aufl. 2018, Einl. Rn. 125 ff.; Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 699 ff. 697 s. auch Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 21 Rn. 1. 698 Vgl. Mitsch, in: Karlsruher Kommentar OWiG, 5. Aufl. 2018, § 21 Rn. 26. 699 Im kartellrechtlichen Kontext Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 21, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 700 Zur Nachbesserungs- und Beobachtungspflicht des Normgebers: Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, 2013, S. 360 f. 701 Vgl. Schmolke, NZG 2016, 721, 727 f. Ähnliche Regelungen enthalten Art. 33 der Transparenzrichtlinie 2004/109/EG, Art. 45 der Leerverkaufsverordnung (EU) Nr. 236/2012; Art. 12 der CRIM-MAD, Art. 33 der PRIIP-VO (EU) Nr. 1286/2014. 702 Vgl. Binder, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 65, 70.
IX. Ergebnis
149
5. Mildere Alternativen zum Haftungspostulat Um das institutionelle Gleichgewicht möglichst zu erhalten, drängt sich zudem die Frage auf, ob es nicht wirksamkeitssteigernde Alternativen zur Einführung einer privaten Haftung gibt, die einen schonenderen Ausgleich im trilateralen Verhältnis zwischen EU-Gesetzgeber, EuGH und den Mitgliedstaaten herstellen könnten. Sollte das Sanktionssystem der MAR versagen, wäre etwa denkbar, mittels einer effetorientierten Auslegung zu noch schneidigeren Sanktionen und damit einem tendenziell höheren Durchsetzungsniveau zu gelangen. So könnte die umsatzabhängige Höchstgrenze nicht als Ober-, sondern wie im Kartellrecht703 als Kappungsgrenze aufgefasst werden. Dies würde prinzipiell die Verhängung noch höherer Bußgelder erlauben, da nicht nur schwerste Normverletzungen effektiv mit der Maximalsanktion belegt werden könnten, ohne dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt wäre704. Als weiteres Mittel käme in Betracht, das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Umsetzung ausdrücklicher Vorgaben in mutmaßlich wirksamkeitssteigernder Weise zu reduzieren, anstatt eine Haftung zu postulieren, die gar keinen Anhalt in der MAR hat705. 6. Zwischenfazit Auch ohne gesicherten empirischen Befund sprechen gute Gründe dafür, der Aufrüstung des Sanktionsrepertoires und insbesondere der unionsweiten Kriminalisierung der Art. 14, 15 MAR eine gewisse Abschreckungswirkung beizumessen, die letztlich die Durchsetzungskraft der MAR insgesamt steigern wird. Ein Versagen des von der MAR vorgegebenen Public Enforcement liegt jedenfalls nicht auf der Hand.
IX. Ergebnis Die Kriterien, anhand derer eine mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Haftungsbewehrung unionsrechtlicher Bestimmungen überzeugend hergeleitet werden kann706, sind im Fall der Art. 14, 15 MAR derzeit nicht erfüllt: Zwar kann das Regelungsziel Anlegerschutz grundsätzlich ein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine 703
Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 6. 2005 – C-189/02, Slg. 2005, I-5425 Rn. 277 ff. – P – Dansk Rørindustri u. a. ./. Kommission. Darin benutzt der EuGH zwar den Begriff „Obergrenze“, beschreibt in der Sache aber eine Kappungsgrenze. 704 Vgl. aber Veil, ZGR 2016, 305, 316 f. sowie Poelzig, NZG 2016, 492, 498 f., die sich ebf. für eine Obergrenze unter anderem mit Bezugnahme auf Erwägungsgrund (71) ausspricht. 705 Vgl. dagegen Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 157, der den privaten Schadensersatzanspruch in ähnlicher Weise als Reduktion des Regelungsspielraums auf nur eine unionsrechtskonforme Lösung versteht. 706 Siehe unter E.V.6.
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E. Pflicht zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung von MAR-Verstößen
zivilrechtliche Haftung sein. Nach der Gesamtkonzeption der MAR und CRIMMAD liegt eine funktionale Subjektivierung der Marktverhaltensnormen aber fern. Eine zivilrechtliche Haftung verspricht nur für die informations- und handlungsgestützte Marktmanipulation eine gewisse Durchsetzungssteigerung. Vor allem gibt es derzeit keinen Anhalt dafür, dass das Public Enforcement das vom Verordnungsgeber gewünschte Durchsetzungsniveau zu verfehlen droht. Eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Haftungsbewehrung ist daher unionsrechtlich nicht geboten. Stattdessen muss das neue Sanktionsinstrumentarium zunächst über einen aussagekräftigen Zeitraum erprobt und evaluiert werden, wie Art. 38 MAR dies vorsieht. Sollte der Verordnungsgeber dann keine in eine zivilrechtliche Haftung weisenden Schlussfolgerungen ziehen und sich ein Durchsetzungsdefizit auch nicht empirisch feststellen lassen, sollte es bei der oben vorgeschlagenen Zweifelsregelung707 bleiben, wonach auf ein Haftungspostulat zu verzichten ist.
707
Siehe unter E.VIII.1.
F. EU-Recht auf Schadensersatz? Anstelle eines an die Mitgliedstaaten gerichteten Haftungspostulats wäre auch ein unmittelbarer unionsrechtlicher Schadensersatzanspruch denkbar1. Ein EU-Recht auf Schadensersatz könnte ähnlich dem Staatshaftungsanspruch gegenüber den Mitgliedstaaten zugleich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz als auch ein klagbarer Anspruch sein (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 340 Abs. 2 AEUV)2. Dies wäre der Fall, wenn die Kriterien, die der EuGH für die mitgliedstaatliche Staatshaftung bei Unionsrechtsverletzungen entwickelt hat, auch auf Unionsrechtsverletzungen Privater anwendbar wären und sich die Entscheidungen Francovich, Courage und Muñoz zu einem allgemeinen Rechtsprinzip zusammenfügen ließen.
I. Grundlinie der Francovich-Rechtsprechung Die nun ausdifferenzierte Judikatur zur Staatshaftung hat ihren Anfang in der Rs. Francovich genommen3. Darin hatte der EuGH erstmalig zu klären, ob ein Bürger Schäden von einem Mitgliedstaat ersetzt verlangen kann, die dadurch entstanden sind, dass der Mitgliedstaat eine unionsrechtliche Umsetzungspflicht verletzt hat4. Konkret ging es darum, dass Italien die Richtlinie 80/987/EWG zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht fristgemäß umgesetzt hatte und dem Arbeitnehmer Francovich dadurch ein finanzieller Nachteil entstanden war5. Der EuGH knüpft hierfür ausdrücklich an Van Gend & Loos sowie Costa an, indem er die eigene Rechtsordnung des EWG-Vertrags hervorhebt und festhält, dass dieser auch jenseits ausdrücklicher Bestimmungen individuelle Rechte
1 Haftungspostulat und unmittelbarer unionsrechtlicher Anspruch werden zumeist unter dem Begriff der Rechtsnatur voneinander abgegrenzt, siehe etwa Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 151 ff.; Meessen, Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht, 2011, S. 20 ff.; s. auch Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 5, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 2 Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 37 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 3 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 4 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 29 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 5 Siehe bereits oben unter E.VI.4.b)cc).
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F. EU-Recht auf Schadensersatz?
entstehen lässt6. Laut Gericht wäre die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne nicht die Möglichkeit hätte, Entschädigung für Rechtsverletzungen zu verlangen, die einem Mitgliedstaat zurechenbar sind7. Diese Entschädigungsmöglichkeit soll insbesondere zwingend sein, wenn der Unionsbürger ein subjektives Recht wegen staatlicher Untätigkeit nicht anderweit vor nationalen Gerichten durchsetzen kann8. Der Entschädigungsanspruch wird zudem auf Art. 5 EWG aF gestützt9 (nun Art. 4 Abs. 3 EUV). Dabei hält der EuGH in bemerkenswerter Klarheit fest, dass der Staatshaftungsanspruch „unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet ist“10 und verweist lediglich für die verfahrensrechtliche Durchsetzung auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen11. Zudem definiert das Gericht ausdrücklich die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen: (1) das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel muss die Verleihung von Rechten an Einzelne enthalten, (2) der Inhalt dieser Rechte muss auf der Grundlage dieser Richtlinie bestimmbar sein, (3) es muss einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen12. Diese Voraussetzungen hat der EuGH dann in seiner Folgerechtsprechung ergänzt und präzisiert13. Die Francovich-Entscheidung nahm einige Formulierungen der Courage-Rechtsprechung vorweg14. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass das Gericht in Francovich die einzelnen Haftungsvoraussetzungen definiert hat, während es dies in Courage und Muñoz (weitgehend) mitgliedstaatlichem Recht überließ15.
6 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 31 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 7 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 33 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 8 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 34 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 9 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. Vgl. zum Schattendasein des Staatshaftungsanspruchs in der Rechtswirklichkeit Lock, Is private enforcement of EU law through state liability a myth? – An assessment 20 years after Francovich, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=2103490. 10 Es handelt sich also nicht nur um ein „Haftungspostulat“ gegenüber den Mitgliedstaaten. Siehe hierzu Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 151 ff., insbes. S. 159. 11 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 41 f. – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 12 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 40 – Francovich und Bonifaci ./. Italien. 13 Vgl. bspw. Hartmann, in: Dörr, Staatshaftung in Europa, 2014, § 2 B. 3. 14 Kremer, EuR 2003, 696, 698. Vgl. auch Nowak, EuZW 2001, 715, 718; Komninos, CMLR 39 (2002), 447, 468. 15 Betlem, 64 C.L.J. 126, 144 (2005); Komninos, CMLR 39 (2002), 447, 469 f.
II. Übertragbarkeit von Francovich auf Unionsrechtsverstöße durch Private
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II. Zur Übertragbarkeit von Francovich auf Unionsrechtsverstöße durch Private Es stellt sich die Frage, ob die in Francovich entwickelte Haftung auch auf Unionsrechtsverstöße Privater angewendet werden kann16, wie auf die hier interessierenden Verstöße gegen Art. 14, 15 MAR. 1. Schlussanträge zur Rs. Banks Vor dem EuGH wurde eine Übertragung der Francovich-Entscheidung auf das Horizontalverhältnis erstmalig in den Schlussanträgen des Generalanwalts van Gerven zur Rs. Banks aus dem Jahr 1993 erörtert und von diesem auch befürwortet17. Die Francovich-Entscheidung galt van Gerven als Präzedenzfall18. Die Banks & Company Ltd. klagte gegen ein Unternehmen, die British Coal Corporation, auf Schadensersatz wegen Verletzung wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen aus dem damaligen EGKS- und dem EWG-Vertrag19. Wie der Generalanwalt selbst eingestand, stellte sich die Frage einer Übertragung der FrancovichKriterien auf Private strenggenommen gar nicht, da das beklagte Unternehmen vollständig im Eigentum der britischen Regierung stand und entsprechend weitgehenden gesetzlichen Regularien unterworfen war20. Der EuGH ließ die Frage folgerichtig offen21. Gleichwohl soll an dieser Stelle kurz die Begründung Van Gervens wiedergegeben werden: Seiner Auffassung nach war die Zubilligung von Schadensersatz „wesentlich für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, zumal dadurch Unternehmen von wettbewerbswidrigem Verhalten abgeschreckt würden“22. Anderenfalls wäre die „volle Wirkung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt“23. Die Zubilligung sei „logische Folge der horizontalen Direktwirkung der
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Vgl. etwa Kremer, EuR 2003, 696. Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-1212 Rn. 62 3) – Banks ./. British Coal. 18 So Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I1212 Rn. 42, 49 – Banks ./. British Coal. 19 Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-1212 Rn. 2 ff. – Banks ./. British Coal. 20 Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-1212 Rn. 2, 41 – Banks ./. British Coal. 21 EuGH, Urt. v. 13. 4. 1994 – C-128/92, Slg. 1994, I-1209 Rn. 16, 20 f. – Banks ./. British Coal. 22 Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-1212 Rn. 37, 41 – Banks ./. British Coal. 23 Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-1212 Rn. 43 – Banks ./. British Coal. 17
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F. EU-Recht auf Schadensersatz?
betreffenden Bestimmungen“24. Die Rechte der geschädigten Partei müssten durch Schadensersatz wiederhergestellt werden, um die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vollumfänglich zu wahren25. 2. Stimmen im Schrifttum Insbesondere aus dem Common Law stammende Autoren26 haben eine generelle Erweiterung der Francovich-Rechtsprechung auf Unionsrechtsverletzungen im Horizontalverhältnis befürwortet. Ähnlich wie van Gerven haben sie darauf verwiesen, Schadensersatzansprüche (damages) seien allgemein „wesentlich“ für die Effektivität des Unionsrechts und müssten angesichts der direkten Verpflichtung und Berechtigung der Unionsbürger aus bestimmten unionsrechtlichen Vorschriften einklagbar sein27. Einige Stimmen haben einen Unterlassungsanspruch im Bereich des Kartelldeliktsrechts für „eindeutig unangemessen“ im Sinne von unzureichend gehalten, während ihnen die Kompensation als das einzig wirksame Rechtsmittel (remedy) erschien28. Das Bedürfnis nach einer europaweit gleichartigen Haftung könnte dadurch befriedigt werden, ein kohärentes gemeinschaftsrechtliches Haftungssystem wäre schließlich „wünschenswert“29. Dabei war nach Ansicht mancher irrelevant, dass die Francovich-Entscheidung speziell das Verhältnis zwischen Unionsbürger und Mitgliedstaat betroffen hat30. Auch van Gerven sah kein Differenzierungsbedürfnis zwischen Staatshaftung und privater Individualhaftung31. Stattdessen sollte das Effektivitätsprinzip in gleicher Weise im Horizontalverhältnis Geltung beanspruchen32. Als Argument wurde angeführt, dass der Wortlaut der FrancovichEntscheidung nicht auf die Staatshaftung beschränkt sei33. Im deutschen Rechtsraum stand die Literatur einer Übertragung auf die Haftung Privater überwiegend skeptisch bis ablehnend gegenüber34. So hielt man entgegen, 24 Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-121 Rn. 44 – Banks ./. British Coal. 25 Ebd. 26 Kremer, EuR 2003, 696, 697 f. Zu den Hintergründen Komninos, CMLR 39 (2002), 447, 479. 27 Smith, ECLR 1992, 129, 132; Kremer, EuR 2003, 696, 699. Vorsichtig andeutend Havu, ELJ 18 (2012), 407, 412. 28 Hoskins, ECLR 1992, 257, 259 f. 29 Kremer, EuR 2003, 696, 699; ders., in: YEL, 22 (2003), 203, 211. Vgl. auch Komninos, CMLR 39 (2002), 447, 484. 30 Winterstein, ECLR 1995, 49, 51; Mäsch, EuR 2003, 825, 844. 31 Generalanwalt Van Gerven, Schlussanträge v. 27. 10. 1993 – C-128/92, Slg. 1994, I-1212, 1250 Rn. 43 – Banks ./. British Coal. 32 Winterstein, ECLR 1995, 49, 51. 33 Vgl. Weyer, ZEuP 2003, 318, 329 m.w.N. 34 Kremer, EuR 2003, 696, 697 f. m.w.N.
II. Übertragbarkeit von Francovich auf Unionsrechtsverstöße durch Private
155
dass der EuGH nicht von einem „allgemeinen Rechtsgrundsatz“ sprach, sondern lediglich von einem solchen „des Staatshaftungsrechts“, der speziell an die Mitgliedstaaten gerichtet sei35. Der Effektivitätsgrundsatz sichere zwar einen wirksamen, nicht aber den maximal denkbaren Rechtsschutz36. Das Effektivitätsargument finde nur dort Anwendung, wo der Unionsgesetzgeber die Verletzung von Unionsrecht nicht sanktioniere und auch nicht zu diesem Zweck auf Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten verweise37. Der „besondere Status der Staatshaftung“ sollte ebenfalls gegen eine Ausdehnung auf das Horizontalverhältnis sprechen38: Die Haftung des Mitgliedsstaates liege schon deshalb auf einer anderen Ebene, weil staatliche Organe nur aufgrund rechtsgebundener Kompetenzen handelten39 und auf der Basis des Gewaltmonopols40. Daraus resultiere eine „besondere Verpflichtung“ der Mitgliedstaaten, die Folgen eines Unionsrechtsverstoßes zu beseitigen41. Rechtsverletzungen Privater können zudem auch öffentlich-rechtlich sanktioniert werden, während solche von Mitgliedstaaten nur sehr eingeschränkt im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 f. AEUV verfolgbar seien42. Während staatliche Gesetzgebung einen universell bindenden Charakter auch gegen den Willen Einzelner habe, betreffe das Verhalten Privater lediglich solche, mit denen die Betroffenen freiwillig interagierten43. 3. Bewertung a) Proprium der Staatshaftung Es spricht einiges dafür, das Verhältnis zwischen Mitgliedstaat und Unionsbürger grundlegend anders zu bewerten als das reine Horizontalverhältnis: Der Staatshaftunganspruch sanktioniert speziell den in der Umsetzung säumigen Mitgliedsstaat44, 35
EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 30, 37 – Francovich und Bonifaci ./. Italien; Weyer, ZEuP 2003, 318, 329 f. 36 Weyer, ZEuP 2003, 318, 328; s.a. Harnos, ZEuP 2015, 546, 559. Vgl. jedoch Schütze, An Introduction to European Law, 2012, S. 167 ff. s. näher bereits unter E.V.3. 37 Vgl. Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 316 m.w.N. 38 Weyer, ZEuP 2003, 318, 329. 39 Weyer, ZEuP 2003, 318, 329. 40 Vgl. Milutinovic, The ,Right to Damages‘ under EU Competition Law, 2010, S. 85 f. A.A. wohl Mäsch, EuR 2003, 825, 844. 41 Weyer, ZEuP 2003, 318, 329. Entgegengesetzt Milutinovic, The ,Right to Damages‘ under EU Competition Law, 2010, S. 85 f. 42 Weyer, ZEuP 2003, 318, 330. 43 Das Argument nennend, im Ergebnis jedoch zurückweisend Milutinovic, The ,Right to Damages‘ under EU Competition Law, 2010, S. 87. 44 Gleichsinnig Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 340 AEUV Rn. 53.
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F. EU-Recht auf Schadensersatz?
der seine Loyalitätspflicht aus Art. 4 Abs. 3 EUV verletzt45. Eine Ausdehnung der Francovich-Rechtsprechung auf das Horizontalverhältnis im Wege einer doppelten Analogie46 überzeugt insoweit nicht, als der effet-Gedanke als ein tragender Grund der Entscheidung nicht an den privaten Unionsbürger gerichtet ist. Er ist spezifischer Ausdruck der Arbeitsteilung im Staatenverbund der Europäischen Union. Soweit es um Haftung im Deliktsverkehr geht, die nicht neben einem Vertragsregime steht, wird der Geschädigte mit dem Normverletzter ebenso unfreiwillig konfrontiert wie bei hoheitlicher Rechtsetzung. Ob eine gleich strukturierte Haftung von Mitgliedstaaten und Privatpersonen unter Kohärenzgesichtspunkten erstrebenswert erscheint oder nicht, soll hier offen bleiben (dem deutschen Recht wäre eine solche Parallelisierung fremd47). Privatpersonen greifen mangels hoheitlicher Rechtsetzungsbefugnisse jedoch nicht so weitreichend in die Freiheitssphäre anderer Privater ein48, weshalb die Schadensersatzverpflichtung bei Mitgliedstaaten besonders gerechtfertigt erscheint. Ein besonderes Veranlassungsmoment für die Rechtsfortbildung in Francovich kann zudem in dem strukturellen Anreizproblem gesehen werden, dass die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge sich mit Einführung einer Staatshaftung für Unionsrechtsverstöße selbst in die Haftung hätten begeben müssen49. b) Kompetenz des EuGH für ein EU-Recht auf Schadensersatz Ein allgemeiner horizontaler Kompensationsanspruch bei Verletzung von Unionsrecht würde funktional dem § 823 Abs. 2 BGB entsprechen. Er würde weitgehend in die Privatrechtsverhältnisse der Unionsbürger eingreifen50. Dazu bräuchte der EUNormgeber zunächst eine Kompetenz zur Regelung des allgemeinen Zivilrechts. Anerkanntermaßen existiert eine solche im System der begrenzten Einzelermächtigung nicht (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV)51. Eine Kompetenz zur zivilrechtlichen Sanktionierung kann der EU-Gesetzgeber insofern nur aus der jeweiligen Ermächtigung zum Erlass des Sekundärrechtsakts ableiten und stets nur begrenzt auf die 45
Siehe dazu bereits oben unter E.V.3. Die Francovich-Entscheidung beruht selbst auf einer analogen Anwendung von Art. 340 AEUV, Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 2.23, S. 53; s.a. Komninos, CMLR 39 (2002), 447, 475. 47 Dabei bleibt unzweifelhaft, dass die Staatshaftung historisch auf der zivilrechtlichen Haftung beruht, Dannemann, Schadensersatz bei der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1994, S. 32 ff., Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 92 f. 48 s. Kremer, EuR 2003, 696, 702. 49 Dies dürfte auch erklären, weshalb das deutsche Staatshaftungrecht trotz aufwendigster Bemühungen bislang noch immer keine gesetzgeberische Kodifizierung erfahren hat. 50 Soweit die verletzten Unionsrechtsnormen nicht ohnehin über das mitgliedstaatliche Deliktsrecht mit der Schadensersatzfolge bewehrt werden. 51 Vgl. Wundenberg, ZGR 2015, 124, 149; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 183. Siehe bereits oben E.III.4.a). 46
II. Übertragbarkeit von Francovich auf Unionsrechtsverstöße durch Private
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Rechtsfolgenseite für dessen Verletzung52. Ein allgemeines EU-Recht auf Schadensersatz kann gerade nicht Annex einer speziellen, ausdrücklich in den unionalen Kompetenzbereich fallenden Materie sein. Da die interpretative Kompetenz des EuGH nur vom EU-Gesetzgeber abgeleitet ist53, kann auch er keinen allgemeinen horizontalen Haftungsanspruch aus der Taufe heben, der die Folgen marktmissbräuchlichen Verhaltens mitumfasste. c) Verknüpfung der Rechtsprechungslinien Für die Frage, ob sich die EuGH-Rechtsprechung zum Rechtsinstitut einer allgemeinen horizontalen Haftung für Unionsrechtsverstöße verdichten lässt, könnte man auch heranziehen, inwieweit der EuGH die einzelnen Rechtsprechungslinien durch Bezugnahme/Selbstzitat miteinander verknüpft54 : So bezieht sich der EuGH etwa in Courage55 ausdrücklich auf Van Gend & Loos sowie auf Francovich, allerdings nur soweit es allgemein um die Rechtsverleihung an Einzelne geht, nicht im Hinblick auf die Kompensation. Auch nimmt der EuGH in Muñoz56 Bezug auf Courage, jedoch wiederum nicht im Hinblick auf die Rechtsfolge des Schadensersatzes. Dieser Befund verstärkt den Eindruck, dass der EuGH auch gar nicht beabsichtigt, ein allgemeines privates Haftungsregime zu schaffen, während er die mitgliedstaatliche Haftung ausdrücklich für die Verletzung des gesamten Gemeinschaftsrechts vorgesehen hat57. Hinzukommt, dass der EuGH die Anspruchsgrundlage des Geschädigten sowohl in Muñoz als auch in Courage und Manfredi gerade nicht im Unionsrecht, sondern im mitgliedstaatlichen Recht verortet hat58. Indem der EuGH sowohl in der Courage- als auch in der Muñoz-Entscheidung darauf verzichtet hat, die Haftungsvoraussetzungen unmittelbar aus dem Unionsrecht abzuleiten bzw. aus der Francovich-Entscheidung
52
Diese hat der EU-Gesetzgeber für die MAR aber gerade nicht in Anspruch genommen. Vgl. Dobler, in: Roth/Hilpold, Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten, 2008, S. 509, S. 540. 54 Vgl. Wurmnest/Heinze, in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 39, 52 f. Zur Vorsicht mahnend Havu, ELJ 18 (2012), 407, 419. 55 EuGH, Urt. v. 20. 9. 2001 – C-453/99, Slg. 2001, I-6297 Rn. 19 – Courage und Crehan. 56 EuGH, Urt. v. 17. 9. 2002 – C-253/00, Slg. 2002, I-7289 Rn. 28 – Muñoz und Superior Fruiticola. 57 EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991 – Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 Rn. 37, 40, 41 – Francovich und Bonifaci ./. Italien; Leczykiewicz, 12 CYELS 257, 262 (2010). 58 Dies wird häufig unter dem Begriff „Rechtsnatur“ diskutiert. Vgl. näher Meessen, Der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht, 2011, S. 20 ff.; s.a. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 298 ff.; jüngst Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 151 ff. Vgl. auch Vollrath, NZKart 2013, 434, 437 m.w.N., der im Rahmen des Richtlinienvorschlags der Sache nach ebenfalls von einem Haftungspostulat ausgeht. 53
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F. EU-Recht auf Schadensersatz?
zu übernehmen, hat er sich auch selbst (implizit) gegen eine Erweiterung der Staatshaftungskriterien auf das Privatrechtsverhältnis ausgesprochen59. 4. Ergebnis Ein EU-Recht auf Schadensersatz würde die sich erst allmählich herausbildenden Überlegungen zu einem unionsrechtlichen Deliktsrecht weit antizipieren. Insofern spricht etwa Wilman von einem „(nascent) principle of private party liability“60. Die besseren Gründe sprechen gegen eine Verdichtung der wiedergegebenen EuGHRechtsprechung zu einem eigenständigen Unionsrecht auf Schadensersatz. In Francovich kann daher keine Keimzelle eines horizontalen Haftungsanspruchs gesehen werden61. Letztlich hat der EuGH bislang allenfalls marktorientiertes Sonderdeliktsrecht geschaffen62, was schon aus kompetenziellen Gründen gar nicht anders geht. Zudem indiziert die Vielgestaltigkeit ausdrücklicher unionsrechtlicher Regelungen zu einer zivilrechtlichen Haftung63, dass ein Vorgehen nach der Devise one size fits all an den sektorspezifischen Regelungsbedürfnissen vorbeiginge.
59 Weyer, ZEuP 2003, 318, 324; s.a. Komninos, CMLR 39 (2002), 447, 469 f.; ähnlich jüngst Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 500. 60 Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.04, S. 10. Vgl. auch Betlem, 64 C.L.J. 126, 144 (2005): „in future, the ECJ may take the step …“. 61 Zum gleichen Ergebnis kommen auch Dougan, National Remedies before the Court of Justice, Issues of Harmonisation and Differentiation, 2004, S. 375; Haba, The Case of State Liability, 2015, S. 103 f., beide mit Verweis auf die speziell für Hoheitsträger entwickelten haftungseinschränkenden Merkmale. 62 Wurmnest, in: Schulze, Compensation of Private Losses, 2011, S. 237. Gleichsinnig Havu, ELJ 18 (2012), 407, 425 f.; s.a. Dougan, National Remedies before the Court of Justice, Issues of Harmonisation and Differentiation, 2004, S. 200 – 226. 63 s. dazu hist. Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.09 ff.
G. Konstitutionelle Überprüfung des Befunds Ob das bisherige Ergebnis, demnach es bei Verletzung der Art. 14, 15 MAR weder ein mitgliedstaatliches Haftungspostulat noch einen unmittelbaren unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch gibt, auch mit höherrangigem Recht vereinbar ist, soll in diesem Kapitel ermittelt werden. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Konstitutionalisierung privater Rechtsverhältnisse1 stellt sich die Frage, ob Unionsbürger ein konstitutionelles2 Recht darauf haben, für erlittenes Unrecht Kompensation verlangen zu können (letztlich ein Recht auf einen Schadensersatzanspruch)3 (G.I.). Die oben besprochene EuGH-Rechtsprechung4 leistet hierzu keinen Beitrag, da sie im Wesentlichen effet-basiert ist und die individuelle Kompensation nicht als eigenwertiges Begründungselement akzentuiert. Ferner ist auf konstitutioneller Ebene zu berücksichtigen, dass eine richterrechtlich entwickelte Schadensersatzhaftung in die Rechtssphäre des Haftenden eingreift und damit rechtfertigungsbedürftig ist5 (G.II.).
I. Recht des Geschädigten auf einen Schadensersatzanspruch? 1. Art. 47 GRCH Nach Art. 47 GRCH hat jede Person, deren durch das Unionsrecht garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Unter „Rechte“ sind alle durch das Unionsrecht 1 Mit historischem Überblick: Maultzsch, JZ 2012, 1040; Leczykiewicz, in: Leczykiewicz/ Weatherill, The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, 2013, S. 199, 204. Allgemein zur Konstitutionalisierung europäischen Rechts siehe J. H. H. Weiler/Wind, European Constitutionalism Beyond the State, 2003. 2 Auch nach dem Scheitern des Vertrags über eine Verfassung für Europa sollte man – ausgehend von den Gründungsverträgen sowie nun AEUV und EUV – eine konstitutionelle Dimension des Unionsrechts anerkennen und diese auch als solche bezeichnen, vgl. Streinz, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 141 ff., insbesondere Rn. 142 f. mit guten Gründen und w.N. 3 Grundlegend zum US-amerikanischen Recht – „Right to a Law of Redress“: John C. P. Goldberg, 115 Yale L. J. 524 (2005). Vgl. zum französischen Recht: D. Martin, Reparation (integrale) des prejudices boursiers: sortons du brouillard, in: Gourio/Daigre, Droit bancaire et financier – Mélanges AEDBF – France VI, 2013, S. 399, 401 et seq. Im Hinblick auf die MAR: Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 329. 4 Siehe unter E.I. sowie unter E.III. – IV. 5 Vgl. Jansen, Struktur des Haftungsrechts, 2003, S. 66 ff.; s.a. Weyer, ZEuP 2003, 318, 338 f.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, § 40 V.
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G. Konstitutionelle Überprüfung des Befunds
garantierten Rechte, d. h. auch solche aus Sekundärrechtsakten, gemeint6. Private können in diesem Sinne Rechte verletzen, soweit das Unionsrecht sie bindet7. Art. 47 GRCH definiert einen Mindeststandard verfahrensrechtlichen Schutzes8 und kann zwar auf die Auslegung materiellen Rechts zurückwirken, generiert aber keine neuen materiellen Rechtspositionen9. Die Norm gebietet mitgliedstaatlichen Gerichten, eigene remedies zu verbessern oder neue zu schaffen, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten10. Insofern beantwortet Art. 47 GRCH die Frage nach einer unionsrechtlich gebotenen zivilrechtlichen Sekundärnorm nicht, sondern verweist die Problematik auf die Ebene der Auslegung der MAR11 im Licht des Art. 4 Abs. 3 EUV zurück12. Art. 47 GRCH setzt einen Schadensersatzanspruch voraus und schafft keinen, weshalb seine Bezugnahme zur Begründung eines Private Enforcement zirkulär wäre13. 2. Zulässigkeit eines nur fragmentarischen Vermögensschutzes In Deutschland ist unumstritten, dass das Deliktsrecht nur einen eingeschränkten Vermögensschutz gewährleisten soll, nämlich über § 823 Abs. 2 BGB sowie bei sittenwidrig-vorsätzlicher Schadenszufügung nach § 826 BGB14. Die Verfassungskonformität dieses fragmentarischen Vermögensschutzes wurde soweit ersichtlich kaum problematisiert15. Mit dieser Beschränkung zieht der Gesetzgeber eine Haftungsgrenze, die unerlässlich ist in einer freien, marktwirtschaftlich verfassten Wettbewerbsgesellschaft, die auf einseitiges Vorteilsstreben ausgerichtet ist16. Zudem werden dadurch eine Übermaßhaftung und eine Überabschreckung mit 6
Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 47 Rn. 6 m.w.N. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl. 2016, Art. 47 Rn. 10 m.w.N. 8 Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 207. Reich, in: Bernitz/Groussot/Schulyok: General Principles of EU Law and European Private Law, 2013, S. 301, 321 ff. 9 So auch Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 206 f.; ders., Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 11, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130; gleichsinnig Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 46. 10 Reich, in: Bernitz/Groussot/Schulyok: General Principles of EU Law and European Private Law, 2013, S. 301, 308. 11 Siehe unter E.VI. 12 Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S. 207. 13 Leczykiewicz, ERCL 2012, 47, 58. Anders aber wohl Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 329. 14 Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 370. 15 Dagegen spielt die Thematik in den USA eine beachtliche Rolle, dazu etwa C. P. Goldberg, 115 Yale L. J. 524, 527 ff. (2005). 16 Vgl. zur Begründung wiederum m.w.N. Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 370 ff. Zur rechtsökonomischen Begründung vgl. weiter Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, S. 709; s.a. Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 187. 7
II. Schadensersatzhaftung als Eingriff in die Sphäre des Schädigers
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wohlfahrtsschädlichen Auswirkungen verhindert17 sowie eine Umgehung besonderer Anforderungen an die vertragliche Haftung18. Die Reichweite des Vermögensschutzes ist nicht verfassungsrechtlich vorgegeben, sondern muss durch Entscheidung des Gesetzgebers sachbereichsbezogen und in sinnvoller Weise konkretisiert werden – etwa durch die Wahl eines angemessenen Verschuldensmaßstabs. Dies spiegelt sich auch in der unvermeidlich normativen Aufladung des Schadensbegriffs wider19. Art. 14 Abs. 1 GG schützt konsequenterweise nur das subjektive Vermögensrecht, nicht aber das Vermögen als solches20. Dies gilt auch für Art. 17 EU-GRCH21. Der Verzicht auf die Anordnung einer zivilrechtlichen Haftung sowohl in der MAR als auch im deutschen Wertpapierrecht ist vor diesem Hintergrund konstitutionell nicht zu beanstanden.
II. Schadensersatzhaftung als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Sphäre des Schädigers Eine im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Schadensersatzpflicht ist ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Verletzers. Ein Vertrauen des Normverletzers darauf, von einer Schadensersatzhaftung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung verschont zu bleiben, ist zwar rechtlich nicht schutzwürdig22. Problematisch erscheint die Wahrung der Bestimmtheit23, die als grundlegendes Prinzip des Unionsrechts24 auch im Zivilrecht Geltung bean17 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012, S. 709; s.a. Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 187. 18 Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 16; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 187. 19 Speziell in kapitalmarktrechtlichem Zusammenhang Schmolke, ZBB 2012, 165, 171; allgemein Oetker, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 17, 23. 20 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 82. EL Jan. 2018, Art. 14 Rn. 160 ff. 21 Dies gilt im Kern auch für Art. 17 GRCH vgl. etwa Sonnevend, in: Grabenwarter, Europäischer Grundrechteschutz, § 14 Rn. 53; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 17 Rn. 8; Wollenschläger, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 17 GRCH Rn. 13. 22 Vgl. Rott, in: Leczykiewicz/Weatherill, The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, 2013, S. 181, 193. 23 s. dazu auch Wilman, Private Enforcement of EU Law Before National Courts, 2015, 1.04, S. 9. 24 Siehe EuGH, Urt. v. 3. 6. 2008 – C-308/06, Slg. 2008, I-4057 Rn. 69 – Intertanko u. a.; EuGH, Urt. v. 14. 4. 2005 – C-110/03, Slg. 2005, I-2801 Rn. 30 – Belgien ./. Kommission; EuGH, Urt. v. 9. 7. 1981 – C-169/80, Slg. 1981, 1931 Rn. 17 – Gondrand und Garancini; EuGH, Urt. v. 13. 2. 1996 – C-143/93, Slg. 1996, I-431 Rn. 27 – Gebroeders van Es Douane Agenten ./. Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen; im Zusammenhang mit dem Verbraucherrecht Cafaggi/Iamiceli, ERPL 3 (2017), 575, 586 m.w.N.
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G. Konstitutionelle Überprüfung des Befunds
sprucht25 : Individuen haben ein Recht darauf, dass die Rechtsordnung ihre Rechte und Pflichten klar und vorhersehbar bestimmt, die Ausdehnung (auch) ihrer zivilrechtlichen Pflichten durch Richterrecht begrenzt bleibt und dass sie anhand konsistenter Methodik und normativ gerechtfertigt erfolgt26. Angesichts des geringen Begründungsaufwands des EuGH in Courage27 und Muñoz28 erscheint gerade diese Vorhersehbarkeit zweifelhaft. Dies gilt umso mehr, als schon die tatbestandliche Abgrenzung von legitimen und verbotenen Verhaltensweisen gerade beim Marktmanipulationstatbestand der Art. 12, 15 MAR im Einzelfall sehr komplex sein kann29.
III. Ergebnis Dem Gesetzgeber einer freiheitlich-verfassten Wettbewerbsgesellschaft steht die Entscheidung frei, ob er die aus Art. 14, 15 MAR folgenden Verhaltenspflichten mit Schadensersatzfolgen bewehren will oder nicht. Er darf einen nur lückenhaften Vermögensschutz gewährleisten. Umgekehrt spricht das Bestimmtheitsprinzip dagegen, eine weitere Haftungsausdehnung durch richterliche Rechtsfortbildung als gerechtfertigt anzusehen, soweit diese ähnlich freihändig erfolgt wie in den Rechtssachen Courage und Muñoz. Dies gilt insbesondere bei Sekundärrechtsakten, die bereits Sanktionsvorgaben enthalten und deren Verhaltensnormen in besonderer Weise „offen“ sind.
25 Insoweit zivilrechtliche Haftung eben (auch) Sanktionscharakter hat, s. Leczykiewicz, in: Leczykiewicz/Weatherill, The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, 2013, S. 199, 204 f. 26 Leczykiewicz, in: Leczykiewicz/Weatherill, The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, 2013, S. 199, 205 unter Bezugnahme auf Fuller, The Morality of Law, 1967, S. 38 f.; s.a. EuGH, Urt. v. 3. 6. 2008 – C-308/06, Slg. 2008, I-4057 Rn. 69 – Intertanko u. a.; EuGH, Urt. v. 14. 4. 2005 – C-110/03, Slg. 2005, I-2801 Rn. 30 m.w.N. – Belgien ./. Kommission; s. auch EuGH, Urt. v. 15. 10. 2009, C-101/08, Slg. 2009 I-09823 Rn. 58 – Audiolux u. a. 27 Siehe oben E.III. 28 Siehe oben E.IV. 29 Vgl. Erwägungsgrund (38) MAR; Schmolke, AG 2016, 434, 436. Zu dadurch möglichen Wohlfahrtsverlusten vgl. Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 240 f.
H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz Wie bereits dargelegt, gibt es keine im Wirksamkeitsgedanken des Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte oder sonstige konstitutionell-unionsrechtliche Vorgabe gegenüber den Mitgliedstaaten, eine zivilrechtliche Haftung für marktmissbräuchliches Verhalten vorzuhalten. Der deutsche Verzicht auf einen speziellen Haftungstatbestand für die Verletzung von Art. 14, 15 MAR ist daher unionsrechtskonform. In diesem Kapitel soll gleichwohl beleuchtet werden, inwieweit bestehende deutsche Haftungsregeln – nach ihrer autonomen Funktionslogik – marktmissbräuchliches Verhalten erfassen. Damit soll zum einen geklärt werden, ob das vielfach behauptete unionsrechtliche Postulat einer zivilrechtlichen Haftung in Deutschland nicht teilweise bereits verwirklicht ist (dazu unter H.I.). Zum anderen soll erwogen werden, ob der ebenfalls primärrechtlich verwurzelte Äquivalenzgrundsatz eine Ausdehnung bestehender Haftungsregelungen auf die Art. 14, 15 MAR verlangt (dazu unter H.II.). Schließlich soll kurz das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV angesprochen werden, in dem die Fragestellung der Arbeit gerichtlich geklärt werden könnte (H.III.).
I. Zivilrechtliche Haftung nach deutscher Rechtslage 1. Haftung gemäß §§ 97, 98 WpHG Das Erste und das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz1 haben die §§ 97, 98 WpHG inhaltlich unberührt gelassen. Beide Anspruchsgrundlagen schützen das abstrakte Vertrauen der Anleger darauf, dass die Emittenten von Finanzinstrumenten ihre in Art. 17 MAR verankerte Pflicht erfüllen, Insiderinformationen unverzüglich und korrekt zu veröffentlichen2. Dadurch soll – ebenso wie es das Verbot der Marktmanipulation bezweckt3 – die Bildung unangemessener Preise verhindert werden, die durch Informationsdefizite entstehen4. 1 Einen Überblick zur Finanzmarktnovellierung in Deutschland gibt Jordans, BKR 2017, 273 ff. 2 Zimmer/Grotheer, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 37c Rn. 5. Die rechtsdogmatische Qualifikation ist im Einzelnen umstritten, vgl. etwa Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 37 m.w.N. Ausführlich Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 32 ff. 3 Hellgardt, ZIP 2005, 2000, 2001; gleichsinnig Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 50. Etwas allgemeiner formulieren das etwa Erwägungsgründe (2), (44), (47), (55) sowie Art. 1 der MAR.
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H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz
a) Erfassung verbotenen Insiderverhaltens Unter „unrechtmäßiger Offenlegung“ von Insiderinformationen im Sinne von Art. 14 c) MAR könnte im ersten Zugriff auch eine Verletzung der Ad-hoc-Pflicht aus Art. 17 Abs. 1 Ua. 2 MAR fallen. Danach müssen Emittenten sicherstellen, dass „die Insiderinformationen in einer Art und Weise veröffentlicht werden, die es der Öffentlichkeit ermöglicht (…), sie vollständig, korrekt und rechtzeitig zu bewerten“. Indem § 97 Abs. 1 WpHG ausdrücklich an Art. 17 MAR anknüpft, würde das WpHG somit auch einen Teilausschnitt der Verbotsnorm des Art. 14 MAR mittelbar mit einer zivilrechtlichen Haftungsfolge bewehren. Dagegen spricht, dass Art. 10 Abs. 1 MAR eigens für die Zwecke der Verordnung definiert5, wann eine unrechtmäßige Offenlegung gegeben ist: Dies ist der Fall, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und diese gegenüber einer anderen Person offenlegt, zum Beispiel einem potenziellen Investor6 oder Softwareentwicklern, die mit Tradern zu marktmissbräuchlichen Zwecken kollaborieren (vgl. Erwägungsgrund 39 MAR). Die Offenlegung ist dabei ausnahmsweise rechtmäßig, wenn sie im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben geschieht. Demgegenüber sieht der in Kapitel 3 (Offenlegungsvorschriften) verortete Art. 17 MAR eine Emittentenpublizität7 gegenüber dem allgemeinen Publikum vor. Die deutsche Sprachfassung hebt beide Konstellationen noch etwas deutlicher voneinander ab, indem Art. 17 MAR hier von „Veröffentlichung“ anstatt von „Offenlegung“ spricht, während die englische Sprachfassung nur von „unlawful disclosure“ sowie von „public disclosure“ spricht. Die §§ 97, 98 WpHG rezipieren Art. 14 MAR daher auch nicht mittelbar. Das eigentliche Insiderverbot, welches von der Ad-hoc-Publizität ergänzt wird8, bleibt ohne zivilrechtliche Haftungsbewehrung. Die §§ 97, 98 WpHG fördern mit ihrer Anknüpfung9 an Art. 17 MAR aber den Zweck des Art. 14 MAR: Bei der Ad-hoc-Publizitätspflicht handelt es sich um eine Folgepflicht zur Prävention und Sanktion des Insiderrechts10 (ebenso präventiven 4 Hopt/Voigt, in: Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, S. 9, 108 m.w.N. 5 Veil, ZBB 2014, 85, 91. 6 Siehe aber Erwägungsgrund (34) MAR, wonach dies im Verlauf einer Marktsondierung rechtmäßig sein kann. Vgl. dazu auch Veil, in: Veil, European Capital Markets Law, 2017, § 14 Rn. 75 ff. 7 Klöhn, AG 2016, 423, 429. 8 Zetzsche/Wachter, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 D Rn. 129. 9 Eine ausdrückliche Bezugnahme war nur in § 98 WpHG erforderlich, weil nur dort bislang an den nunmehr weitgehend obsoleten § 15 WpHG angeknüpft wurde. 10 Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 175; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 15 Rn. 55; s. ferner Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2013, § 10 Rn. 3;
I. Zivilrechtliche Haftung nach deutscher Rechtslage
165
Charakter haben die Pflichten, nach Art. 18 MAR Insiderlisten zu führen und nach Art. 19 MAR Eigengeschäfte von Führungskräften zu melden11): Die Veröffentlichungspflicht verkürzt den Zeitraum, in dem der Insider einen Informationsvorsprung vor dem allgemeinen Publikum und damit überhaupt die Möglichkeit hat, dem Verbot zuwider zu handeln12. Ist die Information bekanntgegeben, kann sie nicht mehr zum Gegenstand eines Insidergeschäfts gemacht werden13. b) Erfassung marktmanipulativen Verhaltens Marktmanipulatives Verhalten kann von den §§ 97, 98 WpHG nur insoweit erfasst werden, als sich der Täter der Abgabe von Ad-hoc-Mitteilungen bedient oder rechtswidrig auf diese verzichtet14. Dass Ad-hoc-Mitteilungen ein hohes Potenzial haben, Kursbewegungen zu beeinflussen, liegt auf der Hand und ist empirisch nachgewiesen15. Sie gelten daher als beliebtes Manipulationsmittel16. Der Manipulator kann in einer Ad-hoc-Mitteilung etwa offensichtlich falsche Informationen erfinden, absichtlich wesentliche Sachverhalte unterschlagen sowie wissentlich unrichtige Informationen angeben, in Betracht kommt zudem die Angabe falscher Geschäftsabschlüsse, falscher Zahlen oder das Vortäuschen nicht vorhandener Geschäftsbeziehungen17. Dass die Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung nach Art. 17 Abs. 1 MAR zugleich eine Informationsverbreitung nach Art. 12 Abs. 1 lit. c darstellt, bedarf keiner näheren Erläuterung. Eine Verletzung von Art. 17 Abs. 1 Ua. 2 MAR, wonach Insiderinformationen in einer Art und Weise veröffentlicht werden müssen, die es der Öffentlichkeit ermöglicht, schnell auf sie zuzugreifen (…) und sie vollständig, korrekt und rechtzeitig zu bewerten, erfüllt stets zugleich Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR, wenn folgendes hinzukommt18: Die Ad-hoc-Mitteilung muss ein irreführendes oder
Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973, S. 175; vgl. auch Koch, in: Veil, European Capital Markets Law, 2017, § 19 Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch Erwägungsgrund (49) MAR; Grundmann, in: Staub HGB, Bd. 11/1, 5. Aufl. 2017, 6. Teil Rn. 261. 11 Siehe Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.4.30 ff. 12 Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973, S. 175. 13 Frowein, in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2013, § 10 Rn. 3. 14 Siehe z. B. Arlt, Der strafrechtliche Anlegerschutz vor Kursmanipulation, 2004, S. 68 f. Vgl. auch die Gesetzesbegründung zum Vierten Finanzmarktförderungsgesetz BT-Drs. 14/ 8017, 89 r. Sp. 15 Vgl. Oerke, Ad-Hoc-Mitteilungen und deutscher Aktienmarkt, S. 158 f., 192 f. 16 So Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation, 2006, S. 23. Vgl. hierzu Erwägungsgrund (47) der MAR. 17 Hellgardt, ZIP 2005, 2000; vgl. auch Erwägungsgrund (47) der MAR, der auch das besondere Schadenspotenzial derartiger Manipulationen hervorhebt und näher beschreibt. 18 Vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten der MAR erneut Hellgardt, ZIP 2005, 2000, 2001.
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H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz
falsches Signal hinsichtlich des Angebots oder des Kurses eines Finanzinstruments19 geben oder dies muss jedenfalls wahrscheinlich sein20. Alternativ muss sie ein anormales oder künstliches Kursniveau herbeiführen oder dies muss jedenfalls wahrscheinlich sein. Bedenkt man den empirisch gesicherten Befund des starken Kursbeeinflussungspotenzials von Ad-hoc-Mitteilungen21, wird regelmäßig bereits die erste Alternative zu bejahen sein. Der Art. 15 MAR ausdifferenzierende Art. 12 MAR reicht zwar viel weiter als die nach Art. 17 Abs. 1 bestehende Ad-hoc-Pflicht, diese lehnt sich jedoch ihrerseits besonders eng an das Marktmanipulationsverbot an22. Da über Art. 2 Abs. 4 MAR die Unterlassung im Hinblick auf die Verbote der MAR ausdrücklich einer (aktiven) Handlung gleichgestellt wird, kann auch § 97 WpHG unter den obigen Voraussetzungen eine Haftung auslösen. Auch können manipulative Kombinationsformen, bei denen sich der Täter im Zusammenspiel mit anderen Mitteln unrichtiger Ad-hocMitteilungen bedient, Art. 12 Abs. 1 lit. b MAR unterfallen, da solche Mitteilungen regelmäßig auch eine „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ darstellen werden. Art. 15 MAR ist damit in einem wichtigen Anwendungsfall, nämlich der Manipulation durch Ad-hoc-Mitteilungen, mittelbar über § 98 WpHG, Art. 12 Abs. 1 lit. c, Art. 17 Abs. 1 MAR zivilrechtlich haftungsbewehrt. Einer Ausdehnung der als (Inlands-)Emittentenhaftung konzipierten §§ 97, 98 WpHG im Wege der Analogie hin zu einer allgemeinen Kapitalmarktinformationshaftung auf dem Sekundärmarkt hat die Rechtsprechung allerdings mit guten Gründen eine Absage erteilt23. Auch eine analoge Erweiterung der Passivlegitimation insbesondere auf den Vorstand des Emittenten ist abzulehnen, weil sich der Gesetzgeber bewusst und erkennbar gegen eine solche Vorstandshaftung entschieden hat, weshalb bereits eine Regelungslücke fehlt24. 19 Mit einem Finanzinstrument derivativ verbundene Waren-Spot-Kontrakte oder auf Emissionszertifikaten beruhende Auktionsobjekte sind freilich ebenfalls erfasst, siehe Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR. Zugunsten der besseren Lesbarkeit wird auf deren Erwähnung im Haupttext jedoch verzichtet. 20 Alternativ genügt es, wenn die Informationsverbreitung ein anormales oder künstliches Kursniveau des Finanzinstruments herbeiführt oder zumindest dazu geeignet ist, Art. 12 Abs. 1 lit. c MAR. Hier wird im Einzelnen vieles von Rechtsprechung und Wissenschaft zu klären sein, vgl. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 12 Rn. 264. 21 Das erhebliche Kursbeeinflussungspotenzial ist bekanntlich Tatbestandsmerkmal der Insiderinformation, Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR; s.a. Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 118 ff.; zur Empirie siehe etwa Oerke, Ad-Hoc-Mitteilungen und deutscher Aktienmarkt, 1999. 22 So Hellgardt, ZIP 2005, 2000, 2001 zum Verhältnis zwischen den damaligen § 20a und § 15 WpHG. 23 Vgl. BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 @ XI ZR 51/10 (IKB) = NJW 2012, 1800 Rn. 17; dies hatten Mülbert/Steup, in: WM 2005, 1633, 1651 vorgeschlagen (Haftung auch für fehlerhafte Regelpublizität). 24 Siehe dazu näher Möllers/Leisch, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, 37c WpHG Rn. 89.
I. Zivilrechtliche Haftung nach deutscher Rechtslage
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c) Zwischenergebnis Die derzeitige Haftungsregelung des WpHG für falsche Kapitalmarktinformationen (§§ 97, 98 WpHG) deckt die wichtige Konstellation der Marktmanipulation durch Ad-hoc-Mitteilungen ab. Insofern erfasst sie eine Teilmenge marktmanipulativer Verhaltensweisen und ordnet hierfür eine zivilrechtliche Haftung an. Ihre Reichweite ist aber mehrfach begrenzt: Manipulation durch andere öffentliche Verlautbarungen als Ad-hoc-Mitteilungen werden nicht erfasst, zudem haftet ausweislich des klaren Wortlauts lediglich der Inlandsemittent. Das Insiderverbot wird dagegen nur mittelbar zivilrechtlich geschützt, soweit man die Ad-hoc-Pflicht als Folgepflicht zur Prävention und Sanktion des Insiderrechts25 versteht. 2. Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB Eine Haftung für die Verletzung von Art. 15 MAR könnte aus § 823 Abs. 2 BGB folgen. Die Bestimmung des § 823 Abs. 2 BGB übersetzt als Transmissionsriemen Wertungen anderer Rechtsgebiete ins Zivilrecht26. Sie kann daher als Private Enforcement-Norm bezeichnet werden27. Für die Schutzgesetzeigenschaft ist nach hergebrachter deutscher Lesart maßgeblich, ob die konkrete Einzelnorm auch (!) dem Schutz von Individualinteressen oder einzelnen Personenkreisen zu dienen bestimmt ist28. Im Kern geht es um die Abgrenzung ausschließlich im allgemeinöffentlichen Interesse erlassener Normen von denen, die einem Rechtssubjekt ein bestimmtes Verhalten gerade im Interesse eines anderen Rechtssubjekts ge- oder verbieten29. Der deutsche Begriff vom Schutzgesetz darf dem Unionsbürger 25
Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 175; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 15 Rn. 55. 26 Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 474 m.w.N. Für Hellgardt „die wichtigste Anspruchsgrundlage des Kapitalmarktdeliktsrechts“, Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht 2008, S. 551. 27 Vgl. oben unter A.III.2.b). 28 BGH NZG 2012, 263, 265 (IKB-Urteil); Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, Beck-OK BGB, Ed. 46 Stand: 1. 5. 2018, § 823 Rn. 273; Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 498 m.w.N. Da die Norm gerade keine durch den Rechtsanwender auszufüllende Generalklausel ist, ist hierfür alleine der gesetzgeberische Wille maßgeblich, Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 16 f.; s. auch Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, Vor § 823 BGB Rn. 14, § 823 BGB Rn. 474; Deutsch, VersR1993 1, 3; Schmolke, Organwalterhaftung für Eigenschäden von Kapitalgesellschaftern, 2004, S. 105; zur Entstehungsgeschichte weiter Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, Erster Teil, 1974, S. 12 ff. 29 Vgl. BGB Prot. 150. E. I §. 704; E. II §. 746: „Die Rechtskreise seien aber auch noch in der Weise voneinander abgegrenzt, dass das Gesetz dem Einen in dem Interesse eines Anderen gewisse Pflichten auferlege, ihm ein bestimmtes Verhalten gebiete oder verbiete. Dabei können jedoch nur solche Gebote und Verbote in Betracht kommen, welche darauf abzielen, die Interessen des Einen vor der Beeinträchtigung den Anderen zu bewahren, nicht dagegen die im Interesse der Gesamtheit auferlegten gesetzlichen Pflichten, welche, weil sie den Interessen Aller förderlich seien, auch jedem irgendwie Beteiligten zu gute kommen“.
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H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz
selbstverständlich keinen unionsrechtlich geforderten (Ersatz-)Anspruch aus der Hand schlagen30. Das Unionsrecht kann grundsätzlich auch subjektive Rechte verleihen, wenn die durchzusetzende Norm nicht privatnützig ist. Setzt man die (teilweise) Privatnützigkeit für die Schutzgesetzhaftung weiterhin voraus, kann das deutsche Recht eine von einer funktionalen Subjektivierung eventuell verlangte Haftbarmachung nicht abbilden, wenn eine spezialgesetzliche Regelung fehlt. a) Marktmanipulationsverbot aa) Vorläuferregelung des § 20a WpHG Nach ganz herrschender Auffassung war das damalige deutsche, bereits unionsrechtlich vorgegebene31 Marktmanipulationsverbot des § 20a WpHG aF kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB32. Der BGH hatte diese Sichtweise zuletzt in seiner IKB-Entscheidung bestätigt33. Er legte die Norm lehrbuchmäßig aus und erkannte im Anschluss an die herrschende Auffassung im Schrifttum und in Anlehnung an die Begründung zum Vierten Finanzmarktförderungsgesetz die Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte, d. h. die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an Märkten und Börsen, als vorrangiges Regelungsziel an34. Diesen Befund überprüfte und bestätigte er auch anhand der § 20a WpHG aF zugrunde liegenden Marktmissbrauchrichtlinie 2003/6/EG, deren Erwägungsgründe ebenfalls den Schutz der Marktintegrität zum Hauptziel erklärten35. Zudem betonte der BGH die Grundentscheidung des historischen BGB-Gesetzgebers gegen eine allgemeine deliktische Haftung für Vermögensschäden, die nicht unterlaufen werden dürfe durch die ausufernde Anerkennung von Schutzgesetzen36. Dem schloss sich einige Jahre später auch das LG Stuttgart an und setzte sich noch intensiver mit dem unionsrechtlichen Hintergrund auseinander37. Dabei ging es 30
Auf die generell bestehende Gefahr hinweisend Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355, 416. Siehe Art. 5 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. L 96 vom 12. 4. 2003, S. 16 – 25. 32 Überblick zum Meinungsstand hinsichtlich § 20a WpHG a.F. bei Mock, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, § 20a WpHG Rn. 474 f. 33 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 – 118, juris Rn. 19 – 26. 34 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 – 118, juris Rn. 24. s.a. Schmolke, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Vor Art. 12 Rn. 33 Fn. 97; Fleischer, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, Vor § 20a Rn. 1; Grundmann, in: Staub, HGB, Bd. 11/1, 5. Aufl. 2017, 6. Teil Rn. 435. 35 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 – 118, juris Rn. 24. 36 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 – XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 – 118, juris Rn. 26. 37 LG Stuttgart, Urt. v. 17. 3. 2014 – 28 O 183/13 –, juris, Rn. 132 – 136. Bestätigt von OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 3. 2015 – 2 U 102/14 –, juris. 31
I. Zivilrechtliche Haftung nach deutscher Rechtslage
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insbesondere auf die EuGH-Entscheidung Genil 48 SL38 ein und stellte fest, dass die Rechtsfolgen im Verletzungsfall autonom vom mitgliedstaatlichen Recht zu bestimmen seien39. Das Schweigen des Richtliniengebers zu zivilrechtlichen Rechtsfolgen der damaligen Marktmissbrauchsrichtlinie legte das LG Stuttgart gegen ein Haftungspostulat aus; infolgedessen sah es sich nicht zu einer Vorlage an den EuGH veranlasst40. bb) Neuregelung des Art. 15 MAR Es stellt sich die Frage, ob die Schutzgesetzeigenschaft des Marktmanipulationsverbots auch nach Inkrafttreten der MAR zu verneinen ist41. Im Zusammenhang mit der Verbreitung falscher oder irreführender Informationen sagt Erwägungsgrund (47) MAR aus, dass diese Form der Marktmanipulation „den Anlegern in besonderer Form schade“42. Für die informationsgestützte Marktmanipulation43 wird daher ein Private Enforcement sogar als mit der hergebrachten Schutzzwecklehre vereinbar und geboten angesehen44. Eine solche Unterscheidung ist aber inhaltlich wenig überzeugend: Zum einen ist die handlungsgestützte Marktmanipulation mit Blick auf den Unrechtsgehalt nicht per se mehr oder weniger „sanktionswürdig“45. Zum anderen differenziert der Verordnungsgeber die Sanktionsintensität nicht nach den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Marktmanipulation (siehe Art. 30 Abs. 1 Ua. 1 lit. a MAR). Dies sieht offensichtlich auch der deutsche Gesetzgeber im 2. FiMaNoG so, der die in der Vorgängerfassung bestehende Aufspaltung von § 39 Abs. 2 Nr. 3 und § 39 Abs. 3c WpHG nunmehr zugunsten eines einheitlichen Tatbestandes eingeebnet hat (vgl. nun § 120 Abs. 2 Nr. 3 WpHG)46. Durch die Überführung des Manipulationsverbots in die EU-Verordnungsform ist der Wille des Verordnungsgebers für die Auslegung maßgeblich47. Ein Wille des 38
EuGH, Urt. v. 30. 5. 2013 – C-604/11, ECLI:EU:C:2013:344 – Genil 48 und Comercial Hostelera de Grandes Vinos. 39 LG Stuttgart, Urt. v. 17. 3. 2014 – 28 O 183/13 –, juris, Rn. 134 f. 40 Ebd. Rn. 135 f. 41 Für den Schutzgesetzcharakter des Art. 14 MAR jüngst Beneke/Thelen, BKR 2017, 12; für den Schutzgesetzcharakter von Art. 15, 12 Abs. 1 lit. d MAR jüngst Rau, BKR 2017, 57, 61 f. 42 Poelzig, ZGR 2015, 801, 816 f. 43 Grundlegend zur Unterscheidung: Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 246. 44 So Poelzig, ZGR 2015, 801, 815 f. 45 Dafür gibt der handlungsgestützte Marktmanipulationsversuch gegen den Mannschaftsbus der Borussia Dortmund ein Beispiel, siehe Scherbaum, FAZ v. 21. 4. 2017, online: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/so-wollte-der-tatverdaechtige-mit-dem-bvb-an schlag-geld-verdienen-14981024.html. 46 Vgl. BT-Drs. 18/10936, 251 Nr. 123. 47 So auch Beneke/Thelen, BKR 2017, 12, 14 f., die dann aber den Willen des Verordnungsgebers mit der EuGH-Rechtsprechung in Muñoz gleichsetzen. Da der EU-Gesetzgeber
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H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz
Verordnungsgebers, mit Art. 15 MAR auch das individuelle Vermögen der Anleger zu schützen, ist weder in der MAR selbst noch in den Gesetzgebungsmaterialien manifest geworden48. Ob eine solche Manifestation überhaupt erforderlich ist, ist jedoch umstritten49. Gerade der Unionsgesetzgeber dürfte die deliktsrechtlichen Konsequenzen in den Mitgliedstaaten vielfach schlicht nicht bedenken50. Das sollte nicht automatisch zur Versagung der Schutzgesetzeigenschaft führen. Vor diesem Hintergrund muss die gesetzgeberische Gesamtkonzeption mit einem möglichen individuellen Haftungsschutz abgeglichen werden. Denn eine zivilrechtliche Haftung kann nur dann im Sinne des Verordnungsgebers sein, wenn sie dessen Durchsetzungsregime folgerichtig fortschreibt51. Wie bereits dargestellt52, setzt die MAR den Anlegerschutz in den Rang eines eigenständigen Regelungsziels. Der Anlegerschutz bleibt jedoch dem Meta-Ziel der Kapitalmarkteffizienz untergeordnet und bedarf keiner zivilrechtlichen Haftung53. Private werden nur begrenzt und im Wege gesetzlicher Verpflichtung aktiviert54. Unabhängig vom jeweiligen Anlegerschutzkonzept wird eine zivilrechtliche Haftung im Sinne des Verordnungsgebers sein, wenn das von ihm vorgesehene Sanktionssystem versagt hat und nur ein richterrechtlich entwickeltes Haftungspostulat erreichen kann, dass die Regelungsziele wenigstens teilweise verwirklicht werden. Um sicherzustellen, dass sich ein in Art. 4 Abs. 3 EUV primärrechtlich fundiertes, richterrechtlich entwickeltes Haftungspostulat nicht vom Willen des Verordnungsgebers löst, wurden bereits die Rechtsfortbildung einschränkende Kriterien vorgeschlagen55. Deren Anwendung auf die MAR ergab, dass ein Gebot zur zivilrechtlichen Haftungsbewehrung der Art. 14, 15 MAR weder existiert noch derzeit im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt werden sollte56. Insoweit ist eine zivilrechtliche Haftung auch nicht im Sinne des Verordnungsgebers57. nicht wissen könne, ob das Public Enforcement schlagkräftiger werde, „wird er auf sein wirksames Korrektiv (gemeint ist die private Haftung) kaum verzichten wollen.“, ebd., S. 15. 48 Siehe unter E.VI.4.b)bb) ff. 49 Zur Kritik an einem solchen Manifestationserfordernis bereits Williams, 23 Mod. L. Rev. 233, 244 (1960): „process of looking for what is not there, unaided by any compelling presumptions, naturally leads to the most surprising diversity of outcome“; Buxbaum, Die private Klage, 1972, S. 44; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 123; Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, Erster Teil, 1974, S. 108. 50 Buxbaum, Die private Klage, 1972, S. 44; Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, Erster Teil, 1974, S. 108; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, 1998, S. 123. 51 Vgl. Schmolke, NZG 2016, 721, 725. 52 Siehe unter E.VI.4.b)bb). 53 Siehe unter E.VI.4.b) ff. 54 Siehe unter E.VI.2.b). 55 Siehe unter E.V. 56 Siehe unter E.III. – E.IX.
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Aus diesem Grund entsteht kein Bedürfnis, von der hergebrachten nationalen Schutzgesetzdefinition, die eine (mindestens teilweise) Privatnützigkeit der in Bezug genommenen Norm verlangt, im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung abzurücken58. Wie bereits erwähnt, kann Unionsrecht subjektive Rechte zwar auch zur Durchsetzung eines reinen Funktions-/Institutionsschutzes verleihen (Loslösung von der Privatnützigkeit)59. Da die Art. 14, 15 MAR, Art. 4 Abs. 3 EUV jedoch mangels funktionaler Subjektivierung schon keine subjektive Rechtsposition erzeugen, entsteht ein Konflikt mit dem hergebrachten Verständnis von § 823 Abs. 2 BGB gar nicht erst. Der hier vorgeschlagene „restraint“ verhindert dessen Entstehung, indem er die subjektive Funktionalisierung an den Willen des EU-Gesetzgebers zurückbindet und sich insoweit mit der hergebrachten Schutzgesetzdogmatik deckt, die ebenfalls am gesetzgeberischen Willen anknüpft („zu dienen bestimmt“). Die Lesart des BGH, der im Manipulationsverbot einen reinen Funktionenschutz erkennt und deshalb die Schutzgesetzeigenschaft verneint, ist so mit der Konzeption des Verordnungsgebers, der auf ein Public Enforcement und eine begrenzte Indienstnahme Privater setzt, vereinbar. Sie deckt sich mit dem Durchsetzungsziel des Verordnungsgebers, das sich bislang nicht als korrekturbedürftig erwiesen hat60. Das Festhalten an einer teilweisen Privatnützigkeit als Voraussetzung für die Schutzgesetzhaftung wahrt insoweit den Willen des EU-Verordnungsgebers und vereitelt ihn nicht61. Denn dies achtet die Differenz zu den kapitalmarktrechtlichen Bestimmungen, in denen der Verordnungsgeber eine Haftung ausdrücklich vorgesehen hat. Es ist somit gerade die unionsrechtskonforme Auslegung des § 823 Abs. 2 BGB – im Lichte der MAR wie des Art. 4 Abs. 3 EUV – nach der die Schutzgesetzeigenschaft der Neuregelung des Art. 15 MAR zu verneinen ist62. b) Insiderverbot Für das Verbot von Insidergeschäften und der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen aus Art. 14 MAR gilt im Kern dasselbe63 : Die Schutzgesetz57
Andere Ansicht Schockenhoff/Culman, AG 2016, 517, 520. Zum selben Ergebnis kommend Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 509. 59 Siehe unter E.V.2.; E.V.4.; E.VI.4.b)aa)(2). 60 Siehe unter E.VIII. 61 Der Begriff vom Schutzgesetz erweist sich insoweit als Komplementärstück der funktionalen Subjektivierung. Beide dienen der Durchsetzung eines gesetzgeberischen Willens: Während die funktionale Subjektivierung dem Willen des Unionsrechtsgebers (positiv) zur Durchsetzung verhilft, indem sie mitgliedstaatliche Haftungsregelungen aktiviert und somit ausweitet, bezweckt der Begriff vom Schutzgesetz, eine Haftungsausweitung (negativ) zu verhindern, die der Gesetzgeber möglicherweise gar nicht gewollt hat (judicial self-restraint), vgl. Schmolke, NZG 2016, 721, 725. 62 Anderer Ansicht Beneke/Thelen, BKR 2017, 12 ff. 63 Siehe unter H.I.2.a)aa). So auch Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 510. 58
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H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz
eigenschaft des Art. 14 MAR muss aus den gleichen Gründen abgelehnt werden64 wie die der deutschen Vorläuferregelung des § 14 WpHG65. 3. Haftung gemäß § 826 BGB Der Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung steht neben den Spezialregelungen aus §§ 97, 98 WpHG66. Vor deren Einführung wurde er zur Bewältigung der durch den Neuen Markt aufgeworfenen Fälle herangezogen67. Während im Rahmen der §§ 97, 98 WpHG nur der Emittent passivlegitimiert ist, kann § 826 BGB bekanntlich eine persönliche Haftung des marktmissbräuchlich agierenden Schädigers begründen. Zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit kann in einer pluralistischen Gesellschaft mit grundrechtlich verbürgter Glaubens- und Meinungsfreiheit nicht an vor- bzw. außerrechtliche ethische Normen angeknüpft werden68. Das kapitalmarktrechtliche Sittenwidrigkeitsurteil muss stets auf der Verletzung einer gesetzlichen Pflicht aufbauen69. Um den systematischen Unterschied zwischen § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB zu wahren, braucht es sachgerechte Kriterien, die sicher stellen, dass § 826 BGB auf Fälle mit besonders hohem Unrechtsgehalt beschränkt bleibt und die gesetzgeberische Entscheidung für einen begrenzten Vermögensschutz respektiert wird. Hierzu bietet es sich an, den Sittenverstoß auf den kriminalisierten Bereich des Marktmissbrauchsrechts zu beschränken und an § 119 WpHG anzuknüpfen, der die Vorgaben der CRIM-MAD umsetzt. Denn mit der Kriminalisierung spricht der Gesetzgeber einen besonderen sozialethischen Tadel aus70. Die laut BGH zudem erforderliche „besondere Verwerflichkeit“ kann sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben71. Der BGH leitete sie beispielsweise aus einem Verhalten ab, das erkennen lässt, dass dem Schädiger „offensichtlich jedes Mittel recht“ war, um bei den potenziellen Anlegern des Marktes (positive) Vorstellungen 64
Andere Ansicht Beneke/Thelen, BKR 2017, 12 ff. Mennicke, in: Fuchs, WpHG, 2. Aufl. 2016, § 14 WpHG Rn. 442 ff.; Klöhn, in: Kölner Kommentar WpHG, 2. Aufl. 2014, § 14 Rn. 521; Klöhn, in: Klöhn, Marktmissbrauchsverordnung, 2018, Art. 14 Rn. 122. 66 Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 112. 67 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 58. 68 Oechsler, in: Staudinger BGB, 2018, § 826 Rn. 26; vgl. auch Wilhelmi, in: Erman, BGB Kommentar, Band II, 15. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 3. 69 Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 64 f., der folgendes kritisiert: Indem § 826 BGB an die Verletzung einer kapitalmarktrechtlich statuierten Gesetzespflicht anknüpft, kommt es zu einer Vermengung mit § 823 Abs. 2 BGB, dessen Schutzzweckerfordernis als haftungsbegrenzendes Kriterium aber zugleich ausgehebelt wird, ebd. S. 67. 70 Siehe Frisch, NStZ 2016, 16, 17 et passim. 71 BGH NJW 2004, 2668, 2670. 65
II. Haftungspostulat oder sonstige Vorgaben aus dem Äquivalenzgrundsatz?
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über den Wert des Unternehmens hervorzurufen und über die einsetzende Nachfrage den Kurs (…) zu pushen“72. In der Vergangenheit scheiterten die meisten Kläger aber am Nachweis der Transaktionskausalität, der manchen als probatio diabolica gilt73. Der BGH verlangt ihn anders als die §§ 97, 98 WpHG auch dann, wenn der Kläger nur den Differenzschaden geltend macht74. Ohne Revision dieser Haltung wird § 826 BGB kaum nennenswerten zivilrechtlichen Haftungsschutz gegen Marktmissbrauch gewährleisten können. 4. Ergebnis Im Gegensatz zu Verstößen gegen das Insiderverbot des Art. 15 MAR können bestimmte marktmanipulative Verhaltensweisen im Einzelfall bereits nach derzeitiger Rechtslage eine zivilrechtliche Haftung auslösen, insbesondere Täuschungen mittels Ad-hoc-Mitteilungen über §§ 97, 98 WpHG. Einen nennenswerten und lückenlosen zivilrechtlichen Schutz vor marktmissbräuchlich bedingten Vermögenseinbußen leistet das gegenwärtige allgemeine Deliktsrecht aber nicht75. Es steht Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten selbstverständlich weiter frei, einen speziellen Haftungstatbestand zu schaffen.
II. Haftungspostulat oder sonstige Vorgaben aus dem Äquivalenzgrundsatz? 1. Äquivalenz Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung können sich auch aus dem Äquivalenzgrundsatz ergeben. Bekanntlich nahm dieser seinen Anfang in den Entscheidungen Rewe76 und Comet77 und wird im Wesentlichen ebenfalls auf den in Art. 4 Abs. 3 EUV wurzelnden Gedanken der loyalen Zusammenarbeit gestützt78. Im 72
BGH NJW 2004, 2668, 2671. Wagner, in: Casper/Klöhn/Roth/Schmies, FS Köndgen, 2016, S. 649, 661 f.; s.a. Weichert, Der Anlegerschaden bei fehlerhafter Kapitalmarktpublizität, 2008, S. 260 ff. 74 E. g. BGH ZIP 2007, 679, 680 Rn. 9 – ComRoad II; ZIP 2007, 681 f. Rn. 5 ff. – ComRoad I; ZIP 2007, 326 Rn. 4 ff.; dazu krit. Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 BGB Rn. 114. 75 Zur diesbezüglich ebenfalls begrenzten Leistungsfähigkeit des US-amerikanischen Deliktsrechts siehe Alkhamees, 20 Journal of Financial Regulation and Compliance, 41 – 55 (2012). 76 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976 – C-33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe ./. Landwirtschaftskammer für das Saarland. 77 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976 – C-45/76, Slg. 1976, 2043 Rn. 11/18 – Comet BV ./. Produktschap voor Siergewassen. 78 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 329. 73
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Vergleich zum Effektivitätsgrundsatz kommt ihm eine tendenziell abgeschwächte Bedeutung zu, sowohl in der EuGH-Judikatur als auch bei der Rezeption durch die Mitgliedstaaten79. Seine später vielfach variierte und präzisierte Kernaussage lautete zunächst, dass die „Bedingungen“ bei der Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechte vom mitgliedstaatlichen Recht nicht ungünstiger gestaltet werden dürften als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen80. Die Existenz eines Unionsrechts war demnach stets Anwendungsvoraussetzung, nicht Folge des Äquivalenzgrundsatzes, der sich zunächst als rein verfahrensrechtliches Diskriminierungsverbot las81. Dieses sollte besonders offenkundige und bewusste Vereitelungen der Unionsrechtsdurchsetzung bei der Ausgestaltung mitgliedstaatlichen Rechts verhindern82. So beschäftigte sich der EuGH etwa mit nationalen Verjährungs-, und Ausschlussfristen, zusätzlichen Kosten oder einer längeren Verfahrensdauer83. Der EuGH nahm den Äquivalenzgedanken aber auch in seiner unter E.I. bereits besprochenen Sanktionsrechtsprechung wieder auf und fügte ihm eine materiellrechtliche Dimension hinzu: Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht müssen demzufolge nach ähnlichen sachlichen (!) und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht84 (soweit den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktion verbleibt). In der Folge befasste sich der EuGH unter anderem mit der Höhe von Schadensersatzansprüchen (Rs. Draempaehl85) oder der Erforderlichkeit eines Strafschadensersatzes bei Kartellrechtsverstößen (Rs. Manfredi86). 79 Vgl. von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 485; König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2010, S. 104; differenzierend Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 339 ff. 80 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976 – C-33/76, Slg. 1976, 1989 Rn. 5 – Rewe ./. Landwirtschaftskammer für das Saarland; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976 – C-45/76, Slg. 1976, 2043 Rn. 11/ 18 – Comet BV ./. Produktschap voor Siergewassen. 81 Vgl. dazu König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2010, S. 93 ff.; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 327, 329 f.; s.a. Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 4 EUV Rn. 104. 82 König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 2010, S. 103. 83 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 327, 337 f. m.w.N. 84 EuGH, Urt. v. 21. 9. 1989 – C-68/88, Slg. 1989, I-2965 Rn. 24 – Kommission ./. Griechenland; EuGH, Urt. v. 22. 4. 1997 – C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 29 – Draehmpaehl ./. Urania Immobilienservice. 85 EuGH, Urt. v. 22. 4. 1997 – C-180/95, Slg. 1997, I-2195 Rn. 29 f. – Draehmpaehl ./. Urania Immobilienservice. 86 EuGH, Urt. v. 13. 7. 2006 – Verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619 Rn. 99 – Manfredi.
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All diese Gesichtspunkte betrafen die Ausgestaltung, d. h. das „Wie“ einer Zivilhaftung und nicht das „Ob“. Der Äquivalenzgrundsatz gibt keinen konkreten Rechtsbehelf und keine bestimmte Sanktion vor, sondern nur eine – am mitgliedstaatlichen Recht gemessen – gleichwertige Unionsrechtsdurchsetzung87. Zwar hat der EuGH in der SFEI-Entscheidung eine Haftbarmachung von Unionsnormen (allein) unter Äquivalenzgesichtspunkten als denkbar angesehen, ohne diese dann aber für den vorliegenden Fall zu bejahen88. Anerkannt ist auch, dass ein Mitgliedstaat die vorteilhafteste innerstaatliche Regelung nicht auf alle Rechtsbehelfe erstrecken muss, die in einem bestimmten Rechtsbereich eingelegt werden89. 2. Relevanz für ein Haftungspostulat hinsichtlich der Art. 14, 15 MAR Aus mehreren Gründen ist der Äquivalenzgrundsatz nicht geeignet, ein unionsrechtliches Haftungspostulat für die MAR zu begründen: Zum einen überlässt diese den Mitgliedstaaten schon nicht die Wahl der Sanktionen, sondern wegen ihres mindestharmonisierenden Charakters nur gewisse Umsetzungsspielräume. Bei strenger Lesart der Sanktionsrechtsprechung90 kann man deshalb bereits den Anwendungsbereich des Äquivalenzgrundsatzes ablehnen91. Da ein unionsrechtliches Haftungspostulat unter dem Gesichtspunkt des effet utile zu verneinen ist, stellt sich die Frage einer äquivalenten Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Rechtsbehelfsnormen mangels einer entsprechenden unionalen Rechtsposition zudem gar nicht mehr. Es fehlt aber auch an einer vergleichbaren Haftungskonstellation, die eine Übertragung auf die Art. 14, 15 MAR unter Äquivalenzgesichtspunkten nahelegt. Eine rein nationale Zivilhaftung für marktmissbräuchliches Verhalten gab es in Deutschland nie92. Zwar haben die §§ 97, 98 WpHG sowie etwa Art. 12 Abs. 1 lit. b, c MAR gemeinsam eine unrichtige Informationsbeschickung des Kapitalmarkts zum Gegenstand (Marktmanipulationen können auch mittels fehlerhafter Ad-hoc Mit87 Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 327; s. auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017, S. 53 f. 88 EuGH, Urt. v. 11. 7. 1996 – C-39/94. Slg. 1996, I-3547 Rn. 75 – SFEI u. a. Bemerkenswert insoweit BGH, Urt. v. 17. 9. 2013 – XI ZR 332/12 –, juris Rn. 33, wo immerhin diskutiert, wenn auch im Ergebnis verneint wird, dass der Äquivalenzgrundsatz die Begründung einer schuldrechtlichen Schadensersatzpflicht verlangt; s. auch Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 198. 89 EuGH, Urt. v. 1. 12. 1998 – C-326/96, Slg. 1998, I-7835 Rn. 42 – Levez ./. Jennings Ltd; EuGH, Urt. v. 29. 10. 2009 – C-63/08, Slg. 2009, I-10467 Rn. 45 – Pontin. Im Anschluss daran auch BGH, Urt. v. 17. 9. 2013 – XI ZR 332/12 –, juris Rn. 32. 90 Vgl. dazu bereits oben unter E.I. 91 Vgl. dazu bereits oben unter E.I.4. 92 Siehe hierzu mit Verweis auf die Vorgängerregelung des § 88 BörsG a.F. Schmolke, NZG 2016, 721, 723; BGH NJW 2003, 501.
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H. Blick auf die deutsche Rechtslage und Äquivalenzgrundsatz
teilungen begangen werden93). Die durch §§ 97, 98 WpHG haftbar gemachte anlassbezogene Publizitätspflicht der Emittenten ist jedoch nicht „gleichartig“ mit den alle Marktteilnehmer betreffenden Verbotsanordnungen der Art. 14, 15 MAR. Die §§ 97, 98 WpHG setzen keine rein nationalen Verhaltenspflichten mittels der Verleihung von Schadensersatzansprüchen durch, sondern (nunmehr) die unionsrechtliche Norm des Art. 17 MAR, auch wenn weder die MAR noch eine sonstige Unionsbestimmung dies verlangen. Zudem ist sachlich begründbar, weshalb der deutsche Gesetzgeber eine Schadensersatzpflicht beispielsweise gerade nicht an das Insiderhandelsverbot geknüpft hat, sondern an die vorgelagerte Emittentenpflicht zur rechtzeitigen und inhaltlich richtigen Ad-hoc Publizität94. Der Verzicht des deutschen Gesetzgebers, eine Schadensersatzanforderung ähnlich den §§ 97, 98 WpHG auch für Verstöße gegen die Art. 14, 15 MAR anzuordnen, benachteiligt deren Durchsetzung offensichtlich nicht wegen ihres unionsrechtlichen Charakters95. Wie aus dem Effektivitätsgrundsatz folgt auch aus dem Äquivalenzgrundsatz keine mitgliedstaatliche Pflicht, die Verletzung der Art. 14, 15 MAR mit einer zivilrechtlichen Haftungsfolge zu versehen96.
III. Vorlage nach Art. 267 AEUV Ob und wann ein deutsches oder ein anderes mitgliedstaatliches Gericht die Thematik der zivilrechtlichen Haftung für eine Verletzung der Art. 14, 15 MAR dem EuGH zur Entscheidung vorlegen wird, ist offen97. Für die mitgliedstaatlichen Gerichte kommt es darauf an, ob sie eine Vorlage als „erforderlich“ iSv entscheidungserheblich ansehen, Art. 267 Ua. 2 AEUV. Angesichts der klaren Vorgaben eines Public Enforcement in der MAR stellt sich ein Auslegungsproblem im klassischen Sinne textueller oder systematischer Uneindeutigkeit nicht98. Daher wird maßgeblich sein, inwieweit die Gerichte sich mit den Befürwortern eines Haf93
Siehe Poelzig, ZGR 2015, 801, 807 Fn. 27. Siehe zur Manipulation mittels Ad-hocMitteilungen bereits H.I.1.b). 94 Siehe dazu unter E.VII.3.b)bb)(2). Vgl. auch die amtliche Begründung zum 4. Finanzmarktförderungsgesetz, die auf das mangelhafte Publizitätsverhalten börsennotierter Unternehmen in Deutschland als Begründungsmoment abstellt, BT-Drs. 14/8017, 93. 95 Ob gegen eine Vergleichbarkeit auch spricht, dass Anleger an sie gerichteten Ad-hocMitteilungen größeres Vertrauen entgegenbringen als freiwillige und manipulative Informationen, die an die allgemeine Öffentlichkeit gerichtet sind, kann hierbei offen bleiben. So aber Poelzig, ZGR 2015, 801, 806. 96 Vgl. aber hierfür Hellgardt, AG 2012, 154, 165 ff., der unter anderer Prämisse die einzelnen Tatbestandsmerkmale einer Haftung unter dem Gesichtspunkt der Äquivalenz erörtert. 97 Krit. dazu, dass der BGH u. a. im Rahmen der IKB-Entscheidung kein Vorlageverfahren eingeleitet hat Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016, S. 129 f. 98 Vgl. im Zusammenhang mit der Finanzmarktrichtlinie Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 276 f.
III. Vorlage nach Art. 267 AEUV
177
tungspostulats im Schrifttum auseinandersetzen und ob dieses sie überzeugen kann, die gefestigte BGH-Rechtsprechung vor dem Hintergrund des revidierten Marktmissbrauchsregimes in Zweifel zu ziehen. Die Kontroverse über die Thematik im Schrifttum indiziert, dass diese keinen Anwendungsfall der acte-claire-Doktrin darstellt99, was eine Vorlagepflicht des konkret letztinstanzlich entscheidenden Gerichts nahelegt100. Es bleibt aber allein den nationalen Gerichten überlassen, zu beurteilen, ob die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr verbleibt101. Angesichts des stark begrenzten Prüfungsmaßstabs des Bundesverfassungsgerichts102 dürfte ein etwaiger Verzicht auf eine Vorlage bei sachlicher Begründung kaum dazu führen, dass eine auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg hätte. Ein mutmaßlich Geschädigter wird eine Vorlage so wohl jedenfalls nicht erzwingen können103.
99 Siehe allgemein zu dieser Doktrin Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 33. 100 Daher wohl für eine Vorlagepflicht Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 C Rn. 84. 101 Vgl. insoweit EuGH, Urt. v. 15. 9. 2005 – C-495/03, Slg. 2005, I-8151 Rn. 35 ff. – Intermodal Transports; EuGH, Urt. v. 17. 5. 2001 – C-340/99, Slg. 2001, I-4109 Rn. 35 – TNT Traco; vgl. auch Grigoleit, ZHR 177 (2013), 264, 276 f. 102 BVerfG, Beschl. v. 6. 7. 2010 – 2 BvR 2661/06 –, juris Rn. 88 f.; s.a. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 AEUV Rn. 36 f. 103 Vertiefend und krit. zur (begrenzten) subjektivrechtlichen Durchsetzung der Vorlagepflicht Thomale, EuR 2016, 510 ff.
J. Überlegungen de lege ferenda Wer mit den besseren Argumenten ein unionsrechtliches Haftungspostulat ablehnt, kann eine private Rechtsdurchsetzung de lege ferenda zur Ergänzung des öffentlich-rechtlichen Sanktionssystems erwägen1. Dafür könnte der Fairness-Gedanke sprechen, der letztlich aber eine reine Wertungsfrage aufwirft (J.I.). Alternative Mittel, mit denen man marktmissbräuchliches Verhalten bekämpfen könnte, sind ebenfalls in den Blick zu nehmen (J.II.).
I. Kompensation 1. Kompensation durch Haftung und Fairnessgedanke Aus rechtsökonomischer Sicht kann die Kompensationsfunktion nachrangig behandelt werden, da der volkswirtschaftliche Schaden bereits eingetreten und auch durch nachträglichen Schadensersatz nicht reversibel ist2. Eine Haftungsregelung könnte abseits von Effizienz- und Durchsetzungserwägungen aber einen eigenständigen Fairnessgehalt verwirklichen und deshalb in rechtspolitischer Hinsicht wünschenswert sein. Dabei ist unstreitig, dass Marktmanipulationen und Insiderhandel typische und gravierende Erscheinungsformen unfairen Verhaltens sind3, auch wenn die rechtsethische Begründung beim Insiderhandel noch immer unterschiedlich ausfällt4. Da der eigentliche Zweck des Manipulationsverbots im Funktionsschutz und nicht darin liegt, Gier oder unfaire Gewinne zu verhin-
1 Siehe auch Zetzsche/Eckner, in: Gebauer/Teichmann, Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 7 A Rn. 137 ff. 2 Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012, S. 368; vgl. ferner Mülbert, ZHR 177 (2013), 160, 198. Zum Nachrang der Kompensationsfunktion s.a. Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 15, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130 unter Verweis auf die englische Sprachfassung von EuGH, Urt. v. 6. 6. 2013 – C-536/11, ECLI:EU:C:2013:366, Rn. 23 f. – Donau Chemie u. a. 3 Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, 100, 111 ff.; Caspari, in: Grundmann/Schwintowski/Singer/Weber, Anleger- und Funktionsschutz durch Kapitalmarktrecht, 2006, S. 7, 16; Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 26; vgl. zum Insiderverbot auch Trüg, Konzeption und Struktur des Insiderstrafrechts, 2014, 48 f. 4 Köndgen, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 100, 112 ff.
I. Kompensation
179
dern5 oder dass einige Händler auf Kosten anderer Händler „zu reich“ werden6, wäre eine zivilrechtliche Haftung auch keine vermögensrechtliche Vervollständigung des Verbotszwecks, die sich aufdrängt. Ob der Fairnessgedanke durch eine zivilrechtliche Schadensersatzfolge abgesichert werden sollte, oder ob die kompensationslose Hinnahme marktmissbräuchlich hervorgerufener, individueller Vermögensnachteile abseits von § 826 BGB ein allgemeiner „Preis der Marktteilnahme“ bleiben sollte, ist somit eine reine Wertungsfrage, die dem Gesetzgeber obliegt7. 2. Alternativer Ausgleichsmechanismus Will man eine Kompensation marktmissbräuchlich veranlasster Schäden erreichen, ließe sich dies auch im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Verfahrens bewerkstelligen. Pate für eine solche Regelung kann das im Vereingten Königreich vorgesehene Mittel der restitution sein (sec. 382 – 384 FSMA 2000). Demnach kann die FCA etwa, wenn sie vom Vorliegen eines Marktmissbrauchstatbestand überzeugt ist („satisfied“), vom Täter eine Ausgleichszahlung an Dritte anordnen, die infolge dieses Verhaltens einen Vermögensverlust erlitten haben (siehe sec. 384 FSMA 2000). Die restitution entfaltete bislang kaum praktische Bedeutung8, fand jedoch erst jüngst in einem prominenten Fall Anwendung9. Im ersten Zugriff haben hybride Durchsetzungsmechanismen10 zahlreiche Vorteile gegenüber einer zivilprozessualen Lösung: Die Rechtsdurchsetzungskosten sinken signifikant (Verfahrensbündelung), es entstehen keine einander widersprechende Entscheidungen, Private sind inzentiviert, mit den Behörden zusammen zu arbeiten und die Behörde kann gegebenenfalls die Bußgeldhöhe mit der Gewinnauskehr abstimmen. So wird auch ein „Windhundrennen“ zwischen Behörde und Privaten bzw. die komplexe Rückabwicklung von Bußgeldern zur Befriedigung Privater von vornherein vermieden. Vor 5 Im Zusammenhang der US-amerikanischen Future-Märkte Perdue, 56 Fordham L. Rev. 345, 379 f. (1987 – 1988): „Throughout the legislative history of federal futures trading regulation, the concern with respect to manipulation has focused on curbing the price effects of manipulation and maintaining a functioning market, not on whether some traders were becoming too rich at other traders’ expense“. 6 Perdue, 56 Fordham L. Rev. 345, 380 (1987 – 1988) mit Verweis auf die US-amerikanische Gesetzgebungsgeschichte der Future-Regulierung. 7 Sollte sich der Gesetzgeber für eine Haftung entscheiden, muss er jedenfalls die unter E.VII.3.b)bb); E.VII.3.b)dd); E.VII.5. angesprochenen Schwierigkeiten bewältigen. Siehe zur Komplexität einer solchen Wertungsfrage am kartellrechtlichen Beispiel der Preisschirmeffekte Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 19 ff., abrufbar unter: https://ssrn.com/ab stract=3020130. 8 Davies, 9 J. Corp. L. Stud. 295, 307 f. (2009). 9 Siehe FCA Annual Report 2016/2017, S. 33 f. (Tesco). 10 Veil/Brüggemeier, in: Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015, 2016, S. 277, 306 f.; Lurger, in: Bydlinski, Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, 2016, S. 135, 172.
180
J. Überlegungen de lege ferenda
dem Ruf nach zivilrechtlicher Haftung sollte zumindest eine vertiefte Auseinandersetzung mit solchen Hybridlösungen stattfinden.
II. Alternativen zur Marktmissbrauchsbekämpfung durch Haftung Möglicherweise versprechen andere Mittel als eine zivilrechtliche Haftung mehr Gewinn für eine effektive Durchsetzung der Art. 14, 15 MAR11. Die legislativen Möglichkeiten, in verhaltenssteuernder Absicht die zu erwartende Höhe der Gesamtsanktion zu steigern, ist bekanntlich in vielfacher Hinsicht begrenzt: Aus tatsächlichen Gründen (Solvenz des Täters) sowie aus rechtlichen (Sanktionszumessung, Doppelbestrafungsverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Daher ist es sinnvoll, vorrangig am Faktor der Entdeckungswahrscheinlichkeit anzusetzen12. Das oben bereits beschriebene „Transaktionsmelderecht“ ist ein bedeutender Schritt in diese Richtung13. Zwar trifft der Ansatz auch auf die Inzentivierung durch Haftung zu14, doch verspricht er in marktmissbräuchlichen Fällen eben weniger als etwa im Kartellrecht. 1. Verstärkter Ausbau von Hinweisgebersystemen Angesichts der geschilderten Entdeckungsproblematik15 ist es vor allem wünschenswert, dass Mitgliedstaaten effektive whistleblowing-Strukturen aufbauen16. Beschäftige verfügen über viele relevante Informationen im Rahmen ihrer alltäglichen Arbeit und können marktmissbräuchliches Verhalten – oft ohne zusätzliche Kosten17 – wesentlich leichter erkennen als Externe, für die das Aufspüren der notorischen Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleicht18. Aufgrund 11
Siehe dazu unter E.VII. Hierfür sprechen auch experimentelle Ergebnisse, etwa von Nagin/Pogarsky 41-1 Criminology 167 ff. (2003). Siehe differenzierend Hornuf/Haas, 7-2 Journal of Risk Management in Financial Institutions 192, 194, 197 ff. (2014). 13 Siehe unter E.III.4.e)cc). 14 Zum Beispiel, wenn Geschädigte den Kartellbehörden Informationen überlassen, um sodann auf Grund einer hierdurch ermöglichten Behördenentscheidung eine follow on-Klage zu erheben, s. etwa Franck, Regelsetzung im Kartellprivatrecht: Schadensersatzhaftung als Herausforderung für das institutionelle Gleichgewicht in der EU, 2016, S. 18, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3020130. 15 Siehe unter E.VII.3.b)aa). 16 s. auch Cools, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, A.5.20, die die verpflichtende Einführung der whistle-blower-Programme als „Hauptinnovation“ der MAR bezeichnet. 17 Dyck/Morse/Zingales, 65 J. Fin. 2213, 2214 (2010). 18 Dyck/Morse/Zingales, 65 J. Fin. 2213, 2214 (2010); Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361, 363. 12
II. Alternativen zur Marktmissbrauchsbekämpfung durch Haftung
181
ihrer besonderen Tatnähe können sie in Einzelfällen möglicherweise sogar Informationen zur subjektiven Seite der Tatbegehung liefern, was technische Systeme naturgemäß nicht zu leisten vermögen. Zudem deuten kriminologische Szenarioanalysen darauf hin, dass potenzielle Täter bei Straftaten in einem rationalen Handungskontext eher auf eine Veränderung der Entdeckungssicherheit reagieren als auf die vermutete Strafhärte19. Wie bedeutend die Rolle der Whistleblower sein kann, zeigt ein Seitenblick auf die USA. Dort hat der Kongress den weiteren Ausbau des Whistleblowing im DoddFrank Act (2010) unter anderem damit begründet, dass bis dato 54,1 % der aufgedeckten Kapitalmarktbetrugsdelikte auf unternehmensangehörige Hinweisgeber zurückgegangen waren, während externe Ermittlungen etwa von der SEC oder Wirtschaftsprüfern nur auf einen Anteil von 4,1 % kamen20. Der jährliche Report der SEC an den Kongress zum Dodd-Frank Whistleblower Program weist allein für das Finanzjahr 2017 insgesamt 4.484 Meldungen aus, von denen immerhin 699 Meldungen marktmissbräuchliches Verhalten im engeren Sinne zum Gegenstand haben21. In Deutschland ist die Akzeptanz des whistleblowing deutlich schwächer ausgeprägt als in den USA. Dies liegt mitunter daran, dass es vielfach mit historisch leidvoll erfahrenem Denunziantentum in Verbindung gebracht wird, zum anderen an einem fehlgeleiteten Loyalitätsverständnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern22. Die Meldebereitschaft wird vielfach als Vertrauensbruch („Nestbeschmutzung“) interpretiert, statt umgekehrt als Ausdruck besonderer Loyalität gegenüber dem Unternehmen23. Derlei kulturell bedingte Einstellungen24 sind indes wandlungsfähig, wobei gerade gesetzgeberische Initiativen einen solchen Wandel anstoßen können25. Die MAR liefert den Mitgliedstaaten mit Art. 32 einen wertvollen Rahmen26, den der deutsche Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 4d FinDAG ausgefüllt hat. 19
Vgl. Hirtenlehner, JSt 2017, 144, 149, 152 m.w.N. Vgl. S. Rep. No. 111 – 176, 110-11 (2010); Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361, 365. 21 SEC 2017 Annual Report to Congress on the Dodd-Frank Whistleblower Program, S. 23 f., abrufbar unter: https://www.sec.gov/files/sec-2017-annual-report-whistleblower-pro gram.pdf. Im engeren Sinne meint ohne Berücksichtigung der Kategorie „Trading and Pricing“, die potenziell ebenfalls relevant ist. 22 Siehe Buchert, CCZ 2013, 144, 145; s.a. Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361, 364 m.w.N. 23 Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 365; s.a. Schmolke, JZ 2015, 121, 128. 24 Nach Eufinger, WM 2016, 2336, 2341 wohl der Hauptgrund für den Verzicht auf Belohnungen. 25 Angesprochen ist hiermit die „expressive function of law“, siehe Schmolke , JZ 2015, 121, 127 f. m.w.N.; s.a. Maume/Haffke, ZIP 2016, 199, 202, die bereits für die letzten Jahre einen Klimawandel feststellen. 26 Siehe dazu Pfeifle, Finanzielle Anreize für Whistleblower im Kapitalmarktrecht, 2016, S. 56. 20
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J. Überlegungen de lege ferenda
Darin wird die BaFin zur Einrichtung einer Hinweisgeberstelle verpflichtet. Ob § 4d FinDAG tatsächlich einen „angemessenen Schutz“ potenzieller Hinweisgeber bietet (Art. 32 Abs. 2 lit. b MAR) und infolgedessen einen „wirksamen Mechanismus“ herstellt, wie ihn Art. 32 Abs. 1 MAR verlangt, wird aber teilweise bezweifelt27. Denn nach § 4d Abs. 3 Satz 3 FinDAG wird die Identität des Hinweisgebers gerade dann nicht geschützt, wenn eine Informationsweitergabe im Kontext weiterer Ermittlungsverfahren oder nachfolgender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren auf Grund eines Gesetzes erforderlich ist oder gerichtlich angeordnet wird28. Die Einschränkung der Weitergabe dürfte aber wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Verteidigungsrechte eines vom Whistleblowing Betroffenen kaum möglich sein. Zudem birgt die Abgrenzung zwischen möglicherweise bereits grob fahrlässigen versehentlichen Falschmeldungen, die das Schutzprogramm nach § 4d Abs. 6 FinDAG komplett suspendieren, und sonstigen fahrlässigen Falschmeldungen ein enormes Unsicherheitspotenzial für potenzielle Hinweisgeber29. Ein Betroffener wird insgesamt kaum absehen können, ob und wie weit seine Identität geschützt bleiben wird30. Art. 32 Abs. 4 MAR hat den Mitgliedstaaten zudem die finanzielle Förderung von Hinweisgebern ausdrücklich als Option anheimgestellt und empfiehlt diese sogar ausdrücklich in Erwägungsgrund (74). Der deutsche Gesetzgeber hat darauf verzichtet, ohne dies näher zu begründen31. Damit hat er eine Chance vertan, die Durchsetzung der Marktverhaltensnormen weiter zu steigern. Die Debatte um Vorund Nachteile finanzieller Anreize wurde bereits umfangreich aufgearbeitet32, weshalb hier nur ein paar schlaglichtartige Bemerkungen genügen mögen. Zwar dürfte gänzlich unbestritten sein, dass Menschen auch ohne finanzielle Anreize bereit sein können, Rechtsverstöße an staatliche Stellen zu melden. Belohnungen können aber einen zusätzlichen Handlungsanreiz setzen33. Auch steht nicht zu befürchten, dass sie die intrinsische Motivation Betroffener untergraben. Solche Crowding out-Effekte machen sich primär dort bemerkbar, wo ein starker moralischer Affekt in Verbund mit einer entsprechenden gesellschaftlichen Erwartungshaltung auch ohne rechtlichen Eingriff zum gewünschten Verhalten führt, was bei reinen Vermögensschäden auf den vergleichsweise anonymen Kapitalmärkten 27
Park, BB Die erste Seite 2016, Nr. 36. Krit. Park, BB Die erste Seite 2016, Nr. 36; Johnson, CB 2016, 468, 470. 29 Park, BB Die erste Seite 2016, Nr. 36. 30 Johnson, CB 2016, 468, 470. 31 Veil, ZGR 2016, 305, 320. 32 Grundlegend Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361. Siehe jüngst auch Mock, in: Mock/ Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, B.32.14 ff. 33 Zum empirischen Befund vgl. überblicksartig m.w.N. Pfeifle, Finanzielle Anreize für Whistleblower im Kapitalmarktrecht, 2016, S. 118 ff.; Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361, 365 m.w.N. Grundlegend Feldman/Lobel, 88 Tex. L. Rev. 1151 ff. (2010); Dyck/Morse/Zingales, 65 J. Fin. 2213 ff. (2010). 28
II. Alternativen zur Marktmissbrauchsbekämpfung durch Haftung
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eher nicht der Fall sein dürfte34. Sollte der Effekt gleichwohl auftreten, kann er durch eine weitere Anreizerhöhung ausgeglichen werden35. Mit Blick auf die begrenzte Reichweite des Identitätsschutzes gehen Hinweisgeber noch immer teilweise hohe soziale und wirtschaftliche Risiken ein, wenn sie auf Rechtsverstöße aufmerksam machen. Eine finanzielle Belohnung erscheint infolgedessen nicht als Ausdruck einer „Hinweisgewinnung um jeden Preis“36, sondern schlicht als angemessener Ausgleich37 oder eine Art „Schmerzensgeld“ im untechnischen Sinne38. Eine Kronzeugenregelung (leniency-Programm39), wie sie der MAR-Gesetzgeber ursprünglich sogar geplant hatte40, würde möglicherweise weitere Entdeckungsvorteile versprechen41. Sie ist aber trotz zunehmender Konvergenz von Kartell- und Kapitalmarktsanktionsrecht in noch weiterer Ferne als eine finanzielle Belohnung42. Die derzeit in Planung befindliche EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz dürfte aber den Hinweisgeberschutz insgesamt und rechtsgebietsübergreifend verbessern43. 2. Big Data Die öffentliche Marktüberwachung ist nach wie vor die Hauptmethode, um marktmissbräuchlichem Verhalten auf die Spur zu kommen44. Diese basiert im Wesentlichen auf Software, die unübliche oder abnormale Handelsmuster identifi-
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Schmolke, JZ 2015, 121, 128; Feldman/Lobel, 88 Tex. L. Rev. 1151, 1207 (2010). Feldman/Lobel, 88 Tex. L. Rev. 1151, 1202 (2010); Fleischer/Schmolke, NZG 2012, 361, 365; Schmolke, JZ 2015, 121, 127 f. Zu weiteren Überlegungen bezüglich der Ausgestaltung vgl. Pfeifle, Finanzielle Anreize für Whistleblower im Kapitalmarktrecht, 2016, S. 157 ff. 36 So aber Buchert, CCZ 2013, 144, 146. 37 In ähnlicher Stoßrichtung Eufinger, WM 2016, 2336, 2340. 38 Zu den Risiken auch Mock, in: Mock/Ventoruzzo, Market Abuse Regulation, 2017, B.32.07. 39 Siehe KOM-Mitteilung v. 8. 12. 2006, Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. C 298/17. 40 Parmentier, BKR 2013, 133, 140 mit Hinweis auf Art. 29 Nr. 1 lit. e des ersten MAREntwurfs vom 2. 5. 2012 COD 9435/12. 41 In der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/EU wird ihr in Erwägungsgrund (38) sogar eine „Schlüsselrolle bei der Aufdeckung von Zuwiderhandlungen in Form von geheimen Kartellen und bei der Abstellung dieser Zuwiderhandlungen“ zugeschrieben. 42 Dafür offen Poelzig, NZG 2016, 492, 495. Bislang soll sich die Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung aber immerhin mildernd auswirken, vgl. BaFin Journal März 2017, S. 19. 43 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, COM/2018/218 final – 2018/0106 (COD). 44 Austin, 1 Oxford Journal of Financial Regulation 263, 283 (2015) mit einem internationalen Überblick auf S. 267 ff.; Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392. 35
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J. Überlegungen de lege ferenda
ziert45. Die SEC hat hierfür das „Market Information Data Analytics System“ geschaffen (MIDAS)46. Das von der BaFin verwendete „Securities Watch Application System“ (SWAP) ist europäischer Standard47. Manipulationen insbesondere im Bereich des Hochfrequenzhandels dürften wohl kaum anders aufdeckbar sein als durch hochspezialisierte Software48. Die technische Innovationsfähigkeit der Finanzmärkte und die unerschöpfliche Vielgestaltigkeit der Manipulationsmöglichkeiten fordert die Regulierer aber fortwährend dazu heraus, aussagekräftige Parameter zu finden, welche die bekanntlich schon rechtlich schwierige Würdigung von Handelsstrategien so operationalisieren, dass Marktmanipulationen und Insiderdealings aufgespürt und am besten zugleich bewiesen werden können49. Die Grundlage dieser Parameter dürften den ökonometrischen Modellen entstammen, die zur Identifizierung von Marktmissbrauch entwickelt wurden50. Damit wird bereits eine Vorauswahl der Handlungen getroffen, die schließlich einer rechtlichen Überprüfung unterzogen werden. Die SoftwareEntwicklung stellt sich vor diesem Hintergrund als ein hochkomplexes, zwischen Ökonometrik, Kapitalmarktrecht und technischen Fragen der Datenverarbeitung angesiedeltes Unterfangen dar. Hier sind weitere Investitionen in die technische und personelle Ausstattung der Aufsichtsbehörden in rechtspolitischer Hinsicht sicherlich sinnvoll51. Angesichts der Schwierigkeiten, die gigantischen Datenmengen zu durchforsten wäre ein noch radikalerer Ansatz, bereits die Ausführung bestimmter Order und Handelsmuster, die zweifelsfrei als wohlfahrtsschädlich gelten, von 45
Austin, 1 Oxford Journal of Financial Regulation 263, 266 (2015); s.a. Abrantes-Metz, The Power of Screens to Trigger Investigations 7 Securities Litigation Report, Nov. 2010, 17. 46 Dazu krit.: Markham, Law Enforcement and the History of Financial Market Manipulation, 2014, S. 407 f. 47 Maume, ZHR 180 (2016), 358, 392. 48 Vgl. Bellini, in: Mola/Carugati/Kokkinaki/Pouloudi, Proceedings of the 8th Mediterranean Conference on Information Systems, Verona, Italy, 3. 5. 2014, S. 2, abrufbar unter: http:// aisel.aisnet.org/mcis2014/21. 49 Ähnlich Bellini, in: Mola/Carugati/Kokkinaki/Pouloudi, Proceedings of the 8th Mediterranean Conference on Information Systems, Verona, Italy, 3. 5. 2014, S. 4, abrufbar unter: http://aisel.aisnet.org/mcis2014/21. 50 Siehe nur beispielsweise Minenna, The Detection of Market Abuse on Financial Markets: A Quantitative Approach. Quaderni Di Finanza, No. 54, abrufbar unter: https://ssrn.com/ab stract=483962; Cholewinski, 1 CEJEME 261 – 284 (2009); Saha/Petersen, Detecting price artificiality and manipulation in futures markets: An application to Amaranth, 18 J. Deriv. Hedge Funds 254 – 271 (2012); Cao/Li/Coleman/Belatreche/McGinnity, Detecting price manipulation in the financial market, 2014 IEEE Conference on Computational Intelligence for Financial Engineering & Economics (CIFEr), London, 2014, 77 – 84; dies., Adaptive Hidden Markov Model With Anomaly States for Price Manipulation Detection, in 26 IEEE Transactions on Neural Networks and Learning Systems, 318 – 330 (2015). Jüngst Leangarun/Tangamchit/Thajchayapong, Stock Price Manipulation Detection Based on Mathematical Models, 7 International Journal of Trade, Economics and Finance 81 – 88 (2016) mit Überblick und weiteren Literaturhinweisen auf S. 81 f. 51 Näher zu den mit der Internationalisierung verbundenen Herausforderungen Austin, 1 Oxford Journal of Financial Regulation 263, 274 ff. (2015).
III. Ergebnis
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vornherein auf algorithmischer Basis zu unterbinden, im Übrigen aber auf ein nachträgliches (kostspieliges!) Enforcement weitgehend zu verzichten52.
III. Ergebnis Um die Schlagkraft der Marktverhaltensnormen zu steigern, wären primär ein Ausbau der Hinweisgebersysteme und verstärkte Investitionen in Big Data-Analysen wünschenswert. Allheilmittel gegen Marktmissbrauch sind dies gewiss nicht. Vor diesem Hintergrund erscheint es lohnend, zukünftig verstärkt auch mit den Mitteln der behavioural economics zu beleuchten, wie die soziale und physische Umgebung die menschliche Neigung, sich marktmissbräuchlich zu verhalten, beeinflussen kann53. Hieraus lassen sich möglicherweise Rückschlüsse für wirksame Präventionsmechanismen fernab des klassischen Sanktionsrepertoires ziehen.
52
In diese Richtung Markham, Law Enforcement and the History of Financial Market Manipulation, 2014, S. 410. 53 So Hornuf/Haas, Regulating fraud in financial markets: can behavioural designs prevent future criminal offences?, in: 7-2 Journal of Risk Management in Financial Institutions 192 – 201 (2014), die etwas abstrakt von „behavioural designs“ sprechen. Innovativ ist an diesem Ansatz insbesondere, nicht den (begrenzt) rationalen Investor als Akteur in den Blick zu nehmen, sondern den (potenziellen) Manipulator bzw. Insider. Einen grundlegenden Überblick zur Verhaltensökonomik geben Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, § 8.
K. Ausblick Im Gefolge der Finanzmarktkrise und spektakulärer Manipulationsfälle wie dem LIBOR-Skandal mag es einen weitverbreiteten, möglicherweise berechtigten Zweifel an der Marktintegrität geben, auch wenn Marktmissbrauch nicht der Haupttreiber der Finanzmarktkrise war1. Komplexe Phänomene der Lebenswelt wie Marktmanipulation und Insiderhandel können in Zeiten von Hochfrequenzhandel und Big Data aber nicht dadurch angemessener bewältigt werden, dass man ihre zivilrechtliche Haftungsbewehrung vorgibt und deren Ausfüllung ordentlichen Gerichten überlässt. Das zentrale Problem der Aufdeckbarkeit marktmissbräuchlichen Verhaltens verlangt differenzierte Lösungen. Die (unionsrechtlich) zunehmend forcierte Inanspruchnahme des Privatrechts zu regulatorischen Zwecken2 ist als Befund anzunehmen, ob man dies begrüßen mag oder nicht. Beim Griff in den legislativen Werkzeugkasten sollte das Paradigma der Privatrechtsgesellschaft3 dennoch der ideelle Ausgangspunkt bleiben. Danach dient Privatrecht zuvörderst freien Bürgern dazu, ihre Verhältnisse untereinander gleichberechtigt zu ordnen4. Die Inanspruchnahme des Privatrechts zu regulatorischen Zwecken ist zulässig. Sie muss aber einen spezifischen Zweckmäßigkeitsvorteil im Vergleich zu verwaltungs- und strafrechtlichen Regulierungsmitteln erwarten lassen5. Der europäische Gesetzgeber ist auf dem richtigen Weg, Informationen möglichst unmittelbar an der Quelle zu erschließen: Seien es Informationen, die Handelsplatzbetreiber erheben können oder solche, die ein Whistleblower preisgeben kann. Auch wenn der EU-Gesetzgeber dies wohlweislich in keinem seiner Rechtsakte ausdrücklich benannt hat, kann man mittlerweile von einem (auch) Big Data-basierten Regulierungsansatz sprechen, sieht man sich das komplexe Regelungsgeflecht von Level-1- und Level-2-Rechtsakten zum Transaktionsreporting an. Zudem erscheint es sinnvoll, Marktinfrastrukturen so zu regulieren, dass zumindest bestimmte Formen der handelsgestützten Marktmanipulation von vornherein gar nicht technisch ausführbar sind. Dies hat der EU-Gesetzgeber zum Beispiel mit dem TickSize-Regime in MiFID II getan. Vieles spricht dafür, dass das MAR-Regime die 1
Siehe bereits A.I. Umfassend Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016. s. auch oben A.III.3. 3 Grundlegend Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, in: ORDO, 17 (1966), S. 75 – 151. 4 Riesenhuber, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1, 4. 5 So auch Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013, 2014, S. 229, 234. 2
K. Ausblick
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Marktintegrität im Verbund mit den benachbarten EU-Rechtsakten ausreichend schützen kann. Angesichts der mittlerweile erreichten Regulierungsdichte besteht die Herausforderung nun vielmehr darin, ein being lost in complexity sowohl der Normadressaten als auch des EU-Gesetzgebers selbst zu vermeiden. Die subjektive Funktionalisierung hat sich zwar in der Vergangenheit als wirkmächtiges Paradigma erwiesen. Ihre Berechtigung schwindet aber angesichts der zunehmenden Gestaltung der Sanktionsregelung durch den EU-Gesetzgeber.
L. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Untersuchung widmete sich der Frage, ob die Mitgliedstaaten unionsrechtlich, d. h. insbesondere durch die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz, verpflichtet sind, zivilrechtliche Rechtsbehelfe für die Verletzung der zentralen Verhaltensnormen der MAR, Art. 14 (Insiderverbot) und Art. 15 (Marktmanipulationsverbot), vorzuhalten. (1) Der Unionsgesetzgeber hat sich dafür entschieden, den Mitgliedstaaten allein die verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen vorzugeben. Dies versperrt ihnen grundsätzlich weder die Einrichtung einer zivilrechtlichen Haftung für marktmissbräuchliches Verhalten noch gebietet es sie1. (2) Der Status quo in der Europäischen Union ist uneinheitlich, wobei sich sogar einige Mitgliedstaaten im Zuge der Reform des Marktmissbrauchsregimes für eine Abschaffung ihrer bis dato bestehenden Haftungsregelungen entschieden haben2. (3) Wenn der Unionsrechtsakt den Mitgliedstaaten bereits spezifische Vorgaben zur Ahndung von Verstößen macht, wie dies bei MAR und CRIM-MAD der Fall ist, bleibt die ständige EuGH-Rechtsprechung, nach der Mitgliedstaaten generell verpflichtet sind, „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ für die Verletzung von Unionsrecht vorzuhalten, zwar zu beachten3. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten aber nur zur effektiven Umsetzung der spezifischen Vorgaben und nicht zur Einrichtung nicht ausdrücklich vorgesehener Rechtsbehelfe. (4) Die EuGH-Entscheidungen Courage4 und Muñoz5 können nicht auf die MAR übertragen werden. Aus ihnen kann kein primärrechtliches, in Art. 4 Abs. 3 EUV fundiertes Gebot gegenüber den Mitgliedstaaten abgeleitet werden, die Marktverhaltensnormen der Art. 14, 15 MAR mit zusätzlichen zivilrechtlichen Rechtsbehelfen durchzusetzen.
1 2 3 4 5
Siehe C. Siehe D. Siehe E.I. Siehe E.III. Siehe E.IV.
L. Zusammenfassung der Ergebnisse
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(5) Der EuGH hat kein fundiertes Konzept zur Begründung subjektiver Rechte entwickelt. Den Entscheidungen kann aber der Maßstab entnommen werden, dass der EuGH private Rechte bereits dann verleiht, wenn sie seiner Auffassung nach dem Sinn und Zweck des Unionsrechtsakts förderlich sind und eine Wirksamkeitssteigerung versprechen6. (6) Die vom Unionsgesetzgeber getroffene Entscheidung über den Sanktionsmechanismus und die dadurch den Mitgliedstaaten eröffneten Handlungsspielräume sind zu respektieren. Das institutionelle Gleichgewicht im Dreiecksverhältnis von Unionsgesetzgeber, Mitgliedstaaten und EuGH sowie der Charakter des Effektivitätsgrundsatzes als nur relatives Optimierungsgebot verlangen, den Maßstab des EuGH bei der Aufstellung von Haftungspostulaten zu modifizieren7. Damit können die Gestaltungsfreiheit des zuvörderst legitimierten EU-Gesetzgebers sowie bei dessen negativer Ausübung der dadurch eröffnete Handlungsspielraum des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers gewahrt werden. (7) Bei komplexen Materien wie dem Marktmissbrauchsrecht sollte eine funktionale Subjektivierung nur erfolgen, wenn diese mit Regelungskonzept und -zielen des Unionsgesetzgebers vereinbar und sie zur Zielerreichung geeignet und erforderlich ist. Letzteres ist der Fall, wenn sich das vom Unionsgesetzgeber gewählte Sanktionsregime als insgesamt unzureichend erwiesen hat8. Damit wird die Sanktionsrechtsprechung des EuGH9 aufgenommen. Ihr wird (in abgewandelter Form) nicht nur eine die Mitgliedstaaten verpflichtende, sondern zugleich eine den EuGH begrenzende Dimension zugewiesen. Nur anhand dieser Kriterien lässt sich eine unionsrechtliche Haftungsvorgabe gegenüber den Mitgliedstaaten überhaupt erst überzeugend begründen. (8) Wendet man diesen Maßstab auf die MAR an, sprechen die besseren Gründe gegen eine funktionale Subjektivierung der Art. 14, 15 MAR. Die Auslegung der MAR10 zeigt, dass der Unionsgesetzgeber bereits Private für die Rechtsdurchsetzung aktiviert. Dabei verfolgt er aber im Wesentlichen einen pflichtenbasierten Ansatz, indem er den Marktteilnehmern und -betreibern weitgehende Datensammlungs- und Meldepflichten zuweist. Sinnvollerweise hat er diesen Ansatz um einen Rahmen für die weitere Förderung von Whistleblowing erweitert. Damit hat er eine Lösung des Entdeckungsproblems unternommen, die der schwierigen Aufdeckbarkeit marktmissbräuchlicher Verhaltensweisen angemessen Rechnung trägt. 6
Siehe E.V. Siehe E.V.3. ff. 8 Siehe E.V.6.d). 9 Siehe E.I. 10 Siehe E.VI. 7
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L. Zusammenfassung der Ergebnisse
(9) Vor ihrem ökonomisch-teleologischen Hintergrund wird deutlich, dass Marktmanipulations- und Insiderhandelsverbot auch nach Neuregelung und Verlagerung auf Verordnungsebene einem reinen Funktionenschutz zur gesellschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung dienen. Dagegen sollen und können sie keinen Schutz vor individuellen Vermögensbeeinträchtigungen gewährleisten11. Eine Haftung kann bei kapitalmarkteffizienter Ausgestaltung aber als eine Dimension des Anlegerschutzes verstanden werden und insoweit Zielpunkt funktionaler Subjektivierung sein. (10) Die Aussage, eine zivilrechtliche Haftung steigere die Wirksamkeit, wie sie in tragender Weise in den Rechtssachen Courage und Muñoz vorgebracht wurde, gilt in dieser Allgemeinheit nicht für das Marktmissbrauchsrecht12. Dass von Marktmissbrauch konkret benachteiligte Marktteilnehmer einen Informationsvorsprung gegenüber den Behörden haben, ist in begrenztem Umfang nur für informations- und handlungsgestützte Manipulationen plausibel. Beim Insiderhandel sprechen die besseren Gründe bereits gegen die Annahme eines individuell ersatzfähigen Schadens. Ein Schadensersatzanspruch müsste zudem entsprechend anlegerfreundlich ausgestaltet sein, ohne ein volkswirtschaftlich schädliches over-enforcement zu befördern. Ob er tatsächlich verhaltenssteuernd wirkt, hängt unter dem Kompensationsgrundsatz zudem von der im Einzelfall erwartbaren Gesamtsanktionshöhe ab. Eine Verbesserung der Compliance-Quote mittels Schadensersatzhaftung ist demnach ein voraussetzungsreiches und schwerfälliges Unterfangen. Dieses ist jedenfalls durch eine bloße Rezeption der Marktverhaltensnormen über das allgemeine Deliktsrecht kaum realisierbar. (11) Zwar entzieht sich die Einhaltungsquote der Marktverhaltensnormen mindestens derzeit weitgehend einer empirischen Überprüfung13. Die besseren Gründe sprechen aber dafür, dass die neuen, von MAR und CRIM-MAD vorgegebenen öffentlich-rechtlichen Sanktionsmechanismen ein angemessenes Durchsetzungsniveau gewährleisten werden14. Dass eine Zivilhaftung neben der bereits massiven strafrechtlichen Sanktionierung eine nennenswerte zusätzliche Abschreckungswirkung entfalten würde, ist dagegen nicht zu erwarten. (12) Der Unionsgesetzgeber hat das seiner Ansicht nach erwünschte Durchsetzungsmaß bereits im Rahmen seiner demokratisch legitimierten Einschätzungsprärogative konkretisiert. Die Überprüfung hat er sich in zulässiger Weise
11 12 13 14
Siehe E.VI.5. Siehe E.VII. Siehe E.VIII. Siehe E.VIII.4.
L. Zusammenfassung der Ergebnisse
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vorbehalten (Art. 38 MAR)15. Daraus folgt, dass jedenfalls bei einem modifizierten Maßstab kein Haftungspostulat aus Art. 4 Abs. 3 EUV abgeleitet werden kann. Der EuGH sollte die Sanktionsentscheidungen des EU-Gesetzgebers nicht über den Hebel seiner Primärrechtsinterpretation unterlaufen und diesen in seiner Weiterentwicklung des Marktmissbrauchrechts primärrechtlich vorab festlegen. (13) Die vom EuGH für die Staatshaftung von Mitgliedstaaten gegenüber Unionsbürgern entwickelten Kriterien können nicht auf das Horizontalverhältnis zwischen den Marktteilnehmern übertragen werden16. Dazu fehlt es an einer entsprechenden Rechtsfortbildungskompetenz und an einem besonderen Veranlassungsmoment wie dem inhärenten Eigeninteresse des Mitgliedsstaates, sich nicht selbst in Haftung zu begeben. (14) Der Befund, dass die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung weiterhin im freien Ermessen der Mitgliedstaaten steht, hält auch einer konstitutionellen Überprüfung stand: Weder die Grundrechte-Charta noch das deutsche Verfasungsrecht gebieten einen lückenlosen Vermögensschutz17. Dagegen darf eine richterrechtlich vorangetriebene Haftungsausdehnung nicht anhand kaum vorhersehbarer Kriterien materiell neue Sanktionen schaffen18. (15) Nach Maßgabe der EuGH-Entscheidungen Courage19 und Muñoz20 erscheint es denkbar, dass der EuGH – sollte ihm die Frage nach Art. 267 AEUV21 vorgelegt werden – eine zivilrechtliche Haftung für geboten erklärt. In diesem Fall sollten die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber die Haftung spezialgesetzlich regeln und nicht richterlicher Rechtsfortbildung überlassen22. Ein solches Haftungspostulat wäre jederzeit vom Unionsgesetzgeber korrigierbar23. (16) Der derzeitige Verzicht auf eine Haftung(sregelung) führt nicht zur Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Rechtslage24. Teilmengen marktmissbräuchlichen Verhaltens werden zwar insbesondere von §§ 97, 98 WpHG und § 826 BGB bereits de lege lata erfasst. Es ist jedoch weder unionsrechtlich noch nach hergebrachter Schutzgesetzdogmatik geboten, eine spezielle Anspruchs15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Siehe E.VIII.4.d). Siehe F. Siehe G.I. Siehe G.II. Siehe E.III. Siehe E.IV. Siehe H.III. Siehe E.V.6. Siehe E.III.3. Siehe H.I.
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grundlage zu schaffen oder die MAR-Bestimmungen über § 823 Abs. 2 BGB mit einer zivilrechtlichen Haftungsfolge auszustatten. Die diesbezügliche BGH-Judikatur (IKB-Entscheidung etc.) kann dem Grunde nach fortgeführt werden, bedarf aber einer modifizierten, am Willen des EU-Verordnungsgebers orientierten Begründung. (17) Der Äquivalenzgrundsatz verlangt ebenfalls keine zivilrechtliche Haftung, weshalb sich die Frage einer äquivalenten Haftungsausgestaltung gar nicht erst stellt25. (18) Abseits präventiver Erwägungen kann man eine zivilrechtliche Haftung auch mit dem Kompensations- und dem Fairness-Gedanken26 begründen. Mehr Erfolg bei der Marktmissbrauchsbekämpfung dürften aber der verstärkte Ausbau von Hinweisgebersystemen sowie weitere Investitionen in Big-DataAnalysen und die Kapazitäten der Aufsichtsbehörden versprechen27. Statt an der Sanktionshöhe anzusetzen, empfiehlt es sich vielmehr, den Faktor p (Entdeckungswahrscheinlichkeit der Normverletzung) zu steigern und die Normverletzung somit unattraktiver zu machen. Schritte in diese Richtung hat der Verordnungsgeber mit der Einbindung Privater in ein umfassendes Informationssystem bereits gemacht. Dagegen ist eine zivilrechtlichen Haftung als Mittel zur Steigerung der Entdeckungswahrscheinlichkeit wenig erfolgsversprechend. Verbesserungspotenziale sind auch auf mitgliedstaatlicher Ebene vorhanden (Stichwort finanzielle Förderung von Whistleblowern).
25 26 27
Siehe H.II. Siehe J.I.1. Siehe J.II.
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Stichwortverzeichnis Abnormal Pre-announcement Price Movements 137 Abschreckung 140 ff., 190 – durch strafrechtliche Sanktionen 143 ff. – durch zivilrechtliche Haftung 21, 60, 108, 111, 140 Adhäsionsverfahren 42 Ad-hoc-Meldungen siehe unter Ad-hocMitteilungen Ad-hoc-Mitteilungen 116 f., 121 – als Manipulationsmittel 117, 125, 165 ff., 175 f. – Haftung für fehlerhafte 118, 121, 163 ff., 173, 175 f., 191 Ad-hoc-Publizität 164 ff. Adverse Selektion 100 Aktivierung Privater 21, 61 ff., 76, 91 f., 113, 116, 170 f., 189, 192 Allgemeiner negativer Satz 35 f. Anlageberatung 61 Anlageentscheidung 105, 126 f. Anlegerschutz 87 ff., 101 ff., 149 f., 170, 190 Anlegervertrauen 15, 88 f., 102 ff. Annex-Kompetenz 57 f., 157 Anonymität 61, 182 f. Anreiz siehe unter Verhaltensanreiz Anstoßfunktion 115 f. Antidiskriminierungsrichtlinie 49 Äquivalenzgrundsatz 51, 55, 94 f., 173 ff., 192 Arbitrageure 101, 125 Aufdeckung von Verstößen 21, 61 ff., 113 ff., 124, 128, 137, 141, 186, 189 Aufgabenteilung (Arbeitsteilung) 19, 46 f., 60, 73, 80, 156 Ausgleichsmechanismen, alternative 169 f. Autonomie, mitgliedstaatliche 47, 74, 77 f. Banks, Rechtssache 153 ff. Benchmark-Verordnung 65, 96
Bestimmtheitsgrundsatz 161 f. Beurteilungsheuristiken 124, 146 Bewertungseffizienz 99 ff. Bid-ask-Spread 100 Big Data 183 ff., 186, 192 Checks and balances 79 Compliance-Systeme 112, 127 Cornering 122 Courage-Entscheidung 53 ff., 70, 76 ff. Deliktische Haftung 111, 124, 167 ff., 172 f., 190 Desinteresse, rationales 123 f. Dezentrale Vollzugskontrolle 19, 103, 129 Differentielle Abschreckbarkeit 146 f. Differenzhypothese 118 Diskriminierungsverbot 174 Dodd-Frank Act 181 Dunkelfeld 114, 135 f. Durchsetzungsdefizit 18, 47, 68, 77, 85 f., 128 ff. Durchsetzungsintensität siehe Durchsetzungsmaß Durchsetzungsmaß 56, 76, 84, 132, 148, 190 f. Effet-Argument 59 ff., 73 f., 80 Effet utile 22, 74, 76, 78, 91, 131, 175 Eigengeschäfte von Führungskräften 63, 114, 164 f. Einbindung Privater siehe Aktivierung Privater Einschätzungsprärogative 50, 82 ff., 130 f., 148, 190 Empirischer Befund zum kapitalmarktrechtlichen Enforcement 109 ff., 133 ff. Empirisches Nachweisbedürfnis 129 ff. Entdeckungsvorsprung 20, 60 f., 113 ff., 190
216
Stichwortverzeichnis
Entdeckungswahrscheinlichkeit 111 f., 114 f., 141 ff., 146, 180, 192 Ergänzungspflicht des Gesetzgebers, automatische 60 Erklärungsobliegenheit des Gesetzgebers 16, 60 Expressio-unius-Regel 36, 39 Expressive function of law 147, 181 Fairnessgedanke 101, 105, 109, 178 f., 192 Finanzmarktkrise 15 f., 134, 186 Finanzmarktnovellierungsgesetze 29 ff., 65 f., 163, 169 Finanzmarktrichtlinien 61 ff., 83, 93 f., 114, 186 Framework-Regulations 90 f. Francovich-Entscheidung 53 f., 58, 151 ff., Freiheitsstrafe 26, 31 f., 112, 135, 141, 145 f., 147 Fundamentalwert 99 ff., 117 f., 127 Funktionale Äquivalenz 47 Funktionale Subjektivierung 19 f., 21, 45, 51, 73 f., 76 f., 80 f., 84 f., 86 ff., 148, 150, 168, 171, 189, 190 Genil-Entscheidung 83, 168 f. Gestaltungsfreiheit (negative) 55, 56, 59 f., 80 ff., 128, 132, 189 Gestaltungsspielraum, gesetzgeberischer siehe Gestaltungsfreiheit (negative) Gewaltenteilung 39, 79 Gewinnmaximierung 160, 178 f. Gleichbehandlungsgrundsatz 34, 49 Griechischer Mais-Entscheidung siehe Sanktionsrechtsprechung Haftungspostulat 17, 53 ff., 68 ff., 82 ff., 149, 173 ff. Handlungsgestützte Marktmanipulation 115, 117, 124, 128, 150, 169 Harlem Railroad Corner 122 Hinweisgeber 62 f., 65 f., 92, 114, 180 ff., 192 Horizontalverhältnis 52, 54, 75, 86, 129, 153 ff., 191 Horizontalwirkung des EU-Rechts siehe Horizontalverhältnis Hüter des Unionsrechts 19 f.
Identifizierung marktmissbräuchlichen Verhaltens 63 f., 114 ff., 184 IKB-Entscheidung 166 ff., 192 Implied/implicit private cause of action siehe implizites Klagerecht Implizites Klagerecht 38 ff., 87 Individueller Schaden 117 ff. Informationseffizienz 101, 103, 105, 121, 125, 139 Informationsgestützte Marktmanipulation 30, 88, 105, 114 ff., 137, 169 Informationshändler 115, 101, 103, 105, 118, 121, Informationsvorsprung (Informationsvorteil) des Insiders 101, 120, 165 Insideruntersuchung 116 Institutionelle Balance siehe institutionelles Gleichgewicht Institutionelles Gleichgewicht 18, 78 ff., 130 ff., 149, 189 Institutionenschutz 84 Inter-instrumentelle Interpretation 92 ff. Interprétation 37 Judicial self-restraint
82, 130 ff., 171
Kapitalmarkteffizienz 100 f., 104, 106, 108 ff., 117 f., 126 f., 138 f., 170 Kapitalmarktunion 15 Kartellschadensersatzrichtlinie 53, 55 f., 68, 94, 97 Klarstellungspflicht siehe Erklärungsobliegenheit Kompensation, 75, 133, 154, 178 f. Kompensationsanspruch 61, 117, 156 Kompensationsfunktion 178 Komplementärfunktion der privaten Haftung 70, 77 f., 171 Konvergenz der Sanktionierungsregime 66 f., 183 Kriminalisierung 112, 143 ff., 172 Kronzeugenregelung 183 Kursdifferenzschaden 118, 120 La Rosière-Report 24, 133 f. Leerverkäufe 65, 114 Legitimation, demokratische 82 f., 130 f., 189 f.
Stichwortverzeichnis Leuchtturmfälle 146 Level Playing Field 90 LIBOR 107, 186 Liquidität 100 f., 105 f., 126, 139 f. Lissabon-Entscheidung 129 f., 131 Loyalitätsverhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten 78, 83, 155 f. Manfredi-Entscheidung 54 f., 68, 94, 157, 174 Manne, Henry 119 Marktanalyse 116 Marktbeherrschende Stellung 53 f., 58, 67 Marktintegrität 21, 26, 59, 62 ff., 85 ff., 106, 168, 186 f. Marktmissbrauchsrichtlinie (MAD 2003) 24, 27, 43, 93, 98, 138 ff., 169 Mindestharmonisierung 37, 84, 141, 175 Moral-hazard-Risiko 102 Muñoz-Entscheidung 36, 51 f., 58, 68 ff., 76 ff., 113, 151 f., 157, 162, 188, 190 f. Naming and Shaming 25, 29, 141 Ne bis in idem 27, 112 Negativer Satz siehe Allgemeiner negativer Satz Normativer Schaden 161 Normtatsachen 131 Nullsummenspiel 111 Objektivrechtliche Dimension 17, 83 Optimierungsgebot, relatives 77 ff., 90, 129, 189 Ordnungswidrigkeitenverfahren 26, 135, 147 Over-deterrence siehe Überabschreckung Over-enforcement 122 ff., 190 Pflichtenbasierter Ansatz 21, 66, 91, 170, 189 Popularklage 81 Praktische Wirksamkeit siehe effet utile Präventionsfunktion der Haftung 60 Präventionswirkung 111 ff. Preisbildung 99 f., 103, 121, 168 Price-Protection 103 PRIIP-Verordnung 95 f.
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Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 57, 80, 156 Privatnützigkeit (des subjektiven Rechts) 76, 80, 103, 168, 171 Privatrechtsgesellschaft 186 Prospekt-Verordnung 97, 99 Pump’n’Dump 115 Punitive damages siehe Strafschadensersatz Rating-VO 24, 68, 85, 95 ff. Recht auf Schadensersatzanspruch 151 ff. Rechtsfolgenbereich 24, 37, 47, 73, 80, 141 Rechtsformargument 90 f. Rechtsfortbildung 35 ff., 57 ff., 81 f., 86, 124, 131 f., 156, 161 f., 170, 191 Rechtsfortbildungskompetenz 57 f., 60, 191 Rechtsprinzip, allgemeines 151 ff. Rechtsvereinheitlichung 15, 37, 66 f., 98 Rechtsverleihungspraxis 38, 52, 80 f. Referenzwertmanipulation 65, 87, 96, 105, 107 Regelungsbefolgung 20, 25 f., 33, 45, 48, 136 f. Regelungslücke 34, 36 f., 166 Regelungsverzicht 80, 97, 123 Regelungszielerreichung 58, 85, 189 Regulatory Capture 20, 128 Regulierungsprivatrecht 22 f. REMM-Hypothese 48 Reputationsverlust 112, 141, 147 Ressourcenallokation 100, 102 Restitution 40, 43, 179 Risikoaversion 126, 142 Sanktionsbegriff 49 Sanktionsordnung 50, 59, 76, 84, 128, 132 f., 140 Sanktionsrechtsprechung 45 ff., 81, 83, 98, 174 f., 189 Schaden, Bestimmbarkeit 117 ff. Schadensdiffusion 106 f. Schädigung, vorsätzliche sittenwidrige 160, 172 f. Schutzgesetz 16, 22, 28, 38, 42, 46, 167 ff., 191 Schweigen des Gesetzgebers 17, 28 f., 34 ff., 93, 169
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Stichwortverzeichnis
Selbstbeschränkung, judikative siehe Judicial self-restraint Sperrwirkung 34 ff. Spillover-Effekte 108, 127 f. Staatshaftung 18, 20, 58 f., 107, 151 ff., 191 Stigma, strafrechtliches 143 Strafrechtliche Abschreckung, siehe Abschreckung Strafschadensersatz 48, 55, 174 Streuschaden 122 Strukturelles Vollzugsdefizit 19, 47 Sturgeon-Entscheidungen 34 f. Subjektives Recht 17, 51 ff., 59, 72 f., 76 f., 80 f., 83, 92, 103, 152, 161, 168, 171 Subjektivrechtliche Dimension 17, 51, 83 Suspicious Transactions and Order Reporting siehe Verdachtsmeldungen Symbolisches Recht 49, 123 Synthese des Effektivitätsgrundsatzes 83 Täter, kalkulierender 144 f. Transaktionskausalität 124, 173 Transaktionsmelderecht 63, 180 Transparenzrichtlinie 57, 93, 104, 139 Trittbrettfahrer-Problematik 122 f. Überabschreckung 123 f., 125 f., 128, 160 f. Überprüfungsprärogative 92, 148 Ultima-ratio-Gedanke 25 f., 67 Unmittelbare Geltung des EU-Rechts 74, 91, 154 Unrechtmäßige Offenlegung 26, 102, 164, 171
Unterlassungsanspruch 68 ff., 154 Utilitätshändler 118, 120 Van Gen en Loos-Entscheidung 19 f., 52, 54, 151, 157 Verbotsnorm 87, 99 ff., 125 Verbraucherkreditrechterichtlinie 47 f. Verbraucherschutz 69, 103 Verdachtsmeldungen 62, 137 f. Vereitelungsverbot 78 Verhaltensanreiz 33, 35, 49, 102, 117, 127 Verhältnismäßigkeitsgedanke 47 f., 78, 83, 149, 180, 188 Vermögensindividualschutz 106 ff., 170, 190 Vermögensschutz, fragmentarischer 160 f., 191 Verschuldensmaßstab 95, 126, 128, 161 Vertrauenskollektivschutz 88, 102 ff. Victimless Crime 119, 145 Volatilität 100, 139 Vollharmonisierung 84, 97 Vollzugsdefizit siehe Durchsetzungsdefizit Vorlageverfahren 176 f. Wesentlichkeit 58 f., 72, 90 Whistleblower siehe Hinweisgeber White collar-Kriminalität 137, 145 Windhundrennen 179 Wohlfahrtsmaximierung 109, 190 Wohlfahrtsverluste 160 f., 184 f. Zweispurigkeit des Sanktionssystems
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