Zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden [1 ed.] 9783428482702, 9783428082704


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German Pages 547 Year 1995

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Zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden [1 ed.]
 9783428482702, 9783428082704

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THEODOR LYTRAS

Zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 179

Zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden Von

Theodor Lytras

Duncker & Humblot • Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lytras, Theodor: Zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden I von Theodor Lytras.- Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 179) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-08270-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humb1ot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08270-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

S

Irov~ yovei~ p.ov

Vorwort Eine Haftung für Umweltschäden kann der Geschädigte sowohl auf Vorschriften des BGB als auch auf Sondergesetze stützen. Eine Aufgabe dieser Arbeit war es daher, die vorhandenen Anspruchsgrundlagen zu untersuchen, Möglichkeiten einer materiellen Erweiterung der Haftung für Umweltschäden aufzuzeigen und Spannungen zwischen deliktischen und nachbarrechtlichen Vorschriften zu überbrükken. Des weiteren mußte sich die Arbeit der Untersuchung der Zurechnung von Umweltschäden widmen. Dabei liegt das Kardinalproblem im Nachweis des konkreten Kausalzusammenhangs zwischen umweltbelastendem Verhalten und Umweltschaden, insbesondere bei multikausalen Umweltschäden. In diesem Zusammenhang war auch zu überprüfen, inwieweit die zahlreichen öffentlichrechtlichen Umweltschutzregelungen die Rechtswidrigkeit für die zivilrechtliche Haftung beeinflussen können. Das UmweltHG führte eine anlagenbezogene Gefährdungshaftung für Schäden aus l]mwelteinwirkungen ein. Zudem wollte der Gesetzgeber die Zurechnung des Umweltschadens durch eine beschränkte Kausalitätsvermutung und gegenseitige Auskunftsansprüche erleichtern. Zu beurteilen, ob und in welchem Maße ihm dies gelungen ist, war ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung. Im Sommersemester 1991 lag die Arbeit der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur wurden im Rahmen des Möglichen bis April 1994 berücksichtigt. Professor Dr. Peter Gottwald hat diese Arbeit angeregt und betreut. Für seine umfassende wissenschaftliche und persönliche Unterstützung fühle ich mich ihm zu tiefstem Dank verpflichtet. Herrn Professor Dr. Reinhard Zimmermann ist für das Zweitgutachten mit seinen zahlreichen wohlwollenden und hilfreichen Hinweisen zu danken. Dank gebührt auch meinem Athener Lehrer Professor Dr. Apostolos Georgiades, der mich bereits in meinen Studienjahren gefördert und meine Promotion immer mit Interesse begleitet hat. Der DAAD hat durch ein Promotionsstipendium meinen Aufenthalt in Deutschland wesentlich erleichtert, wofür ich ihm ebenfalls Dank schulde. Nicht zuletzt möchte ich mich bei meinen Freunden Herrn Dr. Bemhard Gmehling, Richter am AG Neuburg a. D., für die zahlreiche anregende und weiterführende Diskussionen, sowie bei Herrn Rechtsanwalt Jens Albrecht und Frau Attachee Maria Margarete Gosse für manchen stilistischen Rat bedanken. Frau Christine Scherbaum betreute das Manuskript mit Kompetenz und viel Geduld, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Athen, im April 1994

Theodor Lytras

Inhaltsübersicht Teil A

Zivilrechtlich relevante Umweltbelastungen §

Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen . . . . . . . . .

§ 2 Zivilrechtlicher Umweltschutz: Strukturelle Grenzen, mögliche Anspruchs-

23

grundlagen, Prävention von Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

§ 3 Systematisierung der zivilrechtliehen und faktischen Probleme bei Umweltschäden ... ... ............... . .. . . ....... . .. ..... .. . ... .. ...... . ... . .. . . . .. . . .... . . .

78

Teil B

Möglichkeiten einer materiellrechtlichen Erweiterung der zivilrechtliehen Haftung für Umweltbelastungen de lege lata § 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung persönlicher oder sonstiger Rechts-

güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden durch Ausdehnung der umweltbezogenen Schutzgesetze i. S. von § 823 Abs. 2 BGB . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . .

114

§ 6 Verschärfung der deliktischen Haftung für Umweltbelastungen durch umweltspezifische Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

§ 7 Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten bei nachbarrechtlichen

Abwehr- und Ausgleichsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

§ 8 Möglichkeiten des Zivilrechts, ökologische Schäden zu ersetzen . . . . . . . . . . .

183

Teil C

Die Zurechnung von Umweltschäden Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

§ 9 Der Kausalzusammenhang zwischen umweltbelastendem Verhalten und

Umweltschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

§ 10 Das Problem der Rechtswidrigkeit und des Verschuldeos bei Schäden durch

Umweltbelastungen, insbesondere Luftverschmutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

10

Inhaltsübersicht

§ 11 Der Beweis des konkreten Kausalzusammenhangs bei Umweltschäden

341

§ 12 Die Zurechnung multikausaler Massenschäden durch Umweltbelastungen . . . . 384

Teil D Zur Gef"ährdungshaftung für Schäden aus Umweltbelastungen § 13 Das Umwelthaftungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 § 14 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

Inhaltsverzeichnis Teil A

Zivilrechtlich relevante Umweltbelastungen §1

Umweltbelastungen: QueUen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

23

I. Belastungen der Umwelt und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Belastungen der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden . . . . . . . . . .

23

a) Luftverunreinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

aa) Hauptquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

bb) Auswirkungen auf den Menschen . . . . . . . .. . . . . . .. . . .. . . . . . . . . .

24

cc) Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . .

24

dd) Auswirkungen auf Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

ee) Auswirkungen auf die Ozonschicht - Klimaveränderung

26

b) Wasserverschmutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

c) Bodenverseuchung - Abfallproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

2. Besondere Umweltprobleme der Industriegesellschaft . . . . . . . . . . . . . . .

28

a) Lärmbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

b) Umweltbelastung durch gefährliche Stoffe (Umweltchemikalien)

28

c) Radioaktive Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

II. Typologie der Umweltschäden . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . .. . . ... . . .. . .. .

29

1. Umweltgefährdung und Umweltschäden . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

a) Primär- und Spätfolgeschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

b) Personen-, Sach- und Vermögensschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

c) Ökologische Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2. Planmäßigkeit und Dauerhaftigkeit von Umweltbeeinträchtigungen

32

a) Umweltbelastung durch Normalbetrieb und Störfälle . . . . . . . . . . . .

32

b) Umweltverträglichkeit und aufgestockte Umwelteinwirkungen

33

3. Vielzahl von Verursachern und Geschädigten . . . .. .. . . . .. .. . . . . . . . . . .

34

4. Vielzahl der zusammenwirkenden Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

5. Ferntransport von Umweltschadstoffen . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

35

III. Monetäre Bewertung von Umweltschäden . . . .. . . .. . .. . .. .. .. . . . . . . . .. . ..

36

12

Inhaltsverzeichnis

§2

Zivilrechtlicher Umweltschutz: Strukturelle Grenzen, mögliche Anspruchsgrundlagen, Prävention von Umweltschäden ................... .. .

38

I. Die Rechtsaufgabe des Umweltschutzes und die Struktur des Zivilrechts

38

1. Umweltschutz als Staatsaufgabe ...................................... .

38

a) Umweltpolitische Ziele und Grundsätze . ................... . . . ... .

38

b) Der Umweltschutz als Rechts- und Staatsaufgabe ............ .. ..

40

c) Der öffentlichrechtliche Umweltschutz ........................... .

41

2. Strukturelle Grenzen eines zivilrechtliehen Umweltschutzes ... . . . . .

44

a) Individualbezogenheil des Zivilrechts ............ . ............. . . .

44

b) Unzulänglichkeit des Zivilrechts für eine unmittelbar umweltschützende Verhaltenssteuerung ...... . .. . ......................... .

45

c) Begrenzter zivilrechtlicher Schutz gegen Umweltbelastungen

46

II. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen für Umweltschäden .... . .... . . . . .

50

1. Deliktische Ansprüche ........... . ........ . ... . ........... .. ......... . . .

52

a) Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB .............................. .. .

52

b) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB

54

c) Deliktische Abwehransprüche ........ . . . .................... . ... . . .

56

2. Immissionsschutz im Nachbarbereich .. ........ .. ........ .. ...... .... .

57

a) Nachbarrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche

59

b) Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ................................ . ........................ . . . . .

60

c) Die Ansprüche aus § 14 BlmSchG ............................ .. ..

61

d) Entschädigungsansprüche für Beeinträchtigungen bei hoheitlicher Tätigkeit .... . .. . ........................ . . . . . ............... . .... . .. . .

62

aa) Straßenverkehrsimmissionen ..... . . . . . . ....... . .... . . . . ... .... .

62

bb) Fluglärmimmissionen ............. . . . . . .................. . . . . . . .

63

cc) Beeinträchtigungen durch Kläranlagen, Deponien etc .. ... . .

64

3. Ansprüche für Schädenaufgrund Wasserverschmutzungen ...... . . .

64

a) Der Anspruch aus § 22 Abs. 1 WHG ........ ........ ...... .. .. .. ..

65

b) Die Haftung des Inhabers einer Anlage nach § 22 Abs. 2 WHG

66

4. Umweltrelevante besondere Haftungstatbestände ... . . . . .. . ..... . . . . .

67

a) Die Haftung des Herstellers fehlerhafter Produkte . ......... . . . . .

68

b) Die atomrechtliche Gefährdungshaftung nach §§ 25 ff AtomG . . . .

71

c) Die Haftung des Inhabers einer Energieanlage nach § 2 Abs. 1 HPflG .. . . .. . .. . . . . . .. . . .. . ....... ... . .. . . ... . .. .................... .. .

71

d) Die Haftung des Transporteurs von Umweltschadstoffen ...... .

72

aa) Die Haftung des Bahnbetriebsunternehmers nach § 1 HPflG

73

Inhaltsverzeichnis

§3

13

bb) Die straßenverkehrsrechtliche Haftung gemäߧ 7 StVG . . .

73

cc) Die luftverkehrsrechtliche Haftung nach § 33 LuftVG . . . . .

74

III. Die präventive Funktion des Zivilrechts in bezug auf Umweltschäden

74

Systematisierung der zivilrechtliehen und faktischen Probleme bei Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

I. Die zivilrechtliehen Anspruchsgrundlagen und die Umweltbelastungen

78

II. Der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Umweltbelastungen und eingetretenen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

III. Die Rechtswidrigkeits- und Verschuldensproblematik bei Umweltschäden ..... .......... ..... ................ ... . .... ................. ... . ......

82

IV. Prozeßrisiken bei Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .

86

1. Prozeßkostenrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

2. Bagatellschäden durch Umweltverschmutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

3. Großschäden (Umweltkatastrophen) und die Leistungsfahigkeit des Schädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

V. Außergerichtliche Kompensation vom Umweltschäden . . .. .. . . . . . . . . . . .

89

Teil B

Möglichkeiten einer materiellrechtlichen Erweiterung der zivilrechtliehen Haftung für Umweltbelastungen de lege lata §4

Die Umweltbelastungen als Verletzung persönlicher oder sonstiger Rechtsgüter .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. . .. . . . . . . . . . . . . .

91

I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Umweltbelastungen? .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . .. . . .. . .. . . . . . . . . . . . . .

91

1. Erweiterung des nachbarrechtlichen Immissionsschutzes durch Heranziehung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

a) Die Ansicht Forkels .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

91

b) Kritik der Ansicht Forkels .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. ..

93

2. Recht aufnatur- und bestimmungsgemäßen Gebrauch der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

a) Das Recht auf Gemeingebrauch im Dienste des Umweltschutzes?

96

b) Kritische Stellungnahme .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .... .. .. ..

98

3. Der Einsatz des Persönlichkeitsrechts gegen Immissionen .. .. . .. . ..

101

a) Ideelle Immissionen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

101

b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen Umweltbelastungen

103

Inhaltsverzeichnis

14

II. EIWeiterung des Gesundheitsbegriffs in bezug aufUmwe1tbelastungen?

104

1. Störungen des menschlichen Wohlbefindens als Gesundheitsverlet······oo······ 104 zung? .... oo.•oo······oo•oo••oo···oo··························

2. Eigene Ansicht

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III. Recht auf "saubere Umwe1tgüter" als sonstiges Recht i. S. von § 823 I BGB? ·······oo·············oooo········oo······ ·oo ·oo··oo··············· ······ 108 1. Die Ansicht Köndgens 108 00

2. Kritik - Stellungnahme

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden durch Ausdehnung der umweltbezogenen Schutzgesetze i. S. von§ 823 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . .

108 114

I. Zur Problematik des Schutzcharakters und des Schutzbereiches einer Norm .. oo ... oo·········· ············oo·oo··· ······················· ··oo••oo··· 114 1. Normqualität und Individualschutz als Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Ermittlung des Schutzzweckes und des Schutzbereiches einer Norm II. Zur Drittschutzqualität von Umweltgesetzen

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119

1. Können konkretisierungsbedürftige Verhaltensnormen in Umweltschutzgesetzen Drittschutzqualität entfalten?

119

a) Ermächtigungsnormen, Verhaltensverbote und Grundpflichten

119

b) Drittschützende Ermächtigungsnormen in Umweltgesetzen

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2. Drittschützende Verhaltenspflichten in VeiWaltungsvorschriften und VeiWaltungsakten . . . ... .

124

III. Technische Umweltstandards als Schutzgesetze i. S. von § 823 Abs. 2 BGB ... oo .. oo .. oo .. oo ... ·····oo··············· ooo •oo·o·····oo···· ........

127

1. Administrative Umweltstandards als Schutzgesetze i. S. von § 823 II BGB? oo ...... oo .. ··oo····oo ·· . . . . . . ...... . ..... ···········oo········· . . .

128

2. Private Umweltstandards

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4. Unfallverhütungsvorschriften .....

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3. Gesetzliche VeiWeisungen auf den "Stand der Technik" 00









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IV. Umweltbezogene Schutzgesetze und Verkehrspflichten §6

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Verschärfung der deliktischen Haftung für Umweltbelastungen durch umweltspezifische Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

I. Verkehrspflichtverletzung: Ansatz zur Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts ............ .

135

II. Zu den Bestimmungsfaktoren umweltspezifischer Verkehrspflichten

137

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1. Allgemeine Maßstäbe

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137

2. Deliktsrechtsautonome Bestimmung des Verkehrspflichtinhalts . . . .

139

3. Zur Erkennbarkeil der generellen und situationsgebundenen Schadensneigung einer Umweltbelastung

142

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Inhaltsverzeichnis

§7

15

4. Zur wirtschaftlichen Zumutbarkeit umweltspezifischer Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146

a) Verhältnismäßigkeit des erforderlichen Aufwands . . . . . . . . . . . . . . .

146

b) Volks- und marktwirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148

c) Zur individuellen Leistungsfähigkeit des Pflichtigen . . . . . . . . . . . . . d) Die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Nachbarrecht des BGB und im BlmSchG . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 150

III. Typen und Beispiele spezifischer Verkehrspflichten .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

156

Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten bei nachbarrechtlichen Abwehr- und Ausgleichsansprüchen .... .. .. .. .... .... .. .. .. .. .. .... . 159 I. Vorbemerkung . . .. .. . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . .

159

li. Zur Immobiliarbezogenheit der nachbarrechtlichen Ansprüche . . . . . . . .

160

III. Der Immmissionsschutz von Eigentümern beweglicher Sachen . . . . . . . . l. Abwehransprüche gegen Einwirkungen aus einem Grundstück .. ..

163 163

2. Ausgleichsansprüche nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auch für immissionsbedingte Schäden an beweglichen Sachen? .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

165

IV. Beeinträchtigungen von Leben und Gesundheit durch Immissionen .. . 1. Besteht eine Duldungspflicht nach § 906 BGB auch bei gesundheitsbeeinträchtigenden Immissionen? .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. ..

168 168

2. Verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch bei immissionsbedingten Gesundheitsschäden analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB . . . . .

174

V. Die tatsächliche Dauerbeziehung einer Person bzw. einer Sache zum Einwirkungsbereich einer Emissionsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

§ 8 Möglichkeiten des Zivilrechts, ökologische Schäden zu ersetzen . . . . . . . .

183

I. Der ökologische Schaden aus zivilrechtlicher Sicht .. .... .. .... .. .. .... .

183

l. Die ökologischen Schäden als Beeinträchtigungen des Naturhaushalts .. ............. .. . . . . .... .. .. ..... . .. . . . . .. .. . . ........ . .. . .... . .. . . . ..

183

2. Das Problem der zivilrechtliehen Zuordnung ökologischer Schäden

184

a) Keine zivilrechtliche Zuordnung des Naturhaushalts bzw. der Ökosysteme . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . . . . .. . . . . . . b) Der ökologische Schaden als Beeinträchtigung privater Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . .. . . . ... .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . .

186

c) Der ökologische Schaden als Nicht-Vermögensschaden .. .. .. .. .

189

II. Wiederherstellung des ökologischen Normalzustands als Naturrestitution? . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .

191

1. Beschränkte faktische Möglichkeiten der Wiederherstellung ökologischer Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. .

191

184

2. Das Integritätsinteresse des Grundstückseigentümers im Dienste des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

16

Inhaltsverzeichnis b) Der Anspruch auf Herstellung der Substanzintegrität des Eigentums und seine Grenzen ............. . ...... . ....

194

c) Herstellung der Substanzintegrität in annähernder Weise . . . . . . .

198

00



00































3. Die ökologischen Eigenschaften des Grundstücks und das Eigentumsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Verwirklichung des Naturschutzinteresses des Eigentümers durch das Grundeigentum? .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . ..

200

b) Zivilrechtlicher Schutz einer ökologisch sinnvollen Nutzung des Grundeigentums? . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 III. Ersatz der Wiederherstellungskosten bei ökologischen Schäden . . . . . . . 208 I. Die Berücksichtigung ökologischer Interessen bei der Anwendung des § 251 II BGB . . . . . . . ... . . . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . 208

2. Zur Dispositionsfreiheit der Herstellungskosten bei ökologischen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Aufwendungen für Wiederherstellungsmaßnahmen nach § 16 UmweltHG ....... .... ........... .. ....... .. ... . . . .. ......... . .. ... ..... . . 213 IV. Ersatzmöglichkeiten ökologischer Schäden der Gewässer .. . . . . . . . . .. ..

216

I. Gewässereigentum und Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216

2. Wiedergutmachung ökologischer Schäden nach § 22 WHG? . . . . . . . 220

Teil C

Die Zurechnung von Umweltschäden Vorbemerkung §9

225

Der Kausalzusammenhang zwischen umweltbelastendem Verhalten und Umweltschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Naturgesetzliche und rechtliche Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230

I. Naturgesetzliche Erklärung des Kausalzusammenhangs . . . . . . . . . . . . . 231 2. Unzulänglichkeit einer naturgesetzliehen Erklärung des Kausalzusammenhangs für die zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Pragmatische Erklärung der natürlichen Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. Das umweltbelastende Verhalten als Ursache des eingetretenen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Der Kausalzusammenhang zwischen umweltbelastendem Verhalten und haftungstatbestandmäßiger Rechts-(gut-)verletzung . . . . . . . . . . . . . 241

2. Kausalität des pflichtwidrigen Verhaltens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Umweltbelastendes Verhalten- Umweltbelastung-Umweltschaden 247 III. Kausalität und Einschränkung der Haftung für Umweltschäden . . . . . . . 249 1. Adäquanz und Umweltschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Inhaltsverzeichnis

17

2. Normzwecklehre und Kausalität bei Umweltschäden .. .. .. .......... 254 3. Zurechnung nach Risikobereichen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 257 4. Zurechnung nach der "ökonomischen" Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 IV. Der Kausalzusammenhang bei der Gefährdungshaftung, insbesondere nach§ 22 WHG ..... . . ........................ ... . . ............... ... . .... . . 260 1. Kausalität und Zurechnungstheorien bei der Gefährdungshaftung 260 2. Kausalität und Zurechnung bei der Haftung nach § 22 WHG . . . . . . 263 3. Höhere Gewalt als objektive Risikogrenze .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 272 § 10 Das Problem der Rechtswidrigkeit und des Verschuldeos bei Schäden durch Umweltbelastungen, insbesondere Luftverschmutzungen . . . . . .. . 275 I. Die Rechtswidrigkeit und das Verschulden als Kriterien der Schadens-

zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 276 1. Erfolgs- und Verhaltensunrecht bei Umweltschäden .. .. .. .... .. .. .. .

277

2. Das Verschulden als Voraussetzung der deliktischen Haftung für Schäden durch Umweltbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Gefährdungshaftung, Aufopferungshaftung und Rechtswidrigkeit 282 II. Das Problem der Rechtswidrigkeit bei Luftverschmutzungen (Immissionen) . . .. . . . . .. . .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. .. .. . .. .. . . . . . . . . . . . 286 1. Einwirkungen i. S. von § 906 BGB und nach dem BlmSchG .. .. .. 286 2. Die nachbarrechtliche Duldungspflicht nach § 906 Abs. I, 2 S. I BGB .............. ................ . ... . . ....................... . . . . . . 288 a) Das Konzept des Gesetzgebers .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 289

b) Zur Wesentlichkeit von Immissionsbeeinträchtigungen .. .. .. .. .. 291 c) Das Kriterium der Ortsüblichkeit der emittierenden Grundstücksnutzung . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 d) Die wirtschaftliche Zumutbarkeit von Maßnahmen zur Verhinderung wesentlicher Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 e) Die Prüfungsstufen der Immissionsduldungspflicht nach § 906 Abs. 1, 2 S. 1 BGB .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. 302 3. Die Duldung von Irnrnissionen nach § 14 BlmSchG .. .. .. .. .. .. .. .. 303 4. Besondere Outdungspflichten für Immissionen der öffentlichen

Hand? .................. .. ............ . .... .. ................. ...... .... ... 305 5. Die Bedeutung des öffentlichen Rechts für die Duldungspflicht von Immissionen . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Die Bedeutung der Umweltstandards, insbesondere der TA-Luft und TA-Lärm, für den Begriff der wesentlichen Beeinträchtigungen ........... . . .................... . ...................... . .... ... 307 b) Die Beurteilung der Ortsüblichkeit einer emittierenden Grundstücksnutzung und das öffentliche Planungs-, Bau- und Immissionsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . 311 c) Die Bedeutung der Umweltstandards für die wirtschaftliche Zumutbarkeit von Maßnahmen zur Verhinderung wesentlicher Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

18

Inhaltsverzeichnis 6. Die Rechtswidrigkeit von Emissionen im öffentlichen und im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 7. Zivilrechtlich autonome Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Umweltbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 III. Die Beweislast für die Rechtswidrigkeit und das Verschulden bei einem umweltbelastenden Verhalten . . . . .. . .. . . . . . . . . .. .. . . . . .. . .. . . . .. . . .. . . . . . . . l. Die Beweislastverteilung in § 906 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Beweis der Rechtswidrigkeit und des Verschuldeus bei der deliktischen Haftung für Schäden durch Immissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Übertragung der Beweislastverteilung des § 906 BGB auf die deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Parallele zur Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320 320 325 326 330

IV. Das Verhältnis zwischen § 906 BGB und§ 823 Abs. 1 BGB . . . . .. . .. . 334 § 11 Der Beweis des konkreten Kausalzusammenhangs bei Umweltschäden

341

I. Freie Beweiswürdigung und "voller Beweis" nach § 286 Abs. 1 ZPO 1. Pragmatische Kausalitätserklärung und objektive Wahrscheinlichkeit 2. Die intersubjektive Erkenntnismöglichkeit von Wahrheit und die Überzeugungsbildung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die freie Beweiswürdigung als Zurechnungsmoment . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Anforderung eines Vollbeweises der Kausalität bei Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Generelle Reduzierung des Beweismaßes auf eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit" bei Umweltschäden? . .. . .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .

343 347

II. Zum Anscheinsbeweis bei Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Anscheinsbeweis als augewandte freie Beweiswürdigung . . . . . 2. Indizien und Erfahrungssätze zur Aufklärung der Kausalität bei Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umweltstandards und Anscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

360 360

350 353 354 358

364 367

III. Anscheinsbeweis oder Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität bei Nicht-Einhaltung von Umweltstandards? . . . . . . . . . . . . . . . ... . .. . . . .. . . . . . . . 371 IV. Anwendung 'des§ 287 ZPO auch für den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang bei Umweltschäden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 V. Der Nachweis des Kausalzusammenhangs bei Spät- und Folgeschäden durch Umweltbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 VI. Zum Kausalitätsnachweis bei der Gefährdungshaftung, insbesondere nach § 22 WHG . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 382 § 12 Die Zurechnung multikausaler Massenschäden durch Umweltbela·

stungen .. . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 I. Umweltverschmutzer als Nebentäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 l . Der Haftungsgrund der Solidarhaftung der Alternativtäter und die Beurteilung der möglichen Kausalität des Alternativverhaltens . . . . 387

Inhaltsverzeichnis 2. Voraussetzungen der Solidarhaftung der Beteiligten i. S. des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . a) Das Erfordernis eines "einheitlichen" Vorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Subsidiarität der Haftung nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . c) Haftung neben rechtmäßigem bzw. unverschuldetem Alternativverhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftung neben alternativen Eigen- oder Zufallsursachen? . . . . . . . 3. Alternative Schadensverursachung durch Umweltbelastungen . . . . . . 4. Gesamtschuldnerische Haftung bei ungeklärterTeilverursachung? . . . a) Teilschadensverursachung und die Haftung aus § 830 Abs. 1 S. 2 BGB ............ ........................... . .............. . ....... b) Solidarhaftung bei "minimaler Kausalität"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Notwendig und kumulativ koinzidierende Kausalität . . . . . . . .. . . .

19 391 391 393 397 399 401 402 404 408 409

Il. Die Haftung mehrererVerursacheraus § 22 WHG . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 III. Haftungszurechnung bei Schäden aus summierten Immissionen . . .. . . . 1. Solidarhaftung aller mitursächlichen Emittenten? .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . a) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche . .. .. .. .. . .. .. . .. .. . .. .. . .. c) Aufgestockte Einwirkungen- Newcomerproblematik . . . . . . . . . . .

418 420 420 421 427

2. Zur Problematik der Haftung von Kleinemittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 a) Gesamtschuldnerische Haftung in der "Gefahrengemeinschaft"? 430 b) Solidarhaftung der "kausal-wesentlichen" Emittenten? .. .. .. .. .. 433 IV. Zur Problematik der Vielzahl von Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Teil D Zur Gefährdungshaftung für Schäden aus Umweltbelastungen § 13 Das Umwelthaftungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 I. Der Tatbestand der allgemeinen Umweltgefahrdungshaftung .. . .. .. . ..

I. Anlagenbezogene Umweltgefährdungshaftung .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. ..

447 448

a) Listenprinzip und materiellrechtliche Auswirkungen der Anlagenhaftung .. .. . .. . .. .. .. . .. .. . .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. b) Der Anlagenbegriff i. S. des § 3 Abs. 2 UmweltHG . . . . . . . . . . . . . c) Haftung für nichtbetriebene Anlagen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. . 2. Haftung für Schäden durch Umwelteinwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

448 452 454 455

a) Zum Begriff der Umwelteinwirkung .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . b) Schädliche Umwelteinwirkungen bei "Normalbetrieb" einer Anlage ... . ... ............... ... ... .. ... . . .... ....... .. ..... .. .. .. ... .. . c) Haftung für das sog. Entwicklungsrisiko .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. d) Haftung nur für Personen- und Sachschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

455 457 459 460

20

Inhaltsverzeichnis 3. Ausschluß der Haftung- Haftungseinschränkungen . . . . .. . . . . . . . . . . . 462 a) Haftungsausschluß bei höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 b) Haftungsausschluß bei unwesentlichen oder zurnutbaren Sachschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 c) Haftungshöchstgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 II. Die Schadenszurechnung nach dem Umwelthaftungsgesetz . . . . . . . . . ...

468

1. Die Ursachenvermutung im UmweltHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468

a) Die kausale Schadenseignung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 b) Keine Ursachenvermutung bei bestimmungsgemäßem Anlagenbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 77 c) Ausschluß der Kausalitätsvermutung bei Alternativursachen . . . 484 2. Die Auskunftsansprüche des Geschädigten und des Anlageninhabers 487 3. Die Schadenszurechnung bei Zusammenwirken von Umwelteinwirkungen aus mehreren Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 § 14 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

521

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

aaO

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AK-BGB

Alternativ Kommentar zum BGB

Anm.

Anmerkung

AT

Allgemeiner Teil

Bd.

Band

BMI

Bundesrninister(ium) des Innern

BMU

Bundesrninister(ium) für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

BT

Besonderer Teil

BT-Drucks.

Bundestags-Drucksache

bzw.

beziehungsweise

d. h.

das heißt

DJT

Deutscher Juristentag

etc.

et cetera

evtl.

eventuell

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

ggf.

gegebenenfalls

gr.ZGB

griechisches Zivilgesetzbuch

h. A.

herrschende Ansicht

HdUR

Handwörterbuch des Umweltrechts

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

i. d. R.

in der Regel

insb.

insbesondere

i. s.

im Sinne

KF

Karlsruher Forum

Komm.

Kommentar

MünchKomm

Münchener Kommentar zum BGB

m. w. Nachw.

mit weiteren Nachweisen

22

Abkürzungsverzeichnis

MZ

Mittelbayerische Zeitung

NoB

Nomiko Bima (=Juristisches Forum); griechische juristische Zeitschrift, hrsg. von der Rechtsanwaltkammer Athen

Nr.

Nummer

Rdn.

Randnummer

RGRK

Reichsgerichtsrätekommentar zum BGB

Rspr.

Rechtsprechung

SachenR

Sachenrecht

SchuldR

Schuldrecht

sog.

sogenannt

SRU

Sachverständigenrat für Umweltfragen

sz

Süddeutsche Zeitung

Tz.

Teilzeichen

u. a.

unter anderen

UBA

Umweltbundesamt

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

usw

und so weiter

u. u.

unter Umständen

vgl.

vergleiche Vorb. Vorbemerkung

z. B.

zum Beispiel

Die Abkürzungen für Gesetze und amtliche Entscheidungssammlungen entsprechen den allgemein gebräuchlichen. Im übrigen wird auf das Abkürzungsverzeichnis von Hildebert Kirchner, 3.Aufl. 1983, verwiesen.

TeilA

Zivilrechtlich relevante Umweltbelastungen § 1 Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen,

Erscheinungsformen

I. Belastungen der Umwelt und ihre Auswirkungen Als Umweltbelastungen lassen sich Veränderungen der natürlichen, physikalischen, chemischen und biologischen Beschaffenheit der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden bezeichnen, die überwiegend auf menschliche Eingriffe zurückzuführen sind und dazu führen, daß die in der Natur vorhandene Selbstreinigungskraft nicht mehr ausreicht, den ursprünglichen, natürlichen Zustand wiederherzustellen. Diese naturwissenschaftlich feststellbaren Veränderungen der Umwelt sind für das Zivilrecht insofern relevant, als sie eine Verletzung von geschützten Rechten oder eine Gefährdung, Beschädigung oder Zerstörung von Rechtsgütern zur Folge haben. Die Erhaltung der Natur selbst unterfällt nicht den unmittelbaren Zielen des Zivilrechts. Von der Erhaltung der natürlichen Grundlagen aber ist die Existenz des Menschen, seine Lebensqualität und seine Entfaltungsmöglichkeit in großem Maße abhängig. 1. Belastungen der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden a) Luftverunreinigung

aa) Hauptquellen Die Luftverschmutzung erscheint insbesondere in Ballungszentren als die wichtigste Form der Umweltbelastung. Industrie und Gewerbe, Feuerungsanlagen aller Art (Kraftwerke wie auch Haushalte), Luft- und Kraftfahrzeugverkehr sind die Hauptquellen der Luftverunreinigung. 1 Zahlreiche Statistiken und Berichte weisen I Vgl. SRU-Umweltgutachten 1974, BT-Drucks. 7/2802 S. 13 ff; Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 42 f.

24

§ I Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

auf die beängstigenden Mengen an Schadstoffen hin, die jährlich in die Luft freigesetzt werden? Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Ruß- und Feinstaub, Kohlenwasserstoffe und Stickoxide stellen die am häufigsten vorkommenden luftverunreinigenden Stoffe dar. In kleineren Mengen tritt eine große Anzahl von Substanzen in Erscheinung, wie Fluorverbindungen, Blei, Cadmium, Arsen und Zink, die zu einer erheblichen Belastung der Luft beitragen. Die Entwicklung von neuen Produktionsverfahren wie auch der Gebrauch und Verbrauch von neuen Produkten sind oft mit der Erzeugung von neuen chemischen Schadstoffen verbunden, die in ihrer Wirkung auf die Umwelt schwer abschätzbar sind? bb) Auswirkungen auf den Menschen4 Die nachteiligen Folgen der Luftverschmutzung treten häufig als Störungen des menschlichen Wohlbefindens psychischer oder organischer Art auf. Unterschiedliche Emissionen verursachen Beeinträchtigungen des Geruchssinns, Übelkeit, Brechreiz, erhöhte Nervosität, Müdigkeitsgefühle, Kopfweh, Magenstörungen und Störungen der Atmungsorgane. 5 Diese Symptome sind insbesondere bei SmogZwischenfällen zu beobachten.6 Langdauernde Einwirkungen von Immissionen bestimmter Konzentration können Herz-, Kreislauf-, Lungen- und Nervensystemerkrankungen herbeiführen. Gewisse staubförmige Immissionen haben karzinogene Wirkungen und andere können durch ihre Toxizität Störungen des Knochengerüsts sowie teratogene und mutagene Störungen verursachen. 7 cc) Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen Tiere reagieren in vielen Fällen mit höherer Empfindlichkeit auf die Luftschadstoffe als Menschen. Erhebliche Schäden an Tierbeständen infolge Luftverunreinigung sind aus der Umgebung von Bleihütten (Bleivergiftung) und Aluminiumhüt2 Vgl. Umweltgutachten I987, BT-Drucks. 11/I568, S. 203ff; Umweltgutachten I978, BT-Drucks. 8/I938 S. I3I ff; UBA, Daten zur Umwelt 1988/89, passim. 3 Vgl. Koch I Vahrenholt, Seveso ist überall, (1978) S. 70. 4 Überblick aus naturwissenschaftlicher Sicht s. H. Wiegand, in: UBA, Berichte 7 I 86 S. 35 ff m. w. Nachw.; über die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung s. Umweltgutachten I987, S. 473 ff. Vgl. auch Abelin, in: Umwelt und Mensch, S. 55 ff; Kloepfer, Umweltrecht, § I Rdn. 3 ff. 5 F.J. Dreyhaupt, Immissionsschutz, S. 13; Umweltgutachten I974, S. 19. 6 Solche Smog-Katastrophen wurden schon 1930 in Maastal (Belgien), I948 in Donora bei Pittsburg (USA), seit I943 häufig in Los Angeles (USA), 1953 und 1963 in New York, 1962 im Ruhrgebiet und I952 in London beobachtet. Dazu vgl. Lummert I Thiem, Rechte des Bürgers, S. 26, 27; Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung, 1971, S. 204. 7 Bundesminister des Innern, Umwelt Nr. 3, 1974, passim; Schlipköter I Pott, Die gesund heitliche Bedeutung von Blei, Staubreinhaltung der Luft, 1973, Nr. 33, S. 44.

I. Belastungen der Umwelt und ihre Auswirkungen

25

ten (Fluorose) bekannt. 8 Wegen Veränderung oder Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts ist in manchen Fällen mittelbar die Existenz von Tierarten gefährdet.9 Schwefeldioxid und gasförmige Fluorverbindungen spielen bei Verbrennungsvorgängen an Pflanzen eine herausragende Rolle. Die Ablagerung von Staub auf den Pflanzenorganen kann durch Lichtentzug, Wärmestau und Verstopfung der Spaltöffnungen den Stoff- und Gaswechsel von Pflanzen beeinträchtigen. Beschleunigung des Alterungsprozesses, Herabsetzung des Wachstums oder Eingehen von Pflanzenarten sind die am häufigsten eintretenden Pflanzenschäden. Toxisch wirkender Staub, vor allem Schwermetalle, können zur Unbrauchbarkeit oder Vernichtung von Pflanzenkulturen führen. 10 In der näheren Umgebung von Zementwerken und Metallschmelzanlagen ist es oft zu Pflanzenschäden solcher Art gekommen. 11 Von den vielfältigen ökologischen Auswirkungen der Luftverschmutzung hat die Schädigung des Ökosystems Wald in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland große Aufmerksamkeit erlangt. Seit Ende der siebziger Jahre werden in der Bundesrepublik großflächige, neuartige Waldschäden beobachtet. Es gilt als sicher, daß Luft Schadstoffe und ihre Umwandlungsprodukte neben anderen Ursachenkomplexen eine hervorgehobene Rolle für die Waldschäden spielen. 12 dd) Auswirkungen auf Materialien Metalle, insbesondere Stahl, Zink und Bronze, mineralische Baustoffe, Glas, Anstriche und Beschichtungen, Textilien und Papier unterliegen den korrosiven Wirkungen von Gasen, Staub und sauren Niederschlägen. Trockene Deposition von Luftschadstoffen führt bei Anwesenheit von Feuchtigkeit zur Entstehung von sauren Verbindungen, die auf der Materialoberfläche wie eine ätzende Kompresse wirken. 13 Durch Luftschadstoffe werden erhebliche Schäden an Denkmälern und Kunstgütern, an Sandsteinbauten, Bronzegegenständen, mittelalterlichen Glasmalereien s Umweltgutachten 1974, S. 21 ; vgl. BGHZ 70, 103. Zur Belastung wildlebender Tierarten durch Immissionen s. Umweltgutachten 1987, S. 165 ff. 9 Zum Problem des Artenrückgangs in der Bundesrepublik vgl. Raumordnungsbericht 1986, S. 110. to Umweltgutachten 1974, S. 21 ; R. Guderian, UBA Berichte 7 I 86, S. 101 ff m. w. Nachw. 11 Vgl. LG Münster NJW-RR 1986, 947 auch OLG Hamm NJW 1988, 1031 (ThalliumFall). 12 Mossmayer, Waldschäden aus naturwissenschaftlicher Sicht, UTR Bd. 2, S. 6ff; zum Waldschädenproblem vgl. eingehend SRU-Sondergutachten, BT-Drucks. 101113 passim. 13 UBA (Hrs.), Deposition von Luftverunreinigungen, Teil 5, S. 19ff; Schiirer, Luftverschmutzung, S. 29; B. Isecke, UBA Berichte 7 I 86, S. 67 ff m. w. Nachw.

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§ I Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

und Archivgut hervorgerufen. Gravierende Fälle sind die langsame Zerstörung der Bauten von Venedig, des Kölner Doms, der Westminster Abbey oder der Akropolis von Athen. ee) Auswirkungen auf die Ozonschicht- Klimaveränderung Die Diskussion über die Zerstörung der Ozonschicht der Stratosphäre bezieht sich hauptsächlich auf die Chlorfluormethane (CFM), die als Treibgase in Spraydosen und als Betreibgase in Kühlaggregaten Verwendung finden. Die bisher befürchtete Be einträchtigung der Ozonschicht kann nach einhelliger Ansicht zu erheblicher Vermin derung der Absorption der für die Menschen tödlichen UV-Strahlen führen. Dies könnte schädliche Auswirkungen auf das menschliche Erbgut und das Auftreten von Hautkrebs herbeiführen. Weiter spielt die Ozonbildung im Wärmehaushalt der Erde eine Rolle, die Klimaveränderungen befürchten läßt. 14 Dazu könnte auch die ständige Zunahme des Kohlendioxidgehalts der Luft führen, da die natürliche Wänneabstrahlung der Atmosphäre verhindert wird. b) Wasserverschmutzung

Für die Trinkwasserversorgung, Lebensmittelerzeugung und -Verarbeitung, Energiewirt schaft, Grundstoffindustrie, Chemie, Metallverarbeitung, Papier- und Textilindustrie ist die Bedeutung des Wassers nach Menge und Güte wesentlich höher als die der Umweltmedien Luft und Boden. Langjährige und ständig steigende Ableitungen industrieller, häuslicher, landwirtschaftlicher und kommunaler Abwässer haben zu einer kritischen Verunreinigung der Gewässer geführt. 15 Trotz der Inbetriebnahme zahlreicher Kläranlagen gelangen täglich erschreckende Mengen von Schadstoffen in Flüsse, Seen und Meere. Versalzung, Intensivierung des Nitratgehalts, Vergiftung der Gewässer durch zahlreiche Stoffe beeinträchtigen das ökologische Gleichgewicht der Gewässer. Algeneutrophie, Verminderung oder Vernichtung von Fischarten, Verschlechterung der Trinkwasserqualität und biologischer Tod von Flüssen und Seen machen Schlagzeilen in der Tagespresse. 16

14 Vgl. Luge, Das Ozonproblem und der Versuch einer völkerrechtlichen Lösung, NuR 1985, 16m. w. Nachw.; vgl. auch: Global 2000. Der Bericht an den USA-Präsidenten, in deutscher Übersetzung (1986), S. 85. 1s Vgl. Umweltgutachten 1974, S. 43 - 44 und 58 - 9 m. w. Nachw.; Umweltgutachten 1978, S. SOff; Umweltgutachten 1987, S. 262ff; G. Hankopf I E. Bohne, Umweltpolitik (1983), S. 336ff m. w. Nachw.; vgl. auch über die positiven Auswirkungen von Gewässerschutzmaßnahmen, Raumordnungsbericht 1986, S. 118. 16 Vgl. Materialien zur Europapolitik, Bd. 7, Umweltpolitik, hrsg. vom Institut für europäische Politik, passim.

I. Belastungen der Umwelt und ihre Auswirkungen

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Die Versiegelung der Erdoberfläche durch umfangreiche Bebauung und die zahlreichen menschlichen Eingriffe in den natürlichen Wasserhaushalt beschleunigen den Abfluß der Niederschläge, erhöhen die Hochwasserspitzen und vermindern die natürliche Er gänzung des Grundwassers. Diese Umstände haben die Selbstreinigungsmechanismen der Gewässer erheblich verschlechtert. Eine der schwierigsten Aufgaben des internationalen Umweltschutzes stellt die zunehmende Versehrnutzung der Meere dar. Nicht zuletzt die Schmutzfracht von Flüssen und die Einleitung vom Lande aus sowie die Abfalle der Ölwirtschaft bedrohen den biologischen und ökologischen Reichtum der Meere. Tanker- oder sonstige Schiffsunfälle sowie heimliches Ablassen von Ölrückständen, Unfälle auf Bohrinseln und die schwer kontraBierbare Abfallbeseitigung auf dem offenen Meer haben zur Verschärfung des Problems beigetragen. 17 c) Bodenverseuchung - Abfallproblemfltik

Die kürzere Verwendungsdauer von Gebrauchsgütern sowie die häufige Verwendung von allerart Verpackungsmaterial und Einwegpackungen haben nicht nur zu einer starken Zunahme der Abfallmenge, sondern auch zu einer erheblichen Veränderung ihrer Zusammensetzung geführt. Die Abfallbeseitigungsprobleme der modernen lndustriege sellschaft werden durch die ständig anwachsende Menge produktionsspezifischer und hochgiftiger Abfalle verschärft. 18 Die Unkenntnis im gesamten Abfallbereich (Vorgänge in Deponien, Lösungsvorgänge, Verhalten organischer Stoffe), das Vertrauen auf "Neutralisation" von Sonderabfall bei der gemeinsamen Ablagerung mit Hausmüll, das Vertrauen auf natürliche Dichtungen der Ablagerungsorte sowie auch auf die Selbstreinigungskraft des Bodens und des Grundwassers und allgemein das langjährige unsachgemäße und teilweise unkontrollierte Umgehen mit Abfällen hat das brennende Problem der sog. Altlasten verursacht. 19 Neben den kontaminierten Standorten von Altdeponien erweist sich der landwirtschaftliche Gebrauch von Düngemitteln und Unkrautvernichtungsmitteln als ein bedeutsamer Faktor der Grundwassergefährdung sowie auch der schädlichen Verunreinigung von Oberflächengewässern.20 17 Vgl. Lummert I Thiem, Rechte des Bürgers, S. 28 ff; Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 472 ff m. w. Nachw. 18 Umweltgutachten I974, S. 98ff; Umweltgutachten 1978, S. l76ff; Lummert I Thiem, Rechte des Bürgers, S. 3I; zum Abfallwirtschaftsprogramm der Bundesregierung vgl. BTDrucks. 7 I 4826. 19 Stegmann, Einführung in das Altlastproblem aus naturwissenschaftlich-technischer Sicht, UTR Bd. I, S. 3 ff; Die Verantwortlichkeit für Altlasten im öffentlichen Recht, Referate von M. Kloepfer und H.-J. Papier, in: UTR Bd. I, S. 17 ff, 59 ff; Diederichsen, Die Verantwortlichkeit für Altlasten im Zivilrecht, UTR Bd. I, S. 117 ff; V. Franzius, in : UBA (Hrsg.), Berichte 7 I 86 S. 295 ff.

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§ I Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

2. Besondere Umweltprobleme der Industriegesellschaft a) Lärmbelastungen

Straßen-, Schienen- und Flugverkehr, der Lärm am Arbeitsplatz, der Lärm gewerblicher Anlagen, der Baulärm und zahlreiche Tätigkeiten des nachbarlichen Zusammenlebens sind die Hauptquellen erhöhter Lärmbelästigung.Z 1 Oft bleiben die Lärmauswirkungen bei einfachen Belästigungen im Bereich des psychischen Empfindens. Doch können sowohl Dauer und Zeitpunkt der Lärmbeeinträchtigungen als auch die Eigenart der Lärmimmissionen zu erhöhter Nervosität, Schlafstörungen, Störungen der geistigen Tatigkeit, Gehörschäden oder sogar zu Kommunikationsbehinderungen und akustischen Umorientierungen führen.Z2 b) Umweltbelastung durch gefährliche Stoffe (Umweltchemikalien)

Die schädlichen Auswirkungen der mehr als 60 000 Einzelstoffe und Stoffgemische, die zum großen Teil in den Produkten des alltäglichen Bedarfs vorhanden sind, treten in allen Umweltbereichen, wie Luft, Wasser, Boden und Abfallwirtschaft ein. 23 Als Umweltchemikalien bezeichnet man Stoffe, die durch menschliches Zutun in die Umwelt gebracht werden - und zwar in einer solchen Menge und Konzentration, wie sie in der Natur nicht vorkommt - und deswegen geeignet sind, Lebewesen zu gefährden. 24 Sie können karzinogene, teratogene und mutagene Wirkungen sowie zahlreiche andere Schädigungen der inneren Organe des Menschen herbeiführen. Der Kreis der Umweltgefahren durch Chemikalien hängt nicht nur mit Produktionsverfahren bei industriellen und gewerblichen Anlagen zusammen, sondern auch mit der Lagerung, dem Transport, dem Um- und Abfüllen, mit der Beseitigung sowie mit dem Auf- und Einbringen auf Pflanzen bzw. in den Bo2o Über die Problematik von Agrarchemikalien s. Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 287 ff m. w. Nachw.; vgl. auch SRU-Umweltprobleme der Landwirtschaft, BT-Drucks. 10 I 3613; zur Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung vgl. BT-Drucks. 10 I 2977; Raurnordnungsbericht 1986, S. 99 ff; vgl. auch ausführlich Book, Bodenschutz, S. 17f. 21 Vgl. Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 43. 22 Zu den negativen Auswirkungen des Lärms auf Menschen und Tiere s. H. Ising, in: UBA (Hrsg.), Berichte 7 I 86, S. 165ff m. w. Nachw.; vgl. auch Umweltgutachten 1987, S. 392 ff; Umweltgutachten 1978, S. 233 ff; zur Lärmbelastung durch den Straßenverkehr vgl. UBA-Berichte 5 I 76 passim. 23 Dazu ausführlich s. Umweltbericht der Bundesregierung 1976, BT-Drucks. 8 I 3713, S. 192ff; Begründung des Entwurfes des Chemikaliengesetzes BR-Drucks. 330 I 79; Hartkopf, Umwelt Nr. 59 (20. 12. 1977), S. I - 8; Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 258ff m. w. Nachw. 24 Umweltbericht der Bundesregierung 1976, BT-Drucks. 8 I 3713, S. 172ff; Überblick über das Gefahrstoffrecht bei Kloepfer, Umweltrecht, § 13 sowie Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 27 jeweils m. w. Nachw.

II. Typologie der Umweltschäden

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den im Rahmen landwirtschaftlicher Nutzung oder mit Warenverwendung im Verkehr und in privaten Haushalten.25

c) Radioaktive Strahlung

Die Gefährdung der Umwelt und des Menschen durch radioaktive Strahlung läßt sich nicht nur auf das Betriebsrisiko von Kernreaktoren beschränken. Anlagen zur Erzeu gung, Spaltung oder Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe hinterlassen Mengen von radioaktiven Reststoffen, deren Lagerung, Transport und Beseitigung die Strahlungsrisiken vermehren. Radioaktive Abwässer und Klärschlamm aus Kläranlagen und Abwässerkanälen von nuklearrnedizinischen Kliniken und sonstigen Anwendern radioaktiver Stoffe sowie aus Kernkraftwerken stellen ebenso gefährliche Quellen radioaktiver Strahlung dar. 26 Eine sehr hohe Dosis radioaktiver Strahlung kann in wenigen Tagen zum Tode führen. Länger andauernde geringere Dosen können aufgrund der Speicherung im menschlichen Organismus Spätschäden zur Folge haben, wie etwa Krebserkrankungen, Schädigungen der Keimzellen oder Genmutationen und dauernde Sterilität. 27

II. Typologie der Umweltschäden 1. Umweltgefahrdung und Umweltschäden

Die Belastung der Umweltmedien mit Schadstoffen stellt zunächst eine potentielle Gefahr dar, erstens für die Umwelt selbst, d. h. für die in der Natur vorhandenen Ökosysteme28 und zweitens für zivilrechtlich geschützte Rechte und Rechtsgüter, wie z. B. das Eigentum oder die Gesundheit. Umweltbelastende Immissionen oder Einleitungen von Umweltschadstoffen in ein Gewässer können erhebli-

2s Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltchemikalien, S. 51; .Schmidt I Haberland, Zeitschrift für Umweltpolitik (ZfU) 211979, S. 127 (136). 26 UBA, Daten zur Umwelt 1986 I 87, S. 509 - 510. Vgl. auch die neueren Daten zur Radioaktivität in der Bundesrepublik Deutschland, in: UBA-Daten zur Umwelt 1988 I 89, S. 531 ff. 27 Vgl. Ulrich Hagen, in Armin Hermann IR. Schumacher (Hrsg.), Das Ende des Atomzeit alters?, (1987) S. 189; J. Schindel, Die Haftung für Atomschäden, S. 11. 28 Als Ökosysteme werden die funktionellen Einheiten aus Organismen (Lebensgemeinschaft aus Pflanzen und Tieren) und unbelebter Umwelt (Lebensraum, Biotop) verstanden. Die verschiedenen Ökosysteme des Landes und der Gewässer ordnen sich zur Ökosphäre. Der Mensch ist nach seiner biologischen Natur, aber auch nach seinem ganzen Handeln, ein Glied dieses globalen Ökosystems. Definitionen nach Umweltgutachten 1978, BT- Drucks. 81 1938, S. 20, Tz. 28.

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§ I Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

ehe Schäden hervorrufen. In der Regel treten Schäden an Ökosystemen sowie Personen-, Sach- und Vermögensschäden langfristig auf, so daß die latente Gefährdung oft auch geringerer Umweltbelastungen nur schwer zu erfassen ist. 29 Die Erkennbarkeit von Gefahren durch Umweltbelastungen wird nicht zuletzt dadurch erschwert, daß zahlreiche Schadstoffe auch in kleineren Mengen erst durch ihr Zusammenwirken Schäden herbeiführen. Wie die verschiedenen Schadstoffe zusammentreffen, wie sie miteinander reagieren und welche Auswirkungen dadurch entstehen, ist in vielen Fällen schwer ermittelbar. 30 a) Primär- und Spätfolgeschäden

Aufgrund der Art und Weise der Erscheinung der schädlichen Folgen von Umweltbelastungen lassen sich die Umweltschäden in Primär- und Spätschäden unterteilen. Entscheidend für die Auswirkungen der Umweltschadstoffe ist die freigesetzte Menge in der Zeiteinheit sowie das (potentielle) Zusammenwirken von mehreren Schadstoffen. 3 1 Bei Primärschäden treten die schädlichen Folgen unmittelbar oder innerhalb kurzer Zeit nach der Stoffeinwirkung bzw. Stoffaufnahme auf. Demgegenüber unterscheiden sich die Spätschäden dadurch, daß sie bei über längere Zeit wiederholter Aufnahme kleinerer, jeweils nicht akut wirkender Schadstoffe, entstehen (chronische Toxizität). 32 Durch Umweltbelastungen können Schäden auftreten, die auf Dauer fortbestehen (Dauer- oder Langzeitschäden). In der Regel kann man sie als einen Unterfall der Primärschäden einordnen?3 Sie treten unmittelbar bzw. in kurzer Zeit (TageWochen) nach einer akuten Einwirkung von Schadstoffen auf und sie setzen eine andauernde Kettenreaktion von adäquaten ähnlichen oder umgewandelten Schäden in Gang. Dieses Phänomen ist überwiegend bei Gesundheitsschäden anzutreffen. 34

29 Lummert I Thiem, Rechte des Bürgers, S. 25 ; zu den Kriterien der Umweltgefährdung vgl. Umweltgutachten 1987, S. 42 f. 30 Z.B. bei Gesundheitsschäden durch Umweltbelastungen, insbesondere bei Krebserkrankungen. Vgl. Umweltgutachten 1978, BT-Drucks. 8/1938, S. 49, Tz. 170ff; für die neuartigen Waldschäden, Sondergutachten, BT-Drucks. 10 I 113 Tz. 27, 30- 33, 258 - 266 und 390396. 31 Vgl. Umweltgutachten 1978, BT-Drucks. 8/1938, Tz. 144; vgl. auch Umweltgutachten 1987, s. 455. 32 Umweltgutachten 1978, aaO, Tz. 146 - 148; Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltchemikalien, S. 70. 33 Nawrath, aaO, S. 70. 34 Z.B. Vergiftungen durch TCDD, wie bei BASF 1953 und Seveso 1976, führt zu primären Hautschäden aber auch zu grausamen Dauerschäden, wie Gewebegeschwüren, die noch nach vielen Jahren operativ behandelt werden müssen. Dazu Koch I Vahrenholt, Seveso ist überall, S. 49 - 50 und 54 ff.

II. Typologie der Umweltschäden

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b) Personen-, Sach- und Vennögensschäden

Im Bereich der schädlichen Auswirkungen von Umweltbelastungen lassen sich aufgrunddes geschädigten Guts zwei große Gruppen unterscheiden: Erstens Schäden, die sich seitens des Geschädigten individualisieren lassen und deswegen eindeutig dem zi viirechtlichen Schadensrecht zuzuweisen sind und zweitens die ökologischen Schäden, deren zivilrechtliche Zuweisung eher problematisch erscheint. Als Personenschäden kann man nicht jede nachteilige Auswirkung von Umwelt belastungen auf das menschliche Wohlbefinden bezeichnen, 35 vielmehr nur solche auf die Gesundheit. 36 Zu den Sachschäden zählen alle umweltbedingten Schäden an Gebäuden, Denkmälern und Landwirtschaft. Die Umweltbelastungen verursachen zahlreiche reine Vermögensschäden, wie etwa den Gewinnverlust eines Hoteluntemehmens wegen Versehrnutzung der anliegenden Küste37 , Mietpreisminderungen wegen Lärms 38 oder Abwertung von Grundstücken in einer stark umweltbelasteten Gegend. In Betracht kommt auch eine Vermögenseinbuße eines Berufstätigen wegen Minderung seiner Arbeitskraft infolge Umweltbelastung,39 Gewinnverluste eines Fischers wegen Rückgangs des Fischbestandes eines Flusses infolge Wasserverschmutzung etc. c) Ökologische Schäden40

Die chronische oder akute Veränderung der natürlichen Beschaffenheit der Umweltmedien führt in zahlreichen Fällen zu entscheidenden Behinderungen der in den einzelnen Ökosystemen ablaufenden physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse, sogar zur nachhaltigen Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts.41 Waldschäden, Zerstörung von Biotopen, Rückgang oder Aussterben von Pflanzen- und Tierarten und sonstige Beeinträchtigungen von Fauna und Flora sind unter den Begriff ökologischer Schäden zu subsumieren, ebenso wie die zunehmende allgemeine Meeresverschmutzung oder die Klimabeeinträchtigungen. Zwar 35 Wie z. B. Geruchsbelästigungen, Staub-, Dampf-, Nebelbeeinträchtigungen, verminderte Sonnenstrahlung, Nervosität etc. Dazu Schiirer, Luftverschmutzung, S. 25. 36 Wie Erkrankungen der Atemwege und der Lunge, Krebs, chronische Allergien. S. auch Koch I Vahrenholt, Seveso ist überall, S. 122 und S. 54; Moll, Taschenbuch für Umwelt schutz, Bd. I, S. 62. Über den Begriff der Gesundheitsverletzung BGHZ 64, 436; vgl. auch unten§ 4 II. 37 Ähnlich BGH VersR 1972, 463 (Schäden einer Badeanstalt durch Badeverbot nach der Inbetriebnahme einer gemeindlichen Abwasseranlage). 38 Vgl. BGHZ 64, 221. 39 Vgl. BGH BB 1970, 1279. 40 Zu den Ersatzmöglichkeiten ökologischer Schäden im Zivilrecht vgl. unten § 8. 4 1 Über den Begriff des ökologischen Gleichgewichts s. Umweltgutachten 1978, aaO, Nr. 37.

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§ I Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

können auch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder anhaltende Trokkenheit derartige nachteiligen Folgen für den Naturhaushalt42 nach sich ziehen. Hier werden jedoch nur ökologische Schäden durch Umweltbelastungen infolge menschlicher Einflüsse berücksichtigt. Ein ökologischer Schaden kann eine Verletzung privater Rechte und Rechtsgüter dar stellen, wie z. B. die neuartigen Waldschäden. Dabei ist nicht nur das Ökosystem Wald beschädigt (ökologischer Schaden), sondern auch das Eigentumsrecht.43 Unter Umständen entstehen auch reine Vermögensschäden, wie etwa ein Ertragsverlust der im geschädigten Wald betriebenen Forstwirtschaft. Wird dagegen durch Vergiftung eines Gewässers der Bestand an Kleinlebewesen in einem Bereich vernichtet, dann liegt zweifellos ein ökologischer Schaden vor, ohne daß auch eine Verletzung zivilrechtlich geschützter Rechte oder Rechtsgüter vorläge. 2. Planmäßigkeit und Dauerhaftigkeit von Umweltbeeinträchtigungen

Eine Fortsetzung des modernen Zusammenlebens von Menschen ohne jede Umweltbelastung wäre illusorisch. Die Quellen der Umweltbelastungen, d. h. Industrie- und Gewerbeanlagen, Haushalte und Kraftfahrzeuge, werden in aller Regel auch in Zukunft umweltschädliche Immissionen, Abwässer und Abfälle erzeugen. Aus rechtlicher Sicht erweist sich als besonders problematisch die Tatsache, daß das Bild der Umweltschäden nicht durch unvorhergesehene "Pannen", sondern durch dauerhafte und planmäßige Umweltbelastungen geprägt ist.44 a) Umweltbelastungen durch Normalbetrieb und Störfälle

Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebes in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen hervorzurufen, bedürfen in der Regel einer behördlichen Genehmigung.45 Zahlreiche verwaltungsrechtliche Vorschriften bestimmen die schädlichen Stoffe, setzen Emissions- oder Abwassergrenzwerte fest und regeln Einzelheiten der umweltbelastenden Anlagenvorhaben. Der rechts- und bestimmungsgemäße Betrieb von Anlagen46 (Normalbetrieb) schließt Umweltschäden nicht aus. Der dauerhafte, rechtmäßige Normalbetrieb umweltgefährden42 Über den Begriff des Naturhaushalts im BNatSchG, s. Kolodziejcok, Kommentar zum BNatSchG § I Rdn. 11. 43 Nach § 94 Abs. I BGB sind die Bäume Bestandteil des Grundstücks. 44 Lummen /Thiem, Rechte des Bürgers, S. 25. 45 Nach § 4 BlmSchG. Dazu s. auch Amtliche Begründung zum BlmSchG, BT-Drucks. 7 I 179, S. 30; Feldhaus, Kommentar zum BlmSchG, § 4 Nr. 8. 46 Zum bestimmungsgemäßen Anlagebetrieb vgl. § 6 Abs. 2 bis 4 UmweltHG.

II. Typologie der Umweltschäden

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der Anlagen dürfte der schwerwiegendste Faktor der allgemeinen Umweltverschmutzung sein.47 Die allgemein bekannten Umweltkatastrophen betreffen dagegen vorwiegend unvorhergesehene Ereignisse bei großen Industrieanlagen. 48 Bei diesen Störfällen sind beträchtliche Mengen von Umweltschadstoffen freigesetzt worden, die erhebliche Schäden an Menschen und Umwelt verursacht haben. Durch die 12. Verordnung zum BlmSchG (Störfallverordnung) versuchte der bundesdeutsche Gesetzgeber die Gefahren von bestimmten Anlagen bei einer Betriebsstörung zu vermindern. 49

b) Umweltverträglichkeit und aufgestockte Umwelteinwirkungen

Seit Jahrzehnten wird die Umwelt, insbesondere in Industriegebieten und Bai lungszentren, durch Schadstoffe belastet. Zu den alten umweltbelastenden Quellen kommen neue hinzu; die vorhandenen Umweltschadstoffe addieren sich oder wirken mit neuen zusammen und verursachen Schäden. 50 Die verwaltungsrechtlichen Grenzwerte von Umweltbelastungen sowie die präventive Umweltverträglichkeitsprüfung bezwecken, schädliche Einwirkungen bestehender bzw. geplanter Anlagen und Projekte zu vermeiden, auszugleichen oder zu mindern, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, erhebliche Nachteile für die Allgemeinheit und den Naturhaushalt herbeizuführen. 5 1 In der Regel richten sich die Grenzwerte nach einzelnen Stoffen und Anlagen auf regionaler oder überregionaler Ebene, so daß die Gesamtbelastung der Umwelt, oft einfach aus naturwissenschaftlichen Gründen, nicht ausreichend berücksichtigt werden kann. Die Smog-Verordnungen sehen in der Regel Grenzwerte für die Gesamtluftverschmutzung vor und bestimmen entsprechende Maßnahmen. 5 2 Sie bekämpfen aber nur die akuten Probleme, die bei austauscharmen Wetterlagen entstehen, nicht das chronische Problem der aufgestockten Umweltbelastungen, das ebenso zu akuten Störungen führen kann.

47 So auch von Bar, Zur Dogmatik des zivilrechtliehen Ausgleichs von Umweltschäden, Karlsruher Forum 1987, S. 6; Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltchemikalien, S. 64ffm. w. Nachw.; HagerNJW 1986, 1961 Fn. I. 48 Man denke an Seveso, Flixborough, Manfredonia, Freyzin, Tschernobyl, Three Miles Island, Agent Orange etc. 49 Vgl. Amt!. Begründung zur StörfaiiVO in BR-Drucks. 108 I 80, S. 24ff. 50 Zum Haftungszurechnungsproblem bei Schäden durch aufgestockte Umwelteinwirkungen und zur Newcomer-Problematik vgl. unten§ 12 III I c. 51 Loretan, Die Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 29. 52 Smog-Verordnung (SmogVO) Baden-Württemberg GVBI 1985, S. 133; Bayern GVBI 1985, S. 615; Berlin GVBI 1985, S. 2282; Hessen GVBI 1985, S. 56; Niedersachsen GVBI 1985, S. 616; Nordrhein-Westfalen GVBI 1987, S. 20; Rheinland-Pfalz GVBI 1985, S. 56; Saarland Amtsbl. 1986, S. 132.

3 Lytras

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§ 1 Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

3. Vielzahl von Verursachern und Geschädigten

Häufig sind Umweltschäden dadurch gekennzeichnet, daß eine Vielzahl schadstoffproduzierender Quellen als deren Ursache in Betracht kommen. Der Geschädigte steht oft gegenüber mehreren sicheren und potentiellen Verursachern, deren Beitragsanteil an der Schadensverursachung sich nur selten genau feststellen läßt, 5 3 auch wenn man dies auf der Basis von Verursachergruppen zu ermitteln versucht. Auf der Seite der durch Umweltbelastungen Geschädigten stehen typischerweise nicht nur Einzelne, sondern oft breite Teile der Bevölkerung. Denkt man an die vielfältigen Gesundheitsstörungen in Smoggebieten oder an die oft nur geringfügigen Gebäudeschäden infolge Luftverschmutzung, dann dürfte die Zahl der Geschädigten in die Millionen gehen. Das gleiche gilt für die Vermögensschäden: Ertragsverluste von Landwirten, Fischern und Erholungsuntemehmen, Wertminderungen von Häusern und Grundstücken usw. Mit einer Vielzahl von Geschädigten muß man auch bei umweltbedingten Erkrankungen rechnen. 5 4 4. Vielzahl der zusammenwirkenden Stoffe

Der Typus des Umweltschadens, bei dem ein einziger Umweltschadstoff aus einer einzigen und feststellbaren Quelle den eingetretenen Schaden verursacht hat, ist sicher der einfachere, aber auch der seltenere Fall. Man muß vor allem aber die Umweltschäden beachten, die durch das Zusammenwirken verschiedener Stoffe entstehen. Gehen die zusammenwirkenden Stoffe alle von einer einzigen Quelle aus, bleibt der Fall problemlos: Der Schaden kann ohne Schwierigkeiten der für die Ursachenquelle verantwortlichen Person (z. B. dem Eigentümer eines Grundstücks oder dem Betreiber einer Anlage) zugerechnet werden. Der typische Fall des Umweltschadens ist aber komplizierter. Die meisten Umweltschäden entstehen durch das Zusammenwirken recht unterschiedlicher Substanzen, die aus zahlreichen Quellen stammen und miteinander verschiedenartig reagieren. Dadurch wird die Analyse von Ursache und (schädlicher) Wirkung schon aus naturwissenschaftlicher Sicht erheblich erschwert. Lassen sich die natürlichen Kausalzusammenhänge erklären, ist noch keine Antwort auf die rechtserhebliche Frage gegeben, ob zu dem konkret eingetretenen Schaden alle, einige oder keine der in Betracht kommenden Quellen der ursächlichen Stoffe beigetragen haben. Vielmehr muß auf die Frage des Ursachenanteils jedes Stoffes und jeder Quelle eingegangen werden, da 53

§ 12.

Zur Frage der Zurechnung multikausaler Schäden durch Umweltbelastungen vgl. unten

54 Wie z. B. bei den weltbekannten Fällen in Japan (Yokkaichi, Hai-Hai und Kumamoto Minamata). Dazu Lummert I Thiem, Rechte des Bürgers, S. 155; Tsuru, Die Erfolge der japanischen Umweltpolitik, S. 92ff.

II. Typologie der Umweltschäden

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die schädlichen Folgen oft nicht nur von der Quantität, sondern eher von der Qualität und der Eigenart des Zusammenwirkens verschiedenartig reagierender Umweltschadstoffe abhängig sind. 5. Ferntransport von Umweltschadstoffen

Die schädlichen Auswirkungen der vielfältigen Umweltbelastungen beschränken sich nicht auf die unmittelbare Nähe der Schadstoffquellen. Ein Teil von Luftverunreinigungen und Abwässer wird je nach geographischen und meteorologischen Bedingungen über relativ große Entfernungen transportiert. Der Umfang der Umweltbelastung wird aber maßgeblich von der nahe gelegenen Schadstoffquelle bestimmt und ist von der Wirtschafts-, insbesondere der Energie- und Sozialstruktur einer Region abhängig. 5 5 Auch die ferntransportierten Umweltschadstoffe werden lokal und regional in recht unterschiedlicher Dichte verteilt und beeinflussen entsprechend den Zustand der Umweltbelastung. Die Umwelteinwirkungen auf Menschen, Tiere, Pflanzen und andere Sachen lassen sich deshalb praktisch erfassen, wenn die Umweltschadstoffe auf kleineren Rächen beobachtet werden können. Während der Ferntransport von Abwässern praktisch dem relativ beschränkten Weg einer Wasserstraße bzw. einer Kanalisation folgen kann und dadurch einen eingeschränkten Einwirkungsbereich aufweist, erscheint die Ferntransportproblematik von Luftschadstoffen komplizierter. Die Masse der Luftverunreinigungen aus Verkehr, Hausheizungsanlagen, Gewerbe und Industrie (Emissionen) verbleibt in bodennahen Luftschichten und kennzeichnet die Qualität der Luft (lmmission).56 Ein Teil der Immissionen wird auf der Erdoberfläche abgelagert (Deposition), in aller Regel in relativ kurzer Entfernung von der Emissionsquelle. 57 Mit dem Bau höherer Schornsteine vermindert sich bei unveränderten Emissionen die Immissionsbelastung in der näheren Umgebung, das Problem der schädlichen Einwirkungen wird aber nur geographisch verschoben. 58 Andererseits werden durch den Ferntransport von Immissionen oft akute Schäden vermieden, da die Konzentration von Schadstoffen in der unmittelbaren Umgebung der Emissionsquellen meistens geringer bleibt als sonst. Erster Immissionsbericht der Bundesregierung: BT-Drucks. 8/2006, S. 10. Über die Begriffsbestimmungen von Emission und Immission nach dem BlmSchG s. Feldhaus, BimSchR-Kommentar, § 3 Anm. 5; Ule, BimSchG-Kom., § 3 Anm. 6; vgl. auch TA-Luft Nr. 2.1.3. 57 Immissionsbericht der Bundesregierung (1978), BT-Drucks. 8 I 2006, S. 10; Schröder, Vorsorge als Prinzip des Immissionsschutzrechts, S. 11; vgl. auch UBA (Hrsg.), Deposition von Luftverunreinigungen, passim. 58 Über die sog. Politik der hohen Schornsteine: Erster lmmissionsbericht, BT-Drucks. 8/ 2006, S. 10; Diederichsen-Scholz WiVerw 1984, 23 (37); Adams ZZP 99 (1986), 150; Diederichsen, Referat in DJT 1986, L. 82. 55

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§ I Umweltbelastungen: Quellen, Auswirkungen, Erscheinungsformen

Der Transport von Luftschadstoffen findet in einem erheblichen Maße auch über so große Entfernungen statt, daß Staatsgrenzen überschritten werden. Säurebilder vornehmlich aus den großen Industrieländern Europas werden z. B. über Tausende von Kilometern transportiert und beschädigen die skandinavischen Seen. 59 Grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen können zu Wasser, zu Lande, in der Luft sowie unterirdisch erfolgen. Jedoch nicht alle sich international auswirkenden Umweltbelastungen stammen aus Staatsgebieten. Die Abfallbeseitigung auf hoher See, legal und illegal, kann z. B. infolge der Wasserströmungen nationale Küstengewässer erreichen oder durch verseuchte und erkrankte Fische und Meeresorganismen auf innerstaatlichem Gebiet Schäden verursachen.60 Katastrophen wie die von Sandoz und Tschernobyl haben die Öffentlichkeit sensibilisiert und Naturwissenschaftlern und Politikern neue Herausforderungen gestellt angesichts der wohl unterschätzten Risiken der modernen Technik. 61 Einige Stichworte wie Abfalldeponie Schönberg, die hoch verschmutzte Nordsee und Ostsee reichen aus, um das Ausmaß der pragmatischen und rechtlichen Probleme anzudeuten. Der Individualschutz gegen grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen stellt zahlreiche völkerrechtliche, staats- und verwaltungsrechtliche sowie international-privatrechtliche Fragen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden können. 62

111. Monetäre Bewertung von Umweltschäden Die Umweltverschmutzung verursacht hohe Verluste, die volkswirtschaftlich von großer Bedeutung sind. 63 Umweltschäden, wie Aufwendungen für die Behandlung umweltbedingter Krankheiten, verlorene Arbeitszeit oder Leistungsminderung als Folge der Umweltverschmutzung lassen sich schwer bewerten. Andere Umweltschäden, wie z. B. die allgemeine oder örtliche Klimaveränderung sind monetär überhaupt nicht bewertbar. Die umweltbedingten Schäden sind meistens sehr komplexe Phänomene, die sich einer antizipierenden Erfassung und Quantifi59 Dazu s. Sondergutachten über Waldschäden und Luftverunreinigungen, BT-Drucks. 10 I 113 (1983), s. 80. 60 Zu den sich daraus ergebenden Rechtsfragen vgl. etwa Ph. Kunig JZ 1981, 295 ff. 61 Vgl. die Erklärung der Bundesregierung in deren Bulletin vom 14. II. 1986, Nr. 139, S. 1161 ff; auch Ladeur NJW 1987, 1236. 62 Über die Problematik des grenzüberschreitenden Umweltschutzes: Kunig in Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht (1987), S. 213 ff m. w. Nachw. 63 Der Gesamtschaden aus dem Waldsterben in der Bundesrepublik beträgt jährlich ca. 5,5 Mrd. DM nach dem Trend-Szenario, wobei weitere wirksame Umweltschutzmaßnahmen unterstellt werden, und ca. 8,8 Mrd. DM nach dem Status-Quo Szenario. Vgl. USA-Berichte 4186, Kurzzusammenfassung S. K6; vgl. auch nach Schadensbereiche Ewers, in: USA-Berichte 7 I 86 S. 133, 138, 141 (Kosten der Umweltverschmutzung- Symposium im September 1985).

III. Monetäre Bewertung von Umweltschäden

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zierung oft entziehen, so daß die monetäre Einschätzung der Schadensfolgen allgemein schwer ist. 64 Die Umweltschäden sind zumeist Spät- und Dauerschäden, so daß durch eine zeitpunktbezogene Erhebung eine zuverlässige Abschätzung kaum möglich sein dürfte. Man muß die bislang eingetretenen Umweltschäden prospektiv betrachten und Einschätzungen auch für die künftig zu erwartenden Schäden vornehmen. 65 Andererseits ist die Verhütung von Umweltschäden mit erheblichen Kosten verbunden. Im Gegensatz zu den Verlusten durch die Umweltverschmutzung lassen sich die Kosten für vorbeugende Umweltschutzmaßnahmen (vorgenommene und geplante) ziemlich genau beziffern. Eine Bewertung in Geld ist der Öffentlichkeit besser verständlich als in physikalischen Einheiten gemessene Größen. Während die von den Kosten des Umweltschutzes Betroffenen fast immer beeindruckende Zahlen von Ausgaben präsentieren,66 können die Verfechter von mehr Umweltschutz kaum mit exakt bezifferbaren Vorteilen des wirtschaftlichen Nutzens von Umweltschutzmaßnahmen argumentieren. Dies macht es den von den Aufwendungen des Umweltschutzes unmittelbar Betroffenen leichter, umweltschützende Maßnahmen als "wirtschaftlich nicht tragbar" abzulehnen. Ohne jeden Zweifel trägt das Bemühen um eine monetäre Bewertung der Umweltschäden erheblich dazu bei, die umweltpolitische Diskussion zu rationalisieren. 67

64 Ewers, in: UBA (Hrsg.), Zur monetären Bewertung von Umweltschäden, Bericht 4/ 86 Nr. 1 - 13. 65 Ewers, in: UBA aaO (Fn. 58); vgl. auch Umweltgutachten 1987, S. 80f. 66 Vgl. Umweltgutachten 1987, S. 85 ff. 67 Vgl. Ewers, in: UBA aaO. Überblick über die zukünftigen Entwicklungen der Ausgaben für den Umweltschutz sowie auch zu den Beschäftigungswirkungen des Umweltschutzes s. Umweltgutachten 1987, S. 88 ff.

§ 2 Zivilrechtlicher Umweltschutz: strukturelle Grenzen, mögliche Anspruchsgrundlagen, Prävention von Umweltschäden I. Die Rechtsaufgabe des Umweltschutzes und die Struktur des Zivilrechts 1. Umweltschutz als Staatsaufgabe

a) Umweltpolitische Ziele und Grundsätze Die Bundesregierung hat in ihrem Umweltprogramm von 1971 1 die Ziele der Umweltpolitik als die Gesamtheit aller Maßnahmen beschrieben, die notwendig sind, um (l) dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht, und um (2) Boden, Wasser und Luft, Tier- und Pflanzenwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und (3) Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen. Für die Verwirklichung dieser umweltpolitischen Ziele legt die Bundesregierung im wesentlichen drei Handlungsprinzipien zugrunde, die Gestaltungsmaßstäbe für die Gesetzgebung und die administrativen Handlungen liefern und die Art und Weise der Vollziehung des Umweltschutzes bestimriten.2 Es sind dies das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip und das Koordinationsprinzip.3 Die Bundesregierung4 formuliert das Vorsorgeprinzip wie folgt: "Umweltpolitik erschöpft sich nicht in der Abwehr drohender Gefahren und der Beseitigung eingetretener Schäden. Vorsorgende Umweltpolitik verlangt darüber hinaus, daß die NaUmweltprogramm der Bundesregierung, BT-Drucks. 6/2710. Über die Ziele und Prinzipien der Umweltpolitik: Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 86 ff; Storm, Umweltrecht, S. 11 ff; Schmidt, Einführung in das Umweltrecht, S. 2; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 1 Rdn. 16ff; Schröder, Vorsorge, S. 25ff; Ritter NVwZ 1987, 929 (932 ff). 3 Zu dieser Einteilung vgl. auch: Kette/er I Kippers, Umweltrecht, S. 79 ff; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rdn. 5 ff; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § I Rdn. 48 ff; Send/er JuS 1983, 256; HartkopfNuR 1981, 113 (118, 119); Schmidt I Müller JuS 1985, 695; Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, (1986) S. 81 ff; Umweltbericht 1976, BT-Drucks. 7 I 5684; Leitlinien Umwe1tvorsorge, BT-Drucks. 10/6028 S. 6, 7. 4 Umweltbericht 1976, BT-Drucks. 7/5684 S. 2 Rdn. 4. 1

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I. Die Rechtsaufgabe des Umweltschutzes

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turgrundlagen geschützt und schonend in Anspruch genommen werden." Das Vorsorgeprinzip wird immer wieder als das bestimmende Prinzip der Umweltpolitik hervorgehoben. 5 Ein effektiver Umweltschutz setzt in der Tat Maßnahmen voraus, die die Umweltbelastungen von vornherein vermeiden oder sie möglichst gering halten. Kaum irgendwo besitzt die Maxime "Schadensverhütung geht vor Schadensvergütung" größere Überzeugungskraft als im Umweltschutz. 6 Das Verursacherprinzip1 ist als ein Kostenzurechnungsprinzip zu verstehen, nach dem der Verursacher von Umweltbeeinträchtigungen die zur Beseitigung oder zum Ausgleich dieser Belastung erforderlichen Kosten zu tragen hat. Das Verursacherprinzip enthält keine Verantwortungszuweisung; es begründet keine Schadensersatz- oder Haftungspflichten. Der Normgeber hat jeweils zu entscheiden, ob das Verursacherprinzip überhaupt Anwendung finden soll, wer als Verursacher in Anspruch genommen wird und in welcher Weise dies zu geschehen hat. 8 Nur ausnahmsweise müssen die Kosten der Umweltbelastung nach dem Gemeinlastprinzip9 von der Allgemeinheit getragen werden, wenn z. B. der Verursacher nicht festgestellt werden kann oder wenn überwiegende sozial- und wirtschaftspolitische Überlegungen in Betracht kommen (Sicherung von Arbeitsplätzen, Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit). In der Praxis hat jedoch die ergänzende Finanzierung des Umweltschutzes nach dem Gemeinlastprinzip eine erhebliche Bedeutung. Das Kooperationsprinzip 10 bezieht sich auf die Zusammenarbeit zwischen Staat und Gesellschaft im Bereich der Umweltpolitik Die Bundesregierung hat dieses 5 Vgl. BT-Drucks. 8 I 3713, S. 2; Leitlinie Umweltvorsorge, BT-Drucks. 10 I 6028, S. 7; Schröder, Vorsorge, S. 42; Kroppenstedt, Vorsorgeprinzip, S. 6, 8 ff. 6 Köndgen, UPR 1983, 347. Im gleichen Sinne: Pfeiffer, Die Bedeutung des privatrechtliehen Immissionsschutzes, S. 21 ff; Simitis VersR 1972, 1089; Gmehling, Die Beweislastverteilung bei Schäden aus lndustrieimmissionen, S. 176. 7 Dazu: Rehbinder, Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, passim; Bullin ger I Rincke I Oberhauser I Schmidt, Das Verursacherprinzip und seine Instrumente, passim; Poppe, Verursacherprinzip und Umweltschutz, passim; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 B II, Rdn. 27 ff; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 1 Rdn. 51 f; Bender I Sparwasser, Umweltrecht, Rdn. 23 ff; Rehbinder, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umwelt rechts, S. 95 ff; Kloepfer I Meßerschmidt, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, S. 74 ff; Hart kopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 108 ff; J. Schmidt, Verursacherprinzip und Sozialkosten, AcP 175 (1975), 222ff; Pfeiffer, S. 38 ff; SRU-Umweltgutachten 1974, BT-Drucks. 7 I 2802, Rdn. 36ff, 565ff, Umweltgutachten 1978, BT-Drucks. 8 I 1938, Rdn. 1755ff; Adams, JZ 1989, 787 ; Kirchgässner JZ 1990, 1042 ff. s Kette/er I Kippels, Umweltrecht, S. 81; vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 3 B li, Rdn. 35. 9 Zum Gemeinlastprinzip: Rehbinder, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 95 - 97 ; Kloepfer I Meßerschmidt, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, S. SOff; Send/er JuS 1983, 257; Schmidt I Müller JuS 1985, 696; Leitlinien Umweltvorsorge, BT-Drucks. 10 I 6028, S. 12, 13; Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 112 - 113; Kloepfer, Um weltrecht, § 3 B III, Rdn. 39 ff. JO Zum Kooperationsprinzip: Umweltbericht 1978, BT-Drucks. 81 1938, S. 4; Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 115; Kloepfer I Meß erschmidt, S. 81 ff; Kette/er I Kippels, Um-

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Prinzip wie folgt formuliert: 11 ,,Nur aus der Mitverantwortlichkeit und der Mitwirkung der Betroffenen kann sich ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen individuellen Freiheiten und gesellschaftlichen Bedürfnissen ergeben. Eine frühzeitige Beteiligung der gesellschaftlichen Kräfte am umweltpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß ist deshalb von der Bundesregierung vorangetrieben worden, ohne jedoch den Grundsatz der Regierungsverantwortlichkeit in Frage zu stellen."

b) Der Umweltschutz als Rechts- und Staatsaufgabe Die Umweltpolitik bedarf des Rechts zu ihrer Verwirklichung. Erst das Recht als nonnative Ordnung menschlichen Zusammenlebens macht die Ziele und Prinzipien der Umweltpolitik verbindlich, bestimmt ihren Inhalt und ihre Schranken und gibt auf diese Weise dem Normadressaten klare und bestimmte Verhaltensanweisungen. 12 Man dürfte auch heute die umweltpolitischen Grundaussagen von 1971, die von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien unterstützt wurden, nicht nur als politisch, sondern auch als rechtlich verbindlich betrachten. 13 Sie haben sich nicht nur in der Politik und rechtswissenschaftliehen Literatur 14 durchgesetzt, sondern sie haben in zahlreichen Gesetzen Niederschlag gefunden. 15 Das Recht hat die Aufgabe übernommen, das menschliche Verhalten auf die Umweltpflege zu lenken. Mit dem umfassenden Ansatz der Ziele und Prinzipien der Umweltpolitik korrespondiert ein entsprechend umfassend verstandener Teil der Rechtsordnung, das Umweltrecht 16 oder Recht des Umweltschutzes. Der Umweltschutz wird heute grundsätzlich als staatliche Aufgabe verstanden.17 Zwar ist er im Grundgesetz an keiner Stelle ausdrücklich normiert, er kann weltrecht, S. 82- 83; Leitlinien Umweltvorsorge, BT-Drucks. 10 I 6028, S. 11 - 12; Kloepfer, Umweltrecht, § 3 B IV, Rdn. 44 ff. ll Umweltbericht 1976, BT-Drucks. 7/5684, S. 4, Tz. 8. 12 Ossenbühl NVwZ 1986, 164; Storm, Umweltrecht, S. 17. 13 HartkopfI Bohne, Umweltpolitik, S. 85. 14 Vgl. oben Fn. 5, 6, 7, 8, 9, 10. 15 Wie z. B. das Vorsorgeprinzip in § 5 Nr. 2 BlmSchG oder § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG; das Verursacherprinzip z. B. in § 8 Abs. 2 BNatSchG oder§ 5b AbfG; das Kooperationsprinzip in§§ 7, 48, 51 BlmSchG, § 4 Abs. 5 AbfG, § 29 BNatSchG, §§ 21aff WHG; auch die Ziele der Umweltpolitik sind im Gesetzestext niedergeschlagen: vgl. § I Abs. 2, § 2 Abs. I Nr. 3 BNatSchG oder§§ I, 50 BlmSchG, § I Nr. 2 AtomG; zur Ziel- und Prinzipienharmonisierung im Umweltrecht s. Kloepfer I Meßerschmidt, S. 57 ff. 16 Zum Umweltrecht allgemein: Kloepfer, Umweltrecht, §I B, Rdn. 28ff; Kette/er/ Kippels, Umweltrecht; Schmidt, Einführung in das Umweltrecht; Storm, Umweltrecht; Kimminich, Das Recht des Umweltschutzes; Rehbinder, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge, S. 81 ff; Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, USA-Berichte 8/78, jeweils m. w. Nachw. 17 So auch : Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 72 ff; Steiger, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge, S. 21 ff; Kloepfer, Umweltrecht, § 2 B, Rdn. 4 ff; Kette/er I Kippels, Umweltrecht, S. I ff; Staatszielbestimmungen, hrsg. vom BMI I BMJ, jeweils m. w. Nachw.

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aber auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), auf einzelne Grundrechte (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1; Art. 2 Abs. 2 S. 1; Art. 14 Abs. 1 GG) sowie auf Kompetenznormen (Art. 74 Nr. 1, 11, lla, 12, 17-22, 24; Art. 75 Nr. 3, 4 GG) gestützt werden. 18 Diese Aufgabe hat hauptsächlich die öffentliche Verwaltung zu erfüllen. Entsprechend liegt das Schwergewicht des Umweltschutzes im öffentlichen Recht. 19

c) Der öffentlichrechtliche Umweltschutz Zum effektiven Umweltschutz verfügt das öffentliche Recht über ein drastisches Instrumentarium, das eingreifende Maßnahmen direkter oder indirekter Verhaltenssteuerung sowie auch umweltplanerische Entscheidungsmöglichkeiten umfaßt.20 Dadurch kann das öffentliche Recht bereits an der Quelle einer abstrakt-allgemeinen Umweltgefahr und damit wirklich präventiv - umweltschützend - eingreifen.21 (1) Im Vordergrund der Instrumente zur direkten Verhaltenslenkung stehen Gebote und Verbote, wie z. B. in§ 4 AbfG. Die Gebote auferlegen dem einzelnen als Umweltpflichten ein bestimmtes umweltpflegerisches Tun, Dulden oder Unterlassen.22 Im Zusammenhang zu diesen stehen umweltdienliche Nebenpflichten, die der Verwaltung die notwendigen Daten für ihre Tätigkeit verschaffen sollen, insbesondere zur Überwachung von umweltbedeutsamen Tätigkeiten. Dazu gehören sowohl zahlreiche Auskunfts-, Melde-, Mitteilungs-, Nachweis- 23 und Duldungs-

18 Zur Diskussion über die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Umweltschutzes und zu einem Grundrecht auf Umweltschutz vgl.: Karpen, in: Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, S. 9 ff; Steiger, in: Salzwedel (Hrs.), Grundzüge, S. 21 ff; Kippeis in Ketteler I Kippels, Umweltrecht, S. I ff; Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rdn. 20 ff, 27 ff, jeweils m. w. Nachw. 19 So Diederichsen, Referat bei DJT (1986), S. L 48 ff; Marburger, Gutachten bei DJT (1986), S. 69; Gerlach JZ 1988, 161; Rehbinder NuR 1988, 105; ders. RabelsZ 40 (1976), 387; Hager NJW 1986, 1971; Baumgärtel Keio Law Review Nr. 4 (1983), 152; Similis VersR 1972, 1089; Schmidt, in: Grundzüge, S. 10; Streckel ZVersWiss 1976, 56; Schröder, Vorsorge, S. 58; Hoppe VVDStRL 38 (1980), 211 ff; Rauschning VVDStRL 38 (1980), 167; Storm, Umweltrecht, S. 41. 2o Über die Instrumentarien im öffentlichen Umweltrecht s. Ketteler I Kippels, Umweltrecht, S. 84 ff; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdn. 1 ff; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 6, 7, 8; Kloepfer I Meßerschmidt, UBA- Berichte 6 I 86, S. 102 ff; Hartkopf I Bohne, Umweltpolitik, S. 172 ff, jeweils m. w. Nachw. 21 So auch Gerlach JZ 1988, 163. 22 Umweltpflichten, die ein Tun gebieten: § 11 BNatSchG, § 13 ChemG; Duldungsumweltpflicht: § 10 BNatSchG; Unterlassungspflichten: § Ia WHG, § 22 BlmSchG. 23 Z.B. Einrichtung und Führung von Nachweisbüchem, Pflicht zur Vorlage von Belegen und Anzeigepflichten nach der AbfNachwV, Mitteilung der ermittelten Emissionen und Immissionen nach §§ 26 ff BlmSchG, Anmeldung neuer Stoffe vor deren loverkehrbringen nach ChemG.

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pflichten 24 als auch Eigenüberwachungs- 25 und Organisationspflichten. 26 Die Umweltverbote untersagen aus Gründen des Umweltschutzes insbesondere das Einrichten und Betreiben bestimmter Anlagen, 27 das Herstellen, Inverkehrbringen oder Verwenden von Umweltschadstoffen28 oder die Vomahme bestimmter Handlungen in Schutzgebieten. 29 Das direkt eingreifende Instrumentarium des öffentlichen Umweltrechts wird grundsätzlich im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens eingesetzt. Nach der Zulassung einer umweltgefährdenden Anlage besteht eine ganz wesentliche Aufgabe der Umweltbehörden darin, die Einhaltung der umweltschützenden Vorschriften zu überwachen und zu kontrollieren.30 Dabei enthalten die Vorschriften des Umweltrechts Regelungen über nachträgliche Anordnungen oder Auflagen seitens der Verwaltung, sofern sich nach der Inbetriebnahme einer Anlage herausstellt, daß von ihr schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen (vgl. z. B. § 17 BlmSchG oder § 17 AtomG). Unter Umständen kann die öffentliche Verwaltung erteilte Erlaubnisse widerrufen (vgl. § 21 BlmSchG) oder die Stilllegung von Anlagen anordnen (§ 20 BlmSchG). (2) Dem indirekt-eingreifenden öffentlichrechtlichen Instrumentarium des Umweltschutzes kommt eine wichtige, ergänzende Funktion zu. Zunächst sind die öffentlichen Einrichtungen in Betracht zu ziehen, die direkt dem Umweltschutz dienen, wie z. B. Abwasserbehandlungs- oder Abfallentsorgungsanlagen, sowie auch die Umweltbehörden und Institutionen (z. B. Umweltbundesamt). Die wichtigsten Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Interesse des Umweltschutzes sind die marktwirtschaftliehen Maßnahmen wie die Erhebung von Umweltabgaben31 anknüpfend an das Verursacherprinzip, Kompensationsregelungen, 32 Investitionshilfen oder Steuervergünstigung?3 Unter den leistenden Maßnahmen des öffentBeispiel: Duldung der Entnahme von Proben nach§ 57 BlmSchG. Z.B. Überwachungspflicht bei wassergefährdenden Stoffen nach§ 19i WHG. 26 Z.B. Pflicht zur Bestellung von Betriebsbeauftragten für Gewässerschutz nach § 21a WHG, für Abfall nach§ 11a AbfG, für Immissionsschutz nach§ 53 BlmSchG. 27 Wie z. B. nach § 25 Abs. 2 BlmSchG. 2s Beispiel: § 1 DDT-G. 29 Vgl. § 13 BNatSchG. 30 Vgl. § 11 Abs. 4 AbfG, §52 BlmSchG, § 21 WHG. 31 Zur Diskussion über die Problematik von Abgaben als Instrument des öffentlichrechtlichen Umweltschutzes u.a.: Kirchof HdUR, Bd. I, Sp. 14ff; Kloepfer DÖV 1975, 593ff; Brandt, UPR 1984, S. !Off; Weyreuther, UPR 1988, S. 16ff; Meß erschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, passim, jeweils m. w. Nachw. Dazu vgl. BVerfG NJW 1981, 207 und NJW 1985, 37. 32 Beispiel: § 7 Abs. 3, § 48 Nr. 4 BlmSchG; zu Kompensationsregelungen und zu den Emissionszertifikaten vgl.: Feldhaus DVB11984, 552ff; Endres ZRP 1985, 197; Rehbinder HdUR, Bd. I, Sp. 930ff; Leitlinien Umweltvorsorge, BT- Drucks. 10 I 6028, S. 14; Bender I Sparwasser, Umweltrecht, Rdn. 48 ff. 33 Zur Steuervergünstigung als Instrument des Umweltschutzes und allgemein zu den marktwirtschaftliehen Maßnahmen vgl. Soell, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge, S. 635 ff; Birk NuR 1985, 90ff; Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, passim; von Lers24 25

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liehrechtlichen Umweltschutzes sind auch die umweltbezogene Beratung durch die öffentliche Verwaltung, die Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen (vgl. § 2 Abs. 1 UBAG) sowie die Gewährung öffentlicher Entschädigungsleistungen (z. B. § 9 FluglärmG, § 21 BlmSchG, § 19 WHG) zu erwähnen. (3) Das planende Instrumentarium des Umweltverwaltungsrechts bezieht sich eher auf das umweltpflegerische Verhalten des Staates, kann aber nach Art, Form und Verbindlichkeit das umweltbezogene Verhalten des einzelnen beeinflussen. Dem gehören sowohl die raumbezogene Gesamtplanung34 (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 7 des Bundesraumordnungsgesetzes) als auch die umweltbezogene Fachplanung an, wobei es um die Erfüllung spezieller sachlicher Aufgaben des Umweltschutzes geht, wie z. B. nach § 47 BlmSchG oder § 6 AbfG. Der Verwirklichung des Vorsorgeprinzips im Bereich der umweltrechtlichen Planung dient auch die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). 35 Bekanntlich kann das öffentliche Recht nicht immer einen effektiven Umweltschutz gewährleisten, trotz des verfügbaren, vielartigen Instrumentariums. Dies liegt zum großen Teil einerseits an der strukturellen Schwäche des öffentlichen Rechts und andererseits an dem sog. Vollzugsdefizit der Verwaltung?6 In der Praxis konzentriert sich die öffentlichrechtliche Umweltschutzproblematik auf die Frage nach den Kriterien der Zulässigkeit von Umweltgefahren. Man kann aber nicht zugleich bestimmte Umweltgefahren zulassen und die Umwelt davor sicher schützen. 37 Erkannte oder erst nach der Zulassung einer gefährlichen Tatigkeit wahrgenommene Umweltbelastungen bleiben zunächst öffentlichrechtlich erlaubt. Der "Regelbetrieb" und sein toleriertes Restrisiko ist längst eine schwerwiegende Ursache von Umweltschäden erkannt. 38 Öffentlichrechtliche technische Standards und Grenzwerte sind oft das Ergebnis einer politischen und ökonomischen Abwägung, die über technisch-wissenschaftliche Kompetenz hinausgeht. 39 Sie sind mei-

ner, Verwaltungsrechtliche Instrumente des Umweltschutzes, S. 20ff; SRU, Umweltgutachten 1978, BT-Drucks. 8/1938, S. 538 ff; Umweltbericht 1985, BT- Drucks. 10/4614, S. 10; Leitlinien Umweltvorsorge, BT-Drucks. 10/6028, S. 14; Selmer, in: Thiem (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, S. 25 ff. 34 Zur räumlichen Gesamtplanung und Fachplanung vgl. Erbguth, Raumbedeutsames Umweltrecht, S. 116 ff; Schmidt-Aßmann, in : Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge, S. I 17 ff; Peters, DÖV 1988, 56ff; jeweils m. w. Nachw. 35 Zur Umweltverträglichkeitsprüfung u.a. Jarass, UVP bei Industrievorhaben, 1987 passim; Hoppe-Püchel DVBL 1988, 1 ff; Loretan, Die UVP, passim. 36 Dazu vgl. R. Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, insb. S. 33 ff; Lübbe-Wolff, NuR 1993, 217ff; Wagner, NuR 1992,202. 37 Vgl. Gerlach JZ 1988, 161 (164). 38 Zu der Problematik s. oben § 1 II 2. 39 Dazu insb. Winter (Hrsg.), Umweltrechtliche Studien, Bd. I, Grenzwerte 1986, passim, sowie Lukes, in: Lukes (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilung im Recht (Recht, Technik, Wirtschaft, Bd. 21 T. 1), S. 17 ff; allgemein auch Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 279 ff.

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stens generalisiert-durchschnittlich festgestellt, so daß auf die individuellen örtlichen Besonderheiten nicht genügend Rücksicht genommen wird oder werden kann. 40 Der Rechtsschutz der durch die Zulassung einer umweltgefährlichen Tätigkeit Betroffenen ist oft nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus rein faktischen Gründen substantiell verkürzt. 41 Sicher ist das öffentliche Recht durch größere politische Verfügbarkeil gekennzeichnet, die ihm eine breite Wirkungsmöglichkeit ermöglicht, andererseits ist es aber dem Einfluß durch die herrschende Politik und starken Partikularinteressen stärker ausgesetzt; dies ist nicht immer im Interesse des Umweltschutzes. Unter diesem Aspekt gewinnen zivilrechtliche Vorschriften mit umweltrelevantem Bezug zunehmend an Bedeutung. 2. Strukturelle Grenzen eines zivilrechtliehen Umweltschutzes a) Individualbezogenheit des Zivilrechts

Das Zivilrecht regelt die Beziehungen der einzelnen zueinander auf der Grundlage ihrer Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.42 Im Kern der anthropologischen Konzeption des Zivilrechts43 steht die Person als Träger von subjektiven Rechten und Rechtspflichten. 44 Sie hat für die Folgen ihres Tuns oder Unterlassens einzustehen, wenn dadurch Rechte oder Rechtsgüter anderer verletzt worden sind. Das Zivilrecht ist auf die Regelung individueller Verhältnisse zugeschnitten. Demnach dient es in erster Linie der Abgrenzung privater Rechts- und Interessensphä40 So auch Gerlach JZ 1988, 164. Zu dieser Problematik vgl. auch Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne (1986), S. 31 ff; R. Wolf, Leviathan (1987), s. 357, 373 ff. 41 Das öffentliche Recht verbindet die Zulassung von umweltbelastenden Anlagen mit einem Bestands- und Vertrauensschutz des Begünstigten. Das ist für die Verwaltung und den Antragsteller planungsrationelL Das Gesetz sieht bei den wichtigsten Entscheidungen im Umweltbereich bereits eine Präklusionsfrist aller möglichen Einwendungen vor (vgl. § 10 Abs. 3 BlmSchG). Die Widerspruchs- bzw. Klagefrist beginnt in der Regel nach der Bekanntmachung und nicht mit der Verwirklichung des genehmigten Vorhabens (vgl. §§ 70, 74 VwGO). Wenn die aus der genehmigten Anlage ausgehenden Umweltbeeinträchtigungen erst später effektiv von den Betroffenen wahrgenommen werden, bleibt nur die Möglichkeit einer nachträglichen behördlichen Anordnung oder Auflage (vgl. §§ 17 ff BlmSchG), die allerdings vom Ermessen der Verwaltung abhängt. Für alle in der Zwischenzeit eingetretenen Schäden übernimmt das öffentliche Recht keine allgemeine Verantwortung, da es nur in bestimmten Fällen und nur für einen begrenzten Personenkreis einen Ersatzanspruch gegen den Anlagehetreiber vorsieht (etwa nach§ 14 S. 2 BlmSchG). Zu dieser Problematik: Gerlach JZ 1988, 164- 165; Leisner, Waldsterben. - Öffentlichrechtliche Ersatzansprüche, S. 14 ff, 43 ff; Ladeur DÖV 1986,445 ff; Suhr, Emissionsschäden vor Gericht, (1986). S. 158 ff. 42 Larenz, Allg. Teil BGB, S. 1. 43 Zum ethischen Personalismus als geistiger Grundlage des BGB s. Larenz, Allg. Teil BGB, S. 33 ff. 44 Über die subjektiven Rechte statt vieler Larenz, Allg. Teil BGB, S. 209 ff m.w. Literatur hinweisen.

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ren zueinander45 und nicht einer unmittelbaren Verhaltenssteuerung, um den vielfaltigen Problemen und Massenerscheinungen des menschlichen Zusammenlebens in einer sinnvollen Art und Weise zu begegnen. Diese Aufgabe übernimmt hauptsächlich das öffentliche Recht. Das Zivilrecht kann nur mittelbar eine Verhaltenssteuerungsfunktion entfalten. b) Unzulänglichkeit des Zivilrechts für eine unmittelbar umweltschützende Verhaltenssteuerung

Das Phänomen der Umweltbelastung bzw. Umweltzerstörung ist seinen Ursachen nach eine Erscheinung interdependenter Tätigkeiten des Menschen, deren Abwicklung eng von der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur, wie auch von staatlicher Verhaltenslenkung abhängt. Ein effektiver Umweltschutz setzt eine geplante Steuerung aller umweltbelastenden Tätigkeiten, eine Abwägung gegenseitiger Interessen und einen kombinierten Einsatz verschiedener Maßnahmen voraus. Ein direkter Umweltschutz ist nur durch das planensehe und eingreifende Instrumentarium des öffentlichen Rechts möglich. Der Träger von subjektiven Rechten kann das zivilrechtliche Instrumentarium nur zur Durchsetzung seiner verletzten Rechte einsetzen; er kann aber nicht das Verhalten anderer planen und koordinieren, um ein umweltbewußtes Zusammenleben und Handeln herbeizuführen. Der zivilrechtliche Schutz der Rechte und Rechtsgüter der anderen sollte jeden veranlassen, sie zu beachten und sich entsprechend zu verhalten. Dadurch entfaltet das Zivil recht eine indirekte verhaltenslenkende Funktion, die allerdings für einen unmittelbar effektiven Umweltschutz unzulänglich erscheint, da die Betroffenen ihr Verhalten nach der Vermeidung bzw. Verminderung von Verletzungen fremder Rechte und Rechtsgüter und nicht unbedingt nach den Belangen des Umweltschutzes richten. Diederichsen46 veranschaulicht die Unzulänglichkeit des Privatrechts für eine effektive umweltschützende Planung an zwei Fällen: a) Man könne mit den Mitteln des Zivilrechts ein Recycling47 nicht durchsetzen. b) Bei der Abfallbeseitigung könne das Zivilrecht keine planensehe Funktion entfalten; mit einem evtl. Störungsbeseitigungsanspruch werde das Problem mehr berührt als wirklich "erfaßt". Beide Fälle sind beispielhaft. Der gestörte Nachbar kann vom Störer verlangen, die übelriechenden oder gesundheitsgefährdenden Abfälle aus seinem Grundstück bzw. seiner Anlage zu entfernen oder irgendwie zu beseitigen und bevorstehende ähnliche Störungen zu vermeiden (§§ 903 bzw. 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB). Somit erschöpft sich der zivilrechtliche Anspruch in der Aufhebung bzw. Jabbomegg, Bürgerliches Recht und Umweltschutz, S. 6. Diederichsen, Referat, S. L 48- 49. 47 Vgl. zu diesem Begriff: Umwelt-Lexikon, hrsg. von der Katalyse Umweltgruppe, Köln 1985, zit. nach Diederichsen, Referat, L 48, Fn. 2. 45 46

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Vorbeugung des Zustands, der die geschützten Rechte oder Rechtsgüter des Betroffenen verletzt oder zu verletzen droht. Mit der Entfernung der störenden Abfalle ist aber das Problem der umweltfreundlichen Abfallbeseitigung weder für den konkreten Fall noch allgemein gelöst. Man kann z. B. mit den Mitteln des Zivilrechts die Errichtung von Klär- und Abfallbeseitigungsanlagen nicht erreichen. Andererseits richten sich z. B. die Immissionsabwehransprüche des Grundstückseigentümers grundsätzlich nach dem Ausmaß der Beeinträchtigung der Nutzung seines Grundstücks(§ 906 i.V.m. § 1004 BGB) und nicht nach dem Grad der Umweltbelastung, da das Eigentum(§ 903 BGB) und nicht die Umwelt zivilrechtlieh geschützt wird. Solange eine Umweltbelastung keine individuell geschützte Rechte oder Rechtsgüter nach irgendeiner Art und Weise verletzt, bleibt sie für das Zivilrecht irrelevant. Die Verursacher solcher Umweltbelastungen können zivilrechtlich nicht gezwungen werden, ökologisch sinnvoll zu handeln. Auch wenn eine Umweltbelastung bestimmte Schäden, d. h. Rechtsverletzungen, verursacht, kann nur die Behebung des konkret entstandenen Schadens, nicht aber der entsprechenden Belastung der Umwelt als solche verlangt werden. Die Umwelt,48 was immer man unter diesem Begriff verstehen mag, ist in ihrer Gesamtheit kein zivilrechtlich geschütztes Gut. Die Vorstellung, es bestünde ein direkter, zivilrechtlieber Umweltschutz - wie er etwa durch den Einsatz eines planensehen oder eingreifenden Instrumentariums, das eine ökologisch sinnvolle Verhaltenssteuerung unmittelbar bewirkt, erreichbar wäre - dürfte verfehlt sein.49 c) Begrenzter zivilrechtlicher Schutz gegen Umweltbelastungen

Der zivilrechtliche Schutz gegen Umweltbelastungen bzw. Umweltschäden ist wegen seiner inneren Struktur von Anfang an begrenzt: Nicht die Belastung der Umwelt als solche, sondern die Gefährdung bzw. Verletzung der von der Privatrechtsordnung dem einzelnen zuerkannten Rechte und Rechtsgüter kann das Zivilrecht mobilisieren. Ob die Rechts- bzw. Rechtsgutverletzung durch die Umweltverschmutzung oder durch irgendeine andere von außen kommende Beeinträchtigung verursacht wurde, bleibt für die Sanktionen des Zivilrechts zunächst ohne Bedeutung. Jedoch wird der Betroffene nicht gegen jede Verletzung seines Rechtskreises effektiv geschützt. Der in seinen Rechten Verletzte kann in der Regel eine Wiedergutmachung nur von einem (oder mehreren) bestimmten anderen verlangen, dessen rechtswidriges und schuldhaftesHandeln oder Unterlassen seine Rechte bzw. Rechtsgüter beeinträchtigt hat (vgl. § 823 BGB). Der zivilrechtliche Schutz 48 Über den Umweltbegriff: Lersner HdUR, Bd. II, S. 550 ff m. w. Nachw.; Schröder, Vorsorge, S. 44ff (DefinitionS. 54) ; EngZer AgrarR 1972, 372; vgl. zur Begriffsbestimmung "Umweltverschmutzung" v. Bar KF 1987, S. 6. 49 Ähnlich auch Gmehling, S. 176; Kette/er, VR 1993, 5; Wagner, NuR 1992, 202 f; Schirmer, ZVersW 1990, 140f.

I. Die Rechtsaufgabe des Umweltschutzes

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ist hauptsächlich lndividualschutz: Der Anspruch des Berechtigten setzt eine Rechts- oder Rechtsgutverletzung voraus und richtet sich gegen einen (oder mehrere) einzelne, der die entstandene Rechtsverletzung bzw. den eingetretenen Schaden zu verantworten hat. Daher weisen die Umweltbelastungen eine zivilrechtliche Relevanz nur unter den folgenden Voraussetzungen auf: 50 1. Die Umweltbelastung muß eine Verletzung zivilrechtlich geschützter Rechte oder Rechtsgüter einer oder mehrerer Personen darstellen. Bei deren konkreter Gefährdung gewährt das Zivilrecht einen vorbeugenden Schutz (vgl. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB). 2. Die Umweltbelastung, die private Rechte oder Rechtsgüter beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, muß einem individualisierbaren Verursacher (Umweltstörer) zugerechnet werden können. Bei einer vorsichtigen Betrachtung beider Voraussetzungen erheben sich weitere Fragen, die für die Möglichkeiten eines zivilrechtliehen Umweltschutzes von Bedeutung sind: (1) Welche sind die zivilrechtlich geschützten Rechte und Rechtsgüter. wann wer-

den sie durch Umweltbelastungen verletzt und wann gefährdet?

(2) Lassen sich die Verursacher von Umweltbelastungen individualisieren, und -

wenn ja - nach welchen Kriterien kann ihnen die Rechtsverletzung (bzw. der Schaden) zugerechnet werden?

(1) Der theoretische Fall, nach dem eine Person die Verantwortung für die schädlichen Auswirkungen einer Umweltbelastung gegenüber einer anderen Person übernimmt, kommt in der Praxis kaum vor. 51 Das Zivilrecht schützt die relativen subjektiven Rechte, die aus der freien Selbstbindung der Rechtssubjekte entstehen. Man kann aber davon ausgehen, daß bei solchen Fällen das zivilrechtliche Instrumentarium, d. h. die gerichtliche Geltendmachung von privatrechtliehen Ansprüchen, kaum eingesetzt wird. Somit bleiben den Zivilgerichten die schwierigen Zurechnungsprobleme des Umweltschadens erspart. Dem Umweltschutz wird aber kaum gedient, da das Verhalten sowohl des Schädigers (Umweltverschmutzers), als auch des Geschädigten (potentiellen Umweltschützers) vornehmlich von ihren wirtschaftlichen Kalkulationen geprägt wird, wobei die Umweltschutzkomponente kaum eine Rolle spielen dürfte.

Der zivilrechtliche Schutz von Rechten und Rechtsgütern, deren Beachtung der Berechtigte von allen verlangen kann (absolute Rechte), 52 erfaßt alle potentiellen 50 Vgl. auch Ritter NVwZ 1987, 934; Roth NJW 1972, 922; Simitis VersR 1972, 10891090. 51 Wie etwa ein Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) oder ein Schuldversprechen (§ 780 BGB) des Umweltverschmutzers. 52 Dazu statt vieler Larenz, Allg. Teil BGB, S. 228 ff.

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Verursacher von Umweltbelastungen, da der Berechtigte seine Rechte grundsätzlich gegen alle geltend machen kann. Der zivilrechtliche Schutz des Berechtigten besteht in der Verpflichtung des Verantwortlichen, Schadensersatz zu leisten oder aktuelle Verletzungen zu beseitigen und künftige zu unterlassen (vgl. §§ 823, 1004 BGB). Das Zivilrecht zählt die geschützten Rechtsgüter abschließend auf: Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit (§ 823 Abs. 1 BGB). Neben dem Eigentum schützt das Gesetz andere "sonstige" Rechte, die eine absolute, eigentumsartige Wirkung haben, wie z. B. den Besitz oder die beschränkten dinglichen Rechte. 5 3 Die Rechtsprechung hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstige Rechte anerkannt. 54 Wegen der Bedeutung der natürlichen Umwelt für die Existenz und die Lebensqualität der Menschen könnte man ein absolutes subjektives Recht auf Teilhabe an bestimmten Umweltgütem55 oder sogar allgemein auf saubere Umwelt annehmen, und es dem zivilrechtliehen Schutzbereich unterordnen. Die Umweltbelastungen treten in vielen Fällen als lästige, unangenehme Einflüsse auf, die das menschliche Wohlbefinden negativ beeinträchtigen und die Gesundheit bedrohen. Mit Sicherheit stören viele Umweltbelastungen die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die vom GG garantiert ist (Art. 1, 2 GG).56 Unter diesem Gesichtspunkt erhebt sich die Frage, ob ein zivilrechtlicher Schutz gegen Umweltbelastungen in Anlehnung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht anzuerkennen wäre. 57 Beide Ansatzpunkte ermöglichten einen zivilrechtliehen Umweltschutz, da die entsprechenden Rechte eben durch die Belastung der Umweltgüter erst verletzt worden wären. Die Rechtsprechung hat bislang solche Rechte den einzelnen nicht eingeräumt. Beiden Fragen wird an anderer Stelle nachgegangen. 58 Das Zivilrecht kennt und schützt nur Güter, die den einzelnen Personen zugeordnet werden können. Die Umweltbelastungen weisen zunächst ihre negativen Auswirkungen auf Allgemeingüter auf, wie z. B. das Klima (Klein- und Großklimaveränderungen), die globale Versehrnutzung der Luft (Smog, Ozonschichtproblem), die Meeresverschmutzung oder die Beeinträchtigungen der natürlichen Ökosysteme (Aussterben von Pflanzen und Tieren, Artenrückgang). Gegen diese "Umweltschäden" gewährt· das Zivilrecht grundsätzlich keinen Schutz.5 9 Wegen der globalen Umweltverschmutzung kann der Träger subjektiver Rechte keinerlei Ansprüche geltend machen. Die Umwelt als solche steht allen, d. h. der Allgemein53 Über die Verletzung eines sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB statt vieler MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 101 ff. 54 Dazu statt vieler Larenz, Schuldrecht Il, S. 622 ff; vgl. auch BGH NJW 1952, 660; BGH NJW 1963, 307. 55 So der Vorschlag von Köndgen, UPR 1983, 345 (348). 56 Zum Art. 1, 2 GG statt vieler Wemicker u.a. in: Bonner Kommentar zum GG. 57 So Forke/, Immissionsschutz und Persönlichkeitsrecht, S. 24 ff, 47 ff. 58 Unten § 4 I, Ill. 59 So auch Diederichsen, Referat, S. L 49, 50; Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltehemika Iien, S. 69; Hager NJW 1986, 1961; Schulte JZ 1988, 278 (283, 285).

I. Die Rechtsaufgabe des Umweltschutzes

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heit und nicht dem einzelnen, zu. Der zivilrechtliche Schutz beschränkt sich notwendigerweise auf punktuelle Erscheinungen der Umweltverschmutzung, nämlich nur auf die konkreten Umweltbelastungen, die eine zivilrechtliche Relevanz aufweisen. Diederichsen verdeutlicht diese strukturelle Schwäche des Zivilrechts anband des Artenschutzes: 60 Das Landratsamt könnte z. B. durch Verordnung Maßnahmen zum Schutze der Eisvögel treffen; privatrechtlich könne der Liebhaber von Singvögeln deren Nester noch nicht einmal in seinem eigenen Garten gegen die Katzen der Nachbarn schützen. 61 Wenn aber Umweltschäden eine zivilrechtliehe Relevanz aufweisen, erhebt sich die Frage, ob das Zivilrecht den Geschädigten berechtigt, neben dem konkret erlittenen Vermögensschaden auch einen (wohl beschränkten) Ersatz des gleichzeitig eingetretenen ökologischen Schadens zu verlangen.62 Das Problem des Ersatzes ökologischer Schäden verdient eine nähere Erörterung.63 Das Zivilrecht beschränkt sich nicht nur auf die nachträgliche Wiedergutmachung von Rechtsverletzungen bzw. Regulierung der eingetretenen Schäden. Es gewährt auch einen defensiven Schutz, der ursprünglich gegen Beeinträchtigungen des Eigentums gerichtet war (negatorischer Rechtsschutz nach § 1004 BGB), heute aber alle in § 823 Abs. I BGB genannten Rechte sowie auch die von Schutzgesetzen (vgl. § 823 Abs. 2 BGB) wahrgenommenen Interessen umfaßt. 64 Der rechtswidrige Eingriff in die geschützten Rechte und Rechtsgüter muß entweder kurz bevorstehen oder fortdauern. Der Berechtigte kann die Beseitigung der fortdauernden Beeinträchtigung und die Unterlassung jeder zu befürchtenden verlangen. Auch bei dem rein präventiv wirkenden Unterlassungsanspruch kann dem Umweltschutz nur indirekt gedient werden. Eine nur mögliche Beeinträchtigung der geschützten Rechtsposition kann den Unterlassungsanspruch nicht begründen; die Besorgnis einer bevorstehenden Verletzung muß auf Tatsachen und darf nicht lediglich auf subjektiven Befürchtungen beruhen. 65 Zudem setzt der zivilrechtliche vorbeugende Rechtsschutz eine konkrete Gefahrdung absolut geschützter Rechte und Rechtsgüter voraus. Die meisten Umweltbelastungen stellen aber eine abstrakte Gefährdung dar; sie bleibt für das Zivilrecht belanglos. 66 Die geringen Immissionen einer Anlage bleiben zivilrechtlich irrelevant, solange sie nur eine abstraktDiederichsen, Referat, S. L 49. Vgl. LG Augsburg NJW 1985, 499; OLG Köln NJW 1985, 2338; OLG Celle NJW-RR 1986, 821; LG Oldenburg NJW-RR 1986, 883 ; AG Passau NJW 1983, 2885; AG Diez NJW 1985, 2339. 62 Über den Ersatz ökologischer Schäden mit den Mitteln des Zivilrechts: Gassner, UPR 1987, 370; Ladeur NJW 1987, 1236; Rehbinder JZ 1988, 105; Schulte JZ 1988, 278. 63 Dazu unten § 8. 64 Zum defensiven deliktischen Schutz (actio quasi negatoria) MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 49 ff. 65 MünchKomm I Medicus § 1004 Rdn. 81; vgl. RGZ 63, 374 (379); OLG Karlsruhe, WRP 1974, 634. 66 Über die Unzulänglichkeit des Zivilrechts zur Abwehr abstrakter Umweltgefahren: Diederichsen, Referat, S. L 50; Gerlach IZ 1988, 167; Wagner, NuR 1992, 202f. 60 61

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mögliche Gefahr für die Gesundheit oder das Eigentum aufweisen. Andererseits belasten sie sicherlich das Umweltmedium Luft; nur das öffentliche Recht kann die abstrakten Gefährdungen abwägen und entsprechend eingreifen. 67 (2) Auch wenn durch Umweltbelastungen privatrechtliche Ansprüche sich begründen lassen, ist ein wirksamer Schutz des Betroffenen noch nicht gewährleistet. Der Verursacher der schädlichen Umweltbelastungen muß auch für den konkret entstandenen Schaden verantwortlich gemacht werden können. Die Millionen Kraftfahrzeuge sowie auch die Millionen von Hausheizungsanlagen sind mit Sicherheit für die neuartigen Waldschäden mit ursächlich.68 Jedoch läßt sich kaum der Kreis der möglichen Verantwortlichen für einen konkreten Schaden individualisieren. Ein weiteres Hindernis des zivilrechtliehen Umweltschutzes besteht darin, daß es oftmals schwierig ist, die konkrete Rechts- bzw. Rechtsgutverletzung durch Umweltbelastung einem (oder mehreren) der möglichen Verursacher zuzurechnen: Denn es muß ein nachweisbarer Kausalzusammenhang zwischen einer bestimmten rechtswidrigen Handlung bzw. Unterlassung des Inanspruchgenommenen und der konkret schädlichen Umweltbelastung bestehen. In den meisten Fällen muß den Verursacherauch ein Verschulden treffen (§ 823 Abs. 1, 2 BGB). Die Rechtswissenschaft bemüht sich, diese strukturbezogenen Erfordernisse einer zivilrechtliehen Haftung zugunsten eines wirksamen Umweltschutzes zu mildem ; es kann sich aber die zivilrechtliche Haftung, mithin die potentielle zivilrechtliche Relevanz von Umweltbelastungen, von diesen Voraussetzungen im Grunde nicht ablösen.69

II. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen für Umweltschäden Das Zivilrecht enthält keine Vorschriften, die an das Tatbestandmerkmal irgendeiner Umweltbelastung bzw. eines Umweltschadens Sanktionen anknüpfen. Die Verwirklichung von Umweltgefahren, wie z. B. eine Ölverschmutzung des Meeres oder die Emission giftiger Abgase aus einer Anlage, ist mit keinen privatrechtliehen Rechtsfolgen verbunden, solange dadurch die zivilrechtlich geschützte Rechtssphäre des einzelnen nicht beeinträchtigt wird. Die möglichen Anspruchsgrundlagen einer zivilrechtliehen Haftung für Umweltbelastungen findet man in den Vorschriften des Zivilrechts, die dem Schutze der beeinträchtigten Rechte und Rechtsgüter sowie des Vermögens des einzelnen dienen. Das gleiche gilt auch für 67 Vgl. dazu etwa§§ 3 Abs. I u. 2, 5 Abs. l Nr. l, 6 Nr. l BlmSchG, für erst später erkennbare abstrakte Gefahren§§ 14- 17 BlmSchG oder§§ I Nr. 2, 7 II 3 AtomG. 68 Über die neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Waldschädenverursachung vgl. Moosmayer, in UTR Bd. 2, S. I ff; vgl. auch Schütt, in Baumann (Hrsg.), Rechtsschutz für den Wald, S. 7 ff. 69 Medicus JZ 1986, 780: Ein direkter Schutz der Umwelt läßt sich in das geltende Zivilrecht ohne Systembruch nicht einbauen. Vgl. auch Diederichsen, Referat, S. L 70.

II. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen für Umweltschäden

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die zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden nach dem Umwelthaftungsgesetz.70 Unter diesem Aspekt können im Einzelfall sowohl vertragliche als auch außervertragliche Haftungsnormen eine umweltspezifische Komponente gewinnen, wenn die Haftung auf einem Ereignis beruht, das man als Umweltbelastung bezeichnen könnte. 71 Baulärm aus dem Nachbargrundstück kann z. B. sowohl eine unzulässige Beeinträchtigung des Eigentumsrechts (§§ 903, 906, 1004 BGB) als auch einen Fehler der Mietsache in bezug auf die benachbarte Mietwohnung darstellen. 72 Nitratvergiftetes Wasser aus dem Brunnen einer Mietwohnung könnte zu einer Haftung des Vermieters nach § 538 Abs. l BGB für die Gesundheitsschäden eines kleinen Kindes führen. 73 Da die meisten Umweltbelastungen als unvorhergesehene, von außen kommende Beeinträchtigungen insbesondere des Eigentums und der Gesundheit auftreten, sind die außervertraglichen Haftungsnormen des Zivilrechts von zentraler Bedeutung für einen zwar indirekten, aber wirksamen privatrechtliehen Umweltschutz. Zunächst kommt das Delikts- und Nachbarrecht des BGB in Betracht. Das privatrechtliche Instrumentarium gegen Schäden aufgrund der Belastung der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden ist durch spezifische Haftungsnormen über das BGB hinaus ausgedehnt: z. B. Haftung für Schäden durch Wasserverschmutzung (§ 22 WHG), atomrechtliche Haftung nach § 25 AtomG, Entschädigung des durch unvermeidbare Immissionen aus einer genehmigten Anlage Geschädigten nach § 14 S. 2 BlmSchG. Nach der Art und Weise der Umweltverschmutzung kann man drei große Fallgruppen unterscheiden: Beeinträchtigungen der Luft, Wasserverschmutzungen und Bodenkontaminierung. Die deliktische Haftung des BGB (§§ 823 ff) greift bei allen schädlich wirkenden Umweltbelastungen ein. Somit kann sie einerseits eine "übermediale" umweltschützende Funktion entfalten, andererseits ist sie aber mit strengen Voraussetzungen verknüpft: Der Umweltstörer haftet nur, wenn sein rechtswidriges und Schuldhaftes Verhalten für den eingetretenen Schaden kausal war. Bei Luftverschmutzungen spielen die nachbarrechtlichen Abwehr- und Ausgleichsansprüche (§§ 1004, 906 BGB), sowie auch der Entschädigungsanspruch aus § 14 S. 2 BimSchG eine wichtige Rolle für den Umweltschutz. Straßen- und Zum UrnweltHG vgl. unten, Teil D § 13. Beispiele aus der Rechtsprechung: Lärmbelastungen durch Tennisspiel : BGH NJW 1983, 751 ; Versehrnutzung einer Hausfassade durch Rauch- und Rußimmissionen: BGH LM Nr. 18 zu § 906 BGB; Sachschäden durch lndustrieirnrnissionen: BGHZ 70, 102; 92, 142; Bodenverschrnutzung durch Öl : BGHZ 98, 235 ; Wasserverschrnutzung : BGHZ 62, 351 (Zyanidlösung-Fall); BGHZ 65, 221 (Fischzucht- Fall); BGHZ 57, 257 (Hühnergülle-Fall); Bodenverschmutzung durch Chemikalien nach einem Verkehrsunfall: BGHZ 70, I (Tankauflieger- Fall); lästige Geruchsimmissionen aus einer Kläranlage: BGHZ 91, 20. n Vgl. BayObLG NJW 1987, 1950. 73 Vgl. BGH NJW 1983, 2935. In diesem Fall wurde allerdings die Haftung des Beklagten nach § 538 Abs. I BGB verneint, da der Kläger nicht behauptet hatte, daß das Trinkwasser bereits zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses für Babynahrung unbrauchbar war. 70

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§ 2 Zivilrechtlicher Umweltschutz

Fluglärm stellen zwei besondere Arten der Beeinträchtigung durch die Luft dar. Bei Wasserverschmutzungen kann der dadurch Geschädigte Schadensersatz nach § 22 WHG verlangen. In diesem Fall haftet derjenige, der die Beschaffenheit eines Gewässers zum Nachteil eines anderen verändert hat. Die Kontaminierung des Bodens kann entweder als Eigentums- bzw. Besitzrechtsverletzung oder als Gewässergefährdung bzw. schädliche Gewässerverschmutzung erfaßt werden. Hierbei spielt die sog. Altlastenproblematik74 eine wichtige Rolle. Umweltrelevant ist natürlich die atomrechtliche Gefährdungshaftung sowie auch die Haftung des Herstellers fehlerhafter, bzw. umweltgefährdender Produkte.75 Im folgenden werden diese Haftungsgrundlagen unter dem Aspekt des Umweltschadens kurz dargestellt. 1. Deliktische Ansprüche

a) Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB

Nach § 823 Abs. 1 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer "vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen verletzt". Ein umweltbelastendes Ereignis kann zur Erkrankung oder sogar Tötung von Menschen führen, wie z. B. durch Dioxyn-Vergiftung im Fall Seveso. 76 Häufiger sind allerdings Störungen des menschlichen Wohlbefindens durch Umweltbelastungen, die zwar eine Beeinträchtigung des physiologischen und psychischen "Normalzustands" des Menschen darstellen, ohne aber aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig zu sein. Die h.M. erkennt bloße Störungen des menschlichen Wohlbefindens nicht als Gesundheitsverletzung an, solange sie keine objektiv feststellbaren Störungen physiologischer Abläufe im menschlichen Organismus hervorrufen, die behandlungsbedürftig sind. 77 Daher stellen Erbrechen erregende Übelkeit wegen übelriechender Immissionen oder Gewässer, wie auch vorübergehende Kopfschmerzen als Folge verdunstender Chemikalien keine Gesundheitsverletzung i.S. von § 823 Abs. 1 BGB dar. 78 74 Zur Altlastenproblematik aus rechtlicher Sicht: Kloepfer, in: UTR Bd. I, S. 17 ff (öffentliches Recht); Diederichsen, in: UTR Bd. I, S. 117 ff (Zivilrecht) jeweils m. w. Nachw. 75 Produkthaftung nach§ 3 ProduktG, BGBII989 I, S. 2198. 76 Über den Fall Seveso vgl. Koch I Vahrenholt: Seveso ist überall, S. 70. 77 Soergel I Schäfer, BGB, § 823 Rdn. 26; BGH MDR 1975, 723; BGHZ 8, 243, 248; OLG München NJW 1959, 819; OLG Hamm VersR 1979, 579. Zur Problematik einer Differenzierung zwischen der Störung seelischen Wohlbefindens und der Gesundheitsverletzung vgl. Berg NJW 1970, 515; Simitis VersR 1972, 1086, 1092; Deutsch, KF-Beiheft zu VersR 1983, 93 ff. Dazu vgl. unten § 4 II. 78 Da Störungen des menschlichen Wohlbefindens oft als Beeinträchtigung der Nutzung des Eigentums angesehen werden, bietet das Nachbarrecht des BGB (§§ 906, 1004) einen besseren Schutz gegen lästige Umweltbelastungen als das Deliktsrecht Vgl. BGHZ 48, 31 (Geruchsimmissionen aus einer Schweinemästerei).

II. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen für Umweltschäden

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Andererseits könnte der § 823 Abs. 1 BGB fast bei jeder Sachbeschädigung durch Umweltbelastungen eine Bedeutung für den Umweltschutz erlangen, da meistens eine Verletzung des Eigentumsrechts oder eines sonstigen Rechts vorliegt. Der Pächter79 einer Gärtnerei kann sich gegen schädliche Industrieimmissionen zur Wehr setzen, ebenso wie der Eigentümer. 80 Im Rahmen der Haftung aus§ 823 Abs. 1 BGB sind die Vorschläge Forkels und Köndgens diskutiert worden. Forkel81 plädiert für die Ausdehnung der deliktischen Haftung, indem er eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Immissionen annahm. Köndgen 82 schlug vor, ein absolutes Recht auf die einzelnen, ,,klassischen" Umweltgüter, wie saubere Luft, sauberes Wasser oder den Lärmschutz, anzuerkennen. Die Umwelt bzw. die Natur als solche sind nach der absolut h.M. keine deliktisch geschützten Rechtsgüter i.S. von § 823 Abs. 1 BGB, da sie zivilrechtlich niemandem zugeordnet werden können. 83 Die schädlichen Auswirkungen von Umweltbelastungen auf deliktisch geschützte Rechte oder Rechtsgüter können häufig als Verwirklichung von Gefahren angesehen werden, die von bestimmten umweltbelastenden Quellen ausgehen. Wer aber eine Gefahr für andere schafft oder unterhält, ist verpflichtet, alle geeigneten und zurnutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr unter Kontrolle zu halten und möglichst die Verwirklichung der Gefahr zu verhindern. 84 Die Begründung neuer und die Verschärfung bzw. die Konkretisierung bestehender Verkehrspflichten85 des Umweltbeeinträchtigers zum Schutz deliktisch geschützter Rechte und Rechtsgüter kommt auch der Umwelt zugute, da sie die Vermeidung, wenigstens die Verminderung schädlicher Umweltbelastungen veranlaßt In diese Richtung kann der privatrechtliche Umweltschutz sich fortentwickeln, 86 da die umweltspezifischen Verkehrspflichten 87 einerseits von den Umständen des Einzelfalles Vgl. RGZ 154, 161 (162). Vgl. BGHZ 15, 146; allerdings würde man bei Immissionsschäden eher seine Ansprüche auf § 906 II 2 BGB oder § 14 S. 2 BimSchG stützen, da diese beiden Anspruchsgrundlagen einen verschuldensanabhängigen Ausgleich vorsehen. 81 Immissionsschutz und Persönlichkeitsrecht, S. 53 ff, 72 ff. 82 Überlegungen zur Fortbildung des Umwelthaftpflichtrechts, UPR 1983, 345, 348. 83 Diederichsen, Referat, S. L 49 ff; Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltchemikalien, S. 69f; Hager NJW 1986, 1961 ; vgl. aber auch Gassner UPR 1987, 370; Rehbinder NuR 1988, 105; Schulte JZ 1988, 278, 282. 84 Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn. 251. 85 Zum Begriff der "Verkehrspflicht" und "Verkehrssicherungspflicht" s. von Bar JuS 1988, 169ffm. w. Nachw. 86 So Marburger, Referat, S. G 121; von Bar, KF, S. 24 ff; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 455 f; Diederichsen, Referat, S. L 76; Medicus JZ 1986, 780 u. 782f; Hübner NJW 1988, 441,450. 87 Vgl. von Bar, KF 1987, S. 12ff.ln Betracht kämen z. B. eine Immissionsbeobachtungspflicht des Emittenten, eine Warnungs- oder Aufklärungspflicht des Herstellers umweltgefährdender Produkte, eine Pflicht auf Rücksichtnahme der bestehenden (Umwelt)Vorbela79

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abhängen, so daß sie sich nach Art und Intensivität der Umweltgefahr sowie nach den örtlichen und individuellen Umständen richten und somit auf den lokalen Umweltschutz Rücksicht genommen wird; andererseits verstärken sie den zivilrechtliehen Individualschutz gegen Umweltbelastungen, da dem Geschädigten nach der h.M. ein Anscheinsbeweis der Kausalität dann zugute kommt, wenn der Schaden im Schutzbereich der Verkehrspflicht liegt. 88 b) Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB

Wer gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, hat dem Geschädigten Ersatz zu leisten. In § 823 Abs. 2 BGB wird klargestellt, daß diese Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens eintritt. § 823 Abs. 2 BGB ermöglicht, daß Schutznormen aus anderen Rechtsgebieten haftungsrechtliche Wirkung entfalten und zwar unabhängig davon, ob eine Verletzung der in § 823 Abs. I BGB geschützten Rechte und Rechtsgüter vorliegt. Schutzgegenstand des § 823 Abs. 2 BGB ist das private Interesse; d. h. es wird generell das Vermögen des Geschädigten geschützt, aber nur insoweit der durch die Verletzung der Schutznorm entstandene Schaden im Schutzbereich der Norm liegt. 89 Ein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB muß wenigstens auch den Schutz der Interessen des einzelnen oder eines besonderen Personenkreises bezwecken. 90 Das Umweltrecht enthält zahlreiche Normen, die Sicherheitsanforderungen nach dem Stand der Technik verlangen oder selbständige Verhaltenspflichten auferlegen, um Umweltgefahren bzw. Umweltbelastungen zu vermeiden. 9 1 Meistens richten sich diese Umweltnormen an Behörden92 oder an die Betreiber von umweltgefährdenden Anlagen;93 sie bedürfen dann aber einer näheren Konkretisierung, die durch behördliche Anordnungen oder Auflagen wie auch durch Verwaltungsvorschriften stattfindet.94 Normen, die nur den Schutz der Umwelt bezwecken, sind stung seitens des Setreibers neuer Anlagen, eine Pflicht auf Berücksichtigung örtlicher Umstände, die eine Beeinträchtigung von Personen und Sachen durch gewiße Umweltbelastungen begünstigen. Dazu s. unten § 6. 88 Vgl. Deutsch (Fn. 84) Rdn. 271; Gmehling, S. 200. 89 Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn. 209, 212. Vgl. BGH VersR 1981, 636; BGH MDR 1978, 918; BGH MDR 1974,745. 90 BGHZ 100, 13, 14m. w. Nachw. ; BGHZ 84, 312, 314 = NJW 1982, 2780; BGHZ 46, 17, 23; BGHZ 22, 293, 297. 9t Wie z. B. §§ 1, 5 Abs. I, 12 Abs. 1, 2, 17, 20, 22, 23 BlmSchG, die VO zum BlmSchG, die TA- Luft I Lärm. Man könnte einen kaum überschaubaren Katalog von einzelnen Vorschriften aus dem Wasserrecht, dem Abfall-, Chemikalien-, Naturschutzrecht usw. erstellen. 92 Wie z. B. §§ 6, 7 BlmSchG. 93 Von besonderer Bedeutung sind §§ 5 Abs. 1 Nr. I u. 2, 17, 22 BlmSchG. Vgl. auch Gmehling, S. 196ff. 94 Vgl. die Verordnungen zur Durchführung des BlmSchG; Überblick bei Feldhaus, BlmSchG, Textausgabe 1988. Es ist aber bestritten, ob die Verwaltungsvorschriften nur nach

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nicht als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Der Rechtsanwender muß aber in concreto untersuchen, wann den zahlreichen Verhaltensnormen, den technischen und anderen Bestimmungen des Umweltrechts eine unmittelbare Drittschutzqualität zukommt. 95 Man kann sicher davon ausgehen, daß § 823 Abs. 2 BGB durch den "Transport" von Umweltschutznormen in das Haftungsrecht allgemein geeignet ist, zu einer Effektivierung des zivilrechtliehen Umweltschutzes beizutragen. Dies umso mehr, als § 823 Abs. 2 BGB eine deliktische Anknüpfung an abstrakte (Umwelt-)Gefahrdungsnormen ermöglicht, die ein bestimmtes räumlich, zeitlich und gegenständlich umschriebenes Verhalten des Umweltstörers verlangen. 96 Andererseits wird die Position des durch Umweltbelastungen Geschädigten dadurch gestärkt, daß a) die Verletzung von Schutznormen zur Ersatzpflicht für jede daraus entstandene Beeinträchtigung privater Interessen führen kann, b) das Verschulden des Schädigers sich nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auf die Schadenszufügung beziehen muß. Wer eine Schutznorm verJetzt, handelt schuldhaft unabhängig davon, ob der Schaden erkennbar war oder sein konnte (verkürzter Verschuldensbezug), c) die Verletzung der Schutznorm jedenfalls bedeutet, daß der Handelnde die äußere Sorgfalt außer acht gelassen hat. Diese Tatsache indiziert, daß die noch erforderliche innere Sorgfalt nicht vorliegt, es sei denn, daß der Verletzer Umstände darlegt und beweist, welche die Annahme seines Verschuldens ausräumen,97 d) dem Geschädigten auch Beweiserleichterungen hinsichtlich der Schadenskausalität zugute kommen, da die Lebenserfahrung nach der Rechtsprechung dafür spricht, daß der Gesetzesverstoß für den Schaden ursächlich geworden ist98 (Anscheinsbeweis ). Die konkreten Möglichkeiten einer Ausdehnung der deliktischen Haftung für Umweltschäden in Anlehnung an § 823 Abs. 2 BGB bedürfen deshalb einer näheren Untersuchung. 99

ihrer Konkretisierung Drittschutzqualität i.S. von § 823 Abs. 2 BOB bekommen. Dazu vgl. unten§ 5. 95 Dazu u.a. MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 142 ff m. w. Nachw. 96 Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rdn. 213. 97 Vgl.BGHZ51,91;BGHVersR56, 158. 98 Vgl. BGH VersR 1985, 452; BGH NJW 1983, 2935; BGH VersR 1968, 1144; BGH VersR 1969,715. 99 S. unten § 5.

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c) Deliktische Abwehransprüche

Nach den §§ 823 ff BGB werden Lebensgüter, absolute Rechte und von Schutzgesetzen wahrgenommene Interessen nur nachträglich geschützt. Ein Schadensersatz (evtl. auch Schmerzensgeld nach § 847 BGB) kommt erst nach der Tat des Schädigers, d. h. erst nach der Verletzung des geschützten Rechtsguts in Betracht.100 Jedoch gewährt § 1004 BGB einen defensiven und gegegenenfalls präventiven Schutz des Eigentums. Danach kann der Eigentümer vom Störer verlangen, fortdauernde oder drohend bevorstehende Beeinträchtigungen seines Eigentums zu beseitigen bzw. zu unterlassen. 101 In Analogie zu § 1004 BGB haben die Rechtsprechung 102 und Literatur 103 einen vorbeugenden deliktischen Schutz angenommen, soweit sie einen Anspruch auf Beseitigung beeinträchtigter, bzw. auf Unterlassung bedrohter Interessen des einzelnen anerkennen. Der defensive deliktische Rechtsschutz umfaßt alle in § 823 Abs. 1 genannten Rechte und Rechtsgüter sowie auch alle durch Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 geschützte Interessen. 104 Der Anspruch richtet sich sowohl gegen den Tätigkeits- als auch gegen den Untätigkeitsstörer und setzt dessen Verschulden nicht voraus. 105 Die fortdauernde bzw. die bevorstehende Beeinträchtigung der deliktisch geschützten Interessen muß aber rechtswidrig sein. 106 Unter Umständen kann auch die Verletzung von Verkehrspflichten deliktische Abwehransprüche auslösen. 107 Eine gerichtliche Durchsetzung der deliktischen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche könnte in der Tat eine direkte umweltschützende Wirkung entfalten. Die praktische Bedeutung der Abwehransprüche ist aber gering. Die meisten Beispiele eines vorbeugenden Rechtsschutzes (Unterlassungsanspruch) findet man im Bereich des Gewerbebetriebsschutzes, des Persönlichkeitsschutzes und im Bereich des Schutzes materieller Güter. Zu nennen ist hier etwa der Eigentumsschutz im Nachbarbereich, wobei man sich zumeist auf § 1004 BGB direkt stützen kann. Fälle eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes finden sich kaum. Andererseits ist der deliktische, vorbeugende Schutz vor gefährlichen Umweltbelastungen mit tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden: Der Um-

So Deutsch, Haftungsrecht, S. 57. Zum negatorischen Rechtsschutz s. statt vieler MünchKomm I Medicus § 1004 m. w. Nachw. 102 Vgl. zuerst RGZ 48, 114; auch RGZ 101, 135. 103 Zum deliktischen defensiven Rechtsschutz: MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 49 ff; Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, S. 224 ff, jeweils m. w. Nachw. 104 So MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 49 a; Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, S. 225 Rdn. 456. Vgl. auch RGZ 60, 6. 105 MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 49. 106 Vgl. RGZ 78, 120. Aus der neueren Rspr. BGHZ 90, 113, L26f. Dazu auch MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 49 e. 107 Dazu von Bar, in: 25 Jahre Karlsruher Forum, S. SOff. 1oo

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weltstörer läßt sich meist schwer ermitteln, die abzuwehrenden Umweltbelastungen werden oft nur wegen ihres Zusammenwirkens mit anderen Umweltbelastungen gefahrlich, vielfach lassen sich die kausalen Zusammenhänge nicht feststellen, oder es handelt sich um behördlich erlaubte Umweltbelastungen. Dazu kommen rechtspolitische Überlegungen: eine Intensivierung der Unterlassungsansprüche des einzelnen könnte zu erheblichen Störungen des Wirtschaftssystems führen. Jedoch ist der Einsatz deliktischer Abwehransprüche für einen effektiven zivilrechtliehen Umweltschutz nicht ohne Bedeutung. Die besonderen Probleme dieses defensiven privatrechtliehen Schutzes werden aber gemeinsam mit den nachbarrechtlichen Abwehransprüchen diskutiert. 108 2. Immissionsschutz im Nachbarbereich Die Luftverschmutzung ist die Folge zahlreicher Emissionen von verschiedenen Schadstoffen, die zum großen Teil während des Betriebes von Anlagen ausgehen, die überwiegend auf Grundstücken eingerichtet sind. Dadurch wird häufig nicht nur die Luft, sondern auch die Benutzung anderer Grundstücke beeinträchtigt. Die uneingeschränkte Benutzung eines Grundstücks kann die Benutzung anderer faktisch ausschließen. Das Problem ist längst bekannt, insbesondere aufgrund der kollidierenden Interessen der Industrie und der Landwirtschaft. 109 § 906 BGB setzt die Maßstäbe für die Abwehr von Immissionen, die von einem Grundstück ausgehen und die Benutzung eines anderen Grundstücks beeinträchtigen. Der beeinträchtigte Eigentümer kann nach § 1004 BGB die Beseitigung bestehender und die Unterlassung bevorstehender Immissionen verlangen, soweit er sie nicht nach § 906 Abs. 1, 2 S. 1 zu dulden hat. Da die §§ 906, 1004 BGB in erster Linie das Eigentum schützen, ermöglichen sie nicht einen umfassenden, allgemeinen privatrechtliehen Umweltschutz.110 Bedient sich aber der beeinträchtigte Eigentümer der Ansprüche aus §§ 906, 1004 BGB mit Erfolg, so kann hiervon die gesamte Nachbarschaft bzw. der Umweltschutz profitieren, wie etwa bei der Abwehr übermäßigen Lärms oder gefährlicher Gasimmissionen. Der nachbarrechtliche Schutz des BGB erfaßt nicht nur Substanzbeeinträchtigungen des Grundstückseigentums, sondern jede Nutzungsart; somit erstreckt sich der Rechtsschutz mittelbar auf andere Rechtsgüter, wie die Gesundheit der Bewohner, ihr Wohlbefinden usw. 111 Gestützt auf sein EigentumsVgl. unten§ 7. Vgl. RGZ 154, 161; schon vorher RG Gruch. 55, 105 = JW 1910, 149; vgl. auch BGHZ 70, 102. 110 So MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 1; Roth NJW 1972, 921 ; Diederichsen BB 1973, 485 ; ders., FS R. Schmidt, 1976, S. I ; ders., Referat, S. L 52; Säcker I Scholz WiVerw 1984, 23; Strecke/ ZVersWiss 1976, 55; Rehbinder RabelsZ 40 (1976), 363; Stich, in: Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge, S. 289; Littbarski, Zivilrechtliche Probleme des Umweltschutzes, S. 37 f; Westermann, FS Larenz zum 70. Geb., S. 1020; Schirmer, ZVersW 1990, 143 ff. 10s 109

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recht kann der Hausbewohner gesundheitsgefährliche Immissionen u.U. verbieten, auch wenn die Voraussetzungen einer Gesundheitsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht vorliegen. 112 In der Praxis lassen sich die nachbarrechtlichen Ansprüche in relativ kleinen, überschaubaren Bereichen erfolgreich durchsetzen, da erst mit der Entfernung aus der Emissionsquelle in der Regel die Schwierigkeit wächst, den einzelnen Verursachungsbeitrag für die konkrete Beeinträchtigung zu ermitteln und zu beweisen. Rechtlich beschränkt sich jedoch der Nachbarschutz gegen Immissionen nicht auf die unmittelbar benachbarten Grundstücke oder auf bestimmte Nachbargebiete; vielmehr sind alle Grundstücke im Einwirkungsbereich einer Emission erfaßt. 113 Nach§§ 906, 1004 BGB ist nicht nur der Eigentümer geschützt, sondern auch die dinglich berechtigten Personen. Mieter, Pächter u.ä. haben als Besitzer den Schutz durch § 862 BGB. Nicht geschützt sind Personen, die keine eigentumsähnliche Rechtsposition haben, etwa Arbeitnehmer, Urlauber, Passanten, Eigentümer oder Nutzungsberechtigte von beweglichen Sachen, die u.U. von Immissionen betroffen sein können. 114 Ansprüche auf Einstellung des Betriebes einer umweltstörenden Anlage gemäß §§ 906, 1004 BGB sind nach § 14 BimSchG ausgeschlossen, wenn die Anlage gemäß § 4 BlmSchG unanfechtbar genehmigt ist. An die Stelle der zivilrechtliehen Abwehrklage tritt ein Anspruch des beeinträchtigten Eigentümers auf Vorkehrungen und - wenn diese nicht durchführbar sind - auf Schadensersatz. Einen angemessenen Ausgleich in Geld sieht § 906 Abs. 2 S. 2 BGB vor für den Fall einer wesentlichen, unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzung des von Immissionen betroffenen Grundstücks. Sondergesetze erlegen den Grundstückseigentümern besondere Duldungspflichten auf, wie§ 7 AtomG, § 11 LuftVG, § 10 BNatSchG. Die Rechtsprechung hat dem Grundstückseigentümer den Anspruch aus § 1004 BGB trotz Überschreitung der Duldungsgrenzen des § 906 Abs. 2 versagt, wenn es um öffentlichrechtlich organisierte Emittenten oder Iebens- und gemeinwichtige Betriebe ging. 115 Dies ist von besonderer Bedeutung sowohl bei Verkehrslärmim111 Vgl. BGH NJW 1983, 751 (Tennisplatz); BGHZ 91, 20 (Geruchsimmissionen aus einer Kläranlage); BGH NJW 1959, 2013 (Tanzcafe); BGH BB 1970, 1279 (Minderung der Arbeitskraft infolge Lärmimmissionen). 112 Vgl. BGH MDR 1971, 37. (Zulässige Beeinträchtigung des Wohneigentums wegen unzumutbarer Störungen des Wohlbefindens der Bewohner durch Immissionen.) 113 MünchKomml Säcker § 906 Rdn. 121; LummertiThiem, Rechte des Bürgers, S. 147. 114 MünchKomm I Medicus § 1004 Rdn. 15, 16. Die enge lmmobiliarbezogenheit der §§ 906, 1004 BGB in bezugauf Immissionen wird aber kritisiert: vgl. Pfeiffer, S. 168 ff; Diederichsen, Referat, S. L 54; Marburger, Gutachten, S. C 119; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 194ff, 230ff; Schirmer, ZVersW 1990, 148f. Zu dieser Problematik vgl. unten § 7. 115 Vgl. BGHZ 29, 314 (317); 48, 98 (104); 54, 384; 60, 119 (122); BGH NJW 1960, 23 ; BGH NJW 1963, 2020; BGH NJW 1978, 1051; RGZ 159, 129 (137); dazu MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 106ff; Papier NJW 1974, 1797ff.

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missionen (Straßen-, 116 Fluglärm 117) als auch bei vielartigen Beeinträchtigungen durch Hoheitsträger (militärische Anlagen, 118 Kläranlagen 119 etc.). Die Maßstäbe für die Duldung von Immissionen spielen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit nicht nur für die Ansprüche aus§ 1004 BGB, sondern auch für eventuelle deliktische Ansprüche. 120 Im folgenden werden kurz die nachbarrechtlichen Anspruchsgrundlagen gegen Beeinträchtigungen durch Immissionen dargestellt.

a) Nachbarrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche Der Eigentümer kann nach § 1004 Abs. 1 BGB die Beseitigung jeder Beeinträchtigung seines Eigentums verlangen, soweit sie sich nicht in einer Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes erschöpft und der Eigentümer nicht verpflichtet ist, sie zu dulden. Die Beeinträchtigung muß sich auf menschliches Verhalten zurückführen lassen und kann auch dann vorliegen, wenn sie nicht eine körperliche Einwirkung auf die Sache darstellt. 12 1 Solange die Beeinträchtigung fortdauert, kann der Eigentümer vom Störer verlangen, sie zu beseitigen. Wie der Störer sie beseitigt, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. 122 Ist die Beeinträchtigung in der Vergangenheit abgeschlossen, vermag der Beeinträchtigte sowohl die Unterlassung weiterer zu besorgender Beeinträchtigungen (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB) als auch evtl. Schadensersatz nach § 823 I BGB fordern. § 1004 BGB besagt nicht allein, wann diese Norm bei Immissionsbeeinträchtigungen anwendbar ist. Das läßt sich nur i.V.m. § 906 BGB feststellen, der die Duldungspflichten des Eigentümers beschreibt. Danach hat der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen hat der Eigentümer zu dulden, soweit sie die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Der Eigentümer kann ferner auch wesentliche Beeinträchtigungen der Benutzung seines Grundstücks nicht verbieten, insoweit sie durch eine ortsübliche Benutzung des störenden Grundstücks herbeigeführt werden und nicht durch Maßnahmen verhindert werden können, die Benützern dieser Art wirtschaftlich zurnutbar sind. Aus der Sicht eines privatrechtliehen Umweltschutzes soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß § 906 BGB auf die Duldungspflicht des Grundstücks116 117

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Vgl. RGZ 159, 138; BGH NJW 1971, 94. Vgl. BGHZ 69, 105; BGHZ 79, 45. Vgl. BGHZ 59, 378. Vgi.BGHZ91,20. Vgl. BGHZ 92, 142. MünchKomm I Medicus § 1004 Rdn. 21, 27. Vgl. RGZ 37, 172.

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eigentümers abstellt und zwar hinsichtlich Immissionen, die von einem anderen Grundstück ausgehen und Beeinträchtigungen der Nutzung seines Grundstückseigentums zur Folge haben können. Die Ansprüche aus § I 004 Abs. 1 stehen jedem Eigentümer zu. § 906 sieht keine Duldungspflichten der Eigentümer beweglicher Sachen vor, obwohl sie von Immissionen sehr wohl beeinträchtigt werden können.123 Andererseits gehen Immissionen nicht nur von Grundstücken, sondern auch vom Betrieb zahlreicher beweglicher Anlagen aus, wie z. B. von Kraftfahrzeugen. b) Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB

Hat der Eigentümer eine von einem anderen Grundstück ausgehende und die Nutzung seines Grundstücks wesentlich beeinträchtigende Einwirkung zu dulden, weil sie ortsüblich und nicht verbinderbar ist, so kann er von dem Benutzer des störenden Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung sein Grundstück-oder dessen Ertrag über das zurnutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Der Anspruch steht nicht nur dem Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks, sondern auch dem Besitzer124 und den dinglich Berechtigten, nicht aber Eigentümern beweglicher Sachen zu. 125 Entschädigungspflichtig ist jeder "Benutzer" des störenden Grundstücks unabhängig von seiner Rechtsposition zum Grundstück. 126 Der Ausgleich richtet sich nach dem gesamten Differenzbetrag zwischen dem Benutzungswert des Grundstücks nach der Immissionseinwirkung und dem hypothetischen Benutzungswert, den das Grundstück hätte, wenn die Einwirkung die Duldungsgrenze des § 906 Abs. 2 S. I BGB nicht überschritten hätte. 127 Die Ausgleichspflicht des Emittenten tritt unabhängig von seinem eventuellen Verschulden ein, die von ihm verursachte Einwirkung muß nicht rechtswidrig sein. 128 Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ist weiter, daß die zu duldende Einwirkung die ortsübliche Nutzung des betroffenen Grundstücks beeinträchtigt und zwar in einem Maß, das nach der Ver kehrsanschauung dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann. Der Beeinträchtigte hat nach analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch auch dann, wenn er die störende Einwirkung an sich rechtlich unterbinden konnte, er aber aus besonderen Gründen daran gehindert war. 129 Vgl. BGHZ 92, 143 ff (Kupolofen-Urteil). Vgl. BGHZ 70, 212. 125 BGHZ 92, 143 (145). 126 RGZ 97, 26; 103, 76; BGH LM Nr. 17 zum§ 906 =NJW 1963, 2020; Soergell Baur, § 906 Rdn. 62; Pleyer AcP 156 (1956), 291 ; Staudinger I Seufert § 906 Rdn. 40; RGRK I Augustin § 906 Rdn. 73, 86. 127 MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 118. 128 Vgl.MünchKommiSäcker§906Rdn.ll7. 123 124

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c) Die Ansprüche aus§ 14 BlmSchG § 14 BlmSchG stellt eine wichtige Einschränkung der nachbarrechtlichen Abwehransprüche des BGB dar. Hiernach kann aufgrund privatrechtlicher Abwehransprüche gegen benachteiligende Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück nicht die Einstellung des Betriebes einer Anlage verlangt werden, deren Genehmigung unanfechtbar ist. Der Ausschluß von privatrechtliehen Ansprüchen gilt nur für Anlagen, die nach§ 10 BlmSchG genehmigt worden sind. 130 Der Bestandsschutz einer genehmigten Anlage erstreckt sich auf alle beeinträchtigenden Einwirkungen, die beim rechtmäßigen, d. h. der Genehmigung entsprechenden Anlagebetrieb entstehen. 131 Die Vorschrift des § 14 BlmSchG hat eine große praktische Bedeutung bei all jenen Einwirkungen, die aus einer unanfechtbar genehmigten Anlage herrühren und das nach § 906 Abs. 2 S. 1 BGB zulässige Maß überschreiten, da nur in diesem Fall ein Anspruch des Beeinträchtigten auf Einstellung des Betriebes in Betracht käme. § 14 BlmSchG hebt den sonst gewährten Anspruch auf Beseitigung- bzw. Unterlassung der unzulässigen Einwirkungen nicht auf; er verbietet nur das Verlangen der Betriebseinstellung. Im übrigen wandelt er die bestehenden Ansprüche um: 132 statt eines umfassenden Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruchs, der sich auf mehrere denkbare Arten erfüllen läßt, kann der Berechtigte nur die Herstellung von Schutzeinrichtungen oder allgemein das Ergreifen von Vorkehrungen verlangen, die die benachteiligenden Wirkungen ausschließen. Der Anspruch auf Schutzmaßnahmen nach § 14 S. 1 BlmSchG bleibt als Surrogat des untersagten Anspruchs auf Einstellung des Betriebes ein Anspruch privatrechtlicher Natur, der demjenigen zusteht, der an der Geltendmachung von Abwehransprüchen nach §§ 1004, 906 BGB durch § 14 S. 1 BlmSchG gehindert ist. 133 Nach § 14 S. I BlmSchG können nicht Vorkehrungen gefordert werden, die die benachteiligenden Wirkungen ganz ausschließen. Es wird nur die Verminderung der Beeinträchtigung auf das nach § 906 BGB zulässige Maß ermöglicht. 134 Soweit solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind, kann lediglich Schadensersatz verlangt werden (§ 14 S. 2 BlmSchG). Der Anspruch auf Schadensersatz tritt daher nur in zweiter Linie ein und ist nur von der Tatsache der Nichtdurchführbarkeit bzw. Nichtzumutbarkeit von Vorkehrungen abhängig. Der Entschädigungsanspruch nach § 14 S. 2 BlmSchG setzt kein Verschulden des Störers voraus. 135 Er deckt sowohl die durch 129 BGHZ 58, 149 (158 ff) ; 62, 361 (366 ff); 72, 289 (291 ff); 85, 373 (384); 90, 255 (262); 111, 158 (163 f); 113, 384 (389 f); BGH NJW 1990, 3195 (3196 f). 130 Amtliche Begründung zu § 14 BlmSchG. 131 So Feldhaus, BlmSchG, § 14 Nr. 8; Reuß I Janssen Anm. 1112 zu§ 26 GewO. 132 Feldhaus, BlmSchG, § 14 Nr. 9; Jarras, BlmSchG, § 14 Rdn. 18. 133 Feldhaus, BlmSchG, § 14 Nr. 9; Jarras, BlmSchG, § 14 Rdn. 12 ff. 134 So Feldhaus, BlmSchG, § 14 Nr. 10.

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die Einwirkungen einer Anlage entstandenen, als auch die künftig auftretenden Schäden in vollem Umfang. Wenn der Emittent durch Vorkehrungen nur teilweise die benachteiligenden Einwirkungen verhindert hat, kann der Beeinträchtigte vom Störer bzw. vom Anlagehetreiber Entschädigung für die bestehenbleibenden unzulässigen Beeinträchtigungen verlangen. 136 d) Entschädigungsansprüche für Beeinträchtigungen bei hoheitlicher Tätigkeit

Nach § 906 Abs. 2 unzulässige Einwirkungen durch eine hoheitliche Tatigkeit können nicht untersagt werden. Das gleiche gilt, wenn es sich um Immissionen von unmittelbar dem öffentlichen Interesse dienenden Iebens- oder gemein wichtigen Betrieben handelt. 137 Der Beeinträchtigte kann nur Schutzmaßnahmen fordern, die die Einwirkungen verhindem oder auf das nach § 906 Abs. 2 BGB zulässige Maß vermindem. 138 Dem beeinträchtigten Grundstückseigentümer kommt ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zu, wenn der Emittent privatrechtlich organisiert ist und I oder privatrechtlich seine Anlage betreibt; wenn er schlicht hoheitlich handelt, haftet er für Beeinträchtigungen Dritter durch seine Einwirkungen nach den Grundsätzen des enteignenden bzw. enteignungsgleichen Eingriffs. 139 Damit hat auch dieser Anspruch zur Voraussetzung, daß die Immissionen der öffentlichen Hand nach Art und Ausmaß über die Grenzen dessen hinausgehen, was dem Eigentümer gemäß § 906 BGB entschädigungslos zugemutet wird. 140 aa) Straßenverkehrsimmissionen Eine Entschädigung wegen enteignenden Eingriffs kommt insbesondere bei Verkehrsimmissionen141 in Betracht. Der BGH und vor ihm bereits das RG hatten in einer Vielzahl von Fällen Gelegenheit, sich mit dem Problem Verkehrslärm, insbesondere Straßenverkehrslärm auseinanderzusetzen. 142 Ursprünglich befürwortete BGHZ 15, 146 (§ 26 GewO). Fe/dhaus, BlmSchG, § 14 Nr. II; Jarras, BlmSchG, § 14 Rdn. 26. 137 Vgl. oben Fn. 115 sowie Martens, FS Schack, S. 85 ff und MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 106- 115m. w. N. 138 Vgl. RGZ 133, 152 (153); RGZ 159, 129 (131); RGZ 170,40 (43). 139 Dazu BGHZ 48, 98 (IOOt); auch BGHZ 59, 378; BGHZ 60, 119 (122t) ; BGH NJW 1984, 1876. 140 BGHZ48, 98 (101). 141 Zu Straßenimmissionen: Hartung, Entschädigung für Straßenverkehrsimmissionen in der Rspr. des BGH m. w. Nachw. 142 Vgl. RGZ 133, 152; 159, 120; BGHZ 48, 99; 49, 149; 54, 384; 64, 220; BGH NJW 1986, 1980. 135 136

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die Rechtsprechung den privatrechtliehen Charakter der Ansprüche wegen zumutbarer Straßeninunissionen und danrit den Zivilrechtsweg. 143 Unter dem Hinweis auf das allgemeine Wohl versagte das RG die Abwehransprüche des durch Straßeneinwirkungen beeinträchtigten Nachbarn und gewährte einen Ausgleichsanspruch aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, 144 wenn sich die Inunission nach Art und Umfang existenzvernichtend auf die Nutzung des Nachbargrundstücks auswirkte. 145 Diese Rechtsprechung setzte der BGH fort.146 In seinem Urteil vom 30. 10. 1970 147 hat der BGH aber die privatrechtlich orientierte Rechtsprechung hinsichtlich der Straßenimnrissionen endgültig aufgegeben. Durch die Widmung und Eröffnung der Straße für den Verkehr nehme der Staat eine hoheitliche Aufgabe wahr. Sobald die Einwirkungen des Straßenbetriebs die Grenzen des § 906 BGB überschreiten, liege ein Eingriff in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum vor. Da der Eigentümer sie nicht verbieten könne, wird ihm einem anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt, für das er Entschädigung verlangen könne. 148 Das Abstellen auf die Maßstäbe des § 906 BGB für die Beurteilung, ob ein enteignungsgleicher Eingriff vorliegt, ist jedoch in der Literatur streitig, 149 da der BGH für die Prüfung andere Kriterien entwickelt habe. 150 bb) Fluglärrnimnrissionen Der Flugverkehr wird - nrit Ausnahme der Militärflughäfen - zumeist privatrechtlich betrieben. Demnach sind für Beeinträchtigungen wegen des Flugverkehrs die Regelungen des Zivilrechts prinzipiell einschlägig. Der Berechtigte nach §§ 906, 1004 BGB kann nicht die Einstellung des Betriebs von Flughäfen verlangen (§ 11 LuftVG), deren Genehnrigung unanfechtbar ist. Nach § 9 FluglärrnSchG können bestimmte Eigentümer vom Flughafenunternehmer Ersatz für AufwendunVgl. RGZ 159, 129 (131, 135); 170,40 (42) m. w. Nachw. Vgl. RGZ 154, 161; 155, 154; 159, 68; 159, 129; 162, 349; 167, 14; 169, 180; BGHZ 15, 146; 16, 369; 28, 149; 28, 225; 29, 314; 30, 273; 30, 373. 145 Vgl. RGZ 154, 161; 159, 129, 140 ("Reichsautobahn"-Urtei1). 146 BGH MDR 1951, 729; BGH BB 1957, 1123; BGH NJW 1959, 97; dazu statt vieler: Deneke, Das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, S. 19 ff m. w. Nachw. 147 BGHZ 54, 384, 388 f; vorher hat der BGH in seinem Urteil vom 15. 6. 1967 (BGHZ 49, 149) eine Ausgleichspflicht auch aus gesundheitlichen Gründen in Erwägung gezogen, ohne jedoch auf die Frage der Qualifizierung der entstandenen Immissionen als negative Auswirkung aus der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe Stellung zu nehmen. 148 Vgl. BGHZ54, 384 (387t) ; 64,220 (222); BGH NJW 1986,2421. 149 Der Rspr. folgend Leisner NJW 1975, 233 (234); etwas zurückhaltender befürwortet die Rspr.: Papier NJW 1974, 1797 (1799); a.A. Martens, FS Schack (1966), S. 94; wohl auch Hartung, S. 98. 150 Dazu vgl. BVerfGE 58, 300 (324t) ; BGH NJW 1984, 1876ff; BGH NJW 1986, 2421 m. w. Nachw.; auch von Münch, GG-Kommentar, Bd. I, Art. 14 Rdn. 70. 143 144

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genwegen baulicher Schadschutzmaßnahmen verlangen. 151 Dies berührt die zivilrechtlichen Ausgleichsansprüche nicht unmittelbar. 152 Für den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ist allein maßgebend, daß die Fluglärmbelastung die ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Die Gerichte müssen eigenverantwortlich das Ausmaß der mit der Langzeitbelastung verbundenen Belästigung feststellen und prüfen, bis zu welchem Ausmaß eine Langzeitbelästigung der festgestellten Art dem beeinträchtigten Nachbarn i.S. des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zuzumuten ist. 153 So kann z. B. auch der nach § 9 Abs. 3 FluglärmSchG anspruchsberechtigte Eigentümer eines in der Schutzzone I gelegenen Wohnhauses den erforderlichen Mehrbetrag für Schallschutzmaßnahmen in seinem Haus (über die obere Erstattungsgrenze nach § 9 FluglärmSchG) nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB verlangen. 154 Für militärische Flughäfen könnte u.U. ein Anspruch der Nachbarn wegen enteignungsgleichen Eingriffs begründet sein. 155 Dabei bestehen die gleichen Rechtsprobleme wie bei Straßenimmissionen. cc) Beeinträchtigungen durch Kläranlagen, Deponien etc. Der BGH wendet die Maßstäbe des § 906 BGB auch bei der Beurteilung des Vorliegens eines enteignungsgleichen Eingriffs in Fällen schlichthoheitlich betriebener Anlagen an. So hat der BGH eine Entschädigung dem Eigentümer eines Hauses zugesprochen, der wegen übermäßigen Geruchsimmissionen von einer städtischen Kläranlage in der Nutzung seines Eigentums beeinträchtigt wurde. 156 Der Betreiber einer Mülldeponie hat die Saatschäden zu entschädigen, die durch die angelockten Krähen auf den benachbarten Feldern entstanden sind. 157

3. Ansprüche für Schäden aufgrund Wasserverschmutzungen § 22 WHG sieht eine Gefährdungshaftung für Schäden durch Veränderung der Beschaffenheit eines Gewässers vor. 158 Schadensersatzpflichtig ist sowohl wer die Dazu Hoffmann, Kommentar zum LuftVG, § 9. Vgl. BGHZ 69, 105 (108 ff, insb. 116). 153 BGHZ69, 110. I S4 BGHZ69, 105ff. 1ss Vgl. BGHZ 59, 378. Nach der Naßauskiesungsentscheidung des BVerfG aber ist ein Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs nur dann gegeben, wenn eine Abwehrklage erfolglos geblieben ist. Vgl. BVerfGE 58, 300ff. 1s6 Vgl. BGHZ 91, 20. 157 OLG Zweibrücken NJW-RR 1986, 688. Iss Vgl. BGH NJW 1976, 1686 (1687); BGH NJW 1976, 291 ; BGH NJW 1976, 1686 (1687); Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 3. ISI

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Veränderung der Wasserbeschaffenheit durch die Zuführung von Stoffen oder durch andere Einwirkungen verursacht (§ 22 Abs. 1 WHG), als auch der Inhaber einer Anlage, die für die Wasserbeschaffenheit gefährlich ist und aus der wasserverändernde Stoffe ins Gewässer gelangen (§ 22 Abs. 2 WHG). Beide haftungsbegründende Tatbestände knüpfen die Ersatzpflicht der WasserverschmutzeT nicht an deren Verschulden hinsichtlich der Wasserveränderung und des daraus entstandenen Schadens an. 159 Anders als bei der Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB kommt es nicht darauf an, ob durch die Veränderung der Beschaffenheit eines Gewässers bestimmte absolute Rechte oder Rechtsgüter Dritter verletzt worden sind. 160 Die Haftung aus § 22 WHG umfaßt jeden unmittelbaren Vermögensschaden der Betroffenen161 und ist- anders als andere Gefährdungshaftungen 162 - nicht durch Haftungshöchstgrenzen gekennzeichnet.

a) Der Anspruch aus § 22 Abs. 1 WHG

Nach § 22 Abs. S. 1 WHG ist zum Ersatz des Schadens, den ein Dritter durch die Veränderung der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit eines Gewässers erleidet, derjenige verpflichtet, der durch das Einbringen bzw. Einleiten von Stoffen oder durch andere Einwirkungen die Wasserveränderung verursacht hat. Die Haftung aus § 22 WHG umfaßt alle Gewässer i.S. des § 1 Abs. 1 WHG, d. h. aller oberirdischen Gewässer, Küstengewässer und das Grundwasser. 163 Voraussetzung der Haftung aus § 22 Abs. 1 WHG ist die Veränderung der Gewässerbeschaffenheit wegen Zuführung von Stoffen sowohl fester (Einbringen) als auch flüssiger oder gasförmiger Natur (Einleiten), oder wegen einer andersartigen Einwirkung, wie z. B. das Aufheizen oder die radioaktive Beeinflussung eines Gewässers. Ein haftungsauslösendes Einbringen, Einleiten oder Einwirken kann auch durch eine Unterlassung geschehen. 164 Für die Haftung aus § 22 Abs. 1 WHG reicht es aus, wenn Handlungen bzw. Unterlassungen vorliegen, die nach ihrer objektiven Eignung auf das Hineingelangen in ein Gewässer gerichtet sind. 165 Der Schaden muß auf die Veränderung der Wasserbeschaffenheit zurück159 Vgl. BGH NJW 1981, 2146; BGHZ 65, 221 (222); BGHZ 55, 180 (183); Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht (1987), Rdn. 785; Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 18 a; Knopp I Manner, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 4; Börner ZfW 1977, 83 ; Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 4. 160 Vgl. Knopp/ Manner, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 3. 161 Vgl. BGH ZfW 1967 I 68, 92 ff; zur Frage der Anspruchsberechtigung nach § 22 WHG vgl. auch Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 22, 29 m. w. Nachw. 162 Vgl. § 7 LuftVG, § 9 HPflG. 163 Vgl. BGHZ I 03, 129 f = BGH JZ 1988, 560 (56!). Dazu Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § I Rdn. 4ff; § 22 Rdn. 16, 18 a, 42 u. 63 ; Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 3. 164 Vgl. BGHZ 65, 221 =NJW 1976, 291 =ZfW 1976, 275. 5 Lytras

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geführt werden können (kausaler Zusammenhang). 166 Eine wasserrechtliche Bewilligung(§ 8 WHG) schließt die Haftung aus§ 22 WHG insofern aus, als gerade ein Recht für das konkrete Einbringen, Einleiten oder sonstige Einwirken besteht (§ 11,22 Abs. 3 WHG). 167 Nach § 22 Abs. 1 S. 2 WHG tritt eine gesamtschuldnerische Haftung ein, wenn mehrere die gewässerverändernde Einwirkungen vorgenommen haben. Dabei kommt es nicht darauf an, wie sie den Haftungstatbestand des § 22 Abs. 1 S. 1 WHG verwirklicht haben. Ob einige Gesamtschuldner die Wasserbeschaffenheit durch Einbringen und andere durch Einleiten oder Einwirken verändert und dadurch den Schaden herbeigeführt haben, hindert den Eintritt der gesamtschuldnerischen Haftung nicht. 168 Der BGH hat die gesamtschuldnerische Haftung aller Täter bejaht, deren einzelne Teilbeiträge für sich allein genommen für die Herbeiführung des Gesamtschadens nicht ausreichten, sondern die erst in ihrer Summierung den eingetretenen Schaden verursacht haben. 169

b) Die Haftung des Inhabers einer Anlage nach§ 22 Abs. 2 WHG

Der Haftungstatbestand des § 22 Abs. 2 WHG knüpft an die Gefährlichkeit des Betriebes einer Anlage für die Wasserbeschaffenheit an. Wenn aus einer Anlage, die bestimmt ist, Stoffe herzuleiten, zu verarbeiten, zu lagern, abzulagern, zu befördern oder wegzuleiten, derartige Stoffe in ein Gewässer gelangen, ohne in dieses eingebracht oder eingeleitet zu sein, dann ist der Inhaber der Anlage zum Ersatz des daraus einem anderen entstandenen Schadens verpflichtet. Der Anlagebegriff ist im weiten Sinne zu verstehen. Darunter fallen allerdings nur solche Anlagen, die ihrer Bestimmungsart nach mit Stoffen umgehen, die eine Gefahr für die Beschaffenheit des Wassers darstellen. 17 Für die Haftung aus § 22 Abs. 2 WHG genügt das Hineingelangen der Stoffe in ein Gewässer, unabhängig davon, ob ein objektiv zweckgerichteter Gewässerbezug der Umstände des Hineingetangens vorliegt; der Anlageinhaber haftet auch, wenn unbeabsichtigt, ungewollt oder sogar

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Schacht VersR 1986, 1043 (1047); vgl. BGHZ 65, 221 = NJW 1976,291. Dazu vgl. Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 22m. w. Nachw.; zum Beweis der Kausalität ders. § 22 WHG Rdn. 54; vgl. auch Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 18 - 20, 27 m. w. Nachw. 167 V gl. Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 49 ff; Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 23 - 26 jeweils m. w. Nachw. 168 So die ganz h.M., vgl. Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 25; Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 39- 41, 57; vgl. auch BGHZ 57, 257; BGHZ 17, 221; dazu vgl. auch unten § 12 li. 169 V gl. BGHZ 57, 257 =NJW 1972, 205 =ZfW 1972, 230. no Dazu vgl. Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 33; Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 43- 44, jeweils m. w. Nachw.; vgl. auch BGH NJW 1980,943 (945) m. w. Nachw.; BGH VersR 1983, 248 = ZfW 1983, 155. 165

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gegen seinen Willen aus seiner Anlage Stoffe in ein Gewässer gelangen. 171 Das Hineingelangen muß nicht unmittelbar geschehen. 172 Als Inhaber einer Anlage wird derjenige angesehen, in dessen Namen und auf dessen Rechnung die Anlage betrieben wird, 173 der die tatsächliche, wirtschaftliche Verfügungsgewalt über die Anlage ausübt. 174 Geraten Stoffe aus mehreren Anlagen in ein Gewässer und verändern seine Beschaffenheit, so haften die mehreren Inhaber dieser Anlagen über den entstandenen Schaden als Gesamtschuldner (§ 22 Abs. 2 S. 2 WHG). 175 Die Haftung des Anlageinhabers ist bei höherer Gewalt ausgeschlossen(§ 22 Abs. 2 S. 3 WHG).176 4. Umweltrelevante besondere Haftungstatbestände Neben den dargestellten Vorschriften des Delikts- und Nachbarrechts des BGB, des § 14 BimSchG und der wasserrechtlichen Haftung aus§ 22 WHG, weisen andere, besondere Haftungstatbestände eine Umweltrelevanz auf, insoweit sie sich auf Ereignisse beziehen, die oft als Umweltbelastungen bzw. Umweltschäden bezeichnet werden. Dazu gehören vor allem die Haftung des Herstellers fehlerhafter, umweltbelastender Produkte, die Haftung für gefährliche Technologien, sowie die atomrechtliche Haftung und die Haftung für Rohrleitungsanlagen, wie auch die Haftung des Transporteurs von umweltgefährlichen Stoffen. Alle diese Haftungstatbestände können im konkreten Fall keinen direkten Umweltschutz gewährleisten, da eine Entschädigung nur für Personen- und Sachschaden gewährt wird. Die verschärfte Haftung der Betreiber umweltgefährlicher Anlagen könnte sie veranlassen, Vorkehrungen zu treffen, um Schäden anderer und damit Umweltbelastungen zu vermeiden. Im Rahmen dieser Arbeit wird nicht auf die Einzelproblematik der erwähnten Haftungstatbestände eingegangen; wir beschränken uns auf die bloße Darstellung der Voraussetzungen der entsprechenden Haftungsgrundlagen.

171 Sieder I Zeitler, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 33; Gieseke I Wiederoonn I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 47 ff. 172 BGHZ 57, 257 (260) = NJW 1972, 204. 173 Sieder I Zeitler, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 41 ; BGH NJW 1981, 1516. 174 So Gieseke I Wiederoonn I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 50- 51. 175 Dazu Sieder I Zeitler, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 38; Gieseke I Wiederoonn I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 57. 176 Über den Begriff der höheren Gewalt vgl. BGHZ 7, 339; vgl. auch BGH VersR 1986, 92 = NJW 1986, 2312 = ZfW 1986, 304; vgl. dazu auch Sieder I Zeit/er, Kommentar zum WHG, § 22 Rdn. 39; Gieseke I Wiedemann I Czychowski, WHG § 22 Rdn. 58 ; dazu vgl. auch unten § 9 IV 3.

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a) Die Haftung des Herstellers fehlerhafter Produkte

Ausgehend von dem sog. Hühnerpest-Urteil (BGHZ 51, 91) hat die Rechtsprechung und Literatur 177 auf den Grundlagen des Deliktsrechts Lösungen gefunden, Schäden infolge fehlerhafter Produkte weithin auszugleichen. Der Hersteller einer Ware, die für den vorgesehenen Zweck nicht oder nur mit Gefahr für den Erwerber oder andere eingesetzt werden kann, haftet auf Ersatz des dadurch verursachten Schadens, wenn er nicht beweist, daß er den Fehler bzw. seine Auswirkung nicht verhindern konnte. 178 Aufgrund der Richtlinie des Rates der EG vom 25. 7. 1985, 179 die eine Angleichung der gesetzlichen Regelungen der Produkthaftung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften anstrebt, hat der Bundestag das Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdHaftG) verabschiedet. ISO § 1 Abs. 1 des ProdHaftG sieht eine verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers eines Produkts vor, wenn durch den Produktfehler ein Mensch getötet, an Körper oder Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Diese allgemeine Haftungsnorm erfährt bei Sachbeschädigungen einige wesentliche Einschränkungen: a) Die fehlerhafte Sache selbst wird in den Schutzbereich der Haftung aus§ 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG nicht einbezogen. b) Ersetzt werden nur Schäden an Sachen, die ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten - nicht beruflichen oder gewerblichen - Gebrauch und Verbrauch bestimmt sind und hierzu vom Geschädigten hauptsächlich verwendet worden sind. c) Bei Sachbe schädigung hat der Geschädigte einen Schaden bis zu einer Höhe von 1125 DM selbst zu tragen (§ 11 ProdHaftG). Weiter sind in § 1 Abs. 2 und 3 ProdHaftG einige Fälle aufgeführt, wonach der Haftungseintritt ausgeschlossen ist, und in Abs. 4 des § 1 ist eine Beweislast des Geschädigten hinsichtlich des Kausalzusammenhangs zwischen Fehler und Schaden und eine Beweislast des Herstellers für das Vorliegen eines Haftungsausschlußgrundes vorgesehen. Für die Begriffe des Produkts, des Fehlers und des Herstellers enthält das ProdHaftG in §§ 2, 3, 4 Legaldefinitionen. Nach § 15 Abs. 2 ProdHaftG bleiben Ansprüche aus anderen Rechtsgründen unberührt. Dies bedeutet, daß die Produzentenhaftung nicht nur nach dem ProdHaftG gestaltet wird; vielmehr kann der Produzent etwa aus Vertrag oder deliktisch haften. Ökologische Belange können bei Schäden infolge fehlerhafter Produkte nur insofern berücksichtigt werden, als sie von den Personen- oder Sachschäden umfaßt werden können. Umweltbelastende Produkte, wie z. B. Düngemittel, Pestizide, chemische Stoffe sowie auch zahlreiche Konsumgüter, technische Anlagen und m Vgl. die Nachweise bei MünchKomml Mertens § 823 Rdn. 281 ffund Fn. 287. Zu den einzelnen Voraussetzungen der Produzentenhaftung vgl. statt vieler Münch Komm I Mertens § 823 Rdn. 286 ff m. w. Nachw. 179 ABlEG Nr. L 210 vom 7. 8. 1985, S. 29. IBO BGB11989 I, S. 2198. Zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung vgl. BT-Drucks. 11/ 2447. 178

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Maschinen oder Nahrungsmittel und Verpackungsmaterialien können u.U. nach §§ 2, 3 ProdHaftG als fehlerhafte Produkte betrachtet werden 181 und gegebenenfalls die Haftung aus§ 1 Abs. 1 ProdHaftG oder§ 823 BGB auslösen. 182 Die Haftung für Fabrikationsfehler veranlaßt eine Optimierung des Produktionsprozesses, während die Haftung für Planungsfehler einen Anreiz für die Intensivierung der Sicherheitsforschung bietet. Die verschärfte Haftung für Instruktionsfehler - vor allem bei toxischen Produkten - fördert den sachgerechten Umgang mit gefährlichen Stoffen und verringert somit die daraus entstehenden Schadensrisiken bzw. die damit unnötige Freisetzung umweltbelastender Stoffe. 183 Man darf jedoch die umweltschützenden Wirkungen der Produkthaftung nicht überschätzen. Sie entfalten sich - wie bei jeder zivilrechtliehen Haftung für Umweltschäden - nur mittelbar, nämlich nur soweit der Hersteller zu Vorsorgemaßnahmen angehalten wird, um der drohenden Haftung zu entgehen. Die verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers fehlerhafter Produkte nach dem ProdHaftG verstärkt zwar die Rechtsposition des Geschädigten; im Ergebnis geht sie nicht weiter als die Lösung der Rechtsprechung, die ein Verschulden des Produzenten verlangte, demselben aber die Beweislast für einen Exculpationsgrund auferlegte. 184 In erster Linie bleibt Zweck der Produkthaftung der bessere Schutz des Produktbenutzers und des Konsumenten, soweit er selbst an seinem Körper oder seiner Gesundheit verletzt wird oder Sachschäden erleidet. 185 Umweltbelastungen durch fehlerhafte Produkte werden nur selten in den Schutzbereich der Produkthaftung aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG fallen und dann nur in begrenztem Umfang, da sie nur als Personen- oder Sachschäden im Verbrauchsbereich 186 in Betracht kommen können, nicht aber als Verrnögensschäden. Es bleibt zweifelhaft, ob § 1 Abs. 1 ProdHaftG den Fall umfaßt, wonach z. B. ein Trinkwasserversorgungsunternehmer den Betrieb seiner Anlage ein- oder umstellen muß, weil das entnommene Grundwasser durch fehlerhafte Düngemittel oder Pestizide vergiftet war. Viele Produkte sind für einen faktisch zeitlich begrenzten Gebrauch oder Verbrauch bestimmt, nach dem sie oft nur als ungewünschte Abfalle weiter bestehen bleiben, da sie danach jedem wirtschaftlichen Verwendungszweck entzogen sind. Sicher kann der Verbraucher nicht als Hersteller dieser Abfälle angesehen werden. Man fragt sich aber, ob der Produkthersteller nach § 4 ProdHaftG ein fehlerhaftes Produkt im Sinne von§§ 2, 3 ProdHaftG in Verkehr bringt, wenn er in seinem Verantwortungshereich keine oder unzureichende Vorkehrungen für die möglichst ungefährliche Beseitigung der Reste seines Produkts getroffen hat. Dies gilt vor al181 182 183 184 185 186

Vgl. amtliche Begründung des ProdHaftG, BT- Drucks. 11 I 2447 S. 16- 18. Zur Haftung für umweltbelastende Produkte vgl. Hager JZ 1990, 397 (402 ff). So auch Hager JZ 1990, 397 (406 f). Vgl. dazu MünchKomm/ Mertens § 823 Rdn. 308m. w. Nachw.; BGHZ 51 , 91 (104). Vgl. amtliche Begründung des ProdHaftG, BT- Drucks. 11 I 2447 S. 7 und 13. Vgl. dazu Bart[, Produkthaftung nach neuem EG- Recht, § 1 ProdHaftG, Rdn. 27-31.

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lern für die Produktreste, die notwendigerweise während oder nach dem Gebrauch oder Verbrauch des Produkts übrigbleiben und dadurch Personen- oder I und Sachschäden Dritter entstehen, die weder mit der Herstellung noch mit der bestimmungsgemäßen Verwendung des Produkts zu tun hatten. Eine solche Ausdehnung der Haftung des Produzenten ist weder dem Wortlaut noch der amtlichen Begründung des ProdHaftG zu entnehmen; sie wäre aber aus der Sicht des Umweltschutzes sinnvoll, 187 da sie- abgesehen von der bestehenden Altlastenproblematik -zur Herstellung umweltschonender Produkte beitragen könnte, die zumindest hinsichtlich ihrer Nachfolgegefahren (Spätschäden) ein geringeres Gefährdungspotential aufweisen. Ferner können sich fehlerhafte Produkte auf Personen und Sachen erst nach vielen Jahren schädlich auswirken. 188 Der Anspruch des dadurch Geschädigten gegen den Produkthersteller aufgrund des § 1 Abs. 1 ProdHaftG erlischt auf jeden Fall zehn Jahre nach dem loverkehrbringen des fehlerhaften Produkts, wenn bis zu diesem Zeitpunkt kein Rechtsstreit über den Anspruch oder ein Mahnverfahren anhängig geworden ist(§ 13 Abs. 1 ProdHaftG). Treten die Schäden infolge des Produktfehlers später als zehn Jahre nach seinem loverkehrbringen auf, so geht der Geschädigte leer aus. Offen bleibt auch die Frage, inwieweit der Hersteller von Produkten Rücksicht auf mögliche kumulative Schadenseffekte infolge ihrer (üblichen) bestimmungsgemäßen Dauerverwendung (z. B. bei Düngemittel oder sonstige Chemikalien) oder sogar auf die dadurch evtl. vorhandene Vorbelastung nehmen muß, um sich vor dem Fehlervorwurf für seine Produkte zu schützen, d. h. um behaupten zu können, daß sein Produkt die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände be rechtigterweise erwartet werden kann (vgl. § 3 Abs. 1 ProdHaftG). Ähnliche Probleme entstehen bei Schäden im Verwendungsbereich von Produkten, die auf das Zusammenwirken mehrerer Stoffe zurückzuführen sind. 189

187 Eine Haftung des Produzenten für seinen weggegebenen Abfall wird auch von§ 1 UmweltHG nicht erfaßt. Dazu vgl. Hager NJW 1991, 134 ( 135). 188 Das sog. Entwicklungsrisiko trägt auch nach dem neuen ProdHaftG der Produzent nicht(§ 1 II Nr. 5 ProdHaftG); vgl. dazu Hager JZ 1991 , 397 (398f, 402). Dagegen haftet nach dem neuen UmweltHG der Anlageinhaber auch für das Entwicklungsrisiko von Umwelteinwirkungen aus seiner Anlage, vgl. dazu unten § 13 I 2 c. 189 Für den Fall der unschädlichen Teilbeiträge verschiedener Produkte, die nur durch ihr Zusammentreffen oder durch ihr Zusammenwirken erst den Schaden herbeiführen, bietet § 5 ProdHaftG keine neue Lösung. Der Begriff der Gesamtschuld richtet sich nach nationalem Recht. Demnach kämen als Gesamtschuldner nur mehrere Hersteller i.S. des § 4 ProdHaftG in Betracht, die sich nach § 1 Abs. 2 und 3 nicht entlasten können. Da über den Verursachungsanteil jedes Gesamtschuldners nichts ausgeführt wird, dürfte man den gleichen Problemen begegnen, die bei der Anwendung des§ 830 Abs. I BGB auftreten. Vgl. dazu MünchKomm I Mertens § 830 Rdn. 7 ff. Zum § 5 ProdHaftG vgl. Bart/, § 5 ProdHaftG Rdn. 4 ff.

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b) Die atomrechtliche Gefährdungshaftung nach§§ 25 ff AtomG190 Nach Art. 3 (a) i.V.m. Art. 1 (a) II und V des Pariser Übereinkommens 191 haftet der Anlageinhaber für Personen- und Sachschäden, wenn der Schaden auf einem von einer Kernanlage ausgehenden nuklearen Ereignis beruht, das auf Kernbrennstoffe, auf radioaktive Erzeugnisse oder Abfälle oder auf die ionisierte Strahlung einer Strahlenquelle zurückzuführen ist, die sich in der Kernanlage befindet oder auf Kernmaterialien, die aus der Kernanlage stammen. Aus der Sicht des Umweltschutzes ist bemerkenswert, daß die atomrechtliche Gefährdungshaftung Schäden an Allgemeingütern, d. h. eben die ökologischen Schäden eines nuklearen Ereignisses nicht rnitumfaßt, 192 obwohl solche Schäden, wie z. B. die Unbrauchbarkeit der Gewässer und des Bodens, das Umkippen von Ökosystemen usw., unmittelbare Konsequenzen sowohl auf das allgemeine als auch auf das individuelle Leben der Menschen haben. Bei radioaktiven Anlagen fällt sicher das Schwergewicht der gesetzlichen Regelungen auf die Vorbeugung der Gefahren bzw. der Schäden und nicht auf den - nachträglichen - Schadensersatz. Seit Tschernobyl ist aber offensichtlich, daß sich die Frage nach dem Ersatz nuklearbedingter Umweltschäden nicht nur national sondern grenzüberschreitend stellt, wobei die ökologischen Aspekte einer Atomkatastrophe und die Kosten der Maßnahmen zur Rettung oder Wiederbelebung der radioaktiv verseuchten Umwelt in die Haftung des Kernanlagebetreibers einbezogen werden sollten. Zu einer Anwendung der atomrechtlichen Gefährdungshaftung ist es ziemlich selten gekommen und wird es - hoffentlich auch nicht kommen.

c) Die Haftung des Inhabers einer Energieanlage nach § 2 Abs. 1 HPflG Wenn durch die Wirkungen von Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten, die von einer Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe der bezeichneten Energien oder Stoffe ausgehen, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, hat der Inhaber der Anlage den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Das gleiche gilt, wenn der Schaden bloß auf das Vorhandensein einer solchen Anlage zurückzuführen ist, es sei denn, daß sich diese zur Zeit der Schadensverursachung in ordnungsgemäßem Zustand befand (§ 2 Abs. 1 S. 1, 2 HPflG). Diese Haftungsgrundlagen bleiben für den Umweltschutz von weniger Interesse, soweit 190 Vgl. dazu Haedrich, Atomgesetz, S. 478 ff; Geigel I Schlegemilch, Der Haftpflichtprozeß, S. 641 ff. 191 BGB11975 II S. 957, jetzt gültig i.d.F. der Bekanntmachung v. 5. 2. 1976, BGB11976 II S. 308 ff; vgl. dazu auch Zusatzprotokoll BGBl 1975 II S. 1007; Pariser Zusatzübereinkommen BGB11975 II S. 992; Brüsseler Zusatzübereinkommen BGB11975 II S. 957. 192 Vgl. Haedrich, Atomgesetz, S. 479.

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§ 2 Zivilrechtlicher Umweltschutz

sie die Gefahren durch Elektrizität betreffen. Durch Rohrleitungsanlagen werden aber zahlreiche umweltgefährdende Schadstoffe befördert, wie Stickstoff, Wasserstoff, Äthylen, Dämpfe von Öl bzw. Ölprodukten, Salzlösungen und andere Umweltchemikalien, 193 deren Austritt erhebliche Umweltbelastungen und Schäden verursachen kann. Die Haftung aus § 2 Abs. 1 HPflG erfaßt nur Personen- und Sachschäden und erfährt wichtige Einschränkungen, wie den Ausschluß der Haftung wegen höherer Gewalt(§ 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG), summenmäßige Haftungsbegrenzungen (§§ 9, 10 HPflG), sowie mögliche vertragliche Haftungsbeschränkungen (§ 7 HPflG). Bei Wasserverschmutzungen kommt der Haftung des Inhabers einer Rohrleitungsanlage nach § 2 Abs. I HPflG nur geringe praktische Bedeutung zu, da der Geschädigte eher die weitergehende wasserrechtliche Gefährdungshaftung aus§ 22 WHG bevorzugen wird. 194 Bei Luft- und Bodenverschmutzungen durch Stoffe, die in einer Rohrleitungsanlage befördert werden, könnte die verschuldensunabhängige Haftung aus § 2 Abs. 1 HPflG dem Geschädigten einen besseren Schutz gewähren als die deliktische Haftung des BGB. Nicht individualisierbare Umweltschäden und zwar als Personen- oder Sachschäden - sind von § 2 Abs. 1 HPflG nicht erfaßt.195 Gleiches gilt für reine Vermögensschäden.

d) Die Haftung des Transporteurs von Umweltschadstoffen

Zahlreiche Umweltchemikalien, explosionsgefährliche Stoffe, radioaktive Reste, giftige Abfalle oder Zwischenprodukte werden täglich durch die Bahn, durch Straßen-, Luft- und Wasserverkehrsmittel transportiert. Trotz der Sicherheitsanforderungen des öffentlichen Rechts und der sicherheitstechnischen Möglichkeiten und Fortschritte, kann man davon ausgehen, daß es bei der Beförderung umweltgefährdender Stoffe immer noch zu kleineren oder größeren Unfällen oder Störungen kommt, die sich sowohl für die Umwelt als auch für Personen und Sachen schädlich auswirken. Neben den Vorschriften des Deliktsrechts des BGB oder § 22 WHG bestehen auch Vorschriften, wie z. B. § 1 HPflG, § 7 StVG, § 33 LuftVG, die eine Gefahrdungshaftung für Schäden durch den Betrieb von Schienen- oder Schwebebahnen, Kraft- oder Luftfahrzeuge vorsehen. Alle diese Haftungstatbestände schützen in erster Linie den einzelnen und nicht die Umwelt. Die alltäglichen Auto-, Bahn- oder Flugzeugunfalle betreffen gewiß übliche Personen- oder Sachschäden. Kippt ein Tankauflieger auf der regennassen Fahrbahn um und treten mehrere Hundert Liter Äthylacetat aus, die teilweise ins Erdreich eindringen, dann 193 Vgl. BT-Drucks. 8 I 108 S. II ff; zu den praxisrelevanten Stoffrisiken durch Rohrleitungsanlagen vgl. Hötzel AgrarR 1973, 221 ff; in bezugauf Umweltchemikalien s. Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltchemikalien, S. 119 ff. 194 So auch Nawrath, S. 120. 195 Vgl. auch Nawrath, S. 123.

II. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen für Umweltschäden

73

erfährt der sonst "übliche" Autounfall einen unmittelbaren Bezug zum Umweltschutz.196 Die Haftung wegen Meeresverschmutzungen durch Öl ist durch internationale Abkommen geregelt. 197 Verschmutzungen der Binnengewässer fallen in den Haftungsbereich des WHG; insofern wird auf§ 22 WHG verwiesen. Im übrigen wird im Rahmen dieser Arbeit auf die Problematik der Gewässerverschmutzung durch die Schiffahrt nicht eingegangen. aa) Die Haftung des Bahnbetriebsunternehmers nach§ 1 HPflG 198 Wenn beim Betrieb einer Schienen- oder Schwebebahn ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, ist der Bahnbetriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet (§ 1 Abs. 1 HPflG). Die Haftung gilt grundsätzlich für alle Umweltschäden während der Beförderungstätigkeit der Bahn, soweit sie individualrechtliche Bezüge aufweist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Schaden beim Regelbetrieb oder beim Störfall verursacht worden ist, ebenso für Schäden bei den unmittelbaren Vorbereitungen einer Beförderungstätigkeit Höhere Gewalt oder das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses schließen die Haftung des Bahnbetriebsunternehmers aus(§ 1 Abs. 2 HPflG).

bb) Die straßenverkehrsrechtliche Haftung gemäߧ 7 StVG

Der Halter eines Kraftfahrzeugs ist verpflichtet, die beim Betrieb seines Fahrzeugs entstehenden Personen- und Sachschäden zu ersetzen (§ 7 Abs. 1 StVG). Neben ihm haftet der Kraftfahrzeugführer nach § 18 StVG. Als Schäden beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges werden auch solche angesehen, die während des Transports umweltgefährlicher Stoffe (z. B. Umweltchemikalien) durch ein dafür konstruiertes Sonderfahrzeug eingetreten sind. 199 Das Be- und Entladen oder das Umfüllen von Transportfahrzeugen unterliegt dem Begriff des Kraftfahrzeugbetriebes.200 Ein Tanklastzug ist auch eine Anlage i.S. von § 22 Abs. 2 WHG und die darin vorgesehene Haftung wird nicht durch die des Straßenverkehrsgesetzes verdrängt oder eingeschränkt. 201 Daher bleibt die unbegrenzte wasserrechtliche Haf196 Vgl. BGHZ 80, I ff. 197 Vgl. Brüsseler Übereinkommen von 1971, BGBI II 1975, 301 ff; Übersicht bei Klumb,

Rechtliche Probleme der Ölverschmutzung der See (1974). 198 Dazu vgl. Nawrath, S. 135 ff; auch Geigel I Kunschen, Der Haftpflichtprozeß, S. 619ff. 199 OLG DüsseldorfMDR 1968,669 (670); auch Nawrath, S. 146. 200 So Nawrath, S. 146; vgl. auch BGH NJW 1955, 1836. 2o1 BGHZ 80, 1 (4); BGHZ 57, 257 (259); BGHZ 47, 1 ff.

74

§ 2 Zivilrechtlicher Umweltschutz

tung aus § 22 WHG bei Wasserverschmutzungen durch befördernde Umweltschadstoffe von größerer praktischer Bedeutung. In anderen Fällen könnte die straßenrechtliche Haftung aus § 7 StVG eine Umweltrelevanz nur dann gewinnen, wenn Personen- und Sachschäden beim Betrieb eines Fahrzeugs entstehen, die gleichzeitig eine Umweltbelastung darstellen. Das praktische Interesse dieser Anspruchsgrundlage aus der Sicht des Umweltschutzes beschränkt sich auf die Haftung des Tanklastzughalters bzw. seiner Versicherung, wenn durch Verkehrsunfälle oder andere unter den Begriff des Kraftfahrzeugbetriebs fallende Umstände Umweltschäden herbeigeführt werden. cc) Die luftverkehrsrechtliche Haftung nach§ 33 LuftVG202 Ähnlich wie bei der schienen- und straßenrechtlichen Haftung sieht § 33 Abs. l S. 1 LuftVG eine Ersatzpflicht des Halters eines Luftfahrzeugs vor, wenn bei seinem Betrieb durch Unfall Personen- und Sachschäden entstehen. Neben den möglichen Schadensgefahren durch die Beförderung von Umweltschadstoffen durch Luftfahrzeuge kommen den Umweltgefahren durch das Versprühen von Agrochemikalien bei der Land-, Forst- und Weinbauwirtschaft große praktische Bedeutung zu, insoweit dafür Flugzeuge eingesetzt werden. 203

111. Die präventive Funktion des Zivilrechts in bezog auf Umweltschäden Das Zivilrecht enthält seinem System nach Regelungen zur Abgrenzung und zum Schutze der lndividualrechtsposition, nicht aber zum Schutze der Umwelt allgemein.204 Der Begriff .,zivilrechtlicher Umweltschutz" kann nur insoweit einen Sinn haben, als man darunter die umweltgünstigen Reflexeffekte versteht, welche die Anwendung oder die erfolgversprechende Durchsetzung zivilrechtlicher Normen mit sich bringen. In diesem Sinne wird dem Umweltschutz durch das Zivilrecht stets nur mittelbar gedient. 205 Andererseits urnfaßt das Zivilrecht nicht nur einen nachträglichen Schutz der individuellen Rechtsposition, sondern es gewährt u.U. auch rein vorbeugende Ansprüche, die der Betroffene schon vor dem Schadenseintritt geltend machen kann. 206 Die Durchsetzung von Abwehransprüchen kann sich unmittelbar zugun-

Dazu vgl. Geigel I Schönwerth, Der Haftpflichtprozeß, S. 1119 ff. Vgl. Geigel I Schönwerth, Der Haftpflichtprozeß, S. 1121 Rdn. 23. 204 Vgl. oben§ 2 I 2. 2os So auch Medicus JZ 1986, 778; von Bar, KF 1987 S. 4; Diederichsen BB 1988, 917. 202

203

III. Die präventive Funktion des Zivilrechts

75

sten des Umweltschutzes auswirken, wie z. B. die Abwehr übermässiger Immissionen (vgl. §§ 1004, 906 BGB), die eine Belastung der Luft darstellen. In diesem Falle nützen die zivilrechtliehen Individualansprüche dem Umweltschutz an sich unmittelbar, d. h. gleichzeitig mit der Befriedigung des geltend gemachten Abwehrrechts. Man darf aber die praktische Bedeutung dieser präventiven Funktion des Zivilrechts hinsichtlich der Umweltbelastungen nicht überschätzen: 207 Einerseits stehen die zivilrechtliehen Abwehransprüche grundsätzlich nur den Inhabern absoluter Rechte zur Verfügung, andererseits unterliegen sie zahlreichen Einschränkungen durch das Gesetz (z. B. § 14 BlmSchG) oder durch die Rechtsprechung?08 Ferner kann der Betroffene häufig die bevorstehende konkrete Gefahr einer Rechts(gut-)verletzung durch eine - oder mehrere - Umweltbelastungen nicht erkennen, so daß die (Umwelt-)Gefahr in der Regel nur dann augenfällig wird, wenn (Umwelt-)Schäden bereits eingetreten sind. Nicht zuletzt scheitert ein Abwehranspruch gegen bestimmte Umweltbelastungen daran, daß der Kläger einen Kausalzusammenhang zwischen der konkreten Gefährdung und der konkreten Tatigkeit (bzw. Unterlassung) des Inanspruchgenommenen nachweisen muß.209 In der Praxis erlangt das Zivilrecht bei der Zuordnung und Regulierung eingetretener Schäden eine große Bedeutung. Grundsätzlich hat der Geschädigte einen Anspruch gegen den Schädiger, den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 S. 1 BGB -Naturalrestitution). Eine Wiederherstellung in natura ist aber bei den meisten Umweltschäden nicht möglich, da es sich dabei um Beeinträchtigungen bzw. Zerstörung komplizierter Wechselbeziehungen von Luft, Wasser, Boden und Lebewesen zueinander handelt. 210 Der Schadensersatz in Geld gemäߧ§ 249 S. 2, 250, 251 BGB ist dazu bestimmt, die konkreten Vermögensnachteile der durch (Umwelt-)Schäden Betroffenen auszugleichen, wobei die darüber hinaus weitergehenden Belange des Umweltschutzes nicht - oder nicht genügend - berücksichtigt werden können. Man könnte mit Recht einwenden, daß dem Zivilrecht als Schadensersatzrecht nicht die Aufgabe zufällt, dem konkret-präventiven Umweltschutz zu dienen. Die Bemühungen der Ziviljuristen, den Umweltschutzbelangen bei der Anwendung zivilrechtlicher Normen Rechnung zu tragen, finden ihre Rechtfertigung in erster Linie in dem Gesichtspunkt der Generalprävention des Haftungsrechts. 211 Im Hintergrund steht der Grundgedanke, daß eine drohende erfolgreiche 206

II 2 a.

Wie z. B. der Unterlassungsanspruch des Eigentümers nach§ 1004 I BGB, vgl.oben § 2

Vgl. auch Strecke/ ZVersWiss 1976,55 (57). Wie z. B. bei Immissionen der öffentlichen Hand, Immissionen von "lebenswichtigen" Anlagen etc. Dazu vgl. MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 106 ff. 209 Zu dieser Problematik s. unten §§ 9 und 11. 210 Vgl. SRU-Umweltgutachten 1974, BT-Drucks. 10 I 113 Tz. 346ff, 404f; Diederichsen I Scholz WiVerw 1984, 28 f; Bullinger VersR 1972, 599. 211 Vgl. dazu MünchKomm I Mertens Vor§§ 823 - 853 Rdn. 44; Deutsch, Haftungsrecht, s. 71. 207

208

76

§ 2 Zivilrechtlicher Umweltschutz

Schadensersatzklage den Schädiger - Verursacher von Umweltbelastungen - dazu veranlaßt, leichter die Kosten für Umweltschutzmaßnahmen zu tragen, als die Kosten eines verlorenen Rechtsstreits, 212 der eventuell auch sein Ansehen beeinträchtigen könnte, da Umweltprozesse häufig eine Signalfunktion für die Frage des Umweltschutzes entfalten. Die Vorstellung, das Haftungsrecht habe es im wesentlichen nur mit dem "gerechten Ausgleich" von Schäden zu tun,213 ist zwar nicht unzutreffend, dabei darf aber nicht verkannt werden, daß durch die haftungsrechtlichen Belastungen im Ergebnis eine Verhaltenssteuerung erreicht wird, 214 da sowohl durch die zunehmende Dauer der Anwendung von Haftungsnormen als auch durch die Herausarbeitung ihrer Voraussetzungen Verhaltenspflichten des Haftenden bzw. des Umweltverschmutzers entstehen, 215 die ihn dazu veranlassen, seine ökonomischen Abwägungen vorzunehmen und seine wirtschaftlichen Risiken zu kalkulieren. Die Untersuchung der Durchsetzungsprobleme der Schadensersatzansprüche des durch Umweltbelastungen Geschädigten, als auch der Verhaltenspflichten des Umweltverschmutzers ermöglicht nicht nur Lösungsansätze, die einem gerechteren Ausgleich von Umweltschäden dienen, sondern auch solche, die zu einer Optimierung der ökonomischen Auswirkungen der Haftungsrechts 216 zugunsten des Umweltschutzes beitragen, insoweit durch eine zwar verschärfte, aber nicht überspannte Haftung des Verursachers von Umweltbelastungen umweltgefährliche Tatigkeiten zugunsten weniger gefährlicher Tatigkeiten zurückgedrängt werden können.2 17 Die generalpräventive Wirkung des zivilrechtliehen Haftungsrechts setzt voraus, daß die Schadensersatzansprüche der Geschädigten bei ihrer gerichtlichen Geltendmachung Erfolgsaussichten haben. Man würde keine Umweltschutzmaßnahmen treffen, um eventuelle Schäden Dritter zu vermeiden, wenn man weiß, daß man kaum zur Verantwortung gezogen werden kann. Der Generalprävention von Umweltschäden kann in zweierlei Weise gedient werden: Erstens durch die Festlegung bzw. Herausarbeitung umweltspezifischer Verhaltensnormen bzw. Verkehrspflichten, deren Mißachtung die Schadensersatzpflicht des Verursachers auslöst, 218 So Bullinger VersR 1972, 600; Diederichsen I Scholz WiVerw 1984, 27 f. Diese Vorstellung entspricht einer allzu idealistichen Betrachtung des Haftungsrechts, infolge derer eine weitgehende Erörterung der ökonomischen und verhaltenssteuernden Funktion des Haftungsrechts in der rechtswissenschaftliehen Literatur ausgeklammert wird. Vgl. hierzu Adams ZZP 99 (1986), 129 (135 und insb. Fn. 27 und 28); auch Kötz, Sozialer Wandel im Unfallrecht, S. 28 ff m. w. Nachw. 214 Adams ZZP 99, 129 (135 ff). 215 Adams ZZP 99, 139. 216 Vgl. dazu Adams ZZP 99 (1986), 129ff; Walz in FS für Raiser (1974), S. 185ff; Miehe/man in Assmann u.a. (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Rechts, S. 290 ff; bezüglich des privaten Nachbarrechts Pfeiffer, S. 19ff; 42ff; 156ff; 262ff. 217 In diesem Sinne auch MünchKomm I Mertens Vor §§ 823- 853 Rdn. 44; Hager NJW 1986, 1970; Adams ZZP 99 (1986), 136 ff. 21s So auch von Bar, KF 1987, S. 13; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 458 ff. 212

213

III. Die präventive Funktion des Zivilrechts

77

und zweitens durch die Erleichterung der gerichtlichen Durchsetzung der Schadensersatzansprüche des durch Umweltbelastungen Geschädigten? 19 Von kardinaler Bedeutung erweist sich dabei die Frage der Zuordnung des Schadens an den tatsächlichen Verursacher, da die bestrebte Verhaltenssteuerung wirkungslos bleiben würde, wenn der Umweltschaden niemandem oder nur Personen zugerechnet werden kann, die keine erkennbare Kausalbeziehung zum schädigenden Ereignis haben. Da die Übernahme der ökonomischen Risiken seitens des potentiellen Umweltverschmutzers rational erfolgt, muß auch die Zurechnung der schädlichen Folgen einer umweltgefährlichen Tätigkeit in einer vernünftigen Art und Weise vorgenommen werden, so daß der Betroffene damit im großen und ganzen rechnen konnte. Die Effektivität der generalpräventiven Funktion des Zivilrechts hängt aber nicht nur von den rechtlichen Lösungsansätzen ab, sondern von der Struktur des marktwirtschaftliehen Systems220 und von einer Vielzahl politischer und sozialer Faktoren 221 (Umweltpolitik, Umweltbewußtsein, Machtstrukturen der Umweltbelastenden und der dadurch Geschädigten etc.), die äußerst schwer berechenbar sind. Im Rahmen dieser Arbeit beschränken wir uns auf die zivilrechtliehen (bzw. haftungsrechtlichen) Aspekte des Umweltschadensproblems. Dabei ist davon auszugehen, daß die zivilrechtliehen Lösungsansätze nicht nur der zivilrechtsdogmatischen Disziplin entsprechen sollen, sondern auch in ihrer ökonomischen Funktion Umweltschutzrelevanz und Praktikabilität versprechen.

219 Dazu s. unten § 10 III (hinsichtlich des Beweises der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens) und § II hinsichtlich der Kausalität. 22o Vgl. Bonus, Der Schutz des Schwächeren in der Umweltökonomie, RabelsZ 40, 409 ff; Ogus I Richardson RabelsZ 40, 449 ff; Similis VersR 1972, 1094. 221 Dazu s. Gessner, Soziale Voraussetzungen des Selbstschutzes gegen Umweltschäden, RabelsZ 40, 430 ff.

§ 3 Systematisierung der zivilrechtliehen und

faktischen Probleme bei Umweltschäden I. Die zivilrechtliehen Anspruchsgrundlagen und die Umweltbelastungen

Die Natur bzw. die Umweltmedien Luft, Wasser und Boden können an sich keiner individuellen Rechtsposition zugeordnet werden und deshalb wird ihre Beeinträchtigung von den zivilrechtliehen Anspruchsgrundlagen nicht umfaßt. Der einzelne hat gegen die Umweltverschmutzer keine zivilrechtliehen Ansprüche, wenn er in seinem Rechtskreis nicht betroffen bzw. verletzt ist. 1 In aller Regel kann der einzelne auch bei Umweltbelastungen zivilrechtlich nicht vorgehen, die als Beeinträchtigungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens empfunden werden, da eine Gesundheitsverletzung meistens nicht vorliegt. 2 Der Eigentümer eines Grundstücks kann etwa beim Anblick des benachbarten Schrottplatzes 3 beschänkt zivilrechtlich geschützt werden. Die Umweltverschmutzung führt häufig zu einer faktischen Behinderung des "Naturgenusses", der bislang problemlos allen möglich war. Die Freiheit des einzelnen bliebe nur auf dem Papier, wenn er rechtlich ungehindert nur die sterbenden Wälder, die giftigen Gewässer und die verschmutzte Luft "benutzen" darf. Sowohl die Fälle der umweltbezogenen Störungen des Wohlbefindens als auch der faktische Entzug der positiven "Nutzungen" des einzelnen aus einer sauberen Umwelt bleiben meistens zivilrechtlich nicht geschützt. 4 Damit erweist sich das Zivilrecht bei alltäglichen Beeinträchtigungen der Umweltmedien als untauglich. Wenn durch Umweltbelastungen die individuelle Rechtsposition des einzelnen beeinträchtigt wird, kommt meistens nur eine Ersatzpflicht des Verursachers in Betracht, da die Abwehransprüche praktisch selten Anwendung finden können. 5 Der Vgl. oben§ 212 c. Zur Diskussion über die materiellrechtliche Erweiterung des Gesundheitsbegriffs s. unten§ 4ll. 3 Vgl. BGHZ 54, 56 ff (Abstellen von Gebraucht- und Schrottfahrzeugen auf einem einem Hotel benachbarten Grundstück); BGHZ 51, 396 = NJW 1969, 1208 =JZ 1969, 431 (Lagerplatz für Baumaterialien in einer Wohngegend). 4 Ein Recht auf "Naturgenuß" oder auf "saubere Umwelt" kennt das Zivilrecht de lege lata nicht. Vgl. auch Diederichsen, Referat L 72; Medicus JZ 1986, 779f; a.A. Köndgen UPR 1983, 345 (349f); Bosselmann KJ 1986, I ff (Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt). s Vgl. oben § 2 ll I c und § 2 ll 2 a. I

2

II. Der Nachweis des Kausalzusammenhangs

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Verursacher von schädlichen Umweltbelastungen hat dann die Pflicht, die geschädigte Sache oder Vermögensnachteile in natura bzw. in Geld zu ersetzen. Maßstab der Ersatzpflicht des Umweltverschmutzers bleibt die individuelle Rechtsposition, nicht die Belastung der Umwelt. 6 Die ökologischen Aspekte der schädlichen Umweltbelastungen treten damit in den Hintergrund. Daher stellt sich die Frage, ob eine Erweiterung der zivilrechtliehen Haftung hinsichtlich der Umweltbelastungen möglich wäre, so daß der zivilrechtliche Schutz gegen Umweltbeeinträchtigungen verstärkt wird und bei den zivilrechtliehen Lösungsansätzen mehr Rücksicht auf die ökologischen Belange genommen werden kann.

II. Der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Umweltbelastungen und eingetretenen Schäden Das Hauptproblem des durch Umweltbelastungen Beeinträchtigten, seine (materiellen) zivilrechtliehen Ansprüche gerichtlich durchsetzen zu können, liegt in der Anforderung des Nachweises eines Kausalzusammenhangs zwischen der konkreten Umwelteinwirkung des Inanspruchgenommenen und dem konkret geltend gemachten Schaden. 7 Unabhängig davon, auf welche zivilrechtliche Norm der Antragsteller (Kläger) seinen Anspruch stützt,8 hat er darzulegen und nachzuweisen, daß (a) er einen Schaden erlitten hat, (b) dieser Schaden auf bestimmte Umweltschadstoffe zurückzuführen ist, (c) der Inanspruchgenommene solche Umweltschadstoffe herbeigeführt hat und (d) die Umweltschadstoffe des Beklagten tatsächlich den aufgetretenen Schaden verursacht haben können. Dabei befindet sich der Geschädigte meist in erheblichen Beweisschwierigkeiten: (1) Die Kausalzusammenhänge zwischen Umweltbelastung und Umweltschaden

sind oft auch aus naturwissenschaftlicher Sicht unaufklärbar oder ungenügend erforscht.

(2) Verschiedene an sich unschädliche (oder auch abstrakt schädliche) Umweltschadstoffe verursachen Schäden erst nach ihrem Zusammenwirken. 9

6 Das gleiche gilt auch bei der Anwendung von zivilrechtliehen Abwehransprüchen, da dabei ebenfalls auf die Rechts(gut)beeinträchtigung bzw. konkrete Gefährdung eines absoluten Rechts des Betroffenen (Klägers) abgestellt wird. 7 So auch Diederichsen, Referat, L 79. s Z.B. § 823 I, § 823 II oder § 906 II 2 BGB; § 22 WHG; § 14 S. 2 BlmSchG; § 33 LuftVG etc.; vgl. auch Marburger, Gutachten, S. C 123. 9 Vgl. oben § I II 4, S. 12; vgl. auch SRU- Sondergutachten, BT-Drucks. 10 I 113, Tz. 70 ff (73, 74), Tz. 109 ff und 309 ff.

80

§ 3 Systematisierung der Probleme

(3) Ähnliche Schadstoffe aus verschiedenen Quellen können erst nach ihrer Ku-

mulation schädlich wirken. Dabei spielt die vorhandene regionale oder überregionale Vorbelastung der Umwelt durch diese Schadstoffe eine wichtige Rolle für die konkrete Schadensverursachung. 10

(4) Naturerscheinungen, wie die Windrichtung, die Sonneneinstrahlung etc. kön-

nen u.U. die schädlichen Auswirkungen von Umweltschadstoffen begünstigen 11 oder beschränken. Sie sind also oft ein wichtiger Kausalfaktor.

(5) Häufig liegt zwischen Umwelteinwirkung und Eintritt des Schadens eine ziemlich lange Zeitspanne, die die Ennittlung der Ursächlichkeit erheblich erschwert.12 (6) Der Regeltypus des Umweltschadens ist dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Verursacher in Betracht kommen, deren einzelne Beiträge zur Schadensverursachung unaufklärbar sind, insbesondere wenn der Scha den die Folge von planmäßigen Umweltbelastungen durch den Regelbetrieb von Anlagen 13 über einen längeren Zeitraum ist. (7) Nicht zuletzt ist der exakte Kausalitätsnachweis deswegen zumeist äußerst kompliziert, weil sich die Umweltschadstoffe weit entfernt von ihrer Quelle schädlich auswirken können. 14 Das ist bei Luftverschmutzungen (Immissionen) der RegelfalL 15 Der Schwierigkeitsgrad des Kausalitätsnachweises variiert je nach Umweltschadenstypus und Besonderheiten des Einzelfalles. Man kann allgemein davon ausgehen, daß die Aufklärung der Kausalverläufe bei Schäden durch Luftverschmutzungen erheblich schwieriger ist, als bei Schäden durch Wasserverunreinigung oder Bodenkontaminierung. 16 Abgesehen von der Meeresverschmutzung bleiben die Umweltmedien Wasser und Boden relativ überschaubar, so daß durch entsprechende Messungen und mehr oder weniger zuverlässige Überwachungssysteme sowohl der einwirkende Umweltschadstoff als auch die möglichen Verursacher leichter identifiziert werden können. Die Nachvollziehbarkeit der emissionsbedingten ehe10 II

12

s. 6.

Vgl. oben§ lii 2 b, S. 11. Vgl. SRU-Sondergutachten, BT-Drucks. 10 I 113, Tz. 70 und 325. Vgl. oben § 1 II 1 a; Hager NJW 1986, 1961; Adams ZZP 99, 132; von Bar, KF 1987,

13 Vgl. oben§ I II 2 a, S. 10; vgl. zum Verhältnis Dosis-Zeit-Wirkung: Feldhaus I Schmitt WiVerw 1984, I ff. 14 Vgl. oben § I II 5, S. 13; SRU-Sondergutachten, BT-Drucks. 10 I 113, S. 48 I 49 und 141; von Usslar NuR 1983, 290; Diederichsen, Referat, S. L 81; zum Reaktorunfall in Tschernobyl und die Folgen: Brunner I Schmidt VersR 1986, 833 ff (837 f); Rest VersR 1986, 609 (619) und 933 ff (936). 15 Vgl. SRU-Sondergutachten, BT-Drucks. 101113, S. 80. 16 Vgl. Diederichsen I Scholz, WiVerw 1984, 44: zu den unterschiedlichen Kausalitätsproblemen bei Luft- und Wasserverunreinigung im Strafrecht vgl. Möhrenschlager, WiVerw 1984, 47 (57 ff).

li. Der Nachweis des Kausalzusammenhangs

81

mischen Reaktionen in der Luft bringt deshalb fast unüberwindbare Schwierigkeiten mit sich, weil eine Vielzahl von verschiedenen Immissionen, ausgelöst in verschiedenen Mengen aus einer Vielzahl von Quellen, in einem recht weiten Raum schädlich einwirken, wobei die ständig veränderten natürlichen Bedingungen eine wichtige Rolle spielen. Bei Schäden durch Luftverschmutzung hat der Geschädigte meistens gleichzeitig mit allen erwähnten Beweisschwierigkeiten zu kämpfen. Ausgenommen von immissionsbedingten Schäden in einem überschaubaren Nachbarbereich, die mehr oder weniger auf bestimmte, erkennbare Umweltschadstoffe zurückgeführt werden können, vermag der emittentenferne Geschädigte (häufig ein Laie) den exakten naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweis praktisch nicht zu erbringen. 17 Vor allem bei umweltbedingten Gesundheitsschäden wird ein Vollbeweis der Kausalität nach § 286 ZPO kaum zu führen sein, da das Verhalten des Geschädigten selbst häufig eine Bedingung für die schädigende Wirkung der in Betracht kommenden Umweltbelastung erst setzt, 18 wie etwa langjährige falsche Ernährung, übermäßiger Alkohol- und Zigarettengenuß etc. Vor allem die Gesundheits-, Spät- und Langzeitschäden sind multikausale Phänomene, bei denen das "zufällige" Zusammentreffen mehrerer Kausalfaktoren von Fall zu Fall recht unterschiedlich sein kann. Auch wenn die statistischen Daten pauschal eine höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit aufweisen, kann der Geschädigte kaum beweisen, daß gerade in seinem Fall die Erkrankung nur auf den Umwelteinwirkungen des Inanspruchgenommenen beruht; ebensowenig könnte der "Umweltverschmutzer" einen Entlastungsnachweis führen. Eine faktische Vereitelung jeglicher Beweismöglichkeit des durch Umweltbelastungen Geschädigten hinsichtlich der Kausalität 19 würde eine Ersatzmöglichkeit des Geschädigten scheitern lassen und somit jegliche Präventivfunktion des Zivilrechts bezüglich der Umweltbelastungen. Denkt man an die Diskrepanz zwischen der Gesamthöhe der Umweltschäden und der geringen Möglichkeiten des - individuell - Geschädigten, Ersatz von den Verursachern zu erhalten, dürfte es aus Gerechtigkeitsüberlegungen für das Zivilrecht nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten sein, nach systemkonformen Lösungsansätzen20 zu suchen, die das mehrdimensionale Kausalitätsproblem bei Umweltschäden dahin bewältigen, die Ersatzmöglichkeiten des Geschädigten zu verbessern. Die Hauptfrage hinsichtlich des Kausalitätsnachweises bei Umweltschäden stellt sich daher wie folgt: Muß der Geschädigte in allen Fällen die naturwissenschaftlich exakten Kausalzusammenhänge zwischen der vom Schädiger verursach-

Vgl. Diederichsen, Referat, S. L 81; Marburger I Hernnann JuS 1986, 354, 358. Vgl. Adams ZZP 99, 146 u. 151. 19 Vgl. Feldhaus I Schmitt, WiVerw 1984, 21. zo So zu Recht Diederichsen, Referat, S. L 70: Der privatrechtliche Umweltschutz darf nicht zur Sprengung des Privatrechts führen. 17

18

6 Lytras

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§ 3 Systematisierung der Probleme

ten Umweltbelastung und dem ihm entstandenen Schaden nachweisen? Lassen sich die Kausalitätsprobleme unter bestimmten Umweltschadenstypen systematisieren und evtl. differenziert lösen?

111. Die Rechtswidrigkeits- und Verschuldeosproblematik bei Umweltschäden Gelingt es dem durch Umweltbelastungen Geschädigten einen Kausalzusammenhang zwischen der konkret-verursachten Umweltbelastung und dem eingetretenen Schaden nachzuweisen, so wird dem Verursacher dieser Umweltbelastung der Schadenserfolg nicht automatisch zugerechnet. Die Kausalität ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung privater Haftung. 21 Stützt der Geschädigte seine Ansprüche auf § 823 BGB, dann haftet der Inanspruchgenommene nur, wenn er auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Verlangt aber der beeinträchtigte Nachbar einen Ausgleich in Geld nach § 906 II 2 BGB, dann haftet der Emittent unabhängig von seinem Verschulden, wenn seine Immissionen das von § 906 II 1 zulässige Maß überschreiten. Der Inhaber einer wassergefahrdenden Anlage haftet jedoch für jeden Vermögensschaden, der einem Dritten dadurch entstanden ist, daß aus seiner Anlage wasserverändernde Stoffe in das Gewässer gelangt sind. Auf die Rechtswidrigkeit oder das Verschulden wird hierbei nicht abgestellt. Man muß daher die Rechtswidrigkeits- und Verschuldensprobleme bei Umweltschäden differenziert nach Anspruchsgrundlagen betrachten. (a) Bei allen Gefährdungshaftungstatbeständen wird unabhängig vom Verschulden für ein rechtsmäßiges Handeln gehaftet. Die Schadenszurechnung erfolgt nicht als Zurechnung einer sich schädlich auswirkenden Handlung, sondern als Verwirklichung einer typischen Gefahr, die zum Verantwortungsbereich des Ersatzpflichtigen gehört. 22 Im Grundsatz ist verantwortlich deijenige, der die Gefahrenquelle beherrscht und nicht nur vorübergehend den Nutzen daraus zieht. 23 Lareni 4 führt mit Recht aus, die Gefährdungshaftung sei keine reine Kausalhaftung. Erforderlich sei vielmehr, daß der Schaden im Zusammenhang mit der spezifischen Sach- oder Betriebsgefahr stehe, die von dem Haftpflichtigen aufgrund der vom Gesetz vorgenommenen Risikozurechnung zu verantworten sei. Bei allen Gefährdungshaftungstatbeständen tritt daher die Haftung dann ein, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen Gefahrenquelle und Schaden besteht, der auch als Verwirklichung ihrer spezifischen Gefährdung angesehen werden kann. Kann der durch Umweltbelastungen Geschädigte seine Ansprüche auf eine Gefährdungshaftungsnorm stützen, wie 21 22

23 24

Gottwald, Kausalität und Zurechnung, KF 1986, S. 3. Vgl. Larenz, Schuldrecht II, § 77 I S. 698- 699. Larenz, Schuldrecht II, § 77 I S. 699. Larenz, Schuldrecht II, § 77 I S. 701.

III. Die Rechtswidrigkeits- und Verschuldensproblematik

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z. B. § 22 WHG, § 33 LuftVG, §§ I Abs. I oder 2 HPflG oder § 25 AtomG oder auch§§ I, 2 UmweltHG, so hat er noch die Kausalitätsschwierigkeiten zu bewältigen; Rechtswidrigkeit und Verschulden des schadensauslösenden Handeins oder Unterlassens bleiben ohne Bedeutung. (b) Begehrt der Geschädigte einen Ausgleich in Geld nach § 906 II 2 BGB, oder setzt er sich mit dem Anspruch des § I 004 I I BGB gegen die Einwirkungen aus dem Nachbargrundstück zur Wehr, dann erlangen die Maßstäbe des § 906 II I eine zentrale Bedeutung. Beeinträchtigen die Immissionen des Nachbarn die Nutzung des Grundstücks des Betroffenen nur unwesentlich, so hat er sie zu dulden. Handelt es sich um wesentliche Beeinträchtigungen, die durch eine ortsübliche Nutzung des störenden Grundstücks herbeigeführt und durch keine wirtschaftlich zurnutbare Maßnahmen verhindert werden können, muß der Beeinträchtigte sie dulden und nur wenn die Nutzung seines Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, kann er einen Ausgleich in Geld verlangen. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch wird für an sich rechtmäßige Immissionsbeeinträchtigungen gewährt. Wenn die Beeinträchtigungen aus dem Nachbargrundstück nach § 906 II 1 unzulässig, d. h. rechtswidrig ist, kommt der Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB zum Zuge. Dem entspricht die Regelung des § I4 BlmSchG. Zwar setzen die nachbarrechtlichen Abwehransprüche gegen Immissionen kein Verschulden des Verursachers voraus, 25 die Beurteilung der Zulässigkeil der Beeinträchtigungen nach § 906 II I BGB ist aber nicht ohne Rechtsprobleme. Da die wichtigsten nachbarrechtlichen Beeinträchtigungen aus der Sicht des Umweltschutzes die Industrieimmissionen sind, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der öffentlichen Normen zum Nachbarrecht des BGB:26 (I) Welche Bedeutung haben die öffentlichrechtlichen Grenzwerte, insb. der TA-

Luft, TA- Lärrn27 für die Beurteilung der Wesentlichkeil einer Immission?

(2) Welche Bedeutung kommt dem Bebauungsplan, der Baugenehmigung oder der Anlagegenehmigung nach dem BlmSchG für die Beurteilung der Ortsüblichkeil einer Beeinträchtigung zu? (3) Wann sind Maßnahmen zur Verhinderung von Beeinträchtigungen wirtschaftlich zumutbar?

Vgl. statt vieler MünchKomm/ Säcker, § 906 Rdn. 119. Dazu s. unten § I 0 II 3. 27 Vgl. Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft- TA-Luft) vom 27. Februar 1986, GMBI S. 95, 202 und Allgemeine Verwaltungsvorschrift über genehmigungsbedürftige Anlagen nach§ 16 der Gewerbeordnung - Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) vom 16. Juli 1968, Beilage zum BAnz, Nr. 137 vom 26. 7. 1968 [übergeleitet nach § 66 Abs. 2 BlmSchG]. 25

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§ 3 Systematisierung der Probleme

(4) Wann ist die Beeinträchtigung der Nutzung des gestörten Grundstücks unzumutbar? Für die Voraussetzungen der Duldungspflicht des Klägers nach § 906 I, II 1 BGB trägt der Beklagte, also der Emittent die Beweislast. 28 Insofern ist die Position des Klägers erleichtert. Er ist aber mit dem Nachweis der Kausalität belastet, wie auch mit dem Nachweis dafür, daß er in der Benutzung seines Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt wurde?9 Bei unzulässigen Immissionen muß er weiterhin geltend machen können, daß er tatsächlich verhindert war, die an sich gegebenen Beseitigungs- bzw. Unterlassungsansprüche zu erheben. 30 (c) Der Deliktshaftung des BGB (§ 823 ff) kommt auch dann eine erhebliche Bedeutung zu, wenn eine Gefährdungshaftung oder eine Ausgleichshaftung besteht. Hat der in Anspruch genommene "Umweltverschmutzer" auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, dann schuldet er dem Geschädigten vollen Ersatz - ohne Begrenzung durch Höchstsummen 31 - ggf. auch "Schmerzensgeld" nach § 847 BGB. Grundsätzlich hat der Geschädigte dabei nicht nur die Kausalität, sondern auch die Rechtswidrigkeit und das Verschulden des Beklagten zu beweisen.32 Ein deliktischer Anspruch des durch Umweltbelastungen Geschädigten würde - wenn nicht an dem Nachweis der Kausalität- meistens daran scheitern, daß er kaum imstande ist nachzuweisen, daß der Inanspruchgenommene durch sein Verhalten schuldhaft gegen eine der zahlreichen umweltrelevanten Normen verstoßen hat. Fast bei allen Schäden durch Umweltbelastungen dürfte es dagegen nicht besonders schwer sein, den rechtswidrigen Erfolg der Handlung bzw. Unterlassung des Inanspruchgenommenen darzulegen, da meistens eines der Rechtsgüter des § 823 I BGB verletzt sein wird. Probleme entstehen durch den evtl. Einwand des Schädigers, er habe nichts Rechtswidriges "getan", da etwa seine umweltbelastende Anlage behördlich genehmigt ist und er alle rechtlichen Vorschriften, die den Betrieb seiner Anlage betreffen, beachtet hat. 33 Hinsichtlich der Rechtswidrigkeit von Umweltbelastungen bestehen keine Schwierigkeiten, wenn sie die zulässigen Maßstäbe überschreiten. Bei solchen rechtswidrigen Einwirkungen auf Luft, Wasser oder Boden ist auch das Verschul28 So die ganz h.M. Vgl. MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 123; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast § 906 Rdn. 2 m. w. Nachw. ; Schwab, Sachenrecht, § 25 II 2; Hager NJW 1986, 1964. 29 V gl. BGHZ 66, 70 (75); Baumgärtel, aaO. Rdn. 9. 30 BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 m. w. Nachw. ; BGH NJW 1983, 872 (874) ; BGH NJW 1979, 164; BGH NJW 1967, 1857 (1858). 31 Wie es üblicherweise bei Gefährdungshaftungstatbeständen der Fall ist. Vgl. z. B. §§ 9, 10 HPflG, § 12 StVG, § 37 LuftVG, § 31 Abs. I AtomG, § 88 AMG; unbegrenzt ist dagegen die Haftung aus§ 22 WHG. 32 Vgl. dazu Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, § 821 Rdn. I, 4 ff. 33 Damit wird die Unzulänglichkeit der Lehre vom Erfolgsunrecht bei Umweltschäden angedeutet. Dazu vgl. Gottwald, KF 1986, S. 8 und unten§ 10 I I.

III. Die Rechtswidrigkeits- und Verschuldensproblematik

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den des Inanspruchgenommenen indiziert, 34 so daß die Darlegung und der Beweis von Entschuldigungsgründen ihm und nicht dem Geschädigten auferlegt sind. Ist der Schaden trotz Einhaltung aller einschlägigen Normen entstanden, dann könnte dem Inanspruchgenommenen der Vorwurf, eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung begangen zu haben, nur dann gemacht werden, wenn er eine Verkehrspflicht35 verletzt hat. In diesem Fall stellt sich die Frage nach den konkreten und konkretisierbaren umweltspezifischen Verkehrspflichten als auch nach dem Einfluß des öffentlichen Rechts auf ihre Gestaltung. Da die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die schädlichen Folgen und Gefahren durch bestimmte Umweltbelastungen ständig an Umfang und Tiefe gewinnen, ist von großer praktischer Bedeutung die Frage nach dem jeweils bestehenden "Stand der Technik" und nach der Vorhersehbarkeit der konkreten Umweltgefahren. 36 Die Verletzung einer Verkehrspflicht setzt ein Verschulden des Haftenden voraus?7 Hat aber der Inanspruchgenommene eine Verkehrspflicht objektiv nicht eingehalten, so bezieht sich die Verschuldensprüfung nur auf die innere Sorgfalt, d. h. auf das Erkennen und die Zumutbarkeit der Erfüllung der Verpflichtung. 38 Der Inanspruchgenommene muß daher dartun, daß er aus besonderen Gründen der Verkehrspflicht nicht nachzukommen brauchte oder nicht nachkommen konnte. 39 Die objektive Verkehrspflichtverletzung begründet den Anschein des Verschuldens. 40 Liegt der Schaden im Schutzbereich der verletzten Verkehrspflicht, dann spricht zumindest der erste Anschein dafür, daß der eingetretene Schaden auf die Verkehrspflichtverletzung zurückzuführen ist. 41 Bei Schäden durch Luftverschmutzungen bzw. Immissionen spielt § 906 I, li 2 BGB eine entscheidende Rolle für die Beurteilung ihrer Rechtswidrigkeit im Deliktsrecht. Insoweit der beeinträchtigte Grundstückseigentümer die Einwirkungen, die von einem anderen Grundstück ausgehen, zu dulden hat, bleiben sie zugleich rechtmäßig im Sinne des Deliktsrechts42 und zwar nicht nur in bezugauf ihn, son-

Vgl. Gottwald, KF 1986, S. 8-9. Zu den Verkehrssicherungspflichten vgl. statt vieler MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 182 ff; auch von Bar, Verkehrspflichten, passim; zu umweltspezifischen Verkehrspflichten vgl. von Bar, KF 1987, S. 12 ff. Dazu vgl. auch unten § 6. 36 Dazu s. unten § 6 II 3. 37 Vgl. Larenz, Schuldrecht II, § 72 I, S. 618; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 132 Rdn. 257. 38 Vgl. Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 132. 39 BGH VersR 1986,766. 40 BGH VersR 1986, 766. 4 1 Vgl. etwa BGHZ 17, 191 (198) betr. gebotene Bekanntmachung der Chlorung von Leitungswasser oder BGH LM § 823 Nr. II (Unterlassung einer gebotenen Streuung). 42 So die h.M., vgl. BGHZ 92, 143 = VersR 1984, I 072 = NJW 1985, 47 = JZ 1984, 1106 = BB 1984, 1970 = MDR 1985, 39 = UPR 1985, 21 (Kupolofen- Urteil). Gleichfalls früher schon: BGHZ 72, 132; BGHZ 85, 375 (381); BGHZ 90, 225. Dazu vgl. auch unten§ 10 IV. 34

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§ 3 Systematisierung der Probleme

dem auch bezüglich anderer Eigentümer beweglicher Sachen,43 obwohl § 906 I, II 2 BGB an sich nur auf die Grundstückseigentümer abstellt. 44 Wenn der Geschädigte nachweist, daß die Immissionen wesentlich waren - dies dürfte meistens der Fall sein, wenn dadurch Schäden entstanden sind -, dann wird der Emittent nur befreit, wenn er nachweist, daß seine Immission ortsüblich und nicht verbinderbar war (vgl. § 906 II I BGB).45 Ist der geltend gemachte Schaden durch bestimmte Umweltbelastungen verursacht worden, deren Herbeiführung gegen ein Schutzgesetz i.S. von § 823 II BGB verstößt, so haftet ihr Verursacher für jeden Vennögensnachteil, der dadurch einem Dritten entstanden ist und in den Schutzbereich der Nonn fällt. Hier scheint nicht die Frage nach den Rechtswidrigkeilsvoraussetzungen schwierig zu sein, sondern vielmehr die Frage der Qualifikation der zahlreichen umweltspezifischen Normen als Schutzgesetze i.S. von § 823 II BGB. Dabei ist es umstritten, ob allgemeine Ziel- oder Schutznonnen des öffentlichen Umweltrechts (wie z. B. § 75 BimSchG) als Schutzgesetze i.S. von § 823 II BGB angesehen werden sollen, wenn sie genügend konkretisiert worden sind.46 Wie bei der Verkehrspflichtverletzung begründet die objektive Schutzgesetzverletzung einen Anschein des Verschuldens des "Schädigers", wie auch der Kausalität. 47

IV. Prozeßrisiken bei Umweltschäden Nicht jeder Schadensfall kommt vor Gericht. Auch wenn dem Geschädigten keine andere Ersatzmöglichkeit übrig bleibt als der Rechtsweg, hat er mehrere Faktoren zu berücksichtigen, bevor er eine Zivilklage erhebt. Dies sind vor allem: a) eine Einschätzung der Gewinnchancen angesichts der konkreten Umstände der Schadensverursachung, wobei die dargestellten Schwierigkeiten des Kausalitäts-, Rechtswidrigkeits- und Verschuldensnachweises ausschlaggebende Wirkung auf den Prozeßausgang haben können; b) das Verhältnis zwischen Gewinnchancen-

So nach dem Kupolofen-Urteil BGHZ 92, 143. So der Wortlaut des § 906. Zur Immobiliarbezogenheit des § 906 BGB s. unten § 7 II. 45 Der BGH hat im Kupolofen-Urteil die Beweisregel des § 906 BGB auf die Beweisverteilung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit von Immissionen im Deliktsrecht übertragen. Vgl. dazu Gmehling, S. 129ffm. w. Nachw. und unten§ 10 III 2 a. 46 Vgl. dazu MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 153 f; Medicus JZ 1986, 783; Feldhaus, Kommentar zum BlmSchG § 4 Anm. 27; von Bar, Verkehrspflichten, S. 165; Diederichsen, FS für R. Schmidt, S. 10f; ders. BB 1973, 489; ders. BB 1986, 1723 (1727); Marburger, Regeln der Technik, S. 481; Köndgen UPR 1983, 351; Gmehling, S. 199ff m. w. Nachw. Dazu s. unten§ 5. 47 Vgl. dazu von Bar, Verkehrspflichten, S. 288 ff; BaumgärteI, Handbuch der Beweislast, § 823 II Rdn. 85 ff. 43

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IV. Prozeßrisiken bei Umweltschäden

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Prozeßkosten und der Höhe des erlittenen Schadens und c) die Vollstreckungsrisiken, d. h. die Leistungsfähigkeit des Schädigers, nachdem ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist. Bei Umweltschäden wirkt häufig eine rationale Abwägung eines Schadensersatzprozesses für den Individualkläger besonders abschreckend, da er i.d.R. sowohl ein hohes Prozeßrisiko eingehen, als auch einen erheblichen Zeitaufwand verbunden mit entsprechender psychischer Belastung während der Prozeßführung in Kauf nehmen muß.

l. Prozeßkostenrisiko

Bei geringem Streitwert können allein die Verfahrens- und Anwaltskosten den Streitwert überschreiten. 48 Die Kostenbelastung des Klägers bei Umweltschäden wird häufig durch die Beweisaufnahme erheblich erhöht: allein der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der konkreten Umweltbelastung und dem eingetretenen Schaden erfordert i.d.R. zahlreiche Messungen, wissenschaftliche Analysen oder die Einholung von Gutachten,49 deren Kosten - wenigstens vorübergehend- der Kläger zu tragen hat. 50 Auch wenn die Erfolgsaussichten des Klägers ziemlich hoch einzuschätzen sind, muß er praktisch den Prozeß aus der eigenen Tasche vorfinanzieren und zwar oft mit beträchtlichen Geldsummen. 51 Denkt man an einen Schadensfall durch Industrieimrnissionen, so steht meistens der Geschädigte mit seinem beschränkten Vermögen einem finanzkräftigen Unternehmen gegenüber, das in aller Regel ohne eine besondere Belastung den Zivilprozeß auf dem langen Weg durch die Instanzen bestehen kann. Eine Niederlage des Klägers erst in der dritten Instanz ist aber für ihn finanziell untragbar. 5 2 Der durch Umwelt48 Bei einem Streitwert von 10 000 DM entstehen nach der dritten Instanz I 3 283 DM Pro zeßkosten, beim Streitwert von I 00 000 DM betragen die Gesamtprozeßkosten 45 384,80 DM, jeweils ohne die Kosten einer Beweisaufnahme. Zur Problematik des Prozeßkostenrisikos im Zivilprozeß vgl. Müller JR 1987, 1 ff. 49 Vgl. den von Gmehling, S. 183 zitierten Immissionsschadensfall beim LG Regensburg, wobei die Einholung von zwei Sachverständigengutachten Kosten in Höhe von 5 172 DM bei einem Streitwert von 15 958,04 DM verursacht hat. 50 Nach § 91 ZPO trägt die unterlegene Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits, selbst wenn sie erst in der letzten Instanz unterlegen ist. In aller Regel ist aber der Antragsteller (bzw. Kläger) zur Vorauszahlung von Gebühren (vgl. §§ 61, 65 GKG) gleich mit der Stellung des Antrags belastet. Das gleiche gilt grundsätzlich für die Kosten einer Beweis aufnahme, mit der der Kläger belastet ist (vgl. § 402 i.V.m. § 379 ZPO), wie z. B. der Nachweis der Kausalität zwischen Umweltbelastung und Schaden. 51 Auch wenn der Kläger in erster Instanz obsiegt, bleibt ihm nicht erspart, daß er schon in der Prozeßführung einen nicht unbedeutsamen Teil seines Vermögens "angelegt" hat, um seinen Vermögensverlust durch den Umweltschaden ersetzt zu bekommen. 52 Zu den unterschiedlichen Machtstrukturen bei Schädigern und Geschädigten bei Immissionsschäden s. Gmehling, S. 182 ff. Zu den sozialen Voraussetzungen des Selbstschutzes gegen Umweltbelastungen vgl. Gessner RabelsZ 1976, 430 ff.

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§ 3 Systematisierung der Probleme

belastungen Geschädigte kann unter den Voraussetzungen des Prozeßkostenhilfegesetzes53 eine gewisse finanzielle Entlastung zur Durchführung des Schadensersatzprozesses erlangen, es ist aber zweifelhaft, ob diese Möglichkeit den Geschädigten bei seiner Risikoabwägung tatsächlich ermutigen kann, da selbst die Partei, die Prozeßkostenhilfe erlangt, im Falle eines Unterliegens die Kosten des gegnerischen Anwalts sofort in voller Höhe aufbringen muß(§ 123 ZP0). 54

2. Bagatellschäden durch Umweltverschmutzung Häufig wird bei Umweltschäden eine Vielzahl von Personen geschädigt, wobei der Gesamtschaden eine beträchtliche Höhe erreicht, der Schaden des einzelnen aber sehr gering ist. Daher wird der einzelne von einer prozessualen Geltendmachung seines Schadens Abstand nehmen. Müssen z. B. PKW-Besitzer ihre Autos infolge starker Staubbelastung häufiger waschen, wird kaum einer der Betroffenen wegen der dadurch entstandenen Mehrkosten prozessieren; dies umso weniger, als aufgrund der tatsächlichen Lage das Prozeßrisiko wegen der vorhandenen Beweisschwierigkeiten unannehmbar erscheint. In ähnlicher Situation befinden sich z. B. Besitzer von Häusern, deren Fassaden infolge der Luftverschmutzung häufiger als sonst gestrichen werden müssen. Sie werden kaum das Risiko auf sich nehmen wegen der entstandenen Mehrkosten einen Prozeß anzustrengen, obwohl hier der entstandene Schaden beachtlich ist.

3. Großschäden (Umweltkatastrophen) und die Leistungsflihigkeit des Schädigers Der durch Umweltbelastungen Geschädigte kann seine Ansprüche letztlich nur realisieren, wenn der Schädiger solvent ist. Sicherlich trägt jeder Kläger das Risiko, bei der Vollstreckung seiner Ansprüche nur teilweise befriedigt zu werden oder völlig unbefriedigt zu bleiben, weil der Beklagte (Vollstreckungsschuldner) inzwischen insolvent geworden ist. Bei größeren Umweltschäden spielen die Vollstrekkungsaussichten aber schon vor der Klageerhebung eine Rolle, insbesondere wenn der Inanspruchgenommene nicht besonders finanzkräftig ist, 55 da sich jeder verBGBI I, S. 677 (§§ 114 - 127 ZPO). Dazu s. Müller JR 1987, 4 f. 55 Denkt man an die Schäden durch das Atomunglück in Tschernobyl oder durch den Brand bei der Fa. Sandoz, dann vergegenwärtigt man sich die Umfangshöhe der Entschädigungsansprüche, die bei solchen Umweltkatastrophen entstehen. Sicher hängt die Größe des Umweltschadens nicht mit der Größe und Leistungsfähigkeit des Verursachers zusammen. In vielen Fällen von schweren Umweltschäden dürfte die Leistungsfähigkeit des Verursachers nur einen Bruchteil des Gesamtschadens erfassen. 53

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V. Außergerichtliche Kompensation von Umweltschäden

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nünftige Geschädigte die Prozeßkosten sparen würde, wenn die Vollstreckung eines gerichtlichen Urteils aussichtslos erscheint. Die Anspruchssicherung bei großen Umweltschäden könnte durch Versicherung der betriebsbezogenen Umweltgefahren erfolgen. § 19 UmweltHG sieht eine Deckungsvorsorge des Inhabers einer Anlage vor, damit er seiner eventuellen Schadensersatzverpflichtungen nach dem UmweltHG nachkommen kann. 5 6

V. Außergerichtliche Kompensation von Umweltschäden In vielen Fällen bevorzugt der Schädiger einen außergerichtlichen Vergleich über die Regelung des Umweltschadens, da er dadurch sowohl die mit dem Prozeß verbundenen Kosten und den Zeitaufwand als auch die eventuelle negative Publizität von vornherein verhindert. 57 Eine Kompensation vor der Klageerhebung dürfte meistens auch für den Umweltgeschädigten von Vorteil sein, da ihm die dargestellten Beweisschwierigkeiten und Prozeßrisiken erspart bleiben, ohne den ganzen Schaden entschädigungslos erleiden zu müssen. Auch während des Prozesses dürfte oft ein gerichtlicher Vergleich aus ökonomischer Sicht sinnvoller sein als die Fortsetzung eines Rechtsstreits durch die Instanzen.58 Trotz der zahlreichen Veröffentlichungen über die gravierenden Gesundheitsfolgen der Umweltverschmutzung (z. B. chronische Bronchitis, Asthma, Herz- und Kreislaufschäden, Lungenschäden, Krebs) findet man so gut wie nie umweltbedingte Streitfälle über Gesundheitsschäden in der deutschen Rechtsprechung. Die Gesundheitsgeschädigten haben i.d.R. kein Interesse ihre Schadensersatzansprüche geltend zu machen, da die vorhandenen Sozial- und Krankenversicherungen die Behandlungs- und andere Sozialkosten übernehmen. Dadurch wird aber das Haftungsproblem der Umweltschäden faktisch nur verschoben, da zunächst nicht die Verursacher von gesundheitsschädlichen Umweltbelastungen sondern die Versicherungen, d. h. letztlich die Versicherungsnehmer selbst, die Kosten der umweltbedingten Umweltschäden zahlen. Diese Streuung der Kosten der Umweltverschmutzung schwächt die präventive Funktion des Privatrechts wesentlich ab, da jeder es mehr oder weniger für ,.selbstverständlich" hält, seine relativ geringen Versicherungsbeiträge zu bezahlen und sich kaum Gedanken macht, ob diese Beiträge noch etwas geringer sein könnten, wenn die Verursacher von Umweltbelastungen und nicht die Versicherungen die umweltbedingten Gesundheitsschäden und ihre sozialen Folgen bezahlt hätten. 56 Vgl. Salje, UmweltHG, § 19; Paschke, UmweltHG, § 19, S. 329; Schmidt-Salzer, UmweltHG, § 19, jeweils m. w. Nachw. über die Problematik der Versicherung von Umweltgefahren. 57 Vgl. dazu Nawrath, Die Haftung für Schäden durch Umweltchemikalien, S. 75 mit Beispielen in Anm. I; vgl. auch Engelhardt, NuR 1981, 145 ff. 58 Vgl. den von Gmehling, S. 185 zitierten Fall.

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§ 3 Systematisierung der Probleme

Sicher können die Sozialversicherungsträger aufgrund § 116 I SGB gegen die Schädiger direkt vorgehen und Ersatz für die von ihnen verauslagten Schadenskosten verlangen. 59 Gleichwohl dürfte die Nicht-Geltendmachung von Regreßansprüchen der Versicherungsträger hauptsächlich auf den besonders komplizierten Kausalitätsnachweis bei umweltbedingten Gesundheitsschäden zurückzuführen sein. 60

59 Vgl. BGH MDR 1975, 46: Wegen Wasserverschmutzung starben zwei Arbeiter einer Stadt, die während der Wasservergiftung in der Kanalisation der Stadt arbeiteten. Die Stadt (Eigenunfallversicherer) erbrachte an die Hinterbliebenen und den Verletzten Leistungen, welche sie von dem Verursacher der Wasserverschmutzung zurückforderte. Der Fall wies allerdings keine besonderen Kausalitätsprobleme auf. 60 Vgl. dazu § I I I bb und II I b.

Teil B

Möglichkeiten einer materiellrechtlichen Erweiterung der zivilrechtliehen Haftung für Umweltbelastungende lege lata § 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

persönlicher oder sonstiger Rechtsgüter

I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Umweltbelastungen? 1. Erweiterung des nachbarrechtlichen Immissionsschutzes durch Heranziehung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? a) Die Ansicht Forkels

Forkel 1 geht davon aus, daß die Anerkennung des Eigentumsrechts eine Grundlage für die Freiheit und die Persönlichkeit bilde; die freie Entfaltung des Menschen werde dadurch gesichert oder erleichtert, daß dem Eigentümer der Nutzen oder der Wert der Sache zufließe. 2 Die Persönlichkeit sei aber nur insoweit über das Eigentum geschützt, als das objektive Sachinteresse sich mit dem persönlichen Interesse decke.3 Der Schutz gegen Einwirkungen i.S. von§ 906 BGB erfasse nur die Eigentümer und die dinglich Berechtigten. Immissionen könnten aber die Person in verschiedenster Weise - etwa als lästige, unangenehme, das Leben vergällende Einflüsse - beeinträchtigen und zwar nicht nur die dinglich Berechtigten, sondern all diejenigen, die sich lediglich auf dem beeinträchtigten Grundstück aufhalten, wie etwa Handwerker, Arbeiter, Angestellte und andere auf fremdem Grund Tatige. 4 Sie hätten Ansprüche aber nur bei Verletzung ihres Lebens, ihres Körpers und ihrer Gesundheit. Nach der auch zivilrechtlich bedeutsamen WerteI

Forke/, Immissionsschutz und Persönlichkeitsrecht (1968).

Forke/, S. 20, 22 und Fn. 28, 29, 30. Forke/, S. 23; so auch Hersehe/, Zur Neugestaltung des Immissionsrechts, JZ 1959, 76 ff; Meier-Hayoz, Technische Entwicklung und Fortbildung des privatrechtliehen Immissionsschutzes, in: FS für den Schweizerischen Juristenverein (1961 ), S. 35 (48) ff. 4 Forke/, S. 47. 2

3

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§ 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

ordnung unserer Verfassung (Art. 1 und 2 GG) sei die Persönlichkeit der zentrale Wert. 5 Für ihren Schutz gegen Immissionen sei aber die eigentumsrechtliche Basis zu schmal. Die Maßstäbe für die Zulässigkeit von Immissionen müßten sich daher am Persönlichkeitsrecht ausrichten und hierzu seien auch die Eigentumsvorschriften neu zu interpretieren. 6 Das Persönlichkeitsrecht schütze auch die Seele, das Innenleben und damit das Gefühlsleben des Menschen. 7 Deshalb müsse die Schutzzone gegen Immissionen weit in den seelischen Bereich hinein vorverlegt werden. 8 § 906 BGB sage nichts darüber aus, in welcher Weise die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigt sein muß, ob auf dem Weg über den Eingriff in die Sache oder über die Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder seelischer Güter des Menschen. 9 Das praktische Gewicht von Einwirkungen i.S. von § 906 BGB, wie von Geräuschen oder Gerüchen liege eher in den dadurch hervorgerufenen Gefühlen. 10 Die sog. "ideellen Immissionen", vor allem Beeinträchtigungen des moralischen, sittlichen und ästhetischen Empfindens und des Gefühllebens, ließen sich deswegen unter § 906 BGB einordnen, der Immissionsschutzanspruch aus §§ 903, 906, 1004 BGB bleibe aber Bigenturnsanspruch und sei nicht tauglich einen genügenden Persönlichkeitsschutz zu gewähren. 11 Beim Persönlichkeitsschutz sei von der Person und ihrer Schutzwürdigkeit, nicht von der Beziehung zu einem Grundstück auszugehen. Vorausetzung eines persönlichkeitsrechtlichen Anspruchs sei nicht wie beim Eigentumsanspruch, daß eine Einwirkung i.S. von§§ 903, 906, 1004 BGB vorliegt, sondern allein, daß Persönlichkeitswerte in unzulässiger Weise verletzt werden. Die persönlichkeitsrechtlichen Ansprüche träten selbstverständlich als Ergänzung zu dem sachenrechtliehen Immissionsschutz hinzu, den das BGB nur den dinglich Berechtigten einräumt. 12 Allgemein sei derjenige, dem das Eigentum an einem Grundstück zusteht, nicht gehindert, Verletzungen seiner Person durch Einflüsse von fremden Grundstücken ebenso wie jeder andere Betroffene ohne eine dingliche Stellung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den besonderen Persönlichkeitsrechten entgegenzutreten. Eigentumsschutz schließe Persönlichkeitsschutz nicht aus. 13 s Forkel, S. 52. Forke[, S. 48, 53. Zustimmend: Lang AcP 1974, 381 (387): Das Übergewicht, das das Eigentum gegenüber anderen Rechtsgütern, vor allem Persönlichkeitsrechten erlangt hat, gilt es zu korrigieren. So auch Roth NIW 1972, 921 (923). Er weist ausdrücklich darauf hin, daß durch persönlichkeitsrechtliche Ansprüche sich selbst der Spaziergänger, der Wanderer, der Kunst- und Naturfreund gegen Immissionen wehren könne; vgl. auch Forkel, S. 47. 7 Forkel, S. 27. 8 Forkel, S. 32. 9 Forkel, S. 38. 10 Forke I, S. 53 ; so auch Lang AcP 1974, 389 f. II Forkel, S. 46. 12 Forkel, S. 52; vgl. auch S. 46 und 57 - 58; so auch Lang AcP 1974, 388; Roth NIW 1972,922. 6

I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts?

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Forkel erkennt an, daß eine einheitliche, durchgängig gültige Grenze zu finden ausgeschlossen sei; dies scheitere an der Verschiedenheit der den Immissionen ausgesetzten Persönlichkeitsgütern und an der ganz unterschiedlichen Weise, in der die Persönlichkeitsinteressen in die jeweiligen Lebenssachverhalte verstrickt seien. 14 Dies führe nicht zu einem völligen Umsturz bei der Bestimmung der Schranken von Immissionen, da die Persönlichkeitsrechtsgüter nicht schrankenlos seien. Wie weit sie geschützt seien, bestimme sich zunächst nach der Natur und Eigenart des einzelnen Persönlichkeitsgutes, sodann nach den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens, in das es sich einpassen müsse, endlich nach der Lage der Interessen und Gegeninteressen. 15 b) Kritik der Ansicht Forkels

Die Kritik an der Ansicht Forkels konzentriert sich auf das Problem der Konturlosigkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das für den notwendigen Interessenausgleich zwischen Emittenten und Betroffenen ungeeignet sei. 16 Diese Kritik wird durch das Argument verstärkt, der Einsatz des Persönlichkeitsrechts gegen Umweltbelastungen führe zu einer Popularklage im Zivilrecht. 17 Das Persönlichkeitsrecht steht jedermann zu. Daher wäre praktisch jeder, dessen Persönlichkeitssphäre durch Umweltbeeinträchtigungen irgendwie berührt würde, zur Erhebung von Abwehransprüchen berechtigt, unabhängig von dem "dauernden Betroffensein" des Verletzten. Der Spaziergänger, der Feriengast oder jeder Naturfreund wären somit praktisch mit den gleichen Abwehrrechten ausgestattet, wie der Eigentümer eines Grundstückes, 18 der in der Nutzung seines Eigentums durch dauerhafte (unzulässige) Immissionen beeinträchtigt wird. Eine persönlichkeitsrechtliche "Aufladung" 19 des § 906 BGB ist auch aus Rechtssicherheitsgründen abzulehnen. Eine allgemeine "persönliche Lebensempfindung" kann kaum zu einem konkreten Recht mit individuell zugeordnetem Anspruchsschutz verdichtet werden. 20 Bei der notwendigen Abgrenzung des Persönlichkeitsrechts im Hinblick auf die Umweltbelastungen unterliegt man der Gefahr, Forke/, S. 60. Forke/, S. 72. 15 Forke/, S. 64 und 66. 16 Vgl. Marburger, Gutachten beim 56. DJT (1986), S. C ll6f; Medicus JZ 1986, 780; Diederichsen BB 1973, 485 (487); Simitis VersR 1972, 1087 (1092); Köndgen UPR 1984, 345 (348 f) ; Gmehling, S. 195 f; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 286; Pfeiffer, s. 185 f. 17 So Marburger, Gutachten, S. C 116 f ; Köndgen UPR 1984, 345 (348). 18 Vgl. vor allem die Argumentation von Marburger, Gutachten, S. C 116. 19 So Pfeiffer, S. 185 f. 20 Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 286. 13

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durch den Einfluß subjektiver Bewertungen letztendlich einen schrankenlosen Schutz des Persönlichkeitsrechts zu gewähren, 21 der die berechtigten Interessen der anderen Eigentümer und Anlagehetreiber zu stark zurückdrängt. Andererseits stößt die Durchsetzung eines Abwehranspruchs des "Sich-gestört-Fühlenden" auf prozessuale Durchsetzungsschwierigkeiten, da dieser zumeist an der Flüchtigkeit der Störung, an mangelnder Wiederholungsgefahr und an der Nichtidentifizierbarkeit des Immissionsverursachers scheitern würde. 22 Die Anerkennung eines aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitenden sonstigen Rechts auf "ungestörte Umwelt" ist ebenfalls abzulehnen, da praktisch jede menschliche Tätigkeit mehr oder minder eine Veränderung oder Störung der Umwelt bedeutet und andererseits der Begriff "Umwelt" viel zu konturlos ist, um daran Abwehr- oder Schadensersatzansprüche knüpfen zu können.23 Sonst würden die Umweltgüter auf dem Umweg über das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem § 823 I BGB mittelbar zugeordnet, obwohl sich die Grenzen ihrer deliktsrechtlich relevanten Inanspruchnahme nicht deutlich konturieren läßt. 24 Die Ansicht Forkels, die Eigentumsvorschriften seien neu zu interpretieren, indem man die Maßstäbe für die Zulässigkeil von Immissionen nicht nur unter dem sachenrechtlichen, sondern auch unter einem persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkt prüft, vermag auch aus rechtsdogmatischen und rechtssystematischen Gründen nicht zu überzeugen. Der BGH hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes Recht gemäß § 823 I BGB anerkannt. 25 Dies wird aus Art. 2 Abs. l i.V.m. Art. l Abs. 1 GG abgeleitet, seine tatbestandliehen Voraussetzungen werden aber enger gezogen, als diejenigen der allgemeinen Handlungsfreiheit. 26 Der Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nowendigerweise von generalklauselartiger Natur und Unbestimmtheit, da das Wesen der Persönlichkeit selbst sich nicht fest umgrenzen läßt. 27 Da jedem das gleiche Persönlichkeitsrecht zusteht, kann die notwendige Abgrenzung nicht durch eine allgemeine Formel, sondern nur durch eine "Güter- und Interessenabwägung" im Einzelfall erfolgen. 28

Diese Gefahr erkennt auch Medicus JZ 1986, 780, an. Vgl. auch Gmehling, S. 195 f. 23 So Diederichsen BB 1973,485 (487); vgl. auch Engler AgrarR 1972, 371 (373). 24 Darauf weist auch Medicus JZ 1986, 780, hin. 25 Vgl. BGHZ 13, 334 ff (Schacht-Brief- Entscheidung); vgl. auch die nachfolgenden Entscheidungen: BGHZ 15, 249 (257f) ; 20, 345 (351); 24, 72 (76); 26, 349 (354); 27, 284 (285f); 30,7 (IOf); 31,308 (312f); 32, 103 (111); 35, 363 (365f); 39, 124 (1 27); 50, 133 (135 f); 81, 75 (78 f). Die Rechtsprechung des BGH ist wiederholt vom BVerfG bestätigt worden; vgl. BVerfGE 34, 269; 35, 202, 220ff; BVerfG NJW 1980,2069. 26 BVerfGE 54, 148 (153); vgl. auch BVerfGE 34, 238 (247); BGHZ 24,72 (81). 27 Vgl. dazu BGHZ 24, 72 (81); Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 131; Larenz, Schuldrecht Bd. II, § 72 III, S. 623. 28 Vgl. BGHZ 24,72 (80); 27, 290; 30, II; 31, 312; BGH JZ 1978, 102 (104); Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 158 f; Larenz, Schuldrecht Bd. II, § 72 III, S. 624. 21

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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist jedoch nicht als ein Rahmenrecht i.S. einer einzigen Verhaltensnorm, sondern als ein Bündel vielfältiger, vom Richter erst noch zu konkretisierender Normen zu verstehen. 29 Diese entsprechen den vielfaltigen schutzwürdigen Seinsschichten, Gütern und Kräften, die die Persönlichkeit in sich vereinigt. Alle diese einer bestimmten Person zugeordneten Schutzpositionen bieten das Substrat für die Entfaltung jedes einzelnen Menschen. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt in der Praxis als Verletzung der konkret geschützten Persönlichkeitsrechtsgüter wie z. B. der Intimsphäre, des Lebens- und Charakterbildes, des Namens, der Ehre etc., die der Richter immer näher beschreiben muß. 30 Der freien Entfaltung der Persönlichkeit dienen jedoch alle zivilrechtlich absolut geschützte Rechte und Rechtsgüter. Zusammenhänge mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kann man gleichwohl in allen subjektiven Rechten finden, da sie letztlich für den einzelnen und seine freie Entfaltung existieren. Es wäre aber unvertretbar, deswegen alle Regeln des Zivilrechts unter einem "Mutterrecht" auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu subsumieren und auf die zahlreichen rechtlichen Differenzierungen zu verzichten. Deshalb umfaßt der Anwendungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die im BGB ausdrücklich absolut geschützten Rechte und Rechtsgüter nicht. 31 Die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft haben Abgrenzungskriterien bzw. Verletzungsvoraussetzungen der absoluten Rechte und Rechtsgüter herausgearbeitet, die eine eigene Systematik, insbesondere im Deliktsrecht des BGB, darstellen. Hinsichtlich dieser erfüllt das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar eine ergänzende, aber keine korrigierende Funktion im Deliktsrecht Es steht als "sonstiges Recht" i.S. von § 823 I BGB neben und nicht über den anderen absolut geschützten Rechten und Rechtsgütern. Der Vorschlag Forkels, die Zulässigkeil von Immissionen nicht nur unter sachenrechtlichem, sondern auch unter persönlichkeitsrechtlichem Gesichtspunkt zu überprüfen, weist daher einen unvertretbaren Systembruch auf, da er die Abgrenzung des Eigentumsrechts von der eigenen Systematik auf die Systematik des Persönlichkeitsrechts verschiebt. Die zulässige Immissionsgrenze nach § 906 BGB sollte man nicht nur als Schranke des Eigentumsrechts, sondern auch der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ansehen, da im System des Eigentumsschutzes die Komponente der freien Entfaltung der Persönlichkeit berücksichtigt worden ist. Die Imrnissionsbeeinträchtigungen, welche die Basis für die Ansicht Forkels waren, tangieren nur ausnahmsweise ein nicht ausdrücklich geschütztes Persönlichkeitsgut In den meisten Fällen, in denen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in Betracht käme, handelt es sich um Gefährdung oder Verletzung des Lebens, des 29 So P. Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, S. 97; Hubi1Ulnn, Das Persönlichkeitsrecht, S. 156ff; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 154; zum Begriff des Rahmenrechts und Rahmentatbestandes s. F.-1. Säcker ZRP 1969, 66 ff. 30 So Hubi1Ulnn, Das Persönlichkeitsrecht, S. 156f. 31 So auch Hubi1Ulnn, Das Persönlichkeitsrecht, S. 173.

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Körpers oder der Gesundheit von Menschen, die zwar persönliche Rechtsgüter sind, aber nicht unter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht subsumiert werden können, da sie ausdrücklich, absolut und selbständig vom Gesetz geschützt werden. Die Immobiliarbezogenheit des nachbarrechtlichen Immissionsschutzes wird zwar zu Recht als zu eng und teilweise widersprüchlich zur Gesamtregelung des § 1004 BGB angesehen. 32 Dies darf nicht zu einem Lösungsansatz führen, wonach der negatorische Schutz der "sich gestört fühlenden" Personen die Eigentumsschranken ad hoc neu bestimmt. Eine solche Relativierung des Eigentumsrechts durch die Abhängigkeit seiner Grenzen von den Umständen des Einzelfalles ist auch rechtspolitisch nicht vertretbar; sie würde nicht nur dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sondern auch der wirtschaftlichen und sozialen Funktion des Eigentums entgegenstehen. Insofern man das Eigentumsrecht als notwendige Grundlage der freien Entfaltung der Persönlichkeit ansieht, muß man seine Verkehrsfähigkeit durch ein Mindestmaß bei der Festlegung seiner Grenzen bewahren. Daher ist der überwiegenden Ablehnung der Ansicht Forkels auch aus Gründen der Rechtssicherheit zuzustimmen. 2. Recht auf natur- und bestimmungsgemäßen Gebrauch der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? a) Das Recht auf Gemeingebrauch im Dienste des Umweltschutzes?

Der griechische Autor Karakostas33 geht von der Arbeitshypothese aus, daß ein effektiver und individueller Rechtsschutz der Allgemeingüter und der Sachen im Gemeingebrauch zugleich einen effektiven Umweltschutz bedeuten würde, da sie im großen und ganzen die wichtigsten Umweltgüter seien.34 Zwar konnten die Allgemeingüter im Gegensatz zu den Sachen im Gemeingebrauch35 nicht Gegenstand 32 Vgl. dazu Marburger, Gutachten, S. C 115 ff; Pfeiffer, S. 168 ff; eingehend in dieser Problematik vgl. unten § 7 II. 33 Karakostas, Perivallon kai Astiko Dikaio (= Umwelt und Zivilrecht), Athen 1986, S. 23 ff (in griechischer Sprache); vgl. auch ders., Neue Entwicklungen des Umweltschutzes im griechischen Zivilrecht, Ztu 1990, 295 ff; ders., Rechtsmittel zum Schutz der Umweltgüter im griechischen Recht, NuR 1993,467 ff. 34 Vgl. Art. 967 gr.ZGB: Als zum Gemeingebrauch bestimmte Sachen gelten insbesondere die frei und fortwährend fließenden Gewässer, die Straßen, die Plätze, die Küsten, die Häfen und die Buchten, die Ufer von schiffbaren Flüssen, die großen Seen und ihre Ufer (Übersetzung nach D. Gogos, Das Zivilgesetzbuch von Griechenland). Zur Argumentation von Karakostas dazu S. 24 f; ders. Ztu 1990, 295 (296 ff); ders. NuR 1993, 467 f. 35 Vgl. Art. 968 gr.ZGB: Die zum Gemeingebrauch bestimmten Sachen gehören dem Fiskus, sofern sie nicht einer Stadt oder einer Gemeinde gehören oder das Gesetz nicht ein anderes bestimmt.

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von Eigentum sein?6 Jeder habe aber ein Gebrauchsrecht der Allgemeingüter sowie der Sachen im Gemeingebrauch, das das Eigentumsrecht auf die letzteren einschränke. 37 Das Recht auf Ausübung des Gemeingebrauchs werde vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet 38 und gleichartig geschützt. 39 Karakostas vertritt die Auffassung, dieses subjektive Recht beschränke sich nicht nur auf eine ungehinderte Ausübung des natur- und bestimmungsgemäßen Gemeingebrauchs der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch, sondern es erstrecke sich auf eine Art "Genußrecht", d. h. es umfasse alle Nutzungen, die der Gemeingebrauch ermöglicht. Es habe keinen Sinn, daß man frei die Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch benutzen könne, wenn jede oder die meisten möglichen Nutzungen des Gemeingebrauchs faktisch aufgehoben seien. Das Gebrauchsrecht bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht werde nicht nur bei Verhinderung seiner Ausübung, sondern auch bei faktischer Aufhebung der rechtlich bestehenden Gemeinnützigkeit durch Einwirkungen Dritter verletzt. 40 Wenn jemand etwa aufgrundseines Eigentumsrechts derart emittiere oder auf die Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch einwirke, daß die Nutzung des Gemeingebrauchs anderen entzogen wird, könne ihr Gebrauchsrecht bzw. Persönlichkeitsrecht verletzt sein. Sogar der Nachbar, der aufgrund des Nachbarrechts des griechischen ZGB gewisse Imrnis-

36 Rechtsprechung und Literatur betrachten als Allgemeingüter die Luft und das Meer, die ihrer Natur nach der tatsächlichen Beherrschung durch den Menschen entzogen sind, und daher können sie nicht Gegenstand von Rechten sein. Dazu vgl. Areopag, 530 I 1966 in NoB (= Nomiko Bima = gr. juristische Zeitschrift); Georgiades, Sachenrecht, § 12 Il (griechisch); Karakostas, S. 26 f; ähnlich ist die Rechtslage nach deutschem Zivilrecht; dazu vgl. Soergel I Müht Vor § 90 Rdn. 33 ff. 37 So Areopag, 776 I 1977 in NoB 27, 561; Karakostas, S. 31 ff; ders. ZtU 1990,297. 38 So die ganz h.M. der griechischen Rechtsliteratur und Rechtsprechung; dazu vgl. Areopag, 630 I 1968 in Archeion Nomikon, Bd. KA, S. 352 (= gr. juristische Zeitschrift); LG- Verroia, 135 I 1980 in EEN 49, 342 (= Epitheorisis Ellinon Nomikon = gr. juristische Zeitschrift); LG-Athen, 702 I 1981 in NoB 29, 1301; LG Athen 63 I 1981 in Elliniki Dikaiosyni (= gr. juristische Zeitschrift) Bd. 22, S. 254; LG-Edessa, 93 I 1981 in Elliniki Dikaiosyni, Bd. 22, S. 366. In der Rechtsliteratur: vgl. Karakatsanes in Georgiades I Stathopoulos, Kommentar zum griechischen ZGB, Art. 57 Rdn. 7 (griechisch); Karakostas, S. 42 ff; ders. ZtU 1990, 298; ders. NuR 1993,468 m. w. Nachw. 39 Vgl. Art. 57 gr.ZGB: (I) Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich beeinträchtigt wird, ist berechtigt, die Beseitigung der Beeinträchtigung und außerdem ihre Unterlassung für die Zukunft zu verlangen ... (2) Ein weiterer Anspruch auf Schadensersatz nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen ist nicht ausgeschlossen. Vgl. auch Art. 59 gr.ZGB: Das Gericht kann in den Fällen der zwei vorangehen den Artikel durch seine Entscheidung auf Antrag des Verletzten und unter Berücksichtigung der Art der Beeinträchtigung den Schuldigen auch zur Wiedergutmachung des immateriellen Schadens des Verletzten verurteilen. Diese besteht in der Zahlung einer Geldsumme, in einer Veröffentlichung oder auch in allem, was den Umständen nach geboten erscheint. Art. 914 gr.ZGB: Wer gesetzwidrig einem anderen schuldhaft Schaden zufügt, ist zum Schadensersatz verpflichtet. 40 Karakostas, S. 43 ff; ders. ZtU 1990, 295 (299 f); ders. NuR 1993, 468 f.

7 Lytras

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sionen zu dulden hat, habe sie wohl nicht mehr zu dulden, sobald sie sein Recht auf Gebrauch der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch verletzen. 41

b) Kritische Stellungnahme Im Ergebnis gela11gt Karakostas zu einem Recht auf Erhaltung der natur- und bestimmungsgemäßen Nutzung der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch. Zwar könhte das Gemeingebrauchsrecht der Gewässer, der Luft oder eines Naturparks einen Sinn haben, nicht nur wenn sie dem bestimmungsgemäßen Gebrauch jedermann ,offenstehen, sondern wenn man "sauberes Wasser", "saubere Luft" und "gesunde.. Bäume" besuchen und benutzen könnte. 42 Andererseits hätte aber das Gebrauchsrecht einer Straße nur dann einen Sinn, wenn man sie frei mit seinem Auto befahren könnte, was nicht sonderlich zur Qualität der Luft beitrage. Gleichfalls besteht ein Konflikt zwischen dem Gebrauchsrecht eines Schwimmers, eines Anglers oder aines Naturfreundes und dem eines Schiffbesitzers oder eines Anlagehetreibers hinsichtlich der freien Fahrt oder der unvermeidbaren Abwässer oder Immissionen. Die Annahme der These, das Recht auf Gemeingebrauch der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch erstrecke sich auf deren Nutzung, würde zu einerunvertretbaren Rechtsunsicherheit führen, da die individuelle Inanspruchnahme aller denkbaren Nutzungen der Allgemeingüter, den Rechtsschutz einer Unzahl sich miteinander aufhebender oder widersprechenden Interessen mit sich bringen würde. Eine Abgrenzung der geschützten Nutzungen der Allgemeingüter dürfte in einer modernen, komplizierten Gesellschaft praktisch ausgeschlossen sein. Die Art und der Umfang des Gemeingebrauchs werden in der griechischen Rechtsordnung überwiegend durch den Rechtsakt bestimmt, welcher die Sache zum Gemeingebrauch widmet (Gesetz, Verordnung, Widmungsakt, Satzung etc.). Die Tendenz einer intensiveren Ausübung des Gemeingebrauchs könnte jeden sinnvollen Gebrauch faktisch aufheben. Dieser Tendenz entspricht deswegen eine meistens ausführliche Regelung des Inhalts und der Ausübung des Gemeingebrauchs. Die Natur und Eigenart der Sache, die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in einem bestimmten Ort und Zeitpunkt können den Inhalt des Gemeingebrauchs mitbestimmen. 43 Das Gebrauchsrecht enthält einen individuellen Anspruch auf ungehinderte Ausübung des bestimmungsgemäßen GemeingeKarakostas, S. 73ff; ders. Ztu 1990,295 (301 f) ; ders. NuR 1993,467 (469f). Ein Recht auf "saubere Luft", "sauberes Wasser" oder Lärmschutz als sonstiges Recht i.S. von§ 823 I BOB befürwortet Köndgen UPR 1983, 345 (350f). Viel weiter geht Bosselmann, KJ 1986, S. 1 ff, der die Natur als Rechtssubjekt anerkennt. 43 Vgl. Dagtoglou, Allgemeines Verwa1tungsrecht, Rdn. 1234 ff (S. 506 ff); Georgiades, Sachenrecht,§ 12 II; Karakostas, S. 31 (alle in griechischer Sprache); vgl. auch Karakostas Ztu 1990, 295 (297 f). 41

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brauchs. Darunter kann man nicht die tatsächlichen Nutzungen subsumieren, die jeder einzelne mit dem Gemeingebrauch verbindet. Die Anerkennung eines umfassenden und absoluten Schutzes eines Rechts auf die tatsächlichen Nutzungen des Gemeingebrauchs würde die Einführung der Popularklage im Zivilrecht bedeuten. Jeder könnte jeden mit der Behauptung verklagen, sein Verhalten beeinträchtige die tatsächlichen Nutzungen, die der Kläger aufgrund seines (Gemein-)Gebrauchrechts genieße und deswegen sei er in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. 44 Die Heranziehung des Gebrauchs- bzw. Persönlichkeitsrechts bei der Abgrenzung der Eigentümerbefugnisse oder anderer ausdrücklich geschützter Rechte und Rechtsgüter würde zu einer unvertretbaren Rechtsunsicherheit führen, da man einen absoluten Schutz der individuellen Gebrauchsinteressen an Allgemeingütern und Sachen im Gemeingebrauch gewähren müßte oder diese Gebrauchsinteressen wenigstens in die Erwägung einbeziehen müsse. Ob der Ansatz von Karakostas die materiellrechtlichen Haftungsgrundlagen gegen Umweltbelastungen tatsächlich effektiver einsetzt, ist zweifelhaft. Mit den Allgemeingütern und Sachen im Gemeingebrauch erfaßt man praktisch die meisten wichtigen Elemente der Umwelt, aber nicht alle. Fauna und Flora, private Böden und Wälder sind nicht unbedingt Sachen im Gemeingebrauch. Durch ein auf die tatsächlichen Nutzungen des Gemeingebrauchs ausgedehntes Gebrauchsrecht kann man keine vernünftige Lösung des allgemeinen und örtlichen Luft- und Wasserverschmutzungsproblems erreichen. Die Allgemeingüter Luft und Wasser werden rechtmäßig nicht nur von den Umweltschützern, sondern auch von den Umweltverschmutzern in Anspruch genommen. Die wichtigsten, regelmäßigen Umweltbelastungen erfolgen mit ausdrücklicher Erlaubnis der Rechtsordnung (z. B. Genehmigungen). Man müßte für alle diese Fälle eine de jure Einschränkung des Gebrauchsrechts anerkennen, sonst könnte jeder die gesamten industriellen und gewerblichen Tätigkeiten durch seine Beseitigungs- bzw. Unterlassungsklage stillegen. Außerdem bleiben die Beweisschwierigkeiten des Kausalzusammenhangs bestehen. Die h.M. der griechischen Rechtsliteratur und die Rechtsprechung knüpfen das Recht auf Ausübung des Gemeingebrauchs an das Persönlichkeitsrecht an, um den Betroffenen einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Dieses Bedürfnis entsteht aus dem mangelhaften Individualschutz des griechischen öffentlichen Rechts und der dürftigen Diskussion über den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts. Das 44 Das Kriterium der "ökologischen Nachbarschaft", das Karakostas NuR 1993, 467 (469 f) als prozessuale Voraussetzung einer Klage des Verletzten einführt, vermag dem Haftungstatbestand keine klaren Konturen zu verleihen, da es selbst sehr vage ist. Ferner knüpft Karakostas an die Voraussetzung einer "besonderen Beziehung" des Klägers zu dem umweltbeeinträchtigten Allgemeingut oder zu der Sache im Gemeingebrauch an. Der Kläger müsse imstande sein, nachzuweisen, daß er an der Ausübung seines Nutzungsrechts gehindert wurde. Dies widerspricht eigentlich Karakostas Grundthese, das Nutzungsrecht der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch stehe allen zu und habe über das Persönlichkeitsrecht einen absoluten Charakter.

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Recht auf Ausübung des Gemeingebrauchs will man als ein subjektives öffentliches Recht ansehen. 45 Der Gemeingebrauch der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch besteht jedoch sowohl im Interesse des einzelnen als auch im Interesse der Allgemeinheit, 46 weshalb die Ausübung dieses Rechtes meistens durch das öffentliche Recht geregelt ist. Daher richtet sich das Gebrauchsrecht in erster Linie gegen den Staat, der durch den Widmungsakt oder aus der Natur der Sache heraus verpflichtet ist, den bestimmungsgemäßen Gemeingebrauch jedem tatsächlich zu ermöglichen. Das Recht des einzelnen erschöpft sich damit in dem Anspruch auf Gewährleistung aller rechtlichen und faktischen Voraussetzungen, die eine unmittelbare Ausübung des rechtlich bestehenden Gemeingebrauchs ermöglichen. Der Gemeingebrauch dient bestimmt der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 § 1, 5 § 1 gr. Verfassung von 1975). Man könnte aber- zu Recht- das gleiche für die meisten subjektiven Rechte behaupten. Dies bedeutet aber keinesfalls, daß sie ihre Selbständigkeit verlieren, indem sie zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht eingeordnet werden. Schließlich beeinträchtigt jede Luft-, Wasser- oder Bodenverschmutzung das Persönlichkeitsrecht, da sie die Existenzgrundlagen des menschlichen Lebens gefährdet oder erheblich verschlechtert und dadurch die Entfaltungsmöglichkeiten der Person erschwert oder einschränkt. Es läßt sich nicht begründen, warum man das Persönlichkeitsrecht erst dann als verletzt ansehen will, wenn das Gebrauchsrecht der Allgemeingüter und Sachen im Gemeingebrauch infolge von Umweltbelastungen gehindert wird und nicht in allen Fällen einer Verschlechterung der Lebensqualität durch die vielfältigen Umweltverschmutzungen. Eine Übernahme der Ansicht von Karakostas im deutschen Recht wäre weder aus rechtsdogmatischen noch aus praktischen Gründen gerechtfertigt. Der Gemeingebrauch als Ganzes wird in der Bundesrepublik Deutschland dem öffentlichen Recht zugeordnet;47 er wird als subjektives öffentliches Recht angesehen. 48 Art und Umfang des Gemeingebrauchs richten sich nach der Eigenart und Zweckbestimmung der Sache sowie nach örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten.49 Im Streitfall kann auf die "Gemeinüblichkeit" und "Gemeinverträglichkeit" abgestellt 4S So Dagtoglou, Allg. Verwaltungsrecht, Rdn. 1239 (in griechischer Sprache), der aber zugleich den zivilrechtliehen Charakter des Rechts am Gemeingebrauch betont, indem er es auch als Ausstrahlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ansieht. 46 So auch Karakostas, S. 32 m. w. Nachw. Er vertritt aber die Auffassung, daß der Gemeingebrauch privatrechtlicher Natur sei und durch den Widmungsakt nur eine Befugnis der Verwaltung entstehe, die Ausübung des Gemeingebrauchs zu regeln. 47 Vgl. BVerwGE 4, 342 (343). 48 Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, § 20, 3 S. 391 m. w. Nachw.; auch Wolf! I Bachof, Verwaltungsrecht, § 58 II b; Salzwedel in: Münch, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 46 II, S. 442 ff; Soergel I Mühl Vor § 90 Rdn. 55. 49 Vgl. dazu Forsthoff, Verwaltungsrecht, § 20, 3, S. 392 ff; auch Soergel I Müht Vor§ 90 Rdn. 46.

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werden. Das Gemeingebrauchsrecht stellt kein "sonstiges Recht" i.S. von§ 823 I BGB dar. 51 Aus den oben erwähnten Gründen hätte eine dogmatische "Umsiedlung" des Rechts auf Gemeingebrauch in das Zivilrecht und zwar in das Persönlichkeitsrecht ersichtlich keine praktische Bedeutung für einen effektiveren Umweltschutz; vielmehr würde sie eine unnötige Rechtsunsicherheit mit sich bringen. 3. Der Einsatz des Persönlichkeitsrechts gegen Immissionen

a) Ideelle Immissionen Forke! verbindet auch das Problem der sog. "ideellen", "psychischen" oder "moralischen" Immissionen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Darunter versteht man Vorgänge oder Zustände auf einem Grundstück, die das seelische Empfinden des Nachbarn beeinträchtigen, insbesondere die Darbietung abstoßender, unästhetischer oder das Schamgefühl verletzende Anblicke. 52 Während die Rechtsprechung die "ideellen Immissionen" vom Einwirkungsbegriff i.S. von § 906 BGB ausschließt, befürwortet wohl die überwiegende Meinung in der Literatur einen Abwehranspruch gegen "ideelle Immissionen" aufgrund des Eigentumsrechts.53 Forke/ ordnet sie zwar unter§ 906 BGB ein, er betont aber, daß der Immissionsschutzanspruch aus §§ 903, 906, 1004 BGB keinen ausreichenden Persönlichkeitsschutz gewähre, da er ein Anspruch aus dem Eigentum bleibe. Er befürwortet daher einen parallelen negatorischen Anspruch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. 54 Es ist durchaus möglich, daß die nackt herumlaufenden Besucher eines benachbarten Freibades55 oder der Betrieb eines Bordells im Nachbarhaus56 sowie auch eines Lagerplatzes für Baumaterial und Baugeräte in einer reinen Wohngegend57 oder ein Autoschrottplatz neben einem Schloßhotel,58 das Scham- oder ästhetische Gefühl der Nachbarn so stark verletzt, daß sich dies nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles als eine Verletzung des allgemeinen PersönlichkeitsVgl. BVerwGE 3, 342 (343); Forsthoff, Verwaltungsrecht, § 20, 3, S. 393. BGHZ 55, 153 (160). Vgl. aber BGHZ 62, 361 (366ft): Ausgleichsanspruch wegen Beeinträchtigung des Anliegergemeingebrauchs. Vgl. auch Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 92 ff m. w. Nachw.; RGRK I Steifen§ 823 Rdn. 32a. 52 So Staudinger I Gursky § 1004 Rdn. 55. 53 Dazu s. die Nachweise bei Staudinger I Gursky § 1004 Rdn. 56. Zur Problematik der "ideellen Immissionen" s. auch unten § 10 II 1 c. 54 Forke[, S. 43, 45. 55 RGZ 76, 130 ff. 56 RGZ 57, 239; BGH NJW 1985,2823 =JZ 1986, 145 m.Anm. Paschke. 57 BGHZ 51, 396 = NJW 1969, 1208 = JZ 1969, 431; ähnlich BGH NJW 1975, 170 m.Anm. Loewenheim (S. 826). 58 BGHZ 54, 56. 50

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rechts darstellt. Erst recht kann eine gezielte (und wohl andauernde) Beeinträchtigung des ästhetischen oder moralischen Empfindens als ein unerlaubter Eingriff in die seelische Integrität der Person angesehen werden. 59 An dieser Stelle bleibt die Frage einer Abwehrmöglichkeit ideeller Immissionen aufgrund des Eigentumsrechts dahingestellt. 60 Nimmt man eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch "ideelle Immissionen" an, dann wird der Verletzte auch durch den quasi-negatorischen Anspruch i.S. von § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB geschützt.61 Ob, wie und wann das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch "ideelle Immissionen" verletzt werden kann, bedarf einer näheren Erörterung. Das Fehlen verbindlicher Maßstäbe für die Verletzbarkeil des moralischen, ästhetischen oder seelischen Empfindens des einzelnen darf nicht zur Aberkennung eines Rechtsschutzes gegen Eingriffe in die Integrität des Seelenlebens führen. Die natürliche Person ist von ihrem Gefühls- und Seelenleben untrennbar. Die Integrität des seelischen Gleichgewichts ist ein Persönlichkeitsgut, das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuzuordnen ist. 62 Dies besagt aber nicht, daß jede Beeinträchtigung des Seelenlebens eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeutet. Erst nach der Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles und nach einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen kann festgestellt werden, ob eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt. Zu berücksichtigen sind die Art der Beeinträchtigung bzw. der "ideellen Immission", ihre allgemeine Eignung, die Integrität des seelischen Lebens des Menschen zu verletzen, ihre Intensität, ihre Dauerhaftigkeit und faktische Unvermeidbarkeil für den Betroffenen. Auf jeden Fall muß der konkrete Fall eine von außen erkennbare "Besonderheit" aufweisen. Jeden Tag muß man den Anblick häßlicher Gebäude, schmutziger Straßen, die psychische Last der Verkehrsteilnahme oder die oft moralisch provozierende Werbung dulden. Es ist verständlich, daß der Anblick eines Friedhofs, einer Leichenhalle, eines Krematoriums oder des Betriebes eines Bestattungsunternehmens unangenehme Gefühle, sogar Schauder oder Grausen beim Nachbarn erregt. Sofern im Einzelfall der Betrieb z. B. einer Leichenhalle oder eines Bestattungsunternehmers nicht vom Üblichen abweicht, weist der Fall keine Besonderheit auf. 63 Der sich in seinem Gefühlsleben verletzt Fühlende kann 59 Vgl. auch den Sachverhalt in AG Münster NJW 1983, 2886f. Dazu vgl. auch Künzl, NJW 1984, 774; Medicus, JZ 1986,778. 60 Dazu s. unten § 10 li 1 c. 61 Vgl. MünchKomm I Säcker § 906 Rdn. 21; Staudinger I Gursky § 1004 Rdn. 57. 62 Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 256 ff, vertritt die Auffassung, der Schutz der seelischen Integrität sei eine eigenständige Verfestigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. So auch Forke[, S. 26 f, 45 f, 76 ff; Beyer, Die Rechtsstellung des Nachbarn bei der gewerblichen Genehmigung lästiger Anlagen, S. 47 ff; Staudinger I Gursky § 1004 Rdn. 57, 58; Münch Komm/ Säcker § 906 Rdn. 21; Künzl NJW 1984,774 (776); vgl. auch BGHZ 26, 349 (354), wo der BGH expressis verbis über einen Rechtsschutz des inneren Persönlichkeitsbereichs spricht. Vgl. auch Baur, Die ideelle Immission, in Gedächtnisschrift für Michelakis, s. 64ff.

I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts?

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sich nicht auf erkennbare Individualbezüge berufen. Das gleiche muß man grundsätzlich annehmen, wenn die verängstigten Nachbarn eines Kernkraftwerkes, einer explosionsgefährdeten Anlage, eines Raketenlagers usf. Unterlassungsansprüche wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts bzw. der Integrität ihres Gefühlslebens geltend machen. 64 Ebenfalls verletzt ein Bordell oder sex-shop in der Nachbarschaft das Schamgefühl der Nachbarn nicht, solange sein Betrieb sich vom üblichen nicht besonders unterscheidet, oder unter den Umständen des Einzelfalles nicht als besonders auffällig oder "provozierend" anzusehen ist. 65 In der Regel dürfte eine Persönlichkeitsverletzung nur bei vorsätzlichen Angriffen gegen das moralische und ästhetische Empfinden oder das Gefühlsleben des einzelnen gegeben sein.66 In allen anderen Fällen kann für die Gewährung eines quasi-negatorischen Rechtsschutzes wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf eine Besonderheit des konkreten Tatbestandes verzichtet werden, die den Umständen des Einzelfalles nach die Außenerkennbarkeif und das individuelle Betroffensein des Verletzten begründen läßt. Forke! ist insoweit zuzustimmen, daß der Persönlichkeitsschutz gegenüber dem Eigentumsschutz selbständig ist. Dabei ist von der Person und ihrer Schutzwürdigkeit, nicht von der Beziehung zu einem Grundstück auszugehen. In der Regel werden die dinglich Berechtigten wegen des andauernden, ständigen "Ausgesetztseins" bezüglich der "ideellen Immissionen" leichter als andere, wie z. B. ein Besucher oder ein Passant, eine intensive, individuelle und erkennbare Betroffenheit behaupten können. Dies aber nicht wegen ihrer sachenrechtliehen Position, sondern wegen ihrer tatsächlichen Beziehung zur Beeinträchtigung. Der andernorts wohnende Eigentümer wird und im Gegensatz zu den auf die "ideellen Immissionen" ständig ausgesetzten Mieter oder Arbeitnehmer, kaum in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt sein. b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen Umweltbelastungen

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann nicht maßgebend für die Zulässigkeit von Immissionen sein. Sie richtet sich grundsätzlich nach dem Eigentumsrecht und sie wird in der privat- und öffentlichrechtlichen Systematik der Eigentumsabgrenzung bestimmt. Soweit eine Immission die ausdrücklich geschützten Persönlich63 Anders wäre es wohl, wenn z. B. ein Bestattungsunternehmen schaurige, ungewöhnlich eindringlich an den Tod mahnende Dekorationen in einem Schaufenster anbringt und Hausbewohner der anderen Straßenseite dieses Bild ständig vor Augen haben. So Forke[, S. 81 und Fn. 229. 64 Im gleichen Sinne vgl. Staudinger I Gursky § 1004 Rdn. 58 ; Forke[, S. 79. 65 Vgl. auch Staudinger I Gursky § I 004 Rdn. 58; Weimar MDR 1958, 20. 66 Vgl. BGHZ 54, 56 (61) = NJW 1970, 1541 (1542). So auch Künzl NJW 1984, 774

(776).

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§ 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

keitsrechtsgüter und anderen absoluten Rechte beeinträchtigt oder konkret gefährdet, kann der Betroffene sich mit den deliktischen Ersatz- und quasi-negatorischen Ansprüchen zur Wehr setzen. Anders ist jedoch die Lage bei den sog. "ideellen Immissionen". Unter Umständen können sie von außen erkennbare, individuelle Bezüge zu den betroffenen Personen aufweisen, die eine Verletzung des seelischen Gleichgewichts und des Integritätsminimums des Gefühlslebens der Person darstellen. Ideelle Immissionen können das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen. Grundsätzlich bietet das allgemeine Persönlichkeitsrecht keine geeignete Allspruchsgrundlage gegen Luftverschmutzungen an. Das gleiche gilt auch für die Wasserverschmutzungen, Bodenkontaminierung und ökologischen Schäden. Die Trauer des engagierten Naturfreunds über den sterbenden Wald, die verschmutzten Seen und Flüsse oder über das Massensterben von Robben in der Nordsee kann nicht als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen werden. Auch bei Persönlichkeitsverletzungen muß jemand verantwortlich gemacht werden können. Neben den materiellrechtlich-dogmatischen Schwierigkeiten bestehen aber ferner alle schon angedeuteten Probleme der Kausalität und der Rechtswidrigkeil der verletzenden Handlung,67 bzw. des verletzenden Zustandes.

II. Erweiterung des Gesundheitsbegriffs in bezog aufUmweltbelastungen? 1. Störungen des menschlichen Wohlbefindens als Gesundheitsverletzung?

Viele Umweltbelastungen, insbesondere Luftverschmutzungen durch Immissionen, beeinträchtigen die Gesundheit der Menschen. Sie verursachen häufig erhebliche Störungen des menschlichen Wohlbefindens, die manchmal als Müdigkeitsgefühl, Kopfweh oder erhöhte Nervosität auftreten, in anderen Fällen führen sie aber Organstörungen unterschiedlicher Intensität herbei, wie z. B. Magenstörungen, Störungen der Atemorgane oder des Kreislaufes. 68 Die Rechtsprechung und die ganz h.M. in der Literatur betrachten die einfachen Störungen des menschlichen Wohlbefindens nicht als Gesundheitsverletzung. 69 Eine Gesundheitsverletzung i.S. des § 823 Abs. 1 BGB liege nur bei nicht völlig unerheblicher Störung der inneren Lebensvorgänge vor, gleichviel ob sie durch körperliche, geistige oder seelische Einwirkungen verursacht worden ist. 70 Dagegen meint Simitis,11 die Privatrechts67

S. dazu oben § 3 II und III.

Vgl. oben § 1 I I a bb; vgl. auch Rigoleth, Das Recht im Kampf gegen die Luftverschmutzung, S. 29 ff, jeweils m. w. Nachw. 69 Vgl. RGZ 85, 335 ; 133, 270; 162, 321 ; BGHZ 8, 243 (248); OLG Hamm MDR 1958, 939; so auch BGB- RGRK I Steifen § 823 Rdn. 10; Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 24; MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 55 ff, jeweils m. w. Nachw. 68

II. Erweiterung des Gesundheitsbegriffs

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wissenschaft solle ihre Interpretation der Gesundheit revidieren und die einmal rezipierten und mittlerweile überholten medizinischen Grenzen überwinden. Umweltgefährdungen konkretisierten sich in Reaktionen, welche die Schwelle organischer Folgen zumeist nicht überschritten; die Gesundheit sei darum nicht weniger betroffen. Auch psychische Beeinträchtigungen zählten zu den Gesundheitsverletzungen. Es bedürfe nicht der Flucht in das Persönlichkeitsrecht, da eine weitaus nüchternere Qualifikation der Umweltgefährdung als potentielle Gesundheitsschädigung vollauf genügen müsse. Deutsch72 weist zu Recht darauf hin, die Gesundheit sei ein selbständiges, vom Körper unabhängiges Rechtsgut Er führt weiter aus, die Gesundheit sei das ungestörte physiologische Zusammenspiel der Funktionen des Körpers, das im somatischen und psychischen Bereich stattfindet. Die Rechtsprechung müsse sich die Frage des Schutzes beider Formen der Gesundheit erneut vorlegen, wenn auch daran festzuhalten sei, daß die körperliche Basis der Gesundheit einen absoluten Schutz verdient, während der Schutzbereich der psychischen Gesundheit eng ist. Deutsch meint, die Aufzählung der Lebensgüter in § 823 I BGB sei mit Grund in dieser Reihenfolge vorgenommen worden. Es reiche vom engen absoluten Schutz des Lebens und des Körpers bis zum flexiblen, relativen Schutz der Wahrnehmung des Persönlichkeitsrechts. Die Freiheit, die mehrheitlich nur als Freiheit der körperlichen Bewegung verstanden wird, nehme einen eigenen Platz ein. Deutsch unterscheidet ferner bei den menschlichen Gütern zwischen Lebensgütern (Leben, Körper und somatische Gesundheit) und Persönlichkeitsgütern, die notwendigerweise Einbußen ausgesetzt seien. Die Gesundheit decke sowohl existenzielle Güter, als auch Persönlichkeitsgüter ab und deswegen werde sie in ihrer somatischen Form absolut, in ihrer psychischen Form aber nur relativ-fluktuierend geschützt. 73 Es steht heute außer Zweifel, daß auch Störungen des psychischen Befindens, die erheblich über eine Stimmungsbeeinträchtigung hinausgehen, eine Gesund heitsverletzung darstellen können.74 Dies hat die Rechtsprechung zu den Fernwirkungsschäden (Schockschäden) bestätigt. 75 Problematisch bleibt weiterhin die Ab1o Vgl. auch BGHZ 56, 163 = NJW 1971, 884; BGH NJW 1972, 1513; NJW 1974, 1510. Die Weltgesundheitsorganisation beschreibt die Gesundheit als ,,Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen". Dieser weite Gesundheitsbegriff stellt auf alle persönlichen und sozialen Gegebenheiten des Menschen ab und ist deshalb für den Deliktschutz ungeeignet. So auch Deutsch, 25 Jahre Kar1sruher Forum, VersR-Beilage 1985, S. 93; Medicus JZ 1986,783. 71 Simitis VersR 1972, 1086 (1092). n Deutsch, 25 Jahre Karlsruher Forum, VersR-Beilage 1983, S. 93 ff. 73 Deutsch, Vers-Beilage 1983, S. 95, 96. 74 Vgl. RGRK-BGB I Steffen § 823 Rdn. 11; MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 56; Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 26. 75 Vgl. RGZ 133, 270; 148, 154; !57, 11; BGHZ 56, 163; BGH NJW 1972, 1513; NJW 1974, 1510; NJW 1976, 1143; NJW 1952, 1385. Zu den Schockschäden s. auch oben Fn. 75.

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§ 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

grenzung der psychischen Gesundheitsschäden von den üblichen (und alltäglichen) Störungen des seelischen Wohlbefindens. 2. Eigene Ansicht

Unabhängig von der Art der Einwirkung einer Umweltbelastung auf die Gesundheit des Menschen, muß man eine Gesundheitsverletzung i.S. von § 823 Abs. 1 BGB jedenfalls dann annehmen, wenn sie erhebliche, d. h. aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftige organische Folgen hervorruft. Das Problem reduziert sich daher auf die Fälle, in denen eine Umweltbelastung nur das psychische Empfinden des Menschen stört. In der Praxis handelt es sich dabei meistens um Fälle psychischer Auswirkungen von Immissionen,76 deren Lästigkeit an der Grenze des Unerträglichen liegt, sie jedoch keine organischen Folgen haben. Auch bei diesen Fällen sollte es in erster Linie auf die medizinisch gebotene Behandlung der konkreten psychischen Störung ankommen, um ein Zurückbleiben einer dauernden gesundheitlichen Schädigung zu vermeiden. 77 Der BGH stellt bei psychisch vermittelten Beeinträchtigungen der Gesundheit nicht nur auf den medizinisch maßgeblichen Krankheitsbegriff ab, sondern er knüpft eine derart verursachte Gesundheitsverletzung an nachhaltige organische oder psychopathologische Auswirkungen an, die auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassungals Gesundheitsverletzung betrachtet werden. 78 Für diese bewußte Einschränkung der Haftung für Fernwirkungsschäden spricht der Gesichtspunkt, daß die deliktische Haftung nicht zur umfassenden Überwälzung fremder Lebensrisiken auf einen Schädiger führen darf. 79 Die somatische Gesundheit ist bei allen Menschen grundsätzlich die gleiche. Dagegen empfinden die einzelnen Personen psychische Beeinträchtigungen recht unterschiedlich und reagieren darauf sehr individuell. Deswegen kann nicht jede psychische Verletzung als Gesundheitsverletzung angesehen werden. Um einem Übermaß an Haftung vorzubeugen, sollte man zurückhaltend sein.80 76 Z.B. ekelerregende Geruchsimmissionen: OVG Münster ZMR 1976, 238; OLG Köln OB 1963, 1991; OLG Oldenburg AgrarR 1984, 73; Schlafstörung infolge Lärmeinwirkung: BGH MDR 1971 , 37; vgl. aber auch andersartige Gesundheits beeinträchtigungen: Lieferung gesundheitsschädlichen Wassers: RGZ 152, 129; Chlorung des Leitungswassers: BGHZ 17, 191. Bei diesen Fällen der Wasserverschmutzung ging es allerdings um eindeutige Verletzung der soma tischen Gesundheit. 77 So auch MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 56; v. Bar, KF, S. 22. 78 Vgl. BGHZ 56, 163 (165 f). Dazu vgl. auch RGRK- BGB I Steffen § 823 Rdn. 11: Die medizinische Bewertung müsse in eine juristische, die sich am Schutzzweck der Unrechtshaftung ausrichtet, haftungsrechtlich übersetzt werden. Vgl. auch die Kritik Mertens an dieser Rechtsprechung in MünchKomm § 823 Rdn. 57 - 58. 79 Vgl. MünchKomm I Mertens Rdn. 58. 80 So Deutsch, Vers-Beilage 1983, S. 95. Zurückhaltend auch Medicus JZ 1986, 783, der aber für ein großzügigeres Verständnis des Schutzguts "Gesundheit" plädiert, wie etwa bei

II. Erweiterung des Gesundheitsbegriffs

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Während bei Schockschäden die Rechtsprechung und Wissenschaft an ein haftungsbegründendes Primärereignis, das psychische Beeinträchtigungen Dritter herbeigeführt hat, anknüpft, weisen die psychischen bzw. psychosomatischen Auswirkungen von Umweltbelastungen insofern eine Parallele dazu auf, als sie ebenfalls im psychischen Bereich einwirken. Das Kriterium der Verkehrsauffassung wendet der BGH grundsätzlich deswegen an, um den Kreis der durch ein Ereignis psychisch betroffenen Dritten in Grenzen zu halten. Abgesehen von den methodischen Bedenken gegen die Einschränkung des Gesundheitsverletzungsbegriffs durch die Verkehrsauffassung,81 ist dieses Kriterium für unsere Fälle untauglich. Die Gesundheit (auch die psychische Gesundheit) ist wie alle Rechtsgüter und Rechte des § 823 Abs. I BGB absolut geschützt im Sinne eines Schutzes gegen jede Verletzung. Unterschiede entstehen nur insoweit man nach der Tatbestandsmäßigkeit einer solchen Verletzung fragt. Anders als bei der Abgrenzung einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts 82 findet bei der Verletzung der Gesundheit keine Bewertung d. h. keine Interessen- und Güterahwägung statt. Es stellt sich nur die Frage nach der normativen Abgrenzung des Gesundheitsbegriffs. Eine Erweiterung des Gesundheitsbegriffs auf die Störungen des menschlichen Wohlbefindens ist weder notwendig noch angebracht. Auch die psychische Gesundheit des Menschen ist absolut geschützt. Wann sie als verletzt anzusehen ist, bestimmt sich grundsätzlich nach den Erkenntnissen der Medizin. 83 Der Rechtsprechung ist aus Gründen der Rechtssicherheit zuzustimmen : Seelische Erschütterungen, die medizinisch meßbar und als physiologische Störung er klärbar sind, stellen dann eine Gesundheitsverletzung dar, wenn sie aus ärztlicher Sicht behandlungsbedürftig sind. Dies liegt bei psychopathalogischen Zuständen (Neurose, Psychose) stets vor. 84 Bei psychosomatischen Auswirkungen von Umweltbelastungen dürfen die Probleme hinsichtlich einer Gesundheitsverletzung i.S. von § 823 I BGB eher selten sein, da die Behandlungsbedürftigkeit organischer Störungen meistens fachlich unstreitig ist. Die Gesundheit ist nicht nur nach einer Verletzung geschützt. Steht eine Beeinträchtigung der Gesundheit hinreichend nahe bevor, die nicht auf subjektiven Befürchtungen sondern auf Tatsachen beruht, so kann der Betroffene die Unterlassung dieser Beeinträchtigung verlangen. 85 Die praktische Bedeutung dieses Anspruches darf aber nicht überschätzt werden, da die meisten der umweltbedingten durch Lärm verursachten Sch1afstörungen. Er gibt aber keine konkreten Hinweise, wie man das "zu enge Verständnis der Gesundheit" überwinden kann. 81 Dazu MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 58. 82 Vgl. BGHZ 24, 72 (80); BGHZ 27, 290; 30, II; 31, 312. 83 Vgl. MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 56. 84 Vgl. BGHZ 56, 163 (167). 85 Vgl. MünchKomm I Medicus § 1004 Rdn. 80 - 83; RGRK- BGB I Steifen Vor§ 823 Rdn. 128 und RGRK-BGB I Pikart § 1004 Rdn. 176 ff jeweils m. w. Nachw.

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§ 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

Gesundheitsschäden erst nach langjährigen Umweltbelastungen und nur mit einer statistischen Sicherheit auftreten. 86

111. Recht auf "saubere Umweltgüter" als sonstiges Recht i. S. von§ 823 I BGB? 1. Die Ansicht Köndgens

Köndgen 87 hat eine Erweiterung der materiellrechtlichen Haftungsgrundlage für Umweltschäden versucht, indem er konkret benannte Umweltgüter wie sauberes Wasser, saubere Luft oder Lärmschutz zu "sonstigen Rechten" i.S. von § 823 Abs. I BGB erhebt. Unter Hinweis auf die "public nuisance" des anglo-amerikanischen Rechts vertritt er die Auffassung, auch Teilhaberechte und -chancen an öffentlichen Sachen konstituierten individuelle Verfügungs- und Nutzungsrechte (property rights), deren Verletzung oder Behinderung bei Privatrechtssubjekten zu Vermögensschäden führen könne. Wo ein Vermögensinteresse ausnahmsweise eine den absoluten Rechten vergleichbare soziale Evidenz aufzuweisen habe, dort sei auch gegen einen deliktischen Vermögensschutz im Prinzip nichts einzuwenden. Der Gemeingebrauch und der private Genuß der Idassischen Umweltgüter - sei es zu gewerblichen oder zu konsumtiven Zwecken - seien Rechtspositionen von hoher sozialer Publizität. Wer Luft oder Wasser mit Schadstoffen belaste, der sei sich darüber im klaren, daß er Nutzungsrechte Dritter behindere und sich somit haftbar machen könne.88 Köndgen widerspricht der Meinung von Diederichsen, ein sonstiges Recht auf eine gesunde Umwelt sei viel zu konturlos, mit dem Argument, die Beschränkung des Schutzes nur auf die ,,klassischen Umweltgüter" gewährleiste die deliktsrechtlich notwendigen, hinreichenden Konturen. Es könne nicht jede Umweltverletzung als solche privatrechtlich sanktioniert werden, soweit der Kläger keinen eigenen Schaden vorzuweisen habe. Eine Erhebung der Idassischen Umweltgüter zu sonstigen Rechten i.S. von § 823 Abs. 1 BGB liege in der Tendenz der Fortbildung des deliktischen Vermögensschutzes. 2. Kritik - Stellungnahme

a) Legt man die sog. "sozialtypische Offenkundigkeit"89 als Kriterium der Schutzgüter des § 823 Abs. 1 BGB zugrunde, dann ist es sicherlich "sozial eviDazu vgl. oben § 2 Il 1 c. Köndgen, Überlegungen zur Fortbildung des Umwelthaftpflichtrechts, UPR 1983, 345 ff (insbes. S. 349- 350). 88 Köndgen, UPR 1983, S. 350. 89 Dazu s. Fabricius AcP 160 (1961), 273 (289ff). 86 87

III. Recht auf "saubere Umweltgüter" als sonstiges Recht

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dent", daß jedermann auf Luft und Wasser angewiesen ist. Medicus 90 ist aber zuzustimmen, daß es in den kritischen Fällen nicht um die Entziehung von Luft und Wasser geht, sondern um deren Nutzungsbeschränkungen durch die Inanspruchnahme der Umweltgüter durch andere- ebenfalls berechtigte- Personen. Hinsichtlich der nötigen Abgrenzung der kollidierenden Nutzungsrechte kann man kaum eine "soziale Evidenz" annehmen. Nach Fabricius aber ist die sozialtypische Offenkundigkeit eines Rechtsgutes als eines rechtlich geschützten Interesses eines Berechtigten an einem Gegenstand dann zu bejahen, wenn eine "aufgrund unserer Sozial- und Kulturauffassung selbstverständliche, d. h. durch einfache, überwiegend auf Gewohnheit und Erfahrung beruhende Gedankenreflexion von einem allgemein sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand auf das Vorhandensein eines Rechtsguts begründete Erkennbarkeit des Rechtsguts" vor liege. 91 Schon diese Formulierung läßt erkennen, daß die sozialtypische Offenkundigkeil als Kriterium für die Erhebung individueller, dem einzelnen zugewiesener Rechtspositionen zu "sonstigen Rechten" i.S. von § 823 Abs. I BGB zu verstehen ist. Man soll sich vor Augen halten, daß es in der Zivilrechtsdogmatik um die Zuweisung bzw. Abgrenzung individueller Rechtssphären geht. Die sog. "sozialtypische Offenkundigkeit" eines Rechtsguts setzt notwendigerweise voraus, daß die Rechtsgenossen aufgrund unserer Sozial- und Kulturauffassung selbstverständlich das Vorhandensein eines dem einzelnen "gehörenden" Rechtsguts erkennen. Ein in diesem Sinne sozialtypisch offenkundiges Recht auf Genuß bzw. Nutzung von "sauberer Luft", "sauberem Wasser" usw. besteht nicht. Die Rechtsgenossen erkennen aufgrund unserer Sozial- und Kulturauffassung - trotz des gestiegenen Umweltbewußtseins - ein solches (individuelles) Recht(sgut) nicht als selbstverständlich an.92 b) Der h.M. ist ferner zuzustimmen, daß als "sonstiges Recht" i.S. von § 823 Abs. I BGB nur Rechtspositionen anzuerkennen sind, die eine gewisse soziale Ausschlußfunktion entfalten. 93 Diese ist wiederum für ein "Recht auf saubere Luft

Medicus JZ 1986,779. Fabricius AcP 160 (1961), 291. 92 Nach der Auffassung von Fabricius AcP 160 (1960), 291 ff knüpft die sozialtypische Offenkundigkeil nicht an die Erkennbarkeil des rechtlichen Inhalts der deliktisch geschützten Rechte und Rechtsgüter an, sondern an die selbstverständliche und sozialtypische Anerkennung, daß es sich dabei um ein dem einzelnen zugewiesenes Rechtgut handelt, dessen Verletzung grundsätzlich rechtswidrig ist. Die Rechtsgenossen erkennen nicht immer etwa die genauen Grenzen des Eigentumsrechts, des Persönlichkeitsrechts oder des Rechts auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Man kann aber kaum bezweifeln, daß alle Rechtsgenossen sich darüber im klaren sind, daß diese individuellen Rechte existieren und zwar mit einer gewissen Ausschlußfunktion: wenigstens ihr Kernbereich ist absolut geschützt. Maßgebend ist die soziale und nicht die juristische OffenkundigkeiL Anders wohl Medicus JZ 1986, 779, der das Fehlen der "sozialen Evidenz" bzw. der "sozialtypischen Offenkundigkeit" eher in den tatsächlichen Abgrenzungsschwierigkeiten der Nutzungsrechte gegenüber den "sauberen Umweltgütern" sieht. 90

91

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§ 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

bzw. sauberes Wasser" sicherlich nicht charakteristisch. 94 Die Anerkennung eines "sonstigen Rechts" i.S. von § 823 I BGB auf bestimmte Umweltgüter aufgrund ihrer sozialtypischen Offenkundigkeit ist mit unübersehbaren praktischen Schwierigkeiten verbunden. Wie soll z. B. der Richter feststellen, daß eine Rechtsposition "sozial offenkundig" und damit deliktisch geschützt ist? Wann ist aufgrund "unserer Sozial- und Kulturauffassung" die selbstverständliche Erkennbarkeil eines Rechtsguts zu bejahen? Unabhängig davon, was man unter Sozial- und Kulturauffassung verstehen mag, unterliegt diese Auffassung dem ZeitwandeL So stellt sich im Einzelfall immer die Frage, was ist gegenwärtig als sozial evident mit rechtsverbindlichen Wirkungen anzusehen. Die Gewohnheit und die Erfahrung sind zwar Kriterien, die bei der Ermittlung der sozialtypischen Offenkundigkeil eine wichtige Rolle spielen, setzen aber ein dauerhaftes Verhalten der Rechtsgenossen hinsichtlich einer konkreten Rechtsposition voraus; für die Sozial- und Kulturauffassung können sie allein aber nicht maßgebend sein.95 Jedenfalls läßt sich die Behauptung, es gebe ein sozial offenkundiges Recht auf "saubere Umweltgüter", durch die Gewohnheit und Erfahrung nicht bestätigen. c) Gegen die Anerkennung eines Rechts auf "saubere Umweltgüter" als sonstiges Recht i.S. von § 823 Abs. 1 BGB spricht auch die Unsicherheit über den Inhalt eines solchen Rechts. 96 Köndgen versteht es als ein Nutzungsrecht der Umweltgüter und zwar sowohl zu gewerblichen als auch zu konsumtiven Zwecken. 97 Denkt man an alle möglichen Nutzungen der Umweltgüter, die mit dem Vermögensinteresse von Privatpersonen verbunden sind, wie etwa die gesamte Tourismusindustrie oder den organisierten Sport- und Naturgenuß, dann werden die Gefahren einer uferlosen deliktischen Haftung für Umweltschäden offenkundig. 98 Andererseits

93 Vgl. dazu MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 101 ff; Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 71 ff insbes. Rdn. 73; RGRK I Steifen § 823 Rdn. 26; Erman I Schiemann § 823 Rdn. 35. 94 So auch Gmehling, S. 198 Fn. 84; Pfeiffer, S. 188- 189. 95 Allgemein ist m.E. das Kriterium der sozialtypischen Offenkundigkeil allein nicht geeignet, um die Erhebung von Rechtspositionen zu "sonstigen Rechten" i.S. von § 823 Abs. I zu rechtfertigen. Es geht weit über die juristische Denkart hinaus, da es die Präzision und Genauigkeit anstrebende juristische Abwägung mit allzu vagen soziologischen und philosophisch-kulture11en Größen belastet, wie etwa die Begriffe "sozialtypisch", Sozial- und Kulturauffassung. Dieser Einwand vermag aber nicht den Vorschlag von Fabricius vö1lig zu entwerten. Eine ausschließende Funktion einer Rechtsposition des einzelnen, die keine soziale Evidenz bzw. sozialtypische Offenkundigkeil aufweist, wäre kaum denkbar. Die Rechtsdogmatik a11ein kann nicht absolut bzw. deliktisch geschützte "sonstige Rechte" verschaffen, wenn sie von den Rechtssubjekten überhaupt nicht erkennbar sind. Man sollte daher die "sozialtypische Offenkundigkeit" als noch ein Kriterium - neben der Ausschlußfunktion und dem spezifischen Zuweisungsgehalt - für die Anerkennung von Persönlichkeitsgütern und sachherrschaftsvermittelnden Rechtspositionen als "sonstige Rechte" i.S. von § 823 Abs. I BGB anwenden. Vgl. auch MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. I 0 I. 96 So auch Medicus JZ 1986, 779; Diederichsen, Referat, S. L 74ff; Gmehling, S. 198; Pfeiffer, S. 189. 97 Köndgen UPR 1983, 350.

III. Recht auf "saubere Umweltgüter" als sonstiges Recht

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würde - neben den bekannten Fragen der Kausalität und der Recht~widrigkeit selbst der Begriff des "sauberen Wassers", "sauberen Luft" oder Lärmfreiheit nicht nur juristische, sondern auch erhebliche technische bzw. naturwissenschaftliche Schwierigkeiten bereiten. 99 d) Ein sonstiges Recht i.S. von § 823 Abs. 1 BGB wird vor dem Eintritt eines konkreten Schadens auch durch die deliktische Unterlassungsklage geschützt. Köndgen meint, für den vorbeugenden quasi-negatorischen Rechtsschutz genüge auch jede nichtvermögenswerte wesentliche Einbuße an Wohlbefinden wegen Belastungen der Umweltgüter. 100 Wenn aber ein Sportangler eine Beeinträchtigung der Gewässer untersagen kann, weil er seinem Hobby nicht mehr nachgehen kann, 101 ist nicht einzusehen, warum der Sportwanderer die waldschädigenden Luftverschmutzungen nicht untersagen könnte, da er bestimmt ein Recht auf "saubere Luft" haben sollte. Es ist offensichtlich, daß die Anerkennung eines sonstigen Rechtes auf "saubere Umweltgüter" i.S. von § 823 Abs. 1 im Ergebnis die unerwünschte Popularklage im Zivilrecht zur Folge hätte. 102 e)Eine Versubjektivierung von Allgemeingütern durch den deliktischen Schutz von Teilhaberechten am Gemeingebrauch 103 würde am Ende auf die kaum wünschenswerte Folge einer Rationierung der Umweltgüter hinauslaufen. 104 Medicus merkt zu Recht an, daß diese Aufgabe aber nicht von der Rechtsprechung im Rah98 Darauf weist zutreffend Diederichsen, Referat, S. L 74, hin, der anband der von Köndgen, UPR 1983, 350 erwähnten Beispielsfalle gewerblicher Nutzung von Umweltgüter auf die lange Kette der möglichen deliktischen Ansprüche aufmerksam macht. 99 Im gleichen Sinne Gmehling, S. 198; Diederichsen, Referat, S. L 76. 10o Köndgen UPR 1983, 350. 101 So Köndgen UPR 1983, 350 Fn. 63.

102 Köndgen UPR 1983, 349, selbst charakterisiert es als "Etikettenschwindel" unter der Devise des Persönlichkeitsschutzes die Popularklage im Umweltrecht einführen zu wollen. Er begegnet einer umweltrechtlichen Popularklage im Zivilrecht mit dem Hinweis, daß nicht jede Umweltverletzung als solche durch Private sanktioniert werden könne, sondern nur, wenn der Kläger einen eigenen Schaden vorzuweisen hat. Für den vorbeugenden und quasinegatorischen Rechtsschutz verzichtet er aber auf das Erfordernis eines bevorstehenden Vermögensschadensdurch die Umweltbelastung und begnügt sich mit ,jede nichtvermögenswerte wesentliche Einbuße an Wohlbefinden" (Köndgen UPR 1983, 350 und Fn. 63). Wenn aber das Recht auf "saubere Umweltgüter" hinsichtlich seines deliktischen quasi-negatorischen Rechtschutzes auch "wesentliche Einbuße an Wohlbefinden" umfaßt, muß man annehmen, daß der Berechtigte auch Schadensersatzansprüche geltend machen kann, wenn er wegen einer wesentlichen Einbuße an seinem Wohlbefinden aufgrundder Umweltbelastung zu Mehraufwendungen "gezwungen" ist. Es handelt sich letztlich um ein und das gleiche Recht: privates Genuß- und Nutzungsrecht der "klassischen Umweltgüter". Der Abstand zu einer Schadensersatz-Popularklage wegen Umweltverschmutzungen ist gering. Köndgen scheint diese Konsequenzen seines Vorschlags zu übersehen. 103 Die h.M. lehnt einen deliktischen Schutz sozialer Teilhaberrechte bzw. Recht am Ge meingebrauch - zu Recht- ab. Vgl. dazu MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 105 m. w. Nachw.; BGHZ 55, 153 (160); BGH NJW 1971, 886 (888); BGH NJW 1977, 2265; vgl. ferner Pfeiffer, S. 188; Gmehling, S. 198; Marburger, Gutachten, S. C 120. 104 So mit Recht: Marburger, Gutachten, S. C 120.

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§ 4 Die Umweltbelastungen als Verletzung

men des § 823 Abs. 1 BGB gelöst werden kann. 105 Die Problematik einer Rationierung der Umweltgüter liefert mittelbare Argumente gegen den Vorschlag Köndgens: (l) Es ist kaum vorstellbar, daß deliktisch geschützte private Rechte auf "saubere Umweltgüter" in der Praxis vollzogen werden, ohne eine ziemlich detaillierte gesetzgebensehe Regelung der Grenzen der erlaubten Nutzungen von Umweltgütern vorzunehmen. 106 Ob eine - auch privatrechtlich verbindliche - Richtwertfestsetzung für die Umweltbelastungen hinsichtlich des gesamten Umweltschutzes die beste Lösung wäre, ist sehr zweifelhaft. 107 (2) Durch die Diskussion über die Rationierung der Umweltgüter ist klar geworden, daß sowohl die Rechtsordnung als auch die Gesellschaft private, dem einzelnen zugewiesene Rechte auf die Umweltgüter nicht kennt. Dies bestätigt auch die Diskussion über die sog. Ernissionszertifikate. 108 f) Ob die Erhebung der klassischen Umweltgüter zu sonstigen Rechten i.S. von § 823 Abs. 1 BGB in der Tendenz der Fortbildung des deliktischen Vermögensschutzes durch die Rechtsprechung und Literatur liegt, ist ebenfalls zu bezweifeln. 109 Die Umweltgüter oder ein Recht auf Nutzung bestimmter Umweltgüter, wie etwa "sauberes Wasser" oder "saubere Luft", weisen keine individuellen praxisbezogenen Herrschaftselemente auf und deshalb kann man kaum eine Rechtsähnlichkeit mit den absolut geschützten Rechtsgütern des § 823 I BGB erkennen.uo

g) Bevor man zur Anerkennung eines "sonstigen Rechts" auf "saubere Umweltgüter" flüchtet, um Schadensersatz bei Vermögensschäden durch Umweltbelastungen zu gewähren, sollte man diese Möglichkeit anband des geltenden Rechts prüfen. Dabei übersieht Köndgen, daß primäre Vermögensschäden aufgrund von Wasserverschmutzungen nach § 22 WHG ausgeglichen werden können. 111 Die HafMedicus JZ 1986, 779 unter II 1 a bb. Im gleichen Sinne: Diederichsen, Referat, S. L 76; Gmehling, S. 198. 107 Vgl. zur Diskussion über die TA-Luft und TA-Länn Grenzwerte aus der Sicht eines umfassenden Umweltschutzes, Diederichsen, Referat, S. L 60. Über die Problematik ihrer Bindungswirkung im Zivilrecht vgl. eingehend Gmehling, S. 164ff; über die Wirkung staatlicher Genehmigungen im Zivilrecht vgl. Wagner, Öffentlich-rechtliche Genehmigung und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit, S. 7 ff, 51 ff, 90ff; dazu auch unten§ 10 II 3 a und b. 10s Vgl. dazu Feldhaus DVBI1984, 552; Endres ZRP 1985, 197; Rehbinder, HdUR, Bd. I, Sp. 930ff. 109 Vgl. dazu die Ausführungen von Medicus JZ 1986, 779 unter II 1 a cc ; vgl. auch Diederichsen, Referat, S. L 73 f; Marburger, Gutachten, S. C l20f. 110 Gmehling, S. 197, sieht doch eine gewisse Parallele des Vorstoßes von Köndgen zum Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, da es sich in beiden Fällen im wesentlichen um schuldhaft zugefügte Vermögensschäden handele. 111 Vgl. BGH VersR 1972, 463 (Entschädigung des Inhabers einer Flußbadeanstalt wegen Badeverbots in dem verschmutzen Gewässer). Dazu vgl. auch BGH ZfW 1967 I 68, 92 ff; Sieder I Zeit/er, Komm. zum WHG § 22 Rdn. 21; Sehröder ZfW 1975, 155; vgl. auch BGH ZfW 1982, 214 (Ersatz für den Nicht-Gebrauch von Wasser infolge Solehaltigkeit wegen Abwässer). 10s

106

III. Recht auf "saubere Umweltgüter" als sonstiges Recht

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tung aus § 22 WHG wird nicht nur beim Schadenseintritt ausgelöst, sondern sie umfaßt auch die sog. Rettungskosten. 112 Es ist ferner durchaus möglich, daß durch Umweltbelastungen das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (insbes. der Tourismusindustrie) verletzt wird. Das kann allerdings nur in dem konkreten Einzelfall festgestellt werden. In den meisten Fällen stellen jedoch die Umweltbelastungen Beeinträchtigungen der ausdrücklich geschützten Rechtsgüter und Rechte, wie z. B. Gesundheit und Eigentum, dar. Daher ist im wesentlichen davon auszugehen, daß ein Großteil der schädlichen Umweltbelastungen nach dem geltenden Deliktsrecht kompensiert werden kann.

112 Vgl. BGH ZfW 1967 I 68 (Haftung des Wasserverschmutzers für die Aufwendungen einer Wasserwerksbetreiberin, die nach einem Verkehrsunfall verseuchten Boden abtransportieren und verunreinigtes Wasser ableiten mußte); BGH VersR 1981, 458 (Ersatz der Kosten zur Abwendung eines sicher bevorstehenden Gewässerschadens); BGHZ 103, 129 (Ersatz für die Kosten der Untersuchung von Wasserproben nach Wasserverschmutzung).

8 Lytras

§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden durch Ausdehnung der umweltbezogenen Schutzgesetze i. S. von§ 823 Abs. 2 BGB Es ist offensichtlich, daß die Bedeutung des § 823 Abs. 2 BGB für die Haftung für Umweltschäden vor allem von dem Umfang abhängt, in dem umweltschützende Normen zugleich Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sind. In der permanent anwachsenden Zahl der Umweltschutznormen findet man nicht nur Normen, die ausschließlich den Schutz der Umwelt oder der Allgemeinheit bezwecken, sondern oft solche, die den Schutz bestimmter Interessen einzelner oder eines bestimmten Personenkreises in ihren Zweck wenigstens miteinbeziehen. Das Problem der Qualifizierung einer Norm als "Schutzgesetz" i.S. von § 823 Abs. 2 BGB stellt sich in gleicher Weise für die Umweltschutznormen. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die maßgebenden Kriterien für die Feststellung des Drittschutzcharakters und des Schutzbereiches der betreffenden Norm. In diesem Zusammenhang scheint die Frage nach dem Konkretisierungsgrad der Umweltschutznorm von besonderer Bedeutung zu sein. Angesichts der Tatsache, daß die meisten umweltschützenden Regelungen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, verdient die Bedeutung der normkonkretisierenden Verwaltungsakte und Verwaltungsvorschriften für die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB besondere Aufmerksamkeit. Für den praktischen Umweltschutz sind die sogenannten technischen Umweltstandards sehr wichtig. Das technische Sicherheitsrecht bzw. die Unfallverhütungsvorschriften und die privaten und öffentlichen technischen Normen sollen unter dem Blickwinkel des Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 ebenfalls erörtert werden.

I. Zur Problematik des Schutzcharakters und des Schutzbereiches einer Norm 1. Normqualität und Individualschutz als Normzweck

a) Als Gesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB ist jede Rechtsnorm anerkannt, d. h. jede staatlich gesetzte abstrakt-generelle Regelung 1 (vgl. Art. 2 EGBGB).

I Vgl. dazu Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 576 f; RGRK I Steifen§ 823 Rdn. 538; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 163 ff; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 466 ff jeweils m. w. Nachw.

I. Schutzcharakter und Schutzbereich einer Norm

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Dabei ist es unerheblich, ob es sich um ein förmliches Gesetz, eine Verordnung, eine öffentlich-rechtliche Satzung, einen Tarifvertrag oder ähnliches handelt. 2 Das ungeschriebene Gewohnheitsrecht zählt ebenfalls dazu. 3 Keine Rechtsnormqualität haben nach der h.M. Verwaltungs- und Unfallverhütungsvorschriften. 4 Technische Normen, die nach staatlicher Ermächtigung festgesetzt worden sind, kommen außerhalb gesetzlicher Verweisungen ebenfalls nicht als Schutzgesetze in Betracht.5 Dagegen rechnet die h.M. zu den Schutzgesetzen i.S. von § 823 Abs. 2 BGB Gebote der Verwaltungsbehörden aufgrund gesetzlicher Ermächtigung oder Einzelfallregelungen einer Genehmigung, die gesetzliche Vorschriften betreffend die Einrichtung und Benutzung genehmigungsbedürftiger Anlagen konkretisieren. 6 Ferner stellt sich die Frage, ob den durch die Rechtsprechung herauskristallisierten Verkehrspflichten als gesetzesvertretendem Richterrecht7 eine "Quasi-Rechtsnormqualität" zukommen und sie somit als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden können.8 Die Argumente der h.M. gegen die Einordnung der Verkehrspflichten unter § 823 Abs. 2 BGB sind überzeugend: Fremde Vermögensinteressen schützt § 823 Abs. 2 nur dann, wenn die Rechtsordnung bzw. der Gesetzgeber deren deliktische Schutzwürdigkeit durch andere Normen bereits ausdrücklich anerkannt hat. 9 Sonst würde die Statuierung von Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens die Haftung für bloße Vermögensschäden durch § 823 Abs. 2 BGB generell zulassen und das Deliktsrecht endgültig ausufern. 10 Konkret formulierte Verkehrspflichten können zwar Normqualität erlangen, indem sie Ge2

576.

Vgl. BGHZ 60, 54; OLG Düsseldorf VersR 1980, 142; Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn.

3 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 467 Anm. 796; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 164; Canaris, FS für Larenz (80. Geb.), S. 45. 4 Dazu vgl. Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 577 m. w. Nachw.; MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 158 f ; Peters JZ 1983, 913 (916). 5 Vgl. BGHZ 59, 303 (308) = NJW 1972, 2300; BGH BB 1968, 1216; OLG Karlsruhe VersR 1984, 1174. Dazu vgl. vor allem Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 337, 340, 347, 351 f, 357,475 sowie zur Verweisungsproblematik S. 387 ff. 6 Vgl. BGH NJW 1974, 1240; OLG Hamm JZ 1981 , 277; OLG München VersR 1983, 887; Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 576; krit. dazu MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 153 m. w. Nachw.; Brüggemeier, S. 468 Anm. 797. 7 So MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 151 . s Für eine Einfügung der Verkehrspflichten in § 823 Abs. 2 BGB plädiert v. Bar, Verkehrspflichten, S. 145 ff und S. 205 f. Hierzu vgl. auch Mertens AcP 178 ( 1978), 227, 852; Münch Komm I Mertens § 823 Rdn. 469; Huber, FS für von Caemmerer (1978), S. 359; ab!.: Steffen VersR 1980, 409; Larenz, Schuldrecht li, § 72 I 5 S. 617; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 467 f Anm. 796. 9 So auch MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 151. Er weist aber darauf hin, soweit heute gewisse Lebensbereiche durch gesetzesvertretendes Richterrecht in Form relativ "fertiger", von Einzelsachverhalten gelöster Normen geprägt seien, müsse es als Bezugstatbestand des § 823 Abs. 2 in Betracht kommen können. Auf jeden Fall kann man m.E. heute kaum von solchen "fertigen" Umweltverkehrspflichten oder sonstigen "Normen" sprechen. IO So Larenz, Schuldrecht li, § 72 I 5 S. 617 f.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

wohnheitsrecht werden, der Spielraum für die Entstehung von Gewohnheitsnormen aber dürfte heute im Privatrecht sehr eng sein. Aus ähnlichen Gründen ist der Vorschlag Giesekes 11 abzulehnen, 12 die allgemeinen Grundsätze, die unser soziales Leben beherrschen, seien als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. b) Die h. M. versteht unter Schutzgesetzen i.S. von§ 823 Abs. 2 BGB nur Normen, die ein bestimmtes Gebot oder Verbot aussprechen. 13 Daher scheiden von vornherein Rechtsnormen aus, welche nur allgemeine Grundsätze aufstellen und erst durch konkrete Normen ausgefüllt werden müssen.14 Rechtsnormen, die prinzipiell dem Schutz der Allgemeinheit dienen, können auch Drittschutzcharakter haben, wenn sie gewisse Interessen einzelner oder eines bestimmten Personenkreises wenigstens mitbezwecken. 15 Dies stellt nicht auf die Reflexwirkungen zugunsten eines individuellen Rechtsinteresses, die eine Norm mit sich zieht, ab, sondern auf den Schutzzweck des Gesetzes. 16 Der Schutz des einzelnen besteht nach der Rechtsprechung darin, daß dem einzelnen die Rechtsmacht in die Hand gegeben ist, seine geschützten Interessen unmittelbar, nämlich mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen zu schützen, der das Verbot der Norm übertritt und seinen Interessenkreis beeinträchtigt. 17 Ferner knüpft die Rechtsprechung an den Begriff des Schutzgesetzes das Erfordernis einer himeichenden Klarstellung und Bestimmung des Kreises der geschützten Personen. 18 Die hier nur grob geschilderten Merkmale des Schutzcharakters einer Norm gestatten keine Aussage darüber, ob eine konkrete Norm als Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist. Dies kann im Endeffekt nur durch die Auslegung der Norm ermittelt werden. Hier beschränken wir uns auf die Frage, ob die von der h.M. und der Rechtsprechung gestellten Begriffsanforderungen eines Schutzgesetzes, eine Ausscheidung bestimmter Normen schon wegen ihrer äußeren Gestaltung erlauben und zwar: (1) Scheidet eine Norm als Schutzgesetz nur deshalb aus, weil sie eine Konkretisierungsermächtigung enthält? (2) Muß die in Frage kommende Norm dem einzelnen einen ausdrücklichen privatrechtliehen Schutz gewähren? (3) Muß der Drittschutzcharakter einer Norm von der Androhung von Sanktionen Gieseke GRUR 1950, 298 (310). Vgl. dazu MünchKomml Mertens § 823 Rdn. 152. 13 BGHZ 64, 232 (237); BGH NJW 1965, 2007; NJW 1977, 1147; Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 578; RGRK I Steifen § 823 Rdn. 539. 14 BGHZ 62, 265 = NJW 1974, 1240; krit. dazu Canaris, FS Larenz (1983), S. 55. 15 Vgl. Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 585 f m. w. Nachw. 16 Vgl. Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 580 m. w. Nachw; RGRK I Steifen§ 823 Rdn. 541 - 542 m. w. Nachw. 17 BGHZ 40, 306 (307) = NJW 1964, 396; BGHZ 46, 17 (23); 66, 354 (355, 388, 390); BGH NJW 1974, 902, 1240; BayObLGZ 1972, 74 (78); 1979, 16 (20); 1980, 65 (70). Dazu vgl. auch Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 583 - 584. 1s BGHZ 40, 306 (307); OLG München NJW 1967, 570. II

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I. Schutzcharakter und Schutzbereich einer Norm

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im Falle ihrer Verletzung abhängig gemacht werden? (4) Muß der Kreis der geschützten Personen in der Norm genau beschrieben werden? Eine von vomherein vorgenommene Klassifizierung einer Norm als Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB oder allein aufgrund formeller Kriterien ist zu verneinen. (1) Einer Ermächtigungsnorm kann nicht der Drittschutzcharakter deswegen abgesprochen werden, weil sie durch eine andere Norm, Verwaltungsvorschrift oder Verwaltungsakt konkretisiert werden muß oder kann. Ermächtigungsnormen entbehren nicht von vornherein jedes drittschützenden Inhalts; vielmehr beschreiben sie die Ermächtigungsrahmen, die im konkreten Fall sehr wohl Drittschutzqualität haben können, wie etwa beim normverletzenden Verhalten des Schädigers, das man mit ziemlicher Eindeutigkeit als jedem Schutzrahmen der Ermächtigungsnorm widersprechend bezeichnen könnte. Ohne Auslegung der Ermächtigungsnorm, insbesondere des vorhandenen Konkretisierungs- und Schutzbedürftigkeitsgrades, kann man nicht entscheiden, ob die Umstände des vorliegenden Falles eine Drittschutznormverletzung darstellen.

(2) Ob eine Norm privatrechtliehen Schutz des einzelnen ausdrücklich vorsieht, kann nicht für ihren Drittschutzcharakter maßgebend sein. Vielmehr kann eine Norm wegen ihrer rechtssystematischen Einordnung oder teleologischen Auslegung mit privatrechtliehen Sanktionen bzw. privatrechtlichem Schutz des Geschädigten verbunden sein. (3) Eine andere Frage ist, ob eine Norm nur dann Schutzcharakter haben kann, wenn ihre Durchsetzung durch Sanktionen erfolgen soll. In aller Regel sind Verhaltenspflichten mit Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung verbunden. Das Problem entsteht in den praktisch sehr seltenen Fällen, in denen die Auferlegung einer Rechtspflicht ohne ausdrückliche Sanktionen bleibt. Wenn aber Zweck der Norm der Schutz des einzelnen ist, ist eine Abwägungsfrage, ob dieser durch privatrechtliche Schadensersatzansprüche sanktioniert werden soll. Das Fehlen ausdrücklicher Sanktionen schließt den Drittschutzcharakter i.S. von § 823 Abs. 2 BGB nicht aus. (4) Der Schutzcharakter einer Norm kann wiederum nicht von der genauen Beschreibung des Kreises der geschützten Personen abhängig gemacht werden. Die Bestinunbarkeit dieses Kreises oder ein rechtserhebliches Betroffensein des Beeinträchtigten genügt für die Aktiv-Legitimation im Falle der Verletzung einer Schutznorm.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

2. Ermittlung des Schutzzweckes und des Schutzbereiches einer Norm a) Den Zweck, die ratio legis, einer Norm und den wohl mitbestrebten Schutz von Individualinteressen, kann man nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermitteln. Zunächst ist zu prüfen, ob sich aus der Entstehungsgeschichte ein Hinweis auf die Zweckrichtung ergibt. 19 Aus der Statuierung von Anhörungspflichten bei der Durchführung eines Gesetzes, 20 sowie aus seiner rechtssystematischen Einordnung21 kann gefolgert werden, ob die Norm auch dem Individualschutz des Anzuhörenden zu dienen bestirrunt ist oder nicht. Ausschlaggebend ist jedenfalls die Prüfung der Frage, "ob die Schaffung eines individuellen Schadenersatzanspruches, auch soweit sie nicht schon erkennbar vom Gesetz erstrebt wird, in diesem sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint ... Nur so läßt sich die mit Recht befürchtete Entwicklung vermeiden, daß durch die zunehmende Tendenz, Ansprüche eher auf § 823 Abs. 2 BGB zu stützen ... , die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen wird.'m b) Von großer praktischer Bedeutung ist ferner die Feststellung des Schutzbereiches einer Norm, die sich als Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 erweist. Dabei ist zu prüfen: (1) ob der Schaden durch eine Gefahrverwirklichung verursacht worden ist, wovor die Norm schützen will; (2) ob das geschädigte Gut oder Interesse zu denen gehört, die durch die Norm individuell geschützt werden und (3) ob der Geschädigte zum Kreis der geschützten Personen gehört. Die Feststellung des Schutzbereiches der Norm erfolgt nach den gleichen Kriterien wie die Ermittlung des Schutzzwecks des Gesetzes. Ihre praktische Bedeutung besteht darin, daß sie signifikant für den Umfang der Haftung ist. 23 Auch wenn man den Drittschutzzweck der Norm und das Bedürfnis nach Deliktsschutz bejaht hat, bleibt die Frage offen, wen und inwieweit die Norm schützt. Das Problem wird offensichtlich bei Folgeschäden, insbesondere bei Schäden Dritter oder bei von Dritten mitverursachten Schäden.24

19 Vgl. dazu MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 148; Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 588;jeweils m. w. Nachw. 2o Vgl. BGHZ 26,42 (43); 69, 1 (21). 21 So BGHZ 40, 306 (307); vgl. auch Canaris, FS Larenz (1983), S. 47 f. 22 BGHZ 66, 388 (390) = NJW 1976, 1740. Zum gleichen Ergebnis gelangte bereits Knöpfte NJW 1967, 697, der die Vereinbarkeit eines Schadensersatzanspruches mit dem System des bürgerlichen Rechts und des Rechts des außervertraglichen Schadensausgleichs ebenfalls ausschlaggebende Kriterium für die Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ansieht. Dazu vgl. auch Canaris, FS Larenz (1983), S. 47. 23 Vgl. dazu Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 594 ff (insbes. 597 - 598). 24 Vgl. z. B. BGHZ 12, 75 ; 57, 137; 59, 175; BGH NJW 1972, 1804; NJW 1978,2027.

II. Zur Drittschutzqualität von Umweltgesetzen

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II. Zur Drittschutzqualität von Umweltgesetzen 1. Können konkretisierungsbedürftige Verhaltensnormen in Umweltschutzgesetzen Drittschutzqualität entfalten?

Diese Frage hat in dem Fall eine praktische Bedeutung, wo Vorschriften eines Umweltgesetzes Grundpflichten von Behörden oder Privaten beschreiben, die wenigstens auch individuellen Interessen Dritter dienen, deren Konkretisierung aber durch andere Normen oder durch die Verwaltung vollzogen wird. Einen ähnlichen Fall bilden Umweltschutzgesetze, welche -der moderneren legislatorischen Technik entsprechend - die von ihnen verfolgten Ziele ausdrücklich aufführen und in denen Bezug auf private Belange Dritter genommen wird. a) Ennächtigungsnonnen, Verhaltensverbote und Grundpflichten

Nach h.M. sind gesetzliche Ermächtigungen, die einer Behörde innerhalb eines Ermessensrahmens die Befugnis zu Geboten, Verboten oder Auflagen geben, keine Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB.25 Die Rechtsprechung stellt grundsätzlich auf die verwaltungsbehördliche Einzelregelung selbst ab, die aufgrund der Eingriffsrechtsgrundlage erlassen worden ist und faßt sie als Schutzgesetz auf. 26 Somit erkennt die Rechtsprechung eine Drittschutzqualität von Ermächtigungsnormen nur dann an, wenn diese durch die ermächtigte Behörde konkretisiert worden sind. Dieser Rechtsprechung ist nur teilweise zuzustimmen. Man sollte Ermächtigungsnormen ihrem ltlhalt nach differenzieren. Vorschriften, die nicht nur als Ermächtigungsgrundlage für Verwaltungsakte, sondern auch als Grundlage von Verhaltenspflichten formuliert sind, können eine unmittelbare Drittschutzqualität entfalten, 27 soweit sie den Rahmen eines Verhaltens des Adressaten beschreiben, in dem die Behörden weitere Konkretisierungen vornehmen können. Dieser normative Rahmen begrenzt nicht nur das Ermessen der Behörden, sondern bestimmt bereits das rechtmäßige Handeln der betroffenen Personen, und zwar in einer unmittelbaren Weise und zugunsten gefährdeter Interessen Dritter. Man sollte insbesondere solche Normen als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ansehen, die ein 25 Vgl. Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 576; MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. !53; Medicus JZ 1986, 783; Bullinger VersR 1972, 599 (605); Köndgen UPR 1983, 351 ; Feldhaus, Anm. 39 zu§ 4 BlmSchG; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 165. 26 Vgl. BGH NJW 1974, 1240; OLG München VersR 1983, 887; aus der älteren Rspr. RGZ 135, 245. 27 So auch Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 482 f; ders., Gutachten, S. C 122; Münch Komm I Mertens § 823 Rdn. 154a. Bedenken äußert dagegen Medicus JZ 1986, 783.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

unmittelbares Verhaltensverbot für die Verwaltung oder Privatpersonen vorschreiben, zugleich aber Einzelregelungen eines zusammenhängenden, zulässigen Verhaltens einer Behörde überlassen.Z 8 Wenigstens hinsichtlich ihres unmittelbar wirkenden Verbotsgehalts sollten sie als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden, soweit sie den Schutz individueller Interessen Dritter wenigstens mitbezwecken. Ist aus dem Ermächtigungsrahmen einer Norm weder ein Verbotsgehalt noch eine Grundpflicht zu entnehmen, die für die Verwaltung oder für die betroffenen Privatpersonen zugunsten auch von Drittinteressen unmittelbar verbindlich ist, dann kann die Norm kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sein.Z9 Das Gericht hat dies in jedem konkreten Fall zu überprüfen, indem es die Bezugsnorm auslegt. Für die Anknüpfung des deliktischen Schutzes nach § 823 Abs. 2 BGB an die Pflichtenkonkretisierung durch die Behörde spricht es, daß die Unternehmer, die nach §§ 4 ff. BimSchG genehmigungsbedürftige Anlagen betreiben, ein erhebliches wirtschaftliches Interesse daran haben, sowohl den für den Umwelt- und Unfallschutz erforderlichen sicherheitstechnischen Aufwand30 als auch die potentiellen Haftungsrisiken kalkulierbar zu halten. Die hier vertretene Ansicht trägt aber auch den Interessen der Unternehmer Rechnung. Schadensersatzklagen Privater aufgrund des § 823 Abs. 2 BGB können nur dann Erfolg haben, wenn der Anlagebetreiber so unsachgemäß oder grobfahrlässig gehandelt hat, daß man in seinem Verhalten einen Verstoß gegen die gesetzlichen Verbote oder Grundpflichten der Schutznorm ansieht. 31 Im technischen Zeitalter und in einer freien Marktwirtschaft versteht es sich von selbst, daß ein Unternehmen solche Grundpflichten und gesetzliche Verbote kennt und einhalten muß, unabhängig von eventuellen Konkretisierungen durch die Behörde, da es sich meistens um fachtechnisch selbstverständliche Regeln handelt. Verletzt ein Unternehmer Verbote oder Grundpjlichten, die in einer Ermächtigungsnonn ausdrücklich oder in erkennbarer Weise fonnuliert sind und wenigstens auch Belange Dritter schützen wollen, dann hat er nach § 823 Abs. 2 BGB auch für Vennögensschäden geschützter Dritter einzustehen. Andernfalls könnten die Anlagehetreiber ihre Haftung für Schäden durch Verletzung von Grundpflichten oder Gesetzesverboten unter Berufung auf das Fehlen einer behördlichen Konkretisierung faktisch umgehen oder gegebenenfalls auf das Maß der Haftung wegen Verkehrspflichtverletzung reduzieren, d. h. ihre Haftung würde von der Verletzung eines nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechts oder Rechtsguts Dritter abhängen und keine Vermögensschäden umfassen. Hinsichtlich von Grundpflichten und -verboten kann den Anlagebetreibern die erweiterte Haftung

In diesem Sinne auch MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 153. Soweit ist der h.M. (vgl. o. Fn. 25) zuzustimmen. 30 Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 482 f. 31 In diesem Sinnes. auch Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 485; MünchKomml Mertens § 823 Rdn. 154a. 2s 29

II. Zur Drittschutzqualität von Umweltgesetzen

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aus § 823 Abs. 2 BGB zugemutet werden, da sie schließlich zu den Grundrisiken eines Unternehmens gehört. 32 Ferner ist die Gefahr einer mehr oder minder lautlosen Kooperation zwischen Behörden einerseits und Herstellern und Betreibern technischer Anlagen andererseits, nicht von der Hand zu weisen.33 M.E. wäre es eine unangemessene Benachteiligung der legitimen Interessen des Geschädigten, wenn man die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB immer von dem - oft verzögerten oder unvollständigen - pflichtenkonkretisierenden Einschreiten der Behörden abhängig machen würde. Soweit eine Ermächtigungsnorm durch Grundpflichten oder Verbote Privatinteressen Dritter schützen will, verdienen diese den weitgehenden Deliktschutz des § 823 Abs. 2 BGB auch ohne Konkretisierung durch eine Genehmigung, Auflage, Anordnung usw. b) Drittschützende Ennächtigungsnonnen in Umweltgesetzen

Die in § 5 Abs. 1 BlmSchG normierten Grundpflichten des Setreibers genehmigungsbedürftiger Anlagen sind z. B. nicht nur als Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 BlmSchG, sondern als unmittelbar geltende, selbständige Verpflichtungen des Anlagenbetreibers anzusehen, 34 die den Schutz von Drittinteressen wenigstens auch mitbezwecken (vgl. §§ l, 4 Abs. 1 BlmSchG). Die Grundpflichten des § 5 Abs. 1 BlmSchG können zwar durch Rechtsverordnungen nach § 7 BlmSchG oder Genehmigungsauflagen nach § 12 BlmSchG oder durch nachträgliche Anordnungen der Behörde nach § 17 Abs. 1, 2 BlmSchG konkretisiert werden und somit einen genaueren Gebotsgehalt für den Anlagenbetreiber erhalten. Davon kann aber der zivilrechtliche Drittschutzcharakter der Grundpflichten des § 5 Abs. I BlmSchG nicht abhängig gemacht werden, da sie schon kraft Gesetzes unmittelbar sowohl das Handeln des Anlagenbetreibers als auch das Handeln der Behörde betreffen. Noch nicht vollzogene, verspätete, lückenhafte oder fehlerhafte Konkretisierung der Grundpflichten des § 5 BlmSchG entlastet den Anlagenbetreiber von den zivilrechtliehen Folgen seines (rechtswidrigen) Verhaltens nicht. Wie Diederichsen zu Recht argumentiert, 35 trifft den Unternehmer das volle Anpassungsrisiko; er hat ohne Rücksicht auf die Ausgestaltung der Genehmigung den Zweck des BlmSchG in eigener Verantwortlichkeit zu realisieren. 32 Das verwaltungsrechtliche Gefahrensteuerungssytem, so Marburger; Die Regeln der Technik im Recht, S. 482 f, läßt i.d.R. dem Anlagebetreiber nur noch wenig Raum für selbständige Gefahrenverantwortung. Jedoch hat man heute davon auszugehen, daß eine vernünftige Investitionskalkulation jedenfalls den Aufwand für die Erfüllung der gesetzlichen Grundpflichten und Einhaltung der Verbote miteinbeziehen durfte. 33 So MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 154a. 34 So auch Feldhaus, BimSehR § 5 Anm. 11 ; Diederichsen, FS R. Schmidt, S. 14; Jarass, BlmSchG § 5 Rdn. 1; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rdn. 29. 35 Diederichsen, FS R. Schmidt, S. 14 f.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

Die ganz h.A. in der öffentlich-rechtlichen Literatur und Rechtsprechung betrachtet nur§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG als drittschützende Norm. 36 Feldhaus weist ausdrücklich darauf hin, daß die Grundpflichten des § 5 BlmSchG als solche kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB seien. 37 Der Meinungsunterschied zwischen Zivil- und Öffentlichrechtlern wird noch deutlicher bei der Vorsorgepflicht des Anlagenbetreibers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG: in der zivilrechtliehen Literatur wird sie als Schutzgesetz i.S. von§ 823 Abs. 2 BGB angesehen, 38 während die öffentlichrechtliche Literatur und Rechtsprechung keinen Drittschutzcharakter bzw. keinen nachbarschützenden Charakter anerkennen. 39 Dies läßt sich durch den unterschiedlichen Blickwinkel des Zivil- und des öffentlichen Rechts hinsichtlich der Drittschutzqualität einer Norm erklären. Für das Zivilrecht ist maßgebend, daß der normzweckimmanente Schutz der Interessen Dritter auch als deliktischer Schutz anzusehen ist. Für das Verwaltungsrecht ist ausschlaggebend, ob Zweck der Norm ist, Interessen Dritter in dem Sinne zu schützen, daß die Verwaltung bei ihrem Handeln, z. B. bei der Erteilung einer Genehmigung, die geschützten Drittinteressen zu berücksichtigen hat, oder ob der betroffene bzw. geschützte Dritte aus der Norm ein subjektives öffentliches Recht ableiten kann, d. h. ob ihm eine Klagebefugnis i.S. von § 42 Abs. 2 VwGO zusteht. Gegen eine Koppelung der zivilrechtliehen Beurteilung der Drittschutzqualität einer Norm an die öffentlichrechtliche Sichtweise40 spricht das Argument, daß das Zivilrecht i.d.R. nur bipolare Beziehungen nach dem Schema Schädiger - Geschädigter bzw. Anlagenbetreiber - geschützter Dritter regelt. Demgegenüber steht im Verwaltungsrecht zwischen Anlagehetreiber und geschütztem Dritten die Verwaltung mit ihrem Handeln, gegen die der Dritte öffentlichrechtliche Ansprüche geltend machen kann mit der Absicht, durch ihr Handeln das ihn beeinträchtigende Verhalten des Anlagehetreibers zu bekämpfen. Das Zivilrecht gewährt dem ge36 Vgl. BVerwGE 65, 313 (320); 68, 58 (59); BVerwG NJW 1984, 2174; Jarass, BlmSchG § 5 Rdn. 45; Breuer, Umweltschutzrecht, in: v. Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 593; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rdn. 30. Zu drittschützenden Normen des BlmSchG s. Überblick bei Hoppe I Beckmann, UmweltR, § 13 Rdn. 101m. w. Nachw. 37 Feldhaus, BimSchR, § 4 Anm. 39; Baur dagegen sieht das ganze BlmSchG als Schutzgesetz i.S. von§ 823 Abs. 2 BGB, JZ 1974, 657 (660). 38 Vgl. Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 603 ; Palandt I Thomas § 823 Rdn. 145; Soergel I Zeuner § 823 Rdn. 264; MünchKomm I Mertens Rdn. 169; RGRK I Steffen § 823 Rdn. 551, alle unter Berufung auf das Urteil des OVG Münster NJW 1976, 2360 = DB 1976, 2199, obwohl das BVerwG diese Entscheidung 1978 aufgehoben (vgl. BVwGE 55, 250) und später den Drittschutz des§ 5 Abs. I Nr. 2 verneint hat (vgl. BVwGE 65, 313, 320). Vgl. auch OLG München BIGBW 1978, 150; LG Münster NJW-RR 1986, 947. 39 Vgl. oben Fn. 36 und Marburger, Gutachten, C 61 Fn. 269; Schröder, Vorsorge, S. 276 f; Sellner NJW 1980, 1261 f n.w.Nachw.; vgl. auch Überblick zum Meinungsstand bei Schröder, S. 272 ff; a.A. Stich, Kommentar zum BlmSchG, § 5 Anm. 1. .w Vgl. auch Gmehling, Beweislastverteilung bei Industrieimmissionen, S. 202, der die Ansicht vertritt, die Beurteilung eines Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 BGB habe sich von der öffentlich-rechtlichen Sichtweise zu lösen.

II. Zur Drittschutzqualität von Umweltgesetzen

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schützten Dritten (Geschädigten) einen direkten Anspruch gegen den Anlagebetreiber, während das öffentliche Recht prinzipiell indirekt nach Einschaltung einer Behörde schützt. Ferner ist der zivilrechtliche Schutz des Dritten hauptsächlich privater Schutz; demgegenüber weist der verwaltungsrechtliche Schutz des Dritten zwar auch individuelle Züge auf; er wird aber nicht nur durch die Rechtsposition des einzelnen, sondern auch durch das rechtmäßige Handeln der Behörde bestimmt. Für eine Bindung des Zivilrechts an die öffentlichrechtliche Beurteilung der Drittschutzqualität einer Norm könnte man mit dem Argument plädieren, daß der deliktische Schutz nach § 823 Abs. 2 BGB auch den quasi-negatorischen Schutz mitumfaßt. 41 Somit könnte der geschützte Dritte durch den deliktischen Beseitigungs- und - vor allem - Unterlassungsanspruch den Anlagenbetreiber zivilrechtlieh über das Maß des öffentlichen Rechts hinaus zwingen, Schutzmaßnahmen zu treffen bzw. schwer kalkulierbare sicherheitstechnische Investitionen zu machen. Der legitime Bestandschutz42 des Anlagenbelreibers wäre dann unannehmbar geschwächt. Diesem Argument ist aber entgegenzusetzen, daß der privatrechtliche Abwehrschutz Dritter gegen benachteiligende Einwirkungen aus einer genehmigten Anlage nach § 14 BlmSchG eingeschränkt ist und jedenfalls nur technisch durchführbare und wirtschaftlich vertretbare Sicherheitsvorkehrungen verlangt werden können. 43 Die Zivilrechtsprechung hat nur wenigen umweltschutzrelevanten Normen Drittschutzcharakter zuerkannt, wie bei §§ 3, 8 TrinkwasserV0,44 §§ 8 Abs. 3, 4 WHG und 18 BayWG,45 § 2 BienenschutzV046 und für§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BlmSchG.47 Als Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB könnte man demgegenüber auch z. B. folgende Umweltschutznormen ansehen: aus dem Immissionsschutzrecht § 22 BlmSchG hinsichtlich der Grundpflichten nicht-genehmigungsbedürftiger Anlagen, 48 § 3 Abs. 3 der StörfallV0;49 aus dem Abfallrecht § 8 Abs. 3 Nr. 3 AbfG,50 wohl auch § 2 Abs. 1 AbfG, soweit neben dem Schutz der Allgemeinheit die Belange Einzelbetroffener zu berücksichtigen sind; ebenfalls mit der Zu den deliktischen Abwehransprüchen vgl. oben § 2 II 1 c. Zum Bestandschutz genehmigter Anlagen s. Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rdn. 93 ff m. w. Nachw. 43 Dazu vgl. unten § 10 II 2 a dd und zur Duldungspflicht nach§ 14 BlmSchG unten § 10 II 2 b. 44 Vgl. BGH VersR 1983,441 (442). 45 Vgl. BayObLGZ 1980, 171 (172) und 1982, 431 (432). 46 OLG Harnrn VersR 1983, 160 (161). 47 Vgl. LG Lengerich NJW-RR 1986, 947 (953). 48 Vgl. Feldhaus, BlrnSchG, § 22 Anm. 10; Diederichsen BB 1973,485. 49 Vgl. OVG Lüneburg DVB11984, 819. 5o Vgl. OVG Lüneburg DVBl 1984, 895 (896); DVGI 1986, 418 (420); BVerwG UPR 1988, 147ff. 41

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Verpflichtung zur Entsorgung nach § 3 Abs. 1 AbfG; aus dem Wasserrecht § 11 WHG, 51 wohl auch§§ 2, 3 und 41 Abs. 1 Nr. 1 WHG. 52 Vorschriften, wie§ 1 BlmSchG, welche lediglich die Zwecke eines Gesetzes beschreiben, können grundsätzlich nicht als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden. 53 Zwar sind sie für die Auslegung anderer Vorschriften des gleichen Gesetzes und insbesondere für deren Drittschutzqualität maßgeblich, sie selbst aber haben keinen Schutzcharakter, wenn sie keinen abgrenzbaren Verhaltensgebot haben. Im Beispiel des § 1 BlmSchG können Ersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB wegen schädlicher Einwirkungen auf Menschen, Tiere, Pflanzen und andere Sachen nicht an die bloße Eigenschaft des Inanspruchgenommenen als Anlagehetreiber angeknüpft werden.

2. Drittschützende Verhaltenspflichten in Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsakten a) Unter Verwaltungsvorschriften versteht man heute solche Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete ergehen und die dazu dienen, Organisation und Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen. 54 Da die allgemeinen Verwaltungsvorschriften nur eine interne Bindung der Behörden erzeugen, werden sie nicht als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB angesehen.55 Sie scheiden als Schutzgesetze nicht wegen fehlender Normqualität aus, sondern deswegen, weil der Adressat ihrer Regelungen die öffentliche Verwaltung ist. 56 Solange eine Verwaltungsvorschrift nur Innenwirkung entfaltet, entstehen weder im öffentlichen noch im Zivilrecht Probleme. 57 Kann man aber eine Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung als Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ansehen, soweit sie den Schutz Dritter bezweckt? Im Umweltrecht sind von besonderer Bedeutung verhaltenslenkende Verwaltungsvorschriften und zwar normkonkretisie51 Soweit diese Vorschrift dem Betroffenen eine materiell-rechtliche Stellung einräumt vgl. BGHZ69, I (15). 52 Der BGH NJW 1966, 2014 hat es aber offengelassen. 53 So im Ergebnis auch Diederichsen, FS R. Schmidt, S. 10 ff. Er sieht § I BlmSchG als Rahmenschutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB, er lehnt aber eine weite Betrachtung dieser Vorschrift ab. 54 So Ossenbühl in: Erichsen I Martens, Allg. VerwR, 7. Auf!., S. 85. 55 Vgl. MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 158; Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 476. 56 So auch Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 476-477. 57 Zur Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften s. Ossenbühl, in: Erichsen I Martens, AllgVerwR, S. 88 ff m. w. Nachw.

II. Zur Drittschutzqualität von Umweltgesetzen

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rende Verwaltungsvorschriften, die sowohl technische Regeln und Umweltstandards, als auch Ermessensrichtlinien für die Behörde enthalten. Solche Verwaltungsvorschriften können den vitalen Lebenskreis der Bürger oft stärker und nachhaltiger berühren, als Gesetz und Verfassung. Eine Außenwirkung bzw. eine drittschützende Außenwirkung von verhaltenslenkenden Verwaltungsvorschriften kann daher nicht ausgeschlossen werden. 5 8 Die Anerkennung von Verwaltungsvorschriften mit drittschützender Außenwirkung als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ist generell zu verneinen. 59 Zwar können sie dann eine drittschützende Außenwirkung entfalten, wenn durch ihre Anwendung von der Behörde dem Privatadressaten faktisch Verhaltenspflichten zugunsten von Drittinteressen auferlegt werden; unmittelbarer Adressat bleibt aber die nachgeordnete Genehmigungs- oder Überwachungsbehörde und nicht der Privatadressat, der nach § 823 Abs. 2 BGB im Verletzungsfall haften soll. Würde man solche Verwaltungsvorschriften als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anerkennen, so würden die Verwaltungsvorschriften auch für den Richter verbindlich, da er die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Schädigers nach ihren Bestimmungen beurteilen müßte. Somit schießt man weit über das Ziel der Verwaltungsvorschriften hinaus, wenn man sie praktisch hinsichtlich der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB den Normen gleichstellte, die unmittelbare Verhaltenspflichten für den potentiellen Schädiger und zugunsten Dritter vorsehen. Es wäre wiederum mit den Grundsätzen des Deliktsrechts kaum vereinbar, den Anlagehetreiber wegen Verletzungen von Verwaltungsvor schriften nach § 823 Abs. 2 BGB haften zu lassen, wenn er weder der Adressat gesetzlicher Verpflichtungen war, noch in voller Eigenverantwortung hinsichtlich der Vermeidung von Drittschäden gehandelt hat. 60 Jedenfalls würde er nach § 823 Abs. 2 BGB nur bei einer Verletzung der ss So Ossenbühl, in: Erichsen I Martens, AllgVerwR, S. 90. 59 A.A. ist Brüggemeier, Deliktsrecht, Anm. 794. Er meint, allgemeinen Verwaltungsvorschriften- wie z. B. TA-Luft, TA-Lärm etc. - könne über die Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 GG die gleiche Außenwirkung wie formellen Gesetzen zukommen. Sie könnten daher ebenso Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sein, wie sie drittbezogene Amtspflichten i.S. des § 839 BGB begründen könnten. Zur Selbstbindung der Verwaltung und Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften s. Ossenbühl, in: Erichsen I Martens, AllgVerwR, S. 92 ff. Köndgen UPR 1983, 345 (351) erkennt ebenfalls die Verwaltungsvorschriften TALuft, TA-Lärm als Schutzgesetze i.S. von§ 823 Abs. 2 BGB an; a.A. Medicus JZ 1986, 783. 60 In der Regel verlangt die Verwaltung in Anlehnung an ihre Verwaltungsvorschriften ein bestimmtes Verhalten des Adressaten und knüpft die verwaltungsrechtlichen Folgen daran, wie z. B. die Erteilung einer Genehmigung oder nachträgliche Anordnungen usw. Grundsätzlich ist die Verwaltung verpflichtet nach den drittschützenden Verwaltungsvorschriften vorzugehen. Der Adressat hat eine öffentlichrechtliche Pflicht nach den Anordnungen der Behörde zu handeln, aber keine direkte Pflicht die Interessen Dritter zu schützen. Der Drittschutz seitens des Adressaten ist nur mittelbar und entspricht nur dem Maß der Anforderungen der Behörde. Auch wenn die drittschützenden Verwaltungsvorschriften aufgrund einer Ermächtigungsnorm erlassen worden sind, läßt sich kaum die Anknüpfung individueller Schadensersatzansprüche an ihre Verletzung allein aus dem Grund herleiten, daß der Gesetzgeber bewußt nur die Verwaltung direkt verpflichten wollte.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

genauen Bestimmungen der Verwaltungsvorschrift haften, die oft sowohl für den Umweltschutz als auch für die Vermeidung von Schäden ungenügend sind. b) Entgegen der wohl h. M. und der Rechtsprechung, die undifferenziert auf die Einzelregelungen eines Verwaltungsaktes selbst abstellt und sie als Schutzgesetz auffaßt, 61 kann der Verwaltungsakt als solcher kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sein, da er keine Rechtsnorm ist. Schutznormqualität kann nur die zu seinem Erlaß zugrunde liegende Norm haben, die durch ihn konkretisiert wird. 62 Soweit eine Ermächtigungsnorm keine unmittelbaren Gebote oder Verbote an den Privatadressaten enthält, kann sie nur in Verbindung mit dem konkretisierenden Verwaltungsakt als "vollständiges" Schutzgesetz i.S. von§ 823 Abs. 2 BGB angesehen werden, da erst durch ihn für den Privatadressaten konkrete Verpflichtungen entstehen, deren Verletzung die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB auslöst und dadurch den Drittschutzzweck der Ermächtigungsnorm erfüllt. Merteni 3 lehnt eine Gleichstellung der Verwaltungsakte mit den Normen i.S. von Art. 2 EGBGB und somit jede Anerkennung als Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ab. Er meint, diese Gleichstellung binde den Zivilrichter in einer nicht hinnehmbaren Weise an Verwaltungsakte. Dem ersten Argument Mertens ist entgegenzusetzen, daß nach der hier vertretenen Ansicht zwar der Verwaltungsakt selbst keine Normqualität besitzt. Diese hat aber jedenfalls die Norm, die die Rechtsgrundlage für den Verwaltungsakt bietet. Wenn es der Gesetzgeber zum Schutz von Drittinteressen der Verwaltung überlassen hat, konkrete Einzelregelungen nach ihrem Ermessen zu treffen, ist nicht einzusehen, warum der Zivilrichter sie nicht als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB auffassen kann. Gewiß muß der Richter nach den konkreten Bestimmungen des Verwaltungsaktes das Vorliegen einer Schutzgesetzverletzung beurteilen. Er bleibt aber nur im Rahmen der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB an diese Bestimmungen gebunden, d. h. ihre Einhaltung von dem Privatadressaten-Schädiger entlastet ihn nicht automatisch von einer eventuellen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verkehrspflichtverletzung. Die Regelungen eines Verwaltungsaktes, der aufgrund einer drittschützenden Norm erlassen worden ist, schreiben nur das obligatorische Minimum von Schutzmaßnahmen vor, welche der Privatadressat zugunsten Dritter zu treffen hat, eben weil sein Verhalten schutzwürdige Drittinteressen gefährdet. So löst die Nicht-Einhaltung der Bestimmungen eines solchen Verwaltungsaktes die weitgehende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB aus, bei deren Einhaltung aber der Schädiger noch keinen Freibrief für jede deliktische Haftung erhält; er kann nach § 823 Abs. I BGB haften. Die Bindung des Richters an die konkrete Regelung des Verwaltungsaktes hinsichtlich des rechtswidrigen Verhaltens des Schädigers ist gerechtfertigt, Vgl. oben Fn. 6; vgl. auch Brüggemeier, Deliktsrecht, Anm. 797. So auch Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 475; eingehend Schmiede/, Deliktsobligationen, S. 47 ff. 63 MünchKomm I Men ens § 823 Rdn. 153. 61 62

111. Technische Umweltstandards als Schutzgesetze

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da der Schädiger schließlich eben deswegen zur verschärften Verantwortung nach § 823 Abs. 2 BGB gezogen wird. Ausschlaggebend für die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung der drittschützenden Regelungen eines Verwaltungsakts bleibt jedenfalls der Drittschutzcharakter der zugrundeliegenden Norm. 64

111. Technische Umweltstandards als Schutzgesetze i. S. von § 823 Abs. 2 BGB Häufiger als in vielen anderen Rechtsbereichen enthalten die umweltrechtlichen Normen eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, 65 die sich "auf komplexe naturwissenschaftliche oder technische Sachverhalte" beziehen, deren "Feststellung, Deutung und Bewertung in aller Regel aufgrund der Lebenserfahrung nicht möglich ist".66 Die Umweltstandards setzen die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe des Umweltrechts in präzise definierte Größen um und beschreiben somit detailliert die technischen Anforderungen an umweltrelevante Vorhaben. 67 Siebezwecken entweder die Abwehr von Gefahren und sind daher an bekannten, vermuteten oder geschätzten Schädlichkeitsschwellen orientiert (Schutzstandards) oder sie zielen auf eine erwünschte Umweltqualität: grundsätzlich bewegen sie sich unterhalb der Gefahrengrenze und orientieren sich vornehmlich an der technischen Vermeidbarkeil eines Schadstoffausstoßes (Vorsorgestandards). 68 Technische Umweltstandards können: a) gesetzliche Umweltstandards (typischerweise in Form von Rechtsverordnungen), b) administrative Umweltstandards, die zumeist in Form von Verwaltungsvorschriften ergehen und c) private Umweltstandards sein. Die Frage der Bindung der Gerichte an die technischen Umweltstandards ist nicht nur im Verwaltungsrecht,69 sondern auch im Zivilreche0 von großer Bedeutung. Hier interessiert nur der Aspekt, ob die technischen Umweltstandards wegen ihres konkreten, praxisbezogenen und sachverständigen Inhalts als Schutzgesetze Zum Drittschutzcharakter einer Norm s. oben§ 5 l 1 und 2. SoJarassNJW 1987,1225. 66 Feldhaus UPR 1982, 138. 67 Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, S. 40; vgl. auch Jarass NJW 1987, 1225. 68 Zur Unterscheidung der Umweltstandards in Schutz- und Vorsorgestandards vgl. Jarass NJW 1987, 1226; Salzwedel NVwZ 1987, 276 (277); SRU- Umweltgutachten 1987, BTDrucks. 11 I 1568, Rz. 101 ff. 69 Dazu vgl. Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, S. 40 ff; Jarass NJW 1987, 1225 ff, jeweils m. w. Nachw. 70 Insbesondere für das Rechtswidrigkeitsurteil bei der deliktischen Haftung nach § 823 Abs. I BOB oder für die Zulässigkeit von Einwirkungen nach§ 906 BOB. Dazu s. unten§ 10 li 3d und IV. 64 65

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i.S. von § 823 Abs. 2 BGB angesehen werden können und sollen. Von Anfang an muß klargestellt werden, daß technische Umweltstandards- soweit in Rechtsnormen enthalten, die den Schutz von Interessen Dritter wenigstens auch bezwecken als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind. 1. Administrative Umweltstandards als Schutzgesetze i. S. v. § 823 II BGB? Köndgen11 vertritt die Ansicht, Umweltstandards repräsentierten eine ganz besondere Klasse von Normen. Als primär wissenschaftlich ermittelte Verhaltensstandards seien sie sozusagen generalisierte Sachverständigengutachten, 72 deren Güte und Überzeugungskraft weniger von rechtstheoretischen Einordnungen abhänge, als von der Autorität eines spezialisierten Normierungsgremiums, das die entsprechenden Grenz- und Richtwerte in standardisierten Verfahren entwickele. Er nimmt ferner eine extensive Auslegung des Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 BGB vor, indem er Verwaltungsvorschriften - insbesondere die TA-Luft und TALärm - als Schutzgesetze ansieht, weil sie, obwohl nur an die zuständigen Genehmigungsbehörden gerichtet, ihre Entstehung einer ausdrücklichen gesetzgebensehen Normsetzungsdelegation (§ 16 GewO a.F. bzw. § 48 BlmSchG) verdankten und zur Konkretisierung formell-gesetzlicher drittschützender Normen ergangen seien. Man könne sie daher als "gestreckte Verbotstatbestände" bezeichnen.

Nach der hier vertretenen Auffassung sind Verwaltungsvorschriften jedoch keine Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB. 73 Das gleiche gilt für technische Umweltstandards, die in Form von Verwaltungsvorschriften ergehen. Köndgen ist jedoch entgegenzusetzen, daß die Formulierung von drittschützenden Verhaltenspflichten im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB - im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB - ausdrücklich dem Gesetzgeber vorbehalten ist. 74 Er kann zwar die Verwaltung ermächtigen, diese im Einzelfall durch Verwaltungsakte zu konkretisieren, jedenfalls bleibt Adressat der Verpflichtungen unmittelbar derjenige, der für Schäden Dritter nach § 823 Abs. 2 BGB haftet. Dies ist nicht der Fall bei Verwaltungsvorschriften, da Adressat ihrer Regelungen die Behörden und nicht Private sind. Auch Köndgen UPR 1983, 345 (351). n Die frühere öffentlich-rechtliche Rechtsprechung und ein Teil der Literatur sah in den umweltrechtlichen Verwaltungsvorschriften, insbesondere bei der TA-Luft, TA-Lärm, antizipierte Sachverständigengutachten. Vgl. BVerwGE 55, 250 (256); OVG Münster UPR 1982, 206 (207); BreuerDVB11978, 28 ff(34 f); GusyDVB11987, 497 ff; ders. NuR 1987, 156 ff. Jarass NJW 1987, 1225 ff weist zu Recht darauf hin, daß die technischen Umweltstandards sowohl eine sachverständige Aussage als auch eine wertende politische Entscheidung enthalten. Der Ansatz des antizipierten Sachverständigengutachtens berücksichtigt aber nur die eine Seite der Umweltstandards, die sachverständige Entscheidung. 73 Vgl. oben § 5 II 2 a. 74 So auch MünchKomm/ Mertens § 823 Rdn. 151. 71

III. Technische Umweltstandards als Schutzgesetze

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wenn legitimierte Fachgremien75 nach gesetzlich vorgesehenem Verfahren über technische Anforderungen und Schädlichkeitswerte entscheiden, wenden sie sich an die Behörde. Will man den Umweltstandards eine normenkonkretisierende Funktion zukommen lassen, 76 ist gleichwohl daran festzuhalten, daß sie keinesfalls als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften "außenverbindliches" Recht sind. 77 Die Auslegung des Gesetzes bleibt ureigene Aufgabe des Richters. Es wäre dem Deliktsrecht fremd und liefe dem Zweck des § 823 Abs. 2 zuwider, die weitgehende Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB an Regeln zu knüpfen, die keine direkte, allgemeine und verbindliche Geltung haben. Sieht man die technischen Umweltstandards als ein generalisiertes Sachverständigengutachten an, vermag dies ebenfalls nicht die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB zu rechtfertigen. Eine Ermächtigungsnorm kann nur dann als Schutzgesetz i.S. von§ 823 Abs. 2 BGB angesehen werden, nur wenn sie selbständige Grundpflichten oder Verbote des Privatadressaten enthält. Diese gelten unmittelbar und unabhängig von eventuellen Konkretisierungen durch die Behörde. Hat die Verwaltung aufgrund ihrer gesetzlichen Ermächtigung sie konkretisiert, dann kann die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB bei Verletzung der ganz konkreten Verpflichtung ausgelöst werden. Parallel bleiben die Grundverpflichtungen und Verhaltensverbote bestehen. Die Konkretisierung durch die Behörde entlastet den Verpflichteten davon nicht. Ermächtigungsnormen zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften haben keine vergleichbare Funktion. Auch wenn sie den Schutz individueller Interessen Dritter wenigstens mitbezwecken, erfüllen sie ihn in einer mittelbaren, für die Haftung nach § 823 Abs. 2 irrelevanten Weise. Administrative Umweltstandards enthalten keine "gestreckten Verbotstatbestände" für den betroffenen Bürger, sondern nur für die Behörde. Sie müssen nach den technischen Umweltstandards handeln, d. h. die Einhaltung der Umweltstandards etwa von den Anlagebetreibern fordern, kontrollieren, nachträglich anordnen usw. Eine Überschreitung der Werte von Umweltstandards durch den Anlagehetreiber verpflichtet wohl die Behörden einzugreifen, sie bedeutet aber grundsätzlich78 nicht, daß der Anlagehetreiber automatisch eine ausdrückliche, materiellrechtliche Verbotsnorm verletzt hat. Ein Verbotsgehalt durch administrative Umweltstandards kann ferner für die Behörden durch die sog. "Selbstbindung der Verwaltung"79 ent75 Vgl. etwa § 51 BlmSchG; § 24 Abs. 4 GewO. Dazu vgl. auch Feldhaus UPR 1982, 138; Schmölling, in: Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 77, 85; Jarass NJW 1987, 1225 (1226). 76 Vgl. BVerwG DVB11986, 190 (196); OVG Münster DVB11988, 152 (153). 77 So auch Ossenbühl, in: Erichsen I Martens, AllgVerwR, S. 90 m. w. Nachw. ; Hoppe I Beckmann, Umweltrecht, S. 44. 78 Der Anlagehetreiber kann aber wegen Verletzung einer Verkehrspflicht nach § 823 Abs. l BGB haften. Für die Konstituierung von Verkehrspflichten können aber die Verwaltungsvorschriften sowie auch private Umweltstandards bzw. ihre Überschreitung von großer Bedeutung sein. 79 Dazu s. die Literaturnachweise bei Ossenbühl, in: Erichsen I Martens, AllgVerwR, S. 92 Fn. 105.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

stehen, indem ein Abweichen von den Verwaltungsvorschriften ohne besonderen Grund gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. Art. 3 GG) verstoßen kann. 80 In diesem Fall entfalten die verwaltungsinternen Weisungen eine unmittelbare Außenwirkung aber nur im Staat - Bürger - Verhältnis und nicht in den Beziehungen der Bürger zueinander. 2. Private Umweltstandards

Überbetriebliche technische Normen werden in zunehmender Weise von privaten Einrichtungen 81 erlassen. Soweit private Umweltstandards weder in Rechtsnoch in Verwaltungsvorschriften inkorporiert sind, können sie als rein private Regelungen keine rechtlichen Bindungswirkungen entfalten. 82 Außerhalb gesetzlicher Verweisungen kommen sie daher als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. 83 Durch ihre Einbindung in Rechts- und Verwaltungsvorschriften werden private Umweltstandards zu staatlichen und gewinnen den Rang der entsprechenden Vorschrift. 3. Gesetzliche Verweisungen auf den "Stand der Technik"

Rechtsnormen, die dem Verantwortlichen für eine Gefahrenquelle unmittelbar die selbständige Pflicht auferlegen, den "Stand der Technik" zu beachten und seine Tätigkeit danach zu richten, können dagegen Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB sein. Voraussetzung dafür bleibt, daß die Bezugsnorm den Schutz bestimmter Interessen Dritter wenigstens mitbezweckt Normen, die durch die Verweisung auf den "Stand der Technik" lediglich den Beurteilungsmaßstab und die Eingriffsgrundlage für das Handeln der Genehmigungs- und Überwachungsbehörden bilden, kommen allein als solche nicht als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB in Betracht. 84 In diesem Fall könnten Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB erst bei Verstößen gegen die von den Behörden konkretisierten -und dem Stand der Tech80 Vgl. Jarass NJW 1987, 1225 (1228); Ossenbühl, in : Erichsen I Martens, AllgVerwR, S. 93. 81 In der Bundesrepublik Deutschland gibt es rund 150 privatrechtliche Organisationen, die sich mit der Aufstellung und Verbreitung technischer Normen befassen. Die bekanntesten sind das Deutsche Institut für Normung (DIN), der Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE), der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Dazu vgl. Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 183 ff; 197 ff; 208 ff; 217 ff; 222 ff; ders. VersR 1983,597 (598). 82 JarassNJW 1987,1225 (1231). 83 So die ganz h.M. vgl. MünchKomm l Mertens § 823 Rdn. 15. 84 So auch Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 480 ff; vgl. auch MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 23 ff, 154; vgl. auch oben § 5 II I.

III. Technische Umweltstandards als Schutzgesetze

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nik entsprechenden - Genehmigungsbedingungen und Auflagen geltend gemacht werden, wenn der Ermächtigungsnorm Drittschutzqualität im zivilrechtliehen Sinne zukommt. Hält der Adressat die von der Verwaltung aufgrund eines Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 BGB konkretisierten Verpflichtungen ein, dann ist er von der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB entlastet, auch wenn die behördlich konkretisierten Regeln dem Stand der Technik nicht entsprechen. Dies gebietet die Rechtssicherheit In diesem Fall könnte der Geschädigte gegen die Verwaltung aufgrund des § 839 BGB vorgehen. Der Schädiger kann ferner nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verkehrspflichtverletzung haften. Gegen die Anerkennung von Normen als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB, die dem Adressaten die Pflicht der Einhaltung des Stands der Technik auferlegen, um Drittinteressen zu schützen, wird zweierlei eingewandt: erstens die Pflicht der Anpassung an den Stand der Technik sei inhaltlich zu unbestimmt; sie enthalte nicht den für die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB erforderlichen Gebotsoder Verbotsgehalt; zweitens würde man an einen generellen, deliktischen Vermögensschutz anknüpfen und damit die Haftung des Verpflichteten ins Uferlose ausdehnen, das zivilrechtliche Haftungsrisiko unkalkulierbar und folglich weitgehend unversicherbar machen und schließlich den technisch-ökonomischen Handlungsspielraum des Verpflichteten zu stark einschränken. Beide Einwendungen vermögen nicht zu überzeugen. Der ersten ist mit Marburger85 entgegenzusetzen : Wenn der Gesetzgeber in unmißverständlicher Weise den

Betroffenen unmittelbar verpflichtet, die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen - so ließe sich damit schwerlich vereinbaren, die Bedeutung solcher Normen auf Ermächtigungsgrundlagen für Verwaltungsakte zu reduzieren. Sie hätten dann keinerlei spezifische Funktion mehr und wären im Grunde überflüssig. Für diese Ansicht spreche vor allem der vom technischen Sicherheitsrecht verfolgte Zweck, einen ausreichenden Gefahrenschutz zu gewährleisten. Der Sicherungspflichtige sei in vollem Umfang dafür verantwortlich, daß die nach dem "Stand der Technik" erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. 86 An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, daß der von einer Schutznorm i.S. von § 823 Abs. 2 BGB unmittelbar zur Erhaltung des Standes der Technik Verpflichtete stets das Risiko der Rechtmäßigkeit seines konkreten Handelns trägt. Hat aber die Verwaltung aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung die selbständige Verpflichtung des Betroffenen durch ihre Anordnungen konkretisiert, dann haben Ansprüche des geschädigten Dritten nach § 823 Abs. 2 BGB Erfolgsaussichten gewöhnlich nur, wenn der Pflichtige die behördlichen Auflagen nicht eingehalten hat oder wenn die von den Behörden verlangten Sicherheitsvorkehrungen hinter den Anforderungen des Stands der Technik zurückbleiben. Die Befolgung der behördlichen Auflagen und sonstigen Anordnungen bewahrt den Pflichtigen regelmäßig vor dem Fahrlässigkeitsvorwurf, es sei denn, er habe die Unzulänglichkeit 85

86

9*

Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 483. Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 484.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

gekannt oder infolge ihrer Evidenz auch ohne eine besondere Untersuchung kennen müssen. 87 Bei der zweiten Einwendung ist zu berücksichtigen, daß eine Schutznorm i.S. von § 823 Abs. 2 BGB nicht unbedingt alle Vermögensinteressen Dritter schützt. Wer als Dritter und in welchen seiner Interessen geschützt wird, ergibt sich aus der Ermittlung des Schutzbereiches der Norm. 88 Normen, die auf den Stand der Technik verweisen, bezwecken häufig ausdrücklich nur den Schutz von "Leben, Gesundheit und Sachgütern" vor den Gefahren, die bei der Herstellung bzw. dem Betrieb eines technischen Systems auftreten. 89 Marburger90 schließt die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB für primäre Vermögensschäden wegen Verletzung von technischen Standards mit dem Argument aus, daß angesichts der faktisch unbegrenzten Möglichkeiten der Vermögensbeeinträchtigung das Recht der Sicherheitstechnik jegliche Typizität einbüßen müsse, wenn man zu ihren Schutzobjekten auch reine Vermögensinteressen zählen würde. Wie schon erwähnt, ist eine pauschale Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB für alle Vermögensschäden abzulehnen. Insoweit ist Marburger zuzustimmen. Warum aber die Haftung für Vermögensschäden bei Verletzung technischer Schutznormen i.S. von § 823 Abs. 2 BGB generell ausgeschlossen sein sollte, ist nicht ersichtlich, inbesondere wenn der Gesetzgeber auch Vermögensinteressen Dritter schützen wollte, und dies im Lichte des haftungsrechtlichen Systems tragbar erscheint. 91

4. Unfallverhütungsvorschriften

Umweltbezogene technische Standards können auch die von den Berufsgenossenschaften erlassenen Unfallverhütungsvorschriften enthalten. Sie regeln die Maßnahmen, die die Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen zu treffen und das Verhalten, das die Unfallversicherten zur Verhütung von Arbeitsunfällen zu beachten haben. Obwohl sie nach Genehmigung durch den Bundesminister für Arbeit(§ 709 RVO) in Kraft gesetzt werden, sind sie nach der h.M. in der Literatur und Rechtsprechung keine Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB, da ihr Zweck darin liegt, Arbeitsunfälle zu vermeiden, für die die Berufsgenossenschaft einzustehen hat. Sie sind daher nicht dazu bestimmt, Dritte vor Schädigungen zu bewahren.92 Die Nichtbeachtung von Unfallverhütungsvorschriften kann aber Grundlage Vgl. Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 485, insb. Fn. 52. Dazu vgl. oben § 3 IV 1 b. 89 Vgl. z. B. §§ 6 I Nr. 1, 17 II Nr. 1 SprengstoffG; § 1 Nr. 2 AtomG; § 3 I GtA. 90 Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 481. 91 Für Schutz des Vermögens hinsichtlich §§ I, 3 Abs. 1 BimSchG Diederichsen, FS R. Schmidt, S. 1 (12 f); a.A. Marburger, Regeln der Technik im Recht, S. 481. 92 Vgl. dazu Staudinger I Schäfer§ 823 Rdn. 608 m. w. Nachw.; a.A Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, S. 477 ff (eingehend). 87

88

IV. Umweltbezogene Schutzgesetze und Verkehrspflichten

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eines Verschuldensvorwurfs beim § 823 I BGB sein. Da sie im Hinblick auf die Haftung für Umweltbelastungen von geringer Bedeutung sein dürften, wird hier auf die Problematik der Anerkennung der Unfallverhütungsvorschriften als Schutzgesetze i.S. von § 823 Abs. 2 BGB nicht eingegangen.

IV. Umweltbezogene Schutzgesetze und Verkehrspflichten Bislang ist der Weg der Haftungserweiterung für Umweltschäden aufgrund des § 823 Abs. 2 BGB kaum begangen worden. 93 Die drastisch zunehmende Zahl von umweltbezogenen Schutznormen spiegelt sich nicht in der Rechtsprechung zu § 823 Abs. 2 BGB wider. Dies läßt sich vor allem dadurch erklären, daß die Entwicklung des Deliktsrechts - und folglich auch des Umwelthaftungsrechts - sich weniger auf gesetzliche Typisierungen von Verpflichtungen und mehr auf die flexiblere Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung gestützt hat. Der Ausbau der Haftung aus Verkehrspflichtverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB hat praktisch den Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB weitgehend entbehrlich gemacht, da bei Verkehrspflichtverletzungen dem Geschädigten ebenfalls erhebliche Beweiserleichterungen hinsichtlich des Verschuldens des Schädigers zugute kommen. 94 Angesichts der Tatsache, daß die Verletzung eines Schutzgesetzes i.S. von § 823 Abs. 2 BGB nicht unbedingt mit einem umfassenden Vermögensschutz des Schädigers verknüpft ist, wird dadurch der deliktische Rechtsschutz des Geschädigten in der Praxis nicht wesentlich über§ 823 Abs. 1 BGB hinaus erweitert.95 Der Effektivierung der deliktischen Haftung für Umweltschäden durch intensivere Heranziehung von umweltbezogenen Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB kommt deswegen nur eine untergeordnete Rolle zu, weil man bei der Verletzung umweltbezogener Verkehrspflichten im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen gelangt. Man sollte sich aber vor Augen halten, daß sich das Verschulden des Täters bei der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB nur auf den Verstoß gegen die Schutznorm bezieht.96 Infolgedessen haftet der Täter für den durch den Schutznormverstoß adäquat verursachten und vom Schutzbereich der Norm gedeckten Schaden unabhängig davon, ob er bestimmte Folgen seines Verhaltens vorausgese93 Darauf weisen mit Recht Diederichsen I Scho/z, WiVerw 1984, 23 (32) sowie Köndgen UPR 1983, 345 (348) und v. Bar, KF 1987, S. 12 hin. Vgl. Marburger, Gutachten, S. C 123. 94 Vgl. z. B. BGH NJW 1986, 2757 (2758); BGHZ 92, 143 (insbes. !50 f). Dazu vgl. vor allem v. Bar, Verkehrspflichten, S. 283 ff, 302 ff und 320. 95 Vgl. dazu Canaris, FS Larenz, S. 51. 96 Vgl. z. B. BGHZ 51, 103; vgl. auch Deutsch, Haftungsrecht, S. 119. Jauemig I Teichman, § 823 Anm. V 3; Canaris, FS Larenz (1983), S. 521 f, sieht darin eine wesentliche Domäne von § 823 Abs. 2 gegenüber § 823 Abs. 1 BGB und eine Prärogative der gesetzgebeTisehen gegenüber der richterlichen von Gefahrsteuerungsregeln insb. bei abstrakten Gefährdungsdelikten.

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§ 5 Erweiterung der Haftung für Umweltschäden

hen hat oder hätte voraussehen können, 97 während bei der Haftung nach § 823 Abs. 1 (d. h. auch bei Verkehrspflichtverletzung) das Verschulden des Täters sich sowohl auf das verletzte Rechtsgut (Verletzungserfolg) als auch auf die Verletzungshandlung beziehen muß. 98 Ferner schränkt § 823 Abs. 2 BGB keineswegs die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verkehrspflichtverletzung ein,99 da bei Einhaltung einer umweltbezogenen Schutznorm ein Haftungsausschluß nach § 823 Abs. 2, nicht aber nach § 823 Abs. 1 BGB eintritt.

97 Vgl. Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 611; Soergel I Zeuner § 823 Rdn. 339 m. w. Nachw.; aus der Rechtsprechung vgl. z. B. BGH VersR 1956, 158 (159); 1980, 674 (675). 98 Vgl. dazu Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 502 f m. w. Nachw. 99 Vgl. Canaris, FS Larenz (1983) S. 54 ff.

§ 6 Verschärfung der deliktischen Haftung für Umweltbelastungen durch umweltspezifische Verkehrspflichten I. Verkehrspflichtverletzung: Ansatz zur Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts Nach einhelliger Ansicht in der Literatur ermöglicht die Verschärfung bestehender und die Herausarbeitung neuer, umweltspezifischer Verkehrspflichten eine systemkonforme Fortentwicklung des Umwelthaftungsrechts, 1 die auf die Besonderheiten des Einzelfalles genügend Rücksicht nimmt und vor allem zu einer zwar mittelbaren, aber doch effektiven und aus der Sicht des Umweltschutzes sinnvollen Verhaltenssteuerung beiträgt. 2 Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die wichtigsten Quellen von Umweltbelastungen3 sind bestimmte Sachbereiche, die ohnehin mit Gefahren für Dritte verbunden sind, wie z. B. Industrieanlagen, das Inverkehrbringen von umweltbelastenden Stoffen, vor allem Chemikalien oder die Schaffung einer besonderen Gefahrenlage, wie etwa die Errichtung einer Abfalldeponie. Für alle diese Bereiche hat die Rechtsprechung Verhaltensregeln entwickelt, die die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Handeln bzw. Unterlassen des Betreibers der Gefahrenquelle festlegen. 4 Die Verkehrspflichten des Umweltbeeinträchtigers orientieren sich an dem Schutz der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter.5 Die VerletI Vgl. v. Bar, KF 1987, S. 12: "Die Haftung für Verkehrspflichtwidrigkeit ist und bleibt die Kernmaterie des zivilen Umwelthaftpflichtrechts"; Marburger, Gutachten, S. C 121: "Der richtige Ansatz für eine Verstärkung des deliktischen Schutzes gegen Umweltbelastungen liegt bei den sog. Verkehrspflichten" ; Diederichsen, Referat, S. L 76 f; Köndgen UPR 1983, 345 (351); Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 456 Anm. 775 f; Medicus JZ 1986, 782; Baumann JuS 1989, 433 (436); Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 269 ff; Gmehling, s. 239 ff. 2 Zum mittelbaren Umweltschutz durch das Zivilrechts. oben § 2 I 2 b, c, und § 2 II I a. 3 Vgl. dazu oben§ I I. 4 Vgl. MünchKomml Mertens § 823 Rdn. 185 - 187. 5 Zur Diskussion über Verkehrspflichten zum Schutze von Vermögensinteressen vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 204 ff. ; MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 469; ders. VersR 1980, 397 (400); ders. AcP 1978, 227; Canaris, FS für K. Larenz (1983), S. 81 f. Nach h.M. können Verkehrspflichten nicht alleinige Grundlage für eine Ausweitung des deliktischen Schutzes auf bloße Vermögensinteressen über den durch § 823 Abs. I BGB gezogenen Rahmen hinaus sein, vgl. RGRK I Steffen § 823 Rdn. 140; ders. VersR 1980, 409; vgl. auch Staudinger I Schäfer § 823 Rdn. 320 m. w. Nachw.

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§ 6 Verschärfung der deliktischen Haftung

zung einer umweltspezifischen Verkehrspflicht löst die Haftung des Umweltbeeinträchtigers für eingetretene Verletzungen absolut geschützter Rechte und Rechtsgüter Dritter aus, unabhängig von der dinglichen Berechtigung des Geschädigten an einem Grundstück, wie etwa bei§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB oder§ 14 S. 1 BlmSchG. Die Einstandspflicht hängt auch grundsätzlich nicht von der Art der (Umwelt-)Beeinträchtigung, d. h. Luft-, Boden-, Wasser- oder Fauna- und Florabeeinträchtigung (anders z. B. bei § 22 WHG), oder der Art der Verschmutzungsquelle, d. h. öffentliche oder private Anlagen, landwirtschaftliche Nutzung, Transport I Lagerung oder Beseitigung von Umweltschadstoffen ab. Die Bedeutung der umweltspezifischen Verkehrspflichten für die Haftung des Umweltbeeinträchtigers und den mittelbaren Schutz der Umwelt durch Vermeidung bzw. Verminderung bestimmter Umweltgefahren sieht man nicht so sehr in ihrer allgemeinen Beschreibung, sondern in ihrer konkreten Anwendung im Einzelfall. Von großer praktischer Relevanz ist dabei die Frage nach dem Bestehen und Inhalt der Verkehrspflichten, insbesondere wenn der Rückgriff auf bereits anerkannte Pflichten nicht ausreicht, um im Einzelfall zu beurteilen, ob der Schädiger pflichtwidrig gehandelt hat. Das wird bei Schäden durch Umweltbelastungen häufig der Fall sein, da die schädlichen Auswirkungen von Umweltschadstoffen auch naturwissenschaftlich nicht erschöpfend ermittelt worden sind und die umweltbelastenden Quellen (Gefahrenquellen) wegen ihrer Vielfalt im Hinblick auf ihre technischen Daten und ihre Besonderheiten bezüglich Standort, Art des Betriebs etc., gesondert beurteilt werden müssen. Der Richter wird sich häufig mit neuen, dem technischen Fortschritt entsprechenden Sachverhalten auseinanderzusetzen haben, wobei die Bestimmung von umweltspezifischen Verkehrspflichten einer fortschreitenden Dynamik ausgesetzt ist. Dazu tragen gewiß - stillschweigend- die sich ständig umwandelnden gesellschaftlichen Gegebenheiten, wie z. B. das Umweltbewußtsein, die Auffassung über das sog. Lebensrisiko, der tatsächliche Lebensstandard und der wirtschaftliche Hintergrund der Gesellschaft bei.6 6 Deshalb soll hier nicht die Ansicht vertreten werden, daß die vage und kaum sichere so ziologische Betrachtung einen direkten Bestimmungsfaktor der umweltbezogenen Verkehrspflichten darstellt. Eine gesellschaftliche Wandlung erhält juristischen Wert erst durch den Eingriff des Gesetzgebers oder durch generalklauselartige Normen, die auf "durchschnittliches" Verhalten abstellen. Andererseits können sich bestimmte Faktoren, wie z. B. das geringe oder hohe Umweltbewußtsein, die allgemeine Tragfähigkeit der Wirtschaftsstrukturen eines Landes sowie auch der allgemeine Lebensstandard und die damit verbundenen politischen und sozialen Probleme, beschleunigend oder hemmend auf die Entwicklung umweltspezifischer Verkehrspflichten auswirken. Viele der von der bundesdeutschen Rechtsprechung herausgebildeten Verkehrspflichten würden als "übertrieben", "unrealistisch" oder "nicht durchführbar" nicht nur von der Rechtsprechung anderer Länder, sondern auch von der allgemeinen Meinung in anderen Gesellschaften auf Ablehnung stoßen. Der Grund ist meistens einfach, daß sie sich diese "Luxus-Sicherheitsvorkehrungen" aus volkswirtschaftlicher und demzufolge auch aus sozialer Sicht nicht leisten können und deswegen diese Gefährdungen mehr oder minder als "allgemeines Lebensrisiko" hinnehmen. Man braucht nur an die Unterschiede im Umweltbewußtsein oder in der politischen und juristischen Diskussion über den Umweltschutz anderer Länder- auch innerhalb der EG - zu denken, um sich die

II. Bestimmungsfaktoren umweltspezifischer Verkehrspflichten

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Im Hinblick auf die umweltspezifischen Verkehrspflichten bedarf die Frage nach den Maßstäben ihrer judiziellen Ausprägung einer näheren Erörterung.

II. Zu den Bestimmungsfaktoren umweltspezifischer Verkehrspflichten 1. Allgemeine Maßstäbe

Jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle bzw. eine besondere Gefahrenlage schafft oder andauern läßt, muß die ihm zurnutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, um Gefahren abzuwenden, welche den in § 823 Abs. 1 BGB bezeichneten Lebensgüter und Rechte Dritter drohen. 7 Zur genaueren Bestimmung der Pflichten des Gefahrkontrollpflichtigen im Einzelfall hat der Richter mehrere Faktoren gegeneinander abzuwägen.8 Auf der einen Seite steht der Anspruch des Gefährdeten bzw. Geschädigten auf Integrität seiner Rechtsgüter und Rechte und auf der anderen Seite der Anspruch des Normadressaten bzw. des Gefahrkontrollpflichtigen auf Handlungsfreiheit, die durch ihre Bedeutung für die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung verstärkt wird. 9 Der absolute Schutz aller Rechtsgüter und Rechte in § 823 Abs. 1 BGB erfordert ihren gleichrangigen Schutz gegenüber unmittelbar bevorstehenden Eingriffen. 10 Die Rechtsprechung verlangt jedoch eine Intensivierung der erforderlichen Verkehrspflichten hinsichtlich Lebens- und Gesundheitsgefährdungen. 11 Dem ist zwar zuzustimmen, man muß sich aber im klaren darüber sein, daß der Pflichtige sich mit einem geringeren Maß an Vorkehrungen nicht begnügen darf, weil aus seinem gefährlichen Verhalten "nur" Sachschäden zu befürchten seien.

Aspekte dieser "Dynamik" zu vergegenwärtigen. Diese allgemeinen Bemerkungen sind zwar keine Maßstäbe für den deutschen Zivilrichter, um im konkreten Fall die Verkehrspflichten des Gefahrkontrollpflichtigen bzw. des Umweltbeeinträchtigers zu bestimmen und somit über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu entscheiden; sie deuten aber auf unvermeidbare Hintergrundüberlegungen hin, die der Richter bei der Herausbildung neuer bzw. Fortentwicklung bestehender umweltspezifischer Verkehrspflichten de facto anstellen sollte. 7 Vgl. RGZ 121 , 404; 165, 159; BGHZ 5, 378 (380); 14, 83 (85) ; 60, 54 (55); 65, 221 (24); NJW 1966, 1457; 1968, 443 ; VersR 1972, 150; OLG Stuttgart VersR 1974, 395. 8 Dazu vgl. RGRK I Steifen § 823 Rdn. 141 ff; ders. VersR 1980, 409 ff; Mertens VersR 1980, 397 (401 ff)jeweils m. w. Nachw. 9 Vgl. RGRK I Steifen § 823 Rdn. 141; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 125 ff, zieht die private und gemeinschaftliche Nützlichkeit des Gefahrenbereichs in Erwägung; Mertens VersR 1980, 401 spricht von der volkswirtschaftlichen Angemessenheil und Erfüllbarkeil der Verkehrspflichten. Kritisch dazu: Steifen VersR 1980, 411. IO So auch RGRK I Steifen§ 823 Rdn. 141. II Vgl. BGHZ 58, 149 (156); 63, 140 (146).

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§ 6 Verschärfung der deliktischen Haftung

Ferner gilt das Prinzip, daß die Verkehrssicherungspflichten je nach dem Grad der Gefahr und der Schadensneigung, d. h. der Schadenswahrscheinlichkeit für das Schutzgut intensiviert werden können. 12 Die Verkehrspflichten richten sich nicht gegen jede denkbare Gefährdung; maßgebend für die Beurteilung der Schadensneigung, der Schadenswahrscheinlichkeit und des möglichen Schadensausmaßes ist die Ansicht eines Sachkundigen. 13 Eine Rolle für die Bestimmung spielt auch der tatsächliche und rechtliche Einfluß des Pflichtigen auf die Abwendung der Gefahr selbst bzw. ihres Ausmaßes. 14 Für die umweltspezifischen Verkehrspflichten sind hierfür von besonderer Bedeutung die im Zeitpunkt des geforderten Verhaltens bestehenden technischen Möglichkeiten der Gefahrverminderung. Der Aufwand für die technisch möglichen Sicherheitsmaßnahmen muß verhältnismäßig zur Schadensgefahr und zum wahrscheinlichen Schadensausmaß bleiben. 15 Die Verkehrspflichten sollen sich grundsätzlich an der Vertrauenserwartung der Gefährdeten nach der Verkehrsauffassung ausrichten. 16 Auf die geschilderten Gesichtspunkte zur Bestimmung des Inhalts von Verkehrspflichten kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. 17 Sie gelten ebenfalls für die Inhaltsbestimmung der umweltspezifischen Verkehrspflichten. Aus dieser Problematik werden hier nur einige Aspekte hervorgehoben, die von besonderer Bedeutung für unser Thema sind. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die folgenden Fragen: (1) Muß der Richter den Inhalt der umweltspezifischen Verkehrspflichten an schon bestehende Verhaltensregelungen, insbesondere des Umweltrechts, ankoppeln? (2) Welche Rolle spielt für die Festlegung von umweltbezogenen Verkehrspflichten die Erkennbarkeit der abstrakten und der situationsgebundenen Schadensneigung einer Umweltbelastung? (3) Inwieweit können Sicherheitsvorkehrungen dem konkreten Umweltbeeinträchtiger wirtschaftlich zugemutet werden?

12 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 114; ders. KF 1987, S. 13; RGRK I Steifen§ 823 Rdn. 142; Mertens VersR 1980, 401. Vgl. auch BGHZ 58, 149 (157); BGH NJW 1965, 197 (99); BGHVersR 1978,1163 (1165). 13 Vgl. BGHZ 14, 83 (85); 60, 54 (55); BGH VersR 1972, 539; 1976, 149; 1978, 721 ; 1978, 739; 1978, 762; 1978, 1163. 14 Vgl. dazu statt vieler RGRK I Steifen§ 823 Rdn. 142m. w. Nachw. 15 Vgl. RGRK I Steffen § 823 Rdn. 150m. w. Nachw. Zur wirtschaftlichen Zumutbarkeit von Sicherheits maßnahmen s. unten § 6 II 4. 16 Zum Vertrauensschutz vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 117 ff; RGRK I Steffen § 823 Rdn. 145; MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 190. 17 Zur Diskussion über die Bestimmungsmaßstäbe von Verkehrspflichten s. insbesondere die Hinweise oben in Fn. 8.

II. Bestimmungsfaktoren umweltspezifischer Verkehrspflichten

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2. Deliktsrechtsautonome Bestimmung des Verkehrspflichtinhalts 18

Die Bestimmung einer Verkehrspflicht ist zugleich eine Antwort auf die Frage der Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens. Durch die öffentlichrechtliche Verhaltenssteuerung im Bereich des Umweltschutzes werden dem potentiellen Umweltbeeinträchtiger einerseits bestimmte Pflichten, insbesondere als Sicherheitsstandards, auferlegt und andererseits wird ihm eine gewisse umweltgefährdende Tätigkeit ausdrücklich oder stillschweigend erlaubt (vgl. die zahlreichen behördlichen Genehmigungen, die z. B. Emissionen oder Abwässer unter einer bestimmten Grenze als rechtmäßig gestatten). Bestimmt der Zivilrichter Verhaltenspflichten, die über die öffentlichrechtlichen Sicherheitsanforderungen hinausgehen oder qualifiziert er eine erlaubte, umweltbelastende Tätigkeit als rechtswidrig, weil der Pflichtige nicht alle geeigneten und zurnutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um schädliche Auswirkungen zu verhindern, dann stellt sich die Frage, ob das deliktsrechtliche Rechtswidrigkeitsurteil in diesen Fällen dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung widerspricht. Im Grunde handelt es sich um einen Kernaspekt der Problematik über die Bindungswirkung des öffentlichen Rechts für das Zivilrecht.19 Das Urteil über das Bestehen und den Inhalt umweltspezifischer Verkehrspflichten kann und soll grundsätzlich nicht von Vorentscheidungen des öffentlichen Rechts über den Sicherheitsstandard oder die allgemeine Zulässigkeif eines umweltrelevanten Vorhabens abhängig gemacht werden. Es hat in erster Linie nach deliktsrechtlichen Maßstäben, d. h. deliktsrechtsautonom auszufallen. 20 Die Rechtsprechung konkretisiert die Verkehrspflichten nach den Maßgaben der "verkehrserforderlichen Sorgfalt". 21 Dabei können zweifellos die öffentlichrechtlichen Vorgaben in bezug auf die Zulassungs- und Kontrollmaßstäbe der betreffenden Gefahrenquellen bedeutsam werden.Z2 Betrachtet man diese Maßstäbe als verbindliche Konkretisierung der verkehrserforderlichen und -möglichen Sorgfalt, dann müßte man bei objektiver Einhaltung der öffentlichrechtlichen Vorschriften immer die Nicht-Verletzung der äußeren Sorgfalt23 annehmen, da das äußere Geschehen der verkehrserforderlichen Sorgfalt entspricht und somit rechtmäßig ist. Das würde aber einen Ausschluß der deliktischen Haftung für alle Schadensfolgen eines Verhaltens oder einer Tätigkeit bedeuten, die im Rahmen des öffentlichrechtlich ErSo v. Bar, KF 1987, S. 14. Eingehend zu dieser Problematik s. unten§ 10 II 3. 20 Vgl. auch v. Bar, KF 1987, S. 14. 21 Vgl. § 276 BGB. Zu den Verkehrspflichten als Wahrung der äußeren Sorgfalt im Höchstmaß vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 172 ff. 22 So die ganz h.M. der zivilrechtliehen Literatur, vgl. MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 23, 23a, 153, 154a, 158, 190b; Marburger, Gutachten, S. C 121; ders. VersR 1983, 597 (604 f) ; Köndgen UPR 1983, 345 (350 f) ; Canaris, FS für Larenz (1983), 27 (54 ff, insb. 56); Hagen UPR 1985, 192 ff; Pfeiffer, S. 142 ff, 168 ff, 261 ff; HagerNJW 1986, 1961 (1966). 23 Zur Trennung von äußerer und innerer Sorgfalt vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 175 ff. 18

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§ 6 Verschärfung der deliktischen Haftung

laubten liegen?4 Denkt man an alle gefährlichen Anlagen, die heute erst aufgrund von öffentlichrechtlicher Zulassung und Kontrolle in Betrieb gesetzt oder in Verkehr gebracht werden dürfen, dann ist klar, was diese Annahme für den deliktischen Haftungsschutz geschädigter Dritter bedeuten würde. 25 Das öffentliche Recht läßt zwar unter Beachtung eines allgemeinen Sicherheitsminimums eine Gefahrenquelle zu, die Erteilung einer behördlichen Genehmigung ist aber keine Erlaubnis haftungsfreien Schädigens von Rechten und Rechtsgütern Dritter. Die öffentlichrechtliche Zulassung, bzw. die Einhaltung der einschlägigen öffentlichrechtlichen Vorschriften, ist kein Freibrief für die deliktische Haftung. Das Argument über die Bewahrung der Einheit der Rechtsordnung erweist sich daher wenigstens hinsichtlich der Bestimmung von Verkehrspflichten als Scheinargument 26 Hinter einer undifferenzierten Betrachtung der Rechtsordnung steht die Illusion, es gebe ein Gesamtrechtssystem, in dem die Leitentscheidungen bis in alle Einzelheiten und in allen Teilsystemen einheitlich gesteuert werden könnten. 27 Diesem Perfektionsanspruch entspricht wohl das theoretische Ideal der "Einheit der Rechtsordnung". Sie ist aber nicht nur praxisfremd und geht häufig zu Lasten der betroffenen Rechtssubjekte, sondern bleibt in ihrer Konsequenz auch ungerecht und in ihrem philosophischen Kern menschenfeindlich, da das Recht eine menschliche und somit unvollkommene Schöpfung ist. Man kann mit der Einheit der Rechtsordnung argumentieren, indem man die Teilsysteme einer Rechtsordnung und ihre besondere Funktion berücksichtigt und sogar die Einzelfunktionen und Zwecke innerhalb eines Teilsystems differenziert betrachtet; durch diese differenzierte Betrachtung kann man die funktional fremden Rechtsbestimmungen entdecken und systemaufhebende Regelungen und Auffassungen korrigieren. Die Eigenständigkeit des Deliktsrechts widerspricht keinesfalls der Systematik und der Funktion des öffentlichen Rechts. Gerlach28 hat in überzeugender Weise dargelegt, daß das Privatrecht - und somit auch das Deliktsrecht - eine wichtige ergänzende Funktion in einer "gemischten" systematischen Ordnung von öffentlichem Recht und Privatrecht erfüllt. So auch Ger/ach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 93 f. Jedenfalls hat die bisherige Entwicklung der Verkehrspflichten in der Rechtsprechung dieser Annahme widersprochen. Vgl. zuletzt die bekannte Kupolofen-Entscheidung BGHZ 93, 143 ff. Dafür spricht auch die gesamte Entwicklung der Produkthaftung. Dazu vgl. statt vieler MünchKomm I Mertens § 823 Rdn. 279 ff. Das gleiche gilt für die Verkehrspflichten im öffentlichen Straßenverkehr oder bestimmter amtlich zugelassener Berufe. Auch die Entwicklung der Gefährdungshaftung ist in dieser Hinsicht ein Beweis der unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen des öffentlichen und privaten Rechts. Der Inhaber einer in aller Regel genehmigten wassergefährdenden Anlage haftet nach § 22 Abs. 2 WHG auch, wenn er die Einrichtung und den Betrieb seiner Anlage aus öffentlichrechtlicher Sicht tadellos durchgeführt hat. 26 In diesem Sinne auch Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 93 ff; Gmehling, S. 173. 27 So auch Ger/ach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 95 f. 28 Ger/ach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 43 ff, insb. 104 ff. 24 25

II. Bestimmungsfaktoren umweltspezifischer Verkehrspflichten

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Zur deliktsrechtsautonomen Bestimmung des Verkehrspflichteninhalts empfiehlt es sich an dieser Stelle noch zwei Bemerkungen zu machen: Erstens kann die Rechtsprechung durch die Herausbildung von umweltspezifischen Verkehrspflichten dort nicht Schadensersatzansprüche zusprechen, wo das Gesetz sie ausschließt. Als Beispiel dafür kann § 11 WHG angesehen werden. Gegen den Inhaber einer Bewilligung nach § 8 WHG können keine Ansprüche wegen nachteiliger Wirkungen einer bewilligten Wasserbenutzung auf Dritte geltend gemacht werden. Nur wenn der Inhaber einer Bewilligung die für ihn angeordneten Auflagen, d. h. die ihm mit der Bewilligung vorgeschriebenen Grenzen der Gewässerbenutzung nicht einhält, kommen Schadensersatzansprüche in Betracht. 29 Die Bindung des Zivilrechts an das öffentliche Recht ist in diesem Fall ausdrücklich im Gesetz vorgesehen. 30 Diese Fälle sind aber deutlich vom bloßen Ausschluß der privatrechtliehen Abwehransprüche zu unterscheiden, wie z. B. nach § 14 BimSchG, § 7 Abs. 6 AtomG, § II LuftVG. Der Ausschluß der privatrechtliehen Abwehransprüche schränkt die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Zivilrechts und somit auch die deliktischen quasi-negatorischen Ansprüche31 ein, bedeutet aber nicht, daß die Schadensersatzansprüche der Geschädigten aufgrund des § 823 Abs. l BGB ebenfalls ausgeschlossen sind? 2 Zweitens soll eine umweltspezifische Verkehrspflicht grundsätzlich nicht den Sicherheitsstandard vermindern, an den das öffentliche Recht in irgendeiner Weise anknüpft. Das hat praktische Bedeutung vor allem hinsichtlich des in Verwaltungsvorschriften enthaltenen Sicherheitsstandards oder auch hinsichtlich der privaten Standards, die für die Verwaltungspraxis eine wichtige - manchmal bestimmende - Rolle spielen. 33 Der Richter muß jede Abweichung besonders begründen, die 29 Vgl. dazu Sieder I Zeit/er, WHG-Kommentar, § 11 Rdn. 5 und 6. Vgl. auch BGHZ 88, 34 (40). 30 Anders z. B. bei der wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 7 WHG. Ihr Vorliegen mag zwar eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 324 StOB ausschließen (vgl. OLG Celle NdsRpfl 1986, 217 ; Schall, Die Relevanz der Arbeitsplätze im strafrechtlichen Umweltschutz, in Achenbach [Hrsg.], Recht und Wirtschaft, Bd. I S. 1 ff), sie verkürzt dagegen den zivilrechtliehen Schutz nicht (vgl. Sieder I Zeit/er, WHG-Kommentar, § 7 Rdn. 5; vgl. auch § 7a WHG). 31 Dazu vgl. oben § 2 II 1 c. Zum vorbeugenden Schutz vor Verkehrspflichtverletzungen vgl. v. Bar, 25 Jahre Karlsruher Forum, VersR-Beilage, S. 80 ff. 32 Vgl. BGHZ 92, 143 (150 f) : "Eine Immission, die ein Grundstückseigentümer nach § 906 BGB zu dulden hat, ist auch einem Nichtnachbarn gegenüber nicht rechtswidrig und damit ist ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 ausgeschlossen... . Der Emittent ist aber grundsätzlich auch den außerhalb des Nachbarschaftsverhältnisses Betroffenen verpflichtet, schädliche Immissionen von ihnen fernzuhalten; das folgt aus seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht ..." 33 Soweit ein Sicherheitsstandard in einer öffentlichrechtlichen Norm vorgeschrieben ist, ist jeder Verstoß des Schädigers dagegen rechtswidrig. Auf jeden Fall sind behördliche Auflagen in einer Genehmigung hinsichtlich des Rechtswidrigkeilsurteils den Rechtsnormen gleichzustellen. Ihre Regelungen sind für den Zivilrichter insoweit verbindlich, als deren Einhaltung den Mindeststandard für ein rechtmäßiges Verhalten i.S. von § 823 Abs. 1 darstellt

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§ 6 Verschärfung der deliktischen Haftung

derartige standardisierte aber doch zivilrechtlich unverbindliche Sicherheitspflichten unterschreitet, da er dadurch der sachkundigen Aussage dieser Standards widerspricht.

3. Zur Erkennbarkeil der generellen und situationsgebundenen Schadensneigung einer Umweltbelastung Die Verkehrspflichten entstehen nur, wenn eine Gefahrenlage, d. h. die Möglichkeit einer Schadensverursachung dem Sachkundigen ersichtlich ist. 34 Dem Begriff der Gefahr ist ein Urteil über die Wahrscheinlichkeit einer Schadensverursachung immanent. 35 Bei zahlreichen T