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German Pages 536 [544] Year 2016
Juri Auderset Transatlantischer Föderalismus
Ordnungssysteme
Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegebenen von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael
Band 48
Juri Auderset
Transatlantischer Föderalismus Zur politischen Sprache des Föderalismus im Zeitalter der Revolutionen, 1787–1848
Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz. Genehmigt von der Philosophischen Fakultät auf Antrag der Herren Professoren Siegfried Weichlein und Dieter Langewiesche, Freiburg/Schweiz, den 8. November 2013. Prof. Dr. Marc-Henry Soulet, Dekan Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des Hochschulrates der Universität Freiburg/Schweiz.
ISBN 978-3-11-045266-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045522-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-045272-3 Set-ISBN 978-3-11-045523-6 ISSN 2190-1813 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI Books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Vorwort und Dank — IX 1 Einleitung — 1 1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte — 6 1.2 Methodische Grundlagen. Zur politischen Sprache des Föderalismus zwischen Intellectual History und Historischer Semantik — 16 1.3 Atlantische Revolutionen und atlantische Sattelzeiten — 24 1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage — 36
Teil A: Semantische Ordnungen 2
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Neither a National nor a Federal Constitution, but a Composition of Both?Föderalismussemantik und historische Erfahrungsdeutung in Nordamerika — 55 Marking the proper line. Von der confederate republic zum federal government — 56 Federal republic, consolidated government und die practical sphere — 62 Die Verfassung interpretieren. Die Principles of ’98 und das Marshall Court — 68 States’ Rights und Nullification — 72 Die (vorläufige) Wiederentdeckung des middle ground — 77
Fédéralisme und die eine und unteilbare Republik. Föderalismussemantik und historische Erfahrungsdeutung in Frankreich — 81 3.1 Die république fédérative und die politische Sprache des Ancien Régimes — 81 Fédération und fédéralisme. Vom Fraternisierungs3.2 zum Denunziationsbegriff — 84 Die eine und unteilbare Republik, das Zweikammersystem und die 3.3 Erinnerung ans Ancien Régime — 86 3.4 „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains.“Jakobinischer Diskurs und die Hydra des fédéralisme — 91
3
VI 3.5
4 4.1 4.2
4.3 4.4
5 5.1 5.2 5.3 5.4
Inhalt
Ungleichzeitigkeit und temporale Struktur. Confédération und état fédéral als transitorische Ordnungen auf dem Weg zum zentralistischen Einheitsstaat — 99 Föderativnation, Staatenbund und Bundesstaat. Föderalismussemantik und historische Erfahrungsdeutung in Deutschland — 107 Die Föderativnation als historisches Erbe — 108 Die „eine und unteilbare Konföderation“und die Auseinandersetzung mit dem zentralistisch-unitarischen Staat der Französischen Revolution — 110 Föderalismus, Staatenbund und Bundesstaat. Semantische Verdrängungs-, Klärungs- und Temporalisierungsprozesse — 113 Die Entdeckung föderaler Komplexität. Balance, Mischung und Demokratie im Flächenstaat — 121 Zwischen den Extremen. Föderalismussemantik und historische Erfahrungsdeutung in der Schweiz — 127 Corps Hélvetique und zusammengesetzter Staat — 129 Umstrittene Einheit. Die eine und unteilbare Helvetik und das föderative Erbe — 132 „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“Divergierende Souveränitätskonzepte und der lange Schatten der Helvetik — 140 Zur „Helvetisierung“ des Föderalismusdiskurses. Permeable Sprachgrenzen, politische Öffentlichkeit und die (Wieder-) Entdeckung eines entfernten Verwandten — 146
Teil B: Pragmatische Interventionen 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus — 161 Zwischen Genf und Fayette County, Pennsylvania — 163 Die unbewältigte Verfassungsdebatte in Pennsylvania und die Entstehung einer loyalen Opposition — 167 Der Föderalismusbegriff der demokratisch-republikanischen Oppositionund die Doktrin der enumerativen Gewalt — 172 Das Konzept der Union und die föderale Kultur der Reziprozität — 176 Die Suche nach den autoritativen Quellen der Verfassungsauslegung — 179 Föderalismus und die öffentliche Sphäre — 184
Inhalt
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7
VII
Lafayette, die „école américaine“und das fragile Gleichgewicht zwischen Freiheit und Revolution — 191 Lafayette zwischen den Welten — 193 Revolutionen interpretieren, Verfassungen interpretieren — 196 Übersetzung und konzeptuelle Transformation: Adams’ Defence, der Federalist und die Ambivalenzen des Bikameralismus — 202 The magic circle of the confederacy. Fanny Wrights Views und die Netzwerke des Liberalismus im postrevolutionären Europa — 206 Transkultureller Radikalismusund die umstrittene Bedeutung des föderalen Republikanismus in Europa — 211 Stranger in America. Francis Lieber und die politische Hermeneutik des amerikanischen Föderalismus — 241 Lieber zwischen den Welten – Preußen, New England, South Carolina — 242 States’ Rights, Nullificationund die Frage nach der Deutung der amerikanischen Bundesverfassung — 249 Political Hermeneutics. Regeln zur Verfassungsinterpretation — 258 „Demokratischer Absolutismus“ vs. „Institutionelle Freiheit“ — 264 Madisons Dilemma: Majority Rule, republikanischer Föderalismus und die Bedingungen republikanischer Selbstregierung — 270 Edward Everett, Jared Sparks und die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas — 281 Europareisen und die Entdeckung einer „geteilten Geschichte“ — 283 Amerikanische Geschichte als Nationbuilding — 286 Die atlantischen Revolutionen in der historischen Imagination der Whigs — 289 Divergierende Kontinuitäten: Zur umkämpften Geschichte der Bundesverfassung — 294 Die Geschichte der Bundesverfassungals republikanische Integrationsgeschichte — 300 Republikanische Wiederentdeckungen und Transformationen. Tugend, Kontingenz und Institution — 305 „It cannot be that despotism suits men on one side of the water, and liberty on the other.“ Edward Everetts Botschaft für Europa – und für Amerika — 313
VIII
Inhalt
10
Alexis de Tocqueville, Jacksonian Democracy und die föderale Bändigung der Tyrannei der Mehrheit — 321 Tocqueville und seine native informants — 324 Spuren einer dekontextualisierten Interpretation und Tocquevilles Whig-Bias — 332 Ein Föderalismus tocquevillien?Komparative Perspektiven auf das Zeitalter der demokratischen Revolution und die Vorzüge des Bundesstaates — 336 Dialektiken des Föderalismuszwischen politischen Institutionen und politischer Kultur: Republikanische Selbstregierung, Deliberation und der gesellige Bürger — 344 Many Federalisms?Die unbewusste Komplexität des amerikanischen Föderalismusdiskurses und die Zukunft der Union — 352
10.1 10.2 10.3
10.4
10.5
11
11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
12
Bundesstaat ohne Demokratie?Föderalismusinterpretationen in der deutschen Staatslehre bei Robert Mohl und K. J. A. Mittermaier — 363 Die Konstruktion kommunikativer Netze — 369 Der „Sieg der demokratischen Idee“ im Vergleich und die Entdeckung des unitarischen Bundesstaates — 373 Bundesstaat und konstitutionelle Monarchie?Möglichkeiten und Grenzen einer konzeptionellen Bricolage — 381 Die „Vielen“, die „Wenigen“ und das Problem der Souveränitätim Bundesstaat — 387 Ausformungen und Kritik der etatistischen Verengungendes Föderalismuskonzepts — 391 1848 und die politische Sprache des Föderalismus — 401
Resümee und Schlussbetrachtung — 435 Abkürzungen — 453 Abbildungsverzeichnis — 455 Quellen- und Literaturverzeichnis — 457 Personenregister — 513 Orts- und Sachregister — 519
Vorwort und Dank „Angesichts von Hindernissen“, heißt es in Bert Brechts Leben des Galilei, „mag die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten die krumme sein.“ Hindernisse auf dem Weg zu diesem Buch gab es viele und dementsprechend reich an Krümmungen ist die Linie, welche die ersten Gedanken zu dieser Studie mit ihrem (vorläufigen) Endprodukt verbindet. Dass es nicht noch mehr geworden sind und dass jede Krümmung dieser Linie mit intensiven Diskussionen und anregenden Gesprächen einherging, ist zahlreichen Menschen geschuldet, denen zu danken mir an dieser Stelle zur Freude wird. Obwohl ich mir bewusst bin, dass die Enttäuschung der Nichtgenannten in der Regel größer ist als die Genugtuung der Genannten, möchte ich mich an dieser Stelle dennoch bei einigen Menschen namentlich bedanken. Siegfried Weichlein hat die Betreuung der Dissertation übernommen und mich in zahllosen Gesprächen dazu gebracht, meine Argumente zu schärfen, über den engeren Kreis meiner Fragestellung hinaus zu denken und methodische Reflexionen auch dann nicht abbrechen zu lassen, wenn man sich seiner Sache (allzu) sicher schien. Großzügig Raum zu lassen, um autonom arbeiten zu können und gleichzeitig die Gewissheit zu geben, dass er bei Problemen da sein würde, war während des ganzen Arbeitsprozesses ein Balanceakt, der mir meine Arbeit außerordentlich erleichtert hat. Seine Leidenschaft für Geschichte ist ebenso ansteckend wie sein Einfordern eines kritischen Umgangs mit ihr. Ich hoffe, dass Spuren davon auch in den Zeilen dieses Buches zu finden sind. Dieter Langewiesche hat das Zweitgutachten übernommen, wofür ich ihm großen Dank schulde. Mit seinen Forschungen zur „föderativen Nation“ hat er freilich bereits vor unserer persönlichen Bekanntschaft meine Arbeit auf vielfältige Weise angeregt und inspiriert – danach umso mehr. Anselm Doering-Manteuffel, Lutz Raphael und Jörg Baberowski sei herzlich gedankt für die Aufnahme des Buches in die Reihe Ordnungssysteme und für die hilfreichen Vorschläge und Anregungen zur Überarbeitung des Manuskripts. Beim Verlag de Gruyter haben Rabea Rittgerodt und Eva Frantz die Umwandlung eines Manuskripts in ein Buch mit Umsicht, Geduld und steter Freundlichkeit betreut. Anregende Gespräche mit zahlreichen Kollegen und Kolleginnen haben mit zur Entstehung dieses Buches beigetragen: Moritz von Brescius, Antonino de Francesco, Michael Diers, Florian Eitel, Gregor Feindt, Thomas Fröschl, Lisa Haas, Stefan Hanß, Félix Krawatzek, Charlotte Lerg, Marcus Llanque, Dorothee Mußgnug, Xosé Manoel Núñez Seixas, Friedemann Pestel, Benjamin Schenk, Daniel Schulz, Damir Skenderovic, Willibald Steinmetz, Tatjana Tönsmeyer, Silvia Serena Tschopp, Jean-Claude Wolf und Simone Zurbuchen haben bei verschiedenen Gelegenheiten und über unterschiedliche Kommunikationskanäle
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Vorwort und Dank
ihre wertvollen Gedanken mit mir geteilt. Philipp Müller, Patricia Hertel, Andreas Behr, Emanuel Leugger, Skadi Krause, Benjamin Zúrron und Peter Moser haben sich neben ihren sonstigen Verpflichtungen Zeit genommen, um bisweilen große Teile des Manuskripts zu lesen und mich mit ihren kritischen Kommentaren und Hinweisen vor vielen Verzerrungen, Verkürzungen, Einseitigkeiten und Ungenauigkeiten zu bewahren. Die Verantwortung für stehen Gebliebenes – mitunter auch gegen ihre Ratschläge – bleibt natürlich bei mir allein. Entstanden ist dieses Buch im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten und an der Universität Fribourg angesiedelten Forschungsprojekts Transnationale Geschichte des Föderalismus im langen 19. Jahrhundert. Transfers und Verflechtungen. Die finanzielle Unterstützung des SNF sowie die Infrastruktur und die personellen Ressourcen der Universität Fribourg ermöglichten die Entstehung und erleichterten die Durchführung dieses Projekts. Den Angestellten zahlreicher Bibliotheken und Archive sei herzlich gedankt, dass sie den Strom meiner Anfragen nach Quellenmaterial und Literatur geduldig angenommen haben: der Kantons- und Universitätsbibliothek Fribourg, der Universitätsbibliothek Bern, der Universitätsbibliothek Basel, der Hauptbibliothek der Universität Zürich, dem Schweizerischen Literaturarchiv, der Schweizerischen Nationalbibliothek, der Bibliothèque de Genève, den Archives Nationales de France, Paris, der Universitätsbibliothek Heidelberg, der Bibliothek der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, dem Staatsarchiv Aargau, der Library of Congress, Manuscript Division, in Washington DC, der Massachusetts Historical Society in Boston, der American Philosophical Society, insbesondere Roy Goodman, und der Pennsylvania Historical Society in Philadelphia, der New York Historical Society in New York, insbesondere Edward O’Reilly, der Maryland Historical Society in Baltimore, insbesondere Eben Dennis, der Milton S. Eisenhower Library, Special Collections, an der Johns Hopkins University, Baltimore, insbesondere Jim Stimpert, der Huntington Library in San Marino, der Princeton University Library, Department of Rare Books and Special Collections, Manuscripts Division, in Princeton, insbesondere Gabriel Swift. Abseits des universitären Lebens haben viele Freunde und Bekannte dazu beigetragen, dass ich Kraft und Energie tanken konnte, ohne welche mir die Forschungs- und Schreibarbeit zweifelsohne viel mühseliger geworden wäre. Sie sind es sich vielleicht nicht bewusst oder würden es von sich weisen, aber ihre vielfältigen Reaktionen auf mein kurioses Interesse, mich in Archiven herumzutreiben, zweihundertjährige Dokumente zu lesen und zu entziffern und ein Buch über transatlantischen Föderalismus im Zeitalter der Revolutionen zu schreiben, prägte auch das Nachdenken über meine eigene Arbeit. Ein nachsichtiges Lächeln, eine skeptisch gehobene Augenbraue, ein hilfloses Achselzucken, ernstes Interesse, aufrichtige Begeisterung, motivierender Zuspruch und die
Vorwort und Dank
XI
Frage, wann ich denn gedenke, in meinem Leben endlich etwas „Richtiges“ zu tun – all dies war mir Ansporn zu entdecken, dass ich vielleicht nicht das Falsche tat. Meinem Bruder Kevin sei herzlich gedankt für das Teilen seiner Informatikkenntnisse, die mich davor bewahrt haben, eine zweifellos fatale Eigeninitiative zu ergreifen. Céline hat mich über all die Jahre liebevoll, interessiert, geduldig und nachsichtig begleitet, meine intellektuellen Ausflüge in das Zeitalter der Revolutionen und die damit einhergehenden Abwesenheiten in unserer gemeinsamen Gegenwart hingenommen und mich gleichzeitig mit der ihr eigenen Mischung aus Charme und Bestimmung zuweilen daran erinnert, dass sich die wichtigen Fragen nicht nur in der Geschichte, sondern auch im Jetzt abspielen. Ein Jetzt, das nun mit unserer gemeinsamen Tochter Elisa unablässig bereichert wird. „Was soll aus dem Jungen bloß werden?“ Ich erinnere mich noch gut meiner Betroffenheit, als mein Blick beim Schweifen über die Buchrücken in der Bibliothek meiner Eltern bei diesem Titel hängen blieb. Würden sich meine Eltern diese ungemütliche Frage nicht auch stellen? Dass es „irgendwas mit Büchern“ sein würde, wie der Untertitel von Heinrich Bölls Buch in Aussicht stellte, mögen auch sie sich bald gedacht haben. Dass sie mich allerdings nicht mit dieser bohrenden Frage belästigten, ihre berechtigten elterlichen Zweifel für sich behielten und mich stattdessen mit Geduld, Unterstützung und Liebe bei allem unterstützten, was die Welt aus mir machte, und was ich ihr abzutrotzen versuchte – dies lässt sich in Dankensworte nicht fassen. Nur so viel: Ohne sie wäre dies nicht möglich gewesen. Ihnen, Josef und Anna Rosa Auderset-Herren, sei dieses Buch gewidmet. Fribourg im Oktober 2015, Juri Auderset
1 Einleitung Als James Madison im Sommer 1830 in Montpellier, Virginia, von der Juli-Revolution in Frankreich hörte, griff er nicht unmittelbar zur Feder, um seinem Freund Lafayette in Paris zu schreiben. Allzu sehr mögen seine Kräfte von den Diskussionen in Anspruch genommen worden sein, welche die Nullification-Debatte in Nordamerika ausgelöst und ihn erneut in die Rolle des Interpreten der föderalen Republik manövriert hatten. 1828 hatte der Senator von South Carolina und Vordenker der States’ Rights-Bewegung, John C. Calhoun, sein anonymes Pamphlet The South Carolina Exposition and Protest veröffentlicht und darin gegen die vom Kongress verabschiedeten Schutzzölle protestiert, welche den industriellen Aufbau des Nordens auf Kosten der agrarischen Südstaaten bevorzugen würden. Was mit einem Streit über die Zollfrage begann, verwandelte sich in Calhouns Pamphlet in eine Diskussion über die korrekte Interpretation der Bundesverfassung von 1787, über die Frage der Souveränität in der amerikanischen Föderativrepublik und schließlich über die Natur des amerikanischen Föderalismus schlechthin. Calhoun argumentierte, dass die Verfassung ein Vertrag zwischen den Einzelstaaten sei, dass diese Einzelstaaten dementsprechend ihre volle Souveränität besäßen und bei Gesetzgebungen des Kongresses, die ihren Interessen widersprachen, das Recht hätten, diese auf ihrem Territorium für „null and void“ zu erklären.1 Diese Doktrin der Nullification, warnte Madison, „would convert the Federal Government into a mere league, which would quickly throw the States back into a chaos, out of which would, not order a second time, but lasting disorders of the worst kind, could not fail to grow.“2 Calhoun hatte sich pikanterweise in der Rechtfertigung der Nullification ausgerechnet auf Madison selbst und auf dessen und Jeffersons Kentucky und Virginia Resolutions von 1798/99 gestützt. Umgekehrt beriefen sich auch die Gegner Calhouns auf Madisons intellektuelle Autorität in der Frage der Verfassungsinterpretation. Als die Debatte im Frühjahr 1830 schließlich auch im Senat ausgetragen wurde, schickten sowohl der Nullifier Robert Hayne, als auch der Nationalist Daniel Webster und der zwischen diesen Polen manövrierende Edward Livingston ihre Reden an Madison nach Montpellier, in der Hoffnung, der so genannte Vater der Bundesverfassung
1 Vgl. Calhoun John C., Exposition and Protest, S. 311–365. Vgl. hierzu Ellis Richard E., The Union at Risk, S. 178–198; Les Benedict Michael, States’ Rights, State Sovereignty, and Nullification, S. 152–187. 2 James Madison an Richard Rush, 17. Januar 1829, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 6.
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1 Einleitung
(die ja eigentlich eher ein Produkt eines Dialoges ganz vieler und unterschiedliche Meinungen vertretender Väter war) würde ihrer Sicht der konstitutionellen Dinge zustimmen. Während Madison Haynes Versuch, die Nullification-Doktrin auf die Virginia- und Kentucky Resolutionen von 1798/99 zurückzuführen, energisch zurückwies, schrieb er an Livingston: „You have succeeded better in your interpretation of the Virginia proceedings in 98–99, than those who have seen in them a coincidence with the nullifiying doctrine so called. This doctrine as new to me as it was to you, derives no support from the best co-temporary elucidations of those proceedings.“3 Gegenüber Daniel Webster wiederum erklärte Madison das Auftauchen der Nullification-Theorie mit den Schwierigkeiten, das politische System der Vereinigten Staaten überhaupt auf den Begriff zu bringen: The actual system of Government for the United States is so unexampled in its origin, so complex in its structure, and so peculiar in some of its features, that in describing it the political vocabulary does not furnish terms sufficiently distinctive and appropriate, without a detailed resort to the facts of the case.4
Eine adäquate Deutung der föderalen Verfassung der Vereinigten Staaten sei nur durch eine historische und kontextsensitive Perspektive zu erreichen, nur „in tracing our constitutional history through its earlier periods“. „[T]he best key to the text of the Constitution,“ hatte Madison bereits 1828 geschrieben, „is to be found in the contemporary state of things, and the maladies or deficiencies which were to be provided for.“5 Die gänzlich unterschiedlichen politischen Ansprüche, welche Calhoun, Livingston und Webster aus dem Text der Bundesverfassung und aus ihrer Analyse der Debatten in der Federal Convention und den ratifizierenden Versammlungen der Einzelstaaten ableiteten, seien auf die „silent innovations of time on the meaning of words and phrasing“ und auf eine Vernachlässigung der historischen Bedingungen der Verfassungsentstehung zurückzuführen, erläuterte Madison gegenüber dem Bostoner Intellektuellen Edward Everett mit bemerkenswerter Sprachsensibilität.6 Diese historische Deutung, welche die Ratifikationsdebatten
3 James Madison an Edward Livingston, Montpellier, 8. Mai 1830, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 28, Folder 35. 4 James Madison an Daniel Webster, 27. Mai 1830, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 85. 5 James Madison an W. C. Rives, 20. Dezember 1828, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, III, S. 664. 6 James Madison an Edward Everett, 8. April 1830, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 4 206.
1 Einleitung
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als einen „founding dialogue“ zwischen Befürwortern und Skeptikern der Bundesverfassung von 1787 interpretierte,7 hatte Madison auch in seinen Briefen an Hayne, Webster, Livingston und Everett vorgetragen. Wie sehr sich die konstitutionelle Krise im Zuge der Nullification-Debatten zugespitzt hatte, wie sehr sich manche Zeitgenossen an einer historischen Weichenstellung in der politischen und konstitutionellen Entwicklung der Vereinigten Staaten wähnten, wie akut die Gefahr einer Fragmentierung der Union eingeschätzt wurde und wie sehr man auf den „father of the constitution“ zählte, um diese divergierenden Interpretationen zu klären, geht aus dem Antwortbrief hervor, den Edward Everett am 22. April 1830 an Madison richtete: „I cannot but confess the hope that you will not finally withhold from the public the very important statements contained in your communication. I think I may say that nothing more important to the country has been written since the date of the Federalist.“8 Die Krise um 1830 glich in den Augen Edward Everetts der Krise von 1787 und so wie Madison 1787/88 mit seinen Essays für den Federalist die innovativen föderalen Aspekte der vorgeschlagenen Bundesverfassung erläutert und damit einen wichtigen Beitrag zu deren Ratifizierung geleistet hatte, so sollte er sie 1830 mit ähnlichen Mitteln vor dem drohenden Zerfall retten. Als Madison im Verlaufe des Sommers 1830 realisierte, dass seine vielen privaten Briefe nichts an dem Umstand änderten, dass er kontinuierlich von beiden Seiten der Nullification-Debatte als intellektuelle Autorität bemüht wurde, entschloss er sich im August einen ausführlichen Brief an Edward Everett zu schreiben und seine Zustimmung zu dessen Veröffentlichung in der von Everett herausgegebenen Zeitschrift North American Review zu geben.9 Darin erklärte Madison: „In order to understand the true character of the Constitution of the U. S. the error, not uncommon, must be avoided, of viewing it through the medium either of a consolidated Government or of a confederated Government whilst it is neither the one nor the other, but a mixture of both.“ Daraus ergaben sich die beiden konzeptionellen Innovationen dieses Systems, nämlich „the mode of its formation“ und „the division of the supreme powers of Government between the States in their united capacity and the States in their individual capacities.“ Madison
7 Vgl. hierzu Cornell Saul, The Other Founders, S. 221–245. Zu Madisons Verfassungsinterpretation vgl. Dewey Donald O., James Madison Helps Clio Interpret the Constitution; McCoy Drew R., The Last of the Fathers, S. 119–170; Banning Lance, The Sacred Fire of Liberty, S. 193–290. Die historiographische Debatte um Madisons Verfassungsinterpretation skizziert Gibson Alan, The Madisonian Madison and the Question of Consistency. 8 Edward Everett an James Madison, 22. April 1830, in: Edward Everett Papers, MHS, Microfilm Edition, 25 0782. 9 [Everett Edward], The Debate in the Senate of the United States, S. 537–546.
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argumentierte, dass die Verfassung „by the people in each of the States, acting in their highest sovereign capacity“ geschaffen wurde, dass sich die Völker der Einzelstaaten dadurch als „one people for certain purposes“ konstituiert hätten und dass die Bundesregierung demnach „within its prescribed sphere“ ebenso souverän sei, wie die Regierungen der Einzelstaaten „within their respective spheres“. Die Bundesverfassung, so Madison, „divides the supreme powers of the Government, between the Government of the United States & the Governments of the individual States.“10 Wie die Machtsphären zwischen Bund und Gliedstaaten zu bestimmen seien, ob es so etwas wie eine geteilte Souveränität gab und wie sich diese in der politischen Praxis artikulierte, ob und wie sich die Einzelstaaten gegenüber Machtansprüchen der Bundesregierung wehren konnten, wie in einer föderalen Republik Minderheiten vor der Macht der Mehrheit beschützt werden konnten und wie die Geschichte der Ratifikation der Bundesverfassung genau zu interpretieren sei, kurz: wie der amerikanische Föderalismus eigentlich zu deuten und wie er mit dem bestehenden „political vocabulary“ auf den Begriff zu bringen sei, all diese Fragen, mit denen sich Madison bereits vor und während den Ratifikationsdebatten von 1787/88 beschäftigt hatte, standen also genau zu dem Zeitpunkt in der amerikanischen Öffentlichkeit erneut zur Debatte, als Madison von der Juli-Revolution in Europa hörte. Als er dann im Dezember 1830 seinem Freund Lafayette doch noch nach Paris schrieb, riet er ihm bezeichnenderweise, das politische System Frankreichs durch eine „federal mixture“ zu reformieren: „I have been confirmed in my original opinion, that it will improve any Republic, and that it is essential to one in a country like France.“11 Madisons Überzeugung, dass Föderalismus und Republikanismus gerade in großflächigen Staaten eng miteinander verknüpft werden müssen, um, wie er selbst 1787 im Federalist geschrieben hatte, „a republican remedy for the diseases most incident to republican government“ zu finden,12 war auch durch die Hitze der NullificationDebatten nicht beeinträchtigt worden. „Our system is occasionaly producing questions concerning the boundary between the General and the local governments“, räumte Madison gegenüber Lafayette ein, um aber gleich darauf zu postulieren: „In the contingency of a practical question of a Government involving
10 [Everett Edward], The Debate in the Senate of the United States, S. 537–538. Der Brief ist ebenfalls abgedruckt in: Madison James, Writings, S. 842–852. 11 James Madison an Lafayette, 12. Dezember 1830, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 142. 12 Madison James, Federalist No. 10, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 79.
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the element of Federalism, every light reflected from our experiment may have a degree of interest.“13 Dass das amerikanische Experiment einer föderalen Republik „a degree of interest“ für die konstitutionelle Entwicklung Frankreichs und anderer europäischer Gesellschaften aufwies, dessen war sich Lafayette durchaus bewusst und kaum ein anderer hatte so viel dafür getan, die „école américaine“ in Europa bekannt zu machen.14 Aber was mögen wohl Lafayettes französische Zeitgenossen unter dem Begriff fédéralisme verstanden haben? Lafayette wusste nur zu gut um die Schwierigkeiten, seinen französischen Zeitgenossen gerade die föderalen Dimensionen der politischen Ordnung Amerikas verständlich zu machen, war doch im politischen Diskurs Frankreichs seit der Französischen Revolution der Begriff fédéralisme weniger mit jenen komplexen Verschränkungen von Souveränitätsteilung, nationaler und einzelstaatlicher Repräsentation, limited government und self-government verknüpft, welche Madison mit dem Begriff assoziierte, als mit einer anti-republikanischen und konter-revolutionären Doktrin, welche die république, une et indivisible zu sprengen versucht hatte. Hinter den scheinbar gleichen Begriffen federalism und fédéralisme standen im amerikanischen und französischen Kontext tiefgreifend unterschiedliche historische Erfahrungsdeutungen und dementsprechend andere politische Erwartungshorizonte. Das amerikanische Experiment hatte in der postrevolutionären atlantischen Welt die Frage nach den Zusammenhängen von Föderalismus und Republikanismus unter neuen Bedingungen aufgeworfen und Madison und Lafayette waren nicht die einzigen, die an die universelle Relevanz der föderalen Republik der Vereinigten Staaten glaubten. Gleichzeitig war sich Madison – und mit ihm manche seiner Zeitgenossen – des experimentellen und ambivalenten Charakters dieser föderalen Republik bewusst, und wies immer wieder darauf hin, „that it is a division and distribution of political power nowhere else to be found; a nondescript, to be tested and explained by itself alone.15 Im Kern dieser Ambivalenzen zwischen universalem Geltungsanspruch und partikulärer praktischer Einlösung stand der föderale Charakter der politischen Ordnung Nordamerikas und die damit verbundene und von Madison akzentuierte „division and distribution of political power“.
13 James Madison an Lafayette, 12. Dezember 1830, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 142. 14 Vgl. Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 31–87. 15 Madison James, On Nullification, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 420–421.
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1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte Diese sich im Jahr 1830 ereignende Episode über Madisons Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus und über seinen Austausch mit Lafayette lässt sich als ein Prisma verstehen, durch welches sich einige Perspektiven und Fragehorizonte auffächern, welche in dieser Studie tiefgreifender behandelt werden sollen. Die vorliegende Untersuchung verfolgt zwei eng miteinander verknüpfte Erkenntnisinteressen. Ein erstes Erkenntnisinteresse kreist um die bereits im Briefwechsel zwischen Madison und Lafayette kurz aufgeworfene Frage nach der unterschiedlichen Semantik des Föderalismusbegriffs in den (post-)revolutionären Gesellschaften Nordamerikas und Europas. Die Bedeutung föderaler Begrifflichkeiten wurde in einem transatlantischen Diskurskontinuum verhandelt. Gleichzeitig wurde der Begriff federalism im nordamerikanischen Kontext mit ganz anderen historischen Erfahrungen verbunden als der Begriff fédéralisme im postrevolutionären Frankreich. Im ersten Teil dieser Studie wird der Versuch unternommen, diese Ausgangsbeobachtung weiter zu entfalten und in einer diachronen Perspektive eine komparative und transkulturelle Untersuchung des Föderalismusbegriffs im Zeitalter der Revolutionen zu entwickeln, wobei die historischen Erfahrungen Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz mit einbezogen werden.16 Vor diesem Hintergrund – und eng damit verbunden – entfaltet sich das zweite Erkenntnisinteresse. Im zweiten Teil rekonstruiert diese Untersuchung kommunikative und soziale Vernetzungen zwischen amerikanischen, französischen, deutschen und schweizerischen Intellektuellen und fragt darauf aufbauend nach der Art und Weise, wie die Bedeutung föderaler Konzepte und Begrifflichkeiten in einem transatlantischen Diskussionsraum verhandelt und in den öffentlichen Sphären der unterschiedlichen politischen Kontexte zur Diskussion gestellt wurden. In ihrer Verschränkung versuchen die beiden Teile einer konzeptionellen Überlegung Rechnung zu tragen, die J. G. A. Pocock einmal so formuliert hat: „For anything to be said or written or printed, there must be a language to say it in; the language determines what can be said in it, but is capable of being modified by what is said in it; there is a history formed by the interactions of parole and langue.“17 Genau diesen Interaktionsformen zwischen langue und parole in Bezug auf die politische Sprache des Föderalismus im Zeitalter der Revolutionen wird in dieser Studie nachgegangen. Dabei wird insbesondere auch dem Umstand Rech-
16 Im Folgenden wird der Begriff der „Transkulturalität“ demjenigen der „Transnationalität“ vorgezogen. „Transnational“ würde die Nation an historische Orte projizieren, wo es zumindest zweifelhaft ist, ob es sie schon gab. 17 Pocock J. G. A., The Concept of a Language and the métier d’historien, S. 88.
1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte
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nung getragen, dass diese Interaktionsformen zwischen langue und parole ihre kontextuell gebrochenen Geschichten haben (wie am Beispiel von fédéralisme und federalism angedeutet wurde), dass sie also mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen verbunden wurden, unterschiedliche politische Erwartungshorizonte erschlossen und dementsprechend unterschiedliche Bedeutungsschichten aufwiesen.18 Allerdings wurden genau diese semantischen Brüche und Ambivalenzen bisweilen auch von historischen Akteuren reflektiert und zwar vornehmlich von historischen Akteuren, die sich zwischen den Kontexten bewegten und deshalb eine besondere Disposition hatten, über solche Fragen nachzudenken. Nicht nach dem lange im Zentrum des historiographischen Interesses stehenden „Einfluss“ oder dem „Modellcharakter“ des amerikanischen Föderalismus für die politischkonstitutionelle Entwicklung europäischer Gesellschaften wird hier demnach in erster Linie gefragt.19 Im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen stattdessen die durch soziale und kommunikative Beziehungen zusammengehaltenen und sich mit ähnlichen Fragen nach der Bedeutung des Föderalismus für die (post-)revolutionären Gesellschaften Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz beschäftigenden transatlantischen Diskursgemeinschaften und deren Deutungen und Gebrauchsformen des Föderalismuskonzepts.20 Föderalismus wird hier dementsprechend als eine politische Sprache verstanden, welche historische Akteure einerseits mit Begriffen, Argumenten und Metaphern versorgte, damit diese ihre Ansprüche zur Assoziation, Organisation und Koordination heterogener politischer Handlungseinheiten artikulieren konnten, welche aber andererseits gerade durch diesen pragmatischen Gebrauch auch permanent verändert wurde.21 Diese Fragen nach den Interaktionsformen zwischen langue und parole, zwischen den mannigfaltigen Bedeutungsablagerungen in der Semantik eines Begriffs und deren selektiven Aktualisierung im pragmatischen Sprachgebrauch sind
18 Vgl. Koselleck Reinhart, ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘. 19 Vgl. hierzu die Diskussion im Kapitel „Historiographischer Kontext und Quellenlage“. 20 Vgl. hierzu Kramer Lloyd S., Intellectual History and Reality; LaCapra Dominick, Rethinking Intellectual History and Reading Texts; Cornell Saul, Splitting the Difference, S. 69–75. 21 Zu einem solchen Ansatz vgl. Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 4–6. Zur historischen Untersuchung politischer Sprachen vgl. Pocock John G. A., Der Begriff einer „Sprache“ und das métier d’historien; Richter Melvin, Reconstructing the History of Political Languages; Stedman Jones Gareth, Sprache und Politik des Chartismus, S. 136–144. Ich folge hier einer Föderalismusdefinition, wie sie von Reinhart Koselleck vorgeschlagen wurde, vgl. Koselleck Reinhart, Diesseits des Nationalstaates, S. 486–487. Eine solch breite Definition des Föderalismusbegriffs scheint insofern angebracht, als dass die historischen Erscheinungsformen föderaler Staatlichkeit äußerst heterogen und vielfältig sind. Vgl. hierzu die Diskussion im ersten Teil dieser Studie.
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1 Einleitung
gerade deswegen historisch signifikant, weil die Diskussionen über die Bedeutung des Föderalismus für die (post-)revolutionären Gesellschaften Nordamerikas und Europas in transatlantischen und damit multilingualen Diskurszusammenhängen stattfand. Der Föderalismus war im Zeitalter der Revolutionen ein „essentially contested concept“ – und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks.22 Wie Madison sowohl gegenüber Daniel Webster als auch gegenüber Edward Everett erklärte, lag die föderale Struktur der Vereinigten Staaten und die Geschichte ihrer Entstehung quer zu den gängigen sprachlichen Kategorien politischer Theoriebildung und zu den historischen Erfahrungen mit tradierten Formen assoziativer Staatlichkeit. Diese Unbestimmtheit und Sperrigkeit charakterisierte die Geschichte des amerikanischen Föderalismus vom Wendepunkt seiner Neuprägung 1787/89 bis zum Zeitpunkt seiner radikalen Infragestellung im Bürgerkrieg der 1860er Jahre, ebenso wie die Beschäftigung mit den konzeptuellen Innovationen des amerikanischen Föderalismus in Europa. In den Vereinigten Staaten war die föderale Frage mitnichten mit den Ratifikationsdebatten und der Annahme der Bundesverfassung abgeschlossen worden. Dass der amerikanische Bundesstaat eine föderale Machtteilung vorschlug und dementsprechende Sphären für Einzelstaaten und Bundesstaat vorsah, wurde in den Vereinigten Staaten kaum bestritten; wie allerdings das Verhältnis zwischen diesen Machtsphären konkret zu deuten war, wie die Linie zwischen ihnen zu zeichnen war und wer politisch dazu ermächtigt war, diese Linie zu bestimmen – diese Fragen sorgten für ständigen politischen Diskussionsstoff. Die eingangs erwähnte Nullification-Debatte der späten 1820er und frühen 1830er Jahre war nur der vorläufige Höhepunkt einer konfliktreichen Entwicklung in der politischen Kultur Nordamerikas, die ihren Kern in den Ambivalenzen der föderalen Konstruktion fand. Wie dies Richard E. Ellis festgehalten hat: „For nearly a half-century following the independence of 1776 the central constitutional issue in America was the problem of the distribution of power between the states and the national government. In one form or another the issue of states’ rights permeated almost all ideological and political discussions of the antebellum era.“23 Das kritische Erbe der in den Ratifizierungsdebatten noch unterlegenen Antifederalists wurde während der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wellenartig wieder an die Oberfläche der politischen Ordnungsdiskussionen geschwemmt und beschäftigte die amerikanische Öffentlichkeit nicht ohne dass man in Europa und in anderen Teilen der Welt von dieser krisenhaften Entwicklung des amerikanischen Konstitutionalismus Kenntnis nahm.
22 Gallie W. B., Essentially Contested Concepts. 23 Ellis Richard E., The Union at Risk, S. 1. Vgl. hierzu auch Ellis Richard E., The Persistence of Antifederalism after 1789.
1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte
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Auch auf der anderen Seite des Atlantiks, in der Schweiz und in Deutschland, also in Gesellschaften mit föderativen Traditionen, stand die Frage einer bundesstaatlichen Umgestaltung existierender Staatenbünde oder, wie in Frankreich, die Dezentralisierung politischer Macht in bereits integrierten nationalen Einheitsstaaten, im Zentrum der politisch-konstitutionellen Debatten – nicht zuletzt auch dynamisiert durch die amerikanischen Kontroversen.24 Gerade nach den 1830er Revolutionen, der „verfassungsstaatlichen Trendwende“ in Europa,25 geriet der amerikanische Föderalismus zunehmend ins Blickfeld jener reformorientierten Kräfte, welche die föderativen Traditionen in Deutschland und der Schweiz mit dem nun zunehmend zum politischen Leitbild avancierenden Nationalstaat zu vermitteln suchten. Bemerkenswerterweise verdichtete sich die europäische Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus also genau in jener Phase, in welcher dieser in Form der Nullification eine seiner schwerwiegendsten Krisen zu bewältigen hatte. Gleichzeitig war es gerade diese Krise, welche zu einem signifikanten Anstieg von Publikationen über den amerikanischen Konstitutionalismus und Föderalismus beitrug; Publikationen, die über soziale Beziehungsnetze und über eine durch Transport- und Kommunikationsrevolutionen beschleunigte Informationszirkulation relativ schnell den enger werdenden Atlantik überquerten, in den europäischen Diskussionsraum Einlass fanden und dort die politischen Debatten antrieben. Selbst in Frankreich, einem Staat, der durch Monarchie, Jakobinerherrschaft und Bonapartismus auf eine lange Geschichte zentralisierender und unitarisierender politischer Ordnungen zurückblickte, war die Frage des Föderalismus keinesfalls aus der Arena politischer Diskussionen verbannt.26 Mit Antonino de Francesco muss daran erinnert werden, „wie sehr die während der französischen Revolution aktuelle Frage des Föderalismus die europäischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts beeinflusst hat.“27
24 Vgl. Koselleck Reinhart, Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 649–671; Umbach Maiken, History and Federalism in the Age of Nation-State Formation; Möckl Karl, Föderalismus und Regionalismus im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, S. 529–549; Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland; Meyerhofer Ursula, Republik und Föderalität in der Schweiz 1798–1848; Stadler Peter, Der Föderalismus in der Schweiz; Nelson Ralph, The Federal Idea in French Political Thought; Sparwasser Reinhard, Zentralismus, Dezentralisation und Föderalismus in Frankreich; Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France. 25 Osterhammel Jürgen, Die Verwandlung der Welt, S. 107. 26 Vgl. hierzu Nelson Ralph, The Federal Idea in French Political Thought; Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France. 27 De Francesco Antonino, Föderale Konzeptionen im europäischen Denken zwischen 1789 und 1848, S. 68.
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1 Einleitung
Sowohl in Nordamerika als auch in Europa wurden also föderale Konzeptionen vor dem Hintergrund der Revolutionserfahrungen unter neuen Bedingungen aufgeworfen und kontrovers diskutiert. Signifikant ist nun indessen in dieser Hinsicht, dass sich die Auseinandersetzungen über Chancen und Grenzen einer föderalen Organisation politischer Gemeinwesen nicht in isolierten französischen, deutschen, schweizerischen und nordamerikanischen Entwicklungspfaden entwickelten, sondern in wechselseitigen transatlantischen und transkulturellen Zirkulationsbewegungen und Debattenverläufen. Ganz entscheidend für diesen Gesichtspunkt der transatlantischen und transkulturellen Zirkulation waren soziale und kommunikative Beziehungsnetze. Der Föderalismus war nicht eine abstrakte Idee, welche gleichsam losgelöst von historischen Akteuren zirkulierte oder sich in einem radialen Diffusionsprozess von einem bestimmten Zentrum in die Peripherie verbreitete. Ideen über den Föderalismus mussten von Menschen gedacht und zwischen Menschen kommuniziert werden, um gesellschaftliche Wirkmacht zu erlangen. Dementsprechend wird hier der Fokus auf soziale Konfigurationen und Beziehungsgeflechte gelegt, in welchen und durch welche das Deutungswissen über den Föderalismus dialogisch verbreitet, kreativ weiterentwickelt und transformiert wurde. Ein solch dialogisches Konzept verortet Akteure in ihren Beziehungsnetzen und macht so intellektuelle Aktivität auf einer ausgedehnteren sozialen Basis und in kommunikativer Interaktion beschreibbar.28 Es waren solche soziale und kommunikative Austauschprozesse, in welchen Argumente zur föderalen Gestaltung politischer Gemeinwesen zur Diskussion gestellt und kritisiert wurden, in welchen neue Inspirationen auftauchten, intellektuelle Neugier auf bisher unbeachtete Aspekte des Föderalismus erwachte und fest gefügte Meinungen und Überzeugungen wieder in Fluss gerieten. Gleichzeitig entsprangen diesen Kommunikationsnetzen auch Texte, welche in die öffentliche Sphäre drangen und dort auf die Veränderung oder Beharrung politischer Konstellationen zielten. Madison und Lafayette lassen sich so als Teil mehrerer, sich überschneidender transatlantischer Diskursgemeinschaften verstehen, in welchen Interpretationen und Deutungsmuster des Föderalismus in dialogischen Lernprozessen ausgehandelt, an neue Bedingungen angepasst, bisweilen hegemonial und wiederum infrage gestellt wurden.29 Viele der in dieser Studie diskutierten Protagonisten waren Grenzgänger und Grenzüberschreitende: Revolutionäre Idealisten wie Lafayette, der von den Zeit-
28 Vgl. hierzu Linke Angelika, Kommunikation, Kultur und Vergesellschaftung. 29 Vgl. den Begriff der Diskursgemeinschaft und dessen Problematisierung bei LaCapra Dominick, Rethinking Intellectual History and Reading Texts, S. 264–266.
1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte
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genossen als „Hero of two Worlds“ bezeichnet wurde und wie kaum ein anderer die Verbindung zwischen den atlantischen Revolutionen symbolisierte; mehr oder weniger freiwillige Exilanten wie Albert Gallatin, der seine Heimatstadt Genf verließ und in der Neuen Welt neben Thomas Jefferson und James Madison zu einem der führenden intellektuellen Köpfe der demokratisch-republikanischen Partei avancierte, oder der deutsch-amerikanische Intellektuelle Francis Lieber, der von Hugo Preuß einmal in Abwandlung von Lafayettes bekannter Bezeichnung als „Bürger zweier Welten“ bezeichnet wurde;30 Forschungs- und Bildungsreisende wie Edward Everett und Jared Sparks, die sich früh mit vergleichendem Blick der Geschichte der Französischen und der Amerikanischen Revolution näherten und nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Gespräche mit Lafayette und Madison nach der Bedeutung des amerikanischen Föderalismus in der atlantischen Welt fragten,31 oder Alexis de Tocqueville, der vor seiner Abreise in die Vereinigten Staaten ungeduldig auf Lafayettes Empfehlungsschreiben wartete, nach seiner Ankunft zum eifrigen Studenten von Madisons, Hamiltons und Jays Essays im Federalist wurde und zurück in Paris die Bibliothek David Bailie Wardens besuchte, wo Robert Mohl einige Jahre zuvor sein Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten erarbeitet hatte.32 Es sind also Figuren, die sich zwischen unterschiedlichen politisch-kulturellen Erfahrungsräumen bewegten, Figuren, die in unterschiedlichen Kontexten Bekanntschaften mit neuen und anderen Texten und politisch-theoretischen Konzepten machten, die ihnen bisher verborgen oder nur bruchstückhaft zugänglich waren. Sie begegneten Menschen und Texten, welche mitunter ihre intellektuelle Neugier und ihr politisches Problembewusstsein weckten und im besten Fall eine kritische Auseinandersetzung mit ihren eigenen intellektuellen Traditionen und politischen Erfahrungen sowie mit denjenigen des untersuchten „fremden“ politischen Kontextes ermöglichten und motivierten. Diese komplexen Prozesse des „defamiliarizing the familiar and familiarizing the unfamiliar“33 regen neue Interpretationen des Politischen und Sozialen an, wie Lloyd Kramer zu bedenken gegeben hat: „All people
30 Vgl. Preuss Hugo, Franz Lieber, S. 3. 31 Vgl. Madison James, The Writings of James Madison, IX, S. 295–298, 383–403, 409–410, 447– 451, 459–460, 464–468; Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, II, S. 89–118; Lafayette an Edward Everett, 23. Juli 1826, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 2 0714. 32 Vgl. Alexis de Tocqueville an Gustave de Beaumont, 14. März 1831, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance d’Alexis de Tocqueville et de Gustave de Beaumont, I, S. 106; Alexis de Tocqueville an David Bailie Warden, 21. Juli 1834, in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Vol. 21: T-V; Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, S. 116; Mohl Robert von, Lebens-Erinnerungen, I, S. 133. 33 Vgl. LaCapra Dominick, Rethinking Intellectual History and Reading Texts, S. 247.
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‚read‘ and interpret their social context through the conventions of their culture, though this is not always apparent to the interpreters themselves. In the case of exiles, however,“ und man kann hinzufügen, in allen ernsthaften transkulturellen Erfahrungsauslegungen, „the reading of the context may take a more selfconscious form because outsiders often become more aware of the assumptions by which they and others interpret social experience.“34 Solche Erfahrungen der Grenzüberschreitung zwingen historische Akteure bisweilen, ihre Beziehungen zu den umgebenden soziokulturellen Kontexten zu überdenken und die kulturellen Bedingungen ihrer intellektuellen Arbeit zu reflektieren. Diese Irritationen führen mithin dazu, dass historische Akteure ein empfindsames Sensorium für ihre Perspektivengebundenheit und für Widersprüche und Divergenzen zwischen unterschiedlichen Kontexten entwickeln.35 Sie entdecken sich wieder in Situationen, welche William H. Sewell einmal im Anschluss an den Anthropologen Clifford Geertz als „episodes of confusing of tongues“ bezeichnet hat, Situationen also, „where social encounters contest cultural meanings or render them uncertain“.36 Diese Brüche zwischen sozialen Erfahrungen und deren Deutungen und sprachlichen Erfassungen werden mitunter zu Katalysatoren semantischen und politisch-sozialen Wandels und regen damit kreative Deutungen des Politischen und Sozialen an. Einerseits besteht in solchen Situationen die Gefahr, dass Erfahrungen in der sozialen Interaktion und im Rückgriff auf tradierte Begriffe nicht mehr sprachlich adäquat plausibilisiert werden können und andererseits, dass die Handlungsweisen, welche die tradierten semantischen Systeme ermöglichten und zugleich beschränkten, nicht mehr zu den erwarteten Ergebnissen führen.37 Beide Bruchlinien erfordern deshalb alternative und in diesem Sinne innovative Deutungs- und Handlungsmuster. Mit der Ausleuchtung solcher „episodes of confusing of tongues“ im Hinblick auf die politische Sprache des Föderalismus soll auch ein Beitrag dazu geleistet werden, die Geschichte föderaler politischer Ordnungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert als eine Geschichte transkultureller Auseinandersetzung zu lesen. Im Kern dieser transkulturellen Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Föderalismus lag die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Republikanismus und Föderalismus in einer im Zeitalter der Revolutionen grundlegend
34 Kramer Lloyd S., Threshold of a New World, S. 2. 35 Vgl. hierzu die Überlegungen bei Kramer Lloyd S., Threshold of a New World, S. 7–11. 36 Sewell William H. Jr., Geertz, Cultural Systems, and History, S. 51. 37 Vgl. Sahlins Marshall, Inseln der Geschichte, S. 133–153; Sewell William H. Jr., Geertz, Cultural Systems, and History, S. 5; sowie die sehr erhellende Diskussion von Sahlins „möglicher Theorie der Geschichte“ bei Suter Andreas, Kulturgeschichte des Politischen, S. 33–34. Ähnliche Beobachtungen auch bei Steinmetz Willibald, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte, S. 190–192.
1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte
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transformierten politisch-sozialen Welt. Die Gründung der amerikanischen Föderativrepublik ist von vielen HistorikerInnen als eine Wegscheide in der Transformation der politischen Sprache des Republikanismus skizziert worden. J. G. A. Pocock meinte etwa bereits 1977: „It is notorious that classical republicanism was […] transformed in the making of the Federal Constitution and the Federalist and Republican minds“, und Andreas Kalyvas und Ira Katznelson schrieben gut dreißig Jahre später: „The creation of the American republic is a decisive site for understanding how republican themes and ideas turned in a liberal direction.“38 Zwischen diesen beiden Publikationen vollzog sich eine manchmal hitzige aber dennoch fruchtbare und anregende Debatte über das Verhältnis von Republikanismus und Liberalismus in der Entstehung der politischen Moderne. Ausgangspunkt dieser Debatte war eine Mitte der 1960er Jahre einsetzende revisionistische Sicht auf das politische Denken in der amerikanischen Revolution, die die bis anhin mehr oder weniger unangefochtene liberale, auf den Schutz individueller Rechte und die Freiheit des Einzelnen fokussierte Deutung herausforderte, welche insbesondere mit Louis Hartz’ The Liberal Tradition in America verbunden wurde.39 Autoren wie Bernard Bailyn, Gordon S. Wood und J. G. A. Pocock schälten die radikale politische Sprache der amerikanischen Revolutionäre mit ihrem Insistieren auf politischer Tugend, Bürgerpartizipation, Gemeinwohlorientierung und kollektiver Freiheit und ihren Warnungen vor den Gefahren von Korruption und Luxus heraus und verbanden dies zu einem Paradigma, das Robert Shalhope später als „a republican synthesis“ bezeichnete und Daniel Rodgers im Rückblick „a conceptual transformation“ in der amerikanischen Historiographie zum Revolutionszeitalter nannte.40 Anstatt die beiden Paradigmen Liberalismus und Republikanismus als zwei unvereinbare und sich gegenseitig ausschließende politische Sprachen zu behandeln, wie dies in den besonders giftig ausgetragenen Phasen der Kontroverse zuweilen der Fall war, haben sich in der Zwischenzeit auch Ansätze herausgebildet, die stärker auf die Vielschichtigkeit, Ambivalenz, Umstrittenheit und Wandelbarkeit dieser politischen Sprachen fokussieren. So
38 Pocock J. G. A., Historical Introduction, S. 147; Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 88. 39 Vgl. Hartz Louis, The Liberal Tradition in America. Stärker in dieser liberalen Tradition steht auch Appleby Joyce, Republicanism and Ideology; Appleby Joyce, Republicanism in Old and New Contexts; Appleby Joyce, Liberalism and Republicanism in the Historical Imagination. Für eine interessante Fortsetzung und Differenzierung des Hartz’schen Ansatzes vgl. auch Vorländer Hans, Hegemonialer Liberalismus. 40 Vgl. Bailyn Bernard, The Ideological Origins of the American Revolution; Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787; Pocock J. G. A., The Machiavellian Moment; Shalhope Robert E., Toward a Republican Synthesis; Rodgers Daniel T., Republicanism, S. 11–38.
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stellte etwa Isaac Kramnick „a profusion and confusion of political tongues“ in der politischen Diskursen im Kontext der amerikanischen Staatsgründung fest, James T. Kloppenberg erinnerte an „the persistence of diversity in American patterns of thought and behaviour during the colonial and early national period“, und Lance Banning machte darauf aufmerksam, wie klassisch-republikanische Konzepte durch ihre kreative Anwendung auf sich rasant wandelnde Kontexte im revolutionären und postrevolutionären Amerika ihre Bedeutung veränderten.41 Dadurch wurde auch die von Wood und anderen vorgeschlagene Periodisierung infrage gestellt. Hatte Wood noch argumentiert, dass die amerikanische Bundesverfassung „the end of classical politics“ markierte, und hatte Pocock den „Machiavellian Moment“ bei den Autoren der Federalist Papers ausklingen lassen, insistieren Historiker des frühen 19. Jahrhunderts nun mehr auf der Persistenz republikanischer Konzepte und distanzieren sich von der Vorstellung eines mehr oder weniger abrupten Einsetzens einer liberalen Hegemonie nach 1787/88.42 Und auch Wood warnte später selbstkritisch vor der Vorstellung, „that one set of ideas simply replaced another en bloc“, und präzisierte: „Republicanism was indeeed gradually transformed into something we call liberalism, but in subtle and complicated ways that kept many republican sentiments alive.“43 Und mit einem ähnlichen Interpretationskonzept, das auf die dynamische Verschränkung von Republikanismus und Liberalismus zielt, hielten auch Andreas Kalyvas und Ira Katznelson fest, „liberalism […] was born from the spirit of republicanism, from attempts to adapt republicanism to the political, economic, and social revolutions of the eighteenth century and the first decades of the nineteenth.“44
41 Vgl. Kramnick Isaac, The „Great National Discussion“, S. 4; Kloppenberg James T., The Virtues of Liberalism, S. 11; Banning Lance, Jeffersonian Ideology Revisited. Auf den Pluralismus und die Ambivalenzen der politischen Sprachen aufmerksam machen auch Hanson Russell L., „Commons“ und „Commonwealth“ at the American Founding; Banning Lance, Some Second Thoughts on Virtue and the Course of Revolutionary Thinking. Ausführliche Diskussionen der verschiedenen Positionen liefern Onuf Peter S., Reflections on the Founding und Gibson Alan, Ancients, Moderns, and Americans. 42 Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 606–615; Pocock J. G. A., The Machiavellian Moment. Pocock verwies zwar auf die Kontinuitäten klassisch-republikanischer Konzepte im 19. Jahrhundert, integrierte diese indessen nicht mehr weiter in seine Forschungen. Vgl. hierzu auch Pocock J. G. A., Between Gog and Magog, S. 341, sowie den Rückblick Pococks auf seine eigenen und Quentin Skinners Arbeiten in Pocock J. G. A., Quentin Skinner, S. 141. Auf die anhaltende Wirksamkeit klassisch-republikanischer Konzepte verweisen Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 23–32; Banning Lance, Jeffersonian Ideology Revisited. 43 Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. xi–xii. 44 Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 4.
1.1 Erkenntnisinteressen und Fragehorizonte
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Ähnliche Debatten zum Verhältnis von Republikanismus und Liberalismus und zur Frage der Kontinuität und Diskontinuität politischer Diskurse im Zeitalter der Revolutionen haben sich auch in anderen Untersuchungskontexten entfaltet und das Problembewusstsein für die vielfältigen Überblendungen, Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen politischen Sprachen geschärft sowie deren transkulturelle Zirkulationsbewegungen ansatzweise rekonstruiert.45 Auffallend ist indessen, dass die so fruchtbare und anregende Debatte über das komplexe Verhältnis von Republikanismus und Liberalismus und über die Vielfalt daraus resultierender politischer Sprachen im Zeitalter der Revolutionen es über weite Strecken versäumt hat, den Diskurs des föderalen Republikanismus hinreichend zu berücksichtigen, obwohl genau diese Verbindungslinie von vielen Autoren, die mit guten Gründen als Schlüsselautoren für diese Transformationsdiskurse betrachtet werden können, explizit herausgehoben wurde.46 „[H]appily for the republican cause,“ schrieb etwa James Madison im Federalist No. 51, „the practical sphere [of a republic] may be carried to a very great extent, by a judicious modification and mixture of the federal principle.“47 Ähnlich eng verflocht auch Joel Barlow Föderalismus und den nun als repräsentative Demokratie definierten Republikanismus, als er 1800 in seinen Letters from Paris schrieb: „The two most consoling principles that political experience has yet brought to light, are those on which we have founded our constitutions – I mean representative democracy, and the federalizing of states.“48 Welche Rolle also spielte die föderale Komponente in den republikanischen Transformationsdiskursen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts? Die hier zur Diskussion gestellte These ist, dass der Föderalismus als ein dynamisches und vielschichtiges Konzept verstanden werden muss, das in Auseinandersetzung mit den politischen, sozioökonomischen und kulturellen Transformationen des Zeitalters der Revolutionen tradierte Elemente republikanischer Diskurse mobilisierte, transformierte und an neue
45 Vgl. hierzu etwa Baker Keith Michael, Transformations of Classical Republicanism in Eighteenth-Century France; Baker Keith Michael, Political Languages of the French Revolution; Maissen Thomas, Die Geburt der Republic, S. 349–358; Maissen Thomas, Inventing the Sovereign Republic; Lerner Marc H., A Laboratory of Liberty, S. 12–20; Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik.; Nolte Paul, Republicanism, Liberalism, and Market Society; Albertone Manuela, Democratic Republicanism; Castiglione Dario, Republicanism and its Legacy; Israel Jonathan, The Intellectual Origins of Modern Democratic Republicanism (1660–1720). 46 Vgl. allerdings Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 5. 47 Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 322. Hervorhebungen im Original. 48 Barlow Joel, Letters from Paris, S. 51. Hervorhebungen im Original.
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und veränderte Bedingungen anzupassen versuchte.49 Die Herausforderung bestand also darin, vor dem Erfahrungsraum tradierter republikanischer Vorstellungswelten und als Antwort auf die sozioökonomischen, politischen und kulturellen Umwälzungen der Zeit neue und kreative Lösungen für politische Gemeinwesen zu finden, die nicht mehr nach dem überlieferten klassischen Ideal der kleinräumigen und soziokulturell homogenen Polis zu gestalten waren, sondern zunehmend die Gestalt von modernen, komplexen, arbeitsteiligen und pluralistischen Gesellschaften annahmen, die sich politisch tendenziell in der Form des territorialen Nationalstaates organisierten. Wie also konnten die „distinctive characters of the republican form“, welche James Madison im Federalist zu ergründen versuchte,50 mit den Anforderungen moderner Gesellschaften versöhnt werden, ohne allerdings dabei die Grundprinzipien der republikanischen Tradition über Bord zu werfen? Die in sich vielfältige politische Sprache des Föderalismus war eine Möglichkeit, tradierte republikanische Vorstellungen von kollektiver Freiheit, Deliberation, Bürgerpartizipation und lokaler Selbstregierung mit „modernen“ und nun allmählich „liberal“ genannten Vorstellungen von Repräsentation, Nationalstaatlichkeit, Volkssouveränität, Minderheitenschutz und natürlichen und unveräußerlichen individuellen Rechten zu verbinden. Dass diese politische Sprache des Föderalismus als republikanischer Transformationsdiskurs spannungs- und konfliktreich war, ist nicht weiter erstaunlich: Über Föderalismus nachdenken bedeutet in jedem Fall Arbeit an einer „Theorie des Prekären, des Schwebenden, der Zwischenlage“.51
1.2 Methodische Grundlagen. Zur politischen Sprache des Föderalismus zwischen Intellectual History und Historischer Semantik In seinem 1792 veröffentlichten Pamphlet Advice to the Privileged Orders in the Several States of Europe stellte der in Paris lebende amerikanische Schriftsteller Joel Barlow die These auf, dass die von seinen Zeitgenossen mitunter so vehement artikulierten Unterschiede zwischen den politischen Kulturen Nordameri-
49 Das so verstandene Föderalismuskonzept hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem, was Andreas Kalyvas und Ira Katznelson als „conceptual hybrid“ bezeichnen, vgl. Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 4–5. 50 Madison James, Federalist No. 39, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 236. 51 Schönberger Christoph, Die Europäische Union als Bund, S. 87. Vgl. hierzu auch Diamond Martin, The Ends of Federalism, S. 145.
1.2 Methodische Grundlagen
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kas und denjenigen Europas nur auf eine unterschiedliche „habit of thinking“ zurückzuführen sei. Die Legitimität der Privilegierten in Europa, argumentierte Barlow, liege weder in ihren körperlich noch intellektuell überdurchschnittlichen Fähigkeiten, sondern schlicht in der Gewohnheit der europäischen Gesellschaften, sie für Privilegierte zu halten: „We never submit to a king, because he is stronger than we in bodily force, nor because he is superior in understanding or in information; but because we believe him born to govern, or at least, because a majority of the society believes it.“52 Nicht nur resultierten aus dieser „habit of thinking“ andere Verhaltens- und Handlungsweisen, führte Barlow weiter aus, auch die politische Sprache und das Verständnis politischer Begriffe nähme in Amerika und Europa ganz andere Formen an. Das Wort „people“ habe beispielsweise in Amerika ebenso „a different meaning from what it has in Europe“ wie die Wörter „power“, „anarchy“ oder, wie Barlow an anderer Stelle ausführte, „federal“ und „confederation“.53 Genauso wie die unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe begrenzen, was politisch denkbar, sagbar und letztlich auch machbar sei, lässt sich umgekehrt schließen, so die politische Pointe von Barlows Argument, dass die Veränderung von Denk- und Sprechgewohnheiten letztlich als Triebkraft politischen Wandels fungieren kann. Politischer Wandel wird zur sprachlichen Aufgabe, denn die Denkgewohnheiten seien „materials for the formation of government, […] which almost change the moral nature of man.“ Verändere man die Art und Weise, wie die Menschen die sie umgebende politische Welt deuten, benennen und sprachlich erfassen, verändere man damit auch das Bewusstsein für „the facility of changing the structure of their government whenever and as often as the society shall think there is any thing in it to amend.“54 Ohne Barlows optimistische Einschätzung der Veränderungsmöglichkeiten politischer Ordnungen vorbehaltlos zu teilen, sind es doch die von Barlow akzentuierten Verhältnisbestimmungen zwischen Sprache und politischem Handeln, welche zum Ausgangspunkt der methodischen Überlegungen genommen werden, die in diesem Kapitel vorgestellt werden.55 Diese Verhältnisbestimmungen sind in den letzten Jahrzehnten von unterschiedlichen historischen Subdisziplinen bearbeitet worden. Die Begriffsgeschichte und die historische Semantik
52 Barlow Joel, Advice to the Privileged Orders, S. 28. 53 Barlow Joel, Letters from Paris, S. 49–50. 54 Barlow Joel, Advice to the Privileged Orders, S. 33–34 & 37. Hervorhebungen im Original. Zu Barlow vgl. Buel Richard Jr., Joel Barlow, S. 140–181 & 237–254; Kramer Lloyd S., Travelling through Revolutions; Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots, S. 64–87. 55 Vgl. Rosanvallon Pierre, Inaugural Lecture, Collège de France, S. 36–38; Steinmetz Willibald, Neue Wege einer historischen Semantik des Politischen, S. 9–15.
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1 Einleitung
befassen sich fast per definitionem mit dieser Frage56 und die Intellectual History und die neue Ideengeschichte haben sich in Auseinandersetzung mit dem linguistic turn seit den 1970er Jahren vermehrt mit der historischen und gesellschaftlichen Kontextualisierung von Ideen und Sprache beschäftigt.57 Wenn in der folgenden Studie Föderalismus als eine politische Sprache verstanden wird, dann wird damit auch ein Versuch gewagt, diese verschiedenen historiographischen Forschungsstränge in einen Dialog zu bringen und daraus ein den formulierten Erkenntnisinteressen adäquates analytisches Instrumentarium zu entwickeln.58 Barlows These, dass Politik kommunikativ konstituiert sei, dass es sich dabei um eine kommunikative Aktivität handelt, in der es letztlich darum geht, die Denk- und Handlungsweisen von Menschen zu verändern, Gewohnheiten zu durchbrechen, Begriffe semantisch neu zu besetzen, zu verändern, zu legitimieren oder auf andere Sachverhalte zu beziehen, liegt auch der konzeptionellen Herangehensweise dieser Studie zugrunde.59 Sprache ist deshalb von zentraler Bedeutung für das Politische, weil sie das wirkungsmächtigste Mittel ist, um Erfahrungen intersubjektiv austauschbar zu machen und dadurch überhaupt erst als potenziell politische zu konstituieren.60 „Politics“, hat Keith Michael Baker geschrieben, sei „about making claims“. Politik könne gesehen werden „as the activity through which individuals and groups in any society articulate, negotiate, implement, and enforce the competing claims they make upon one another and upon the whole.“61 Diese sprachlich artikulierten Geltungsansprüche sind gleichzeitig aber auch immer von bereits bestehenden Diskurstraditionen präformiert und müssen sich, um als politisch legitim und plausibel wahrgenommen
56 Vgl. die Diskussionen bei Reichardt Rolf, Historische Semantik zwischen lexicométrie und New Cultural History; Bödeker Hans Erich, Ausprägungen der historischen Semantik in den historischen Kulturwissenschaften; Steinmetz Willibald, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte. 57 Vgl. die Diskussionen bei Toews John E., Intellectual History after the Linguistic Turn; Lottes Günther, „The State of the Art“; Lottes Günther, Neue Ideengeschichte; Eckhart Hellmuth/von Ehrenstein Christoph, Intellectual History Made in Britain; Clark Elizabeth A., History, Theory, Text, S. 106–155; Spiegel Gabrielle, Introduction; Bender Thomas, The Present and Future of American Intellectual History; Gordon Peter E., Contextualism and Criticism in the History of Ideas; Raphael Lutz, „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit“. 58 Vgl. hierzu auch Hall David A., Backwards to the Future, S. 178–179. Zur Analyse politischer Sprachen vgl. Pocock John G. A., Der Begriff einer „Sprache“ und das métier d’historien. 59 Vgl. Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 4–7; Ball Terence/Pocock J. G. A., Introduction; Stedman Jones Gareth, The Determinist Fix, S. 28–31. 60 Vgl. Steinmetz Willibald, Von der Geschichte der Gesellschaft zur „Neuen Kulturgeschichte“, S. 246. 61 Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 4.
1.2 Methodische Grundlagen
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zu werden, in diese Diskurstraditionen einschreiben.62 Quentin Skinner hat diese Problematik treffend in der Metapher des rückwärtsgewandten Revolutionärs zum Ausdruck gebracht, als er in seinem Artikel Some Problems in the Analysis of Political Thought and Action zu bedenken gab: The point which perhaps needs to be emphasised is that, however revolutionary the ideologist concerned may be, he will nevertheless be committed, once he has accepted the need to legitimate his behaviour, to attempting to show that some of the existing range of favorable evaluative-descriptive terms can somehow be applied as apt descriptions of his own apparently untoward actions. Every revolutionary is to this extent obliged to march backward into battle.63
Politik lässt sich vor diesem Hintergrund als soziales und kommunikatives Handeln verstehen, das sich zwar in präfigurierten kulturellen Deutungszusammenhängen und diskursiven Formationen bewegt, diese aber gerade zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung macht und damit auf deren Veränderung oder Beharrung zielt.64 In anderen Worten und auf den Untersuchungsgegenstand dieser Studie angewendet: Akteure, welche den Föderalismusbegriff als politischen Geltungsanspruch mobilisierten, waren einerseits in ihren Sprechhandlungen von den je nach politisch-kulturellem Kontext unterschiedlichen Bedeutungsspektren des Föderalismusbegriffs begrenzt; andererseits arbeiteten sie in ihrem pragmatischen Sprachgebrauch aber auch an diesen Bedeutungsspektren, sie bezogen sie auf andere Kontexte und Bedingungen, sie nutzten Metaphern und Analogien, schlugen Neudefinitionen, Bedeutungserweiterungen, -konzentrationen oder -verschiebungen vor – und sie unterlagen mitunter auch kreativen Missverständnissen.65 Ob ihre Ansprüche nach einer föderalen Gestaltung politischer Gemeinwesen als legitim angesehen wurden, hing auch davon ab, inwiefern sich damit komplexe politische Probleme ihrer Gegenwart adressieren ließen und inwiefern überzeugende, an die kollektiven Erfahrungen der Zeitgenossen anschlussfähige Deutungen für diese Probleme in der politischen Sprache des Föderalismus artikuliert werden konnten. Referenzen auf die Erfahrungen mit föderalen Verfassungen in anderen politisch-kulturellen
62 Vgl. zur Begrenztheit semantischer Innovationsmöglichkeiten auch Koselleck Reinhart, Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte, S. 22–23. 63 Skinner Quentin, Some Problems in the Analysis of Political Thought and Action, S. 294–295. Hervorhebungen im Original. 64 Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 6; ähnlich auch bei Mergel Thomas, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, S. 593. 65 Vgl. hierzu auch Sahlins Marshall, Inseln der Geschichte, S. 148; Sewell William H. Jr., Concept(s) of Culture, S. 162–168.
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1 Einleitung
Kontexten – seien sie affirmativ oder pejorativ – waren dabei nicht nur ein Mittel der Legitimierung oder Delegitimierung politischer Ansprüche, sondern gleichzeitig auch eine Triebkraft für „glissements sémantiques“, für die semantische Transformation tradierter Föderalismuskonzepte in den eigenen Kontexten.66 „If nations actually borrow from their neighbours“ schrieb Adam Ferguson bereits 1767, „they probably borrow only what they are nearly in a condition to have invented themselves.“67 Ferguson machte mit dieser Bemerkung auf die Voraussetzungsbedürftigkeit von solchen konzeptuellen Aneignungen aufmerksam und betonte die Dialektik zwischen den Bedingungen eines Rezeptionskontextes und der Anschauungskraft von politischen Erfahrungen, die jenseits dieses Rezeptionskontextes liegen. Was in Fergusons Formulierung implizit angelegt ist, aber nicht explizit ausgesprochen wird, ist die kreative und transformierende Kraft des Rezeptionsaktes selbst.68 Wenn wir von Fergusons Formulierung abweichen und davon ausgehen, dass nicht Nationen die historischen Handlungssubjekte sind, sondern Menschen, erlaubt dies eine differenzierte, wenn auch vielleicht weniger generalisierungsfähige Perspektive auf die Problematik von Begriffstransfers und die Aneignung politischer Konzepte und Ideen. Denn mit einer solchen Perspektive lassen sich die vergleichenden und transkulturellen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Semantiken des Föderalismusbegriffs durch die historischen Akteure auch als konzeptionelle Interventionen in bestehende politische Diskurstraditionen verstehen.69 Dieses Interaktionsverhältnis zwischen tradierten, diachronen sprachlichen Strukturen und aktualisiertem, synchronem Sprachgebrauch widerspiegelt sich auch im Aufbau dieser Arbeit: während im ersten Teil die wichtigsten Entwicklungstendenzen und Weichenstellungen einer transkulturellen historischen Semantik des Föderalismusbegriffs rekonstruiert werden, untersucht der zweite Teil, wie mit diesen tradierten Semantiken des Begriffs operiert wurde, wie durch Praktiken der Bricolage neue semantische Verknüpfungen hergestellt wurden, wie diese zum Gegenstand pragmatischen Sprachgebrauchs gemacht wurden, wie, um mit Marshall Sahlins zu sprechen, „semantische Improvisationen“ mit
66 Nicolet Claude, L’idée Républicaine en France (1789–1924), S. 15. 67 Ferguson Adam, An Essay on the History of Civil Society, S. 253. 68 Darauf aufmerksam macht Eisenberg Christiane, Kulturtransfer als historischer Prozess. 69 Auf diese Prozesse der semantischen Transformation durch transkulturelle Beschäftigungen machen aufmerksam: Sewell William H. Jr., Geertz, Cultural Systems, and History, S. 49–51; Steinmetz Willibald, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte, S. 190–192; Armitage David, The International Turn in Intellectual History, S. 241. Zum „global turn“ in der Ideengeschichte generell vgl. Moyn Samuel/Sartori Andrew (Hrsg.), Global Intellectual History.
1.2 Methodische Grundlagen
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„funktionalen Umwertungen“ von Begriffen einhergingen,70 und wie damit in politische Diskurse interveniert wurde, um das Denken und Handeln anderer Menschen zu beeinflussen. Wenn in diesen Zeilen bereits des Öfteren von der politischen Sprache des Föderalismus, von Semantik und Pragmatik und von Sprechhandlungen die Rede war, soll damit nicht suggeriert werden, dass sich die Untersuchung alleine auf eine linguistische Herangehensweise konzentriert. Die methodische Herangehensweise dieser Untersuchung geht eher davon aus, dass die erkenntnistheoretische Kritik, welche im Zuge des linguistic turn an die Geschichtswissenschaft herangetragen wurde, durchaus ernst genommen werden sollte, ohne dadurch aber gleich Autoren, Leser oder außersprachliche Dimensionen der sozialen Wirklichkeit zu ignorieren.71 Viel eher insistiert dieser Ansatz auf einem dialektischen Verhältnis von Text und Kontext, von symbolischen und sozialen Dimensionen historischer Wirklichkeit, wie er etwa von Lloyd Kramer vorgeschlagen wurde: All social experiences (including poverty, political repression, work, love, friendship, and exile) take place within interpretative systems that derive from inherited ideas or texts. Without ideas, experience does not make sense. All ideas and texts (including the most abstract theories, the greatest fiction, and works by exiles) appear within social systems that derive from inherited economic and political structures. Without society, ideas do not make sense. Sharp divisions between social and intellectual history therefore distort what actually happens in the historical process.72
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die Produktion von Texten einerseits in ihre sozialen und diskursiven Entstehungsbedingungen einzubetten, sie aber gleichzeitig auch als Praktiken zu verstehen, die in die diskursiven und sozialen Strukturen der Öffentlichkeit intervenieren und politische Geltungsansprüche artikulieren.73 Die Bedeutung des Föderalismusbegriffs erschloss sich historisch betrachtet nicht einfach aus seinen Beziehungen zu anderen politischen Ordnungsbegriffen. Seine Bedeutung war zwar auch das Ergebnis eines language game – aber nicht ausschließlich. Vielmehr erhielt der Föderalismusbegriff seine Bedeutungen jeweils auch von seinem interessegeleiteten Gebrauch durch histo-
70 Sahlins Marshall, Inseln der Geschichte, S. 9–10. Vgl. hierzu auch Sewell William H. Jr., Concept(s) of Culture, S. 168. 71 Vgl. hierzu etwa Jelavich Peter, Poststrukturalismus und Sozialgeschichte; Clark Elizabeth A., History, Theory, Text, S. 106–155; Spiegel Gabrielle, Introduction; Toews John E., Intellectual History after the Linguistic Turn; Cornell Saul, Splitting the Difference; Stedman Jones Gareth, The Determinist Fix; Sewell William H. Jr., Refiguring the „Social“ in Social Science. 72 Kramer Lloyd S., Threshold of a New World, S. 7. 73 Vgl. Kloppenberg James T., Thinking Historically.
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rische Akteure, welche durch ihren pragmatischen Sprachgebrauch die multiplen tradierten Bedeutungsebenen des Begriffs unterschiedlich gewichteten und veränderten.74 „Im praktischen Handeln des Subjekts“, hat Marshall Sahlins zu bedenken gegeben, „nimmt der begriffliche Wert einen intentionalen Wert an – der sich durchaus von seinem konventionellen Wert unterscheiden kann.“75 Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang auch auf die Kontingenz im Verhältnis von Textproduktion und Textrezeption, und damit auch in der Aneignung föderaler Konzepte und Begrifflichkeiten hinzuweisen. Sobald Texte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sobald sie gelesen werden, entziehen sie sich tendenziell der Deutungshoheit und der Intentionalität des Autors. Sie ruhen nicht, wie Roger Chartier geschrieben hat, „in ihren – handgeschriebenen oder gedruckten – Objekten wie in Behältern und schreiben sich nicht in den Leser ein wie in ein weiches Wachs.“76 Die Bedeutungen eines Textes lassen sich demnach nicht auf die singulären Absichten des Textproduzenten reduzieren, sondern werden im kreativen Akt des Lesens, der Interpretation und des intersubjektiven Austauschs permanent verändert und multipliziert; ihre Bedeutungen werden Teil der diskursiven Aushandlungen innerhalb der Öffentlichkeit.77 Dadurch interagieren Texte unausweichlich mit den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Produktion und Rezeption: Texts should be seen as social products that have social consequences. They are linked to extratextual realities both through their authors, who creatively use existing linguistic conventions to carry out their socially formed intentions, and by readers, who are influenced by texts but who also interpret them – again, creatively – in terms of their own socially specific identities and interests. The meanings of texts, and therefore their social effects, are never securely and unambiguously inscribed in their language but depend on the ambiguous motives and contradictory social locations of both authors and readers.78
Texte und Kontexte werden dementsprechend in den komplexen kreativen Prozessen der Produktion, der Rezeption und Transformation sowie in der intertextuellen Re-Produktion durch die gesellschaftlich bedingten historischen Akteure dialogisch verbunden. Ebenso wie Erfahrungen nur durch kulturelle „Bedeutungsgewebe“ überhaupt sinnhaft und durch sprachliche Strukturierung
74 Vgl. Sewell William H. Jr., Refiguring the „Social“ in Social Science, S. 336. 75 Sahlins Marshall, Inseln der Geschichte, S. 147. 76 Chartier Roger, Kulturgeschichte zwischen Repräsentationen und Praktiken, S. 17. 77 Vgl. Cornell Saul, Splitting the Difference, S. 72–75. Zum Lesen als kreativer Prozess vgl. Chartier Roger, Texts, Printings, Readings, S. 156; Chartier Roger, Kulturgeschichte zwischen Repräsentationen und Praktiken, S. 17–18. 78 Sewell William H., A Rhetoric of Bourgeois Revolution, S. 36–37.
1.2 Methodische Grundlagen
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allenfalls mit einer politischen Semantik belegt werden,79 lässt sich umgekehrt behaupten, dass Texte immer in einem Referenzsystem zu einer außersprachlichen historischen Wirklichkeit stehen, in welche sie intervenieren, ohne dass ihre Autoren die sozialen und politischen Effekte dieser Intervention gänzlich antizipieren könnten. Die „politische“ Bedeutung von Texten, rührt also nicht ausschließlich von ihrem Verhältnis zu anderen Texten her; vielmehr ist das „Politische“ an Texten, dass deren Verfasser davon ausgehen, dass sich mit ihnen die Welt außerhalb des Textes verändern lässt. Wie lässt sich nun diese Komplexität im Verhältnis von Texten und Kontexten operationalisieren und narrativ einfangen? Als ein diesen konzeptionellen Beobachtungen angemessener Zugang erscheint ein akteurszentrierter Ansatz, der die skizzierten multiplen Kontexte miteinander zu verknüpfen vermag und so beidem Rechnung trägt: „the cultural limits and the creative spaces that individuals encounter in the multiple contexts of their personal and intellectual lives.“80 Dies erlaubt es, den Untersuchungsfokus von einzelnen Autoren über deren soziale Beziehungsnetze zu umfassenderen Diskurs- und Interpretationsgemeinschaften schwenken zu lassen und ihre Texte gleichzeitig als Produkt sozialer und kultureller Kontexte und als kreative Intervention in diese Kontexte zu begreifen.81 So gliedert sich der zweite Teil dieser Studie entlang von historischen Akteuren, welche eine Vermittlerrolle zwischen verschiedenen politisch-kulturellen Sphären einnahmen und damit eine wichtige Funktion in der transkulturellen Übersetzung und Aneignung föderaler Ideen, Konzepte und Begrifflichkeiten wahrnahmen.82 Ihre transkulturellen Erfahrungen werden so als Prisma verstanden, durch welches umfassendere historische Prozesse einer transatlantischen intellektuellen Auseinandersetzung über die Bedeutung des Föderalismus für die post-revolutionären Gesellschaften dies- und jenseits des Atlantiks sichtbar und rekonstruierbar werden. Gleichzeitig zeigt ein solcher Ansatz auch, dass Ideen und Konzepte nicht losgelöst von historischen Subjekten existieren. Vielmehr sind es Menschen, die mit sprachlich artikulierten Begriffen und Konzepten ope-
79 Vgl. zu diesem Begriff Geertz Clifford, Dichte Beschreibung, S. 11. Ähnlich argumentiert auch Stedman Jones Gareth, Sprache und Politik des Chartismus, S. 143. 80 Kramer Lloyd S., Intellectual History and Philosophy, S. 93. 81 Zum Begriff der Diskursgemeinschaft und dessen Problematisierung vgl. LaCapra Dominick, Rethinking Intellectual History and Reading Texts, S. 264–266. Zum Zusammenhang zwischen sozialen Netzwerken und Diskursgemeinschaften vgl. Emirbayer Mustafa/Goodwin Jeff, Network Analysis, Culture and the Problem of Agency, S. 1436–1446. 82 Ich folge hier einem Ansatz den Lloyd Kramer am Beispiel Lafayettes entwickelt hat, vgl. Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 12–15.
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rieren, um konkrete Konflikte und Probleme in ihren jeweiligen Gesellschaften zu adressieren und zu bearbeiten.83 Bei diesen Kapiteln des zweiten Teils der Arbeit handelt es sich allerdings nicht um biographische Skizzen im engeren Sinne. Vielmehr werden die sozialen Positionen dieser Akteure als go-between zwischen unterschiedlichen politisch-kulturellen Sphären als Einstiegsmöglichkeiten genommen, um sie als Teil umfassenderer sozialer und diskursiver Formationen zu beschreiben, in denen durch intersubjektive Kommunikationsprozesse Deutungswissen über den Föderalismus generiert, verbreitet und transformiert wurde. Mit einem solchen Ansatz kann deutlich gemacht werden, wie kulturelle Widersprüche und politische Konflikte von Menschen angeeignet wurden, wie ihre individuellen Erfahrungen mit übergreifenden Erfahrungsräumen interagierten, wie sie den Widersprüchen und Herausforderungen ihrer politischen und sozialen Welt Sinn abgewannen und wie sie den Föderalismus als eine Möglichkeit entdeckten, diese sozialen und politischen Herausforderungen zu adressieren und zu bearbeiten.84 Die politische Sprache des Föderalismus wird so als ein gleichzeitig begrenzendes wie ermöglichendes kulturelles „tool-kit“ zur intellektuellen und politischen Bearbeitung unterschiedlicher gesellschaftlicher und politischer Konfliktfelder verstanden, welche die Gesellschaften Nordamerikas und Europas im Zeitalter der Revolutionen prägten.85
1.3 Atlantische Revolutionen und atlantische Sattelzeiten Thomas Paine schrieb 1791 am Ende des ersten Teils seines Essays Rights of Man über seine Gegenwart, die er von der Revolution in Amerika ebenso geprägt sah wie von der Französischen: „From what we now see, nothing of reform in the political world ought to be held improbable. It is an age of Revolutions, in which every thing may be looked for.“86 Paine gab damit nicht nur dem Zeitraum, den er als Zeitgenosse miterlebte, eine Epochenbezeichnung, die in der Historiogra-
83 Vgl. hierzu auch Kloppenberg James T., Thinking Historically, S. 202–205. 84 Ich folge hier einem Ansatz, den David Brion Davis stark gemacht hat: „By showing how cultural tensions and contradictions may be internalized, struggled with, and resolved within actual individuals, it [biography] offers the most promising key to the synthesis of culture and history.“ Vgl. Davis David Brion, Some Recent Directions in American Cultural History, S. 705. Vgl. als Beispiel eines ähnlichen Ansatzes Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 3–6. 85 Vgl. zu diesem Kulturbegriff Sewell William H. Jr., Concept(s) of Culture, S. 162. 86 Paine Thomas, Rights of Man, S. 256.
1.3 Atlantische Revolutionen und atlantische Sattelzeiten
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phie seither immer wieder aufgenommen wurde und, wie David Armitage und Sanjay Subrahmanyam kürzlich bemerkt haben, auf beiden Seiten des Atlantiks zu einem der „most enduring period markers known to modern historians“ geworden ist.87 Er charakterisierte diesen Zeitraum darüber hinaus auch als eine von Kontingenz geprägte Transformationsphase, als eine Zeit, „in which every thing may be looked for.“ Der revolutionäre Erfahrungsbruch, die Dynamisierung und Pluralisierung der politischen Diskurse und die damit sich eröffnenden politischen Möglichkeitsräume hatte in Paines Perspektive also eine transatlantische Qualität – und niemand anderes verkörperte diese transatlantische Dimension der Revolutionserfahrung besser als Tom Paine selbst.88 Entgegen dieser atlantischen Perspektive, mit welcher Paine seine Gegenwart zu deuten versuchte, hat sich in der Historiographie zum Thema mehrheitlich ein Narrativ herausgebildet, das die Amerikanische und Französische Revolution als zwei Ereigniskomplexe behandelt, welche zwar auf sich gegenseitig beeinflussende Ideenkomplexe zurückgeführt werden, allerdings in fundamental unterschiedliche politisch-konstitutionelle Entwicklungspfade mündeten. Der ideologisierten, gewalttätigen und radikalisierten Französischen Revolution, die Europa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in einem revolutionären Gärzustand hielt, steht die friedliche und moderate Amerikanische Revolution gegenüber, die relativ schnell in institutionelle Verstetigungsprozesse überführt wurde und an deren Ende die amerikanische Bundesverfassung als Verkörperung einer stabilen, klugen und ausbalancierten politischen Ordnung steht.89 Dieses dichotomische Deutungsmuster der atlantischen Revolutionen ist beinahe so alt, wie die Revolutionen selber. Schon Friedrich von Gentz hatte 1800 in einem vergleichenden Essay die Amerikanische Revolution als konservativ und konsens-orientiert beschrieben und ihr die radikalisierte und ins Chaos mündende Französische gegenüber gestellt. Dank der noch im selben Jahr erschienenen amerikanischen Übersetzung von John Quincy Adams wurden Gentz’ Argumente auch in der amerikanischen Öffentlichkeit rasch zu einem beliebten Erklärungsmuster für die singuläre Entwicklung der amerikanischen Nation, für den American exceptio-
87 Armitage David/Subrahmanyam Sanjay, Introduction, S. xii; Hobsbawm Eric, Europäische Revolutionen; Bergeron Louis/Furet François/Koselleck Reinhart (Hrsg.), Das Zeitalter der europäischen Revolutionen 1780–1848; Palmer R. R., The Age of the Democratic Revolution; Jones Colin/Wahrman Dror (Hrsg.), The Age of Cultural Revolutions; Auslander Leora, Cultural Revolutions. 88 Vgl. hierzu Cotlar Seth. Tom Paine’s America, S. 3–12. Zu den Innovationen in Paines Denken, die auch aus diesem Kontingenzspielraum zu erklären sind vgl. Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, The Republic of the Moderns. 89 Vgl. Higonnet Patrice, Sister Republics; Dunn Susan, Sister Revolutions.
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nalism – nicht zuletzt weil Adams das dichotomische Deutungsmuster von Gentz noch radikalisierte und in seinem Vorwort den Unterschied zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution schlicht als „difference between right and wrong“ beschrieb.90 Es mag gute Gründe geben, die Unterschiede der beiden Revolutionen mehr zu gewichten als ihre Gemeinsamkeiten.91 Das dichotomische Deutungsmuster der atlantischen Revolutionen weist indessen auch eine Reihe von blinden Flecken auf. So ist es zumindest fraglich, ob die Amerikanische Revolution und ihre Folgegeschichte als moderat und friedlich zu bezeichnen sind, wenn man die gewalttätige Geschichte der Sklaverei, die Vertreibung und Vernichtung der native americans und die Schrecken des Bürgerkriegs als Bestandteile einer Entwicklungsgeschichte der amerikanischen politischen Kultur seit der Revolution betrachtet.92 Immerhin war der amerikanische Bürgerkrieg auch ein Kampf über Fragen, welche seit der Amerikanischen Revolution zu den ungelösten und treibenden Konflikten im antebellum-Amerika gehörten: die Sklaverei und die Struktur der föderalen Union. Aus dieser Perspektive betrachtet, verblassen mithin auch die Unterschiede zwischen jakobinischen Gewaltexzessen und derjenigen der amerikanischen Sklavenhalter oder landhungrigen, nach Westen expandierenden Anhänger der white supremacy.93 Und auch die Erfindung der föderalen Republik in den Vereinigten Staaten erscheint mit Blick auf die Geschichte Nordamerikas in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eine zutiefst umstrittene Erfindung, die sich letztlich eben gerade nicht durch die viel gerühmten konstitutionellen und politischen Ausgleichsmechanismen am Leben erhielt, sondern durch militärische Mittel und durch das Opfer von über 600 000 Amerikanern in einem blutigen Bürgerkrieg. Vergrößert man den zeitlichen Rahmen und betrachtet man die Geschichte der atlantischen Revolutionen nicht nur in ihrem unmittelbaren Zusammenhang im späten 18. Jahrhundert, sondern auch als eine Deutungs- und Entwicklungsge-
90 Vgl. Gentz Friedrich von, Der Ursprung und die Grundsätze der Amerikanischen Revolution; Gentz Friedrich, The Origins and Principles of the American Revolution, S. 4. Hervorhebungen im Original. 91 Vgl. Stourzh Gerald, The Declaration of Rights; Whatmore Richard, The French and North American Revolutions in Comparative Perspective; Sharp James Roger, France and the United States at the End of the Eighteenth Century. 92 Zu einer solchen Perspektive vgl. Blackburn Robin, Haiti, Slavery, and the Age of the Democratic Revolution; Schama Simon, Rough Crossings. Zur Transformation der Bedeutung der Verfassung für Afroamerikaner während des Bürgerkriegs vgl. Foner Eric, Rights and the Constitution in Black Life during the Civil War and Reconstruction. 93 Vgl. hierzu auch Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots, S. 11–12.
1.3 Atlantische Revolutionen und atlantische Sattelzeiten
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schichte, die sich bis weit ins 19. Jahrhundert hineinzog, verschieben sich auch die Fragehorizonte des zurückblickenden Historikers. So hat die oben skizzierte dominante Interpretationsfigur mitunter zu analytischen Pfadabhängigkeiten geführt, die den Blick auf die Verflechtungen und wechselseitigen Bezugnahmen verstellen, welche insbesondere die politischen und kulturellen Verarbeitungen der Revolutionserfahrungen und die daraus abgeleiteten politischen Zukunftsentwürfe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten.94 „The meaning of the French Revolution“, konstatierte der Historiker Gordon S. Wood über den Einfluss der Ereignisse im Europa der 1790er Jahre auf die politische Kultur Amerikas, „became entwined in the quarrel that Americans were having among themselves over the direction of their own revolution.“95 Umgekehrt rückte das amerikanische Experiment der föderalen Republik nun zusehends ins Blickfeld der europäischen Beobachter, um die Bedeutung des Epochenumbruchs der Französischen Revolution zu deuten und sich über die Zukunft ihrer eigenen Gesellschaften klar zu werden.96 „Ne tournons pas nos regards vers l’Amérique pour copier servilement les institutions qu’elle s’est données“ schrieb Alexis de Tocqueville 1848, „mais pour mieux comprendre celles qui nous conviennent […].“97 Die intellektuellen Beschäftigungen mit der Französischen Revolution kamen kaum ohne Vergleiche mit der Amerikanischen aus, so wie umgekehrt die Abhandlungen über die Amerikanische Revolution ihre Argumente mit kontrastierendem Blick auf die Französische schärften. Gentz’ Essay von 1800 lässt sich in dieser Perspektive ebenso als ein Ausdruck eines atlantischen Deutungshorizontes lesen, wie als ein Beleg für die divergierenden Entwicklungsdynamiken der beiden Revolutionen. Die Geschichte Amerikas und Europas im frühen 19. Jahrhundert kann in einer solchen atlantischen Perspektive als eine Geschichte des „coming to terms with a revolutionary past“ betrachtet werden.98 Die revolutionäre Vergangenheit Amerikas nährte die intellektuelle
94 Vgl. Kramer Lloyd S., The French Revolution and the Creation of American Political Culture; Albertone Manuela/de Francesco Antonino (Hrsg.), Rethinking the Atlantic World; Morrison Michael A./Zook Melinda (Hrsg.), Revolutionary Currents; Armitage David/Subrahmanyam Sanjay (Hrsg.), The Age of Revolutions in Global Context, c. 1760–1840; Bayly Christopher A., Die Geburt der modernen Welt, S. 110–152; Osterhammel Jürgen, Die Verwandlung der Welt, S. 747–777. 95 Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 177. 96 Vgl. Echeverria Durrand, Mirage in the West; Rémond René, Les États-Unis devant l’opinion française 1815–1852; Craiutu Aurelian/Isaac Jeffrey C., Introduction; Murphy Thomas K., A Land without Castles. 97 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, S. XLIV. 98 Vgl. ähnliche Perspektiven auf die europäischen und amerikanischen Kontexte bei Lyons Martyn, Post-Revolutionary Europe, 1815–1856; Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy.
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Neugier der europäischen Beobachter und diente ihnen ebenso als Triebkraft, um ihre eigene revolutionäre Vergangenheit und Gegenwart zu deuten und politische Zukunftsvisionen daraus abzuleiten, wie dies in Amerika umgekehrt der Fall war. Transatlantische Vergleiche, Transfers, Austauschprozesse und die Aneignung von Ideen und Diskursen, welche die jeweils andere politische Kultur zu prägen schienen, waren ein entscheidendes Charakteristikum der (post-)revolutionären Selbstverständigung auf beiden Kontinenten. Zumindest in der Erinnerung, Verarbeitung und analytischen Beschäftigung mit den atlantischen Revolutionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schienen sich die beiden Revolutionen näher zu sein, als die historiographische Meistererzählung es nahe legt. Paines Gegenwartsdiagnose ist indessen nicht nur aufgrund ihres atlantischen Deutungshorizontes von Interesse, sondern auch aufgrund der darin konstatierten Eröffnung des politischen Möglichkeitsraums. Seine Gegenwart sei eine Zeit, in welcher „nothing of reform in the political world ought to be held improbable“, hatte Paine geschrieben. Diese Bemerkung lässt sich unschwer als Beleg für Reinhart Kosellecks These eines Auseinandertretens von „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ und der damit einhergehenden Kontingenzerfahrung im Zeitalter der Revolutionen lesen.99 Indem Erfahrungsraum und Erwartungshorizont divergieren, entstehen politisch-semantische Räume, in denen nicht mehr aus der Vergangenheit und aus der Erfahrung alleine argumentiert wird, sondern auch aus der imaginierten und damit auf Erwartung gestellten zukünftigen Ordnung. Deren Überbrückung wird gleichsam zur Aufgabe politischen Handelns.100 Gleichzeitig drängt die mit dem Auseinanderklaffen von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont verbundene Unsicherheit und Krisenhaftigkeit auf „kommunikative Ordnungsleistungen“,101 welche den politischen Sagbarkeitsraum wieder zu gliedern versprechen, um damit die „Diskrepanzen zwischen den Dingen und den Zeichen“ zumindest vorläufig wieder zu überbrücken.102 „[L]a langue a survécu à la chose“ hatte der Abbé de Sieyes am Vorabend der Französischen Revolution in Qu’est-ce que le Tiers état geschrieben, und diese Definition des revolutionären Moments zum Impuls genommen, die politische Ordnung durch sprachliche Artikulation auf ein neues Fundament zu stellen.103
99 Vgl. Koselleck Reinhart, Zum Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont im Zeitalter der Revolution; Koselleck Reinhart, ‚Erfahrungsraum’ und ‚Erwartungshorizont‘. 100 Vgl. hierzu Schinkel Andres, Imagination as a Category of History. 101 Schmidt Rainer, Ideengeschichte und Institutionentheorie, S. 79. 102 Vgl. Sahlins Marshall, Inseln der Geschichte, S. 13. 103 Sieyes Emmanuel-Joseph Abbé, Qu’ est-ce que le tiers état, S. 98. Vgl. hierzu auch Baker Keith Michael, Sieyès and the Creation of French Revolutionary Discourse; Sewell William H., A Rhetoric of Bourgeois Revolution, S. 41–65.
1.3 Atlantische Revolutionen und atlantische Sattelzeiten
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Was Koselleck in erster Linie anhand der deutschen und – mit vergleichendem Blick104 – der westeuropäischen Geschichte entworfen und zu seiner These der „Sattelzeit“ ausgearbeitet hat,105 findet sein Pendant im englischsprachigen Raum in einem Forschungsstrang, der sich auf die Schriften von Raymond Williams zurückführen lässt. Bereits 1958, also etwa zur gleichen Zeit als Koselleck seine ersten Reflexionen zu einer historisch-semantischen Schwellenzeit um 1800 entwickelte,106 machte Williams in der Einleitung zu seinem Buch Culture and Society eine Beobachtung, in der er ähnlich wie Koselleck einen fundamentalen semantischen Transformationsprozess in jenem Zeitraum konstatierte, der mit Paines Begriffsprägung des „Zeitalters der Revolutionen“ beschrieben wird: In the last decades of the eighteenth century, and in the first half of the nineteenth century a number of words, which are now of capital importance, came for the first time into common English use, or, where they had already been generally used in the language, acquired new and important meanings.107
104 Vgl. etwa Kosellecks Erörterungen in: Koselleck Reinhart/Dipper Christof, Begriffsgeschichte, Sozialgeschichte, begriffene Geschichte, S. 194–195 sowie Koselleck Reinhart, Zum Auseinandertreten von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont im Zeitalter der Revolution. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Keith Michael Baker seine Untersuchung zur Französischen Revolution in den 1750er und 1760er Jahren beginnen lässt und dies mit einem ähnlichen Wandel im Verhältnis von politischer Legitimität, Öffentlichkeit, politischer Sprache und sozialer Trägerschaft begründet, wie es sich auch bei Koselleck beobachten lässt: „In the course of these two decades, politics broke out of the absolutist mold. Opinion became opinion publique: not a social function but a political category, the tribunal du public, the court of final appeal for monarchical authority, as for its critics. Droit public – the nature of the political order and the conditions under which the nation existed as a collective body – became the ultimate question upon which that tribunal was called to decide. And the publiciste as learned authority on the nature of droit public began to give way to the publicist as man of letters whose ambition it was to define the language of the court of public opinion by laying down the meaning of terms.“ Vgl. Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 25. 105 Vgl. Koselleck Reinhart, Einleitung, S. XV–XVIII. Koselleck selbst hat auf den heuristischen und pragmatischen Charakter des Sattelzeitbegriffs hingewiesen und auch selbstkritisch dessen Schlagwortcharakter hervorgehoben, vgl. Koselleck Reinhart/Dipper Christof, Begriffsgeschichte, Sozialgeschichte, begriffene Geschichte, S. 194–197; Koselleck Reinhart, A Response to Comments on the Geschichtliche Grundbegriffe, S. 69. Zur Kritik an Kosellecks These in komparativer Perspektive vgl. Reichardt Rolf, Pour une histoire des mots-thèmes socio-politiques en France (1680–1820); Reichardt Rolf, Einleitung, S. 64–66; Pocock J. G. A., Concepts and Discourses, S. 58; Leonhard Jörn, Erfahrungsgeschichten der Moderne. 106 Vgl. Koselleck Reinhart/Dipper Christof, Begriffsgeschichte, Sozialgeschichte, begriffene Geschichte, S. 187–188. 107 Williams Raymond, Culture and Society 1780–1950, S. 13. Vgl. hierzu auch Williams Raymond, Keywords, S. 13–20.
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1 Einleitung
Ähnlich wie Koselleck akzentuierte Williams die Transformationsphase des politischen und sozialen Vokabulars in der englischen Sprache, verband diese Beobachtung mit den intellektuellen Verarbeitungen des politisch-kulturellen und sozioökonomischen Wandels von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Wandel der öffentlichen Kommunikationsstrukturen und der Transformation politischer Legitimitätskriterien.108 Vergleichbare Beobachtungen sind in der amerikanischen Historiographie zum Ausgangspunkt diverser Versuche genommen worden, das amerikanische Zeitalter der Revolutionen unter ideengeschichtlichen und historisch-semantischen Gesichtspunkten neu zu betrachten.109 So hat Gordon S. Wood bereits 1969 argumentiert, dass die Amerikanische Revolution und deren konstitutionelle Bändigung den „effect of accelerating and telescoping intellectual developments and of exposing the ambiguities and contradictions of American thought“ gezeitigt hätten: „Under the pressure of this transformation of political thought old words and concepts shifted in emphasis and took on new meanings.“110 In der gleichen argumentativen Fluchtlinie und vergleichbar mit den Beobachtungen Kosellecks oder Williams’ argumentierte auch der amerikanische Historiker Robert E. Shalhope hinsichtlich der beschleunigten Transformationskräfte und der Janusköpfigkeit, welche durch die Revolutionserfahrungen gleichermaßen freigesetzt wurden: American society underwent a tremendous transformation in cultural and intellectual life between the 1760s and the 1840s. […] Individuals and groups find themselves separated from the fixed cultural standfasts of an earlier time, but they have not yet created new ones appropriate to their rapidly changing environment. Some cling desperately to outmoded customs of the past, while others graft new modes of thought and behaviour to traditional assumptions in ways that seem to translate their experiences into meaningful cultural patterns. The result is a time of extreme flux and uncertainty – a struggle for predominance between competing cultural forces.111
108 Es ist in diesem Zusammenhang eine nicht uninteressante Beobachtung, dass sich Jürgen Habermas in seinen frühen Studien zum Strukturwandel der Öffentlichkeit stark auf die Arbeiten von Williams stützt, vgl. Habermas Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Vgl. hierzu auch Hölscher Lucian, Art. Öffentlichkeit; La Vopa Anthony J., Conceiving a Public; Eley Geoff, Nations, Publics, and Political Cultures; Brooke John L., Consent, Civil Society, and the Public Sphere in the Age of Revolution and the Early American Republic; Brooke John L., On the Edges of the Public Sphere. 109 Vgl. Ball Terence/Pocock J. G. A. (Hrsg.), Conceptual Change and the Constitution; Rodgers Daniel T., Contested Truths. 110 Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. xvii & 608. 111 Shalhope Robert E., The Roots of Democracy, S. xi–xii.
1.3 Atlantische Revolutionen und atlantische Sattelzeiten
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Betrachtet man diese historisch-semantischen Befunde in einer integrierten atlantischen Perspektive, liegt es nahe, die nordamerikanischen und europäischen Gesellschaften des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts als (post-)revolutionäre Übergangsgesellschaften zu verstehen, in denen mit durchaus vergleichbaren Problemen der Deutung und sprachlichen Erfassung einer grundlegend transformierten sozialen und politischen Welt gerungen wurde. Die Historiographie in den hier behandelten Gesellschaften hat mitunter dazu tendiert, das frühe 19. Jahrhundert als Vorgeschichte(n) zu deuten: als Vorgeschichte hin zum Amerikanischen Bürgerkrieg (so etwa im Begriff der antebellum-Periode), als Vorgeschichte zu den europäischen Revolutionen der Jahrhundertmitte („Vormärz“), oder als Vorgeschichte für die Nationalstaatsbildungen zur Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts („Regeneration“).112 Diese Periodisierungen sind insofern problematisch, als ihnen implizit eine teleologische Struktur zugrunde liegt, die den historischen Prozess nicht als offenen, sondern als zielgerichteten Prozess versteht – sei dieses Ziel nun ein Bürgerkrieg, eine Revolution oder die Gründung von Nationalstaaten. Demgegenüber wird hier versucht, den Übergangscharakter der Epoche stärker in sein Recht zu setzen, die Janusköpfigkeit, Konfliktivität und Widersprüchlichkeit der Epoche nicht zugunsten der schließlich eingetroffenen historischen Zukunft aufzulösen. Tom Paine verstand sich als Erbe einer revolutionären Tradition, deren Potenzial in seinem Urteil noch nicht ausgeschöpft worden war, während sich sein Widersacher Edmund Burke damit beschäftigte, wie manche Traditionen, die durch die Revolutionen umgewälzt wurden, gerettet werden konnten.113 Für beide blieben die atlantischen Revolutionen der Referenzkontext zur Legitimierung ihrer politischen Ansprüche; beide argumentierten auf einer (post-)revolutionären Grundlage, auf welcher sie und ihre Zeitgenossen unterschiedliche und sich widersprechende Visionen ihrer Zukunft entwarfen. Und auch die Paine und Burke nachfolgenden Generationen trugen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre politischen Kämpfe mit den ideologischen und begrifflichen Waffen aus, welche durch die Konflikte um die Bedeutung der beiden Revolutionen in Nordamerika und Frankreich geschmiedet wurden. Diese Spannung zeichnet die hier behandelten Übergangsgesellschaften aus und wurde bisweilen auch schon von manchen Zeitgenossen zum Reflexionsge-
112 Vgl. beispielsweise Freehling William W., Prelude to Civil War; Andrey Georges, Auf der Suche nach dem neuen Staat (1798–1848). Zur Problematisierung dieser Beobachtung vgl. Green Abigail, The Federal Alternative? 113 Vgl. Claeys Gregory, The French Revolution Debate in Britain. Zur Widersprüchlichkeit und Janusköpfigkeit der Epoche vgl. auch Brandt Hartwig, Europa 1815–1850, S. 7; Langewiesche Dieter, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849, S. 1–5.
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genstand gemacht, welche die Revolutionen in Nordamerika und Frankreich in einen komparativen Deutungshorizont rückten. Benjamin Constant schrieb 1825 in einem Aufsatz mit dem Titel Coup d’œil sur la tendance générale des esprits dans le dix-neuvième siècle, der bezeichnenderweise von Marc-Antoine Jullien, dem Herausgeber der Revue Encyclopédique, mit einigen Betrachtungen über die sich verdichtende „sphère intellectuelle“ transatlantischer Kommunikation eingeleitet wurde: La politique, la littérature, la philosophie, l’exploitation du monde matériel par les sciences, le besoin de pénétrer dans le monde invisible par la religion, tout ce qui est positif et tout ce qui est vague, tout ce qui sert de base à la vie physique, ou de parure à l’existence morale, est dans un mouvement accéléré, dans une fermentation toujours plus active. Un nouveau ordre de choses s’annonce; mais comme le chaos précède la création, les débris de ce qui s’écroule s’opposent à ce qu’on distingue l’édifice qui doit s’élever.114
In vergleichbaren Sprachbildern versuchte auch Alexis de Tocqueville 1840 im zweiten Band von De la démocratie en Amérique seine Gegenwart als eine Transitionsphase zu begreifen: Le monde qui s’élève est encore moitié engagé sous les débris du monde qui tombe, et, au milieu de l’immense confusion que présentent les affaires humaines, nul ne saurait dire ce qui restera debout des vieilles institutions et des anciennes mœurs, et ce qui achèvera d’en disparaître. Quoique la révolution qui s’opère dans l’état social, les lois, les idées, les sentiments des hommes, soit encore bien loin d’être terminée, déjà on ne saurait comparer ses œuvres avec rien de ce qui s’est vu précédemment dans le monde. […] Le passé n’éclairant plus l’avenir, l’esprit marche dans les ténèbres.115
Der Bostoner Intellektuelle Edward Everett meinte 1831 in umgekehrter Blickrichtung über den Atlantik schauend, aber vor dem Hintergrund eines ähnlichen raum-zeitlichen Paradigmas wie bei Constant und Tocqueville: It has become a trite remark that we live in an age of most extraordinary events. […] We behold already the development of momentous events, drawn along by obvious connexion in the train of the great revolution, of which the first scenes were performed on this side of the Atlantic; but of which the subsequent acts, with fearful disregard of the unities of time and of place, have been brought out in other continents, in disconnected societies of men, and after the original actors had passed from the stage.116
114 Constant Benjamin, Coup d’œil sur la tendance générale des esprits dans le dix-neuvième siècle, S. 662–663. 115 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 336. 116 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 154.
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Es war eine Art time-space-compression, um einen Begriff von David Harvey zu benutzen,117 welche Constants Beobachtung eines „mouvement accéléré“ und Everetts Beobachtung eines „fearful disregard of the unities of time and place“ im Zeitalter der Revolutionen zugrunde lag, und welche die Bedingungen für die Zirkulation politischer Konzepte und Ideen sowie die Dispositionen für deren Aneignung grundlegend veränderte. Die semantischen Felder der politischen Ordnung gerieten dies- und jenseits des Atlantiks durch sozioökonomischen Wandel und politische Revolutionen in Bewegung, neue Formen und Begriffe der Erfahrungsdeutung lösten die zunehmend als obsolet erscheinenden Begriffe der vorrevolutionären Epoche ab oder veränderten deren Bedeutungen; die beschleunigte Abfolge unterschiedlicher politischer Regierungsformen, „die Erfahrung der ‚Entzündbarkeit der Sozietät‘“ und die damit einhergehenden Kontingenzerfahrungen vergrößerten die Räume des politisch „Sagbaren“ – und damit auch des „Machbaren“.118 Das Spannungsfeld zwischen den durch die revolutionären Transformationen gewandelten politisch-kulturellen Sachverhalten und deren sprachlichen Erfassung und Artikulation wird damit zu einem Signum der Epoche, das gleichermaßen auf die amerikanische, die französische, die deutsche und die schweizerische Geschichte zutrifft.119 Das Zeitalter der atlantischen Revolutionen lässt sich demnach als eine Zeit verstehen, wie Keith Michael Baker mit Blick auf die Französische Revolution geschrieben hat, „in which signification itself seems to be at issue in social life, in which there is a consciousness of contested representations of the world in play, in which social action takes the form of more or less explicit efforts to order or reorder the world through the articulation and development of competing systems of meaning.“120 Diese Kontingenzerfahrungen und die Versuche, sie sprachlich zu deuten und politisch zu bearbeiten, verweisen einerseits auf vergleichbare Erfahrungen, die einen intellektuellen und politischen Austausch über den Atlantik hinweg möglich machten und anregten; sowohl in Nordamerika als auch in Europa drangen ähnliche Fragen nach der Quelle und nach der Konstitution politischer Souveränität, nach Formen und Verfahren politischer Repräsentation und Legitimation, nach politischer Partizipation und Entscheidungsfindung, nach Freiheit
117 Vgl. Harvey David, The Condition of Postmodernity, S. 260–283. 118 Vgl. Langewiesche Dieter, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849, S. 3 (zitiert wird der Philosoph Franz von Baader); Steinmetz Willibald, Das Sagbare und das Machbare. 119 Vgl. die vergleichbaren, auf historisch-semantischen Beobachtungen aufbauenden Periodisierungen bei Shalhope Robert E., The Roots of Democracy, S. xi–xii; Lerner Marc H., A Laboratory of Liberty, S. 2–3; Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 24–25; Koselleck Reinhart, Einleitung, S. XV–XVIII. 120 Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 14.
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und der Begrenzung staatlicher Macht, nach Gewaltenteilung und naturrechtlich begründeter Gleichheit und Freiheit, nach den Beziehungen zwischen Individuum und politischem Gemeinwesen an die Oberfläche politischer Ordnungsdiskussionen. Andererseits ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich hinter diesen gemeinsamen Fragehorizonten eine „Pluralität von Erfahrungsumbrüchen, ihrer Deutungen und ihrer Temporalisierung“ verbirgt.121 Es ist also nahe liegend, die These einer Schwellenzeit von 1750 bis 1850 in heuristischer Sicht in einen atlantischen Kontext zu stellen und sie gleichzeitig in ihren unterschiedlichen kontextuell gebrochenen, aber eben auch miteinander verflochtenen Entwicklungspfaden zu differenzieren. Weder wird hier von einer, den Atlantik überspannenden Sattelzeit ausgegangen, noch wird nach jenen „integrating or unifying conceptions“ gesucht, welche Robert R. Palmer in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren im Kontext des Kalten Krieges seiner Konzeption der angeblich einheitlichen revolutionären Bewegungen in Nordamerika und Europa zugrunde gelegt hatte, oder „eine Art historiographische Westintegration“ betrieben, welche Peter Blickle einmal den Arbeiten Rudolf Brauns zum Vorwurf gemacht hat.122 Stattdessen wird hier von einem Pluralismus atlantischer Sattelzeiten, von Varianten politisch-kultureller Transitionsphasen ausgegangen, „unique variations, to be sure – in the broad transatlantic patterns of society and ideology in the revolutionary period of modern history between 1750 and 1850.“123 Der Untersuchungsraum ist dementsprechend weniger im Sinne eines homogenen und integrierten atlantischen Raumes zu denken, denn als an den Rändern ausgefranstes, über unterschiedlich dicke Kommunikationsfäden verbundenes Gewebe, dessen Knotenpunkte von Menschen gebildet werden. Aus diesem Grund werden mit der Schweiz und mit Deutschland auch Kontexte miteinbezogen, die nicht direkt an den Atlantik angrenzen, aber nichtsdestoweniger über bestimmte historische Akteure und ihre Texte in die Kommunikationsströme revolutionärer Ideenzirkulation eingebunden waren und diese ihrerseits auch mitgestalteten. Diese Rekonstruktion transatlantischer Beziehungen und Kommunikationsströme versteht atlantische Geschichte dementsprechend nicht als ein neues Masternarrativ, sondern als „a dynamic context that brings together disparate peoples, ideas and commodities“ und als „a network of actively con-
121 Leonhard Jörn, Erfahrungsgeschichten der Moderne, S. 428. 122 Palmer R. R., The World Revolution in the West: 1763–1801, S. 3. Vgl. auch Palmer R. R., The Age of the Democratic Revolution; Blickle Peter, Das Ancien Régime war Laboratorium der Moderne, zitiert nach: Suter Andreas, Vormoderne und moderne Demokratie in der Schweiz, S. 238. 123 Nolte Paul, Republicanism, Liberalism, and Market Society, S. 207. Vgl. hierzu auch Morgan Philip D./Greene Jack P., Introduction, S. 6.
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tested discourses and experimental possibilities“.124 Damit ändert sich auch die Konzeptualisierung des Untersuchungsraumes. Die raum-zeitliche mental map dieser Untersuchung gleicht somit eher einer „satellite picture taken at night“, wie Philipp Ther mit anschaulicher Bildsprache formulierte: „This picture is not structured by state boundaries anymore, but instead is shaped by brightly illuminated nodes of cultural exchange and the lines of communication between them.“125 Mit dem Fokus auf diese transkulturellen Verflechtungen wird indessen die nationale Rahmung und Prägung der Föderalismusdiskurse nicht gegenstandslos.126 Immerhin zielte die Aneignung bundesstaatlicher Diskurse im frühen 19. Jahrhunderts ja mehrheitlich gerade auf die politische und konstitutionelle Ausgestaltung nationalstaatlicher Ordnungen. Stattdessen wird vorgeschlagen, Prozesse transkultureller Verflechtung und nationaler Imprägnierung in einem dialektischen Verhältnis zu betrachten.127 Föderale Strukturen in nationalstaatlichen Ordnungen wären in dieser Hinsicht weniger als Produkte eines genuinen nationalen Entwicklungspfades zu lesen, denn als in nationalstaatliche Formen gegossene Antworten auf eine transkulturell geführte Diskussion über föderale politische Ordnungsversuche. Deshalb geht es in dieser Untersuchung auch nicht um „Einflussforschung“,128 mit der eine direkte Übertragung bestimmter Ideen und Praktiken zwischen abgegrenzten Einheiten suggeriert wird, sondern um die Rekonstruktion von Aneignungs- und Aushandlungsprozessen, welche aktive Perzeptionen, kreative Umdeutungen und Transformationen des vermittelten Wissens nicht nur miteinschließt, sondern selbst zum Untersuchungsgegenstand macht.129 Gerade weil die Auseinandersetzung mit föderalen Diskursen aus einem anderen politisch-kulturellen Kontext immer
124 Manning Susan/Cogliano Francis D., Introduction, S. 3. 125 Ther Philipp, Comparisons, Cultural Transfers, and the Study of Networks, S. 219. 126 Die komparative Geschichtsschreibung ist in den letzten Jahren mit kaum zu überblickenden komplementären Ansätzen transnationaler Forschung ergänzt worden. Vgl. bspw. Espagne Michel, Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle; Kaelble Hartmut, Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer; Osterhammel Jürgen, Transnationale Gesellschaftsgeschichte; Middell Matthias, Kulturtransfer und transnationale Geschichte; Werner Michael/ Zimmermann Bénédicte, Vergleich, Transfer, Verflechtung; Patel Kiran Klaus, Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte; Clavin Patricia, Defining Transnationalism; Baily C. A./ Beckert Sven/Connelly Matthew/Hofmeyr Isabel/Kozol Wendy/Seed Patricia, AHR Conversation: On Transnational History. 127 Vgl. Velde Henk te, Political Transfer, S. 206. 128 Middell Matthias, Kulturtransfer und transnationale Geschichte, S. 53. 129 Vgl. Saunier Pierre-Yves, Circulations, connexions et espaces transnationaux, S. 111; Eisenberg Christiane, Kulturtransfer als historischer Prozess, S. 399.
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vor dem Hintergrund eigener Erfahrungsräume und tradierter politischer Diskurse stattfand, erfordert dies einen Ansatz, der diachronen semantischen Wandel in unterschiedlichen politisch-kulturellen Kontexten mit synchronem pragmatischem Sprachgebrauch zwischen unterschiedlichen politisch-kulturellen Kontexten vermittelt und aufeinander bezieht.130 „The diachronic thread is the warp, the synchronic one is the woof in the fabric of cultural history“, wie dies Carl Schorske einmal formuliert hat.131 Es geht dementsprechend nicht nur darum zu rekonstruieren, wie der Föderalismusbegriff als Argument in spezifischen Sprechsituationen rhetorisch eingesetzt wurde (Pragmatik, Synchronie), sondern auch darum, was im Sprechen über und mit dem Föderalismusbegriff begriffen wurde, wie sich dieses Begreifen in einem raum-zeitlichen Kontinuum verändert und differenziert hat und welche kontextuell unterschiedlichen Erfahrungsebenen sich im Föderalismusbegriff abgelagert haben (Semantik, Diachronie).
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage Die eingangs diskutierten Erkenntnisinteressen dieser Untersuchung lassen sich an der Schnittstelle mehrerer historiographischer Felder verorten. In den erkenntnisleitenden Fragen dieser Studie verbinden sich Perspektiven einer komparativen und transferhistorischen Semantik des Föderalismusbegriffs mit Ansätzen der Intellectual History und der transatlantischen Geschichtsschreibung, womit Forschungsstränge miteinander verknüpft werden, die sich bisher mehrheitlich in unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Wegen entwickelt haben. Als Beitrag zu einer transatlantischen Intellectual History des Föderalismusdiskurses im Zeitalter der Revolutionen hat diese Studie dementsprechend disparate Forschungen zum Föderalismuskonzept aus unterschiedlichen Disziplinen in den jeweiligen Untersuchungskontexten zu berücksichtigen und diese aufeinander zu beziehen. Eine der grundlegenden Schwierigkeiten einer solchen transatlantischen Perspektive manifestiert sich darin, dass zwar auch das Konzept des Föderalismus seine kontextuell und national gebrochenen Geschichten hat, dass dies aber noch weitaus treffender für dessen historische Erforschung gilt. Die Historiographie zum Thema Föderalismus und Bundesstaatlichkeit weist mithin eine „Nationalfixierung“ auf, die im Wesentlichen auf die historische Konstella-
130 Vgl. hierzu Koselleck Reinhart, Stichwort: Begriffsgeschichte, S. 100. 131 Schorske Carl E., Fin-de-Siècle Vienna, S. xxi–xxii.
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage
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tion zurückzuführen ist, dass sich die Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert und die Etablierung und Professionalisierung einer modernen Geschichtswissenschaft in einem engen Wechselverhältnis entwickelten.132 Politische Ideen wie der Föderalismus wurden in diesem Zusammenhang eng an den Staat und seine Institutionen gebunden und erhielten einen nationalen Anstrich, der bisweilen transkulturelle und grenzüberschreitende Diskurse zugunsten nationaler Sonderwege ins Dunkel rückte. Gerade in föderal organisierten politischen Gemeinwesen gehörten national geschlossene Föderalismusnarrative zum Arsenal integrationsstiftender historisch-politischer Diskurse, denn mit föderaler Metaphorik konnte das mithin fragile Gleichgewicht zwischen tradierten Loyalitäten zu den Einzelstaaten und neuen Loyalitätsansprüchen gegenüber dem Bund ausgeglichen und ausgehandelt werden.133 Föderale Narrative überbrückten bisweilen jene „multiplicity and fragmentation, diversities and contingencies, uneven diffusions and imcomplete projections“ im Prozess der Nationsbildung, welche die neuere Nationalismusforschung nun zunehmend ins Blickfeld rückt;134 föderale Narrative dienten mithin der Konstruktion gemeinsamer und dennoch unterschiedlicher Identitäten innerhalb der Nation, so dass letztere gleichsam zur „local Metaphor“ wurde.135 Umgekehrt erforderten solche nationale Integrationsnarrative des Föderalismus auch eine Distanzierung von „fremden“ und „auswärtigen“ Einflüssen, welche die Erzählung des nationalen Sonderwegs zumindest teilweise infrage gestellt hätten. So konnte, um nur ein Beispiel anzuführen, Johann Jakob Rüttimann in seiner 1867 erschienen Untersuchung zum amerikanischen Bundesstaat und zu den politischen Institutionen der Schweiz seitenweise vergleichende Überlegungen anstellen und auf Troxler,
132 Vgl. den Begriff „Nationalzentrierung“ bei Patel Kiran Klaus, Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte, S. 631. Zur Entwicklung nationaler Masternarrative und deren Infragestellung in den letzten Jahrzehnten vgl. Berger Stefan, National Historiographies in Transnational Perspective. Zu eher nationalgeschichtlichen Perspektiven auf den Föderalismus vgl. für den deutschen Fall Nipperdey Thomas, Der Föderalismus in der deutschen Geschichte; Dann Otto, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismusproblems. Für den schweizerischen Fall vgl. Stadler Peter, Der Föderalismus in der Schweiz. Für den amerikanischen Fall vgl. Lenner Andrew C., The Federal Principle in American Politics. 133 Vgl. hierzu Langewiesche Dieter, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation; Umbach Maiken, Reich, Region und Föderalismus als Denkfiguren in politischen Diskursen der Frühen und der Späten Neuzeit; Umbach Maiken, History and Federalism in the Age of Nation-State Formation. 134 Applegate Celia, A Europe of Regions, S. 1164. Vgl. zu diesen Entwicklungen der Historiographie auch Green Abigail, The Federal Alternative? Weichlein Siegfried, Nationalismus und Nationalstaat in Deutschland und Europa. 135 Vgl. Confino Alon, The Nation as a local Metaphor.
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Fazy und Kasthofer verweisen, die allesamt im Vorfeld der Bundesstaatsgründung vehement auf den amerikanischen Föderalismus als Leitbild einer schweizerischen Bundesreform aufmerksam gemacht hatten, und dennoch behaupten, dass „bei dem Uebergange aus dem Staatenbunde in den Bundesstaat im Jahre 1848 die schweizerische Eidgenossenschaft keineswegs durch das Beispiel von Nordamerika“ beeinflusst worden sei.136 Damit soll mitnichten gesagt sein, dass diese nationalhistorisch relativ geschlossenen Narrative des Föderalismus keine Aussagekraft mehr besäßen oder als überholt zu taxieren wären, sondern nur, dass sie ihrerseits historisiert werden müssen und im Kontext ihrer Entstehungsbedingungen interpretiert werden sollten. Denn gerade für den Prozess einer Nationalisierung transkulturell geführter Debatten, für die Kontextualisierung von Debattenverläufen und für die Rekonstruktion von Problemhorizonten der untersuchten Akteure sind diese Arbeiten nach wie vor unverzichtbar. Probleme stellen sich indessen wenn es darum geht, diese verschiedenen Nationalgeschichten des Föderalismus in einen integrierenden Rahmen zu spannen, denn die analytischen Pfadabhängigkeiten nationaler Geschichten über Föderalismus und Bundesstaatlichkeit sind beträchtlich, wissenschaftliche Öffentlichkeiten waren und sind nach wie vor national organisiert und kennen dementsprechend ihre eigenen Entwicklungstendenzen, Eigendynamiken und Forschungskonjunkturen. Trotz dieser Einhegung der historischen Forschung zu Bund und Föderalismus in nationalstaatliche Deutungsrahmen entstanden in regelmäßigen Abständen auch Arbeiten im Bereich der komparativen Verfassungsgeschichte, der politischen Ideengeschichte und der Historiographie zu den atlantischen Revolutionen, welche aus der nationalen Engführung historischer Erkenntnisinteressen zum Föderalismus ausbrachen und neue Fragehorizonte erschlossen. Komparative Analysen zum Verhältnis der amerikanischen Verfassung und den deutschen Verfassungsdebatten im 19. Jahrhundert verdichteten sich – abgesehen von der Pionierstudie Anton Scholls aus dem Jahr 1913 – in erster Linie in der Nachkriegszeit, als nicht zuletzt im Kontext der Ausarbeitung des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg das amerikanische Verfassungsdenken stärker in den Wahrnehmungshorizont der deutschen historischen Forschung gelangte und seither in regelmäßigen Abständen Veröffentlichun-
136 Rüttimann Johann Jakob, Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiz, I, S. 25. Vgl. hierzu auch Zimmer Oliver, A Contested Nation, S. 209–236. Für ein Beispiel aus dem deutschen Diskurs vgl. Brie Siegfried, Der Bundesstaat.
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage
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gen zum Thema motiviert hat.137 In der Schweiz entstanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – mit Verdichtungsphasen während der beiden Weltkriege, als die vergleichende Verortung der politischen Institutionen der Schweiz offenbar besonders drängend war – eine ganze Reihe komparativer verfassungshistorischer Arbeiten zu den Bundeseinrichtungen in Nordamerika und der Schweiz, bevor die historische Beschäftigung mit dieser Thematik nach 1945 zeitweise komplett einbrach und erst in den späten 1980er Jahren wieder aufgenommen wurde.138 In Frankreich, wo die komparative Beschäftigung mit den konstitutionellen Einrichtungen in Übersee und mit Föderalismus im Allgemeinen aufgrund der unterschiedlichen Staatsbildungstradition und dem Selbstverständnis, ein „modèle d’Etat unitaire“ zu sein, lange nur wenig Aufmerksamkeit erheischen konnte,139 entstanden in den 1950er und 1960er Jahre erste Arbeiten, welche die Französische Revolution in einen atlantischen Kontext setzten, so etwa die einflussreichen Arbeiten von René Rémond und insbesondere von Jacques Godechot.140 Diese Ansätze fanden ihr amerikanisches Pendant in Robert R. Palmers Klassiker The Age of the Democratic Revolution, welcher in zwei Bänden 1959 und 1964 erschien und das Zeitalter der Revolutionen als umfassende gesellschaftliche und politische Transformation der westlichen Welt konzeptionalisierte.141 In der Epoche des Kalten
137 Vgl. Scholl Anton, Einfluss der amerikanischen Unionsverfassung auf die Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849; Ellwein Thomas, Der Einfluss der nordamerikanischen Bundesverfassung auf die Verfassungen der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49; Franz Eckhardt G., Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49; Moltmann Günter, Amerikanische Beiträge zur deutschen Verfassungsdiskussion 1848; Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild; Unruh Georg Christoph von, Nordamerikanische Einflüsse auf die deutsche Verfassungsentwicklung. Vgl. hierzu auch Spevack Edmund, American Pressures on the German Constitutional Tradition. 138 Vgl. Rappard William E., Notre grande république sœur; His Eduard, Amerikanische Einflüsse im Schweizer Verfassungsrecht; Borgeaud Charles, Le Fédéralisme en Suisse et aux EtatsUnis; Rappard William E., Pennsylvania and Switzerland, S. 316–338; Tripp Myron Luehrs, Der schweizerische und amerikanische Bundesstaat; Fleiner Fritz, Unitarismus und Föderalismus in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Amerika; Joachim Sister M. Ann, The Constitutions of the United States and Switzerland. 139 Vgl. aber Le Fur Louis, État fédéral et Confédérations d’États; Vedel Georges, Les grands courants de la pensée politique et le fédéralisme. Vgl. hierzu auch Sewell William H. Jr., The French Revolution and the Emergence of the Nation Form. 140 Vgl. Godechot Jacques, La Grande Nation; Godechot Jacques, L’Europe et l’Amérique à l’époque napoléonienne 1800–1815; Rémond René, Les États-Unis devant l’opinion française 1815–1852. 141 Vgl. Godechot Jacques/Palmer R. R., Le problème de l’Atlantique du XVIIIe au XXe siècle; Palmer R. R., The Age of the Democratic Revolution; Echeverria Durrand, Mirage in the West.
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Krieges konnte dies natürlich als Provokation aufgefasst werden und rückblickend erinnerte sich Palmer, dass die Rezeption des Konzepts der atlantischen Revolution „surprisingly cool“ und „mainly negative“ gewesen sei: „Not only Marxism but a certain French national self-image was offended“, spekulierte Palmer über die Gründe der zurückhaltenden Rezeption der These eines revolutionären Atlantiks. „We were thought to downgrade the importance or uniqueness of the French Revolution by diluting it into a vague general international disturbance.“142 Indessen war der Verdacht, ein historisches Legitimitätsnarrativ für „den“ Westen zu liefern auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, forcierten doch Palmer und Godechot die Rhetorik des einheitlichen Charakters „der“ atlantischen Revolution und sparten demgegenüber mit Hinweisen auf den Variantenreichtum und die Heterogenität der gesellschaftlichen und politisch-konstitutionellen Entwicklungen auf beiden Seiten des Atlantiks, wie sie später etwa von komparativen verfassungs- und politikhistorischen Arbeiten aufgezeigt wurden.143 Das historiographische Spannungsfeld zwischen marxistisch-informierter Perspektiven auf die Deutung der Französischen Revolution in der französischen Historiographie, Ansätzen zu einer atlantischen Perspektive auf das Zeitalter der Revolutionen in französisch-amerikanischen Kooperationen und komparativer Konzepte im Bereich der Verfassungs- und politischen Ideengeschichte in den nordamerikanischen und europäischen Historiographien transformierte sich grundlegend um 1989. Hatten bereits die Jubiläumsfeiern zur Amerikanischen Revolution 1976 zu einer teilweisen Neubewertung der Amerikanischen Revolution in ihren transatlantischen Wirkungskreisen beigetragen,144 markierte das Jahr 1989 nicht nur das Ende des Kalten Krieges, sondern auch den bicentenaire der Französischen Revolution und die 200-Jahrfeier zur Inkraftsetzung der amerikanischen Bundesverfas-
142 Forster Robert/Palmer R. R./Friguglietti James/Kennedy Emmet, American Historians Remember Jacques Godechot, S. 883. 143 Vgl. Friedrich Carl J., The Impact of American Constitutionalism Abroad; Beyme Klaus von, America as a Model; Billias George Athan (Hrsg.), American Constitutionalism abroad; Billias George Athan, American Constitutionalism and Europe, 1776–1848; Billias George Athan, American Constitutionalism Heard round the World, 1776–1989. Für eher innereuropäisch ausgerichtete Perspektiven vgl. Kirsch Martin, Die Entwicklung des Konstitutionalismus im Vergleich; Gosewinkel Dieter/Masing Johannes, Einführung in die Texte; Schiera Pierangelo, Konstitutionalismus und Vormärz in europäischer Perspektive; Schiera Pierangelo, Europäisches Verfassungsdenken 1815–1847. 144 Vgl. Dippel Horst, Die Wirkung der amerikanischen Revolution auf Deutschland und Frankreich; Angermann Erich, Die Amerikanische Revolution im Spiegel der Geschichte; Fohlen Claude/Godechot Jacques (Hrsg.), La Révolution Américaine et l’Europe.
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage
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sung – eine Konstellation, die nicht nur die Anzahl und Dichte an Publikationen zu diesen Themenfeldern erhöhte, sondern sie auch in ein anderes Verhältnis rückte: Diese Koinzidenz veränderte den Blick auf die Zusammenhänge zwischen der Amerikanischen und Französischen Revolution und ihrer Folgen und ging mit einigen signifikanten Neuausrichtungen der Forschungsperspektiven, mit einer Desintegration tradierter historiographischer Deutungsmuster und mit einer dementsprechenden Öffnung und Multiplizierung historischer Sichtachsen einher.145 Diese historiographische Transitionsphase blieb nicht ohne Auswirkungen auf die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit gegenseitigen Perzeptionen dies- und jenseits des Atlantiks und mit transatlantischen Ideenzirkulationen und wechselseitigen konzeptionellen Transfers. Hermann Wellenreuther brachte 1993 diesen transitorischen Charakter der späten 1980er und frühen 1990er Jahre in der Erforschung der gegenseitigen Einflüsse zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zum Ausdruck als er einerseits meinte, dass die dominierende Einschätzung der gegenwärtigen Forschung dazu tendiere, dieses Thema als „abgegriffen und verbraucht“ zu taxieren, andererseits aber auch erkannte, dass sich aufgrund neuerer Publikationen eine „schwierige Forschungssituation“ abzeichne, in der divergierende Antworten konkurrieren und eingeschliffene Deutungsmuster infrage gestellt werden.146 In der deutschen Forschung, die sich in diesen Jahren intensiv um die Frage nach den „Einflüssen“ der amerikanischen Verfassung auf die politischen Debatten im Deutschland des Vormärz und der 1848er Revolution bemüht hat, ist die Interpretation der dichten Verweise auf den nordamerikanischen Bundesstaat seither umstritten. Während einige Autoren von einem prägenden Einfluss ausgehen, sehen andere in diesen Verweisen wenig mehr als ein „Steinbruch“ oder ein „Arsenal von Argumenten“, aus welchem sich die verschiedensten politischen Lager mehr oder weniger willkürlich bedienen konnten, ohne dass die Prinzipien des
145 Vgl. hierzu Baker Keith Michael, A World Transformed; Baker Keith Michael/Kaplan Steven Laurence, Editor’s Introduction; Bétourné Olivier/Hartig Aglaïa I., Penser l’histoire de la Révolution; Vovelle Michel, Reflections on the Revisionist Interpretation of the French Revolution; Bailyn Bernard, The Idea of Atlantic History; Onuf Peter S., Reflections on the Founding. 146 Wellenreuther Hermann, Die USA, S. 23–24.
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1 Einleitung
amerikanischen Föderalismus verstanden worden wären.147 In der schweizerischen Historiographie lässt sich zu Beginn der 1990er Jahren ein erneut erwachtes Interesse an den Zusammenhängen zwischen dem amerikanischen und dem schweizerischen Föderalismus beobachten, nachdem diese Fragestellungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kaum mehr bearbeitet wurden.148 Auch hier zeichnet sich indessen ein Dissens ab: während frühere Arbeiten zu den schweizerischen Verfassungsdebatten um 1848 noch von relativ klaren Anleihen bei der amerikanischen Verfassung ausgingen und diese Einschätzung auch zu Beginn der 1990er Jahre noch mehrheitlich vertreten wurde, meinte Thomas Maissen kürzlich, dass abgesehen vom Zweikammersystem „die amerikanischen Anregungen weniger bedeutend“ gewesen seien, als diejenige der älteren französischen und kantonalen schweizerischen Verfassungen.149 Aus französischer Perspektive stellte Pierre Nora 1987 einen „contraste frappant“ in den französischen Beschäftigungen mit der amerikanischen Bundesverfassung zwischen dem centenaire von 1887 und dem bicentenaire von 1987 fest: während ersterer von einer „étrange silence“ geprägt worden sei, bezeuge letzterer eine „révolution des mentalités politiques qui commande le nouveau regard que nous portons sur le système américain.“150 Diese mentale Revolution glaubte
147 Vgl. zur ersten Position Ellwein Thomas, Der Einfluss der nordamerikanischen Bundesverfassung auf die Verfassungen der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49; Franz Eckhardt G., Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49; Moltmann Günter, Amerikanische Beiträge zur deutschen Verfassungsdiskussion 1848; Boldt Hans, Federalism as an Issue in the German Constitutions of 1849 and 1871. Zur kritischeren zweiten Position vgl. Dreyer Michael, Föderalismus als ordnungspolitisches und normatives Prinzip; Dreyer Michael, American Federalism; Dreyer Michael, Die Verfassung der USA; Wellenreuther Hermann, Die USA; Fröschl Thomas, Rezeption und Einfluss der American Constitution in den deutschen Verfassungsdebatten. Abwägend argumentieren Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild; Steinberger Helmut, 200 Jahre amerikanische Bundesverfassung; Heideking Jürgen, Das „Modell Amerika“ in der deutschen Verfassungsgeschichte von der Paulskirche bis zum Bonner Grundgesetz; Krüger Peter, Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten auf die deutsche Verfassungsentwicklung; Lerg Charlotte A., Amerika als Argument, S. 21–24; Brandt Peter, Gesellschaft und Konstitutionalismus in Amerika 1815–1847, S. 12. 148 Vgl. Kölz Alfred, Neuere schweizerische Verfassungsgeschichte; Widmer Paul, Der Einfluss der Schweiz auf die amerikanische Verfassung von 1787; Hutson James, The Sister Republics; Kölz Alfred, Die Wurzeln der schweizerischen direkten Demokratie in der französischen und der amerikanischen Revolution; Guggisberg Hans R., The Confederations of the Netherlands and Switzerland and the American Constitution; Netzle Simon, Die USA als Vorbild für einen schweizerischen Bundesstaat; Baker J. Wayne, The Covenantal Basis for the Development of Swiss Political Federalism; Meyerhofer Ursula, Republik und Föderalität in der Schweiz 1798–1848. 149 Maissen Thomas, Geschichte der Schweiz, S. 201. 150 Nora Pierre, Valeur universelle de la Constitution des Etats-Unis, S. 23.
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage
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Nora vor allen Dingen in zwei zeithistorischen Prozessen zu sehen: erstens in der Erosion der marxistischen Deutungsperspektive auf die Französische Revolution, wie sie insbesondere mit den Arbeiten von Alfred Cobban und François Furet begonnen hatte und eine atlantische Perspektive auf die Revolutionen nun unter günstigere Voraussetzungen stellte, als dies beim ersten Versuch Palmers und Godechots der Fall war; zweitens versöhnten sich die Franzosen laut Nora in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich mit ihren politischen Institutionen, was einer Wiederentdeckung konstitutioneller Stabilität den Boden bereitete und den amerikanischen Konstitutionalismus wiederum in den Vergleichshorizont rückte.151 Vor dem Hintergrund des sich nach 1989 vertiefenden europäischen Integrationsprozesses erwachte zudem verstärkt ein Interesse an föderalen Organisationsformen, welches nicht nur staatstheoretisch und verfassungsrechtlich informiert war, sondern zunehmend auch nach einer historischen und komparativen Tiefendimension verlangte.152 Dass sich diese vergleichende Perspektive nicht auf innereuropäische Zusammenhänge begrenzen konnte, sondern die zusehends zur föderalen Frage avancierende europäische Frage geradezu nach transatlantischen Perspektiven verlangte, wurde ebenfalls bald deutlich. „Le ‚problème intellectuel central‘ de la révolution américaine reste bien d’une certaine manière le nôtre“, meinte Pierre
151 Nora Pierre, Valeur universelle de la Constitution des Etats-Unis, S. 23. Zu den wichtigsten Werken im Wandel in der Revolutionshistoriographie gehören Cobban Alfred, The Social Interpretation of the French Revolution, und Furet François, Penser la Révolution Française. Einige Pionierarbeiten zum Verhältnis von Amerikanischer und Französischer Revolution wurden indessen schon früher in Angriff genommen, bezeichnenderweise v. a. von nicht-französischen Historikern und Historikerinnen, vgl. Bourne Henry E., American Constitutional Precedents in the French National Assembly; Hintze Hedwig, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution; Appleby Joyce, America as a Model for Radical French Reformers of 1789. Vgl. zur Akzentverschiebung um 1989 auch Lamberti Jean-Claude, Le modèle américain en France de 1789 à nos jours; Rémond René, L’opinion française et l’expérience américaine (1815–1848); Rudelle Odile, La France et l’expérience constitutionnelle américaine; Marienstras Elise, Naissance de la République fédérale; Marienstras Elise (Hrsg.), L’Amérique et la France; Dippel Horst, Condorcet et la discussion des constitutions américaines en France avant 1789; Lahmer Marc, La Constitution Américaine dans le Débat Français; Schmale Wolfgang, La France, l’Allemagne et la Constitution (1789–1815), S. 460. 152 Vgl. Beaud Olivier, Théorie de la Fédération; Schönberger Christoph, Unionsbürger; Schönberger Christoph, Die Europäische Union als Bund; Weichlein Siegfried, Europa und der Föderalismus. Sehr deutlich wird dieser Zusammenhang zwischen den Herausforderungen der europäischen Integration und der Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus auch bei den Arbeiten Thierry Chopins, vgl. Chopin Thierry, Fédération et démocratie en Europe; Chopin Thierry, L’avenir du fédéralisme; Chopin Thierry, L’Héritage du fédéralisme?, S. 9–10, 11–41; Chopin Thierry, La République „une et divisible“, S. 15, 20 & 31.
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1 Einleitung
Rosanvallon 2002 über die von den amerikanischen Revolutionären gestellten Fragen nach den Zusammenhängen zwischen Souveränität, Verfassung, Republik und Föderalismus – „même s’il nous faudra évidemment y apporter nos réponses propres.“153 Von der anderen Seite des Atlantiks her kam es zu einer vergleichbaren Blicköffnung und -auffächerung. Fragen nach dem Einfluss europäischer politischer Theorien auf die Gründungsväter und auf ihre begriffliche Konstruktion der föderalen Republik begannen nun nordamerikanische und europäische Historiker und Historikerinnen gleichermaßen zu interessieren und führten zu einer Weiterentwicklung und Differenzierung des Konzepts der atlantischen Geschichte.154 Dieses wurde nun immer weniger im Sinne eines homogenen und einheitlichen Geschichtsraumes verstanden, sondern, in den Worten Wil Verhoevens, als ein „cirumatlantic cultural continuum, which was neither one-directional, nor linear, nor steadily progressive, but rather, in Foucault’s words ‚an unstable assemblage of faults, fissures, and heterogenous layers.‘“155 Diese Neuausrichtung schlug sich unter anderem auch darin nieder, dass seit der Jahrtausendwende verschiedene Sammelbände und Monographien erschienen sind, welche die atlantischen Revolutionen und ihre Folgen für Nordamerika und Europa in beziehungsgeschichtliche Fragehorizonte einrückten und nach Verflechtungsprozessen in den Nationsbildungsprojekten, nach der verschlungenen Zirkulationswegen politischer Ideen und nach der Herausbildung transatlantischer Dis-
153 Rosanvallon Pierre, L’Amérique, l’Europe et nous, S. 13. Dass es sich bei dieser Frage um „le problème intellectuel central“ der amerikanischen Revolution gehandelt habe, ist ein Verweis auf die Arbeiten von Bernard Bailyn und Gordon Wood, die diesen Gesichtspunkt deutlich herausgestrichen haben, vgl. Bailyn Bernard, The Ideological Origins of the American Revolution, S. 198; Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 344–389. 154 Vgl. Howe Daniel Walker, European Sources of Political Ideas in Jeffersonian America; Howe Daniel Walker, Why the Scottish Enlightenment Was Useful to the Framers of the American Constitution; Lutz Donald S., The Relative Influence of European Writers on Late Eighteenth-Century American Political Thought; Higonnet Patrice, Sister Republics; Onuf Peter S./ Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World; Fröschl Thomas, Die amerikanische Auseinandersetzung mit europäischen Beispielen föderativer Staatlichkeit in den Verfassungsdiskussionen der Vereinigten Staaten im späten 18. Jahrhundert; Widmer Paul, Der Einfluss der Schweiz auf die amerikanische Verfassung von 1787. Zum Konzept der atlantischen Geschichte vgl. Bailyn Bernard, The Idea of Atlantic History; Bailyn Bernard, Atlantic History; Armitage David, Three Concepts of Atlantic History; Games Alison, Atlantic History; Morgan Philip D./Greene Jack P., Introduction. 155 Verhoeven Wil M., Introduction, S. 9.
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage
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kursgemeinschaften fragten.156 In diesem Zusammenhang rückten nun auch die komplexen Beziehungen zwischen Republikanismus, Liberalismus und Föderalismus in den Vordergrund, wie sie im Zeitalter der Revolutionen bereits die politischen Debatten über den Atlantik hinweg angetrieben haben, allerdings von der Historiographie – zumindest was die föderale Dimension anbelangt – lange vernachlässigt worden waren.157 Damit zeichnet sich im Hinblick auf die Erkenntnisinteressen dieser Untersuchung ein dynamischer historiographischer Kontext ab, zu welchem diese Untersuchung einen Beitrag leisten möchte. Sie schließt damit einerseits an die oben skizzierten diversen Forschungsstränge zum Föderalismus im Zeitalter der Revolutionen an, entwickelt aber durch eine neue konzeptionelle Herangehensweise und durch eine entsprechende Methodenkritik einen anderen Blick auf dieses Themenfeld. Die oben diskutierten Forschungsarbeiten liefern unverzichtbare Erkenntnisse im Hinblick auf die komplexen transatlantischen Zirkulationswege, entlang welcher das Konzept des Föderalismus im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert wanderte und sich im Zuge kulturell gebrochener Rezeptionsund Adaptationsverfahren transformierte. Was diese komparativen und bisweilen – avant la lettre – transferhistorische Studien bei allen Verdiensten hingegen meist ausgeklammert haben, ist, dass es „den“ amerikanischen Föderalismus im antebellum-Nordamerika eigentlich nicht gegeben hat. Das Föderalismuskonzept zersplitterte in den öffentlichen Debatten Nordamerikas in mehrere, bisweilen unverträgliche Interpretationsstränge und war weit von einem konsensualen Verständnis entfernt. Diese Umstrittenheit in der Deutung des amerikanischen Föderalismus wurde von der Geschichtsschreibung, die sich mit der Frage des Föderalismus in einem transatlantischen Kontext beschäftigte, bisher nur unzureichend berücksichtigt; sie trat gewissermaßen in jene Fallstricke, welche die
156 Vgl. Verhoeven Wil M. (Hrsg.), Revolutionary Histories; Morrison Michael A./Zook Melinda (Hrsg.), Revolutionary Currents; Manning Susan/Cogliano Francis D. (Hrsg.), The Atlantic Enlightenment; Albertone Manuela/de Francesco Antonino (Hrsg.), Rethinking the Atlantic World; Armitage David/Subrahmanyam Sanjay (Hrsg.), The Age of Revolutions in Global Context, c. 1760–1840; Sadosky Leonard J./Nicolaisen Peter/Onuf Peter S./O’Shaughnessy Andrew J. (Hrsg.), Old World, New World; Roberts Timothy M., Distant Revolutions; Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots; Cotlar Seth, Tom Paine’s America. Zu einer interessanten Reflexion über diese Blicköffnung der nordamerikanischen Historiographie der Early Republic vgl. Zagarri Rosemarie, The Significance of the Global Turn for the Early American Republic. 157 Vgl. de Francesco Antonino, Föderale Konzeptionen im europäischen Denken zwischen 1789 und 1848; de Francesco Antonino, Federalist Obsession and Jacobin Conspiracy; Heideking Jürgen/Henretta James A. (Hrsg.), Republicanism and Liberalism in America and the German States 1750–1850.
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nordamerikanischen „consensus historians“ ausgelegt hatten.158 In den Arbeiten, die sich mit der Frage nach den „Einflüssen“ und „Vorbildern“ des amerikanischen Föderalismus für die europäischen Verfassungsdebatten beschäftigten, wurde hauptsächlich das Argument geltend gemacht, dass der amerikanische Föderalismus im Europa des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entweder besser, schlechter oder gar nicht verstanden worden sei.159 Diese Analyseperspektive geht implizit davon aus, dass es so etwas wie ein von der amerikanischen Bundesverfassung abgeleitetes, unumstrittenes, einheitliches und klar verständliches Modell des amerikanischen Föderalismus gab und ignoriert weitgehend die politische Umstrittenheit und Pluralität der Föderalismusinterpretationen und die daraus abgeleiteten, sich in tiefgreifenden Konflikten über die föderale Struktur der Union niederschlagenden politischen Handlungsstrategien im antebellum-Amerika selbst.160 Das Erbe der Antifederalists, die Herausbildung einer Föderalismusinterpretation im Sinne der States’ Rights und schließlich die umfassende Re-Interpretation des amerikanischen Föderalismus durch John C. Calhoun einerseits, eine auf einen konsolidierten Bundesstaat, Suprematie des Bundes und mächtige Judikative zielende Interpretation der Federalists und später der Whigs andererseits, verdeutlichen, dass es in Nordamerika selbst keinen Konsens über die „richtige“ Auslegung der Bundesverfassung von 1787 und über die damit konstituierte föderale Ordnung gab. Die europäischen Betrachter des amerikanischen Föderalismus hatten ein dementsprechend dynamisches und facettenreiches Phänomen vor Augen. Diese fragmentierten Deutungs- und Diskursgemeinschaften in der politischen Kultur Nordamerikas und der damit verbundene Pluralismus möglicher Interpretationen der föderalen Republik wird in dieser Studie stärker ins Blickfeld gerückt und auf seine Effekte auf die europäische Rezeption hin befragt. Diese Perspektive macht es notwendig, den Untersuchungsgegenstand neu zu fassen. Nicht die sehr abstrakte und schwierig zu beantwortende Frage nach dem Einfluss des Föderalismus auf diese oder jene Gesellschaft steht dementsprechend im Vordergrund, sondern die
158 Vgl. hierzu Singal Daniel Joseph, Beyond Consensus. 159 Vgl. z. B. Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, S. 31; Fröschl Thomas, Rezeption und Einfluss der American Constitution in den deutschen Verfassungsdebatten, S. 43; Lahmer Marc, La Constitution Américaine dans le Débat Français, S. 7; Netzle Simon, Die USA als Vorbild für einen schweizerischen Bundesstaat, S. 55–57. 160 Vgl. hierzu Ellis Richard E., The Persistence of Antifederalism after 1789; Whittington Keith E., The Political Constitution of Federalism in Antebellum America; Rakove Jack N., Original Meanings. Politics and Ideas in the Making of the Constitution, S. 188–189; Cornell Saul, The Other Founders, S. 7–8; Les Benedict Michael, States’ Rights, State Sovereignty, and Nullification; La Croix Alison L., The Ideological Origins of American Federalism, S. 11–29.
1.4 Historiographischer Kontext und Quellenlage
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vergleichsweise bescheidenere Frage nach den Föderalismuskonzeptionen, wie sie in unterschiedlichen transatlantischen Interpretations- und Diskursgemeinschaften entwickelt, transformiert und in unterschiedlichen politischen Kontexten zur Diskussion gestellt wurden. Neben dieser Neuausrichtung der hier entwickelten analytischen Perspektiven auf den Föderalismusdiskurs des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts werden in dieser Studie auch Quellen ausgewertet, die in den bisherigen Arbeiten zum Thema kaum oder überhaupt nicht berücksichtigt wurden, aus welchen indessen weite Teile dieser Arbeit herausgearbeitet wurden. Wie bereits anhand der eingangs diskutierten Erkenntnisinteressen zu erahnen ist, setzt sich der ausgewertete Quellenkorpus dieser Untersuchung aus sehr heterogenen Elementen zusammen. Indem einerseits entlang einer historisch-semantischen Sichtachse nach den Entwicklungen und Transformationen des Föderalismusbegriffs in diachroner Perspektive gefragt wird, und andererseits transatlantische Diskursund Interpretationsgemeinschaften und deren pragmatische Verwendungen des Föderalismusbegriffs in synchroner Perspektive rekonstruiert werden, geraten dementsprechend vielfältige Quellenproduzenten und Quellengattungen ins Blickfeld. Dies erforderte eine Systematisierung und ein mehrstufiges Auswertungsverfahren unterschiedlicher Quellenkategorien, die den analytischen Sichtachsen der Studie Rechnung trugen und das Spannungsverhältnis zwischen der Heterogenität der Quellenbasis und deren Repräsentativität auszugleichen vermochten. Um diese Spannung in den Griff zu kriegen, wurde ein analytischer Dreischritt bei der Quellenrecherche und -auswertung vollzogen. In einem ersten Schritt wurde neben der Auswertung „klassischer“ und kanonisierter Texte zum Föderalismus im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eine systematische Sichtung enzyklopädischer und lexikalischer Quellen vorgenommen. Zur Auswertung standen in diesem Schritt allgemein ausgerichtete Wörterbücher, Übersetzungswörterbücher, Lexika und Enzyklopädien, die anschließend durch die Analyse fachspezifischer Lexika und Wörterbücher etwa zur Regierungs- und Verfassungslehre und zum Staatsrecht ergänzt wurden. Diese Quellenkategorie zeichnet sich dadurch aus, dass sie mit Ansprüchen der Normativität, Präzision und Verbindlichkeit vorgetragen wird und das politisch-soziale Wissen über das untersuchte Begriffsfeld konzentriert und knapp zum Ausdruck bringt. Mit der Auswertung dieser Quellengattungen in den vier Untersuchungskontexten konnte ein erster Überblick über das zeitgenössische Verständnis des Begriffsfeldes zum Föderalismus gewonnen werden, Verschiebungen und Ausdifferenzierungen in den jeweiligen Begriffskonfigurationen herausgearbeitet und wechselseitige Bezugnahmen zwischen den Kontexten registriert werden. Zudem erlaubte die Auswertung dieser Quellenkategorien Wendepunkte semantischer Innovationen zu identifizieren sowie Entwicklungs-
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linien und Verdichtungsphasen über einen längeren Zeitraum hinweg zu skizzieren. In einem zweiten Schritt wurde vor diesem Hintergrund der Versuch unternommen, wichtige transatlantische Mediatoren zu identifizieren und ihre Rolle in der Vermittlung von Texten und Wissen über den Föderalismus zu rekonstruieren. Hierzu war es nicht nur notwendig, die einschlägigen Publikationen dieser Akteure auszuwerten, sondern komplementär dazu Quellen ausfindig zu machen, die Einblicke in deren soziale und kommunikative Beziehungsnetze ermöglichten. Der methodische Anspruch, soziale Vernetzungsprozesse mit diskursiven Praktiken zu verbinden, machte einen solchen Schritt unabdingbar. Auf der Ebene der monographischen und periodischen Publikationen der identifizierten transatlantischen Vermittlerfiguren nahm die Auseinandersetzung mit dem Föderalismus die Gestalt explizierender und ausdifferenzierender Erläuterungen an. Mit der Auswertung dieser Quellen konnten argumentative Verweiszusammenhänge und intertextuelle Beschäftigungen mit den Texten anderer Autoren rekonstruiert und analysiert werden. Die Auswertung folgte in diesem Schritt dementsprechend text-hermeneutisch und historisch-kontextualisierend. Mit einem solchen Verfahren konnten die Konturen von Diskurs- und Interpretationsgemeinschaften umrissen werden, welche nun in einem dritten und komplementären Schritt über die Auswertung von persönlichen und archivarischen Quellen tiefgreifender untersucht werden konnten. Ungedruckte Quellen wurden in verschiedenen Archiven und Bibliotheken in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Nordamerika gesichtet und ausgewertet, wobei es sich dabei ausschließlich um Nachlässe und Teilnachlässe wichtiger Akteure handelte. Edierte und ungedruckte Korrespondenzen, die als „gruppenbildende Kommunikationsmittel“161 eine wichtige Funktion in der Stabilisierung transatlantischer Kommunikation wahrnahmen, sowie Nachlässe, Memoiren, Tagebücher und Notizhefte dienten der Rekonstruktion sozialer und kommunikativer Beziehungsnetze zwischen unterschiedlichen Autoren und der Analyse von Überschneidungen zwischen unterschiedlichen sozialen Netzwerken und Diskursgemeinschaften, wodurch die Ebenen der sozialen und kommunikativen Vernetzung mit der Ebene der diskursiven Praxis ineinander verschränkt werden konnten.
161 Herres Jürgen/Neuhaus Manfred, Vorwort, S. 8.
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Teil A Semantische Ordnungen
Die Frage nach den transatlantischen Zirkulationswegen und Ausformungen des Föderalismusdiskurses im Zeitalter der Revolutionen sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass der Föderalismusbegriff in den hier untersuchten politisch-kulturellen Kontexten Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz unterschiedliche Geschichten hat, in welchen unterschiedliche historische Erfahrungen und unterschiedliches Deutungswissen speichern. Gleichzeitig waren diese kontextuell gebrochenen Geschichten des Föderalismusbegriffs aber auch eingewoben in ein transkulturell und multilingual geführtes „Diskurskontinuum“, das dessen potenzielle Bedeutungen wiederum veränderte, indem die unterschiedlichen Semantiken dieses Begriffs von den Zeitgenossen verglichen und angeeignet wurden.1 Und dies war mit besonderer Intensität im Zeitalter der Revolutionen der Fall. Die eingangs herausgearbeiteten Erfahrungen des beschleunigten sozio-kulturellen und ökonomischen Wandels der postrevolutionären atlantischen Übergangsgesellschaften und die diese begleitenden Kontingenzerfahrungen bestellten auch den Nährboden für die Blickverlagerungen auf politisch-kulturelle Kontexte, die bisher mehrheitlich außerhalb des Blickfeldes lagen, und trugen damit zu einer Beschleunigung und Verdichtung transatlantischer Ideenzirkulation bei: „Der Export und Import von politisch-gesellschaftlichem Bedeutungswissen setzte ein Spannungsfeld aus krisenhaften Erfahrungsbrüchen und Zukunftsprojektionen voraus. Um dieses Spannungsfeld sinnhaft zu kommunizieren, reichen die überkommenen Nomenklaturen des politischsozialen Diskurses nicht mehr aus.“2 Diachroner semantischer Wandel und synchroner transkultureller Austausch stehen also in einem dialektischen Verhältnis der gegenseitig erhöhten Ermöglichung und Förderung. Damit ist ein grundlegendes Problem einer komparativen und transfergeschichtlichen historischen Semantik angesprochen, nämlich dasjenige der Vergleich- und Übersetzbarkeit.3 Reinhart Koselleck hat in diesem Zusammenhang in methodischer Hinsicht von einer „aporetischen Situation“ gesprochen, da jeder Vergleich „von der Übersetzbarkeit sprachlich je verschiedenartig gespeicherter Erfahrungen ab[hängt], die aber als Erfahrungen an die Einmaligkeit der jeweiligen Sprache zurückgebunden bleiben.“4 Worte und Begriffe sind also immer in sehr komplexe diskursive und historisch-kulturell bedingte Bedeu-
1 Vgl. Fröschl Thomas, „Confoederationes, Uniones, Ligae, Bünde“, S. 21. 2 Leonhard Jörn, Von der Wortimitation zur semantischen Integration, S. 62. 3 Vgl. hierzu Lüsebrink Hans-Jürgen, Conceptual History and Conceptual Transfer; Howland Douglas, The Predicament of Ideas in Culture; Kontler László, Translation and Comparison, Translation as Comparison; Leonhard Jörn, Language, Experience and Translation; Richter Melvin, More than a Two-way Traffic. 4 Koselleck Reinhart/Spree Ulrike/Steinmetz Willibald, Drei bürgerliche Welten? S. 413.
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tungsgewebe eingebunden, in welchen sie ihre spezifischen Semantiken haben und ihre besonderen Begriffsgeschichten entwickeln. Eine Übertragung dieser Wörter und Begriffe aus einem politisch-kulturellen Kontext in einen anderen ist dementsprechend immer ein „translingual act of transcoding cultural material – a complex act of communication“, wie Douglas Howland geschrieben hat.5 Diese Problematisierung ist insofern notwendig, als dadurch dem Missverständnis einer voreiligen Gleichsetzung der Begriffe federalism, fédéralisme und Föderalismus begegnet werden kann und stattdessen die multiplen Bedeutungsschichten dieser zwar allesamt vom Lateinischen foedus abgeleiteten und phonetisch ähnlichen, semantisch und historisch mithin aber sehr unterschiedlichen Begriffe herausgearbeitet werden können.6 Ebenfalls Rechnung zu tragen ist in dieser Hinsicht einer anderen Problematik. Der Föderalismusbegriff war begriffshistorisch betrachtet immer in einem weiten semantischen Feld assoziativer Staatlichkeit angesiedelt und damit eng verknüpft mit Begriffen wie Konföderation (Confédération, Confederation), Liga (ligue, league), Bündnis (alliance, alliance), Staatenbund (fédération des états, federation of states), Bundesstaat (état fédéral, federal state) oder Union, die allesamt auch ihre kontextuell gebrochenen Geschichten haben und in besonderen semantischen Konfigurationen und Begriffsnetzen zueinander stehen. Wenn aus heutiger Sicht die Begriffe Föderalismus und Bundesstaat tendenziell mit einer innenpolitischen und staatsrechtlichen Organisation politischer Gemeinwesen verbunden werden, während Begriffe wie Konföderation, Staatenbund, Bündnis, etc. im Feld der außenpolitischen, zwischenstaatlichen und völkerrechtlichen Assoziation politischer Gemeinwesen verwendet werden, oder wenn in jüngster Zeit die Begriffe „fédération“ oder „Bund“ als eigenständige und autonome politische Formen reklamiert werden, um von den Verzerrungen und Aporien der Staatenbund-Bundesstaat-Dichotomie weg zu kommen7 – dann sind dies semantische Differenzierungen, die im Zeitalter der Revolutionen gewissermaßen in the making, in ihrem Ergebnis also noch offen und kontingent waren. Die damit einhergehende Umstrittenheit des Föderalismusbegriffs herauszuarbeiten, die unterschiedlichen semantischen Bedeutungsspektren und Begriffskonfigurationen, die ihm in verschiedenen politisch-kulturellen Kontexten anhafteten, zu
5 Howland Douglas, The Predicament of Ideas in Culture, S. 45. 6 Zu dieser Problematik vgl. Steinmetz Willibald, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte, S. 192–197; Leonhard Jörn, Erfahrungsgeschichten der Moderne, S. 428. 7 Vgl. hierzu Beaud Olivier, Théorie de la Fédération; Schönberger Christoph, Die Europäische Union als Bund; Chopin Thierry, Fédération et démocratie en Europe; Chopin Thierry, L’avenir du fédéralisme.
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rekonstruieren und in ihren Entwicklungstendenzen zu beschreiben, wird somit zur notwendigen Kontextualisierungsaufgabe. Wenn im Folgenden nun eine solche Skizze der unterschiedlichen und gleichzeitig miteinander verbundenen historischen Semantiken des Föderalismusbegriffs in den Gesellschaften Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz gewagt wird, dann weniger mit der Absicht einer erschöpfenden Analyse, denn als notwendige Kontextualisierung, um die pragmatischen Sprechakte der nachfolgend eingeführten Akteure verorten zu können und deren kreative Praktiken der Bricolage, der Bedeutungsaneignung und -umdeutung zwischen unterschiedlichen politisch-kulturellen Sphären und Diskursen herausarbeiten zu können. Die folgenden Ausführungen sind somit als ein erster Schritt zu verstehen, „das Diskursfeld zu kartographieren und Aktion und Veränderung darin zu untersuchen“, wie dies J. G. A. Pocock in einer Wendung gefordert hat, die ihrerseits eine grundlegende Problematik historisch-semantischer Ansätze anspricht.8 Während die Metapher des Kartographierens auf Verstetigung zielt und eher eine zeitlich-synchrone Beschreibung politischer Sprachen einfordert, impliziert „Aktion und Veränderung“ gerade die Widersprüchlichkeit und Umstrittenheit dieser politischen Sprachen und der daraus hervorgetriebenen semantischen Transformationsprozesse auf einer diachronen Sichtachse.9 Das Ziel dieser Studie ist es, beide Sichtachsen miteinander zu verbinden und insbesondere darauf aufmerksam zu machen, dass die unterschiedlichen Entwicklungspfade des Föderalismusbegriffs in den untersuchten politisch-kulturellen Kontexten erst aus der Begegnung und Auseinandersetzung mit- und untereinander ihre spezifischen Ausprägungen erhalten haben. Anders ausgedrückt: Pococks „Diskursfeld“ wird von transkulturellen Verbindungslinien und Interaktionen durchzogen, die nicht selten zu Irritationen in den tradierten politischen Sprachen der jeweiligen Kontexte führten und damit semantische Transformationsprozesse anstießen, beschleunigten oder auch verzögerten. Die Kartographierung des Diskursfeldes hat eine dementsprechende Problematisierung multipler Kontexte und Sprachräume, wechselseitiger Bezugnahmen und grenzüberschreitender Übertragungen zu berücksichtigen. Dass dieser Versuch nur eine erste Annäherung an diese Problematik sein kann und dass bei der Auswahl der zu besprechenden Quellen v. a. Kriterien der Repräsentativität und nicht der Quellendichte im Zentrum standen, soll nicht verschwiegen werden. Der Akzent wird dementsprechend darauf gelegt, wie dies Pierre Rosanvallon
8 Pocock J. G. A., Der Begriff einer „Sprache“ und das métier d’historien, S. 150. 9 Zur Problematisierung von Synchronie und Diachronie vgl. Sewell William H. Jr., Geertz, Cultural Systems, and History.
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einmal formuliert hat, „historische Knoten“ zu identifizieren, in welchen sich unterschiedliche Stränge politischer Theoriebildung verschlingen, um welche herum sich neue politische Rationalitäten bilden, die mit neuen symbolischen und sprachlichen Repräsentationen legitimiert werden und ein politisches „Problembewusstsein“ schaffen, das seinerseits wieder zur Antriebfeder für die Suche nach kreativen Lösungen wird.10 Dadurch lassen sich semantische Weichenstellungen im Sprechen über föderale politische Formationen bestimmen, wobei der Fokus insbesondere auf jene Weichenstellungen gelegt wird, an welchen sich die Transformationen föderaler Diskurse auf die intellektuelle und politische Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten assoziativer Staatlichkeit zurückführen lassen, die aus anderen politisch-kulturellen Kontexten stammen. Nicht zuletzt zielt die folgende Skizze also auch auf eine Bewusstwerdung der Komplexität und Vielschichtigkeit transkultureller Begriffszirkulation.11
10 Vgl. Rosanvallon Pierre, Toward a Philosophical History of the Political, S. 62. Zum Begriff des politischen Problembewusstseins und dessen Rolle in der politischen Ideengeschichte vgl. Llanque Marcus, Politische Ideengeschichte, S. 6. 11 Eine weitere Problematik vergleichender und transferhistorischer Ansätze der Begriffsgeschichte ergibt sich aus der Asymmetrie historiographischer Traditionen in den untersuchten Kontexten. Während im deutschen Fall mit den vornehmlich von Reinhart Koselleck betriebenen begriffsgeschichtlichen Forschungen auf methodisch reflektierte und quellengesättigte Untersuchungen zur Semantik von Bund und Föderalismus aufgebaut werden kann, ist dies in den anderen Kontexten nur bedingt der Fall. Zwar hat im amerikanischen Kontext die Beschäftigung mit „Keywords“ oder „Political Concepts“ eine Reihe von Forschungsresultaten hervorgebracht, welche die Anschlussfähigkeit zwischen diesen Forschungssträngen deutlich verbessert hat und für Frankreich hat das von Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt initiierte Projekt zu den politisch-sozialen Begriffen in Frankreich ähnliche Effekte gezeitigt, auch wenn ein Beitrag zum hier skizzierten semantischen Feld um den Begriff „fédéralisme“ in der „Artikelliste“ dieses Projekts nicht vorgesehen ist, vgl. Reichardt Rolf/Schmitt Eberhard (Hrsg.), Handbuch politischsozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820. Die wichtige Studie von Olivier Beaud zum Föderalismusbegriff in Frankreich schließt in dieser Hinsicht eine wichtige Lücke, zumal sich seine Herangehensweise an Kosellecks Begriffsgeschichte orientiert, vgl. Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, besonders S. 10–12. Asymmetrien in der historiographischen Beschäftigung mit Fragen der historischen Semantik oder der Begriffsgeschichte bleiben indessen eine Herausforderung für vergleichende und transferhistorische Ansätze in diesem Feld. Vgl. zu dieser Problematik auch Hampsher-Monk Iain/Tilmans Karin/van Vree Frank (Hrsg.), History of Concepts; Castiglione Dario/Hampsher-Monk Iain (Hrsg.), The History of Political Thought in National Context; Burke Martin J., Conceptual History in the United States.
2 Neither a National nor a Federal Constitution, but a Composition of Both?Föderalismus semantik und historische Erfahrungsdeutung in Nordamerika Die amerikanische Bundesverfassung und die sie begleitenden Diskurse über die Möglichkeiten einer föderalen Organisation politischer Gemeinwesen stellen in mehrfacher Hinsicht eine Innovation dar, ja die föderale Republik wurde von den Zeitgenossen mitunter als so beispiellos wahrgenommen, dass sie sich der Sprache zu entziehen schien.1 Die tradierten politischen Sprachen taugten kaum für die Beschreibung dieser neuen politischen Realität, das „political vocabulary“, wie James Madison 1830 an Daniel Webster schrieb, kannte keine treffenden Wörter, um dieses politische Gebilde adäquat zu beschreiben.2 Bereits im Federalist hatte Madison über das Problem einer sprachlichen Erfassung der politischen Realitäten des postrevolutionären Amerikas und der vorgeschlagenen Bundesverfassung von 1787 reflektiert und es ist kein Zufall, dass dies in jenem Essay geschah, in welchem Madison die föderale Struktur der amerikanischen Republik diskutierte. Als würde die „novelty of the undertaking“ nicht schon genügend Herausforderungen stellen und wäre „the task of marking the proper line of partition between the authority of the general and that of the State governments“ nicht mühselig genug, müsse man all dies auch noch durch das „cloudy medium“ der Sprache artikulieren: The use of words is to express ideas. Perspicuity, therefore, requires not only that the ideas should be dinstinctly formed, but that they should be expressed by words distinctly and exclusively appropriate to them. But no language is so copious as to supply words and phrases for every complex idea, or so correct as not to include many equivocally denoting different ideas. Hence it must happen that however accurately objects may be discriminated in themselves, and however accurately the discrimination may be considered, the definition of them may be rendered inaccurate by the inaccuracy of the terms in which it is delivered. And this unavoidable inaccuracy must be greater or less, according to the complexity and novelty of the objects defined.3
1 Zu dieser Problematik vgl. Koselleck Reinhart, Sprachwandel und Ereignisgeschichte; sowie die Beiträge in: Ball Terence/Pocock J. G. A. (Hrsg.), Conceptual Change and the Constitution. 2 James Madison an Daniel Webster, 27. Mai 1830, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 85. 3 Madison James, Federalist No. 37, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 225.
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Es war die Komplexität und Neuartigkeit der föderalen Konstruktion der amerikanischen Republik, welche Madison an die Brüchigkeit des Verhältnisses von Realität und Sprache erinnerte und ihn daran zweifeln ließ, ob sich dieses politische Gebilde adäquat auf den Begriff bringen ließ. Seine eigene Definition der amerikanischen Union als eine Republik, welche „neither a national nor a federal Constitution“ habe, sondern „a composition of both“ sei, war bestenfalls eine Verlegenheitsdefinition in Ermangelung eines treffenderen Begriffs.4
2.1 Marking the proper line. Von der confederate republic zum federal government Der angloamerikanische Föderalismusdiskurs seit der Unabhängigkeitserklärung griff auf eine Vielzahl von bereits bestehenden Diskurstraditionen zurück, in welchen Formen assoziativer Staatlichkeit und multipler Souveränitäten thematisiert wurden. Die Debatte über den föderativen Charakter des amerikanischen politischen Systems nährte sich einerseits von tradierten politisch-konstitutionellen Arrangements, in welche die Amerikaner als Teil des britischen „composite Empire“ eingebunden waren und ihre Erfahrungen mit multiplen politischen Gewalten machten.5 „[T]he idea of parceling out authority from the bottom up – creating different levels of government“, so hat etwa Gordon Wood argumentiert, „was very much a part of American experience from the beginning.“6 Es war auch dieser koloniale Erfahrungshaushalt einer zentralisierenden Tendenz politischer Gewalt, wie man sie im englischen King-in-Parliament zu beobachten glaubte, welcher die Opposition gegen Machtkonzentration und das Eintreten für limited government und enumerated powers zu wichtigen Elementen der amerikanischen politischen Kultur machten, als die Amerikaner daran gingen, ihre Föderativrepublik auszugestalten. Denn diese Erfahrungen mit dem britischen Mutterland verdeutlichten mitunter, dass auch legislative Körperschaften „despotisch“ sein konnten. Neben diesen im engeren Sinne angloamerikanischen Diskurstraditionen und historischen Erfahrungsdeutungen wurden im postrevolutionären Nordamerika auch kontinentaleuropäische Autoren wie Hugo Grotius, Samuel von Pufendorf, Montesquieu oder Emer de Vattel gelesen, welche auf
4 Madison James, Federalist No. 39, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 242. Vgl. hierzu auch Diamond Martin, The Federalist on Federalism. 5 Vgl. McLaughlin Andrew, The Background of American Federalism; Greene Jack P., Peripheries and Center; Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 45–52. 6 Wood Gordon, Federalism from the Bottom Up, S. 715.
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die Idee der foedera zurückgriffen um politische Kooperationsmodi zwischen souveränen politischen Handlungseinheiten zu beschreiben, ebenso wie die europäischen Konföderationen der Vereinigten Provinzen der Niederlande, der schweizerischen Eidgenossenschaft und des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation studiert wurden – weniger um diese nachzuahmen, als um sich über die Gefahren und Schwächen dieser Ordnungen bewusst zu werden.7 Die postrevolutionäre Selbstverortung in Nordamerika war dementsprechend eng in Diskurse eingebunden, die eine transatlantische Zirkulationsreichweite besaßen.8 John Lockes Begriff des „federative power“ wurde etwa zu einem argumentativen Schlüsselbegriff für die amerikanischen Revolutionäre, um die mit der Unabhängigkeitserklärung eingeleitete Transition von den „united colonies“ zu den „united states“ zu deuten.9 Lockes „federative power“ meinte in diesem Sinne, dass eine souveräne Gewalt mit den Mitteln ausgestattet sei, Verträge (foedera) über Krieg und Frieden mit anderen souveränen Gewalten einzugehen und bezog sich dementsprechend auf das Verhältnis zwischen souveränen politischen Handlungseinheiten, war also Charakteristikum des souveränen Staates. Der „federative power“ bedeutete, so John Pocock mit Blick auf die Argumente der amerikanischen Revolutionäre, „nothing more than the power by which one ‚state‘ acts in respect to others with which it shares a ‚state of nature‘. Whatever ‚unites‘ thirteen ‚free and independent states‘ must be a foedus, arrived at by exercise of the ‚federative‘ or ‚federal‘ power of each, whether it be transitory or permanent, a treaty, a confederacy, or something more.“10 Es war genau dieses „something more“, auf welches die Delegierten des Continental Congress 1776/77 und dann v. a. der Federal Convention in Philadelphia 1787 hinarbeiteten und das in den folgenden Jahrzehnten zum Gegenstand intensiver öffentlicher Debatten in den Vereinigten Staaten wurde.
7 Vgl. Howe Daniel Walker, European Sources of Political Ideas in Jeffersonian America; Lutz Donald S., The Relative Influence of European Writers on Late Eighteenth-Century American Political Thought; Fröschl Thomas, Die amerikanische Auseinandersetzung mit europäischen Beispielen föderativer Staatlichkeit in den Verfassungsdiskussionen der Vereinigten Staaten im späten 18. Jahrhundert; Widmer Paul, Der Einfluss der Schweiz auf die amerikanische Verfassung von 1787; Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 30–73. 8 Vgl. Howe Daniel Walker, European Sources of Political Ideas in Jeffersonian America; Howe Daniel Walker, Why the Scottish Enlightenment Was Useful to the Framers of the American Constitution; Gibson Alan, Ancients, Moderns, and Americans; Hulsebosch Daniel J., Constituting Empire. 9 Vgl. Locke John, Two Treatises of Government, S. 382–384. Vgl. hierzu auch Pocock J. G. A., States, Republics, and Empires, S. 60–61; Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 55. 10 Pocock J. G. A., States, Republics, and Empires, S. 60–61.
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Weder die Debatten um die Articles of Confederation and Perpetual Union von 1776/77 noch diejenigen um die Ratifikation der Bundesverfassung von 1787/88 zogen ernsthaft in Zweifel, dass die amerikanische Republik eine föderale sein würde; die Fragen, die sich indessen umso dringlicher stellten, waren diejenigen nach der konkreten Verteilung von Zuständigkeiten und nach dem Verhältnis zwischen Einzelstaaten und Bund in diesem föderalen System. Die Stärkung der Bundesinstitutionen, die Idee, dass Bundesgesetze direkt auf die amerikanischen Bürger wirken und nicht auf die Einzelstaaten, sowie die damit einhergehende Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Bundesinstitutionen bei gleichzeitiger Rückbindung an das Prinzip der Volkssouveränität – all diese aus umstrittenen Debatten und polemischen Kontroversen resultierenden Vorschläge, die nun der neuen Verfassung von 1787 zugrunde gelegt wurden, bedeuteten auch eine signifikante Transformation dessen, was man unter federal verstand.11 Der Begriff federal wurde zu Beginn der Verfassungsdebatten von 1787/88 sowohl auf die Articles of Confederation als auch auf die neue Bundesverfassung angewendet. Federation und Confederation, federal und confederative wurden vorerst als Synonyme gebraucht und bezogen sich auf das von anderen Begriffen abgesteckte semantische Feld assoziativer Staatlichkeit, wie etwa League oder Union.12 Wie Alison LaCroix mit Blick auf den politischen Sprachgebrauch am Vorabend der amerikanischen Verfassungsdebatten konstatierte: „[…] the old meaning of ‚federal‘ was quite close to that of ‚confederal‘ or ‚confederation‘.‟13 Federal oder confederative government bildeten den einen Pol eines semantischen Kontinuums, dessen gegenteiliger Pol mit den Begriffen national oder consolidated government abgesteckt wurde. Dass sich die Befürworter der neu vorgeschlagenen Bundesverfassung Federalists nannten, ist somit eine ironische Brechung dieser Begriffsgeschichte und gleichzeitig ein rhetorischer Coup der Verfassungsbefürworter, setzten sich doch genau jene Federalists für das ein, was – so die Befürchtung ihrer Gegner, der Antifederalists, – auf ein consolidated government
11 Vgl. hierzu den Überblick bei Wood Gordon S., The American Revolution, S. 616–625. Zur Komplexität der konkurrierenden Föderalismusvorstellungen in der Federal Convention vgl. Zuckert Michael P., Federalism and the Founding. Auf den Wandel des Föderalismuskonzepts im Zuge der Revolution und der Verfassungskonstruktion aufmerksam macht auch Chopin Thierry, La République „une et divisible“, S. 27–28. 12 Vgl. Diamond Martin, What the Framers Meant by Federalism; Diamond Martin, The Federalist’s View of Federalism; Ostrom Vincent, The Meaning of Federalism in ‘The Federalist’; Yarbrough Jean, Rethinking „The Federalist’s View of Federalism“. 13 LaCroix Alison L., The Ideological Origins of American Federalism, 217. Ähnlich auch die Einschätzung bei Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 55–56.
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hinauslaufen würde. Der Begriff federalism wurde – auch dies eine ironische begriffsgeschichtliche Wende – 1793 von Edmund Burke erstmals ins Englische übertragen und zwar in Auseinandersetzung mit dem fédéralisme der Französischen Revolution, wo er, wie später noch ausführlicher diskutiert wird, eine ganz andere Bedeutung entwickelte. Mitte der 1790er Jahre setzte sich dann Federalism auch als Bezeichnung für das politische Programm der Federalists durch.14 Die Selbstbezeichnung als Federalists stand zwar bereits während den Ratifikationsdebatten bisweilen zur Diskussion; viel wichtiger und bedeutend intensiver diskutiert wurde aber die Frage, was denn unter dem Adjektiv federal zu verstehen sei, wenn es mit anderen Begriffen gekoppelt wurde, etwa zu federal government oder federal republic. Während den Ratifikationsdebatten bezogen sich nämlich die gleichen Begriffe, mit denen man 1776 noch die politische Ordnung unter den Articles of Confederation beschrieben hatte, auf die veränderten politischen Sachverhalte der neu vorgeschlagenen Bundesverfassung von 1787, was die semantische Transformation dieser Begriffe dynamisierte. Madison selbst gestand im Rückblick auf diese Kontroversen ein, „that the Govt. of the U. S. being a novelty & a compound, had no technical terms or phrases appropriate to it; and that old terms were to be used in new senses explained by the context.“15 Gerade federal war eines jener Worte, die aus dem historischen Kontext heraus neu auf den Begriff gebracht werden mussten. Alexander Hamilton hatte dies im Federalist No. 9 versucht, eine Passage, die es verdient in einer gewissen Länge wieder gegeben zu werden: The definition of a confederate republic seems simply to be an ‘assemblage of societies’, or an association of two or more states into one state. The extent, modifications, and objects of the federal authority are mere matters of discretion. So long as the separate organization of the members be not abolished; so long as it exists, by a constitutional necessity, for local purposes; though it should be in perfect subordination to the general authority of the union, it would still be, in fact and in theory, an association of states, or a confederacy. The proposed Constitution, so far from implying an abolition of the State governments, makes them constituent parts of the national sovereignty, by allowing them a direct representation in the Senate, and leaves in their possession certain exclusive and very important portions of sovereign power. This fully corresponds, in every rational import of the terms, with the idea of a federal government.16
14 Vgl. The Oxford English Dictionary, Second Edition, V, S. 795. 15 James Madison an Nicolas P. Trist, Dezember 1831, in: Madison James, The Writings of James Madison, IX, S. 475. 16 Hamilton Alexander, Federalist No. 9, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 70–71. Hervorhebungen im Original.
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Innerhalb von ein paar Zeilen verwandelte Hamilton eine tradierte, an Montesquieu angelehnte Definition der „confederate republic“ in eine „idea of federal government“.17 Nicht ganz unwesentlich ist auch, dass Hamilton seinen Essay mit der Diskussion von Montesquieus „république fédérative“ begonnen hatte, d. h. mit einem politischen Assoziationsmodell, das mit der Realität des nun ausgehandelten Verfassungskonstrukts der amerikanischen Union nicht mehr viel gemein hatte. Die Argumente Hamiltons zielten denn auch gerade darauf, dass die tradierten Formen föderativer Staatsgebilde – auch diejenigen, die Montesquieu diskutiert hatte – allzu sehr dem „political monster of an imperium in imperio“ glichen und dass die Aufgabe gerade darin bestehe, das amerikanische System nicht mehr als „league“ zu denken, sondern als „government“: „we must extend the authority of the Union to the persons of the citizens – the only proper objects of government.“18 Wie sollte also die Autorität der Bundesregierung direkt auf die einzelnen Bürger wirken und gleichzeitig den Einzelstaaten zugestanden werden, dass sie über „certain exclusive and very important portions of sovereign power“ verfügten? Im April 1787 schlug Madison eine mögliche Antwort auf diese Frage vor. Er notierte, dass „a modification of the Sovereignty as will render it sufficiently neutral between the different interests and factions, to controul one part of the society from invading the rights of another, and at the same time sufficiently controuled itself, from setting up an interest adverse to that of the whole society“, als „the great desideratum in Government“ zu betrachten sei.19 Diese Modifikation des Souveränitätsbegriffs, wie sie von Madison in Aussicht gestellt wurde, bestand nun gerade darin, dass die Souveränität geteilt und limitiert wurde. „If the circumstances of our country are such as to demand a compound instead of a simple, a confederate instead of a sole, government,“ so Hamilton im Federalist No. 23, „the essential point which will remain to be adjusted will be to discriminate the Objects, as far as it can be done, which shall appertain to the different provinces or departments of power; allowing to each the most ample
17 Montesquieu hatte die „république fédérative“ als eine „société des sociétés qui en fait une nouvelle“ und als „une manière de constitution qui a tous les avantages intérieur du gouvernement républicain, & la force extérieure du monarchique“ beschrieben: „Cette sorte de république, capable de résister à la force extérieure, peut se maintenir dans sa grandeur, sans que l’interieure se corrompe: La forme de cette société prévient tous les inconvéniens.“ Montesquieu, De l’esprit des loix, I, S. 259–260. 18 Hamilton Alexander, Federalist No. 15, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 103 & 105. Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu auch Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 55–56. 19 Madison James, Vices of the Political System of the United States, in: Madison James, The Writings of James Madison, II, S. 368.
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authority for fulfilling the objects committed to its charge.“20 Und in Federalist No. 28 insistierte er noch einmal, „that the laws of the Confederacy as to the enumerated and legitimate objects of its jurisdiction will become the Supreme Law of the land.“21 Souveränitätsrechte bezogen sich also gemäß Hamiltons Argument nicht mehr auf territoriale Handlungseinheiten, sondern auf genau definierte „Objects“. Erst diese sachbezogene Teilung der Zuständigkeitssphären zwischen Bundesregierung und Einzelstaaten, gewissermaßen die Entterritorialisierung von Souveränitätsrechten, erlaubte es, der Gefahr des Imperium in Imperio zu entgehen und gleichzeitig eine föderale Struktur der Republik zu verteidigen. Souveränität lag in einer demokratischen Republik letztendlich nur beim Volk allein und dieses entscheidet über die Verfassung und darüber, an welche unterschiedliche Institutionen – Bundesregierung oder Einzelstaaten – es welche Souveränitätsrechte abtreten will und welche es für sich behält. „The federal and State governments are in fact but different agents and trustees of the people, constituted with different powers and designed for different purposes“, argumentierte Madison im Federalist No. 46, um gleich darauf zu insistieren, „that the ultimate authority, wherever the derivative may be found, resides in the people alone […].“22 In der Federal Convention hatte Madison bereits darauf insistiert, dass der wahre Unterschied „between a league or treaty, and a Constitution“ darin liege, dass erstere „on the Legislatures only“ basiere, während letztere „on the people“ basiere.23 Genau aus diesem Grund sollte die neu vorgeschlagene Verfassung auch von ausschließlich hierfür einberufenen und gewählten Konventen diskutiert und ratifiziert werden und nicht in den Legislativen der Staaten. Der Prozess der Ratifikation und die Institution der Ratifying Conventions machten das Volk zum pouvoir constituant und veränderten auch die Bedeutung dessen, was nun federal meinte.24 Durch diese Entkoppelung von Souveränität und Staatlichkeit wurde die Vorstellung einer Trennung von Souveränitätsrechten und deren föderale Delegierung an unterschiedliche politische Körperschaften der radikalen Ausschließlichkeitslogik des tradierten Souveränitätsbegriffs entzogen. James Wilson begründete während der Ratifikationsdebatten des Staates Pennsylvania diesen Zusammenhang zwischen einer föderalen Machtteilung und der Volks-
20 Hamilton Alexander, Federalist No. 23, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 150–151. Hervorhebungen im Original. 21 Hamilton Alexander, Federalist No. 27, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 173. Hervorhebungen im Original. 22 Madison James, Federalist No. 46, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 291. 23 Farrand Max (Hrsg.), The Records of the Federal Convention, II, S. 93. 24 Wood Gordon S., The American Revolution, S. 615.
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souveränität in ähnlichen Worten wie dies Madison getan hatte. Gegen William Findley, ein Antifederalist aus dem Westen Pennsylvanias und später eine führende Figur der Republicans,25 strich er die Differenz einer föderalen Machtteilung zwischen politischen Handlungseinheiten, wie man sie aus der Geschichte der Konföderationen kannte, und einer neuen, auf der Souveränität des Volkes basierenden Machtteilung, wie sie die Verfassung vorschlug, deutlich heraus: His [Findleys] position is, that the supreme power resides in the States, as governments; and mine is, that it resides in the People, as the fountain of government; that the people have not – that the people mean not – and that the people ought not, to part with it to any government whatsoever. In their hands it remains secure. They can delegate it in such proportions, to such bodies, on such terms, and under such limitations, as they think proper.26
Es war in diesem Sinne, dass diese demokratische Republik in der Vorstellung Madisons und Wilsons eine föderale Republik sein sollte. Mit diesem Argument überholten die Federalists ihre Gegner gewissermaßen auf einer Bahn, welche letztere kaum antizipiert hatten, nämlich auf jener der Demokratie. Die Dynamik freilich, welche gerade dieser Herleitung der föderalen Republik aus der Souveränität des Volkes entsprang, sollte sich in den folgenden Jahrzehnten gegen die Federalists selber wenden und der demokratisch-republikanischen Opposition Auftrieb geben.
2.2 Federal republic, consolidated government und die practical sphere Die „federal republic of the United States“ sollte aber auch noch in einer weiteren Hinsicht über die bisherigen Vorstellungen föderaler Herrschaftsformen hinausgehen, nämlich indem sie die Frage nach der „practicable sphere“ republikanischer Herrschaft aufwarf.27 Republiken, so lehrte etwa Montesquieu, konnten nur in zusammengezogenen und kleinen politischen Territorien stabilisiert werden, in politischen Gemeinwesen also, deren Bürger relativ gleiche kulturelle
25 Vgl. das kurze Portrait Findleys in: Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 218–232. 26 Wilson James, Speech in the Convention, 4. Dezember 1787, in: McMaster John Bach/Stone Frederick S. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 316. Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu auch Wills Garry, James Wilson’s New Meaning for Sovereignty; Onuf Peter S., The Origins of the Federal Republic, S. 199–207. 27 Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 322.
2.2 Federal republic, consolidated government und die practical sphere
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Werte und sozioökonomische Interessen teilen.28 Nordamerika schien hierfür aufgrund der territorialen Ausdehnung der dreizehn Einzelstaaten und aufgrund der sozioökonomischen Diversität bedenklich schlecht ausgerüstet und auch die Antifederalists griffen auf diese Argumente zurück, um gegen die vorgeschlagene Bundesverfassung zu opponieren. Die Autorität der „ablest writers“ wurde etwa von dem unter dem Pseudonym „Agrippa“ schreibenden James Winthrop reklamiert, um daran zu erinnern, dass „no extensive empire can be goverened upon republican principles.“ Die Größe dieser Republik würde unweigerlich dazu führen, dass Amerika „to a despotism“ degenerieren würde, „unless it be made up of a confederacy of smaller states, each having the full powers of internal regulation.“ Die „idea of a uncompounded republick“ sei, so Winthrop unmissverständlich, eine „absurdity“ und „contrary to the whole experience of mankind“, weil diese unmöglich „so many different interests“ berücksichtigen könne, wie sie in Nordamerika nun einmal Tatsache seien.29 Demgegenüber wandte Madison ein, dass es gerade zu den Vorzügen einer „well constructed Union“ gehöre, dass über die Verknotung des föderalen und des repräsentativen Prinzips die „practical sphere of republican administration“ erweitert und damit gleichzeitig „a republican remedy for the diseases most incident to republican government“ gefunden werden könne.30 Die zwei Gebrechen, welche Madison damit beheben wollte, waren die Gefahr einer tyrannischen Mehrheit und die Gefahr, dass die Repräsentanten sich ihrem Elektorat nicht mehr verantwortlich fühlten.31 Dass in einer Republik letztlich die Mehrheit regiere, war ein mehr oder weniger unhintergehbares politisches Axiom republikanischer Theoriebildung seit der Amerikanischen Revolution.32 Damit ging aber die Frage einher, wie Exzesse von Mehrheiten gegenüber Minderheiten verhindert werden könnten und ein Mechanismus gefunden werden konnte, „to controul one part of the Society from invading the rights of another“, wie Madison in seinen Vices of the Political System of the United States im April 1787 notierte.33 Eine großflä-
28 Vgl. Montesquieu, De l’esprit des loix, I, S. 248–250. 29 „Agrippa“ [James Winthrop], Letter IV, Massachusetts Gazette, 3. Dezember 1787, in: Storing Herbert J. (Hrsg.), The Complete Anti-Federalist, II/4, S. 75–77. Vgl. hierzu auch Storing Herbert J., What the Anti-Federalists Were For, S. 24–37. 30 Madison James, Federalist No. 10, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 71 & 79; Madison James, Federalist No. 14, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 95. 31 Vgl. hierzu Banning Lance, The Practical Sphere of a Republic. 32 Vgl. Wood Gordon S., The American Revolution, S. 616–620. 33 Madison James, Vices of the Political System of the United States, in: Madison James, The Writings of James Madison, II, S. 368.
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chige Republik würde verhindern, skizzierte Madison am Vorabend der Federal Convention seine Überlegungen zu dieser Problematik, dass sich allzu schnell Mehrheiten bilden würden, welche die Freiheiten und Rechte der Minderheiten nicht mehr respektieren würden: If an enlargement of the sphere is found to lessen the insecurity of private rights, it is not because the impulse of a common interest or passion is less predominant in this case with the majority; but because a common interest or passion is less apt to be felt and the requisite combinations less easy to be formed by a great than by a small number. The Society becomes broken into a greater variety of interests, of pursuits of passions, which check each other, whilst those who may feel a common sentiment have less opportunity of communication and concert. It may be inferred that the inconveniences of popular States contrary to the prevailing Theory, are in proportion not to the extent, but to the narrowness of their limits.34
Dieses Argument, welches Madison im Studium antiker und moderner Konföderationen entwickelte, fand dann in den Ratifikationsdebatten Eingang in die Essays des Federalist. „Extend the sphere and you take in a greater variety of parties and interests“, so Madison im Federalist No. 10, „you make it less probable that a majority of the whole will have a common motive to invade the rights of other citizens; or if such a common motive exists, it will be more difficult for all who feel it to discover their own strength and to act in unison with each other.“35 Die Pluralität von Interessen, nicht deren Homogenität, wie die auf Montesquieu verweisenden Antifederalists argumentierten, wird so zur Bedingung für das Gelingen der großflächigen Republik und macht „a proper federal system“ gleichzeitig zum Erfordernis.36 Denn die von einigen Antifederalists geäußerte Befürchtung, dass eine solche großflächige Republik die verschiedenen Interessen der amerikanischen Bürger nicht mehr berücksichtigen würde, ja dass die Repräsentanten, einmal gewählt, ihre Verantwortlichkeiten gegenüber den Repräsentierten verlieren würden, nahm Madison sehr ernst. Ganz im klassisch-republikanischen Diskurs des 18. Jahrhunderts glaubte Madison daran, dass Macht korrumpiere und dass die Mächtigen dazu tendieren würden, die ihnen gesetzten Grenzen zu überwinden, das Gemeinwohl aus den Augen
34 Madison James, Vices of the Political System of the United States, in: Madison James, The Writings of James Madison, II, S. 368. 35 Madison James, Federalist No. 10, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 78. 36 Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 321.
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zu verlieren und ihre partikulären Interessen zu verfolgen.37 „Ambition must be made to counteract ambition“, forderte Madison vor diesem Hintergrund und entdeckte im „federal system of America“ die institutionelle Verkörperung dieser Maxime: In the compound republic of America, the power surrendered by the people is first divided between two distinct governments, and then the portion allotted to each subdivided among distinct departments. Hence a double security arises to the rights of the people. The different governments will control each other, at the same time that each will be controlled by itself.38
Die föderale Struktur der Republik erlaubte Madison einen „middle ground“ zwischen einem exzessiven Lokalismus und uneingeschränkter Herrschaft der Mehrheit einerseits, und einer gefährlichen Machtkonzentration und unverantwortlichen Repräsentanten in einer weit entfernten nationalen Regierung andererseits, auszumessen.39 Es war in der Verbindung von Föderalismus und Republikanismus, in welcher Madison die Prinzipien der Amerikanischen Revolution und deren Zukunftsfähigkeit am besten aufgehoben sah: „[T]he larger the society, provided it lie within a practicable sphere“, so Madisons letzte Zeilen im Federalist No. 51, „the more duly capable it will be of self-government. And happily for the republican cause, the practicable sphere may be carried to a very great extent by a judicious modification and mixture of the federal principle.“40 Tradierte Begriffe wie confederate government, confederacy oder confederate republic und federal republic, so lässt sich aus diesen Ausführungen schließen, wurden im Zuge der umstrittenen Verfassungsdebatten auf eine politische Ordnung angewendet, die eine andere war, als diejenigen, welche in der Vergan-
37 Vgl. Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers319. Hierzu auch Wills Garry, Explaining America, S. 201–207. 38 Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 320. 39 Die Metapher des „middle ground“ taucht bei Madison erstmals in einem Brief an George Washington vom 16. April 1787 auf: „Conceiving that an individual independence of the States is utterly irreconcileable with their aggregate sovereignty, and that a consolidation of the whole into one simple republic would be as inexpedient as it is unattainable, I have sought for middle ground, which may at once support a due supremacy of the national authority, and not exclude the local authorities wherever they can be subordinately useful.“ James Madison an George Washington, New York, 16. April 1787, in: Madison James, The Writings of James Madison, II, S. 344–345. Vgl. hierzu auch Banning Lance, The Practical Sphere of a Republic. 40 Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 322. Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu Banning Lance, The Practical Sphere of a Republic.
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genheit mit diesen Begrifflichkeiten umschrieben wurden. Ob man die unklaren Bedeutungen von confederacy, confederate republic oder federal government den Nachlässigkeiten oder der rhetorischen Brillanz Hamiltons und Madisons zuschreiben will, sei dahingestellt;41 klar wird hier indessen, dass an und mit diesen Begriffen gearbeitet wurde, dass tradierte Begriffe mit neuen Bedeutungen aufgeladen wurden, dass sie auf andere politische Realitäten bezogen wurden, die sich aber auch sehr schnell wandeln konnten und dementsprechend auch die semantische Transformation von Begriffen beschleunigten.42 Der tradierte Begriff der confederate republic mag das amerikanische Experiment in eine geschichtliche Entwicklung föderativer Staatsgebilde gestellt haben; Hamiltons idea of federal government bezeichnete indessen jenes politische Gebilde, das Madison in Ermangelung eines treffenderen Begriffs, wie bereits erwähnt, als „neither a national nor a federal Constitution, but a combination of both“ bezeichnet hatte.43 Diese hybride Republik war weder eine Konföderation im herkömmlichen Sinne, da sie eine Bundesregierung schuf, deren Beschlüsse direkt auf die Bürger wirkten und nicht nur auf die Einzelstaaten; sie war aber auch nicht eine konsolidierte Nation, da die Einzelstaaten ihre Souveränitätsrechte über jene Angelegenheiten behielten, die in der Verfassung nicht explizit an die Bundesregierung übertragen wurden. Federal bezog sich nach den Ratifikationsdebatten also zusehends auf jenen middle ground, welchen Madison zwischen einem consolidated oder national government einerseits, und einem confederate government andererseits ausmachte und auf welchem er das amerikanische Experiment verortete. Madisons bevorzugte Metapher des „middle ground“ verdeutlicht die Schwierigkeiten, den amerikanischen Föderalismus begrifflich zu fassen und ihn politisch zu legitimieren, und diese Ambiguität verschwand weder durch die Erläuterungen im Federalist noch durch die Annahme der Bundesverfassung. Für die Antifederalists hatte die neu ins Werk gesetzte Verfassung zu sehr die Züge eines consolidated government oder eines mächtigen und interventionistischen Nationalstaates, wie man ihn in den europäischen Monarchien zu sehen glaubte. Neben der Kritik an der fehlenden Bill of Rights, die erst nachträglich der Bundesverfassung als Amendments hinzugefügt wurde, der aristokratischen Tendenzen
41 Vgl. hierzu Wills Garry, Explaining America, S. 171; Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 56; Hampsher-Monk Iain, Democracy and federation in the Federalist Papers, S. 36. 42 Vgl. hierzu Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 608. 43 Madison James, Federalist No. 39, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 242. Vgl. hierzu Diamond Martin, The Federalist on Federalism.
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und der Machtfülle der Exekutive war es v. a. die in der Verfassung vorgeschlagene föderale Struktur und die damit einhergehende Machtverteilung zwischen Bund und Einzelstaaten, welche die Kritik der Verfassungsskeptiker mobilisierte.44 Der Federal Farmer, ein moderater Antifederalist,45 hatte bereits während den Ratifikationsdebatten die Befürchtung geäußert, dass die Bundesverfassung nur der erste Schritt einer in Zukunft wachsenden Zentralisierung der politischen Macht in der Bundesregierung und einer nationalen Konsolidierung sei: „The plan of government now proposed is evidently calculated totally to change, in time, our condition as a people. Instead of being thirteen republics, under a federal head, it is clearly designed to make us one consolidated government.“46 Die Antifederalists sahen sich als wahre Erben des revolutionären föderalen Republikanismus. Dass sich nun ausgerechnet die Befürworter der Bundesverfassung Federalists nannten,47 brachte beispielsweise Melancton Smith während den Ratifikationsdebatten im Staat New York dazu, seinen Gegnern den Vorschlag zu machen „to exchange names with those who disliked the Constitution“, da er der Meinung sei, „that they were Federalists, and those who advocated it Anti-Federalists.“48 Doch der Streit um Worte drehte sich nicht nur um die Bezeichnung politischer Bewegungen, sondern auch darum, was unter einem federal government zu verstehen sei. Viele Antifederalists waren der Überzeugung, dass die republikanischen Prinzipien der Revolution nur in kleinen, sozioökonomisch und kulturell relativ homogenen politischen Gemeinwesen gedeihen können, wo die Bürger
44 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 51–80. 45 Wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt ist nicht geklärt. Während zuerst Richard Henry Lee hinter diesem Namen vermutet wurde, tendiert die Forschungsmeinung nun eher dazu, dass es sich um Melancton Smith handeln könnte. Vgl. Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S. 261; Cornell Saul, The Other Founders, S. 38. Die kompletten Briefe von Federal Farmer sind kommentiert und abgedruckt als Observations Leading to a Fair Examination of the System of Government Proposed by the Late Convention; And to Several Essential and Necessary Alterations in It. In a Number of Letters from the Federal Farmer to the Republican, in: Storing Herbert J. (Hrsg.), The Complete Anti-Federalist, I/2, S. 214–357. 46 Letters from the Federal Farmer, in: Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S. 265. 47 Diese Bezeichnung geht vermutlich auf Madisons Federalist No. 10 zurück, wo es heißt: „In the extent and proper structure of the Union, therefore, we behold a republican remedy for the diseases most incident to republican government. And according to the degree of pleasure and pride we feel in being republicans ought to be our zeal in cherishing the spirit and supporting the character of federalists.“ Madison James, Federalist No. 10, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 79. Vgl. auch The Oxford English Dictionary, Second Edition, V, S. 795. 48 Speeches of Melancton Smith (June 20–27, 1788), in: Ketcham Ralph (Hrsg.), The Anti-Federalist Papers and the Constitutional Convention Debates, S. 338.
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unmittelbar in den politischen Meinungsbildungsprozess eingebunden sind und wo die Repräsentanten viel enger an deren Willen zurückgebunden sind, als dies die Repräsentanten einer weit entfernten Bundesregierung sein konnten. Ihre Freiheit und ihre Rechte, so glaubten viele der Kritiker der Bundesverfassung, seien besser durch die Einzelstaaten oder gar durch die lokalen Gemeinden geschützt, als durch eine räumlich weit entfernte Bundesregierung, die ohnehin dazu neigen würde, ihre Macht weiter auszubauen, um selbst in den entlegensten Winkeln der Union Gehör zu finden.49 Nach der Annahme der Verfassung kristallisierte sich dementsprechend ein Kritikpunkt heraus, um welchen sich der „dissenting constitutional discourse“ und dessen Konzeption eines federal government in den folgenden Jahrzehnten drehen sollte: die Überzeugung, dass sich die Zuständigkeiten der Bundesinstitutionen auf jene Bereiche begrenzen müssen, welche ihr in der Bundesverfassung explizit überantwortet wurden und dass die Bundesverfassung sie dementsprechend als ein limited government mit enumerated powers konstituiert habe.50 Die nach der Ratifikation der Verfassung sich herausbildende loyale Opposition sollte von nun an nicht mehr gegen die Bundesverfassung argumentieren, sondern für ihre – in ihren Augen – korrekte Auslegung.
2.3 Die Verfassung interpretieren. Die Principles of ’98 und das Marshall Court Während also die Federalists den Kampf um die institutionelle Ausgestaltung des amerikanischen politischen Systems gewonnen hatten, verlagerte sich die Deutungsmacht über den Text der Verfassung um 1800 sukzessive zugunsten jener politischen Kräfte, die sich das kritische Erbe der Antifederalists aneigneten und auf dieser Basis den Begriff federal government an eine Akzentuierung der States’ Rights knüpften. Dem voraus ging freilich in den 1790er Jahren eine von den Federalists um Alexander Hamilton vorangetriebene Politik, die von den Republicans um Thomas Jefferson und James Madison als Angriff auf die föderale Struktur der Union und als nationaler Konsolidierungsversuch verstanden wurde.51 Madison und Hamilton fanden sich nach ihrer Kooperation für den Federalist und für die Annahme der Bundesverfassung nun also in unter-
49 Vgl. Shalope Robert E., The Roots of Democracy, S. 107–110; Storing Herbert J., What the AntiFederalists Were For, S. 24–37. 50 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 160. 51 Vgl. Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 140–173.
2.3 Die Verfassung interpretieren. Die Principles of ’98 und das Marshall Court
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schiedlichen politischen Lagern. Während Alexander Hamilton die Verfassung trotz ihrer föderalen Strukturen verteidigt hatte, weil sie ihm zumindest als das kleinere Übel im Vergleich mit den Articles of Confederation erschien, argumentierte Madison für die Verfassung wegen ihrer föderalen Strukturen.52 Als Hamilton und die Federalists in den 1790er Jahren hauptsächlich über die necessaryand-proper-Klausel der Verfassung zu einer „loose construction“, also zu einer großzügigen Auslegung dieses Dokuments tendierten und damit die Macht der Bundesregierung auszubauen versuchten,53 vertraten Madison und die Republicans die Auffassung, dass die Auslegung der Verfassung einer „strict construction“ gehorchen müsse, um eine Machtakkumulation der Bundesregierung zu verhindern, die ihrer Meinung nach die Freiheit der Bürger gefährdete. Mit den Virginia und Kentucky Resolutionen, welche Madison und Jefferson 1798 gegen die umstrittenen Alien and Sedition Acts aufsetzten,54 lieferten sie eine Interpretation der Verfassung, welche in Zukunft von den Anhängern der States’ Rights immer wieder herangezogen werden sollte.55 Jeffersons Kentucky Resolutions und die von Madison formulierten Virginia Resolutions definierten die US-Verfassung als „a compact to which the states are parties“ und während Jefferson in seinem ersten Draft den Begriff „nullification“ einführte und die Alien and Sedition Acts als „unauthorative, void, and of no force“ bezeichnete,56 sprach Madison davon, dass die Einzelstaaten das Recht und die Pflicht hätten, gegebenenfalls „to interpose for arresting the progress of the evil“ und dass sie die nötigen Massnahmen
52 Vgl. hierzu Banning Lance, The Sacred Fire of Liberty, S. 296–297. 53 Zum Schluss des Article I, Section 8, welche die Zuständigkeiten des Kongresses regelt, heißt es, der Kongress habe die Macht, „To make all Laws which shall be necessary and proper for carrying into Execution the foregoing Powers, and all other Powers vested by this Constitution in the Government of the United States, or in any Department or Officer thereof.“ Vgl. allgemein hierzu Elkins Stanley/McKitrick Eric, The Age of Federalism. 54 Die von den Federalists durchgesetzten Alien and Sedition Acts bestanden aus vier Gesetzen: Der Alien Enemies Act authorisierte den Präsidenten Ausländer in Kriegszeiten zu deportieren, während der Alien Act die gleiche Autorisierung für Friedenszeiten gewährte; der Naturalization Act verlängerte die Aufenthaltszeit in den Vereinigten Staaten zur Beantragung der Staatsbürgerschaft von fünf auf 14 Jahre; der Sedition Act definierte die Bestrafungen für Publikationen, welche gegen die Durchsetzung von Bundesrecht, gegen die Bundesregierung, den Präsidenten und den Kongress geschrieben wurden und welche „false, scandalous, or malicious“ Informationen enthielten. 55 Vgl. hierzu Koch Adrienne/Ammon Henry, The Virginia and Kentucky Resolutions; Powell H. Jefferson, The Principles of ’98, S. 689–743; Sheehan Colleen A., James Madison and the Spirit of Republican Government, S. 130–135. 56 Jefferson Thomas, Drafts of the Kentucky Resolutions, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, VIII, S. 471.
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ergreifen müssten, „for maintaining within their respective limits the authorities, rights, and liberties appertaining to them.“57 Die Völker der Einzelstaaten waren in dieser Lesart die eigentlichen Parteien des Bundesvertrages von 1787 und als solche waren sie auch legitimiert, als Kontrollinstanzen über die Bundesregierung zu fungieren. Zusätzlich verbanden die so genannten Principles of ’98, wie die beiden Resolutionen und Madisons darauf folgender Bericht fortan genannt wurden, die föderale Struktur der Vereinigten Staaten mit dem Schutz individueller Rechte und Freiheiten, welche durch die Alien and Sedition Acts beschnitten würden. Madison argumentierte zudem, dass eine republikanischföderale Verfassung wie diejenige der Vereinigten Staaten auf einer wachen und aktiven Bürgerschaft und einer kritischen Öffentlichkeit beruhe, welche als check gegenüber den Repräsentanten wirken sollten. „[I]t is the duty, as well as right, of intelligent and faithful citizens“, so Madison im Report on the Resolutions von 1798, „to discuss and promulge them [the proceedings of government] freely, as well to control them by the censorship of the public opinion, as to promote a remedy according to the rules of the Constitution.“58 Eine aktive Öffentlichkeit habe zudem den Effekt, dass sie die verschiedenen Teile der Union zusammenbinde und so einen Ersatz für die unifizierende Kraft einer mächtigen Zentralregierung bilde. Neben der Rolle der Öffentlichkeit forderten die Republicans zudem eine „strict construction“ des Verfassungstextes. Albert Gallatin, neben Madison und Jefferson einer der Vordenker der Opposition, warnte 1799 in der Debatte um die Alien and Sedition Acts im Repräsentantenhaus, „it must be remembered that the only security of citizens against unconstitutional measures consists in a strict adherence to the Constitution; that their liberties are only protected by a parchment – by words – and that they may be destroyed whenever it shall be admitted that the strict and common sense of words may be construed away […].“59 Die Verfassung war dazu da, so das Argument Gallatins, die vom Volk delegierte Gewalt zu begrenzen, nicht zu vergrößern, und die Einzelstaaten müssten sich gegen Usurpationen der Bundesregierung zur Wehr setzen, denn, wie Jefferson 1798 formulierte:
57 Madison James, Resolution of 1798 in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 326. Vgl. auch Madisons Erläuterungen zu den Resolutionen: Madison James, Report on the Resolutions, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, VIII, S. 341–406. 58 Madison James, Report on the Resolutions, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, VIII, S. 341–406, hier: 394. Vgl. hierzu auch Sheehan Colleen A., The Politics of Public Opinion. 59 Annals of Congress, 5th Congress, 3rd session, House of Representatives, February 1799, IX, S. 3002.
2.3 Die Verfassung interpretieren. Die Principles of ’98 und das Marshall Court
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free government is founded in jealousy, and not in confidence, and it is jealousy and not confidence which prescribes limited constitutions, to bind down those whom we are obliged to trust with power that our constitution has accordingly so fixed the limits to which and no further our confidence may go.60
Wie indessen die deutungsbedürftige Sprache dieser Verfassung ausgelegt werden sollte, was denn der von Gallatin eingeforderte „strict and common sense of words“ in Bezug auf die Machtteilung zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten war, wo Jeffersons „limits“ der verfassungsmäßigen Gewalt der Bundesregierung genau lagen – diese Fragen entwickelten sich zu den treibenden Konflikten der politischen Kultur der Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.61 Dementsprechend umstritten waren auch die Versuche, federal zu definieren, die Idee einer sachbezogenen Teilung von Souveränität gegenüber der territorialen Logik des tradierten Souveränitätsbegriffs zu verteidigen. Und ähnlich umkämpft blieb auch das sich im Zuge der Ratifikationsdebatten herausbildende Begriffskontinuum zwischen einem consolidated oder national government einerseits und einem confederate government oder einer confederacy andererseits. Die komplexen und subtilen Strukturen von Madisons middle ground-Theorie des Föderalismus waren schwer gegen die bedeutend einfacheren und eingängigeren Vorstellungen nationaler Suprematie oder Einzelstaatssouveränität im Sinne der States’ Rights zu verteidigen, welche die Auseinandersetzungen um den föderalen Charakter der amerikanischen Union nun zunehmend polarisierten.62 Die Principles of ’98 wurden nach der so genannten „Revolution of 1800“, wie die Anhänger Jeffersons dessen Wahlsieg fortan zu nennen pflegten, zum Referenzpunkt der konstitutionellen Interpretation der nun an der Macht stehenden Republicans. Obwohl die Federalists als politische Kraft immer mehr an Boden einbüßten und dann nach der Hartford Convention 1814/15 ihre politische Legitimität fast gänzlich verloren, blieben sie für den Kampf um die Deutungshegemonie der Verfassung ein ernst zu nehmender Mitspieler, insbesondere weil das Supreme Court unter dem Vorsitz von John Marshall immer noch fest in der Hand der Federalists lag und bis in die 1830er Jahre von ihnen und deren Nachfolgern,
60 Jefferson Thomas, Drafts of the Kentucky Resolutions, in: Jefferson Thomas,The Works of Thomas Jefferson, VIII, S. 474. 61 Vgl. Ellis Richard E., The Persistence of Antifederalism after 1789; Kammen Michael, A Machine that would go of itself, S. 43–67. 62 Vgl. Whittington Keith E., The Political Constitution of Federalism in Antebellum America; Cornell Saul, The Other Founders, S. 245; Brooke John L., Cultures of Nationalism, Movements of Reform, and the Composite-Federal Polity.
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den National Republicans und den Whigs, dominiert wurde.63 Als Marshall 1819 im Fall McCulloch vs. Maryland die Begründung seines Urteils mit einer Attacke auf eben jene Principles of ’98 verband, warf er die Frage nach dem föderalen Charakter der Union einmal mehr in die Arena der öffentlichen Debatte. Marshall dementierte in seinem Urteil, dass die Gewalten der Bundesregierung von den Einzelstaaten delegiert seien, die, wie die Anwälte der States’ Rights behaupteten, eigentlich alleine souverän seien. Demgegenüber erinnerte er daran, dass die Bundesverfassung von 1787 die durch die Articles of Confederation konstituierte „league“, in ein „effective government“ transformiert habe: „The government of the Union, then […] is, emphatically and truly, a government of the people. […] It is the government of all; its powers are delegated by all; it represents all, and acts for all.“ Ungeachtet dessen, dass die Bundesregierung ein „government […] of enumerated powers“ sei, müsse man doch eingestehen „that the government of the Union, though limited in its powers, is supreme within its sphere of action.“ Aus diesen zwei Argumenten – dass die Bundesverfassung direkt vom Volk, durch das Volk und für das Volk konstituiert wurde und dass sie in ihrem Zuständigkeitsbereich Suprematie genieße – leitete Marshall ab, dass die Gesetze des Kongresses als „the supreme law of the land“ zu verstehen seien, „anything in the constitution or laws of any state to the contrary notwithstanding.“64
2.4 States’ Rights und Nullification Diese Argumente erinnerten natürlich stark an Hamiltons Rhetorik der nationalen Konsolidierung der 1790er Jahre und die 1820er Jahre sahen eine ganze Reihe von Publikationen von Anhängern der States’ Rights, welche die „nationalistischen“ Tendenzen des Supreme Courts brandmarkten und die Erbschaft der Principles of ’98 hochhielten. Mit dem Missouri-Kompromiss von 1820 verquickte sich zudem zunehmend die Sklavereiproblematik mit der Frage nach der föderalen Ordnung der Union und die Verteidigung der States’ Rights im Süden verband sich mit zusehends gereizten Reaktionen auf die Angriffe gegen die „peculiar institution“, wie die Sklaverei im amerikanischen Süden euphemistisch genannt wurde.65 John Taylor of Caroline, ein „Old Republican“ aus Virginia, der bereits
63 Vgl. Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 120–124. 64 Marshall John, Opinion on McCulloch v. Maryland, in: Marshall John, The Papers of John Marshall, S. 261–262. 65 Vgl. Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 158; Les Benedict Michael, States’ Rights, State Sovereignty, and Nullification, S. 168.
2.4 States’ Rights und Nullification
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die Annahme der Bundesverfassung skeptisch betrachtet hatte,66 argumentierte zu Beginn der 1820er Jahre gegen Marshall und die Federalists: The word „federal“, also adopted into our political phraseology, is a national construction of the terms used in forming our system of government, comprising a definite expression of publick opinion, that state sovereignties really exist. It implies a league between sovereign nations, has been so used by all classes of people from the commencement of our political existence down to this day, and is inapplicable to a nation consolidated under one sovereignty.67
Die Bundesverfassung von 1787 habe die föderale Struktur Amerikas unter den Articles of Confederation nur graduell verändert, denn „the idea of a compact between the states“ hätten die founding fathers nie aufgegeben, sondern nur auf einen „better ground, than that upon which it previously rested“ gestellt.68 Taylor deutete die amerikanische Verfassung also noch ganz vor dem Hintergrund jener vor den Verfassungsdebatten virulenten Semantik, in welcher federal als Synonym für confederative gebraucht wurde und in erster Linie durch den Diskurs des Natur- und Völkerrechts des 17. und 18. Jahrhunderts geprägt worden war.69 „The federal is not a national government“, so Taylor, „it is a league between nations.“70 Damit argumentierte Taylor noch ganz in der politischen Sprache Lockes, welche die Begriffe federal oder federative noch auf den zwischenstaatlichen Bereich fokussiert hatte; eine Engführung, die Madison und Hamilton im Federalist gerade aufzubrechen versuchten. Madisons Argumentation, dass die Bundesverfassung „partly federal and partly national“ sei, hielt Taylor vor diesem Deutungshorizont ebenso für einen logischen Widerspruch wie für einen historischen Irrtum. „No American people existed“, so Taylor lakonisch, „A confederation of states was the only political association which could be called American, when the constitution was framed. It therefore could only be made and ratified by the existing political societies, and was so made and ratified.“71 Die föderale Verfassung war nach dieser Lesart ein Vertrag, der begrenzte und genau definierte Gewalten an die Bundesregierung abtrat; über deren Auslegung konnten im Fall eines Konflikts zwischen Bundesregierung und Einzelstaaten nur die einzelnen
66 Vgl. O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, 1810–1860, S. 191–196; Lenner Andrew C., John Taylor and the Origins of American Federalism; Rühle Christopher, Das politische Denken von John Taylor of Caroline (1753–1824), S. 435–511. 67 Taylor John of Caroline, New Views of the Constitution of the United States, S. 6. 68 Taylor John of Caroline, Constructions Construed and Constitutions Vindicated, S. 43. 69 Vgl. Lenner Andrew C., John Taylor and the Origins of American Federalism. 70 Taylor John of Caroline, Constructions Construed and Constitutions Vindicated, S. 234. 71 Taylor John of Caroline, New Views of the Constitution of the United States, S. 90–91.
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Völker der Einzelstaaten entscheiden, denn sie waren die Vertragspartner und nur durch ihre politische Existenz wurde die Verfassung ratifiziert. Viele dieser konstitutionellen Interpretationsmuster, welche im „dissenting constitutional discourse“72 seit den Ratifikationsdebatten auftauchten, wurden Ende der 1820er und zu Beginn der 1830er Jahre von John C. Calhoun aufgenommen, teilweise radikalisiert, teilweise modifiziert und in eine umfassende Verfassungstheorie eingegossen, deren Ziel in erster Linie darin lag, den Zugriff des Kongresses auf die Sklavereifrage zu verhindern.73 Calhoun, in seiner früheren Karriere ein überzeugter Nationalist, interpretierte die Entwicklung des amerikanischen Konstitutionalismus seit der Annahme der Bundesverfassung als schrittweise Entfernung weg von jener „federal republic, as it originally came from the hands of its framers“ hin zu einer „great national consolidated democracy.“74 Für Calhoun war die amerikanische Bundesverfassung nicht das Produkt eines einheitlichen amerikanischen Volkes, das sich eine nationale Regierung und nationale Institutionen gab. Das „We the people of the United States“, welches die Präambel der Bundesverfassung einleitete, war ein plurales „wir“, das sich auf die Völker der Einzelstaaten bezog und nicht auf ein kollektives amerikanischen Volk, denn die mit der Verfassung konstituierte Bundesregierung, argumentierte Calhoun, „derived its power from the people of the separate States, each ratifying by itself, each binding itself by its own separate majority.“75 Die Verfassung sei dementsprechend nicht ein Vertrag zwischen den Einzelstaaten und dem neu konstituierten Bundesstaat, sondern alleine ein Vertrag zwischen den Einzelstaaten: „the General Government is but its creature.“76 Nicht eine „majority which would consider the American people as a single community“ habe dementsprechend die Bundesverfassung aus der Taufe gehoben, sondern eine durch die politischen Körper der Einzelstaaten vermittelte „concurring majority“.77 Daraus leitete Calhoun ab, dass es das Ziel der „framers of the constitution“ gewesen sei, „to give the two elements of which it is composed, separate, but concurrent action“,78 und dass dementsprechend die
72 Cornell Saul, The Other Founders, S. 294. 73 Vgl. Forsyth Murray, John C. Calhoun; Ford Lacy K. Jr., Inventing the Concurrent Majority. 74 Calhoun John C., Speech on the Admission of California – and the General State of the Union (March 4, 1850), S. 582. 75 Calhoun John C., Speech on the Revenue Collection [Force] Bill (February 15–16, 1833), S. 454. 76 Calhoun John C., The Fort Hill Address: On the Relations of the States and the Federal Government (July 26, 1831), S. 382. 77 Calhoun John C., Speech on the Revenue Collection [Force] Bill (February 15–16, 1833), S. 454. Vgl. hierzu auch Ford Lacy K. Jr., Recovering the Republic; Ford Lacy K. Jr., Inventing the Concurrent Majority. 78 Calhoun John C., A Discourse on the Constitution and Government, S. 129.
2.4 States’ Rights und Nullification
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Einzelstaaten ebenso über die Reichweite ihrer Zuständigkeitssphäre entscheiden könnten, wie die Bundesinstitutionen, dass es also keine hierarchischen, sondern nur „co-ordinate“ Beziehungen zwischen Gliedstaaten und Bund gebe. Da das Supreme Court indessen eine Institution des Bundes sei, könne dieses nicht, wie John Marshall behauptete, legitimerweise über die Reichweite, Zuständigkeit und Trennung der Sphären entscheiden. Einer Bundesinstitution wie dem Supreme Court die Aufsicht über die Reichweite der jeweiligen Sphären zu geben, ist im Grunde gar keine Trennung, so Calhoun, sondern nur das Einfallstor, durch welches aus einem „federal government“ ein „consolidated government“ gemacht werde.79 Calhoun sah seine Verteidigung der States’ Rights also als Ausdruck einer grundlegend konservativen Überzeugung, die beanspruchte, den föderalen Charakter der Bundesverfassung zu bewahren und die Tradition des revolutionären Föderalismus und der Principles of ’98 fortzuführen.80 „This right of interposition,“ so Calhoun mit einem Ausdruck den Madison 1798 in den Virginia Resolutions gebraucht hatte, „be it called what it may – State-right, veto, nullification, or by any other name – I conceive to be the fundamental principle of our system, resting on facts historically as certain as our revolution itself.“81 In dieser Möglichkeit der „interposition“ der Einzelstaaten erkannte Calhoun das eigentlich föderale Moment im amerikanischen System. Nur eine föderale Machttrennung zwischen Bund und Einzelstaaten und das kontinuierliche Bemühen, beide „in its proper sphere“ zu halten, verhindere, dass die Idee der „concurrent majority“ zugunsten einer „numerical majority“ aufgegeben werde. Denn die Bundesverfassung hatte mit Institutionen wie dem Senat und der Trennung von Zuständigkeitssphären zwischen Bund und Einzelstaaten klar zum Ausdruck gebracht, dass sie sowohl kollektiven Interessen als auch individuellen Interessen Rechnung trage. Im Senat werden große und kleine Staaten gleich repräsentiert, wodurch das Prinzip der „concurrent majority“ bereits eingeführt sei, während nur das Repräsentantenhaus nach dem Prinzip der „numerical majority“ funktioniere. Die von Madison in Federalist No. 51 erörterten Effekte einer Ausdehnung der „practical sphere of a republic“ sowie die damit einhergehenden Mechanismen der Multiplizierung von Interessen, der föderalen Brechung von Mehrheitsentscheidungen und des Minderheitenschutzes sah Calhoun von der Geschichte Lügen gestraft worden. Die Diversität der Interessen hatte sich unter den Bedingungen verdichteter Kommu-
79 Vgl. Calhoun John C., The Fort Hill Address: On the Relations of the States and the Federal Government (July 26, 1831), S. 376. 80 Vgl. Maier Pauline, The Road not taken. 81 Calhoun John C., The Fort Hill Address: On the Relations of the States and the Federal Government (July 26, 1831), S. 371.
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nikations- und Transportsysteme seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in eine Bipolarität zwischen den nördlichen und den südlichen Sektionen der Republik verwandelt. Unter diesen Bedingungen stach Madisons Argumentation nicht mehr, so Calhoun. „[T]he more extensive and populous the country, the more diversified the condition and pursuits of its population […], the more difficult is it to equalize the action of the government – and the more easy for one portion of the community to pervert its powers to oppress, and plunder the other.“82 Das Veto der Einzelstaaten gehörte für Calhoun angesichts dieser „tendency to abuse of power“83 zu den legitimen politischen Mitteln, um die konsolidierende demokratische Tendenz zu brechen, denn eine „numerical majority“ würde zwangsläufig auf ein „consolidated government“ hinauslaufen, in welchem ein Teil der Union über den anderen herrschen, die föderale Struktur zerstört und der Wille der founding fathers gebrochen würde: Stripped of all its covering, the naked question is, whether ours is a federal or a consolidated government; a constitutional or absolute one; a government resting ultimately on the solid basis of the sovereignty of the States, or on the unrestrained will of a majority; a form of government, as in all other unlimited ones, in which injustice, and violence, and force must finally prevail.84
Calhouns Antwort auf diese Frage war klar; er hielt es für unbestreitbar, that ours is a union, not of individuals, united by what is called a social compact – for that would make it a nation; nor of governments – for that would have formed a mere confederacy, like the one superseded by the present constitution; but a union of States, founded on a written, positive compact, forming a Federal Republic, with the same equality of rights among the States composing the Union, as among the citizens composing the States themselves. Instead of a nation, we are in reality an assemblage of nations, or peoples (if the plural noun may be used where the language affords none), united in their sovereign character immediately and directly by their own act, but without losing their separate and independent existence.85
Somit verortete Calhoun den Begriff federal zwar auch zwischen einem national oder consolidated government einerseits, und einer confederacy andererseits, verband mit dem Begriff allerdings die Aufrechterhaltung föderal aufgefächerter und konkurrierender politischer Willensbildungsprozesse, welche mithin nur
82 Calhoun John C., A Disquisition on Government, S. 15. 83 Calhoun John C., A Disquisition on Government, S. 12. 84 Calhoun John C., The Fort Hill Address: On the Relations of the States and the Federal Government (July 26, 1831), S. 383. 85 Calhoun John C., Speech on the Veto Power (February 28, 1842), S. 493.
2.5 Die (vorläufige) Wiederentdeckung des middle ground
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durch das Veto der Einzelstaaten, durch die „nullification“, garantiert werden konnten. Die Steuerfrage mag den Impuls zu Calhouns Nullification-Theorie gegeben haben; im Zukunftshorizont seines radikalen Föderalismus lag indessen die Sklavereifrage, denn es war in erster Linie die „peculiar institution“ des Südens, welche die Nullification-Theorie schützen wollte. Aus Madisons Perspektive, der von Calhoun ja als intellektuelle Autorität zur Legitimierung seiner Verfassungstheorie bemüht worden war, war Calhouns Nullification indessen nichts anderes als ein Rückfall in das Chaos der Periode vor 1787 und die Verwandlung des „federal government“ in eine „mere league“.86
2.5 Die (vorläufige) Wiederentdeckung des middle ground Der Text der amerikanischen Bundesverfassung schien zu Beginn der 1830er Jahre weit davon entfernt, eine einfache und deutliche Antwort auf die Frage zu geben, wie die Beziehungen zwischen Einzelstaaten und Bundesstaat zu regeln seien, was die founding fathers mit dem Begriff federal government genau gemeint hatten und welche Bedeutung dies für die Zukunft der Union hatte. Die Nullification-Debatte führte weniger zu einer Klärung dieser Frage, als zu einer Ausdifferenzierung verschiedener Interpretationsmuster. Während Calhouns radikaler Föderalismus auf der einen Seite des Interpretationsspektrums dominierte, standen am anderen Ende die Whigs um Daniel Webster, die eine an John Marshall angelehnte Verrechtlichung des föderalen Konflikts anstrebten, indem sie dem Supreme Court die letztinstanzliche Interpretationskompetenz über die Bundesverfassung zuschrieben. Dazwischen bildete sich ein an Madisons middle ground orientierter moderierender Föderalismusdiskurs heraus, der nach einer Balance zwischen States’ Rights einerseits und einer handlungsfähigen Bundesregierung andererseits suchte. Zu den prononciertesten Vertretern dieser Linie gehörte Edward Livingston.87 Die Nullification-Debatte führte somit zu einer Neukonfiguration des amerikanischen Föderalismusdiskurses, in welchem sich nach der „era of mixed feelings“ zwischen nationalists und States’ Rights letztlich eine Madison’sche Linie vorerst wieder durchsetzte.88 Freilich drohten auf beiden
86 James Madison an Richard Rush, 17. Januar 1829, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, IV, S. 6. 87 Vgl. Whittington Keith E., The Political Constitution of Federalism in Antebellum America; Wilson Major L., „Liberty and Union“; Les Benedict Michael, States’ Rights, State Sovereignty, and Nullification, S. 185. 88 Vgl. McDonald Forrest, States’ Rights and the Union, S. 71–96.
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Seiten von Madisons middle ground permanent die Gefahren von consolidated government einerseits und von disunion andererseits – ein Konflikt der letztlich erst im Bürgerkrieg der 1860er Jahre gelöst wurde. Wie verwickelt gerade auch die begriffshistorische Problematik zum Föderalismus in den Vereinigten Staaten nach den Nullification-Debatten blieb, vermag vielleicht eine kleine Anekdote zu illustrieren. Thomas Caute Reynolds, ein Abgänger der University of Virginia und späterer Befürworter der Sezession, veröffentlichte 1842 seine an der Universität Heidelberg bei Karl Joseph Anton Mittermaier entstandene und in lateinischer Sprache verfasste Dissertation über den Ursprung und die Entwicklung des Jury-Systems, nachdem er sich seit 1839 in Deutschland aufgehalten und studiert hatte.89 Zurück in den Vereinigten Staaten korrespondierte er mit diversen Rechtsgelehrten über sein Buch, u. a. mit dem deutsch-amerikanischen Intellektuellen und Freund Mittermaiers Francis Lieber und mit Joseph Story, dem Schüler John Marshalls und Richter am US-Supreme Court. Gewidmet hatte er seine Dissertation einem der führenden Intellektuellen der amerikanischen Südstaaten, Hugh S. Legaré. In dieser ebenfalls in lateinischer Sprache geschriebenen Widmung wollte Reynolds Legaré als Justizminister der Vereinigten Staaten ansprechen, was ihm aber etwas Kopfzerbrechen einbrachte, wie er an Joseph Story schrieb: „The use of the word Unio in the Dedication must have attracted your attention of its want of Latinity in that sense. The erudition & kindness of Dr. Lieber have furnished me with what I may call ‚all the learning’ on the point & he thinks confoederatio the better word – and his scholarship carries of course conviction with it.“ Reynolds folgte indessen Francis Liebers Vorschlag nicht, und verteidigte sich gegen den antizipierten Einwand von Story, dass er das Wort „unio“ „not without knowledge of its want of Latinity in that sense“ verwendet habe. „The Latins have no word to express the nature of our Government: because they had not the thing“ argumentierte Reynolds weiter, um seine Begriffsinnovation zu rechtfertigen. Und wäre die Beispiellosigkeit des amerikanischen Systems nicht schon Bürde genug, hatte man auch noch die Verfassungsdiskurse der Gegenwart zu berücksichtigen: Foedus & confoederatio struck me at the time as leaning a little towards nullification – Civitates foderatae had the same fault & was too clumsy. Our U. S. Government is no Respublica or Common-wealth in the sense of either the Latin or the English word – so I boldly transferred Union (anglicé) into the Latin, in which unio (latiné) means a mere physical one-ness, fusio, commixtio.90
89 Reynolds Thomas Caute, De vera judicii juratorum. Zu Reynolds vgl. O’Brien Michael, Conjectures of Order, I, S. 140. 90 Thomas Caute Reynolds an Joseph Story, 3. September 1843, in: LC, Joseph Story Correspondence, Vol. 7, 4 000154.
2.5 Die (vorläufige) Wiederentdeckung des middle ground
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In Zeiten der Nullification-Debatten waren die Worte zur Bezeichnung des amerikanischen politischen Systems sorgfältig abzuwägen – selbst wenn man in Latein schrieb.
3 Fédéralisme und die eine und unteilbare Republik. Föderalismussemantik und historische Erfahrungsdeutung in Frankreich Als Alexis de Tocqueville im Mai 1831 zusammen mit seinem Freund Gustave de Beaumont die Vereinigten Staaten besuchte und die föderale Struktur der Vereinigten Staaten zu studieren begann, war die amerikanische Öffentlichkeit noch ganz von der Nullification-Krise aufgewühlt. Einige Jahre später, 1835, versuchte Tocqueville seinem französischen Publikum den amerikanischen Föderalismus zu erklären, indem er auf Madisons Beschreibung zurückgriff und – ganz wie dieser – die Armut der politischen Sprache in der Beschreibung dieses föderalen Gebildes thematisierte. „L’esprit humain invente plus facilement les choses que les mots: de là vient l’usage de tant de termes impropres et d’expressions incomplètes“, so Tocqueville in einer Reflexion, die derjenigen Madisons im Federalist No. 37 nicht unähnlich scheint. In Nordamerika habe man nun mit dem Bundesstaat von 1787/89 eine Regierungsform gefunden, „qui n’était précisément ni nationale ni fédérale; mais on s’est arrêté là, et le mot nouveau qui doit exprimer la chose nouvelle n’existe point encore.“1 Vorläufig habe man sich jedoch trotz der damit einhergehenden Ungenauigkeit auf eine Bezeichnung verständigt: „Ce gouvernement, si différent de tous les autres, reçoit le nom de fédéral.“2
3.1 Die république fédérative und die politische Sprache des Ancien Régimes Zum Zeitpunkt als Tocqueville den amerikanischen Bundesstaat analysierte und ihn in einer Madison’schen Wendung als „ni nationale ni fédérale“ bezeichnete, hatten die Begriffe fédéral, fédératif, fédération und fédéralisme im politischen Diskurs Frankreichs seit der Revolution bereits eine wechselhafte Geschichte hinter sich.3 Während das Wort fédératif 1748 bei Montesquieu bereits auftauchte, wurden fédéral, fédération und fédéralisme vornehmlich im nahen Vorfeld oder
1 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, S. 160–161. 2 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, S. 161. Vgl. zu Tocquevilles Sprachbewusstsein genau an diesem Punkt des Föderalismusbegriffs Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 79. 3 Vgl. Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France; Hintze Hedwig, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution; Ozouf Mona, Föderalismus; Ozouf Mona, Föderation; Forrest Alan, Federalism.
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3 Fédéralisme und die eine und unteilbare Republik
im Zuge der Revolution geprägt.4 In der vor-revolutionären politischen Literatur tauchte Montesquieus république fédérative regelmäßig auf, obwohl der Begriff womöglich in den Vereinigten Staaten einen größeren Einfluss ausübte, als in Montesquieus französischer Heimat. Der Abbé de Mably hatte etwa in seinen Observations sur l’histoire de la Grèce auf Montesquieus république fédérative zurückgegriffen, um die Konföderationen der Antike zu diskutieren und ganz in dessen Argumentationslinie auf die Kombination von Stärke gegen Außen und Frieden gegen Innen hingewiesen.5 Wie Hedwig Hintze in Bezug auf die vor-revolutionäre Semantik der république fédérative konstatiert hat, war diese mit einer „Unklarheit“ behaftet, da sie kaum erlaubte, verschiedene Intensitätsgrade der Assoziation zu differenzieren. Es sei in der Regel nicht deutlich auszumachen, ob die Autoren „einen föderierten Staat, wie die Schweiz und die Niederlande, oder ein überstaatliches Gebilde, eine Föderation der Staaten Europas, einen Völkerbund etwa, im Auge gehabt“ hätten. „Die Grenzen sind fließend, und der Terminus ‚république fédérative’ lässt sich auf verschiedenartige föderative Gebilde, ohne Berücksichtigung von Gradunterschieden gleicherweise anwenden.“6 Confédération und république fédérative wurden in der Regel als Synonyme verwendet. So hieß es etwa in de Felices Encyclopédie von 1772: „Lorsque plusieurs souverainetés s’unissent & se lient entr’elles par une alliance offensive, envers & contre tous, à perpétuité, elles forment un corps qu’on appelle confédération ou république fédérative.“7 Wie die Encyclopédie weiter ausführte, konnte sich diese république fédérative sowohl auf die damit verbundenen politischen Handlungseinheiten und ihre intermediären Institutionen beziehen, als auch durch ihre Gesetzgebung direkt auf die Individuen wirken: „On ne compte pas la confédération par ses sujets: on compte les villes, les provinces qui la composent. Chacun demeure sujet de son premier souverain. Cependant chacun est assujetti aux loix générales, soit politiques, soit de police, qui émanent du conseil général pour l’intérêt commun, & aux loix particulières de son pays.“ Dass damit das Problem
4 Vgl. Rey Alain (Hrsg.), Dictionnaire historique de la langue française, S. 838. „Fédéral“ wird in der Regel auf Brissot zurückgeführt (1789), „fédération“ auf die Revolutionsfeste (1790), „fédéralisme“ auf Robespierre (1772). Vgl. Koselleck Reinhart, Art. Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 638 Fußnote. Zu Montesquieus Föderalismus vgl. Ward Lee, Montesquieu on Federalism and Anglo-Gothic Constitutionalism. 5 Mably Gabriel Bonnot Abbé de, Observations sur l’histoire de la Grèce, S. 26–28. Zu Mably vgl. Baker Keith Michael, A Script for a French Revolution. 6 Hintze Hedwig, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution, S. 68. 7 Felice de M., Encyclopédie ou dictionnaire universel raisonné des connaissances humaines, Tome 10, S. 760. Hervorhebungen im Original.
3.1 Die république fédérative und die politische Sprache des Ancien Régimes
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einer doppelten Souveränität aufgeworfen wurde und damit die zeitgenössisch viel diskutierte Gefahr des Imperium in Imperio einher ging, schien den Autoren der Encyclopédie indes wenig Kummer zu bereiten: „Il n’y a rien d’incompatible. Est-on sujet de deux souverains? La subjection est-elle divisée? C’est disputer des termes.“8 Der Streit um Worte, und insbesondere um das Wort république fédérative, wurde im französischen politischen Diskurs nicht zuletzt auch durch die Auseinandersetzungen mit der Amerikanischen Revolution und der ihr folgenden Versuche einer konstitutionellen Neuordnung der dreizehn ehemaligen Kolonien dynamisiert.9 1778 erschienen die ersten, von Benjamin Franklin angeregten und von Rochefoucauld besorgten Übersetzungen der amerikanischen Staatsverfassungen und am Vorabend der Französischen Revolution hatten u. a. Mably, Turgot, Brissot und Condorcet teilweise euphorisch, teilweise zurückhaltend über die Bedeutung der Amerikanischen Revolution für Europa und über das Amerika der Articles of Confederation geschrieben.10 Mably diskutierte etwa mit Montesquieus Begriff der „république fédérative“ die Staatsform der Vereinigten Staaten unter den Articles of Confederation in seinen Observations sur le gouvernement et les lois des Etats-Unis d’Amérique.11 Dieses Buch löste in Frankreich am Vorabend der Revolution eine Debatte aus, in welcher die Amerikanische Revolution und die daraus hervorgegangene politische Ordnung intensiv diskutiert wurden und nicht nur zur Veröffentlichung von Filippo Mazzeis Recherches historiques et politiques sur les Etats-Unis de l’Amérique führte, sondern auch Turgot zu einer Beurteilung der Articles of Confederation veranlasste und John Adams zu seiner Defense of the Constitutions of Government of the United States motivierte.12 Gerade die föderativen Züge der Articles of Confederation wurden in diesen Debatten indessen oft zum Ziel der Kritik. Turgot meinte in einem 1778 geschriebenen und 1784 veröffentlichten Brief an den walisischen Philosophen Richard Price, er sehe in der „union générale des provinces entre elles […] point une coalition, une fusion de toutes les parties, qui n’en fasse qu’un corps un et homogène. Ce
8 Felice de M., Encyclopédie ou dictionnaire universel raisonné des connaissances humaines, Tome 10, S. 760. 9 Vgl. Billias George Athan, American Constitutionalism Heard round the World, S. 53–104. 10 Vgl. Bourne Henry E., American Constitutional Precedents in the French National Assembly; Appleby Joyce, The Jefferson-Adams Rupture an the First French Translation of John Adams’ Defence; Mintz Max M., Condorcet’s Reconsideration of America as a Model for Europe; Dippel Horst, Condorcet et la discussion des constitutions américaines en France avant 1789. 11 Mably Gabriel Bonnot Abbé de, Observations sur le gouvernement et les lois des Etats-Unis d’Amérique, S. 8. 12 Vgl. hierzu Slauter Will, Constructive Misreadings.
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n’est qu’une agrégation de parties toujours trop séparées, et qui conservent toujours une tendence à se diviser, par la diversité de leurs lois, de leurs mœurs, de leurs opinions; par l’inégalité de leurs progrès ultérieurs.“13 Mit diesem Urteil konnten sich in Nordamerika vielleicht einige radikale Federalists einverstanden erklären und eine ähnlich skeptische Einschätzung der Lage unter den Articles of Confederation wurde zu einem wichtigen Impuls, um Legitimität für die neu vorgeschlagene Verfassung zu gewinnen. Als dann die ersten Kopien dieser neuen amerikanischen Bundesverfassung indessen in Frankreich ankamen, war die Gesellschaft des Ancien Régimes bereits am Auseinanderbrechen – und dies nicht ohne Folgen für die Rezeption des gleichzeitig in Nordamerika grundlegend transformierten Föderalismuskonzepts.
3.2 Fédération und fédéralisme. Vom Fraternisierungszum Denunziationsbegriff Als Dominique de Pradt 1820 über den Sprachgebrauch seiner französischen Zeitgenossen und über den Wandel der Referentialität zwischen Worten und Dingen seit der Revolution reflektierte, kam er zum Urteil: „Aujourd’hui, en France, les noms sont comme les langues, divisés en langues mortes et en langues vivantes: 1789 fait la ligne de démarcation. La nouvelle France date de là: ce qui est au-delà est pour elle de l’histoire ancienne, qui inspire plus d’intérêt qu’aux savans et à quelques intéressés.“14 Die Französische Revolution markiert in der französischen Begriffsgeschichte jener Worte, die sich auf das Lateinische foedus zurückführen lassen, in der Tat eine „ligne de démarcation“, wie de Pradt meinte. Sie steckt eine komplizierte und von einem beschleunigten semantischen Wandel geprägte begriffsgeschichtliche Episode ab, deren Folgewirkungen indessen bis weit ins 19. Jahrhundert hineinreichten. Zu Beginn der Revolution war das Wort fédération ein Begriff von symbolischer Integrationskraft. Die Nationalgarde hatte sich dieses Begriffs ebenso bedient, wie die zahlreichen lokalen Bewegungen, die während der „grande peur“ ihren Zusammenhalt und ihre Solidarisierung mit dieser Selbstbezeichnung einzufangen versuchten.15 Die „fête de la
13 Turgot, Lettre au Docteur Price sur les constitutions américaines, S. 536. Hervorhebungen im Original. 14 Pradt Dominique Georges Frédéric de, Petit catéchisme à l’usage des Français, sur les affaires de leur pays, S. 139. 15 Vgl. Ozouf Mona, Föderation, S. 68–75. Zum Fraternisierungsdiskurs vgl. auch Ambroise-Rendu Anne-Claude, Fraternity. Zu den unterschiedlichen Karrieren der Begriffe „fédéralisme“ und „fédération“ vgl. Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 19–25.
3.2 Fédération und fédéralisme. Vom Fraternisierungs- zum Denunziationsbegriff
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fédération“ schließlich, die am Jahrestag des Sturmes auf die Bastille am 14. Juli 1790 auf dem Pariser Champ de Mars abgehalten wurde, wurde zu einem Akt der nationalen Verbrüderung stilisiert, in welchem unterschiedliche politisch-soziale Handlungseinheiten in der quasi performativ hergestellten Nation aufgingen. Auf symbolischer und ikonographischer Ebene wurde diese Akzentuierung der Einheit in der Allegorie der Concordia oder im Bild der ineinander greifenden Hände repräsentiert.16 Der Begriff der fédération steht hier noch ganz im Zeichen des politischen und geselligen Zusammenführens, der Fraternisierung und der Vereinheitlichung hin auf die Nation. Signifikant für die Entwicklung des Föderalismusdiskurses in der politischen Kultur der Französischen Revolution ist indessen in diesem Zusammenhang, dass das „social imaginary of the revolution“, um Sarah Mazas Wendung aufzunehmen, gerade von der Weigerung geprägt war, „to draw any distinctions within the supposedly unanimous revolutionary peuple.“17 Nicht das Zusammengesetzte und sich gegenseitig Kontrollierende der compound republic Madisons taucht hinter dem Begriff der fédération auf, sondern das Verschmelzen und Einswerden auf die homogen gedachte Nation, auf das souveräne Volk hin. Im Begriff der fédération bündelt sich, in den Worten Mona Ozoufs, „le rêve de l’unité de l’homogénéité nationales.“18 Diese teilweise bereits zu Beginn der Revolution virulente Vorstellung eines unteilbaren und zur Einheit verschmolzenen Volkes radikalisierte sich im Zuge der revolutionären Dynamik und dies nicht ohne Folgen für die Begriffe fédération und fédéral, die rasant an sozialer und politischer Integrationskraft einbüßten. War die Nation zu Beginn noch auf den symbolischen Akt des se fédérer angewiesen, verschob sich die Semantik dieses Begriffs – war die eine und unteilbare Nation einmal mit der einen und unteilbaren Souveränität, dem einen und unteilbaren Volk und der einen und unteilbaren Republik in Eins gesetzt und mit der Revolution schlechthin identifiziert worden – hin zu einer Bezeichnung partikulärer und konterrevolutionärer Kräfte. Während der Begriff fédération nun fast ausschließlich in seiner Relation zu den Revolutionsfesten auftaucht, wurden die Begriffe fédéralisme und daran gekoppelt état fédéral oder système fédérative nun zusehends mit einer pejorativen Bedeutung versehen. Als die Begriffsprägung fédéralisme 1792 in nennenswerter Weise in den politischen Sprachgebrauch der Revolution Einlass fand, war damit weniger ein komplexes politisches Konzept verbunden, zu welchem es sich im amerikanischen
16 Vgl. Ozouf Mona, La Fête révolutionnaire, 1789–1790, S. 65–68. 17 Maza Sarah, The Social Imaginary of the French Revolution, S. 107. Vgl. hierzu auch Rosanvallon Pierre, Revolutionary Democracy, S. 82. 18 Ozouf Mona, La Révolution Française et la perception de l’espace national, S. 598.
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3 Fédéralisme und die eine und unteilbare Republik
Diskurs allmählich entwickelte, als viel eher „a bitter and concerted campaign of political denigration.“19 Genau zu jenem Zeitpunkt, im Herbst 1792, als die erste französische Übersetzung des Federalist der französischen Öffentlichkeit eine Erläuterung des föderalen Systems der amerikanischen république sœur ermöglicht hätte, war der semantische Nährboden für die Aufnahme der Argumente Madisons, Hamiltons und Jays mehr als ungünstig geworden, wie M. J. Sydenham festgestellt hat: „[T]he word ‚federal‘, which had hitherto signified patriotic unity, became a term of political opprobrium and proscription.“20 Dieser rasche semantische Wandel lässt sich auf verschiedene Assoziationsfelder zurückführen, mit welchen die Begriffe fédéralisme und fédéral im Zuge der beschleunigten Revolutionsdynamik und der wachsenden Deutungsmacht der Montagnards und deren Beanspruchung, die einzig wahren Interpreten des revolutionären Gemeinwillens zu sein, ab dem Herbst 1792 nun zusehends in Verbindung gebracht wurden.
3.3 Die eine und unteilbare Republik, das Zweikammersystem und die Erinnerung ans Ancien Régime Zum einen erinnerte der Begriff die Revolutionäre an genau jene intermediären Strukturen zwischen Volk und Nation, an jenen Korporatismus der Provinzen, Stände und Zünfte des Ancien Régimes, welche die Revolution zu zerstören angetreten war.21 Die revolutionäre Kraft der Revolution wandte sich genau gegen diese intermediäre Organisation der Gesellschaft, welche im Urteil der Revolutionäre nicht nur ihrem Gleichheitsideal entgegenstand, sondern auch die unmittelbare Loyalität der Bürger zur Nation gefährdeten und als aristokratisch gebrandmarkt wurde. Die Provinzen waren in Frankreich nicht selbstregierende Republiken gewesen, wie in Nordamerika die Staaten unter den Articles of Confederation, sondern Teil des aristokratischen Privilegiensystems des Ancien Régimes. „Donner des droits à la province“, kommentierte Olivier Beaud diese erfahrungsgesättigte Wirklichkeitswahrnehmung vieler Revolutionäre treffend, „c’est faire le jeu de l’aristocratie.“22 Als im Herbst 1789 die territoriale Neuglie-
19 Forrest Alan, Federalism, S. 309. 20 Sydenham M. J., The Republican Revolt of 1793, S. 124. Zur Übersetzungsgeschichte des Federalist vgl. de Francesco Antonino, Traduzioni e Rivoluzione; Horowitz Donald, The Federalist Abroad in the World. 21 Vgl. Sewell William H. Jr., The French Revolution and the Emergence of the Nation Form, S. 103–107; Rosanvallon Pierre, Revolutionary Democracy, S. 86–87; Jennings Jeremy, Universalism, S. 146. 22 Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 21.
3.3 Die eine und unteilbare Republik
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derung Frankreichs Gegenstand der Debatten in der Nationalversammlung war, nahm der Abbé de Sieyes genau auf diesen Zusammenhang Bezug: Je sens depuis long-temps la nécessité de soumettre la superficie de la France à une nouvelle division. Si nous laissons passer cette occasion, elle ne reviendra plus, & les Provinces garderont éternellement leur esprit de corps, leurs privilèges, leurs prétentions, leurs jalousies. La France ne parviendra jamais à cette adunation politique si nécessaire pour ne faire qu’un grand Peuple régi par les mêmes Lois & dans les mêmes formes d’Administration.23
Institutioneller Ausdruck dieses Aristokratismus und dieses „esprit de corps“ war das Zweikammersystem, welches in den Augen mancher Revolutionäre eine künstliche Trennung der politischen Gesellschaft schuf, wo hingegen die Repräsentanten nur den einen Gemeinwillen der Nation verkörpern sollten und deshalb mehrheitlich ein Einkammersystem für die einzig legitime Institutionalisierung der legislativen Gewalt gehalten wurde.24 So argumentierte etwa der Abbé de Sieyes am 7. September 1789 in der Konstituante gegen eine „distinctions des Ordres“: „Il n’existe qu’un Ordre dans un Etat, ou plutôt il n’existe plus d’Ordres, dès que la représentation est commune & égale. Sans doute nulle classe de Citoyens n’espère conserver en sa faveur une représentation partielle, séparée & inégale. Ce seroit un monstre politique; il a été abattu pour jamais.“25 In der gleichen Debatte insistierte auch Camille Desmoulins darauf, dass die Transformation vom „Dritten Stand“ zur „Nation“ eine regenerierte Gesellschaft zu schaffen habe, deren Loyalität nur noch die Nation als Referenzpunkt kenne. „Est-ce qu’il y a encore des distinctions de province?“ fragte er in der Debatte um die territoriale Neugliederung Frankreichs die konstituierende Versammlung. „Est-ce que vous voulez nous désunir, nous parquer, nous cantonner? Est-ce que nous ne sommes pas tous une grande famille?“ Die Ausrufung der Nationalversammlung hatte in Desmoulins Perspektive in diesen Fragen bereits Tatsachen geschaffen, auf deren Pfaden nun die weitere Regeneration der Nation fortzufahren habe, indem die politischen Loyalitäten aus dem Bannkreis der Provinzen –
23 Sieyes Emanuel Abbé de, Observations sur le rapport du comité de Constitution concernant la nouvelle organisation de la France, S. 2. Hervorhebungen im Original. Der Begriff der „adunation“, eine neue Wortprägung der Französischen Revolution wird von Pierre Rosanvallon folgendermaßen beschrieben: „It means the process (etymologically, one through which the nation is built) that forges social unity, men making the nation together, sublimating their differences in order to stop viewing one another except as co-equal citizens.“ Vgl. Rosanvallon Pierre, Revolutionary Democracy, S. 87. Vgl. hierzu auch Sewell William H., A Rhetoric of Bourgeois Revolution, S. 131, Fußnote 8. 24 Vgl. Dippel Horst, The Ambiguities of Modern Bicameralism, S. 419–420. 25 Sieyes Emanuel Joseph de, Dire de l’Abbé Sieyes sur la question du véto royal &c, S. 5–6.
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und dies bedeutete auch: aus dem Bannkreis der politischen Institutionen des Ancien Régimes – befreit und auf die Nation übertragen werden sollen: „C’est ainsi que nous, qui venons d’être régénérés par l’Assemblée nationale, nous ne sommes plus de Chartres ou de Montlhéry, nous ne sommes plus Picards ou Bretons, nous ne sommes plus d’Aix ou d’Arras, nous sommes tous Français, tous frères.“26 Die Auseinandersetzung der Revolutionäre mit den politischen Strukturen des Ancien Régimes und ihr politischer Wille, mit dieser Vergangenheit radikal zu brechen, zeitigte auch Auswirkungen auf die Rezeption der amerikanischen Föderativverfassung. Der amerikanische Föderalismus machte sich ja genau intermediäre politische Strukturen wie die Einzelstaaten und Gemeinden zu Nutze, um einerseits eine Republik auf einem großen Territorium zu organisieren und um andererseits zu verhindern, dass sich politische Macht in Körperschaften konzentriert, die sich den multiplen und sektional unterschiedlichen Interessen des Volkes nicht mehr verantwortlich fühlten. Die Teilung des Kongresses in zwei Kammern war von Madison und seinen Mitstreitern in erster Linie als eine Mischform konzipiert worden, in welcher das Repräsentantenhaus die nationale Dimension verkörpern sollte, während der Senat die föderale Dimension verkörperte, beide aber repräsentative Institutionen des Volkes waren.27 Nicht eine vertikale Repräsentation gesellschaftlicher Stratifikation sollte damit eingefangen werden, sondern eine horizontale Repräsentation föderaler Mitbestimmung und Machtteilung. Eine bikamerale Struktur wurde aber von den französischen Revolutionären mehrheitlich vor dem Erfahrungsraum des Ancien Régimes nicht als eine solche national-föderale Mischform gedeutet, sondern als Ausdruck aristokratischen Geistes, als Spaltung der Nation in partikuläre Interessengruppen.28 Das Zweikammersystem roch nach Ständeordnung. Genauso wenig wie die Generalstände den legitimen Anspruch hatten, die Nation zu repräsentieren, da sie diese in ihrer Repräsentation teilte, konnte auch das Zweikammersystem den nationalen Gemeinwillen nicht repräsentieren. Beides war in Sieyes’ Urteil „une représentation partielle, séparée & inégale“. Und auch Condorcet, der sich seit der Amerikanischen Revolution immer wieder mit der politischen Kultur und den konstitutionellen Prinzipien Amerikas auseinander gesetzt hatte und
26 Desmoulins Camille, Œuvres de Camille Desmoulins, I, S. 218–219. Zur Dialektik zwischen regionalen und nationalen Identitäten in Frankreich vgl. auch Agulhon Maurice, Conscience nationale et conscience régionale en France de 1815 à nos jours. 27 Vgl. Madison James, Federalist No. 39, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 240. 28 Vgl. Dippel Horst, The Ambiguities of Modern Bicameralism.
3.3 Die eine und unteilbare Republik
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sich unter den amerikanischen Einzelstaatsverfassungen bezeichnenderweise nur für die unikamerale Verfassung von Pennsylvania richtig begeistern konnte, schrieb am 8. Juli 1788 an seinen Freund Benjamin Franklin, nachdem die ersten Kopien der neu ausgearbeiteten Bundesverfassung in Paris ankamen: J’ai vu, mon cher et illustre confrère, votre nouvelle constitution fédérative, et le discours que vous avez prononcé dans cette occasion. S’il a fallu la faire sur le champ, s’il a été impossible de la combiner autrement, il faudra la mettre au nombre des maux nécessaires; et espérer que les oppositions seront assez fortes pour nécessiter d’ici à quelques années une nouvelle convention. Je vois avec peine l’esprit aristocratique chercher à s’introduire chez vous malgré tant de sages précautions.29
Diesem Deutungsmuster, welches das Zweikammersystem weniger als institutionelle Verkörperung eines föderalen Systems, denn als Regression zu einer aristokratischen Gesellschaft und einer dieser entsprechenden institutionellen Ordnung verstand, lag auch ein anderer Vermittlungszusammenhang zwischen der Konzeptualisierung nationaler Volkssouveränität und legislativer Gewalt zugrunde.30 Während im amerikanischen politischen Diskurs – bei aller Umstrittenheit – eine Teilung und Delegierung von Souveränitätsrechten entlang definierter und damit begrenzter Zuständigkeitssphären für möglich und praktikabel gehalten wurde, schien dies im politischen Diskurs der Französischen Revolution kaum im Rahmen des Sagbaren gewesen zu sein. Souveränität wurde hier fast ausnahmslos im Anschluss an Bodin, Hobbes und Rousseau als einheitlich, homogen und unteilbar verstanden.31 Sieyes, der wohl wirkungsmächtigste politische Theoretiker der Revolution, verortete Rousseaus souveräne „volonté générale“ in der Nation. Anders als Rousseau, der die Idee politischer Repräsentation als inkompatibel mit dem Konzept der „volonté générale“ betrachtete, sah Sieyes demgegenüber das direktdemokratische Modell Rousseaus als Anachronismus an, als eine Idee, die den Bedingungen moderner Territorialstaaten unangemessen sei. In einem Flächenstaat wie Frankreich konnten nur die Repräsentanten der Nation den Gemeinwillen legitimerweise vertreten.32
29 Condorcet an Benjamin Franklin, 8. Juli 1788, in: Franklin Benjamin, The Papers of Benjamin Franklin, Digital Edition: http://franklinpapers.org/franklin. Vgl. hierzu auch Dippel Horst, Condorcet et la discussion des constitutions américaines en France avant 1789. 30 Vgl. Sewell William H. Jr., The French Revolution and the Emergence of the Nation Form, S. 117; Rosanvallon Pierre, Revolutionary Democracy, S. 89–90. 31 Vgl. Nelson Ralph, The Federal Idea in French Political Thought, S. 10–18. 32 Vgl. hierzu Sewell William H. Jr., A Rhetoric of Bourgeois Revolution, S. 45–51; Baker Keith Michael, Sieyès and the Creation of French Revolutionary Discourse; Baczko Bronislaw, The Social Contract of the French.
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Warnend konstatierte er im September 1789, dass es geläufig geworden sei „à considérer le vœu national, comme s’il pouvoit être autre chose que le vœu des Représentans de la Nation; comme si la Nation pouvoit parler autrement que par ses Représentans. Ici les faux principes deviennent extrêmement dangereux.“ Sobald die Möglichkeit in Betracht gezogen werde, dass der Gemeinwille der Nation teilbar sei und dass er aus verschiedenen Partikularinteressen bestehen könne, die ihrerseits Ansprüche auf politische Repräsentation geltend machten, sei die Desintegration der französischen Nation eine Frage der Zeit. Solche „faux principes“, so Sieyes weiter, „ne vont à rien moins qu’à couper, qu’à morceler, qu’à déchirer la France en une infinité de petites Démocraties, qui ne s’uniroient ensuite que par les liens d’une confédération générale, à-peu-près comme les 13 ou 14 Etats-Unis d’Amérique se sont confédérés en Convention générale.“33 Der Föderalismus Nordamerikas verriet in dieser Perspektive „the Revolution’s social vision of unanimity, predicated on the notion of an indivisible people.“34 Denn Frankreich, daran ließ Sieyes keinen Zweifel, „ne doit point devenir un Etat fédéral, composé d’une multitude de Républiques, unies par un lien politique quelconque. La France est & doit être un seul tout, soumis dans toutes les parties à une Législation & à une Administration communes.“35 Der Gemeinwille der souveränen Nation konnte in diesem Verständnis nicht in einer Streuung, Aufteilung und Balancierung von Souveränitätsrechten zwischen unterschiedlichen und mit limitierter Macht ausgestatteten legislativen Körperschaften Ausdruck finden. Die „imagined community“ der französischen Nation war eine homogen gedachte Nation, deren einheitlicher politischer Wille eine ebenso einheitliche und zentrale legislative Gewalt benötigte.36 Dieses „neoclassical vocabulary of civic unity“, wie dieser revolutionäre Diskurs von Patrice Higonnet genannt wurde,37 konnte in einem Föderalismus, wie er dem amerikanischen Bundesstaat zugrunde lag, nur eine innerstaatliche – und letztlich antistaatliche – Fragmentierung des politischen Raumes sehen, der normativ als einheitlich, homogen und kohärent bestimmt wurde.38
33 Sieyes Emanuel Joseph de, Dire de l’Abbé Sieyes sur la question du véto royal &c, S. 10. 34 Maza Sarah, The Social Imaginary of the French Revolution, S. 122. 35 Sieyes Emanuel Joseph de, Dire de l’Abbé Sieyes sur la question du véto royal &c, S. 15. 36 Vgl. Anderson Benedict, Imagined Communities. 37 Higonnet Patrice, The Politics of Linguistic Terrorism and Grammatical Hegemony during the French Revolution, S. 46. 38 Vgl. Ozouf Mona, La Révolution Française et la perception de l’espace national, S. 603–604; Rosanvallon Pierre, Revolutionary Democracy, S. 90.
3.4 „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains.“
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3.4 „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains.“Jakobinischer Diskurs und die Hydra des fédéralisme Beruhten die kritischen Einschätzungen föderativer Ordnungen von Condorcet, Sieyes und anderen zumindest noch auf einer aktiven Auseinandersetzung mit föderalen Prinzipien, radikalisierten die revolutionären Montagnards seit Ende 1792 die bereits bei Sieyes und Condorcet durchschimmernde Kritik und verwandelten den Begriff fédéralisme zuerst zu einem politischen Denunziationsbegriff und anschließend zu einem Begriff, der ein politisches Verbrechen zum Ausdruck brachte. Die Idee, dass die Französische Republik „une et indivisible“ sein sollte, wurde zur Orthodoxie des jakobinischen Diskurses und mit Misstrauen wurden nun all jene Bewegungen beobachtet, welche der revolutionären Deutungsmacht des von den Jakobinern beherrschten Pariser Zentrums Ansprüche nach Selbstverwaltung in den Departementen und Gemeinden entgegenstellten.39 Hauptadressaten des Vorwurfes, Frankreich „föderalisieren“ zu wollen, waren die Girondisten, und darunter insbesondere Jacques-Pierre Brissot und FrançoisNicolas-Louis Buzot, die beide öffentlich ihre Bewunderung für die amerikanische Bundesverfassung kundgetan hatten, ohne indessen damit den politischen Anspruch zu verbinden, aus Frankreich einen Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild machen zu wollen.40 „Quel incensé a rêvé de faire en France quatre-vingttrois républiques confédérées?“ fragte Brissot spöttisch in einem 1792 veröffentlichten Pamphlet. „Les républicains, au moins ceux que je connois, ne veulent que la république ou gouvernement représentatif, dont les quatre-vingt-trois départemens sont les quatre-vingt-trois fractions, co-ordonnées les unes avec les autres, et aboutissant toutes à un centre commun, à l’assemblée nationale.“41 Dass Brissot zudem den Federalist in seiner Zeitschrift Le Patriote François im Oktober 1792 als „le meilleur [ouvrage] qui ait été publié jusqu’à ce jour sur les bases d’un gouvernement fédératif“ gerühmt hatte und es als ein Buch bezeichnete, „qui doit être sans cesse entre les mains des membres de la convention; ce
39 Vgl. Wagner Michael, Revolution, Region und Föderalismus in Frankreich 1789–1799, S. 169– 174; Nicolet Claude, L’idée Républicaine en France (1789–1924), S. 460–461. Kritik an diesem Deutungsmuster bekundet hingegen Biard Michel, Les liliputiens de la centralisation. 40 Zu Brissot und den Girondinsten vgl. Gueniffey Patrice, Cordeliers and Girondins. Zu Brissots Föderalismuskonzept vgl. Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 39–41. 41 Brissot Jacques-Pierre, A tous les républicains de France sur la société des Jacobins de Paris, S. 25–26.
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devroit être leur manuel“,42 trug ihm von Robespierre und Danton den Vorwurf ein, Frankreich föderalisieren, und das hieß in ihrem Sprachgebrauch: zersplittern zu wollen. „Ignorans!“, antwortete Brissot auf diesen Vorwurf und mokierte sich über seine Kritiker bissig, aber wohl begründet: ils ne savent pas que le Fédéraliste est précisément un ouvrage fait contre le fédéralisme, pour ramener à l’unité de gouvernement; à cette unité que je veux, moi, pour la sûreté extérieure de la France, et pour son union interne; qu’ils veulent, eux, parce qu’ils flattent leur peuple de Paris de l’espoir de gouverner, avec cette unité, le reste de la France.43
Weder wollte Brissot mit seiner Auseinandersetzung mit der amerikanischen Föderativverfassung die Einheit der französischen Nation infrage stellen, noch verband er damit den Anspruch, die Französische Republik nach diesem Modell zu gestalten; die Argumente, welche er sich aus dem amerikanischen Föderalismusdiskurs aneignete, waren ihm eher ein Mittel, um gegen den Zentralismus der Montagnards und deren Identifizierung der Interessen der Hauptstadt mit denjenigen der Nation zu argumentieren, nicht gegen deren Unitarismus. Ähnlich argumentierte auch Buzot. „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains“, meinte er im Hinblick auf die unterschiedliche Bedeutung, die diesem Begriff jenseits des Atlantiks anhaftete. Der fédéralisme sei kein „monstre qui doive révolter“, sondern eine politische Idee, für welche sich die großen kontinentaleuropäischen Philosophen ebenso interessierten wie die Gründungsväter der amerikanischen Republik: Le fédéralisme est peut-être, pour les vastes pays où l’on veut réunir les avantages d’une liberté bien ordonnée dans l’intérieur avec ceux d’une réunion puissante de toutes les forces de l’Etat à l’extérieur, le mode de gouvernement républicain qui convient le mieux à un grand peuple: c’est l’opinion de Montesquieu et de J.-J. Rousseau, qui mérite bien assurément d’être discutée; et quand on n’aurait pour la soutenir avec force auprès d’une nation sage et éclairée, que l’exemple des Etats-Unis de l’Amérique, cela ne suffirait-il pas pour lui obtenir la plus respectueuse attention?
Der fédéralisme, so Buzot weiter gegen die von den Montagnards bemühte Gleichsetzung von fédéralisme und „morcellement“ der Nation, „n’exclurait pas l’unité et l’indivisibilité de la république.“44
42 Le Patriote François. Journal libre, impartial et national, No. 1151, 4. Oktober 1792, S. 384. Zur Übersetzungs- und Rezeptionsgeschichte des Federalist vgl. de Francesco Antonino, Traduzioni e Rivoluzione; de Francesco Antoninio, Interpreting the French Republican Political Model. 43 Brissot Jacques-Pierre, A tous les républicains de France sur la société des Jacobins de Paris, S. 26. 44 Buzot François-Nicolas-Louis, Mémoires sur la Révolution Française, S. 49–50.
3.4 „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains.“
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Diese Argumente waren freilich aus der Defensive hervorgebracht, denn der Begriff fédéralisme war zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem politischen Kampfbegriff geworden, mit welchem die Jakobiner all jene denunzierten, welche sich auch nur im Ansatz gegen die Vorherrschaft des Pariser Zentrums wehrten. Dieser Prozess verschärfte sich im Verlaufe des Jahres 1793 als sich der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Paris und einigen Teilen der ehemaligen französischen Provinzen, welche im Prozess der territorialen Neugliederung im Winter 1789/90 zu Departements umgestaltet wurden, zuspitzte und im Sommer 1793 im Bürgerkrieg eskalierte.45 Die Pariser Montagnards sprachen fortan von „révoltes fédéralistes“ oder „insurrections fédéralistes“, die in den Departements ausgebrochen seien, verknüpften den Begriff fédéralisme nun mit einer aristokratischen Gesellschaftsordnung und verwandelten ihn zum Ausdruck einer konterrevolutionären Doktrin.46 Diese enge semantische Verknüpfung zwischen fédéralisme, aristokratischer Gesellschaftsordnung und konterrevolutionärer Ideologie verdeutlicht ein Aufruf des Marseiller Jakobiners Isoard. Nachdem er in den Wochen zuvor Marseille verlassen hatte, um in Paris über die Aktivitäten der „révoltes fédéralistes“ in Südfrankreich zu berichten, kam er im September 1793 nach Marseille zurück und rief seine Mitbürger auf: La société de Marseille, que les armes républicaines viennent de rétablir, a délibéré de prendre des mesures définitives pour sauver avec le Midi de la France, le génie de la liberté, qui doit être le dieu tutélaire de la République. […] Levez-vous donc, peuple des départements méridionaux. Écrasons la dernière tête de l’hydre fédéraliste. […] Envoyez-nous des députés qui rendus ici le 1er octobre forment un congrès républicain, qui assurent pour jamais le triomphe de nos contrées méridionales, sur le débris de l’aristocratie, du fédéralisme et du brissotisme expirant.47
Die Metapher der Hydra, welche in der vorrevolutionären Literatur zur Allegorie der aristokratischen Ordnung gemacht worden war (siehe Abb. 1), wurde nun zur Allegorie einer angeblichen föderalen Umgestaltung der Republik unter der Regie Jacques-Pierre Brissots. Aus der „hydre aristocratique“ des Ancien Régimes war die „hydre fédéraliste“ der Revolution geworden.
45 Vgl. Paul R. Hanson, The Jacobin Republic under Fire; Wagner Michael, Revolution, Region und Föderalismus in Frankreich 1789–1799; Edmonds Bill, Federalism and Urban Revolt in France in 1793; Sydenham M. J., The Republican Revolt of 1793. 46 Zu dieser engen semantischen Verknüpfung vgl. auch Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 31–33. 47 Zitiert nach Cousin Bernard, Avant-propos, S. 5.
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Abb. 1: L’Hydre Aristocratique, Paris 1789. © Bibliothèque nationale de France.
Diese Bildsprache fand ihren Ausdruck in einem revolutionären Fest, welches im August 1793 offiziell zum Gedenken an den Sturm auf die Tuilerien, de facto aber auch zur Zelebrierung des Kampfes gegen den fédéralisme inszeniert wurde.48 Die „Fête de l’unité et de l’indivisibilité de la République Française“, wie das von Jacques-Louis David orchestrierte Revolutionsfest hieß, inszenierte einen nach verschiedenen Stationen organisierten Umzug durch die Pariser Innenstadt (siehe Abb. 2). An der Bastille sammelten sich die verschiedenen Gruppen des Umzugs, wobei die Vertreter der Departemente eine Kette um die Vertreter des Nationalkonvents bildeten, „unis les uns les autres par le lien léger, mais indissoluble de l’unité & de l’indivisibilité, que doit former un cordon tricolore.“49 So zog man von der Bastille über den Boulevard Poissonière zum Arc de Triomphe, wo eine Freiheitsstatue an die Exekution des Königs erinnerte, und von da zum Place des Invalides.
48 Vgl. Hunt Lynn, Politics, Culture, and Class in the French Revolution, S. 96–98. Vgl. hierzu auch Baecque Antoine de, The Allegorical Image of France; Rosanvallon Pierre, Revolutionary Democracy, S. 79–97. 49 [Anon.], Recueil complet de tout ce qui s’est passé à la Fête de l’Unité et l’Indivisibilité de la République Française, S. 2.
3.4 „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains.“
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Abb. 2: Vue des six différentes stations de la fête de l’unité et l’indivisibilité de la République Paris 1793. © Bibliothèque nationale de France.
„[A]u milieu de la place sur la cîme d’une montagne“, notierte ein Berichterstatter des Festes, stand eine Statue des Herkules (siehe Abb. 3),50 welcher „le Peuple Français“ repräsentierte, de les bras vigoureux rassemblant le faisceau départemental, l’ambitieux fédéralisme sortant de son fangeux marais, d’une main écartant les roseaux, s’efforce de l’autre d’en détacher quelque portion; le peuple français l’aperçois, prend sa massue, le frappe, & le fait entrer dans ses eaux croupissantes, pour n’en sortir jamais.51
Auf einer neben der Statue aufgestellten Tafel war der Satz eingraviert „L’aristocratie, après cent formes diverses, le peuple tout puissant l’a par-tout
50 Zur Symbolgeschichte des Herkules während der Revolution vgl. Hunt Lynn, Hercules and the Radical Image in the French Revolution. 51 [Anon.], Recueil complet de tout ce qui s’est passé à la Fête de l’Unité et l’Indivisibilité de la République Française, S. 5.
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Abb. 3: Le Peuple Français Terrassant Le Fédéralisme, Detail aus: Vue des six différentes stations de la fête de l’unité et l’indivisibilité de la République Paris 1793. © Bibliothèque nationale de France.
renversée“52 und ein Redner erklärte dem Publikum die Symbolsprache: „Le géant dont la main puissante réunit et rattache, en un seul faisceau les départemens qui font sa grandeur et sa force, c’est toi! Ce monstre dont la main criminelle veut briser le faisceau, et séparer ce que la nature a uni, c’est le fédéralisme.“53 Danach wurde ein Lied angestimmt, in welchem gesungen wurde: Français, à la douce espérance Livrons sans contrainte nos cœurs; Peuple, de bonnes loix en France Peuvent mettre fin à tes malheurs; Regarde le fédéralisme! Sortant de son fangeux marais, Il vouloit nous diviser, mais, O pouvoir du patriotisme! Le peuple au même instant De son bras triomphant Confond ce monstre affreux dans la nuit du néant.54
52 [Anon.], Recueil complet de tout ce qui s’est passé à la Fête de l’Unité et l’Indivisibilité de la République Française, S. 8. 53 [Anon.], Recueil des six discours prononcés par le président de la Convention Nationale, le 10 Août l’an 2me. de la République, aux six stations de la Fête de l’unité & de l’indivisibilité de la République, S. 4. 54 [Anon.], Hymne et station, ou serment de la République Française, une et invisible au champ de la fédération, L’anniversaire du 10 août 1793, S. 2–3.
3.4 „Le reproche qu’on nous fait d’être fédéralistes doit bien étonner les Américains.“
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Die antike Überlieferung des Kampfes zwischen Herkules und der vielköpfigen Hydra wurde in dieser Inszenierung übertragen auf den Kampf des einen und unteilbaren Volkes (=Herkules) gegen den Diversität und Spaltung repräsentierenden Föderalismus (=Hydra). Sowohl die eingravierte Tafel am Place des Invalides, als auch die Positionierung dieser Station im Repräsentationsverlauf verknüpften den fédéralisme zudem mit der Aristokratie.55 Die Figur des mit einer Jakobinermütze ausgestatteten Herkules, der mit einer Keule die aus dem Sumpf aufsteigende Hydra des Föderalismus erschlägt, die ihrerseits noch mit einer Hand nach dem Band greift, welches das die Einheit der Departemente symbolisierende Bündel zusammenhält, stand unmittelbar nach jener Station auf dem Umzugsprogramm, welche die Abschaffung der Aristokratie, die Exekution des Königs und den Gewinn der Freiheit reinszenierte. Der Sinn der Repräsentationsprogression war also klar: das Volk gewann seine Freiheit, indem es zur Einheit fand, die Aristokratie und die damit assoziierte Diversität abschaffte und den König tötete, und es verteidigt nun diese gewonnene Einheit und Freiheit gegen den zersetzenden fédéralisme. Fédéralisme verband sich im Diskurs der Montagnards also mit der Zerstückelung von Herrschaftsräumen, die normativ als homogen und kohärent bestimmt wurden; er war konterrevolutionär, weil er die revolutionäre Dynamik des Pariser Zentrums infrage stellte, und gegen die Nation gerichtet, weil er diese in ihrer Homogenität und Einheitlichkeit unterlief; er war aristokratisch, weil er zu nahe an jenen intermediären politischen Strukturen lag, welche an die Stände und Privilegienordnung des Ancien Régimes erinnerten. Während der terreur wurde fédéralisme gar zu einem politischen Verbrechen. Als André Amar am 3. Oktober 1793 die Anklageschrift gegen die Deputierten der Gironde verlas, bestand ein Tatbestand darin, dass sich Brissot, Condorcet, Buzot und andere zum fédéralisme bekannt hätten: „Il a existé une conspiration contre l’unité et l’indivisibilité de la République, contre la liberté et la sûreté du peuple français“, kündigte Amar an, um dann diesen Vorwurf der Verschwörung mit dem Hinweis auf das angebliche politische Programm der Girondisten zu konkretisieren: „[I]ls rappeloient par des nouvelles clameurs la prétendue force départementale; ils invitoient de nouveau les administrations à l’envoyer contre Paris, et à se séparer de la Convention nationale. Ils professoient hautement la doctrine du fédéralisme.“56 Wer sich im Herbst 1793 zum
55 Vgl. Hunt Lynn, Politics, Culture, and Class in the French Revolution, S. 96–100. 56 Amar André, Acte d’accusation contre plusieurs membres de la Convention nationale, présenté au nom du Comité de sûreté générale par André Amar, membre de ce Comité, 3 octobre 1793, S. 1 & 35.
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fédéralisme bekannte, riskierte seinen Kopf – und dies nicht im sprichwörtlichen Sinne. In komparativer und transfergeschichtlicher Perspektive zeichnet sich vorerst also ein ironischer begriffsgeschichtlicher Befund ab. Dass sich im revolutionären Diskurs Frankreichs mit dem Begriff fédéralisme ein politisches Programm verbunden hätte, das auf ähnlichen Pfeilern wie der amerikanischen Föderalismus basierte, war nicht der Fall. Zum Zeitpunkt als der nordamerikanische politische Diskurs den Föderalismusbegriff auf eine neue konstitutionelle Grundlage anwandte und damit in signifikanter Weise transformierte, war er in Frankreich zum politischen Schimpfwort geworden. Zwar gab es im Umfeld der Girondisten durchaus Bestrebungen, den Zentralismus der Jakobiner (der auch eine Fortsetzung des Zentralismus der Monarchie war) zu begrenzen und den Gemeinden und Departementen größere Autonomie zuzusprechen; dies blieben aber in der Regel administrative Vorhaben und nicht politische, und schlossen damit an eine Tradition an, die von Turgot über Condorcet hin zu den Girondisten des Jahres 1793 reicht.57 An eine Repräsentation der politischen Gemeinwesen „diesseits des Nationalstaats“ – um eine Wendung Kosellecks aufzunehmen58 – oder gar an eine föderale Trennung von Souveränitätsrechten zwischen Zentrum und Departements wurde indessen nicht gedacht.59 Dennoch: so wenig der Begriff fédéralisme inhaltlich aufgeladen war, so wirkungsmächtig wurde er in seiner pejorativen und konterrevolutionären Bedeutung im französischen politischen Diskurs, oder, in den Worten Bernard Cousins: „Mais si le fédéralisme de 1793 ne fut pas porteur d’un projet fédéraliste, sa dénonciation, sa répression, et la figure négative qu’il a ainsi constituée, a gelé, pour longtemps, toute conception fédérative du pouvoir républicain.“60
57 Vgl. de Francesco Antonino, Naissance et mort d’une démocratie municipale. Pratiques de gouvernement direct dans la révolte fédéraliste; Gueniffey Patrice, Cordeliers and Girondins, S. 104–105. 58 Koselleck Reinhart, Diesseits des Nationalstaates. 59 Vgl. Dorigny Marcel, Pouvoir central et pouvoirs locaux dans les projets constitutionnels girondins de 1793; Forrest Alan, Federalism, S. 312. 60 Cousin Bernard, Avant-propos, 8. Ähnlich auch das Urteil von Olivier Beaud: „En réalité, tout se passe comme si la Révolution française, plus exactement l’épisode tragique du conflit agonal entre les Jacobins et les Girondins, avait rendu impossible ou même impensable l’idée fédérale.“ Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 15. Vgl. hierzu auch Nicolet Claude, L’idée Républicaine en France (1789–1924), S. 445–446 & 460–461.
3.5 Ungleichzeitigkeit und temporale Struktur
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3.5 Ungleichzeitigkeit und temporale Struktur. Confédération und état fédéral als transitorische Ordnungen auf dem Weg zum zentralistischen Einheitsstaat Der amerikanische Schriftsteller Joel Barlow, der sich seit 1788 in Europa aufhielt und dort die Französische Revolution und die mit ihr einhergehenden politischen Ordnungsversuche genau beobachtete, bemerkte 1800 die asymmetrische semantische Konstellation des Föderalismusbegriffs im amerikanisch-französischen Vergleich.61 Als überzeugter Anhänger einer föderal-republikanischen Konstituierung großflächiger Staaten schlug er vor, die Französische Republik in zwanzig Einzelstaaten zu unterteilen und nach dem Vorbild Nordamerikas in einer Föderativverfassung zu organisieren: This republic, for the purposes of interior or local legislation and police, should be organized into about twenty subordinate republics; while, for the purposes of general legislation, exterior relations, defence, commerce, canals, roads, and every common concern, they should remain concentrated in one great union, or community, with a national legislative and executive, restricted in their powers to the simple objects of great national interest; which objects should be defined with the utmost precision in their general constitution.62
Barlow war sich indessen bewusst, dass er damit die mehr als ambivalente Erbschaft der Begriffe fédéralisme und fédéral im französischen Diskurs aufwarf und sah sich deswegen zu einer komparativen Reflexion über die unterschiedlichen Semantiken des Begriffs im amerikanischen und französischen Kontext genötigt: The terms federal, confederacy, and others from the same original, have been proscribed in France during the organization of the republic, because their ordinary meaning refers to a different state of things from what the condition of France admits; and different from what would be their appropriate meaning in this country, were the system adopted which I should recommend; and which appears to me the only one capable of preserving liberty here, and of civilizing Europe.63
Diese unterschiedliche Bedeutung der Begriffe führte Barlow auf eine Ungleichzeitigkeit zwischen der territorialen und staatlichen Integration Frankreichs und Amerikas zurück:
61 Zu Barlow vgl. Kramer Lloyd S., Travelling through Revolutions; Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots, S. 64–87. 62 Barlow Joel, Letters from Paris, to the Citizens of the United States of America, S. 49. 63 Barlow Joel, Letters from Paris, to the Citizens of the United States of America, S. 49.
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To federalize, applied to states, usually signifies to bring towards a union, but not into unity, those that were before distinct and independent. But as France was already one integral state, to federalize France would seem to be to divide and dismember that which was before united, which, in the vocabulary of the revolution, was another word for anarchy and intestine war.64
Der republikanische Diskurs in Frankreich war aufgrund dieser von Barlow hellsichtig beobachteten Ungleichzeitigkeit zwischen Sach- und Begriffsgeschichte bis weit ins 19. Jahrhundert hinein stark von einer negativen Semantik der Begriffe fédéral, fédéralisme und état fédératif geprägt. Fédéralisme und féodalisme hatten nicht nur eine phonetische Ähnlichkeit, sondern verbanden sich im politischen Diskurs mithin auch auf einer inhaltlichen Ebene. Daran erinnerte beispielsweise Jacques Necker in seinen Réflexions sur la République fédérative, einem Kapitel seines Buches Dernières vues de politique et de finance, das 1802 erschien. Nachdem er ausführlich seine Begeisterung für den amerikanischen Föderalismus zum Ausdruck gebracht hatte, machte er auf die unterschiedlichen Bedingungen aufmerksam, welche die intellektuelle Beschäftigung mit dem Föderalismus in Nordamerika und Frankreich in unterschiedliche Richtungen trieb: „Les Américains, divisés en Etats particuliers dès l’origine de leur Nation, ont vu, dans l’acte fédératif qu’ils ont signé, un moyen de rapprochement. Les Français, en adoptant un semblable Gouvernement, se croiroient moins ensemble, unis qu’ils ont toujours été sous une même autorité, ou n’ayant en souvenir que les séparations introduites par le systême féodal.“65 Zudem verwies Necker darauf, dass die Montagnards im Zuge der Revolution die Bezeichnung „fédéraliste“ in ein „mot d’injure“ verwandelt hatten, was die Arbeit am Föderalismusbegriff gleichsam zur politischen Aufgabe jener mache, welche ihn aus dem Dunstkreis der Konterrevolution ziehen und inhaltlich neu besetzen wollten: „On auroit donc à le reprendre ce nom [fédéraliste], à l’expliquer de nouveau; on auroit à le purifier, si jamais on vouloit revenir aux belles idées qu’il représente; mais on est loin de là, tellement loin aujourd’hui, qu’on travailleroit sur la vague, en essayant de tracer le plan circonstancié d’une République Fédérative, applicable à la France.“66 Necker sollte mit seinen skeptischen Einschätzungen recht behalten, denn die pejorative Semantik des Föderalismusbegriffs blieb noch lange an ihm haften. So war etwa noch in einem
64 Barlow Joel, Letters from Paris, to the Citizens of the United States of America, S. 49–50. 65 Necker Jacques, Dernières vues de politique et de finance, S. 258. Zu Neckers Auseinandersetzung mit dem Föderalismuskonzept vgl. Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 41–44. 66 Necker Jacques, Dernières vues de politique et de finance, S. 260–261.
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1833 veröffentlichten Pamphlet, welches Lafayette und seine Anpreisungen des amerikanischen föderalen Republikanismus scharf kritisierte und die Folgen der föderalen Ordnung der Union angesichts der Nullification-Debatten herausstrich, zu lesen: „Le fédéralisme a vaincu l’unité et creé un chaos de lois de plus en plus inextricable. C’est le régime féodal revêtu des formes démocratiques.“67 Hinter dieser Beurteilung verbarg sich der lange Schatten der semantischen Assoziation zwischen fédéralisme und aristokratischer Gesellschaftsordnung, wie sie sich im Zuge der Revolution etabliert hatte und auch die Diskussionen um das zentralistische Erbe von Monarchie und Revolution im postrevolutionären Frankreich prägte.68 Die Idee einer Fragmentierung und Teilung politischer Macht, wie sie dem Föderalismuskonzept Barlows zugrunde lag, entwickelte sich zwar im postrevolutionären Frankreich zu einem wichtigen politischen Diskursstrang an welchem sich die verschiedensten Schattierungen des Liberalismus beteiligten – von einem republikanischen Liberalismus, wie er mit Benjamin Constant oder Alexis de Tocqueville in Verbindung gebracht wird, über die Doctrinaires um François Guizot, bis hin zu einem aristokratischen Liberalismus, wie er in Prosper de Barante oder in Henrion de Pansey zwei seiner Hauptvertreter fand.69 Indessen wurden diese Forderungen nach einer Dezentralisierung und nach einer Fragmentierung und Teilung politischer Macht gerade in der politischen Sprache des aristokratischen Liberalismus und der Doctrinaires in der Regel nicht föderal hergeleitet, sondern sozial. Die aus den Schriften Montesquieus ins 19. Jahrhundert hinüber gerettete Vorstellung, dass Freiheit nur garantiert werden könne, wenn intermediäre Zwischengewalten zwischen Volk und Herrscher vermitteln, wurde von einer Reihe liberaler Schriftsteller wieder aufgenommen, um die aufgeklärten bürgerlichen Eliten als funktionales Äquivalent für die nicht mehr zu restaurierenden aristokratischen Institutionen des Ancien Régimes einzusetzen.70 Dezentralisierung zielte hier gerade nicht, wie bei Constant und Tocqueville, auf die Ermöglichung von Selbstregierung. Statt-
67 [Anon.], Vie politique de Marie-Paul-Jean-Roch-Yves-Gilbert Motié, Marquis de Lafayette, S. 106–107. Vgl. zu dieser Verbindung zwischen „fédéralisme“ und „féodalisme“ auch Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 31–33. 68 Vgl. Rosanvallon Pierre, Etat et société. 69 Vgl. Jaume Lucien, L’individu effacé ou le paradoxe du libéralisme français, S. 281–319; Rosanvallon Pierre, Le moment Guizot; Craiutu Aurelian, Between Scylla and Charybdis; Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville, S. 115–123; Jainchill Andrew, Reimagining Politics After the Terror, S. 287–308; Krause Skadi, Demokratischer Föderalismus. 70 Vgl. Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville, S. 102–103 & 109.
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dessen war sie ein Mittel zur Etablierung elitärer, intermediärer Machtinstanzen und zur Konsolidierung der „France des notables“, was wiederum der Grund dafür war, dass der Föderalismusbegriff unter den republikanischen Kräften so skeptisch beurteilt und nach wie vor als aristokratisch gebrandmarkt wurde.71 Vor dem Hintergrund seines Wissens über die amerikanische Föderativrepublik und gleichzeitig vor dem Hintergrund dieses im französischen Liberalismus virulenten Zusammenhangs zwischen Dezentralisierung und sozialer Hierarchie bemerkte der englisch-amerikanische Radikale Arthur J. Beaumont 1831 über die merkwürdige Karriere des Begriffs fédéralisme im postrevolutionären Frankreich: „Mais de tous les termes dont on se sert pour inspirer de la frayeur aux gens timides et ignorans, aucun ne réussit mieux en France que celui de fédéralisme.“72 Sowohl Barlows und Neckers Beobachtung einer temporalisierten Semantik der Begriffe fédéral oder fédérative, als auch Beaumonts Feststellung des Schreckpotenzials, das dem Begriff fédéralisme im französischen Kontext anzuhaften schien, sind für deren weitere Begriffsgeschichte im 19. Jahrhundert signifikant. Confédération und état fédératif wurden im französischen Diskurs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bisweilen in eine zeitliche Fluchtlinie gespannt, an deren Ende die unitarische und zentralstaatlich organisierte Nation stand. Die Dichte der politischen Assoziation nahm in diesem Deutungsmuster mit dem Geschichtsprozess fortwährend zu und lief gewissermaßen naturläufig auf den einheitlichen und zentralistischen Nationalstaat hinaus, in welchem sich diese Verdichtungsgeschichte schließlich auflöste und dessen historische Spuren nur noch in administrativen Strukturdimensionen erkennbar waren. Confédération oder état fédéral wurden so als transitorische politische Ordnungen auf dem Weg zum unitarischen Zentralstaat konzipiert. So hieß es beispielsweise 1842 in Duclercs und Pagnerres Dictionnaire politique, dass die politische Entwicklung von modernen Staaten zu einer Zentralisierung der politischen Entscheidungskompetenzen tendiere. In föderalen Ordnungen zeige sich dies an der Diskrepanz zwischen der Fortschrittlichkeit der Bundesregierungen und der Rückschrittlichkeit der Einzelstaaten: „Il n’y a de bon dans le système fédéral que ce qui fait l’objet de l’association; endehors, vous ne voyez que faiblesse et misère. A coté de l’union qui existe pour certains intérêts, la division pour les autres est un dissolvant perpétuel dont
71 Vgl. Jardin André/Tudesq André-Jean, La France des notables. 72 Beaumont Arthur J., De la Constitution américaine et de quelques calomnies dont elle a été l’objet de nos jours, S. 23. Zu Arthur J. und zu dessen Bruder Augustus Hardin Beaumont vgl. Maehl William H. Jr., Augustus Hardin Beaumont.
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rien ne peut empêcher les désastreux effets.“73 Föderale Systeme zu stabilisieren sei deshalb politisch heikel, weil damit die zentrifugalen Kräfte institutionell gestärkt und die Gefahr einer Auflösung des politischen Gemeinwesens auf Permanenz gestellt werde, anstatt der als quasi natürlich imaginierten historischen Entwicklungstendenz hin zu einer nationalstaatlichen Konsolidierung ihren Lauf zu lassen und den Staat durch eine stärkere Zentralisierung handlungsfähig zu machen. Auch die Vereinigten Staaten Amerikas, so der Verfasser wohl mit Blick auf die Nullification-Krise, „laissent déjà voir les symptômes de la décrépitude et d’une dissolution prochaine.“74 Dementsprechend wenig ausgeprägt waren im französischen Föderalismusdiskurs auch die Differenzierungen zwischen fédération und confédération oder zwischen état fédéral und confédération d’états. Wie bereits diskutiert, wurde der Begriff fédération seit der Revolution stark auf die symbolische und gesellige Einigung der Revolutionsfeste bezogen, und eignete sich damit im 19. Jahrhundert kaum mehr für die Bezeichnung föderaler politischer Gemeinwesen, die man in einer Differenzbestimmung zum Begriff confédération sprachlich präziser hätte erfassen können. Bezeichnenderweise wurde in französischen Lexika ab den 1830er Jahren die deutschsprachige Begriffsdifferenzierung zwischen „Bundesstaat“ und „Staatenbund“ aufgenommen: „Parmi les diverses formes de confédération les Allemands distinguent d’une manière tranchée entre l’État fédéral (Bundesstaat) et la confédération d’États (Staatenbund).“ Gerade weil in den Begriffen „fédération“ und „confédération“ der Bezug zum Staat nicht schon enthalten ist, wie dies in den deutschen Begriffsprägungen Staatenbund und Bundesstaat der Fall ist, mag sich dieser Begriffsimport angeboten haben, auch wenn dadurch andere semantische Assoziationsräume wiederum eingeschränkt wurden.75 Freilich spielte diese Unterscheidung zwischen „État fédéral ou confédéré“ ohnehin keine große Rolle, wie der Verfasser desselben Artikels argumentierte: „cette nuance dans les mots est de peu d’importance.“76 Die semantische Tragweite dieser „nuance“ scheint in Frankreich erst nach der Revolution von 1848 in nennenswerter Weise in den politischen Reflexionsraum eingeholt worden zu sein und zwar bezeichnenderweise in der intellektuellen Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit der aus der Revolu-
73 Billiard A., Art. Fédéralisme, S. 397. 74 Billiard A., Art. Fédéralisme, S. 397. 75 Vgl. Koselleck Reinhart, Diesseits des Nationalstaates, S. 486. 76 Cauchy F., Art. Confédération, S. 465. Der Import der deutschen Begriffsdifferenzierung zwischen Bundesstaat und Staatenbund findet sich bereits bei Depping Georges-Bernard, Confédération d’états, S. 546.
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tion von 1848 nun in veränderter föderaler Verfassung herausgegangenen schweizerischen Eidgenossenschaft. So argumentierte der Autor des Artikels Confédération in Auguste Otts Dictionnaire des sciences politiques et sociales Mitte der 1850er Jahre, dass es in den „temps modernes“ nun „confédérations“ gäbe, welche sich den tradierten Bedeutungen dieses Begriffs entziehen würden, „qui sortent des limites du simple lien fédératif“. „Les Etats-Unis de l’Amérique, par exemple, forment non-seulement une confédération d’Etats, mais encore, sous un certain rapport, un Etat unique régi par d’autres lois que les lois fédérales.“ „Cette organisation, qui a été adoptée également dans la constitution fédérale de la Suisse en 1848,“ präzisierte der Dictionnaire, „tend à créer une nouvelle forme politique intermédiaire entre les souverainetés une et indivisible et les confédérations proprement dites.“77 Über ein halbes Jahrhundert lang war diese semantische Differenzierung zwischen unterschiedlichen föderalen Gebilden im französischen politischen Diskurs meist unterhalb der Schwelle bewusster Problematisierung geblieben. Daran änderten auch die Ausführungen von Alexis de Tocqueville zur amerikanischen Föderativrepublik nicht sonderlich viel. Dieser hatte bereits 1835 geschrieben, dass es vor allen Dingen eine Aufgabe sei, welche das politische Denken der Amerikaner beschäftige: „de partager la souveraineté de telle sorte que les différents Etats qui formaient l’Union continuassent à se gouverner eux-mêmes dans tout ce qui ne regardait que leur prospérité intérieure, sans que la nation entière, représentée par l’Union, cessât de faire un corps et de pourvoir à tous ses besoins généraux.“78 Auch Tocqueville war sich nicht im Klaren darüber, wie dieses föderale politische Gebilde der Vereinigten Staaten genannt werden sollte. Zumindest schien es sich indessen von bekannten „confédérations“ wie derjenigen der Schweiz, der Vereinigten Niederlande oder des Deutschen Reiches zu unterscheiden. Tocqueville sah gerade in der Teilung der Souveränität „une grande découverte dans la science politique de nos jours“ und erblickte darin jenes Charakteristikum, „qui distingue la constitution fédérale des Etats-Unis d’Amérique de toutes les autres constitutions fédérales.“79 Eine Teilung der Souveränität war hingegen im langen Schatten der „stigmatisation jacobine du fédéralisme“ kaum denkbar,80 woran Pierre-Joseph Proudhon noch 1863 erinnerte. Seit der Hegemonie der Jakobiner ab dem Frühjahr 1793, schrieb er in
77 Ott Auguste, Dictionnaire des sciences politiques et sociales, I, S. 1291–1292. 78 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, S. 115. 79 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, S. 158. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Tocqueville im zweiten Teil dieser Studie. 80 Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 21.
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Du principe fédératif, „tout vestige de fédéralisme a disparu du droit public des Français; l’idée même est devenue suspecte, synonyme de contre-révolution, j’ai presque dit de trahison. La notion s’est effacée des intelligences; on ne sait plus en France ce que signifie le mot de fédération, qu’on pourrait presque croire emprunté au vocabulaire sanscrit.“81
81 Proudhon Pierre-Joseph, Du principe fédératif, et de la nécessité de reconstituer le parti de la Révolution, S. 121.
4 Föderativnation, Staatenbund und Bundesstaat. Föderalismussemantik und historische Erfahrungsdeutung in Deutschland Staatenbund und Bundesstaat waren zum Zeitpunkt als sie in den 1830er Jahren in den französischen Lexika aufzutauchen begannen, ihrerseits Begriffsprägungen eines relativ jungen Datums. Während Bund, Bündnis oder Allianz am Vorabend des Zeitalters der Revolutionen zu „historischen und auf die Vergangenheit bezogenen“ Begriffen und dementsprechend zu „Erfahrungsregistraturbegriffen“ geworden waren, die gewissermaßen rückblickend soziale und politische Assoziationsformen benannten, veränderten seit den 1770er Jahren unterschiedliche sprachliche Zusatzbestimmungen und Neuprägungen deren semantische Funktionen und zeitliche Strukturen.1 Staatenbund, Bundesstaat und Bundesrepublik, so hat Reinhart Koselleck argumentiert, waren im ausgehenden 18. Jahrhundert „zunächst Kunstwörter“, welche einen semantischen „Vorgriff“ transportieren, der aus der historischen Erfahrung zwar nicht gänzlich abgeleitet werden konnte, daraus aber „Erfahrungsstreifen“ herausschnitt, die auf eine künftige „Erfahrungsstiftung“ drängten: „Die drei Kunstwörter basierten nun keineswegs auf Erfahrung allein. Sie zielten darauf, bestimmte föderale Organisationsmöglichkeiten, die im vergehenden Reich enthalten waren, auf einen Begriff zu bringen, der in Zukunft nutzbar gemacht werden könnte.“2 Obwohl der Begriff Bund anders als die englischen und französischen Begriffe nicht vom lateinischen foedus abgeleitet wurde, sondern „exklusiv dem deutschen Sprachbereich“ zugehört,3 ist dessen begriffshistorische Entwicklung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eng mit jenen Diskursen verwoben, welche in den revolutionären Gesellschaften Amerikas und Frankreichs Begriffe wie federal republic oder république fédérative auf veränderte und, wie gesehen, markant unterschiedliche Grundlagen stellten.4 Wenn also im deutschen Sprachraum im frühen 19. Jahrhundert der Begriff Föderalismus zurückgedrängt wird und mehrheitlich von einem Begriffskontinuum zwischen Bundesstaat und Staatenbund
1 Vgl. hierzu umfassend Koselleck Reinhart, Art. Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 626. 2 Koselleck Reinhart, ‚Erfahrungsraum‘ und Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien, S. 371. 3 Fröschl Thomas, „Confoederationes, Uniones, Ligae, Bünde“, S. 38. 4 Vgl. zu diesem Ansatz auch Sperber Jonathan, The Atlantic Revolutions in the German Lands, 1776–1849.
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4 Föderativnation, Staatenbund und Bundesstaat
abgelöst wird,5 ist dadurch nicht zu schnell auf einen deutschen Sonderweg zu schließen, sondern eher auf eine besondere begriffshistorische Konfiguration, in welcher die Neuprägungen von Begriffen im Zeitalter der Revolutionen die tradierten föderativen Denkfiguren und Verfassungsstrukturen transformierten und unter nun veränderten Bedingungen zur Diskussion stellten.6
4.1 Die Föderativnation als historisches Erbe Die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches stellte sowohl auf der Ebene der politischen Institutionen, als auch auf der Ebene kultureller Deutungsmuster eine Reihe föderativer Rechtsstrukturen, Denkfiguren und Argumente zur Verfügung, in welchen um die Jahrhundertwende einerseits historische Erfahrungen mit föderalen Institutionsarrangements speicherten, welche andererseits aber auch die Möglichkeit einer zukünftigen Entwicklung Deutschlands zwischen den Polen eines unitarischen Nationalstaates französischer Prägung und eines kleinstaatlichen Partikularismus antizipierten.7 Die Bundessemantik war im frühen 18. Jahrhundert – abgesehen von ihrer theologischen Semantik – eng an den außenpolitischen und zwischenstaatlichen Bereich angelehnt und fokussierte als Institutionsbegriff auf Bereiche der Sicherheit, der Friedenssicherung gegen außen. Es war in diesem Kontext, in welchem Zedlers Universal-Lexikon den Begriff „Confoederatio“ mit „Bund, Verbündniß“ gleichsetzen, bei den Begriffen „Bund“ und „Foedus“ auf „Alliance“ verweisen und relativ wage als „ein gewisser Vergleich, welchen zwey, oder mehrere Puissanzen unter einander schließen“, definieren konnte.8 Auch in Deutschland wirkte die Beschäftigung mit dem Bodin’schen Souveränitätsbegriff auf die semantische Entwicklung des Bundesbegriffs ein. Wurde die föderale Struktur des Alten Reiches vom Souveränitätsbegriff her gedacht, wie er von Bodin geprägt wurde, blieb kaum Imaginationsraum für eine Theorie des Bundesstaates, die sich zwischen die „Zwangsalternative vieler, wenn auch verbündeter Staaten oder einem Staat“ einnisten konnte.9 Ein deutscher Staat war indessen nicht zu haben; dachte man
5 Vgl. Deuerlein Ernst, Föderalismus, S. 81. 6 Zu den föderativen Traditionen in der deutschen Geschichte vgl. Langewiesche Dieter, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation; Langewiesche Dieter, Historische Reflexionen zum Föderalismus in Deutschland. 7 Vgl. Umbach Maiken, History and Federalism in the Age of Nation-State Formation, S. 44. 8 Zedler Johann Heinrich, Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 1, S. 1255, Bd. 4, S. 1934, Bd. 6, S. 963, Bd. 9, S. 1406–1407. 9 Koselleck Reinhart, Art. Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 628.
4.1 Die Föderativnation als historisches Erbe
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im frühen 18. Jahrhundert an „Deutschland“ oder an die „deutsche Nation“, hatte man in der Regel ein Gebilde vor Augen, dessen plurale politische Strukturen mit einer an Bodin angelehnten politischen Sprache kaum anders als aus mehreren souveränen Staaten „zusammengesetzt“ oder „verbunden“ beschrieben werden konnten, wie dies Johann Stephan Pütter 1777 darlegte.10 Erst nach der Französischen Revolution und nach den napoleonischen Kriegen sowie durch die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und mit den neuen bundesstaatlichen Ordnungsentwürfen jenseits des Atlantiks verschob sich die Bundessemantik tendenziell, aber nicht reibungslos und niemals vollständig, von der Sphäre außenpolitischer Assoziation zur Sphäre der innenpolitischen Organisation politischer Gemeinwesen und erst dadurch geriet die Möglichkeit einer Bundesstaatstheorie in den Deutungshorizont der Zeitgenossen. Die Bedingung hierfür war paradoxerweise der Zentralisierungsschub, welcher auf der Einzelstaatsebene im Nachgang der aufgelösten Reichsstrukturen und im Zuge der napoleonischen Intervention und der territorialen Neugliederungen einsetzte und zur eigentlichen Bildung unabhängiger deutscher Staaten führte.11 Deren paritätische Organisation in einem Bund nach dem Prinzip einer „Gleichberechtigung unter sich ungleicher Staaten“ konnte erst dadurch in den Zukunftshorizont einer föderalen Theoriebildung geraten, die nicht mehr unbedingt ständisch hergeleitet wurden musste.12 Gleichzeitig ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass die Tradition des zusammengesetzten Staates durch die revolutionäre Zielversion des homogenen Nationalstaates mit seiner Zentralisierung politischer Macht und seinem Willen zur Ausschaltung von Zwischengewalten nicht verschwand. Gerade die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und mit dem napoleonischen Erbe in Deutschland bewirkte eine spannungsreiche Gleichzeitigkeit unterschiedlicher politischer Ordnungsbegriffe. „There was a longue durée in German federal discourse“, wie Maiken Umbach zu recht feststellte, und diese longue durée hielt sich bei allen Metamorphosen und zeitgebunden Ausprägungen auch über das Zeitalter der Revolutionen hinweg.13
10 Pütter Johann Stephan, Beyträge zum teutschen Staats- und Fürstenrechte, S. 20–28. Zu Kontinuität und Transformation des „zusammengesetzten Staates“ vgl. Langewiesche Dieter, Kleinstaat – Nationalstaat, S. 194–210. 11 Vgl. Dann Otto, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismusproblems, S. 55. 12 Koselleck Reinhart, Diesseits des Nationalstaates, S. 501. 13 Umbach Maiken, History and Federalism in the Age of Nation-State Formation, S. 63.
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4.2 Die „eine und unteilbare Konföderation“und die Auseinandersetzung mit dem zentralistisch-unitarischen Staat der Französischen Revolution Der unitarische Nationalstaat, wie er sich im revolutionären Frankreich herausgebildet hatte, blieb nicht ohne Wirkung auf die deutschen Föderalismuskonzeptionen, sei es indem dieser als unvermeidbarer Fluchtpunkt auch der politischen Entwicklung Deutschlands stilisiert wurde, sei es indem man die föderativen Elemente in der eigenen Geschichte als Kontrastfolie zur französischen Einheitsnation in Anschlag brachte, oder sei es indem man eine Vermittlung nationalunitarischer und föderativer Verfassungsstrukturen vorschlug. In Auseinandersetzung mit den jüngsten Ordnungsdebatten im revolutionären Frankreich stellte Christoph Martin Wieland 1792 der in Frankreich an Wirksamkeit gewinnenden unitarischen Republik die Alternative einer föderalen Republik entgegen. Auf die Frage „Was für eine Republik Frankreich sein soll?“ gab er zu bedenken, dass eine föderale Umgestaltung der Republik eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen einer republikanischen Bändigung und Stabilisierung der Revolution sein könnte.14 Die Montagnards in Paris, berichtete Wieland den Lesern des Neuen Teutschen Merkur, seien gänzlich von der Überzeugung eingenommen, dass Frankreich „ein einziger unzerteilter Staatskörper“ sei und zwar „weil sie wollen, daß Paris, die bisherige Hauptstadt des Königreichs, auch die Hauptstadt der neuen Republik, der Kopf, der alle übrigen Glieder leitet, das Herz, dem das Blut aus allen andern zuströmt und von welchem es allen übrigen wieder zugeteilt wird, bleiben soll.“15 In Fortsetzung und gleichzeitig in einer kritischen Wendung dieser organizistischen Metaphernsprache gab Wieland demgegenüber zu bedenken, ob man in diesen Vorstellungen einer zentralistischen und unitarischen, einseitig auf Paris ausgerichteten Republik nicht auch „ein großes krebsartiges Geschwür“ sehen könne, „das alle guten Säfte des Körpers an sich zieht, und den übrigen dadurch entkräfteten Gliedern nur verdorbene zurück gibt.“ Wolle man den eben abgeschüttelten Despotismus der Monarchie nicht durch denjenigen der Pariser Montagnards und der zentralistischen Republik der „Herren Robespierre, Danton, Santerre“ beerbt sehen, bleibe nur eine Föderalisierung der Republik, meinte Wieland. Frankreich müsse sich „zu einer verhältnismäßigen Anzahl einzelner Republiken organisieren […], deren jede für sich besteht, während sie alle zusammen durch ein Trutz- und Schutzbündnis, und durch einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt der politischen Einheit, zu
14 Wieland Christoph Martin, Die Französische Republik, S. 518. Hervorhebungen im Original. 15 Wieland Christoph Martin, Die Französische Republik, S. 525. Hervorhebungen im Original.
4.2 Die „eine und unteilbare Konföderation“
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einem einzigen großen Freistaat, wie ehemals der Bund der Amphiktyonen und der Achäische Bund in Griechenland, oder noch heut zu Tage die Helvetische Eidgenossenschaft, die Republik der vereinigten Niederlande, und die dreizehn Freistaaten in Nordamerika, verbunden sind.“16 Wieland kümmerten die unterschiedlichen Ausprägungen der föderalen Verfassungsstrukturen in den griechischen Konföderationen, den Vereinigten Provinzen der Niederlande, der Eidgenossenschaft oder den Vereinigten Staaten offensichtlich wenig. Was sie verband, war ein föderaler Grundzug, der alleine reichte, um sie als Alternative zu jenem Modell zu präsentieren, das sich in Frankreich durchzusetzen schien. Interessanterweise nahm Wieland zur Untermauerung seines Arguments auf zwei Aspekte Bezug, die seit Montesquieu die Frage nach den adäquaten Bedingungen republikanischer Herrschaftsformen prägten: die Größe des Territoriums und die soziokulturelle Zusammensetzung der politischen Gemeinschaft. Republiken, so wollte es die geläufige Lehrmeinung der Staatswissenschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, konnten nur in relativ kleinen Territorien gedeihen, in welchen die tugendhaften Bürger durch ihre Orientierung am Wohl der Gemeinschaft aktiv am politischen Prozess partizipierten. Die Größe der politischen Handlungseinheit war also eng an das Konzept republikanischer Freiheit gebunden. Ebenso wichtig erschien in dieser Hinsicht, dass das politische Gemeinwesen ein Minimum an sozioökonomischer und kultureller Homogenität aufwies, damit die Partikularinteressen dem Interesse der Gemeinschaft untergeordnet werden konnten. Zu disparate Interessen konnten nur durch eine starke Regierung daran gehindert werden, die Gemeinschaft zu zerreißen und eine zu starke Konzentration von Macht in der Regierung bedrohte wiederum die Freiheit. Beide Argumentationsstränge nahm Wieland in seiner Kritik der französischen Republik auf. Die Macht des Pariser Zentrums tendiere zu einer „Usurpation“, welche dem demokratischen Postulat der Gleichheit widersprechen würde und diese Gefahr würde in jenem Maß zunehmen, als die Departements entmachtet werden. Eine Bedrohung, die Wieland mit der Größe des Territoriums und der soziokulturellen Zusammensetzung des politischen Raumes verbunden sah: Aber eben darum, weil Frankreich zu groß und aus zu verschiedenen Teilen zusammen gesetzt ist, um als ein einziger popularer Staat, ohne eine das Ganze zusammen haltende große Macht, bestehen zu können, eben darum muß es in mehrere kleine Republiken zerteilt werden, deren jeder die Autonomie in ihrem eigenen Bezirk zukommt, deren jede sich organisieren und regieren kann wie sie es ihrem Interesse am zuträglichsten findet; wiewohl alle zusammen sich zu ihrer gemeinschaftlichen Sicherheit, vermittelst eines
16 Wieland Christoph Martin, Die Französische Republik, S. 526. Hervorhebungen im Original.
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besonderen Gesellschaftsvertrags, zu Einem großen Freistaat verbinden, und in allem, was ihr gemeinschaftliches Interesse betrifft, sich einer gemeinschaftlichen Regierung, an welcher jede besondere Republik in gleichem Maß Anteil hat, unterwerfen müssen. Eine solche Konstitution scheint das einzige Mittel, Frankreich auf der einen Seite von der gänzlichen Auflösung, auf der andern von der unerträglichen Abhängigkeit von einer anmaßlichen Hauptstadt zu bewahren […].17
Wieland argumentierte also noch ganz im Rahmen des Dilemmas, welches Montesquieu in De l’esprit des Loix kurz und bündig erklärt hatte: „Si une république est petite, elle est détruite par une force étrangère; si elle est grande, elle se détruit par un vice intérieur.“18 Genauso wie Montesquieu einen Ausweg aus diesem Dilemma in einer Herrschaftsform fand, welche „les avantages intérieur du gouvernement républicain, & la force extérieure du monarchique“ kombinieren würde,19 sah auch Wieland in einer föderalen Republik die einzige Lösung für Frankreichs Zukunft. Wie diese föderale Republik indessen genau aussehen sollte, schien ihm weniger wichtig als die schlichte Tatsache, dass sie etwas anderes war, als was die Montagnards vorschlugen. Was allerdings neben dieser Frontstellung gegen die unitarische und zentralistische Republik an Wielands Erörterungen auffällt, ist seine Abweichung von der Vorstellung, dass sich föderale Gebilde aus einzelnen politischen Gemeinschaften zusammensetzten, die bereits vor ihrem Zusammenschluss eine politische Existenz und Charakteristika der Staatlichkeit besessen hatten und sich nun für gewisse Zwecke – meist für den von Montesquieu thematisierten Doppeleffekt der Sicherheit gegen außen und Freiheit gegen innen – verbanden. Damit einher ging eine historische Entwicklungsvorstellung, der die Annahme einer zunehmenden Verdichtung der assoziierten politischen Handlungsverbände zugrunde lag. Wieland stellte demgegenüber die Möglichkeit einer Föderalisierung bereits bestehender und territorial integrierter politischer Gemeinwesen in den politischen Möglichkeitshorizont. Vor dem historisch-politischen Erfahrungshintergrund des Alten Reiches schien ihm die Annahme einer zunehmenden Verdichtung der politischen Assoziation hin zur „république une et indivisible“ nicht alternativlos. Im Gegenteil, Föderalisierung und politische Einheit standen bei ihm nicht in einem Widerspruch. Auch die Republiken der vereinigten Niederlande und der Nordamerikanischen Freistaaten, gab Wieland mit ironischem Unterton zu bedenken, könnten von sich sagen, dass sie „durch ihre ewige Konföderation une et indi-
17 Wieland Christoph Martin, Die Französische Republik, S. 527–528. Hervorhebungen im Original. 18 Montesquieu, De l’esprit des loix, I, S. 259. 19 Montesquieu, De l’esprit des loix, I, S. 259–260.
4.3 Föderalismus, Staatenbund und Bundesstaat
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visible“ seien.20 Eine analytische Auffächerung verschiedener Föderativverfassungen, welche die Unterschiede zwischen den politischen Gebilde der antiken und modernen Konföderationen oder zwischen den Vereinigten Provinzen der Niederlande und der amerikanischen Föderativrepublik hätte benennen können, lässt sich bei Wieland indessen noch nicht ausmachen. Anders als Joel Barlow, der sieben Jahre später auf die ambivalente Geschichte föderaler Begrifflichkeiten im französischen Revolutionsdiskurs zurückblicken und deren unterschiedliche Semantiken in Nordamerika und Frankreich reflektieren konnte, schrieb Wieland 1792 zu einem Zeitpunkt, als die Forderung nach einer Föderalisierung der französischen Republik noch nicht mit gewaltsamen Revolten in Teilen der Regionen Frankreichs, mit Bürgerkrieg und Girondistenverfolgung verbunden wurde. Dies sollte sich indessen rasch ändern, und dies nicht ohne Konsequenzen auch für die deutsche Begriffsgeschichte zum Föderalismus.
4.3 Föderalismus, Staatenbund und Bundesstaat. Semantische Verdrängungs-, Klärungs- und Temporalisierungsprozesse Diente die unitarische und zentralistische Republik bei Wieland noch als Gegenpol zu den kaum intern differenzierten „Konföderationen“, lassen sich in anderer Hinsicht Begriffsaneignungen aus dem revolutionären französischen Diskurs beobachten, die gerade auch für das Sprechen über Föderativverfassungen im deutschen Sprachraum wichtig waren.21 Die pejorative Bedeutung des französischen fédéralisme, wie sie sich im Zuge der Hegemonie der Montagnards in den revolutionären Diskurs Frankreichs eingenistet hatte, zeigte auch jenseits des Rheins seine Wirksamkeit. 1813 gab Campe den Begriff „Föderalismus“ ganz in dieser Verbindung mit der Geschichte der Französischen Revolution wieder, als er erklärte, dass „darunter während der Französischen Staatsumwälzung die damahls für Kezerei gehaltene Meinung“ verstanden werde, „daß die Verbindung besser als die Einheit in einem großen Freistaate, z. B. in Frankreich, sei.“ „Föderalismus“ sei deshalb im Allgemeinen mit „Verbündungssucht“ oder „Verbündungsliebe“ zu übersetzen.22 Hans Christoph von Gagern fasste 1819 diese
20 Wieland Christoph Martin, Die Französische Republik, S. 529. 21 Vgl. Weber Hans, Differenzierungen im politischen Wortschatz der deutschen Publizistik im Gefolge der Französischen Revolution; Vierhaus Rudolf, Die Revolution als Gegenstand der geistigen Auseinandersetzung in Deutschland, 1789–1830. 22 Campe Joachim Heinrich, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, S. 324.
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aus dem französischen Revolutionsdiskurs stammende Prägung des Begriffs für seine deutschen Leser nicht ohne ironische Untertöne zusammen: „‚Federalism ist eine complicirte Krankheit, von Local-Vorliebe, individuellen Affectionen, persönlichem und schmutzigem Interesse, von Beschränkung im Geist und Egoismus in der Seele, von Provinzialstolz, kleinstädtischer Eitelkeit und sinnloser Rache und Uebelwollen gegen die schönste Hauptstadt der Welt.‘“23 An Montesquieu anknüpfend und den „Bundesstaat“ als „Gesellschaft von Gesellschaften“ bezeichnend, versuchte Gagern einerseits die Bedeutungsschichten freizulegen, welche den Begriff vor seiner Imprägnierung durch die politischen Diskurse der Französischen Revolution gekennzeichnet hatten, andererseits rückte er auch die Federalist Papers und deren Begründung des amerikanischen Bundesstaates ins Blickfeld, indem er über Hamiltons, Madisons und Jays Essays urteilte: „Oft werden uns Deutschen dort die stärksten Lehren unmittelbar gegeben.“24 Dennoch wurde die negative Konnotation des Föderalismusbegriffs, wie sie aus der Französischen Revolution herrührte, nicht gänzlich abgeschüttelt, erläuterte doch Pierers Universal-Lexikon noch 1835, dass unter dem Begriff „Föderalismus“ jenes „System“ zu verstehen sei, welches „zur Zeit der französischen Revolution […] gegen die Tyrannei der Pariser Gemeindevorsteher und gegen den Berg [die Montagnards] gerichtet, Frankreich zu einer Republik aus verschiedenen Föderativstaaten bilden wollte. Anhänger desselben (Föderalisten) waren besonders die Girondisten.“25 Parallel dazu, und mit dem Hinweis auf Gagern wurde dies bereits angedeutet, gab es in Deutschland auch Bestrebungen, sich dieser Prägekraft des französischen Revolutionsdiskurses zu entziehen. So gaben etwa Mozin, Biber und Hölder in ihrem 1811 erschienen Nouveau dictionnaire complet à l’usage des Allemands et des Français eine differenziertere und weniger von der Französischen Revolutionsgeschichte imprägnierte Bedeutung des Begriffs „fédéralisme“ wieder, indem sie ihn an ein „système du gouvernement fédératif“ banden und als „das System[,] Bundesstaaten-verfassungen zu bilden“, präzisierten. Mit dieser Definition schrieben sie dem Föderalismus auch eine dynamische und handlungsrelevante Komponente ein: Bundesverfassungen waren nun „zu bilden“. Der Begriff bezog sich also hier nicht auf eine statische Beschreibung eines Verfassungstypus, sondern zielte auf dessen Machbarkeit, wodurch ihm ein politischer Handlungsbezug und ein „Bewegungsmoment“ eingeschrieben
23 [Gagern Hans Christoph von], Die Resultate der Sittengeschichte, S. 114. 24 [Gagern Hans Christoph von], Die Resultate der Sittengeschichte, S. 83, 113, 413. 25 Pierer, H. A., Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch, VII [1835], S. 550.
4.3 Föderalismus, Staatenbund und Bundesstaat
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wurden.26 Unter „gouvernement fédéral“ wurde bezeichnenderweise auf die „Regierungsform der vereinigten Staaten von Amerika“ verwiesen. Ähnlich wie im französischen Diskurs wurde hingegen eine „forme de gouvernement confédérative“ nicht etwa mit „Staatenbund“ übersetzt, sondern mit „Bundesvertrag“, „Bundesverfassung“ oder „Bundesstaat“.27 Während in der Auflage von 1811 der „état fédératif“ und die „république fédérative“ noch etwas schwerfällig mit „bundesmässiger Staatskörper, Freistaat“ übertragen wurde, wies die Auflage von 1826 bereits die Spuren eines sich nun einbürgernden Begriffs auf, wenn darin nun die „république fédérative“ mit „Bundesstaat“ wiedergegeben wurde.28 Es waren die Kontroversen um die Begriffskonfiguration zwischen Bundesstaat und Staatenbund, welche in den dazwischen liegenden Jahren im deutschen Sprachraum Anlass dazu gaben, die im Französischen noch weitgehend bedeutungsgleich verwendeten Begriffe fédéral und confédératif stärker zu differenzieren und auf unterschiedliche föderale Gebilde anzuwenden. So versuchte etwa Arnold Hermann Ludwig Heeren 1816 die „Scheidungslinie zwischen einem Staatenbund und Bundesstaat“ ausfindig zu machen und verwies dabei auf die unterschiedlichen Zweckbestimmungen als Distinktionsmerkmal zwischen den beiden Begriffen: Ein Staatenbund ist eine Verbindung von Staaten auf beschränkte oder auch zuweilen unbeschränkte Zeit, ohne einen gemeinschaftlichen politischen Mittelpunct zu verschiedenartigen Zwecken; ein Bundesstaat hingegen eine Verbindung von Staaten auf beständig zu Einem Hauptzweck, dem der Existenz als Staat, mit Einem gemeinschaftlichen Mittelpunct. Er bildet also eine politische Einheit; der bloße Staatenbund nicht.29
Damit, so Heeren, gehe allerdings auch die Notwendigkeit einer Einschränkung von Souveränitätsrechten im Bundesstaat einher, denn es sei „unerlässlich, dass die Glieder des Bundes selbst sich gewissen Beschränkungen jenes Souverainetätsrechtes unterzogen, ohne welche kein Bundesstaat […] bestehen“ könne.30
26 Vgl. Koselleck Reinhart, Art. Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 652. Vgl. allgemein hierzu auch Koselleck Reinhart, Sprachwandel und sozialer Wandel im ausgehenden Ancien régime, S. 300–303. 27 Mozin Abbé/Biber J.Th./Hölder M. (Hrsg.), Nouveau dictionnaire complet à l’usage des Allemands et des Français, I, S. 273 & 648. 28 Mozin Abbé/Biber J.Th./Hölder M. (Hrsg.), Nouveau dictionnaire complet à l’usage des Allemands et des Français, I, Abt. F, S. 156. 29 Heeren Arnold Hermann Ludwig, Der deutsche Bund in seinen Verhältnissen zu dem europäischen Staatensystem, S. 20–21. 30 Heeren Arnold Hermann Ludwig, Der deutsche Bund in seinen Verhältnissen zu dem europäischen Staatensystem, S. 25.
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Der große Vorteil dieser Bundessysteme sah Heeren in der Perpetuierung von konstitutioneller und politisch-kultureller Vielfalt, die er offenbar gegen die monistischen Tendenzen des französischen Revolutionsdiskurses und der allgemeinen Tendenz zu einer Homogenisierung und Konzentration staatlicher Macht geltend machen wollte: „Die politische Cultur beruht auf der practischen Mannigfaltigkeit der Verfassungen; nicht darauf, dass die Theoretiker sie auf dem Papier classificiren. Der Despotismus strebt zur Einförmigkeit.“31 Während Heeren noch darauf verzichtete, zur Exemplifizierung seines Bundesstaatsbegriffs auf die Vereinigten Staaten zu verweisen, wurde genau diese Referenz nun in vielen anderen Schriften herangezogen. Der Begriff Bundesstaat wurde, wie bei Mozin, Biber und Hölder bereits angedeutet, zusehends mit der Föderativverfassung der Vereinigten Staaten exemplifiziert. Gleichzeitig drängten diese Debatten auch den Ausdruck Föderalismus zurück, dem auch in Deutschland noch der Geruch der revolutionären Wirren zwischen Montagnards und Girondins anzuhaften schien.32 Mit zur Herausbildung dieser Differenzierung unterschiedlicher Föderativverfassungen trug also die Beschäftigung mit dem politischen System der Vereinigten Staaten bei, welche sich insbesondere im Zuge dessen, was Reinhard Blänkner die „reichsnationale Transformation des konstitutionellen Diskurses“ in Deutschland genannt hat, intensivierte.33 Auch wenn sich die Kenntnis des amerikanischen Konstitutionalismus im ausgehenden 18. Jahrhundert in Deutschland „auf einem höchst dürftigen Niveau“ bewegte, wie Horst Dippel es formulierte,34 war es doch gerade die Auseinandersetzung mit dem nordamerikanischen Föderalismus, welche in den darauf folgenden Jahrzehnten verschiedene Abstufungen und Ausformungen föderativer Systeme in den politischen Reflexionsraum einholte, die dementsprechend auf den Begriff gebracht werden mussten. Bereits in den 1790er Jahren waren wichtige Texte über den amerikanischen Konstitutionalismus ins Deutsche übertragen worden. Die von Filippo Mazzei 1788 herausgegebene Aufsatzsammlung Recherches historiques et politiques sur les Etats-Unis de l’Amérique, welche eine Übersetzung der Bundesverfassung von 1787 und Condorcets Aufsatz über den Einfluss der Amerikanischen Revolution auf Europa enthielt, erschien bereits 1789 in gekürzter Fassung in Leipzig, und Günther Karl Friedrich Seidel veröffentlichte 1795 seine Abhandlung
31 Heeren Arnold Hermann Ludwig, Der deutsche Bund in seinen Verhältnissen zu dem europäischen Staatensystem, S. 22–23. 32 Vgl. Koselleck Reinhart, Art. Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 652. 33 Vgl. Blänkner Reinhard, Der Vorrang der Verfassung, S. 322–325. 34 Dippel Horst, Die amerikanische Verfassung in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 14.
4.3 Föderalismus, Staatenbund und Bundesstaat
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über die Staatsverfassungen der Vereinigten Staaten.35 Darin schrieb Seidel, dass der Ausbruch der Französischen Revolution und Frankreichs Versuche, sich eine republikanische Verfassung zu geben, „das Interesse für die amerikanische Konstituzion verdoppelt“ habe und dass in den in Deutschland erhältlichen Schriften zur Französischen Revolution zwar oft „auf die amerikanische Konstituzion“ verwiesen werde, allerdings „ohne deutliche Begriffe“.36 Es war die Sperrigkeit der komplexen amerikanischen Föderativrepublik, welche die in Deutschland gängigen begrifflichen Erfassungen föderativer Staatsgebilde irritierten und die Suche nach einer begrifflichen Klärung in den folgenden Jahrzehnten anregte. Diese Klärung vollzog sich in erster Linie über die Auseinandersetzung um die Begriffskonfiguration zwischen Bundesstaat und Staatenbund.37 Im Rheinischen Conversationslexikon wurden 1825 die Begriffe „Föderativstaat, Bundesstaat“ von „Föderativsystem, Staatenbund“ unterschieden und dabei die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Vereinigten Staaten als „repräsentative Bundesstaaten“ von dem „aristokratischen Staatenbund“ des deutschen Bundes unterschieden.38 Ähnlich differenzierte auch der Brockhaus 1830 den „Bundesstaat (Union)“ vom „Staatenbund (Föderation)“, wies die Vereinigten Staaten als Beispiel für den ersteren, den Deutschen Bund für letzteren aus, allerdings nicht ohne einschränkend darauf hinzuweisen, dass „die Abstufungen zwischen den beiden Formen des Bundesstaates und Staatenbundes […] von der größten Mannigfaltigkeit“ sein könnten und an anderer Stelle mahnend in Erinnerung zu rufen: „Föderativsystem, Staatenbund, und Föderativstaat, Bundesstaat, sind verschiedene, oft nicht scharf genug bestimmte Begriffe.“39 Als Unterscheidungsmerkmale für die beiden Begriffe wurde aufgeführt, dass sich in einem Bundesstaat die Mitglieder der „gemeinschaftlichen Staatsgewalt“ unterwerfen, wohingegen sie sich in einem Staatenbund „nur zu gewissen Zwecken, z. B. Vertheidigung nach Außen“ den „gemeinschaftlichen Anordnungen“ unterwerfen, ansonsten aber in der Regel „ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit
35 Mazzei Filippo, Geschichte und Staatsverfassung der vereinigten Staaten von Nordamerika. Der Verfassungstext ist abgedruckt in Bd. 2, S. 266–289, Condorcets Aufsatz in Bd. 2, S. 209–251. Seidel Günther Karl Friedrich, Geschichte der Amerikanischen Revolution aus den Acten des Congresses der vereinigten Staaten. 36 Seidel Günther Karl Friedrich, Die Staatsverfassungen der Vereinigten Staaten, und historische Beyträge und Belege aus Ramsay’s Geschichte der Revolution in Südkarolina, S. IV. 37 Vgl. hierzu Weichlein Siegfried, Europa und der Föderalismus, S. 138–144. 38 Neues Conversations-Lexicon, Rheinisches Conversations-Lexicon, oder encyklopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, V, S. 155–156. 39 Brockhaus Friedrich Arnold, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Conversations-Lexikon, II, S. 299 & IV, S. 167.
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beibehalten“.40 Der Zweck der Verbindung liege beim Staatenbund im Erhalt der „Selbstständigkeit jedes einzelnen Staates“, wofür der Bund nur ein Mittel ist, während im Bundesstaat „Ein Staat der Zweck ist, für welchen die einzelnen Bestandtheile des Ganzen sich verbunden haben.“41 Dass sich unter dem Begriffskontinuum Staatenbund-Bundesstaat also verschiedene und meist nur schwer zu differenzierende Formen zusammengesetzter Staatlichkeit im Gegensatz zu einfachen oder unitarischen Staaten verstehen ließen, darüber schien man sich weitgehend einig zu sein. Komplexer wurde es hingegen, wenn man sich der föderalen Problematik vom Souveränitätsbegriff her näherte. Föderative Ordnungen, ob Staatenbund oder Bundesstaat, meinte der Brockhaus 1831 lakonisch aber nicht unbegründet, seien „der Souveränität allemal lästig“.42 Wenn Staatenbünde dazu da sind, die Souveränität der Einzelstaaten zu schützen, dann sind paradoxerweise die schwächeren Staaten des Bundes von der Macht der stärkeren abhängig und verlieren daher gerade an jener Souveränität, welche sie durch den Bund zu schützen hoffen, gab das Rheinische Conversations-Lexicon 1825 zu bedenken.43 In einem Bundesstaat wiederum „ist kein einzelnes Glied souverain“, wie der Brockhaus 1831 feststellte, und Meyers Conversations-Lexicon formulierte 1843: „Im Bundesstaat opfert das einzelne Glied einen Theil seiner Souveränität der der Gesammtheit und es vereinigen sich die mehrern Glieder zu einer moralischen Einheit, sie unterwerfen sich dem gemeinschaftlichen Willen, welcher in der gemeinsamen Staatsverfassung ausgesprochen ist und dadurch bilden sie ein staatsrechtliches Ganzes.“44 Im gleichen Jahr begründete nun auch die neue Auflage des Brockhaus den Unterschied zwischen Bundesstaat und Staatenbund souveränitätstheoretisch, allerdings ohne die bei Meyer noch eingeführte Einschränkung, dass die Einzelstaaten nur einen „Theil“ ihrer Souveränität an die Bundesregierung abtreten würden. Beim Bundesstaat liege „die Souverainetät bei der Union“, wohingegen beim Staaten-
40 Brockhaus Friedrich Arnold, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Conversations-Lexikon, II, S. 299. 41 Neues Conversations-Lexicon, Rheinisches Conversations-Lexicon, oder encyklopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, V, S. 155. 42 Brockhaus Friedrich Arnold, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Conversations-Lexikon, IV, S. 168. 43 Neues Conversations-Lexicon, Rheinisches Conversations-Lexicon, oder encyklopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, V, S. 155. 44 Brockhaus Friedrich Arnold, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Conversations-Lexikon, IV, S. 168; Meyer Joseph, Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern, Bd. VI [1843], S. 895.
4.3 Föderalismus, Staatenbund und Bundesstaat
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bund „die Souverainetät bei den Theilen“ liege.45 Beide 1843 erschienen Artikel zum Bundesstaat nahmen dabei trotz ihrer divergierenden Einschätzungen der Souveränitätsfrage im Bundesstaat auf die Vereinigten Staaten Bezug. Meyer bezeichnete die „amerikanische Konstitution“ als „die vollkommenste bundesstaatliche“ Verfassung,46 während der Brockhaus sich gezwungen sah, seine scheinbar so klare souveränitätstheoretische Unterscheidung mit Blick auf die amerikanische Föderativverfassung wieder etwas zu relativieren: „Die Vereinigten Staaten von Nordamerika entsprechen jenem Begriff des Bundesstaates noch am ersten sofern hier die Bundesgewalt die höchste Souverainin, und doch das höchste Organ für die Souverainetät des gesammten Volks ist; indeß kann man hier doch nicht sagen, daß die den einzelnen Staaten verbleibenden Rechte von der Bundesgewalt übertragene wären, sondern sie hatten sie vor dem Bunde, durch Übertragung oder Zulassung von Seiten der monarchischen Regierung des Mutterlandes.“47 Der amerikanische Bundesstaat schien sich also den hergebrachten sprachlichen Kategorien irgendwie zu entziehen, zumindest wenn man davon ausging, und dies scheint im Deutschland des Vormärz überwiegend der Fall gewesen zu sein, dass der Souveränitätsbegriff sich nur über den Staatsbegriff einfangen ließ. Anders als in den Vereinigten Staaten, wo James Madison und James Wilson den Souveränitätsbegriff vom Volk her dachten und die staatlichen Institutionen – sowohl der Einzelstaaten als auch des Bundesstaates – nur als verschiedene Treuhänder dieses souveränen Volkswillens betrachteten, dominierte in Deutschland vorerst die Vorstellung, dass Souveränität nicht in erster Linie das Attribut des Volkes, sondern des Staates sei.48 Von diesem Standpunkt betrachtet, erschienen föderale Ordnungen theoretisch als Anomalie und dies machte es umso schwieriger die föderale Idee einer geteilten Souveränität zu verstehen oder gar zu legitimieren. Diese konzeptionellen Schwierigkeiten, die Verwobenheit der amerikanischen Föderativverfassung mit ihren republikanisch-demokratischen Grundlagen und Ermöglichungsbedingungen zu reflektieren, änderte freilich nichts daran, dass der Bundesstaat amerikanischen Vorbilds zusehends zur Zielvorstel-
45 Brockhaus Friedrich Arnold, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Conversations-Lexikon, Bd. III [1843], S. 29. 46 Meyer Joseph, Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern, Bd. VI [1843], S. 895. 47 Brockhaus Friedrich Arnold, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, Conversations-Lexikon, Bd. III [1843], S. 29. 48 Vgl. hierzu auch Steinmetz Willibald, Neue Wege einer historischen Semantik des Politischen, S. 34.
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lung jener Kräfte avancierte, welche den Deutschen Bund reformieren wollten.49 Die Einführung einer Nationalrepräsentation und einer dieser verantwortlichen Bundesregierung wurde so zur politischen Losung, sei es, dass diese Nationalrepräsentation den Bund der Fürsten ergänzte, wie die liberalen Anhänger einer konstitutionellen Monarchie es verlangten, oder sei es, dass sie ähnlich wie in Nordamerika neben die ebenfalls demokratisch legitimierte Repräsentation der Mitgliedstaaten trat, wie es die demokratisch-republikanischen Kräfte forderten. Damit wurde die theoretische Orientierung föderaler Prinzipien nun nachhaltig aus dem Bereich der zwischenstaatlichen Assoziation in denjenigen der innerstaatlichen Organisation verlagert und mit dem Anspruch einer nationalen oder bisweilen auch demokratischen Legitimationsgrundlage verbunden. Karl Theodor Welcker unterschied 1834 in einem Aufsatz, in welchem er die Schriften des Schweizer Intellektuellen und Promotors einer Bundesreform nach amerikanischem Vorbild Ignaz Paul Vital Troxler besprach, scharf zwischen Bundesstaat und Staatenbund und forderte, dass man die theoretische Engführung föderaler Gebilde an außenpolitischen Sicherheitskalkulationen aufgeben müsse und stattdessen, wie in Nordamerika, mit der Ausrichtung am „nationalen Gesammtzweck“ verbinden müsse.50 Dieser sei indessen nur durch einen „wahren Bundesstaat“ einzulösen und nicht durch den von Welcker als defizitär beschriebenen Staatenbund. Ein solcher Bundesstaat forderte eine „Unterordnungs- oder Gehorsamspflicht aller Vereinsmitglieder, mithin auch eine wirkliche Beschränkung selbst der persönlichen Souveränität derselben“, eine Vereinigung nicht nur der Regierungen, sondern „auch der Bürger“, und damit verbunden die Ausdehnung der Bundesgewalt auf „die inneren Verhältnisse der einzelnen Staaten“. Damit, so präzisierte Welcker, sei indessen nicht eine „gränzenlose, unbeschränkte Bundesgewalt“ eingeführt, sondern eine begrenzte, welche „nur in den Beziehungen eintreten soll, in welcher nach der Anerkennung im Bundesvertrag die einzelnen Regierungen nicht ausreichen“, wodurch den Einzelstaaten die „halbe Souveränität“ bleibe.51 Für den „Bundesstaat freier Nationen“ gäbe es dementsprechend „die absolute Rechtsnothwendigkeit einer Volks- oder Nationalrepräsentation der Bürger neben der bloßen
49 Vgl. Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild; Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, S. 106. 50 Welcker Karl Theodor, Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Gränzen der Bundesgewalt, S. 7–8. 51 Welcker Karl Theodor, Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Gränzen der Bundesgewalt, S. 12–16.
4.4 Die Entdeckung föderaler Komplexität
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Regierungs-Repräsentation.“52 Welckers kategorische Unterscheidung zwischen Staatenbund und Bundesstaat sowie seine Rückführung des letzteren auf eine demokratische Legitimationsbasis und nationale Repräsentation schrieb dieser Begriffskonfiguration auch eine zeitliche Struktur ein. Je mehr der Staatenbund mit den Unzulänglichkeiten des bestehenden Deutschen Bundes identifiziert wurde, desto zukunftsträchtiger erschien der Bundesstaat; je rigider die konzeptionelle Trennung von Staatenbund und Bundesstaat, desto notwendiger die Beschleunigung der Transitionsphase vom Staatenbund zum Bundesstaat. Noch 1836 warnte Welcker im Staatslexikon auch gerade mit Blick auf diese kategorische Trennung und der damit gleichzeitig akzentuierten temporalisierten Semantik des Bundesbegriffs, dass „falsche verworrene Begriffe im Wissen auch eine falsche verworrene Ausbildung erzeugen.“53
4.4 Die Entdeckung föderaler Komplexität. Balance, Mischung und Demokratie im Flächenstaat Neben dieser scharfen konzeptionellen Trennung zwischen Staatenbund und Bundesstaat lässt sich im deutschen politischen Diskurs des frühen 19. Jahrhunderts auch eine vermittelnde Denkfigur beobachten, welche den föderativen Traditionen der deutschen Geschichte ebenso Rechnung zu tragen versuchte, wie der zur Gegenwartsfrage gemachten modernen Nationsbildung. Dadurch wurden Metaphern der Balance und des Gleichgewichts zur Legitimitätsgenerierung des Bundesstaates mobilisiert. So rühmte Welcker die nordamerikanische Verfassung ebenso für ihre Ausgewogenheit in der Verhältnisbestimmung von Bund und Einzelstaaten, wie in Meyers Conversations-Lexikon mit Blick auf den amerikanischen Konstitutionalismus das „Gleichgewicht zwischen dem unitarischen und föderalistischen Princip“ zum „vorherrschende[n] Ausgangspunkt der Konstituierungskunst“ erkoren wurde.54 Diesem Deutungsmuster waren auch die Überlegungen Friedrich Murhards verpflichtet. Ähnlich wie James Madison und Alexis de Tocqueville, welche er in seinem Beitrag zur nordamerikanischen Verfassung für
52 Welcker Karl Theodor, Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Gränzen der Bundesgewalt, S. 16. 53 Welcker Karl Theodor, Bund, Bundesverfassung, Staaten- und Völkervereine, oder Föder ativsysteme, S. 116. 54 Welcker Karl Theodor, Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Gränzen der Bundesgewalt, S. 31; Meyer Joseph, Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern, Bd. 18 [1851], S. 790.
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4 Föderativnation, Staatenbund und Bundesstaat
Welckers und Karl von Rottecks Staatslexikon ausführlich zitierte, argumentierte auch Murhard, dass die politische Sprache eigentlich keine adäquaten Ausdrücke für dieses politische Gebilde zur Verfügung stellte, dass es sich dabei um eine Staatsordnung handelte, „für die es noch keinen Namen gibt, um sie ihrer Eigenthümlichkeit gemäß richtig zu bezeichnen.“55 Anders als die „meisten früheren Conföderationen unabhängiger Staaten“ fände diejenige der Vereinigten Staaten ihren neuartigen Charakter darin, dass sich die Beschlüsse des amerikanischen Kongresses direkt auf jeden einzelnen Staatsbürger und nicht nur auf die Regierungen der Gliedstaaten bezogen: „Den gewöhnlichen Gebrechen föderalistischer Constitutionen wurde von den nordamerikanischen Staatsgesetzgebern dadurch abgeholfen, dass sie eine politische Ordnung der Dinge erschufen, in der sie auf eine geschickte Weise die Erfordernisse des Föderalismus mit denen einer nationalen Regierung in der Constituierung der obersten Bundesgewalt zu verbinden wussten.“ Mit Madison und Tocqueville fügte er an, dass die Amerikaner 1787 eine Bundesverfassung geschaffen hätten, „die nach ihrem Charakter und der Vertheilung der Gewalten theils föderal, theils national ist.“ Und die von vielen seinen deutschen Zeitgenossen akzentuierte temporalisierte Semantik des Begriffskontinuums zwischen Staatenbund und Bundesstaat aufnehmend, betrachtete er die Bundesstaatsgründung von 1787 als eine solche Transitionsphase: „Aus einem bloßen Staatenbunde, was die erste nordamerikanische Conföderation gewesen war, wurde dadurch ein Bundesstaat.“56 Eng entlang von Madisons Federalist No. 39 und den Commentaries on the Constitution of the United States, welche Joseph Story zu Beginn der 1830er Jahre veröffentlicht und welche Franz Joseph Buß 1838 in Auszügen ins Deutsche übertragen hatte,57 erläuterte Murhard, dass es die „Zusammensetzung und Mischung aus föderalen und nationalen Elementen“ sei, welche als „neue Erfindung“ zu betrachten sei und welche das amerikanische Experiment zum Anschauungsobjekt jener Staatsmänner machte, die nicht die Fehler der alten Staatenbünde wiederholen wollten: „Nach ihrem Ursprunge“, so Murhard fast wörtlich aus dem Federalist No. 39 übertragend, „mag sie [die Bundesverfassung] für föderal gelten; aber in ihren Beziehungen hat sie nicht bloß einen föderalen, sondern auch einen nationalen Charakter, auf Individuen und nicht allein auf Staaten wirkend, bisweilen auch einen aus beiden gemischten; in dem Umfange ihrer Gewalten ist sie föderal, in der Wirkungsart national; im Senate zeigt sie sich als föderal; im Hause der Repräsentanten als national;
55 Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 381. 56 Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 401 & 404. 57 Vgl. Story Joseph, Commentaries on the Constitution of the United States; Buß Franz Joseph von, Über die Verfassungsurkunde der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. 116.
4.4 Die Entdeckung föderaler Komplexität
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in der Executivgewalt ist ihr ein gemischter Charakter eigen.“58 Damit war jene Komplexität der amerikanischen Föderativverfassung ins Deutsche übertragen, welche Madison – gegen alle Versuche komplexitätsreduzierender Formeln – als „the real character of the government“ bezeichnet hatte.59 Die Sprachsensibilität, welche auch Madisons und Tocquevilles Erörterungen des amerikanischen Föderativsystems kennzeichneten, findet sich bei Murhard in ähnlicher Weise, wenn er etwa erläuterte, dass „das Wort Föderation, das man auf dieses neue politische System anzuwenden pflegt, […] nicht eigentlich bei demselben“ passe und auch dazu verleite, „irrige Begriffe, die früheren Völker- oder Staatenbünden entlehnt sind, auf die Vorstellung überzutragen.“60 Und selbst der von Murhard dann in erster Linie favorisierte Begriff des Bundesstaates schien ihm nur mit ausführlichen und differenzierenden Erläuterungen geeignet, auf die amerikanischen Verfassungsrealitäten angewendet zu werden. Diese Vorsicht mag auch damit zusammenhängen, dass der amerikanische Föderalismus eine weitere politische Innovation zu ermöglichen schien, welche den Zusammenhang von Demokratie, Repräsentation und Flächenstaat betraf. Die amerikanische Bundesverfassung habe „das früher in der politischen Welt für unauflösbar gehaltene Problem“ gelöst, eine „demokratische Verfassung, welche man bisher nur höchstens auf sehr kleine Staaten anwendbar ansah, auch für große, sogar die größten, möglich zu machen.“61 Die „Verbindung des repräsentativen Princips mit dem föderativen“ wirke nicht nur als Filter des Volkswillens und diene der „Beseitigung der der reinen Demokratie anklebenden und von derselben unzertrennlichen Unzuträglichkeiten und Mängel“, sondern ermögliche gleichzeitig auch „eine republicanisch-demokratische Ordnung der Dinge in einem Lande von grossem Umfange und Flächenraume, von verschiedensten Klimaten und mit aus diesen hervorgegangenen verschiedensten Lebensweisen, Sitten, Gebräuchen, Neigungen und Beschäftigungen der Bewohner zu begründen.“62 Vermittelt über das föderale und das repräsentative Prinzip schien es Murhard demnach möglich, eine auf der Souveränität des Volkes basierende Demokratie im modernen Flächenstaat und in zunehmend komplexer werdenden, soziokulturell heterogenen Gesellschaften zu begründen, und gleichzeitig die mit der Demokratie verbundenen Übel einer Tyrannei der Mehrheit und
58 Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 402. 59 Madison James, Federalist No. 39, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 239. 60 Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 404. 61 Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 409. 62 Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 409–410.
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abrupt schwankender Mehrheitsverhältnisse zu kontrollieren und zu bändigen – wodurch Murhard in der Sache ganz auf der Linie von Madisons Federalist No. 10 argumentierte. Als ein aufmerksamer Leser des Federalist zeigte sich auch der Autor eines anonym erschienen Aufsatzes mit dem Titel Der Bund und der föderalistische Sinn der Teutschen, der 1846 in den Neuen Jahrbücher der Geschichte und Politik in Leipzig veröffentlicht wurde. Nachdem der Verfasser zu Beginn seines Aufsatzes eine Art tour d’horizon über föderale Theoriebildung vornahm, auf Autoren wie Montesquieu, Gagern, Johannes von Müller und auf das Staatslexikon Rottecks und Welckers zu sprechen kam, kommentierte er ausführlich den Federalist, ein Werk, welches „in der Wissenschaft der constitutionellen Politik Epoche machen sollte“, wie der Autor forderte.63 Publius (so das Pseudonym, unter welchem Hamilton, Madison und Jay ihre Essays veröffentlichten) hatte erkannt, dass „die Schwäche aller bisherigen Föderativstaaten darin bestand, dass sie nur eine föderale und nicht zugleich eine nationale Vertretung hatten, dass die Centralregierung es nicht unmittelbar mit den einzelnen Bürgern zu thun hatte, sondern Staaten als Unterthanen sich gegenüber sah.“ Diese bisherige Schwäche aller Konföderationen sei damit aus der Welt geschaffen worden, dass man das Prinzip der „Conföderation“ mit jenem der nationalen „Repräsentation“ verbunden habe, „wodurch Republiken von großer Ausdehnung möglich werden“. Institutionell repräsentiert wurden diese beiden Prinzipien im Senat und im Repräsentantenhaus. Die dadurch geschaffene politische Ordnung sei so neu, argumentierte der Verfasser ähnlich wie dies die von ihm ebenfalls zitierten James Madison und Alexis de Tocqueville zuvor getan hatten, dass das politische Vokabular fehle, um sie sachgerecht zu beschreiben: „Wegen dieses zugleich föderalen und nationalen Charakters hat dieselbe noch keinen recht passenden Namen; denn Föderativsystem bezeichnet, dem bisherigen Sprachgebrauch zu Folge, nur ihre eine Seite.“64 Ähnlich wie Hamilton im Federalist wählte auch der Autor dieses Aufsatzes die Argumentationsstrategie, das Negative und Schamvolle der gegenwärtigen Zustände Deutschlands hervor zu heben, um politischen Handlungsdruck zu signalisieren und auf eine stärkere Berücksichtigung des amerikanischen Bundesstaates zur Reform der deutschen Zustände zu drängen: „So ist es gekommen,
63 [Anon.], Der Bund und der föderalistische Sinn der Teutschen, S. 483–485, 489. Später im Text (S. 492) findet sich auch folgende Klage: „Schon vor beinahe zwei Menschenaltern ward der Föderalist in’s Französische übersetzt, während wir Teutsche, denen dieses Werk noch viel näher liegt, noch keine Uebersetzung desselben haben, aber desto mehr alberne Romane aus allen Sprachen sich bei uns einbürgern.“ 64 [Anon.], Der Bund und der föderalistische Sinn der Teutschen, S. 490.
4.4 Die Entdeckung föderaler Komplexität
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dass unser an allen Keimen zum Großen so reiches Vaterland in seiner politischen Entwickelung dergestalt zurückgeblieben ist, dass es Europa zum Spotte dienen muss.“65 Am Vorabend der 1848er Revolutionen hatte sich auf der Ebene der Begrifflichkeiten, mit welchen föderale politische Ordnungen in Deutschland beschrieben wurden, eine umfassende Begriffsklärung vollzogen. Aus einer an zwischenstaatlichen Assoziationsstrukturen angelehnten und auf die Erhaltung des status quo fixierten politischen Sprache des Staatenbundes war eine auf dem Prinzip der nationalen Souveränität aufbauende und die Zukunft für sich reklamierende politische Sprache des Bundesstaates geworden, welche das föderale Prinzip tendenziell nicht mehr als zwischenstaatlichen Organisationsmodus verstand, sondern als Organisationsmodus des Nationalstaates, dessen konkrete institutionelle Ausgestaltung indessen noch unklar war. Der monarchische Traditionsbestand der „föderativen Nation“ ließ sich indessen nicht ohne weiteres abschütteln, so dass bei aller Kritik am Deutschen Bund und seinen Institutionen eine „Republikanisierung“ der deutschen politischen Kultur und ihrer Verfassungen ausblieb.66 Eine Reform des Deutschen Bundes – auch wenn hierzu die nordamerikanische Föderativrepublik als Vorbild bemüht wurde – sollte im Zuge einer „realpolitischen Wende“ in der politischen Sprache um 1848 mit den Fürsten gemacht werden und nicht gegen sie.67
65 [Anon.], Der Bund und der föderalistische Sinn der Teutschen, S. 505. 66 Vgl. Langewiesche Dieter, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation; Dann Otto, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismusproblems, S. 66. Zur Begriffsgeschichte von „Republik“ vgl. Mager Wolfgang, Art. Republik; Langewiesche Dieter, „Republik“ und „Republikaner“; Llanque Marcus, Der deutsche republikanische Freiheitsdiskurs zwischen Mainz und Weimar (1793–1933). 67 Vgl. hierzu Steinmetz Willibald, „Sprechen ist eine Tat bei euch“, S. 1113–1115.
5 Zwischen den Extremen. Föderalismus semantik und historische Erfahrungsdeutung in der Schweiz Auch der schweizerische Föderalismus durchlief im Zeitalter der Revolutionen einen fundamentalen Wandel, der rückblickende Historiker mitunter zum Urteil veranlasst hat, dass man sich bei der Beschäftigung mit dem Föderalismus der Alten Eidgenossenschaft von den „Föderalismus-Vorstellungen“ des amerikanischen oder des 1848 entstandenen schweizerischen Bundesstaates lösen müsse.1 Das ist zweifellos richtig und dieses Urteil lässt sich auch begriffshistorisch untermauern. Dennoch ist auch zu berücksichtigen, dass trotz aller semantischen und konstitutionellen Transformationsprozesse nach wie vor auch tradierte föderale Deutungsmuster die Bedingungen vorgaben, unter welchen die neu geprägten Föderalismusbegriffe seit den Revolutionen verhandelt und legitimiert wurden, dass also semantische Kontinuitäten und Diskontinuitäten in einem komplexen Verhältnis stehen. Aus der Perspektive der historischen Semantik ist die Schweiz insofern ein anspruchsvoller und interessanter Untersuchungsraum, als dass sie als multilinguales politisches Gebilde quer zu den Begriffsprägungen in Frankreich und in Deutschland stand, in welche sie aber nichtsdestoweniger eingebunden war.2 Zwar operierte man etwa in der frankophonen Schweiz mit den gleichen Begriffen wie in Frankreich, man sprach von fédéralisme, état fédéral oder confédération d’états, ebenso wie man in der deutschsprachigen Schweiz mit den Begriffen Bundesstaat, Staatenbund und Föderalismus argumentierte, welche die politischen Diskussionen des deutschen Nachbars prägten. Allerdings bezogen sich diese Begriffe im schweizerischen Kontext mitunter auf unter-
1 Vgl. Moos Carlo, Freiheit für sich, Herrschaft über die andern, S. 142. Vgl. hierzu auch: Ruffieux Roland, Fédéralisme et liberté en Suisse durant la première moitié du XIXème siècle; Stadler Peter, Der Föderalismus in der Schweiz; Wild Hugo, Zentralismus und Föderalismus in der schweizerischen Publizistik von der Helvetik bis zur Bundesrevision; Lauber Otto, Der Bundesstaatsbegriff in der Schweizerischen Publizistik und Praxis. 2 Obwohl eine sachgerechte Analyse in dieser Hinsicht auch die italienischsprachige Schweiz miteinbeziehen und Italien als Referenzkontext mit berücksichtigen müsste, konzentriert sich diese Studie auf die französisch- und deutschsprachige Schweiz. Dies ist auch den sprachlichen Kompetenzen (oder Unzulänglichkeiten) des Autors geschuldet. Vgl. hierzu aber Steinberg Jonathan, Carlo Cattaneo and the Swiss Idea of Liberty. Zur Föderalismusdebatte in Italien vgl. Ghisalberti Carlo, Unitary State and Federalism in Italy; Morelli Emilia, The United States Constitution Viewed by Nineteenth-Century Italian Democrats; Noether Emiliana, As Others Saw Us; Sabetti Filippo, The Making of Italy as an Experiment in Constitutional Choice.
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5 Zwischen den Extremen
schiedliche historische Erfahrungen – eigene historische Erfahrungen, aber auch fremde, als vergleichbar empfundene historische Erfahrungen, wie etwa diejenigen der Vereinigten Provinzen der Niederlande oder der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die in der Schweiz zirkulierenden Föderalismuskonzepte waren somit eingebunden in transkulturelle Debattenverläufe, verbanden sich aber auch mit spezifischen historischen Erfahrungsdeutungen und bezogen auch von diesen her ihre Semantik.3 Eingebunden war die Schweiz in die politischen Diskurse ihrer Nachbarländer zuerst einmal in einem ganz materiellen Sinn. Die publizistischen Netzwerke des 18. und 19. Jahrhunderts waren in vielerlei Hinsicht transkulturell organisiert, die Schweiz wurde bisweilen zur „Drehscheibe des intellektuellen Austausches zwischen Deutschland und Frankreich“, wie Georges Andrey formulierte,4 und die Schweizer Verleger waren wichtige Knotenpunkte in der Verbreitung und Popularisierung politischer Literatur, was nicht zuletzt die Arbeiten von Robert Darnton deutlich gemacht haben.5 Felices in Yverdon erschienene Encyclopédie ou dictionnaire universel raisonné des connoissances humaines, sein Code de l’Humanité und Vincenz Bernhard Tscharners und Gottlieb Emanuel von Hallers Dictionnaire géographique, historique et politique de la Suisse wurden nicht nur als Nachschlagewerke in den benachbarten Gesellschaften Frankreichs und Deutschlands gelesen, sondern auch im fernen Nordamerika. Alle Werke studierte und verarbeitete James Madison im Frühjahr 1787 in seinen Notes on Ancient and Modern Confederacies, um sich auf die Federal Convention vorzubereiten, welche in Madisons Sicht eine neue Bundesverfassung ausarbeiten sollte, welche die tradierten und in diesen Nachschlagewerken erörterten Modelle föderaler politischer Ordnungen gerade hinter sich lassen sollte.6 Nicht nur auf der Ebene der materiellen Zirkulation von Texten war die Schweiz eng in transkulturelle Prozesse eingebunden, sondern auch im Hinblick auf die Föderalismuskonzepte, die damit transportiert und überhaupt zugänglich wurden. Der Begriff Bundesrepublik wurde beispielsweise vom Schweizer Historiker Johannes von Müller als eine deutsche Adaption von Montesquieus Begriffsprägung république fédérative erstmals ins
3 Vgl. Koselleck Reinhart/Spree Ulrike/Steinmetz Willibald, Drei bürgerliche Welten? S. 413. 4 Andrey Georges, Auf der Suche nach dem neuen Staat (1798–1848), S. 589. 5 Vgl. Darnton Robert, The Encyclopedie Wars of Prerevolutionary France; Darnton Robert, Glänzende Geschäfte. Vgl. hierzu auch Burrows Simon/Curran Mark, How Swiss was the Société Typographique de Neuchâtel? Und die Datenbank: Burrows Simon/Curran Mark, The French Book Trade in Enlightenment Europe Database, 1769–1794. 6 Madison James, Of Ancient and Modern Confederacies, S. 389–390. Vgl. hierzu auch Widmer Paul, Der Einfluss der Schweiz auf die amerikanische Verfassung von 1787, S. 377; Hutson James, The Sister Republics, S. 28–31.
5.1 Corps Hélvetique und zusammengesetzter Staat
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Deutsche eingeführt und nicht zufällig in einer Schrift, welche die „Aussichten“ der Schweiz thematisierte.7 Der Begriff république fédérative hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits soweit etabliert, als dass Felice ihn 1772 in seinem Dictionnaire als ein Synonym für „confédération“ beschreiben konnte.8 Die historisch-semantische Pointe von Müllers Übertragung liegt nun freilich gerade darin, dass er den Begriff konkret auf die Schweiz und noch präziser, auf deren „Aussichten“ bezog. Damit war dem Begriff für den schweizerischen Kontext bereits eine in die Zukunft geöffnete Semantik eingeschrieben, war ihm ein „Bewegungskoeffizient“ einverleibt worden, der entsprechende, wenn auch uneindeutige und diffuse Erwartungen generierte.9
5.1 Corps Hélvetique und zusammengesetzter Staat In den staatsrechtlichen Schriften des 18. Jahrhunderts wurde die Schweiz in der Regel neben dem Deutschen Reich und den Vereinigten Provinzen der Niederlande als Beispiel eines zusammengesetzten Staates aufgeführt, im Gegensatz zu einfachen Staaten.10 Pütter subsumierte 1777 diese drei politischen Gebilde unter dem Titel der „zusammengesetzten Staaten“, unterschied indessen das Deutsche Reich noch von der Eidgenossenschaft und den Niederlanden, da letztere nur der „Inbegriff mehrerer verbundenen unabhängigen Staaten“ seien und es ihnen im Gegensatz zum Reich an einer „gemeinsamen höhern Gewalt“ fehle, der die einzelnen Staaten untergeordnet seien.11 Die Eidgenossenschaft erschien also bei Pütter als ein System souveräner Staaten, deren Art der Verbindung im Unklaren gelassen wurde. Bereits 1752 war im Allgemeinen Helvetischen, Eydgenössischen, oder Schweitzerischen Lexicon von Johann Jakob Leu indessen eine präzisere Beschreibung gegeben worden, welche die Verbindung der schweizerischen
7 Vgl. Müller Johannes von, Allgemeine Aussicht über die Bundesrepublik im Schweizerland. Vgl. hierzu Koselleck Reinhart, ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien, S. 371. 8 Felice de M., Encyclopédie ou dictionnaire universel raisonné des connaissances humaines, Tome 10, S. 760. 9 Koselleck Reinhart, Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 649. 10 Vgl. Koselleck Reinhart, Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 627–635. Vgl. den Überblick bei Capitani François de, Beharren und Umsturz (1648–1815), S. 508–522. Zum Verhältnis zwischen der Eidgenossenschaft und den Niederlanden in der frühen Neuzeit vgl. Maissen Thomas, Inventing the Sovereign Republic; Maissen Thomas, Eine „absolute, independente, souveraine und zugleich auch neutrale Republic“. 11 Pütter Johann Stephan, Beyträge zum teutschen Staats- und Fürstenrechte, S. 21.
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Teilstaaten als zweckgebunden bestimmte. Die meisten politischen und staatsrechtlichen Schriftsteller, war darin zu lesen, würden die Eidgenossenschaft als „Systema Confoederatorum oder Civitatum Confoederatarum, oder ein Gemeines aus vielen für sich selbs freyen Staaten bestehendes, und durch Eyde und Bündnussen zur gemeinen Sicherheit und Erhaltung zusammengesetztes Wesen und Staat“ betrachten und gemeinhin als „Republicen“ bezeichnen.12 Ähnlich bestimmte auch Johann Conrad Fäsi 1765 das politische Gebilde der Schweiz als eine „Eidgenössische Republik“, welche durch ein Geflecht von asymmetrischen Bündnissen zur Wahrung der Freiheit gegen Innen und zum Schutz gegen außen zusammengehalten werde.13 Die Teilstaaten der Eidgenossenschaft bestünden aus „besondern und ganz eigenmächtigen Frey-Staat[en]“, so dass zwischen ihnen „nicht eine so genaue Verbindung“ bestehe, „als sich zwischen den VII. Provinzen der vereinigten Niederlande“ beobachten lasse, so Fäsi in einer vergleichenden Betrachtung, die er anschließend kritisch wendete: „Vielleicht würde eine solche Aufopferung der besondern Freyheiten eines jeden Stands der Eidgenossenschaft zum allgemeinen Besten derselben nicht wenig beytragen.“14 Sicherheit und Unabhängigkeit gegen Außen und Erhaltung der Freiheit gegen Innen wurden als die beiden Zwecke angegeben, welche bereits Montesquieu mit einer gelungenen Konföderation assoziiert hatte und welchen sich die schweizerischen Teilstaaten gemäß Leus und Fäsis Beschreibung gemeinsam unterwarfen. Es war also in der Sphäre des Zwischenstaatlichen, in welcher die Eidgenossenschaft als souveräne und unabhängige Einheit erschien, wohingegen sie in der innerkonföderalen Sphäre zwar als republicanisch bezeichnet, aber auch als ein fragmentiertes und von mehreren Souveränitäten durchzogenes politisches Gebilde erschien.15 Indessen schien der Begriff der confédération, welcher im 18. Jahrhundert regelmäßig auf das schweizerische Staatsgebilde angewandt wurde, gegen Ende des 18. Jahrhunderts an Plausibilität und Anschauungskraft zu verlieren. Tscharner und von Haller bemerkten jedenfalls bereits 1775, dass die Bezeichnung „Confédération Helvétique“ nicht adäquat sei: „Cette dénomination, dont quelques auteurs font usage, pour désigner la république con-
12 Leu Johann Jakob, Allgemeines Helvetisches, Eydgenössisches, oder Schweitzerisches Lexicon, VI, S. 476–477. 13 Fäsi Johann Conrad, Genaue und vollständige Staats- und Erdbeschreibung der ganzen helvetischen Eidgenossenschaft, I, S. 186. 14 Fäsi Johann Conrad, Genaue und vollständige Staats- und Erdbeschreibung der ganzen helvetischen Eidgenossenschaft, I, S. 191–192. 15 Zur Dialektik von Republikanismus und Souveränitätsdiskurs in der Schweiz vgl. Maissen Thomas, Eine „absolute, independente, souveraine und zugleich auch neutrale Republic“, S. 137–138.
5.1 Corps Hélvetique und zusammengesetzter Staat
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fédérée des ligues Suisses, n’est pas exacte, ni adoptée dans le droit publique.“16 Bezeichnenderweise verwiesen sie an dieser Stelle auf den Begriff „Corps Helvétique“ und führten hierzu aus: „C’est ainsi qu’on désigne en françois la masse entière des petites républiques de la Suisse, considérées comme une confédération nationale.“17 Mit der Zurückweisung des Begriffs „Confédération Helvétique“ und mit dem Insistieren auf dem Begriff „Corps Helvétique“, der dann aber doch als „une confédération nationale“ definiert wurde, war abgesehen von der stärkeren Akzentuierung der nun national definierten Einheit nicht viel gewonnen, wie auch die Autoren einräumen mussten: „Comme le terme de corps Helvétique embrasse également les treize cantons & les autres Etats de la Suisse, leurs associés ou alliés, l’union d’idée générale n’est pas, à beaucoup près, exacte.“18 Dieses politische Gebilde der Eidgenossenschaft ließ sich vorerst offenbar nur negativ bestimmen, wodurch aber gleichzeitig ein in die Zukunft geöffnetes Deutungsangebot zur künftigen Ausgestaltung der Eidgenossenschaft mitgeliefert wurde: „C’est improprement, que l’on donne à cette confédération le titre de république & d’Etat souverain“, wurde argumentiert: „Le nom d’Etat suppose une administration fixe, une autorité concentrée, un pouvoir exécutif, des revenus assingés pour les frais tutelaires, &c.“19 Keine dieser Bestimmungen traf auf den gegenwärtigen „corps Helvétique“ zu, wie Haller und Tscharner ausführten, aber gleichzeitig war damit auch gesagt, dass diese Bestimmungen theoretisch in Zukunft einholbar sind und die Eidgenossenschaft folglich effektiv zu einer „république & Etat souverain“ werden konnte. Es war bezeichnenderweise diese Stelle, welche James Madison in seinen Notes on Ancient and Modern Confederacies herausgestrichen hat, um auf die Schwächen der föderalen Konstruktion der schweizerischen Eidgenossenschaft aufmerksam zu machen, Schwächen, welche die Federal Convention in Madisons Perspektive nicht wiederholen sollte.20 Vor ähnliche Probleme wie Haller und Tscharner sah sich auch Leonard Meister gestellt, als er 1786 in seinem Abriss des Eydgenössischen Staatsrechtes die politische Ordnung des „Helvetischen Staats-Körpers“ beschreiben wollte. Die Eidgenossenschaft bestehe „aus einem engen und immerwährenden Schutz-
16 Tscharner Vincenz Bernhard/Haller Gottlieb Emanuel von, Dictionnaire géographique, historique et politique de la Suisse, II, S. 271. 17 Tscharner Vincenz Bernhard/Haller Gottlieb Emanuel von, Dictionnaire géographique, historique et politique de la Suisse, I, S. 1. Hervorhebungen im Original. 18 Tscharner Vincenz Bernhard/Haller Gottlieb Emanuel von, Dictionnaire géographique, historique et politique de la Suisse, I, S. 1. Hervorhebungen im Original. 19 Tscharner Vincenz Bernhard/Haller Gottlieb Emanuel von, Dictionnaire géographique, historique et politique de la Suisse, I, S. 50. Hervorhebungen im Original. 20 Madison James, Of Ancient and Modern Confederacies, S. 375–379.
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bündtnis zwischen XIII. kleinen Freystaaten“, erklärte Meister. „Die Absicht dabey ist einerseits Beschirmung gegen auswärtige Feinde, andererseits Verhütung innerer Unruhen.“ Trotz der schwachen Verbindungen zwischen den Kantonen, welche Meister auf „Ungleichheit der Macht, Verschiedenheit der Regierung und der Religion“ zurückführte, genieße die Schweiz doch „das Ansehn ununterbrochner, gemeinschaftlicher Nationalverbindung“.21 In diesen Ausführungen Tscharners, Hallers und Meisters spiegelte sich ebenso das Bemühen, die kulturelle, sprachliche, konfessionelle, konstitutionelle und letztlich auch kantonalterritoriale Vielfalt der Schweiz anzuerkennen, als auch die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts intensivierten und v. a. von aufklärerischen Kreisen getragenen Bestrebungen, die Eidgenossenschaft politisch und konstitutionell zu reformieren und sie mit einem gemeinsamen nationalen Geschichtsbewusstsein und mit einem „helvetischen Patriotismus“ auszustatten.22 Am Vorabend der Französischen Revolution, die mit etwas Verspätung auch die Eidgenossenschaft grundlegend umkrempeln sollte, war man sich trotz aller Schwierigkeiten, das treffende Vokabular zu finden, v. a. über Eines einig: die Eidgenossenschaft war ein föderales Gebilde, das in der zwischenstaatlichen Sphäre als eine souveräne und unabhängige Republik auftrat, in der innerkonföderalen Sphäre aber von einer Pluralität kantonaler Souveränitätsansprüche geprägt war, die ihrerseits wiederum zur Zielscheibe reformerischer Kritik wurde.
5.2 Umstrittene Einheit. Die eine und unteilbare Helvetik und das föderative Erbe Trotz der insgesamt ambivalenten Wirkungen in der Rezeption französischer Verfassungsideen, war die Auseinandersetzung über den föderalen Charakter der Schweiz v. a. während der Helvetik stark von den politischen Diskursen der Französischen Revolution geprägt, welche den Föderalismus, wie bereits angesprochen, entweder mit der Erhaltung der aus dem Ancien Régime stammenden Privilegien oder mit radikaldemokratischen Kleinstrepubliken in Verbindung brachten.23 Wenn die Verfassung der helvetischen Republik vom 12. April 1798
21 Meister Leonard, Abriss des Eydgenössischen Staatsrechtes überhaupt, nebst dem besondern Staatsrechte jedes Kantons und Ortes, S. 438, 440, 443. 22 Vgl. Zimmer Oliver, A Contested Nation, S. 41–79; Zurbuchen Simone, Patriotismus und Nation. 23 Vgl. hierzu Andrey Georges, La Confédération Suisse et le Fédéralisme Français (1789–1793); Czouz-Tornare Alain-Jacques, Un Paradoxe de l’Histoire; Lerner Marc H., The Helvetic Republic; Lerner Marc H., A Laboratory of Liberty, S. 75–133.
5.2 Umstrittene Einheit. Die eine und unteilbare Helvetik und das föderative Erbe
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gleich im ersten Abschnitt festhielt, dass die damit konstituierte Helvetische Republik „Einen unzertheilbaren Staat“ ausmache, dass die „Einheit des Vaterlandes“ nun „das schwache Band“ ersetze, welches bisher die Teile der Schweiz „auf’s Gerathewohl“ leitete,24 dann sollte dieses „neoclassical vocabulary of civic unity“ nicht darüber hinweg täuschen, dass die föderale Frage auch in der Helvetik eine zutiefst umstrittene war.25 Zurecht ist die Helvetik von Andreas Suter einmal als „eine ereignishafte Krisenphase“ bezeichnet worden, in welcher sich im Innern der Schweiz neue politische Handlungsspielräume öffneten, weil sich „der herrschaftsstrukturelle Kontext der Eidgenossenschaft im Gefolge der Französischen Revolution radikal veränderte“.26 Zu diesem Öffnen der Handlungsspielräume gehörte nun auch eine Debatte über die Vor- und Nachteile föderaler oder unitarischer Republiken und es ist auch im Lichte dieser krisenhaften Umbruchsituation zu betrachten, dass diese Debatten von Umsemantisierungen der politisch-sozialen Sprache begleitet wurden. Gleichzeitig wanderte im Zuge der Desintegration überlieferter sprachlicher Kategorisierungen der Blick hin zu anderen politischen Ordnungen. Beide Prozesse – derjenige der Umsemantisierung und derjenige der Blickverlagerung hin zu anderen politisch-konstitutionellen Referenzsystemen – betrafen auch die Kontroversen um den Föderalismusbegriff. Es war zuvorderst die föderale Konfliktlinie, entlang welcher sich die politischen Parteien der Unitarier, welche für die Aufrechterhaltung des Einheitsstaates nach französischem Muster eintraten, und der Föderalisten, welche sich zwar in der Ablehnung des Einheitsstaates einig waren, jedoch nicht in der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Bund und Kantonen, herausbildete.27 Und es war auch diese föderative Konfliktlinie, welche Napoleon Bonaparte zu fast schon resignierenden Worten über die staatlichen Strukturen der Schweiz veranlasste: „La Suisse ne ressemble à aucun autre état,“ so Napoleon anlässlich seiner Rede in St. Cloud vom 10. Dezember 1802, „La nature a fait votre état
24 Verfassung der Helvetischen Republik, 12. April 1798, in: Strickler Johannes (Hrsg.), Actensammlung aus der Zeit der Helvetischen Republik (1798–1803), I, S. 567. 25 Higonnet Patrice, The Politics of Linguistic Terrorism and Grammatical Hegemony during the French Revolution, S. 46. 26 Suter Andreas, Vormoderne und moderne Demokratie in der Schweiz, S. 234. Die Transformation der politischen Sprache von einer klassisch-republikanischen zu einer modern-republikanischen Ausrichtung in der Helvetik akzentuiert auch Zurbuchen Simone, Patriotismus und Nation, S. 72. Vgl. indessen auch die Hinweise auf wichtige Kontinuitäten bei Schläppi Daniel, Die Helvetik (1798–1803). 27 Vgl. Böning Holger, Revolution in der Schweiz, S. 108–120, 193–206; Wild Hugo, Zentralismus und Föderalismus in der schweizerischen Publizistik von der Helvetik bis zur Bundesrevision, S. 14–39.
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fédératif.“28 Bevor diese Notwendigkeit eines Kompromissmodells zwischen Unitariern und Föderalisten ins politische Bewusstsein drang, wurden allerdings noch einige politische Kontroversen ausgefochten. Die föderalismus-kritische Semantik, welche die politischen Diskurse im revolutionären Frankreich durchtränkte, entfaltete auch in der Schweiz – und hier wenig überraschend insbesondere unter den Unitariern – ihre Wirkmacht. „Föderalismus“, meinte etwa der Berner Jurist und Politiker Bernhard Friedrich Kuhn 1800 in einer an Sieyes erinnernden Sprache, bedeute nichts anderes als der Versuch, die Schweiz „in eine Menge kleiner, gegenseitig beinahe unabhängiger, Abtheilungen zu zerreißen, die bloß das lose Band einer zwar gemeinschaftlichen, aber vielköpfigen, übel organisirten, und deswegen kraftlosen Centralregierung zusammenhalten soll.“29 Hinter dieser Rhetorik machte sich die Hydra-Metapher des jakobinischen Diskurses bemerkbar, und ähnlich wie dieser verband auch Kuhn den Föderalismusbegriff mit den scheinbar widersprüchlichen Vorwürfen, er würde entweder Demokratie oder aristokratische Privilegienordnungen begünstigen. Föderalismus, so Kuhn, sei entweder nur eine begriffliche Maske für eine „Wiederherstellung der alten Ordnung der Dinge“ und für einen aristokratischen „Föderalismus der Privilegien“, oder er sei ein „Föderalismus der Demagogie“, der durch die Entfesselung demokratischer Ideen, jede vernünftige, auf dem Repräsentationsprinzip beruhende, republikanische Ordnung zersetzen würde.30 „Die republikanische Form wird nach und nach in eine rein demokratische, die stellvertretende Verfassung in eine Landsgemeinderegierung, die Einheit des Vaterlandes in die fürchterlichste Art des Föderalism aufgelöst“, so Kuhns Prognose für die Schweiz, wenn diese nicht dem repräsentativen Einheitssystem folgen würde.31 Der Föderalismus schien in der Schweiz also genau jene beiden Übel zu perpetuieren, welche im helvetischen Kontext ohnehin die Rezeption der französischen Revolutionsideale behinderten: die Landsgemeindedemokratie, welche sich als ein für manche Schweizer attraktives Gegenmodell zum repräsentativ-demokratischen Modell Frankreichs erwies, und die aristokratischen städtischen Regimenter, welche sich gegen den egalitären Impuls aus Frankreich wehrten und an ihren
28 Napoleon Bonaparte, Aux députés des dix-huit cantons de la république helvétique, S. 292. 29 Kuhn Bernhard Friedrich, Über das Einheits-System und den Föderalismus als Grundlagen einer künftigen helvetischen Staatsverfassung, S. 14. 30 Kuhn Bernhard Friedrich, Über das Einheits-System und den Föderalismus als Grundlagen einer künftigen helvetischen Staatsverfassung, S. 11–12. 31 Kuhn Bernhard Friedrich, Über das Einheits-System und den Föderalismus als Grundlagen einer künftigen helvetischen Staatsverfassung, S. 15.
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Privilegien festhielten.32 Die scheinbar widersprüchliche Föderalismuskritik von Sieyes schien sich bei der von Kuhn unternommenen Übertragung auf den schweizerischen Kontext passgenau in die vorgefundenen politisch-kulturellen Bedingungen einzufügen. Sieyes’ Föderalismuskritik erhielt durch ihre Übertragung vom französischen auf den schweizerischen Kontext eine Anschauungskraft, die ihr im französischen Ursprungskontext kaum gegeben war. Diese Anschauungskraft der Sieyes’schen Föderalismuskritik in ihrer Anwendung auf die politische Kultur der Eidgenossenschaft fiel auch Louis Secrétan auf. Föderalismus, so der Waadtländer Anwalt und Mitglied des Helvetischen Grossen Rats, sei nur eine Verbrüderung der „maitres“ zum Zweck eines „assujettissement des peuples“.33 Nicht nur führe ein föderales System zu einer Wiederentdeckung alter Privilegien, sondern führe notgedrungen auch zu einer Schwächung der Unabhängigkeit und zu einer mangelnden Entschlossenheit in außenpolitischen Angelegenheiten, so Secrétan: „l’indépendance naît de l’énergie et celle-ci d’une unité parfaite dans la volonté de la Nation“; eine Einheit des nationalen Willens freilich, welche durch föderale Systeme stetig unterlaufen würde.34 Diversität und eine föderale Organisation, welche diese Diversität politisch repräsentierte und institutionalisierte, wurde in dieser Perspektive weitgehend mit der ständischen Gesellschaftsordnung des Ancien Régimes und mit einer Lähmung politischer Handlungsfähigkeit in Verbindung gebracht, während politische Uniformität mit den modernen und progressiven republikanischen Staaten der Zukunft assoziiert wurde.35 Dies färbte sich auch auf die Einschätzung der amerikanischen Föderativrepublik ab. So ließ Secrétan auch die Argumente jener nicht gelten, welche nun behaupteten, „qu’il ne s’agit pas de rétablir en Suisse, ni l’ancienne oligarchie, ni même un véritable fédéralisme, mais un gouvernement habilement combiné, qui laisse à chaque division intérieur, une plus grande latitude d’administration et qui toutefois retienne le tout réuni, sous le lien vigoureux d’un Sénat commun.“36 Nicht das amerikanische Modell also, „exemple devenu chez nous fort à la mode“, sei ins Blickfeld der schweizerischen Reformkräfte zu rücken, sondern das franzö-
32 Vgl. hierzu auch Suter Andreas, Vormoderne und moderne Demokratie in der Schweiz, S. 231– 254. 33 Secrétan Louis, Réflexions sur le fédéralisme en Helvétie, S. 6. 34 Secrétan Louis, Réflexions sur le fédéralisme en Helvétie, S. 8. 35 Vgl. Zimmer Oliver, A Contested Nation, S. 89. 36 Secrétan Louis, Réflexions sur le fédéralisme en Helvétie, S. 15. Zu den Debatten über den amerikanischen Bundesstaat während der Helvetik vgl. Luehrs Tripp Myron, Der schweizerische und amerikanische Bundesstaat, S. 4–10; Netzle Simon, Die USA als Vorbild für einen schweizerischen Bundesstaat, S. 53–55.
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sische. „Si le fédéralisme modifié comme l’on voudra, est un système si utile, pourquoi la France l’a-t-elle si constamment rejeté, au milieu de tant d’essais, de tant de changemens aportés à la forme de sa constitution?“ fragte Secrétan, um anschließend gleich selbst zu antworten: „Elle connoissoit tous les vices de cette funeste machine. […] C’est donc avec raison qu’on a voulu, que chaque acte public portât, avec ces mots, République une et indivisible, une protestation solennelle contre le perfide fédéralisme.“37 Es war diese negativ-besetzte Semantik des Föderalismusbegriffs in der Schweiz um 1800, die David-Frédéric Monneron dazu veranlasst haben mag, sich in der Einleitung zu seinem Föderalismuskapitel in seinem Essai sur les nouveaux principes politiques bei seinen Lesern zuerst einmal dafür zu entschuldigen, dass er den Begriff fédéralisme in den Titel dieses Kapitels aufgenommen habe: Je demande pardon au Lecteur, si aimant mieux prendre conseil de l’expérience & des écrivains célèbres, que des opinions du jour, j’ose reproduire un mot si sévèrement proscrit de l’usage ordinaire par la politique de notre tems; qu’il veuille bien suspendre un moment l’effet des préventions dont on l’a entouré; & peut-être ce Chapitre ne se terminera-t-il pas avant qu’il soit à moitié réconcilié avec un mot utile & des idées sages, dont il a plu à nos politiques modernes de nous faire un épouvantail.38
Monneron, der in seinem Werk einen weiten politisch-theoretischen Bogen von Morus, Harrington und Hume über den „illustre citoyen de Genève“ Rousseau, Sieyes und Mably bis hin zu Althusius, „que Condorcet a tiré de l’oubli“, schlug, holte v. a. über diese vielschichtige Rezeption klassisch-republikanischer Autoren die reduktionistische Prägung des Föderalismusbegriffs in der Französischen Revolution in einen kritischen Reflexionsraum ein.39 Die negative Besetzung des Föderalismusbegriffs, argumentierte Monneron, sei eine relativ junge Erscheinung und sei auf die Parteienkämpfe zwischen Jakobinern und Girondisten während der Französischen Revolution zurückzuführen. Es sei Robespierre gewesen, der in diesem Kontext das Wort „Fédéralistes“ als Denunziationsbegriff erfunden habe: „ce mot fut dès-lors soigneusement accolé dans toutes les feuilles publiques, à
37 Secrétan Louis, Réflexions sur le fédéralisme en Helvétie, S. 24. 38 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 39. 39 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 14, 15, 17, 27, 44. Zur Aktualisierung und Transformation klassisch-republikanischer politischer Sprachen im Zeitalter der Revolutionen vgl. Baker Keith Michael, Transformations of Classical Republicanism in Eighteenth-Century France; Baker Keith Michael, Political Languages of the French Revolution; Jainchill Andrew, The Constitution of the Year III and the Persistence of Classical Republicanism; Lerner Marc H., A Laboratory of Liberty, S. 5–9.
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ceux de royalistes & de tyrans.“40 Ließe man sich den Blick indessen nicht von diesen aus gehässigen Parteienstreitereien resultierenden Begriffsverzerrungen verstellen, und berücksichtige man stattdessen die Geschichte föderaler Staatsgebilde und die angloamerikanische Föderalismusdebatte, so erhalte der Föderalismusbegriff eine gänzlich andere Bedeutung: „Loin cependant que le fédéralisme ait quelque rapport avec la tyrannie, l’histoire nous le présente par-tout comme l’un de ses plus redoutables fléaux. Le fédéralisme fut en effet, dans tous les temps, le rempart inexpugnable de la liberté.“41 Die Freiheit, welche nun Monneron hier mit dem Föderalismus in ein wechselseitiges Ermöglichungs- und Förderungsverhältnis stellte, war nicht mehr Freiheit als Privileg. Stattdessen begründete Monneron Freiheit einerseits naturrechtlich, indem er unveräußerbare individuelle Rechte, die allen Bürgern zustehen und die auch nicht „aux intérêts du plus grand nombre“ geopfert werden dürfen, einforderte. Andererseits hielt er aber auch an der klassisch-republikanischen Vorstellung von Freiheit als Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess fest.42 Und gerade in der Balancierung dieser Freiheitsvorstellungen, so Monneron mit dem Verweis auf die Französische Revolution und auf den von ihr geschaffenen Einheitsstaat, habe das französische Modell teilweise versagt. Es sei diesem Modell trotz der Menschen- und Bürgerrechtserklärung gerade nicht gelungen, während der terreur Bürger und Minderheiten vor dem willkürlichen Zugriff der Macht der Mehrheit (oder derjenigen, die sich dafür hielten) zu schützen, und verankerte den politischen Willen in einem Zentrum, das der Volatilität der politischen Willensbildungsprozesse viel stärker ausgesetzt sei, als dies in einem föderalen System der Fall sei: L’unité absolue livre la République à des secousses de fixer le terme & de calculer les effets; elle fait reposer l’Etat sur une ancre unique qui peut céder aux coups de l’orage, & qui, dans l’agitation des événemens, lui laisse toujours une liberté de mouvemens qui le fatigue. Le fédéralisme donne une base plus solide au gouvernement dont il est le principe; il y place un régulateur puissant qui assure sa marche, & rend ses opérations moins hasardeuses & plus précises.43
Die Nähe zwischen den politischen Institutionen und den Bürgern, zwischen Regierten und Regierenden und das Bewusstsein einer gegenseitigen Verantwortlichkeit, die niederschwelligeren Partizipationsmöglichkeiten der Bürger an der
40 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 40. Hervorhebungen im Original. 41 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 40. 42 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 77. 43 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 48–49.
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Regelung öffentlicher Belange und in der Verwaltung des Gemeinwesens sowie die Diffusion und Diversifizierung politischer Macht, anstatt ihrer Konzentration, führte Monneron als weitere Argumente für eine föderale Ordnung ins Feld. Neben diesen prinzipiellen Argumenten, war aber auch der spezifische Kontext der Schweiz mit zu berücksichtigen. Die Schweiz, so Monneron, „où l’on trouve réunis, pour ainsi dire, dans un cercle étroit, toutes les variétés, toutes les oppositions, tous les contrastes du reste de l’Europe“, tauge nicht für eine „unité parfaite & absolue“.44 Viel klüger sei es für den schweizerischen Fall, das amerikanische Beispiel zu studieren, und auf der Basis der Volkssouveränität nationale Einheit und föderale Organisation miteinander zu verbinden. „La République que je conçois est une,“ so Monneron, „sans laisser d’être fédérative.“45 Es gehe dementsprechend nicht darum, argumentierte Monneron gegen den Einwand der Unitarier, dass die Anhänger einer föderalen Ordnung die alten Herrschaftsverhältnisse wieder einführen möchten und aus der Schweiz wieder „un assemblage d’Etats isolés“ werde, wie dies in der Alten Eidgenossenschaft der Fall gewesen sei. Monneron erkannte durchaus die Leistung des helvetischen Einheitsstaates, die feudalen Partikulargewalten und die rechtlichen Unterschiede zwischen den Kantonen und gegenüber den Untertanenlanden ausgeschaltet zu haben und damit eine Rechtsgleichheit geschaffen zu haben, hinter die zurückzukehren nicht anzuraten war. Im Gegenteil schuf erst die französische Intervention die Bedingungen der Gleichberechtigung und Parität zwischen den Kantonen und eine bürgerliche Rechtsgleichheit, welche eine Emanzipation vom Föderalismus der alten Ordnung möglich machte und eine neue Art des Föderalismus in den Zukunftshorizont rückte.46 Das von ihm vertretene föderale Prinzip, insistierte Monneron, erhalte somit nicht die rechtlichen Privilegien und Unterschiede der Alten Eigenossenschaft, sondern wird zum inhärenten Bestandteil einer neuen Republik, die „une“ und „fédérative“ sei. Dies bedinge, dass die Kantone einen Teil ihrer Souveränitätsrechte an eine „Autorité supérieure“ abtreten müssten, dessen Zuständigkeiten und politische Rechte durch einen „pacte fédératif“ nach dem Beispiel der amerikanischen Konföderationsartikel auszuhandeln sei: Cet acte n’anéantit point la liberté des Etats dont il compose une République; il la partage en deux portions, dont l’une est exercée en commun par les confédérés, dans le but d’assurer à chacun d’eux la jouissance tranquille de l’autre. Cette forme de gouvernement est d’autant plus avantageuse que l’association qui en est la base est plus sagement conçue, & que le
44 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 56. 45 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 94. Hervorhebungen im Original. 46 Vgl. hierzu auch Czouz-Tornare Alain-Jacques, Un Paradoxe de l’Histoire, S. 365–367.
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lien qui la constitue, pressant plus également les parties, les retient mieux ensemble sans les gêner. Si cette combinaison politique était portée au degré de perfection dont elle parait susceptible, il n’y aurait point, sans contredit, de gouvernement plus heureux pour les peuples. La tranquillité s’y trouverait toujours réunie à la force, la prospérité intérieure à l’indépendance, le pouvoir absolu à l’égalité.47
Nötig sei also in jedem Falle „le partage de l’autorité souveraine“.48 Monneron stützte sich bei seinen Anleihen beim amerikanischen Konstitutionalismus auf die Schrift Tableau de la situation actuelle des États-Unis d’Amérique, d’après Jedidiah Morse, welche der Genfer Charles Pictet de Rochemont 1795 in Paris veröffentlicht hatte, und welche eine Übersetzung der amerikanischen Verfassung von 1787 enthielt.49 Interessanterweise bezog sich Monneron bei seinen Argumenten für eine stärkere Berücksichtigung der amerikanischen Erfahrung indessen nicht auf die Verfassung von 1787, die er durch die Lektüre von Pictets Übersetzung kannte, sondern auf die Articles of Confederation. Offenbar schien ihm dieser Verfassungsvorschlag näher an den eidgenössischen Erfahrungen zu liegen, als die bundesstaatlichen Innovationsversuche von 1787, die sich den begrifflichen Ordnungsschemata noch zu entziehen schienen.50 Dennoch ordnete sich Monnerons Argumentation in eine Reihe anderer politischer Bestrebungen ein, die historische Erfahrung der Vereinigten Staaten angesichts einer krisenhaften Umbruchphase der schweizerischen Eidgenossenschaft stärker zu berücksichtigen und insbesondere die bundesstaatlichen Strukturen einer tiefgreifenden Reflexion zugänglich zu machen. So hatte Karl Viktor von Bonstetten bereits 1788 angemerkt, dass die Schweiz „vieles mit der Amerikanischen Bundesrepublick gemein“ habe und dass die in Nordamerika produzierten „politischen Schriften“ diejenigen seien, „die uns am meisten nützen könnten.“51 Frédéric César La Harpe meinte 1798, dass Philipp Albert Stapfer ihm gegenüber bemerkt habe, dass Stapfer „un système fédératif assez analogue à celui des Etats-Unis“ für die Schweiz für die angemessenste Lösung hielt.52 Und
47 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 107–108. 48 Monneron David-Frédéric, Essai sur les nouveaux principes politiques, S. 109. 49 Pictet de Rochemont Charles, Tableau de la situation actuelle des Etats-Unis de l’Amérique, d’après Jedidiah Morse, I, S. 72–110. 50 Vgl. hierzu auch Netzle Simon, Die USA als Vorbild für einen schweizerischen Bundesstaat, S. 53–54. 51 Bonstetten Karl Viktor von, Entwurf allgemeiner Schulanstalten in Pensylvanien, und wie Wissenschaften daselbst auszubreiten wären, S. 694. 52 Frédéric César Laharpe an die Provisorische Versammlung, 15. März 1798, in: Biaudet Jean Charles/Jequier Marie-Claude (Hrsg.), Correspondance de Frédéric-César La Harpe sous la République Helvétique, II, S. 101.
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auch Johann Georg von Müller schrieb Mitte Mai 1799 an seinen Bruder Johannes, dass „mit gehörigen Modificationen, die Americanische Verfassung noch am besten für uns taugen würde. Da ist Einheit, und doch behält jeder Canton seine Individualität“, meinte Müller. Die einzelnen Kantone würden „einen Theil der Souverainetät erhalten, die ihnen die ‚Confusion‘ (wie die Ländler sagen) glatt genommen hat“ und, dass eine „Central-Regierung“ das Recht habe, „gewisse allgemeine verbindliche Gesetze zu machen“ sei „die Grundlage“ eines solchen bundesstaatlichen Systems.53 An diesen Anleihen beim amerikanischen Föderalismus, wie auch an Monneron und seiner Vorstellung einer auf der Souveränität des Volkes gründenden Republik, die „une“ und gleichzeitig „fédérative“ sein soll, ist bereits eine Fermentierung tradierter Kategorisierungen assoziativer Staatlichkeit zu beobachten, wie sie dann in den folgenden Jahrzehnten in enger Wechselwirkung mit den in Deutschland zu beobachtenden Diskursen um das Begriffspaar Staatenbund und Bundesstaat und in der fortgesetzten Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus manifest wurde.
5.3 „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“Divergierende Souveränitätskonzepte und der lange Schatten der Helvetik Als Alexis de Tocqueville fünf Jahre nach seiner Reise in die Vereinigten Staaten auch die Schweiz besuchte, urteilte er über deren politische Strukturen lakonisch: „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“ Wenn es der Schweiz nicht gelinge, so Tocqueville kritisch und durch die Brille des von ihm studierten amerikanischen Bundesstaates, „d’en arriver à un compromis plus ou moins analogue à celui dont on fait usage aux États-Unis d’Amérique“, könne man nicht einmal behaupten, dass die Schweiz eine eigentliche Bundesregierung habe: „Avec les lois actuelles, il n’y a pas à vrai dire, de gouvernement fédéral.“54 Andere ausländische Beobachter der schweizerischen Politik sahen dies ähnlich. Der deutsche Schriftsteller Theodor Mundt meinte nach einer Reise in die Schweiz Ende der 1830er Jahre sarkastisch, dass sich ein „kunterbunte[r] Knäuel von Constitutionen über die Alpen“ hinziehe,
53 Johann Georg von Müller an Johannes Müller, [Mitte Mai 1799], in: Haug Eduard (Hrsg.), Der Briefwechsel der Brüder Johann Georg von Müller und Johannes von Müller, 1789–1809, S. 175. Hervorhebungen im Original. 54 Tocqueville Alexis de, Voyage en Suisse, S. 455, 463–464. Zu Tocquevilles Auseinandersetzung mit der Schweiz vgl. Dürr Emil, Die Demokratie in der Schweiz nach der Auffassung von Alexis de Tocqueville; Dufour Alfred, Histoire et constitution; Monnier Luc, Tocqueville et la Suisse; Ganzin Michel, Alexis de Tocqueville.
5.3 „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“
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und Alles liegt darin so querköpfig und mit verrenkten Gliedern durcheinander, bloß um Gegensätze und Besonderheiten herauszubringen. So stellt die Schweiz gewissermaßen den carikirten Gesammtwillen Rousseau’s dar, und wird in diesem komischen Zerrbild befangen bleiben, so lange die Idee der Volkssouverainetät sich nur im Cantönligeist offenbart.55
Um aus dem „unorganischen Staatenbund“ einen „Bundesstaat“ zu machen, „der den Gesammtwillen des Volkes“ vertrete, so meinte Mundt in Einklang mit seinen Freunden Ignaz Paul Vital Troxler und Karl Kasthofer, seien „die nordamerikanischen Verfassungsverhältnisse als Muster“ zu nehmen.56 Und auch Mundts amerikanischer Schriftstellerkollege James Fenimore Cooper berichtete nach seiner Reise durch die Schweiz Mitte der 1830er Jahre: All the liberal and enlightened Swiss, with whom I have conversed, admit that the present system is imperfect; […] they desire a Union like our own, in place of the Confederation, – a central government, that, for certain common objects, can act directly on the people, without the interference of agents, who derive their authority from a different source.57
Auch wenn Mitte der 1830er Jahre, zum Zeitpunkt als Tocqueville, Mundt und Cooper die Schweiz bereisten, vermutlich nicht alle Schweizer den zugespitzten Urteilen dieser Reisenden zustimmen wollten, brachten sie damit doch eine Problemlage zur Sprache, die nach den 1830er Revolutionen in den politischkonstitutionellen Debatten der Eidgenossenschaft an Virulenz gewann.58 Schrittweise bereits nach 1815 und dann in intensivierter Form nach 1830 setzte in der Schweiz in einem „Kontext fundamentaler Unsicherheit“ eine Föderalismusdebatte ein,59 die ein multidimensionales Referenzsystem aufwies. Zum einen stand das föderative Erbe der Alten Eidgenossenschaft zur Diskussion; zum zweiten und eng damit verbunden die historische Erfahrung der Helvetik und damit die Bedeutung der Französischen Revolution für die Schweiz; zum dritten die sich
55 Mundt Theodor, Spaziergänge und Weltfahrten, III, S. 94. 56 Mundt Theodor, Spaziergänge und Weltfahrten, III, S. 145–146. 57 Cooper James Fenimore, Excursions in Switzerland, S. 154. 58 Vgl. hierzu die Überblicksdarstellungen bei Andrey Georges, Auf der Suche nach dem neuen Staat (1798–1848), S. 608–630; Biaudet Jean Charles, Der modernen Schweiz entgegen; Biaudet Jean-Charles, Les origines de la Constitution fédérale de 1848; Mesmer Beatrix, Die Modernisierung der Eidgenossenschaft – Sattelzeit oder bürgerliche Revolution; Meyerhofer Ursula, Von Vaterland, Bürgerrepublik und Nation; Müller Thomas Christian, Die Schweiz 1847–49, S. 286–298. Zu den liberalen und radikalen Bewegungen in der Schweiz vgl. Tanner Albert, „Alles für das Volk“; Tanner Albert, Das Recht auf Revolution; Schaffner Martin, Direkte Demokratie; Schaffner Martin, „Direkte“ oder „indirekte“ Demokratie? Vgl. in diesem Zusammenhang auch den ideengeschichtlichen Abriss bei Meuwly Olivier, Les penseurs politiques du 19e siècle, S. 31–91. 59 Siegenthaler Hansjörg, Supranationalität, Nationalismus und regionale Autonomie, S. 125.
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in Deutschland entfaltenden begrifflichen Klärungsprozesse um das Begriffspaar Bundesstaat und Staatenbund; und zum vierten der amerikanische Föderalismus, dessen Modellhaftigkeit für eine Reform des schweizerischen Bundesvertrages von 1815 nun zum Gegenstand umstrittener Kontroversen wurde, in welchen sowohl Befürworter als auch Gegner einer Bundesreform ihre Argumente mit dem Hinweis auf die amerikanischen Erfahrungen eines bundesstaatlichen Föderalismus zu schärfen suchten. Die Erinnerung an das föderative Erbe und an die Helvetik trieb in vielerlei Hinsicht die Debatten um den schweizerischen Föderalismus an. Die Schweiz habe „die ganze Tonleiter von der Höhe des straffsten Einheitsstaats bis zu der untersten Niederung des lockersten Staatenbundes“ durchlaufen, meinte Ignaz Paul Vital Troxler 1838, und auch Heinrich Zschokke, die wichtige Vermittlerfigur zwischen den liberalen und radikalen Kräften in Deutschland und der Schweiz, ließ die Leser des Artikels zur Eidgenossenschaft im Staatslexikon von Welcker und Rotteck wissen, dass dieses „Knäuel meistens selbstständiger und selbstherrlicher kleiner Staaten“ von einem Föderalismus geprägt sei, der bisweilen „monströseste“ Züge annahm. Gleichzeitig erinnerte er allerdings auch daran, dass die Schweiz in den letzten Jahrzehnten einen „Uebersprung von Extremen zu Extremen, von der ärgsten Zerbröckelung zur vollendsten Gleichförmigkeit“ durchlebt habe.60 Einige Jahre Später urteilte auch Peter Conradin Planta im Rückblick auf die jüngere Geschichte der Schweiz, diese habe „beide Zustände so zu sagen in ihrem Extreme“ erlebt: ein Staatenbund bestehend aus einem „Naturalienkabinet aller möglichen Staatsorganisationen“ und den Einheitsstaat der Helvetischen Republik mit seinem „Alles absorbirenden Mittelpunkt“.61 Betrachte man die Geschichte der politischen Verhältnisse in der Schweiz, so Planta, habe man es mit einem „babylonischen Thurmbau“ zu tun, „den zu begreifen und zu durchdringen und auch nur theoretisch zu beherrschen, geschweige denn praktisch zu durchschauen, die Aufgabe eines Menschenalters wäre!“62 Mit zu dieser auch von anderen politischen Beobachtern festgestellten „babylonischen Sprachverwirrung“63 beigetragen habe der unsorgfältige Gebrauch der Sprache,
60 Zschokke Heinrich, Art. Eidgenossenschaft (schweizerische), S. 615–616 & 621. 61 Troxler Ignaz Paul Vital, Die Sieben Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft von 1798 bis 1815, S. 8; Planta Peter Conradin de, Die schweizerische Bundesfrage, S. 28, 198 & 392. 62 Planta Peter Conradin de, Die schweizerische Bundesfrage, S. 188. 63 So stellte etwa auch Karl von Rotteck eine „fast babylonische Sprachverwirrung“ fest, welche im Zuge der revolutionären Umstürze und „in Folge des blind leidenschaftlichen politischen Parteienkampfs“ eingetreten sei. Vgl. Rotteck Karl von, Art. Demokratisches Prinzip, demokratisches Element und Interesse, demokratische Besinnung, S. 252–253.
5.3 „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“
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beklagte sich etwa Troxler. Mit Blick auf die Begriffsdifferenzierung zwischen Bundesstaat und Staatenbund meinte er anfangs der 1830er Jahre: „Je nachdem jenen Worten eine Bestimmung gegeben wird, kehrt sich Sinn und Bedeutung geradezu um und damit auch die Sache und der Gegenstand, weil diese von menschlich-freithätiger Anordnung abhängen.“64 Um zu dieser Begriffsklärung beizutragen, die Troxlers Argument zufolge auch die Gegenstände klären sollte, verwiesen viele Autoren auf die Unterschiede zwischen der politischen Ordnung der Helvetik und den staatenbündischen Strukturen, die dieser vorausgingen und auch wieder folgten. Die historische Erfahrung mit der Helvetik hatte die Idee einer Implementierung eines Einheitsstaates in der Schweiz langfristig diskreditiert. Der gewaltige innere Staatsausbau während der Helvetischen Republik, der Aufbau einer starken zentralen Staatsadministration, die Lancierung einer ganzen Reihe ehrgeiziger Reformprojekte zur kulturellen Homogenisierung und „Nationalisierung“ der Eidgenossenschaft, eine xenophobe Zuordnung der Helvetik als reine „Franzosenherrschaft“ und die Beseitigung der kantonalen Souveränitäten bei gleichzeitiger Einschränkung der Autonomie- und Selbstverwaltungsansprüche der Gemeinden – all diese widersprüchlichen Erfahrungsfragmente wurden in der kollektiven Erinnerung an die Helvetik amalgamiert und weitgehend negativ besetzt. „O! ihr ewigen Gleichmacher, ist denn euch gar alle Idee der Geschichte und Natur ab Handen gekommen?“ fragte ein Innerschweizer Pamphletist 1831 spöttisch mit dem Blick auf die kulturellen und politischen Vereinheitlichungsbestrebungen, welche er in der Helvetik ebenso am Werk sah, wie in den Bundesreformbestrebungen der frühen 1830er Jahre: Der Gärtner weiss, dass unter Millionen Blumen, selbst von der gleichen Gattung, sich keine wie die andere entfaltet und gestaltet, und der Schuster weiss, dass er den Schuh nach den Füssen zuschneiden muss, und nicht die Füsse nach dem Schuh modeln kann; und ihr wollt Alle in den gleichen tragischen Kothurnstiefel eurer Hirngespinnste einzwängen, und die verschiedenartigsten geistigen und zeitlichen Entwicklungen in das gleiche abstrakte Zwangsmodell eurer despotischen Reformationsprojekte einpressen, und heisst dies ‚Nationalität‘ und Freiheit.65
Die historisch gewachsene Diversität der verschiedenen Teile der Schweiz wurde von den Kritikern einer Bundesreform gerne gegen die theoretischen, auf Prin-
64 Troxler Ignaz Paul Vital, Ueber die von einem Tagsatzungsausschuss des Jahres 1832 entworfene Bundesurkunde der schweizerischen Eidgenossenschaft, S. 10. 65 [Anon.], Kurze Erläuterung des von Doctor Casimir Pfyffer herausgegebenen Zurufs an den eidgenössischen Vorort Luzern, S. 21.
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zipien beruhenden „Hirngespinnste“ ausgespielt, wie sie bereits während der Helvetik an den historisch gefestigten Realitäten der Schweiz gescheitert seien. Mit dieser historischen Erzählung verbunden war in der Regel auch eine kantonale Souveränitätskonzeption, die an tradierte Vorstellungen des Kommunalismus und Republikanismus anschloss und direkte Demokratie, lokale Autonomie und eine schwache Zentralregierung bei Beibehaltung der staatenbündischen Struktur bevorzugte.66 Hier verband sich die Erinnerung an die Helvetik mit einer Beschneidung politischer Gestaltungsmöglichkeiten, die man in den Gemeinden und Kantonen eher garantiert sah, als auf nationaler Ebene, und der Widerstand gegen die Bundesreform hatte in dieser Perspektive durchaus seine kulturelle, historische und politische Logik.67 Anders sahen dies freilich die Befürworter einer Bundesreform, die in einer teilweisen Anknüpfung an die Prinzipien der Französischen Revolution und der Helvetik repräsentative Demokratie, die Verlagerung von Kompetenzen an eine nationale Zentralregierung und den Aufbau eines Bundesstaates favorisierten. In ihren Augen galt es die „abenteuerliche Missgestalt“ (Heinrich Zschokke) des nach 1815 errichteten Bundes zu reformieren und die kantonalen Souveränitätsansprüche zugunsten eines Ausbaus einer handlungsfähigen Bundesregierung zu begrenzen.68 „Beinahe alle Stände hängen wie Kletten an ihrer KantonalSouveränität und sträuben sich gewaltig, irgendeine Partikel derselben dem Allgemeinen zu opfern“, klagte Karl Schnell im April 1833 bei Philipp Albert Stapfer. Es herrsche in der Schweiz der „engherzigste Kantonal-Egoismus“, was die Aussichten für die Bundesrevision trüben würde.69 Indessen war auch den Befürwortern einer Bundesreform bewusst, dass die historische Erfahrung der Helvetik der politischen Kultur der Schweiz einen Stempel aufdrückte, der nicht zu ignorieren war. Auch wenn der „égoïsme“ der Kantone so weit getrieben würde, dass die Schweiz zu einer „confédération fictive, sans lien commun“ verkommen sei, wie Alexandre Roger 1831 urteilte,70 war das Gegenmodell doch nicht der Einheitsstaat der Revolution, sondern der Bundesstaat, den man nun von der historischen Erfahrung der Helvetik zu distanzieren versuchte. „Dire que la Suisse est une nation, cela ne signifie point une nation une et indivisible, une
66 Vgl. zu diesen dynamischen Kontinuitäten Blickle Peter, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus; Weinmann Barbara, Eine andere Bürgergesellschaft, S. 11–28. 67 Vgl. hierzu auch Suter Andreas, Direkte Demokratie – historische Reflexionen zur aktuellen Debatte, S. 245–249. 68 Zschokke Heinrich, Art. Eidgenossenschaft (schweizerische), S. 615–616 & 618. 69 Karl Schnell an Albert Stapfer, 2. April 1833, in: Bonjour Edgar, Die Gründung des Schweizerischen Bundesstaates, S. 194. 70 Roger Alexandre, Essai sur le lien fédéral en Suisse, S. 7.
5.3 „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“
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nation unitaire“, argumentierte ein 1835 veröffentlichter Bericht der Minderheit des Grossen Rates des Kantons Waadt (der vermutlich von Henri Druey verfasst wurde) in einer Sprache, die deutliche Anleihen bei den Diskursen der Französischen Revolution und der Helvetik machte. Stattdessen habe man es in der Schweiz mit einer anderen Form der Nation zu tun: „La Suisse est une nation fédérative.“71 Manche befürchten durch eine Bundesreform in der Schweiz die Einführung eines „régime unitaire, la république helvétique“ und verbanden damit „un danger pour notre existence cantonale“, nahm Henri Druey bei einer anderen Gelegenheit den Erinnerungsdiskurs an die Helvetische Republik Mitte der 1830er Jahre auf, allerdings nur, um auf die Differenzen zwischen der Helvetischen Republik und den Reformbestrebungen seiner Gegenwart aufmerksam zu machen. Es gehe vielmehr um eine „modification nouvelle à la constitution fédérative de la Suisse […] afin que l’ensemble ait plus de force, les parties plus de liberté.“72 Dass das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen nicht ein Nullsummenspiel sei und dass ein Ausbau der Bundeskompetenzen nicht zwangsläufig auf Kosten der Kantone gehe, sondern zum Vorteil beider sei, dieses Argument gehörte nun zum gängigen Repertoire der Promotoren eines schweizerischen Bundesstaates. Auch James Fazy erinnerte 1836 daran, „qu’on peut très bien avoir un organisme fédéral statuant sur les matières fédérales, sans que les droits des états en soient atteints.“73 Entscheidend war für die Befürworter der Bundesreform, dass die aus der Helvetik stammende Erfahrung einer Beschneidung kantonaler Souveränitäts- und kommunaler Autonomieansprüche ernst genommen und gleichzeitig auf die lähmenden Effekte der staatenbündischen Struktur des gegenwärtigen Bundes hingewiesen wurde. So meinte etwa auch ein Basler Pamphletist: „Die Kantonalsouverainetät ist theoretisch und historisch gleich stark begründet, und es kann sich nicht darum handeln, sie zu vernichten, sondern nur höchstens insoweit zu beschränken, als es unumgänglich nötig ist, um der anderen Forderung zu genügen, die sich unabweisbar neben sie hinstellt.“74 Die historischen Erfahrungen von beidem, dem zentralisierten Einheitsstaat der Helvetischen Republik und dem losen Staatenbund des Bundesvertrages von 1815, der nur in allzu vielen Gesichtspunkten demjenigen des Ancien Régimes glich, und die Erfahrung des Ungenügens von beiden konstitutionellen Ordnungen
71 [Anon.], Rapport présenté au Grand-Conseil, dans la session de Mai 1835 par la commission chargée de l’examen du préavis du Conseil d’état, sur les instructions à donner aux députés à la diète ordinaire de Juillet 1835, S. 13. Hervorhebungen im Original. 72 Druey Henri, Discours pour la Constituante Fédérale prononcés dans le Grand Conseil du Canton de Vaud, le 5 Juin 1835, S. 4–5. 73 L’Europe Centrale, 12. Mai 1836, S. 1. 74 [Anon.], Die Schweiz und ihre Bundesverfassung, S. 30.
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5 Zwischen den Extremen
trieben nun also kreative Formen hervor, um auf die Herausforderungen der Zeit zu antworten. Die Signale waren also darauf gesetzt, „das Verhältnis zwischen Cantonalismus und Centralität in die richtige nationale Harmonie zu bringen“, wie Theodor Mundt die Haltung seiner Schweizer Bekannten kommentierte, und der Bundesstaatsdiskurs, wie er in enger Wechselwirkung mit den deutschen Debatten auch in der Schweiz hervorgetrieben wurde, war eine mögliche Antwort auf diese Ausgangslage.75
5.4 Zur „Helvetisierung“ des Föderalismusdiskurses. Permeable Sprachgrenzen, politische Öffentlichkeit und die (Wieder-)Entdeckung eines entfernten Verwandten Vollzog sich die Kontroverse um das Begriffskontinuum zwischen Bundesstaat und Staatenbund in der deutschsprachigen Schweiz in enger Wechselwirkung mit den Debatten in Deutschland,76 ist insbesondere interessant zu sehen, dass sich auch in der frankophonen Schweiz die begriffliche Differenzierung zwischen état fédératif und confédération d’états früher durchsetzte, als dies in Frankreich der Fall war. Hier schienen diese Begriffsprägungen eine politische und konstitutionelle Problematik anzusprechen, die den historischen Erfahrungen der Romandie näher war, als dies in Frankreich der Fall war, wo zwar, wie bereits erläutert, ebenfalls ein vergleichbarer Begriffstransfer aus dem deutschen Sprachraum zu beobachten ist, ein Begriffstransfer aber, der erstens später einsetzte, sich zweitens nur langsam durchsetzte und drittens lange als unnütz interpretiert wurde. Anders in der Schweiz. Als der Genfer Übersetzer Jean-Elisée Massé 1825 die im Jahr zuvor in Aarau erschienene Abhandlung von Eduard Henke zum Öffentlichen Recht der schweizerischen Eidgenossenschaft ins Französische übertrug, sah
75 Mundt Theodor, Spaziergänge und Weltfahrten, III, S. 147. 76 So verwiesen etwa Welcker und Zachariä in ihren Arbeiten zu diesem semantischen Feld regelmäßig auf schweizerische Autoren wie Troxler, vgl. bspw. Welcker Karl Theodor, Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Gränzen der Bundesgewalt; Zachariä Carl Salomo, Ueber den gegenwärtigen politischen Zustand der Schweiz. Umgekehrt nahm man in der Schweiz die Arbeiten Welckers und anderer Föderalismustheoretiker intensiv zur Kenntnis oder pflegte gar persönliche Bekanntschaften mit ihnen. So stand etwa Heinrich Zschokke aufgrund seiner Mitarbeit am Staatslexikon mit Rotteck und Welcker in Korrespondenz und Antoine-Elisée Cherbuliez pflegte regen Austausch mit Joseph Karl Anton Mittermaier und Robert von Mohl. Vgl. Karl von Rotteck an Heinrich Zschokke, 16. Juni 1839 & 13. August 1839; Karl Theodor Welcker an Heinrich Zschokke, 23. August 1838 & 4. September 1838, in: StAR, NL Zschokke, NL.A-0196/003 R 16 & NL.A-0196/004 W 9. Zu Cherbuliez, Mittermaier und Mohl siehe das Kapitel weiter unten.
5.4 Zur „Helvetisierung“ des Föderalismusdiskurses
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er sich noch gezwungen, dessen Begriffsdifferenzierung zwischen Bundesstaat und Staatenbund ausführlich für sein frankophones Publikum zu erörtern: „Il est nécessaire de donner une explication de ces deux expressions adoptées par les auteurs et publicistes allemands,“ erklärte Massé, „et qu’on a cru devoir rendre par celles de Confédération d’Etats et Etat fédératif.“77 Diese Begriffsdifferenzierung weiter erläuternd und die Begriffsimporte aus dem Deutschen akzentuierend, meinte Massé weiter: Lorsque des Etats souverains sont unis ou associés entr’eux plutôt par les liens extérieurs, c’est-à-dire, d’après un principe du Droit de gens (Völker-Recht), sans se soumettre à une autorité suprême et commune à tous, quoique d’ailleurs ils soient bien alliés entr’eux pour un but commun et constant et pour un temps indéterminé, quoique leur réunion représente vis-à-vis des Etats étrangers une seule personne morale, si chacun d’eux n’en conserve pas moins ses droits de souveraineté indépendamment les uns des autres, ils ne forment pas alors un seul et même état politique dans le sens absolu, mais ne forment qu’une Confédération d’Etats, un système d’Etats confédérés, systema civitatum foederatarum, ce que les Allemands appellent Staaten-Bund. […] Mais lorsque ces Etats souverains sont unis entr’eux par un principe de Droit public (Staats-Recht), lorsqu’ils se sont soumis à un pouvoir fédéral ou central, qu’ils ont fait des concessions majeures de leurs Droits de souveraineté, et qu’ils forment un Etat qui, quoique composé de parties hétérogènes, et en quelque sorte encore indépendantes, n’est cependant qu’un seul Etat politique avec un pouvoir central, qu’un seul tout moral, aussi bien pour lui-même que vis-à-vis des Etats étrangers, cet Etat n’est plus un système d’Etats Confédérés, mais est un Etat Fédératif, Status Foederatus, ce que les Allemands appellent Bundes-Staat.78
Dem ersten Begriff wies Massé den Deutschen Bund zu, während er die Eidgenossenschaft und die Vereinigten Staaten von Nordamerika als Beispiele des zweiten Begriffs anführte. Hatte Massé 1825, also gut eine Dekade vor dem Auftauchen dieser Begriffsdifferenzierung im französischen Diskurs, noch ausführliche Erläuterungen gegeben, setzte sich diese begriffliche Unterscheidung in der Schweiz sowohl in der Romandie als auch in der Deutschschweiz relativ schnell durch und prägte gesamtschweizerisch die Föderalismusdebatte, insbesondere nach 1830. Aus der Perspektive einer historischen Semantik zeigt sich darin ein wichtiges Charakteristikum der schweizerischen Föderalismusdebatte, wird doch hier deutlich, dass die Grenzen des politischen Diskurses nicht mit den Sprachgrenzen zusammen fielen, ja die Multilingualität des politischen Diskurses fungierte mithin sogar als eine wichtige Disposition zur Ermöglichung und Durchset-
77 Henke Edouard, Droit public de la Suisse, S. 38. Hervorhebungen im Original. Vgl. auch Henke Eduard, Oeffentliches Recht der schweizerischen Eidgenossenschaft und der Kantone der Schweiz. 78 Henke Edouard, Droit public de la Suisse, S. 38–39. Hervorhebungen im Original.
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zung kreativer Antworten und Begriffsaneignungen. Wie Hansjörg Siegenthaler es mit Blick auf diese scheinbar paradoxe Konfiguration des politischen Diskurses einmal treffend formuliert hat: „Im Kontext der Unsicherheit wird unter Gleichsprachigen die Routine des Verstehens zum Problem, während unter den Angehörigen unterschiedlicher Sprachen die Bewältigung eben dieses Problems Routine ist.“79 Die Sprachgrenzen erwiesen sich in der Schweiz als relativ durchlässig, die durch Vereins- und Pressewesen stabilisierten sozialen Vernetzungen und die damit ermöglichte Kommunikationsfähigkeit über sprachliche Grenzen hinweg beschleunigten die Zirkulation von Konzepten und Begriffsdifferenzierungen, die potenzielle Antworten auf ein wachsendes Problembewusstsein für die föderale Frage in der Schweiz bereit stellten.80 Die Begriffsdifferenzierung zwischen état fédératif und confédération d’états wurde im Zuge der Debatten um die Revision des Bundesvertrages nach der Juli-Revolution und den kantonalen Verfassungsänderungen in der Schweiz in den französischsprachigen Publikationen mit einer ähnlichen Selbstverständlichkeit gebraucht, wie dies in den deutschsprachigen Publikationen der Fall war. So wurde die Begriffsdifferenzierung zwischen état fédératif und confédération d’états etwa von Alexandre Roger 1831,81 von Pellegrino Rossi 1832,82 von Antoine-Eliseée Cherbuliez und Georges Massé de Seigneux 1833,83 und von Frédéric-Alexandre Chambrier 1836 gebraucht,84 allerdings nun mit einer anderen Zuordnung der Beispiele: Die Eidgenossenschaft wurde nun nicht mehr wie bei Massé de Seigneux als état fédératif bezeichnet, sondern durchgehend als confédération d’états, während die Vereinigten Staaten von Amerika als alleiniges Beispiel eines état fédératif erschienen. Ähnlich wie auch in Deutschland und Frankreich war dieser Begriffsdifferenzierung mitunter auch im schweizerischen Diskurs eine temporale Komponente eingeschrieben, welche die zunehmende Verdichtung, Vereinheitlichung und Homogenisierung politischer Herrschaftsräume als unvermeidbare historische Entwicklungstendenz antizipierte. Allerdings begnügte man sich in der Regel mit dem Hinweis auf eine Transformation von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat, von einer
79 Siegenthaler Hansjörg, Supranationalität, Nationalismus und regionale Autonomie, S. 122. 80 Siegenthaler Hansjörg, Supranationalität, Nationalismus und regionale Autonomie, S. 127– 128. 81 Roger Alexandre, Essai sur le lien fédéral en Suisse, S. 7 & 19. 82 Rossi Pellegrino, Concordat – Projet de Pacte, S. 2. 83 Cherbuliez Antoine-Elisée, Essai sur les conditions de l’alliance fédérative en général, et sur le nouveau projet d’acte fédéral, S. 36; Massé de Seigneux Georges, Du principe fédératif en Suisse et de son application au projet d’acte fédéral, S. 5–7. 84 [Chambrier Frédéric Alexandre de], Des droits et des intérêts des états Suisses quant au pacte fédéral, S. 53–54.
5.4 Zur „Helvetisierung“ des Föderalismusdiskurses
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confédération d’états zu einem état fédératif, und nur wenige gingen so weit wie Friedrich Stettler, der 1836 meinte, dass die Schaffung eines schweizerischen Bundesstaates nur als transitorische Ordnung auf dem unvermeidlichen Weg zu einem Einheitsstaat fungieren würde: „Es wäre der Uebergang vom Staatenbund zum Bundesstaat bis zur Bildung zum einen Staate.“85 Viele der Befürworter einer Transformation des schweizerischen Systems von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat sahen in der historischen Erfahrung Nordamerikas eine vergleichbare Transformation föderaler Herrschaftsstrukturen, aus welcher man auch für den schweizerischen Fall Lehren ziehen konnte.86 Kaum eine Publikation der 1830er und 1840er Jahre, welche die Bundesverhältnisse der Schweiz thematisierte, kam ohne dieses Referenzsystem aus – ob man dieses nun affirmativ oder ablehnend rezipierte. Die Befürworter einer stärkeren Rezeption des amerikanischen Konstitutionalismus verwiesen in der Regel auf den vermittelnden Charakter des amerikanischen Bundesstaates, der die politischen Zuständigkeitsbereiche zwischen Bund und Einzelstaaten trennte und die beiden aus der eigenen historischen Erfahrung bekannten Extreme eines Staatenbundes und eines Einheitsstaates in eine Balance brachte. In seinem politischpädagogischen Drama Schweizerbart und Treuherz ließ der Thurgauer Pfarrer Thomas Bornhauser seinen Protagonisten den „Hauptvorzug der amerikanischen Verfassung“ erläutern und meinte, dass diese genau zwischen Bundessache und Kantonalsache unterscheidet, die erstere unbedingt in die Hände einer zahlreich frei berathenden Nationalbehörde legt, die letztere aber der Gesetzgebung der Kantone überlässt. Dadurch wird auf der einen Seite die Zersplitterung verhütet, in welcher wir Schweizer gegenwärtig leben, und auf der andern der Fehler vermieden, in welchen die helvetische Regierung verfiel, als sie von Bern aus die ganze Schweiz regieren wollte, wie ein fürstliches Land.87
Dank der raschen, von Henri Drueys Sekretär Jean-Louis-Benjamin Leresche besorgten Übersetzung von Bornhausers Stück ins Französische, fanden diese vergleichenden Betrachtungen zwischen der Schweiz und Nordamerika auch in der frankophonen Schweiz den Weg in die politische Öffentlichkeit.88 Solch ver-
85 Stettler Friedrich, Gedanken über eine Revision des eidgenössischen Bundesvertrags, S. 45. 86 Vgl. hierzu Netzle Simon, Die USA als Vorbild für einen schweizerischen Bundesstaat; Luehrs Tripp Myron, Der schweizerische und amerikanische Bundesstaat, S. 4–10; Joachim Sister M. Ann, The Constitutions of the United States and Switzerland, S. 43–50; Rappard William E., Pennsylvania and Switzerland; His Eduard, Amerikanische Einflüsse im Schweizer Verfassungsrecht, S. 93–97. 87 Bornhauser Thomas, Schweizerbart und Treuherz, S. 81. 88 Vgl. Bornhauser Thomas, Schweizerbart et Treuherz de Thomas Bornhauser.
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gleichende Betrachtungen, welche gleichsam die Defizite des schweizerischen Föderalismus herausstrichen und ihm die positive Kontrastfolie des amerikanischen Föderalismus entgegen hielten, wurde zu einer beliebten rhetorischen Strategie unter den reformorientierten Kräften. Die Nordamerikaner hätten die von Bornhauser und anderen erläuterten vermittelnden Institutionen zwischen dem föderativen und dem nationalen Prinzip in einer historischen Lage entwickelt, welche mit derjenigen der Schweiz der Gegenwart durchaus vergleichbar sei, argumentierte etwa der Berner Karl Kasthofer: „Die Amerikaner […] waren in ähnlicher Lage wie wir: auch dort waren besondere Stände oder Kantone, die ihre Selbstständigkeit, ihre Sitten, ihre besondere Verwaltung nicht einbüßen wollten.“89 Auch in den Augen des Genfer Radikalen James Fazy befand sich die Schweiz nach den Revolutionen und kantonalen Verfassungsänderungen von 1830 vor einen ähnlichen Problemhorizont gestellt wie die Vereinigten Staaten nach ihrer Revolution: Le premier pacte de 1777 ressemblait tout-à-fait au pacte suisse, il ne put marcher, et les onze premières années de la confédération furent marquées par des dissentiments d’état, qui aboutirent enfin à la rédaction d’un nouveau pacte fédéral, qui fut provoquée par des conventions populaires, réunis dans chaque état, tout-à-fait en-dehors des gouvernements de chacun de ces états, et qui nommèrent une convention fédérale, d’où le pacte de 1789 est sorti.90
Was die Transformationsprozesse der Jahre 1830/31 in der Schweiz für die Rezeption des amerikanischen Konstitutionalismus so signifikant machte, argumentierte Friedrich Stettler, war die damit etablierte allgemeine Anerkennung der Volkssouveränität und des Repräsentationsprinzips. Dies habe zu einem demokratisch-republikanischen Konsens geführt, „so dass in dieser Hinsicht die Schweiz Nordamerika nun viel näher steht als vorher.“91 In der Tat waren die erfolgreichen kantonalen Verfassungsänderungen wichtige Voraussetzungen, dass die Bundesreform überhaupt wieder ernsthaft in den politischen Möglichkeitsraum eingerückt wurde. Diese republikanische „Regeneration“, wie Troxler diesen Prozess zu nennen pflegte, schuf konstitutionelle Voraussetzungen auf kantonaler Ebene, die wiederum die Geschichte des amerikanischen Bundesstaates in die Vergleichsperspektive rückten. „Hat die brittische Constitution den meisten neuern monarchischen Constitutionen zum Vorbild gedient“, fragte Stettler, „warum sollte die Verfassung der nordamerikanischen Freistaaten nicht
89 Kasthofer Karl, Das Schweizerische Bundesbüchli, S. 12. 90 L’Europe Centrale, 12. April 1836, S. 2. 91 Stettler Friedrich, Gedanken über eine Revision des eidgenössischen Bundesvertrags, S. 50.
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zum Vorbild republikanischer Bundesverfassungen dienen können?“92 Diese Verbindung zwischen Föderalismus und Republikanismus wurde nun in der Rezeption der amerikanischen Verfassung besonders hervorgehoben. Dass auf dem Fundament einer schweizerischen Volkssouveränität ein republikanisches System aufgebaut werden sollte, welches föderale und repräsentativ-demokratische Elemente miteinander verwob, wurde etwa bei Ignaz Paul Vital Troxler zum diskursiven Leitbild, das er eng entlang der amerikanischen Föderativrepublik entwickelte, und das er als „republikanischen Föderalismus“ bezeichnete: Das freilich nur noch von Wenigen und noch nicht genug erkannte Geheimnis der Kraft des republikanischen Föderalismus, des Bandes zwischen Kantonalismus und Zentralität besteht eben darin, dass die Einheit nicht auf Kosten der Vielheit und die Verschiedenheit nicht zum Nachtheil der Gleichartigkeit ausgebildet wird, dass das Ganze gewinnt, ohne dass die Theile verlieren, und dass die Glieder umso mächtiger blühen, je eifersüchtiger sie unter sich für den Gesammtkörper wirken und je liebender sich ihm hingeben.93
Für die politische Legitimität dieser „Föderativrepublik“ sei nun aber entscheidend, dass sie nicht auf dem Wege eines Vertragsabschlusses zwischen den Kantonen zustande komme, sondern durch eine „unter der Aufsicht und dem Einfluss der Oeffentlichkeit frei debattierende Constituante oder einem volksthümlichen eidgenössischen Bundesverfassungsrath“.94 In dieser Hinsicht folgte man der Argumentation James Madisons, der genau in einem solchen Verfahren den kategorialen Unterschied zwischen einer schlichten Konföderation oder Liga und einer Bundesverfassung festmachte.95 Und so ist es denn auch kein Zufall, dass Karl Kasthofer mit dem Verweis auf die amerikanische Bundesverfassung den Entwurf zur Revision des Bundesvertrages von 1832 dahingehend kritisierte, dass gemäß den Worten des Entwurfs die „zwei und zwanzig souveränen Kantone der Schweiz“ den „Bund der Eidgenossen“ schließen würden.96 „Wer sind denn die Kantone?“ fragte Kasthofer: „Ist es das Volk in den Kantonen? Sind es die Regierungen der Kantone? Warum kommt denn in der ganzen Bundesakte der schöne Name des Schweizervolks gar nicht vor […]?“ Dem stellte Kasthofer die Präambel der nordamerikanischen Bundesverfassung von 1787, die
92 Stettler Friedrich, Gedanken über eine Revision des eidgenössischen Bundesvertrags, S. 50. 93 Troxler Ignaz Paul Vital, Die Sieben Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft von 1798 bis 1815, S. 1. 94 Troxler Ignaz Paul Vital, Die Sieben Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft von 1798 bis 1815, S. 4. 95 Vgl. Farrand Max (Hrsg.), The Records of the Federal Convention, II, S. 93. 96 [Anon.], Bundesurkunde der schweizerischen Eidgenossenschaft, entworfen von der am 17. Heumonat 1832 durch die Tagsatzung ernannten Revisionskommission, S. 1.
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er in seinem Bundesbüchli in einer Übersetzung abdruckte, „zur Vergleichung“ gegenüber: „‚Wir, das Volk der vereinigten Staaten, in der Absicht eine vollständige Verbindung zu erzielen, die Gerechtigkeit zu gründen, die heimische Ruhe zu erhalten, für die gemeinschaftliche Vertheidigung zu sorgen, das Gemeinwohl zu erhöhen und uns und unsern Nachkommen das köstliche Gut der Freiheit zu versichern, verordnen und setzen fest die folgende Bundesurkunde für die Vereinigten Staaten etc.‘“97 Der aus den Revolutionen von 1830/31 resultierende republikanisch-demokratische Konsens würde für die bundesstaatliche Ausgestaltung der Eidgenossenschaft ohne Wirkung bleiben, so die Argumentation Troxlers und Kasthofers, wenn das Prinzip der Volkssouveränität auf die Kantone begrenzt blieb und nicht auf die nationale Ebene ausgedehnt wurde. Nur wenn sich die neue Republik auf die Souveränität des schweizerischen Volkes, repräsentiert in einem die neue Bundesverfassung ausarbeitenden Verfassungskonvent, stützen würde, überwinde man die Vertragsstruktur zwischen den Kantonen und schaffe eine geteilte Souveränität, in welcher sowohl Bund als auch Kantone repräsentative Institutionen des schweizerischen Volkes seien und umgekehrt die Gesetze des Bundes direkt auf die Bürger wirkten. Umgekehrt befürchteten die Gegner des Bundesstaates gerade, dass ihre kantonale Volkssouveränität und damit auch die kantonalen Volksrechte durch eine solche Konzeption der Verhältnisse zwischen Bund und Kantonen beschnitten würden – und auch hierfür wurde auf die Vereinigten Staaten verwiesen. Nicht nur die Befürworter einer Bundesreform blickten also über den Atlantik, um ihre Argumente zu schärfen, sondern auch die Kritiker. Die Nullification-Debatten in den Vereinigten Staaten wurden dabei von den Kritikern einer Bundesreform gerne zitiert, um auf die Gefahren einer engeren Integration des schweizerischen Bundesstaates und einer Machtverschiebung zugunsten der Bundesregierung hinzuweisen. „Blicket hinüber nach den nordamerikanischen Freistaaten,“ forderte ein anonymer Innerschweizer Pamphletist 1833 mit dem Verweis auf Präsident Jacksons Vorgehen gegen die Nullifiers in South Carolina, „wo wirklich die Bundesgewalt sich rüstet, die abgefallenen Theile mit bewaffneter Uebermacht zu bezwingen.“98 Ebenso wie in den Vereinigten Staaten die einzelnen Staaten ihre Freiheit durch eine mächtige Bundesregierung bedroht sähen, so seien in der Schweiz die Gemeinden zuerst durch die „verwickelten und durchtriebenen […] Staatsmaschinen“ der Kantone eingeengt worden, und nun schlinge sich auch noch „der hundertarmige Polyp einer eidgenössischen
97 Kasthofer Karl, Das Schweizerische Bundesbüchli, S. 28. 98 [Anon.], Blicke auf das Wesen der Bundesurkunde der schweizerischen Eidgenossenschaft, S. 13.
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Centralgewalt“ um die „aushauchende Freiheit“ der Gemeinden.99 Ähnlich argumentierte auch der Neuenburger Magistrat Frédéric Alexandre de Chambrier als er 1836 der Frage nachging: „Une constitution à l’américaine convient-elle à la Suisse?“ George McDuffie und John C. Calhoun, die beiden Vordenker der Nullification aus South Carolina, wurden von Chambrier herangezogen, um die ungelösten Konflikte zwischen Bund und Einzelstaaten in den Vereinigten Staaten zu akzentuieren – Konflikte, die auch der Schweiz blühen würden, wenn sie dem amerikanischen Muster folge. „Une crise se prépare, que vous devez repousser par la force,“ zitierte und übersetzte Chambrier McDuffies Rede an der South Carolina Convention von 1832, die über die Nullification beriet, „car la force seule peut vous assurer la possession des droits qui ne sauraient être garantis de ce parchemin souillé et éffacé, qu’on appelle la constitution des Etats-Unis.“100 Und Calhouns Argumente, dass es sich bei der Bundesverfassung von 1787 um einen Vertrag zwischen souveränen Staaten handelte, die demnach „le droit de juger par elle-même l’étendue de son obligation“ besäßen, wurde von Chambrier ebenfalls angeführt, um auf die Krisenanfälligkeit der Union und auf die Unmöglichkeit einer konfliktfreien Souveränitätsteilung zwischen Bund und Teilstaaten aufmerksam zu machen.101 In den schweizerischen politischen Diskursen werde die Verfassung von Nordamerika regelmäßig als Heilmittel angepriesen, ohne über die tatsächlichen Bundesverhältnisse in Amerika Bescheid zu wissen, polemisierte Chambrier gegen Publizisten wie Troxler, Kasthofer und Fazy. Sobald die Kantone ihre legitime Souveränität geltend machen, so Chambrier spöttisch, on veut mettre en fusion la confédération suisse, et jeter le métal tout bouillant dans le moule américain avec la conviction qu’il en sortira des hommes sans passion et sans erreur, un gouvernement fédéral toujours sage, toujours juste et surtout toujours le plus fort, et des états toujours contents, toujours dociles au moins et toujours les plus faibles!
Diese harmonisierenden Illusionen hätten aber nichts mit den konfliktreichen und gewalttätigen Verhältnissen zwischen Bund und Einzelstaaten in Nordamerika zu tun, wie dies die letzte Verfassungskrise erneut demonstriert habe: „[L]es états sont si peu disposés à se soumettre quand cela ne leur convient pas, qu’ils
99 [Anon.], Blicke auf das Wesen der Bundesurkunde der schweizerischen Eidgenossenschaft, S. 18. 100 [Chambrier Frédéric Alexandre de], Des droits et des intérêts des états Suisses quant au pacte fédéral, S. 55. Die Versammlungen zur Nullification sind dokumentiert in: [Anon.], Journals of the Conventions of the People of South Carolina held in 1832, 1833, and 1852. 101 [Chambrier Frédéric Alexandre de], Des droits et des intérêts des états Suisses quant au pacte fédéral, S. 56.
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ont fait de la résistance à l’autorité fédérale un droit politique auquel ils ont donné le nom de nullification.“102 Die Nullification-Debatte lieferte indessen nicht nur den Skeptikern einer Bundesreform kritische Vergleichsmöglichkeiten, sondern auch den Befürwortern Schlagworte, um gegen die Ansprüche nach einer unbegrenzten Kantonalsouveränität zu polemisieren. So soll etwa Troxler im Frühjahr 1834 die Gegner einer Bundesreform als „nullificateurs“ betitelt haben.103 Weniger als Illustration der Krisenanfälligkeit der amerikanischen Union, denn als Distinktionsmerkmal zwischen einer „confédération d’Etats“, wie sie der Schweiz angemessen sei, und einem „Etat fédératif“, wie er in Nordamerika bestehe, verwies auch Georges Massé de Seigneux in einem 1833 veröffentlichten Pamphlet auf den Vergleich zwischen der Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten. „Il suffit […] de jeter un coup d’œil, d’un côté, sur les élémens primitifs de l’union formée aux Etats-Unis d’Amérique, et de l’autre, sur les commencemens et les progrès de l’ancienne ligue helvétique, pour apercevoir que l’origine de ces deux confédérations est absolument différente et n’a pu produire que des résultats opposés.“104 In den Vereinigten Staaten liege die Souveränität beim Bund und nicht bei den Einzelstaaten, argumentierte de Seigneux, weshalb es sich dabei um einen Bundesstaat handle: „l’union américaine forme un état fédératif soumis à un pouvoir central souverain, comme le preuve suffisamment la discussion qui vient de s’élever entre le congrès et la Caroline du sud.“105 Demgegenüber sei die Eidgenossenschaft „dès son origine une Confédération d’Etats souverains et indépendans“. Darüber hinaus existiere in dieser schweizerischen Eidgenossenschaft „une si grande diversité de ressources, de besoins, de mœurs, d’usages, et même de religion et de langue, qu’il est impossible de leur faire accepter, volontairement, un système unitaire basé sur la centralisation de la souveraineté.“106 In diesen kritischen Beschäftigungen mit dem amerikanischen Föderalismus aus der Warte jener politischen Kräfte, die eine Reform des Bundes in der Schweiz skeptisch betrachteten, erhielt der Verweis auf Nordamerika also eine doppelte Funktion. Zum einen diente er dazu, die begriffliche Unterscheidung zwischen Bundesstaat und Staatenbund, resp. zwischen état fédératif und
102 [Chambrier Frédéric Alexandre de], Des droits et des intérêts des états Suisses quant au pacte fédéral, S. 55. 103 Zitiert in: Le Fédéral, No. 21, 14. März 1834, S. 2. 104 Massé de Seigneux Georges, Du principe fédératif en Suisse et de son application au projet d’acte fédéral, S. 4. 105 Massé de Seigneux Georges, Du principe fédératif en Suisse et de son application au projet d’acte fédéral, S. 5. 106 Massé de Seigneux Georges, Du principe fédératif en Suisse et de son application au projet d’acte fédéral, S. 7.
5.4 Zur „Helvetisierung“ des Föderalismusdiskurses
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confédération d’états zu illustrieren und auf die Unangemessenheit einer bundesstaatlichen Transformation der Eidgenossenschaft nach amerikanischem Muster hinzuweisen; zum anderen diente der wiederholte Verweis auf die NullificationKrise dazu, die Krisenanfälligkeit eines solchen Bundesstaates und die Gefahr einer tyrannischen Machtbeanspruchung des Bundes bei Interessenkonflikten zwischen den Gliedstaaten, resp. zwischen Gliedstaaten und Bundesinstitutionen, zu unterstreichen. Sowohl die historischen Erinnerungsdiskurse um das Erbe der Alten Eidgenossenschaft und der Helvetik, als auch die Auseinandersetzungen über das Begriffskontinuum zwischen Staatenbund und Bundesstaat und um die Vorbildfunktion des amerikanischen Föderalismus für eine bundesstaatliche Umgestaltung der schweizerischen Eidgenossenschaft waren zutiefst umstrittene und politische Konfliktlinien aufbrechende Kontroversen. Die Verhältnisbestimmungen zwischen tradierten Vorstellungen von republikanischer Freiheit, kantonaler Souveränität, Landsgemeindedemokratie und kommunaler Selbstverwaltung und den durch die Auseinandersetzung mit den atlantischen Revolutionen rezipierten Diskursen über staatsbürgerliche Gleichheit, Gewaltenteilung, Repräsentation und Föderativrepublik waren nicht eindeutig auszumachen, sondern generierten Spannungen, Widersprüche und Unvereinbarkeiten, die ihrerseits wiederum kreative Antworten provozierten. Das Nachdenken und Sprechen über mögliche Konfigurationen zwischen diesen politischen Leitbegriffen alleine genügte indessen nicht. Es brauchte eine weitere Phase historischer Kontingenz und damit einhergehender politischer Gestaltungsmöglichkeiten, um die mit diesen Diskursen geschaffenen Dispositionen auch in konstitutionelle Realitäten zu transformieren;107 es brauchte eine historische Situation, die einen politischen Möglichkeitsraum öffnete und erlaubte, wie Henri Druey 1848 kommentierte, „Ideen ins Leben zu führen, welche zu andern Zeiten von Manchen als Utopien betrachtet worden wären.“108 Freilich sahen dann auch diese „Utopien“ anders aus als von den historischen Akteuren intendiert.
107 Vgl. Suter Andreas, Die Revolution von 1848, S. 22; Mooser Josef, Eine neue Ordnung für die Schweiz. 108 Druey Henri, Bericht zum Verfassungsentwurf, zitiert nach: Bucher Erwin, Die Bundesverfassung von 1848, S. 992.
Teil B: Pragmatische Interventionen
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Teil B Pragmatische Interventionen
Die im ersten Teil dieser Studie rekonstruierten Begriffsgeschichten steckten unterschiedliche, kontextuell gebrochene Räume des Sagbaren in Bezug auf die politische Sprache des Föderalismus in den postrevolutionären Übergangsgesellschaften Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz ab. Die Rekonstruktion dieser gleichzeitig unterschiedlichen und dennoch miteinander verwobenen Begriffsgeschichten erweist sich insofern als nötige Kontextualisierungsaufgabe, als dass der Föderalismusbegriff in den hier untersuchten Kontexten mit unterschiedlichen Erfahrungen verbunden wurde, die seine Bedeutungsschichten einerseits begrenzten, sie andererseits aber auch anreicherten. Diese semantischen Begrenzungen und Anreicherungen des Föderalismusbegriffs wurden allerdings – und diese Problematik ist Gegenstand des zweiten Teils dieser Studie – durch historische Akteure reflektiert und in ihren pragmatischen Sprachgebrauch integriert. Gerade historische Akteure, welche sich zwischen den politischen Kontexten bewegten, entwickelten mithin ein empfindliches Sensorium für die semantische Vielschichtigkeit des Föderalismusbegriffs und für die damit verbundene Frage, inwiefern die politische Sprache des Föderalismus dafür taugte, gesellschaftliche und politische Konflikte in ihren jeweiligen Kontexten zu adressieren. Die Brüchigkeit tradierter Bedeutungsschichten des Föderalismus wurde oft gerade in der Konfrontation mit den Semantiken des Begriffs in anderen politisch-kulturellen Kontexten deutlich und die damit einhergehenden Irritationen waren nicht selten wichtige Impulse für eine reflexive Arbeit am Föderalismusbegriff und seinen multiplen Bedeutungsschichten. Während der erste Teil dieser Arbeit also gewissermaßen aus der Vogelperspektive die verschiedenen und dennoch ineinander verschlungenen Entwicklungspfade des Föderalismusbegriffs im Zeitalter der Revolutionen skizzierte, werden im zweiten Teil dieser Studie transkulturelle Mediatoren zum Einstiegspunkt genommen, um diese Prozesse der „Übersetzung“, der Bricolage, der Aneignung und Infragestellung im Zuge verdichteter Föderalismusdebatten detaillierter zu untersuchen. Indem die politische Sprache des Föderalismus durch das Prisma solch transkultureller Mediatoren und der sie umgebenden Diskursgemeinschaften betrachtet wird, können nicht nur die komplexen intersubjektiven Prozesse der Übersetzung und Aneignung föderaler Begrifflichkeiten näher rekonstruiert, sondern auch die Variationsbreite und der Wandel föderaler Konzepte herausgearbeitet werden. Die Auswahl der nachfolgend vorgestellten und diskutierten transatlantischen Föderalisten folgte vier grundlegenden Überlegungen. Zum einen ergab sich ein Selektionskriterium aus dem Gegenstand selbst: Wer schrieb über den Föderalismus im Zeitalter der Revolutionen in einer transatlantisch-vergleichenden Perspektive? Ein zweites Selektionskriterium ergab sich aus den zeitlichen Rahmenbedingungen dieser Studie, welche konzeptionell die These einer Pluralität atlantischer Sattelzeiten vertritt und demzufolge eine Auswahl treffen musste,
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welche diesen Zeitraum – bei allen Verdichtungsphasen im Detail – auch mehr oder weniger umfasste. Ein drittes Kriterium war von räumlichen Überlegungen geleitet: Welche sozialen und kommunikativen Verknüpfungen über staatliche Grenzen hinweg ließen sich rekonstruieren und bei wem verdichteten sich die Stränge transkultureller Kommunikation, in und durch welche das Deutungswissen über föderale Ordnungen gespeist und generiert wurde? Ein letztes Kriterium betraf die Quellenlage. Die Erkenntnisinteressen der Studie setzten eine umfangreiche Auswertung von Briefkorrespondenzen voraus, die sich in einzelnen Fällen bisweilen nicht erhalten haben. Die Rekonstruktion von kommunikativen und sozialen Vernetzungen ist auf diese Quellengattung angewiesen, weshalb einige Akteure nicht berücksichtigt werden konnten, da schlichtweg das Quellenmaterial nicht ausreichend vorhanden war, um den konzeptionellen Ansprüchen Genüge zu tun. Diese Kriterien lagen der hier vorgeschlagenen Auswahl zugrunde. Sie hätte freilich auch anders ausfallen können und manch andere Akteure hätten ebenfalls mit guten Gründen in diese Studie integriert werden können, weshalb ein subjektiver Motivationsrest in der Auswahl der nachfolgend diskutierten Akteure und der sie umgebenden Diskursgemeinschaften eingestanden werden muss. Trotz diesen Einschränkungen ermöglicht die getroffene Auswahl die Ausleuchtung spezifischer Föderalismusdebatten im Zeitalter der Revolutionen; sie liefert, um die eingangs eingeführte Metapher wieder aufzunehmen, eine Reihe von Prismen, durch welche sich wichtige Föderalismuskontroversen im Zeitalter der Revolutionen sowohl in ihren transatlantischen Dimensionen als auch in ihren spezifischen historischen Kontexten thematisieren lassen: Durch Albert Gallatin wird ein Blick auf die Föderalismusdebatten im Zuge der amerikanischen Bundesstaatsgründung und des ihr folgenden Ringens um die „richtige“ Interpretation des Verfassungstextes geworfen; durch Lafayette wird die kurze Föderalismusdebatte im Zuge der Französischen Revolution und die intellektuelle und politische Verarbeitung der Revolutionserfahrung in liberalen und republikanischen Kreisen im postrevolutionären Europa thematisiert; durch Francis Lieber wird ein Blick auf die Nullification-Debatten und die ihr folgenden Auseinandersetzungen über die föderale Struktur der Union geworfen; durch Edward Everett und seine Kollegen im intellektuellen Milieu der Whigs wird die im Amerika Jacksons aufgeworfene Frage nach den ursprünglichen Intentionen der Gründungsväter rekonstruiert und der damit einhergehende Prozess einer Historisierung der amerikanischen Bundesstaatsgründung thematisiert; durch Alexis de Tocqueville wird der im postrevolutionären Frankreich virulenten Debatte um das zentralistische Erbe von Monarchie und Revolution nachgegangen und danach gefragt, welche Antworten die Tocqueville’sche Analyse des Föderalismus in der politischen Kultur Nordamerikas auf diese Problematik gab; durch Robert von Mohl und Karl Joseph
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Teil B Pragmatische Interventionen
Anton Mittermaier wird schließlich ein Blick auf die vielschichtigen Föderalismusdebatten in Deutschland im Vorfeld der Revolution von 1848/49 geworfen. Diese historischen Akteure werden dementsprechend als Einstiegsmöglichkeiten genommen, um in explorativer Manier ihre transatlantischen sozialen und kommunikativen Vernetzungen zu rekonstruieren, die Kontexte ihres Schreibens und Handelns zu skizzieren und ihre Einbettung und gleichzeitige Intervention in signifikante Föderalismusdebatten im Zeitalter der Revolutionen zu thematisieren. Um eine Wendung Marshall Sahlins’ aufzunehmen, geht es am Beispiel der politischen Sprache des Föderalismus um „the way cultural categories are actualized in a specific context through the interested action of the historic agents and the pragmatics of their interaction.“1
1 Sahlins Marshall, The Return of the Event, Again, S. 341.
6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus „Je trouve ce discours excellent“ notierte Albert Gallatin auf ein Flugblatt, welches ein Autor mit dem Pseudonym „A True Friend“ am 5. Dezember 1787 in Philadelphia mit der Überschrift veröffentlichte: „To the Advocates for the New Federal Constitution; and to their Antagonists“.1 Eine Woche bevor der ratifizierende Konvent des Staates Pennsylvania über die Annahme der Verfassung entschied, wog der Autor in diesem Flugblatt die widerstreitenden Argumente ab, welche im Zuge der Ratifikationsdebatten von Gegnern und Befürwortern der vorgeschlagenen Bundesverfassung vorgebracht wurden. „You, gentlemen,“ wandte sich „A True Friend“ an die Befürworter der Verfassung, „will not surely contest a fact proved by the records of all ages and of all nations, that is, that the liberties and the rights of the people have been always encroached on, and finally destroyed by those, whom they had entrusted with the powers of government.“ „Neither can you, gentlemen“, mahnte er die Gegner des Verfassungsvorschlages, „disown the pressing necessity there is for a foederal constitution, which may reunite into one whole, and on an uniform regular plan, the different interests and separate advantages of the thirteen states, united at present, ’tis true, in name; though in fact divided and opposed one to the other.“ Was also war angesichts dieses Dilemmas zu tun? Auf der einen Seite, reflektierte der Autor, „sound reason and urgent necessity lay their positive commands on us to accept the new foederal constitution; but on the other hand prudence seems to require from us, that we should adopt it on trial only for a certain limited time.“ Hinzu käme aber noch eine zweite und viel gefährlichere Schwäche der vorgeschlagenen Bundesverfassung, nämlich die fehlende Grundrechtserklärung. Notwithstanding Mr. Wilsons assertion, that every thing which is not given up by this foederal constitution, is reserved to the body of the people; that security is not sufficient to calm the inquietude of a whole nation. Let us then insert in the first page of this constitution, as
1 A True Friend, To the Advocates for the New Federal Constitution; and to their Antagonists, in: SNB, Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition, 1 0349. Wer sich hinter dem Pseudonym versteckt, ist nicht bekannt. „A True Friend“ hat aber noch weitere kritische Beiträge veröffentlicht, u. a. am 31. Oktober und 14. November 1787 im Virginia Independent Chronicle und am 22. Dezember 1787 im Independent Gazeteer; or the Chronicle of Freedom, einer in Philadelphia ansässigen Zeitung, die von Eleazer Oswald herausgegeben wurde und den Antifederalists nahe stand. Vgl. Hutson James, Country, Court, and Constitution, S. 364, Fußnote 126; Storing Herbert J., The Complete Anti-Federalist, I/2, S. 210. Zu Oswald und seiner Publikationspolitik vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 128–136 & 172.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
a preamble to it, a declaration of our rights, or an enumeration of our prerogatives, as a sovereign people.
Damit gab sich der Autor nicht nur als Kenner jener Argumente zu erkennen, welche die Federalists, angeführt von James Wilson, in die öffentliche Verfassungsdebatte Pennsylvanias einbrachten, sondern auch als kritischer Beobachter der Schwächen dieser Argumentationsmuster der Federalists.2 Denn zuoberst auf der Liste der kritischen Einwände gegen die vorgeschlagene Verfassung stand die fehlende Bill of Rights. Eine solche Grundrechtserklärung müsse von jedem Staat zum „sine qua non of the adoption of this new foederal constitution“ gemacht werden, forderte „A True Friend“, und stellte sich damit in eine Reihe von kritischen Kommentatoren, welche nicht länger gewillt waren, die Ratifizierung der Bundesverfassung vor dem Hintergrund einer radikalen Alternative zwischen Annahme oder Ablehnung zu diskutieren – „take this or nothing“, wie der Antifederalist George Mason nicht ohne Verärgerung feststellte.3 Viele gemäßigte Antifederalists waren sich der Notwendigkeit einer Reform des politischen Systems Nordamerikas durchaus bewusst, betrachteten aber einzelne Elemente des Verfassungsvorschlags mit kritischen Augen und wiesen auf die unabsehbaren politischen Konsequenzen hin, die sie mit der ambivalenten Sprache des Verfassungstextes verbunden sahen.4 Einige, wie „A True Friend“ oder auch Albert Gallatin, tendierten zwar grundsätzlich zu einer Annahme der Verfassung, allerdings nur unter der Bedingung, dass nachträgliche Verbesserungen in Form von Verfassungszusätzen möglich gemacht würden. Dadurch wurde die Option eröffnet, eine Bill of Rights nachträglich als Amendments in die Verfassung zu inkorporieren. Die Federalists, welche zu Beginn der Ratifikationsdebatten von solchen Vorschlägen wenig hielten, sahen sich im Zuge der anfangs Februar 1788 durchgeführten und äußerst umstrittenen Ratifikationsdebatte in Massachusetts dazu gezwungen, diesen Forderungen nachzugeben und Verfassungszusätze in Aussicht zu stellen, wie sie von den Antifederalists gefordert wurden.5 Damit wurden
2 Die Ratifikationsdebatte in Pennsylvania ist dokumentiert in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, 1787–1788; Jensen Merrill/Kaminski John P. et al. (Hrsg.), The Documentary History of the Ratification of the Constitution, II. Zu den Beiträgen der Antifederalists in Pennsylvania vgl. Storing Herbert J. (Hrsg.), The Complete AntiFederalist, II/3, S. 3–213. Vgl. hierzu auch Maier Pauline, Ratification, S. 97–124. Zu James Wilson vgl. Wills Garry, James Wilson’s New Meaning of Sovereignty. 3 Vgl. Maier Pauline, Ratification, S. 50–69 & 430. 4 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 26–34; Storing Herbert J., What the Anti-Federalists Were For, S. 24. 5 Harding Samuel Bannister, The Contest over the Ratification of the Federal Constitution in the State of Massachusetts, S. 116.
6.1 Zwischen Genf und Fayette County, Pennsylvania
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einerseits gemäßigte Antifederalists aus ihrer Oppositionshaltung gegenüber der Verfassung herausgelöst, andererseits war damit auch bereits vorgezeichnet, dass die auslegungsbedürftige Sprache der Verfassung auch in Zukunft zum Gegenstand politischer Kontroversen aufsteigen würde.6 Gerade die Bestimmungen zum Föderalismus der amerikanischen Union blieben in vielerlei Hinsicht ambivalent und erschlossen damit einen Interpretationsraum, der die Deutungsgeschichte der Bundesverfassung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein prägte.
6.1 Zwischen Genf und Fayette County, Pennsylvania Die politische Karriere Albert Gallatins ist eng mit dieser Entstehungs- und Deutungsgeschichte der amerikanischen Bundesverfassung verwoben. In Genf aufgewachsen, verließ Gallatin im Alter von 19 Jahren 1780 seine Heimatstadt und ließ sich an der südwestlichen Frontier des Staates Pennsylvania nieder. Diese Region war in den 1780er Jahren eine Hochburg jener radikal-demokratischen, egalitären und kompetitiven Politikentwürfe, die sich in der politischen Bewegung der Constitutionalists bündelten.7 Die Constitutionalists stellten die Interessen des „common man“, der Bauern in den westlichen Counties des Staates, und der städtischen Handwerker und Kleingewerbler in den Vordergrund, die es in ihrer Sicht gegen die aristokratischen Tendenzen der „gentry“ zu verteidigen galt, wie sie in Pennsylvania von James Wilson, Tench Coxe und den Republicans repräsentiert wurden.8 Diese Anwälte der so genannten „middling sorts“ begrüßten den Demokratisierungsimpuls, welcher die Amerikanische Revolution gebracht hatte und welcher insbesondere auch die Verfassung von Pennsylvania prägte.9 Die 1776 entworfene Verfassung von Pennsylvania kannte im Gegensatz zu den meisten anderen Einzelstaatsverfassungen der Vereinigten Staaten ein Einkammersystem, sie beinhaltete eine Bill of Rights, die Legislative wurde jährlich neu gewählt und die Exekutive war aus einem Rat zusammengesetzt, der von einem Präsidenten geleitet wurde – zu diesem Zeitpunkt von Benjamin Franklin.
6 Vgl. Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 536–543; Heideking Jürgen, Verfassungsgebung als politischer Prozess, S. 57–59. 7 Vgl. Walters Raymond Jr., The Origins of the Jeffersonian Party in Pennsylvania, S. 441–442. 8 Um möglichen Begriffsverwirrungen vorzubeugen, muss hier erwähnt werden, dass die Republicans in Pennsylvania der 1780er Jahre im Zuge der Verfassungsdebatte mehrheitlich Federalists wurden. Sie haben also nichts zu tun mit den Republicans, die in den 1790er Jahren die Opposition gegen die Agenda der Federalists um Alexander Hamilton und George Washington formierten und zu deren Vordenkern Jefferson, Madison und Gallatin wurden. 9 Vgl. Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 83–90, 226–237.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
„Pennsylvania’s Constitution,“ urteilte die Historikerin Pauline Maier, „was closer to direct democracy than that of any other state“, und Gordon Wood nannte sie „the most radical constitution of the Revolutionary era“.10 Diese radikaldemokratische Verfassung wollten die Constitutionalists gegen die Bestrebungen der Republicans um James Wilson verteidigen, welche ihrerseits auf eine Reform der 1776er Verfassung drängten. In den Augen von Constitutionalists wie William Findley und John Smilie, die zu Gallatins politischen Ziehvätern wurden,11 galt es, den in der 1776er Verfassung repräsentierten revolutionären Demokratisierungsschub aufrecht zu erhalten, egalitäre Ideale und soziale Mobilität einzufordern, die Legislativen zu stärken und die Macht der Judikative und der Exekutive zu begrenzen.12 Jemand wie William Findley, argumentierte Gordon Wood, „was challenging the entire classical tradition of disinterested public leadership and setting forth a rationale for competitive interest-laden politics.“13 Die Gesellschaft war in den Augen der Constitutionalists in Pennsylvania nicht mehr jenes organische aber hierarchisierte Ganze, dessen unterschiedliche Teile dank den „wise and good“ an der Spitze der politischen Gemeinschaft in einer Balance gehalten wurden. In ihrer Perspektive setzte sich die Gesellschaft aus unterschiedlichen und bisweilen auch widersprüchlichen Interessen zusammen, die allesamt in den Strukturen der politischen Gemeinschaft repräsentiert werden sollten. Politische Tugend war nicht mehr den wenigen Wohlhabenden und Gebildeten vorbehalten, die daraus ihre Ermächtigung für politische Führungsämter zogen, sondern wurde gewissermaßen demokratisiert, weshalb auch die „middling sorts“ legitimerweise ihre politischen Ansprüche geltend machen sollten.14 Mit solchen Argumenten wurde auch das Konzept der Repräsentation einer Umsemantisierung unterzogen.15 Während James Wilson und mit ihm jene Pennsylvania Republicans, die während den Ratifikationsdebatten der späten 1780er Jahre größtenteils zu Federalists wurden, davon ausgingen, dass das Konzept der Repräsentation eine Filterfunktion beinhalte, welche die „wise and good“ an die Spitze einer pyramidal vorgestellten politischen Ordnung heben sollte, sahen dies die Constitutionalists anders. Repräsentanten des Volkes sollten in ihrer
10 Maier Pauline, Ratification, S. 66; Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 227. 11 Vgl. Walters Raymond Jr., Spokesman of Frontier Democracy. 12 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 81–96; Walters Raymond Jr., Albert Gallatin, S. 26–34. 13 Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 221. 14 Vgl. Walters Raymond Jr., The Origins of the Jeffersonian Party in Pennsylvania. Zum generellen Kontext vgl. Wilentz Sean, The Rise of American Democracy, S. 15–20, 27–31; Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 22–31 & 218. 15 Vgl. hierzu generell Manin Bernard, The Principles of Representative Government.
6.1 Zwischen Genf und Fayette County, Pennsylvania
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Sichtweise in erster Linie die Interessen ihres lokalen Elektorats vertreten und sollten dementsprechend auch eng in den lokalen Kontexten verwurzelt sein, aus welchen sie ihre politische Ermächtigung bezogen. Diese lokale Einhegung garantierte zudem, dass neben den Wohlhabenden und Gelehrten auch Leute aus anderen Gesellschaftsschichten zu Repräsentanten werden konnten, denn letztere konnten die Interessen ihrer lokalen Kontexte ebenso gut vertreten wie erstere.16 Mit dieser engen sozialen Einbettung des Repräsentationsbegriffs wurde diesem auch eine föderale und subsidiäre Bedeutungsschicht eingeschrieben, denn die Repräsentation zielte deutlich auf die Sichtbarmachung und Vermittlung sozialer und territorialer Vielfalt, die erst dann zur Geltung kommen sollte, wenn die demokratische Selbstregierung der Bürger nicht mehr ausreichte. Genau in dieser argumentativen Fluchtlinie schrieb auch Gallatin über den Repräsentationsbegriff: Whenever we substitute Representation instead of the immediate will of the people, that is to say, whenever we declare that the people shall express their will by their Representatives & not by themselves, it clearly follows, that in framing that Representation, we must chiefly attend to this one object, that the Representatives should always speak the will of the people, & that the will of every class of people should at least be heard in the Legislative Assembly. 17
Das Rousseau’sche Ideal einer demokratischen Selbstregierung, über welche sich Gallatin in seiner Genfer Heimat mit François d’Ivernois und Etienne Dumont unterhalten hatte, wirkte auch im politischen Kontext Nordamerikas weiter.18 Anders als in der territorial zusammengezogenen Stadtrepublik, welche noch Rousseau vorgeschwebt hatte, zwang die räumliche Weite Nordamerikas allerdings auch zu einer Re-interpretation des Repräsentationsbegriffs, der nun mit sozialen und föderalen Bedeutungsschichten angereichert wurde, welche der Rousseau’schen Konzeption noch mehrheitlich fremd gewesen waren.19 Diese
16 Zu den Debatten über das Repräsentationskonzept vgl. auch Ball Terence, „A Republic – If you can keep it“, S. 145–150; Cornell Saul, The Other Founders, S. 147–153. Auf die Bedeutung des Lokalen in der politischen Kultur Nordamerikas aufmerksam macht auch: McDonald Forrest, States’ Rights and the Union, S. 47. 17 Gallatin Albert, Draft of my First Speech [6. Februar 1790], in: SNB, Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition, 1 0445–0446, hier: 0445. 18 Vgl. Dungan Nicholas, Gallatin. America’s Swiss Founding Father; Karmin Otto, Sir Francis d’Ivernois, 1757–1842. Zu Etienne Dumont vgl. Whatmore Richard, Etienne Dumont, The British Constitution, and the French Revolution. Zum Genfer Kontext in diesen Jahren vgl. Whatmore Richard, Against War and Empire. 19 Vgl. Ball Terence, „A Republic – If you can keep it“.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von demokratischer Selbstregierung und repräsentativer Regierung trat mit der Ratifikationsdebatte über die Bundesverfassung in eine neue Phase, die maßgeblich von der Frage geprägt war, wie demokratische Selbstregierung, Repräsentation und föderale Struktur in einer großflächigen Republik austariert und institutionell zusammengesetzt werden konnten. Das Ringen um die Bedeutung der Bundesverfassung war eine öffentliche Angelegenheit. Zwei Tage nachdem die Federal Convention ihre Arbeit niedergelegt hatte, am 19. September 1787, wurde der Verfassungstext bereits in sechs Zeitungen Philadelphias veröffentlicht und innerhalb der nächsten fünf Wochen zogen nicht weniger als 70 Zeitungen nach.20 James Madison berichtete einige Monate später seinem Freund Thomas Jefferson: „The Constitution proposed by the late Convention engrosses almost the whole political attention of America.“21 Unzählige Abdrucke der Verfassung erfolgten in Zeitungen, Pamphleten und Flugblättern, die Netzwerke zwischen Autoren, Verlegern und Zeitungsredaktionen beförderten die Zirkulation von Verfassungstexten und Kommentaren, die Zeitungen entwickelten sukzessive politische Profile, die sie zu Sprachrohren für oder wider die Verfassung machten, Befürworter und Kritiker kommentierten in der Presse die Artikel der Verfassung und diskutierten in Essays die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen konstitutionellen Bestimmungen.22 „The Constitution is now before the Judgment Seat“, erläuterte George Washington Mitte Oktober 1787 seinem Freund Henry Knox,23 und der Richter war letzten Endes die öffentliche Meinung, denn sie würde in den ratifizierenden Versammlungen in den Einzelstaaten den Ausschlag geben, so Washington: „Much will depend however upon the literary abilities, and the recommendation of it [the Constitution] by good pens should be openly, I mean, publickly afforded in the gazettes.“24 Indessen waren es nicht nur die Befürworter der Verfassung, die – wie Washington hoffte – von der Presse Gebrauch machten, sondern auch die Gegner. So berichtete der Verfassungsbefürworter Tench Coxe Mitte Oktober 1787 aus Philadelphia seinem Mitstreiter James Madison: „The opposition here has
20 Vgl. Maier Pauline, Ratification, 70. 21 James Madison an Thomas Jefferson, 9. Dezember 1787, in: Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S, 87. 22 Zum Zusammenhang zwischen Presse und politischer Kultur in der Early Republic vgl. Pasley Jeffrey L., The Two National „Gazettes“. 23 George Washington an Henry Knox, 15. Oktober 1787, in: Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S. 58. 24 George Washington an David Humphreys, 10. Oktober 1787, in: Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S. 58. Hervorhebungen im Original.
6.2 Die unbewältigte Verfassungsdebatte in Pennsylvania
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become more open. It is by leaders of the constitutional interest, who have acted in concert with the Western interest. The people of the party in the city are chiefly federal, tho’ not so I fear in the Counties.“25 Das von Tench Coxe skizzierte Profil der Opposition in Pennsylvania – Constitutionalists aus den ländlich geprägten Counties des Westens – traf natürlich genau auf jenes Milieu zu, in welchem sich Albert Gallatin bewegte.
6.2 Die unbewältigte Verfassungsdebatte in Pennsylvania und die Entstehung einer loyalen Opposition Die Pennsylvania Ratifying Convention nahm den Verfassungsvorschlag am 13. Dezember 1787 trotz der oppositionellen publizistischen Anstrengungen der Antifederalists an. Indessen war die Debatte um die Bedeutung der Bundesverfassung für die Vereinigten Staaten und für den Staat Pennsylvania damit mitnichten beendet.26 Noch im Dezember 1787 erschien in Philadelphia im Verlag des für den Druck von Antifederalist-Texten bekannten Verlegers Eleazer Oswald eine dreiseitige Erklärung mit dem Titel The Address and Reasons of Dissent of the Minority of the Convention, of the State of Pennsylvania, to their Constituents.27 Darin erörterten die unterlegenen Mitglieder des Pennsylvania-Konvents die Gründe für ihre Opposition gegen die Verfassung und skizzierten ein 14-Punkte-Programm, in welchem sie Verfassungszusätze einforderten. Neben den Forderungen nach einer Bill of Rights, einer strikten Gewaltenteilung und einer Vergrößerung der Anzahl Vertreter im Repräsentantenhaus zur Stärkung und Diversifizierung der Legislative, reklamierten sie auch eine klarere Trennung der Zuständigkeitssphären zwischen dem Kongress und den Einzelstaaten. Ihre Kritik an der Verfassung verdichteten die Dissenters in drei Punkten: We Dissent, First, Because it is the opinion of the most celebrated writers on government, and confirmed by uniform experience, that very extensive territory cannot be governed on the principles of freedom, otherwise than by a confederation of republics, possessing all the powers of internal government; but united in the management of their general, and foreign
25 Tench Coxe an James Madison, 21. Oktober 1787, in: Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S. 63. Hervorhebungen im Original. 26 Vgl. Maier Pauline, Ratification, S. 121. 27 The Address and reasons of dissent of the minority of the convention, of the state of Pennsylvania, to their constituents, Philadelphia 1787, in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 454–483. Zu Eleazer Oswald vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 127–136.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
concerns. […] We dissent, Secondly, because the powers vested in Congress by this constitution, must necessarily annihilate and absorb the legislative, executive, and judicial powers of the several states, and produce from their ruins one consolidated government, which from the nature of things will be an iron handed despotism, as nothing short of the supremacy of despotic sway could connect and govern these United States under one government. […] We dissent, Thirdly, Because if it were practicable to govern so extensive a territory as these United States, includes, on the plan of a consolidated government, consistent with the principles of liberty and the happiness of the people, yet the construction of this constitution is not calculated to attain the object, for independent of the nature of the case, it would of itself, necessarily, produce a despotism, and that not by the usual gradations, but with the celerity that has hitherto only attended revolutions affected by the sword.28
Im Kern all dieser drei Kritikpunkte lagen vom Verfassungsvorschlag abweichende Einschätzungen über die Rolle der Einzelstaaten in der neu konstituierten föderalen Republik und über die Gefährdungen, welche mit dem Experiment der Errichtung einer Republik in einem Flächenstaat von den Ausmaßen der 13 Kolonien einher gingen. Der historische Erfahrungshaushalt, dass Republiken nur in zusammengezogenen und sozioökonomisch relativ homogenen politischen Gemeinwesen gedeihen konnten und territoriale Ausweitung notwendigerweise zu Machtkonzentration, Staatsausbau und despotischen Regierungsweisen führen würde, steckte den Erwartungshorizont vieler Antifederalists ab. Zudem machten die unterlegenen Mitglieder des Konvents in Pennsylvania auch auf die begriffliche Unschärfe des Verfassungstexts aufmerksam, welche in ihrer Sichtachse geradezu zu einer semantischen und politischen Subversion einlud. Der Föderalismus erschien in der politischen Sprache der Dissenters somit nicht nur als institutionelle Bedingung, „the principles of liberty and the happiness of the people“ zu wahren; er war auch Gegenstand eines semantischen Kampfes, bei dem um die Definitionsmacht über die Auslegung der Verfassung und damit auch über ihre hybriden föderal-nationalen Mischverhältnisse gestritten wurde. Obwohl New Hampshire am 21. Juni 1788 den Verfassungsvorschlag ratifizierte und damit der erforderliche neunte Staat seine bedingungslose Zustimmung zur neuen Bundesverfassung gab, brachte dies die Antifederalists in Pennsylvania nicht dazu, von ihren kritischen Kommentaren abzurücken und ihre Forderungen nach Amendments einzustellen.29 Am 3. Juli 1788 zirkulierte in allen
28 The Address and reasons of dissent of the minority of the convention, of the state of Pennsylvania, to their constituents, Philadelphia 1787, in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 464–465 & 470. Hervorhebungen im Original. Zu dieser Argumentation vgl. auch Hanson Russell L., „Commons“ und „Commonwealth“ at the American Founding, S. 174–179. 29 Vgl. Maier Pauline, Ratification, S. 424–425.
6.2 Die unbewältigte Verfassungsdebatte in Pennsylvania
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Counties Pennsylvanias ein von den Antifederalists aus Cumberland verfasstes Rundschreiben, das eine Versammlung auf den 3. September 1788 in Harrisburg ankündigte, und dazu aufrief, Delegierte für diese Versammlung zu wählen. Da mittlerweile nun bereits zehn Staaten die Verfassung ohne den Vorschlag von Amendments ratifiziert hatten, so war in diesem Rundschreiben zu lesen, könne nun ein politisches System in Kraft treten, „with all its foreseen and consequent dangers“. „[U]nless prudent steps be taken to combine the friends of amendments in some plan in which they may confidently draw together, and exert their power in unison,“ warnte das Rundschreiben, „the liberty of the American citizens must lie at the discretion of Congress, and most probably posterity become slaves to the officers of government.“30 Entscheidend war an diesem Text, dass die Antifederalists trotz all ihrer Bedenken und Warnungen eingestanden, dass die Bundesverfassung ordentlich ratifiziert wurde und dass sie fortan nicht mehr gegen die Verfassung argumentieren konnten, außer sie würden eine Sezession in Kauf nehmen wollen, wozu kaum jemand bereit war. Stattdessen musste man nach Lösungen innerhalb des nun bestehenden konstitutionellen Rahmens suchen und die naheliegendste Lösung bestand in der nachhaltigen Einforderung von Amendments und einer Begrenzung der Macht des Kongresses auf die in der Verfassung genannten Politikbereiche.31 Diese Machtbegrenzung avancierte nun zum zentralen semantischen Kern des Föderalismusbegriffs in der politischen Sprache der Antifederalists. Auch in Fayette County zirkulierte dieses Rundschreiben der Antifederalists aus Cumberland und am 18. August 1788 fand in Uniontown die Versammlung statt, welche die Delegierten dieses Counties für die Versammlung in Harrisburg wählen sollte. Wenig überraschend wählte die Versammlung in Uniontown John Smilie, der sich in der Pennsylvania Ratifying Convention als einer der wortmächtigsten und einflussreichsten Antifederalists hervorgetan hatte, zum Delegierten.32 Als zweiten Delegierten wählten sie einen bisher auf dem politischen Feld unbekannten 27-Jährigen, der seine Reden mit einem kräftigen französischen Akzent hielt: Albert Gallatin.33 Gallatin bereitete sich intensiv auf die Harrisburg Convention vor, wovon ein achtseitiges Dokument zeugt, in welchem Gallatin
30 Cumberland Circular, 3. Juli 1788, in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 552. 31 Vgl. Maier Pauline, Ratification, S. 424–425. Zur Transformation des Antifederalism um 1788/89 vgl. auch Banning Lance, Republican Ideology and the Triumph of the Constitution, 1789 to 1793; Cornell Saul, The Other Founders, S. 147–171. 32 Zu Smilie vgl. die biographischen Informationen in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 752–753. 33 Vgl. Walters Raymond Jr., Albert Gallatin, S. 27.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
seine Überlegungen zur Bundesverfassung und zur Notwendigkeit von Amendments notierte.34 Zudem verfasste er einige Resolutionen, welche der Versammlung in Harrisburg als Diskussionsgrundlage dienten.35 Darin postulierte Gallatin unmissverständlich: „That in order to prevent a dissolution of the Union, and to secure our liberties, and those of our posterity, it is necessary that a revision of the federal constitution be obtained in the most speedy manner.“36 Auf diesen Bemerkungen Gallatins aufbauend diskutierten nun die Delegierten in Harrisburg über die adäquaten Mittel und über die adäquate Sprache, um ihre Ansprüche in der politischen Öffentlichkeit geltend zu machen. Dreh- und Angelpunkt der Debatte war die Frage, wie durch das Instrument der Amendments eine ReKonzeptualisierung des Föderalismus innerhalb der Verfassungsordnung angestrebt werden konnte. Gallatin notierte sich etwa in seinen Unterlagen zur Harrisburg Convention, that a foederal Govnt. is the only one that can preserve the liberties & secure the happiness of the inhabitants of such an Extensive Empire as the U. S. and Experience having taught us that the ties of our Union under the Articles of Confederation were too weak as to deprive us of some of the greatest advantages we had a right to expect. Therefore we are fully convinced that a more efficient Govnt. is absolutely necessary, but at the same time we must declare that altho’ the Constitution proposed for the U. S. is likely to obviate most of the inconveniences we laboured under, yet several parts of it appear so exceptional to us that nothing but the fullest confidence of obtaining a revision of them by a general Convention & our resistance to entering into any violent & dangerous measures could prevail on us to acquiesce in its Organization in this State.37
Sowohl das von Montesquieu diskutierte Dilemma, dass eine Republik in einem „Extensive Empire“ unausweichlich zugrunde gehen würde, als auch die historische Erfahrung der Amerikaner mit den Konföderationsartikeln erforderten eine Neudefinition der „true federal principles“. Nur wenn die Verfassung diesen „true federal principles“ Rechnung trug, konnte ihre Legitimität in den Augen der Verfassungskritiker gesteigert werden, denn eine Revision der Verfassung durch
34 Gallatin Albert, Reflections on the U. S. Constitution [1788], in: SNB, Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition, 1 0388–0392. Dieses Dokument ist in Auszügen abgedruckt in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, I, S. 1–2. 35 Gallatins Resolutionsvorschläge sind abgedruckt in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 557–558. 36 Gallatin Albert, Draft of Resolutions presented at the Convention in Harrisburg, 3. September 1788, in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, 1787–1788, S. 557. 37 Gallatin Albert, Reflections on the U. S. Constitution [1788], in: SNB, Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition, 1 0388–0392, hier: 0390. Hervorhebungen im Original.
6.2 Die unbewältigte Verfassungsdebatte in Pennsylvania
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Amendments, welche die föderalen Zuständigkeiten klären sollte, würde nicht zu einer Schwächung, sondern zu einem politischen Legitimitätsgewinn dieses Instruments beitragen. Der Föderalismusbegriff amalgamierte sich in der politischen Sprache der Verfassungskritiker zusehends mit der klassisch-republikanischen Furcht vor Machtkonzentrationen. Anders als die Federalists, die auf diese Furcht mit einem Konzept des dynamischen Kräfteausgleichs und der Checks and Balances reagierten, bevorzugten die Antifederalists klare „boundaries“, „barriers“ und „lines“, welche die Zuständigkeiten in der föderalen Konfiguration der Union klar definierten.38 Dieser machtbegrenzende Begriff des Föderalismus fand seinen Ausdruck im 10. Amendment, welches Ende September 1789 vorgeschlagen und am 15. Dezember 1791 in Kraft trat und die Transitionsphase der Antifederalists von Verfassungsgegnern zu einer loyalen Opposition vollends vollzog. Das 10. Amendment hielt fest, dass „The powers not delegated to the United States by the constitution, nor prohibited by it to the states, are reserved to the states respectively, or to the people“. Viele – wenn auch nicht alle – Antifederalists, welche insbesondere die Konsolidierungstendenzen des neuen Systems und einen wachsenden Verlust der politischen Gestaltungskraft der Einzelstaaten befürchteten, interpretierten das 10. Amendment als ein politisches Schlüsselinstrument, um die Macht des Kongresses unter Kontrolle zu halten und als paradigmatische Erläuterung ihres machtbegrenzenden Föderalismusbegriffs. Thomas Jefferson nannte etwa das 10. Amendment im Februar 1791 „the foundation of the Constitution“ und erläuterte: „To take a single step beyond the boundaries thus specially drawn around the powers of Congress, is to take possession of a boundless field of power, no longer susceptible of any definition.“39 Die Teilung der Macht zwischen den Einzelstaaten und dem Bund sowie die strikte Auslegung des 10. Amendments versprach eine strukturelle Kontrolle gegenüber Machtansprüche des Kongresses und wurde deshalb als ein essentielles Element in der institutionellen Machtverteilung dieser neuen politischen Ordnung betrachtet.40 Mit dieser Transformationsphase der Antifederalists erschien nun auch deren Benennung – welche den ehemaligen Verfassungsgegnern anklebte, ohne dass diese sich diese Benennung jemals zu Eigen gemacht hätten – nun zusehends als eine Art Anachronismus. „The artful cry of the danger of antifederalism is gradually ceasing to have its effect“, bemerkte William Findley 1794 in Worten, welche die Wende hin zu einer
38 Manin Bernard, Checks, Balances and Boundaries. 39 Jefferson Thomas, Opinion on the Constitutionality of a National Bank, S. 198. 40 Vgl. Banning Lance, Republican Ideology and the Triumph of the Constitution, 1789 to 1793; Maier Pauline, Ratification, S. 462–463.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
loyalen Opposition unterstrichen. „The more the people examine, the more they are convinced, that no body of antifederalists exists in the United States, and that no design for overturning the government has been entertained since the commencement of its operation.“41 In der Tat: Ironischerweise sollten die ehemaligen Antifederalists in den 1790er Jahren zu den strengsten Interpreten jenes Textes werden, den sie in den Ratifikationsdebatten noch abgelehnt hatten.
6.3 Der Föderalismusbegriff der demokratisch-republikanischen Oppositionund die Doktrin der enumerativen Gewalt Dass es seit der Ratifikation der Bundesverfassung keine Pläne zur Umwälzung des neu konstituierten politischen Systems gab, wie William Findley 1794 feststellte, hieß indessen nicht, dass es keine Bestrebungen gab, dieses System auf der Grundlage der Verfassung in bestimmte Richtungen weiter zu entwickeln. Denn das Arsenal an Argumentationsfiguren und kritischen konstitutionellen Diskursen, welche die Antifederalists im Vorfeld und während des Ratifizierungsprozesses entwickelt hatten, wurde auch in den 1790er Jahren immer wieder aktiviert, um oppositionelle Ansprüche gegen die Politik der aus den ersten Bundeswahlen erfolgreich hervorgegangenen Federalists anzubringen. Viele der führenden intellektuellen Kräfte im politischen Feld der Antifederalists wurden in den 1790er Jahren nicht minder wichtige Repräsentanten der Republicans, welche sich um James Madison und Thomas Jefferson bildeten, so auch William Findley und Albert Gallatin. Zentral für die Herausbildung dieser demokratisch-republikanischen Bewegung war die Opposition gegen das maßgeblich von Alexander Hamilton entwickelte politische Programm der Federalists, das in den Augen von vielen ehemaligen Antifederalists genau jene Befürchtungen bestätigte, die sie im Zuge der Ratifikationsdebatten gegen den Verfassungsvorschlag vorgetragen hatten.42 Während die Antifederalists – wie oben geschildert – sich v. a. um die Frage kümmerten, wie die politische Durchschlagskraft der neu formierten Bundesregierung begrenzt werden konnte, interessierte Hamil-
41 A Citizen [William Findley], A Review of the Revenue System Adopted by the First Congress under the Federal Constitution, S. 116. Zur Politik der Namensgebung vgl. Maier Pauline, Ratification, S. 92–95. 42 Die ausführlichste Studie hierzu ist Elkins Stanley/McKitrick Eric, The Age of Federalism. Eine dichte Zusammenfassung des Federalist-Programms findet sich bei Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 95–139.
6.3 Der Föderalismusbegriff der demokratisch-republikanischen Opposition
173
ton und viele seiner Federalist-Mitstreiter, wie die politische Handlungsmacht eben dieser Bundesregierung befördert und effizient gestaltet werden konnte.43 Wieder für andere, und hier wären etwa James Madison und Albert Gallatin zu nennen, verband die neue Bundesverfassung beide Stränge, indem sie die Souveränitätsrechte zwischen Bund und Einzelstaaten teilte, der Bundesregierung in ihrer Zuständigkeitssphäre die Mittel zu einer effektiven Administration ihrer Funktionen zur Verfügung stellte, und gleichzeitig über die föderale Struktur und unveräußerliche Grundrechte Hindernisse und Grenzen für eine wachsende Machtakkumulation des Bundes einbaute. Dieses Föderalismuskonzept war freilich ein fragiles und uneindeutiges, denn in der politischen Praxis ließen sich die Zuständigkeitssphären nicht so feinsäuberlich trennen, wie dies das theoretische Argument suggerierte. Hamiltons Finanz- und Wirtschaftsprogramm der frühen 1790er Jahre, der Jay Treaty von 1794/95 und schließlich die unter Präsident John Adams verabschiedeten Alien- and Sedition Acts von 1798 problematisierten in regelmäßigen Abschnitten genau jene föderale Machtdistribution, welche sowohl Antifederalists als auch später die Republicans als so signifikant für den Schutz ihrer Rechte und Freiheiten ansahen. Das semantische Nadelöhr, durch welches Alexander Hamilton und die Federalists die Verfassung zu ihren Gunsten auslegen wollten und die begrenzende Föderalismussemantik der Opposition zu unterlaufen versuchten, war die necessary-and-proper-Klausel der Bundesverfassung (Art. I, Sect. 8). In seiner Opinion on the Constitutionality of the Bank bezeichnete Hamilton es in Anlehnung an die necessary-and-proper-Klausel als „an axiom“, „that every power vested in a government is in its nature sovereign, and includes, by force of the term, a right to employ all the means requisite and fairly applicable to the attainment of the ends of such power, and which are not precluded by restrictions and exceptions specified in the Constitution, or not immoral, or not contrary to the essential ends of political society.“44 Damit versuchte Hamilton die rigide Machtteilung des 10. Amendments zu unterlaufen, denn der Kongress verfügte laut dieser Definition über die Definitionsmacht der Mittel, welche zur Erfüllung der ihm übertragenen Zwecke „notwendig“ und „angebracht“ waren. Die semantische Unbestimmtheit der necessaryand-proper-Klausel war der Hebel, um eine Machtverschiebung zugunsten der Bundesregierung zu erwirken. Eine solche Interpretation des Verfassungstextes lieferte in den Augen von James Madison, der nicht lange zuvor noch an der Seite Hamiltons für die Ratifikation der Verfassung gekämpft hatte, einen gefährlichen
43 Zu dieser Interpretation vgl. Edling Max M., A Revolution in Favor of Government, S. 7–8. 44 Hamilton Alexander, Opinion on the Constitutionality of the Bank, 23. Februar 1791, in: Hamilton Alexander, The Works of Alexander Hamilton, III, S. 446. Hervorhebungen im Original.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
Präzedenzfall in der Auslegung dieses Textes. Die Bundesverfassung von 1787, argumentierte Madison gegen die Auslegung Hamiltons, „is not a general grant, out of which particular powers are excepted; it is a grant of particular powers only, leaving the general mass in other hands. So it had been understood by its friends and its foes, and so it was to be interpreted.“45 Es sei das essentielle Charakteristikum der Verfassung, so Madison, dass sie den Bundesinstitutionen nur „limited and enumerated powers“ delegiere und eine Missachtung dieser Grundregel in der Verfassungsinterpretation könne nur als „usurpation“ gedeutet werden, als „a precedent of interpretation levelling all the barriers which limit the powers of the General Government, and protect those of the State Governments.“46 Ähnlich argumentierte auch Albert Gallatin. Er forderte von den verfeindeten Parteien „a strict adherence to that Constitution which binds us together“, denn nur auf der Grundlage einer strengen Interpretation konnte eine Machtakkumulation der Bundesregierung auf Kosten der Einzelstaaten verhindert werden.47 Die großzügigen Gewalten, welche Hamilton aus seiner Interpretation der Verfassung ableitete, beurteilte Gallatin vor diesem Hintergrund als Versuch der Federalists, „to add new energy to their powers and to justify the arbitrary exercise of a jurisdiction extended to new objects.“ „Beware how you overset the barriers which alone can protect us and our posterity from the baneful effects of power that deems nothing unlawful which it is able to accomplish, and of passion that deems nothing sacred which it wishes to destroy“, warnte er 1794.48 Damit schloss Gallatin an die Argumentationslinien an, welche die Antifederalists im Zuge der Ratifikationsdebatten bereits antizipierend geltend gemacht hatten: die begriffliche Unschärfe und Ambivalenz der Verfassungssprache würde zum Einfallstor einer Machakkumulation der Regierung. Eng an diese oppositionellen Diskurse der Antifederalists anknüpfend, bemühte auch Gallatin die Metaphorik der „Grenze“ oder der „Schranke“, welche sich in der politischen Sprache der republikanischen Opposition eng mit dem Föderalismusbegriff verband. Nur eine
45 Madison James, Speech on the Bank of the United States, 2. Februar 1791, in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 27. 46 Madison James, Speech on the Bank of the United States, 2. Februar 1791, in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 35. Vgl. zu diesem Punkt auch Diamond Martin, The Forgotten Doctrine of Enumerated Powers. 47 Gallatin Albert/McGaurrauh John, Declaration of the Committees of Fayette County, September 1794, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, I, S. 7. 48 Gallatin Albert, Speech on the Important Question touching the Validity of the Elections held in the four Western Counties of the State on the 14th Day of October, 1794, with Notes and an Appendix Containing Sundry Documents Relative to the Western Insurrection, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, III, S. 48.
6.3 Der Föderalismusbegriff der demokratisch-republikanischen Opposition
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rigide Trennung der politischen Handlungssphären zwischen Bund und Einzelstaaten würde die Machtakkumulation des Bundes verhindern. Gleichzeitig verband der oppositionelle Diskurs mit dieser rigiden Trennung der Sphären auch einen grundlegenden Schutzautomatismus für die individuelle Freiheit der Bürger, denn nur weil beide Regierungen – Bund und Einzelstaaten – eifersüchtig über ihre jeweiligen Politikbereiche wachten, wurden die Bürger vor Machtanspüchen des Staates, ob Einzelstaat oder Bund, geschützt. Paradigmatisch fasste Thomes Jefferson diesen Föderalismusbegriff 1791 in die Worte: „I wish to preserve the line drawn by the federal constitution between the general & particular governments as it stands at present and to take every prudent means of preventing either from stepping over.“49 Damit schlossen Jefferson und Gallatin an ein diskursives Deutungsmuster an, welches seit der Amerikanischen Revolution zu einem wichtigen Bestandteil des „Revolutionary Republicanism“ wurde: das Verhältnis von „power“ und „liberty“. Diese beiden politischen Konzepte wurden in der politischen Sprache des revolutionären Republikanismus als zwei Kräfte gesehen, welche die politische Welt in zwei inkommensurable und antagonistische Sphären teilten: Herrschaft galt es zu begrenzen, um Freiheit zu bewahren; jede Ausdehnung von Herrschaft ging auf Kosten von Freiheit.50 Das republikanische Axiom, dass Macht korrumpiere und dass diejenigen, die mit staatlicher Macht ausgestattet werden, dazu tendieren würden, diese Macht auf Kosten der individuellen Freiheiten der Bürger zu vergrößern, erforderte eine föderale Trennung und wechselseitige Kontrolle der delegierten Gewalten.51 Der Föderalismus schrieb sich in der politischen Sprache der republikanischen Opposition nun deutlich in dieses tradierte politische Deutungsmuster ein und verzahnte sich auf das Engste mit ihrem Begriff der Freiheit. Der politische Handlungsraum des Bundes musste demnach enumerativ auf jene Bereiche begrenzt werden, die ihm die Verfassung übertrug, sollte die Sphäre der Freiheit nicht von derjenigen der Herrschaft aufgefressen werden. Wie eng das enumerative Föderalismuskonzept im oppositionellen Diskurs mit dem Begriff republikanischer Freiheit verwoben wurde, verdeutlicht eine vergleichende Argumentation, welche Thomas Jefferson 1811 im Rückblick auf die Entwicklungspfade der Französischen und der Amerikanischen Revolution in einem Brief an Destutt de Tracy, ein Freund Lafayettes und Kommentator von
49 Thomas Jefferson an Archibald Stuart, 23. Dezember 1791, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, VI, S. 350. Vgl. hierzu auch Mayer David N., The Constitutional Thought of Thomas Jefferson, S. 215. 50 Vgl. Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 18–28; Shalhope Robert E., The Roots of Democracy, S. 41–43. 51 Zu diesen Deutungsmustern vgl. Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 18–28.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
Montesquieus Esprit des Lois, zu Papier brachte.52 „[T]he true barriers of our liberty in this country are our State governments,“ erklärte Jefferson: Seventeen distinct States, amalgamated into one as to their foreign concerns, but single and independent as to their internal administration, regularly organized with legislature and governor resting on the choice of the people, and enlightened by a free press, can never be so fascinated by the arts of one man, as to submit voluntarily to his usurpation.53
Die Diversifizierung der politischen Meinungs- und Willensbildung in einem föderalen System fungiere als eine Kontrollinstanz gegenüber dem Machthunger der Zentrale, argumentierte Jefferson – eine Kontrollinstanz freilich, welche im Frankreich der Revolution im Zuge eines nationalen Homogenisierungsprozesses abgeschafft wurde, womit Usurpatoren – und Jefferson mag hier an Napoleon Bonaparte gedacht haben – die Tore weit geöffnet wurden: The republican government of France was lost without a struggle, because the party of „une et indivisible“ had prevailed; no provincial organizations existed to which the people might rally under authority of the laws […]. But with us, sixteen out of seventeen States rising in mass, under regular organization, and legal commanders, united in object and action by their Congress, or, if that be in duresse, by a special convention, present such obstacles to an usurper as forever to stifle ambition in the first conception of that object.54
Der vergleichende Blick über den Atlantik kontrastierte die Vorzüge der amerikanischen federal republic gegenüber der französischen république, une et indivisible. Die „barriers“, welche das enumerative Föderalismuskonzept in die Struktur der amerikanischen Republik einbaute, verhinderte jene Homogenisierung der politischen Gemeinschaft und Machtakkumulation der Regierung, die Jefferson in der französischen Revolutionsgeschichte beobachtete.
6.4 Das Konzept der Union und die föderale Kultur der Reziprozität Die „true federal principles“ und die aus ihnen abgeleitete Machtteilung zwischen Bund und Einzelstaaten waren eine nüchterne technische und funktionale
52 Zu Destutt de Tracy vgl. Kennedy Emmet, A Philosophe in the Age of Revolution. 53 Thomas Jefferson an Destutt de Tracy, 26. Januar 1811, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, XI, S. 187. 54 Thomas Jefferson an Destutt de Tracy, 26. Januar 1811, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, XI, S. 187–188. Hervorhebungen im Original.
6.4 Das Konzept der Union und die föderale Kultur der Reziprozität
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Angelegenheit. Zwar ließ sich über die enge semantische Verknüpfung zwischen Föderalismus und Freiheit die alte republikanische Furcht vor staatlicher Herrschaft mobilisieren. Als ein positiver und identitätsstiftender Begriff taugte der Föderalismus indessen kaum; dagegen sprach schon die parteipolitische Bedeutungsschicht, die ihm seit der Verfassungsdebatte anhaftete. Der gebannte Blick auf den Text der Bundesverfassung, den die republikanische Opposition in den 1790er Jahren vehement einforderte, rückte indessen einen anderen Begriff ins Blickfeld: „We the People of the United States, in Order to form a more perfect Union“, heißt es in der Präambel der Bundesverfassung. Der Begriff der Union verwob sich in der politischen Sprache der republikanischen Opposition in den 1790er Jahren eng mit demjenigen der föderalen Machtteilung und kompensierte, so zumindest die Hoffnung, die affektive Armut und Nüchternheit des Föderalismuskonzepts.55 Den Satz „to form a more perfect Union“ wollte jemand wie Albert Gallatin indessen nicht so verstanden wissen, dass die Einzelstaaten sich auf Dauer zu einem konsolidierten Nationalstaat verschmelzen sollten, dass die Perfektionierung der Union im Verschwinden der politischen Strukturmerkmale lag, die dieses Gebilde als vereinigte Staaten auszeichneten. Die Verzeitlichung und Perfektionierung des Unionsbegriffs band sich stattdessen einerseits an eine Zurückweisung einer homogenisierten nationalen Identität zugunsten einer föderalen Identität der Amerikaner.56 Der Begriff der Union rückte also gerade deshalb ins Zentrum des oppositionellen Diskurses, weil er eine Einheit in der Vielfalt evozierte, ohne diese Einheit als nationale verstehen zu müssen, die an die einigende Kraft der Bundesregierung gebunden war. Die Union betonte aber auch eine föderale Kultur der Reziprozität zwischen den unterschiedlichen Teilen der amerikanischen politischen Gesellschaft und suchte das einigende Band weniger im Ausbau der bundesstaatlichen Kompetenzen als in der Verdichtung der öffentlichen Kommunikationsstrukturen und des kommunikativen Austauschs in der Bürgergesellschaft. Rogan Kersh hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, „that the design of separated powers was interwoven with a comprehensive account of union – of stronger ties among citizens of different regions and outlooks, and between their representatives.“57 Die semantische Amalgamierung zwischen Föderalismus und Union war eine der rhetorischen Strategien der republikanischen Opposition um James Madison, Thomas Jefferson und Albert Gallatin, um dem Föderalismus eine Bedeutungsschicht einzuziehen, die seine
55 Vgl. zur Geschichte des Unionbegriffs die grundlegende Studie von Kersh Rogan, Dreams of a More Perfect Union. 56 Vgl. hierzu auch Koselleck Reinhart, Die Verzeitlichung der Begriffe, S. 77–85. 57 Kersh Rogan, Dreams of a More Perfect Union, S. 68.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
funktionale Bedeutung der Machtteilung akzentuierte und gleichzeitig darüber hinauswies und ihn mit einem identitätsstiftenden Potenzial bereicherte. Diese Konzeption einer föderalen Union kristallisierte sich besonders deutlich im Kontext der Whiskey Rebellion heraus, eines Aufstandes der Farmer im Westen Pennsylvanias im Sommer 1794, die gegen die von Alexander Hamilton im Kongress durchgesetzte Bundessteuer auf im Inland hergestellte gebrannte Getränke protestierten. Während manche Farmer aus den westlichen Counties Pennsylvanias die Maßnahme der Bundesregierung als Ausdruck eines wachsenden zentralstaatlichen Dirigismus interpretierten, dem man wenn nötig mit Gewalt Widerstand leisten müsse, erinnerte Albert Gallatin an die Notwendigkeit einer allseitigen Rücksichtnahme in einer sozioökonomisch und kulturell diversifizierten Gesellschaft wie derjenigen Nordamerikas. Konflikte über territorial gebundene Interessen seien in einem solchen politischen Gebilde unvermeidlich, so Gallatin: „The excise law is obnoxious to us, another law may equally be so in another part, a third one in a different quarter, and if every corner of the United States claim a right to oppose what they dislike, no one law will be obeyed.“58 Würden die Bürger im Westen Pennsylvanias sich der Autorität der verfassungsmäßig an den Kongress delegierten Gewalten widersetzen und würden sie Hamiltons rechtmäßig zustande gekommenes Steuergesetz mit anderen Mitteln bekämpfen, als denjenigen, welche ihnen die Verfassung zur Hand gab, würde dies zu „nothing less than anarchy and ruin to ourselves […], and a probable annihilation of the Union“ führen. „[I]n order to conciliate so many and various interests as those of the several parts of the Union mutual forbearance, manifestations of good will one to another, and reciprocal acts of friendship are as essentially necessary as a strict adherence to that Constitution which binds us together.“59 Die Pluralität der Interessen in einem politischen Gebilde wie demjenigen der Vereinigten Staaten konnte nur durch eine föderale Kultur der Reziprozität und der gegenseitigen Rücksichtnahme politisch bearbeitbar werden. Eine moderne, arbeitsteilige und kulturell heterogene Gesellschaft erforderte in dieser Perspektive eine politische Kultur des Ausgleichs und der Harmonisierung divergierender Interessen. Die Promotion eines solchen Interessenausgleichs in der Union und die damit einhergehende Verwandlung von Unterschieden in Komplementaritäten sah Gallatin als die vornehmste Aufgabe der Bundesregierung:
58 Gallatin Albert/McGaurrauh John, Declaration of the Committees of Fayette County, September 1794, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, I, S. 5. 59 Gallatin Albert/McGaurrauh John, Declaration of the Committees of Fayette County, September 1794, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, I, S. 7.
6.5 Die Suche nach den autoritativen Quellen der Verfassungsauslegung
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To amend rather than to punish, to conciliate rather than to exasperate, to strengthen the bonds of union rather than to throw seeds of division, must be the sole design of a government that wishes not its authority rest upon force and oppression, but knows the confidence and the love of the people to be the only foundation of their existence, the only security for their duration.60
Gallatins Kritik an der Bundesregierung im Zuge der Whiskey Rebellion richtete sich genau dagegen, dass sich die Bundesregierung in dieser Frage von ihrer Verantwortung des Interessenausgleichs in der Union drückte und stattdessen die unterschiedlichen Regionen der Union gegeneinander ausspiele. Umgekehrt rief er seinen Mitbürgern an der westlichen Frontier des Staates Pennsylvania ebenfalls in Erinnerung, dass die Union nur dann gedeihen könne, wenn die Interessen einzelner Regionen und Einzelstaaten im Dienste der Union transzendiert werden. Zwei entscheidende Bedingungen für das Gelingen einer solchen föderalen Kultur der Reziprozität skizzierte Gallatin als einer der Wortführer der republikanischen Opposition in den 1790er Jahren. Zum einen beharrte er unablässig auf einer strikten Auslegung der Bundesverfassung, zum anderen setzte er sich für die Verdichtung der Kommunikationsstrukturen innerhalb der amerikanischen Bürgergesellschaft ein. Beide Anliegen Gallatins gerannen in den 1790er Jahren zu wichtigen Diskurssträngen, die sich mit dem oppositionellen republikanischen Föderalismuskonzept verwoben.
6.5 Die Suche nach den autoritativen Quellen der Verfassungsauslegung Im Dezember 1793 schrieb Jean Badollet, ein ebenfalls nach Nordamerika ausgewanderter Genfer, an seinen Freund Albert Gallatin, dass die Deutungsmuster der Französischen Revolution in Nordamerika die verschleierten Absichten der Federalists enthüllten. Hinter der zwischen Zurückhaltung und offener Feindschaft oszillierenden Haltung, welche die Federalists mehrheitlich gegenüber der Französischen Revolution einnahmen, glaubten radikale Republikaner wie Jean Badollet konterrevolutionäre Überzeugungen, aristokratische oder gar monarchistische Neigungen zu entdecken. Die Revolution in Frankreich habe die politische Veränderungsgeschwindigkeit dermaßen beschleunigt, schrieb Badollet
60 Gallatin Albert, Speech on the Important Question touching the Validity of the Elections held in the four Western Counties of the State on the 14th Day of October, 1794, with Notes and an Appendix Containing Sundry Documents Relative to the Western Insurrection, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, III, S. 47.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
seinem Freund Gallatin, dass im transatlantischen Vergleich die demokratischen und republikanischen Defizite des amerikanischen Systems manifest würden: The conduct of America in these circumstances is really astonishing & is, I think, discovering a great truth, viz. that our so much boasted off federal government was the work of some inimical head, of some masked Aristocrats, was the ground work of a revolution amongst us, which would have taken place in a slow & irresistible manner. The events, consequences of the French revolution have hurried them into inconsiderate steps, which have laid open all their schemes, & put I hope the Americans upon their guards.61
Eine Vorsichtsmaßnahme gegenüber dem drohenden Verrat an den republikanischen Prinzipien der Amerikanischen Revolution und gegenüber dem befürchteten Machthunger der Bundesregierung bestand in einer Blickverschiebung in der Interpretation der Bundesverfassung. Nicht mehr die Federal Convention in Philadelphia sollte der paradigmatische Ort der Deliberation und damit der Interpretationsschlüssel für die Dechiffrierung der „original opinions“ der Verfassungsväter sein, sondern die ratifizierenden Versammlungen in den Einzelstaaten – eine rhetorische Strategie, welche insbesondere im Zuge der Ratifikation der Jay Treaty 1796 erprobt wurde.62 Während die Federalists im Hinblick auf die Verfassungsinterpretation die geheimen und zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlichten Debatten der Federal Convention in Philadelphia als die entscheidende Quelle zur Rekonstruktion der „original understandings“ bemühten, argumentierte Albert Gallatin, dass diese Quelle mitnichten als autoritativ zu gelten habe. Die Mitglieder der Federal Convention, so Gallatin, „were not of those who made, who passed the instrument; they only drew it and proposed it. The people and the State Conventions who ratified, who adopted the instrument, are alone parties to it, and their intentions alone might, with any degree of propriety, be resorted to.“63 Dieses Argument stützte später auch James Madison. Die Federal Convention, so Madison in seiner Rede vom 6. April 1796, could never be regarded as the oracular guide in expounding the Constitution. As the instrument came from them it was nothing more than the draft of a plan, nothing but a dead letter, until life and validity were breathed into it by the voice of the people, speaking through the several State Conventions. If we were to look, therefore, for the meaning of
61 Jean Badollet an Albert Gallatin, 14. Dezember 1793, in: NYHS, Albert Gallatin Papers, Reel 1 1793 # 24. 62 Zur Jay Treaty vgl. Onuf Peter S./Onuf Nicholas, Federal Union, Modern World, S. 159–164; Hale Matthew Rainbow, „Many Who Wandered in Darkness“. 63 Gallatin Albert, Speech on the Treaty with Great Britain, S. 734.
6.5 Die Suche nach den autoritativen Quellen der Verfassungsauslegung
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the instrument beyond the face of the instrument, we must look for it, not in the General Convention, which proposed, but in the State Conventions, which accepted and ratified the Constitution.64
Vor dem Hintergrund dieser Argumentationsfigur erinnerte Gallatin an die Harrisburg Convention vom September 1788 und an die Debatten zwischen Antifederalist und Federalists in der ratifizierenden Versammlung des Staates Pennsylvania. Die Mitglieder der Harrisburg Convention, meinte Gallatin, hatten in ihrer Erklärung im September 1788 ihren Befürchtungen Ausdruck verliehen, „that the constitution in its present form contains in it some principles which may be perverted to purposes injurious to the rights of free citizens, and some ambiguities which may probably lead to contentions incompatible with order and good government.“65 Um die Verfassung korrekt zu deuten, genügte es deshalb nicht, ausschließlich den Verfassungstext zu studieren, nur aus den Texten der Befürworter zu zitieren und die Einwände der Kritiker zu ignorieren. Dies führte zu einer De-kontextualisierung des Verfassungstextes und verstellte den Blick auf den dialogischen Prozess, welcher die Bundesverfassung hervorgebracht hatte, gab Gallatin zu bedenken. Um diesem dialogischen Prozess Rechnung zu tragen, seien deshalb vor allen Dingen den Debatten in den ratifizierenden Versammlungen der Einzelstaaten größere Aufmerksamkeit zu schenken.66 In diesen Ausführungen Gallatins zeigt sich eine argumentative Strategie, welche die demokratisch-republikanische Opposition der 1790er Jahre insgesamt prägte: Texte und Aussagen von Federalists und Antifederalists, wie sie in den Dokumentationen der Ratifikationsdebatten der Einzelstaaten gefunden werden konnten, wurden zur entscheidenden Quelle erhoben, um die dialogischen Prozesse der Bundesstaatsgründung und der Verfassungsratifikation zu rekonstruieren und den „original understandings“ auf die Schliche zu kommen. So argumentierte Gallatin auch in der Debatte um die Alien- and Sedition-Acts 1798, dass die Federal Convention nicht die wichtigste Quelle zur Rekonstruktion der Verfassungsintentionen sei. „[T]he intention of the [Federal] Convention itself“, so Gallatin, sei nicht entscheidend im Hinblick auf „the true meaning of the Constitution.“ „For they were not the legislators who passed and ratified the act, but only the framers who drew the instrument and offered it for consideration. […] Are the people of America to be told, after a lapse of ten years,“ fragte Gallatin,
64 Madison James, Speech on the Jay Treaty, 6. April 1796, in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 272. 65 Resolutions of the Harrisburg Convention, 3. September 1788, in: McMaster John Bach/Stone Frederick D. (Hrsg.), Pennsylvania and the Federal Constitution, S. 559. 66 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 221–245.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
das Konzept der öffentlichen Debatte in den Ratifying Conventions der Einzelstaaten gegen die geheimen Verhandlungen der Federal Convention ausspielend, „that the delegation of powers, which they sanctioned under the impression of what on its face appeared to be its meaning, is to receive a contrary construction, bottomed on private meaning, on the unknown opinion of the members of a body whose deliberations were secret?“67 Statt der geheimen Debatten der Federal Convention seien die öffentlichen Ratifikationsdebatten in den Einzelstaaten richtungsweisend für die korrekte Interpretation der Verfassung, und insbesondere was die necessary-and-proper-Klausel anbelangt. „The language here used“, so Gallatin, sei „strict and precise“ und habe nie die Delegation einer „vague power“ intendiert. Um dieses Argument zu unterstreichen, verwies Gallatin bezeichnenderweise wieder auf die legitimen Einwände der Antifederalists: [T]he bill now under discussion justified the suspicions of those who, at the time of the adoption of the Constitution, had apprehended that the sense of that generally expressed clause might be distorted for that purpose. It was in order to remove these fears, that the amendment, which declares that Congress shall pass no law abridging the freedom of speech or the liberty of the press, was promoted and adopted.68
Deutlich wird an diesem Argument, dass die Amendments in der politischen Sprache der Opposition als eine Antwort auf die Mängel der vorgeschlagenen Bundesverfassung interpretiert wurden, dass also die Ratifikation der Bundesverfassung nur in einem dialogischen Prozess zwischen Federalists und Antifederalists zustande kam. Der erste Kongress, der die Amendments verabschiedete, habe durch diesen Akt die politische Legitimität jener Einwände unterstrichen, welche die Antifederalists zuvor gegen den Verfassungsvorschlag geltend gemacht hatten. Dieses dialogische Muster müsse in der Auslegung der Verfassung ebenso miteinbezogen werden, wie eine strikte Orientierung am Verfassungstext. Vor der Gefahr einer dekontextualisierenden und hinsichtlich der necessary-and-properKlausel großzügigen Verfassungsauslegung warnte Gallatin eindringlich: [I]t must be remembered that the only security of citizens against unconstitutional measures consists in a strict adherence to the Constitution; that their liberties are only protected by a parchment – by words – and that they may be destroyed whenever it shall be admitted that the strict and common sense of words may be construed away under the plea of some supposed necessity; whenever the Constitution shall be understood and exercised as an instrument unlimited where it grants power, and nugatory where it limits power.69
67 Gallatin Albert, Speech on the Alien and Sedition Acts, S. 2995–2996. 68 Gallatin Albert, Speech on the Punishment of Crime, S. 2159. 69 Gallatin Albert, Speech on the Alien and Sedition Acts, S. 3002. Hervorhebungen im Original.
6.5 Die Suche nach den autoritativen Quellen der Verfassungsauslegung
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Mit der strikten Interpretation des Verfassungstextes und mit der Berücksichtigung der Debatten in den Ratifying Conventions als autoritative Quellen für die Auslegung der Verfassung, als eigentliche „voice of the People“, wie Madison postulierte, rückte die Opposition nun den Föderalismus noch stärker in die Deutungsstrategien der Verfassung ein. Denn mit diesem Argument wurde akzentuiert, dass das amerikanische Volk in den Ratifikationsdebatten durch die Versammlungen gesprochen hat, welche in den Einzelstaaten organisiert wurden, um die Verfassung zu ratifizieren. In der politischen Sprache der Opposition konnte die Bedeutung der federal republic nur dann korrekt verstanden werden, wenn die föderalen Strukturen des Ratifikationsverfahrens berücksichtigt würden. Dieser Deutungszusammenhang lag auch den beiden Resolutionen zugrunde, welche James Madison und Thomas Jefferson in Reaktion auf die Alien- and Sedition Acts aufsetzten und welche von den Legislativen Kentuckys und Virginias veröffentlicht wurden.70 Beide Resolutionen forderten andere Staaten der Union dazu auf, die Alien- and Sedition Acts als verfassungswidrig abzulehnen und eine strikte Auslegung der necessary-and-proper-Klausel einzufordern. Gerade die großzügige Auslegung dieser Klausel, argumentierte Jefferson, „goes to the destruction of all limits“, welche der Bundesregierung durch die Verfassung gesetzt wurden. Und ganz prinzipiell erklärte er, „that words meant by the instrument to be subsidiary only to the execution of limited powers, ought not to be so construed as themselves to give unlimited powers, nor a part to be so taken as to destroy the whole residue of that instrument.“71 In der entscheidenden Passage der Virginia Resolution wurde darauf hingewiesen, dass die Bundesverfassung als ein Vertrag zu verstehen sei, der begrenzte und enumerierte Gewalten an die Bundesregierung abgetreten habe. „[I]n case of a deliberate, palpable, and dangerous exercise of other powers not granted by the said compact,“ so hieß es weiter, „the States, who are parties thereto, have the right and are in duty bound to interpose for arresting the progress of the evil, and for maintaining within their respective limits the authorities, rights, and liberties appertaining to them.“72 Damit wurde jener Pfad der Verfassungsinterpretation wieder aufgenommen, welchen Gallatin und Madison bereits in den Debatten um den Jay Treaty eingeschlagen hatten, indem sie auf die föderale Entstehungsgeschichte der Bundesverfassung in den Ratifying
70 Zu den Resolutionen vgl. Koch Adrienne/Ammon Henry, The Virginia and Kentucky Resolutions; Powell H. Jefferson, The Principles of ’98; Gutzman Kevin R., A Troublesome Legacy. 71 Jefferson Thomas, Draft of the Kentucky Resolutions, Rough Draft, November 1798, in: Jefferson Thomas, The Works of Thomas Jefferson, XIII, S. 469. 72 Resolutions of 1798, in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 326.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
Conventions hingewiesen hatten. Dies war eine entscheidende Voraussetzung für die Herausbildung einer Vertragstheorie der Verfassung, wie sie nun in den Kentucky und Virginia Resolutions ausformuliert und gleichzeitig auch radikalisiert wurde. Denn Jeffersons und Madisons Resolutionen wurden in der Folge zu geradezu kanonischen Texten der States’ Rights-Interpretation der Verfassung.73 Von der „duty to interpose“, wie sie Madison einforderte, zum „right to nullify“, wie es Calhoun später beanspruchte, war es kein weiter Weg, auch wenn Madison sich später vehement gegen eine solche Deutung der Virginia und Kentucky Resolutions aussprach.74
6.6 Föderalismus und die öffentliche Sphäre Ein Grund, weshalb die Opposition gegen die Alien- and Sedition Acts so vehement ausfiel, betraf das Konzept der öffentlichen Sphäre, welches seit den Verfassungsdebatten die oppositionellen politischen Diskurse durchtränkte und eng mit dem oben diskutierten Konzept der Union verbunden war. Eine vitale Öffentlichkeit, welche über vielfältige Kommunikationskanäle die amerikanischen Bürger aneinanderband und ihre einzelstaatlichen Interessen transzendierte, sollte einen verdichteten kulturellen Kommunikationsraum schaffen, der gleichzeitig eine bundesstaatliche Unifizierungspolitik obsolet machte. Eine aktive öffentliche Sphäre war in dieser Konzeption ein funktionales Äquivalent für das Zusammenschweißen der Union, ohne die Gefahren einer zu starken Zentralregierung in Kauf nehmen zu müssen. James Madison schrieb bereits 1791 über diesen Zusammenhang: „Whatever facilitates a general intercourse of sentiments, as good roads, domestic commerce, a free press, and particularly a circulation of newspapers through the entire body of the people, and Representatives going from, and returning among every part of them, is equivalent to a contraction of territorial limits, and is favorable to liberty, where these may be too extensive.“75 Eine gut informierte, von einem vielgliedrigen publizistischen Netzwerk getragene öffentliche Sphäre würde jene unifizierenden Effekte auf die Vereinigten Staaten haben, welche die Federalists durch eine kraftvolle Bundesregierung erreichen wollten.76
73 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 237–245; Gutzman Kevin R., A Troublesome Legacy, S. 583–589. 74 Vgl. McCoy Drew R., The Last of the Fathers, S. 130–151. 75 Madison James, Public Opinion, in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 70. Hervorhebungen im Original. Zu Madisons Politik der öffentlichen Sphäre vgl. Sheehan Colleen A., The Politics of Public Opinion. 76 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 246–253.
6.6 Föderalismus und die öffentliche Sphäre
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Anstelle einer sukzessiven Machtverschiebung zugunsten des Kongresses, der anschließend mit der Verabschiedung von bundesweiten Gesetzen eine Unifizierung „von oben“ auslösen würde, sah die Opposition in der Zirkulation politischer Information „von unten“ und in einer dadurch aktivierten Bürgerschaft eine Möglichkeit, die Bürger der unterschiedlichen Teile der Union über ihre je andersartig gelagerten Interessen aufzuklären und damit beidem gerecht zu werden: den diversifizierten Interessen innerhalb der Union, welche im föderalen System ihr Pendant fanden; und der Notwendigkeit eines gegenseitigen Verständnisses und einer engeren Verbindung zwischen den unterschiedlichen Teilen der Union, wie sie von Albert Gallatin immer wieder eingefordert wurde. Eine starke Zentralregierung, welche ohnehin die Diversität der Interessen innerhalb der Union nicht berücksichtigen könne und dazu tendieren würde, die Stimme des Volkes zu ignorieren, war in dieser Perspektive das falsche und darüber hinaus ein die Freiheit gefährdendes Heilmittel, um die zentrifugalen Kräfte innerhalb der Union zu bändigen. Eine solche republikanische Theorie der Öffentlichkeit lag auch noch Gallatins Report on Roads and Canals zugrunde, welchen er 1808 vorlegte. „The inconveniences, complaints, and perhaps dangers, which may result from a vast extent of territory, can no otherwise be radically removed or prevented than by opening speedy and easy communications through all its parts,“ argumentierte Gallatin: Good roads and canals will shorten distances, facilitate commercial and personal intercourse, and unite by a still more intimate community of interests, the most remote quarters of the United States. No other single operation within the power of government, can more effectively tend to strengthen and perpetuate that Union which secures external independence, domestic peace, and internal liberty.77
Es war die Verdichtung der Kommunikations- und Verkehrsinfrastrukturen, welche die Bürgerschaft der Union aneinander binden sollte und damit überhaupt erst die Bedingungen schuf, dass sich eine föderale Kultur der Reziprozität entfalten und die divergierenden Interessen zwischen den unterschiedlichen Teilen der Union vermittelt werden konnten. In der politischen Sprache der Opposition verknüpfte sich das Konzept einer vitalen öffentlichen Sphäre auch mit einem politischen Aufklärungsanspruch und der Herausbildung von Bürgersinn. Die Bürger sollten durch die aktive Partizipation am politischen Diskurs als Gegengewicht zur politischen Macht der Bundesregie-
77 Gallatin Albert, Report on Roads and Canals, S. 725. Vgl. hierzu auch Larson John Lauritz, Jefferson’s Union and the Problem of Internal Improvements; Larson John Lauritz, „Bind the Republic Together“.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
rung fungieren, sie sollten als „sentinel over the public rights“ wachen, wie Madison bereits im Federalist geschrieben hatte.78 Damit schlossen sie an Forderungen an, welche in den frühen 1790er Jahren bereits von den Democratic-Republican Societies vorgebracht wurden. Die Democratic-Republican Societies betrieben unter dem Einfluss einer kosmopolitisch ausgerichteten, gegenüber der Französischen Revolution aufgeschlossenen, radikalen Presse eine Politik der öffentlichen Debatte, welche die politischen Angelegenheiten nicht den Repräsentanten und Kabinetten überlassen wollte, sondern gegenüber den gewöhnlichen Bürgern öffnen wollte.79 So postulierte etwa die Massachusetts Constitutional Society in einer Erklärung 1794, that the People, upon having formed a government, are implicitly to resign themselves to the Agents and Delegates appointed by them, is a doctrine calculated to undermine the foundations of Freedom, and to erect on her ruins, the fabric of Despotism. […] [I]t is the right and duty of every Freeman, to watch with the vigilance of a faithful centinel, the conduct of those, to whom is entrusted the administration of Government, that they pass not the sacred barriers of the Constitution.80
Das Konzept der politischen Öffentlichkeit sollte dementsprechend sowohl eine Kommunikationsverdichtung und damit eine Harmonisierung der Interessen innerhalb der Union als auch eine Kontrolle der Repräsentanten durch eine aktive Bürgerschaft erreichen. Die Alien- and Sedition-Acts, welche eine Verschärfung der Einbürgerungsund Aufenthaltsbestimmungen mit einer rigideren Verfolgung von Beleidigungsund Verleumdungskampagnen in der Presse verbanden, wurden vor diesem Hintergrund von der Opposition als Generalangriff auf ihre Kernkonzepte ver-
78 Madison James, Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 319. 79 Vgl. zu den Democratic-Republican Societies insgesamt: Schoenbachler Matthew, Republicanism in the Age of Democratic Revolution; Foner Philip, The Democratic-Republican Societies. Vgl. die Fallstudien zu den Societies in Pennsylvania: Koschnik Albrecht, The Democratic Societies in Philadelphia and the Limits of the American Public Sphere; Sioli Marco, The Democratic Republican Societies at the End of the Eighteenth Century. 80 Declaration of the Massachusetts Constitutional Society, Boston, 13. Januar 1794, in: Foner Philip (Hrsg.), The Democratic-Republican Societies, S. 257–258.
6.6 Föderalismus und die öffentliche Sphäre
187
standen.81 Die Alien- and Sedition-Acts zielten in ihrer Perspektive deutlich auf die politischen Aktivitäten der Democratic-Republican Societies und gegen die oft von europäischen Auswandern geführten Zeitungen der demokratisch-republikanischen Opposition. „We are told,“ so Gallatin mit Verweis auf die von den Federalists geschürten Ängste vor dem Einfluss der Französischen Revolution in Amerika, „of a system which convulses the civilized world, and has shaken the fabric of society; of an unprecedented combination to establish new principles of social action, on the subversion of religion, morality, law, and Government.“ Diese „illusions of the new anti-republican fanaticism“ seien indessen nichts als „visionary phantoms of a disordered imagination“, die nur als weitere Beweise für die eigentliche Agenda der Federalists zu deuten seien, nämlich: „that under pretense of preventing imaginary evils, an attempt is made to establish the omnipotence of Congress, and substantial despotism, on the ruins of our Constitution.“82 Die Alien- and Sedition-Acts verletzten zudem die Meinungs- und Pressefreiheit, wie sie im ersten Amendment explizit geschützt wurden und welche die Grundlage des republikanischen Öffentlichkeitskonzepts darstellten. Eine solche Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit sei „incompatible with the principles of a Government […] which the people, the sole fountain of power, cannot properly carry into execution, if the sources of information are shut up from them.“83 Es sei erschreckend, dass manche Mitglieder des Kongresses, und hier hatte Gallatin natürlich die Federalists im Auge, davon ausgehen würden, „that the Constitution had given Congress a power to seal the mouths or to cut the tongues of the citizens of the Union“.84 Gesetzgebungen wie die Sedition Acts, so Gallatin unmissverständlich, „had uniformly been one of the most powerful engines used by tyrants to prevent the diffusion of knowledge, to throw a veil on their folly or their crimes, to satisfy those mean passions which always denote little minds, and to perpetuate their own tyranny.“85 Eine vitale und durch verdichtete politische Kommunikation geprägte öffentliche Sphäre war in Gallatins Perspektive nicht
81 Der Alien Friends Act ermächtigte den Präsidenten ohne Gerichtsbeschluss oder Anhörung alle Ausländer auszuweisen, welche nach seinem Ermessen „dangerous to the peace and safety of the United States“ einzuschätzen waren; der Sedition Act machte es zu einem mit Buße oder gar Gefängnis bestraften Verbrechen, „[to] write, print, utter or publish […] any false, scandalous, and malicious writing or writings against the Government of the United States, or either house of the said Congress, or the President.“ Vgl. hierzu auch Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 247–262. 82 Gallatin Albert, Speech on the Alien and Sedition Acts, S. 3001. 83 Gallatin Albert, Speech on the Alien and Sedition Acts, S. 2996. 84 Gallatin Albert, Speech on the Punishment of Crime, S. 2160. 85 Gallatin Albert, Speech on the Punishment of Crime, S. 2164.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
nur eine Bedingung für das kommunikative Zusammenschweißen der federal republic, sondern auch eine Bedingung für die Herausbildung mündiger und aufgeklärter Bürger, welche eifersüchtig über ihre Rechte wachten. Die Bürger einer Republik konnten ihre Pflichten nur wahrnehmen und ihre Rechte nur dann verteidigen, wenn sie informierte und am politischen Diskurs partizipierende Bürger waren. Ein tugendhafter Bürger war ein informierter Bürger, denn dies bildete die Grundlage seiner aktiven politischen Partizipation und seines Engagements für das Gemeinwohl. Die Sedition Acts trafen also gewissermaßen ins Herz jener von der demokratisch-republikanischen Opposition fortgesetzten Bemühungen, eine vitale öffentliche Sphäre und ein aktives politisches Bewusstsein der Bürger zu schaffen. *** Der Historiker Michael Kammen hat einmal über James Madison geschrieben: „James Madison […] sounded like a nationalist in 1787–88, like an advocate of states’ rights in 1798–99, and like a divided soul during the last dozen years of his life, 1825–36.“86 Diese Beurteilung lässt sich in etwas geänderter Reihenfolge auch auf Albert Gallatin anwenden. Gallatin tönte 1787/88 wie ein Antifederalist, 1801–1813 wie ein Nationalist und blieb für den Rest seines Lebens bis 1849 eine geteilte Seele. Dies hat indessen weniger mit individuellem Opportunismus zu tun – weder bei Madison noch bei Gallatin – als mit dem, was Jack Rakove einmal die „original ambiguities of American federalism“87 genannt hat, der Umstand nämlich, dass der Föderalismus nicht ein Zeichen konstitutionellen Konsenses war, sondern bestenfalls ein Mittel zur Bearbeitung unvermeidbarer Konflikte. Die föderalen Spannungslagen wurden mit der Ratifizierung der Bundesverfassung von 1787 mitnichten aufgehoben, sondern blieben eine dynamische und ambivalente Begleiterscheinung der nordamerikanischen politischen Kultur bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Dies war auch Albert Gallatin bewusst. Als sich in den Vereinigten Staaten zu Beginn der 1830er Jahre die Nullification-Doktrin ausbreitete, hielt Gallatin diese Verfassungsinterpretation für „outrageous and unjustifiable“, und suchte nach Wegen, „how to nullify nullification and yet avoid a civil war“.88 Und dennoch war er sich bewusst, dass solche sektionalen Interessenkonflikte, wie sie in der Nullification-Krise manifest wurden, in die
86 Kammen Michael, A Machine that would go of itself, S. 6. 87 Rakove Jack N., Original Meanings, S. 170. 88 Albert Gallatin an Jean Badollet, 7. Februar 1833, in: SNB, The Papers of Albert Gallatin, Microfilm Edition.
6.6 Föderalismus und die öffentliche Sphäre
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politische Kultur Nordamerikas eingeschrieben waren. Seinem Freund Lafayette schrieb Gallatin angesichts der Nullification-Krise in einer Mischung aus nüchterner Analyse und leidenschaftlicher Parteinahme: From the nature of our Government, we are necessarily exposed to occasional collisions, either from some difference of interest, or from the difficulty of defining with perfect precision the line of demarcation between the reserved rights of States and the legitimate powers of Congress. But rely upon it, my dear friend, the real community of interests, patriotism and a growing National spirit and feeling, will, on every such occurance, ultimately prevail, and the United States continue to offer the most glorious model of Republican institutions which the world has as yet exhibited.89
Das Spannungsfeld zwischen der Anerkennung pluraler Interessen und einer daran gekoppelten föderalen Verfassungsstruktur und dem Wunsch nach einer dichteren Integration der amerikanischen Union war in einer gewissen Weise unhintergehbar. Gleichzeitig werden in Gallatins Bekenntnis gegenüber Lafayette auch noch einmal die zentralen Diskursstränge deutlich, welche Gallatin in seiner intellektuellen Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus zu verbinden versuchte. Im Zuge der Ratifikationsdebatten hatte sich Gallatin auf die Seite der moderaten Antifederalists geschlagen und das Mittel der Verfassungszusätze propagiert, um die Gefahren, welche er in den Ambivalenzen der Bundesverfassung zu entdecken glaubte, politisch zu begrenzen. Der Föderalismusbegriff wurde im Zuge dieser Debatten mit einer enumerativen Semantik versehen und band sich an die Metaphern der „Schranke“ und der „Grenze“, mit welchen Machtakkumulationen der Bundesregierung verhindert und die Freiheitsrechte der Bürger geschützt werden sollten. Noch 1833 sprach Gallatin gegenüber Lafayette von der „line of demarcation“, welche zwar schwierig zu definieren, allerdings zugleich für das republikanische Konzept des Föderalismus essentiell war. Die Bedeutung dieser föderalen Machtteilung erschloss sich Gallatin zufolge in einem gründlichen Studium der Ratifikationsdebatten zur Bundesverfassung, wodurch er eine dialogische Herangehensweise an die Verfassungsinterpretation in den öffentlichen Reflexionsraum einholte und zugleich die Aufmerksamkeit auf die föderalen Verfahrensstrukturen in der Gründung der amerikanischen Union lenkte. Der Begriff der Union überlagerte in der politischen Sprache der republikanischen Opposition in den 1790er Jahren die föderale Struktur des Bundesstaates. Das Kultivieren einer „community of interests“, die Verdichtung der Kommuni-
89 Albert Gallatin an Lafayette, 30. Mai 1833, in: SNB, The Papers of Albert Gallatin, Microfilm Edition, Supplement, 04 0994–0995.
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6 Albert Gallatin und die Metamorphosen des republikanischen Föderalismus
kation durch eine freie Presse und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sollte die fragile Konstruktion der föderalen Republik in eine „Union“ verwandeln, die ihre Einheit nicht durch den Ausbau der Bundeskompetenzen finden sollte, sondern durch die kommunikative Verflechtung und den Patriotismus der Bürgergesellschaft. Nur eine föderale politische Kultur der Reziprozität würde die unausweichlichen Konflikte zwischen den verschiedenen Teilen der Union vermitteln und die Legitimität des föderal-republikanischen Institutionengefüges stärken. Die politische Sprache des Föderalismus erwies sich bei Gallatin und seinen Mitstreitern der republikanischen Opposition dementsprechend als eine facettenreiche und dynamische, in welcher sich strukturelle und institutionelle Bedeutungsschichten der federal republic und affektive, kulturelle und kommunikative Bedeutungsschichten der Union vielfältig verbanden.
7 Lafayette, die „école américaine“ und das fragile Gleichgewicht zwischen Freiheit und Revolution Anfang September 1830 berichtete Lafayette seinem Freund Albert Gallatin aus Paris: „The old work of Bonaparte, the recent work of the Bourbons have been overthrown in three days.“ Die Juli-Revolution habe die restaurative Monarchie hinweg gefegt und man habe sich auf ein vorläufiges konstitutionelles Arrangement geeinigt, welches den sich widersprechenden Interessen der politischen Kräfte in Frankreich Rechnung trage und welches „the wishes of the great majority of the nation“ berücksichtige: eine konstitutionelle Monarchie, welche einerseits „room for republican institutions“ lasse und andererseits einen „popular throne“ errichte.1 Als Gallatin diesen Bericht Lafayettes einige Wochen später in New York erhielt, versuchte er, der Nachricht einer erneuten Revolution in Frankreich bezeichnenderweise durch einen diachronen Vergleich Sinn abzugewinnen. „What is the cause of the immense difference between the unexampled moderation now displayed after the victory, and the lamentable excesses which, during the first revolution […] broke out so frightfully, […], and which afflicting every friend of liberty retarded the progress of that holy cause?“ fragte Gallatin. I think the main cause to have been that the people, the element and source of every good government, the generation of that day, corrupted in their feelings by the old regime, and brought up in gross ignorance, knew not, how to govern themselves and could not understand, far less support a good government. […] We must consider that period of forty years as that which was necessary for the political education and regeneration of the French People. […] Their fathers had been maddened by rages of inexpiable wrongs; your heroes & martyrs were enlightened freeman activated by none but the most generous feelings of human nature; and it is most consoling to find that a new Nation may, under a Government only tolerable, be formed within a single generation.2
Gallatin schloss seinen Brief mit einigen Sätzen, welche deutlich machen, wie sehr selbst Gallatins Deutung der Juli-Revolution noch von den weitreichenden Schatten der Französischen Revolution von 1789 geprägt war. „Let not this unexampled revolution, this wonderful triumph of liberty, this model held up
1 Lafayette an Albert Gallatin, 8. September 1830, in: SNB, Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition, 40 123. 2 Albert Gallatin an Lafayette, 1. November 1830, in: ANF, Fonds Lafayette, Microfilm des Papiers de Lafayette, Cornell University New York, 217 MI 11 007562–007564.
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7 Lafayette, die „école américaine“
for the admiration & imitation of mankind, be stained by a single drop of blood shed on the scaffold“, bat er seinen Freund Lafayette in deutlicher Anlehnung an die verhängnisvollen Wendungen der ersten Revolution. „Liberty is a holy virgin which must not be polluted.“3 Als Lafayette einige Jahre später auf den seiner Meinung nach fehlgeleiteten Kurs der Juli-Monarchie und auf das Scheitern der Revolution von 1830 zurückblickte, glaubte er genau in diesen Erinnerungsdiskursen an die Große Revolution ein Einfallstor erblickt zu haben, durch welches die Ziele der 1830er Revolution pervertiert wurden. Gegenüber Albert Gallatin erklärte er: „The sect of the doctrinaires, and the intriguers of the imperial and roïal Systems have, with ability, worked upon the fears of the people, the terrorist remembrances, and the pretensions of a part of our young men to conventional rather than to American Republicanism.“4 Dieser Briefwechsel zwischen Gallatin und Lafayette über den Zusammenhang zwischen den Revolutionen von 1789 und 1830 ist insofern ein reizvoller Einstieg, als dass darin deutlich wird, wie sehr die Beschäftigung mit den politischen Entwicklungen im postrevolutionären Europa einerseits im Schatten der Großen Französischen Revolution stand, und wie sie andererseits von historischen Akteuren wie Lafayette und Gallatin in einem transatlantischen Deutungshorizont verortet wurde. Dass ein Teil der Revolutionäre von 1830 zum „herkömmlichen“ Republikanismus hinneigte, anstatt zu dem, was Lafayette unter „amerikanischem“ Republikanismus verstand, und dass die Gegner der Revolution die Erinnerung an genau jenen „herkömmlichen“ Republikanismus instrumentalisierten, welcher im kollektiven Gedächtnis der Franzosen noch immer mit der terreur von 1793/94 verbunden wurde, verdeutlicht das postrevolutionäre und gleichzeitig transatlantische mentale Koordinatensystem, in welchem Lafayette seine Deutung der Juli-Revolution verortete. Dass die republikanischen Kräfte in Lafayettes Betrachtungsweise die amerikanischen Erfahrungen eines föderalen Republikanismus zu wenig zur Kenntnis genommen haben, muss für ihn umso enttäuschender gewesen sein, als dass er sich in den Jahrzehnten zuvor wie kaum ein anderer Europäer für die Distribution von politischer Literatur über die Vereinigten Staaten engagiert hatte, oder wie es Lloyd Kramer formulierte: „Lafayette gradually transformed himself into an international intellectual who recommended books, authors, and ideas to friends on both sides of the Atlantic, and who wrote at length about the achievements,
3 Albert Gallatin an Lafayette, 1. November 1830, in: ANF, Fonds Lafayette, Microfilm des Papiers de Lafayette, Cornell University New York, 217 MI 11 007562–007564. 4 Lafayette an Albert Gallatin, 28. Juni 1833, in: SNB, Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition, 41 120–121.
7.1 Lafayette zwischen den Welten
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failures, and unfulfilled promise of the French Revolution.“5 Dieser sozialen Rolle Lafayettes als „cross-cultural mediator“, der dank seiner weiten und vielgliedrigen sozialen Kontakte ins Zentrum eines transatlantischen Kommunikationsnetzes rückte, wird in diesem Kapitel ebenso nachgegangen, wie den politischen Diskursen, die sich in seinem Umfeld in einer charakteristischen Amalgamierung von europäischen und amerikanischen Revolutionsdeutungen entfalteten.6 Der Vergleich zwischen dem föderalen Republikanismus Nordamerikas und dem unitarisch-zentralistischen Republikanismus in der Tradition der Französischen Revolution war dabei einer der wichtigsten und zugleich umstrittensten Diskussionspunkte, der sogar in Lafayettes Umkreis die Meinungen teilte und unterschiedliche Interpretationsmuster föderaler politischer Ordnungen provozierte.
7.1 Lafayette zwischen den Welten Charles de Rémusat, ein französischer Schriftsteller und häufiger Gast in Lafayettes Landsitz in La Grange und in seinem Pariser Salon an der Rue d’Anjou 6, erinnerte sich in seinen Memoiren an die vielfältigen Gäste, mit welchen man auf Besuchen bei Lafayette in Kontakt kam. „Lafayette recevait tous les Américains qui désiraient le voir“, erinnerte sich Rémusat. „Les étrangers, qui voyageaient pour cause d’opinions politiques, et, comme on le pense bien, les libéraux de toute la France étaient admis sans trop de choix à La Grange.“7 Es war denn auch keine Ausnahme, dass Rémusat bei seinen Besuchen Bekanntschaften machte mit der schottischen Schriftstellerin und Mitarbeiterin Jeremy Benthams Fanny Wright und mit dem aus den Niederlanden stammenden zeitweiligen Sekretär Lafayettes Charles-Arnold Scheffer, dem Bruder des Malers Ary Scheffer.8 Der aus Boston stammende Literaturhistoriker George Ticknor traf bei seinem Besuch bei Lafayette 1817 auf den Schweizer Historiker Jean Charles Léonard Simonde de Sismondi und erhielt Empfehlungsschreiben an Etienne Dumont und Karl
5 Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 86. 6 Biographien zu Lafayette sind zahlreich, vgl. bspw. Latzko Andreas, Lafayette, und zuletzt: Unger Harlow G., Lafayette. Zu seiner frühen Karriere vgl. Gottschalk Louis, Lafayette joins the American Army; Gottschalk Louis, Lafayette and the Close of the American Revolution; Gottschalk Louis, Lafayette between the American and the French Revolution, 1783–1789. Zu seiner Involvierung in die liberalen Bewegungen der post-napoleonischen Zeit vgl. Neely Sylvia, Lafayette and the liberal Ideal 1814–1824. Unter amerikanisch-europäischen Gesichtspunkten vgl. Bourdin Philippe (Hrsg.), La Fayette, entre deux mondes; Kramer Lloyd S., Lafayette in two Worlds. 7 Rémusat Charles de, Mémoires de ma vie, II, S. 226. 8 Rémusat Charles de, Mémoires de ma vie, II, S. 222–223.
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7 Lafayette, die „école américaine“
Viktor von Bonstetten für seinen geplanten Besuch in Genf.9 Ticknors Freund aus Boston, der Historiker und Herausgeber der North American Review Jared Sparks, erhielt dank Lafayettes Vermittlungsdiensten nicht nur Zugang zu wichtigen Quellen für seine Edition zu den französisch-amerikanischen Beziehungen während der Amerikanischen Revolution, sondern wurde durch ihn auch mit François Guizot bekannt, der anschließend Sparks’ Biographie von George Washington ins Französische übertrug.10 Kurz: Lafayettes „réunions“ wurden zu einem „commerce intellectuel […] fort animé“ und zu einer „sorte de congrès de toutes les intelligences“.11 Dass Lafayette zu einer so wirkungsmächtigen Vermittlerfigur wurde, hing auch davon ab, dass er – ähnlich wie Tom Paine und Joel Barlow – von seinen Zeitgenossen geradezu als ein repräsentatives Symbol für den Zusammenhang der atlantischen Revolutionen gesehen wurde. Anders als Paine und Barlow, welche gemeinhin einer radikaldemokratischen Richtung zugeordnet und mithin als Apologeten der Gewaltexzesse im Zuge der Französischen Revolution galten, genoss Lafayette die Reputation eines Vermittlers. Als „incarnation du ‚désintéressement‘“12 und als Anwalt naturrechtlich hergeleiteter individueller Rechte repräsentierte er für seine Zeitgenossen den moderaten republikanischen Kurs der atlantischen Revolutionen. Für Karl von Rotteck war Lafayette „der reinste und edelste Repräsentant der Revolution, im guten Sinne dieses Wortes“ und „das erhebendste Beispiel der Selbsthingebung für das allgemeine Wohl“.13 In ähnlichen Worten kommentierte auch John Stuart Mill, dass Lafayette „the living representative of whatever was best and purest in the spirit, and truest in the traditions of his age“ sei.14 Der Bostoner Literaturhistoriker George Ticknor sah in ihm einen Mann, „who has borne a leading and controlling part in two hemispheres, and in the two most important revolutions the world has yet seen“; einen Mann, der sich dem „cause of Free Institutions in America“ verschrieben habe, und in Europa der gleichen Sache Grenzen zu setzen versuchte, „when
9 Ticknor George, Life, Letters, and Journals of George Ticknor, I, S. 125–127. 10 Vgl. Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, II, 89, 94–99, 116–117; Sparks Jared (Hrsg.), The Diplomatic Correspondence of the American Revolution; Guizot François, Vie, correspondance et écrits de Washington. 11 Kolb Marthe, Ary Scheffer et son temps, 1795–1858, S. 103. Zum Wandel der Salonkultur vom späten 18. zum frühen 19. Jahrhundert vgl. Kale Steven, French Salons. 12 Vgl. Bourdin Philippe, Introduction, S. 12. 13 Rotteck Karl von, Art. Fayette Marquis de la, S. 455. Zu Rottecks Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution vgl. Voss Jürgen, Karl von Rotteck und die Französische Revolution. 14 Mill John Stuart, Death of Lafayette [1834], in: Mill John Stuart, Collected Works of John Stuart Mill, VI, S. 236–237.
7.1 Lafayette zwischen den Welten
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it was tending to excess and violence“.15 „Als Jüngling weise wie ein Greis, als Greis feurig wie ein Jüngling,“ urteilte Heinrich Heine nach der Juli-Revolution über Lafayette, „ein Schützer des Volks gegen die List der Großen, ein Schützer der Großen gegen die Wut des Volkes, mitleidend und mitkämpfend, nie übermütig und nie verzagend, ebenmäßig streng und milde, so blieb Lafayette sich immer gleich.“ Wenn man Lafayette eine Rede halten sehe, berichtete Heine, verschmelze das „Beste des alten Regimes […] mit dem Besten des neuen Bürgertums, der Gleichheitsliebe, der Prunklosigkeit und der Ehrlichkeit“, man wisse nicht, so Heine „sind das die feinen Manieren eines französischen Marquis, oder ist das die offene Gradheit eines amerikanischen Bürgers?“16 Und James Fazy, der persönliche Freund und Schüler Lafayettes, schrieb nach dessen Tod: „Il aimait l’ordre, mais il ne le mettait pas sous la tutelle du despotisme. Il aimait la liberté, mais il ne la mettait pas sous la garde de l’échafaud. En lui résumait, sans excès comme sans restriction, la devise qu’il avait inscrite sur les drapeaux de la milice citoyenne: Liberté, ordre public.“17 Was an all diesen zeitgenössischen Kommentaren zu Lafayette auffällt, ist deren Akzentuierung der Vermittlung: die Vermittlung zwischen historischem Recht und Natur- und Vernunftrecht, wie es Karl von Rotteck auf die Person Lafayettes projizierte, die Vermittlung zwischen traditionellen und modernen politischen Prinzipien, welche Mill in ihm verkörpert sah, die Vermittlung zwischen den amerikanischen und den europäischen politischen Kulturen, wie sie von Ticknor beobachtet wurde, die Vermittlung zwischen dem Volk und den politischen Eliten, zwischen Ancien Régime und politischer Moderne, welche Heine bei ihm hervorhob, die Vermittlung von politischer Freiheit und Ordnung, für welche Lafayette in den Augen James Fazys stand. Vor dem Hintergrund dieser zeitgenössischen Beurteilungen scheint es deshalb angebracht, Lafayette als ein „go-between“ zwischen verschiedenen, dialektisch miteinander verbundener Kontexte, sozialer Akteure und Sozialformationen zu betrachten, wie dies Lloyd Kramer vorgeschlagen hat: „intellectuals interacting with political activists, literary culture interacting with political culture, young people interacting with older people, revolutionaries interacting with government authorities, Europeans interacting with Americans.“18 Diesen Interaktionsformen wird im Folgenden nachgegangen und zwar im Hinblick auf die daraus hervorgehenden Interpretationen der revolutionären Traditionen in Europa und Nordamerika und die damit
15 [Ticknor George], Lafayette, S. 178. 16 Heine Heinrich, Französische Zustände, S. 91 & 94. 17 L’Europe Centrale. Journal de Genève, politique et littéraire, No. 142, 25. Mai 1834, S. 1. 18 Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 13.
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zusammenhängenden Deutungen des Föderalismus. Gerade diese vielfältigen Interaktionsformen, die Lafayette in den Augen seiner Zeitgenossen zu einer Verkörperung des Vermittlungsprinzips machten, trieben in seinem Umfeld kreative Deutungen der postrevolutionären Herausforderungen hervor, die sich oft um die Begründung föderativ-republikanischer Prinzipien unter den Bedingungen einer im Zeitalter der Revolutionen radikal transformierten politisch-sozialen Welt drehten.
7.2 Revolutionen interpretieren, Verfassungen interpretieren Eine Dimension dieser komplexen Interaktionsformen betraf die intellektuelle Deutung und politische Verarbeitung der atlantischen Revolutionen und ihrer konstitutionellen Bändigung in den postrevolutionären Gesellschaften Europas und Nordamerikas. Im April 1798, einige Monate nachdem Lafayette aus fünfjähriger österreichischer Gefangenschaft entlassen wurde, blickte er in einem Brief an Alexander Hamilton auf die wichtigsten Stationen seines bisherigen Lebens zurück: auf sein militärisches Engagement im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1777–1779, 1780–1781), auf seine enge Beobachtung der amerikanischen politischen Entwicklungen hin zur Ratifikation der Bundesverfassung von 1787, auf seine Rolle als Vertreter der Generalstände, als Promotor der „doctrine fondamentale des droits de l’homme et du citoyen“ und als Kommandant der Pariser Nationalgarde in der Frühphase der Französischen Revolution, auf sein Scheitern zwischen den konservativen Monarchisten und den radikalen Jakobinern zu vermitteln, und auf seine Flucht und Haft unter österreichischer Herrschaft. „L’amour passionné de la liberté qui m’a conduit en Amérique, me disposait naturellement à adopter son système démocratique et républicain“, erklärte Lafayette gegenüber Hamilton. Indessen hätten die Entwicklungen der Französischen Revolution ihn auch dazu gebracht, nicht nur „les dangers d’une royauté et d’une aristocratie“ zu sehen, sondern auch „les défauts de nos premières expériences“.19 Während seiner Gefangenschaft in Olmütz hatte sich Lafayette intensiv mit der Geschichte der Französischen Revolution auseinandergesetzt,20 er studierte die Schriften von Benjamin Constant,
19 Lafayette an Alexander Hamilton, 12. August 1798, in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, VIII, S. 146. 20 Vgl. hierzu etwa Lafayette, Sur la Démocratie Royale de 1789 et le Républicanisme des vrais Constitutionnels [1799], in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 403–411.
7.2 Revolutionen interpretieren, Verfassungen interpretieren
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der später zu einem seiner engsten politischen Weggefährten wurde,21 und versuchte – ähnlich wie dieser – zwischen den Errungenschaften der Französischen Revolution und deren Scheitern zu differenzieren. Das Scheitern der Revolution war für ihn nicht gleichbedeutend mit dem Scheitern der Forderungen nach Verfassungsstaatlichkeit, Volkssouveränität, republikanischen Institutionen und dem Schutz individueller Rechte in den europäischen Nationalstaaten. Vielmehr galt es, diese in seinen Augen legitimen und notwendigen politischen Reformen aus dem Schatten der revolutionären Gewaltexzesse und despotischer Machtusurpation zu ziehen, welche die Deutungsmuster der Revolution zunehmend zu beherrschen begannen. „The liberal plan of the Revolution shall not be lost“, schrieb er 1815 an Henry Clay.22 In Lafayettes vergleichender Perspektive auf die atlantischen Revolutionen waren in Frankreich Revolution und Verfassung auseinander getreten, während in Nordamerika die Verfassung die Revolution erfüllt und abgeschlossen hatte. Die Vereinigten Staaten erschienen ihm insofern als Muster einer gelungenen republikanischen Revolution und einer ebenso gelungenen institutionellen Bändigung revolutionärer Transformationskraft. „[J]e trouverai qu’il vaut mieux suivre les principes américains que de nous mettre à la mode anglaise“, meinte Lafayette gegenüber Hamilton nicht ohne leise Kritik an dessen anglophilen Haltungen, die ihn in Nordamerika selbst zur Zielscheibe republikanischer Kritik machten. Er sei überzeugt, so Lafayette, „que la liberté peut être consolidée en France et dans les autres pays sur la base des gouvernements électifs plutôt que sur celle des présidences héréditaires.“23 Diese Überzeugung war in Lafayette auch herangewachsen, weil er die politische und konstitutionelle Entwicklung des postrevolutionären Nordamerikas genau beobachtet und insbesondere auch die umstrittene Debatte um die Ratifikation der amerikanischen Bundesverfassung eng mitverfolgt hatte. Dass die staatenbündische Struktur der nordamerikanischen Union unter den Articles of Confederation die politischen Herausforderungen des postrevolutionären Nordamerikas nicht zu bewältigen imstande war, davon war Lafayette schon früh überzeugt. Gegenüber George Washington versicherte Lafayette im Februar 1786:
21 Vgl. Lafayette an Adrienne de Lafayette, 5. August 1799, in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, VIII, S. 243. Zu Constant vgl. Vincent Steven K., Benjamin Constant, the French Revolution, and the Origins of French Romantic Liberalism; Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 146–175. Zu Lafayettes Beziehung zu Constant vgl. Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 62–78. 22 Lafayette an Henry Clay, 16. Oktober 1815, in: LCMD, Henry Clay Family Papers, Reel 1, Vol. I, 2. 23 Lafayette an Alexander Hamilton, 12. August 1798, in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, VIII, S. 148–149.
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I have often had the mortification to hear that the want of powers in Congress, of Union between the States, of energy in their government should make the Confederation very insignificant. […] By their conduct in the Revolution, the Citizens of America have commanded the respect of the world – but it grieves me to think they will in measure loose it, unless they strengthen the Confederation, give Congress the power to regulate the trade, pay off their debt or at least the interest of it, establish a well regulated militia, in a word compleat [sic] all these measures which you have recommended to them.24
Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit den Articles of Confederation galt es, die „growing ideas of foederal measures“ in konstitutionelle Realitäten zu verwandeln, nicht zuletzt um den reformorientierten Kräften in Europa politische Zukunftsaussichten zu erschließen.25 Als die ersten Kopien der amerikanischen Bundesverfassung im Herbst 1787 Paris erreichten, diskutierte Lafayette zusammen mit anderen américanistes, wie die Befürworter einer Verfassungsreform Frankreichs nach nordamerikanischem Muster im Vorfeld der Französischen Revolution genannt wurden, die Vor- und Nachteile des Verfassungsvorschlages.26 In einem Brief an George Washington vom 1. Januar 1788 gab sich Lafayette über weite Strecken erfreut über die Verfassung und hielt sie für „a bold, large, and solid frame for the Confederation“. Ähnlich wie sein Freund Thomas Jefferson, mit welchem er in Paris am Vorabend der Revolution eng verkehrte, verwies er auf zwei Schwächen der Bundesverfassung. „I am only affraid [sic] of two things – 1st the want of a Declaration of Rights 2dly the great powers and possible continuance of the President, who may one day or other become a State Holder.“27 Die Einwände gegenüber der fehlenden Bill of Rights, der zu starken Exekutive und dem Zweikammersystem gehörten zu den meist geäußerten Bedenken, welche in den Intellektuellenzirkeln der américanistes um Lafayette, Condorcet, Filippo Mazzei, La Rochefoucauld, Brissot und Pierre Samuel Du Pont in
24 Lafayette an George Washington, 6. Februar 1786, in: Gottschalk Louis (Hrsg.), The Letters of Lafayette to Washington, S. 306–307. 25 Lafayette an George Washington, 13. Januar 1787, in: Gottschalk Louis (Hrsg.), The Letters of Lafayette to Washington, S. 319. 26 Vgl. Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 34–35; de Francesco Antonino, Federalist Obsession and Jacobin Conspiracy, S. 242–243. 27 Lafayette an George Washington, 1. Januar 1788, in: Gottschalk Louis (Hrsg.), The Letters of Lafayette to Washington, S. 334. Zu Jeffersons Einschätzung der Bundesverfassung vgl. Thomas Jefferson an James Madison, 20. Dezember 1787, in: Kammen Michael (Hrsg.), The Origins of the American Constitution, S. 90–91; Mayer David N., The Constitutional Thought of Thomas Jefferson, S. 185–221.
7.2 Revolutionen interpretieren, Verfassungen interpretieren
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Paris zirkulierten.28 Indessen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die américanistes sich zwar in ihrer Ablehnung der von Jean Louis De Lolmes Constitution de l’Angleterre beeinflussten anglomanes – wie die Befürworter einer konstitutionellen Reform Frankreichs nach englischem Muster genannt wurden29 – einig waren, dass sie die amerikanische Verfassung aber durchaus unterschiedlich interpretierten. So war das Zweikammersystem etwa für Lafayette kein Stein des Anstoßes, da er dieses als föderalen Mechanismus zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen innerhalb der Union verstand und der Senat keine hereditäre Kammer, sondern eine elektive darstellte.30 Demgegenüber sahen seine Freunde Condorcet und Mazzei darin ein Zugeständnis an die anglomanes und an deren ständische Interpretation des Zweikammersystems. In ihrer Perspektive stand das Zweikammersystem für eine Verkörperung aristokratischen Geistes, für eine Privilegierung der „Wenigen“ gegenüber den „Vielen“, und dementsprechend zogen sie die unikamerale Verfassung von Pennsylvania als Muster für die Reform Frankreichs der bikameralen Bundesverfassung vor.31 Lafayettes Interpretation der amerikanischen Bundesverfassung war von einer progressiven Sichtweise geleitet, welche zukünftige Verbesserungen der vorgeschlagenen Verfassung miteinkalkulierte. So stellte er etwa im Hinblick auf die beiden von ihm genannten Mängel in Aussicht, „that a Bill of Rights may be made if wished for by the people before they accept the Constitution“ und dass Washington als wahrscheinlicher Präsident der Vereinigten Staaten Maßnahmen zur Minderung exekutiver Machtbefugnisse und zur Begrenzung der Amtsdauer vorschlagen würde. Beide Maßnahmen, so Lafayette, „cannot fail to insure a greater perfection in the Constitution.“32 Eine solch progressive Sichtweise des konstitutionellen „perfectionnement“, welche an die „Verzeitlichung der Perfectio-Ideale“ anschloss, die Reinhart Koselleck an den Aufklärungsdiskursen im Vorfeld der Französischen Revolution beobachtet hat,33 leitete auch Lafayettes
28 Vgl. Appleby Joyce, America as a Model for Radical French Reformers of 1789, S. 274–277; Mintz Max M., Condorcet’s Reconsideration of America as a Model for Europe; Dippel Horst, Condorcet et la discussion des constitutions américaines en France avant 1789. 29 Vgl. Lolme Jean Louis de, Constitution de l’Angleterre. 30 Vgl. Lafayette, Sur la Démocratie Royale de 1789 et le Républicanisme des vrais Constitutionnels [1799], in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 407. 31 Vgl. Appleby Joyce, America as a Model for Radical French Reformers of 1789, S. 275; Mintz Max M., Condorcet’s Reconsideration of America as a Model for Europe, S. 496. 32 Lafayette an George Washington, 1. Januar 1788, in: Gottschalk Louis (Hrsg.), The Letters of Lafayette to Washington, S. 334. 33 Vgl. Koselleck Reinhart, Die Verzeitlichung der Utopie, S. 137–138.
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7 Lafayette, die „école américaine“
Beurteilung der Frühphase der Französischen Revolution. Bereits zu Beginn des Jahres 1788 gestand er gegenüber Washington unter dem Eindruck der amerikanischen Verfassungsdebatte: „I am heartily wishing for a Constitution, and a Bill of Rights, and wish it may be effected with as much tranquility and mutual satisfaction as it is possible.“34 Während Lafayettes erste beiden Wünsche nicht mehr in weiter Zukunft lagen, und er selbst zusammen mit Thomas Jefferson seit dem Frühjahr 1789 an einem Entwurf für eine „Déclaration des Droits“ arbeitete, sollte er, was seine beiden letzten Wünsche betrifft, bald enttäuscht werden. In den frühen konstitutionellen Debatten im Zuge der Französischen Revolution trat Lafayette als Anwalt amerikanischer Verfassungsprinzipien und insbesondere einer Erklärung fundamentaler und unveräußerlicher Rechte nach dem Vorbild einer Bill of Rights hervor, zwei Dimensionen, welche Lafayette eng miteinander verknüpfte. Im Rückblick auf die beiden atlantischen Revolutionen schrieb er 1814: L’ère de la révolution américaine, qu’on peut regarder comme le commencement d’un nouvel ordre social pour le monde entier, est à proprement parler l’ère des déclarations des droits. […] Ce n’est donc qu’après le commencement de l’ère américaine, qu’il a été question de définir, indépendamment de tout ordre préexistant, les droits que la nature a départis à chaque homme, droits tellement inhérents à son existence que la société entière n’a pas le droit de l’en priver.35
Hinter diesen Erörterungen Lafayettes verbirgt sich eine deutliche Privilegierung fundamentaler Rechte gegenüber konkreten Verfassungsbestimmungen. So lange die fundamentalen Rechte der Bürger geschützt werden, ist der Weg der konstitutionellen Perfektionierung prinzipiell offen und muss sich den Gegebenheiten des jeweiligen politisch-kulturellen Kontextes anpassen. „Après avoir exposé dans sa déclaration des droits ce qui paraissait à la fois indispensable, et suffisant pour la liberté“, schrieb Lafayette 1799 über seine eigene Sicht der Verfassungsfrage in der Frühphase der Französischen Revolution, „il regardait les diverses formes de gouvernement, pourvu que chacun des droits y fût assuré, comme des combinaisons secondaires.“36 Solange eine Erklärung fundamentaler Rechte politische Herrschaft begrenzte, war die Frage nach der Form dieser
34 Lafayette an George Washington, 1. Januar 1788, in: Gottschalk Louis (Hrsg.), The Letters of Lafayette to Washington, S. 335. 35 Lafayette, Sur la déclaration des droits, in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 268. 36 Lafayette, Sur la Démocratie Royale de 1789 et le Républicanisme des vrais Constitutionnels [1799], in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 407. Vgl. hierzu auch Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 39.
7.2 Revolutionen interpretieren, Verfassungen interpretieren
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Herrschaft zweitrangig. Die enge semantische Verknüpfung, welche Lafayette zwischen dem „républicanisme américain“ und der Erklärung von naturrechtlich begründeten Menschen- und Bürgerrechten herstellte, verstellte ihm mitunter den Blick auf die Spannungen und Widersprüche zwischen der von ihm eingeforderten konstitutionellen Monarchie für Frankreich und seinem Insistieren auf „amerikanischen Prinzipien“. Republikaner zu sein, bedeutete für Lafayette ganz in der politischen Sprache des klassischen Republikanismus nicht zwangsläufig, zu jedem Preis die Republik als Regierungsform installiert sehen zu wollen. Eine „gemischte Verfassung“ mit einem Grundrechtskatalog schien ihm „republikanisch“ genug und zudem den Verhältnissen Frankreichs angemessen.37 Es war in diesem Sinne, dass Lafayette sich zwar als „naturellement républicain“ bezeichnen konnte und sich gleichzeitig im französischen Kontext für eine auf repräsentativ-demokratischen Strukturen aufbauende konstitutionelle Monarchie, für ein elektives Zweikammersystem und für ein suspensives Veto der königlichen Exekutive aussprach – ein Verfassungsarrangement, welches darauf ausgerichtet war, „de donner au roi tous les pouvoirs que l’on croyait compatibles avec la liberté démocratique“.38 Manche dieser Bestimmungen – allerdings nicht das elektive Zweikammersystem – flossen schließlich auch in die Verfassung vom 3. September 1791 ein, die nicht zufälligerweise aufgrund ihres hybriden Charakters als „monarchie républicaine“ bezeichnet wurde,39 und welche Lafayette im Frühjahr 1792 in einem Brief an Washington kommentierte: I wish we had an elective Senate, a more independent set of judges, and a more energetic administration, but the people must be taught the advantages of a firm government before they reconcile it to their ideas of freedom, and can distinguish it from the arbitrary systems which they have just got over. You see, my dear General, I am not an enthusiast of every part of our Constitution, altho’ I love its principles which are the same as those of the United States, excepting heredity in the president of the executive, which I think suitable to our circumstances. But I hate everything like despostism and aristocracy.40
Zum Zeitpunkt als Lafayette diese Zeilen an Washington schrieb, war er auch in zwei Übersetzungsprojekte involviert, welchen die Absicht zugrunde lag, genau
37 Vgl. hierzu auch Baker Keith Michael, Transformations of Classical Republicanism in Eighteenth-Century France, S. 39–42; Riklin Alois, Machtteilung. 38 Lafayette, Sur la Démocratie Royale de 1789 et le Républicanisme des vrais Constitutionnels [1799], in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 407. 39 Vgl. Furet François/Halévi Ran, La monarchie républicaine; Hunecke Volker, Die Niederlage der Gemäßigten, S. 77. 40 Lafayette an George Washington, 15. März 1792, in: Gottschalk Louis (Hrsg.), The Letters of Lafayette to Washington, S. 361.
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diese von Lafayette gegenüber Washington herausgestrichenen Mängel der französischen Verfassung zu beheben, die amerikanischen Erfahrungen stärker in die französischen Verfassungsdebatten einfließen zu lassen und eine konstitutionelle Monarchie mit einem elektiven Zweikammersystem als mögliche Lösung der verfassungspolitischen Herausforderungen des revolutionären Frankreich zu propagieren.
7.3 Übersetzung und konzeptuelle Transformation: Adams’ Defence, der Federalist und die Ambivalenzen des Bikameralismus Im März 1792 erschien in Paris die Übersetzung von John Adams Defence of the Constitutions of Government of the United States of America und im September des gleichen Jahres folgte die erste französische Übersetzung des Federalist.41 Hinter beiden Veröffentlichungen standen Freunde und Bekannte Lafayettes.42 Zusammen mit William Short, dem ehemaligen Sekretär Thomas Jeffersons während dessen diplomatischen Diensten in Paris, initiierte Lafayette die Übersetzung von Adams’ Defence und fand in Pierre-Bernard Lamare einen geeigneten Übersetzer für das Buch. Ähnlich ging er bei der Übersetzung des Federalist vor, denn auch dieses Projekt wurde maßgeblich von Bekannten Lafayettes aus seinen Feuillants-Zirkel getragen, etwa vom Übersetzer Trudaine de Sablière, der wie Lafayette Mitglied in der Société des Amis des Noirs und in der Société de 89 war, zwei Vereine, in welchen sich viele der américanistes trafen, so auch Condorcet, La Rochefoucauld und Brissot.43 Die beiden Übersetzungsprojekte waren also Teil eines politischen Projektes der Feuillants, wie Antonino de Francesco argumentiert hat, „launched during the French Legislative Assembly (October 1791- August 1792), and entirely dedicated to revaluing the meaning and example of American bicameralism“. Die Übersetzungsprojekte waren aufs Engste verbunden mit „Lafayette’s early 1792 political program to press for revision of the French Constitution to include an elected bicameral system that would insulate the king against the pressures of a Legislative Assembly
41 Vgl. Hamilton Alexander/Maddison James [sic]/Gay John [sic], Le Fédéraliste; Adams John, Défense des constitutions américaines. 42 Vgl. de Francesco Antonino, Federalist Obsession and Jacobin Conspiracy, S. 243–246; de Francesco Antonino, Traduzioni e Rivoluzione. 43 Vgl. Olsen Mark, A Failure of Enlightened Politics in the French Revolution, S. 303; Resnick Daniel P., The Société des Amis des Noirs and the Abolition of Slavery, S. 560.
7.3 Übersetzung und konzeptuelle Transformation
203
increasingly dominated by the Jacobins.“44 Der Versuch der Feuillants die konstitutionellen Errungenschaften aus der Frühphase der Revolution gegenüber den weitergehenden demokratischen Ansprüchen der Jakobiner auf der Grundlage einer konstitutionellen Monarchie abzusichern, sollte also ironischerweise durch eine Neubewertung und Adaption des amerikanischen bikameralen Republikanismus unterstützt werden. So schrieb Pierre-Bernard Lamare, der Übersetzer von Adams’ Defence, in der Einleitung zu seiner Übersetzung, dass das in diesem Werk vorgestellte „système de la triple division du pouvoir […] et […] le système des deux chambres“ keinen Anlass gebe, Befürchtungen einer Rückkehr zu aristokratischen Prinzipien zu schüren.45 Es gehe weder darum, so Lamare, dass das Zweikammersystem gesellschaftliche Strukturen abbilde und einer sozialen Gruppe eine privilegierte Stellung in Bezug auf politische Entscheidungsfindungen zuweise, noch um eine Föderalisierung der Republik, sondern um die politischen Effekte, die damit verbunden sind und die letztlich nur auf eine Frage zielten: „le système proposé tend-il à détruire ou à affermir en France la liberté constitutionelle?“46 Nachdem Lamare ausführlich die Bestimmungen der amerikanischen Bundesverfassung von 1787 hinsichtlich des Senats erörterte und Adams’ Ausführungen zusammenfasste, meinte er mit Blick auf die Lage Frankreichs: Si nous appliquons maintenant à l’état actuel de nos affaires les principes de M. Adams, et ceux qui ont servi de bases à cette partie de la constitution Américaine, nous trouverons quelques motifs de regretter que notre assemblée constituante ait négligé, ou n’ait pas alors jugé convenable de s’approprier ce qu’il y a d’évidemment utile dans ce système.47
Lamare bezog sich damit natürlich auf Adams’ kritische Erörterungen der unikameralen Verfassung von Pennsylvania. Adams wies in seinem Werk darauf
44 de Francesco Antoninio, Interpreting the French Republican Political Model; de Francesco Antonino, Traduzioni e Rivoluzione, S. 89 & 95. 45 Adams John, Défense des constitutions américaines, I, S. i. Hervorhebungen im Original. Zu Adams und der Rezeption seines Buches in Frankreich vgl. Appleby Joyce, The Jefferson-Adams Rupture an the First French Translation of John Adams’ Defence; Slauter Will, Constructive Misreadings; Jainchill Andrew, The Constitution of the Year III and the Persistence of Classical Republicanism, S. 413–415. 46 Adams John, Défense des constitutions américaines, I, S. i. Dies ist ein klassiches Beispiel einer Transformation von einem input-orientierten zu einem output-orientierten Bikameralismus im Sinne Horst Dippels, vgl. Dippel Horst, The Ambiguities of Modern Bicameralism. Zur umstrittenen Geschichte des Bikameralismus in Frankreich vgl. auch Dijn Annelien de, Balancing the Constitution. 47 Adams John, Défense des constitutions américaines, I, S. xiii-xiv.
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hin, dass diese „assemblées tumultueuses de vents et de nuages orageux qui couvrent et bouleversent si souvent la ville de Philadelphie, remplissent les citoyens de terreur, et menacent d’embraser le monde entier“. Adams Analyse dieser Zustände war nüchtern: „tout cela, par la seule raison que les pouvoirs dont ces assemblées sont composées ne sont pas suffisamment balancés.“48 Die Attraktivität von Adams’ Argumentation lag nun für Lamare darin, dass er die zweite Kammer zwar als ein aristokratisch-elitäres Element zur Balancierung der demokratischeren ersten Kammer vorschlug, allerdings beide Kammern einem Wahlverfahren aussetzte und damit auf das Prinzip der Volkssouveränität zurück bezog. Das von Lamare in Anschluss an Adams vorgeschlagene Zweikammersystem hatte dementsprechend nicht die Funktion einer föderalen Konfliktbearbeitung, welche im Federalist No. 62 dem Senat zugesprochen wurde.49 Auch war es kein Bikameralismus à l’anglais, wie er etwa im Vorfeld der Französischen Revolution durch Montesquieu und dann vor allem durch den Genfer Jean Louis de Lolme in seinem Werk Constitution de l’Angleterre propagiert wurde und welcher dem Zweikammersystem eine ständisch-aristokratische Semantik einzog.50 Das Zweikammersystem, welches Lamare und Lafayette aus Adams’ Erörterungen und durch dessen Adaption in ihrem französischen Kontext entwickelten, sollte einer Kammer der Repräsentanten des Volkes also weder eine ständisch noch eine föderal motivierte zweite Kammer zur Seite stellen. Stattdessen sollte ein „sénat éléctif“, der als eine Art „conseil des anciens“ gedacht war, verhindern, dass die Gesetzgebung auf den in ihren Augen volatilen, ungebremsten, unbalancierten und mithin unvernünftigen Mehrheiten einer einzigen Kammer beruhte, die ihrerseits die freiheitlichen Grundrechte gefährden könnten.51 Die Tatsache, dass Lafayette und manche seiner Kollegen aus den Zirkeln der américanistes zur ungefähr gleichen Zeit zwei Texte aus der amerikanischen politischen Tradition übersetzen ließen, die durchaus unterschiedliche, mitunter auch widersprüchliche Lesarten des amerikanischen Konstitutionalismus zuließen, ist für die transatlantische Vermittlungsarbeit Lafayettes charakteristisch. Lafayettes Propagierung amerikanischer Verfassungsprinzipien war bereits in den französischen Verfassungsdebatten zwischen 1789 und 1792 mit einer Ambi-
48 Adams John, Défense des constitutions américaines, I, S. 197. 49 Vgl. Madison James, Federalist No. 62, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 347–380. 50 Vgl. Lolme Jean Louis de, Constitution de l’Angleterre, S. 161–175. 51 Lafayette, Sur la Démocratie Royale de 1789 et le Républicanisme des vrais Constitutionnels [1799], in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 407.
7.3 Übersetzung und konzeptuelle Transformation
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valenz behaftet, welche auch sein späteres Engagement für die Diffusion und Rezeption amerikanischer politischer Literatur in Europa prägte. Die amerikanischen Prinzipien gab es nicht. Dafür waren jene politischen Konzepte, welche Lafayette und andere als „amerikanisch“ bezeichneten, einerseits bereits in ihrem amerikanischen Kontext zu umstritten, und veränderten andererseits ihre Bedeutung, wenn sie auf einen anderen politischen Kontext bezogen wurden, wie dies bei der Rezeption des Zweikammersystems der Fall war. Denn James Madisons Überlegungen zu den Funktionen und Effekten des Zweikammersystems, wie er sie im Federalist erörterte, unterschieden sich nicht unwesentlich von jenen, welche Adams in seiner Defence vortrug. Ironischerweise schrieb Madison 1791, also ungefähr zur gleichen Zeit als sich Lafayette für eine französische Übersetzung beider Werke – Adams Defence und die von Madison mitverfassten Federalist Papers – einsetzte, zornig über Adams’ Buch: „Under a mock defense of the republican constitutions of this country, he attacked them with all the force he possessed, and this in a book with his name to it whilst he was a representative of this country at a foreign court.“52 Solche Widersprüche und Spannungen schienen Lafayette indessen nicht sonderlich zu interessieren, was mit seiner bereits erörterten Favorisierung fundamentaler Rechte und politischer Verfahren zur progressiven Perfektionierung von Verfassungsbestimmungen gegenüber der konkreten Ausgestaltung und Institutionalisierung dieser Verfassungsbestimmungen zu tun hat. Obwohl Lafayette, wenn er von „amerikanischen Prinzipien“ sprach, also meist in erster Linie den Schutz individueller und fundamentaler Rechte meinte, trug sein Insistieren auf einer stärkeren Kenntnisnahme der amerikanischen Verfassungserfahrungen in den französischen Debatten auch dazu bei, dass politische Konzepte in den Wahrnehmungshorizont seiner Zeitgenossen gerieten, die Lafayette selbst vielleicht nur als „combinaisons secondaires“ ansah, die aber von anderen als signifikant betrachtet wurden.53 Dies traf etwa auch auf den Zusammenhang zwischen Föderalismus und Republikanismus zu, den Lafayette kaum im Detail erörterte, der aber insbesondere in den 1820er und 1830er Jahren von manchen seiner protégés hervorgehoben und bisweilen detailliert diskutiert wurde.
52 James Madison an Thomas Jefferson, 12. Mai 1791, in: Madison James, The Papers of James Madison, XIV, S. 22. 53 Lafayette, Sur la Démocratie Royale de 1789 et le Républicanisme des vrais Constitutionnels [1799], in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, I, S. 407.
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7 Lafayette, die „école américaine“
7.4 The magic circle of the confederacy. Fanny Wrights Views und die Netzwerke des Liberalismus im postrevolutionären Europa 1821 erschien in London ein Buch über die Vereinigten Staaten von Nordamerika, das sehr mit den ansonsten in England publizierten Büchern über die ehemaligen Kolonien kontrastierte. Anders als die kritische und bisweilen polemische Literatur über die Vereinigten Staaten, die in der englischen Öffentlichkeit insbesondere im Nachgang zum Krieg von 1812–1815 zirkulierte und die Lafayette einmal zur Aussage verleitete, dass „almost every British publication“ über die Vereinigten Staaten „foolish slander“ propagiere,54 war im Buch Views of Society and Manners in America mit der Ausnahme der Sklaverei – „the blot which defaces a portion of the Union“ – fast nur Positives über die Neue Welt zu lesen.55 Das zuerst anonym erschienene Buch traf in London auch bei Jeremy Bentham auf Interesse – ein Interesse, das schließlich dazu führte, dass Bentham herausfand, dass die Verfasserin des Buches eine junge, von Vertretern des englischen Radikalismus wie William Godwin, Joseph Priestley und Mary Wollstonecraft beeinflusste, schottische Intellektuelle mit dem Namen Frances Wright war.56 Zwischen Bentham und Wright entwickelte sich daraufhin eine enge Freundschaft und Wright schrieb später einmal an Benthams Genfer Mitarbeiter und Übersetzer Etienne Dumont, dass ihr Amerikabuch das Mittel gewesen sei, „of procuring for its author the friendship of that venerable advocate of human liberty.“57 Durch ihre Freundschaft mit Bentham wurde Frances Wright Teil eines international verknüpften Netzwerks liberaler Intellektueller, das sie nicht nur mit dem Genfer Dumont in Verbindung brachte, sondern auch mit Benjamin Constant, Albert Gallatin, David Bailie Warden und mit Lafayette.58 Letzterem hatte
54 Lafayette an Henry Clay, 28. Oktober 1828, in: LCMD, Clay Family Papers, Reel 3, Vol. I, 13. Vgl. hierzu Curti Merle E., The Reputation of America Overseas (1776–1860), S. 65–68. 55 [Wright Frances], Views of Society and Manners in America, S. 72. 56 Vgl. zu Wrights Biographie Eckhardt Celia Morris, Fanny Wright. Auf Wrights Beeinflussung durch die politische Philosophie des englischen Radikalismus und der daraus resultierenden Perspektive auf Nordamerika macht aufmerksam Bederman Gail, Revisiting Nashoba, S. 439–445. 57 Frances Wright an Etienne Dumont, 19. September 1821, in: BGE, Ms Dumont 77, 168–169. Vgl. hierzu Heineman Helen, Restless Angels, S. 49–52. 58 Vgl. Benjamin Constant an David Bailie Warden, 30. Juli 1823 & 21. August 1823 in: MDHS, David Bailie Warden Papers, Roll 3; Frances Wright an David Bailie Warden, 9. Oktober 1821, in: MDHS, David Bailie Warden Papers, Roll 3; David Bailie Warden an Frances Wright, 29. September 1821 & Januar 1822, in: MDHS, David Bailie Warden Papers, Roll 4, Letterbook, B 236 & 245; Albert Gallatin an Frances Wright, 5. September 1821 & Fanny Wright an Albert Gallatin, 7. Oktober 1821, in: SNB, The Papers of Albert Gallatin, Microfilm Edition, 34 189 & 34 287.
7.4 The magic circle of the confederacy
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Bentham bereits zu Beginn der Französischen Revolution ein Pamphlet mit Vorschlägen zur konstitutionellen Reform geschickt und unterhielt seit den frühen 1820er Jahren einen nun dichter werdenden Briefwechsel.59 Auch mit Etienne Dumont war Lafayette seit dem Ausbruch der Französischen Revolution bekannt, arbeitete doch Dumont damals als Mitarbeiter und Redenschreiber für Mirabeau, frequentierte die gleichen Salons und revolutionären Clubs wie Lafayette und war später ein gelegentlicher Besucher in La Grange.60 Fanny Wright wurde in der Folge zu einer wichtigen Vermittlerin zwischen Bentham in London, Dumont in Genf und Constant, Warden und Lafayette in Paris – eine Rolle, die sie auch für die Zirkulation ihres eigenen Amerikabuches zu nutzen verstand. Kurz nach der Veröffentlichung ihres Buches über die Vereinigten Staaten schickte Wright ein Exemplar davon an Lafayette und im Herbst 1821 reiste sie mit einem Empfehlungsschreiben von Bentham nach Paris, um Lafayette persönlich kennen zu lernen. Wenig überraschend war Lafayette von Wrights sympathischer Schilderung der amerikanischen Zustände sehr angetan, sah er doch darin auch eine Korrektur der von ihm so oft beklagten negativen Abhandlungen über die Politik und Gesellschaft der Neuen Welt, welche bisweilen in der europäischen Öffentlichkeit zirkulierten. „The main subject of our discourse was America“, berichtete Wright ihrem Mentor Bentham nach London, nachdem sie mit Lafayette Mitte September 1821 „an earnest tête-à-tête until after midnight“ gehalten hatte. „The enthusiasm and heart affection with which he spoke of our Utopia, the high respect he expressed for the character of its people, the ardent love of liberty which breathed through all his discourse found, I need not say, an answering note of sympathy in me.“61 Wrights und Lafayettes mitunter etwas naive Begeisterung für die politische Kultur Nordamerikas, ihre Projektionen geradezu utopischer Zukunftsentwürfe, die sie in der Neuen Welt für möglich und realisierbar hielten, und ihre gemeinsame Verachtung gegenüber der englischen Amerikaliteratur ihrer Zeit mögen den Anstoß dazu gegeben haben, dass Lafayette sein weitreichendes und vielgliedriges Freundschaftsnetz mobilisierte, um Wrights Buch in der europäischen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Lafayettes „Ameri-
59 Vgl. Burns J. H., Bentham and the French Revolution, S. 100; Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 79 & 155; Schofield Philip, Jeremy Bentham, the French Revolution and Political Radicalism. 60 Vgl. Dumont Etienne, Souvenirs sur Mirabeau et sur les deux premières assemblées législatives, S. 44–45, 153, 235; Rémusat Charles de, Mémoires de ma vie, I, S. 451. Vgl. hierzu auch Whatmore Richard, Etienne Dumont, The British Constitution, and the French Revolution. 61 Frances Wright an Jeremy Bentham, 12. September 1821, in: Bentham Jeremy, The Works of Jeremy Bentham, X, S. 526. Hervorhebungen im Original.
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7 Lafayette, die „école américaine“
can predilections have disposed him to take an active interest in this little work“, erklärte Fanny Wright später.62 Eine Woche nachdem Fanny Wright Lafayette getroffen hatte, schickte sie eine Kopie ihres Buches zusammen mit einem Pamphlet Benthams an Etienne Dumont nach Genf und einige Wochen später erklärte sie gegenüber Dumont, welche Motive sie zum Schreiben dieses Buches gebracht hatten: My object in publishing the Views of America was simply to direct the attention of some intelligent minds towards a country which appeared to have excited in Europe less curiosity & attention than the beauty of its history & institutions & the singularity of its position might justly have inspired. By simply pointing out what America has done for humanity – by examining the virtue of her noble struggle for liberty, the generosity of her institutions, the mildness of her laws, the fairness & frankness of her policy, the tranquil & perfect arrangement of her res publicae it seemed to me that the libels of ignorant & prejudiced travellers & journalists of my own nation might easily be refuted.63
Die ermunternden Antworten Benthams, Lafayettes und Dumonts auf ihr Buch führten des Weiteren dazu, dass Wright zwei Wochen später ein weiteres Exemplar nach Genf schickte, damit Dumont dieses an seinen Genfer Freund Simonde de Sismondi weiterleitete, ein weiterer Bekannter Lafayettes und einer der führenden Historiker seiner Zeit.64 In der Zwischenzeit engagierte sich Lafayette für eine französische Übersetzung von Wrights Buch und fand in Jacques-Theodore Parisot, dem späteren Übersetzer von James Mills Elements of Political Economy, einen geeigneten Übersetzer.65 Zudem machte er Verbesserungsvorschläge für eine zweite Auflage und überzeugte Marc-Antoine Jullien, den Herausgeber der Revue Encyclopédique erfolgreich davon, in seiner Zeitschrift eine Besprechung zu veröffentlichen, denn auch Jullien war nach Lafayettes Intervention der
62 Frances Wright an Etienne Dumont, [undatiert, vermutlich Januar oder Februar 1822], in: BGE, Ms Dumont, 77, 180–181. 63 Frances Wright an Etienne Dumont, 1. Dezember 1821, in: BGE, Ms Dumont, 77, 172–173. Hervorhebungen im Original. 64 Frances Wright an Etienne Dumont, 25. Dezember 1821, in: BGE, Ms Dumont, 77, 174–175; Sismondi Jean Charles Léonard Simonde de, Epistolario, II, S. 56. Vgl. hierzu auch Pappe Helmut O., Sismondis Weggenossen; Pappe Helmut O., Sismondi, Constant and Tocqueville. 65 Die Übersetzung erschien schließlich 1822 als: Wright Frances, Voyage aux États-Unis d’Amérique, ou Observations sur la société, les mœurs, les usages et le gouvernement de ce pays, recueillies en 1818, 1819 et 1820, traduit par J. T. Parisot, Paris 1822. Jacques-Theodore Parisot versah das Buch zudem noch mit einer Widmung „à l’ami de Washington, au patriote qui proclama le premier en Europe la déclaration des droits de l’homme, au constant défenseur de la liberté française“, ebd. S. vi. Seine Übersetzung von Mill erschien 1823: Mill James, Éléments d’économie politique, Paris 1823.
7.4 The magic circle of the confederacy
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Ansicht, „qu’il convient d’annoncer de suite la traduction de l’excellent ouvrage de Mlle. Wright.“66 Parallel dazu hatte sich in Genf Sismondi an eine Besprechung des Buches gemacht, so dass noch 1822 eine sehr wohlwollende Rezension von Wrights Buch in der Revue Encyclopédique erschien, welche die „scène d’horreur“, welche mitunter in Europa zu beobachten sei, mit der „monde nouveau, où tout est plein de bonheur et d’espérance“ kontrastierte, und dies insbesondere mit den unterschiedlichen konstitutionellen Entwicklungspfaden der Vereinigten Staaten und den Staaten Europas begründete: Quelques hommes, adoptant les principes de J.–J. Rousseau, avaient cru trouver la perfection sociale dans une fédération de pures démocraties; bientôt, cependant, leur projet avait été rejeté comme inexécutable, et, pour le combattre, on s’était moins attaché aux vices de la démocratie pure qu’à l’axiome de politique qu’on croyait démontré, qu’il était impossible de conserver la souveraineté locale dans les provinces, sans que chacun, dans les grandes crises, sacrifiât l’intérêt commun à son intérêt particulier. L’Amérique n’est point une démocratie, mais une grande république représentative, qui en contient vingt-deux autres de même nature. Ce sont autant d’états dans l’état, et jamais leurs pouvoirs ne se croisent, ne se heurtent, ou ne se contrarient. L’action fédéral et l’action cantonnale se maintiennent entières l’une à côté de l’autre, sans que le patriotisme du citoyen de Connecticut ou de Tennessee nuise jamais à son patriotisme, comme citoyen de l’Union.67
Mit seiner klaren semantischen Differenzierung zwischen „démocratie pure“ und „république représentative“ zog Sismondi nicht nur die amerikanische Republik aus dem Dunstkreis des nach wie vor negativ besetzten Demokratiebegriffs.68 Gleichzeitig schloss er damit unmittelbar an James Madisons Argument im Federalist No. 10 an, in welchem dieser erörterte, dass „a pure democracy […] no cure for the mischiefs of faction“ bereit stelle, wohingehen die neu definierte „federal republic“ das Repräsentationskonzept mit dem Föderalismuskonzept verband und dadurch einerseits die Pathologien der direkten Demokratie verhindere und andererseits die Republik in Form eines Bundesstaates für einen
66 Marc-Antoine Jullien an Lafayette, 6. März 1822, in: ANF, Microfilm des Archives Lafayette conservées à La Grange, 729 MI 14 154 a. Vgl. hierzu auch Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 169. 67 Sismondi Simonde de, Views of Society and Manners in America, S. 566–567. Hervorhebungen im Original. Zu Sismondis republikanischen Ansichten vgl. auch Urbinati Nadia, Republicanism after the French Revolution. 68 Vgl. Rosanvallon Pierre, The History of the Word „Democracy“ in France, S. 148.
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7 Lafayette, die „école américaine“
modernen Flächenstaat tauglich machte.69 Auch Lafayette war diese Passage in Sismondis Besprechung aufgefallen, schrieb er doch an seinen Freund Etienne Dumont nach Genf: „nous avons été charmés de l’excellent article de M. Sismondi, en particulièrement du passage qui contraste d’une manière si piquante avec le préjugé européen sur l’incapacité des grand empires pour les institutions républicaines.“70 Es war der föderale Republikanismus der nordamerikanischen Union, in welchem sowohl Lafayette als auch Sismondi ein Innovations- und Imitationspotenzial für die europäischen Gesellschaften zu entdecken glaubten. Die föderale Struktur und das Repräsentationsprinzip, erklärte auch Fanny Wright in ihren Views, balanciere die in einem modernen Territorialstaat entstehenden verschiedenen Interessen, „into which all civilized communities must more or less be divided“.71 Die Trennung der Souveränitätsrechte zwischen Bund und Einzelstaaten und das Zweikammersystem, in welchem sowohl „the population of the whole union“ als auch „the different republics into which the union is divided“ repräsentiert werden, betrachtete Wright als institutionelle Antworten auf diese Pluralisierung der Interessen in modernen, zunehmend marktwirtschaftlich organisierten und arbeitsteiligen Gesellschaften.72 Nur eine föderale Organisation des Territorialstaates erlaube eine Integration potenziell konfligierender Interessen und schaffe eine Balance zwischen den Ansprüchen der Einzelstaaten nach Autonomie und den Ansprüchen der Union nach Einheit. Um dieses harmonische und gesetzmäßige Ineinandergreifen der Sphären des Bundes und derjenigen der Einzelstaaten zu unterstreichen, bediente sich Wright einer astronomischen Metaphernsprache: „Like the motions of the planetary system, each republic revolves upon her own axis, but moves in unison with the others; exerting her own centrifugal force, and yielding to the power which holds her in the magic circle of the confederacy.“73 Bemerkenswerterweise wurden Teile von Wrights Buch 1822 auch in deutscher Übersetzung in Heinrich Zschokkes in Aarau erscheinenden Ueberlieferungen zur Geschichte unserer Zeit veröffentlicht, und dies zwei Jahre vor der Publika-
69 Madison James, Federalist No. 10, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 76–79. Vgl. hierzu auch Ball Terence, „A Republic – If you can keep it“; Jörke Dirk, Die Transformation des Republikbegriffes in den Federalist Papers. 70 Lafayette an Etienne Dumont, 11. Mai 1822, in: BGE, Ms Dumont, 75 178–179. 71 [Wright Frances], Views of Society and Manners in America, S. 366. 72 [Wright Frances], Views of Society and Manners in America, S. 365. 73 [Wright Frances], Views of Society and Manners in America, S. 371.
7.5 Transkultureller Radikalismus
211
tion der vollständigen Übersetzung in deutscher Sprache.74 Zschokke, selbst ein Bewunderer der föderalen Republik der Vereinigten Staaten, der in zahlreichen Artikeln in seiner Zeitung Der aufrichtige und wohl-erfahrene Schweizer-Bote die amerikanische Bundesverfassung als Vorbild für die Reform der schweizerischen Eidgenossenschaft anpries, sah in Wright eine „unbefangene und hellaugige Beobachterin“, deren Bemerkungen zu den Vereinigten Staaten „nicht zu den alltäglichen gehören“ würden.75 Wie Zschokke im Detail zu Wrights Text kam, lässt sich aufgrund der lückenhaften Quellenüberlieferung nicht ganz erschließen. Sicher ist aber, dass Zschokke enge Verbindungen in die französischsprachige Schweiz hatte, etwa zu César de La Harpe, Charles Monnard und Karl Viktor von Bonstetten, die sich allesamt auch in den Intellektuellenkreisen Sismondis und Dumonts bewegten.76 Das weitverzweigte transkulturelle Netzwerk liberaler Intellektueller, in welches Lafayette eingebunden war, ermöglichte somit eine Streuung von Wrights Text und ihren Interventionen in den transatlantischen Föderalismusdiskurs.
7.5 Transkultureller Radikalismusund die umstrittene Bedeutung des föderalen Republikanismus in Europa Im Oktober 1826 gestand Albert Gallatin im Rückblick auf seine diplomatische Tätigkeit in Paris in den Jahren von 1816 bis 1823 seinem Bekannten und ein Jahr zuvor zum Präsidenten gewählten John Quincy Adams, dass Lafayette „very ungovernable in all that related to petty plots during my residence at Paris as minister“ gewesen sei.77 Worauf Gallatin hier anspielte, war Lafayettes Involvierung in die politische Bewegung der Carbonari, ein transkulturell verzweigter
74 Vgl. Wright Frances, Ueber die vereinigten Staaten von Nordamerika im Jahr 1818 bis 1820, S. 487–528; Wright Frances, Gesellschaftsleben und Sitten in den vereinigten Staaten von Amerika. 75 Vgl. die einleitenden Bemerkungen zu Wright Frances, Ueber die vereinigten Staaten von Nordamerika im Jahr 1818 bis 1820, S. 487. Vgl. zu Zschokke auch Böning Holger, Revolution als Kulturtransfer; Tschopp Silvia Serena, Publizistisches Duett. Zu Zschokkes Auseinandersetzung mit der amerikanischen Verfassung vgl. bspw. den Artikel Der eidgenössische und amerikanische Bundesvertrag, in: Der aufrichtige und wohl-erfahrene Schweizer-Bote, No. 8, Donnerstag, 23. Februar 1832 und No. 9, Donnerstag 1. März 1832, S. 57–58, 65–67. 76 Vgl. hierzu die Briefe von Bonstetten an Zschokke, in: StAR, Nachlass Heinrich Zschokke, NL.A-0196/001 B 19, von Laharpe an Zschokke unter NL.A-0196/002 L 1, und von Monnard an Zschokke unter NL.A-0196/002 M 16. 77 Albert Gallatin an John Quincy Adams, 18. Oktober 1826, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, II, S. 332.
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7 Lafayette, die „école américaine“
politischer Geheimbund, der insbesondere in Frankreich auf den Sturz der Bourbonen und in Italien auf eine nationale Einigung hinarbeitete, und hierfür auch die Schweiz als Vermittlungskontext miteinbezog und dort eine Sektion unterhielt.78 Lafayettes Rolle bei den Carbonari-Verschwörungen bleibt einigermaßen obskur, was sowohl mit dem Charakter der Carbonari als Geheimgesellschaft im politischen Untergrund, als auch mit den diffusen politischen Forderungen der Bewegung zu tun hat.79 Offenbar beschränkte sich Lafayettes Beteiligung an der Carbonari-Bewegung darauf, dass er seinen Landsitz in La Grange für strategische Zusammenkünfte der Carbonari zur Verfügung stellte, dass er personelle Vermittlungsleistungen anbot und darauf insistierte, dass „le recouvrement de nos droits naturels et nationaux, tels qu’ils furent proclamés en 89“, die „souveraineté nationale“ und „une représentation émanée de la masse du peuple“ zu den programmatischen politischen Zielen der Carbonari gezählt wurden.80 Auch die Chancen und Grenzen einer „république fédérative“ in Frankreich, Italien und der Schweiz gehörten zu den programmatischen Diskussionen, wie Francisque de Corcelle, der ehemalige Carbonaro, spätere Ehemann von Lafayettes Enkelin Mélanie de Lasteyrie und Freund Alexis de Tocquevilles, berichtete. Auch der ehemalige Carbonaro James Fazy meinte, dass manche Mitglieder der Carbonari später „à la tête des écoles saint-simoniennes, fouriéristes ou d’autres branches du socialisme“ standen, dass aber andere, darunter auch Fazy selbst, den „principes de l’école américaine“ treu geblieben seien.81 Trotz der nur kurzlebigen und politisch wenig wirksamen Verschwörungen der Carbonari wurden in diesen Zirkeln also auch soziale Kontakte geknüpft, welche politische Langzeitfolgen hatten und in den folgenden Jahren immer wieder mobilisiert wurden, um publizistische und politische Projekte anzustoßen, zu konsolidieren und
78 Vgl. Spitzer Alan B., Old Hatreds and Young Hopes. 79 Vgl. Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 100–102; Spitzer Alan B., Old Hatreds and Young Hopes, S. 83–96. Zu den Carbonari in Frankreich im Allgemeinen vgl. die kurze Darstellung von Lambert Pierre-Arnaud, La Charbonnerie française (1821–1823). 80 Lafayette, Notes, in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, X, S. 249. James Fazy schrieb in seinen Memoiren, dass er für die Organisation zwischen den französischen, italienischen und schweizerischen Sektionen der Carbonari-Bewegung nach La Grange eingeladen wurde: „A cette occasion il fut présenté au général Lafayette, et il alla passer plusieurs jours à Lagrange, chez le général, où il se trouva avec Manuel, Oscar Lafayette et plusieurs des jeunes gens qui étaient entrés avec ardeur dans l’organisation de la charbonnerie, société secrète qui était destinée à rallier tout ce que la France et même l’étranger pouvaient compter d’hommes énergiques, décidés à tenir la tête à la direction qui se développait dans toute l’Europe.“ Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 27–28. 81 Corcelle François de, Documens pour servir à l’histoire des conspirations, des partis et des sectes, S. 19; Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 45.
7.5 Transkultureller Radikalismus
213
umzusetzen. Viele junge Intellektuelle, die sich in den frühen 1820er Jahren zu den Carbonari hingezogen fühlten und sich mehr oder weniger intensiv an deren Umsturzversuchen beteiligten, tauchten im Umfeld der Revolutionen von 1830 unter den liberalen und republikanischen Kräften wieder auf.82 Armand Carrel und Charles-Arnold Scheffer, die Mitte der 1820er Jahre für die von Lafayette gegründete Zeitschrift La Revue Américaine schrieben und ab 1830 als Redaktoren und Journalisten der Zeitung Le National wirkten, waren in den frühen 1820er Jahren in die Carbonari-Bewegung ebenso involviert wie der Genfer Radikale James Fazy, der sich 1830 ebenfalls im Umfeld des National bewegte und die alten Kontakte zu seinen Carbonari-Freunden auffrischte, „pour donner à la France une constitution déliberée par un Congrès national, nommé par le suffrage universel“.83 Aus diesen sozialen Verbindungen entwickelte sich eine Diskursgemeinschaft, in welcher die amerikanische Föderativrepublik intensiv debattiert wurde, und aus welcher schließlich auch eine Reihe von Veröffentlichungen über die Chancen und Grenzen eines föderalen Republikanismus für Frankreich und die Schweiz entsprang. James Fazy, Charles-Arnold Scheffer und Louis-Prosper Conseil, drei Autoren aus dem skizzierten Umfeld Lafayettes, die im Folgenden etwas ausführlicher behandelt werden, hatten nicht nur ein Interesse an der amerikanischen Republik gemeinsam. Präziser ausgedrückt, entdeckten sie den föderalen Republikanismus Nordamerikas als ein Mittel, um mit den politischen Herausforderungen des postrevolutionären Europas umzugehen und in Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus Antworten auf die drängendsten politischen Probleme im Europa der Restauration zu finden. Dem zugrunde lag auch ein spezifisches Generationenverständnis. Fazy (geboren 1794), Scheffer (geboren 1796) und Conseil (geboren 1796) gehören zu jener Generation, die Alan Spitzer als die „French Generation of 1820“ bezeichnet hat. Diese Generation empfand sich selbst als „postrevolutionär“, durchlief ihre Sozialisierung im von Napoleon dominierten Europa in „an atmosphere of institutional stasis and subterranean crisis“, debattierte die Wege und Irrwege der Französischen Revolution nicht als unmittelbar Involvierte, sondern als historisch Betrachtende, und sah sich nicht zuletzt aufgrund dieser reflexiven Distanzierung dazu erkoren, die Prinzipien von 1789 von ihren späteren Pervertierungen zu
82 Über die Mitglieder der Carbonari berichten Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 27; Rémusat Charles de, Mémoires de ma vie, II, S. 52–55. 83 Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 49. Zu Carrel und dem National vgl. auch Jennings Jeremy, Nationalist Ideas in the Early Years of the July Monarchy.
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7 Lafayette, die „école américaine“
unterscheiden.84 Scheffer fasste dieses postrevolutionäre Selbstverständnis seiner Generation 1817 in die Worte: „L’état actuel de l’Europe étant une conséquence forcée de celui dans lequel elle s’est trouvée pendant les révolutions qui l’ont agité depuis vingt-cinq ans, il est devenu impossible de parler du moment présent sans parler en même temps de celui qui a précédé.“85 Und James Fazy machte den Generationenkonflikt explizit zum Thema seines Pamphlets De la gérontocratie, in welchem er die unterschiedlichen generationellen Erfahrungsräume der Generation von 1789 und seiner eigenen, postrevolutionären Generation als eines der Hauptmerkmale der politischen Krise in Frankreich herausstellte. „De là naît la pire des situations“, meinte Fazy über dieses Divergieren der politischen Erfahrungsräume der beiden Generationen: „des disputes sur les choses qu’on n’entend pas; de fausses explications se donnent à la tribune; elles se répètent dans la nation, et l’on adopte des mots nullement en rapport avec les choses: comment s’entendre au sein d’un tel embrouillement?“86 Interessanterweise nahm Fazy Repräsentanten wie Lafayette und Voyer d’Argenson (die beide in die Carbonari-Bewegung involviert waren) aus seinem Vorwurf der Gerontokratie heraus, da sie den Geist der Opposition und des neuen Zeitalters verstanden hätten, die „besoins de la masse“ ernst nehmen würden und sich gegenüber den politischen Ambitionen der jüngeren Generationen aufgeschlossen zeigten.87 Diese Deutung der französischen Revolutionsgeschichte als progressiver Lernprozess, der sich durch eine Art intergenerationellen Dialog vollzog, lag ganz auf der einleitend skizzierten Linie Lafayettes und Albert Gallatins. So erklärte Lafayette 1820 dem amerikanischen Präsidenten James Monroe, der zwischen 1794 und 1796 selbst amerikanischer Gesandter im revolutionären Paris war: Les idées de liberté fermentent partout, et la France participe grandement à ce mouvement des esprits. La révolution et la contre-révolution sont en présence. Cette nouvelle génération est éclairée et généreuse, supérieure aux impressions du jacobinisme et du bonapartisme. Elle soutiendra, j’en suis sûr, les droits d’une liberté pure.88
84 Spitzer Alan B., The French Generation of 1820, S. 10. Vgl. hierzu auch Jainchill Andrew, Reimagining Politics After the Terror, S. 287–308. Zu den Zusammenhängen zwischen transnationalen Netzwerken und politischen Idenititäten vgl. auch Featherstone David, The Spatial Politics of the Past Unbound. 85 Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe, S. 5. 86 Fazy James, De la gérontocratie, S. 8. Hervorhebungen im Original. 87 Fazy James, De la gérontocratie, S. 25–27. 88 Lafayette an James Monroe, 20. Juli 1820, in: Lafayette, Mémoires, Correspondance et Manuscrits du Général Lafayette, X, S. 186.
7.5 Transkultureller Radikalismus
215
Es mag auch aufgrund dieser optimistischen Einschätzung der politischen Reife der jüngeren Generationen gewesen sein, dass Lafayette einerseits die politischen und publizistischen Projekte mancher seiner protégés umfassend unterstützte und sich mit deren politischen Zielen identifizierte, umgekehrt aber von dieser jüngeren Generation auch als Symbol jener Ideen der Revolution angesehen wurde, die sie aus dem Schatten der Terrorherrschaft und Napoleons autoritärem Militärregime ziehen wollten. In der Person Lafayettes überkreuzten sich dementsprechend drei symbolische Dimensionen, welche für Intellektuelle wie Fazy, Scheffer und Conseil von höchster Bedeutung waren: ihr generationelles Selbstverständnis als postrevolutionäre und zur politischen Reife gelangte Generation; ihr Bewusstsein davon, dass das postrevolutionäre Europa sich mit den revolutionären Prozessen beschäftigen muss, die seit 1789 ihre soziale und politische Welt grundlegend transformierten; und ihre Anerkennung, dass die amerikanische Republik in dieser postrevolutionären politischen Selbstverortung Lehren zu bieten hat, die man in Europa zur Kenntnis nehmen sollte. Diese in der Person Lafayettes symbolisierte Verknüpfung zwischen generationellem Selbstverständnis, historischem Erkenntnisanspruch gegenüber der eigenen revolutionären Vergangenheit und dem Blick über den Atlantik, brachte Charles-Arnold Scheffer 1817 auf den Punkt: „Des hommes de la nouvelle génération, étrangers à la fois à tous les préjugés, à tous les excès de l’anarchie et du despotisme, élevèrent la voix et se rallièrent aux principes proclamés en 1789 et appliqués si heureusement sous un autre hémisphère.“89
7.5.1
Charles-Arnold Scheffer und die Geschichte Amerikas
Charles-Arnold Scheffer schrieb allein im Jahr 1817 drei Pamphlete, in welchen er historische Betrachtungen über die Französische Revolution mit Gegenwartsdiagnosen verknüpfte und davon ausgehend politische Reformprojekte für die politische Landschaft Europas skizzierte: Considérations sur l’état actuel de l’Europe, De l’état de la liberté en France und Essai sur quatre grandes questions politiques.90 All diesen Texten lag die Frage zugrunde, wie man die Transformation der Französische Revolution von einem legitimen Aufstand des souveränen Volkes gegenüber einem despotischen Monarchen über die „anarchie“ und den
89 Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe, S. 62. 90 Vgl. Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe; Scheffer CharlesArnold, De l’état de la liberté en France; Scheffer Charles-Arnold, Essai sur quatre grandes questions politiques.
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7 Lafayette, die „école américaine“
„terreur“ hin zu einem „despotisme militaire“ zu interpretieren habe.91 Denn an diese grundlegende Frage schlossen sich weitere an: Wie schafft man unter den Bürgern ein politisches Problembewusstsein für „la nécessité de réformer des institutions vicieuses, ou d’en changer entièrement leur organisation intérieure, pour parvenir à la liberté“, ohne die Fehler von 1789 zu wiederholen? Und welche Folgerungen hat man aus der Analyse dieser revolutionären Geschichte für eine Erneuerung republikanischer Konzepte in den postrevolutionären Gesellschaften Europas zu ziehen?92 In seinen Considérations sur l’état actuel de l’Europe formulierte Scheffer im Anschluss an den deutschen Historiker und Condorcet-Übersetzer Ernst Ludwig Posselt: „Nous sommes […] depuis 1789, comme transporté dans un monde nouveau. […] La politique marche sur un terrain entièrement neuf.“93 Diese neue Welt, welche nicht nur durch die politischen Umwälzungen der Französischen Revolution geprägt worden sei, sondern ebenso durch ökonomische und kulturelle, hat in Scheffers Interpretationsrahmen Bedingungen hervor getrieben, welchen die Ideen des klassischen Republikanismus nicht mehr hinreichend Rechnung zu tragen vermögen. „Le républicanisme à la mode des anciens, n’a plus de partisans,“ konstatierte Scheffer, „on sait, d’après l’exemple de la république française, qu’il est contraire aux intérêts des peuples modernes.“94 Es war das republikanische Trauma der Französischen Revolution, welches Scheffer dazu antrieb, nach neuen politischen Institutionsarrangements zu suchen, welche seiner Meinung nach den Bedingungen moderner Gesellschaften Rechnung trugen; seine politische Suche galt einem „républicanisme à la mode des modernes.“ Es galt dementsprechend nicht, vom Republikanismus gänzlich Abschied zu nehmen, sondern diesen in einer Art und Weise zu transformieren, dass die Orientierungen an Gemeinwohl, Tugend, Bürgerpartizipation und kollektiver Freiheit mit dem Schutz individueller Rechte, der Begrenzung staatlicher Macht und Verfassungsstaatlichkeit verbunden werden konnte.95 Und hierfür war auch an die Ideen aus der Frühphase der Revolution anzuschließen, argumentierte Scheffer, denn selbst die Gegner der Revolution seien dazu genötigt, mit jenen politischen Begriffen zu operieren, welche durch die Französische
91 Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe, S. 72. 92 Scheffer Charles-Arnold, De l’état de la liberté en France, S. 70. 93 Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe, S. 26–27. Vgl. hierzu auch Koselleck Reinhart, ‘Neuzeit’. 94 Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe, S. 94. 95 Vgl. zu solchen Transformationen in der politischen Sprache des Republikanismus Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 10–15; Jainchill Andrew, Reimagining Politics After the Terror, S. 11–12.
7.5 Transkultureller Radikalismus
217
Revolution geschaffen oder mit einer veränderten Bedeutung versehen wurden. Niemand komme daran vorbei, so Scheffer, „à prendre le langage des défenseurs des droits des peuples“: „[P]ar-tout où nous tournons nos regards nous voyons les peuples revenus de leurs erreurs, attachés plus fortement que jamais à la liberté, s’avancer vers un régime constitutionnel.“96 Sein Pamphlet De l’état de la liberté en France trug Scheffer schließlich eine einjährige Gefängnisstrafe ein, der er sich durch eine Flucht nach Brüssel entzog – eine Affäre, die auch das Interesse von Lafayette an diesem jungen Radikalen weckte. Nach der Lektüre des Pamphlets schrieb Lafayette an Scheffer, dass er von der „pureté de patriotisme“ dieses Textes eingenommen worden und überzeugt sei, „qu’il ferait un grand bien à la bonne cause et à la véritable doctrine.“97 Durch die Bekanntschaft mit Lafayette, welche durch ihr gemeinsames Engagement in der Carbonari-Bewegung zu Beginn der 1820er Jahre gefestigt wurde, wandte sich Scheffer nun intensiver der Geschichte und dem politischen System Nordamerikas zu, in welchen er zusehends mögliche Antworten auf jene Fragen erblickte, die er in seinen Pamphleten von 1817 über die postrevolutionäre Erneuerung republikanischer Ideen und Institutionen aufgeworfen hatte.98 Bereits 1817 hatte Scheffer in Auseinandersetzung mit Benjamin Constants Principes de Politique und hier insbesondere mit dessen Kapitel Du pouvoir municipal, des autorités locales, et d’un nouveau genre de fédéralisme festgehalten: „La question du fédéralisme est de la plus grande importance.“99 Constant hatte in seinem Kapitel von einem „nouveau genre de fédéralisme“ gesprochen, was nicht nur darauf hindeutet, dass er sich der Ambivalenz des Begriffs im französischen politischen Diskurs bewusst war, sondern sich auch von dessen negativen Imprägnierung absetzen wollte. Wie Constant ausführte, könne man unter Föderalismus die politischen Assoziationen der Niederlande oder der Schweiz verstehen, die indessen als „singulièrement vicieuse“ zu betrachten seien, oder auch das amerikanische Experiment, bei welchem Constant ebenfalls die mangelnde politische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung beklagte. Sein „nouveau genre de fédéralisme“ zielte demgegenüber nicht auf eine Assoziation bereits bestehender politischer Handlungseinheiten, sondern in erster Linie auf eine administrative Dezentralisierung in einem bereits integrierten Einheitsstaat, mit dem Ziel
96 Scheffer Charles-Arnold, Considérations sur l’état actuel de l’Europe, S. 99–101. 97 Lafayette an Charles-Arnold Scheffer, 14. Dezember 1817, in: Psichari Jean, Lettres inédites du Général de La Fayette, S. 531. 98 Zum Verhältnis zwischen Lafayette und Scheffer vgl. Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 99–102. 99 Scheffer Charles-Arnold, De l’état de la liberté en France, S. 26.
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einer Verstärkung der Bürgerpartizipation an lokalen öffentlichen Angelegenheiten.100 Diese Ziele der Bürgerpartizipation und der lokalen Selbstregierung umtrieben auch Charles-Arnold Scheffer, der sich dem von Constant herausgearbeiteten Zusammenhang zwischen administrativer Dezentralisierung, der Herausbildung von Bürgersinn durch politische Teilhabe und der dadurch entstehenden aufgeklärten Öffentlichkeit uneingeschränkt anschloss. „Si l’ordre actuel des choses pouvait continuer de subsister,“ kritisierte Scheffer 1817, la liberté ne serait jamais assurée: elle est basée sur les lumières du peuple bien plus que sur les lois, et le peuple ne peut être éclairé qu’autant qu’on lui permet de discuter ses intérêts et de s’en occuper sans cesse; et, pour cela, il faut des corporations politiques et un système municipal actif.101
Wie aber sollte eine solche lokale Selbstregierung, die gleichzeitig als eine Einübung in Bürgersinn, politische Vernunft und Verantwortung sowie als Teilhabe an der res publica gedacht war, in einem Flächenstaat wie Frankreich ermöglicht werden? In einem Frankreich, wie sich Scheffer mokierte, in welchem seit dem Ancien Régime die Hauptstadt Paris „le foyer, et, pour ainsi dire, le théâtre“ der nationalen Politik bot und das unbestrittene „centre du pouvoir, de l’industrie et des lumières“ war?102 Vor diesem Problemhorizont vermochte Scheffer in jenem Föderalismus mehr Anschauungsmaterial zu erblicken, von welchem sich Constant abzuheben versuchte: dem Föderalismus der nordamerikanischen Union. Bereits in seinem ersten Text über die Vereinigten Staaten, eine Einleitung für die von Lafayette angestoßene Übersetzung von Adam Seyberts Annales Statistiques des États-Unis, rückte Scheffer die konstitutionellen Prinzipien der amerikanischen Föderativrepublik in den Vordergrund. In seiner Einleitung bemerkte Scheffer, dass Nordamerika „à la vielle Europe des exemples“ gegeben habe „que ni l’antiquité, ni les temps modernes ne pouvaient lui offrir.“103 Um diesen Anspruch zu unterstreichen, druckte Scheffer eine Übersetzung der Bundesverfassung von 1787 und der Unabhängigkeitserklärung von 1776 ab, weil
100 Constant Benjamin, Principes de politique, S. 199. Vgl. hierzu Fontana Biancamaria, „A New Kind of Federalism“, S. 170–177; Higonnet Patrice, Le fédéralisme américain et le fédéralisme de Benjamin Constant; Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 58–65; Krause Skadi, Demokratischer Föderalismus. 101 Scheffer Charles-Arnold, De l’état de la liberté en France, S. 25. Hervorhebungen im Original. 102 Scheffer Charles-Arnold, De l’état de la liberté en France, S. 19. 103 Scheffer Charles-Arnold, Introduction du traducteur, in: Seybert Adam, Annales Statistiques des États-Unis, traduit par C.-A. Scheffer, S. V.
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diese den „état des lumières et les principes politique de la nation Américaine au moment de la révolution“ widerspiegle, und als „point de départ pour le lecteur européen, dans ses recherches sur les États-Unis“ dienen sollte.104 Auch für Scheffer selbst markierte dieses Übersetzungsprojekt einen Ausgangspunkt, um sich intensiver mit der politischen Literatur und mit der Geschichte Nordamerikas auseinanderzusetzen. Diese Absicht wurde auch von Lafayette gefördert, der Scheffer seine umfangreiche Bibliothek in La Grange mit seiner ansehnlichen Americana-Sammlung zur Verfügung stellte,105 ihm und seinem Freund Armand Carrel amerikanische Zeitungen und Zeitschriften schickte und ihn bei seinen anstehenden Publikationsprojekten unterstützte.106 So veröffentlichte Scheffer 1825 seine Histoire des États-Unis septentrionale und in den darauf folgenden Jahren einige historische und biographische Beiträge für die Zeitschrift La Revue Américaine, welche Lafayette 1826 zusammen mit Voyer d’Argenson gegründet hatte, um Europa mit der „nouveau ordre des institutions“ auf der anderen Seite des Atlantiks bekannt zu machen.107 In seiner Histoire knüpfte Scheffer an jene Fragen an, welche ihn seit der Lektüre Constants beschäftigt hatten: Wie ermöglicht man in einer großflächigen Republik die Teilhabe der Bürger an politischen Entscheidungsprozessen, ohne dass die lokalen Interessen einem alles absorbierenden Zentrum geopfert werden müssen? Wie verbindet man lokale Autonomieansprüche mit einer handlungsfähigen Zentralregierung? Wie verhindert man, dass die Repräsentanten ihre Verantwortung gegenüber ihrem Elektorat und dessen spezifischen Interessenlagen aus den Augen verlieren? Diese Fragen, dessen war sich Scheffer bewusst, markierten eine Transformationsschwelle republikanischer Theoriebildung, denn bis zum amerikanischen Experiment, „aucune expérience n’avait été faite de l’application du système républicain sur un vaste pays et sur une grande population“: Enfin la fédération américaine est venue nous montrer le véritable gouvernement populaire, et la véritable liberté; elle a trompé jusqu’à ce jour toutes les prédictions funestes, en prouvant sa capacité de résister à tout ennemi extérieur, et en montrant que chez elle les
104 Scheffer Charles-Arnold, Introduction du traducteur, in: Seybert Adam, Annales Statistiques des États-Unis, traduit par C.-A. Scheffer, S. 6. 105 Vgl. hierzu das Dokument „Liste des ouvrages envoyés à Mr. Thierry, 15. 8. 1818“, in: ANF, Microfilm des Archives Lafayette conservées à La Grange, 729 MI 15 154 E, und die Bibliothekskataloge Lafayettes unter 729 MI 47. 106 Vgl. Lafayette an Charles-Arnold Scheffer, 17. September 1826, in: Psichari Jean, Lettres inédites du Général de La Fayette, S. 662–664. 107 Vgl. La Revue Américaine, No. 1 (1826), S. 2. Vgl. inbesondere die Beiträge [Scheffer CharlesArnold], Précis de l’histoire de l’Amérique depuis sa découverte jusqu’à son affranchissement; [Scheffer Charles-Arnold], Notice sur Thomas Jefferson.
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dissensions intérieures ne sont que le développement naturel de la participation de tous les citoyens aux affaires.108
Anders als viele zeitgenössische europäische Beobachter der politischen Entwicklung Nordamerikas, sah Scheffer in der Herausbildung von politischen Parteien und in den hitzigen politischen Debatten nicht einen Ausdruck des verwerflichen Parteiengezänks, welches den Anfang vom Untergang republikanischer Staatswesen markierte. Vielmehr sah Scheffer darin eine unvermeidbare Konsequenz der Partizipation der Bürger an öffentlichen Angelegenheiten, eine Konsequenz freilich, welche die Verfassungsväter bereits antizipiert hätten und hierfür mit entsprechenden institutionellen Arrangements und konstitutionellen Absicherungen vorgesorgt hatten. Gerade in der föderalen Struktur sah Scheffer eine Möglichkeit, die unvermeidbare Pluralität politischer Meinungsbildung und Interessenlagen in einem demokratisch organisierten Flächenstaat institutionell bearbeitbar zu machen und damit Konflikte zwischen unterschiedlichen Teilen der Union als Integrationsmechanismen zu funktionalisieren. So seien es zwar unterschiedliche Ansichten über die konkrete Ausgestaltung der föderalen Struktur gewesen, welche sowohl bei der amerikanischen Bundesstaatsgründung und auch bei der nachfolgenden Herausbildung des Parteiensystems Anlass zu Meinungsverschiedenheiten gegeben habe; allerdings habe dieser Konflikt auch seine ausgleichenden und integrierenden Effekte, da sowohl die Einzelstaaten als auch der Bundesstaat gegenseitig eifersüchtig über ihre Machtsphären wachten und damit Missbräuche, welche auf die individuellen Bürger zurückfallen könnten, unwahrscheinlich machten.109 Auch die entlang der föderalen Problematik sich herausbildende Parteienlandschaft sei der Freiheit der Amerikaner förderlich gewesen. Die anfänglichen Gegner der Bundesverfassung, die Antifederalists, mutierten nach der Ratifikation der Verfassung zu einer loyalen Opposition, argumentierte Scheffer, die als „contrepoids aux opinions des hommes exagérés du parti opposé, dont les idées de centralisation auraient pu n’être point sans danger“ fungierte: Le parti démocratique […] n’était plus opposé à la constitution fédérale, et se bornait à vouloir son exécution littérale au profit des libertés du peuple. La différence avec le parti fédéraliste consistait principalement dans la manière d’interpréter quelques articles du pacte social à l’avantage de l’autorité des états contre celle du congrès.110
108 Scheffer Charles-Arnold, Histoire des États-Unis septentrionale, S. 289. 109 Vgl. Scheffer Charles-Arnold, Histoire des États-Unis septentrionale, S. 243–246. 110 Scheffer Charles-Arnold, Histoire des États-Unis septentrionale, S. 221 & 243.
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Dieses Spiel der divergierenden politischen Ansichten über die adäquate Machtverteilung zwischen Bund und Einzelstaaten und über die Interpretation der Bundesverfassung erschien in Scheffers Narrativ als Kräfteparallelogramm, das die Stabilität der politischen Ordnung garantierte. Zum einen stellten die maßgeblich in den Reihen der republikanischen Partei zu findenden und auf die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten pochenden Erben der Antifederalists sicher, dass der Kongress seine Zuständigkeit auf jene Bereiche begrenzte, welche ihm in der Verfassung auch überantwortet wurden. Zum anderen förderte die politische Programmatik der Federalists die Herausbildung nationaler Interessenkonstellationen, welche quer zu einzelstaatlichen und sektionalen Interessen verliefen. Beide Parteien, die Federalists und die Republicans, leiteten ihre politischen Ansprüche aus einer spezifischen Interpretation der Bundesverfassung ab, die dadurch zum gemeinsamen Referenztext beider Kräfte avancierte und dadurch paradoxerweise eine integrierende politische Wirkung erzielte. Ganz ähnlich wie bei Lafayette lag auch Scheffers historischer Erzählung über die Vereinigten Staaten ein Deutungsmuster des kontinuierlichen konstitutionellen Fortschritts zugrunde, denn die Amerikaner hätten sich dem „perfectionnement de leur constitution“ verschrieben, ein Prozess der dank dem „système républicain et fédératif“ mit wachsenden Freiheitsgewinnen einher gehe.111 Diese Freiheitsgewinne wiederum interpretierte Scheffer nicht nur in Form der Garantie unveräußerbarer Rechte und Freiheiten des Individuums, also als das, was Benjamin Constant als „liberté des modernes“ bezeichnete, sondern auch als politische Partizipation der Bürger am Gemeinwesen, also als „liberté des anciens“. Hier folgte Scheffer wiederum Benjamin Constant, der in seiner berühmten Rede De la liberté des anciens comparée à celle des modernes gefordert hatte: „Loin […] de renoncer à aucune des deux espèces de libertés […], il faut […] apprendre à les combiner l’une avec l’autre.“112 Eine solche Kombination zwischen der „liberté des anciens“ und der „liberté des modernes“ machte Scheffer auch im politischen Denken Thomas Jeffersons aus, über den er 1826 einen Aufsatz für die Revue Américaine schrieb. Es sei mitunter auch Jeffersons Verdienst gewesen, so Scheffer, dass „les dix amendemens originaux qui mettent quelques restrictions à l’autorité du congrès, garantissent les droits fondamentaux des citoyens, et les pouvoirs que chaque état conserve dans sa propre administration“ in die Bundesverfassung aufgenommen wurden.113 Um das politische und konstitutionelle Denken Thomas Jeffersons auch in Europa stärker bekannt zu machen,
111 Scheffer Charles-Arnold, Histoire des États-Unis septentrionale, S. 214. 112 Constant Benjamin, De la liberté des anciens comparée à celle des modernes, S. 285. 113 [Scheffer Charles-Arnold], Notice sur Thomas Jefferson, S. 596.
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sollten Jeffersons „mémoires sur sa vie et une correspondance volumineuse avec les hommes les plus distingués de son époque“ publiziert werden, forderte Scheffer zum Abschluss seines Artikels.114 Genau dies geschah einige Jahre später und erneut ging die Initiative und die Umsetzung einer französischen Übersetzung dieser Texte Jeffersons aus den sozialen Netzwerken im Umfeld Lafayettes hervor.
7.5.2 Louis-Prosper Conseil und die „principes de l’école américaine“ Am 19. Januar 1834 berichtete John Stuart Mill den Lesern des Examiner über die Entwicklungen im intellektuellen und politischen Feld Frankreichs nach der JuliRevolution, wobei er insbesondere auf die Zeitung Le National zu sprechen kam, eine Zeitung, die von Charles-Arnold Scheffer, Armand Carrel und Louis-Prosper Conseil geleitet wurde. „M. Carrel is incontestably, and by the admission even of his political enemies, one of the first living ornaments of his country,“ rühmte Mill den ehemaligen Mitarbeiter von Lafayettes Revue Américaine, um in ähnlichem Ton die beiden anderen leitenden Köpfe jener Zeitung vorzustellen, deren Redaktion der Historiker Jeremy Jennings einmal als „unofficial headquarters of the opposition“ bezeichnet hat:115 M. Scheffer is known to those who have attended to the political history of the last twenty years in France by his able co-operation with MM. Comte and Dunoyer in the Censeur Européen, the first periodical work which, after the return of the Bourbons, again raised the standard of reflecting and philosophic liberalism. M. Conseil, known as the translator of Jefferson’s Correspondence, and the author of the able résumé of the principles of enlightened republicanism which stands prefixed to the translation, is a young lawyer of great acquirements as a jurist and economist, and versed to a degree extremely rare among Frenchmen, in the best English philosophy.116
Die Korrespondenz Jeffersons, auf welche Mill anspielte und welche Louis-Prosper Conseil übersetzt und herausgegeben hatte, war im Jahr zuvor unter dem Titel Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, précédés d’un essai sur les principes de l’école américaine et d’une traduction de la constitution des États-Unis in Paris erschienen. Obwohl sich nicht gänzlich klären lässt, wie Conseil dazu gekommen ist, diese
114 [Scheffer Charles-Arnold], Notice sur Thomas Jefferson, S. 602. 115 Jennings Jeremy, Nationalist Ideas in the Early Years of the July Monarchy, S. 498. Vgl. hierzu auch Mahieu Robert G., Les enquêteurs français aux États-Unis de 1830 à 1837, S. 36–37; Liggio Leonard P., Charles Dunoyer and French Classical Liberalism, S. 157–164. 116 Mill John Stuart, Newspaper Writings, S. 669.
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Texte Jeffersons zu übersetzen,117 sprechen doch die Verbindungen Lafayettes zu den Herausgebern des National und sein frühes Engagement für eine französische Übersetzung von Jeffersons Briefen dafür, dass er das Übersetzungsprojekt Conseils unterstützt, wenn nicht sogar angeregt und mitgetragen hat. Fest steht, dass Lafayette bereits gegenüber Charles-Arnold Scheffer seiner Meinung Ausdruck verliehen hat, dass man Jeffersons „étendue dans l’ésprit“, seine „sentiments républicains“ und seine Verwicklungen in die beiden atlantischen Revolutionen zu den „plus beaux sujets qui puisse être traité“ zählen müsse.118 Bereits 1826 ließ Lafayette zudem einen längeren, Jeffersons politische Ansichten anschaulich zusammenfassenden Brief an Major Cartwright in der Revue Américaine abdrucken119 und bemühte sich nach dem Tod Jeffersons um eine Herausgabe seiner Schriften in französischer Sprache. Noch bevor Thomas Jefferson Randolph 1829 die lange erwarteten vier Bände von Jeffersons Memoir, Correspondence, and Miscellanies im amerikanischen Original herausgab, hatte sich Lafayette schon um die Modalitäten einer französischen Ausgabe gekümmert.120 Als Louis-Prosper Conseil dann einige Jahre später seiner Übersetzung von Jeffersons Korrespondenz einen Essai sur les mémoires et la correspondance de Jefferson, considérés comme l’expression la plus complète et la plus pure des principes de l’école américaine voranstellte, gab er nicht nur eine Skizze von Jeffersons Aufenthalt im revolutionären Paris, sondern lieferte eine umfangreiche Abhandlung über das, was Mill dann gegenüber den Lesern des Examiner als die „principles of enlightened republicanism“ bezeichnete und was Alexis de Tocqueville 1848 „le document le plus précieux qu’on ait publié en France sur l’histoire et la législation des ÉtatsUnis“ nannte.121 Conseil begann seinen Essay mit einer interessanten begriffshistorischen Betrachtung: „Le nom de république, long-temps signalé dans notre pays comme
117 Der Verfasser hat weder in den archivalischen Beständen Lafayettes in der ANF noch in den gedruckten Quellen Dokumente gefunden, die eine direkte Bekanntschaft zwischen Conseil und Lafayette belegen. Aufgrund der rekonstruierten Kontexte und Beziehungsgeflechte ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass das Übersetzungsprojekt über Lafayette gelaufen ist. 118 Lafayette an Charles-Arnold Scheffer, 17. September 1826, in: Psichari Jean, Lettres inédites du Général de La Fayette, S. 662–663. 119 Vgl. Lettre de M. Jefferson au Major Cartwright, in: Revue Américaine, Tome 1, No. 4 (1826), S. 557–565. 120 Vgl. James Madison an Lafayette, 20. Februar 1828, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, III, S. 618. 121 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson. Die Ausführungen zu Jeffersons Aufenthalt in Paris befinden sich im Band I, S. 9–16; Mill John Stuart, Newspaper Writings, S. 669; Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique [1848], I, S. 307.
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le synonyme de l’anarchie et du désordre, ou, tout au moins, comme le symbole d’une impraticable utopie, a pris récemment un caractère plus sérieux et plus respectable.“ Mitverantwortlich für diesen semantischen Wandel des Republikbegriffs sei die in Frankreich lange vernachlässigte, in den letzten Jahren aber wieder intensivierte Beschäftigung mit der Republik der Neuen Welt, erklärte Conseil, denn, „de l’autre côté de l’Atlantique, une nation puissante offre, depuis cinquante ans, à l’étude et à l’imitation des hommes, l’exemple d’une république organisée comme à dessein pour fournir une réponse vivante à toutes les objections des détracteurs de cette forme de gouvernement.“122 Die Vereinigten Staaten widerlegten die von europäischen Kommentatoren artikulierten Kritikpunkte, dass ein republikanisches Ordnungssystem für einen Flächenstaat kaum geeignet sei. Dass die Republik den Erfordernissen der „civilisation moderne“ nicht Rechnung zu tragen vermöge, dass die Beteiligung einer breiten Bevölkerung am politischen Meinungsbildungsprozess zwangsläufig zu Chaos und Anarchie führen würde und damit letztlich jene Freiheit gefährdet werde, für deren Schutz und Ermöglichung sich republikanische Ordnungen so rühmten – all diese Einwände würden von der amerikanischen Republik ins Reich der Mythen verbannt, so Conseil. Dies habe zur Folge, dass der „sens qu’on doit attacher au mot de république“ zu revidieren sei und nichts sei dazu besser geeignet als „l’étude de la constitution fédérale“.123 Conseil erklärte die spezifische Entwicklung des föderalen Republikanismus in den Vereinigten Staaten neben historischen und geographischen Determinanten auch mit dem Einfluss, welcher das politische Denken der radikalen englischen Opposition (was in der Forschung heute mitunter als „Country-Ideology“ bezeichnet wird124) auf die amerikanischen Revolutionäre gehabt habe und welche eine grundlegende Skepsis gegenüber staatlicher Machtkonzentration zum Grundzug des amerikanischen Republikanismus gemacht habe.125 Die föderale Machttrennung zwischen Bund und Einzelstaaten, welche die Amerikaner als wichtiges „contrepoid“ ansahen, führte zwar dazu, dass die „intérêts spéciaux qui ne peuvent être convenablement administrés que sur les lieux, et par
122 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 1–2. 123 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 4. 124 Vgl. hierzu Banning Lance, Republican Ideology and the Triumph of the Constitution, 1789 to 1793, S. 178–179; Hutson James, Country, Court, and Constitution; Gibson Alan, Ancients, Moderns, and Americans, S. 288–291; Shalhope Robert E., The Roots of Democracy, S. 41–43. 125 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 37–38.
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des mandataires qu’elles-mêmes chargent de ce soin“ politisch repräsentiert und die Bürger zur Regelung ihrer lokalen und einzelstaatlichen Angelegenheiten angehalten werden. Anstatt es bei einer administrativen Dezentralisierung zu belassen, seien die Amerikaner aber so weit gegangen, eine föderale Souveränitätstrennung zwischen Einzelstaaten und Bund vorzunehmen, die Conseil scharf kritisierte: „Les États ont conservé la puissance législative sur tous les objets qui n’ont pas été spécialement confiés au congrès. Cette diversité de législation nous paraîtra toujours un mal dont il est difficile de trouver la compensation.“126 Anstatt ein Hindernis für die Konzentration von Macht darzustellen, wie Thomas Jefferson argumentierte, erblickte Conseil in der föderalen Machtteilung „une voie ouverte à l’aristocratie, qui, si elle parvenait à corrompre les législatures particulières d’un certain nombre d’États, pourrait s’infiltrer de là dans le congrès luimême, et exercer sur les délibérations et sur la constitution nationale l’influence la plus funeste.“127 Conseil sah vor dem Hintergrund der negativen Semantik, welche dem Föderalismus und dem Bikameralismus im republikanischen politischen Diskurs seit der Revolution anhaftete, in erster Linie die Gefahr eines „morcellement“, einer Zerstückelung politischer Herrschaftsräume. In der Institution des Senats erblickte er eine Perpetuierung aristokratischer Privilegien. Obwohl die zweite Kammer nicht in Form einer Erbaristokratie auftrat, politisiere sie doch im „intérêt des grands propriètaires“, korrumpiere damit das „intérêt commun“ und trage die Züge des englischen Modells.128 Diese Interpretation des amerikanischen Bikameralismus wurde von einem anderen Schüler Lafayettes später scharf kritisiert. Francisque de Corcelle meinte 1835, dass die Funktion des amerikanischen Bikameralismus darin bestehe, „[de] diviser la force législative, afin de ralentir son mouvement“, was sich in der bisherigen politischen Entwicklung Nordamerikas auch bewährt habe: „C’est donc par expérience, et non par une aveugle imitation du système anglais, ainsi que l’a prétendu M. Conseil, […] que les Américains ont adopté la division du pouvoir législatif, comme un axiome de leur science politique.“129 Demgegenüber war Conseil der Überzeugung, dass das Zweikammersystem und der Föderalismus die zwei größten „défauts de la constitution fédérale“
126 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 41. 127 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 41. 128 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 44 & 55–56. 129 Corcelle Francisque de, De la Démocratie Américaine, S. 746.
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darstellten, bemühte sich indessen, diese Bestandteile des amerikanischen Konstitutionalismus von der Demokratie zu unterscheiden. Föderalismus und Bikameralismus, argumentierte Conseil, „ne tiennent en aucune manière à la nature du gouvernement démocratique“. Die „faiblesse relative du gouvernement central“ seien weniger der Demokratie geschuldet, als dass sie auf die föderale Machtteilung zurückzuführen seien, jener „distribution originairement vicieuse“, welche die Amerikaner bisher davon abgehalten habe, „les principes républicains dans toute leur pureté“ zur Entfaltung zu bringen.130 Kurz: Conseil war nicht der Meinung, dass der Föderalismus und der darin zum Ausdruck gebrachte politische Wille zu einem „limited government“ in der Lage sei, „de résoudre le problème d’un gouvernement puissant pour le bien de tous, et impuissant contre les droits individuels.“131 Die Spannung zwischen dem von den Amerikanern postulierten Prinzip der Volkssouveränität und dem Konzept des „limited government“ war in Conseils Sichtweise also durch den Föderalismus und den damit geschaffenen konkurrierenden und sich gegenseitig begrenzenden Sphären der Gesetzgebung nicht aufzulösen, denn dies führe letztlich nur zu einer Schwächung der politischen Handlungsfähigkeit. „Ce n’est donc pas dans l’affaiblissement du gouvernement central qu’il faut chercher le salut de la république. […] C’est en distribuant convenablement les attributs de ce pouvoir.“132 Neben dem Schutz der fundamentalen Rechte und dem Prinzip der Gewaltenteilung gehörte für Conseil zu einer solchen adäquaten Machtverteilung auch die Forderung nach einer administrativen Dezentralisierung. Hier, nicht im Anspruch einer Föderalisierung, seien auch die Lehren für Frankreich zu ziehen, meinte Conseil, und griff mit dieser Forderung in eine Debatte über das Erbe des monarchischen und revolutionären Zentralismus ein, welche im postrevolutionären Frankreich quer durch die politischen Milieus geführt wurde.133 Das französische Volk sei aufgrund seiner Geschichte „l’ensemble le plus homogène dont l’histoire des hommes nous offre l’exemple“ und deshalb könne die „forme de
130 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 113–114. 131 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 42. Vgl. zu dieser Problematik auch Dippel Horst, Die Probleme des „Limited Government“. 132 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 42. 133 Vgl. Dijn Annelien de, The Intellectual Origins of Tocqueville’s L’Ancien Régime et la Révolution.
7.5 Transkultureller Radikalismus
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son gouvernement“ nur „une et indivisible“ sein.134 „On peut donc se rassurer sur les craintes de morcellement et de fédération,“ beschwichtigte Conseil die Befürchtungen manche seiner Zeitgenossen, welche den politischen Anspruch nach einer administrativen Dezentralisierung, gleich mit fédéralisme und damit mit einem Auseinanderbrechen der Nation verbanden. Les départements ne réclament pas les droits de souveraineté que se sont réservés les États du Nord de l’Amérique. Ce qu’ils demandent, c’est de pouvoir administrer leurs intérêts locaux, sans les soumettre au contrôle inutile et vexatoire de prétendus tuteurs qui ne peuvent ni les connaître, ni les comprendre.135
Deutlich wird an dieser Argumentation Conseils, wie stark seine Interpretation des Föderalismus noch ganz im Schatten jenes wirkungsmächtigen Deutungsmusters lag, das sich im Sommer 1793, zu Beginn der revolutionären Gestaltungsmacht der Jakobiner, ausgebildet hatte und den Begriff fédéralisme im französischen republikanischen Diskurs für längere Zeit mit einer konterrevolutionären und antirepublikanischen Semantik versehen hatte.136 Der Begriff fédéralisme trug noch immer die Bedeutungsschicht eines Angriffs auf die eine und unteilbare Republik mit sich, er war noch immer mit Ängsten eines Auseinanderbrechens von Herrschaftsräumen konnotiert, die normativ als ein und unteilbar definiert wurden, mit ihm verband sich noch immer der Verdacht des Privilegs und des aristokratischen Geistes. Auch dies war eine semantische Pfadabhängigkeit dessen, was Patrice Higonnet einmal, die „politics of linguistic terror during the French Revolution“ genannt hat.137 Nur der Anspruch nach einer administrativen Dezentralisierung Frankreichs war für Conseil letztlich „sagbar“. Aus dieser Forderung konnte allenfalls noch politisches Kapital geschlagen werden, oder, wie Conseil es selbst ausdrückte, nur eine solche administrative Dezentralisierung demonstriere „la compatibilité des vœux généralement exprimés par les départemens, avec l’unité et l’indivisibilité de la France.“138
134 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 43–44. Hervorhebungen im Original. 135 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 43–44. 136 Vgl. Forrest Alan, Federalism, S. 309; Ozouf Mona, Föderalismus; Beaud Olivier, Fédéralisme et fédération en France. 137 Higonnet Patrice, The Politics of Linguistic Terrorism and Grammatical Hegemony during the French Revolution, S. 57. 138 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson, I, S. 47.
228 7.5.3
7 Lafayette, die „école américaine“
James Fazy und die „confédération à l’américaine“
Dieser Wunsch nach einer Vermittlung zwischen der Autonomie von partikularen politischen Handlungseinheiten und der Einheit einer übergeordneten assoziierten politischen Handlungseinheit, zwischen der Anerkennung von politischkultureller Differenz und staatsbürgerlicher Einheit und Gleichheit lag auch der politischen Sprache des Genfer Journalisten James Fazy zugrunde. Ähnlich wie seine beiden französischen Kollegen schaute auch er unter dem Einfluss Lafayettes über den Atlantik, um in den konstitutionellen Prinzipien des amerikanischen Bundesstaates Inspirationen für die Reform der politischen Gemeinwesen Europas zu finden. Denn Fazy war nicht nur ein schweizerischer Radikaler, sondern eigentlich ein europäischer, „n’envisageant le tromphe des idées radicales à Genève et en Suisse qu’en fonction d’une victoire à l’échelon européen.“139 Ähnlich wie bei Charles-Arnold Scheffer ging auch Fazys Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus eine intensive Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und ihrer Bedeutung für die postrevolutionären Gesellschaften Europas voraus. Fazy deutete die Französische Revolution zwar als „grande œuvre régénératrice“,140 glaubte aber auch, dass sich die Revolutionäre von 1789 in Sachen „science politique“ aufgrund der politischen und kulturellen Pfadabhängigkeiten des Ancien Régimes noch in einem „état d’enfance“ befunden hätten.141 In seiner Beschäftigung mit der Französischen Revolution, die er 1821 in einem Essay mit dem Titel Observation sur la Révolution Française publizierte, kritisierte Fazy die von vielen französischen Revolutionären geteilte Meinung, „qu’une assemblée délibérante unique puisse […] déterminer la volonté du peuple.“142 „[E]n donnant tout le pouvoir à l’assemblée législative,“ hätten die Revolutionäre „une faute énorme“ begangen und eines der wichtigsten Prinzipien jeder freiheitlichen Ordnung ignoriert, nämlich „la séparation et la définition exacte des pouvoirs“.143 Die Entwicklungsgeschichte der Französischen Revolution bot Fazy also Anschauungsmaterial für die destruktiven Konsequenzen einer republikanischen Ordnung, die in Tyrannei umschlug, weil die Machtkonzentration in der Legislative und die fehlende gegenseitige Kontrolle der Gewalten die Rechte der Individuen und der Minderheiten nicht zu schützen vermochte. „[L]es
139 Vgl. hierzu Lescaze Bernard, Fazy et Druey, S. 146; Hermann Irène, James Fazy face à la Confédération. 140 Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 22. 141 Fazy James, Observation sur la Révolution française, S. 76. 142 Fazy James, Observation sur la Révolution française, S. 78. 143 Fazy James, Observation sur la Révolution française, S. 79 & 87.
7.5 Transkultureller Radikalismus
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idées de républicanisme étaient mal comprises“, urteilte Fazy über die Revolutionäre von 1789 und deshalb sei die Revolutionsperiode insgesamt als „une époque de transition et non pas de gouvernement républicain régulier“ zu betrachten.144 Zur Zeit als Fazy sich mit diesen Fragen nach dem Erbe der Französischen Revolution auseinandersetzte, verstrickte er sich zunehmend in die Bewegung der Carbonari und bildete zusammen mit seinem Bruder Jean-Louis Fazy in Genf eine der „chaînons qui liaient ensemble le libéralisme italien et français“.145 Fazy unterhielt zahlreiche Verbindungen zu radikalen und liberalen Kreisen im benachbarten Ausland und in der Deutschschweiz, war Mitglied in der Freimaurerloge Des Amis Sincères, deren Sekretär Filippo Buonarroti war,146 verkehrte mit Vitale Albera und mit dem deutschen Historiker Heinrich Elsner, der sich mit der Geschichte der amerikanischen Revolution beschäftigte und François-Auguste Mignets Histoire de la Révolution Française ins Deutsche übertrug.147 In diesen Zusammenhang fällt auch der Beginn von Fazys Freundschaft mit Lafayette, der, wie sich Fazy später erinnerte, viel zu seiner „éducation politique“ beitrug und ihn durch „lumineuses leçons“ in den „merveilleux mécanisme des institutions américaines“ einführte.148 „C’est aux États-Unis qu’il faut aller pour voir ce que c’est la liberté pratique“, riet Lafayettes Sohn George Washington Lafayette seinem Carbonari-Genossen Fazy, als er von einer Amerikareise zurückkehrte, die er 1824/25 zusammen mit seinem Vater unternommen hatte.149 Und auch Lafayette meinte im Frühjahr 1826 in einem Brief an Fazy: Je ne doutais pas […] de l’intérêt que vous prendriez à mon heureux voyage américain. Le résultat des institutions vraiment républicaines s’y montrait à chaque pas de la manière la
144 Fazy James, Observation sur la Révolution française, S. 80; Fazy James, De la nécessité de l’établissement de la République en France [1830], S. 1–2. 145 Vgl. Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 30. Zu Jean-Louis Fazys Beziehungen zu italienischen und französischen Radikalen, vgl. Vuilleumier Marc, Buonarotti et les Sociétés Secrètes à Genève; Billington James H., Fire in the Minds of Men, S. 196–202. 146 Vgl. hierzu Fazys von Buonarroti unterzeichnetes Freimaurerdiplom in: SLA, Fonds Weideli, D-7-a: Documents provenant de la famille Fazy, D-7-a/16, Boîte No. 125, und Vuilleumier Marc, Buonarotti et les Sociétés Secrètes à Genève. 147 Vgl. die Briefe von Vitale Albera an James Fazy, in: BGE, Fondation Fazy, Corr. 1 30–37; Wilhelm Snell an James Fazy, 14. August 1838, in: BGE, Fondation Fazy, Corr. 8 37, über den Besuch von Elsner. Vgl. auch Elsner Heinrich, Befreiungskampf der nordamerikanischen Staaten; Mignet François-Auguste, Geschichte der Französischen Revolution. 148 Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 28. 149 George Washington Lafayette an James Fazy, 20. Februar 1826, in: BGE, Fondation Fazy, Corr. 5 75–76. Zu Lafayettes Amerikareise vgl. den Bericht von Levasseur Auguste, Lafayette en Amérique en 1824 et 1825; Weil François, „L’hôte de la Nation“; Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 185–226.
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plus satisfaisante et la plus irrécusable. J’espère bien profiter de vos voyages à Paris, et vous n’oubliez pas que Lagrange est sur votre route.150
La Grange war in der Tat auf Fazys Reiseplan, wenn er zwischen Genf und Paris hin und her reiste, und die Frage, inwiefern die republikanisch-föderalen Institutionen der Vereinigten Staaten Antworten auf die politischen Herausforderungen Frankreichs und der Schweiz zu geben vermochten, schien bei diesen Treffen eine der meist diskutierten gewesen zu sein. An eine solche Diskussion mit Lafayette erinnerte sich Fazy in seinen Memoiren: C’était un cours complet sur la matière dans les plus grands détails, et si un sténographe eût été là pour recueillir ce que disait le général, l’ouvrage que publia plus tard M. de Tocqueville aurait été inutile, car tout ce que celui-ci a dit plus tard y était dit, seulement, de la part de Lafayette, à un point de vue plus élevé et avec un sincère républicanisme.151
Diese Lektionen Lafayettes hatten Fazys Blick für die vergleichbaren Ausgangssituationen geschärft, vor welchen die Vereinigten Staaten vor 1787 und die Schweiz seiner Gegenwart standen. Seine Bestrebungen, die Schweiz in eine „Confédération à l’américaine“ zu verwandeln, wurden allerdings in den 1820er Jahren von seinen Genfer Bekannten im Umfeld von Pellegrino Rossi und Etienne Dumont als wenig realistisch eingeschätzt.152 Als in der Schweiz im Zuge der kantonalen Revolutionen von 1830/31 indessen die Reform des Bundesvertrages von 1815 in den Raum der politisch Möglichen rückte, publizierte Fazy in seinen Zeitungen Le Journal de Genève und L’Europe Centrale regelmäßig Artikel über die Vorzüge der amerikanischen Föderativrepublik und über den Nutzen, der diese für die Reform der schweizerischen Eidgenossenschaft haben könnte.153 1833 veröffentlichte er zudem ein Projet de Constitution Fédérale, welches das „modèle des Etats-Unis d’Amérique“ als die einzige Verfassung beschrieb, welche der schweizerischen Problematik gewachsen sei.154 Zudem wirkte er gleichzeitig im Nationalverein, wo
150 Lafayette an James Fazy, 4. März 1826, in: BGE, Fondation Fazy, Corr. 5 80. 151 Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, 28; vgl. hierzu auch Fazy Henri, James Fazy, S. 17– 18. 152 Vgl. Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 29. 153 Vgl. bspw. Le Journal de Genève, 15. September 1831; L’Europe Centrale, 19. Februar 1835, 12. Mai 1836, 17. Mai 1836. 154 Fazy James, Projet de Constitution Fédérale, S. 4. Dieser Text baut auf einem Artikel auf, welcher Fazy bereits 1831 im Journal de Genève veröffentlicht hatte, vgl. [Fazy James], Révision du Pacte Fédéral, in: Journal de Genève, 15. September 1831, und formulierte auf der Grundlage dieser Überlegungen einen Verfassungsvorschlag, der in weiten Zügen der nordamerikanischen Verfassung von 1787 nachgebildet war.
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er mit Henri Druey, Wilhelm Snell, Thomas Bornhauser, Karl Kasthofer und Ignaz Paul Vital Troxler in Kontakt kam, und mit welchen er (abgesehen von den skeptischeren Einschätzungen Henri Drueys und Wilhelm Snells155) die Begeisterung für die amerikanische Föderativrepublik teilte.156 In seinen Zeitungen diskutierte Fazy auch immer wieder Ideen und Schriften seiner deutschsprachigen Mitstreiter, so etwa von Troxler, dessen Argumente für einen „état fédératif où le principe cantonal se trouve combiné avec le principe fédéral“ er den Lesern des Journal de Genève näher brachte.157 James Fazy sah vor dem Hintergrund der schweizerischen Konfliktgeschichte seit der Französischen Revolution in der föderalen Erfahrung der amerikanischen Union ein politisches Deutungswissen schlummern, das ihm für die seit 1830 in der Öffentlichkeit intensiv thematisierte schweizerische Bundesreform von unschätzbarem Wert schien. „Il faut à la Suisse un gouvernement central, qui rompe toutes les entraves par la conviction, qui fasse naître une évidence incontestable sur les matières d’intérêt général“, forderte Fazy Mitte September 1831 im Journal de Genève und bot auch gleich einen Vorschlag an, wie dies unter schweizerischen Bedingungen einzulösen sei: „Le mode fédérale des Etats-Unis d’Amérique est le seul qui remplisse ces conditions.“158 Fazys Beschäftigung mit dem politischen System der Vereinigten Staaten fand vor einem doppelten Erfahrungshintergrund statt: zum einen vor dem Erfahrungshintergrund einer intensiven Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, deren Versprechen und praktische Unzulänglichkeiten er gegeneinander abwog; zum anderen vor dem Hintergrund der politischen Herausforderungen der Schweiz nach 1815, die seiner Meinung nach „une théorie plus hardie pour serrer le faisceau des 22 cantons“ unumgänglich machten.159 Beide Reflexionsstränge verwickelten sich in seiner Analyse des föderalen amerikani-
155 Vgl. Henri Druey an Ignaz Paul Vital Troxler, 14. Juli 1834, in: Druey Henri, Correspondance, I, S. 253: „Sans doute j’aurais préféré une Chambre à deux, parce que la Chambre des Etats sera, comme tous les sénats de ce genre, un nid d’aristocratie, comme par exemple aux Etats-Unis d’Amérique; c’est un dualisme qui porte un germe de désorganisation.“ Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu auch Lescaze Bernard, Fazy et Druey, S. 141 & 146. 156 Vgl. Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 70. Vgl. zu diesen Verbindungen auch Lescaze Bernard, Fazy et Druey. 157 Journal de Genève, 2. November 1833, 382. Verweise auf Kasthofer finden sich in L’Europe Centrale, 26. Januar 1834, auf Zschokke in L’Europe Centrale, 16. Dezember 1934, auf Bornhauser in L’Europe Centrale, 2. April 1835. Vgl. auch die Berichterstattung über die Jahrestagung des Nationalvereins in: L’Europe Centrale, 13. Februar 1836. 158 [Fazy James], Révision du Pacte Fédéral. 159 [Fazy James], Révision du Pacte Fédéral.
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schen Republikanismus. Zwar verstand Fazy, dass die Revolutionäre von 1789 gegenüber einer Teilung der Legislative in zwei Kammern skeptisch waren, da dies gemeinhin mit den „idées constitutionelles à l’anglaise“ verbunden wurde und damit im Geruch einer aristokratischen Überformung gestanden habe, die zu überwinden die Revolutionäre ja gerade angetreten waren. Allerdings hatten die französischen Revolutionäre unter anderem auch damit eine „omnipotence“ errichtet, die in einer Republik allemal den Keim des Verderbens berge – auch wenn sie in der Legislative angesiedelt ist: „On ne savait pas qu’un corps muni de tous les pouvoirs est souvent plus despote qu’un seul homme.“160 Ohne eine institutionelle Teilung und Begrenzung jener Macht, welche in jeder Republik letztlich vom Volk alleine ausgeht, werde jene Gefahr manifest, welche latent alle demokratisch-republikanischen Ordnungen bedrohe, und für welche die Französische Revolution ein anschauliches Beispiel gäbe, nämlich „qu’elle [la république] détruisait en réalité les principes qu’elle s’efforçait d’établir“.161 Ebenfalls forderte Fazy eine Emanzipation von den Vorstellungen des klassischen Republikanismus, die mit den politischen und sozioökonomischen Bedingungen der postrevolutionären Gesellschaften Europas nicht mehr in Einklang zu bringen seien – eine Überzeugung, die sich insbesondere durch seine Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie Adam Smiths und Jean-Baptiste Says festigte.162 Es sei gerade das Festhalten an der „vertu républicaine, à la spartiate et à la romaine“ gewesen, welche während der Revolution alle „intérêts particuliers“ unter ein „prétendu intérêt général, mal examiné et mal interprété“ geworfen habe und als ein „tort moral et matériel“ zu betrachten sei.163 Die Revolutionäre von 1789 mit ihrer Begeisterung für die „études classiques“ glaubten mit der Einforderung von republikanischer Tugend die Korruption der Monarchie zu bekämpfen und hätten dabei übersehen, „qu’une vertu mal entendue est aussi nuisible à l’espèce que la plus sale corruption.“164 Gegenüber diesen Schwächen und Fehlentwicklungen der Französischen Revolution, erblickte Fazy in der föderal-republikanischen Ordnung der Verei-
160 Fazy James, De la nécessité de l’établissement de la République en France [1830], S. 7–9. 161 Fazy James, De la nécessité de l’établissement de la République en France [1830], S. 10. 162 Vgl. Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 45. Vgl. hierzu auch Whatmore Richard, Republicanism and the French Revolution; Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 18–50. 163 Fazy James, De la nécessité de l’établissement de la République en France [1830], S. 29. 164 Fazy James, De la nécessité de l’établissement de la République en France [1830], S. 30. Zu den Radikalisierungsprozessen klassisch-republikanischer Deitungsfiguren in der Französischen Revolution vgl. Baker Keith Michael, Transformations of Classical Republicanism in Eighteenth-Century France.
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nigten Staaten ein politisches System, welches in seinen Augen nicht nur eine angemessene Antwort auf den historisch bedingten föderalen Konflikt in der Schweiz zu antizipieren schien, sondern auch prinzipielle Heilmittel gegen jene Gefahren lieferte, welche Republiken in Tyranneien zu verwandeln drohten. Bei Fazy gingen die Erneuerung des Föderalismus in Form einer bundesstaatlichen Lösung und die Erneuerung des Republikanismus in Form einer Bevorzugung institutioneller Machtteilungen und -begrenzungen gegenüber der klassischen Einforderung von martialischen Bürgertugenden eine Synthese ein, welche den historisch gewachsenen Strukturen der schweizerischen Eidgenossenschaft ebenso Rechnung tragen sollte, wie den universalistischen Idealen der Amerikanischen und Französischen Revolutionen. Letztere sah Fazy in erster Linie in den Grundrechten verkörpert, welche jedem politischen Willensbildungsprozess entzogen sein müssen, wie dies auch sein Mentor Lafayette gefordert hatte und wie sie in den Amendments der amerikanischen Bundesverfassung garantiert wurden. Die repräsentativ-demokratischen und föderalen Institutionen der Vereinigten Staaten wiederum führten durch ihre vertikale und horizontale Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sowie zwischen Einzelstaaten und Bundesstaat zu einer Machtteilung und -dispersion, die ähnliche Usurpationen, wie jene, die im Zuge der Französischen Revolution zu beobachten waren, zumindest unwahrscheinlich machten. Was indessen im schweizerischen Kontext der 1830er Jahre wohl am meisten politische Überzeugungsarbeit forderte, war der Nachweis, dass eine bundesstaatliche Reform des schweizerischen Staatenbundes nicht die Souveränitätsrechte und damit auch die politischen Gestaltungsspielräume der Kantone über Gebühr einschränkte.165 Wiederholt verwies Fazy auch vor diesem Hintergrund auf die Gefahren einer „vaste centralisation gouvernementale“, welche ein Erbe der „gouvernements absolus“ darstelle und welche auch die Französische Revolution von ihrer „route naturelle“ abkommen ließ: Solche Machtakkumulationen „n’étaient point applicables à un état libre“, gab Fazy zu bedenken, „ils s’étaient établis en dehors des renseignements exacts, des faits réels et des rapports véritables entre les citoyens, sans discussion et sans contrôle.“166 Auch hinsichtlich der politischen Herausforderungen der Schweiz könne es nicht darum gehen, „de créer en Suisse un Gouvernement central, violent et dominateur,“ schrieb Fazy 1831 beschwichtigend in seinen Vorschlägen zur Bundesreform,
165 Vgl. Suter Andreas, Direkte Demokratie – historische Reflexionen zur aktuellen Debatte, S. 248. 166 Fazy James, De la nécessité de l’établissement de la République en France [1830], S. 23.
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il ne s’agit que de former une intelligence nationale, que de créer un instrument moral, qui recueille et reflète notre existence telle qu’elle est, qui, sans nous fatiguer, sans détruire aucun intérêt, emploie avec prévoyance tous nos moyens collectifs, et sache s’en servir sans perte de temps à l’instant qu’ils deviennent nécessaires.167
Eine föderale Machtteilung zwischen der neu zu errichtenden Bundesregierung und den Kantonen nach dem Vorbild der konstitutionellen Grundsätze der Vereinigten Staaten sowie ein ebenfalls nach diesem Muster gebildetes Zweikammersystem stellten für Fazy die nötigen institutionellen Vorkehrungen dar, um den historisch gewachsenen politischen Strukturen der Schweiz Rechnung zu tragen und gleichzeitig eine Reform dieses politischen Gemeinwesens auf der Basis der Volkssouveränität und republikanischer Grundsätze anzustreben. So machte Fazy in seinem Projet de Constitution Fédérale mehrere Anleihen bei der amerikanischen Bundesverfassung, rezipierte die Idee einer Souveränitätsteilung zwischen Kantonen und Bund und erklärte in deutlicher Anlehnung an das zehnte Amendment: „Les cantons sont souverains chez eux dans tout ce qui concerne la législation et administration intérieure de chaque canton. Comme souverains, il leur est permis de faire, dans les limites constitutionelles qu’ils se sont posées euxmêmes, tout ce qui n’est pas expressément défendu par les lois fédérales.“168 Auch das, was Gordon Wood für den amerikanischen Fall eine „Redefinition of Bicameralism“ nannte, nämlich die Idee, dass zwei Kammern nicht mehr verschiedene soziale Gruppen („the few and the many“) oder Stände repräsentierten, sondern auf der Grundlage von Volkssouveränität und Rechtsgleichheit „simply another means of restraining and seperating political power“ war, wurde von Fazy übernommen.169 „[U]ne représentation du peuple d’une fédération à côté de celle des états qui composent cette fédération n’est point aussi menaçante pour les droits et les intérêts des états qu’on voudrait de le persuader“, argumentierte Fazy. Auch werde die zweite Kammer damit nicht „un nid d’aristocratie“, wie Fazys radikaler Mitstreiter Henri Druey befürchtete.170 Beide Kammern würden schließlich durch das Volk gewählt und fungierten deshalb schlicht als Mechanismus, um die Interessen der Kantone mit jenen des gesamten schweizerischen Volkes zu vermitteln. Die politische Sprache des Föderalismus zielte bei Fazy dementsprechend auf eine republikanische Ordnung, welche beides verband: Volkssouveränität
167 [Fazy James], Révison du Pacte Fédéral, in: Journal de Genève, 15. September 1831. In gleichem Wortlaut auch in: Fazy James, Projet de Constitution Fédérale, S. 9. 168 Fazy James, Projet de Constitution Fédérale, S. 11. 169 Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 553 & 559. 170 L’Europe Centrale, 12. Mai 1836; Henri Druey an Ignaz Paul Vital Troxler, 14. Juli 1834, in: Druey Henri, Correspondance, I, S. 253.
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und eine föderale Struktur, die der Heterogenität und den unterschiedlichen Interessen des Volkes Rechnung trägt sowie Minderheiten gegen potenzielle Angriffe der Mehrheiten zu schützen vermag. Der Föderalismus war für Fazy nicht nur ein Zugeständnis an die historisch gewachsenen Strukturen der Schweiz, das gemacht werden musste, um aus der Schweiz einen Nationalstaat zu machen. Der Föderalismus war in Fazys Verständnis aufs Engste verbunden mit den republikanischen Versprechen nach demokratischer Partizipation und der Kontrolle der Regierungen durch das Volk, mit der Teilung und Begrenzung von politischer Macht und mit der Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen in komplexen, kulturell vielfältigen und arbeitsteiligen Gesellschaften. Die republikanischen Prinzipien der atlantischen Revolutionen und deren Weiterentwicklung unter den sich rasant verändernden politischen und sozioökonomischen Bedingungen des postrevolutionären Europas sah er dementsprechend besser in einer föderalen und nicht in einer unitarischen Republik aufgehoben.171 *** [A]s there cannot be twice such a diabolical combination that did formerly unite against french emancipation and as I hope, the United States shall ever hold out the exemplary light house of unalloy’d Republicanism, I believe this must ultimately become the general system of Europe which in universal and zealous diffusion of information must more and more consolidate.
So kündigte Lafayette in einem Brief an Edward Everett, der Bostoner Intellektuelle und Herausgeber der North American Review, im Sommer 1826 seine Zukunftsaussichten für den europäischen Kontinent an. Lafayette selbst hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einiges dafür getan, dass die Prinzipien des amerikanischen Republikanismus in Europa bekannt gemacht wurden und – so zumindest die Hoffnung Lafayettes – dafür sorgten, dass sich die politische Entwicklung Europas in „a more rational and less disastrous manner“ vollzog, „than what has taken place on the first experiment.“ In dem Maße, wie sich die Blicke europäischer Republikaner auf die konstitutionellen Prinzipien der Vereinigten Staaten richteten, verpflichte dies auch die Amerikaner dazu, diese Prinzipien zu kon-
171 Es ist in dieser Hinsicht erwähnenswert, dass Fazy sich als Republikaner bezeichnete und gleichzeitig als Anhänger der „écoles de Smith et de J.-B. Say“ zu erkennen gab, vgl. Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 45. Fazy ist somit ein gutes Beispiel für die von Andreas Kalyvas und Ira Katznelson vertretene These, dass der moderne Liberalismus aus den „attempts to adapt republicanism to the political, economic, and social revolutions of the eighteenth century and the first decades of the nineteenth“ hervor gegangen sei, vgl. Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 10–12.
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solidieren und auf deren Grundlage „a more perfect Union“ zu bilden, wie es die Präambel der Verfassung ankündigte. „Sovereignty of the People, their selfgovernment, recourse to them in every case, election by them in every exercise of power, freedom of Religion, of Speech, action, and publication, militia system, State Rights, federal Union, frequent change of Magistrates, are principles unanimously admitted,“ erklärte Lafayette, und selbst wenn der föderale Konflikt zwischen States’ Rights-Vertretern und Nationalists die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten manchmal spalte, werden radikalen Positionen doch immer wieder die Grenzen aufgezeigt: So among the most strenuous defenders of State Rights there is no one who would not shudder at the idea of a dissolution of the federal bond of Union, while no one on the other side could think of the consolidation of the people of the U. S. into the unworthy mass of a une et indivisible Commonwealth.172
Auf seiner in den beiden Jahren zuvor absolvierten Reise durch die Vereinigten Staaten hatte Lafayette kaum eine Gelegenheit verpasst, um die Amerikaner von der Wichtigkeit ihrer „union constitutionnelle entre les différens états de la confédération“ zu überzeugen, „union si nécessaire, non seulement aux états qui la composent, mais au bien-être de l’humanité entière.“173 Obwohl Lafayette mit seinem Fortschrittsoptimismus und seinen harmonisierenden politischen Deutungen manchen seiner Zeitgenossen (und manchen Historikern174) als naiver und unkritischer Beobachter der amerikanischen Zustände erschien, war Lafayette nicht blind für die vielfältigen Konfliktlinien innerhalb der politischen Kultur Amerikas. In seiner privaten Korrespondenz mit amerikanischen Freunden sprach Lafayette mitunter offen über seine Befürchtungen vor dem Zerfall der amerikanischen Union und über seinen Ekel angesichts der Perpetuierung der Sklaverei in den Staaten des amerikanischen Südens. „It is painful“ schrieb er an Albert Gallatin 1833, „to see a great number of slaves in the last cradle of the Rights of Man.“ Lafayette sah in der Verknüpfung zwischen der Sklaverei und dem Föderalismus der States’ Rights den eigentlichen Grund für die Verschärfung der zentrifugalen Kräfte in den Vereinigten Staaten und für die vorläufige Eskalation des sektionalen Konflikts in der Nullification-Krise. Gegenüber Gallatin versicherte Lafayette zwar seine „devotion to the principle of federal union“, verschwieg indessen
172 Lafayette an Edward Everett, 23. Juli 1826, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 2 0714. Hervorhebungen im Original. 173 Levasseur Auguste, Lafayette en Amérique en 1824 et 1825, II, S. 372. Weitere Beispiele II, S. 76 & II, S. 389. Hervorhebungen im Original. 174 Vgl. hierzu Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 31.
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auch nicht, dass die politischen Theoretiker des sklavenhaltenden Südens genau dieses Prinzip für die Aufrechterhaltung der Sklaverei missbrauchten.175 In seiner politischen Wertepyramide standen die „Rights of Man“ allemal höher als „the principle of federal union“ – zumal wenn letzteres zur Verletzung der ersteren missbraucht wurde. Trotz dieser kritischen Gesichtspunkte verwies Lafayette in der Regel auf den „exalted place of the people of the U. S. at the head of political civilization“. „By them the signal has been given; their Revolution has been unsullied“, erklärte er gegenüber Edward Everett sein Engagement, die konstitutionellen Prinzipien der amerikanischen Föderativrepublik unter seinen europäischen Zeitgenossen zu propagieren. „Their theories, their practice, their institutions, and their Confederate Constitution, the more you look every where else, the greater admiration they command.“176 Zweifellos war Lafayette einer der wirkmächtigsten Vermittler von politischen Texten, Ideen und konstitutionellen Prinzipien aus den Vereinigten Staaten nach Europa im auslaufenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Sein weitreichendes und vielgliedriges Bekanntennetzwerk schuf günstige Bedingungen für die Zirkulation von Deutungswissen über die amerikanische Republik und erlaubte die Herausbildung einer Diskursgemeinschaft, in welcher die Auseinandersetzung mit der Neuen Welt kreative Deutungen der politischen Herausforderungen für den alten Kontinent antrieb. Die dadurch angeregte Rezeption politischer Konzepte aus den Vereinigten Staaten schrieb sich aber gleichzeitig in unterschiedliche Diskurstraditionen ein, was ihre Semantik und damit auch ihre politischen Gestaltungsansprüche in den Rezeptionskontexten veränderte. Fanny Wrights fast schon utopische Züge annehmende Schilderung der politischen Kultur Nordamerikas muss in den Kontext der ausgesprochen kritischen englischen Amerikaliteratur gestellt werden, die insbesondere nach dem Krieg von 1812–1815 die öffentliche Meinung über Amerika in Europa beeinflusste.177 Das Buch war über weite Strecken eine Verteidigung Amerikas gegenüber den zahlreichen englischen Amerikabücher, die Edward Everett einmal zusammenfassend als „gossipping trash“ bezeichnet hat, und lässt sich folglich als europäisches Pendant zu Robert Walshs An Appeal From the Judgments of Great Britain Respecting the United States of America sehen.178 Dank den Übersetzungen des Buches
175 Lafayette an Albert Gallatin, 28. Juni 1833, in: SNB, The Papers of Albert Gallatin, Microfilm Edition, 41 120–121. 176 Lafayette an Edward Everett, 23. Juli 1826, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 2 0714. 177 Vgl. hierzu Curti Merle E., The Reputation of America Overseas (1776–1860), S. 65–68. 178 [Everett Edward], De Beaumont and de Tocqueville on the Penitentiary System, S. 137. Zu Walshs Buch vgl. Eaton Joseph, From Anglophile to Nationalist.
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erschlossen sich den darin enthaltenen Schilderungen der republikanischen und föderalen Institutionen Nordamerikas indessen auch neue Kontexte, in welchen die von Wright geschilderten konstitutionellen Prinzipien eine Anschauungskraft erhielten, die weit über die intendierten Zurückweisungen englischer Polemiken hinaus ging. Gerade in der Schweiz, im Umfeld Dumonts und Sismondis in Genf und bei Heinrich Zschokke in Aarau, trafen Lafayettes und Wrights Bemühungen nicht zuletzt deshalb auf Resonanz, weil sich in der Schweiz die Beschäftigung mit dem amerikanischen Bundesstaat in reformorientierten Kreisen auszubreiten begann, wie dies schließlich auch in James Fazys publizistischen Projekten zum Ausdruck kam. Anders gestaltete sich die Situation in Frankreich, wo der amerikanische Bikameralismus und das damit zum Ausdruck gebrachte System der Checks and Balances weder in den Debatten in der Frühphase der Französischen Revolution an Wirkungsmacht gewinnen, noch in den frühen 1830er Jahren dem amerikanischen Experiment gegenüber eigentlich aufgeschlossene Intellektuelle wie Louis-Prosper Conseil wirklich zu überzeugen vermochte. Zu tief hatte sich hier die Föderalismuskritik der Großen Revolution in die politische Sprache eingeschliffen, als dass man den föderalen Republikanismus Nordamerikas anders als ein Produkt eigentümlicher historischer Bedingungen hätte deuten können, wodurch man ihm die Relevanz für republikanische Theoriebildung weitgehend absprach. Die theoretischen und damit allenfalls auch übertragbaren Funktionen des Föderalismus verschwanden bei Conseil und in etwas weniger ausgeprägter Form auch bei Scheffer hinter den Kontingenzen der amerikanischen Geschichte und waren mithin nur im Diskurs der administrativen Dezentralisierung adressierbar. Was indessen trotz diesen unterschiedlichen Deutungen des amerikanischen Föderalismus in den Schriften dieser Intellektuellen auffällt, ist deren Bestreben, republikanische Konzepte vor dem Hintergrund ihrer in der Französischen Revolution manifest gewordenen Schwächen und Unzulänglichkeiten neu zu definieren und für die veränderten politischen und sozioökonomischen Bedingungen und Probleme des postrevolutionären Europas tauglich zu machen. Sie alle waren auf der Suche nach einer politischen Sprache, welche einen „républicanisme à la mode des modernes“ begründen und erschließen konnte. Dies wird etwa an der bereits bei Lafayette klar artikulierten Forderung nach unveräußerlichen individuellen Rechten deutlich, die nicht dem reklamierten Gemeinwohl oder dem Willen einer Mehrheit geopfert werden dürfen, an einer Favorisierung institutioneller Mechanismen gegenüber Tugendzumutungen an die einzelnen Bürger, oder auch an der Anerkennung eines gesellschaftlichen Interessenpluralismus, der institutionell politisch bearbeitbar gemacht werden musste. Allerdings hielten diese Autoren auch an der republikanischen Vorstellung einer kollektiven Freiheit und damit an der politischen Partizipation der Bürger an
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den öffentlichen Angelegenheiten fest. In der föderalen Republik, wie sie Fanny Wright, Charles-Arnold Scheffer und James Fazy diskutierten, oder in einem dezentralisierten Einheitsstaat wie ihn Louis-Prosper Conseil favorisierte, schien die Vermittlung von öffentlicher politischer Teilhabe der Bürger und politischer Handlungsfähigkeit des modernen Nationalstaates einlösbar.
8 Stranger in America. Francis Lieber und die politische Hermeneutik des amerikanischen Föderalismus His culture was eminently encyclopaedic, and the variety of his acquisitions gave him enviable resources in conversation. As was his culture so was his character – many-sided and manifold in its interests, but always loyal to principles. […] As I remember, he had always something to teach, but took always the attitude of one who had also something to learn.1
So charakterisierte die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Julia Howe Ward 1882 in einem Nachruf den deutsch-amerikanischen Intellektuellen Francis Lieber, den sie über vierzig Jahre zuvor kennen gelernt hatte. „Many-sided and manifold in his interests.“ – In der Tat: Liebers intellektuelle Interessen waren ebenso vielfältig wie sein Bekanntschaftsnetz, das er sich während seiner Aufenthalte in Deutschland, London, Boston, Philadelphia, South Carolina und New York aufgebaut und über reges Briefschreiben verstetigt hat. Er studierte in Berlin und Jena bei Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt,2 schärfte seine historischen Interessen bei Barthold Georg Niebuhr in Rom und tauschte sich mit Albert Gallatin über die Etablierung der Geschichtswissenschaft in der von letzterem mitbegründeten New York University aus,3 korrespondierte mit John C. Calhoun über politische Ökonomie und mit Peter Stephen Duponceau über die Linguistik indianischer Sprachen,4 er übersetzte und edierte den Bericht über den amerikanischen Strafvollzug seiner beiden Freunde Alexis de Tocqueville und Gustave de Beaumont und engagierte sich zusammen mit dem Arzt und Pädagogen Samuel Gridley Howe, dem Ehemann von Julia Howe Ward, in der Reform des amerikanischen Bildungswesens.5 Neben all diesen unterschiedlichen Betätigungsfeldern beschäftige sich Lieber seit seiner transatlantischen Überfahrt 1827 auch nachhaltig mit dem Studium der politischen Kultur der Ver-
1 Howe Julia Ward, Dr. Francis Lieber, S. 351. 2 Vgl. Hackett Jeremiah, Lieber’s Moral Philosophy, S. 103. 3 Vgl. Lieber Francis, Reminiscences of an Intercourse with Mr. Niebuhr; Francis Lieber an Albert Gallatin, 17. Februar 1831, in: SNB, Albert Gallatin Papers, 40 322–323. 4 Vgl. Francis Lieber an John C. Calhoun, 8. November 1846, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Ms. 71, Box 1, Folder 12; Francis Lieber an Peter Stephen Duponceau, 9. Mai 1837 & 3. Juni 1837, in: HSP, Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Box 32, Folder: Lieber, Francis. 5 Vgl. Beaumont Gustave de/Tocqueville Alexis de, On the Penitentiary System in the United States and its Application in France; Catalano John, Liebers Theory of Homophany, S. 83.
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einigten Staaten und insbesondere mit der Rolle der Interpretation geschriebener Verfassungen und mit dem Wechselverhältnis zwischen politischen Institutio nen, republikanischer Selbstregierung und Föderalismus. Bereits 1835 hatte er in seiner autobiographisch geprägten Schrift The Stranger in America konstatiert, dass die Komplexität der politischen Ordnung Amerikas nicht en passant zu verstehen sei, sondern des konzentrierten und langfristigen Studiums bedürfe: „The institutions of the United States are the work of man, and can be understood by men, if they are founded in reason; but the action of a cotton spinning machine cannot be comprehended in half an hour by one previously unacquainted with it, nor a nation with all its various aspects within a day.“ In Nordamerika sei eine historisch neuartige, großflächige Republik entstanden, welche durch die Kombination des repräsentativen und des föderativen Prinzips geprägt sei und „on broader principles of liberty“ beruhe, „than any former political society. This is a fact, and is it not interesting to study how so great a fact came to pass?“6 Damit hatte sich Lieber selbst eine Aufgabe gestellt, die seit seiner Ankunft in Nordamerika einen nicht unwesentlichen Teil seiner intellektuellen Energien binden sollte.
8.1 Lieber zwischen den Welten – Preußen, New England, South Carolina Ähnlich wie dies bei anderen transkulturellen Vermittlern beobachtet werden kann, lässt sich Francis Liebers Sicht auf den amerikanischen Föderalismus vielleicht am Treffendsten aus der Perspektive des „Dazwischen“ betrachten. Lieber, so hat es Michael O’Brien formuliert, hat einen Großteil seines Lebens „in confused suspension between Europe, the North, and the South“ zugebracht.7 Seine preußische Heimat hatte Lieber verlassen, nachdem er durch sein Engagement in Jahns Turnvereinen und in den studentischen Burschenschaften in Berlin und Jena die Repression der preußischen Autoritäten auf sich gezogen hatte und mehrmals aus politischen Gründen ins Gefängnis gesteckt wurde;8 er kämpfte 1821 als Freiwilliger im griechischen Unabhängigkeitskrieg, reiste nach Rom, wo er den Historiker Barthold Georg Niebuhr kennen lernte, kam für kurze Zeit nach Berlin zurück und floh schließlich 1826 nach London, wo neben George Grote und John Stuart Mill
6 Lieber Francis, The Stranger in America, S 16 & 18. 7 O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, S. 27. 8 Vgl. hierzu auch Eyck Gunther F., The Political Theories and Activities of the German Academic Youth between 1815 and 1819.
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auch Jeremy Bentham zu seinen Bekanntschaften gehörten.9 Sein Freund Charles Follen, den er während seines Studiums in Jena getroffen hatte und der dank den Vermittlungsdiensten Lafayettes in Boston untergekommen war, überredete Lieber schließlich nach Nordamerika auszuwandern.10 Amerika, so hoffte Lieber bei seiner Abreise aus Manchester am 12. Mai 1827, werde ihm „wahlverwandter sein als Europa mit seinen abgenutzten Institutionen“, die er als „versteinert und verknöchert“ empfand.11 Nach einigen Monaten in Boston entschied sich Lieber, ein größeres Projekt in Angriff zu nehmen. Nach dem Vorbild des deutschen Brockhaus Konversations-Lexikons gab er die Encyclopedia Americana heraus, ein populäres Lexikon, welches neben der Übersetzung der deutschen Artikel auch für ein amerikanisches Publikum geschriebene Artikel enthalten sollte, für welche sich Lieber nach geeigneten Autoren umsah.12 Zu den Fördern und Mitautoren seiner Encyclopedia zählten der bereits erwähnte Charles Follen, der nun am Harvard College deutsche Sprache und Literatur unterrichtete, dessen Kollegen Edward Everett, George Ticknor und Jared Sparks sowie der Richter am amerikanischen Supreme Court, Joseph Story.13 Nach Philadelphia unterhielt Lieber Kontakte zu Peter Stephen Duponceau, der für Liebers Encyclopedia einige Artikel zu linguistischen Themen beisteuerte, und zu Robert Walsh Jr., den Herausgeber der American Quarterly Review und Verfasser einer Reihe von biographischen Artikeln über amerikanische Revolutionäre, die Lieber ebenfalls in seine Encyclopedia aufnahm.14 Liebers Encyclopedia fügte sich in die vielfältigen Reformbestrebungen
9 Vgl. die umfassende Biographie zu Lieber von Freidel Frank, Francis Lieber, und den Überblick bei Becker Peter W., Lieber’s Place in History. Einen Überblick gibt auch: Curti Merle E., Francis Lieber and Nationalism. 10 Zu Follen vgl. Spevack Edmund, Charles Follen’s View of Republicanism in Germany and the United States, 1815–1840. Lafayettes Vermittlungstätigkeit ist dokumentiert in einem Brief von Lafayette an Peter Stephen Duponceau vom 12. Januar 1825, in: Peter S. Du Ponceau Papers, McAllister Collection, The Library Company of Philadelphia, PHS, Box 1, Folder 7: „Permettez moi de recommander à vos bons soins deux professeurs allemands distingués par leurs lumières et leur patriotisme. M. Follen et Beck qui poursuivi de la Sainte alliance ont fourni de quitter leurs chaînes. Ils sont venus aux états-unis dans l’espérance de s’y placer, et de trouver quelque moïen d’y établir plusieurs de leurs compatriotes.“ 11 Lieber Franz, Aus des Denkwürdigkeiten eines Deutsch-Amerikaners (1800–1872), S. 69–70. 12 Vgl. Weiss Gerhard, The Americanization of Franz Lieber and the Encyclopedia Americana. 13 Vgl. Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, II, S. 48–49; Story Joseph, Life and Letters of Joseph Story, II, S. 26–27; Lieber Francis (Hrsg.), Encyclopedia Americana, I, S. VIII; II, S. 4–5. 14 Vgl. Francis Lieber an Peter Stephen Duponceau, 23. Oktober 1829, in: HSP, Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Box 32, Folder: Lieber, Francis; De Kay Drake, Encyclopedia Americana, First Edition, S. 206.
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im postrevolutionären Amerika ein, eine republikanische Kultur und Gesellschaft aufzubauen, in welcher Bildung demokratisiert und die Bürger aufgeklärt werden sollten. Das Projekt zielte darauf, wie Robert Walsh Jr. bemerkte, „to republicanize, if we may use that word, science and art, instead of considering them as the exclusive privilege of the learned.“15 Liebers finanzielle Situation blieb indessen trotz der weitgehend positiven Aufnahme seines Lexikons und trotz der vielfältigen Kontakte, die er sich während der Konzeption und Durchführung der Encyclopedia Americana aufgebaut hatte, prekär und nach einigen erfolglosen Versuchen in Boston, Philadelphia, New York oder Lexington eine Professorenstelle zu erhalten, nahm Lieber schließlich 1835 eine Stelle als Professor für Geschichte und Politische Ökonomie am South Carolina College in Columbia an. Seinen Aufenthalt in South Carolina betrachtete Lieber als Exil.16 Kaum im Süden angekommen, schrieb Lieber in regelmäßigen Abständen an seine Freunde in New England und Europa über seinen Widerwillen in einem sklavenhaltenden Staat leben zu müssen (obwohl sich Lieber gegenüber seinen Freunden aus dem Süden der Sklaverei gegenüber weitaus weniger ablehnend zeigte, und offenbar selbst einige Haussklaven unterhielt17) und über seine intellektuelle Isolation im Süden. „We live here, I might almost say, out of the sphere of intellectual movement – a circumstance, which, I assure you, sometimes weighs heavily upon one’s mind and soul and heart“, klagte Lieber seinem Freund Peter Stephen Duponceau im Mai 1837.18 Und nur einen Monat später präzisierte er seine Situation gegenüber Duponceau: You have at least an easy communication with Europe, you read what the European scholars are doing, you have materials around you, you see at least some people. I am an exile. Believe me, that in the same degree as you may feel lonely in Philadelphia, if you direct your books eastward, so do I feel lonely, if I think of Philadelphia.19
Seine Freunde aus dem Norden und aus Europa taten das ihrige, um Lieber in seinem Gefühl, am falschen Ort zu leben, zu bestätigen. So antwortete etwa
15 [Walsh Robert Jr.], Encyclopedias, S. 353. Hervorhebungen im Original. 16 Vgl. hierzu O’Brien Michael, The Stranger in the South. 17 Vgl. zu Liebers ambivalenten Verhältnis zur Sklaverei O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, S. 27–28; Finkelman Paul, Lieber, Slavery, and the Problem of Free Thought in Antebellum South Carolina. 18 Francis Lieber an Peter Stephen Duponceau, 9. Mai 1837, in: HSP, Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Box 32, Folder: Lieber, Francis. 19 Francis Lieber an Peter Stephen Duponceau, 3. Juni 1837, in: HSP, Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Box 32, Folder: Lieber, Francis.
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Joseph Story auf Liebers Klagen: „I am sorry that you are a ‚lone‘ man; but I can well understand it to be true in more than one sense. Your true position would be further North. I wish I could see a prospect for your lightening upthere.“20 Und aus Paris schrieb ihm Alexis de Tocqueville: Vous n’êtes point fait pour vivre en Amérique. L’Europe est la véritable patrie de votre esprit et il faudrait encore la venir habiter quand vous n’y seriez pas né. Tel que je vous connais, vous devez respirer avec peine au milieu de l’atmosphère des sociétés américaines. Comme vous le dites, un pays libre en Europe est votre théâtre.21
Ob es New England oder gar Europa war, wo Lieber hin gehörte, eines war sicher: South Carolina konnte nur eine Zwischenstation sein. Als ein „cosmopolitan dog“ hatte sich Lieber einmal selbst bezeichnet,22 und doch gegenüber Robert von Mohl darauf bestanden, dass er „nicht so durchaus ein unbekanntes und ungekanntes namenloses Ding“ sei, „welches wie ein Stück Wrack, unbeachtet zwischen den beiden Hemisphären umher schwimmt.“23 Vielleicht war es indessen gerade auch die Spannung zwischen diesen verschiedenen politisch-kulturellen Sphären, zwischen Europa, South Carolina und seinem „American native place“, wie Lieber Boston einmal nannte,24 welche Liebers politisches Denken prägte und ihn mit der Vielschichtigkeit des Föderalismuskonzepts in einem inneramerikanischen und transatlantischen Diskurszusammenhang konfrontierte. Denn trotz dieser Gefühle der Abgeschiedenheit und Isolation wurde Liebers Aufenthalt in South Carolina auch ein Lehrgang in Sachen amerikanischem Konstitutionalismus – wenn auch andere Interpretationen des amerikanischen Konstitutionalismus in South Carolina dominierten, als jene, welche Lieber in Boston und Philadelphia kennen gelernt hatte. Wenige europäische Reisende nach Nordamerika erarbeiteten sich eine vergleichbare Vertrautheit mit Schriften, welche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den amerikanischen Südstaaten über die Bedeutung der Bundesverfassung und den amerikanischen Föderalismus geschrieben wurden wie Francis Lieber.25 Obwohl Lieber ein überzeugter
20 Joseph Story an Francis Lieber, 9. Mai 1840, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 3277. 21 Alexis de Tocqueville an Francis Lieber, 18. September 1844, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 93. 22 Francis Lieber an George S. Hillard, 23. Juni 1851, in: Huntington Library, Francis Lieber Papers. 23 Francis Lieber an Robert von Mohl, undatiert [1848], in: EKUT, Nachlass Robert von Mohl, Md 613 515 8. 24 Francis Lieber an Charles Sumner, 20. Mai 1841, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 152. 25 Vgl. O’Brien Michael, The Stranger in the South, S. 35.
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Unionist war und ideologisch seinen Bostoner Whigs Freunden näher blieb als den Überzeugungen, welche seine Zeitgenossen in South Carolina mehrheitlich teilten, setzte sich Lieber intensiv mit dem dissenting constitutional discourse des Südens auseinander.26 Lieber korrespondierte mit Thomas Cooper und John C. Calhoun, deren Schriften neben Jeffersons Notes on the State of Virginia, St. George Tuckers Blackstone’s Commentaries und Beverley Tuckers Series of Lectures on the Science of Government in seiner Bibliothek standen.27 All diese Autoren hatten sich bemüht, die kritischen Einwände der Antifederalists während den Ratifikationsdebatten in die Zeit nach 1787/89 hinüber zu retten und auf dieser Grundlage eine neue Interpretation der Bundesverfassung vorzuschlagen, die auf den Pfeilern eines radikalen Föderalismus und eines strikten Textualismus in der Verfassungsinterpretation beruhte. So argumentierte etwa St. George Tucker in seiner Edition von Blackstone’s Commentaries, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten als ein „federal compact“ zu betrachten sei: „the union is in fact, as well as in theory, an association of states, or, a confederacy.“28 Dementsprechend seien die Prinzipien der Verfassung von 1787 auch nicht als „absolutely new“ zu betrachten, sondern als „the expansion of the principles contained in the articles of confederation.“29 Tuckers Commentaries verbanden damit tradierte Einwände der Antifederalists mit Argumenten, welche die Republicans während ihrer Opposition gegen die Federalists in den 1790er Jahren entwickelten, zu einer umfassenden Verfassungstheorie, welche zur Grundlage der States’ Rights-Theorie wurde: Vertragstheorie der Verfassung, begrenzte und enumerierte Kompetenzen des Kongresses, eine restriktive Interpretation der necessary-and-proper-Klausel, strikte Ablehnung einer konsolidierten Herrschaft und der Föderalismus als Mittel der Herrschaftsbegrenzung und Freiheitssicherung.30 Es gelte, so Tucker in den abschliessenden Zeilen seines Verfassungskommentars, jene Teile der Verfassung mit kritischem Blick zu betrachten „which seem to savour of monarchy, or aristocracy, or tend to a consolidated, instead of a federal, union of the states“. Ganz in der Tradition der Antifederalists hob Tucker hervor, dass 1787 „a federal union of the American States“ gebildet wurde und dass damit keineswegs ein „consolidated government“ intendiert worden sei.31 Nirgends wurden diese Argu-
26 Vgl. zu den konstitutionellen Diskursen in den amerikanischen Südstaaten O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, S. 191–218. 27 Francis Lieber, Library Catalogue [1859], in: HL, Francis Lieber Papers, LI 123. 28 Tucker St. George, Blackstone’s Commentaries, I, S. 141. 29 Tucker St. George, Blackstone’s Commentaries, I, S. 142–143. 30 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 263–272. 31 Tucker St. George, Blackstone’s Commentaries, I, S. 376. Hervorhebungen im Original.
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mente Tuckers und anderer Theoretiker der States’ Rights vehementer vertreten, als in Liebers South Carolina. Francis Lieber bewegte sich in einem dementsprechend komplexen und umkämpften intellektuellen Spannungsfeld, das nicht ohne Wirkungen auf sein Verständnis des amerikanischen Konstitutionalismus blieb. Dass er, wie er in einem anderen Zusammenhang an John C. Calhoun schrieb, „in a nomadic state“ lebte,32 eröffnete Lieber auch Möglichkeiten, sich mit unterschiedlichen Strängen politischer Theorie zu beschäftigen und auf neue Art und Weise miteinander zu kombinieren. Und dieses Synthetisieren unterschiedlicher politischer Diskursstränge, die Integration von politischer Literatur des einen politischen Kontextes in die öffentliche Sphäre eines anderen, entsprach durchaus Liebers Selbstverständnis eines transkulturellen intellektuellen Vermittlers. „Knowledge gains in intensity and novelty by freely passing and repassing in innumerable ramifications between individuals and nations“, schrieb Lieber 1842. „As heat is generated by friction, so does the repeated contact of minds generate knowledge and light.“33 Es war Liebers intellektuelle Abgeschiedenheit und seine Zerrissenheit zwischen dem amerikanischen Süden und Norden sowie zwischen Nordamerika und Europa, welche bei ihm nicht nur das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer verdichteten Zirkulation von Wissensspeicher und -medien wie Bücher und Zeitschriften weckte, sondern ebenso für die Bedeutung von Geselligkeit und kommunikativem Austausch. So notierte er am 20. November 1839 nachdenklich in sein Tagebuch: People who live in intellectual and social communion do not know how much they owe as to incitement, the starting of ideas, and their regulation and modification, to that very communion. The mere seeing a few persons who reflect and think, – it need not be in the same line, – and who are befriended with us, stirs, animates, vivifies. The mind is sharpened again as the razor on a strap.34
Liebers Situation in South Carolina ermöglichte ihm dementsprechend nicht nur, sich mit jenen Texten zum amerikanischen Föderalismus auseinanderzusetzen, welche seine Freunde in New England und Europa oftmals ignorierten; sie zwang ihn auch über die sozialen und kommunikativen Bedingungen intellektueller Arbeit nachzudenken.
32 Francis Lieber an John C. Calhoun, 8. November 1846, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Ms. 71, Box 1, Folder 12. 33 Lieber Francis, Memorial of Francis Lieber to the Senate, praying for a Modification of the Tariff in Regard to Duties on Books, January 22, 1842, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Folder 40, 4. 34 Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 141.
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Diese Reflexionen über Exil und über die soziale Einbettung intellektueller Tätigkeit mögen auch dafür verantwortlich gewesen sein, dass Lieber seine vielfältigen Kontakte in Nordamerika und Europa durch eine intensive Korrespondenz verstetigte und so zu einem wichtigen transatlantischen Vermittler wurde. In Deutschland versorgte Lieber beispielsweise seinen Freund Karl Joseph Anton Mittermaier mit der neuesten politischen Literatur aus Nordamerika, welche Mittermaier wiederum in der von ihm herausgegebenen Kritischen Zeitschrift für die Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes anzeigte und rezensieren ließ. So schickte Lieber im April 1833 Joseph Storys Commentaries on the Constitution of the United States und dessen Laws of the United States, die Federalist Papers und James Kents Commentaries on American Law an Mittermaier, und im Juli 1834 folgten Thomas Sergeants Constitutional Law, William Rawles A View of the Constitution of the United States, Peter Stephen Duponceaus Brief View of the Constitution of the United States sowie eine Sammlung aller amerikanischen Einzelstaatsverfassungen.35 In den folgenden Jahren schickte Lieber Dutzende Bücher, Zeitschriften und Gesetzestexte an seinen Freund nach Heidelberg und schrieb zahlreiche Empfehlungsbriefe für seine amerikanischen Freunde, die eine Reise nach Deutschland unternahmen und in Heidelberg einkehrten.36 Mittermaier sandte ihm im Gegenzug die neuesten europäischen Publikationen auf dem Gebiet der Staatswissenschaften nach South Carolina.37 Auch seine Kommunikationskanäle nach Frankreich bewirtschaftete Lieber fleißig. Mit Alexis de Tocqueville und Gustave de Beaumont, die er auf deren Reise nach Nordamerika im September 1831 das erste Mal traf,38 korrespondierte er regelmäßig. Für Tocquevilles kurzlebige Zeitschrift Le Commerce arbeitete Lieber anonym als Amerikakorrespondent und auch nachdem die Zeitschrift abgesetzt wurde, blieb er
35 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 24. April 1833, in: UBH, Nachlass Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895.5; Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 9. Juli 1834, in: UBH, Nachlass Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895.10. 36 So finden sich im Nachlass Mittermaiers Empfehlungsschreiben Liebers u. a. für den Schriftsteller Henry Wadsworth Longfellow (Heid. Hs. 2746.895 13), für George Ticknor (Heid. Hs. 2746.895 17a), für Charles Sumner (Heid. Hs. 2746.895 27) und für George S. Hillard (Heid. Hs. 2746.895 53), sowie ein Vermittlungsschreiben für Joseph Story (Heid. Hs. 2746.895 20). Zum atlantischen Wissenstransfer zwischen Lieber und Mittermaier vgl. Schnurmann Claudia, Brücken aus Papier, 339–354. 37 Vgl. die Briefe Mittermaiers an Lieber in: HL, Francis Lieber Papers, LI 2812-LI 2859. Vgl. hierzu auch Hoeflich M. H., Transatlantic Friendships & the German Influence on American Law in the first Half of the Nineteenth Century; Schnurmann Claudia, Brücken aus Papier, 339–354. 38 Vgl. Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 92–94. Vgl. hierzu insgesamt Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 375–380. Zum Verhältnis zwischen Lieber und Tocqueville vgl. Kühnhardt Ludger, Zwei Transatlantiker.
8.2 States’ Rights, Nullification
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eine wichtige amerikanische Informationsquelle für Tocqueville. „Quoique je ne puisse plus vous demander de lettres dans l’intérêt d’un journal,“ meinte Tocqueville im Frühjahr 1845 nach der Einstellung von Le Commerce, „je n’ai pas besoin de vous dire que comme homme politique j’attacherais un grand prix à savoir de temps en temps par vous, dans les circonstances les plus graves, ce qui se passe en Amérique et ce que vous savez si bien raconter et que, comme votre ami, il me serait très précieux et très agréable d’avoir de temps en temps de vos nouvelles et de celles de votre famille.“39 Im Gegenzug empfahl Tocqueville seinem Freund in South Carolina die Revue des deux Mondes zu abonnieren, um sich über die politischen Angelegenheiten Europas auf dem Laufenden zu halten, und leistete Lieber bei dessen Reise nach Europa 1844/45 wichtige Vermittlungsdienste.40 Auch mit Édouard de Laboulaye, der Herausgeber der Werke Montesquieus und Benjamin Franklins, der ab 1848 am Collège de France Vorlesungen über die Amerikanische Revolution und über den nordamerikanischen Konstitutionalismus hielt und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der bekanntesten französischen Amerikahistoriker wurde, unterhielt Lieber einen intensiven Briefwechsel.41 Diese sozialen und kommunikativen Netzwerke ließen Lieber nicht nur zu einem wichtigen transatlantischen Vermittler werden, sondern regten ihn auch dazu an, die politischen Entwicklungen Europas und Nordamerikas im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts vor einem komparativen Deutungshorizont zu betrachten.
8.2 States’ Rights, Nullificationund die Frage nach der Deutung der amerikanischen Bundesverfassung Kurz nachdem Francis Lieber in den Vereinigten Staaten ankam, wurde das Land durch die Nullification-Krise erschüttert. Verschiedene Deutungen des in sich ambivalenten Textes der Bundesverfassung trafen in bisher unbekannter
39 Alexis de Tocqueville an Francis Lieber, 18. Mai 1845, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 106. 40 Vgl. Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 87 & 109; Lieber Francis, Like a Sponge Thrown into Water, S. 24–30. 41 Vgl. hierzu die Briefe Laboulayes in: HL, Francis Lieber Papers, LI 2537-LI 2558; Laboulaye Edouard, Considérations sur la Constitution; Laboulaye Edouard, Etude de la Constitution américaine; Laboulaye Edouard, De la constitution américaine et de l’utilité de son étude; Franklin Benjamin, Correspondance de Benjamin Franklin; Laboulaye Edouard, Histoire des Etats-Unis; Laboulaye Edouard, Questions constitutionnelles; Zu Laboulaye vgl. Gray Walter D., Interpreting American Democracy in France.
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8 Stranger in America
Heftigkeit aufeinander und Francis Liebers Freunde aus New England standen an einem Ende der sich nun zusehends polarisierenden Auseinandersetzungen über die Bedeutung der Bundesverfassung und des ihr zugrunde liegenden föderalen Konzepts. Politiker und Intellektuelle wie Joseph Story, Daniel Webster und Edward Everett lehnten die Vertragstheorie, auf welcher die Nullifiers ihre Auffassung der föderalen Union basierten, rundherum ab. Die Bundesverfassung sei durch das Volk der Vereinigten Staaten und nicht durch die Einzelstaaten kreiert worden, die Einzelstaaten seien deshalb der Bundesregierung untergeordnet und das Supreme Court, und nicht die Einzelstaaten, hätten über die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden. Dass ein Einzelstaat Gesetzesentscheidungen des Kongresses auf seinem Territorium für nichtig erklären konnte, erschien ihnen als eine Absurdität und als direkter Weg in die Auflösung der Union. Nicht nur aus dem Lager der National Republicans und der Whigs kam indessen Kritik an der Nullification-Doktrin. Auch jene, welche wie Edward Livingston mit James Madison am Konzept einer geteilten Souveränität festhielten und damit auch einige Grundannahmen einer Vertragstheorie der Verfassung teilten, wehrten sich gegen die im Zuge der Nullification-Debatten eingeworfene These, dass die Einzelstaaten eigentlich souverän seien. Ihrer Meinung nach, hatte die Bundesverfassung die Machtsphären zwischen Bund und Einzelstaaten aufgeteilt und beide seien in ihren jeweiligen Sphären als souverän zu betrachten.42 Die Nullification-Debatte war demzufolge nicht nur eine Kontroverse zwischen Vertretern der Nationalists und der States’ Rights. Vielmehr ist sie auch zu betrachten als Kontroverse zwischen unterschiedlichen Konzeptionen der States’ Rights, in welcher sich unterschiedliche Deutungen der Verfassung in drei Hauptströmungen auffächerten: Nullifiers, States’ Rights, und Nationalists.43 Für Francis Lieber, der sich Ende der 1820er und zu Beginn der 1830er Jahre noch in Boston aufhielt, war klar, für welche Seite er in dieser Debatte Stellung bezog. Sein Freund Joseph Story, der eine Reihe von Beiträgen für Liebers Encyclopedia Americana beisteuerte und ihn dazu ermunterte, „a full view of the Constitution of the U. States“ in sein Lexikon aufzunehmen,44 war einer der prominentesten Exponenten eines neuen nationalen Republikanismus. „I am a whig,“ bekannte Joseph Story in einem Brief an Henry Clay,
42 Vgl. hierzu Ellis Richard E., The Union at Risk, S. 9–11; Les Benedict Michael, States’ Rights, State Sovereignty, and Nullification. 43 Vgl. Whittington Keith E., The Political Constitution of Federalism in Antebellum America. 44 Zu Storys Beiträgen für die Encyclopedia Americana vgl. Story Joseph, Life and Letters of Joseph Story, I, S. 26–27; Joseph Story an Francis Lieber, 16. Dezember 1829, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 3246.
8.2 States’ Rights, Nullification
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& although I do not pretend to mingle in the common politics of the day, there are great measures, upon which I have a decided opinion & which I would not disguise if I could. I am for a national Bank – a protective tariff – a distribution law of the public lands – & a permanent bankrupt law. All these measures are in my judgment indispensable to the public prosperity & peace of our country.45
Deutlich wird an diesem politischen Bekenntnis von Story, dass sich die National Republicans der 1820er und die Whigs der beginnenden 1830er Jahre inhaltlich teilweise an einigen Projekten orientierten, welche bereits die Federalists in den 1790er Jahren ins Auge gefasst hatten.46 Während die Federalists in den 1810er Jahren und dann insbesondere nach der Hartford Convention 1814/15 massiv an politischer Legitimität einbüßten und als politische Partei allmählich verschwanden, lebte die Wirkungsmacht ihrer Ideen v. a. in der Judikative und insbesondere im Supreme Court weiter.47 Hier waren es in erster Linie John Marshall und Joseph Story, welche mit ihren Entscheidungen jene Verfassungstheorie zu stützen versuchten, welche die Bundesverfassung als Akt eines souveränen nationalen Volkes ansah, die Zuständigkeiten des Kongresses zu extensivieren versuchte und dem Supreme Court das Deutungsmonopol über verfassungsrechtliche Fragen und Konflikte zwischen Bund und Einzelstaaten einräumen wollte. Die Rechtsprechung des Supreme Courts wurde so zunehmend zu einem Katalysator für die Herausbildung nationaler Interessenkonstellationen und unterstützte so im judikativen Bereich die Bestrebungen, welche die National Republicans und die Whigs in der Legislative vorantrieben.48 Hinter diesen politischen Ansprüchen des Supreme Courts verbarg sich eine tiefgreifende Furcht vor dem Zerfall der Union, welche durch die zunehmende Legitimität der States’ Rights in der politischen Öffentlichkeit Nordamerikas und insbesondere in den südlichen Teilen der Union verstärkt wurde. Die Aufrechterhaltung der Union wurde in dieser Perspektive von der Deutungsmacht des Supreme Courts über die Konflikte zwischen einzelnen Staaten oder zwischen Einzelstaaten und dem Bundesstaat abhängig gemacht. So schrieb etwa Chief Justice John Marshall am 18. September 1821 angesichts der scharfen öffentlichen Angriffe von Seiten der States’ RightsAdvokaten gegenüber der Urteilsbegründung des Supreme Courts im Fall McCulloch vs. Maryland an seinen Schützling Joseph Story: „A deep design to convert
45 Joseph Story an Henry Clay, 3. August 1842, in: LCMD, Henry Clay Family Papers, Reel 5, Vol. I, 23. 46 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 90–91. 47 Vgl. zur Entwicklung der parteipolitischen Formationen Formisano Ronald P., DeferentialParticipant Politics. Zur Fortsetzung der politischen Ideen der Federalists vgl. Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy. 48 Vgl. Newmeyer R. Kent, A Note on the Whig Politics of Justice Joseph Story.
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our government into a mere league of States has taken strong hold of a powerful & violent party in Virginia. The attack upon the judiciary is in fact an attack upon the union.“49 Ähnlich argumentierte auch der Adressat dieses Briefes, Joseph Story, in seinen Commentaries on the Constitution of the United States, welche geradezu zu einem Handbuch der Verfassungsinterpretation der Whigs wurde.50 „I look to this work as one of the great pillars of the Constitution,“ urteilte der Bostoner Historiker Jared Sparks über Storys Commentaries, „suited precisely to the wants of the Country, and destined to promote a sound and consistent interpretation, in which the stability of the whole fabric consists.“51 Die Befürchtungen Storys, Marshalls und Sparks’ wurden von Francis Lieber über weite Strecken geteilt, als er sich Ende der 1820er Jahre intensiv mit der amerikanischen Bundesverfassung zu beschäftigen begann. „The constitution of the U. States of America,“ formulierte Lieber in seinem Artikel Constitutions in der Encyclopedia Americana, „although the different states call themselves sovereign, proceeded, in point of fact, from the people of the U. States collectively, as is apparent from the very beginning of the instrument, which is in these words – ‚We, the people of the U. States,‘ and not ‚We, the states.‘“52 Damit nahm Lieber Bezug auf eine bekannte Episode aus den Ratifikationsdebatten in der Virginia Ratifying Convention, als der Antifederalist Patrick Henry die Mitglieder der Federal Convention genau wegen dieser Präambel der Verfassung scharf kritisierte: „[W]hat right had they to say, We, the People,“ fragte Henry die Abgeordneten des Konvents in Richmond. My political curiosity, exclusive of my anxious solicitude for the public welfare, leads me to ask who authorised them to speak the language of, We, the People, instead of We, the States? States are the characteristics, and the soul of a confederation. If the States be not the agents of this compact, it must be one great consolidated National Government of the people of all the States.53
Indem Lieber auf diese Argumente Patrick Henrys Bezug nahm, akzentuierte er einerseits, dass die Verfassung – wie Henry es klar und deutlich aussprach – nicht mehr eine schlichte Konföderation konstituierte, in welcher die Einzelstaaten letztlich souveräne Partner eines Vertrages waren; andererseits ver-
49 John Marshall an Joseph Story, 18. September 1821, in: Marshall John, Writings, S. 569. 50 Vgl. Story Joseph, Commentaries on the Constitution of the United States; vgl. hierzu auch Newmeyer R. Kent, A Note on the Whig Politics of Justice Joseph Story, S. 481. 51 Jared Sparks an Joseph Story, 15. Juni 1834, in: LCMD, Joseph Story Correspondence, 2 000527. 52 [Lieber Francis], Art. Constitutions, S. 465. 53 Henry Patrick, Speeches of Patrick Henry in the Virginia State Ratifying Convention, June 1788, in: Storing Herbert J. (Hrsg.), The Complete Anti-Federalist, III/5, S. 211.
8.2 States’ Rights, Nullification
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suchte Lieber im Fortgang seiner Argumentation allerdings auch deutlich zu machen, dass Henrys begrifflicher Antagonismus zwischen „confederation“ einerseits und „consolidated National Government“ andererseits an wesentlichen Punkten dieses Verfassungskonstrukts vorbei ging. Stattdessen sah Lieber die Innovation des amerikanischen Föderalismus genau in der Überblendung föderaler und nationaler Elemente und erblickte in dieser hybriden Struktur das entscheidende Merkmal der amerikanischen Verfassung: „[I]t can escape no one’s observation, […] that the constitution […] unites all the states into one nation, the government being called, by all parties, the national government“, meinte Lieber in einer Argumentation, die derjenigen seiner Kollegen unter den Whigs in New England sehr ähnelte. Allerdings bedeutete dies nicht, dass das föderale Element mit der Bundesstaatsgründung gänzlich aus der institutionellen Struktur des Bundes entfernt worden wäre, wie Lieber weiter zu bedenken gab: It seems, therefore, that the constitution of the U. States is more than a mere compact between independent powers, yet less than the simple constitution of an undivided nation: it ought rather to be considered as forming one whole with the different constitutions of the states, which have given up to the general governments most of the rights of sovereignty, as that of making war and peace, coining, &c.54
Trotz dieser Eingeständnisse an die föderale Struktur der Union schimmert in Liebers Argumentation deutlich die Forderung nach einem Übergewicht des Bundes gegenüber den Souveränitätsansprüchen der Einzelstaaten durch: die Union bildet zuerst „one whole“ und „one nation“ und die Einzelstaaten sind Teile davon, wovon er sich deutlich von den States’ Rights-Vertretern absetzte, die umgekehrt argumentierten, dass die Einzelstaaten gerade nicht „most of the rights of sovereignty“ abgetreten hatten, wie Lieber behauptete, sondern – wenn überhaupt – nur enumerierte und limitierte Souveränitätsrechte. Lieber gewichtete demgegenüber die von Henry so vehement kritisierte Präambel der Bundesverfassung, wodurch er das amerikanische Volk in seiner kollektiven Dimension – und nicht die Einzelstaaten – an den Ursprung der Verfassung stellte: Der mit dieser Verfassung konstituierte Bundesstaat bezog seine Legitimation nicht mehr von den Staaten, sondern vom amerikanischen Volk. Damit änderte sich auch die Deutung der Verfassung an sich: nicht die Einzelstaaten assoziierten sich in einem Vertrag und traten mit diesem Vertrag gewisse Souveränitätsrechte an eine Bundesregierung ab, welche selbst nur ein Produkt dieses Vertrags ist, wie die States’ Rights-Vertreter behaupteten. Die Ratifikation der Bundesverfassung
54 [Lieber Francis], Art. Constitutions, S. 465. Hervorhebungen im Original.
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war in Liebers Optik stattdessen ein souveräner Akt des amerikanischen Volkes in seiner Gesamtheit, das sich durch diesen Akt eine nationale Regierung gab und hierfür definierte, welche Souveränitätsrechte an diese nationale Regierung abgetreten werden und welche unter der Souveränität der Einzelstaaten blieben. Der Akt des Assoziierens der Einzelstaaten trat hinter den Akt des Assoziierens des kollektiven amerikanischen Volkes zurück. Die Debatte um den Ursprung und die Natur der amerikanischen Bundesverfassung setzte Lieber nicht nur mit Joseph Story fort, sondern auch mit anderen Exponenten der Nullification-Kontroverse, insbesondere mit Edward Livingston.55 Während die im Januar 1830 im Senat ausgetragene Auseinandersetzung über den föderalen Charakter der Union zwischen Daniel Webster aus Massachusetts und Robert Y. Hayne, dem Senator aus South Carolina, eine gewisse Berühmtheit erlangt hat,56 ist beinahe in Vergessenheit geraten, dass Edward Livingston, zu diesem Zeitpunkt der Secretary of State von Präsident Andrew Jackson, im März desselben Jahres eine Rede im Senat hielt, in welcher er die polarisierte Diskussion zwischen dem Nullifier Hayne und dem Nationalist Webster aufzubrechen versuchte. Livingston schloss an die Argumente James Madisons an, um das Konzept der geteilten Souveränität einzubringen – und zwar sowohl gegen Websters Sicht, dass die Union ein Produkt des nationalen Volkswillens sei, als auch gegen Haynes These, dass die Souveränität aufgrund des Vertragscharakters der Verfassung letztlich bei den Einzelstaaten geblieben sei. Gegen Webster wandte er ein, dass dessen Thesen auf eine Missachtung des föderalen Charakters der Union hinauslaufen würden und „inevitably to a consolidated Government, and finally to monarchy“ führen würde; gegen Hayne argumentierte Livingston, dass das Veto der Einzelstaaten in der Verfassung nirgends erwähnt werde, dass zum Zeitpunkt ihrer Ratifikation weder Gegner noch Befürworter der Verfassung jemals an eine solche Einrichtung gedacht hätten, dass es auch nicht aus der „true construction of the Virginia resolutions of ’98“ abgeleitet werden könne und nichts als eine Einladung zu Zwietracht und Separation sei.57 Gegenüber diesen beiden Deutungen schlug Livingston vor, die Verfassung sowohl als ein Produkt des amerikanischen Volkes in seiner Gesamtheit, als auch der Einzelstaaten zu verstehen. Nur diese Interpretation hüte vor dem Irrtum, die Verfassung entweder
55 Zu Livingston vgl. Hatcher William B., Edward Livingston. Zu Livingstons Rolle in der Debatte vgl. Ericson David F., The Nullification Crisis, American Republicanism, and the Force Bill Debate. 56 Vgl. etwa Grimm Dieter, Souveränität, S. 55. 57 Speech of Mr. Edward Livingston of Louisiana, March 9, 1830, in: Belz Herman (Hrsg.), The Webster-Hayne-Debate on the Nature of the Constitution, S. 475.
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durch die Brille eines konsolidierten Nationalstaates oder einer schlichten Konföderation zu betrachten, wie dies Webster und Hayne taten: The arguments on the one side, to show that the Constitution is the result of a compact between the States, cannot, I think, be controverted; and those which go to show that it is founded on the consent of the people, and in one sense of the word, a popular government, are equally incontrovertible. Both of the positions, seemingly so contradictory, are true, and both of them are false – true, as respects one feature in the Constitution; erroneous, if applied to the whole.58
Die Verfassung sei zwar den Einzelstaaten als souveräne politische Handlungseinheiten zur Ratifikation vorgelegt worden, weshalb der Vertragscharakter der Union nicht zu leugnen sei; in den Einzelstaaten waren es aber nicht die Legislativen, sondern nur für den Zweck der Ratifikation einberufene Versammlungen, welche über die Ratifikation entschieden und welche demzufolge über andere Kanäle den Volkswillen ausdrückten, als über die bereits bestehenden der Einzelstaaten. Damit knüpfte Livingston an Madisons Intervention in das föderale Begriffsfeld an, dass der Unterschied zwischen einer „league“ oder einer „treaty“ und einer „constitution“ genau in diesem Punkt bestehe: erstere werden von Legislativen gemacht, letztere von Völkern.59 Die Union sei aufgrund dieses Ratifikationsverfahrens nicht einfach ein Vertrag zwischen souveränen Staaten, sondern ein Vertrag zwischen den verschiedenen Völkern dieser Staaten, die mit der Ratifikation beschlossen, einige ihrer Souveränitätsrechte nicht mehr an die Einzelstaaten, sondern an eine Bundesregierung abzutreten. „[T]his government“, argumentierte Livingston ganz in Madisons argumentativer Fluchtlinie, is neither such a federative one, founded on a compact, as leaves to all parties their full sovereignty, nor such a consolidated popular government, as deprives them of the whole of that sovereign power. It is a compact by which the people of each State have consented to take from their own Legislatures some of the powers they had conferred upon them, and to transfer them, with other enumerated powers, to the Government of the United States, created by that compact.60
58 Speech of Mr. Edward Livingston of Louisiana, March 9, 1830, in: Belz Herman (Hrsg.), The Webster-Hayne-Debate on the Nature of the Constitution, S. 459. 59 Vgl. Madisons Argumente über die Ratifizierungsmethode in der National Convention am 23. Juli 1787, in: Ketcham Ralph (Hrsg.), The Anti-Federalist Papers and the Constitutional Convention Debates, S. 129. 60 Speech of Mr. Edward Livingston of Louisiana, March 9, 1830, in: Belz Herman (Hrsg.), The Webster-Hayne-Debate on the Nature of the Constitution, S. 463.
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Livingstons middle-ground-Theorie der Bundesverfassung konnte indessen die Wellen, welche die Nullification-Doktrin schlug, nur vorübergehend glätten. Als South Carolina am 24. November 1832 eine Nullification Convention einberief, welche die Tarife von 1828 und 1832 als verfassungswidrig erklärte und damit die Bereitschaft signalisierte, die Nullification-Doktrin, welche bisher nur auf dem Papier existierte, in die Tat umzusetzen, war eine neue Eskalationsstufe der Krise erreicht. Präsident Jackson, ansonsten eigentlich ein Befürworter der States’ Rights, veröffentlichte am 10. Dezember 1832 eine Proklamation gegen die Nullification, welche er als „incompatible with the existence of the Union, contradicted expressly by the letter of the Constitution, unauthorized by its spirit, inconsistent with every principle on which it was founded, and destructive of the great object for which it was formed“ bezeichnete.61 Aufgesetzt hatte die Proklamation eigentlich Jacksons Secretary of State Edward Livingston und Jackson hatte verschiedene Stellen von Livingstons Entwurf ergänzt.62 In New England reagierte man erleichtert auf Jacksons Proklamation. Aus Boston versicherte Francis Lieber seinem Bekannten Livingston zehn Tage nach der Veröffentlichung der Proklamation: The proclamation of our president has been hailed here with unanimous and unqualified approbation. But though I join most heartily in this general assent (and no American by birth can do more so, because it is the Union – the whole organization of the country, neither the general government alone, nor any state alone, which I choose for my new country, and to which I cling); I yet look upon that admirable document in a light, in which, perhaps, not many native Americans view it. […] I am a German by birth and we know what nullification leads to. […] Oh, that the nullifiers would but listen to the grave warnings of history!63
Vor seinem deutschen Erfahrungsraum erinnerte die Nullification-Doktrin Lieber an jenen Partikularismus der deutschen Kleinstaaten, der seiner Meinung nach „the very foundation of misery, bloodshed and endless strifes“ in Deutschland bilde, wie er Livingston erklärte.64 Diesem leuchtete Liebers vergleichende
61 Jackson Andrew, Proclamation regarding Nullification, December 10, 1832, S. 696. Hervorhebungen im Original. Zu Jackson vgl. Remini Robert V., Andrew Jackson and the Course of American Freedom; Remini Robert V., Andrew Jackson and the Course of American Democracy. 62 Vgl. die verschiedenen Versionen der Proklamation in Livingstons Handschrift in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 68, Folders 11–13. Zum Kontext vgl. Wilentz Sean, The Rise of American Democracy, S. 380. 63 Francis Lieber an Edward Livingston, 20. Dezember 1832, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 27, Folder 29. Hervorhebungen im Original. 64 Francis Lieber an Edward Livingston, 20. Dezember 1832, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 27, Folder 29.
8.2 States’ Rights, Nullification
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Analyse zwischen der Krise der Union und der krisenhaften Geschichte des deutschen Staatenbundes ein. „[Y]our constitutional views of the great questions that now agitate the public are in my opinion perfectly correct and show a profound study of the principles of our government – and a correct knowledge of its practical operation“ antwortete Livingston auf Liebers Ausführungen.65 Eine nachhaltige Zurückweisung der Nullification-Doktrin schien Lieber unbedingt nötig und zwar nicht nur aus Gründen der praktischen Politik. In seinem Verständnis lag in der amerikanischen Bundesstaatlichkeit eine theoretische Innovationskraft, mit welcher andere föderale Staaten ihre Probleme der Vermittlung zwischen kleinstaatlichen Gestaltungsansprüchen und nationalstaatlicher Gemeinsamkeit adressieren und ein Kräfteparallelogramm zwischen zentripetalen und zentrifugalen politischen Kräften anstreben könnten. Zwischen Klage und Polemik schwankend schrieb er einige Tage später an Livingston: The nullifiers seem not to have arrived yet at the end of their mad career. Do they indeed not know that they trifle with a blessing for which all Italy and all Germany sigh for centuries? I do indeed not know of another instance in history, when folly has appeared so glaringly as in this case. Nullification will fill a long chapter in the appendix, if ever one will be published, to the 12 quarter volumes of the work: History of Folly.66
Mit solcher Polemik war der Debatte um die Nullification indessen nicht beizukommen, was auch Lieber allmählich bewusst wurde. Obwohl er anfänglich davon überzeugt war, dass die Theorie der Nullification eine Absurdität war, welche seiner Meinung nach nur auf historischer Ignoranz beruhen konnte, wurde ihm rasch und nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit Edward Livingstons Argumentation klar, dass sich die Nullifiers und insbesondere John C. Calhoun tatsächlich auf dem Boden der revolutionären Prinzipien von 1776 und der Bundesverfassung wähnten. Es ging ihnen nicht um die Sezession, schloss Lieber nun differenzierter, sondern um die – in Liebers Perspektive übertriebene – Verteidigung der föderalen Strukturen der Union gegen die Tendenz zur nationalen Konsolidierung. Die Nullifiers verteidigten eine bestimmte Interpretation der Bundesverfassung, welche sie in einem durchwegs konservativen Sinne an die Prinzipien der Amerikanischen Revolution gebunden sahen. Wie Lieber später in Auseinandersetzung mit den Briefen und Texten John C. Calhouns notierte:
65 Edward Livingston an Francis Lieber, 24. Dezember 1832, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 2596. 66 Francis Lieber an Edward Livingston, 29. Dezember 1832, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 27, Folder 29.
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I do not believe that there is one of the leading men [of the nullifiers], who contemplates disunion or force; on the contrary, right or wrong in their views, they are deeply devoted to the Constitution, and are advocating, as they sincerely believe, the only means, by which consolidation can be prevented, and hereby our liberty, our Union and the Constitution saved.67
Es war diese Einsicht in die Möglichkeit pluraler und äußerst umstrittener Interpretationen der Verfassung, welche Lieber zutiefst irritierte und ihm die Problematik vor Augen führte, auf welche er mit seinen Büchern Manual of Political Ethics und Legal and Political Hermeneutics eine Antwort suchte.
8.3 Political Hermeneutics. Regeln zur Verfassungsinterpretation Die Nullification-Krise hatte Lieber in drastischer Weise vor Augen geführt, dass in einer Republik wie der amerikanischen, einer Republik also, welche auf einer geschriebenen Verfassung beruht, der Sprache eine kaum zu überschätzende politische Bedeutung zukommt. Was war die Nullification-Krise, wenn nicht ein Streit um die Worte der Bundesverfassung, fragte sich Lieber.68 In der krisenhaften Umbruchsituation der Nullification sah er sich an Thukydides’ These erinnert, dass sich politischer Wandel in der Veränderung von Wortbedeutungen und im Wandel der politischen Sprache manifestiere. Lieber interpretierte die Nullification-Krise als eine jener von Thukydides beschriebenen historischen Situationen, in denen das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit brüchig wird und tradierte Wortbedeutungen durch den Lauf der Geschichte unterminiert werden. Während der peloponnesischen Kriege, erinnerte Lieber die Leserschaft seines Buches Manual of Political Ethics mit Blick auf die Geschichtsschreibung des Thukydides, „the received value of names imposed for signification of things, was changed into arbitrary.“69 Und in seinem Kommentar zu dieser Stelle wies Lieber noch einmal mit Nachdruck auf „the truth contained in the remarks of Thucydides respecting the subversion of language in times disordered by the fury of party“ hin. Dies sei durch die Französische Revolution ebenso bestätigt worden, als klassisch-republikanische Begriffe wie Tugend und Patriotismus „entirely new meanings“ erhal-
67 Francis Lieber, Notiz zu John C. Calhoun an Col. Nathan Towson, 11. September, 1830, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 1036. 68 Vgl. hierzu die später erschienene Rede Lieber Francis, What is our Constitution– League, Pact, or Government, S. 5. 69 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, II, S. 424.
8.3 Political Hermeneutics. Regeln zur Verfassungsinterpretation
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ten hätten,70 wie durch die Deutungskämpfe im postrevolutionären Amerika über die Bedeutung der Bundesverfassung. „Party spirit may run so high that the greatest link and tie of humanity, language, loses its very essence, and people cease to understand one another, when even the best intended words […] are unintentionally yet passionately, or wilfully wronged, misconstrued, wrung from their very sense.“71 In einer Republik, welche auf einer geschriebenen Verfassung beruht, waren diese Bedeutungsverschiebungen in der Semantik politischer Begriffe von kaum zu überschätzender Signifikanz, weshalb sich Lieber mit jenem „branch of science“ zu beschäftigen begann, „which establishes the principles and rules of interpretation and construction: political hermeneutics“.72 „Four decades after 1787“, stellte der Historiker Michael Kammen zweihundert Jahre nach dem Entwurf der Bundesverfassung fest, „American constitutionalism remained a fragile fabric. One cannot say that a consensus existed about serious matters of constitutional interpretation.“73 Ähnliche Beobachtungen machte auch Francis Lieber bereits in den 1830er Jahren. Seine „political hermeneutics“ waren vor diesem politischen Problemhorizont ein Versuch, wenn nicht einen Konsens über die Verfassung zu finden, dann zumindest konsensfähige Regeln zu entwickeln, wie Verfassungstexte interpretiert und ausgelegt werden sollten.74 Die Beschäftigung mit der Hermeneutik seines Lehrers Schleiermacher sollte gleichsam in den Kontext der umstrittenen Verfassungsdebatten in Nordamerika transponiert werden, denn diese Problematik, notierte Lieber anfangs der 1830er Jahre, „is one floating uppermost in the broad current of our time.“75 In der Tat findet sich unter Liebers Bekannten in New England ein verbreitetes Problembewusstsein hinsichtlich der divergierenden Verfassungsinterpretationen, wie sie im Zuge der Nullification in aller Deutlichkeit hervortraten. Bereits 1827 hatte etwa Edward Everett im Hinblick auf die Problematik einer geschriebenen Verfassung geschrieben: Whatever the people intended in that expression of their will which we call the Constitution, or whatever is necessarily deduced from its provisions, is the law of the land. On account of the imperfection of language, it is not in every case, and in the vast variety of
70 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, II, S. 426–427. Vgl. zu diesen Transformationsprozessen auch Baker Keith Michael, Transformations of Classical Republicanism in EighteenthCentury France; Jainchill Andrew, The Constitution of the Year III and the Persistence of Classical Republicanism. 71 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, II, S. 424. 72 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 64. 73 Kammen Michael, A Machine that would go of itself, S. 51. 74 Vgl. hierzu auch Farr James, Francis Lieber and the Interpretation of American Political Science. 75 Francis Lieber an Charles Sumner, [undatiert, vermutlich August 1835], in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 106.
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individual actions, possible to pronounce, as a matter of course, what is or is not the rule of the constitution as applied to that case.76
Genau dieser Problematik wollte sich nun Lieber annehmen und seine Überlegungen fanden ihren Ausdruck v. a. in zwei Texten, die parallel entstanden aber gesondert publiziert wurden. 1837 veröffentlichte er das Buch Political Ethics, im gleichen Jahr erschien im American Jurist eine Artikelserie unter dem Titel Legal and Political Hermeneutics, die Lieber dann zwei Jahre später, 1839, in einer überarbeiteten Form als Buch unter dem gleichen Titel publizierte.77 Während er in Political Ethics vor allen Dingen den Zusammenhang zwischen Bürger und Staat erörterte, widmete er sich in Legal and Political Hermeneutics den verschiedenen Formen und Regeln der Interpretation politischer und rechtlicher Texte. Liebers politische Hermeneutik basiert auf zwei Operationen: auf der Interpretation von politischen und rechtlichen Texten und auf deren Auslegung (construction). „Interpretation“, definierte Lieber, „is the art of finding out the true sense of any form of words: that is, the sense which their author intended to convey, and of enabling others to derive from them the same idea which the author intended to convey.“78 Das Ziel einer rationalen Interpretation sei es, die Intentionen des Sprechers zu rekonstruieren und dieses Handwerk der sorgfältigen Interpretation sei deshalb so wichtig für das menschliche Zusammenleben, und insbesondere für die Politik, weil Sprache immer eine gewisse Ambiguität aufweise. Da es „no direct communion between the minds of men“ gäbe,79 sei der Mensch auf Zeichen angewiesen, auf eine Sprache, die indessen grundsätzlich uneindeutig sei und deshalb einen Zwang zur Interpretation schaffe: „We are constrained, then, always, to leave a considerable part of our meaning to be found out by interpretation, which, in many cases must necessarily cause greater or less obscurity with regard to the exact meaning, which our words were intended to convey.“80 Zwischen den Intentionen der Sprechers und dem Verstehen des Rezipienten könne demzufolge immer eine „obscurity of sense“ auftauchen, und um dies zu verhindern oder zumindest Bedeutungsunklarheiten zu reduzieren, „we have to ascertain the principles of true and safe interpretation.“81 Während die Interpretation sich auf den Zusammenhang zwischen sprachlichen Zeichen und den Intentionen des Autors oder Sprechers beschränkte,
76 [Everett Edward], Review of Speeches of Henry Clay, S. 426. 77 Vgl. Farr James, Lieber and the Innovations of Antebellum Political Thought, S. 123. 78 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 23. 79 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 13. 80 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 30. 81 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 39–40.
8.3 Political Hermeneutics. Regeln zur Verfassungsinterpretation
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verkompliziert sich die Frage der politischen Hermeneutik in jenen Fällen, in welchen sich die Bedeutung eines Textes nicht alleine auf die Intentionen des Autors zurückführen lässt, weil andere Probleme auftauchen, welche jenseits des Bewusstseins- und Wahrnehmungshorizonts des Sprechers lagen. Hier kommt die zweite Operation von Liebers politischer Hermeneutik ins Spiel, nämlich die Auslegung. Den Begriff „construction“ definierte er als „the drawing of conclusions respecting subjects, that lie beyond the direct expression of the text, from elements known from and given in the text – conclusions which are in the spirit, though not within the letter of the text.“82 Auslegungen dieser Art seien insbesondere in Fällen bedeutungsvoll – und Lieber wird hier die Nullification-Debatten im Kopf gehabt haben, – if we are bound to act in cases which have not been foreseen, by the framers of those rules, by which we are nevertheless obliged, for some binding reason, faithfully to regulate […] our actions respecting the unforeseen case; for instance, when we have to act in politics bound by a constitution in a case which presents features entirely new and unforeseen.83
Die Verfassungsväter der Vereinigten Staaten lebten in einer politischen und soziökonomischen Welt, die sich in grundlegender Hinsicht von der Gegenwart unterschied, gab Lieber zu bedenken. Dementsprechend konnten sie auch nicht alle möglichen Fälle antizipieren, welche im Zuge der Transformationsprozesse der letzten Dekaden die Politik vor neue Herausforderungen stellten, neue Kontexte hervortrieben und damit das Verhältnis von Sach- und Begriffsgeschichte verschoben: „words, as is well known, have different meanings in different contexts.“84 Was auf den ersten Blick als eine gelehrte und ins Allgemeine zielende hermeneutische Lehre erscheint, erhält vor dem geschilderten Hintergrund umkämpfter Interpretationen um die Bedeutung der Bundesverfassung und deren Zuspitzung in den Nullification-Debatten eine wichtige politische Pointe. 1834 hatte Alexander H. Everett bereits über die Problematik der divergierenden Verfassungsauslegung der unterschiedlichen Parteien in Nordamerika geschrieben: „All admire the Constitution, but each asserts the privilege of construing it in his own way.“85 In der Tat: Zu den Schlüsselargumenten der States’ Rights-Theoretiker gehörte ja die Forderung, dass die Auslegung der Verfassung einer „strict con-
82 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 56. 83 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 56. 84 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 119. 85 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 267.
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struction“ gehorchen müsse.86 Wenn die Bundesverfassung eine Regierung mit enumerierter Gewalt schuf und wenn alle Souveränitätsrechte, die nicht explizit an die Bundesregierung abgetreten wurden, in den Händen der Einzelstaaten oder beim Volk blieben, gehörte eine strikte Auslegung des Verfassungstextes zu einem jener politischen Mittel, die verhinderten, dass die Bundesregierung ihre Macht auf Kosten der Einzelstaaten ausweitete. Demgegenüber gewichteten die Federalists und später auch die Whigs die Idee der „implied powers“ stärker. Nach ihrem Dafürhalten war die Bundesverfassung nicht nur ein machtbegrenzendes Dokument, sondern auch ein machtermöglichendes. Sie definierte nicht nur die Aufgaben des neuen Bundes, sondern legitimierte auch die Mittel, um diese Aufgaben zu erfüllen. Da diese Mittel von den Verfassungsvätern nicht allesamt vorausgesehen werden konnten, müsse davon ausgegangen werden, dass bestimmte Rechte der Bundesregierung als „implied powers“ zu gelten hätten, weshalb die Verfassung eher einer „loose construction“ unterliege.87 Die Bedeutung des amerikanischen Föderalismus wurde also nicht zuletzt darüber definiert, nach welchen Verfahren man die Bundesverfassung zu interpretieren und auszulegen hatte. Denn die Übel der Nullification und anderer Krisen der amerikanischen Republik, versicherte Henry Clay in einem Brief an Lieber, „proceed from a disregard of an established interpretation of the Constitution, concurred in by all the departments of Government, & acquiesced in by the people of the U. States themselves.“88 In diese Debatte intervenierte nun Lieber mit seiner politischen Hermeneutik und seine Ausführungen sind über weite Strecken ein Navigieren zwischen den beiden genannten hegemonialen Deutungsmustern der „strict construction“ einerseits, der „loose construction“ andererseits. Die Bundesverfassung erforderte in Liebers Perspektive, wie alle anderen Texte auch, Interpretation und Auslegung. Die Verfassung blieb in vielen essentiellen Punkten, welche die politischen Diskurse im antebellum-Amerika anfeuerten, ambivalent – insbesondere auch was die föderale Struktur und potenzielle Konflikte zwischen Bund und Einzelstaaten anging. Viele Sätze der Bundesverfassung, erklärte Lieber, „must be interpreted, if we are desirous to ascertain what precise meaning the framers of our constitution attached to it, and construed, if we are desirous of knowing how they would have understood it respecting new relations, which they could not know at the time […].“89 Betrachte man die Debatten, welche in den Vereinigten
86 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 11. 87 Vgl. Lenner Andrew C., The Federal Principle in American Politics, S. 3–43. 88 Henry Clay an Francis Lieber, 12. Februar 1838, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 1111. 89 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 176–177.
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Staaten in regelmäßigen Abständen über einzelne Bestimmungen der Bundesverfassung geführt würden, werde unzweifelhaft deutlich „that [they are] differently understood by different men and parties, and that consequently, conscientious construction is called for. The question is not, shall we construe at all? but: what are the safe and general rules of political construction?“90 Weder schlug sich Lieber in dieser Frage auf die Seite jener, die eine „strict construction“ forderten, noch auf jene, die eine „loose construction“ für angemessen hielten. Stattdessen führte er den intermediären Begriff der „close construction“ ein. Damit grenzte sich Lieber von der Forderung nach einer „strict construction“ ab, die seiner Meinung nach keine Möglichkeit bot, dem Wandel von Texten und Kontexten und dem dynamischen Verhältnis von Sach- und Begriffsgeschichte Rechnung zu tragen. Die „strict construction“ lähme eine dynamische Angleichung der Textbedeutung an sich wandelnde politische Konstellationen und verhindere so, dass die Bundesregierung zu adäquaten Instrumenten greifen kann, um neue politische Herausforderungen anzugehen, die von den Verfassungsvätern nicht antizipiert werden konnten. „One of the most serious mistakes“ erläuterte Lieber später in seinem Buch On Civil Liberty and Self-Government, „is to imagine that liberty consists in withholding the necessary power from government. Liberty is not of a negative character. It does not consist in merely denying power to government.“91 Ebenso deutlich argumentierte er aber auch gegen die Anwälte einer „loose construction“, denn: „Constitutions should be, in ordinary cases, construed closely, because their words have been well weighed, and because they form the great contract or agreement, between the people at large, or between the people and their ruling race.“92 Diese Regel traf insbesondere auf föderale Verfassungen zu, in welchen üblicherweise verschiedene Zuständigkeitssphären zwischen unterschiedlichen politischen Körperschaften definiert werden. Um sowohl den Bund als auch die Einzelstaaten an die Grenzen ihrer jeweiligen Handlungssphären zu binden und Machtmissbräuche und Obstruktionen von beiden Seiten zu verhindern, sei eine „close construction“ des Textes unabdingbar. „Construction of federal constitutions“ meinte Lieber, „ought to be close, especially if they distinctly pronounce, that the authority and power granted therein is all that is granted, and that nothing shall be considered as granted, except what is mentioned, as is the case with the constitution of the United States of America.“93
90 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 177. 91 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 159. 92 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 183. 93 Lieber Francis, Legal and Political Hermeneutics, S. 184.
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Mit dem Begriff der „close construction“ versuchte Lieber dementsprechend zwischen jenen Konzeptionen der Verfassungsinterpretation zu navigieren, die in South Carolina dominierten, und jenen, die seine Freunde in New England vornehmlich vertraten. Im Kern dieser „close construction“ lag ein dialogisches Deutungsmuster der Gründung der Vereinigten Staaten, das sich seit den 1790er Jahren und dann insbesondere im Kontext der Debatten um die Alien- and Sedition Acts allmählich herausgebildet hatte. Diesem Deutungsmuster zufolge war die Ratifikation der Bundesverfassung nicht schlicht als Erfolg der Federalists zu deuten, sondern als eine Art „founding dialogue“ zwischen Federalists und Antifederalists. Nur wer die Einwände gegen die Verfassung ernst nahm, konnte auch die Antworten der Befürworter richtig verstehen, und nur aus diesem dialogischen Prozess konnten die „original understandings“ der Gründungsväter rekonstruiert werden.94 Damit rückte der Fokus der Verfassungsinterpretation weg vom Text der Bundesverfassung hin zur breiteren Ratifikationsdebatte, zu den Kontroversen in der Federal Convention und in den ratifizierenden Versammlungen der Einzelstaaten, und zu den publizistisch ausgetragenen Deutungskämpfen, welche diese begleiteten. Gerade die Ambivalenz des Verfassungstextes nötigte zu einer breiteren Berücksichtigung des diskursiven Kontextes der Verfassungsentstehung und zum Blick auf die Texte jener Autoren, welche die Ratifikationsdebatten publizistisch begleiteten. So forderte denn auch Lieber: We must ponder our great federal pact, with contemporaneous writers on the constitution, and the debates which led to its adoption after the failure of the original articles of confederation, as well as the special charters which were considered peculiarly favorable to liberty, such as many of the colonies out of which the United States arose.95
8.4 „Demokratischer Absolutismus“ vs. „Institutionelle Freiheit“ Liebers eigene Interpretation der umstrittenen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der amerikanischen Bundesverfassung war ebenso von den Debatten um die Nullification geprägt, wie von einem fundamentalen historischen Transformationsprozess, den er in Nordamerika und Europa emporsteigen sah: die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft. Bereits in der Encyclopedia Americana
94 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 221–245. 95 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 69.
8.4 „Demokratischer Absolutismus“ vs. „Institutionelle Freiheit“
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war 1830 im Artikel Constitutions zu lesen, dass die Gegenwart von einer kaum zu kontrollierenden „democratic tendency“ erfasst worden sei: „Every thing, from the fashion of the dress to the cultivation of the intellect, tends to a democratic equality.“96 Der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart lag darin, diese umfassende gesamtgesellschaftliche Transformation des Demokratisierungsprozesses anzuerkennen, in seinen kontextuell gebrochenen Manifestationen zu studieren und insbesondere die Entwicklungspfade des Demokratisierungsprozesses in Nordamerika und Frankreich, den beiden „high-schools for history“, in einem komparativen Deutungshorizont zu untersuchen.97 Quellen dieser Deutung lassen sich sowohl in Liebers Auseinandersetzung mit der Geschichte Europas seit der Französischen Revolution als auch in seinen Gegenwartsdiagnosen Amerikas im Zeitalter Andrew Jacksons finden. Eine nicht unwesentliche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die europäischen Revolutionen von 1830, welche der Historiker Lieber in einen Zusammenhang mit der Revolution von 1789 rückte. „1830 is but the consequence of 1789“, konstatierte er 1831. „Feudalism has had its day, and in the great course of events it has had to succumb to democratic principles. The struggle for deliverance may be prolonged, but cannot be eventually prevented.“98 Diese Überzeugung eines umfassenden und unaufhaltsamen Demokratisierungsprozesses begrüßte Lieber allerdings nicht vorbehaltlos. Gerade Liebers Analyse der Geschichte der Französischen Revolution und der Ermöglichungsbedingungen der jakobinischen Herrschaft sowie seine Beobachtungen des Aufstiegs Andrew Jacksons und dessen Leitbildes der „majority rule“ machten ihn skeptisch gegenüber Absolutheitsansprüchen – auch gegenüber jenen, welche im Namen des Volkes und unter dem Banner der Demokratie vorgebracht wurden. „I own,“ schrieb er 1844 an Alexis
96 [Lieber Francis], Art. Constitutions, S. 467. Obwohl die Artikel in der Encyclopedia Americana nicht von ihren Verfassern unterzeichnet waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass Francis Lieber diesen Artikel geschrieben hat. In seinen zur gleichen Zeit entstandenen „Notes, whilst I read Locke on Government“ reflektierte Lieber in ganz ähnlicher Wortwahl: „[T]he tendency of the present age is essentially democratic – from the diffusion of knowledge to the simple dress – & therefore the theory of this democratic origin of governments will gain ground more & more.“ Vgl. Lieber Francis, Notes, whilst I read Locke on Government [1830], in: HL, Francis Lieber Papers, LI 471. 97 Francis Lieber an Ranke, 15. Januar 1831, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 90. 98 Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 89.
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de Tocqueville, „the older I grow the more fervently I love liberty, true and substantial liberty, and the more I hate absolutism, be it monarchical or democratic.“99 Demokratie war im Amerika der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht ein auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens basierendes und in seiner Bedeutung kohärentes Konzept, wie Epochenbezeichnungen wie „Jacksonian Democracy“ und dergleichen suggerieren. Stattdessen war Demokratie ein äußerst umkämpftes und sich rasant wandelndes politisches Konzept.100 Samuel Goodrich, ein New England Federalist und Schriftsteller, brachte dies 1856 auf den Punkt, als er im Rückblick auf die Geschichte Nordamerikas seit der Bundesstaatsgründung meinte: „[T]he word democracy, which was first used as synonymous with Jacobinism, has essentially changed its signification […].“101 Diese semantische Transformation des Begriffs sei so grundlegend, dass es für nachfolgende Generationen kaum nachvollziehbar sei, weshalb der Demokratiebegriff den Gründungsvätern so viel Kopfzerbrechen bereitet habe und weshalb sie – wie etwa James Madison im Federalist No. 10 – so viel intellektuelle Energie investierten, zwischen Demokratie und Republik zu differenzieren. We who are now familiar with democracy, can hardly comprehend the odium attached to it in the age to which I refer, especially in the minds of the sober people of our neighborhood. They not only regarded it as hostile to good government, but as associated with infidelity in religion, radicalism in government, and licentiousness in society. It was considered a sort of monster, born of Tom Paine, the French Revolution, foreign renegadoes, and the great Father Evil.102
Diese kritische Sicht auf den Demokratisierungsprozess, der mit den Revolutionen in Nordamerika und Frankreich losgetreten wurde, verschwand indessen auch in den nachfolgenden Jahrzehnten nicht gänzlich aus dem öffentlichen politischen Diskurs der Vereinigten Staaten, wie Goodrichs Bemerkungen suggerieren. Zwar beanspruchten sowohl die Anhänger Jacksons als auch die Whigs zunehmend den Demokratiebegriff für sich.103 Wie sich Demokratie indessen in einer Gesellschaft wie der amerikanischen organisieren ließ, welche politischen Institutionen hierfür notwendig waren, welche Gefahren allenfalls mit der Demokratie auch verbunden waren – an diesen Fragen schieden sich die politischen Meinungen.
99 Francis Lieber an Alexis de Tocqueville, 7. November 1844, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 191. 100 Vgl. hierzu Wilentz Sean, Striving for Democracy. Ausführlicher auch Wilentz Sean, The Rise of American Democracy. 101 Goodrich Samuel, Recollections of a Lifetime, or Men and Things I have seen, I, S. 121. 102 Goodrich Samuel, Recollections of a Lifetime, or Men and Things I have seen, I, S. 117–118. 103 Vgl. Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 582.
8.4 „Demokratischer Absolutismus“ vs. „Institutionelle Freiheit“
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Francis Liebers Sicht auf den Aufstieg der Demokratie in Europa und Nordamerika spiegelte die Ambivalenz und Umstrittenheit des Konzepts im späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf der einen Seite begrüßte er die Abschaffung des Feudalismus und der Privilegienordnung aristokratischer Systeme sowie die Einführung von Rechtsgleichheit und bürgerlicher Partizipation, auf der anderen Seite war er nicht blind für die Gefahren, welche seiner Meinung nach auch von demokratisch organisierten politischen Gemeinwesen ausgehen können. „I am no flatterer“, notierte Lieber angesichts des von Goodrich skizzierten Bedeutungswandels des Demokratiekonzepts vom Schimpf- zum Identifikationsbegriff in der politischen Kultur Nordamerikas, „Democracy may be carried to fearful extremes.“104 Dieses Urteil leitete Lieber v. a. aus seiner historischen Analyse der Französischen Revolution ab. Sie deutete er zunächst als willkommene Auflehnung gegen den Feudalismus des Ancien Régimes, die aber aufgrund einer radikaldemokratischen Dynamik, fehlender Institutionen der Machtteilung und Machtdispersion in einer Katastrophe endete. „The French Revolution was eminently Rousseauism“, schrieb Lieber, denn sie ließe sich verstehen als eine fast obsessive Suche nach dem homogenen Gemeinwille der Nation, wie er von Rousseau im Contrat Social beschrieben worden sei. Der Contrat Social sei deswegen unter den Revolutionären so wirkmächtig geworden, notierte Lieber, „because 1. in beautiful language he 2. gives a very plain simple and bold theory which 3. flatters, and fell in both with the French notions of equality and the pre-existing idea of contract.“105 Mit der Rezeption Rousseaus durch die Revolutionäre sei ein radikaler politischer Voluntarismus in die politische Sprache der Revolution integriert worden, der die Legitimität von Gesetzen nicht mehr institutionell einzuhegen imstande war, sondern nur noch dem demokratischen Willensbildungsprozess überantwortete. Dieser politische Voluntarismus drückte sich in Liebers Perspektive auch im Willen der Revolutionäre aus, radikal mit der Vergangenheit zu brechen und eine neue Zeit beginnen zu lassen: „The French avowedly pulled down everything; declared that everything has been slavery before the revolution, that now reason rules for the first time; they wholly disown the past; they insist upon mounting everything anew.“106 Rousseaus Argument
104 Lieber Francis, Notes for a lecture on Democratic Tendency in History, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 62. 105 Lieber Francis, Notes on the English and French Revolutions, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 365. 106 Lieber Francis, Notes on the English and French Revolutions, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 365.
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einer Inkompatibilität zwischen Volkssouveränität und Repräsentation sah Lieber zudem als Katalysator für die zunehmend unbeherrschbar gewordene Revolutionsdynamik an, denn dadurch konnte der behauptete Wille des Volkes jederzeit gegen den Willen seiner Repräsentanten in der Nationalversammlung ausgespielt werden. Dies war in Liebers Perspektive die politische Strategie Robespierres und damit sei der Weg geebnet worden für das, was Lieber „democratic absolutism“ nannte.107 Der Absolutheitsanspruch der Jakobiner im Namen der revolutionären Nation zu handeln und ihre Bereitschaft, diesen angeblich einheitlichen nationalen Willen auch mit den Mitteln des Terrors in die Tat umzusetzen, habe zu einer blutigen Willkürherrschaft, zu einer radikalen Zentralisierung politischer Macht und zu einer Unterminierung aller lokalen Institutionen des self-government geführt. Gerade der Wille zum Bruch mit der Vergangenheit und mit den Institutionen des Ancien Régimes schuf in Liebers Perspektive die Dispositionen dafür, dass eine föderale Organisation der Republik in Frankreich nicht infrage kam, denn dies wäre nur mit institutionellen Zwischengewalten zu machen gewesen, die indessen wiederum von den Jakobinern mit dem Ancien Régime verknüpft wurden. Es sei deshalb auch kein Zufall, notierte sich Lieber in einer Notiz für eine Vorlesung zur Französischen Revolution, dass es Robespierre war, „[who] first brought forward the charge of federalism“. Und weiter schrieb er nach seiner Robespierre-Lektüre: „Never – on no occasion appears ever a spark of idea of self-government.“108 Der Zusammenhang von Föderalismus und republikanischer Selbstregierung, der Lieber in seinen Analysen der amerikanischen politischen Kultur herausstrich, vermochte er in den Schriften der französischen Revolutionäre kaum zu finden. Die französischen Revolutionäre, welche in so vielen Feldern des Politischen die Geschichte neu beginnen und die Institutionen des Ancien Régimes demontieren wollten, scheiterten ironischerweise gerade daran, den von der Monarchie geerbten Zentralismus infrage zu stellen, argumentierte Lieber ähnlich wie später Tocqueville in seinem Buch L’ Ancien Régime et la Révolution. No struggle for liberty in France from the first days of the first revolution to the present day has ever yet led to an attempt at reducing centralization and bureaucracy – on the contrary the first revolution and Napoleon’s government greatly promoted it. Indeed Napoleon found his government comparatively easy – at any rate possible, because the revolution had centralized everything.109
107 Lieber Francis, Notes on the English and French Revolutions, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 365. 108 Lieber Francis, Robespierre, Notes for a lecture, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 363. 109 Lieber Francis, Notebook, Anglican and Gallican Liberty – Civil Liberty in General, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 44. Hervorhebungen im Original.
8.4 „Demokratischer Absolutismus“ vs. „Institutionelle Freiheit“
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Und gerade die beiden Prinzipien, welche man bei Robespierre vergeblich suchte, Föderalismus und Selbstregierung, betrachtete Lieber als die wichtigsten Hindernisse für die Herausbildung eines „demokratischen Absolutismus“. Diesen „demokratischen Absolutismus“ und die diesen fast zwangsläufig begleitende „beklagenswerthe, einsaugende Vereinigung der Gewalt“, welche Lieber in der Geschichte der Französischen Revolution beobachtete, kontrastierte er mit der institutionellen Einbettung demokratischer Prozesse in England und Nordamerika.110 Zwar hätten die französischen Ideen auch die politischen Diskurse Nordamerikas mitbestimmt, räumte Lieber ein: „I believe French ideas of liberty have influenced – through Jefferson and that ilk – American politics more than American ideas have done French.“111 Allerdings kenne das politische System Nordamerikas institutionelle Sicherungsmechanismen, um die rasante Verwandlung von Republiken in direkte Demokratien oder plebiszitär legitimierte Despotien zu verhindern, argumentierte Lieber. Sein diskursiver Leitbegriff war in dieser Hinsicht „institutional liberty“. Nur institutionelle Verfahren konnten verhindern, dass die Leidenschaften des Volkes von gewissenlosen Demagogen für ihre eigenen Interessen missbraucht und damit die Freiheit der Bürger untergraben und ihre individuellen Rechte verletzt werden könnten, argumentierte Lieber ganz in der politischen Sprache der Whigs und ihrem Misstrauen gegenüber jeder Form der Machtkonzentration.112 Hieran knüpfte er auch seine Definition der Republik: „Republic is institution – even the wildest democracy can be called a republic only so far as there is something of a institution. A mob is no republic.“113 Die herausragenden Prinzipien der amerikanischen Republik sah er genau in jenen föderalen institutionellen Strukturen verkörpert, „which have a vital power of autonomy, of self-regulation or self-development within themselves“.114 Dieses dialektische Verhältnis zwischen föderalen politischen Institutionen und republikanischer Selbstregierung hob er später auch gegenüber seinem Freund Alexis de Tocqueville hervor, als er von der Erkenntnis sprach, „that in politics almost everything depends upon good institutions and people trained in them“.115
110 Lieber Francis, Englische und französische Freiheit, S. 292. 111 Francis Lieber an A. D. White [undatiert], in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 382. Hervorhebungen im Original. 112 Vgl. hierzu auch Robson Charles B., Francis Lieber’s Theory of Society, Government, and Liberty, S. 242–246. 113 Lieber Francis, Notebook, Anglican and Gallican Liberty – Civil Liberty in General, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 44. 114 Lieber Francis, Notebook, Anglican and Gallican Liberty – Civil Liberty in General, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 44. 115 Francis Lieber an Alexis de Tocqueville, 4. September 1854, in: HL, Francis Lieber Papers, FAC 464 (1–3). Hervorhebungen im Original.
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8.5 Madisons Dilemma: Majority Rule, republikanischer Föderalismus und die Bedingungen republikanischer Selbstregierung In seinen Vices of the Political System of the United States hatte James Madison im April 1787 eine Frage notiert, welche er eigentlich mit der Bundesverfassung vorerst beantwortet sah, die indessen in den späten 1820er und den 1830er Jahren angesichts von Andrew Jacksons Leitbegriff der „majority rule“ erneut an Relevanz gewann: „In republican Government“, hatte Madison geschrieben, „the majority however composed, ultimately give the law. Whenever therefore an apparent interest or common passion united a majority what is to restrain them from unjust violations of the rights and interests of the minority, or of individuals?“116 Hatte Madison noch in der Verknüpfung föderaler und repräsentativ-demokratischer Prinzipien in der großflächigen Republik sowie in der Kultivierung republikanischer Bürgertugenden hinreichende Mittel zur Verhinderung dieser „unjust violations of the rights and interests of the minority“ erblickt, waren diese Mechanismen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts teilweise unterspült worden. Kommunikations- und Transportrevolutionen hatten die kommunikativen und geographischen Hindernisse zur übergreifenden Parteienbildung, welche Madison noch als förderlich für die Republik angesehen hatte, teilweise aus dem Weg geräumt und gleichzeitig eine massive Politisierung der breiten Bevölkerung bewirkt.117 Wie John C. Calhoun befürchtete, war aus der von Madison antizipierten Pluralität der Interessen eine sektionale Dualität der Interessen zwischen Norden und Süden geworden und damit lag aus der Sicht der Südstaaten die Gefahr einer Tyrannei einer vom Norden dominierten nationalen Mehrheit über die Minderheit des Südens in Griffnähe – und damit auch die Möglichkeit einer nationalen Mehrheit zur Abschaffung des Sklaverei.118 Diese wichtige Rolle der Transport- und Kommunikationsrevolutionen für die Veränderung des politischen Raumes und damit auch für das politische System der Vereinigten Staaten reflektierte auch Francis Lieber zu Beginn der 1840er Jahre. „The two most energetic mechanical agents in the advancement of civilization are the art
116 Madison James, Vices of the Political System of the United States, in: Madison James, The Writings of James Madison, II, S. 367. 117 Vgl. Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 577. 118 Vgl. Calhoun John C., A Disquisition on Government, S. 15. Zu Calhouns Theorie der „concurrent majority“ vgl. Ford Lacy K. Jr., Recovering the Republic; Ford Lacy K. Jr., Inventing the Concurrent Majority.
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of printing and the institution of the post, because they are the most active and efficient aids of communication between the absent and between the many.“119 Die Zerklüftung des politischen Raumes, welche Madison mitunter als Chance begriffen hatte, die Bildung von tyrannischen Mehrheiten durch die Pluralisierung der politischen Willensbildung zu unterbinden, wurde durch die veränderten Kommunikations- und Transportverhältnisse zunehmend überbrückt. Die Kommunikation zwischen den „Abwesenden“ und zwischen den „Vielen“ zeitigte auch eine demokratisierende Dynamik, welche sich insbesondere die Anhänger Andrew Jacksons zu Eigen machten. Die populistische Rhetorik der Jacksonians, ihre Orientierung am Wählerwillen und an den Interessen des common man, ihre Angriffe auf die Korruption der Eliten in Politik und Wirtschaft und ihre Forderungen nach einem limited government verliehen dem Demokratisierungsprozess der amerikanischen Gesellschaft eine andere Note.120 Madisons Zweifel an einem möglichen Machtmissbrauch einer demokratisch legitimierten Mehrheit war Andrew Jackson und den meisten seiner Anhänger fremd. Die Machtskepsis, welche die republikanische Sprache von Madison noch durchwirkt hatte, war einer durch demokratische Legitimation gestützten Machtermöglichung gewichen; die wechselseitige Kontrolle von Mehrheiten auf Bundesebene und auf Einzelstaatsebene, die konstitutionelle Kontrollfunktion der judikativen Gewalt, die Teilung und Distribution der vom Volk delegierten Macht, die Skepsis gegenüber einer mächtigen Exekutive – all dies wurde zusehends als Verzerrung des Mehrheitswillens interpretiert, oder, wie Michael O’Brien Jacksons Überzeugung auf den Punkt brachte, „no check was legitimate if it checked the popular will.“121 Der Wille der Mehrheit war in Jacksons Perspektive nicht mehr nur ein Teilwille des Volkes, sondern war zum Volkswille schlechthin geworden. Vor diesem Wandel des Demokratiebegriffs und der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten im Zeitalter Andrew Jacksons erschienen Lieber die von den Gründungsvätern entwickelten institutionellen Mechanismen zur Machtteilung und -distribution wichtiger denn je. Jacksons Befürwortung der majority rule war in seinem Verständnis ein Einfallstor für die Unterminierung jener sorgfältig konzipierten Machtbalancen und -verschränkungen, welche über die Koppelung von Föderalismus und Repräsentation möglich wurden. Jacksons Gleichsetzung des Mehrheitswillens mit dem Volkswillen barg in seiner Perspektive
119 Lieber Francis, Remarks on the Post Establishment in the United States, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 39, S. 5. 120 Vgl. Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 330; Wilentz Sean, The Rise of American Democracy, S. 309–311. 121 O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, S. 208.
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ein Gefahrenpotenzial, welches ihn an die Ermöglichungsbedingungen der jakobinischen Herrschaft während der Französischen Revolution erinnerte: „Giving unbounded power to the people means, then, nothing less than giving unbounded power to a majority“ und rhetorisch fragte er, ob die Mehrheit das Recht habe „to deprive the minority of their property as they have done on various occasions, or to enslave them, to kill them, as the majority of […] the French [did] during the first revolution?“122 Der Akzent liegt hier freilich auf dem Begriff „unbounded“. Dass legitime politische Herrschaft das Volk sowohl zum Gegenstand als auch zur Quelle hat, d. h. dass alle Souveränität vom Volk ausgeht und für dessen Gemeinwohl einzusetzen ist, gehörte für Lieber zu den Axiomen jeder republikanischen Ordnung.123 Was er allerdings bestritt, war, dass die Mehrheit des Volkes aufgrund dieser demokratischen Legitimität auch über die Rechte der Minderheiten verfügen oder konstitutionelle Bestimmungen im Namen des Volkes ignorieren und verletzen könne. Gerade weil die institutionellen Arrangements zur Machtteilung, wie sie in der Bundesverfassung niedergeschrieben wurden, auf der Basis der Volkssouveränität zustande kamen, seien sie legitim. Nicht die Zentralisierung und Vereinheitlichung des Volkswillens zeige sich in der Bundesverfassung und der von ihr eingesetzten und legitimierten Institutionen, sondern der politische Wille des Volkes zur Teilung und Beschränkung der vom Volk selbst ausgehenden Macht. Direkte Volksherrschaft ohne institutionelle Begrenzung und wechselseitige Kontrollfunktionen dieser Institutionen war Lieber dementsprechend suspekt: „The people, the majority, are subject to sudden impulses, to passion, fear, panic, revenge, love of power, pride, error, fanaticism, as individuals are, for they are individuals; and they are as much obliged to check their united power, as that of small bodies and individuals must be checked.“124 Dahinter steckte die durch die Amerikanische Revolution populär gewordene und nun von den Whigs erneut kultivierte republikanische Vorstellung, dass Macht korrumpiere, dass sie in konzentrierter Form Eigeninteresse vor das Gemeinwohl stelle und deshalb geteilt und in gegenseitige Kontrollverhältnisse eingespeist werden müsse, denn, wie Lieber prinzipiell feststellte: „He who has power, absolute and direct, abuses it; man’s frailty is too great; man is not made for absolute power.“125
122 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, I, S. 350–351. 123 Vgl. hierzu Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 28. 124 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, I, S. 354. 125 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, I, S. 356. Zu diesen republikanischen Grundideen vgl. Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 46–90.
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Mit diesem Misstrauen gegenüber direkter Volksherrschaft, gegenüber einer konsequenten Beanspruchung der majority rule und gegenüber Machtkonzentrationen traf Lieber bei Whigs wie Joseph Story auf Resonanz. Diese beobachteten Jacksons Aufstieg, die damit einhergehende Verschärfung parteipolitischer Streitereien und die Vernachlässigung alter republikanischer Leitbilder wie die Orientierung am Gemeinwohl und die Einforderung von Bürgertugenden mit wachsendem Unmut.126 „It seems to me,“ schrieb Joseph Story im Dezember 1836 an Lieber, „that the spirit of party (which is always the spirit of selfishness) has become irresistible. It is establishing a system of despotism of opinion, fatal to all true ambition, & a corrupt influence & eagerness for office destructive of all liberty.“127 Nachdem Lieber sein Manuskript von Political Ethics an Story zur Lektüre und Kommentierung geschickte hatte, schrieb ihm dieser Mitte August 1837: You have put the State upon its true foundation; a society for the establishment & administration of general justice, – justice to all; equal and fixed, recognizing individual rights, & not imparting them. – I rejoice too, to find in the work, brought out with great strength of reasoning, the important truth, I would say in a Republican Government, the fundamental truth, that the minority have indisputable & inalienable rights; that the majority are not every thing and minority nothing; that the people may not do what they please; but that their power is limited to what is just to all composing society.128
Das amerikanische Volk habe durch die Annahme der Verfassung ihre eigene Souveränität verfassungs- und rechtsstaatlich begrenzt und im Interesse des Gemeinwohls in ein von der Bundesverfassung und den Einzelstaatsverfassungen definiertes institutionelles Gefüge gespeist, argumentierten Whigs wie Joseph Story gegen das von den Jacksonians gesungene Hohelied der majority rule. Die Freiheiten des Individuums und der Minderheiten konnten nur geschützt werden, wenn ein komplexes Zusammenwirken von Institutionen ein System der Checks and Balances aufbaut, welches die Konzentration von Macht und damit das Potenzial von Machtmissbrauch verhindere. „I would say,“ formulierte Lieber im Einklang mit Storys Argumenten, „wherever all power that can be obtained, is undivided, unmodified and un-mediatised, somewhere, whether apparently in an individual, or a body of men, or the whole people, which means in this case of course the majority, there is absolutism.“129 Jede Republik sei zudem auf eine loyale Oppo-
126 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 28–30. 127 Joseph Story an Francis Lieber, 19. Dezember 1836, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 3269. 128 Joseph Story an Francis Lieber, 15. August 1837, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 3271. 129 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, I, S. 358. Hervorhebungen im Original.
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sition angewiesen, was durch die konsequente Inanspruchnahme der „majority rule“ infrage gestellt werde. Werden die in der Bundesverfassung definierten Prinzipien und Verfahren den Interessen der Mehrheit geopfert, drohe die Legitimität der Bundesverfassung unterminiert zu werden und damit auch die Loyalität der oppositionellen Kräfte gegenüber der Verfassung. „Yet, essential freedom cannot exist without a vigorous though loyal opposition“, argumentierte Lieber, „it is the breath of life in the nostrils of freedom.“ Es sei die Abwesenheit einer solchen loyalen Opposition, welche in der Vergangenheit der Grund dafür gewesen sei, „that all power in antiquity invariably verged to absolutism, whether popular or monarchical.“130 Wie war diese Machtkonzentration, diese Tendenz zu einem „demokratischen Absolutismus“, zur Missachtung der Rechte von Minderheiten und Individuen und zur Zerstörung einer loyalen Opposition zu verhindern? Es waren vor allen Dingen zwei miteinander verbundene Konzepte, welche Lieber dafür in Anspruch nahm, „undivided, unmodified and un-mediatised power“ vorzubeugen: Repräsentation und Föderalismus. Die Bundesverfassung von 1787 war in Liebers Perspektive insofern eine historische Wegscheide in der Entwicklung föderaler Theorie, als damit erstmals der Versuch unternommen wurde, „of superinducing the representative system upon the deputative in a confederation, thus adapting it to the necessary tendency of modern public liberty, and securing those advantages which a representative system alone can possibly guarantee.“131 Neben der strikten Trennung von Staat und Kirche, staatsbürgerlicher Gleichheit (zumindest was weiße Männer betraf), unveräußerlichen Menschenrechten und „a more popular or democratic cast of the whole polity“ sah Lieber v. a. im „republican federalism“, also der Verknüpfung von demokratischer Repräsentation, Föderalismus und self-government das herausragende Merkmal der amerikanischen politischen Ordnung.132 Zwar sei der Republikanismus ein wichtiges, und vielleicht das am meisten im politischen Diskurs hervorgehobene Merkmal des politischen Selbstverständnisses in Amerika, so Lieber, dies sei aber genauer betrachtet etwas unpräzise: „[I]t is not only republicanism that forms one of the prominent features of American liberty,“ präzisierte er, „it is representative republicanism and the principle of confederation or federalism, which must be added, in order to express this principle correctly.“133 Bezeichnenderweise sah sich Lieber an dieser Stelle seines Buches On Civil Liberty and Self-
130 Lieber Francis, A Word on Centralism and Concentration, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 344. 131 Lieber Francis, Manual of Political Ethics, II, S. 528. 132 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 277. 133 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 278–279.
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Government dazu genötigt, eine Fußnote einzufügen, in welcher er seinen eigenen Sprachgebrauch gegen allfällige Missverständnisse abzusichern versuchte: „Federalism is taken here of course in its philosophical, and not in its party sense.“134 Die Semantik des „republican Federalism“ war in Liebers Konzeption nicht nur institutionell unterfüttert, sondern erschloss eine Konzeption des politischen Kräfteausgleichs. Die „federal republic“ beruhte auf einer Austarierung von zentrifugalen und zentripetalen Kräften, die insofern in einer institutionell abgesicherten Balance gehalten werden mussten, weil beide Extreme die Freiheit und die Rechte des Individuums gefährdeten. „Our government is a federal union“ erklärte er seine Konzeption des republikanischen Föderalismus als freiheitsgenerierendes Kräfteparallelogramm zwischen zentrifugalen und zentripetalen Dynamiken: „Confederacies are exposed to the danger of sejunction as unitary governments are exposed to absorbing central power – centrifugal power in the one case, centripetal power on the other.“135 Ähnlich schrieb er auch an seinen Freund Mittermaier nach Heidelberg. „Das große Geheimnis der Freiheit“, erklärte er seinem langjährigen Freund angesichts der gescheiterten Revolution in Deutschland, dem – wie Lieber es nannte – „arroganten Absolutismus der Majorität“ in Frankreich und der Sezessionskrise in den Vereinigten Staaten, „liegt in einem weisen Mittelpunkte zwischen Centralisation und Sejunktivismus.“136 Das politische System der Vereinigten Staaten verband nun beide Kräfte und sei „neither a pure unitary government nor a pure confederacy“, schloss er an die Argumente Madisons im Federalist an.137 Der republikanische Föderalismus Nordamerikas entzog sich den tradierten begrifflichen Nomenklaturen, so dass es ebenso irreführend war, dieses politische Gebilde nur durch die Brille eines einheitlichen Nationalstaats zu interpretieren, wie durch die Brille einer Konföderation von souveränen Staaten. Letzteres sei vergleichbar mit dem Versuch, so Lieber in einer astronomischen Metaphorik, wie sie im transatlantischen Föderalismusdiskurs immer wieder auftauchte, „of explaining the planetary system by centrifugal power alone.“138 Genauso wie das Planetensystem in Newtons Modellierung in harmonischer Bewegung gehalten wurde, sollten die Institutionen des republikanischen Föderalismus die Union harmonisieren und verhindern, dass Einzelstaaten und Bund aus den ihnen zugewiesenen Sphären gerieten.
134 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 278. 135 Lieber Francis, History and Political Science Necessary Studies in Free Countries, S. 332–333. 136 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 18. Januar 1852, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 65. 137 Lieber Francis, What is our Constitution– League, Pact, or Government, S. 33–34. 138 Lieber Francis, What is our Constitution– League, Pact, or Government, S. 34.
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Liebers Konzept des republikanischen Föderalismus verband politische Institutionen mit politischer Selbstregierung und Bürgerfreiheit. Lieber war überzeugt, dass die Gründungsväter Nordamerikas mit ihrer komplexen institutionellen Ordnung, mit ihrem Gespür für die Notwendigkeit von Machtbalancen und Machtbegrenzung letztlich demonstriert hatten, dass individuelle Freiheit und kollektive, öffentliche Freiheit einander gegenseitig bedingen. Die Freiheit des einzelnen Bürgers basierte in dieser Perspektive letztlich auf seiner Fähigkeit zur Selbstregierung und damit auch auf seiner Bereitschaft, sich in kollektiv verhandelte Institutionen einbinden zu lassen. „Bürgerfreiheit und Selbstregierung“ waren die normativ bestimmten Ziele von Liebers politischer Sprache und dies setze das Verständnis voraus, erklärte er gegenüber Mittermaier, dass „Freiheit nur möglich ist, wenn sie durch eine institutionelle Politik und institutionellen Geist getragen wird, und dass aller Rousseauscher Kram gar nichts anders sein kann, als wüster Absolutismus.“139 Die komplexen föderalen und repräsentationsdemokratischen Mechanismen wandten sich damit sowohl gegen die Gefahr einer demokratisch-plebiszitär legitimierten Tyrannei der Mehrheit, als auch gegen die Gefahr einer tyrannischen Exekutive oder einer unverantwortlichen und bürgerfernen Zentralregierung. Stattdessen ermöglichten sie die politische Partizipation der Bürger, welche sich über das föderale Prinzip als Selbstregierung und als Ausdruck pluraler Interessen und über das repräsentative Prinzip als Ermächtigung und Kontrolle der Regierungen ausdrückte. Dies modifizierte auch die Rolle der Repräsentanten, wie Francis Lieber in einem Brief an Mittermaier erläuterte: Der Repräsentant in seiner höchsten Würde und nach seiner letzten Handlungsnorm ist allerdings Nationalrepräsentant, aber die Nation wird nur eben dadurch repräsentirt, dass die vielen tausend Interessen und Ansichten treu und wahr ihren Spiegel finden, und durch die Vereinigung aller Repräsentanten sich ausgleichten und modifizirten.140
139 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 28. November 1857, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 76. Hervorhebungen im Original. Ganz ähnlich formulierte Lieber auch in einem Brief an Robert von Mohl, in welchem er meint, dass „die wahre Bedeutung des democratischen Absolutismus“ noch nicht erkannt worden sei, und die politischen Wissenschaften sich stärker der Frage zuwenden müssten, „dass Democratie an und für sich, oder Universal Suffrage, oder Rousseauismus – nennen wir es wie wir wollen – keine innere und nothwendige Verbindung oder Verwandtschaft mit der Freiheit hat; und dass im Gegentheil uninstitutional democracy is intrinsically the same with Ceasarism, one of the most odious of all governments.“ Francis Lieber an Robert von Mohl, 22. März 1859, in: EKUT, Nachlass Robert von Mohl, Md 613 515 11. 140 Francis Lieber an Karl Joseph Anton Mittermaier, 19. März 1843, in: UBH, Nachlasss C. J. A. Mittermaier Heid. Hs. 2746.895 40.
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Die Funktion der Repräsentanten war es in dieser Hinsicht, die Pluralität der Interessen innerhalb der compound republic zu vertreten, allerdings nicht schlicht um der Pluralität willen, sondern um des Ausgleichs willen und der damit einhergehenden Modifikation im Prozess politischer Deliberation. Neben der Funktion der Vermittlung unterschiedlicher Interessen im Prozess politischer Deliberation und der Kontrolle der Exekutive, ermöglichte das föderal-repräsentative Prinzip in erster Linie auch die Selbstregierung der Bürger. Bürgersinn und Bürgerpartizipation erschienen Lieber als die beiden wichtigsten Säulen des republikanischen self-government. Denn sobald die Bürger in öffentlichen Dingen nicht mehr mitreden, sobald sie ihrer politischen Verantwortung überdrüssig werden, habe dies zur Folge, „that the people at large take less interest in measures which essentially affect us […], and that leaders exercise a far greater power.“ Die Bürger, so Lieber weiter, „are willing to leave matters […] in the hands of leaders. This is not as it ought to be, – this is not republican.“141 Der Föderalismus erschien Lieber deshalb als unumgängliches Prinzip, weil es republikanische Selbstregierung, d. h. politische Teilhabe und daran gekoppelte Bürgerverantwortung selbst in einem nationalstaatlichen Rahmen und in einem Territorialstaat von den Ausmaßen der amerikanischen Union ermöglichte: „The modern normal type of sound government is the national Government“, meinte Lieber, man lebe in der „period of Nationalization“.142 Es wäre indessen ein Missverständnis, wenn man aufgrund dieser Gegenwartdiagnose darauf schließen würde, dass der restlos homogenisierte und vereinheitlichte Nationalstaat die unabwendbare Organisation politischer Gemeinwesen in der Moderne darstellen würde – zumindest wenn man an republikanischen Standards festhalten wollte. „All self-government, even if in a national State, retains an amount of federative principle,“ gab Lieber zu bedenken.143 *** Als in Frankreich 1835 der erste Teil von Alexis de Tocquevilles De la démocratie en Amérique erschien und erste Informationen über die wohlwollende Aufnahme dieses Buches in Europa den Atlantik überquerten, schrieb Joseph Story an seinen Freund Francis Lieber: „The work of de Tocqueville has had great reputation
141 Lieber Francis, A Word on Centralism and Concentration [1851–1854], in: HL, Francis Lieber Papers, LI 344. 142 Lieber Francis, Confederacy [Notes for a lecture], in: HL, Francis Lieber Papers, LI 400. Zu Liebers Nationalismusbegriff vgl. Curti Merle E., Francis Lieber and Nationalism. 143 Lieber Francis, Confederacy [Notes for a lecture], in: HL, Francis Lieber Papers, LI 400.
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abroad, partly founded on [the Europeans’] ignorance that he has borrowed the greater part of his Reflections from American works, & little from his own observations.“ Tocqueville habe sich, ohne dies genügend kenntlich zu machen, v. a. aus den Federalist Papers bedient, und, wie Story nicht unbescheiden anfügte, aus seinen eigenen Commentaries on the Constitution of the United States, bevor er Lieber versicherte: „You know ten times as much as he does of the actual workings of our system and of its true theory.“144 Dem nicht uneitlen Francis Lieber mag dieses Urteil Storys sehr geschmeichelt haben, zumal sich ja Lieber ausgerechnet gegenüber Tocqueville gerne darüber beklagte, dass in den Vereinigten Staaten materielle Interessen über intellektuellen stünden, und „scholars“ wie er deshalb genötigt seien, „[to] look for honorary acknowledgment of their labors in a considerable degree to the parent land, to Europe.“145 Wie immer man Storys Einschätzung interpretieren mag, spricht doch einiges dafür, Francis Lieber als interessanten Analytiker der amerikanischen Republik zu behandeln; ein Analytiker, der vielleicht nicht unbedingt dahingehend befragt werden sollte, ob er mehr oder weniger vom politischen System Amerikas verstand als Tocqueville, als vielmehr wie er es verstand und weshalb er es so verstand, wie es in seinen Schriften zum Ausdruck kommt. Eine komplementäre Lektüre der beiden europäischen Beobachter der amerikanischen politischen Kultur im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts scheint vielleicht sinnvoller und analytisch ertragreicher als eine konkurrierende. Lieber selbst meinte nach dem Tod Tocquevilles in einem Brief an Robert von Mohl: „Also mein theurer Freund de Tocqueville ist hin! In einiger Hinsicht waren wir zwei Gefährten.“146 Seit seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten in den späten 1820er Jahren wurde Lieber ein aktiver und engagierter transatlantischer Vermittler, der ebenso darauf bedacht war, europäische Stränge des politischen Denkens in Amerika bekannt zu machen, wie er umgekehrt die Vorzüge einer republikanischen politischen Ordnung für die Reform des postrevolutionären Europas zu propagieren versuchte. Lieber unterhielt ein beeindruckendes Freundschafts- und Korrespondenznetzwerk, dessen Bedeutung er für seine eigene intellektuelle Arbeit und für seine publizistischen Projekte umso höher einschätzte, als dass er sich ab 1836 in South Carolina an einem sozialen Ort wiederfand, der ihm in vielerlei Hinsicht als Exil erschien. Dennoch hatte dieses Exil seine Chancen. Liebers spezifischer
144 Joseph Story an Francis Lieber, 9. Mai 1840, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 3277. 145 Francis Lieber an Alexis de Tocqueville, 24. November 1839, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 4404. 146 Francis Lieber an Robert von Mohl, 22. März 1859, in: EKUT, Nachlass Robert von Mohl, Md 613 515 11.
8.5 Madisons Dilemma
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Blick auf den amerikanischen Föderalismus, auf seine Funktionen des Interessenausgleichs in einer kulturell und sozioökonomisch heterogenen Gesellschaft und in einer politischen Ordnung, die einem scheinbar unaufhaltsamen Demokratisierungsprozess unterlag – dieser Blick war nicht zuletzt durch seine Außenseiterposition in South Carolina mitbestimmt. In keinem anderen Bundesstaat der amerikanischen Union trafen die Ideen des States’ Rights-Föderalismus auf mehr Resonanz als in South Carolina, kein Bundesstaat brachte einflussreichere politische Theoretiker hervor, welche diese Interpretation der Bundesverfassung verteidigten. Gerade weil Lieber eng verbunden war mit den Intellektuellenzirkeln der Whigs in Boston, Philadelphia und New York, schuf diese Auseinandersetzung mit dem politischen Denken des amerikanischen Südens ein Problembewusstsein für die Möglichkeit divergierender Verfassungsauslegungen. Liebers Beschäftigung mit politischer Hermeneutik, mit den Regeln der Interpretation und Auslegung politischer und rechtlicher Dokumente, muss also in den Kontext der konfliktbeladenen Deutungsgeschichte der amerikanischen Bundesverfassung im antebellum-Amerika eingeordnet werden. Wenn schon der Text der Verfassung seiner eigenen Ambivalenz nicht entfliehen konnte, dann konnten vielleicht zumindest Regeln für dessen Auslegung festgelegt werden. Der Text der Bundesverfassung ließ vieles unausgesprochen, was spätere Generationen zur Sprache bringen wollten. So beobachtete etwa Francis Lieber, dass der Begriff der Souveränität im Text der Bundesverfassung bezeichnenderweise nicht gebraucht wurde und stattdessen die Begriffe Constitution, People und Union als diskursive Leitbegriffe fungierten. „What a trouble it would have given the framers of our constitution and how much more in after-times, had they attempted to define the seat of sovereignty in our confederacy!“147 Die Schwierigkeiten waren indessen nicht damit ausgeräumt, dass die Gründungsväter den Souveränitätsbegriff umgingen, trugen doch nachfolgende Generationen Fragen an diesen Text heran, die ohne Souveränitätsbegriff nicht auskamen. Ob in diesem politischen Gebilde letztlich die Einzelstaaten oder der Bund souverän war, oder ob die Souveränität nicht doch teilbar und entlang unterschiedlicher Handlungssphären aufzuteilen war – dies waren Fragen, welche die politische Kultur der Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts heimsuchten, obwohl (oder vielleicht gerade weil) die Verfassung über diese Fragen schwieg. „Nothing would have been gained by definitions“, meinte Lieber in Bezug auf die seiner Meinung nach politisch kluge Unterlassung, den Souveränitätsbegriff in der Verfassung zu
147 Lieber Francis, Annotations to the US Constitution, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 167.
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8 Stranger in America
erwähnen, geschweige denn zu definieren. „But do not say then that we can get on without interpretation.“148 Liebers Beschäftigung mit den Fragen der Interpretation der Bundesverfassung sollte hingegen nicht den Eindruck erwecken, dass er mit diesem Text nicht auch Bestimmungen verband, die seiner politischen Sprache des Föderalismus ein normatives Gepräge gaben. „I consider the mixture of wisdom and daring, shown in the framing of our constitution, as one of the most remarkable, and of the rarest in all history“, meinte Lieber im Hinblick auf seine Interpretation der amerikanischen Bundesverfassung als Wasserscheide moderner föderal-republikanischer Theoriebildung.149 Wenn die Selbstregierung der Bürger das Ziel einer republikanischen Ordnung ist, und wenn in der politischen Moderne der Nationalstaat das zeitgemäße politische Ordnungsmodell ist – und von beiden Prämissen war Lieber überzeugt –, dann gilt es politische Institutionen zu schaffen, welche die demokratischen Legitimitätsanforderungen einer Republik und eine Anerkennung sozioökonomischer Differenzen und Interessen gleichzeitig zu berücksichtigen vermögen. Die politische Sprache des Föderalismus, wie sie Lieber in seiner umfassenden Analyse der divergierenden Föderalismusinterpretationen im antebellum-Amerika erforschte, war aufs Engste verbunden mit seinem Leitbegriff der „institutionellen Freiheit“. In den Argumenten der Gründungsväter von 1787 erblickte Lieber ein Arsenal politischer Deutungsfiguren, die angesichts des umfassenden Demokratisierungsprozesses der amerikanischen Gesellschaft nichts von ihrer Erklärungskraft und Gegenwartsrelevanz eingebüßt hatten. Zwar reflektierte Lieber durchaus, dass die Dynamik des Demokratisierungsprozesses und die Transformationen der politischen Öffentlichkeit durch die Kommunikations- und Transportrevolutionen aus dem Amerika der Gründungsväter ein gänzlich anderes Amerika Andrew Jacksons gemacht hatten. An der theoretischen Relevanz eines politischen Systems, welches durch eine föderale Struktur, durch Verfahren der repräsentativen und deliberativen Demokratie, durch eine unabhängige Justiz und durch unveräußerliche individuelle Rechte einen institutionellen Rahmen absteckte, in welchem das selbstregierende Handeln der politisch verantwortlichen und erst dadurch „freien“ Bürger ermöglicht wurde – daran zweifelte Lieber kaum.
148 Lieber Francis, Annotations to the US Constitution, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 167. 149 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 279.
9 Edward Everett, Jared Sparks und die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas Als im Herbst 1830 in New York eine „literary and scientific convention“ einberufen wurde, um die Gründung der New York University voranzutreiben und mögliche Lehrpläne zu erörtern, gehörten auch Francis Lieber und Albert Gallatin zu den eingeladenen Experten.1 Lieber interessierte sich dafür, den allenfalls einzurichtenden „chair of history of German language and literature“ zu besetzen und Vorlesungen über „the history of representative governments“ zu halten, wie er an den Mitbegründer der New York University James M. Matthews schrieb.2 Allerdings hatte Lieber nicht nur seine eigenen Karrierepläne vor Augen, wenn er unablässig auf die Bedeutung der Geschichte im Lehrplan der New York University hinwies. Die „proper study of history (not of that mere learning of facts by heart) and its particular importance in a republic, as ours“ sei den Mitgliedern des Gründungsausschusses der New York University klar darzulegen, mahnte Lieber in einem Brief an Albert Gallatin, den damaligen Vorsitzenden der „literary and scientific convention“: „History makes modest, because it shows that there were great ages before us; it makes bold, because it shows what men may do; it makes wise, because it is the book of experience; it elevates, because it leads us out of the confined room of the present day to a height where we may survey centuries and ages – and what would not all be said about noble history.“ Die Geschichtsschreibung sei „particularly in our republic“ von besonderer Bedeutung, gab Lieber weiter zu bedenken, weil sie besonders dazu tauge, „to show the great importance of upright politics, and faithful republicanism.“3 Diese Überlegungen Liebers sind in mancherlei Hinsicht paradigmatisch für das, was der amerikanische Historiker Daniel Walker Howe in seiner Studie über die politische Kultur der amerikanischen Whigs einmal die „Whig Interpretation of History“ genannt hat.4 Dass das Studium der Geschichte eine Einübung in Bescheidenheit und in die
1 Zu Gallatins Engagement vgl. Walters Raymond Jr., Albert Gallatin, S. 349–352. 2 Francis Lieber an James M. Matthews, 20. Juni 1832, in: HSP, Gratz Collection, American Prose, Case 6, Box 6, Folder: Lieber, Francis. 3 Francis Lieber an Albert Gallatin, 17. Februar 1830, in: SNB, Albert Gallatin Papers, 40 322–323. Hervorhebungen im Original. 4 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 69–95. Der Begriff „Whig Interpretation of History“ geht meines Wissens auf Herbert Butterfield zurück, vgl. dessen kritische Auseinandersetzung in: Butterfield Herbert, The Whig Interpretation of History. Ich folge hier allerdings den Bestimmungen Howes.
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9 Die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas
Anerkennung der Leistungen vorangegangener Generationen sei, dass sie neue Möglichkeitshorizonte erschließe, dass sie – als amerikanische Geschichte –die lokalen und regionalen Bindungen und Loyalitäten der Bürger relativiere und nationale Identität stifte, dass sie einen Erfahrungshaushalt bereitstelle, aus welchem die Tugenden des Republikanismus geschöpft werden könnten, und dass sie schließlich Einblick in den graduellen Fortschritt und die Zivilisierung von Individuen und Nationen gewähre – all dies gehörte zu jener Geschichtsdidaktik, welche die Whigs angesichts des tiefgreifenden Wandels der amerikanischen Gesellschaft und des damit einhergehenden wachsenden Bedarfs an historischer Selbstvergewisserung entwickelten. „In antebellum America,“ konstatierte Jean Matthews, „history became something of a national preoccupation as the generation which had inherited the new nation worked out a conception of its nature and destiny.“5 Dieser historische Blick auf die amerikanische Nation rückte auch die föderale Struktur der Union ins Blickfeld der Geschichtsschreibung. Und jene Historiker aus dem intellektuellen Milieu der Bostoner Whigs, welche im Folgenden im Zentrum stehen werden, Edward Everett, dessen Bruder Alexander H. Everett, Jared Sparks, Robert Walsh Jr. und Charles Francis Adams, waren mit jenen von Francis Lieber skizzierten Argumenten zur Stelle, um ein mögliches Deutungsangebot für die Geschichte der föderativen amerikanischen Nation bereitzustellen. Die Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts hat auf diese Historiker mehrheitlich mit einem bestenfalls nachsichtig lächelnden Blick zurückgeschaut und sie – in den Worten Erich Angermanns – als „leichtgläubige Kompilatoren und Plagiatoren“ betrachtet.6 Anstatt sie mit der Überheblichkeit der Nachgeborenen zu belächeln und sich aus einer „ironischen Perspektive“ (im Sinne Hayden Whites)7 über ihre moralische Selbstgefälligkeit, über die Widersprüchlichkeit zwischen ihrem unkritischen Fortschrittsoptimismus und ihrem „paranoiden Stil“, über ihre unausgewogenen, zu nationaler Parteinahme, affirmativer Personalisierung und Sentimentalität neigenden Erzählungen und über ihre mangelhaften geschichtswissenschaftlichen und editorischen Methoden und Techniken lustig zu machen,8 scheint es vielleicht gewinnbringender, diese Formen historischer Auseinandersetzung als eine Art kognitiven Rahmen zu betrachten.
5 Matthews Jean V., „Whig History“, S. 193. 6 Vgl. Angermann Erich, Die Amerikanische Revolution im Spiegel der Geschichte, S. 17. 7 Vgl. White Hayden, Metahistory, S. 55–57. Vgl. hierzu auch die Diskussion bei Kramer Lloyd S., Literature, Criticism, and Historical Imagination, S. 104. 8 Vgl. etwa Butterfield Herbert, The Whig Interpretation of History; Hofstadter Richard, The Paranoid Style in American Politics; Angermann Erich, Die Amerikanische Revolution im Spiegel der Geschichte.
9.1 Europareisen und die Entdeckung einer „geteilten Geschichte“
283
Diese Geschichtsnarrative erscheinen dann als ein Paradigma, welches Probleme definierte und Lösungsangebote skizzierte und welches es letztlich erlaubte, der beschleunigten Transformation der amerikanischen Gesellschaft seit der Revolution Sinn abzugewinnen und neue Zukunftshorizonte zu erschließen.9 Die Frage nach der konföderalen amerikanischen Vergangenheit war vor allen Dingen eine Frage nach der föderalen amerikanischen Zukunft, denn der Kampf um die politische Deutungshegemonie des Föderalismus wurde nicht zuletzt in der Arena historischer Narrative ausgetragen und die Semantik des Föderalismus erschloss sich auch durch seine historische Herleitung.
9.1 Europareisen und die Entdeckung einer „geteilten Geschichte“ „I have lived under other political institutions; nearly a third of my life, since I came to years of discretion, has been passed under other forms of government“, schrieb Edward Everett 1826, nachdem er als junger Mann zwischen 1815 und 1819 in Deutschland studiert und viele andere europäische Länder bereist hatte. Der vergleichende Blick auf die Gesellschaften und politischen Systeme Europas ließ ihn die politische Ordnung seiner amerikanischen Heimat mit anderen Augen betrachten, als dies zu Beginn seiner Reise der Fall war. „I have learned enough of the state of foreign societies […] to be well contented with what Providence has given to us in the constitution of the United States.“10 Everetts Beschäftigung mit Europa erschloss einen transatlantischen Beobachtungsraum und damit war er im Milieu der Bostoner Federalists und später der Whigs kein Außenseiter. „Gerade in Neuengland“, beobachtete der Schweizer Amerikahistoriker Hans Rudolf Guggisberg, „entwickelte sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein besonders lebhaftes Interesse an allem, was mit europäischer – englischer und kontinentaler – Vergangenheit zusammenhing.“11 Die Geschichte, Gesellschaft, Kultur und Politik des alten Kontinents fesselte viele dieser Intel-
9 Ich schließe hier an einige Überlegungen von Thomas Kuhn an, vgl. Kuhn Thomas S., The Structure of Scientific Revolutions, S. 10. Zum Konzept des Paradigmas und dessen Verwendung in der Rekonstruktion politischer Sprachen vgl. Pocock J. G. A., The Reconstruction of Discourse, S. 72–74. Vgl. zu einem solchen Ansatz auch Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 79. 10 Everett Edward, Speech in the House of Representatives of the United States, March 9, 1826, S. 7. 11 Guggisberg Hans Rudolf, William Hickling Prescott und das Geschichtsbewusstsein der amerikanischen Romantik, S. 179.
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9 Die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas
lektuellen Neuenglands und so verwundert es kaum, dass nicht wenige unter ihnen eine Reise nach Europa unternahmen, so u. a. Edward und Alexander H. Everett, George Ticknor, Jared Sparks, Charles Francis Adams und Robert Walsh Jr.12 Damit sind nur einige Beispiele von Intellektuellen aus Neuengland genannt, die nach Europa reisten, die politischen Kulturen und Gesellschaften des alten Kontinents studierten, aufgrund ihrer vor Ort geknüpften Kontakte zwischen Amerikanern und Europäern vermittelten und durch vergleichende Betrachtungen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Alten und der Neuen Welt zu verstehen versuchten. Es war die intensive Beschäftigung mit der Französischen Revolution und ihrer komplexen Folgen für den europäischen Kontinent, welche die intellektuelle Energie dieser jungen Reisenden besonders in Anspruch nahm und welche sie vor einem transatlantischen Deutungshorizont zu entschlüsseln versuchten. Als etwa Edward Everett nach den napoleonischen Kriegen Europa bereiste, fiel ihm der fragmentierte Charakter der europäischen politischen Kulturen besonders auf. In einem Brief an seinen Bruder Alexander H. Everett erörterte er die gegenseitigen Vorurteile und Feindseligkeiten zwischen den postrevolutionären europäischen Gesellschaften sowie ihre internen sozialen und politischen Gärungen.13 Everett führte diese zwischen- und innerstaatlichen Konflikte der europäischen Gesellschaften in erster Linie auf die Verwerfungen der Französischen Revolution zurück. Im Februar 1817 begann er ein Heft zu führen, das er mit dem Titel French Revolution versah, und in welchem er die internen Dynamiken der Französischen Revolution ebenso notierte, wie deren Folgen außerhalb Frankreichs. Insbesondere interessierte ihn der Zusammenhang zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, sah er doch den „enthusiasm for liberty“, welcher im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg aufflackerte, als „not one of the last active Elements in the ensuing fermentation“ in Frankreich an.14 Zur gleichen Zeit begann sich Everett in engem Austausch mit seinem Kollegen Robert Walsh Jr. auch intensiver mit der Geschichte der Amerikanischen
12 Vgl. Frothingham Paul Revere, Edward Everett, S. 34–60; Varg Paul A., Edward Everett, S. 21–25; Bartlett Irving H., Edward Everett Reconsidered, S. 441–446; Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, II, S. 52–132, 378–392; Long Orie William, Literary Pioneers, S. 63–76.; Lochemes M. Frederick, Robert Walsh, S. 177–195; Oberholtzer Ellis Paxson, The Literary History of Philadelphia, S. 189–197; Eaton Joseph, From Anglophile to Nationalist. 13 Edward Everett an Alexander H. Everett, 16. Februar 1817, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 1 413–415. 14 Everett Edward, French Revolution, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 49A 0677–0728, hier: 0678.
9.1 Europareisen und die Entdeckung einer „geteilten Geschichte“
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Revolution auseinanderzusetzen, die seiner Meinung nach noch immer von der englischen Historiographie dominiert wurde.15 Es sei die Aufgabe amerikanischer Intellektueller, so Edward Everett 1820, die Geschichte ihres Landes vor dem „tribunal of the world’s opinion“ gegen publizistische Angriffe aus England und Europa zu verteidigen.16 Es ist deshalb auch wenig verwunderlich, dass Everett nach seiner Rückkehr nach Nordamerika im Herbst 1819 einen seiner ersten Artikel in der North American Review jenem Buch widmete, welches Robert Walsh Jr. in der Zwischenzeit unter dem Titel An Appeal from the Judgments of Great Britain respecting the United States of America publiziert hatte.17 Darin teilte Everett Walshs Einschätzung über die Notwendigkeit einer „refutation of the slanders, which were incessantly heaped upon us by British writers“ und empörte sich seinerseits über die „ignorance, and grossness of blundering on the subject of America“.18 Was in seinen Augen sowohl ein Mittel gegen die publizistischen Angriffe aus Europa, als auch gegen die zentrifugalen Kräfte innerhalb der amerikanischen Gesellschaft darstellte, war ein neues nationales Narrativ über die Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten, welche die prekäre nationale Identität der Amerikaner festigen sollte. Identitäten sind indessen immer relational, wie Lloyd Kramer zu bedenken gegeben hat: „The meaning of a nation depends on definitions of difference and on interactive relations with people in other cultures, so that the nation’s imaginary essence evolves as definitions of difference and cultural boundaries also evolve.“19 Der Spiegel, welcher Everett nun seit seiner Rückkehr nach Nordamerika nutzte, um die Bedeutung der amerikanischen Revolution und der amerikanischen Nation herauszuarbeiten, war die Geschichte der Französischen Revolution und ihrer Folgen für die postrevolutionären Gesellschaften Europas.20 Die politisch-kulturelle Fragmentierung des europäischen Kontinents, die kriegerischen Verwüstungen, welche die Revolution und die napoleonischen Kriege über ihn gezogen hatten, die Geschwindigkeit, mit welcher kurz zuvor befreundete Nachbarn zu hasserfüllten Feinden wurden, die scheinbar unbewältigten Folgen der Französischen Revolution, das rasante Umschlagen eines republikanischen Auf-
15 Vgl. Edward Everett an Robert Walsh Jr., 28. Dezember 1817, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, 1 572–589, hier: 589. Vgl. hierzu Eaton Joseph, From Anglophile to Nationalist. 16 [Everett Edward], Mr. Walsh’s Appeal, S. 349. 17 Vgl. Walsh Robert Jr., An Appeal from the Judgments of Great Britain respecting the United States of America. 18 Walsh Robert Jr., An Appeal from the Judgments of Great Britain respecting the United States of America, S. V; [Everett Edward], Mr. Walsh’s Appeal, S. 345. 19 Kramer Lloyd S., Nationalism in Europe & America, S. 21. 20 Vgl. Varg Paul A., Edward Everett, S. 9–10, 24–25.
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bruchs in die Wiederkehr tyrannischer Herrschaftsformen und die sozialen und politischen Gärungsprozesse in den europäischen Gesellschaften – all dies interpretierte Everett als Warnung für seine amerikanischen Zeitgenossen. Es war Europa, das die Kontrastfolie bildete, welche der amerikanischen Nationalgeschichte Konturen gab und welche gleichzeitig die inneren Konfliktlinien zwischen den Parteien und Sektionen in der amerikanischen politischen Kultur relativieren und entschärfen sollte.21 Die amerikanische Nationalgeschichte, welche Everett, Robert Walsh Jr., Jared Sparks und manche ihrer Kollegen zu schreiben begannen, lässt sich somit im Sinne Sebastian Conrads und Shalini Randerias als eine „geteilte Geschichte“ verstehen – eine Geschichte also, welche zur Voraussetzung einer Konstruktion geteilter (divided) Geschichten eine geteilte (shared) Geschichte hatte.22
9.2 Amerikanische Geschichte als Nationbuilding Das Projekt einer nationalen Geschichte, welches Edward Everett und seine Kollegen in den 1820er Jahren angingen, schloss an eine verschüttete Tradition aus den frühen Jahren der neuen Republik an. Der maßgeblich von den Federalists in der ersten Dekade nach der Annahme der Bundesverfassung vorangetriebene Versuch einer nationalen Konsolidierung der Vereinigten Staaten und einer damit einhergehenden kulturellen Nationsbildung hatte sich als relativ kurzlebig erwiesen.23 Das Scheitern der Federalists im Zuge dessen, was Thomas Jefferson fortan die „Revolution of 1800“ nannte,24 der danach einsetzende Aufstieg der Jeffersonians und die wachsende Deutungshegemonie eines auf States’ Rights und limitierte Bundesautorität setzenden Jeffersonian Republicanism führte einerseits zu einem Wiederaufleben der politischen Gestaltungskraft der Einzelstaaten im Vergleich mit dem Bundesstaat. Andererseits entdeckten die spätestens nach 1815 politisch weitgehend bedeutungslos gewordenen Federalists und die in ihrer Nachfolge wieder etwas erstarkenden National Republicans und Whigs zusehends die Kultur als mögliches Betätigungsfeld, um die in ihrer Wahrnehmung auseinanderdriftende amerikanische Gesellschaft zu integrieren und sektionale
21 Zur Dialektik zwischen Nationalismus und Sektionalismus in der Early Republic vgl. Onuf Peter S., Federalism, Republicanism, and the Origins of American Sectionalism. 22 Conrad Sebastian/Randeria Shalini, Einleitung, S. 17–22. 23 Vgl. Smith Rogers M., Constructing American National Identity; Waldstreicher David, In the Midst of Perpetual Fetes, S. 85–107; Hale Matthew Rainbow, „Many Who Wandered in Darkness“. 24 Vgl. Mayer David N., The Constitutional Thought of Thomas Jefferson, S. 120.
9.2 Amerikanische Geschichte als Nationbuilding
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Konfliktlinien zu überwinden.25 Während die Vereinigten Staaten nach 1800 in den Worten John L. Brookes weitgehend „as a neocomposite confederacy“ funktionierte, in welcher staatliches Handeln von den Bürgern in erster Linie über die Aktivitäten der Einzelstaatsregierungen erfahren und wahrgenommen wurde,26 wandten sich jene, welche mit einer Fortsetzung des von den Federalists begonnenen Projekts einer amerikanischen Nationsbildung liebäugelten, zusehends der Kultur und insbesondere der Geschichte zu.27 Die North American Review, als deren Herausgeber sich Edward Everett, sein Bruder Alexander H. Everett und Jared Sparks zu unterschiedlichen Zeiten verantwortlich zeichneten,28 war ein Projekt, das in diesen Kontext gestellt werden muss. Über die Förderung einer spezifisch amerikanischen Literatur und über die Konstruktion einer nationalen Geschichte sollten die vielfältigen Bruchlinien der „neocomposite confederacy“ gekittet und die imaginäre Kraft der amerikanischen Bürger aus dem Bannkreis ihrer lokalen und einzelstaatlichen mental maps befreit werden. So stellte Edward Everett 1826 bedauernd fest, dass die „historic recollections“ der Amerikaner noch weitgehend von einzelstaatlichen Erinnerungsmustern imprägniert waren, während die Union ein „metaphysical and theoretical thing“ geblieben sei: „The disposition to laud certain things, which we might cherish simply as Americans, is controlled and modified by our State partialities.“ Die Herausforderung für die amerikanische Geschichtsschreibung sei es nun gerade, so Everett, die Entwicklung und die „harmonious action“ dieser „most curiously complicated machine“ des amerikanischen Bundesstaates darzustellen, „which is formed out of the combination of our States and national institutions, and which constitutes the most extraordinary phenomenon in the political history of man.“29
25 Vgl. Brooke John L., Cultures of Nationalism, Movements of Reform, and the Composite-Federal Polity, S. 3. Zum Staatsbildungsprozess in der Early Republic generell vgl. Formisano Ronald, State Development in the Early Republic. Zur Kontinuität zwischen der politischen Kultur der Federalists und derjenigen der National Republicans und der Whigs vgl. Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy, S. 12–13. 26 Brooke John L., Cultures of Nationalism, Movements of Reform, and the Composite-Federal Polity, S. 6. 27 Vgl. hierzu auch Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy, S. 96. Allgemein zum Verhältnis zwischen „Globalisierung“ und „Nation-Building“ im Zeitalter der Revolutionen vgl. Zagarri Rosemarie, The Significance of the Global Turn for the Early American Republic. 28 Edward Everett war von 1820–1823 Herausgeber der NAR, Jared Sparks 1817–1818 und 1823– 1829, Alexander H. Everett 1830–1835. 29 [Everett Edward], Review of Memoir of Richard Henry Lee, S. 374 & 375. Zu den Loyalitätskonflikten zwischen Nation, Sektion und Region in der Early Republic vgl. Onuf Peter S., Federalism, Republicanism, and the Origins of American Sectionalism; Robertson Andrew W., „Look on This Picture… And on This!“
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9 Die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas
Während stärker zu den Demokraten hinneigende Historiker die Amerikanische Revolution als fundamentale Zäsur ihrer Geschichte betrachteten, tendierten die Whigs eher zu einem auf graduellen Wandel angelegten Narrativ, das die Revolution in einem „grand design“ verortete, dessen eigentlicher Höhepunkt, wie oben bei Edward Everett bereits angedeutet, weniger die Revolution als die Entwicklung und Ratifikation der Bundesverfassung war. Hatten in den ersten Dekaden nach der Annahme der Verfassung die Federalists in ihren Ansprachen zum 4. Juli noch mit Vorliebe auf den Text der Bundesverfassung hingewiesen, zitierten die Republicans bezeichnenderweise aus der Unabhängigkeitserklärung.30 Die National Republicans der 1820er und die Whigs der 1830er Jahre verwiesen demgegenüber auf beide Dokumente und betrachteten sie in einem Zusammenhang, der auf den wohlgeordneten Fortschritt amerikanischer Freiheit verwies. „[W]e are now beginning“, meinte Charles Francis Adams 1840 in einem Artikel für die North American Review, „to regard our whole history, from the settlement of the country to the present time, as but one chain of events, each and every link of which is equally important and equally necessary to the consummation of its grand design.“31 Geschichte war in dieser Perspektive nicht mehr verbunden mit Kontingenz, vertanen Möglichkeiten, ungelösten Widersprüchen, unvorhergesehenen Ereignissen oder konfliktreichen Verwerfungen. Stattdessen folgte Geschichte einem Muster des stetigen aber kontrollierten Fortschritts, einem „grand design“ in den Worten Charles Francis Adams’, das nicht mehr nur in der Vergangenheit beobachtbar, sondern auch in die Zukunft hinein planbar war.32 Die Amerikanische Revolution wurde so in ein konservatives Interpretationsmuster gefügt, das die Radikalität des Bruchs mit der Kolonialzeit relativierte. „The revolution was a change of forms, but not of substance“, postulierte der Bostoner Historiker Jared Sparks, „the breaking of a tie, but not the creation of a principle; the establishment of an independent nation, but not the origin of its intrinsic political capacities. The foundations of society, although unsettled for the moment, were not essentially disturbed; its pillars were shaken, but never
30 Vgl. Robertson Andrew W., „Look on This Picture … And on This!“ S. 1267. 31 [Adams Charles Francis], Review of An Historical Memoir of the Colony of New Plymouth, S. 337. 32 Vgl. Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy, S. 183. Zu dieser dialektischen Deutungsfigur vgl. Reinhart Kosellecks Überlegung: „Weil sich die Zukunft der modernen Geschichte ins Unbekannte öffnet, wird sie planbar, – und muss sie geplant werden. Und mit jedem neuen Plan wird eine neue Unerfahrbarkeit eingeführt. Die Eigenmacht der ‚Geschichte‘ wächst mit ihrer Machbarkeit. Das eine gründet im anderen und umgekehrt.“ Koselleck Reinhart, Historia Magistrae Vitae, S. 61.
9.3 Die atlantischen Revolutionen in der historischen Imagination der Whigs
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overthrown.“33 Gleichzeitig grenzte man sich mit einem solchen Argumentationsmuster natürlich auch von der Französischen Revolution ab, die gewissermaßen als Kontrastfolie zur Deutung der Amerikanischen fungierte. Die Französische Revolution beruhte in dieser Perspektive gerade auf jenen abstrakten Prinzipien, welche für den amerikanischen Fall in Abrede gestellt wurden, sie verabsolutierte den Bruch mit der Vergangenheit, sprengte die Fundamente der bisherigen Gesellschaftsordnung und veränderte nicht nur die politischen Formen, sondern auch die politische Substanz.
9.3 Die atlantischen Revolutionen in der historischen Imagination der Whigs Diese vergleichende Perspektive zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, für welche die Bostoner Historiker um Edward Everett und Jared Sparks aufgrund ihrer Reiseerfahrungen in Europa intellektuell besonders gut gerüstet waren, hatte in der amerikanischen politischen Kultur eine längere und historisch ausgesprochen wirksame Tradition. Die Beschäftigung mit der Französischen Revolution wurde seit den 1790er Jahren zu einem wichtigen Katalysator für die Definition und Re-Definition dessen, was die Amerikanische Revolution zu bedeuten hatte und wie das Verhältnis der beiden atlantischen Revolutionen zueinander zu deuten sei. Gleichzeitig wurde die Frage nach der Bedeutung der Französischen Revolution auch zu einem umstrittenen Feld innerhalb der politischen Kultur der jungen amerikanischen Republik.34 Die postrevolutionären Prozesse historischer Selbstvergewisserung bezogen sich in Nordamerika nicht nur auf die eigene Revolution von 1776, sondern seit der Bundesstaatsgründung zusehends auch auf die Revolutionen in Europa. Ab den 1790er Jahren, so hat es Gordon Wood formuliert, „it became impossible for Americans to think of one revolution without the other.“35 In der Tat drehten sich die schärfsten politischen Konflikte zwischen Federalists und Republicans in den 1790er Jahren um divergierende Interpretationen der Französischen Revolution: Federalists sahen in den frühen und teilweise begeisterten Befürwortern der Französischen Revolution – wie bei-
33 Sparks Jared, American History, S. 133. 34 Vgl. Kramer Lloyd S., The French Revolution and the Creation of American Political Culture. Vgl. zum Niederschlag der unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster der Französischen Revolution in den politischen Festivitäten und Praktiken in der „Early Republic“ Koschnik Albrecht, Political Conflict and Public Contest; Robertson Andrew W., „Look on This Picture… And on This!“, S. 1270–1278; Hale Matthew Rainbow, „Many Who Wandered in Darkness“, S. 128–130. 35 Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 177.
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9 Die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas
spielsweise Tom Paine und Thomas Jefferson – Verkörperungen einer radikalen Infragestellung der politischen und sozialen Ordnung der Vereinigten Staaten und Indizien für den gefährlichen Einfluss jakobinischer Ideen in der amerikanischen Öffentlichkeit. Demgegenüber tendierten die Republicans um Jefferson und Madison eher dazu, die Französische Revolution als Fortsetzung der Principles of ’76, als Beitrag zur Abschaffung von Privilegien und zur Ausweitung solch universeller Prinzipien wie Gleichheit, Volkssouveränität und Freiheit zu betrachten.36 Der Wunsch „of seeing the New World regenerate the Old“, wie ihn Tom Paine in Rights of Man ausdrückte, wurde von vielen Republicans geteilt und die meisten von ihnen waren auch mit Paines folgendem Postulat einverstanden: „The cause of the French people is that of all Europe, or rather of the whole world.“37 An der politischen Brisanz dieser Frage nach dem Zusammenhang der beiden atlantischen Revolutionen hatte sich auch einige Dekaden später grundsätzlich nichts geändert, als sich die Bostoner Historiker um Jared Sparks und die Brüder Everett mit der Historisierung der Amerikanischen Revolution und der Bundesverfassung von 1787 zu beschäftigen begannen. Auch sie versuchten die Geschichte Amerikas seit der Revolution zu verstehen, indem sie diese in einen Zusammenhang mit der Französischen Revolution stellten und nach den Wechselwirkungen und unterschiedlichen Entwicklungspfaden der Revolutionen fragten. Anders als die historischen Akteure der 1790er Jahre sah sich diese jüngere Historikergeneration indessen diesen Konfliktlinien enthoben; und es war dieser historische Abstand zu den Geschehnissen im Zuge der Revolutions- und Verfassungsepoche, welchen sie dafür in Anspruch nahmen, eine neue Geschichte der Revolution zu schreiben. „The history of our Revolution and constitutional organization is yet to be written“, postulierte Edward Everett 1826, und auch sein Kollege Jared Sparks stimmte in die Ankündigung einer Wende der amerikanischen Revolutionshistoriographie ein.38 Je mehr er sich mit der Amerikanischen und der Französischen Revolution beschäftige, schrieb Sparks an Alexander H. Everett ebenfalls 1826, „the more I am convinced that no complete history of the American Revolution has been written.“39
36 Vgl. zu diesen unterschiedlichen Deutungsmustern Kramer Lloyd S., The French Revolution and the Creation of American Political Culture; Whatmore Richard, The French and North American Revolutions in Comparative Perspective. 37 Paine Thomas, Rights of Man, S. 129–130. Zu den unterschiedlichen Reaktionen auf Paines Buch vgl. Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots, S. 39–63; Durey Michael, Thomas Paine’s Apostles; Cotlar Seth, Tom Paine’s America, S. 49–81. 38 [Everett Edward], Review of Memoir of Richard Henry Lee, S. 399. 39 Jared Sparks an Alexander H. Everett, 12. September 1826, in: Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, I, S. 509.
9.3 Die atlantischen Revolutionen in der historischen Imagination der Whigs
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Als Alexander H. Everett 1834 mit einem Abstand von vierzig Jahren zurück auf die Parteienkämpfe der 1790er Jahre schaute, war er sich der transatlantischen Konfliktkonstellation, die diese Kämpfe beschleunigte und anfeuerte, durchaus bewusst. „It was sometimes said in the bitterness of controversy, that the democratic party were under French influence. Is it not evident, on the contrary,“ gab Everett zu bedenken, „that it was the democratic party in Europe who were thinking, writing, feeling, fighting, and dying under American influence?“40 Wie immer man die gegenseitige Einflussnahme amerikanischer und französischer Ideen gewichten würde, stehe doch außer Frage, dass die Französische Revolution in der amerikanischen Öffentlichkeit zu einem politischen Themenfeld wurde, entlang welchem sich das erste amerikanische Parteiensystem herausgebildet hatte. Als die Französische Revolution „the limits of justice and humanity at home“ überschritten und damit begonnen habe, auf den Rechten anderer Nationen herum zu trampeln, so Everett, the ardor of many of the judicious friends of the cause very rapidly cooled, and a large portion of the citizens began to look with disgust upon the whole revolutionary movement, and with favor and sympathy upon the efforts of the party in Europe, which sustained the cause of the existing political institutions. These opposite feelings were the real causes, that gave animation and interest to the long struggle of the Federal and Democratic parties.41
Die eindeutigsten ideologischen Differenzen zwischen den Federalists und den Republicans kristallisierten sich in ihren unterschiedlichen Deutungen der Französischen Revolution und ihrer Bedeutung für die amerikanische Gesellschaft heraus. In Everetts Analyse dieses Problemzusammenhangs erschienen die Federalists um Alexander Hamilton als Anhänger der Partei der Ordnung; „Law“ sei ihr politischer Leitbegriff gewesen, wohingegen Jefferson und die Republicans den zweiten politischen Leitbegriff der amerikanischen politischen Kultur repräsentierten: „Liberty“.42 Federalists hielten in Everetts Perspektive an einer Sicht der politischen Welt fest, die noch klar von der amerikanischen Whig-Opposition gegen die englische Krone und vom klassischen Republikanismus des 18. Jahrhunderts geprägt war. In ihrer Perspektive sollte das politische Gemeinwesen
40 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 232. 41 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 228. 42 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 243. Zu den Diskussionen um die ideologischen Positionen von Federalists und Republicans vgl. Formisano Ronald P., Deferential-Participant Politics; Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 95–173; Shalhope Robert E., The Roots of Democracy, S. 150–165.
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von den „wise and good“ geleitet und durch institutionelle Machtteilung kontrolliert und balanciert werden; die Geschicke der Regierung sollten zum Zweck des Gemeinwohls den Leidenschaften und dem direkten Einfluss des Volkes entzogen werden und die politische Ordnung sollte insgesamt die soziale Hierarchie widerspiegeln, indem sie in einem Prozess der Filterung die Fähigsten und Talentiertesten in die Leitungsämter des politischen Gemeinwesens hob, ihre Macht zugleich aber durch regelmäßige Wahlen, institutionelle Kontrollen und rechtsstaatliche Strukturen begrenzte und an den Willen des Volkes zurückband. Insgesamt tendierten Federalists zu einer „liberal construction“ der Bundesverfassung, da sie die Gewalt der Bundesregierung als zu schwach erachteten, so Everett.43 Die Französische Revolution erschien ihnen dementsprechend als eine Bedrohung, wie Everett am Beispiel des intellektuellen Kopfs der Federalists, an Alexander Hamilton, exemplifizierte: „Hamilton was anxious, at whatever hazard or sacrifice, to keep clear of any connexion with France.“44 Republicans neigten demgegenüber zu einer demokratischeren Sicht der politischen Welt und zu einer sympathischeren Wahrnehmung der Französischen Revolution. Die politischen Entscheidungsprozesse sollten in ihrer Perspektive gerade nicht einer sozialen Elite vorbehalten werden, sondern aus einer breiteren politischen Partizipation der Bürger hervorgehen; die Repräsentanten sollten dem Volk verantwortlich bleiben, eine lebendige Öffentlichkeit sollte die Bürger an politischen Prozessen teilhaben lassen und gleichzeitig die Regierenden kontrollieren; politischen Bewegungen und Vereinen kam ihnen zufolge die Funktion zu, das Volk auch außerhalb der offiziellen politischen Institutionen zu mobilisieren und es eifersüchtig über ihre Rechte und Freiheiten wachen zu lassen. Dementsprechend tendierten Republicans zu einer „strict construction“ der Bundesverfassung.45 Niemand repräsentierte diese Sicht der politischen Welt genauer als Thomas Jefferson, so Everett: „The source of his power was the energy, with which he represented in his feelings and opinions and acts the Spirit of the Age. […] Mr. Jefferson’s object was Liberty. He felt and personified for a large portion of his countrymen, the tendency of the times towards a reform of the abuses of Government, and an extension of the sphere of individual activity.“46 Das von Jefferson repräsentierte Paradigma der „Liberty“ und das von Hamilton verkörperte Paradigma des „Law“ erschienen bei Everett als die beiden Grundprinzipien der amerikanischen politischen Kultur, die in ihrem Wechsel-
43 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 242. 44 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 242. 45 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 242. 46 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 245–246. Hervorhebungen im Original.
9.3 Die atlantischen Revolutionen in der historischen Imagination der Whigs
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verhältnis das fragile Gleichgewicht bildeten, auf welchem das politische System Amerikas aufbaute. Da beide Prinzipien aufs engste mit der Interpretation des amerikanischen Föderalismus verknüpft waren, hielt Everett es für unvermeidbar, dass die „controversy upon the restrictive powers and pretensions of the Union and of the States under the Constitution […] more or less into all our differences upon all other subjects“ einfließen würde.47 Allerdings sah Alexander H. Everett bezeichnenderweise keinen Anlass, sich öffentlich auf die eine oder die andere Seite dieser Kontroverse zu schlagen. Stattdessen inszenierte er sich in einer für die Whig-Historiker seiner Zeit typischen Weise als eine Art Mediator eines founding dialogue, der die Argumente der Federalists um Hamilton genauso in Betracht zog, wie diejenigen der Antifederalists und der Republicans um Jefferson.48 Diese moderierende Strategie diente einem zweifachen Zweck. Zum einen konnte man sich dadurch auf einer rhetorischen Ebene von den in der amerikanischen Öffentlichkeit weitgehend diskreditierten ideologischen Standpunkten der Federalists distanzieren, obwohl man inhaltlich teilweise an deren Ideen und Projekte anschloss. Zum anderen versprachen sich Alexander H. Everett und seine Kollegen von einer Integration jener Argumente, welche die Antifederalists und die Jeffersonian Republicans in Anschlag brachten, eine Vermittlung der politischen Konfliktlinien, welche in ihrer Gegenwart die Union an den Rand ihrer Auflösung brachten. Ihre Geschichte der Vereinigten Staaten sollte eine nationale Integrations- und Fortschrittsgeschichte sein, welche die verschiedenen Teile der Union ebenso zusammenschweißen, wie sie die verfeindeten ideologischen Lager überbrücken sollte. Während die Antifederalists und Thomas Jefferson für die alten Federalists noch die Personifizierung aller Übel waren, sahen dies Everett und seine Kollegen nun mit anderen Augen.49 Für sie war die Integration der Antifederalists und Jeffersons ein Beitrag zu einem Gründungsnarrativ der Union, denn, wie Edward Everett warnte: „The great political basis of all our prosperity is Union; the great political danger that menaces us is Disunion. All else can be borne, if we avoid this calamity; and if this is fated to befall us, all our blessings will turn to dust and ash in our grasp.“50 Gefordert war also die Kultivierung einer Erinnerungskultur, welche allen Teilen der Union deutlich machte, „[that they] owe their prosperity, in some degree, to each other; to mutual dependence,
47 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 266. 48 Vgl. Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy, S. 96. 49 Vgl. Foletta Marshall, Coming to Terms with Democracy, S. 96. 50 Edward Everett, Selections from the Work of Edward Everett with a Sketch of his Life, S. 112. Zur Begriffsgeschichte von „Union“ im amerikanischen politischen Diskurs vgl. Kersh Rogan, Dreams of a More Perfect Union.
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to common interest, and the common feeling derived from it, or strengthened by it.“51 Umso intensiver strichen sie dementsprechend die konfliktmoderierenden Funktionen der Bundesverfassung hervor, welche neben der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution zu einem zweiten hauptsächlichen Arbeitsgebiet der Whig-Historiker um die Brüder Everett und Jared Sparks avancierte. Denn war es nicht die Bundesverfassung, welche jenen von Alexander H. Everett als so wirkmächtig beschriebenen Konflikt zwischen „Law“ und „Liberty“ in ein institutionelles Arrangement spannte und dadurch in eine Balance brachte? War es nicht die Geschichte des Bundesstaates, welche, wie Jared Sparks fragte, „the basis of experience and the guide to action“ in der politischen Kultur Nordamerikas darstellte? War sie nicht der „polestar to which all may look for safety“, in Zeiten, in welchen „the distractions of party, or faction“ die Leidenschaften anheizten, die Eifersucht der Einzelstaaten gegenüber dem Bund schürten und partikuläre und sektionale Interessen vor das Gemeinwohl der amerikanischen Nation stellten?52
9.4 Divergierende Kontinuitäten: Zur umkämpften Geschichte der Bundesverfassung Als Jared Sparks sich in den 1820er Jahren an der „scattered and loose condition of all materials for history in the United States“ abarbeitete, unzählige amerikanische und europäische Archive auf der Suche nach „printed journals, pamphlets, and documents relating to the Revolution“ besuchte und sich zum Ziel setzte, „a perfect body of the statutes of all the colonies and states, down to the formation of the federal constitution“ zusammen zu stellen,53 brachte ihn diese Suche auch in Kontakt mit James Madison. Sparks eröffnete Madison im Mai 1827, dass er beabsichtige, eine Geschichte der Amerikanischen Revolution zu schreiben, worauf Madison mit Begeisterung reagierte. Die Amerikanische Revolution, meinte Madison gegenüber Sparks, sei „the most pregnant, probably, of all political events, with beneficent influences on the social order of the world, and having, therefore, the highest claims on the historical pen“.54 Es war indessen nicht nur die Revolution, welche Sparks’ historisches Erkenntnisinteresse weckte und ihn nach Madisons Rat fragen
51 Edward Everett, Selections from the Work of Edward Everett with a Sketch of his Life, S. 52. 52 [Sparks Jared], Conventions for Adopting the Federal Constitution, S. 249. 53 [Sparks Jared], Materials for American History, S. 276 & 289. 54 James Madison an Jared Sparks, 30. Mai 1827, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, III, S. 583.
9.4 Divergierende Kontinuitäten
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ließ, sondern auch die Entstehung der Bundesverfassung und insbesondere die Debatten, welche diese sowohl in der Federal Convention in Philadelphia, als auch in den ratifizierenden Versammlungen in den Einzelstaaten begleiteten. „I believe it is well understood“ schrieb er an Madison, „that you were at the time, and of course always have been, better acquainted with the history of the conventions than any other person. All historical details which carry the mind back to the movements of that period are now extremely interesting to the public.“55 Nachdem er Madison im Frühjahr 1830 in Montpellier besucht und ausgiebig über die Verfassungsdebatten in Philadelphia, über die Ratifikationsdebatten in den Einzelstaaten und über die politischen Ansichten einiger Abgeordneter befragt hatte, notierte er in sein Tagebuch mit einer Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung: It is known that Mr. Madison took down sketches of the debates of the convention, and preserved copies of all the important proceedings. He told me that nothing of his would come out till after his death. […] I imagine he has preserved all the materials for a history of the convention for framing the Constitution, and probably of his later political life.56
In der Tat hatte Madison die Debatten der Federal Convention festgehalten und von vielen Briefen Kopien anfertigen lassen, welche Einblicke in diese Debatten und in die verschiedenen Standpunkte und Argumentationsmuster der Beteiligten ermöglichten.57 Trotz Madisons Weigerung, seine Notizen zur Federal Convention noch zu Lebzeiten zu veröffentlichen, war ihm sehr daran gelegen, dass diese Epoche der amerikanischen Geschichte ausgeleuchtet wurde. „I wish your example in tracing our constitutional history through its earlier periods could be followed by our public men of the present generation“ meinte Madison gegenüber William C. Rives im Dezember 1828, zur gleichen Zeit, als er mit Jared Sparks über die Geschichte der Verfassungsdebatten korrespondierte. The few surveyors of the past seem to have forgotten what they once knew, and those of the present to shrink from such researches, though it must be allowed by all that the best key to the text of the Constitution, as of a law, is to be found in the contemporary state of things, and the maladies or deficiencies which were to be provided for.58
55 Jared Sparks an James Madison, 12. Mai 1827, in: Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, II, S. 210. 56 Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, I, S. 564 & 567. 57 Zu Madisons Beschäftigung mit der Geschichte der Bundesverfassung vgl. McCoy Drew R., The Last of the Fathers, S. 119–170; Dewey Donald O., James Madison Helps Clio Interpret the Constitution. 58 James Madison an William C. Rives, 20. Dezember 1828, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, III, S. 664.
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Wollte man die Bundesverfassung richtig verstehen, so das Argument Madisons, musste man diesen Text in seinen historischen Kontext stellen.59 Dass das Interesse der Öffentlichkeit an den Verfassungsdebatten in Philadelphia und den Ratifikationsdebatten in den Einzelstaaten zugenommen hatte, wie Jared Sparks zu beobachten glaubte, lag in erster Linie daran, dass in den 1820er Jahren einige States’ Rights-Theoretiker die politischen Deutungen und Argumentationsmuster jener Autoren wieder entdeckten, welche der Verfassung kritisch gegenüber gestanden waren. Die während der Ratifikationsdebatten vorgetragenen Argumente der Antifederalists wurden nun zusehends aktualisiert, um die Ansprüche der States’ Rights hinsichtlich der Interpretation der Bundesverfassung historisch zu untermauern.60 So machte etwa John Taylor of Caroline in seiner 1823 veröffentlichten Schrift New Views of the Constitution of the United States ausgiebig Gebrauch von den Secret Proceedings and Debates of the Convention Assembled in Philadelphia, welche der Antifederalist Robert Yates gesammelt hatte, und verwies dabei auf die Argumente von Luther Martin, einem der einflussreichsten Köpfe der Antifederalists.61 Zum wachsenden Korpus dieser lange verschütteten und nun seit den 1820er Jahren leichter verfügbaren Texte gehörte auch ein Dokumentationsband von Jonathan Elliot, der 1827 unter dem Titel Debates in the several State Conventions on the Adoption of the Federal Constitution veröffentlicht wurde. Elliot legte mit der Veröffentlichung seiner Debates ein Schlüsselwerk zur Geschichte der Entstehung und Ratifikation der Bundesverfassung vor. Das Irritierende für Sparks und seine Kollegen war dabei, dass Elliot ebenso wenig ein unparteiischer Sammler historischer Dokumente war, wie Jared Sparks selbst. Stattdessen war Elliot „an active participant (on the states’ rights side) in the constitutional debates of his day.“62 Genauso wie Sparks mit seinen Quelleneditionen die Argumentationsmuster der Federalists aktualisierte und deren Beitrag zur Entstehung und Entwicklung der politischen Institutionen Amerikas akzentuierte, machte Elliot mit seiner Dokumentensammlung eine ganze Reihe von Texten publik, die aus der Feder von Antifederalists stammten, oder doch zumindest eine Lesart der Verfassung nahe legten, die stärker den States’ Rights verpflichtet war. So edierte Elliot etwa die verfassungskritischen Texte von so ein-
59 Vgl. hierzu auch McCoy Drew R., The Last of the Fathers, S. 119–130. 60 Vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 288–294; Ellis Richard E., The Persistence of Antifederalism after 1789. 61 Vgl. Taylor John of Caroline, New Views of the Constitution of the United States, S. 39–62. Zu Robert Yates und Luther Martin vgl. die Dokumente bei Storing Herbert J. (Hrsg.), The Complete Anti-Federalist, I/2, S. 15–82. 62 Powell H. Jefferson, The Principles of ’98, S. 689.
9.4 Divergierende Kontinuitäten
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flussreichen Antifederalists wie Luther Martin, Elbridge Gerry, Richard Henry Lee und George Mason und druckte Auszüge aus den bereits 1821 publizierten Secret Proceedings and Debates of the Convention Assembled in Philadelphia von Robert Yates erneut ab.63 Einige Jahre später, 1832, veröffentlichte Elliot eine weitere Sammlung von Dokumenten zum amerikanischen Föderalismus, deren Titel Programm war und keine Zweifel an seinen Ansichten zur Bundesverfassung offen ließ: The Virginia and Kentucky Resolutions of 1798 and ’99; with Jefferson’s Original Draught Thereof. Also, Madison’s Report, Calhoun’s Address, Resolutions of the Several States in Relation to State Rights. With Other Documents in Support of the Jeffersonian Doctrines of ’98.64 Mit diesen beiden Publikationen hatte Elliot also dokumentarisches Material zusammengestellt, das eine Kontinuitätslinie von den revolutionären Prinzipien von 1776 über die Antifederalists und Jeffersons und Madisons Principles of ’98 bis hin zu den States’ Rights-Theorien seiner Gegenwart evozierte. Zusammengehalten wurde diese Kontinuitätslinie durch einen strengen Föderalismus, die strikte Auslegung des Textes der Bundesverfassung und das Insistieren auf einer limitierten Bundesautorität. Dass Elliot in seinem Titel hervorhob, dass er Jeffersons „original draught“ der Kentucky-Resolution von 1798 abdruckte, verschärfte diese Lektüreanleitung noch, denn Jefferson hatte in seinem ersten Entwurf den Begriff „nullification“ bereits eingeführt, war aber dann von Madison und anderen Mitgliedern der Kentucky-Legislative auf die problematische Tragweite des Begriffs hingewiesen worden, und rückt von dessen Gebrauch ab.65 Dies hinderte indessen Elliot nicht daran, seine Dokumentation als eine Kanonisierung der States’ Rights-Interpretation der Verfassung zu beschreiben: These documents embody the principles of the old Republicans of the Jeffersonian school, the genuine disciples of the Whigs of ’76. They were promulgated at a time when the encroachments of the Federal Government on the rights „reserved to the States and to the People“, threatened to break down all the landmarks of the constitution, and to destroy the liberties of the country. These principles fearlessly advanced and nobly maintained by Thomas Jefferson and his compatriots during „the reign of terror“, effected a political revo-
63 Elliot Jonathan (Hrsg.), The Debates in the several State Conventions on the Adoption of the Federal Constitution, I, S. 344–389, 389–479, 482–491, 492–494, 494–496, 503–505. Zur historischen Einordnung dieser Texte vgl. Cornell Saul, The Other Founders, S. 51–80. Zu den Argumenten der Antifederalists vgl. Storing Herbert J., What the Anti-Federalists Were For. Zu Yates’ Edition vgl. Hutson James H., Robert Yates’ Notes on the Constitutional Convention of 1787. 64 Elliot Jonathan (Hrsg.), The Virginia and Kentucky Resolutions of 1798 and ’99. 65 Vgl. Mayer David N., The Constitutional Thought of Thomas Jefferson, S. 205–207; McCoy Drew R., The Last of the Fathers, S. 143–147.
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lution which restored the public liberty – in the emphatic language of Mr. Jefferson, „saved the constitution even at its last gasp“ – and thereby preserved the Union itself, bringing back, at the same time, the administration of the Government, to the purity and simplicity from which it had so widely departed. […] These documents shed a broad and clear light on this subject, which will remove from the mind of the candid enquirer after truth every doubt as to the true theory of the constitution – the „boundaries of jurisdiction“ between the Federal and State Governments – the rights of the States, and the conservative principles of our political system.66
Diese anspielungsreiche Lektüreanleitung kündigte natürlich eine gänzlich andere Geschichte der Bundesverfassung an, als jene, welche Jared Sparks und seine Bostoner Kollegen zu schreiben gedachten. Während sich die Whigs um Everett und Sparks ja selbst als solche bezeichneten, weil sie sich in die Tradition der Whigs während der Amerikanischen Revolution stellten, wurde ihnen dies nun von Elliot strittig gemacht. Der während den 1790er Jahren von den Federalists artikulierte Vorwurf, dass Jefferson und die Republicans ein Einfallstor für jakobinische Terrorherrschaft in Amerika repräsentierten, wurde von Elliot ebenfalls auf den Kopf gestellt, indem nun ausgerechnet die Administrationen Washingtons und v. a. Adams’ als „reign of terror“ bezeichnet wurden, die das von Elliot zitierte 10. Amendment missachtet und ihre Macht auf Kosten der Rechte der Einzelstaaten und des Volkes ausgedehnt hatten. Hinter dem Verweis auf die „Terrorherrschaft“ der Federalists verbarg sich des Weiteren eine Anspielung auf ein bekanntes bonmot von Tom Paine, der 1802 in seinen Letters to the Citizens of the United States geschrieben hatte: „So far as respects myself, I have reason to believe, and a right to say, that the leaders of the Reign of Terror in America and the leaders of the Reign of Terror in France, during the time of Robespierre, were in character the same sort of men; or how is it to be accounted for, that I was persecuted by both at the same time?“67 Die Federalists erschienen somit bei Elliot nicht mehr als Anhänger einer „rational liberty“ und eines „liberal and self denying spirit“, als welche sie Everett und Sparks zeichneten,68 sondern als machthungrige und korrumpierte Tyrannen, welche die Errungenschaften des föderalen Republikanismus der Revolution verrieten und sich zu den politischen Herrschaftsformen des monarchischen Europas hingezogen fühlten. Und die
66 Elliot Jonathan, Preface, in: Elliot Jonathan (Hrsg.), The Virginia and Kentucky Resolutions of 1798 and ’99, S. 2. 67 Paine Thomas, Letters to the Citizens of the United States, and Particularly to the Leaders of the Federal Faction, S. 393. 68 Everett Edward, Speech delivered at a Public Dinner at Lexington, Kentucky, 17th June, 1829, in: Everett Edward, Orations and Speeches on Various Occasions, I, S. 188; [Sparks Jared], Conventions for Adopting the Federal Constitution, S. 267.
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Union wurde in Elliots Lesart gerade nicht von den zentripetalen Kräften einer starken und handlungsfähigen Bundesregierung zusammen gehalten, wie dies die Federalists und mit ihnen so manche Whig-Historiker behaupteten, sondern von jenen föderalen Prinzipien, welche die „political revolution“ von 1800 wieder eingeführt hatte um die Machtusurpationen der Bundesregierung rückgängig zu machen.69 Diese Sicht der amerikanischen Geschichte blieb natürlich nicht unwidersprochen. Whig-Historiker wie Jared Sparks, die Gebrüder Everett und Charles Francis Adams setzten der historischen Interpretation Elliots ein alternatives Narrativ der Entstehung der Bundesverfassung entgegen, was ihnen angesichts der wachsenden Deutungsmacht der States’ Rights-Interpretationen der amerikanischen Geschichte und der Nullification-Doktrin umso dringlicher erschien. Skeptisch notierte beispielsweise Charles Francis Adams über die polarisierte Diskussion zu Beginn der 1840er Jahre: „Across the disputed land of strict construction and consolidation, of state rights and centralism, of slavery and of free labor, we think we perceive the elements of a storm which will shake to its center, if it make not a wreck of the fair fabric of our present institutions.“70 War es nicht angesichts solcher Konflikte an der Zeit, argumentierten Historiker wie Adams und Sparks, eine Geschichte der Revolution und der Entstehung der Bundesverfassung zu schreiben, welche die Amerikaner an ihr gemeinsam Erreichtes erinnerte? Eine Geschichte, welche die von Adams angesprochenen vielfältigen Risse und Brüche in der amerikanischen Gesellschaft zu kitten vermochte? Jared Sparks’ Engagement, die weit verstreuten Dokumente zur Amerikanischen Revolution zu sammeln und zu edieren, war dementsprechend nicht nur der Versuch einer historischen Archivierung bestimmter Dokumente aus der amerikanischen Geschichte, sondern gleichzeitig die Bereitstellung und Kanonisierung eines Arsenals politischer Argumente gegen die historischen Narrative der States’ Rights-Historiker vom Schlage Elliots. Denn die Geschichte des politischen Systems Amerikas, so Jared Sparks in seiner Besprechung von Elliots Debates repräsentiere bei allem Parteiengezänk, bei allen sektionalen Konflikten und bei allen politischen Kontroversen der Gegenwart „an unchangeable center of union, an attractive power that draws every part to itself with an irresistible force.“71
69 Vgl. Powell H. Jefferson, The Principles of ’98, S. 690–694. 70 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 77. 71 [Sparks Jared], Conventions for Adopting the Federal Constitution, S. 250.
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9.5 Die Geschichte der Bundesverfassungals republikanische Integrationsgeschichte Während States’ Rights-Historiker wie Jonathan Elliot ihre historische Darstellung der amerikanischen Geschichte mit der Revolution von 1776 einsetzen ließen, die von den Federalists dominierten 1790er Jahre als Krisen- und republikanische Degenerationsphase beschrieben, aus welcher schließlich Jeffersons „Revolution of 1800“ herausführte und damit die Kontinuitäten zu den States’ Rights der 1820er Jahre herausstrichen, favorisierten Whigs einen etwas anderen Spannungsbogen in ihrem Narrativ der amerikanischen Geschichte. Einerseits relativierten sie, wie bereits angedeutet, die Zäsur der Revolution, andererseits dramatisierten sie die Periode unter den Articles of Confederation. Entscheidend war in ihrer Perspektive weniger die Revolution selbst, als die Bändigung der Revolutionsdynamik, für welche die Articles of Confederation keine Handhabe boten. In der historischen Erzählung der Whigs erschien die Periode unter den Articles of Confederation deshalb als eine chaotische Phase, welche von Rivalitäten zwischen den Einzelstaaten, von demokratischen Exzessen – wie dies die Zeitgenossen nannten – und mangelnder Handlungskompetenz des Kongresses geprägt war. Die Einberufung der Federal Convention erschien demzufolge als ein Befreiungsschlag, der das republikanische Experiment vor dem Untergang rettete. Bereits James Madison hatte im Rückblick auf diese historische Entscheidungssituation in der Federal Convention 1821 dramatisierend geschrieben, „that, in the eyes of all the best friends of liberty, a crisis had arrived which was to decide whether the American experiment was to be a blessing to the world, or to blast forever the hopes which the republican cause had inspired.“72 Und nicht weniger pointiert meinte Charles Francis Adams zwei Jahrzehnte später, dass eine Fortsetzung der Articles of Confederation für das republikanische Experiment in Nordamerika ein „suicidal attempt“ gewesen wäre.73 Hinter dieser Dramatisierung der Zeitspanne am Vorabend der Federal Convention verbarg sich der Versuch einer kontextsensitiven historischen Interpretation der Bundesverfassung. Diese konnte nämlich nur richtig verstanden werden, so das Argument Madisons und Charles Francis Adams’, wenn in Rechnung gestellt wird, gegen welche Übel sie entwickelt und eingesetzt worden war und unter welchen dramatischen Bedingungen sie zustande kam.
72 James Madison an John G. Jackson, 27. Dezember 1821, in: Madison James, Letters and other Writings of James Madison, III, S. 244. 73 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 50.
9.5 Die Geschichte der Bundesverfassung
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Eines, wenn nicht sogar das entscheidende Übel wurde in der fehlerhaften föderativen Struktur unter den Articles of Confederation und dem damit zusammenhängenden Machtungleichgewicht zwischen Bund und Einzelstaaten gesehen. „The separate States,“ schrieb beispielsweise Charles Francis Adams über das Verhältnis von Kongress und Einzelstaaten am Vorabend der Federal Convention, acting in reference to each other rather as independent sovereignties than as divisions of a homogeneous people, conceded to the common cause nothing which they could with any plausibility retain for themselves. And even the concessions, which they were persuaded to make, proved nominal, for the reason that they granted no means of coercion over themselves in cases when they refused to abide by them.74
Die Geschichte der Vereinigten Staaten in dieser Phase illustriere, so Adams nicht ohne Seitenblicke auf die politischen Ansprüche, die von States’ Rights-Anhängern und Nullifiers seiner Gegenwart vorgebracht wurden, „how fast the road to social disorganization can be travelled“.75 Die Federal Convention und die darin vollbrachte Erfindung der „federal republic“ erschien in diesen historischen Narrativen quasi als deus ex machina – gerade noch rechtzeitig, um die Republik vor ihrem inneren Zerfall zu bewahren und mit entscheidenden Weichenstellungen für die zukünftige föderale Organisation der Republik:76 „There was no longer to be a federal compact between States, but a compact between the people of those States. The intervention of sovereignties between the individual citizen and the national power, was to be done away with.“77 Auf der semantischen Ebene interpretierte Adams diese Transition als „change from federation to union“, denn der Bundesverfassung wurde damit die theoretische Annahme zugrunde gelegt, „that the new system, though not intended to annihilate the state sovereignties, was nevertheless in all cases of collision to be of superior obligation.“78 In einer ähnlichen Argumentationsrichtung unterschied auch Alexander H. Everett die „old Confederation“ streng von der aktuellen „Federal Constitution“: The radical defect of the old Confederation, – and it was one inseparable from the nature of the system, – was, that the authority of Congress proceeded from and acted upon the State authorities, and not the individual citizens; while it is the leading principle of the present
74 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 48. 75 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 48. 76 Zum Deutungsmuster des deus ex machina vgl. LaCroix Alison L., The Ideological Origins of American Federalism, S. 1. 77 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 54. 78 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 55–56.
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Federal Constitution, that the authority of the General Government proceeds from and acts upon the individual citizens, and has little or no concern with the States.79
Es waren die innovativen Transformationen in der Semantik des Föderalismusbegriffs im Zuge der Federal Convention und während den Ratifikationsdebatten, die nun in der Geschichtsschreibung der Whigs eine Zäsur bildeten, welche die Übel der antiken und zeitgenössischen Konföderationen ins Reich der Vergangenheit verbannte. Gleichzeitig diente die Erinnerung an die Konflikte und Problemlagen unter den Articles of Confederation auch als ein Argument, um den zeitgenössischen Ansprüchen von States’ Rights-Anhängern und Nullifiers entgegen zu treten. Denn diese, so das Argument der Whigs, würden die Vereinigten Staaten in genau jene katastrophalen Zustände zurück katapultieren, aus welchen sie dank der Bundesverfassung entrinnen konnten. Die Mängel der nun systematisch so bezeichneten „Old Confederation“ wurden mit den antizipierten Folgen der Nullification-Doktrin in Verbindung gebracht und beide wurden als destabilisierende Faktoren im Mächtegleichgewicht der föderalen Union interpretiert. So argumentierte Alexander H. Everett vorsichtig abwägend, was die föderale Machtteilung in der Republik betrifft, aber entschlossen gegen die Nullifiers: We believe that if the States were absorbed more deeply into the Union than they now are, a Republican General Government would be impracticable. […] On the other hand, however, any sensible diminution of the powers of the General Government, as defined by the Constitution and as generally understood, would bring us back at once to the anarchy of the Old Confederation. Such would undoubtedly be the effect of the South Carolina doctrine, that each State has a negative on the acts of the General Government, should it ever be recognised as the true theory of the Constitution; and it is therefore an event of good omen that this heresy met with so little favor even with the professed advocates of State Rights.80
Während bei Adams’ Argumentation noch deutliche Anleihen bei den älteren konstitutionellen Theorien der Federalists zu sehen sind (etwa was die Superiorität des Bundes bei Konflikten zwischen dem Kongress und den Einzelstaaten betrifft), ist bei Everetts Auslegung schon eher die Anbindung an die theoretischen Deutungsfiguren zu beobachten, welche die National Republicans vertraten, und allen voran James Madison, „the patron saint of Whiggery“, wie er von Daniel Walker Howe genannt wurde.81 Nicht eine nationale Konsolidierung sondern eine Balance zwischen Einzelstaaten und Bund wurde von Everett in den Vordergrund gerückt – eine Balance freilich, welche von den Ansprüchen der Nullifiers
79 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 215. 80 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 267–268. 81 Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 91.
9.5 Die Geschichte der Bundesverfassung
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gestört wurde. Hatte sich Alexander Hamilton und mit ihm viele Federalists in den Dekaden zuvor mit der föderalen Struktur der Union noch schwer getan und sie eher als eine transitorische Phase auf dem Weg zu einem stärker vereinheitlichten Nationalstaat betrachtet, fanden sich die Whigs nun weitgehend mit jener Interpretation des amerikanischen Föderalismus ab, welche Henry Clay den „Madison ground“ nannte.82 Jared Sparks erklärte 1826 beispielsweise in einem Brief an den argentinischen Intellektuellen und Politiker Manuel Moreno über die Vorteile einer föderativen gegenüber einer unitarischen Republik: If you look at the advantages, these are certainly much greater with the federal system than any other that can be devised. No other is so well calculated to satisfy the people, by leaving them to act for themselves, and expand the warmth of party on topics of local interest and sectional administration, rather than by enlisting them in the great national subjects, which cannot be agitated by the people at large without danger to the whole republic.83
Deutlich werden hier die Anleihen bei Madisons Argument in den Essays Federalist No. 10 und No. 51, welche insbesondere die Vorzüge der föderalen Machtteilung im Hinblick auf die Selbstregierung der Bürger, auf die Verantwortlichkeit der Repräsentanten gegenüber dem Elektorat und im Hinblick auf die Multiplizierung der Parteien als Funktion für den Schutz von Minderheiten in einer großflächigen Republik behandeln.84 Diese moderierende Perspektive setzte die Whigs der 1830er Jahre vielleicht am deutlichsten von den Federalists der 1790er ab, mit welchen sie aber nichtsdestoweniger einige inhaltliche Überschneidungen aufwiesen. Sichtbar wird diese Absetzung außerdem an der historischen Neubewertung der Rolle der Antifederalists in den Verfassungsdebatten. Es gehörte zu den argumentativen Strategien der Whig-Historiker, dass ihr Anspruch, eine nationale Geschichtsschreibung der Gründung der Vereinigten Staaten zu schreiben, nicht in einer schlichten Zurückweisung alternativer Narrative aufging, sondern – wie bereits bei Alexander H. Everetts Analyse der Parteienbildung der 1790er Jahre angedeutet – diese in das eigene historische Deutungsmuster integriert wurden. Es ist denn auch kein Zufall, dass in der wichtigsten Zeitschrift der National Republicans und der Whigs, der North American Review, ab den 1820er Jahren zahlreiche Artikel erschienen,
82 Clay Henry, Speech in the Senate on Mr. Tyler’s Veto of the Bank Bill, 19. August 1841, in: Clay Henry, The Works of Henry Clay, VIII, S. 277. 83 Jared Sparks an Mariano Moreno, 18. Dezember 1826, in: Sparks Jared, The Life and Writings of Jared Sparks, I, S. 319. Zu Moreno vgl. Wait Eugene M., Mariano Moreno. 84 Vgl. Madison James, Federalist No. 10 & 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 71–79, 317–322. Vgl. hierzu auch Sheehan Colleen A., James Madison and the Spirit of Republican Government, S. 168–169.
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9 Die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas
welche bekannten Antifederalists gewidmet waren. Jared Sparks schrieb etwa über Patrick Henry und Edward Everett über Elbridge Gerry und Richard Henry Lee.85 Über letzteren schrieb Edward Everett 1826 in respektvollem Ton: Mr Lee shared the fears, which many of the soundest politicians and best patriots felt, that the National Government would prove too strong for the independence of the States. His reasonings deserve to be quoted, as part of the contemporaneous exposition of the Constitution, for it is only by comparing what was said against it with what was said for it, that we can arrive at certain knowledge of what the framers of the Constitution intended by its provisions.86
Anstatt die Antifederalists in seinem historischen Narrativ der Verfassungsdebatten als Verlierer darzustellen oder den Erfolg der Bundesverfassung alleine den Federalists zuzuschreiben, präsentierte auch Jared Sparks die Antifederalists als Gewährsmänner für die Repräsentativität der Verfassung als Stimme des gesamten amerikanischen Volkes: „Talents of the first order, experience, and knowledge, were arrayed on both sides in favor of the Constitution and against it; every imaginable objection was raised and answered; not a flaw escaped its enemies, nor passed without an elaborate explanation by its friends.“87 Die Debatten der Federal Convention in Philadelphia von 1787 bildeten in Sparks’ Perspektive einen umfangreichen Kommentar „in regard to the construction and sense of its [the constitution’s] very parts“, gerade weil hier die Argumente der Verfassungsbefürworter ebenso zum Ausdruck kamen wie jene der Kritiker.88 Ähnlich wie Sparks argumentierte auch Charles Francis Adams. In einem Artikel, der die 1840 erschienen und unter Mitarbeit von Jared Sparks edierten Madison Papers besprach, erinnerte er an den dialogischen Charakter der Verfassungsentstehung: Conflicting interests often hit upon intermediate propositions, the merit of accepting which belongs to both, and that of originating them can yet be claimed by neither. Many of the most marked features in the instrument grew under the compound handling to which they were subjected, and all visibly improved as they passed along.89
Nicht die „genuine principles“ einer bestimmten Denkschule verkörpere die Bundesverfassung, nicht die Durchsetzung partikulärer Interessen und politischer
85 Vgl. [Sparks Jared], Review of Wirt’s Life of Patrick Henry; [Everett Edward], Review of Memoir of Richard Henry Lee; [Everett Edward], Review of Life of Elbridge Gerry. 86 [Everett Edward], Review of Memoir of Richard Henry Lee, S. 396. 87 [Sparks Jared], Conventions for Adopting the Federal Constitution, S. 251. 88 [Sparks Jared], Conventions for Adopting the Federal Constitution, S. 251. 89 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 52.
9.6 Republikanische Wiederentdeckungen und Transformationen
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Orthodoxien, argumentierten auch Edward Everett und sein Bruder Alexander gegen die historischen Ansprüche eines Jonathan Elliot. Stattdessen lag der historische und politische Wert der Bundesverfassung im Kompromiss, in der Vermittlung von unterschiedlichen Interessen, in den deliberativen Prozessen in der Federal Convention und in den Ratifikationsdebatten und im – in den Worten Charles Francis Adams’ – „compound handling“ der Beteiligten. Erst durch dieses „compound handling“ war eine Verfassung zustande gekommen, welche alle am Vorabend der Federal Convention noch klar artikulierten partikulären Interessen transzendierte, so dass überhaupt keine Rede davon sein konnte, dass sich bestimmte Prinzipien oder Schulen durchgesetzt hätten. Beides, die Kompromissfähigkeit der politischen Institutionen und die Kompromissbereitschaft der unterschiedlichen Teile und der unterschiedlichen Parteien der Union, seien für das Funktionieren einer großflächigen Republik wie der amerikanischen unverzichtbar: „The Constitution, as finally adopted, was a sort of compromise between the two parties.“90 Die Entstehung der Bundesverfassung wurde von den Whig-Historikern in Analogie zu der von dieser erwarteten Funktionsweise gesetzt. Genauso, wie ihre Entstehung auf einer Harmonisierung unterschiedlicher Interessen basierte, sollte sie auch in der Zukunft widersprechende Interessen und politische Ansprüche balancieren und in das nationale Ganze integrieren; ihre Checks and Balances und ihr gemischter Charakter widerspiegelten gleichzeitig die sozioökonomische und kulturelle Diversität der amerikanischen Gesellschaft und ihre Fähigkeit, diese Diversität innerhalb der Union in harmonische Verhältnisse zu bringen.91
9.6 Republikanische Wiederentdeckungen und Trans formationen. Tugend, Kontingenz und Institution Dass die Bundesverfassung überhaupt ein Kompromiss werden konnte, hing in der historischen Deutung von Jared Sparks und seiner Kollegen auch von der Tugend der Kompromissbereitschaft jener Männer ab, welche sich 1787 in Philadelphia versammelten und dieses Instrument entwarfen. Charles Francis Adams erblickte die größte Lehre der amerikanischen Verfassungsgeschichte bezeichnenderweise nicht in den geläufigen Antworten einer Koppelung von demokratischer Repräsentation und Föderalismus oder der Erfindung einer großflächigen Republik, wie dies seine Zeitgenossen in der Regel taten. Was Adams stattdessen an der historischen Situation in Philadelphia im Frühjahr 1787 hervorhob, war
90 [Everett Alexander H.], Origin and Character of the Old Parties, S. 216. 91 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 83.
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9 Die Geschichte der amerikanischen Föderativrepublik im Spiegel Europas
der Verzicht. Die Amerikanische Revolution und die Unabhängigkeit von England habe viele Amerikaner auf den Geschmack der Freiheit gebracht, mitunter allerdings auch die Dispositionen geschaffen, „for that kind of liberty which runs into open licientiousness“. Demagogen schürten die „popular madness“ eines „quarrelsome mob“ und überzogen die Kolonien mit einem „anarchical spirit“, so Adams weiter.92 Dass sich das amerikanische Volk an diesem historischen Zeitpunkt, an welchem es eigentlich seine ganze Macht hätte ausüben können, selbst die Grenzen seiner Souveränität setzte und die „best men“ für die Ausarbeitung einer Verfassung wählte – dies sei die historisch interessante Konstellation: „But what is that force which many are so fond of lauding, without ever taking the pains to comprehend an atom of its nature?“ fragte Adams in seinem Aufsatz zu den Madison Papers. We hold it to consist in that voluntary abnegation of power by masses of men for certain useful ends, which in all other forms of government is compulsive. In short, Self-restraint. […] [T]he spontaneous sacrifice of power when one acquired, the cheerful assent to a vigorous plan of self-control, involved an exercise of powers both intellectual and moral, and a rule over resisting passions, far more difficult to execute, as it was, we think, more creditable to accomplish.93
Es ist die Tugend der Selbstbegrenzung und des Machtverzichts, welche Adams für das Funktionieren eines republikanischen Gemeinwesens für unabdingbar ansah, denn, „the road to popular favor in the United States has always been by the abnegation of power.“94 Die Aufopferung individueller Interessen und Überzeugungen zugunsten einer gemeinsamen Sache, die in einem deliberativen Prozess definiert wird, entdeckte auch Jared Sparks als Charakteristikum der Verfassungsentstehung. Es sei der „liberal and self denying spirit“, welcher die Kooperation von ideologisch so unterschiedlich geprägten Autoren wie Alexander Hamilton, James Madison und John Jay für den Federalist ermöglichte, und welcher die Verfassungsdebatten insgesamt durchziehe: It was by this sacrifice of private feeling and opinion to public good, that the constitution was at last adopted; for, after all, this great charter of our liberties was never pretended to be the best, that human wisdom could devise, but a compromise of conflicting interests, in which small points were yielded to secure large ones, till the whole structure was as perfect as imperious circumstances would admit.95
92 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 48–50. 93 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 45–46. 94 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 47. 95 [Sparks Jared], Conventions for Adopting the Federal Constitution, S. 267.
9.6 Republikanische Wiederentdeckungen und Transformationen
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Hinter diesem Deutungsmuster verbarg sich eine Vorstellungswelt, die an den republikanischen Tugenddiskurs des 18. Jahrhunderts anschloss und nun unter den Bedingungen einer wachsenden Demokratisierung von Staat und Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert reaktiviert wurde.96 In einer Republik liegt die Macht beim Volk, argumentierten Charles Francis Adams und Jared Sparks. Damit es diese Macht indessen nicht missbraucht, muss es sich selbst zurücknehmen, sich selbst in jenen konstitutionellen und rechtlichen Grenzen halten, die es sich selbst gegeben hat, es muss sich in Selbstverzicht üben, obwohl – oder gerade weil – es weiß, dass es der Souverän ist.97 Die zyklischen Vorstellungswelten historischer Entwicklung, die Narrative von Aufstieg und Fall, von republikanischer Blüte und Degeneration, wie sie das republikanische Geschichtsdenken des 18. Jahrhunderts prägten, fungierten bei vielen historischen Schriften der Whigs als Drohkulisse, vor welcher eine enge Verbindung von Geschichtsdidaktik und Bürgertugend inszeniert wurde.98 Die Republik war diesem Deutungsmuster gemäß permanent bedroht, sei es von Seiten der Machtusurpation der Herrschenden, sei es durch den Verlust der Tugend der Bürger, oder sei es durch die mit Wohlstand und Luxus wachsende Anfälligkeit für die Durchsetzung von Partikularinteressen, für Korruption, materielle Abhängigkeiten und den Verlust autonomer Entscheidungsfähigkeit – und dies ging natürlich alles zu Lasten des Gemeinwohls.99 Die historischen Narrative Everetts, Sparks’ oder Charles Francis Adams’ lassen sich als Versuche lesen, diese in den tradierten Deutungsmustern der Geschichte schlummernden Warnungen vor dem Verfall republikanischer Staatswesen mit einer progressiven Deutung der Geschichte in eine offene, aber planbare Zukunft hinein zu verbinden.100 Die Entstehung der Bundesverfassung als Klimax der amerikanischen Geschichte war in dieser Hinsicht zwar Ausdruck des Fortschritts politischer Wissenschaft, die von ihr geschaffenen Institutionen waren klug, ausbalanciert und erlaubten moderierten Wandel – aber dies alles genügte nicht. Ohne Bürgertugend, ohne das, was Francis Lieber „the cultivation of the heart and of the head, or in other words, a moral and intellectual cultivation“ genannt hat,101 blieb die moderne Republik Amerikas den Gefahren der antiken Republiken ausgesetzt. „The constitution of the United States will become a piece
96 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 29–32. 97 Vgl. hierzu auch Matthews Jean V., „Whig History“, S. 207. 98 Vgl. zu diesen Zeitvorstellungen auch Pocock J. G. A., The Machiavellian Moment, S. viii. 99 Vgl. Wood Gordon S., The Creation of the American Republic 1776–1787, S. 48–82. 100 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 73–76. 101 Lieber Francis, On History and Political Economy (1836), in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 35.
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of parchment, whenever its living force in the breasts of the American people shall have passed away“, deklamierte Charles Francis Adams.102 Das Studium der Geschichte, so der didaktische Zug in diesen Argumenten, klärte die Bürger über das Werden der Macht des Volkes auf, band ihre Loyalitäten an die politischen Institutionen der Nation und verdeutlichte gleichzeitig die Notwendigkeit ihrer institutionellen Bändigung, die Notwendigkeit des Verzichts, die Notwendigkeit der Kultivierung von Bürgertugend und Deliberation zugunsten des Gemeinwohls – und nichts repräsentierte diesen Prozess in den Augen von Autoren wie Charles Francis Adams präziser, als die Entstehung der Bundesverfassung. Natürlich verbarg sich hinter dieser historischen Interpretation auch ein demokratiekritisches Argument. Da in den Madison Papers auch dessen Notizen zu den Debatten in der Federal Convention veröffentlicht wurden, zitierte Charles Francis Adams genüsslich die zahlreichen kritischen Einwände von Seiten vieler Mitglieder der Federal Convention, was die „evils of a democracy“ anging. Vergleiche man die politischen Kontroversen der Gegenwart, in welcher sich alle Parteien in den Vereinigten Staaten darüber stritten, welche denn nun demokratischer sei, mit den Debatten der Federal Convention, erhalte man „a tolerably accurate idea of the change that has come over public opinion in the interval.“ „In truth the word democracy, as it was then understood,“ erklärte Adams, was never a favorite with any class of statesmen in the earliest period of our national government, not excepting even Mr. Jefferson himself. […] This result, which they were aiming to bring about, they loved to denominate a republic, and not a democracy; a republic, which, whilst it should faithfully adhere to the general principle of reflecting the popular will, when conveyed through prescribed channels, was to be carefully guarded from experiencing the evil consequences attending the momentary fluctuations of popular feeling, and the unsteadiness and contradictory action which they occasion. It was to be the realization of that beau idéal of government, a union of systematic energy with the largest practicable individual liberty.103
Die Idee, dass die Bundesverfassung zwar auf der Souveränität des Volkes aufbaue, gleichzeitig aber diese Souveränität im Namen des Volkes und zu dessen Gemeinwohl teile und an unterschiedliche, aber koordinierte politische Körperschaften zuweise, um dadurch einen deliberativen Filterungsprozess in der politischen Willensbildung auszulösen, gehörte zu den fundamentalen Überzeugungen, welche die Whigs ihrer Interpretation der Geschichte des Bundesstaates zugrunde legten. „The people are, what they are often ironically called,
102 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 45. 103 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 63. Hervorhebungen im Original.
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the Sovereigns“, erklärte Edward Everett, um dann allerdings zu präzisieren, dass dies die Vereinigten Staaten noch lange nicht zu einer Demokratie mache; denn Demokratie, so Everett, sei als „inconsistent with permanent and rational freedom“ zu betrachten.104 Der Unterschied zu den Jacksonians lag dementsprechend nicht darin, dass man vom Prinzip der Volkssouveränität abgerückt wäre; der Unterschied entbrannte vielmehr entlang der Frage, wie das Volk seine Souveränität genau ausüben sollte. Während Jackson und seine Anhänger den Volkswillen für sich reklamierten und davon exekutive Befugnisse ableiteten, sahen die Whigs den Volkswillen im institutionellen Arrangement der Vereinigten Staaten verkörpert. Und dieses sah Everett von einer Koppelung von föderativen und repräsentativdemokratischen Prinzipien geprägt. Der Souverän habe mit der Ratifikation der Verfassung zugestimmt, die „great conception of modern times“ einzuführen, nämlich „the representative system, the plan of delegated power“ und „the adjustment of the federal and popular principles in the General Government: In this system, there are some features which are purely federative, some which are of a mixed federative and popular character; not one that is purely popular.“105 Gerade darin sah Everett den Schutz von Minderheiten begründet, denn das Argument, „which insists on the right of the majority of the people to govern, would be applicable only to a system that was purely popular throughout.“106 Die Pointe des amerikanischen Systems lag in dieser Interpretation gerade darin, dass das Volk in seiner souveränen Kapazität durch die Mischung föderativer und nationaler Elemente und durch verfassungsmäßig geschützte Rechte seine eigene Souveränität begrenzt, in institutionelle Kanäle gegossen und an unterschiedliche Körperschaften delegiert habe, in welchen sie im Dienste des Gemeinwohls auch am besten aufgehoben sei. Angesichts der Politik Jacksons wurden gerade diese institutionellen Sicherungsmechanismen und deliberativen Vorkehrungen von den Whigs in den Vordergrund geschoben. „He governs a nation as he would fight wild Indians“, urteilte Jared Sparks gegenüber Lafayette in einem Brief vom März 1834 über Jacksons militärischen politischen Stil, allerdings um gleich anzufügen, dass selbst diese Versuche einer exekutiven Machtusurpation institutionell abgefedert würden und kein Anlass gegeben sei, um die Republik zu fürchten:
104 Everett Edward, Speech in the House of Representatives of the United States, March 9, 1826, S. 27–28. Hervorhebungen im Original. 105 Everett Edward, Speech in the House of Representatives of the United States, March 9, 1826, S. 6, 24, 27 & 29. 106 Everett Edward, Speech in the House of Representatives of the United States, March 9, 1826, S. 24.
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„The wisdom of our fathers has established it [the Republic] on a foundation too strong, to be overthrown, and the good sense of the people will preserve it against the artifices of faction, and the unprincipled aims of ambitious demagogues.“107 Weniger optimistisch argumentierte Charles Francis Adams. Es sei das demokratische Element, welches sich in der politischen Kultur Nordamerikas in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts unaufhaltsam weiter entwickelt habe, welches „the destruction of almost every balance in the Constitution“ vorantreibe und nun von den Jacksonians als Mittel der exekutiven Ermächtigung missbraucht würde. Das Resultat einer solchen Entwicklung würde nichts weniger als eine „pure democracy“ sein, so Adams skeptisch, „in which the President represents the people, and becomes solely accountable to them for his conduct, and the legislature and the judiciary play very secondary and insignificant parts.“ Dann, so Adams, sei die Verfassung gänzlich von ihrer ursprünglichen „complicated republican form which its framers designed to make it“ entfremdet worden, und „will be a simple machine of more unmixed democracy than was even the government of Athens.“108 Diese Dialektik zwischen Demokratie und wachsender exekutiver Autorität war ein kritischer Gesichtspunkt, der von Whigs in ihren Deutungen der Bundesverfassung hervorgehoben wurde. Ein anderer war, dass die Demokratisierung der Gesellschaft die Parteienkämpfe anheizen würde, die ihrerseits jene Tugenden des Selbstverzichts und der Gemeinwohlorientierung unterminieren würden, welche die Whigs in den Männern verkörpert sahen, die sich 1787 in Philadelphia trafen. Dass Parteien ein integraler Bestandteil freier politischer Institutionen seien, gehörte zu den Axiomen der politischen Theoriebildung der Whigs. Wenn Parteien allerdings gleichzeitig die Orientierung am Gemeinwohl unterminieren, Minderheiten unterdrücken und die institutionellen Mechanismen der Machtteilung aushebeln, dann hatten sie eine politische Macht erhalten, welche sich gegen die freien Institutionen selber richteten und damit die Republik gefährdeten. Chancellor James Kent, ein alter Federalist aus New York, der von seinen Anhängern wegen seiner juristischen Arbeiten auch als „American Blackstone“ bezeichnet wurde, erläuterte seinen Bekannten und Freunden aus dem WhigMilieu unablässig die Mechanismen zwischen Demokratisierung und exekutiver Machtusurpation, wie er sie in Andrew Jacksons Amtsführung zu beobachten
107 Jared Sparks an Lafayette, 25. März 1834, in: ANF, Microfilm des Papiers Lafayette, Cornell University, New York, 217 MI 11 008217–008220, hier: 008220. 108 [Adams Charles Francis], The Madison Papers, S. 77–78.
9.6 Republikanische Wiederentdeckungen und Transformationen
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glaubte.109 „It is the evil genius of Democracy to be the sport of factions“ erklärte James Kent seinem Freund Daniel Webster 1830, und es sei dieser „evil genius of Democracy“, der insgesamt für die immer wiederkehrenden Krisen der amerikanischen Republik verantwortlich sei.110 Und an Edward Everett schrieb er einige Jahre später: Our Democracies are rapidly ruining us. We started with republics & representative Government, & they have run down into profligate & lawless Democracies. Our Elections are carried by Fraud & Corruption – The Hopes & the Love of Office & Power control everything & have corrupted the Press & the Mass of the People. We are growing worse & worse.111
Obwohl Kents demokratiekritische Verfallsgeschichte zweifellos zu den radikaleren Positionen gehörte, war das Problembewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Demokratie, Parteienbildung und die Aushebelung institutioneller Machtteilungen unter den Whigs weit verbreitet. So schrieb etwa auch Edward Everett, dass der „spirit of party“ zwar in freien politischen Gemeinwesen natürlicherweise ausgeprägter sei, als in jenen, „under which the liberty of speech and of the press is restrained by the strong arm of power“. But so naturally does party run into extremes, so unjust, cruel, and remorseless is it in its excess, – so ruthless in the war which it wages against private character, – so unscrupulous in the choice of means for the attainment of selfish ends, – so sure is it, eventually to dig the grave of those free institutions, of which it pretends to be the necessary accompaniment, – so inevitably does it end in military despotism and unmitigated tyranny […].112
Ohne die Aufrechterhaltung jenes kulturellen „Self-restraint“, den Everett und manche seiner Zeitgenossen in der historischen Entscheidungssituation der Federal Convention am Werk sahen, und ohne die Aufrechterhaltung jener institutionellen Machtbalancen und -teilungen, welche sie als die originalen Absichten der Verfassungsväter skizzierten, war gegen die Gefahren und die Dynamiken der Demokratie nicht anzukommen. Die Bundesverfassung von 1787, meinte Edward Everett, sei „the only thing permanent which we have; the only thing which the people of the United States have taken out of the grasp of this daily changeful
109 Zu Kent vgl. Stychin Carl F., The Commentaries of Chancellor James Kent and the Development of an American Common Law. 110 James Kent an Daniel Webster, 21. Januar 1830, in: Webster Daniel, The Private Correspondence of Daniel Webster, I, S. 487. 111 James Kent an Edward Everett, 27. Juni 1846, in: MHS, Edward Everett Papers, 12A 180–181. 112 Everett Edward, Selections from the Work of Edward Everett with a Sketch of his Life, S. 152.
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legislation; the thing which is to stand us instead of all the perpetuities of the old world, ecclesiastical, political, social and personal.“113 In den historischen Narrativen der Whigs überlagerten sich also unterschiedliche politische Ansprüche. Sie verbanden eine aus dem revolutionären Republikanismus stammende Skepsis gegenüber direktdemokratischen Verfahren und Parteien mit einem progressiven Glauben in die Gestaltbarkeit der Zukunft; sie verbanden ältere republikanische Tugend- und Freiheitsdiskurse mit der Notwendigkeit einer durch Föderalismus und Repräsentation institutionell gehegten Freiheit; sie verbanden eine Dramatisierung der Geschichte Nordamerikas am Vorabend der Federal Convention mit einer Dramatisierung der Kontroversen um die Nullification-Theorie und leiteten davon ihre historische Interpretation der Bundesverfassung ab.114 Republikanische Bürgertugend wurde in ihren Schriften eng mit dem kollektiven Gedächtnis verbunden; die Geschichte der Revolution und der Entstehung der Union zu studieren, verstärkte die emotionalen Bindungen und die Loyalität an das politische Gemeinwesen der Vereinigten Staaten, und jeder gute Patriot sollte mit den Namen der Gründungsväter, mit den entscheidenden Ereignissen der Revolution und der Verfassungsentstehung vertraut sein. Als Jared Sparks Mitte der 1830er Jahre einen Aufsatz über American History aufsetzte, verband er diese unterschiedlichen politischen Ansprüche in einigen wenigen Sätzen zu einer Geschichtsdidaktik, welche für die Geschichtsschreibung der Whigs als paradigmatisch gelten darf: The instructive lesson of history, teaching by example, can nowhere be studied with more profit, or with a better promise, than in this revolutionary period of America; and especially by us, who sit under the tree our fathers have planted, enjoy its shade, and are nourished by its fruits. But little is our merit, or gain, that we applaud their deeds, unless we emulate their virtues. Love of country was in them an absorbing principle, an undivided feeling; not of a fragment, a section, but of the whole country. Union was the arch on which they raised the strong tower of a nation’s independence. […] They have left us a written charter as a legacy, and as a guide to our course. But every day convinces us, that a written charter may become powerless. Ignorance may misinterpret it; ambition may assail and faction destroy its vital parts; and aspiring knavery may at last sing its requiem on the tomb of departed liberty.115
113 Everett Edward, Speech in the House of Representatives of the United States, March 9, 1826, S. 7. 114 Vgl. zu dieser Janusköpfigkeit der Whigs auch Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 299–305. 115 Sparks Jared, American History, S. 140.
9.7 Edward Everetts Botschaft für Europa – und für Amerika
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9.7 „It cannot be that despotism suits men on one side of the water, and liberty on the other.“ Edward Everetts Botschaft für Europa – und für Amerika Die bisweilen nationalistische Rhetorik der Whigs sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele von ihnen einem kosmopolitischen Programm verpflichtet blieben und ihre frühe Beschäftigung mit Europa nicht aufgaben. Ihr Nationalismus und Patriotismus einerseits, ihr Glaube an universelle Prinzipien und ihr Kosmopolitismus andererseits, waren in ihrer Perspektive durchaus vereinbar, ja sie waren zwei Seiten der gleichen Medaille.116 Ihr Nachdenken über die Exporttauglichkeit amerikanischer politischer Ideen und Institutionen nach Europa war mitunter auch eine Selbstvergewisserung angesichts ihrer Fragilität in der amerikanischen politischen Kultur selbst. Ihre Texte waren insofern in ein doppeltes Referenzsystem eingebunden, das den Blick über dem Atlantik oszillieren ließ und auf beides Bezug nahm: auf die krisenhafte Entwicklung des amerikanischen Konstitutionalismus und auf die nicht minder krisenhafte Entwicklung des postrevolutionären Europas. „It cannot be that despotism suits men on one side of the water, and liberty on the other“, formulierte Edward Everett mit normativem Impetus im Sommer 1831 angesichts der Nachwehen der Juli-Revolution in Europa, und machte damit klar, dass seine historische Rekonstruktion der amerikanischen Gründung nicht nur ein Argument gegen die States’ Rights- und Nullification-Theoretiker war, sondern auch eine transatlantische Botschaft für Europa beinhaltete.117 Gleichzeitig wies dieses doppelte Referenzsystem auch einen inneren Zusammenhang auf. Denn nichts zwang Edward Everett und seine Kollegen mehr dazu, gleichzeitig über die normativen und universellen Ansprüche ihrer Revolution und ihres politischen Systems und über die partikulären Bedingtheiten des amerikanischen Kontextes nachzudenken, als die vergleichende Beschäftigung mit den politischen Entwicklungen im postrevolutionären Europa und Nordamerika. Und je mehr sie den Vorbildcharakter amerikanischer Institutionen für die politische Reform des europäischen Kontinents herausstrichen, je mehr sie also die normativen und universellen Aspekte ihrer politischen Ordnung akzentuierten, desto mehr forderten sie damit eine Beilegung der konstitutionellen Konflikte in der politischen Kultur Amerikas ein. „We can in no way so much accelerate the political emancipation of the old world, as by
116 Zu diesen Aspekten vgl. Scrivener Michael, The Cosmopolitan Ideal in the Age of Revolution and Reaction, 1776–1832; Weichlein Siegfried, Cosmopolitanism, Patriotism, Nationalism; Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots, S. 1–13. 117 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 179.
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showing mankind that liberty is a spirit of justice, law, morality, and intellectual improvement“, schrieb Edward Everett 1831, mit einem Auge auf die politischen Turbulenzen im Zuge der Nullification-Debatte schielend, das andere ins Europa der Juli-Revolution gerichtet. „At present the word revolution is a word of dread, made by the reign of terror in France, the abhorrence of mankind. Let us show to the world, that blood is not the natural cement of liberal institutions; that the arts of society flourish under their influence, and that man is not the worst enemy of his neighbor or himself.“118 Wie bereits eingangs angesprochen, waren die in der Perspektive Edward Everetts und Robert Walshs mangelhaften Beschäftigungen europäischer Schriftsteller mit dem politischen System Amerikas eine wichtige Motivlage, damit sie selbst zur Feder griffen und ihre Narrative über die Entstehung und Bedeutung des amerikanischen Föderalismus aufsetzten. „The mistake […] of confounding the national and state politics of America is, in fact, almost universal abroad“, stellte Edward Everett kurz nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten 1820 fest. „We have never yet seen any discussion of American affairs in Europe, or any attempt to speak definitely of the nature of our political constitutions, which evinced an accurate acquaintance with this fundamental pact, this essential feature of our organization, the distinction and limitation of the national and state sovereignties respectively.“119 Es war also die komplexe föderale Struktur der Vereinigten Staaten, welche im Kern der Missverständnisse lag, welche in europäischen Texten über Amerika so regelmäßig zu beobachten waren; die Innovation des amerikanischen Bundesstaates übersteige die Horizonte bisheriger Theoriebildung und begrifflicher Durchdringung des Föderalismus in Europa, so Everett. Denn die europäischen Autoren hätten die Vereinigten Staaten stets mit den antiken griechischen Konföderationen oder mit zeitgenössischen europäischen Konföderationen verglichen und seien deshalb nicht, „beyond the idea of the old ante-constitutional confederacy“ gekommen.120 Die Vergleiche mit den antiken griechischen Konföderationen oder mit den moderneren Staatenbünden der Schweiz, des Deutschen Reiches oder der Niederlande taugten vielleicht im Hinblick auf die Vereinigten Staaten unter den Articles of Confederation, ignorierten allerdings die semantischen Transformationen des föderalen Konzepts im Zuge der Verfassungsdebatten von 1787/88 ebenso wie dies die States’ RightsTheoretiker bisweilen taten:
118 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 190. 119 [Everett Edward], Mr. Walsh’s Appeal, S. 345. 120 [Everett Edward], Mr. Walsh’s Appeal, S. 345.
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All the foreign civilians, whose judgments on this subject have come to our notice, and we lament to be obliged to add too many Americans to them, as partakers of the same gross misconception of the theory of our government, have spoken of the national union as a confederacy of the several states; such it is not and was not meant to be, and the constitution opens with a formal refutation of his error. “We, The People of the United States, do ordain and establish this constitution, for the United States of America.” It is with this express annunciation of the constitution, not as the act of the confederated states, but of the people of America, that the charter of our country opens; and the representation of each state by two members in the senate is the only feature in our political organization, on which to ground for a moment the idea of a compact between the states.121
Die föderale Struktur der Vereinigten Staaten gründete in dieser Perspektive nicht auf einem Vertrag zwischen souveränen politischen Handlungseinheiten, wie dies bei den antiken und modernen Konföderationen Europas der Fall war, sondern auf dem Willen des amerikanischen Volkes. Der Semantik des Föderalismusbegriffs wurde dadurch eine volkssouveräne Bedeutungsschicht eingezogen. Das amerikanische Volk hat sich durch die Ratifikation der Verfassung selbst eine föderale Struktur gegeben, argumentierte Everett, und es sei auch Teil dieser Souveränität, dass es verschiedene Zuständigkeitsbereiche für den Bund und die Einzelstaaten definierte: „The same American people which constituted the state sovereignties, constituted the national sovereignty to effect objects, which they did not choose to confide to the states, in any form, or under any qualification. This is the theory of our national and state governments.“122 Es war die Denkfigur einer zwar auf der Souveränität des amerikanischen Volkes basierenden, die Souveränitätsrechte allerdings entlang unterschiedlicher politischer Körperschaften teilenden Struktur, welche eine fundamentale Veränderung des föderalen Konzepts beinhalte, und welche den europäischen Beobachtern entgehe – gerade weil sie mit den aus der europäischen Tradition föderativer Staatlichkeit stammenden Begriffen nicht zu fassen war. Vor dem Hintergrund der Französischen Revolution und der nach 1815 einsetzenden Restauration erhielt die Botschaft, welche der amerikanische Konstitutionalismus für Europa in den Augen Everetts und seiner Mitstreiter bereit hielt, eine ambivalente Note. Denn die unterschiedlichen Entwicklungspfade, welche die Revolutionen in Amerika und Europa einschlugen, veränderten auch die Rezeptionsbedingungen für den Transfer politischer Begriffe dies- und jenseits des Atlantiks. Die Französische Revolution sei mitunter so gewalttätig in ihren Praktiken und so absolut in ihren politischen Forderungen aufgetreten,
121 [Everett Edward], Mr. Walsh’s Appeal, S. 345–346. Hervorhebungen im Original. 122 [Everett Edward], Mr. Walsh’s Appeal, S. 346–347.
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weil die politischen Institutionen des Ancien Régimes so repressiv waren und keine Reformen zugelassen hatten. Diese Lehre machten sich die Restauratoren in Europa nun selbst zu eigen – und dies nicht zuletzt durch ihre Beschäftigung mit der Geschichte des nordamerikanischen politischen Systems, das nun als revolutionsprävenierendes Reformmodell bemüht werde. Dies sei das ironische Verhältnis in der politischen Verarbeitung der atlantischen Revolutionskulturen, meinte Edward Everett 1826: There is one reflection which forces itself upon the mind in this connexion; that the privileged orders in Europe are indebted to the doctrines of an enlightened liberalism, in other words, are indebted to the lessons of our constitutions, for their preservation. The spirit of the French revolution, that spirit which indeed breathed out threatenings and slaughter against the established interests of Europe, was the growth, not of liberalism, but of despotism.123
Während die Amerikanische Revolution dem Konzept der Verfassungsstaatlichkeit zum Durchbruch verholfen habe, indem schriftlich festgelegt wurde, unter welchen Bedingungen die Amerikaner bereit waren, Herrschaft als legitim und rechtmäßig anzusehen, konnte in Frankreich die Revolution nur in einem blutigen Bürgerkrieg enden, weil keine politischen Institutionen und rechtliche Verfahren zur Verfügung standen, in und durch welche sich die Franzosen hätten Gehör verschaffen können. Diese vergleichende Betrachtung war, wie Everett weiter ausführte, mit politischen Lernprozessen verbunden: „Now the nations have found out, that reforms by constitutional law are infinitely more efficacious. Our revolution has taught this, in its successful issue; as the French revolution, the legitimate consequence of the despotism which had for ages preexisted in France, taught it by contrast and miscarriage.“124 Allerdings begrenzten sich die Lerneffekte aus solchen vergleichenden Beobachtungen nicht auf die in Europa herrschenden Klassen, sondern weiteten sich auch auf die Beherrschten aus. Die Transport- und Kommunikationsrevolutionen seiner Gegenwart würden dafür sorgen, argumentierte Everett, dass die Zirkulation jener Ideen, welche der amerikanischen Verfassungsstaatlichkeit und ihrem föderalen und repräsentativ-demokratischen Republikanismus zugrunde liegen, auch auf Europa ausgeweitet und dort in verdichteter Form zur Kenntnis genommen würden.125 Gleichzeitig war Everett überzeugt, dass der Wandel
123 [Everett Edward], Review of History of Democracy in the United States, S. 308. Hervorhebungen im Original. 124 [Everett Edward], Review of History of Democracy in the United States, S. 308. 125 Zum transatlantischen Pressewesen vgl. Burrows Simon, The Cosmopolitian Press, 1760– 1815.
9.7 Edward Everetts Botschaft für Europa – und für Amerika
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der Lesegewohnheiten, die Politisierung der Presse und der „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ im allgemeinen für veränderte Dispositionen in der europäischen Rezeption amerikanischer politischer Literatur sorgte und dadurch den Resonanzraum für die Aneignung republikanischer Institutionen und politischen Praktiken aufnahmefähiger machte.126 „They [the Europeans] read in almost every newspaper, that crosses the Atlantic from this country, of some convention to amend a constitution“, schrieb Edward Everett in einer zusammen mit seinem Bruder Alexander verfassten Rezension zu einem Essay, den der Genfer Historiker Jean Charles Léonard Simonde de Sismondi in der Revue Encyclopédique unter dem Titel Revue des efforts et des progrès des peuples dans les vingt-cinq dernières années veröffentlich hatte.127 „The delegates of the people meet, deliberate, amend the constitution, or pronounce that it needs no amendment, and go home. No estates are pillaged, no alarm is created, no blood is shed.“128 Die transatlantischen „sluiceways of knowledge (to borrow a phrase from the late Mr Adams) flow so full and strong“, dass sich Europa von der Anziehungskraft amerikanischer republikanischer Ideen nicht mehr länger wird entziehen können, und sich die Frage nach der Legitimität von monarchischen und aristokratischen Herrschaftsformen erneut stellen wird: „[W]hat hope can there be that the people of Europe will much longer be of opinion, that it is better to be governed by a few exhausted families, than to govern themselves?“129 Diese Transformation in den Kriterien legitimer Herrschaft, dieser politische Mentalitätswandel, so Everett unmissverständlich, „must take place“, und es sei an diesem kritischen Moment, an welchem die amerikanischen Erfahrungen mit Verfassungsstaatlichkeit und republikanischen Ordnungsprinzipien zur Kenntnis genommen werden sollten. Es war nun an den Europäern aus dem Vergleich zwischen der Amerikanischen
126 Vgl. Habermas Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit; Eley Geoff, Nations, Publics, and Political Cultures. 127 Vgl. Sismondi Charles Léonard Simonde de, Revue des efforts et des progrès des peuples dans les vingt-cinq dernières années. Dieser Text wurde noch 1825 von Peter Stephen Duponceau ins Amerikanische übertragen, mit einer ausführlichen Einleitung versehen und als Sonderdruck veröffentlicht, vgl. Sismondi Simonde de, A Review of the Efforts and Progress of Nations during the last twenty-five Years, translated from the French by Peter S. Duponceau, Philadelphia 1825. 128 [Everett Edward/Everett Alexander H.], European Politics, S. 152–153. 129 [Everett Edward], Review of History of Democracy in the United States, S. 309. Hervorhebungen im Original. Everett nimmt hier auf die bekannte These David Humes Bezug, dass jede Regierung auf der öffentlichen Meinung beruhe, und dass sie daraus letztlich ihre Legitimität generiere. Zur Transformation der Konzepts der „öffentlichen Meinung“ im Zeitalter der Revolutionen vgl. das Kapitel „Public Opinion as Political Invention“ in: Baker Keith Michael, Inventing the French Revolution, S. 167–199.
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und der Französischen Revolution zu lernen und zu entscheiden, wie der Wandel von statten gehen soll: „bloody revolution“ oder „constitutional legislation“.130 Als Everett dann im Spätsommer 1830 von der Juli-Revolution in Europa hörte und er in Marc-Antoine Julliens Revue Encyclopédique erneut einen Aufsatz des Genfer Historikers Sismondi über die Zukunft Europas nach der JuliRevolution las, stellte sich ihm die oben genannte Frage mit einer noch größeren Dringlichkeit. Sismondi hatte in seinem Aufsatz eine Gegenwartsdiagnose Europas im Zuge der Juli-Revolution vorgenommen und dabei „un progrès des intelligences“ festgestellt, „qui ne peut plus s’accommoder d’un gouvernement qui prétend mesurer la lumière, maîtriser la pensée, et interdire l’instruction; il y a un progrès de dignité humaine, qui ne permet plus à l’homme de se soumettre à un pouvoir dont il ne reconnaît et n’approuve pas le but, dont l’origine est une usurpation.“131 Dies war eine Darstellung jenes Mentalitätswandels, welchen Everett bereits 1826 angekündigt hatte und nun durch den Aufsatz Sismondis bestätigt sah. Die europäische Situation nach der Juli-Revolution von 1830 erinnerte den Historiker Everett an die amerikanischen Verhältnisse nach der Revolution von 1776; im Europa des Jahres 1830 waren grundsätzlich nicht andere Veränderungen gefragt, „than those which took place in this country between 1775 and 1789.“132 Entscheidend sei es für die Europäer nun, so Everett, von den amerikanischen Erfahrungen zu lernen und vor dem Hintergrund ihres historischen Erfahrungswissens die revolutionäre Transitionsphase zu gestalten und in demokratisch legitimierte repräsentative Institutionen zu übersetzen.133 „The process of its [a popular representative Government] adoption may be slow; it must be gradual; it may be painful; but we are strongly inclined to think it will be sure“, erörterte Everett die krisenhafte Situation Europas nach der Juli-Revolution. „It is precisely this transition from the absolute to the liberal system, which is shaking the established Governments of Europe.“134 Ähnlich wie Everett in seinen historischen Schriften zu den politischen Krisenkaskaden in Nordamerika unter den Articles of Confederation eine Dramatisierung der Entscheidungssituation im Umfeld der Federal Convention vorgenommen hatte, verwendete er auch in Bezug auf die konstitutionelle Reform des europäischen Kontinents im Zuge der Juli-Revolution vergleichbare rhetorische Strategien. „The state of the world requires a simpler action of Government“, postulierte Everett gegen
130 [Everett Edward], Review of History of Democracy in the United States, S. 309. 131 Vgl. Sismondi Simonde, L’Avenir, S. 535. 132 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 177. 133 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 178. 134 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 178.
9.7 Edward Everetts Botschaft für Europa – und für Amerika
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die restaurierten politischen Systeme Europas, „and depotism or liberty is the alternative.“135 *** „Imagined Communities“ brauchen ein imaginiertes „Anderes“, um die Grenzen der eigenen Gemeinschaft zu bestimmen, Einheit und Kohärenz zu reklamieren und daraus politische Handlungsmacht abzuleiten.136 Dass das Erbe der Amerikanischen Revolution ein anderes sei, als dasjenige der Französischen Revolution gehörte für die Whigs zu den Grundsätzen ihrer politischen und historischen Auseinandersetzung mit den atlantischen Revolutionen. Die kritischen historischen Betrachtungen der Französischen Revolution und ihrer Folgen für den europäischen Kontinent zwangen Intellektuelle wie Edward und Alexander H. Everett, Jared Sparks und Charles Francis Adams, George Ticknor und Robert Walsh Jr. über jene Ambivalenzen zwischen universellen Prinzipien und partikulären Bedingungen nachzudenken, die in ihrer eigenen Revolutionstradition enthalten waren. Die Historisierung dieser Revolutionstradition und die Konstruktion von nationalen Geschichtsnarrativen, welche den American exceptionalism herausstrichen, waren in dieser Hinsicht auch Versuche, die Ambivalenzen und Konflikte zu bewältigen, welche die atlantischen Revolutionen aufgeworfen hatten und welche mitnichten bereits abgeschlossen waren. Whigs konturierten ihre historischen Narrative der amerikanischen Nation indessen nicht nur in einem kontrastierenden Verfahren gegenüber der Französischen Revolution und der Geschichte Europas im frühen 19. Jahrhundert, sondern auch in Abgrenzung zu und teilweiser Integration von alternativen Erzählungen innerhalb der amerikanischen politischen Kultur. Die politische Sprache des Föderalismus artikulierte sich in diesen umstrittenen Diskursen in Form von historiographischen Erzählungen über die Ursprünge und Transformationen des amerikanischen Föderalismus. Das historische Narrativ der Gründung der amerikanischen Nation und der Bedeutung der Verfassung in der politischen Kultur der Vereinigten Staaten, welches den Federn von Edward Everett, Jared Sparks, Charles Francis Adams und Robert Walshs entsprang, war nur eines, das mit anderen Narrativen konkurrierte. States’ Rights-Historiker wie Jonathan Elliot waren nicht weniger davon überzeugt, die „richtige“ historische Erzählung der Gründung und Entwicklung Nordamerikas zu artikulieren und die „eigentliche“ Bedeutung der Amerikanischen Revolution erfasst zu haben, als Edward
135 [Everett Edward], The Prospect of Reform in Europe, S. 189. 136 Vgl. Anderson Benedict, Imagined Communities.
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und Alexander H. Everett, Jared Sparks und Charles Francis Adams dies in ihren historischen Arbeiten reklamierten. „The history of nationalism“, hat Lloyd Kramer formuliert, „is […] a history of conflicts over competing narratives that seek to define a social community.“137 Die Geschichte des amerikanischen Bundesstaates wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dementsprechend zu einem Feld umkämpfter, nach politischer Legitimität heischender Erzählungen, in deren Kern es nicht nur um die Vergangenheit Nordamerikas ging, sondern auch darum, welche Zukunft sich aus dem Erbe der Amerikanischen Revolution, aus der innovativen Transformation des föderativen Konzepts in der Bundesverfassung von 1787 und aus der bisherigen Entwicklung der Vereinigten Staaten ableiten ließ – und zwar sowohl für die Zukunft Nordamerikas, als auch für die Zukunft Europas.
137 Kramer Lloyd S., Historical Narratives and the Meaning of Nationalism, S. 537.
10 Alexis de Tocqueville, Jacksonian Democracy und die föderale Bändigung der Tyrannei der Mehrheit Wenn der deutsche Jurist Eduard Gans auf einer seiner zahlreichen Reisen in den 1820er und 1830er Jahren Paris besuchte, ließ er es sich in der Regel nicht entgehen, die wichtigsten Salons der französischen Hauptstadt zu besuchen. Dort spielte sich das „öffentliche Leben“ ab, erläuterte er seine Begeisterung für die Pariser Salonkultur, dies waren die sozialen Orte, „die mir nicht allein volle Gelegenheit gaben, den jetzt herrschenden französischen Geist kennen zu lernen, sondern auch zu so lieben Bekanntschaften und Verbindungen führten, dass ich mich nach einigen Wochen wie einen Pariser betrachten durfte.“1 Mitte der 1830er Jahre wurde Gans dank seinen „lieben Bekanntschaften und Verbindungen“ in den berühmten Salon von Madame Récamier an der Rue des Sevres eingeladen.2 In eine Diskussion mit seiner Begleitung vertieft – erinnerte sich Gans im Rückblick an diesen Besuch – kam nach einer Weile „ein junger Mann von kränklichem Ansehen und blasser Gesichtsfarbe“ zur Tür herein. Man beweist ihm die vollste Aufmerksamkeit und eine zarte Rücksicht. Er spricht in einer sich nicht hervordrängenden Weise von England und Amerika: nicht wie Jemand, der diese Stoffe gemacht hat, sondern wie Einer, der sie zu erforschen suchte. […] Wer ist dieser junge Mann? fragte ich meinen Begleiter, denn er war mir gleich als bedeutend aufgefallen. Es ist Herr von Tocqueville, antwortete dieser, der neuerdings das ausgezeichnete Buch über die Demokratie in den vereinigten Staaten von Nordamerika geschrieben hat.3
Als Gans dann im Herbst 1835 seine Tour durch die Salons der französischen Hauptstadt abschloss und sich wieder auf den Rückweg nach Deutschland machte, bemerkte er, dass in den Salons vor allen Dingen ein Buch die Diskussionen dominierte: „Ein Buch von Tocqueville, das die demokratischen Zustände Nordamerica’s beschrieb, und schon die dritte Auflage in kurzer Zeit erlebt hatte, war in Aller Händen, und wurde allgemein gelobt.“4 Der „herrschende franzö-
1 Gans Eduard, Rückblicke auf Personen und Zustände, S. VII & 64. Zu Eduard Gans vgl. Blänkner Reinhard, Berlin – Paris. Zur Pariser Salonkultur in dieser Zeit vgl. Kale Steven, French Salons. 2 Zum Salon von Madame Récamier vgl. Law Pamela, Mary Clarke and the Nineteenth-Century Salon. 3 Gans Eduard, Rückblicke auf Personen und Zustände, S. 156–157. 4 Gans Eduard, Rückblicke auf Personen und Zustände, S. 133.
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sische Geist“, welcher Eduard Gans in den Pariser Salons 1835 zu entdecken glaubte, beschäftigte sich also offensichtlich mit der amerikanischen Demokratie.5 Mit dem ersten Teil seines Buches De la démocratie en Amérique hatte Alexis de Tocqueville scheinbar den Nerv vieler seiner französischen Zeitgenossen getroffen, die sich nach den Traumata der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft mit den Fragen konfrontiert sahen, wie mit diesem ambivalenten Erbe in der postrevolutionären französischen Gesellschaft umzugehen, wie der Zusammenhang zwischen demokratischem Aufbruch und erneuter autoritärer Herrschaft zu deuten und wie das offenbar nicht so eindeutige Verhältnis zwischen Freiheit und Demokratie auszugestalten sei. Auch auf der anderen Seite des Atlantiks nahm man Tocquevilles Analyse mit Interesse zur Kenntnis. Aus Boston ließ Jared Sparks seinen Freund Tocqueville im Sommer 1837 wissen, dass die Zeitungen in den Vereinigten Staaten mit „extracts from English reviews“ zu Democracy in America voll seien – allerdings v. a. mit jenen Passagen, „containing the parts of your work most objectionable to American readers; that is, your remarks on the defects of Democratic institutions. But you may be assured that all the intelligent persons among us who have read your treatise have applauded its ability and candor.“6 Sparks’ enger Freund Edward Everett, den Tocqueville und Beaumont im Herbst 1831 in Boston kennen gelernt hatten,7 schrieb 1836 in der North American Review, Tocquevilles Buch sei „by far the most philosophical, ingenious, and instructive which has been produced in Europe on the subject of America“ und ähnlich meinte auch der Rezensent in der Democratic Review, dieses Buch sei „the most remarkable and really valuable work that has yet appeared upon this country from the hand of a foreigner.“8 Was von den amerikanischen Kommentatoren an Tocquevilles Analyse der Demokratie in Amerika besonders anerkennend hervorgehoben wurde, war dessen Beschäftigung mit der Bundesverfassung und dem komplexen föderalen System der Union, das bis anhin von europäischen Schriftstellern kaum sachgerecht beschrieben worden sei. „[A]ny accurate knowledge of the relative limits of the National and State jurisdictions“, kritisierte etwa Edward
5 Vgl. hierzu auch Lamberti Jean-Claude, Le modèle américain en France de 1789 à nos jours, S. 493–495. 6 Jared Sparks an Alexis de Tocqueville, 6. Juni 1837, in: Adams Herbert B., Jared Sparks and Alexis de Tocqueville, S. 39. Zur Rezeption Tocquevilles in Nordamerika im 19. Jahrhundert vgl. Kloppenberg James T., Life Everlasting; Zunz Olivier, Tocqueville and the Americans. 7 Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 393. 8 [Everett Edward], De Tocquevilles Democracy in America, S. 179; [Anon.], European Views of American Democracy, S. 91.
10.1 Tocqueville und seine native informants
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Everett, sei im europäischen Schrifttum über Nordamerika vergeblich zu suchen.9 Genau diese Aspekte sah man nun in den Erörterungen Tocquevilles mit einer Sorgfalt und Präzision behandelt, welche den amerikanischen Kommentatoren Respekt abverlangte. „No foreigner“, schrieb John C. Spencer im Vorwort zur amerikanischen Edition von Tocquevilles Démocratie, has ever exhibited such a deep, clear, and correct insight of the machinery of our complicated systems of Federal and State governments. The most intelligent Europeans are confounded with our imperium in imperio; and their constant wonder is, that these systems are not continually jostling each other. M. De Tocqueville has clearly perceived, and traced correctly and distinctly, the orbits in which they move, and has described or rather defined our Federal government, with an accurate precision, unsurpassed even by an American pen.10
Zweifellos gehört Tocquevilles Buch De la démocratie en Amérique zu den wirkmächtigsten Schriften über die politischen Institutionen und gesellschaftlichen Entwicklungen Nordamerikas im frühen 19. Jahrhundert – eine Wirkmacht, die nicht nur unmittelbar nach der Publikation des ersten Bandes einsetzte, sondern nach einer zugegebenermaßen wechselvollen Geschichte in vielerlei Hinsicht bis heute anhält. Tocqueville gilt auch heute noch – bei allen blinden Flecken, welche Historiker und Historikerinnen der frühen amerikanischen Republik mittlerweile Tocquevilles Sicht auf die amerikanische Demokratie nachgewiesen haben – als einer der zuverlässigsten historischen Zeugen, wenn es darum geht, Nordamerika im Zeitalter Jacksons mit den Augen eines Nichtamerikaners zu betrachten oder Grundproblematiken demokratischer Gesellschaften und politischer Gemeinwesen zu diskutieren.11 Angesichts dieser Rezeptionsgeschichte und insbesondere auch angesichts der oben zitierten zeitgenössischen Reaktionen der amerikanischen Kommentatoren auf Tocquevilles Buch, ist es doch bemerkenswert, dass Dimitrios Karmis noch 1998 feststellte: „la conception tocquevillienne du système
9 [Everett Edward], De Tocquevilles Democracy in America, S. 182. 10 Spencer John Canfield, Preface to the American Edition, S. viii. 11 Vgl. zu Tocquevilles Biographie Jardin André, Alexis de Tocqueville. Stärker auf die intellektuellen Kontexte im postrevolutionären Frankreich zielt Jaume Lucien, Tocqueville. Zur wechselvollen und ambivalenten Rezeptionsgeschichte vgl. Mélonio Françoise, Tocqueville et les Français; Mélonio Françoise, Tocqueville and the French; Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 3–10; Mancini Matthew J., Too Many Tocquevilles; Mancini Matthew J., From Oblivion to Apotheosis; Kloppenberg James T., The Canvas and the Color; Welch Cheryl B., Introduction; Bluhm Harald/Krause Skadi, Viele Tocquevilles? Auf die blinden Flecken und Schwächen von Tocquevilles Sicht auf das Amerika Jacksons aufmerksam macht Wilentz Sean, Many Democracies.
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fédéral demeure étonnamment négligée“.12 Im Folgenden wird es indessen nicht darum gehen, aus Tocquevilles Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus eine kohärente Föderalismustheorie zu entwickeln und sich mit ihm auf eine Suche nach „timeless insights“ über föderale Ordnungen zu begeben, wie dies eine lange praktizierte Form der Tocqueville-Rezeption zu tun pflegte.13 Stattdessen folgt dieses Kapitel dem Vorschlag von Sean Wilentz, der bereits 1988 gegen eingeschliffene ideengeschichtliche und politikwissenschaftliche Lesarten von Tocquevilles Werk gefordert hatte: „it is time to reread Democracy in America alongside current reinterpretations not as prophecy, nor as some timeless diagnosis of modernity, but as a historical artifact.“14 Tocquevilles Interpretation des amerikanischen Föderalismus in den historischen Kontext eines transatlantischen Diskurses über die Bedeutung des Föderalismusbegriffs für die postrevolutionären politischen Herausforderungen dies- und jenseits des Atlantiks zu stellen, bildet dementsprechend den Problemkomplex, der in diesem Kapitel ausführlicher diskutiert wird.
10.1 Tocqueville und seine native informants Als Alexis de Tocqueville im März 1831 zusammen mit seinem Freund Gustave de Beaumont in Le Havre ein Schiff bestieg, das sie in die Vereinigten Staaten bringen sollte, war er offenbar verhältnismäßig schlecht auf seine Reise in die Neue Welt vorbereitet.15 Zwei Wochen vor seiner Abreise fragte er Beaumont noch einmal, ob er es für eine gute Idee halte, „d’acheter le voyage en Amérique de Volney et les lettres de Cooper sur l’Amérique“, und ärgerte sich darüber, dass Lafayette ihm noch keine Empfehlungsschreiben für seine Amerikareise bereit
12 Karmis Dimitros, Fédéralisme et relations intercommunautaires chez Tocqueville, S. 59. In der Zwischenzeit sind indessen mehrere Artikel zu Tocquevilles Föderalismuskonzeption erschienen, vgl. Koritansky John C., Decentralization and Civic Virtue in Tocqueville’s „New Science of Politics“; Winthrop Delba, Tocqueville on Federalism; Hancock Ralph C., Tocqueville on the Good of American Federalism; Maletz Donald J., The Union as Idea; Allen Barbara, Alexis de Tocqueville on the Covenantal Tradition of American Federal Democracy; Alulis Joseph, The Price of Freedom; Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération; Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 65–70; Krause Skadi, Demokratischer Föderalismus. 13 So etwa Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 74–75. Zur Kontextualisierung und Kritik einer solchen Lesart Tocquevilles vgl. auch Kloppenberg James T., The Canvas and the Color, S. 498–499. 14 Wilentz Sean, Many Democracies, S. 213. 15 Vgl. Furet François, Naissance d’un paradigme, S. 226.
10.1 Tocqueville und seine native informants
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gestellt hatte: „Que le diable l’emporte“, schrieb er missmutig über Lafayette und dessen Zögern, denn von solchen Empfehlungsschreiben erwartete sich Tocqueville, dass sie ihm in Amerika die Türen zu wichtigen Persönlichkeiten öffnen würden, dass sie deren Interesse für den europäischen Besucher weckten und ihm zuverlässige Informationsquellen erschlossen.16 „Ce qui manque le plus en pays étranger, surtout quand on y arrive,“ erklärte er seinem Reisebegleiter, „ce sont des gens qui prennent un véritable intérêt à vous.“17 Umso erleichterter mag Tocqueville gewesen sein, dass Lafayette schließlich doch noch eine Reihe von Empfehlungsschreiben aufsetzte, u. a. an Peter Stephen Duponceau, den Präsidenten der American Philosophical Society und Autor eines Buches über die Rechtsprechung der Supreme Courts.18 Und auch Beaumont war es in der Zwischenzeit gelungen, von David Bailie Warden, dem inoffiziellen amerikanischen Konsul in Paris, einige weitere Empfehlungsschreiben zu erhalten.19 Als die beiden dann Ende März 1831 an Bord stiegen, trugen sie ein Buch über die Geschichte der Vereinigten Staaten mit sich, wobei es sich vermutlich um Charles-Arnold Scheffers Histoire des Etats-Unis septentrionale handelte.20 In Nordamerika angekommen, gehörte der amerikanische Föderalismus während den ersten Wochen ihrer Reise vorerst noch zu den eher randständigen Diskussionspunkten, in welche Tocqueville und Beaumont verwickelt wurden.21 Zwar trafen sie im Juni 1831 in New York den Erz-Federalist James Kent, der ihnen einige Tage später die vier Bände seiner Commentaries on American Law zukommen ließ, und diskutierten mit Albert Gallatin über die Funktion des Rechtsstaates
16 Alexis de Tocqueville an Gustave de Beaumont, 14. März 1831, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance d’Alexis de Tocqueville et de Gustave de Beaumont, I, S. 106. Vgl. zu Lafayette und Tocqueville auch Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 185–226. 17 Alexis de Tocqueville an Gustave de Beaumont, 14. März 1831, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance d’Alexis de Tocqueville et de Gustave de Beaumont, I, S. 105. 18 Lafayette an Peter Stephen Duponceau, 26. März 1831, in: PHS, Peter S. Du Ponceau Papers, McAllister Collection, The Library Company of Philadelphia, Box 1, Folder 9; Duponceau Peter Stephen, A Dissertation on the Nature and Extent of the Jurisdiction of the United States. Zu Duponceau vgl. Tieck William A., In Search of Peter Stephen Du Ponceau; Butler William E., Peter Stephen Du Ponceau; Whitehead James L., Notes and Documents: The Autobiography of Peter Stephen Du Ponceau. 19 Gustave de Beaumont an David Bailie Warden, undatiert, in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Vol. 2: BA-BE. 20 Vgl. Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 46 & 728; Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 135. 21 Vgl. hierzu Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 115–157. Eine detaillierte Schilderung von Tocquevilles und Beaumonts Reise gibt Pierson George Wilson, Tocqueville in America.
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als „the regulator of the irregular movements of our democracy“.22 Auf ihrer Reise durch den Staat New York trafen sie auf den späteren Herausgeber der amerikanischen Edition von Tocquevilles De la démocratie en Amérique, John C. Spencer, mit welchem sie sich über die Vorteile des Zweikammersystems unterhielten,23 und in Boston trafen sie Jared Sparks, Edward Everett und Francis Lieber.24 Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass all diese Bostoner Intellektuellen zum Zeitpunkt von Tocquevilles Amerikareise mit dem Projekt einer Historisierung des amerikanischen Konstitutionalismus und Föderalismus beschäftigt waren und dass sie angesichts der sektionalen Spannungen in den Vereinigten Staaten und angesichts von Jacksons Präsidentschaft damit auch politische Ansprüche geltend machen wollten.25 Jared Sparks, der Bostoner Historiker, erklärte Tocqueville: „Le dogme politique de ce pays-ci, c’est que la majorité a toujours raison.“ Klugerweise hätten die Amerikaner aber auch politische Institutionen geschaffen, um „les passions et les erreurs de la démocratie“ unter Kontrolle zu halten. Weiter erläuterte Sparks seinem französischen Besucher die Entstehung und die Funktionen der Gemeinden, insbesondere in Neuengland, und erklärte ihm die Zusammenhänge zwischen dem „esprit communal“ und den „principes républicains“ in der politischen Kultur Nordamerikas.26 Am Tag nach seinem Besuch bei Jared Sparks notierte Toqueville in sein Reisetagebuch: „Un gouvernement entièrement démocratique est une machine si dangereuse que, même en Amérique, on a été obligé de prendre une foule de précautions contre les erreurs et les passions de la Démocratie. L’institution des deux Chambres, le veto des gouverneurs, et surtout l’institution des juges…“27 Ähnliche Fragen wie Jared Sparks warf auch Francis Lieber auf, den Tocqueville und Beaumont ebenfalls in Boston besuchten. Er erläuterte den beiden Besuchern, wie eng die republikanische politische Kultur mit den Institutionen des
22 Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 139. 23 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 68. 24 Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 375–380, 393. 25 Vgl. hierzu die Kapitel zu Edward Everett und Jared Sparks sowie zu Francis Lieber. 26 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 96. Hervorhebungen im Original. Jared Sparks verfasste auf Bitte Tocquevilles zudem einen längeren Essay über die Geschichte der amerikanischen Gemeinden und ihre politische Bedeutung, der in Tocquevilles Kapitel zum „système communal en Amérique“ eingeflossen ist. Sparks’ Essay ist abgedruckt als Observations on the Government of Towns in Massachusetts, in: Adams Herbert B., Jared Sparks and Alexis de Tocqueville, S. 17–29. Über die wichtige Rolle von Jared Sparks in der Herausbildung von Tocquevilles Ideen zur amerikanischen Demokratie vgl. Kloppenberg James T., Tocqueville, Mill, and the American Gentry, S. 362–365; Aiken Guy, Educating Tocqueville. 27 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 178. Hervorhebungen im Original.
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amerikanischen self-government verquickt sei: „le peuple a de la république jusque dans la moelle des os“, notierte sich Tocqueville Liebers Erklärungen in sein Notizbuch.28 Sparks, Everett und Lieber blieben auch nach Tocquevilles und Beaumonts Rückreise nach Europa wichtige Korrespondenzpartner und Informationsquellen, um über die politischen Entwicklungen in Nordamerika unterrichtet zu werden.29 Im Oktober 1831 besuchten die beiden dann mit Lafayettes Empfehlungsschreiben in der Hand Peter Stephen Duponceau in Philadelphia. Dieser war zu diesem Zeitpunkt noch äußerst aufgebracht über die Nullifiers, „who would rather see the Country ruined than their party not to be found always in the right.“30 Duponceau war zum Zeitpunkt, als er von Tocqueville und Beaumont besucht wurde, damit beschäftigt, „a Commentary on the Constitution“ zu schreiben, „in which I shall lay down such principles as I hope may bring the North & the South in better humour with each other“, wie er seinem Freund Edward Livingston (im Übrigen eine andere wichtige Informationsquelle für Tocqueville) schrieb.31 In der Tat erschien drei Jahre später Duponceaus A brief View of the Constitution of the United States, in welchem er seine Sicht der amerikanischen Bundesverfassung darlegte. Darin argumentierte er, dass das amerikanische System aus der spannungsreichen historischen Erfahrung entstanden sei, dass die alte Konföderation zum Scheitern verdammt war und eine „consolidation of the states under one general government“ notwendigerweise zu einer Monarchie und Despotismus geführt hätte.32 Angesichts dieser aporetischen Konstellation zwischen historischen Erfahrungen mit ungenügenden konföderativen politischen Praktiken und der Antizipation befürchteter nationaler Machtstrukturen habe man das föderale und nationale Prinzip miteinander verknüpft. Daraus resultierte ein völlig neues politisches System, für welche zwar die politischen Begriffe noch fehlten; deren Bedeutung, so der Linguist und Jurist Duponceau,
28 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 92. 29 Vgl. Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville. 30 Peter Stephen Duponceau an Edward Livingston, 26. Januar 1831, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 14, Folder 8. 31 Peter Stephen Duponceau an Edward Livingston, 26. Januar 1831, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 14, Folder 8. Livingston wurde von Tocqueville in De la démocratie an Amérique als einzige persönliche Bekanntschaft namentlich erwähnt: „Parmi les fonctionnaires américains, qui ont ainsi favorisé mes recherches, je citerai surtout M. Edward Livingston, alors secrétaire d’Etat (maintenant ministre plénipotentiaire à Paris). Durant mon séjour au sein du congrès, M. Livingston voulut bien me faire remettre la plupart des documents que je possède, relativement au gouvernement fédéral.“ Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 13. 32 Duponceau Peter Stephen, A brief View of the Constitution of the United States, S. 13.
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könne indessen mit Blick auf die Sprache der Gründungsväter dennoch dechiffriert werden: „To designate this new form of government, the word constitution was substituted to that of confederation, while on the other hand the denomination of United States was retained, the former being expressive of a national, the latter of a federal system.“33 Mit der Sprachsensibilität eines Sprachwissenschaftlers entwickelte Duponceau somit eine Sicht auf diese hybride Republik, die sich den herkömmlichen politischen Begriffen zu entziehen schien, und ähnliche Herausforderungen in der sprachlichen Erfassung des amerikanischen Föderalismus sollte später auch Tocquevilles Beschäftigung mit der bundesstaatlichen Ordnung Nordamerikas prägen.34 Anfang Dezember 1831 verdichteten sich Tocquevilles Diskussionen über den amerikanischen Föderalismus. Am 2. Dezember 1831 traf er John McLean, ein von Andrew Jackson berufener Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten, und diskutierte mit ihm die föderale Struktur der amerikanischen Union.35 In seinem Reisetagebuch notierte er die Ausführungen McLeans: Ce qui me paraît le plus favorable chez nous à l’institution et au maintien des institutions républicaines, c’est notre division par Etats. Je ne crois pas qu’avec notre démocratie, nous puissions gouverner longtemps toute l’Union si elle formait qu’un seul peuple. […] J’ajoute que la forme fédérale est singulièrement favorable au bonheur des peuples. La législature d’un grand peuple ne peut jamais entrer dans le détail des intérêts locaux comme la législature d’une petite nation. Nous avons par notre organisation fédérale le bonheur d’un petit peuple et la force d’une grande nation.36
Die Erörterungen McLeans schienen dahin zu deuten, dass die Amerikaner das von Montesquieu hervorgehobene Dilemma von republikanischen politischen Ordnungen gelöst hatten – ein Dilemma, das Tocqueville als eifriger Leser Montesquieus durchaus bewusst war.37 Die Amerikaner schienen eine „république
33 Duponceau Peter Stephen, A brief View of the Constitution of the United States, S. 14. Hervorhebungen im Original. 34 Vgl. zu Duponceaus Sprachwissenschaft Smith Murphy D., Peter Stephen Duponceau and his Study of Languages. Zu Duponceaus Leben und Werk vgl. Tieck William A., In Search of Peter Stephen Du Ponceau; Butler William E., Peter Stephen Du Ponceau. Zu Tocquevilles Sprachsensibilität vgl. das Kapitel „Comment la démocratie américaine a modifié la langue anglaise“, in: Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 69–75, und die Argumentation bei Jaume Lucien, Tocqueville, S. 263–270. 35 Vgl. Finkelman Paul, John McLean. 36 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 127. 37 Vgl. Montesquieu, De l’esprit des loix, I, S. 259–260. Vgl. hierzu Richter Melvin, The Uses of Theory; Richter Melvin, Comparative Political Analysis in Montesquieu and Tocqueville.
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fédérative“ gegründet zu haben, welche, wie McLean in den argumentativen Bahnen Montesquieus erörtere, die Vorzüge einer kleinen Nation, mit jenen einer großen kombinierte und dabei die Schwächen beider kompensierte. Gleichzeitig erinnerten diese Erörterungen Tocqueville offenbar an die Diskussionen, welche er einige Monate zuvor mit Jared Sparks über die Bedeutung von lokalen Formen demokratischer Bürgerbeteiligung und Selbstregierung geführt hatte. Noch am gleichen Tag schrieb er seinem Bostoner Freund über die „immense importance“, welche es für ihn habe, d’étudier sur les lieux les principes, les formes et les moyens d’action de ce gouvernement local dont, depuis si longtemps en France, nous sentons le besoin et cherchons le modèle. Rien de plus difficile que de comprendre le jeu d’une pareille machine en la voyant décrite dans les livres, surtout dans des livres qui ne renferment point d’idées générales et n’adoptent point un ordre méthodique.38
Tocqueville erkannte offensichtlich einen Zusammenhang zwischen den Erläuterungen John McLeans zum föderalen System der Vereinigten Staaten und den sozialen und politischen Praktiken der lokalen Selbstregierung, welche ihm Sparks zuvor erklärt hatte. Genau dieser Zusammenhang wurde für seine spätere Beschäftigung mit dem politischen System und der politischen Kultur Nordamerikas ausgesprochen wichtig. Bereits einen Tag nach dem Besuch bei John McLean, am 3. Dezember 1831, führte Tocqueville ein Gespräch mit Timothy Walker, ein Schüler von Joseph Story, dem Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten und überzeugter Whig.39 Hatte McLean noch die Vorzüge des föderalen Systems der Union hervorgehoben, schien die Diskussion mit Walker Tocqueville einerseits wiederum skeptischer zu stimmen, andererseits auch von größter Bedeutung zu sein, denn über seinen Aufzeichnungen dieses Gesprächs notierte er in seinem Reisetagebuch: „importante“. Walker hatte gegenüber Tocqueville deutlich gemacht, dass die Bundesverfassung im Zuge eines demokratischen Aufbruchs entstanden sei – „Elle est démocratique au déla de toute borne“40 – und dass in ihrer föderalen Konstruktion Kollisionen zwischen den Einzelstaaten und dem Bund unvermeidlich seien, wie die jüngste Krise der Nullification deutlich gemacht habe: „Il y a plusieurs causes qui affaiblissent le lien fédéral“, erklärte Walker:
38 Alexis de Tocqueville an Jared Sparks, 2. Dezember 1831, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 36. 39 Vgl. Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 116. Zu Story vgl. Newmeyer R. Kent, A Note on the Whig Politics of Justice Joseph Story. 40 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 128.
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Il y a d’abord dans tous les Etats un fond de jalousie contre le gouvernement central. Il est facile de s’en apercevoir. L’excessif développement du principe démocratique dans l’Ouest rend encore les nouveaux Etats plus impatients du joug de l’Union et des restrictions qu’elle met à leur souveraineté. […] L’accroissement du Nord, l’affaiblissement du Sud, a détruit en partie l’équilibre de l’Union.41
Nachdem ihm McLean also die Vorzüge der föderalen Konstruktion des amerikanischen politischen Systems erläutert hatte, wies nun Walker auf die Schattenseiten hin, die mitunter auch die Integrationskraft des amerikanischen Föderalismus und damit die Zukunftsfähigkeit dieses politischen Gebildes ins Blickfeld von Tocqueville rückten. Ob es die beiden Gespräche mit McLean und Walker waren, die Tocqueville für die Frage des Föderalismus sensibilisierten und ihn dazu brachten, ein Exemplar des Federalist zu besorgen? Sicher ist, dass Tocqueville sich Ende Dezember 1831 intensiv mit den Essays von Hamilton, Madison und Jay auseinandersetzte und sich dabei insbesondere zur Frage der föderalen Konstruktion und zu deren Verhältnis zum Konzept der Volkssouveränität ausführliche Notizen machte.42 Le grand caractère qui distingue la nouvelle Union américaine de l’ancienne est celui-ci: L’ancienne Union gouvernait les Etats, non les individus. […] Le nouveau gouvernement fédéral est bien véritablement le gouvernement de l’Union dans tout ce qui est de son ressort; il ne s’adresse point aux Etats, mais aux individus.43
So notierte Tocqueville die Pointe der Argumente von Publius im Hinblick auf die Neudefinition des amerikanischen Föderalismus, nachdem er einige Essays des Federalist studiert hatte – mit Vorliebe, so scheint es, diejenigen von Alexander Hamilton.44 Zwar schuf man damit eine machtvolle Bundesregierung, notierte sich Tocqueville weiter, allerdings verhindere die föderale Teilung der Souveränitätsrechte, dass aus dieser energischen und starken Regierung eine tyrannische Zentralgewalt wird. „Le nouveau pouvoir fédéral […] gouverne dans un cercle d’attributions restreint et dont il ne peut pas sortir.“45 Nach der Lektüre von Hamiltons Federalist No. 23 präzisierte er diese Beobachtung weiter, indem er die bei Madison und Hamilton immer wieder auftauchende astronomische Rhe-
41 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 129–130. 42 Vgl. Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 266–273. Vgl. hierzu auch Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 604–607; Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 116–120. 43 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 266–267. Hervorhebungen im Original. 44 Vgl. Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 117. 45 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 267.
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torik der Sphären aufnahm, welche die Zuständigkeitsbereiche zwischen Bund und Einzelstaaten abgrenzen sollten: „C’est un axiome du droit public américain qu’il faut donner à chaque pouvoir pleine autorité dans sa sphère et la tracer de manière à ce qu’il n’en puisse pas sortir: c’est là un grand principe et qui mérite d’être médité.“46 Gleichzeitig war sich Tocqueville indessen vor dem Hintergrund seiner Diskussionen mit Jared Sparks und Francis Lieber auch bewusst, wie voraussetzungsbedürftig das Funktionieren dieser „machine aussi compliquée“ war. Dass die Einzelstaaten und der Bund „dans leurs sphères“ gehalten werden und nicht permanent in Konflikte über ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche hineingezogen wurden, war eigentlich unwahrscheinlich.47 Nur „un peuple très éclairé et singulièrement habitué aux formes représentatives“ könne dieses System aufrechterhalten, schloss Tocqueville: La constitution des Etats-Unis est un admirable ouvrage et il est à croire cependant que ses fondateurs n’auraient pas réussi, si un passé de 150 ans n’avait pas donné aux différents Etats de l’Union le goût et l’habitude de gouvernants provinciaux et si une haute civilisation ne les avait en même temps mis en état de supporter un gouvernement central fort, bien que limité. La constitution fédérale des Etats-Unis me paraît la meilleure, peut-être la seule combinaison qui puisse permettre l’établissement d’une vaste république, et cependant l’imitation en est absolument impraticable sans les conditions préexistantes dont je parlais plus haut.48
Ungeachtet dieser begeisterten Worte war das Echo jener Diskussionen, welche Tocqueville mit Timothy Walker über die Konfliktlastigkeit der föderalen Konstruktion Nordamerikas geführt hatte, nach wie vor nicht verhallt. Was geschieht, wenn sich die theoretisch offenbar so klar zu trennenden Sphären in der politischen Praxis überschneiden? Wer entscheidet im Konfliktfall über die Rechtmäßigkeit der Ansprüche der Einzelstaaten oder des Bundes? Auch auf diese Fragen schien Tocqueville vor dem Hintergrund seiner Diskussionen mit Albert Gallatin über die Notwendigkeit starker und prestigeträchtiger rechtsstaatlicher Institutionen und seiner detaillierten Lektüre von Hamiltons Federalist No. 22 nach Antworten zu suchen. Hatte nicht Hamilton im Federalist No. 22 „the want of a judiciary power“ unter den Articles of Confederation beklagt und die Errichtung eines „Supreme Tribunal“ eingefordert, das „in the last resort“ auch die absehbaren Konflikte zwischen Bund und Einzelstaaten lösen sollte?49
46 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 268. 47 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 269. 48 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 269. Hervorhebungen im Original. 49 Hamilton Alexander, Federalist No. 22, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 146. Hervorhebungen im Original.
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10.2 Spuren einer dekontextualisierten Interpretation und Tocquevilles Whig-Bias Am Vorabend seiner Rückkehr nach Europa hatte sich Tocqueville also dank einer Vielzahl gut informierter Kontaktpersonen vor Ort und dank der Lektüre einiger der wichtigsten Verfassungskommentare der Zeit einen Einblick in die komplexen Mechanismen und Funktionen des amerikanischen Föderalismus verschafft. Zurück in Paris machte er sich nun an die Ausarbeitung von De la démocratie en Amérique, für welche er neben seinen Reisenotizen und den bereits in den Vereinigten Staaten angeschafften Schriften auf weitere Materialien zurückgreifen konnte. Francis Lieber schickte ihm eine neue Edition von Joseph Storys Commentaries on the Constitution of the United States nach Paris;50 William Alexander Duer ließ ihm über den gemeinsamen Freund Edward Livingston seinen Verfassungskommentar zukommen, welcher, so Tocqueville, „with as much clearness as precison the foederal constitution“ erläuterte;51 in Paris war Edward Livingston in der Zwischenzeit als amerikanischer Botschafter eingetroffen, der, wie Tocqueville rückblickend anerkannte, „la plupart des documents que je possède, relativement au gouvernement fédéral“ besorgte;52 David Bailie Warden ließ Tocqueville in Paris seine umfangreiche Americana-Sammlung nutzen;53 Edward Everett wurde von Tocqueville gebeten, ihm „quelques documents qui puissent jeter de la lumière sur vos institutions et les questions politiques qui vous divisent“ zu schicken;54 und in der Zwischenzeit waren nun auch Louis-Prosper Conseils Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson in Paris erschienen, ein Buch, das Tocqueville später als „le document le plus précieux qu’on ait publié en France sur l’histoire et la législation des États-Unis“ bezeichnete.55
50 Vgl. Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 727. 51 Alexis de Tocqueville an William Alexander Duer, 24, November 1833, in: NYHS, BV. sec. A (Mis Letters) Green Folio Volume Case 1, 13 (dieser Brief ist auch abgedruckt in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 55–56); William Alexander Duer an Edward Livingston, 7. Oktober 1833, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 15, Folder 8; Duer William Alexander, Outlines of the constitutional jurisprudence of the United States. 52 Edward Livingston an Alexis de Tocqueville, 24. März 1834, in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 40, Folder 11; Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 13. 53 Alexis de Tocqueville an David Bailie Warden, 21. Juli 1834, in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Vol. 21: T-V. 54 Alexis de Tocqueville an Edward Everett, 6. Februar 1833, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 54–55. 55 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques, extraits des mémoires et de la correspondance de Thomas Jefferson; Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique [1848], I, S. 307.
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Wenn nun Tocqueville sich nach seiner Rückkehr nach Paris an die Ausarbeitung von De la démocratie en Amérique machte, konnte er dementsprechend nicht nur aus einem vergleichsweise umfangreichen Quellenkorpus schöpfen.56 Er war darüber hinaus auch mit der Vielschichtigkeit des amerikanischen Föderalismus konfrontiert, denn in seinem Quellenkorpus spiegeln sich bisweilen sehr unterschiedliche und widersprüchliche Interpretationen des amerikanischen Föderalismus. Während Tocqueville bei Joseph Storys und noch ausgeprägter bei James Kents Commentaries auf Föderalismusinterpretationen stieß, in welchen eine kräftige, energische und mächtige Bundesregierung propagiert wurde und welche insbesondere auch der Judikative weite Befugnisse in der bindenden Interpretation der Verfassung in Fällen von Konflikten zwischen Bund und Einzelstaaten einräumten, sah dies bei Jeffersons Interpretation anders aus. Story machte in seinen Commentaries deutlich, dass im Falle von Konflikten zwischen Bund und Einzelstaaten die Bundesverfassung „a final and common arbiter“ aufgestellt habe: „and that arbiter is the supreme judicial authority of the courts of the Union.“57 Nun war es indessen gerade dieser Deutungsanspruch des Supreme Courts, welcher etwa von Thomas Jefferson heftig bestritten wurde, wie Tocqueville aus der Lektüre von Conseils Edition hätte wissen können. Aus den dort abgedruckten Briefen konnte er sich mit einer Interpretation der Verfassung vertraut machen, die viel näher an den Argumenten der States’ Rights war, so etwa in aller Deutlichkeit in einem Brief Jeffersons vom 26. Dezember 1826, in dem es in Conseils Übersetzung heißt: „Je vois […] les progrès rapides de la branche fédérale de notre gouvernement vers l’usurpation, de tous les droits réservés aux Etats, et la concentration dans ses mains de tous les pouvoirs intérieurs et extérieurs; et cela au moyen d’interprétation qui, si elles sont légitimes, ne laissent plus de limites à son autorité.“58 Es ist indessen in dieser Hinsicht bezeichnend, dass Tocqueville diese Umstrittenheit des Föderalismuskonzepts nirgends reflektierte und in seinen Ausführungen zur Bundesverfassung der Vereinigten Staaten im achten Kapitel des ersten Teils von De la démocratie en Amérique nirgends auf die Interpretationen von States’ Rights-Theoretikern oder selbst auf das konstitutionelle Denken Thomas Jeffersons hinwies, sondern sich in seinen Ausführungen fast gänzlich
56 Vgl. hierzu die Liste der von Tocqueville konsultierten Literatur bei Pierson George Wilson, Tocqueville in America, S. 726–730. 57 Story Joseph, Commentaries on the Constitution of the United States, I, S. 347. 58 Conseil Louis-Prosper, Mélanges politiques et philosophiques extraits des mémoires de Thomas Jefferson, II, S. 420–421.
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auf den Federalist und auf Storys Commentaries stützte.59 Erst in seinem kritischen Kapitel über die Zukunftsaussichten und über „les chances de durée de l’Union américaine“ diskutierte er kurz Calhouns Nullification-Doktrin, wobei es ihm offensichtlich schien, „qu’une pareille doctrine détruit en principe le lien fédéral et ramène en fait l’anarchie, dont la constitution de 1789 avait délivré les Américains.“60 Dass es hingegen in den Vereinigten Staaten eine starke Opposition gegen die Nullification gerade auch aus dem Lager der States’ Rights-Theoretiker gab, diskutierte Tocqueville nirgends, obwohl ihm diese Konstellation spätestens mit der Rede Jacksons gegen die Nullification oder in den Gesprächen mit einem der wichtigsten Repräsentanten dieser „middle ground“-Theorie des amerikanischen Föderalismus, mit Edward Livingston, hätte auffallen müssen.61 Stattdessen portraitierte Tocqueville Jackson schlicht als „agent des jalousies provinciales“, der „fédéral par goût et républicain par calcul“ sei, und leitete nicht zuletzt davon seine düsteren Zukunftsaussichten für die Union ab: „Loin que le gouvernement fédéral, en vieillissant, prenne de la force et menace la souveraineté des Etats, je dis qu’il tend chaque jour à s’affaiblir, et que la souveraineté seule de l’Union est en péril.“62 Auch kontextualisierte Tocqueville die im Federalist und bei Kents und Storys Commentaries vorgetragenen Argumente nicht dahingehend, dass der Federalist eine politische Kampfschrift im Kontext der Ratifikationsdebatten zur Bundesverfassung war, also keinesfalls ein objektiver Kommentar der Verfassung darstellte, oder dass Storys und Kents Commentaries aus einem fundamentalen Unbehagen über die Demokratisierungstendenzen der amerikanischen Gesellschaft und über die wachsende Legitimität der States’ Rights-Konzeptionen der amerikanischen Union geschrieben wurden.63 Mit anderen Worten: Tocqueville tendierte dazu, den amerikanischen Föderalismus in jener Version wiederzugeben, die seine größtenteils aus dem Nordosten stam-
59 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 113–174. Erst im Kapitel zur Tyrannei der Mehrheit verweist Tocqueville auf einen Brief Jeffersons an Madison vom 15. März 1789, in welchem dieser vor der möglichen Tyrannei einer allzu starken Legislative warnt, vgl. Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 272. 60 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 408. 61 Vgl. hierzu Ellis Richard E., The Union at Risk, S. 182–183; Whittington Keith E., The Political Constitution of Federalism in Antebellum America; Ericson David F., The Nullification Crisis, American Republicanism, and the Force Bill Debate; Les Benedict Michael, States’ Rights, State Sovereignty, and Nullification. 62 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 410 & 412. Hervorhebungen im Original. Zu Jacksons Föderalismuskonzeption vgl. Lenner Andrew C., The Federal Principle in American Politics, S. 177–211. 63 Vgl. Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 143–144.
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menden, meist juristisch gebildeten, den Demokratisierungstendenzen der amerikanischen Gesellschaft kritisch gegenüber stehenden, sich bisweilen als Erben Alexander Hamiltons und der Federalists verstehenden und nun dem intellektuellen Milieu der Whigs nahestehenden native informants vertraten.64 Mit ihnen teilte Tocqueville vor seinem französischen Hintergrund die Sorge um die Etablierung einer stabilen und gleichzeitig freien politischen Ordnung in einem postrevolutionären Kontext; wie bei den Whigs kreiste auch Tocquevilles politisches Erkenntnisinteresse um die kritische Beobachtung und Begleitung des Transitionsprozesses von einem revolutionären Aufbruch zu einer stabilen konstitutionellen Ordnung. Die Fragen an seine native informants im Zeitalter Jacksons, waren in gewisser Hinsicht immer auch Fragen nach der Stabilisierung einer politischen Ordnung in einer postrevolutionären Situation, in welcher die revolutionäre Glut im Sinne von fortgesetzten egalitären Demokratisierungsansprüchen gegenüber Staat und Gesellschaft noch nicht erloschen war. Tocqueville ging es nicht weniger als den Whigs letztlich um die Frage, wie die Revolution zu beenden sei. Erst auf dieser Abstraktionsebene der postrevolutionären Transition ließen sich Frankreich und Nordamerika in einen Vergleichshorizont rücken, in welchem Tocqueville mehr sehen konnte als Amerika.65 Dass Tocqueville in seiner Interpretation der amerikanischen politischen Kultur eine Sichtweise entwickelte, welche genau durch diese intellektuelle und politische Färbung der Whigs gekennzeichnet war, entging auch jenen amerikanischen Kommentatoren von Tocquevilles Amerikabuch nicht, welche eher den Demokraten zuneigten. So meinte etwa ein Rezensent in der Democratic Review, es sei in der Regel die „aristocratic party, by whatever name it may be temporarily known“ (eine Anspielung auf die Kontinuitäten zwischen den Federalists und den Whigs, die in den Augen von Jeffersonian Republicans und Democrats die aristokratische Tendenz in der politischen Kultur Nordamerikas verkörperten),
64 Vgl. hierzu auch Wilentz Sean, Many Democracies, S. 215–218; Kloppenberg James T., Tocqueville, Mill, and the American Gentry; Jardin André, Alexis de Tocqueville, S. 133–134; Kramer Lloyd S., Lafayette in Two Worlds, S. 197–198. 65 Vgl. hierzu die berühmte Formulierung Tocquevilles: „J’avoue que dans l’Amérique j’ai vu plus que l’Amérique; j’y cherché une image de la démocratie elle-même, de ses penchants, de son caractère, de ses préjugés, de ses passions; j’ai voulu la connaître, ne fût-ce que pour savoir du moins ce que nous devions espérer ou craindre d’elle.“ Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 12. Zu den Debatten, in welche Tocqueville damit in Frankreich eingriff, vgl. Mélonio Françoise, Tocqueville et les Français, S. 15–80; Jaume Lucien, Tocqueville, S. 35–54; Jennings Jeremy, Constitutional liberalism in France; Dijn Annelien de, The Intellectual Origins of Tocqueville’s L’Ancien Régime et la Révolution; Dijn Annelien de, Aristocratic Liberalism in Post-Revolutionary France.
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among whom a well recommended traveller is naturally thrown on his first arrival in the country, and from whom he receives his first impressions, which cannot but give a general bias to his future observations. […] He finds them well-informed, candid, liberal, even, in their judgments of Europe; and at the same time, expressing themselves with contempt and bitterness in regard to the political institutions and usages of their own country […].66
Auch wenn man Joseph Storys scharfes Urteil nicht vorbehaltlos teilen mag, dass Tocqueville seine Passagen zur amerikanischen Bundesverfassung weniger seinen eigenen Beobachtungen und Reflexionen zu verdanken habe, als seinen mehr oder weniger deutlich gemachten Anleihen beim Federalist und bei Storys Commentaries,67 ist dennoch nicht zu bezweifeln, dass Tocquevilles Sicht auf den amerikanischen Föderalismus mithin von einem Federalist- oder Whig-Bias geprägt war. Um deren ambivalentes Ideal einer „ordered liberty“ oder, wie Francis Lieber es nannte, einer „institutional liberty“, um ihre gleichzeitigen Ansprüche nach republikanischem self-government und nach rechtlicher und konstitutioneller Einhegung der damit dynamisierten demokratischen Praktiken, sollte bald auch Tocquevilles Denken kreisen und ähnlich wie sie fand er im Föderalismus ein Mittel, um diese scheinbar widersprüchlichen politischen Ansprüche miteinander zu verbinden.68
10.3 Ein Föderalismus tocquevillien?Komparative Perspektiven auf das Zeitalter der demokratischen Revolution und die Vorzüge des Bundesstaates Tocquevilles Behandlung des föderalen Systems der Vereinigten Staaten ist von einer gewissen Zurückhaltung und Ambivalenz geprägt.69 Wie Olivier Beaud zu Recht konstatiert hat, lässt sich in Tocquevilles Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus „une certaine gêne pour décrire le gouvernement des États-Unis“ feststellen.70 Tocqueville nannte die Bundesregierung manchmal ein „gouvernement national“, ein „gouvernement national incomplèt“, manchmal aber auch ein „gouvernement fédéral“, das politische System bezeichnete er als
66 [Anon.], European Views of American Democracy, S. 96. 67 Vgl. Story Joseph, Life and Letters of Joseph Story, II, S. 330. 68 Vgl. hierzu Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 23–42; Kloppenberg James T., Tocqueville, Mill, and the American Gentry, S. 354–355. 69 Vgl. hierzu auch Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 156; Alulis Joseph, The Price of Freedom, S. 85; Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 79. 70 Beaud Olivier, Fédéralisme et Fédération en France, S. 67.
10.3 Ein Föderalismus tocquevillien?
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„vingt-quatre petites nations souveraines, dont l’ensemble forme un grand corps de l’Union“, manchmal sprach er von einer „confédération“, von einer „nation idéale“ oder auch, hier in erster Linie Madison folgend und in seiner Ambivalenz wohl am präzisesten, von einer „forme de gouvernment qui n’était précisément ni nationale ni fédérale.“71 Allerdings war sich Tocqueville dieser polysemen Struktur des Föderalismusbegriffs durchaus bewusst, gestand er doch gleich selbst ein, dass ihn die Beschreibung des amerikanischen Föderalismus an die Grenzen des sprachlichen Fassungsvermögens brachte. Der amerikanische Bundesstaat basiere, so Tocqueville, „sur une théorie entièrement nouvelle“, die sich der tradierten politischen Sprache zu entziehen schien und die Kommentatoren dieses politischen Gebildes dazu verurteilte, „termes impropres“ und „expressions incomplètes“ zu benutzen, denn: „le mot nouveau qui doit exprimer la chose nouvelle n’existe point encore.“72 Neben dieser Innovation des Föderalismuskonzepts in den Vereinigten Staaten, kam für Tocqueville erschwerend hinzu, dass er sein Buch in erster Linie für ein französisches Publikum schrieb,73 das mit dem Adjektiv fédéral grundsätzlich andere politische Erfahrungen verband als das amerikanische.74 Diese Problematik schlägt sich auch darin nieder, dass Tocqueville gerade in seinen Betrachtungen, die über den engeren nordamerikanischen Kontext hinausgingen, grundsätzlich weniger über Föderalismus sprach als über die Chancen und politischen Effekte einer administrativen Dezentralisierung.75 Dezentralisierung betrachtete er als weniger voraussetzungsbedürftig als eine föderale Ordnung, wie er nicht zuletzt durch die Diskussionen mit Francis Lieber und Jared Sparks erkannte. Anders als ein historisch gewachsenes föderales Gefüge war eine administrative Dezentralisierung auch in Staaten denkbar, welche eine längere Geschichte der territorialen und konstitutionellen Integration kannten und auf
71 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 57, 158–161, 167–168. 72 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 176 & 161. Vgl. hierzu auch Jaume Lucien, Tocqueville, S. 263–270. 73 Vgl. Mélonio Françoise, Tocqueville and the French, S. 338. 74 Vgl. hierzu die Ausführungen im erster Teil dieser Studie. 75 Vgl. Kincaid John, Federal Democracy and Liberty, S. 211; Diamond Martin, The Ends of Federalism, S. 150–151, 153–155; Krause Skadi, Demokratischer Föderalismus. Zur Diskussion um Dezentralisierung und intermediäre Gewalten im postrevolutionären Frankreich vgl. Jaume Lucien, L’individu effacé ou le paradoxe du libéralisme français, S. 281–319; Dijn Annelien de, Aristocratic Liberalism in Post-Revolutionary France; Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville, S. 129–154; Dijn Annelien de, The Intellectual Origins of Tocqueville’s L’Ancien Régime et la Révolution; Dijn Annelien de, A Strange Liberalism. Zum Amerikadiskurs vgl. Lamberti Jean-Claude, Le modèle américain en France de 1789 à nos jours; Jennings Jeremy, Democracy before Tocqueville.
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unitarischen Souveränitätsprinzipien beruhten, wie dies natürlich v. a. in Tocquevilles französischer Heimat der Fall war. „Sans aller jusqu’à proposer le modèle fédéral pour la France,“ kommentierte Dimitros Karmis die Entdeckung der administrativen Dezentralisierung aus dem Geiste des amerikanischen Föderalismus bei Tocqueville, „il semble voir dans l’innovation américaine le moyen de montrer que la tendance naturelle de la démocratie à la centralisation peut être corrigée par des réformes politiques, et ce, sans pour autant conduire à l’anarchie.“76 Anders als in Tocquevilles französischer Heimat ging der demokratische Aufbruch und die Entfaltung des Republikanismus in Nordamerika nicht zwangsläufig mit einer Zentralisierung politischer Macht einher, wie dies die Erfahrung der Französischen Revolution in Europa scheinbar gelehrt hatte. Stattdessen fand Tocqueville in Nordamerika ein politisches System vor, in welchem auf institutionellen Wegen versucht wurde, so die Beobachtung Tocquevilles, „d’éparpiller la puissance“.77 Was Föderalismus und administrative Dezentralisierung bei allen Unterschieden im Detail gemeinsam hatten, war also in Tocquevilles Perspektive eine Zersplitterung von politischer Macht. Demokratie, dies war die Lehre, welche Tocqueville aus der Geschichte der Französischen Revolution zog, tendiere ihrem Wesen nach zur Konzentration von politischer Macht. „Je suis convaincu,“ meinte er 1835, „qu’il n’y a pas des nations plus exposées à tomber sous le joug de la centralisation administrative que celles dont l’état social est démocratique.“78 Und einige Jahre später erläuterte er diese These in einem Brief an Beaumont etwas ausführlicher: Die „idées et les sentiments démocratiques“ tendierten, so Tocqueville, „vers la concentration de tous les pouvoirs dans les mains de l’autorité centrale et nationale.“ Sind die politischen Gewalten einmal in einer zentralen Nationalregierung konzentriert, werden die Bürger ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten zur Selbstregierung beraubt, sie verlieren ihre Bürgertugenden, ihr Interesse und ihr Engagement an kollektiven Projekten in jenem Maße, als dass sie vereinzelt einem immer mächtigeren Staat gegenüber stehen würden; ein Staat, so Tocqueville in einer düsteren Zukunftsvision, „s’emparant succesivement de toute chose, se mettant de tous côtés à la place de l’individu ou mettant l’individu en tutelle, gouvernant, réglementant, uniformant, toutes choses et toutes personnes.“79 Es ist also die Erosion von Bürgertugend und Bürgergeist,
76 Karmis Dimitros, Fédéralisme et relations intercommunautaires chez Tocqueville, S. 71. 77 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 66. Hervorhebungen im Orginal. Vgl. hierzu auch Jaume Lucien, Tocqueville, S. 35–44. 78 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 97. 79 Alexis de Tocqueville an Gustave de Beaumont, 8. Juli 1838, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance d’Alexis de Tocqueville et de Gustave de Beaumont, I, S, 311.
10.3 Ein Föderalismus tocquevillien?
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von individueller Unabhängigkeit und Freiheit, und damit einhergehend, der Verlust an zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement, welche durch die Konzentration politischer Macht beschleunigt werden, egal wo diese Macht konzentriert ist. „La toute-puissance me semble en soi une chose mauvaise et dangereuse“, schrieb Tocqueville 1835 in seinem Kapitel über die Tyrannie de la majorité. „Lors donc que je vois accorder le droit et la faculté de tout faire à une puissance quelconque, qu’on l’appelle peuple ou roi, démocratie ou aristocratie, qu’on l’exerce dans une monarchie ou dans une république, je dis: là est le germe de la tyrannie, et je cherche à aller vivre sous d’autres lois.“80 In Tocquevilles Perspektive gab es keinen Zweifel daran, „que la centralisation administrative n’est propre qu’à énerver les peuples qui s’y soumettent, parce qu’elle tend sans cesse à diminuer parmi eux l’esprit de cité.“81 Darüber hinaus führe eine zentralisierte Verwaltung dazu, dass „la source des vertus publiques“ zum Versiegen gebracht wird.82 Damit formulierte Tocqueville nicht nur implizit eine Kritik am Gleichschritt von Republikanismus und Zentralismus im Zuge der Französischen Revolution – respektive die Unfähigkeit der Revolutionäre, das zentralistische Erbe der Monarchie abzuschütteln –, sondern stellte auch einen normativen Zusammenhang zwischen einer föderalen oder dezentralisierten politischen Ordnung und einer auf kollektiver Freiheit, politischer Partizipation und Bürgertugenden ruhenden republikanischen Selbstregierung her.83 Dieser komparative Hintergrund zwischen den Erfahrungen Frankreichs und Nordamerikas durchzieht im Wesentlichen Tocquevilles ganze Abhandlung und Donald Maletz hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Tocquevilles Auseinandersetzung in De la démocratie en Amérique beabsichtige, „to accomplish both an account of the establishment of democracy in the North American colonies and a critical reflection on the French experience.“84 Bereits während seiner Reise durch die Vereinigten Staaten notierte sich Tocqueville unablässig vergleichende Betrachtungen über die Revolutionen in Amerika und Frankreich in sein Notiz-
80 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 263. 81 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 88. 82 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 94. 83 Zu diesen klassisch-republikanischen Themen und deren Transformation im Werk Tocquevilles vgl. Jainchill Andrew, Reimagining Politics After the Terror, S. 294–307. 84 Maletz Donald J., The Union as Idea, S. 602. Zu Tocquevilles komparativer Analyse vgl. auch Maletz Donald J., The Spirit of Tocqueville’s Democracies; Richter Melvin, Comparative Political Analysis in Montesquieu and Tocqueville; Drescher Seymour, Tocqueville’s Comparative Perspectives; Jaume Lucien, Tocqueville, S. 13–15. Zu seiner Sicht auf die Französische Revolution, allerdings mit Fokus auf L’Ancien Régime et la Révolution vgl. Elster Jon, Tocqueville on 1789; Nissen Martin, Alexis de Tocqueville – Der alte Staat und die Revolution.
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buch.85 Eng verbunden mit dieser vergleichenden Perspektive auf das Zeitalter der demokratischen Revolutionen in Nordamerika und Europa war auch Tocquevilles Analyse des Föderalismus. „La révolution [française] s’est prononcée en même temps contre la royauté et contre les institutions provinciales,“ erinnerte Tocqueville seine Leser. Die Revolution habe damit jene tradierten politischen Handlungseinheiten weggefegt, auf welche sich eine neu zu konstituierende föderale oder dezentrale Ordnung allenfalls hätte stützen können. „Elle a confondu dans une même haine tout ce qui l’avait précédée, le pouvoir absolu et ce qui pouvait tempérer ses rigueurs; elle a été tout à la fois républicaine et centralisante.“86 Die Amerikanische Revolution betrachtete Tocqueville demgegenüber in Anlehnung an die Erörterungen von Jared Sparks als eine schrittweise vollzogene Extensivierung des Prinzips der Volkssouveränität, welches bereits „le principe générateur de la plupart des colonies anglaises d’Amérique“ gewesen sei.87 Durch die Revolution wurde dieses Prinzip aus dem engen Bannkreis der Gemeinde und der Einzelstaaten herausgelöst und auf die Bundesregierung übertragen, so dass es zum „loi des lois“ in der politischen Kultur Nordamerikas geworden sei.88 Anders als in Frankreich baute die amerikanische Republik in seiner Sichtweise auf lokaler Selbstregierung auf und die Aufgabe der amerikanischen Gründungsväter war es, diese lokalen Autoritäten mit einer nationalen Autorität zu einem kohärenten politischen Institutionsarrangement zu verbinden.89 In Nordamerika ging es im Zuge der Neukonstituierung der Union 1787 dementsprechend nicht darum, „de faire une seule et même nation du peuple auquel il voulait donner des lois“, wie dies im revolutionären Frankreich angestrebt wurde. „Le but de la constitution fédérale n’était pas de détruire l’existence des Etats, mais seulement de la restreindre“, erklärte Tocqueville. „Du moment donc où on laissait un pouvoir réel à ces corps secondaires (et on ne pouvait le leur ôter), on renonçait d’avance à employer habituellement la contrainte pour les plier aux volontés de la majorité.“ Die amerikanischen Gründungsväter erkannten dementsprechend an, dass die politische Existenz der Einzelstaaten „un fait existant“ sei, „celui d’une puissance reconnue qu’il fallait ménager et non violenter.“90 Während die französischen Revolutionäre angetreten waren, um diese „corps secondaires“ zu zerstören, weil man sie für ein Einfallstor aristokratischer Ansprüche hielt,
85 Vgl. bspw. Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 203. 86 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 97. 87 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 55. 88 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 55. 89 Vgl. Maletz Donald J., The Union as Idea, S. 606. 90 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 121.
10.3 Ein Föderalismus tocquevillien?
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wussten die amerikanischen Gründungsväter, diese Institutionen zu nutzen und die „forces individuelles“ der Einzelstaaten in die „rouages du gouvernment fédéral“ zu integrieren.91 Der föderale Republikanismus Nordamerikas war für Tocqueville dementsprechend auch eine Kontrastfolie zum zentralistischen Republikanismus Frankreichs. In beiden politischen Erscheinungsformen sah er zwei mögliche Antworten auf die gleiche unausweichliche Herausforderung: die „révolution démocratique“, welche Tocqueville in der Einleitung zu De la démocratie an Amérique nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft am Werk glaubte, sondern auch in Europa zur Macht drängen sah.92 Als sich Tocqueville im neunten Kapitel des ersten Buches von De la démocratie en Amérique den „causes principales du maintien de la république démocratique“ widmete, nannte er drei Gründe für die offenbar für Tocqueville alles andere als selbstverständliche Persistenz der Union: La première est la forme fédérale que les Américains ont adoptée et qui permet à l’Union de jouir de la puissance d’une grande république et de la sécurité d’une petite. Je trouve la deuxième dans les institutions communales qui, modérant le despotisme de la majorité, donnent en même temps au peuple le goût de liberté et l’art d’être libre. La troisième se rencontre dans la constitution du pouvoir judiciaire. J’ai montré combien les tribunaux servent à corriger les écarts de la démocratie, et comment, sans jamais pouvoir arrêter les mouvements de la majorité, ils parviennent à les ralentir et à les diriger.93
Die bundesstaatliche Ordnung der Union, die damit verbundene Tradition der kommunalen Selbstregierung und die Ausformung der Judikative waren in Tocquevilles Perspektive die drei wichtigsten institutionellen Vorkehrungen, welche die Demokratie in einem Flächenstaat ermöglichten und gleichzeitig die damit verbundenen Gefahren bändigten. Den amerikanischen Föderalismus fasste Tocqueville hier noch ganz in der politischen Sprache Montesquieus, als eine Antwort auf die klassische Frage, wie die Vorteile kleiner, homogener, die Partizipation und die Tugend der Bürger fördernder Republiken mit den Vorteilen mächtiger, großflächiger und damit notwendigerweise auch pluralistischer Staaten zu kombinieren sind.94 Die amerikanischen Gründungsväter sind in
91 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 121. 92 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 1. Vgl. hierzu auch Maletz Donald J., The Union as Idea, S. 600–604; Kincaid John, Federal Democracy and Liberty, S. 211. 93 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 300. 94 Vgl. Richter Melvin, The Uses of Theory, S. 89; Maletz Donald J., The Union as Idea, S. 601; Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 89–90; Maletz Donald J., The Spirit of Tocqueville’s Democracies, S. 526–528. Zu Montesquieus Föderalismuskonzeption vgl. Ward Lee, Montesquieu on Federalism and Anglo-Gothic Constitutionalism.
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Tocquevilles Perspektive indessen genau an jenem Punkt der Assoziation von bereits bestehenden politischen Handlungseinheiten über Montesquieus Lehren hinausgegangen. Sie hatten „un terme moyen“ gefunden, „qui conciliait de force deux systèmes théoriquement inconciliables“, nämlich die Souveränität der Einzelstaaten und die Souveränität des Bundes, repräsentiert im amerikanischen Zweikammersystem.95 „On fit plier les règles de la logique“, kommentierte Tocqueville,96 und dies war überhaupt nur denkmöglich, indem man sich an jenes Axiom der politischen Theorie Nordamerikas erinnerte, das Tocqueville selbst an den Beginn seiner Untersuchungen gestellt hatte und welches ihm Jared Sparks eingeflüstert hatte: „Lorsqu’on veut parler des lois politiques des Etats-Unis, c’est toujours par le dogme de la souveraineté du peuple qu’il faut commencer.“97 Es lag letztlich in der Souveränität des Volkes zu entscheiden, an welche politische Körperschaften es welche Gewalt delegierte und gerade aus der Zustimmung zur Bundesverfassung von 1787 resultierte schließlich ein „fractionnement de la souveraineté“.98 Es sei die Absicht der Väter der Bundesverfassung gewesen, so Tocqueville, „de diviser la souveraineté en deux parts distinctes. Dans l’une, ils placèrent la direction de tous les intérêts généraux de l’Union; dans l’autre, la direction de tous les intérêts spéciaux à quelquesunes de ses parties.“99 Die Bundesstaatsgründung habe dementsprechend das amerikanische Volk in seiner Gesamtheit nur für eine bestimmte und begrenzte Sphäre als „un seul et même peuple“ konstituiert und in dieser Sphäre ist die Union souverän. Ihre Gesetze wirkten nicht vermittelt über die Einzelstaaten, sondern direkt auf die Bürger: „En Amérique, l’Union a pour gouvernés, non des Etats, mais de simples citoyens.“100 Darin unterschied sich die amerikanische Föderativrepublik nun von der „république fédérative“ Montesquieus, die eine solche funktionale Souveränitätsteilung entlang bestimmter politischer Zuständigkeitsbereiche zwischen Bund und Einzelstaaten nicht vorgesehen hatte. „On definit donc avec soin les attributions du gouvernement fédéral,“ erklärte Tocqueville das innovative Verfahren dieser Souveränitätsteilung im Bundesstaat, welches er als „une grande
95 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 120. 96 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 120. 97 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 54. Vgl. Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 95–96; Sparks Jared, Observations on the Government of Towns in Massachusetts, S. 17–18. 98 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 169. Vgl. hierzu Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 87–92. 99 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 148. 100 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 147–148 & 160.
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découverte dans la science politique de nos jours“ bezeichnete,101 „et l’on déclara que tout ce qui n’était pas compris dans la définition rentrait dans les attributions du gouvernements des Etats. Ainsi le gouvernement des Etats resta le droit commun; le gouvernement fédéral fut l’exception.“102 Gerade weil die Zuständigkeit des Bundes eine Ausnahme darstellt, war von ihr auch keine Gefahr für die Freiheit der Bürger zu erwarten, denn obwohl die Bundesregierung damit zur obersten Ebene in der Architektur der amerikanischen Union wurde und obwohl sie direkt auf die Bürger wirkte, ist sie dennoch in ihren Befugnissen begrenzt und limitiert: L’Union est une grande république quant à l’étendue; mais on pourrait en quelque sorte l’assimiler à une petite république, à cause du peu d’objets dont s’occupe son gouvernement. […] Comme la souveraineté de l’Union est gênée et incomplète, l’usage de cette souveraineté n’est point dangereux pour la liberté.103
Dass die Bundesregierung ein „gouvernement national incomplèt“ darstellte, war in dieser Hinsicht nicht unbedingt ein Mangel, sondern ein Vorteil. Der in Tocquevilles Perspektive wichtigste politische Effekt des amerikanischen Föderalismus lag allerdings in seiner Beförderung republikanischer Selbstregierung. „Il est incontestable,“ behauptete Tocqueville in einer Formulierung, die wiederum nicht zufälligerweise den Notizen glich, welche er nach seinen Gesprächen mit Jared Sparks in sein Reisetagebuch geschrieben hatte, „qu’aux Etats-Unis le goût et l’usage du gouvernement républicain sont nés dans les communes et au sein des assemblées provinciales.“104 Der Föderalismus förderte in Tocquevilles Perspektive also jenen „esprit républicain“, jene „mœurs et habitudes d’un peuple libre“, wie sie in der politischen Praxis der kommunalen Selbstregierung in den Kolonien entstanden sind und dann im Zuge der Revolution und der Konstituierung des Bundesstaates über das föderale Assoziationsprinzip zuerst in die Einzelstaaten und dann in den „esprit public de l’Union“ Einlass gefunden haben.105
101 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 159. 102 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 116. 103 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 166. 104 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 166; Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 95–96; Sparks Jared, Observations on the Government of Towns in Massachusetts, S. 17–18. 105 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 166.
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10.4 Dialektiken des Föderalismuszwischen politischen Institutionen und politischer Kultur: Republikanische Selbst regierung, Deliberation und der gesellige Bürger Tocqueville betrachtete den amerikanischen Föderalismus also nicht nur als konstitutionelles Strukturmerkmal der amerikanischen Union oder als politisches Institutionsarrangement, weshalb eine Berücksichtigung seiner Darstellung der Bundesverfassung im achten Kapitel des ersten Buches von De la démocratie en Amérique zu kurz greift. Die Forschung hat sich ausgiebig über die ursprünglich von Seymour Drescher gestellte Frage „How many Democracies?“ gestritten und auf die Brüche und Diskontinuitäten zwischen den beiden Teilen von De la démocratie en Amérique aufmerksam gemacht.106 „The first volume worries that uncontrolled passions will lead to tyranny,“ meinte beispielsweise James T. Kloppenberg, „the second that there will be no passions to control but only torpor.“107 Die Pointe an der Beschäftigung mit dem Föderalismus liegt nun gerade darin, dass Tocqueville in ihm eine Antwort auf beide von Kloppenberg zurecht genannten zentralen Problemkomplexe der amerikanischen Demokratie entdeckte und damit einen Diskursstrang bildet, der beide Teile von De la démocratie en Amérique miteinander verbindet: der bereits in einem Prozess demokratischer Deliberation zustande gekommene amerikanische Föderalismus bricht durch die Pluralität und Verzeitlichung demokratischer Entscheidungsprozesse in der großflächigen Republik die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit, wie bereits Madison erläuterte, und befördert gleichzeitig die republikanische Selbstregierung in den Gemeinden und Einzelstaaten, was wiederum politische Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement ermöglicht und verhindert, dass die Bürger zu einem „troupeau d’animaux timides et industrieux, dont le gouvernement est le berger“ werden.108 Die Bedeutung des amerikanischen Föderalismus diskutierte Tocqueville demzufolge nicht nur in seinem berühmten Kapitel über die Bundesverfassung. Er fragte zusätzlich – auch hier Montesquieu folgend109 – nach den „mœurs“, nach den Sitten, oder anders ausgedrückt, nach den Wechselwirkungen zwischen politischen und sozialen Praktiken und konstitutionellen Bestimmungen,
106 Vgl. Drescher Seymour, Tocqueville’s Two Démocraties; Craiutu Aurelian/Jennings Jeremy, The Third „Democracy“. Die Kontinuitäten zwischen den beiden Teilen betont hingegen Schleifer James T., Tocqueville’s Democracy in America. 107 Kloppenberg James T., Tocqueville, Mill, and the American Gentry, S. 358. 108 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 325. 109 Vgl. Richter Melvin, The Uses of Theory, S. 81–83.
10.4 Dialektiken des Föderalismus
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zwischen einer historisch gewachsenen politischen Kultur und der föderalen Struktur des politischen Gemeinwesens. In dieser Hinsicht mag Tocquevilles Orientierung an Montesquieu auch durch seine Diskussionen mit Francis Lieber bekräftigt worden sein, gestand ihm doch dieser während Tocquevilles Besuch in Boston: „Pour mon compte, je me sens enclin à penser tous les jours davantage que les institutions et les lois politiques ne sont rien en elles-mêmes. Ce sont des œuvres mortes auxquelles les mœurs et la situation sociale d’un peuple peuvent donner la vie.“110 Die Lehren von Jared Sparks und Francis Lieber über die Genealogie der amerikanischen Praktiken der kommunalen Selbstregierung und über die enge Verbindung zwischen Bürgerpartizipation und republikanischer politischer Kultur in den Vereinigten Staaten koppelte Tocqueville schließlich auch an seine Interpretation des amerikanischen Föderalismus. Wenn Tocqueville am Ende des zweiten Buches von De la démocratie en Amérique rückblickend deutlich machte, dass es ihm in seiner Analyse der amerikanischen Demokratie darum gegangen sei, nach den Möglichkeiten zu suchen, „de faire sortir la liberté du sein de la société démocratique“, dann sind diese engen Verbindungen zwischen Föderalismus und kommunaler Selbstregierung in Tocquevilles Perspektive als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit in demokratischen Gesellschaften zu betrachten.111 Les législateurs de l’Amérique n’ont pas cru que pour guérir une maladie si naturelle au corps social dans les temps démocratiques et si funeste, il suffisait d’accorder à la nation tout entière une représentation d’elle-même; ils ont pensé que, de plus, il convenait de donner une vie politique à chaque portion du territoire, afin de multiplier à l’infini, pour les citoyens, les occasions d’agir ensemble, et de leur faire sentir tous les jours qu’ils dépendent les uns des autres.112
Das Gelingen oder Misslingen von Demokratie hing also in Tocquevilles Perspektive nicht alleine von den institutionellen Strukturen und den konstitutionellen Rahmungen des politischen Systems ab, sondern von den Bürgern und deren Möglichkeiten gemeinsamen politischen Handelns und damit von der verantwortungsvollen Ausübung kollektiver Freiheit. Seine Anerkennung, dass in Nordamerika die Chancen multipliziert wurden, damit die Bürger an öffentlichen Angelegenheiten teilhaben können und dass sie dadurch nicht nur in „the practice of deliberation“ eingeführt werden, sondern auch eine „ethic of recipro-
110 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 92. 111 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 328. Vgl. hierzu auch Kincaid John, Federal Democracy and Liberty, S. 211. 112 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 110.
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city“ entwickelten,113 ist eine wichtige Ausgangsbeobachtung, auf welcher Tocquevilles Beschäftigung mit den Zusammenhängen zwischen einem föderalen System und republikanischer Selbstregierung ruht. Tocqueville führte die politische Kultur der Selbstregierung, welche er insbesondere in den Gemeinden Neuenglands beobachtete und vor deren Erosion im Zeitalter Andrew Jacksons er sich fürchtete, auf die koloniale Geschichte Nordamerikas zurück und folgte damit den historischen Pfaden, die Jared Sparks ausgelegt hatte. Das Puritanertum, schrieb er gleich zu Beginn von De la démocratie en Amérique, war in vielerlei Hinsicht durchtränkt „avec les théories démocratiques et républicaines les plus absolues“, weshalb die Amerikaner gewissermaßen bereits in ihrer frühesten Siedlungsgeschichte eine Disposition zur Selbstregierung entwickelten.114 Diese Ansicht bestätigte ihm später auch Francis Lieber, denn in dessen Sichtweise entfalteten die Amerikaner gerade aufgrund dieser Siedlungsgeschichte einen „distinctive impulse of establishing governements with the principles of vitality and self-action within not depending upon a vis motrix from without.“115 Anders als in den europäischen Gesellschaften, wo das politische Leben von den „régions supérieures de la société“ sich „peu à peu, et toujours d’une manière incomplète“ über die weiteren Gesellschaftsschichten ausgebreitet habe, war die Evolution des politischen Lebens in Nordamerika eine andere: „En Amérique, au contraire, on peut dire que la commune a été organisé avant la comté, la comté avant l’Etat, l’Etat avant l’Union.“116 Tocqueville verstand den amerikanischen Föderalismus also im Wesentlichen als eine historisch gewachsene Assoziation politischer Handlungseinheiten, deren Kern in den selbstregierenden Gemeinden lag, und durch das Prinzip föderaler Assoziation zur Basis der „constitution complexe“ von 1787 wurde – eine Konstellation, die Tocqueville nicht zufälligerweise mit einer vitalistischen Metapher zu umschreiben versuchte, wenn er davon sprach, dass das politische Leben in den Vereinigten Staaten sich in diesen organisch verbundenen Handlungseinheiten abspiele, „qu’on pourrait comparer aux divers centres nerveux qui font mouvoir le corps humain.“117 Die föderale Republik der
113 Kloppenberg James T., Tocqueville, Mill, and the American Gentry, S. 358. Vgl. hierzu auch Gustafson Sandra M., Imagining Deliberative Democracy in the Early American Republic, S. 5–6. 114 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 31. 115 Francis Lieber an Alexis de Tocqueville, 25. September 1846, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 4405. Hervorhebungen im Original. 116 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 39. 117 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 58. Vgl. hierzu auch Allen Barbara, Alexis de Tocqueville on the Covenantal Tradition of American Federal Democracy. Allgemein zur Perspektive des Covenant vgl. Lutz Donald S., From Covenant to Constitution in American Political Thought; Elazar Daniel J., The Covenant Tradition in Politics.
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Vereinigten Staaten war in dieser Hinsicht „qu’une modification de la république, un résumé des principes politiques répandus dans la société entière avant elle, et y subsistant indépendamment d’elle.“118 Föderalismus entwickelte sich in Nordamerika also gewissermaßen „from the bottom up“; die Idee der Assoziation politischer Handlungseinheiten fand ihren Ursprung in den alltäglichen Erfahrungen der Amerikaner mit lokaler Selbstregierung und der Delegation begrenzter und zweckgebundener politischer Macht an übergeordnete Körperschaften.119 Tocqueville erinnerte seine Leser daran, dass man sich in der Beschäftigung mit dem politischen System der Vereinigten Staaten einer „distinction importante“ gewahr sein müsse, nämlich dass die Gemeindefreiheit aus dem „dogme même de la souveraineté du peuple“ abgeleitet sei und dass ihr deswegen nicht irgend eine übergeordnete Körperschaft politische Macht oder Zuständigkeit übertrage: „ce sont elles [les communes] au contraire qui semblent s’être dessaisies, en faveur de l’Etat, d’une portion de leur indépendance.“120 Umgekehrt wirkte das föderale Institutionengefüge wieder zurück auf die sozialen und politischen Praktiken der Selbstregierung in den Gemeinden, denn erst aufgrund der institutionellen Begrenzung der politischen Macht des Bundes und auch der Einzelstaaten, erst aufgrund ihrer Konstituierung als „limited governments“, denen das Volk nur bestimmte Gewalten delegiert hatte, wurden die Bedingungen geschaffen, dass sich die Bürger in den Gemeinden in die Praktiken der lokalen Selbstregierung einüben konnten. „Les institutions communales sont à la liberté ce que les écoles primaires sont à la science“, meinte Tocqueville in einer prägnanten Formulierung.121 Bedingung dieser Einübung und Erprobung kollektiver Freiheit ist allerdings, das, was Tocqueville die „art d’éparpiller la puissance“ nannte. Erst durch die Zersplitterung politischer Gewalten im föderalen System, wurden die Bedingungen geschaffen, „d’intéresser plus de monde à la chose publique.“122 Die durch das föderale System konstituierte Kleinräumigkeit der politischen Verhältnisse erlaubte es den amerikanischen Bürgern, ihre öffentlichen Angelegenheiten gemeinsam zu definieren und zu gestalten und verhinderte gleichzeitig jene Gefahren des Individualismus und der Selbstsucht, welche Tocqueville im zweiten Teil von De la démocratie en Amérique als Begleiterscheinungen des Demokratisierungsprozesses identifizierte.123 Auch in dieser Hinsicht
118 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 57. 119 Vgl. Wood Gordon, Federalism from the Bottom Up. 120 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 65. 121 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 59. 122 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 66. Hervorhebungen im Original. 123 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 105–112. Vgl. hierzu Diamond Martin, The Ends of Federalism, S. 160–161.
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adaptierte Tocqueville ein Argument des klassischen Republikanismus, welches besagt, dass die Entwicklung und Entfaltung von Bürgertugenden nur in kleinen Republiken stattfinden kann, wo die Bürger an den öffentlichen Dingen mitwirken und mitentscheiden können.124 Der bundesstaatliche Föderalismus Nordamerikas schloss an dieses Axiom an und modifizierte es gleichzeitig über die Koppelung von Repräsentation, Bundesstaatlichkeit und eine vitale politische Öffentlichkeit. Und anders als die asketische, martialische und individuelle Tugendhaftigkeit des Bürgers in der politischen Theorie des klassischen Republikanismus akzentuierte Tocqueville die soziale Komponente der Geselligkeit als Bedingung der Entfaltung republikanischer Tugend. In dieser Hinsicht folgte er vielen amerikanischen Autoren, welche diesen Zusammenhang zwischen Geselligkeit und republikanischem Bürgersinn ebenfalls prominent machten. „For many American thinkers,“ resümierte Gordon Wood diese Transformation des republikanischen Tugenddiskurses, „this natural sociability of people became a modern substitute for the ascetic classical virtue of antiquity.“125 Dieser aus Geselligkeit und Deliberation geborene Bürgersinn begrenzte sich indessen in Tocquevilles Perspektive nicht auf den lokalen Kontext, auf die Gemeinde oder den Einzelstaat, sondern diffundierte aufgrund der föderal-repräsentativen Struktur Nordamerikas und aufgrund einer aktiven politischen Öffentlichkeit in die Union.126 C’est ce même esprit républicain, ce sont ces mœurs et ces habitudes d’un peuple libre qui, après avoir pris naissance et s’être développées dans les divers Etats, s’appliquent ensuite sans peine à l’ensemble du pays. L’esprit public de l’Union est en quelque sorte lui-même qu’un résumé du patriotisme provincial.127
Die zukünftige Entwicklung der Union hing demnach in mancherlei Hinsicht davon ab, ob sich die politische Vitalität und der republikanische Geist in den Gemeinden weiter entfalten konnten. Hinter dieser Annahme einer engen Verzahnung zwischen den alltäglichen sozialen und politischen Praktiken der Selbstregierung in den Gemeinden und
124 Vgl. Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 7. 125 Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 12. Zum transatlantischen Charakter dieses Assoziationsdiskurses und für eine kritische Sicht auf Tocquevilles These einer engen Verknüpfung von Assoziationen und Demokratie vgl. Hoffmann Stefan-Ludwig, Tocquevilles „Demokratie in Amerika“ und die gesellige Gesellschaft seiner Zeit, S. 308; Hoffmann Stefan-Ludwig, Democracy and Associations in the Long Nineteenth Century. 126 Vgl. Gustafson Sandra M., Imagining Deliberative Democracy in the Early American Republic, S. 26. 127 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 166.
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der föderalen Struktur der Union verbarg sich letztlich auch die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und politischer Gemeinschaft, von Bürger und Staat.128 Die Frage nach den Auswirkungen der Demokratie auf die Bürger und die umgekehrte Frage nach der angemessenen Konzeption des Bürgers im Zeitalter der demokratischen Revolution, umtrieb Tocqueville nicht weniger als seine amerikanischen Freunde unter den Whigs. Deren geradezu obsessive Beschäftigung mit „self culture“ transportierte auch ein republikanisches Bürgerideal, das im Prinzip auf die Erkenntnis zulief, „that liberty has no real value without responsability and order.“129 Die Suche nach dem „balanced self“, das die Hitze der Leidenschaften und die Kälte der Vernunft in einem Gleichgewicht zu halten vermag, „liberty“ von „licentiousness“ abgrenzte und erst durch gemeinsames soziales Handeln in zivilen und politischen Assoziationen den Wert von Verantwortung, individueller Zurückhaltung, Deliberation und kollektiver Ausübung von Freiheit entdeckt – diese Suche machte auch Tocqueville zum Gegenstand seiner eigenen Untersuchungen. Denn gerade die Gefahren einer Atomisierung der Gesellschaft und eines exzessiven Individualismus und Materialismus sah Tocqueville als Begleiterscheinung des Demokratisierungsprozesses und seine Befürchtungen wurden auch von vielen seiner Freunde aus dem Milieu der Whigs geteilt.130 Was Tocqueville dann später im zweiten Teil von De la démocratie en Amérique als „doctrine de l’intérêt bien entendu“ diskutierte, war im Wesentlichen eine mögliche Antwort auf die Suche nach dem „balanced self“, welches seine Freunde in den Vereinigten Staaten umtrieb.131 Wie Tocqueville ausführte, war es die „amour éclairé d’eux-mêmes“, welche die Amerikaner dazu antrieb, „à s’aider entre eux et les dispose à sacrifier volontiers au bien de l’Etat une partie de leur temps et de leurs richesses.“132 Aus dieser Lehre des wohlverstandenen Eigennutzes entspringe zwar noch keine bürgerliche Tugend, so Tocqueville, aber sie schaffe Dispositionen und Habitualisierungen, um zu tugendhaften Bürgern zu werden, denn: „elle forme une multitude de citoyens reglés, tempérants, modérés, prévoyants, maîtres d’eux-mêmes“133 – das „balanced self“ der Whigs.
128 Vgl. hierzu Hennis Wilhelm, Tocquevilles „Neue Politische Wissenschaft“, 396; Koritansky John C., Decentralization and Civic Virtue in Tocqueville’s „New Science of Politics“, S. 66. 129 Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 33 & 36. Vgl. hierzu auch Howe Daniel Walker, Making the American Self. 130 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 36–37; Wilentz Sean, Many Democracies, S. 215. 131 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 127–130. 132 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 128. Vgl. zu diesen Aspekten Hancock Ralph C., Tocqueville on the Good of American Federalism, S. 101–105. 133 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 129.
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Die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus war bei Tocqueville also auch eine Auseinandersetzung über das Verhältnis von individuellem Bürger und politischer Ordnung, ein Verhältnis, das in seiner Perspektive durch intermediäre Institutionen auf politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene abgefedert und moderiert werden musste.134 Eine solche von Tocqueville eingeforderte Moderation zwischen Bürgern und politischer Gemeinschaft gelang seiner Meinung nach in föderalen Ordnungen besser als in zentralisierten. Tocquevilles Wertschätzung des „esprit d’association“, welchen er als „un des caractères distinctifs de l’Amérique“ verstand, gründete genau auf dieser Vermittlungsleistung zwischen Bürger und politischem Kollektiv.135 Tocqueville war der Überzeugung, dass das gemeinsame politische Handeln der Bürger, die Erfahrung von Geselligkeit und von Deliberation dazu führe, dass die politische Kommunikation nicht einfach in einem Kampf der artikulierten Interessen aufgeht, in welchem sich manche Interessen durchsetzen und andere nicht. Stattdessen glaubte Tocqueville daran, dass der Austausch von Argumenten, die Konfrontation unterschiedlicher Ideen und Interessen in ihrem Kern von einer dialogischen Struktur bestimmt waren. Bürgerpartizipation und Deliberation führten in dieser Perspektive letztlich zu kollektivem politischen Handeln, in dem sich nicht einfach die stärksten Interessen durchsetzen, sondern etwas zu Stande kommt, das jenseits der anfänglichen Intentionen und partikularen Interessen der Beteiligten lag. „Lorsque les citoyens sont forcés de s’occuper des affaires publiques, ils sont tirés nécessairement du milieu de leur intérêts individuels et arrachés, de temps à l’autre, à la vue d’eux-mêmes.“136 Bürgerpartizipation, Deliberation und die Beteiligung in Assoziationen waren in seinen Augen immer auch politische Lernprozesse zugunsten der res publica, oder, wie James T. Kloppenberg diese Haltung ausgedrückt hat: „Through the process of confronting and filtering different ideas, clashing interests, and divergent ideals, people in associations can learn to see things from other points of view.“137 Erst diese Multiperspektivität im kommunikativen Austausch mit anderen Bürgern ermöglicht, dass eine Kultur der Reziprozität entsteht, dass gemeinsames politi-
134 Zur Rolle der intermediären Gewalten vgl. Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville, S. 143–153. 135 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 273. Vgl. hierzu auch Brooke John L., Consent, Civil Society, and the Public Sphere in the Age of Revolution and the Early American Republic; Hoffmann Stefan-Ludwig, Tocquevilles „Demokratie in Amerika“ und die gesellige Gesellschaft seiner Zeit; Llanque Marcus, Zivilgesellschaft und zivile Macht. 136 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 109. Vgl. hierzu Gustafson Sandra M., Imagining Deliberative Democracy in the Early American Republic, S. 25–26. 137 Kloppenberg James T., Tocqueville, Mill, and the American Gentry, S. 359.
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sches Handeln im Sinne des Gemeinwohls zustande kommt und partikulare Interessen transzendiert werden.138 Umgekehrt dient diese kollektive Definition und deliberative Filterung von politischen Ansprüchen auch als Gegenmittel gegen die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit, welche sich in Tocquevilles Sichtweise mit der wachsenden Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen verschärft: „Il est clair que, si chaque citoyen, à mesure qu’il devient individuellement plus faible, et par conséquent plus incapable de préserver isolément pour la défendre, la tyrannie croîtrait nécessairement avec l’égalité.“139 Hinter diesen Ausführungen zur Interdependenz zwischen lokaler Bürgerpartizipation und der Kontrolle tyrannischer Mehrheiten verbarg sich freilich auch eine Kritik an den politischen Grundsätzen Andrew Jacksons und seiner Anhänger. Tocquevilles Argumente machten auf die Gefahren aufmerksam, welche mit einer einseitigen Konzentration auf die von den Jacksonians so oft gepredigte majority rule einher ging und welche mitunter die wichtigsten Prinzipien in der politischen Kultur der Whigs wegzuschwemmen drohte. Wenn das Prinzip der Volkssouveränität von seinen Wurzeln in der lokalen Selbstregierung abgekoppelt und zur Herrschaft der Mehrheit über eine Minderheit degradiert wird, eine Herrschaft, die nicht mehr die res publica im Sinne des Gemeinwohls im Blick hat, sondern die Interessen der Mehrheit, dann reduziere sich auch die Freiheit darauf, „[que] les citoyens sortent un moment de la dépendance pour indiquer leur maître, et y rentrent.“140 Eine plebiszitär legitimierte Exekutive, die sich als Repräsentantin des Volkswillens gerierte und dadurch die politischen Machtbalancen und Machtverteilungen der Bundesverfassung auszuhebeln versuchte und sich unter Umständen gar zu einer militärischen Diktatur aufschwingen würde – dies war mitunter das Angst auslösende Szenario, welches die Whigs seit dem Präsidentschaftsantritt Andrew Jacksons in ihren Blättern zeichneten und welches nicht nur Tocqueville an die französische Geschichte erinnerte.141 Die Degradierung und Erosion jener politischen Aktivitäten des Alltags, welche Tocqueville von Francis Lieber und Jared Sparks unter dem Begriff des self-government vorgestellt wurden, wären die wahrscheinlichen Folgen einer konsequenten und kompromisslosen Ausnützung der majority-rule, befürchtete Tocqueville. Und diese Folgen wären wiederum vergleichbar mit der Zentralisie-
138 Vgl. Gustafson Sandra M., Imagining Deliberative Democracy in the Early American Republic, S. 25–26. 139 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 113. 140 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 325. 141 Vgl. Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 31; Wilentz Sean, Many Democracies, S. 215–216.
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rung von politischer Gewalt, welche die Bürger dazu nötige, „à renoncer à l’usage de leur volonté.“142 Die Bürger werden dadurch nicht nur von den öffentlichen Angelegenheiten entfremdet, sie entfremden sich auch voneinander und von den kollektiven Projekten, welche sie nur gemeinsam organisieren und durchführen können. Um diese Analyse Tocquevilles mit den Überlegungen eines zeitgenössischen Demokratiehistorikers zu verbinden: Die Zusammenhänge zwischen Föderalismus, republikanischer Selbstregierung und bürgerlichem Engagement verhinderten nach Tocquevilles Auffassung tendenziell jenes Phänomen, das Pierre Rosanvallon „the question of democratic entropy and hence the degradation of ‚democratic energy‘“ nennt.143
10.5 Many Federalisms?Die unbewusste Komplexität des amerikanischen Föderalismusdiskurses und die Zukunft der Union Obwohl Tocqueville den amerikanischen Föderalismus sowohl in seinen konstitutionellen und institutionellen Erscheinungsformen, als auch in seinen Wechselwirkungen mit lokaler Selbstregierung und der Bildung politisch verantwortungsvoller Bürger im Allgemeinen sehr schätzte, war er doch pessimistisch, was dessen Zukunftstauglichkeit und dessen transkulturelle Gültigkeit betraf.144 Tocquevilles Lektüre des Federalist informierte in dieser Hinsicht manche seiner kritischen Perspektiven auf den fortschreitenden Demokratisierungsprozess in einem föderalen politischen Gemeinwesen. Die Gefahren einer geteilten Souveränität hatte etwa Hamilton im Federalist dargelegt, als er in der für seine politische Sprache charakteristischen astronomischen Metaphorik auf die permanente und gegenseitige Eifersucht der mit verschiedenen Souveränitätsrechten ausgestatteten politischen Körperschaften hinwies: From this spirit it happens that in every political association which is formed upon the principle of uniting in a common interest a number of lesser sovereignties, there will be found a kind of eccentric tendency in the subordinate or inferior orbs by the operation of which there will be a perpetual effort in each to fly off from the common center.145
142 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, II, S. 326. 143 Rosanvallon Pierre/Sebastán Javier Fernández, Intellectual History and Democracy, S. 704. Vgl. hierzu auch Diamond Martin, The Ends of Federalism, S. 162–163. 144 Vgl. Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 135–157. 145 Hamilton Alexander, Federalist No. 15, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 106.
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Als Tocqueville seine Nordamerikareise unternahm, war die ganze Republik noch immer in Aufruhr wegen der Nullification-Debatte, welche Hamiltons Argument eine geradezu prophetische Qualität verlieh, und welche Tocqueville mehrmals Anlass gab, mit seinen amerikanischen Gesprächspartnern über die Bedeutung der Nullification-Krise zu diskutieren und sein Notizbuch mit Ausführungen über die Gründe und die möglichen Konsequenzen dieser konstitutionellen Krise zu füllen.146 Zurück in Paris bat er Edward Everett im Februar 1833 um Informationen und Materialien zur Nullification-Krise: „La querelle qui agite dans ce moment le sud de l’Union excite particulièrement notre intérêt“, versicherte Tocqueville seinem Bekannten in Boston und mit Jared Sparks und Francis Lieber korrespondierte er auch über den Atlantik hinweg über die wellenartig wieder in die öffentlichen Debatten geschwemmten Argumente der States’ Rights- und NullificationTheoretiker.147 Die miteinander verschlungenen Probleme des Sektionalismus, der Nullification, der Sklaverei und der umkämpften Verfassungsinterpretation schrieben Tocquevilles Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus eine skeptische Note ein, welche eine eigentümliche und – wie Hayden White vielleicht sagen würde – eine „tragische“ Ambivalenz in seine Abhandlung integrierte.148 Während er einerseits über längere Strecken seines Textes die Vorteile des amerikanischen Bundesstaates und die politische Klugheit der Gründungsväter lobte, drängten ihn insbesondere die Reflexionen über die „chances de durée“ der Union zu skeptischeren Bemerkungen zum föderalen System Amerikas unter den Bedingungen der Demokratie. Ein erster Punkt, welcher Tocqueville kritisch hervorhob, war die Komplexität des föderalen Systems und die damit eingeführte geteilte Souveränität, welche Konflikte über Zuständigkeiten unausweichlich machen würde. Parmi les vices inhérents à tout système fédéral, le plus visible de tous est la complication des moyens qu’il emploie. Ce système met nécessairement en présence deux souverainetés. […] Le système fédératif repose donc, quoi qu’on fasse, sur une théorie compliquée, dont l’application exige, dans les gouvernés, un usage journalier des lumières de leur raison.149
146 Vgl. Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 129–130, 147, 205–206. 147 Alexis de Tocqueville an Edward Everett, 6. Februar 1833, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 54–55. Vgl. hierzu auch Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 146–147. 148 White hat Tocqueville als einen Repräsentanten des „tragischen Realismus“ in der Geschichtsschreibung Europas des 19. Jahrhunderts abgehandelt, vgl. White Hayden, Metahistory, S. 251–301. Zu Tocquevilles Pessimismus vgl. auch Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville, S. 153–154. 149 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 168.
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Daran gekoppelt war ein anderes Problem, nämlich die Asymmetrie der Loyalitäten der Bürger gegenüber dem Bund und gegenüber den Einzelstaaten. Dass das föderale System funktionierte, war in dieser Perspektive zuerst einmal unwahrscheinlich, denn, so Tocqueville: „Le gouvernement de l’Union repose presque tout entier sur des fictions légales. L’Union est une nation idéale qui n’existe pour ainsi dire que dans les esprits, et dont l’intelligence seule découvre l’étendue et les bornes.“150 Die Komplexität der Verfassungskonstruktion und die lebensweltliche Ferne der Bundesinstitutionen ließe die Union in der Imagination der Bürger zur Fiktion verkommen, wohingegen die Institutionen der Einzelstaaten eine lebensweltliche Relevanz für die Bürger besaßen. „Tout est conventionnel et artificiel dans un pareil gouvernement“, meinte Tocqueville über die Bundesregierung, wohingegen die Einzelstaaten die natürlichen Objekte der Loyalität der Bürger seien.151 „La souveraineté de l’Union est un être abstrait“ und ein „œuvre de l’art“, argumentierte er; „la souveraineté des Etats“ hingegen, „tombe sous tous les sens; on la comprend sans peine; on la voit agir à chaque instant: L’une est nouvelle, l’autre est née avec le peuple lui-même.“152 Mit dieser Asymmetrie der Loyalitäten gingen in seiner Perspektive auch Gefahren im Hinblick auf Konflikte zwischen Bund und Einzelstaaten einher, denn diese würden meist zugunsten letzterer enden, gab sich Tocqueville überzeugt: „Si la souveraineté de l’union entrait aujourd’hui en lutte avec celle des Etats, on peut aisément prévoir qu’elle succomberait. […] Toutes les fois qu’on opposera une résistance opiniâtre au gouvernement fédéral, on la verra céder.“153 Nicht die Konsolidierung der Union zu einem Nationalstaat und eine damit einhergehende Zentralisierung politischer Macht fürchtete Tocqueville also für die Zukunft der Union, wie man aus seinen Ausführungen über das Verhältnis von Demokratie und Zentralismus ahnen könnte, sondern deren Auflösung im Falle einer Verdichtung von Konflikten zwischen Bund und Einzelstaaten. Seine These, dass Demokratisierung notwendigerweise zu einer Zentralisierung politischer Macht führen würde, beantwortete demnach noch nicht die Frage, wo sich diese Macht in einem föderalen System konzentrieren würde: in den Einzelstaaten oder in der Bundesregierung. Dass sie sich in der Bundesregierung konzentrieren würde, bezweifelte Tocqueville, weil die Amerikaner beobachteten, „que chez la plupart des peuples du monde, l’exercice des droits de la souveraineté tend à se concentrer en peu de mains, et
150 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 168. 151 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 169. 152 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 171. Vgl. hierzu Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 93–97. 153 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 384.
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ils s’effrayent à l’idée qu’il finira par en être ainsi chez eux.“154 Dass sie sich in den Einzelstaaten konzentrieren würde und dadurch zu einer Schwächung der Bundesregierung beitragen würde, schien ihm demgegenüber wahrscheinlicher zu sein, war er doch der Meinung, dass „le maintien du gouvernment fédéral n’est plus qu’un accident heureux“,155 der in erster Linie auf der Bereitschaft „de tous les confédérés à vouloir rester unis“ beruhte.156 Kurioserweise reklamierte Tocqueville also die föderale Struktur der Union für beides: für eine der „causes principales du maintien de la république démocratique“157 und für eine der möglichen Ursachen ihres Zerfalls, denn: „Les législateurs américains, en rendant moins probable la lutte entre les deux souverainetés, n’en ont donc pas détruit les causes. On peut même aller plus loin, et dire qu’ils n’ont pu, en cas de lutte, assurer au pouvoir fédéral la prépondérance.“158 Damit diese fragile Föderativrepublik nicht auseinanderfalle, forderte Tocqueville erstaunlicherweise eine sozioökonomische und kulturelle Homogenisierung der amerikanischen Union: „Pour qu’une confédération subsiste longtemps, il n’est pas moins nécessaire qu’il y ait homogénéité dans la civilisation que dans les besoins des divers peuples qui la composent.“159 Dass damit möglicherweise genau die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit gefördert würde, vor welcher Tocqueville ja selbst unablässig warnte, schien ihm offenbar zu entgehen. Genau darin lag indessen die Pointe von James Madisons Argumenten im Federalist No. 10 und im Federalist No. 51. Aus letzterem zitierte Tocqueville gar zum Ende seines Kapitels zu den Gefahren einer „omnipotence de la majorité“, ohne allerdings Madisons Verknüpfung zwischen sozioökonomischer und kultureller Diversität und einer föderalen Ordnung zu diskutieren.160 Nicht die sozioökonomische und kulturelle Homogenität der kleinen antiken Republiken schütze die Republik vor ihren größten Bedrohungen, sondern die Diversität der Interessen in einem ausgedehnten Territorium, hatte Madison behauptet. Die moderne föderale Republik Madisons war eben gerade nicht auf Homogenität angewiesen, wie Tocqueville mit einer Aktualisierung einer Deutungsfigur aus der politischen Sprache des klassischen Republikanismus meinte, sondern auf eine föderal organisierte und institutionell kanalisierte Diversität der Interessen und deren gegenseitige Neutralisierung im Institutionsarrangement der Föderativrepublik. Dies war Madi
154 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 401. 155 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 394. 156 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 400. 157 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 299–300. 158 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 170–171. 159 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 171. 160 Vgl. Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 271–272.
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sons Methode, die Tyrannei der Mehrheit zu bannen: „by comprehending in the society so many seperate descriptions of citizens as will render an unjust combination of a majority of the whole very improbable, if not impracticable.“161 Bemerkenswerterweise führten die skeptischen Ausführungen Tocquevilles über die Zukunft der Union auch dazu, dass er nun ganz andere Interpretationen des amerikanischen Föderalismus in seine Argumente integrierte, die in mancherlei Hinsicht fundamental von seinen früheren Erörterungen zur amerikanischen Bundesverfassung abwichen.162 Hatte er in diesem Teil des Buches noch mit Alexander Hamiltons Essays im Federalist argumentiert, dass sich die Amerikaner durch die Ratifikation der Bundesverfassung für bestimmte politische Bereiche zu einem Volk konstituiert hatten und dass die Gesetzgebung des Bundes in diesen Bereichen – und ausschließlich in diesen Bereichen – direkt auf die Bürger wirke, trug er in seinem skeptischen Kapitel zu den Aussichten der Union eine ganz andere Interpretation des amerikanischen Föderalismus vor: „La confédération a été formée par la libre volonté des Etats; ceux-ci, en s’unissant, n’ont pas perdu leur nationalité et ne se sont point fondus dans un seul et même peuple.“163 John Taylor of Caroline und John C. Calhoun hätten ihre States’ Rights- und Nullification-Theorien nicht besser historisch herleiten können, als dies Tocqueville in dieser Passage tat, zumal Tocqueville aus dieser Beobachtung auch das Recht auf friedliche Sezession für die Einzelstaaten ableitete und der Bundesregierung die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu deren Verhinderung absprach: „Si aujourd’hui un de ces mêmes Etats voulait retirer son nom du contrat, il serait assez difficile de lui prouver qu’il ne peut le faire. Le gouvernement fédéral, pour le combattre, ne s’appuirait d’une manière évidente ni sur la force, ni sur le droit.“164 Diese Argumentation steht in einem eklatanten Widerspruch zu den Erörterungen, welche Tocqueville in seinem Kapitel zur Bundesverfassung entwickelt hatte und ist umso irritierender, als er einige Seiten später die Nullification-Theorie Calhouns diskutierte und dort wiederum meinte:
161 Vgl. Madison James, Federalist No. 10 & Federalist No. 51, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 321. Vgl. hierzu auch Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 155–157. 162 Auf diese Widersprüche aufmerksam macht Schleifer James T., The Making of Tocqueville’s Democracy in America, S. 128–134, wohingegen Thierry Chopin sie relativiert, vgl. Chopin Thierry, Tocqueville et l’idée de fédération, S. 75. Lucien Jaume vermag demgegenüber in diesen Widersprüchen gar eine rhetorische Strategie Tocquevilles zu erblicken, welche im Anschluss an Montesquieu darauf ziele, dass der Leser zum selbständigen Nachdenken angeregt werde („il ne s’agit pas de faire lire, mais de faire penser“), vgl. Jaume Lucien, Tocqueville, S. 9–10. 163 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 385. 164 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 385.
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J’ai montré en son lieu que le but de la constitution fédérale n’a point été d’établir une ligue, mais de créer un gouvernement national. Les Américains des Etats-Unis, dans tous les cas prévus par leur constitution, ne forment qu’un seul et même peuple. Sur tous ces points-là, la volonté nationale s’exprime, comme chez tous les peuples constitutionnels, à l’aide d’une majorité. Une fois que la majorité a parlé, le devoir de la minorité est de se soumettre. Telle est la doctrine légale, la seule qui soit d’accord avec le texte de la constitution et l’intention connue de ceux qui l’établirent.165
Gemäß seinen eigenen Ausführungen zur Möglichkeit einer friedlichen Sezession der Einzelstaaten und zur fehlenden verfassungsrechtlichen Grundlage der Bundesregierung, Einzelstaaten von einer Sezession abzuhalten, müsste man indessen wiederum annehmen, dass die Vereinigten Staaten durchaus eine auf einem Vertrag zwischen den politischen Handlungseinheiten der Einzelstaaten basierende Liga seien – eine Grundlage, auf welcher man auch der Nullification eine verfassungsrechtliche Legitimität kaum hätte absprechen können. Diese Widersprüche in Tocquevilles Interpretation der amerikanischen Bundesverfassung entgingen auch seinem amerikanischen Herausgeber John C. Spencer nicht. „The remarks respecting the inability of the Federal government to retain within the Union any state that may chose to withdraw its name from the contract‘, ought not to pass through an American edition of this work, without the expression of a dissent by the editor from the opinion of the author“, rechtfertigte Spencer seine Entscheidung, an dieser Stelle des amerikanischen Textes einen ausführlichen Kommentar anzubringen. „The laws of the United States must remain in force in a revolted State, until repealed by Congress“, korrigierte Spencer Tocquevilles Ausführungen, „the courts of the United States must sit, and must decide the causes submitted to them; as has been happily explained by the author, the courts act upon individuals.“166 Spencer spekulierte, dass Tocqueville diese Zeilen womöglich im Zuge der Nullification-Debatte geschrieben und dem Umstand zu wenig Rechnung getragen habe, dass das Resultat dieser Kontroverse „the supremacy of the Union and its laws“ bestätigt habe. Dies unterstrich wiederum die eigentliche Einsicht Tocquevilles, „that the acts of the general government operate through the judiciary, upon individual citizens, and not upon the States.“167 Anders ausgedrückt: Spencer war der Ansicht, dass Tocqueville die Tragweite seiner eigenen Ausführungen zur Problematik der geteilten Souveränität im amerikanischen Bundesstaat nicht richtig eingeschätzt habe und in der Beurteilung der Zukunft der Union wieder in ein Narrativ zurückfiel,
165 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 407. 166 Spencer John C., Notes by the American Editor, S. 459–460. 167 Spencer John C., Notes by the American Editor, S. 460.
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das eher einer Adaption von Montesquieu glich als einer kritischen Reflexion über die Argumente James Madisons.168 Diese Ambivalenzen und Widersprüche im Text von Tocqueville sind indessen weniger interessant, wenn man sie in einer personalisierenden Art und Weise auf das fehlende Bewusstsein Tocquevilles für seine eigenen Widersprüche oder auf einen Mangel an kritischer Re-Lektüre seines eigenen Textes zurückführt. Stattdessen lassen sich diese Widersprüche auch als Ausdruck der tiefgreifenden konzeptionellen Transformation des Föderalismusbegriffs im Zuge der Ratifikationsdebatten von 1787/88 und der damit zusammenhängenden Ambivalenz des amerikanischen Föderalismus im Zeitalter Jacksons lesen. Diese Ambivalenz und semantische Unbestimmtheit des Föderalismusbegriffs beobachtete Tocqueville nicht nur vor Ort, als er in den frühen 1830er Jahre die Vereinigten Staaten bereiste. Sie war auch ein wichtiger Bestandteil seiner Korrespondenz mit amerikanischen Kollegen und Freunden und sie widerspiegelt sich letztlich auch in seinem Quellenkorpus, aus welchem er De la démocratie en Amérique ausarbeitete. Aber sie fand kaum Einlass in die Ausarbeitung seiner Argumente zum amerikanischen Föderalismus in De la démocratie en Amérique. Dass sich Tocqueville weniger um die spezifischen Handlungskontexte gekümmert hat, in welchen Texte wie der Federalist oder Storys Commentaries entstanden sind, hat sicherlich auch mit seiner Absicht zu tun, in Amerika mehr sehen zu wollen als Amerika, also mit seiner Bevorzugung abstrakter Konzepte, generalisierender Interpretationsrahmen und großer Fragen gegenüber der Mühsal einer detaillierten Kontextualisierung seiner Quellen und Informanten. Eine solche Perspektive hätte die interpretativen Differenzen zwischen den unterschiedlichen im Nordamerika der 1830er Jahre zirkulierenden Föderalismusinterpretationen nicht hinter dem Schleier eines angeblichen „accord tacit, une sorte de consensus universalis“ verdeckt, den Tocqueville unter den Amerikanern zu beobachten glaubte, wenn es um die konstitutionellen Grundlagen ihrer Föderativrepublik ging.169 Im Gegenteil war es gerade die umstrittene Bedeutung dieser grundlegenden Konzepte der amerikanischen Föderativrepublik, welche regelmäßig zu Debatten führte, entlang welcher sich die unterschiedlichen Vorstellungen dessen, was die Union sei und wie ihr föderales Gefüge ineinander greifen sollte, herauskristallisierten. Tocqueville scheiterte mitunter nicht nur daran, wie Sean Wilentz mit guten Gründen kritisiert hat, die „many democracies“ im Amerika des Zeitalters Andrew Jacksons
168 Vgl. Maletz Donald J., The Union as Idea, S. 617. 169 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 416. Hervorhebungen im Original.
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ins Blickfeld zu rücken;170 er griff mitunter auch dann zu kurz, wenn es darum ging, die umkämpften Interpretationen des amerikanischen Föderalismus im antebellum-Amerika, die „many federalisms“, hinlänglich zu kontextualisieren und zu differenzieren. Dies hätte ihm vielleicht einige Widersprüche erspart, die in seiner Interpretation des amerikanischen Bundesstaates und dessen Zukunft auftauchen. *** Alexis de Tocquevilles Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus muss in den Kontext einer postrevolutionären Transition gestellt werden.171 Das emanzipatorische Potenzial der atlantischen Revolutionen drückte sich gewissermaßen in zwei Diskurssträngen aus, die in Tocquevilles Perspektive in den postrevolutionären Kontexten Nordamerikas und Europas in ein Spannungsverhältnis gerieten: der Schutz des Individuums und dessen Freiheit einerseits, der Wunsch nach politischer Partizipation am Gemeinwesen und an der Teilhabe an politischer Macht andererseits.172 Die politische Sprache des Föderalismus schien in dieser Hinsicht Argumente zu liefern, welche dieses Verhältnis zwar nicht aufzulösen vermochten, es allerdings erträglicher machten. Die Kanonisierung Tocquevilles als Repräsentant des französischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts hat in mancherlei Hinsicht die klassisch-republikanischen Dimensionen seiner politischen Sprache aus dem Blickfeld gerückt, indem sie das oben genannte und von Tocqueville reflektierte Spannungsverhältnis nach der Seite des Schutzes individueller Freiheit aufgelöst hat. Vieles spricht indessen dafür, dass es Tocqueville nicht darum ging, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, sondern es zu ertragen. Wie Andrew Jainchill zu bedenken gegeben hat, lässt sich Tocqueville vielleicht treffender in seinem historischen Kontext einordnen, wenn er als „a transitional figure“ verstanden wird, „whose thinking remained rooted in the early modern classical-republican tradition at the same time that he so
170 Wilentz Sean, Many Democracies, S. 224–225. 171 Vgl. hierzu auch Mélonio Françoise, Tocqueville et les Français, S. 7–8, die allerdings Tocqueville eher als Analytiker einer umfangreicheren, von der Französischen Revolution bis ins 20. Jahrhundert reichenden und explizit französischen demokratischen Transitionsphase begreift, in welcher es v. a. darum ging, „à concilier le libéralisme et la démocratie.“ 172 Dahinter verbirgt sich natürlich auch Constants Differenzierung zwischen der „liberté des anciens“ und der „liberté des modernes“, vgl. Constant Benjamin, De la liberté des anciens comparée à celle des modernes. Zu den Ähnlichkeiten zwischen Constants und Tocquevilles Wahrnehmung dieses Problems vgl. Jaume Lucien, L’individu effacé ou le paradoxe du libéralisme français, S. 82–86; Jainchill Andrew, Reimagining Politics After the Terror, S. 292–295.
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10 Tocqueville und die föderale Bändigung der Tyrannei der Mehrheit
eloquently articulated liberal and other more modern sentiments.“173 Aus einer solchen Perspektive betrachtet, stellen sich auch neue Fragen zur politischen Sprache des Föderalismus bei Tocqueville. Tocqueville ging es wie dem Großteil seiner native informants in Nordamerika um das Problem, wie der aus den atlantischen Revolutionen hervorgegangene und in diesem Kontext als emanzipatorisch empfundene Demokratisierungsimpuls in institutionelle und kulturelle Bahnen geleitet werden konnte, welche die gewonnenen Freiheiten und konstitutionellen Ordnungen vor den Bedrohungen eines weiter getriebenen egalitären Demokratisierungsanspruchs zu schützen vermochten. Der Föderalismus erlaubte es in Tocquevilles Perspektive, eine grundsätzlich demokratische Gesellschaft, in welcher das Prinzip der Volkssouveränität zum „loi des lois“ erklärt wurde, mit institutionellen Strukturen und Entscheidungsebenen zu durchsetzen, welche die in demokratischen politischen Gemeinwesen befürchtete Tyrannei der Mehrheit brechen konnten. Aus der Perspektive der alltäglichen sozialen und politischen Praxis der republikanischen Selbstregierung betrachtet, erleichterte eine föderale Ordnung die Kultivierung von Bürgertugenden, weil die Bürger aufgrund der Kleinräumigkeit der politischen Verhältnisse an ihren öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen konnten und über Prozesse der politischen Deliberation und Assoziation zu einem gemeinsamen politischen Handeln fanden, das partikuläre Interessen zu transzendieren vermochte. Die durch den Föderalismus geförderte zivilgesellschaftliche und politische Selbstorganisation verhinderte in dieser Sichtweise, dass die Gesellschaft durch den individualistischen Impuls der Demokratisierungsprozesse zur reinen Masse verkommt und damit zu Wachs in den Händen der Herrschenden und des Staates. Der Föderalismus operierte dementsprechend auf beiden Bühnen des Politischen, welche Tocqueville in ein dialektisches Verhältnis rückte: auf der Ebene der Institutionen und Gesetze und auf der Ebene der mœurs und der politischen Kultur. Und schließlich ging es Tocqueville ja auch darum, wie er selbst schrieb, „de montrer, par l’exemple de l’Amérique, que les lois et surtout les mœurs pouvaient permettre à un peuple démocratique de rester libre.“174 Bei allen blinden Flecken, Inkonsistenzen, Ambivalenzen und Widersprüchen, die sich in Tocquevilles Erörterung des amerikanischen Föderalismus auch beobachten lassen, bleibt doch dies die Hauptthese seiner Argumente: Das
173 Jainchill Andrew, Reimagining Politics After the Terror, S. 305. Vgl. aber auch die Argumentation von Annelien de Dijn, die Tocqueville stärker von der politischen Sprache des aristokratischen Liberalismus beeinflusst sieht, Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville, S. 153. 174 Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 329.
10.5 Many Federalisms?
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Wechselverhältnis zwischen föderaler Ordnung und republikanischer Selbstregierung gehörte in Tocquevilles Sichtweise zu jenen Institutionen und politischen Praktiken, welche die Freiheit im Zeitalter der demokratischen Revolution vor ihren eigenen Dynamiken zu schützen vermochten.
11 Bundesstaat ohne Demokratie?Föderalismusinterpretationen in der deutschen Staatslehre bei Robert Mohl und K. J. A. Mittermaier „The French Revolution was transformative“, schrieb David Blackbourn kürzlich über den Zusammenhang zwischen den atlantischen Revolutionen und den politischen Entwicklungen Deutschlands. „Most obviously, it redrew the map of central Europe, destroyed the Holy Roman Empire, and turned Germany into a constitutional laboratory.“1 Mit der Suche nach dem „German place within the Atlantic world“ im Zeitalter der Revolutionen und mit der Akzentuierung des experimentellen Charakters der revolutionären und postrevolutionären politischen Diskurse in Deutschland steckte Blackbourn ein historisches Untersuchungsfeld ab, das im Folgenden im Hinblick auf die Föderalismussemantik im Vorfeld der 1848er Revolution etwas näher bearbeitet werden soll. Denn Teil der Versuchsanordnung in diesem konstitutionellen Labor Deutschlands – um in Blackbourns Bildsprache zu bleiben – war auch eine transkulturell geführte „experimentelle Diskussion“2 darüber, inwiefern föderale Ordnungen als Mittel zur konstitutionellen Neuordnung der zerklüfteten postrevolutionären politischen Gesellschaften des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation taugten und inwiefern sich das amerikanische Experiment unter diesen Bedingungen aneignen ließ. Deutsche Intellektuelle begannen insbesondere nach 1830 nicht nur damit, den amerikanischen Föderalismus einer nun aufmerksameren – manchmal kritischeren und manchmal affirmativeren – Beobachtung zu unterziehen, sondern standen oft selbst in transkulturellen Kommunikationsnetzen, in welchen sie die Chancen und Grenzen einer Rezeption und Adaption des amerikanischen Föderalismus prüften. Die Kommunikationskanäle, welche deutsche Intellektuelle mit ihren französischen, nordamerikanischen und schweizerischen Kollegen verbanden, waren mannigfaltig und beschränkten sich keineswegs nur auf die Zirkulation von Büchern über die Grenzen hinweg. Kooperationen an gemeinsamen Zeitschriften wie der Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes oder an Publikationen wie dem Staatslexikon, Reisetätigkeiten, der Besuch von Verfassungsfesten und politischen Banketten sowie ein reger Briefverkehr ließen mithin auch persönliche Bekanntschaften entstehen, die für die Herausbildung einer kritischen Diskussion über föderale Ordnungsideen oftmals eine katalytische Wirkung hatten und
1 Blackbourn David, Germany and the Birth of the Modern World, 1780–1820, S. 11 & 14. 2 Brandt Hartwig, Über Konstitutionalismus in Deutschland, S. 261.
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auch zur Stabilisierung eines kommunikativen Austauschs über Landesgrenzen hinweg beitrugen.3 Dieses Kapitel nimmt einen Ausschnitt dieser transkulturellen und transatlantischen kommunikativen Verflechtungen mit einem Schwerpunkt auf liberale süddeutsche Publizisten zum Ausgangspunkt, um eine spezifische Ausprägung des Föderalismusdiskurses im postrevolutionären Europa zu untersuchen.4 Ein Föderalismusdiskurs nämlich, der sich zwar intensiv mit dem amerikanischen Bundesstaat auseinandersetzte, diesen aber durch ein Prisma betrachtete, in welchem sich Diskurse des aufgeklärt-absolutistischen Verwaltungsstaates mit klassisch-republikanischen Vorstellungen und Forderungen der konstitutionellen Bewegung spannungsreich überlagerten. Befragt wurde der amerikanische Föderalismus in dieser Perspektive auf seine Anschlussfähigkeit an konstitutionell-monarchische Ordnungen, wodurch er zum Element der im deutschen Frühliberalismus zum Leitbild gewordenen „Mischverfassung“ wurde, gleichzeitig aber auch von seinen demokratisch-republikanischen Entstehungsbedingungen im amerikanischen Kontext abgekoppelt wurde.5 Was Nordamerika für diese süddeutschen „Gelehrten-Intellektuellen“ interessant machte, war weniger der demokratisch-republikanische Charakter der Verfassung als vielmehr die Bundesstaatlichkeit.6 Mehr noch: Föderalismus erschien hier nicht als politische Sprache, um Demokratie in der großflächigen Republik zu ermöglichen und zu
3 Vgl. zu diesen Zusammenhängen zwischen transnationalen Kommunikationsnetzen und politischen Identitäten Featherstone David, The Spatial Politics of the Past Unbound. 4 Wenn im Folgenden von „Liberalismus“, „Liberalen“, etc. gesprochen wird, ist die inhaltliche Heterogenität und räumliche Fragmentierung liberaler Theoriebildung ebenso wenig ausgeklammert wie die Vielschichtigkeit dieser Begriffe oder auch die heterogene soziale Zusammensetzung derer, die sich Liberale nannten. Vgl. hierzu Sheehan James J., Liberalism and Society in Germany, 1815–1848, S. 591 & 601; Gall Lothar, Liberalismus und „Bürgerliche Gesellschaft“, S. 324–325; Langewiesche Dieter, Liberalismus in Deutschland, S. 12–38; Leonhard Jörn, Liberalismus, S. 28–37. 5 Zu den Traditionen des klassischen Republikanismus und des Kommunalismus in Süddeutschland vgl. Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik; Blickle Peter, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus. Zum Leitbild der Mischverfassung vgl. grundlegend Riklin Alois, Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung. 6 Vgl. zu diesem Begriff Hübinger Gangolf, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit, S. 12–13, der damit einen Sozialtypus meint, der sich durch die „Spannung und Wechselwirkung zwischen wissenschaftlicher Kreativität, öffentlicher Kommunikationsfähigkeit und zivilbürgerlichem Engagement“ charakterisiert, der „die gesellschaftliche Hochschätzung der Universitäten und die persönliche Autorität durch sein wissenschaftliches Werk erfolgreich nutzte und im Streit um politische Ordnungen und kulturelle Orientierungen eine hörbare Sprecherrolle übernahm“ und der sich insbesondere im Kontext der Revolutionen von 1830 und 1848 vermehrt Gehör zu verschaffen wusste.
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organisieren, wie es deutsche demokratisch-republikanische Autoren mit ihrem Leitbegriff der „Föderativrepublik“ einforderten; die Rede vom „Bundesstaat“ erschien stattdessen als Mittel, demokratische Teilhabeansprüche verwaltungsmäßig zu organisieren und zu begrenzen. Das diskursive Leitbild einer föderativen Organisation der konstitutionellen Monarchie kam einem weit verbreiteten Bedürfnis des frühen deutschen Liberalismus entgegen, wie dies Pierangelo Schiera formuliert hat, „nicht allzu sehr die institutionelle Kontinuität zu zerreißen (Nein zur Revolution)“, aber gleichzeitig „die Fortentwicklung und Verteidigung“ neuer „Interessen zu garantieren (Ja zu den Reformen)“.7 Reformen auf der Ebene von nationalen Einigungsbestrebungen und administrativer Modernisierung wurden insbesondere nach 1830 – im Zuge dessen, was Reinhard Blänkner „die ‚reichsnationale‘ Transformation des konstitutionellen Denkens“ in Deutschland genannt hat8 – vermehrt mit Bezugnahme auf den amerikanischen Bundesstaat artikuliert. Reformen auf der Ebene demokratischer Teilhabe und volkssouveräner Grundierung des politischen Gemeinwesens, wie man sie ebenfalls mit Bezugnahme auf die amerikanische Föderativrepublik hätte einfordern können, blieben demgegenüber zu einem beträchtlichen Teil ausgeklammert.9 Der amerikanische Föderalismus geriet also zu jenem Zeitpunkt ins selektive Blickfeld deutscher Intellektueller, als die „reichsnationale Transformation“ des deutschen Verfassungsdiskurses einsetzte. Zuvor richteten sich Ansprüche nach Verfassungsstaatlichkeit, d. h. nach persönlicher Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Gewaltenteilung, parlamentarischer Repräsentation, Presse- und Versammlungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit in erster Linie an die Einzelstaaten des Deutschen Bundes.10 Dies schloss hingegen nicht aus, auch nach der nationalen Einheit Deutschlands zu rufen. Die Frage war viel eher, wie diese Einheit aussehen sollte. Karl von Rotteck brachte diese Spannungslage 1832 in einer Rede auf einer Verfassungsfeier in Badenweiler auf den Punkt: „Ich will die Einheit nicht anders als mit Freiheit, und will lieber Freiheit ohne Einheit, als Einheit ohne Freiheit … Ich will keine Einheit unter den Flügeln des preußischen oder des östreichischen Adlers.“ In Rottecks Perspektive erschien die „Befestigung und Behauptung“ der „Selbstständigkeit der konstitutionellen deutschen Staaten“ „als nöthige Vorbedingung einer auch für die Bundesverfassung zu erringenden volksthümlichen Reform, so wie als unentbehrliche Gewährleistung des Rechts-
7 Schiera Pierangelo, Konstitutionalismus und Vormärz in europäischer Perspektive, S. 24. 8 Blänkner Reinhard, Der Vorrang der Verfassung, S. 322. 9 Vgl. Blackbourn David, Germany and the Birth of the Modern World, 1780–1820, S. 16. 10 Vgl. Blänkner Reinhard, Die Idee der Verfassung in der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts in Deutschland, S. 314.
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zustandes jedes einzelnen Staates.“11 Damit machte Rotteck gleich auf mehrere grundlegende Bedingungen aufmerksam, unter welchen die Semantik des Föderalismus im frühen 19. Jahrhundert ausgehandelt wurde: der föderative Grundzug in den Verfassungsdiskursen Deutschlands, die Interdependenz von konstitutioneller Entwicklung auf der Ebene der Einzelstaaten und der Ebene des Bundes, die Koexistenz von Staaten mit Gesamtverfassung und solcher ohne, und schließlich der Dualismus zwischen und gleichzeitig die hegemoniale Stellung von Österreich und Preußen, welche beide zu jenen deutschen Staaten gehörten, die keine Gesamtverfassung hatten.12 Deutlich wird an diesen von Rotteck angedeuteten Problemfeldern die spezifische Konstellation, dass die Staats- und Nationsbildung sich in Deutschland auf zwei Ebenen vollzog: „auf der gesamtdeutschen wie auf der partikularstaatlichen“.13 Letztere beförderte durch die fragmentierte Struktur politischer Öffentlichkeiten, durch kulturelle Erinnerungsdiskurse und -praktiken, durch wirtschaftliche und administrative Modernisierungsbestrebungen und bisweilen auch durch relativ fortschrittliche Verfassungsgebungen und Rechtspraktiken die Herausbildung und Konsolidierung partikularstaatlicher politischer Identitäten, welche auch die Loyalität der Bürger zu binden vermochten – ein Umstand, der die Historikerin Abigail Green dazu veranlasste, in diesem vor-nationalstaatlichen Zeitraum der deutschen Geschichte von „Fatherlands“ im Plural zu sprechen.14 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Konflikte zwischen partikularstaatlichen und nationalen politischen Identitäten in einer statischen Konfliktkonfiguration standen, in welcher letztlich die Loyalität der einen politischen Handlungseinheit nur auf Kosten der anderen zu haben war. Stattdessen war diesem föderativen Grundkonflikt eine interdependente, dynamische und elastische Verhältnisbestimmung eingeschrieben, welche die schließlich eingetroffene Lösung eines preußisch dominierten kleindeutschen Bundesstaates weder zur
11 Der Freisinnige. Freiburger politische Blätter, Nr. 106, 16. Juni 1832, S. 427–428. Zu Rotteck vgl. Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 159–163. 12 Vgl. hierzu die Überblicke bei Botzenhart Manfred, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848–1850, S. 21–90; Siemann Wolfram, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 21– 81; Langewiesche Dieter, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849, S. 59–71; Müller Jürgen, Der Deutsche Bund 1815–1866, S. 12–30, 76–88. 13 Sellin Volker, Nationalbewusstsein und Partikularismus in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 257. Vgl. hierzu auch Ritter Gerhard A., Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland in Geschichte und Gegenwart, S. 7–11. 14 Vgl. Green Abigail, Fatherlands; Dann Otto, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismus-Problems, S. 55; Umbach Maiken, History and Federalism in the Age of NationState Formation, S. 43–45.
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Notwendigkeit machte, noch das Verhältnis von Einzelstaaten und deutschem Nationalstaat in ein Nullsummenspiel verwandelte.15 Die politische Sprache des Föderalismus wurde oft von jenen bemüht, welche die partikularstaatliche Diversität gerade als inhärenten Bestandteil nationaler Identität begriffen, sich also gerade weigerten, der Ausschließlichkeitslogik partikularstaatlicher oder nationalstaatlicher Loyalitätsansprüche Folge zu leisten. Der Wunsch nach deutscher Einheit leuchtete bisweilen hell am politischen Zukunftshorizont frühliberaler politischer Theoretiker, allerdings betrachtete man diesen Wunsch mitunter auch aus partikularstaatlich gebrochenen Perspektiven und knüpfte ihn – wie in der Rede Rottecks deutlich wird – auch an konstitutionelle und politische Bedingungen. In diese komplexe und dynamische politische Kultur einer „föderativen Nation“,16 in welcher sich die Erfahrungen „jahrhundertealten Wiederholungsstrukturen föderaler Organisationsfähigkeit“ niederschlugen,17 schrieb sich nun auch die Rezeption des amerikanischen Föderalismus ein. Erst durch die „Überformung des partikularstaatlichen Verfassungsrahmens durch die Zunahme der interregionalen, ‚gesamtnationalen‘ Dimension der Politik infolge der kulturell-kommunikativen und […] ökonomischen Verdichtung“ wurden die Erfahrungsbedingungen geschaffen, um den Bundesstaat in einen nun scheinbar realisierbaren Erwartungshorizont der deutschen Einigungsbewegung zu stellen und damit auch die Vorbildlichkeit des amerikanischen Bundesstaats
15 Vgl. zu den Debatten um die föderativen Grundzüge in der deutschen Geschichte Langewiesche Dieter, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation, S. 215–223; Green Abigail, The Federal Alternative? S. 192; Umbach Maiken, History and Federalism in the Age of Nation-State Formation, S. 44; Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, S. 104. Auf diese Zusammenhänge aufmerksam machte bereits James Sheehan, als er den „persistent struggle between cohesion and fragmentation“ als eine der signifikanten Entwicklungslinien der deutschen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert identifizierte, vgl. Sheehan James J., What is German History? S. 22. Vgl. hierzu auch die Überlegungen von Helmut Rumpler, der 1977 die „Arbeitshypothese“ in den Raum stellte, „ob denn die Geschichte der Demokratie in Deutschland nicht einen einfacheren Weg genommen hätte, wenn die Fixierung auf den nationalen Einheitsstaat nicht so stark gewesen wäre“, vgl. Rumpler Helmut, Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (1815–1871), S. 216. 16 Vgl. aus der umfangreichen Literatur, auf welche im Kapitel zum historiographischen Kontext umfassend verwiesen wird, Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild; Wellenreuther Hermann, Die USA. Ein politisches Vorbild der bürgerlich-liberalen Kräfte des Vormärz?; Dreyer Michael, Die Verfassung der USA; Fröschl Thomas, Rezeption und Einfluss der American Constitution in den deutschen Verfassungsdebatten, 1789 bis 1949; Brandt Peter, Gesellschaft und Konstitutionalismus in Amerika 1815–1847. 17 Koselleck Reinhart, Deutschland – eine verspätete Nation? S. 374–375.
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stärker ins Blickfeld zu rücken.18 Signifikant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die „Etatisierung und Nationalisierung“ des deutschen Verfassungsdiskurses mit einer merklichen Aufwertung der staatlichen Verwaltung einherging:19 von der staatlichen Verwaltung erwartete man nunmehr die Lösung jener sozioökonomischen und politischen Konfliktlagen, welche seit den atlantischen Revolutionen und der Industriellen Revolution manifest wurden und gegenüber welchen der einzelstaatliche Konstitutionalismus – dessen Konsolidierung noch Rotteck als Bedingung einer bundesstaatlichen Reform propagiert hatte – an seine Grenzen zu stoßen schien. Diese mehrdimensionale Transformation des Verfassungsdiskurses in Deutschland (von der Verfassung zur Verwaltung, von einem partikularstaatlichen Konstitutionalismus zu einem reichsnationalen Verfassungsdiskurs, vom „Vorrang der Verfassung“ zum „Vorrang des Staates“20) schuf die kulturellen und politischen Dispositionen, unter welchen der amerikanische Föderalismus rezipiert und gedeutet wurde. Die Rezeption des amerikanischen Föderalismus in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt dementsprechend in die spannungsreiche Übergangszeit zwischen einer asymmetrischen und ungleichzeitigen Verwandlung der deutschen Einzelstaaten in Verfassungsstaaten, der Reform des Deutschen Bundes hin zu einem modernen Nationalstaat und der gebremsten Demokratisierung und Parlamentarisierung des politischen Gemeinwesens.21 In diesen vielschichtigen und dynamischen Kontexten bewegten sich auch die beiden süddeutschen Juristen Robert Mohl und Karl Joseph Anton Mittermaier, deren kommunikative Netze und deren Beschäftigung mit föderalen Ordnungen im Folgenden thematisiert werden.
18 Vgl. Blänkner Reinhard, Die Idee der Verfassung in der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts in Deutschland, S. 318. 19 Vgl. Blänkner Reinhard, Die Idee der Verfassung in der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts in Deutschland, S. 318–325. Stolleis spricht in diesem Zusammenhang von einer „Parallelität von Verfassungsgeschichte und Wissenschaftsgeschichte“, vgl. Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 262. Vgl. hierzu auch Fehrenbach Elisabeth, Verfassungsstaat und Nationsbildung, 1815–1871, S. 17–24; Schiera Pierangelo, Laboratorium der bürgerlichen Welt, S. 129–135. Mit dem Fokus auf das Kaiserreich, aber die Kontinuitätslinien bis zurück in den Vormärz ziehend argumentieren Schlüter Bernd, Reichswissenschaft, S. 11–33 und Schiera Pierangelo/Gherardi Raffaela, Von der Verfassung zur Verwaltung. 20 Vgl. Blänkner Reinhard, Der Vorrang der Verfassung, S. 322–325; Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 76–77. 21 Vgl. Sheehan James J., Liberalism and Society in Germany, 1815–1848; Siemann Wolfram, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 29–35.
11.1 Die Konstruktion kommunikativer Netze
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11.1 Die Konstruktion kommunikativer Netze Am 23. März 1823 notierte David Bailie Warden in sein Tagebuch, in welchem er die zahlreichen Gäste einzutragen pflegte, die ihn an der Rue Pot de Fer No. 12 im Faubourg St. Germain besuchten: „Mohl (Le Docteur/allemand) – qui s’occupe d’un travail sur les États-Unis. rec. par M. Depping.“22 David Bailie Warden war im Paris der 1820er Jahre eine wichtige Anlaufstelle für viele Europäer, die sich, wie Robert Mohl und Georges-Bernard Depping, für die Geschichte und das politische System der Vereinigten Staaten interessierten, so wie er es umgekehrt für amerikanische Reisende war, die sich mit Europa beschäftigten. Georges-Bernard Depping, der deutsch-französische Historiker, der im März 1823 Warden den jungen deutschen Juristen Robert Mohl vorstellte und zu den ersten politischen Schriftstellern gehörte, welche die Begriffsdifferenzierung zwischen fédération d’états und état fédératif in den politischen Diskurs Frankreichs einführten,23 würdigte nach Wardens Tod insbesondere dessen Engagement für die transatlantische Wissensvermittlung. Warden habe sich besonders für die kommunikativen Verbindungen verdient gemacht, welche er „entre les savants de l’ancien monde et ceux du nouveau“ aufgebaut und stabilisiert habe: „à ceux-ci il communiquait en effet les résultats des recherches savantes qui se faisaient en Europe, surtout en France, et à notre tour nous recevions de lui des communications intéressantes sur les travaux des savants américains.“24 In die Ströme dieser transatlantischen Wissenszirkulation wurde nun im Frühjahr 1823 auch Robert Mohl eingebunden. Mohl hatte im Jahr zuvor in der berühmten Americana-Sammlung der Göttinger Bibliothek damit begonnen, ein Buch über das amerikanische Verfassungsrecht zu schreiben, dieses allerdings nicht zu Ende gebracht.25 In Paris konnte Mohl nun seine Beschäftigung mit dem amerikanischen Bundesstaatsrecht fortsetzen
22 Warden David Bailie, Diary 1817–1824, in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Box 27. Zu Wardens Biographie vgl. Haber Francis C., David Bailie Warden; Butler William E., David Bailie Warden and the Development of Consular Law. 23 Vgl. Depping Georges-Bernard, Confédération d’états, S. 546. Vgl. zu Deppings Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus auch Depping Georges-Bernard, Rezension zu Wardens Déscription statistique des États-Unis d’Amérique. 24 Depping Georges-Bernard, Notice sur la Vie et les Travaux de M. David Bailie Warden, S. 66. Vgl. hierzu auch Haber Francis C., David Bailie Warden, S. 32–37. 25 Vgl. Mohl Robert von, Lebens-Erinnerungen, I, S. 119–120, 128, 133. Vgl. hierzu auch die biographisch-intellektuellen Skizzen zu Mohl bei Lerg Charlotte A., Amerika als Argument, S. 118– 138 und bei Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 172–176; Henkel Michael, Robert von Mohl (1799–1875). Ausführlich zu Mohl vgl. Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875.
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und hierfür von zahlreichen sozialen Kontakten profitieren, die ihm auch bei späteren Besuchen eine rasche Aufnahme ins Pariser Gesellschaftsleben ermöglichten. Robert Mohls Bruder, der Orientalist Jules Mohl, ließ sich kurze Zeit später in Paris nieder, wo er mit der bekannten Salonnière Mary Clarke liiert war, in deren Salon unter anderen Tocqueville, Carlo Botta, Édouard de Laboulaye, Benjamin Constant, George Grote, Augustin Thierry und auch David Bailie Warden zu den habitués gehörten.26 Aus diesen vielseitigen Kontakten entstand ein soziales Beziehungsgeflecht, das es Mohl schließlich erlaubte, ausgiebig von Wardens Bibliothek Gebrauch zu machen, den ersten Teil seiner Arbeit über das Bundesstaatsrecht der Vereinigten Staaten abzuschließen und damit einen wichtigen Beitrag zur deutschen Amerikaliteratur und insbesondere zum amerikanischen Föderalismus vorzulegen.27 Nach der Veröffentlichung seines Buches schickte Mohl ein Exemplar an Warden und kommentierte: C’est à votre bonté, Monsieur, que je dois la plus grande partie des matériaux nécessaires, c’est donc à vous, que j’en offre le résultat avec gratitude. Vous n’y trouverez certainement rien de nouveau, vous y trouverez même beaucoup d’inexactitude et des lacunes, mais vous daignerez observer, que ce n’étaient pas les Américains, que j’avais en vue, en publiant un aperçu de votre constitution fédérative, mais mes compatriotes, qui sont bien loin d’en avoir les connaissances nécessaires, quoique gouvernés eux-mêmes par une constitution fédérative.28
Es gab eben föderale und föderale Verfassungen, wie Mohl auch in seinem Buch darlegte, und wo er dies darauf zurückführte, dass „schon in der Natur eines Bundes ein innerer Widerspruch“ vorliege, nämlich Einheit und Vielheit gleichzeitig zu beanspruchen. Je nach dem, in welche Richtung die assoziierten Staaten
26 Vgl. Law Pamela, Mary Clarke and the Nineteenth-Century Salon; Smith Marion Elmina, Une anglaise intellectuelle en France sous la Restauration, S. 17–19, 119 & 122; O’Meara K., Un salon à Paris, S. 50–51; Mohl Robert von, Lebens-Erinnerungen, I, S. 36. Zum Wandel der Salonkultur im Allgemeinen vgl. Kale Steven, French Salons, S. 3–8. 27 Vgl. hierzu die zahlreichen Briefe Mohls an Warden mit Bitten zur Nutzung der Bibliothek und zur Ausleihe von Büchern in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Vol. 15, MO-MY. Zu Wardens Bibliothek vgl. den publizierten Katalog: Warden David Bailie, Bibliotheca Americana. Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika. Mohl hatte ursprünglich die Veröffentlichung eines zweiten, das amerikanische Verwaltungsrecht thematisierenden Bandes vorgesehen und obwohl das Manuskript praktisch druckreif war, wurde dieser zweite Teil nie veröffentlicht. Zur Einschätzung und Kontextualisierung von Mohls Buch vgl. Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, S. 2, 19, 21; Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 26–27. 28 Robert von Mohl an David Bailie Warden, 10. März 1824, in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Vol. 15, MO-MY.
11.1 Die Konstruktion kommunikativer Netze
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tendierten, müsse man von einem „Staatenbund“ oder von einem „Bundesstaat“ sprechen.29 Und es war gerade das „merkwürdige“ an der konstitutionellen Entwicklung der Vereinigten Staaten, dass sie „die in der Erfahrung bei weitem seltenere, und in der Ausführung ungleich schwierigere der beiden Bundesarten, nämlich einen förmlichen Bundesstaat“ herausgebildet habe.30 Mit der Veröffentlichung von Mohls Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika war ein wichtiger Schritt für vergleichende verfassungsgeschichtliche Perspektiven getan, die Mohl in den folgenden Jahren zusammen mit seinem Heidelberger Kollegen Karl Joseph Anton Mittermaier weiter ausbaute und mit der Gründung von Zeitschriften und der Veröffentlichung von komparativen Aufsätzen zu institutionalisieren versuchte.31 Mittermaier, der Heidelberger Rechtsprofessor, unterhielt seinerseits ein umfangreiches Korrespondenznetz, welches er für seine Herausgeberschaft der Kritischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes nutzte, und welches ihm erlaubte, relativ rasch in den Besitz von politischer Literatur aus dem Ausland zu kommen und diese dann von den Mitarbeitern seiner Zeitschrift besprechen zu lassen.32 Parallel dazu saß Mittermaier ab 1831 in der Badischen Kammer als Abgeordneter, wo er sich mit Karl Theodor Welcker und Karl Rotteck anfreundete und für deren Staatslexikon er später eine Reihe von Artikeln verfasste.33 Was die Literatur- und Wissensvermittlung aus den Vereinigten Staaten betrifft, spielte Francis Lieber eine signifikante Rolle. Es war Lieber, der ab den frühen 1830er Jahren zahlreiche Neuerscheinungen an seinen Freund Mittermaier schickte und diesen unter seinen Bekannten im Whig-Milieu Neuenglands bekannt machte.34 Über Liebers Empfehlungen trat Mittermaier schließlich
29 Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. III–IV. 30 Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. VIII. 31 Vgl. Mußgnug Dorothee (Hrsg.), Briefwechsel Karl Josef Anton Mittermaier – Robert von Mohl; Mohnhaupt Heinz, Rechtsvergleichung in Mittermaiers „Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes“ (1829–1856). 32 Vgl. Dölemeyer Barbara, Wissenschaftliche Kommunikation im 19. Jahrhundert; Mohnhaupt Heinz, Rechtsvergleichung in Mittermaiers „Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes“ (1829–1856). Zum im Deutschland verfügbaren Amerika-Schrifttum allgemein vgl. Franz Eckhart G., Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49, S. 14– 82; Kapp Friedrich, Zur deutschen wissenschaftlichen Literatur über die Vereinigten Staaten von Amerika. 33 Dölemeyer Barbara, Wissenschaftliche Kommunikation im 19. Jahrhundert, S. 294. 34 Vgl. die Briefe Liebers an Mittermaier in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895, und die Briefe Mittermaiers an Lieber in: HL, Francis Lieber Papers, LI 2812-LI 2859. Vgl. hierzu auch Hoeflich M. H., Transatlantic Friendships & the German Influence on American Law in the first Half of the Nineteenth Century; Schnurmann Claudia, Brücken aus Papier, S. 339–354.
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11 Bundesstaat ohne Demokratie?
mit angesehenen Bostoner Juristen wie Joseph Story, Charles Sumner, Luther Stearns Cushing, Simon Greenleaf und John Pickering, aber auch mit Edward Livingston in Kontakt, von welchen Mittermaier wiederum Literatur bezog und im Gegenzug rechtswissenschaftliche Literatur aus Europa über den Atlantik schickte.35 Über diese vielgliedrigen Kommunikations- und Distributionskanäle gelang es Mittermaier schließlich, eine ansehnliche Bibliothek an politischer und staatsrechtlicher Literatur aufzubauen, die beispielsweise für Robert Mohl einen Ersatz für Wardens Sammlung in Paris darstellte, nachdem Warden seine Americana-Bibliothek wegen finanzieller Engpässe an das Harvard College verkauft hatte.36 „Was bleibt in einem von selteneren literar. Hülfsmitteln so ganz verlohrnen Orte, wie Tübingen ist, übrig, als sich auf die Straße zu stellen mit dem Hute in der Hand?“, fragte Mohl seinen Freund Mittermaier einmal, um seine vielen Anfragen nach politischer Literatur aus dessen Bibliothek zu erklären.37 Ein ähnliches Kommunikationsnetz verband Mittermaier auch mit der Schweiz. Hier unterhielt er einen engen Austausch mit dem konservativ-liberalen Genfer Rechtswissenschaftler Antoine-Elisée Cherbuliez, der ausführlich über den schweizerischen Föderalismus schrieb und diesen auch mit dem amerikanischen verglich,38 und mit dem Luzerner Juristen und Politiker Kasimir Pfyffer, der in den frühen 1820er Jahren in Heidelberg und Tübingen studiert hatte und seit der Gründung der Kritischen Zeitschrift 1829 als ständiger Mitarbeiter auf dem Titelblatt angegeben war.39 Später korrespondierte er auch ausgiebig mit Johann
35 Vgl. hierzu die Briefe der Genannten in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 3718.17 und die Briefe Mittermaiers an Edward Livingston in: PUL, Edward Livingston Papers, Box 73, Folder 24; Hunt Charles Havens, Life of Edward Livingston, S. 411. 36 Vgl. hierzu die Kataloge von Mittermaiers Bibliothek in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2790, Heid. Hs. 2791. Zum Verkauf von Wardens Bibliothek vgl. Haber Francis C., David Bailie Warden, S. 36. 37 Robert von Mohl an Karl Joseph Anton Mittermaier, 7. März 1836, in: Mußgnug Dorothee (Hrsg.), Briefwechsel Karl Josef Anton Mittermaier – Robert von Mohl, S. 36–37. 38 Vgl. die Briefe von Cherbuliez an Mittermaier in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.251. Cherbuliez Antoine-Elisée, Essai sur les conditions de l’alliance fédérative en général, et sur le nouveau projet d’acte fédéral; Cherbuliez Antoine-Elisée, Du pouvoir fédéral en Suisse et aux États-Unis. Zu Cherbuliez vgl. die intellektuelle Biographie von Alexis Keller, der allerdings die Beziehungen zwischen Mittermaier und Cherbuliez nicht erwähnt und nur am Rande auf diejenigen zwischen Robert Mohl und Cherbuliez eingeht, aber Cherbuliez’ Vorstellungen von föderalen Ordnungen detailliert diskutiert: Keller Alexis, Le libéralisme sans la démocratie, S. 137–148. 39 Vgl. die Briefe von Pfyffer an Mittermaier in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.1130. Vgl. hierzu auch Mußgnug Dorothee, Einleitung, in: Mußgnug Dorothee (Hrsg.), Briefwechsel Karl Josef Anton Mittermaier – Robert von Mohl, S. 4.
11.2 Der „Sieg der demokratischen Idee“ im Vergleich
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Jakob Rüttimann aus Zürich, der auch dank den vielen Büchern, die ihm Mittermaier aus seiner Americana-Sammlung nach Zürich schickte, sein Buch Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiz schreiben konnte.40 Im Umfeld von Robert von Mohl und Karl Joseph Anton Mittermaier etablierte und konsolidierte sich damit ein soziales Netzwerk von Juristen und Staatswissenschaftlern, die sich allesamt mit föderalen politischen Institutionen auseinandersetzten. In diesem Netzwerk zirkulierte politische und rechtswissenschaftliche Literatur über Nordamerika und Europa; durch die guten transatlantischen Verbindungen wurden die Kommunikationskanäle immer wieder mit Neuerscheinungen gespeist, welche die intellektuellen Auseinandersetzungen mit dem Föderalismus in Übersee dokumentierten und die materielle Grundlage für die zahlreichen komparativen Analysen unterschiedlicher Verfassungen bestellten, welche in dieser Diskursgemeinschaft entstanden.
11.2 Der „Sieg der demokratischen Idee“ im Vergleich und die Entdeckung des unitarischen Bundesstaates Die „Erforschung des rechtlichen Zustandes der Vereinigten Staaten“ sei schon deshalb für die Europäer von Interesse, erklärte Robert von Mohl 1836, weil sich an der amerikanischen Republik der „Prototyp der keineswegs sehr großartigen und herzerhebenden friedfertigen Modification des Demokratismus“ beobachten lasse und damit Erkenntnisse darüber gewonnen werden könnten, „was von der Demokratie in den modernen Verhältnissen zu erwarten steht.“41 Die Lektüre von Alexis de Tocquevilles De la démocratie en Amérique hatte bei Mohl ein Problembewusstsein für die Interdependenz von gesellschaftlichen Demokratisierungsprozessen und institutionellen Arrangements herausgebildet, welches in seinen frühen Arbeiten zum nordamerikanischen Bundesstaatsrecht noch kaum zu beobachten war.42 Waren diese noch, wie Hermann Wellenreuther nicht ganz zu Unrecht urteilte, eher „unverdauliche staatsrechtliche Schriften“,43 kennzeichnen sich die späteren Aufsätze und Essays Mohls durch ein kritisches Sensorium für den Zusammenhang zwischen dem aus den atlantischen Revo-
40 Vgl. die Briefe von Rüttimann an Mittermaier in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.1261. Rüttimann Johann Jakob, Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiz. 41 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 366. 42 Vgl. Henkel Michael, Robert von Mohl (1799–1875), S. 357. 43 Wellenreuther Hermann, Die USA, S. 26.
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lutionen hervorgegangenen Demokratisierungsimpuls, dem Aufkommen der „sozialen Frage“ durch die sozioökonomischen Transformationsprozesse der Epoche und der Rolle des Staates als Regulierungsinstanz der dadurch dynamisierten Gesellschaft. Mit zu dieser Schärfung des Problembewusstsein beigetragen hat sicherlich auch seine fortgesetzte Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf der anderen Seite des Atlantiks, die er in komparativer Absicht neben die europäischen Entwicklungen seit der Französischen Revolution stellte.44 Ganz der berühmten These Tocquevilles folgend, schrieb er 1836: „Keine Thatsache kann unbestreitbarer seyn, als das immer gewaltigere Vordrängen demokratischer Ansichten unter den Völkern von europäischer Cultur.“45 Dieses Fortschreiten der Demokratie im Sinne eines immer umfangreicheren und immer durchsetzungsfähigeren Anspruchs nach Gleichheit und politischer Teilhabe aller Bürger möge im „geschichtslosen“ Nordamerika, wo es keine monarchischen und aristokratischen Gesellschaftsstrukturen und keine feudalen Reminiszenzen gab, seine Berechtigung haben, wie Mohl mit einer Variation des zeitgenössisch beliebten Topos von Nordamerika als einem Land ohne Geschichte zu erklären versuchte.46 In Europa hingegen wog das Gewicht der Geschichte schwer und die Demokratisierungsansprüche zeitigten hier andere politische Effekte, wie Mohl in einer Deutungsfigur der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ zu interpretieren versuchte:47 Die „allgemeine Verbreitung unzähliger Begriffe, Ausdrücke, Gefühle und Urtheile“, welche die politische Sprache seit den atlantischen Revolutionen prägten und diese Demokratieansprüche artikulierten, standen nämlich Mohl zufolge mit „den aus anderer Zeit überkommenen gesetzlichen Einrichtungen und politischen Glaubensbekenntnissen in schneidendem Widerspruche.“48 Das an dieser Gegenwartsdiagnose durchschimmernde transitorische Zeitbewusstsein, die Beobachtung einer widersprüchlichen und damit notwendigerweise konfliktbeladenen Gleichzeitigkeit von politischen Begriffen aus den Diskurstraditionen des Verwaltungsstaates und des aufgeklärten Absolutismus und einer neuen politischen Sprache, die aus dem Argumentationsarsenal der atlantischen Revolutionen schöpfte, war unter
44 Vgl. Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 390. 45 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 359. Zu Mohls Begeisterung für Tocqueville vgl. Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 408–409. Allgemein zur Wirkung Tocquevilles in Deutschland vgl. Eschenburg Theodor, Tocquevilles Wirkung in Deutschland. 46 Vgl. hierzu Depkat Volker, Amerikabilder in politischen Diskursen. 47 Vgl. hierzu etwa Koselleck Reinhart, Gibt es eine Beschleunigung der Geschichte? S. 175. 48 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 359.
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den liberalen Intellektuellen des postrevolutionären Europas keine Ausnahme.49 Dass diese Diskrepanz zwischen tradierten politischen Ansichten und Institutionen und dem neuen „Republicanismus unserer Zeit“ in Europa weitaus schärfer hervortrat als dies in Nordamerika der Fall war, führte Mohl auf die unterschiedlichen politischen Entwicklungspfade der beiden atlantischen Revolutionen zurück.50 Sowohl die Amerikanische als auch die Französische Revolution betrachtete Mohl als Ausdruck des „Sieges der demokratischen Ideen“. Während aber die Amerikanische Revolution „als Beispiel der friedfertigen gesetzlichen Entwicklung“ zu gelten habe, sei die Französische Revolution nach dem „Vorbild der mit Gewalt durchgeführten Vernichtung der entgegenstehenden Einrichtungen“ vorgegangen, argumentierte Mohl ganz entlang dem Argumentationsmuster, das schon Friedrich von Gentz wirkungsmächtig vorgetragen hatte.51 Mohl hatte bereits Ende der 1820er Jahre Adolphe Thiers Histoire de la Révolution française in sechs Bänden ins Deutsche übersetzt und war deshalb mit der Geschichte der Revolution gut vertraut. Die Französische Revolution habe als Katalysator des „Hinneigens des Zeitgeistes zur Beschäftigung mit dem Staate“ gewirkt, hatte Mohl im Vorwort zu seiner Übersetzung geschrieben.52 Thiers, der 1830 neben Carrel, Mignet, Conseil und Scheffer an der Zeitschrift Le National beteiligt war, entwickelte laut Mohl eine „liberale“ Sicht auf die Revolution, die vor allen Dingen demonstriere, „wie die ersten wahren Freunde der Freiheit bald von unsinnigen und verbrecherischen Demagogen überholt wurden.“53 Gerade diese Beschleunigung der Demokratisierungsdynamik, welche Mohl in den Exzessen des „Jacobinismus“ repräsentiert sah, habe nicht nur die „wahren Freunde
49 Vgl. Sheehan James J., Liberalism and Society in Germany, 1815–1848, S. 583; Sperber Jonathan, The Atlantic Revolutions in the German Lands, 1776–1849, S. 158–163; Blackbourn David, Germany and the Birth of the Modern World, 1780–1820, S. 14–16; Nolte Paul, Republicanism, Liberalism, and Market Society, S. 206. 50 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 360. 51 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 366. Vgl. hierzu auch Gentz Friedrich von, Der Ursprung und die Grundsätze der Amerikanischen Revoluzion, verglichen mit dem Ursprunge und den Grundsätzen der Französischen. Über die deutsche Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution vgl. Fehrenbach Elisabeth, Deutschland und die Französische Revolution; Botzenhart Manfred, Das Bild der Französischen Revolution in der liberalen Geschichtsschreibung des deutschen Vormärz; Vierhaus Rudolf, Die Revolution als Gegenstand der geistigen Auseinandersetzung in Deutschland, 1789–1830. 52 Thiers Adolphe, Geschichte der französischen Staatsumwälzung, I, S. IV. 53 Thiers Adolphe, Geschichte der französischen Staatsumwälzung, I, S. V. Vgl. zur Revolutionsdeutung von Thiers auch Knibiehler Yvonne, Une révolution „nécessaire“; Jennings Jeremy, Nationalist Ideas in the Early Years of the July Monarchy, S. 503–504.
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der Freiheit“ überholt, sondern auch die Möglichkeit eines Gleichschritts zwischen legitimen politischen Veränderungsabsichten und deren Kanalisierung und Bändigung durch staatliches Ordnungshandeln verunmöglicht. Die „organisierte Anarchie“ der Jakobiner sei ein „Widerspruch in sich“ gewesen und habe gerade deshalb die revolutionäre Transformation auf Permanenz gestellt, anstatt sie durch eine ausgewogene Verfassung in einen „bleibenden Zustand“ zu verwandeln.54 Es war diese Erfahrung des Auseinandertretens bürgerlicher Teilhabeansprüche und deren institutionelle und rechtsstaatliche Einbettung durch einen reformbereiten und überhaupt deshalb noch handlungsfähigen Staat, welche Mohl dafür verantwortlich machte, dass sich „in unserer Zeit […] alle Gedanken und alle Handlungen um Eine Achse, nämlich um den Staat und seine Einrichtungen“ drehe.55 Von ihm, vom Staat und seinen Verwaltungsinstitutionen, war also in Mohls Perspektive die nötige Stabilisierung und Steuerung einer Gesellschaft zu erwarten, welche durch die sozioökonomischen und politischen Transformationen ihrer Zeit in eine chaotische Dynamik gestürzt wurde. Der Hinweis auf die Französische Revolution stand bei Mohl demnach ähnlich wie bei seinen Zeitgenossen in der Geschichtsschreibung für „Revolutionsprophylaxe“ bei gleichzeitigem Insistieren auf der Reformbedürftigkeit der deutschen Staaten und des Deutschen Bundes.56 Anders als in Frankreich deutete Mohl die Verhältnisbestimmung von Revolution und Konstitution in Nordamerika. Hier seien, so hatte Mohl bereits 1824 festgehalten, „die unsere Zeit so gewaltig umwühlenden Ideen am reinsten aufgefasst und dargestellt“57 worden. Gleichzeitig hätten insbesondere die späteren Federalists in den 1780er Jahren erkannt, dass der von der Revolution freigesetzte Demokratisierungsimpuls nicht nur die Einzelstaaten in Bühnen für Demagogen verwandelt habe, sondern auch die „Eifersucht der Bundesstaaten“ angeheizt und damit die Union dem „unvermeidlichen Untergange“ zugetrieben habe. Erst die politische Klugheit der Federalists und der daraus entsprungene Verfassungsvorschlag von 1787 konnten dieser fatalen Tendenz Einhalt gebieten, argumen-
54 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 366. Zu diesen kontrastierenden Deutungsmustern zwischen jakobinischer Radikaldemokratie und einem moderaten, mit einer konstitutionellen Monarchie zu vereinbarenden Demokratiebegriff vgl. Maier Hans u. a., Art. Demokratie, S. 867–868. 55 Thiers Adolphe, Geschichte der französischen Staatsumwälzung, I, S. III. 56 Vgl. Botzenhart Manfred, Das Bild der Französischen Revolution in der liberalen Geschichtsschreibung des deutschen Vormärz, S. 189. 57 Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. XII.
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tierte Mohl.58 Die Helden in Mohls Narrativ über die Entstehung der amerikanischen Bundesverfassung, „dieses Wunder unserer Zeit“, waren natürlich die Federalists. Sie hatten nicht nur den zügellosen Ansprüchen der in Mohls Optik radikaldemokratisch und radikalföderalistisch argumentierenden Antifederalists Grenzen gesetzt, sondern gleichzeitig auch für eine „größere Concentration der Bundeskräfte, eine kräftigere Bundes-Regierung“ plädiert. Mit der Konstituierung einer solch durchsetzungsfähigen Bundesregierung, die sie gegen die machtskeptischen Antifederalists durchgesetzt hatten, wiesen sie der Bundesregierung die nötige politische Macht zu, die sie zur Bewältigung der ihr gesetzten Aufgaben auch benötigte.59 Alexander Hamilton, der „unter den Amerikanischen Staatsmännern vor allen strahlende Genius“,60 John Adams sowie Joseph Story und John Marshall, die beiden Richter, welche die Ideen der Federalists im Supreme Court weiterleben ließen, gehörten zu den von Mohl gerühmten und die amerikanischen Prinzipien am überzeugendsten vortragenden politischen Denkern der neuen Welt.61 Über John Taylor of Carolines New Views of the Constitution of the United States, ein Schlüsseltext der States’ Rights-Interpretation der Verfassung, fiel sein Urteil demgegenüber kritischer aus. „[Le livre] de Mr. Taylor m’a beaucoup intéressé, quoique je ne suis pas convaincu de la justesse de l’opinion politique de l’auteur, ni enchanté de sa manière d’écrire très diffuse et trop peu logique“ ließ er David Bailie Warden wissen.62 Und John C. Calhouns Interpretationen des föderalen Systems der Vereinigten Staaten und der daraus abgeleiteten Nullification-Theorie bezeichnete Mohl später schlicht als „wahnsinnig“.63 Die Sympathien waren also klar verteilt: während Mohl die States’ RightsInterpretationen der amerikanischen Bundesverfassung in eine Kontinuitätslinie mit den demokratischen Bewegungen der 1780er und der demokratisch-republi-
58 Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. 100– 101. 59 Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. VII & 113. In seinen Lebenserinnerungen schrieb Mohl rückblickend auf die Mitte der 1820er Jahre: „Mein politisches Bewusstsein war das eines englischen Whigs, eines französischen Mitglieds der linken Mitte, eines amerikanischen Föderalisten.“ Mohl Robert von, Lebens-Erinnerungen, I, S. 139–140. 60 Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. 107. 61 Vgl. hierzu Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 386. 62 Robert von Mohl an David Bailie Warden, 23. April 1823, in: LCMD, David Bailie Warden Papers, Vol. 15, MO-MY. Zu Taylor vgl. Lenner Andrew C., John Taylor and the Origins of American Federalism. 63 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 22. Zu Calhoun vgl. Ford Lacy K. Jr., Inventing the Concurrent Majority; Forsyth Murray, John C. Calhoun.
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kanischen Opposition unter Jefferson der 1790er Jahre rückte, sah er in den Federalists und deren Erben das nötige „aristokratische“ und zentralistische Gegengewicht gegenüber der demokratischen und föderalistischen Tendenz in der amerikanischen politischen Kultur. „Wer die Grundsätze der Föderalisten, d. h. eines Washington, Adams, Hamilton, zu aristokratisch findet, der verdient gewiss jenes Lob nicht,“ meinte Mohl 1836 und fragte daran anschließend rhetorisch: Und worin liegt offenbar, so weit menschliche Voraussicht blicken kann, die Hauptgefahr für das Bestehen der Integrität und der Blüthe dieses Landes, als darin, dass die Bundesstaatsgewalt nicht mächtig genug zu seyn scheint, um die wegen Verschiedenheit der materiellen Interessen möglichen Spaltungen zwischen Osten und Westen, Süden und Norden zu unterdrücken?64
Die durch unterschiedliche sozioökonomische Interessen und durch die Ideen der States’ Rights noch beförderten zentrifugalen Kräfte in der amerikanischen Union waren in Mohls Perspektive nur durch eine starke und handlungsfähige Zentralregierung und durch ein unabhängiges und durchsetzungsfähiges Verfassungsgericht zu bändigen, das die unvermeidlichen Konflikte zwischen Bund und Einzelstaaten zu moderieren vermochte. Und letztlich waren es eben gerade diese „aristokratischen“ und „unitarischen“ Züge im Institutionengefüge der amerikanischen Föderativrepublik, die Mohl zusagten und die in seiner Sichtweise verhinderten, dass Nordamerika den gleichen Weg einschlug wie Frankreich. Das, was Mohl von den „demokratischen Gleichheits- und Freiheitsideen“ der Französischen Revolution und deren Pendants in der politischen Kultur Nordamerikas befürchtete, war deren Wille zur Ausschaltung von institutionellen Zwischeninstanzen und der dadurch manifest werdenden Möglichkeit, „dass über dem gleichgemachten, unverbundenen Wesen die Zwingherrschaft eine unwiderstehliche, weil nirgends gebrochene Gewalt übt.“65 Mohl argumentierte ähnlich wie seine „aristokratisch-liberalen“ Zeitgenossen in Frankreich, dass nur intermediäre Institutionen zu verhindern vermögen, dass der Staat einerseits seine Macht gegenüber dem Volk missbraucht oder dass andererseits die Herrschaft des angeblich politisch unreifen Volkes das politische Gemeinwesen in eine Anarchie verwandelt.66 In den föderalen Strukturen des politischen Systems in Nordamerika erblickte Mohl dementsprechend eine Art funktionales Äquivalent zu den vermittelnden Strukturen, welche in der Stän-
64 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 386. 65 Mohl Robert von, Entwickelung der Demokratie in Nordamerika und in der Schweiz, S. 276. 66 Vgl. Dijn Annelien de, Aristocratic Liberalism in Post-Revolutionary France, S. 663. Umfassend hierzu auch Dijn Annelien de, French Political Thought from Montesquieu to Tocqueville.
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degesellschaft durch die Aristokratie wahrgenommen wurden. Seinem Argument zufolge sei es der „meisterhaft gelungen[en] […] Einrichtungen der Bundesverfassung“ und deren Auslegung durch Kommentatoren wie Alexander Hamilton, John Marshall und Joseph Story zu verdanken, dass intermediäre Gewalten die demokratische „Zwingherrschaft“ brachen und damit bürgerliche Freiheiten gegen demokratische Mehrheitsherrschaft garantierten.67 Was also Mohl am politischen System der Vereinigten Staaten faszinierte, waren weniger die Mechanismen der Ermöglichung von Demokratie und republikanischer Selbstregierung in einem Flächenstaat oder der Schutz individueller Rechte in Form einer Bill of Rights.68 Was ihn daran beeindruckte war vielmehr das Brechen des demokratischen Willens durch mannigfaltige Teilung der politischen Gewalten in staatlichen Institutionsarrangements und die gleichzeitige Ermächtigung der Institutionen des Bundes, und hier insbesondere des Supreme Courts, als neutrale institutionelle Mediatoren zwischen den kollidierenden Interessen der Einzelstaaten zu vermitteln. Neben der bereits genannten Demokratisierung der Gesellschaft und den zentrifugalen Tendenzen im föderalen Ordnungssystem sah Mohl ein weiteres Hauptproblem in der politischen Kultur Nordamerikas darin, dass die Amerikaner die Freiheit der Bürger mit einer Schwächung der Regierungsgewalt gleichsetzen würden. Die Geschichte der politischen Gemeinwesen kenne kaum Beispiele, argumentierte Mohl, „in welchen die Staatsgewalt so sehr aus Furcht vor Missbrauch beschränkt wurde, als gerade in den Vereinigten Staaten.“69 In diesen Argumenten für eine Begrenzung staatlicher Handlungsmacht sah Mohl ein Erbe der Antifederalists am Werk, das in seiner Perspektive anachronistisch war. Unter den Bedingungen einer modernen, sich industrialisierenden und von sozialer Ungleichheit geprägten Gesellschaft müsse der Staat gerade die Ermöglichungsbedingungen für individuelle Freiheit schaffen können, was wiederum bedeutet, dass Freiheit nicht nur negativ verstanden werden darf, d. h. als Freiheit von staatlichen Zwängen.70 Im Gegenteil erforderten die sozialen und politischen Verwerfungen moderner Gesellschaften einen starken Staat, der sowohl die materiellen und bildungsmäßi-
67 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 2. 68 In seinem Bundes-Staatsrecht kritisierte Mohl die Praxis der Bürgerrechtserklärungen mit Verweis auf die Einwände von Jeremy Bentham, welcher „die Schädlichkeit der sogenannten Erklärungen der Menschen- und Bürger-Rechte“ in „trockener und ungefälliger, aber unbesiegbarer Logik“ vorgenommen habe. Vgl. Mohl Robert von, Das Bundes-Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, S. 112. 69 Mohl Robert von, Amerikanisches Staatsrecht, S. 386. 70 Vgl. Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 388–390; Scheuner Ulrich, Der Rechtsstaat und die soziale Verantwortung des Staates; Henkel Michael, Robert von Mohl (1799–1875), S. 361.
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gen Bedingungen für die Ausübung individueller Freiheit garantiert, als auch die in einer modernen und arbeitsteiligen Gesellschaft unvermeidliche Pluralisierung sozioökonomischer Interessen moderiert und harmonisiert. Die skeptische Interpretationsfigur gegenüber staatlicher Macht, welche Mohl in der amerikanischen politischen Kultur beobachtete, hatte in seiner Perspektive zur Folge, dass die Bundesinstitutionen mitunter ihrer Handlungsmacht beraubt würden und dass sie aufgrund einer restriktiven Interpretation der ihr durch die Bundesverfassung verliehenen Gewalten wieder jene Lähmungserscheinungen aufwiesen, welche die Vereinigten Staaten bereits unter den Articles of Confederation charakterisiert hatten. In dieser Situation waren weder der Präsident, noch der Kongress oder das Supreme Court in der Lage, die divergierenden Interessen der unterschiedlichen Teile der Union zu harmonisieren, noch könnten sie die „Exzesse“ der Demokratie und die damit einhergehenden freiheitsgefährdenden Folgeerscheinungen unter Kontrolle bringen. Mit Joseph Story propagierte Mohl deshalb den „sehr richtigen Satz“, „dass die Erhaltung einer kräftigen, ihren verfassungsmäßigen Zwecken vollkommen entsprechenden Bundesregierung die Bedingung aller Ordnung, Freiheit, eines Rechtzustandes und selbst der Existenz sey.“71 Der von Mohl imaginierte amerikanische Bundesstaat nahm demzufolge eine doppelte Funktion wahr: er brach und bändigte den politischen Gestaltungswille des demos und bannte durch rechtsstaatliche Einbindungen dessen freiheitsgefährdende Potenziale; und er ermächtigte die Bundesinstitutionen, die zentrifugalen Kräfte und die divergierenden Interessenlagen der unterschiedlichen Teile der Union zu vermitteln und damit als starker Nationalstaat aufzutreten. Anders als Tocqueville, der in der föderalen Ordnung Nordamerikas ein Gegengewicht gegen die für moderne Staaten kennzeichnende Machtakkumulation einer zentralen Staatsgewalt sah und in ihr deshalb ein wichtiges Moment der politischen Freiheit entdeckte, glaubte Mohl nicht daran, dass die Eindämmung zentralstaatlicher Macht bereits Freiheit garantiere.72 Stattdessen argumentierte er dahingehend, dass die zentralstaatliche Gewalt auch eine freiheitsermöglichende Funktion haben könne, indem sie die „Eifersucht des Provincialgeistes“ und die damit geförderten „Exzesse“ der Demokratie bändigt und Bedingungen für die Entfaltung individueller Freiheiten und für die Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen schafft.73 Mohls „unitarische“ Lesart des amerikanischen Föderalismus ging also von der Annahme aus, dass die Bundesverfassung „zu einem entschiedenen Uebergewichte der Gesammtheit über die Selbstständigkeit der Einzelnen geführt“ habe
71 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 10. 72 Vgl. hierzu auch Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 416–417. 73 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 21.
11.3 Bundesstaat und konstitutionelle Monarchie?
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und dass demzufolge auch den „auf das Eifrigste, häufig auf das Widersinnigste“ behaupteten Souveränitätsansprüchen der States’ Rights „mit Entschlossenheit gegenüber“ zu treten sei.74 Die bundesstaatliche Souveränitätsteilung war in seiner Perspektive weniger eine koordinative und horizontale Machtteilung, sondern eine hierarchische und vertikale, was letztlich auf die Suprematie der Bundesregierung hinauslief. Mohl teilte die in seinen Augen „unzweifelhaft einzig richtige Theorie“ der Verfassungsauslegung, welche die Federalists vertraten und welche behauptete, so referierte Mohl die Kommentare John Marshalls etwas umständlich, dass das ganze Volk der V. St. sich die Verfassung der Union nach freier und unbeschränkter Wahl und zu seinem gemeinschaftlichen Vortheile gegeben, auch deren Bestimmungen aus eigener Machtvollkommenheit gesetzt habe, keineswegs aber dieselbe aus bloßen Abtretungen von den Souverainetätsrechten der einzelnen Gliederstaaten musivisch gebildet sey; dass folglich in zweifelhaften Fällen die Verfassung allerdings innerhalb der ihr genau bezeichneten Zwecke zu halten, allein so weit auch als mit allen zu Erreichung derselben nothwendigen Mitteln versehen angenommen werden müsse, und keineswegs immer nur als Ausnahme von der Regel einschränkend zu erklären und als jedes nicht ausdrücklich eingeräumten Rechtes beraubt zu betrachten sey.75
Die föderale Struktur und die Souveränitätsansprüche der Einzelstaaten als „barriers which limit the powers of the General Government“76, wie dies Madison einmal einforderte, d. h. Föderalismus als Mittel zur Verhinderung einer potenziellen Machtusurpation der bedrohlich starken Zentralregierung, solche Argumente waren nicht Teil von Mohls politischer Sprache.
11.3 Bundesstaat und konstitutionelle Monarchie?Möglichkeiten und Grenzen einer konzeptionellen Bricolage Während von radikaler und republikanischer Seite der amerikanische Föderalismus meist als Ermöglichung von demokratischer Selbstregierung im Rahmen
74 Mohl Robert von, The writings of John Marshall, late Chief Justice of the United States, upon the Federal Constitution, 165. Auf diese unitarische Lesart des amerikanischen Föderalismus ist in der Forschung mehrfach verwiesen worden, vgl. Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, S. 16; Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, S. 109. 75 Mohl Robert von, The writings of John Marshall, late Chief Justice of the United States, upon the Federal Constitution, S. 165–166. 76 Madison James, Speech on the Bank of the United States, 2. Februar 1791, in: Madison James, The Writings of James Madison, VI, S. 35.
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der großflächigen Föderativrepublik beansprucht wurde, folgten gemäßigte Liberale wie Mohl und Mittermaier stärker einer Föderalismusinterpretation wie sie in den Vereinigten Staaten nur von radikalen Federalists vorgetragen wurde und welche den Föderalismus als eine Möglichkeit zur Bändigung demokratischer Mehrheiten bei gleichzeitigem Aufbau einer starken Bundesregierung ansah.77 Freilich durchlief selbst die Anlehnung an die Federalist-Interpretation des amerikanischen Föderalismus tiefgreifende Metamorphosen, wenn sie auf ihre Anschlussfähigkeiten im deutschen Kontext des frühen 19. Jahrhunderts befragt wurde. Mohl und Mittermaier waren keine Republikaner im modernen Sinne. Was ihnen vorschwebte war eine Verbindung von konstitutioneller Monarchie, parlamentarischer Volksvertretung, Rechtsstaatlichkeit und Bundesstaatlichkeit, was letzten Endes auf eine „gemischte Verfassung“ in Form einer föderativen Nationalmonarchie hinauslief – und mit dieser politischen Zielsetzung waren sie unter den liberalen Kräften des Vormärz nicht allein.78 Eine solche Kombination schrieb die von Mohl immer wieder betonte politische Beständigkeit in Form der Monarchie in die Reformbestrebungen ein, welche aufgrund der demokratischen Herausforderungen seit den atlantischen Revolutionen unabdingbar geworden waren, und stellte gleichzeitig die Frage nach den adäquaten Bundesverhältnissen einer solchermaßen konzipierten konstitutionellen Monarchie. Der Deutsche Bund und damit auch die staatenbündische Struktur, welche mit dem Wiener Kongress entstanden war, beabsichtigte ja, die Demokratisierung der deutschen Einzelstaaten und erst recht des Bundes zu verhindern.79 Eine Reform des Bundes stellte damit automatisch auch die Frage nach der Demokratie – eine Frage, die von vielen Liberalen defensiv, wenn nicht gänzlich ablehnend beantwortet wurde. Die konstitutionelle Reform sowohl der Einzelstaaten als auch des Bundes sollte größtenteils mit den Fürsten und nicht gegen sie angestrebt werden. Zwar arbeitete der Frühliberalismus mit der Gesetzesbindung der Fürsten und mit den politischen Teilhabeansprüchen in Form einer Parlamentarisierung auf eine stärkere Gewichtung der „bürgerlichen Gesellschaft“ hin; dies
77 Vgl. Edling Max M., A Revolution in Favor of Government, S. 4. 78 Vgl. Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 388–445; Henkel Michael, Robert von Mohl (1799–1875), S. 363; Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 120; Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik, S. 618–622; Langewiesche Dieter, Historische Reflexionen zum Föderalismus in Deutschland, S. 130–131. Allgemein hierzu vgl. Riklin Alois, Machtteilung. 79 Vgl. Ritter Gerhard A., Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland in Geschichte und Gegenwart, S. 7; Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, S. 104–107.
11.3 Bundesstaat und konstitutionelle Monarchie?
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zielte indessen auf eine Erhaltung, nicht auf eine Überwindung der konstitutionellen Monarchie.80 Der in der konstitutionellen Monarchie angelegte Dualismus zwischen monarchischer Regierung und Volksvertretung wurde beispielsweise von Robert Mohl durchaus erkannt; diesen allerdings durch eine umfassende Parlamentarisierung zugunsten des Volkes aufzulösen war ein langwieriger und zögerlicher Prozess, der sich publizistisch bei ihm erst am Vorabend der 1848er Revolution durchschlug.81 Der Imperativ „des verfassungsmäßigen Gehorsames in constitutionellen Staaten“ musste ebenso für die Bürger wie für die Fürsten gelten, erklärte Mohl in einem vergleichenden Aufsatz zum Repräsentationssystem 1846. Dieser „verfassungsmäßige Gehorsam in constitutionellen Staaten“ bestand darin, dass der Bürger der Verordnung und Verfügung einer Staatsstelle zu gehorchen habe, wenn immer eine solche dem Gesetze entspreche; dem Gesetze, wo dieses nach Form und Inhalt verfassungsgemäß sei; der Verfassung unter allen Umständen; dass er aber anderer Seits keinem Befehle Gehorsam schuldig sei, welcher diese Bedingungen nicht erfülle. Einem Kinde ist begreiflich zu machen, dass in diesem Satze der Kern des ganzen öffentlichen Rechtes eines geordneten Staates und das wahre Palladium der Sicherheit des Bürgers gegen Willkührherrschaft, aber auch der Regierung gegen strafbaren und nicht zu duldenden Ungehorsam liegt. Erlaubt ihr, den Einzelnen Gehorsam zu versagen, wo das Gesetz solchen gebietet, so öffnet ihr der Anarchie Thüre und Thor. Gestattet ihr aber den Organen des Staates, die Befolgung von Befehlen zu erzwingen, zu welchen sie kein Gesetz ermächtigt, so ist offenbare Willkühr, und es ist lediglich nicht abzusehen, wo eine solche Knechtung des Bürgers stehen bleiben wird.82
Nur die verfassungsmäßige Bindung sowohl der Bürger als auch der Fürsten verhindere, dass der in konstitutionellen Monarchien ohnehin fragile Ausgleich zwischen Volk und Monarch aus der Balance geriet. Ein ähnliches Vermittlungsdenken prägte auch die Ansichten von Mohls Briefpartner und Kollege Mittermaier. Er formulierte 1849 rückblickend, dass er in der „constitutionellen Monarchie“ die Form gefunden zu haben glaubte, welche die Freiheit am besten mit dem nothwendigen Gleichgewicht der verschiedenen Betheiligten am Staat verbinden könnte, daß aber in Deutschland es an ehrlicher u. folgerichtiger Durchführung dieser Form fehle, und daß beständige Wachsamkeit der Abgeordneten
80 Vgl. hierzu Schlegelmilch Arthur, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus, S. 69–79; Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 96–120. 81 Vgl. hierzu Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 402–407. 82 Mohl Robert von, Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systems in England, Frankreich und Deutschland, S. 493.
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des Volkes nothwendig sei, um die Regierungen zur Anerkennung der wahren Freiheiten des Volkes zu nöthigen.83
Dass „die bisherige schlechte Gestaltung des deutschen Vaterlands gänzlich geändert“ werden musste, um das Volk gegenüber Missbräuchen der Fürsten zu schützen, schien Mittermaier demzufolge unabdingbar und er wusste auch, an welchem Beispiel sich eine solche Reform ausrichten sollte: „Nordamerika’s Bundesverfassung schwebte als Vorbild zur Gestaltung des deutschen Bundesstaates vor.“84 Die Reformbedürftigkeit, aber auch die Reformfähigkeit der konstitutionellen Monarchie hatte Mittermaier bereits einige Jahre zuvor mit seinen amerikanischen Briefpartnern diskutiert. Diese zeigten sich mitunter aufgeschlossen für Mittermaiers Reformprogramme, sei dies für seine Bestrebungen, ein nationales Gesetzbuch einzuführen oder für seine Versuche, die amerikanischen bundesstaatlichen Elemente mit einer konstitutionellen Monarchie zu verknüpfen. Diese Reformbestrebungen, versicherte ihm Edward Livingston 1832, „should not be confounded with attempts to overturn established institutions and revolutionize existing Governments.“ Stattdessen ebneten sie den Weg hin zu einer konstitutionellen Reform der monarchischen politischen Gemeinwesen Deutschlands und zu deren rechtlichen Angleichung und dies sei die angemessenste Handlungsstrategie, wie auch die amerikanischen Beobachter bei einer eingehenden Betrachtung der Bedingungen Deutschlands eingestehen müssten. „As the citizen of a Republic, knowing and feeling the advantages of that form of Government, adapted as it is to the manners and feelings of my countrymen, I prefer it to any other“, erklärte Livingston seinem Kollegen Mittermaier, „but not knowing how well it will suit the inhabitants of other countries, I am no propagandist of Democracy; no revolutionist; no king-killer.“85 Ähnlich reagierte auch Luther Stearns Cushing, der Herausgeber des American Jurist und Rechtsprofessor am Harvard College, auf Mittermaiers Reformbestrebungen: I am pleased with your remark, that you consider the form of constitutional monarchy to be favorable to improvement. – In this I agree with you. Indeed, in many respects, that form is better adopted, than our form of government, to this end. […] On the other hand, our form
83 Mittermaier Karl Joseph Anton, „Biographische Skizze“ (1849), S. 294. Zum Begriff der konstitutionellen Monarchie im Vormärz vgl. Boldt Hans u. a., Art. Monarchie, S. 192–208; Böckenförde Ernst-Wolfgang, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert. 84 Mittermaier Karl Joseph Anton, „Biographische Skizze“ (1849), S. 294. 85 Edward Livingston an C. J. A. Mittermaier, 26. Juli 1832, in: UBH, Nachlass C. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 3718.17, Karton 2: D-W.
11.3 Bundesstaat und konstitutionelle Monarchie?
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of government has the advantage, that it allows to each citizen the free development of his faculties, as a member of the social state, through his direct personal participation in the administration of the functions of government.
Während die Republik für Nordamerika die passende Regierungsform sei, sei man mit Blick auf die in Europa prägenden historischen Erfahrungen des Ancien Régimes und der Französischen Revolution dazu genötigt, to do justice to those enlightened and liberal governments of Europe, which are now doing so much for the cause of human progress and improvement. I look upon the term “constitutional monarchy”, – which is now in such common use, – as a proof of the great advance made, during the last fifty years, in the progress of liberal doctrines. It is (or rather contains) the acknowledgment of a great principle: – one, which will ultimately regenerate the world.86
Mit der Differenzierung zwischen „is“ und „contains“ zum Ende seines Briefes machte Cushing auf subtile Art und Weise deutlich, dass er in der Wortschöpfung „konstitutionelle Monarchie“ zwar einen Vermittlungsversuch zwischen tradierten Formen monarchischer Herrschaft und modernem Konstitutionalismus anerkannte, dass zumindest für ihn aber auch klar war, welchem der beiden kombinierten Begriffe die politische Zukunft gehörte: Der diskursive Leitbegriff war in Cushings Perspektive „Verfassung“, nicht „Monarchie“. Mohls und Mittermaiers Erörterungen des Verhältnisses von Bundesstaat und konstitutioneller Monarchie verdeutlichen, wie sich im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts verschiedene politisch-konstitutionelle Diskurse überlagerten und neue Mischformen in den Zukunftshorizont frühliberaler politischer Theoriebildung gestellt wurden.87 Die nach 1815 auf dem Programm der liberalen Bewegungen stehenden Forderungen nach einer Durchsetzung von Verfassungsstaatlichkeit und Repräsentation zur Eindämmung monarchischer Macht verband sich auf gesamtdeutscher Ebene mit Fragen der Reform des Deutschen Bundes. Kontinentaleuropäische Verfassungstraditionen, verwaltungsstaatliche Diskurse und die relativ neuen, mit den atlantischen Revolutionen befeuerten Republik- und Verfassungsdiskurse angloamerikanischer und französischer Prägung überlagerten sich in den Reformdiskussionen des deutschen Frühliberalismus. Dadurch wurden konzeptionelle Spannungen generiert, die sich insbe-
86 Luther Stearns Cushing an K. J. A. Mittermaier, 28. Juni 1838, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 3718.17, Karton 1: A–C. 87 Vgl. Schlegelmilch Arthur, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus, S. 57–96.
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11 Bundesstaat ohne Demokratie?
sondere auch in der Verhältnisbestimmung von Bundesstaatlichkeit und konstitutioneller Monarchie niederschlugen.88 Erkannt wurden diese Spannungen durchaus. 1837 meinte Robert Mohl, dass die Idee der „repräsentativen Demokratie“ ein „in sich folgerichtig und ein abgeschlossenes Ganzes“ sei, wohingegen er daran zweifelte, „ob der Grundgedanke der repräsentativen Monarchie ein richtiger“ sei. In letzterem sei ein „Dualismus“ angelegt, so Mohl, von dem es zweifelhaft sei, ob er vermittelt und dadurch in einen „in sich einigen und harmonischen Zustande“ überführt werden könne.89 Die Herausforderung bestand demnach darin, diesen von Mohl konstatierten Dualismus zwischen einer erblich-monarchischen Regierung und einer Volksvertretung zu vermitteln, und es war dieser Versuch, welcher Mohl schließlich zu einem „Verteidiger der parlamentarisch verantwortlichen Regierungsweise innerhalb der konstitutionellen Monarchie“ machte.90 Die Regierungstätigkeit sollte demnach nicht mehr nach dem Gutdünken der Fürsten geschehen, sondern nach den parlamentarischen Mehrheiten, oder wie Mohl seine Ansichten 1846 zusammenfasste: „die Bildung der Ministerien aus den Kammermehrheiten, und die folgerichtige Durchbildung der Volksrechte und der Verwaltung nach den obersten Grundsätzen der Verfassungen“ seien die zentralen Entwicklungstendenzen, nach welchen sich das konstitutionelle Leben in Deutschland zu richten habe.91 Dieses Vermittlungsdenken, das auf einen Ausgleich zwischen den Prinzipien der Monarchie und der Volksvertretung zielte und diesen durch eine fortgesetzte Parlamentarisierung aufzulösen gedachte, findet sein Pendant in der föderalen Frage, in welcher Mohl einen ähnlichen „Dualismus“ erblickte. In der Frage des Bundesstaates mühe sich „die Staatskunst vergeblich ab, Wege zu finden, auf welchen die Selbstständigkeit der einzelnen Staaten mit ihrer Unterordnung unter die Gesammtheit ohne allzu empfindliche Opfer verbunden werden könne“,
88 Vgl. Mager Wolfgang, Art. Republik, S. 607; Boldt Hans u. a., Art. Monarchie, S. 192–200. 89 Mohl Robert von, Die Verantwortlichkeit der Minister in Einherrschaften mit Volksvertretung, rechtlich, politisch und geschichtlich entwickelt, S. 4–5. 90 Henkel Michael, Robert von Mohl (1799–1875), S. 363. Zu Mohls Parlamentarismusdiskussion vgl. Mohl Robert von, Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systems in England, Frankreich und Deutschland. Vgl hierzu auch Schlegelmilch Arthur, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus, S. 73–74. 91 Mohl Robert von, Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systems in England, Frankreich und Deutschland, S. 479. Später fasste Mohl diese Forderung im Satz zusammen: „Es soll der Staat nicht nach der persönlichen Ansicht des Fürsten, sondern nach dem Programme der in Mehrheit befindlichen Partei geführt werden.“ Vgl. Mohl Robert von, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, I, S. 403–404.
11.4 Die „Vielen“, die „Wenigen“ und das Problem der Souveränität
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gab er 1840 zu bedenken.92 Die amerikanische Lösung dieses Problems wie sie Mohl verstand, nämlich die Teilung von Zuständigkeitssphären zwischen Bund und Einzelstaaten bei deutlichem Übergewicht des ersteren, erschien ihm denn auch nicht ohne Anschauungskraft für die föderale Problemlage in Deutschland. Die „sehr zweckmäßige Abtheilung zwischen den der Centralregierung übertragenen Befugnissen und den einzelnen Staaten bleibenden Rechten“ sowie die Ausgestaltung der Bundesregierung mit den „nöthigen Mittel zur Erhaltung und Handhabung ihrer Bestimmungen“, seien auch in Deutschland für die „Verbesserungen in den Bundeseinrichtungen“ zu Rate zu ziehen.93
11.4 Die „Vielen“, die „Wenigen“ und das Problem der Souveränitätim Bundesstaat Diese spannungsreichen Reformabsichten, welche konstitutionelle Monarchie und Bundesstaatlichkeit zu verbinden suchten, waren nicht ohne Einfluss auf die Art und Weise, wie der amerikanische Föderalismus rezipiert wurde. Dass man im Deutschland des Vormärz den amerikanischen Föderalismus in einer „die unitarische Tendenz überbetonender Form“ rezipierte und gleichzeitig die „republikanischen und demokratischen Prinzipien“ zurückstellte, mit welchen er in der amerikanischen politischen Kultur aufs Engste verwoben war, hatte vielleicht weniger damit zu tun, dass der amerikanische Föderalismus nicht verstanden wurde,94 als mit der Notwendigkeit, ihn in einem anderen politischen Kontext zu plausibilisieren und damit als Reformprojekt zu legitimieren. Nicht zu unterschätzen sind dabei die oben diskutierten Deutungen der Geschichte der Französischen Revolution, die damit einhergehenden Sozialängste vor einer Demokratisierung und Nivellierung der Gesellschaft, wie sie unter den bürgerlichen Eliten weit verbreitet waren, und die Vorbehalte gegenüber der modernen republikanischen Staatsform im Sinne einer auf demokratischer Volkssouveränität basierenden politischen Ordnung. Diese Dispositionen strukturierten die Rezeption und Interpretation des amerikanischen Föderalismus unter gemäßigten Liberalen und führten dazu, dass der amerikanische Bundesstaat in erster
92 Mohl Robert von, The writings of John Marshall, late Chief Justice of the United States, upon the Federal Constitution, S. 165. 93 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 10 & 23. 94 Vgl. zu diesen Einschätzungen Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, S. 13 & 16; Fröschl Thomas, Rezeption und Einfluss der American Constitution in den deutschen Verfassungsdebatten, 1789 bis 1949, S. 43 & 46.
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Linie vor der unitarischen Interpretationsfolie wahrgenommen wurde, welche die Federalists und Whigs bereitstellten. Zwar teilten deutsche Liberale wie Mohl und Mittermaier kaum die republikanischen Überzeugungen der Federalists und ihrer Erben unter den Whigs, hinter welche selbst die hart gesottenen Vertreter dieser politischen Strömungen nicht mehr zurück konnten – so pessimistisch sie mitunter die Zukunftsaussichten des amerikanischen Republikanismus beurteilten.95 Mit ihnen teilten viele deutsche Liberale aber die Ängste vor einer durchdringenden Demokratisierung der Gesellschaft und der Infragestellung sozialer Hierarchien. Dies- und jenseits des Atlantiks befürchtete man in diesen Milieus die Herausbildung einer Mediokratie, in welcher Besitz, Bildung und Talent kaum noch eine Rolle spielen würden.96 Eine gewisse Nähe zwischen den Federalists und dem deutschen Frühliberalismus von Mohl oder Mittermaier zeigt sich mithin auch in den Bürgervorstellungen, welche hier wie dort noch deutlich von der klassischen Annahme geprägt waren, dass der aktive Bürger eine gewisse, durch Bildung und Besitz ermöglichte Unabhängigkeit und Selbständigkeit vorweisen müsse, um die nötigen Bürgertugenden zu entwickeln und politisch angemessen urteilen zu können – eine Einschätzung, die mit einer deutlichen Skepsis gegenüber dem allgemeinen Wahlrecht einher ging.97 Diese vergleichbaren Wahrnehmungsmuster des Demokratisierungsprozesses, der Nivellierung gesellschaftlicher Hierarchien und der zu verteidigenden Bürgerideale bei deutschen Frühliberalen und amerikanischen Federalists widerspiegelten sich letztlich auch in den Funktionen, die man einem föderalen System zuschrieb. Das föderale Institutionsarrangement hatte in der Sichtweise vieler Federalists ja gerade eine filternde Funktion, welche den „few“, so hatte es zumindest der von Mohl so verehrte Alexander Hamilton 1787 in der Federal Convention gefordert, „a distinct permanent share in government“ garantieren sollte. „The people are turbulent and changing,“ erklärte Hamilton, „they seldom judge or determine right.“98 Da eine hereditäre Lösung dieses von Hamilton geforderten „permanent share in government“ keine Alternative war und die Mitglieder der Federal Convention auch seine und Gouverneur Morris’ Forderungen nach
95 Vgl. Wood Gordon, Empire of Liberty, S. 54; Howe Daniel Walker, The Political Culture of the American Whigs, S. 83. 96 Vgl. Conze Werner u. a., Art. Demokratie, S. 882. 97 Vgl. Shalhope Robert E., The Roots of Democracy, S. 150–153; Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik, S. 626–639; Nolte Paul, Republicanism, Liberalism, and Market Society, S. 194. 98 Speech of Alexander Hamilton, June 18, 1787, in: Farrand Max (Hrsg.), The Records of the Federal Convention, I, S. 299.
11.4 Die „Vielen“, die „Wenigen“ und das Problem der Souveränität
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einem entsprechenden Zensuswahlrecht skeptisch beurteilten,99 mussten institutionelle Mechanismen entwickelt werden, welche einen check auf den demokratischen Willensbildungsprozess ermöglichten, um damit den von Hamilton beklagten „excess of democracy“ zu bändigen.100 Umso wichtiger war es also in der Perspektive vieler Federalists, dass in einer großflächigen Republik über die Koppelung des föderalen und des repräsentativen Prinzips in erster Linie die „few“ in die wichtigsten politischen Ämter gehoben wurden, also jene „who possess most wisdom to discern, and most virtue to pursue, the common good of the society.“101 Föderalismus konnte also auch als demokratiehemmendes Institutionsarrangement interpretiert werden, welches eine Machtverschiebung von den leidenschaftlichen Vielen zu den aufgeklärten Wenigen vorantrieb – so zumindest die Vorstellung der Federalists, die wiederum in Deutschland für liberale Reformer wie Mohl und Mittermaier interessant war. Die amerikanische Bundesverfassung sei von „Männern wie Washington, A. Hamilton, Jay u. s. w.“ entworfen worden, resümierte Mohl 1844 die demokratieskeptischen Positionen der Federalists in etwas einseitiger Manier, und diese hätten „sich wohl gehütet, der Herrschaft der Menge unmittelbaren, ich möchte sagen physischen, Einfluss auf die gemeinschaftlichen Angelegenheiten des Reiches einzuräumen.“102 Den amerikanischen Bundesstaat als Vorbild einer Reform des Deutschen Bundes zu reklamieren und gleichzeitig an der Regierungsform einer konstitutionellen Monarchie festzuhalten, machte die transformierende Aneignung, oder präziser formuliert: die demokratisch-republikanische Entkleidung des föderalen Konzepts gleichsam zur Notwendigkeit. Damit war indessen ein Widerspruch formuliert, vor dessen Austragung sich viele Liberale scheuten. Denn was die amerikanische Bundesverfassung von allen anderen ihr vorausgehenden Föderativverfassungen unterschied – und dies ließ sich auch durch eine einseitige Stützung auf die Federalists nicht wegdiskutieren – war, dass das amerikanische Volk der Souverän und der imaginierte, deswegen aber nicht minder verbindliche Autor dieses Textes war: „We the people of the United States“, heißt es in der Präambel der Bundesverfassung. Einerlei ob mit dem Wort „people“ nun das amerikanische Volk in seiner Gesamtheit gemeint war, wie die Federalists behaupteten, oder ob damit die Völker der Einzelstaaten
99 Vgl. Wilentz Sean, The Rise of American Democracy, S. 32–33. 100 Speech of Alexander Hamilton, June 18, 1787, in: Farrand Max (Hrsg.), The Records of the Federal Convention, I, S. 301. 101 Madison James, Federalist No. 57, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 348. 102 Mohl Robert von, Entwickelung der Demokratie in Nordamerika und in der Schweiz, S. 304.
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gemeint waren, wie manche States’ Rights-Theoretiker argumentierten, änderte dies doch nichts an der volkssouveränen Grundierung des politischen Gemeinwesens. Damit war dem amerikanischen Föderalismus eine republikanischdemokratische Semantik eingezogen, die mit dem Festhalten an einer „konstitutionellen Monarchie“, wie es unter den deutschen Liberalen gängig war, kaum in Einklang zu bringen war. Liberale deutsche Kommentatoren anerkannten durchaus, dass es in den Vereinigten Staaten erstmals gelungen sei, Demokratie über die Koppelung des repräsentativen und des föderalen Prinzips im Flächenstaat zu organisieren. In Amerika sei erreicht worden, was „auf den ersten Blick undenkbar“ schien, meinte Mohl 1835, nämlich „in einem sehr großen Lande eine Demokratie einzuführen“, und sein Kollege Heinrich Zachariä stimmte ein Jahr später dieser Einschätzung Mohls zu als er argumentierte, dass die Vereinigten Staaten „das Problem, welches bisher für unauflösbar gehalten worden sey, – einer zahlreichen ein großes Land bewohnenden Nation eine republicanische Verfassung zu geben, – zuerst mit Erfolg eingelöst habe.“103 Autoren wie Mohl, Welcker oder auch Murhard erkannten ebenfalls die Zusammenhänge zwischen dem im restaurativen Deutschland als radikal bewerteten Prinzip der Volkssouveränität und der föderalen Struktur des politischen Systems. Sie wussten darum, wie es Madison im Federalist formuliert hatte, dass die Regierungen der Einzelstaaten und des Bundes nur „different agents and trustees of the people“ waren, „constituted with different powers and designed for different purposes.“104 Diese Zusammenhänge zu verstehen, oder sie als politische Ansprüche zur Reform des Deutschen Bundes geltend zu machen, sind indessen zwei unterschiedliche Dinge – und von letzterem scheuten viele zurück, denn damit wäre der Anspruch monarchischer Souveränität fundamen-
103 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 2; Zachariä Heinrich, Constitution der Vereinigten Staaten. (Nordamerika), S. 4. Vgl. hierzu auch Maier Hans u. a., Art. Demokratie, S. 863–864. 104 Madison James, Federalist No. 46, in: Hamilton Alexander/Madison James/Jay John, The Federalist Papers, S. 291. Mohl war mit dem Federalist vertraut, bezeichnete er doch diesen Text einmal als „ein Meisterstück von Logik, Scharfsinn und männlicher Beredtsamkeit“ und verwies in seinem Bundes-Staatsrecht regelmäßig darauf; auch die „französische Verstümmelung“ war ihm bekannt, vgl. Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 4. Murhard zitierte und paraphrasierte in seinem Artikel zum Staatslexikon den Federalist ebenfalls regelmäßig, vgl. Murhard Friedrich, Nordamerikanische Verfassung, ihre Grundideen, S. 401–410. Zu Murhards Auseinandersetzung mit Tocqueville vgl. auch Murhard Friedrich, Das Centralisationssystem in der öffentlichen Verwaltung. Zu Welckers Auseinandersetzung mit dem Federalist vgl. Welcker Karl Theodor, Bund, Bundesverfassung, Staaten- der Völkervereine, oder Föderativsysteme, S. 76–116.
11.5 Ausformungen und Kritik der etatistischen Verengungen
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tal infrage gestellt worden.105 Die engen semantischen Verknüpfungen zwischen Volkssouveränität und Föderalismus wurden von liberalen Kommentatoren des amerikanischen politischen Systems wie Mohl oder Mittermaier größtenteils ausgeklammert, denn zwischen Volkssouveränität und monarchischer Souveränität war letztlich kein gemeinsamer Grund zu finden, auf welchem das Vermittlungsdenken des frühen Liberalismus hätte operieren können.106 Bei aller Bewunderung, die Mohl für die amerikanische Bundesverfassung und ihre Kommentierung durch die Federalists zum Ausdruck brachte, wies er nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer solchen Zurückweisung der Föderativrepublik immer wieder auf jenes Problem hin, welches die Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts nicht weniger beschäftigte: das „Problem der Übertragung gewachsener Verfassungsnormen“.107 Mohl erachtete die „Träume Solcher, welche die Einführung dieser Regierungsweise in Europa für wünschenswerth erachten, lediglich als einen Beweis gänzlichen Mangels an Menschenkenntnis.“ Das amerikanische System sei vielleicht „im Ganzen als ein Meisterstück“ zu beurteilen, schrieb er 1835, allerdings bestünde die Meisterschaft gerade darin, dass sie „höchst passend für ihre Verhältnisse“ gestaltet sei und deswegen noch lange nicht für eine „Ausdehnung auf wesentlich andere Zustände“ tauge.108 Und die „anderen Zustände“, von welchen hier die Rede war, bezogen sich in erster Linie auf das Problem der „monarchischen Grundeinstellung der überwiegenden Mehrheit der bürgerlichen Schichten“.109 Diese lehnte das Volk als Quelle der Souveränität ab, konnte folgerichtig auch Madisons Argumentation einer geteilten, vom Volk delegierten Souveränität im republikanischen Bundesstaat nicht folgen und blieb stattdessen im Dualismus zwischen Volk und Fürsten gefangen.
11.5 Ausformungen und Kritik der etatistischen Verengungen des Föderalismuskonzepts Als Mohl in seinen Memoiren auf seine ersten Beschäftigungen mit dem amerikanischen Bundesstaat zurückschaute, gab er das Ziel seiner Arbeit damit an,
105 Vgl. Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, S. 31; Fröschl Thomas, Rezeption und Einfluss der American Constitution in den deutschen Verfassungsdebatten, 1789 bis 1949, S. 44. 106 Vgl. Blackbourn David, Germany and the Birth of the Modern World, 1780–1820, S. 16. 107 Vgl. Franz Eckhart G., Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49. 108 Mohl Robert von, Story, J., Commentaries on the constitution of the United States, S. 16–17. 109 Dann Otto, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismus-Problems, S. 67. Vgl. zu dieser Frage auch Dreyer Michael, Die Verfassung der USA; Wellenreuther Hermann, Die USA.
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er habe „lediglich das positive Recht nach den gesetzlichen Quellen“ darstellen und nicht allgemeine politische Betrachtungen zu Republik und Bundesverfassung anstellen wollen.110 Diese Fokussierung auf Gesetzestexte und die Ausblendung der Wechselbeziehungen zwischen Republikanismus und Föderalismus widerspiegelt gleichermaßen eine verwaltungstechnische und formalistische Überformung in der Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus wie den für Mohls Zeit nicht ganz untypischen Habitus eines Rechtsgelehrten, der die „technische Seite der staatlichen Tätigkeit“ für sich entdeckt hatte111 und nur bedingt zur Überwindung des „Defizit[s] an liberal-demokratischer Tradition und Substanz“ beizutragen gewillt war.112 Politische Demokratisierung in Form eines Eintretens für Volkssouveränität oder für das allgemeine Wahlrecht gehörte nicht zum politischen Forderungskatalog Mohls oder Mittermaiers. Obwohl sie die Republik als Staatsform – verstanden als repräsentative Demokratie – ablehnten, betrachteten sie indessen so etwas wie eine republikanische politische Kultur, den „Gemeinsinn“ in der politischen Sprache des klassischen Republikanismus, sowie Rechtsstaatlichkeit und Repräsentation des Volkes als Bedingungen für das Gelingen einer gewaltenteiligen konstitutionellen Monarchie.113 Daraus ergaben sich weitere ambivalente Dispositionen für die Beschäftigung mit dem amerikanischen Föderalismus. Einerseits waren Mohls und Mittermaiers Auseinandersetzungen mit dem amerikanischen Föderalismus wesentlich geprägt von einem Staatsdenken, welches das monarchische Prinzip auf der Grundlage des Konstitutionalismus explizit bejahte, an Diskurse des aufgeklärt-absolutistischen Verwaltungsstaates anschloss und die Notwendigkeit eines unabhängigen höchsten Gerichts für das Funktionieren föderaler Staatswesen betonte.114 Die Dualismen, welche Mohl und Mittermaier sowohl im Konzept der konstitutionellen Monarchie als auch in jenem des Bundesstaates identifiziert hatten, waren in ihrer Perspektive einerseits durch eine fortgesetzte Parlamentarisierung und durch den Ausbau rechtsstaatlicher Organe, andererseits durch die Suprematie des Bundes und eine Rationalisierung und Institutionalisierung des staatlichen Verwaltungshandelns aufzulösen. Der „zunehmende Grad an Überschneidung zwischen den beiden
110 Mohl Robert von, Lebens-Erinnerungen, I, S. 260. 111 Vgl. Schiera Pierangelo/Gherardi Raffaela, Von der Verfassung zur Verwaltung, S. 130. 112 Faber Karl-Georg, Strukturprobleme des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, S. 227. 113 Vgl. Vierhaus Rudolf, „Wir nennen’s Gemeinsinn“ (We Call It Public Spirit), S. 24; Mager Wolfgang, Art. Republik, S. 618–619; Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik, S. 628. 114 Vgl. hierzu Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, 258–261; Krüger Peter, Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten auf die deutsche Verfassungsentwicklung, S. 233.
11.5 Ausformungen und Kritik der etatistischen Verengungen
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normativen Feldern der Konstitution und der Verwaltung“, welcher Pierangelo Schiera als ein wichtiges Kennzeichen des Konstitutionalismus im Vorfeld der Revolutionen von 1848 identifiziert hat,115 prägte auch den Deutungshorizont, vor welchem sich Mohl und Mittermaier dem amerikanischen Föderalismus widmeten. Die von Mohl, Mittermaier und anderen durchaus wahrgenommene, durch die politischen Folgen der atlantischen Revolutionen und die sozioökonomischen Folgen der Industriellen Revolution manifest werdende Spannung zwischen einem gesellschaftlichen und politischen Pluralismus einerseits und dessen staatlicher Integration andererseits wurde bei ihnen nicht föderal-republikanisch beantwortet. Stattdessen suchten sie nach Antworten auf diese Problematik in einer Modernisierung der Staatsverwaltung, des Rechtsstaates und des Repräsentativsystems.116 Die politische Sprache des Föderalismus wurde hier im Wesentlichen in einer juristischen Terminologie gefasst, welche den „Revolutionary Federalism“, den Lance Banning etwa bei James Madison rekonstruiert hat, seiner demokratisch-republikanischen Radikalität entkleidete.117 Andererseits wurden sich Mohl und Mittermaier im Zuge ihrer komparativen Beschäftigung mit den politischen Systemen Nordamerikas und Europas auch zunehmend darüber klar, dass eine solche verwaltungstechnische und staatszentrierte Sicht auf politische Systeme eine ganze Reihe blinder Flecken produzierte. War Mohl Ende der 1820er Jahre noch davon überzeugt, dass sich das politische Denken seiner Zeit auf den Staat und seine Einrichtungen zu konzentrieren habe,118 reflektierte er am Vorabend der 1848er Revolution darüber, dass genau diese verwaltungsstaatliche Überformung des Politischen zu einer „Übertreibung der Staatsidee“ und zu einer „Aufsaugung des gesammten öffentlichen Lebens durch den Staat“ geführt habe, was wiederum die „Theilnahme der Bürger an öffentlichen Angelegenheiten“ gebremst habe.119 Zwar gestand Mohl ein, dass die „Ausdehnung und Ausbildung des Staatsgedankens“ seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert „unvermeidlich und somit vollkommen berechtigt“ gewesen sei, dass nun aber „ein anderes Leben in den Völkern erwacht“ sei, „welchem dieser allgegenwärtige und allthätige Staat nicht mehr entspricht.“ Das „Bewusstsein des gemeinschaftlichen Handelns zu gemeinschaftlichen Zwecken“ und der „Geist der Association“ hätten sich in den letzten Jahrzehnten in einer Art
115 Schiera Pierangelo, Europäisches Verfassungsdenken 1815–1847, S. 169. 116 Vgl. etwa die Diskussion von Mohls Reformverschlägen bei Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 417–426. 117 Vgl. Banning Lance, The Sacred Fire of Liberty, S. 193–290. 118 So im Vorwort zu seiner Übersetzung von Thiers, vgl. Thiers Adolphe, Geschichte der französischen Staatsumwälzung, I, S. III. 119 Mohl Robert von, Über Bureaukratie, S. 340–341 & 354.
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11 Bundesstaat ohne Demokratie?
und Weise entfaltet, die den Staat und seine Verwaltung teilweise überflüssig machte, argumentierte Mohl nun: „Der Staat kann, und muss daher auch, Theile seiner bisherigen Geschäfte an die Bürger, welche sie selbst zu besorgen bereit und geeignet sind, abgeben.“120 Der Bürger und die Bürgergesellschaft gerieten nun immer stärker ins Blickfeld der beiden süddeutschen Juristen. So verfasste Mittermaier für Rottecks und Welckers Staatslexikon die Artikel zu den Begriffen „Bürger“, „Bürgerrecht“ und „Bürgerstand“121 und Mohl forderte 1846 in einem bemerkenswerten Aufsatz Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systems in England, Frankreich und Deutschland, dass gerade das Konzept der Repräsentation der „Ausbildung des staatsbürgerlichen Sinnes und Bewusstseyns“ dienlich gemacht und damit der „constitutionelle Grundgedanke des selbstständigen Staatsbürgers“ verfestigt werden müsse: „Ein Bürger, der nicht einmal seinen Vertreter frei wählen darf, kann sich nicht als berechtigtes, somit auch nicht als verantwortliches Mitglied des Staates fühlen.“122 In diesen Ausführungen mag auch eine gewisse Selbstkritik enthalten gewesen sein, war doch gerade Mohl in den Jahrzehnten zuvor an vorderster wissenschaftlicher und publizistischer Front daran beteiligt, jene Verwaltungs- und Staatslehre zu propagieren, deren praktische Auswüchse er nun kritisierte.123 Ironischerweise hatte gerade der gebannte Blick auf den Staat und seine Verwaltung dazu geführt, dass sich diese von Mohl und Mittermaier nun geforderte Ausbildung von Bürgersinn nur gehemmt entwickeln konnte.124 Diese Ambivalenz war zuvor bereits Francis Lieber aufgefallen, dessen Beschäftigung mit dem Föderalismus ja in besonderem Maße den Zusammenhang zwischen föderalen Ordnungen, der Kultivierung von republikanischem Gemeinsinn und der praktischen Befähigung zur Selbstregierung herausstellte und der
120 Mohl Robert von, Über Bureaukratie, S. 342. Vgl. zu diesen klassisch-republikanischen Deutungsmustern im süddeutschen Liberalismus Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik. 121 Mittermaier C. J. A., Art. Bürger, Bürgerrecht, Bürgerstand. 122 Mohl Robert von, Ueber die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systems in England, Frankreich und Deutschland, S. 470. 123 Vgl. hierzu Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 173– 175. Auch Angermann macht auf diese Lernprozesse aufmerksam, vgl. Angermann Erich, Robert von Mohl 1799–1875, S. 417. 124 Das Urteil Reinhard Blänkners, dass „auch Robert von Mohl mit seiner Aufwertung der Verwaltung den Mythos vom Vorrang der Verfassung [destruierte]“, scheint mir hingegen etwas überzogen und dem Wandel im politischen Denken Mohls nicht genügend Rechnung tragend, vgl. Blänkner Reinhard, Der Vorrang der Verfassung, S. 324. Vgl. hierzu auch Stolleis Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, II, S. 258–261; Angermann Erich, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, S. 25; Rumpler Helmut, Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (1815–1871), S. 222.
11.5 Ausformungen und Kritik der etatistischen Verengungen
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einer verwaltungstechnischen und staatszentrierten Sicht auf den Föderalismus sehr skeptisch gegenüber stand. Lieber glaubte in den Arbeiten seiner deutschen Kollegen – und insbesondere auch in denjenigen von Mohl – eine intellektuelle Neigung zu erblicken, die er für die deutsche Staatswissenschaft seiner Zeit für charakteristisch hielt, nämlich das Politische vom Staat her zu denken, anstatt von den Bürgern und der Bürgergesellschaft. An Mohls Arbeiten zeige sich, was man in Deutschland „so oft zu beobachten Gelegenheit habe“, meinte Lieber in einem Brief an Mittermaier 1843, nämlich, dass man in Deutschland immer noch nicht eine klare Überzeugung vom Bürgerstaat, vom Bürgerthum hat. Wenn der Deutsche das Wort Staat gebraucht so schwebt ihm immer noch die Idee eines Regierungsstaats, eines Beamtenstaats, eines Mandarinenstaats vor.125
Nachdem Mohl in der Kritischen Zeitschrift Liebers Bücher Political Ethics und Legal and Political Hermeneutics in sehr kritischen Worten besprochen hatte, sah sich Lieber in seiner Sicht der Dinge bestätigt.126 Genau weil in Deutschland das Politische nicht von den Bürgern her gedacht werde, habe Mohl auch „ganz und gar nicht die Idee der hohen Wichtigkeit der Hermeneutik in freien Repräsentativen Staaten mit festen Constitutionen, ob geschrieben oder nicht, aufgefasst“, denn „der deutsche Jurist fasst die Fortbildung des Rechts fast ausschließlich als durch die Wissenschaft bewirkt auf.“ Dem stellte Lieber die politische Kultur der Nordamerikaner gegenüber, wo die politischen Institutionen, die Gesetze und das Recht nicht vom Staat und der eng mit diesem verbundenen Staatswissenschaft komme, sondern sich im „thätigen legalen Lebensorganismus der Bürgergesellschaft“ entfalte.127 In Deutschland sei ein politischer Paternalismus allgegenwärtig, der die Bürger entmündige, statt sie durch die Praxis der Selbstregierung zur politischen Reife zu erziehen, kritisierte Lieber. Dieser obrigkeitsstaatliche Pater-
125 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 19. März 1843, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 40. 126 Vgl. Mohl Robert von, Neueste Schrift über politische Ethik in Nordamerika; Mohl Robert von, Politische Ethik in Nordamerika. In seinen privaten Briefen an Mittermaier fiel Mohls Urteil über Liebers Bücher teilweise despektierlich bis beleidigend aus. So schrieb er am 29. Mai 1839 an Mittermaier: „Nun aber Lieber? Der besprochene, versprochene Lieber? Ehrlich gestanden, ich wollte, er wäre wo der Pfeffer, nicht blos wo die Baumwolle wächst. Ich weiß nichts Gescheites daraus zu machen.“ Und zu Liebers Political Ethics kommentierte er: „Was itzt da ist, mag für die Yankees ganz gut seyn; für mehr als nur halbcivilisirte Menschen ist es aber wenig und ein opus supercoagationis.“ Vgl. Mußgnug Dorothee (Hrsg.), Briefwechsel Karl Josef Anton Mittermaier – Robert von Mohl, S. 54 & 56. 127 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 19. März 1843, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 40.
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nalismus spiegelte sich dementsprechend nicht nur in den wissenschaftlichen Publikationen, sondern auch in der politischen Praxis: die krisenhafte Oszillation zwischen zögerlichen Reformen von oben und massiver Repression, wie sich dies etwa an der Zensur in Liebers preußischer Heimat zeigte,128 war in seiner Perspektive eine systemimmanente Konsequenz einer vormundschaftlichen, auf den Beamtenstaat ausgerichteten politischen Kultur: Keine Regierung steht auf festem Boden die da glaubt sie muss vorschreiben was und was nicht Leute lesen sollen, und von welchem Tage an sie unbeschadet frische Kartoffeln essen dürfen, wie dies in Berlin geschieht. Wenigstens sollte man da nicht von freier Regung und Bewegung reden. Väterlich mag eine solche Regierung sein; die ganze Frage aber ist, ob Staaten aus Kindern oder Männern, Knaben oder Bürgern bestehen. […] Und selbst wenn der König von Pr. je Pressfreiheit erlaubte es würde nicht viel werth sein; denn Pressfreiheit in einem Beamtenstaate kann nie etwas wesentliches bedeuten, weil man den Begriff loyaler Opposition – einer der edelsten Blüthen politischer Civilisation – gar nicht kennt.129
Diesen Begriff hatte Lieber in seiner Beschäftigung mit der Transformation der Antifederalists von Verfassungsgegnern zu einer loyalen Opposition im Zuge der amerikanischen Bundesstaatsgründung kennen gelernt. Die Idee der loyalen Opposition, die – nur scheinbar paradox und aus der Perspektive Liebers durchaus folgerichtig – gleichzeitig Dissens in Form einer Kritik der Regierung oder der regierenden Mehrheit und Konsens über die verfassungsmäßige und volkssouveräne Grundlage des Austragens oppositioneller Meinungen und über die Legitimität unterschiedlicher politischer Ansichten zum Ausdruck brachte, schien Lieber an Bedingungen gebunden, die er in Deutschland nicht zu erblicken vermochte und die auch von den Staatswissenschaften nicht diskutiert wurden.130 Der Begriff der loyalen Opposition konnte überhaupt nur dann sinnvoll sein, wenn Herrschaft als begrenzt verstanden wurde und wenn sich ihre Trägerschaft in zeitlichem Ablauf ändern kann. Dies hätte allerdings eine konstitutionelle Begrenzung fürstlicher Macht und zumindest eine konsequente Parlamentarisierung vorausgesetzt, was Lieber in seiner deutschen Heimat wenn überhaupt, dann nur zögerlich umgesetzt sah. Mit diesen Argumenten rückte Lieber die Verfassungs- und Verwaltungslehre in der deutschen Wissenschaftslandschaft und die am Obrigkeitsstaat orientierte politische Kultur Deutschlands und insbesondere Preußens in einen engen Zusammenhang – ein Zusammenhang, der nun gerade die Vorteile einer födera-
128 Vgl. hierzu Siemann Wolfram, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 349–353. 129 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 19. März 1843, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 40. Hervorhebungen im Original. 130 Vgl. hierzu auch Jäger Wolfgang, Art. Opposition, S. 485–514.
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len Organisation des politischen Gemeinwesens, welche Lieber in seinen Schriften diskutierte, untergrub. Denn das von Lieber und seinem Freund Tocqueville akzentuierte wechselseitige Ermöglichungsverhältnis zwischen Föderalismus und republikanischer Selbstregierung wurde durch die bevormundenden Zwänge eines sich in alles einmischenden Beamtenstaats aus den Angeln gehoben. Gerade der von Lieber stets in Erinnerung gerufene Zusammenhang zwischen Bürgerbeteiligung, der Kultivierung von verantwortungsvollem politischen Handeln durch Deliberation und einer föderalen Ordnung, wurde seiner Meinung nach durch die mit gebanntem Blick auf den Staat und seine Verwaltung argumentierenden Staatswissenschaften außer Acht gelassen. Diese Argumentation wurde von Mohl und Mittermaier bis zum Vorabend der 1848er Revolution kaum berücksichtigt. *** 1844 veröffentlichte Robert von Mohl in Mittermaiers Kritischer Zeitschrift einen Aufsatz, in welchem er sich mit zwei Büchern auseinandersetzte, welche den Begriff der Demokratie in ihrem Titel trugen: Alexis de Tocquevilles De la démocratie en Amérique und Antoine-Elisée Cherbuliez’ La démocratie en Suisse. In diesem Aufsatz, der insgesamt einen vergleichenden und kritischen Blick auf den Demokratisierungsprozess in Nordamerika und Europa warf, kam er auch auf die Frage der bundesstaatlichen Institutionen zu sprechen, wie sie insbesondere von Tocqueville im ersten Band seiner Démocratie aufgeworfen wurde. Während Mohl in Tocquevilles Buch ansonsten eine „geistreiche, bis zum Luxus scharfsinnige Behandlung“ vorfand und dessen Argumentationsgänge rühmte, „welche an Schärfe der Logik, an tiefgehender Auffassung, an selbständigem Urteile ihres Gleichen suchen“, fiel sein Urteil über Tocquevilles Kapitel zur Bundesverfassung weniger positiv aus.131 Diese Ausführungen, monierte Mohl, seien „als der schwächste Theil des ganzen Werkes“ zu beurteilen: Ich bezweifle, ob der Verf. je über Bundeseinrichtungen ernstliche Studien gemacht hat. Schon der beiden Arten von Bünden, des Bundesstaates und des Staatenbundes, ist er sich in ihrer ausgeprägten Verschiedenheit und deren Folgen nicht deutlich bewusst. Noch viel weniger sind ihm die Einrichtungen anderer Bünde in ihren Einzelheiten oder deren Geschichten bekannt […].132
Was Mohl an Tocquevilles Ausführungen vor allem bemängelte, war neben den terminologischen Ungenauigkeiten und dem Verzicht auf komparative Überle-
131 Mohl Robert von, Entwickelung der Demokratie in Nordamerika und in der Schweiz, S. 283. 132 Mohl Robert von, Entwickelung der Demokratie in Nordamerika und in der Schweiz, S. 282.
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gungen – etwa mit Blick auf Deutschland, die Schweiz oder die Niederlande –, dass er es versäumt habe, „den Einfluss der Demokratie auf einen Bund gehörig ins Licht zu stellen.“133 Diese Kritik ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich für die in diesem Kapitel rekonstruierten Föderalismusdiskurse in Deutschland im Vorfeld der 1848er Revolution. Die von Mohl selbst beförderte Fokussierung der deutschen Staatswissenschaften auf die dichotomische Begriffsbildung zwischen Bundesstaat und Staatenbund im Zuge der „reichsnationalen Transformation des konstitutionellen Diskurses“ hat zu einer „Etatisierung“ des föderalen Diskurses geführt, die ihrerseits wiederum den Blick verstellte für die gerade von Tocqueville herausgearbeiteten Zusammenhänge zwischen föderalen Ordnungen, dem Brechen staatlicher Gestaltungsmacht und republikanischer Selbstregierung. Mohls Kritik an den Widersprüchen in Tocquevilles Beschreibung und Analyse der amerikanischen Bundesverfassung mag ihre Berechtigung haben; dass er allerdings die Wechselwirkungen zwischen der politisch-kulturellen Entfaltung des Demokratisierungsprozesses und den föderalen Institutionen der Vereinigten Staaten außer Acht gelassen habe, ist nicht nur deshalb eine wenig gerechtfertigte Kritik, weil sie inhaltlich nicht zutrifft, sondern auch weil Mohl selbst erst mit der Lektüre von Tocqueville überhaupt auf diese Fragen gestoßen ist. Die Staatszentriertheit seiner intellektuellen Beschäftigung mit dem Föderalismus der Vereinigten Staaten hatte bis anhin den Blick auf diese Problemfelder verstellt. Mohls und Mittermaiers Auseinandersetzungen mit dem amerikanischen Föderalismus widerspiegeln in vielerlei Hinsicht die komplexe Vielschichtigkeit der politisch-konstitutionellen Diskurse im Vorfeld der 1848er Revolution in Deutschland und die damit verbundenen Transformationen der politischen Sprache seit den atlantischen Revolutionen. Das heterogene Geflecht politischer Diskurse im Vormärz umfasste die Sprache des klassischen Republikanismus mit seinen Freiheitsidealen und republikanischen Bürgeridealen,134 die Sprache des aufgeklärt-absolutistischen Staatsverwaltungsdiskurses mit seiner Gleichzeitigkeit von Revolutionsfurcht und Reformbereitschaft und mit seinen gouvernemental-paternalistischen Neigungen,135 aber auch die politische Sprache eines aus dem atlantischen Revolutionszyklus hervorgegangenen modernen Republikanismus mit seiner Gewichtung von Volkssouveränität, Verfassung, Repräsentation, Öffentlichkeit und unveräußerlichen individuellen
133 Mohl Robert von, Entwickelung der Demokratie in Nordamerika und in der Schweiz, S. 282. 134 Vgl. Nolte Paul, Bürgerideal, Gemeinde und Republik. 135 Vgl. Vierhaus Rudolf, Liberalismus, Beamtenstand und konstitutionelles System.
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Rechten.136 Diese Vielfalt politischer Sprachen sah sich im postrevolutionären Deutschland zudem mit jener spezifischen Problemkonstellation konfrontiert, dass mit ihnen sowohl Reformansprüche auf der Ebene der Partikularstaaten als auch auf der Ebene des Deutsches Bundes adressiert wurden. Der amerikanische Föderalismus geriet vor allem dann ins Blickfeld, wenn die Frage der Reform des Deutschen Bundes aufgeworfen wurde. Auch in dieser Hinsicht gestaltete sich die Aneignung nordamerikanischer bundesstaatlicher Diskurse indessen als schwierig, zumal man im deutschen Frühliberalismus eine konsequente „Republikanisierung“ der „föderativen Nation“ mehrheitlich ablehnte und sich damit in eine Reihe von Dualismen verstrickte, deren Bearbeitung das viel zitierte Vermittlungsdenken in der politischen Theorie des deutschen Frühliberalismus geradezu zur Notwendigkeit machte.137 Dies galt ebenso für die zum diskursiven Leitbild avancierende „konstitutionelle Monarchie“ wie für die zum Ziel der Nationalbewegung erkorene Transformation vom Staatenbund zum Bundesstaat im Rahmen einer konstitutionell-monarchischen Ordnung. Die Hypothek eines monarchischen Staatenbundes wog letztlich zu schwer, als dass man ihn über Parlamentarisierung und nationale Repräsentation in einen Bundesstaat hätte transformieren können, ohne dabei die monarchischen Fundamente umzustoßen, an welchen der deutsche Frühliberalismus unnachgiebig festzuhalten gewillt war. Und für eine solche Transition bot auch der amerikanische Föderalismus nur bedingt Anschauungsmaterial und Handlungsanleitung. Die konsequente Ablehnung der Republik als Staatsform, der enge Assoziationszusammenhang zwischen Republik, sozialer Revolution und Untergang der bürgerlichen Welt in der politischen Imagination der Liberalen spaltete sie letztlich auch von der demokratischen Bewegung im Vormärz ab und dies stellte sich 1848/49 als eines der größten Hindernisse für den Erfolg der Revolution heraus.138 Dieses Hindernis hatte letztlich auch eine föderative Pointe.139 Sollte die Revolution mit den Fürsten gemacht werden, und nicht gegen sie, lief dies auf den Erhalt der tradierten föderativ-monarchischen Verfassungsstrukturen im Rahmen einer nationalstaatlichen Föderation hinaus. Sollte die Revolution gegen die Fürsten
136 Auf diese Heterogenität und transitorische Überlagerung unterschiedlicher politischer Sprachen verwies bereits Sheehan James, Liberalism and Society in Germany, 1815–1848, S. 583. Zu den Einflüssen aus Frankreich und England vgl. Eyck Gunther F., English and French Influences on German Liberalism before 1848. 137 Vgl. Brandt Hartwig, Zu einigen Liberalismusdeutungen der siebziger und achtziger Jahre, S. 521 & 526. 138 Vgl. Langewiesche Dieter, Republik, konstitutionelle Monarchie und „soziale Frage“, S. 537– 548. 139 Vgl. Langewiesche Dieter, Historische Reflexionen zum Föderalismus in Deutschland, S. 131.
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gemacht werden, wurde nicht nur die Monarchie zur Zielscheibe sondern auch der föderative Grundzug des bisherigen deutschen Staats- und Nationsbildungsprozesses. Darin lag die tragische Ironie des republikanischen Föderalismusdiskurses in Deutschland um 1848: Die tradierten föderativen Strukturen der deutschen Verfassungsentwicklung standen in einem gegenseitigen Absicherungsverhältnis mit den Fürsten, was die Zukunftsvision der „Föderativrepublik“ allmählich aus dem Blickfeld der Republikaner verschwinden ließ.
12 1848 und die politische Sprache des Föderalismus Die Nachricht vom Ausbruch der 1848er Revolutionen in Europa rief in Nordamerika gemischte Gefühle hervor.1 Im United States Magazine and Democratic Review, dem wahrscheinlich einflussreichsten Blatt der Demokraten, wurden die europäischen Revolutionen enthusiastisch begrüßt. „Republicanism becomes universal“, prophezeite die Zeitung in ihrem Leitartikel im Mai 1848; die europäischen Revolutionen schienen jenes „age of extraordinary events“ abzuschließen, welches die Amerikaner 1776 eröffnet hatten: „From the first establishment of this government […], the progress of popular rights has been rapid in Europe, and scarcely a year has elapsed without bringing with it some radical change in the relation of the people to their respective governments.“2 Das in den Revolutionen von 1848 manifest werdende Projekt „republicanizing Europe“ sei überhaupt nur in den Horizont des politisch Machbaren geraten, weil die Europäer dank der Kommunikations- und Verkehrsrevolution ihre „lessons in republicanism“ von den Amerikanern erhalten hätten: „That the great changes now being wrought throughout Europe can be ascribed only to the example and influence of the American Union there is no doubt.“3 Etwas weniger selbstgefällig und dafür etwas skeptischer kommentierte ein Beobachter in der North American Review, dem Leitorgan der Whigs, die europäischen Revolutionen von 1848. Die ersten euphorischen Reaktionen auf die Revolutionen in Europa hätten in den Vereinigten Staaten rasch nüchternen Einschätzungen Platz gemacht, die insbesondere mit den Erinnerungen an 1789 zu tun hatten: „The revolution of 1789 had left its terrible mark on the memory of nations; the horrors of the five succeeding years, the reign of terror at Paris, the sanguinary wars and political agitations, from which even the intervention of the
1 Zu den Wahrnehmungen der 1848er Revolutionen in Nordamerika vgl. Curti Merle E., The Impact of the Revolutions of 1848 on American Thought,; Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 792–836; Roberts Timothy M./Howe Daniel Walker, The United States and the Revolutions of 1848; Roberts Timothy M., Distant Revolutions, S. 42–62; Rohrs Richard C., American Critics of the French Revolution of 1848. Vgl. auch die Überblicksdarstellungen zu den 1848er Revolutionen von Botzenhart Manfred, 1848/49; Dowe Dieter/Haupt Heinz-Gerhard/Langewiesche Dieter (Hrsg.), Europa 1848; Langewiesche Dieter (Hrsg.), Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte; Agulhon Maurice, 1848 ou l’apprentissage de la république 1848–1852; Sperber Jonathan, The European Revolutions, 1848–1851; Mayaud Jean-Luc (Hrsg.), 1848. 2 [Anon.], The United States’ Constitution, S. 386–388. 3 [Anon.], The United States’ Constitution, S. 390.
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Atlantic did not preserve our distant land, were not easy to be forgotten.“4 Auch die Amerikaner hatten nach ihrer Revolution „years of confusion, uncertainty, and distress, of jealousy and dissension between the States and commotions among the people“ erfahren, bevor die Bundesverfassung von 1787 „order and prosperity out of this chaos“ gebracht habe. Vor diesem Hintergrund eines komparativen Deutungshorizontes zwischen den Entwicklungspfaden der Amerikanischen und der Französischen Revolutionen formulierte der Autor dann die für ihn entscheidende Frage an die Revolutionäre von 1848: „Will the republicans of Europe have moral firmness enough thus to tie their own hands, to set bounds and limits to their new possession of freedom, and to render to law and justice that authority which they have wrested from hereditary monarchs?“5 George Ticknor, der weit gereiste und mit europäischen Verhältnissen gut bekannte Bostoner Literaturhistoriker war in dieser Hinsicht skeptisch. „Republics, I much fear, cannot grow on the soil of Europe; at least, not republics in the sense we give to that word“, meinte er im Juli 1848 in einem Brief an seinen Kollegen George Stillman Hillard. There is no nourishment for them in the present condition or past history of the nations there, and if such struggles as we have witnessed for the last sixty years are to go on, with the vain hope of obtaining free governments, in which universal suffrage shall make the whole body of the people a practical sovereign, nothing but a decay of civilization will be the result.6
Der Begriff der Republik hatte in den revolutionären Deutungskulturen Europas und Nordamerikas gerade nicht eine universelle Bedeutung erhalten, wie die Democratic Review postulierte, sondern entfaltete eine durch unterschiedliche historische Erfahrungen gebrochene Semantik. Während in den Augen der Democratic Review die in Amerika begonnene revolutionäre Tradition in den europäischen Revolutionen von 1848 fortgesetzt wurde und der Umsturz von monarchischen Regierungen im Namen von Volkssouveränität und Demokratie vorbehaltlos begrüßt wurde, interessierte den Kommentator in der North American Review vielmehr, wie die Revolutionen beendet werden konnten und ob die Revolutionäre auch imstande sein würden, ihre neu gewonnene Freiheit in freiheitliche Verfassungen zu transformieren. Die konstitutionellen Antworten der Amerikaner auf ihre demokratische Revolution hatten in dieser Perspektive Lehren zu bieten, welche die europäischen Revolutionäre zur verfassungsmäßigen Stabilisierung des demokratischen Impulses zur Kennt-
4 [Anon.], The Revolutions in Europe, S. 198. 5 [Anon.], The Revolutions in Europe, S. 198. 6 Ticknor George, Life, Letters, and Journals of George Ticknor, II, S. 234–235.
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nis nehmen sollten. Eine dieser konstitutionellen Antworten erblickte er bezeichnenderweise im amerikanischen Föderalismus. Um zu verhindern, dass die neu gewonnenen politischen Handlungsspielräume in Europa nicht in jenen Missbrauch der Freiheit ausarten, welcher die erste Revolution in Frankreich geprägt hatte, forderte der Autor eine eingehende Beschäftigung der europäischen Revolutionäre mit dem Föderalismuskonzept in den Vereinigten Staaten und dessen Adaption in der Schweiz: The examples of Switzerland and the United States are enough to prove, that the reconciliation of liberty with peace and law can be more easily effected in a federation than in any centralized government. The elements of discord between the constituent states are repressed by the common desire for the preservation of tranquility, and the innovating or turbulent disposition of any one is kept down by the opposing interests of the majority. Party spirit loses much of its distracting and disturbing power, when scattered among many centres of action, instead of coming to a focus at one point. The several states are checks upon each other, and the federal government has a moderate control over all, not sufficient to excite jealousy or to serve as a means of oppression, but strong enough to hold the balance even between them. The limited grant of power to this federal head also renders it less an object of ambition or attack, and political agitation expends its force in the limbs before reaching the heart of the system.7
Die politischen Umwälzungen in Europa gaben in Amerika also wiederum Anlass, um über die eigene föderal-revolutionäre Tradition, über die eigene konstitutionelle Entwicklung und über deren Bedeutungen für die in Umsturz begriffenen europäischen Gesellschaften zu reflektieren. Die divergierenden Einschätzungen der europäischen Revolutionen von 1848 in der politischen Kultur Nordamerikas haben vielleicht ebenso viel mit der Beobachtung der Ereignisse in Europa zu tun, wie mit der Beobachtung der Entwicklungen in den Vereinigten Staaten. Die amerikanischen Wahrnehmungsmuster der europäischen Revolutionen wurden nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer wachsenden Fragmentierung des revolutionären Erbes Nordamerikas bewertet, eine Fragmentierung, die ihren vielleicht wirkungsvollsten Ausdruck in der zunehmenden Entfremdung zwischen den Nord- und den Südstaaten sowie in der wachsenden Legitimität des Sektionalismus und dem Auftauchen sezessionistischer Argumente fand.8 Parallel dazu hatte die Expan-
7 [Anon.], The Revolutions in Europe, S. 199–200. 8 Vgl. Morrison Michael A., American Reaction to European Revolutions, 1848–1852, S. 116; Roberts Timothy M., „Revolutions Have Become the Bloody Toy of Multitude“, S. 280. Zum Wandel der States’ Rights-Theorien in den 1850er Jahren vgl. Finkelman Paul, States’ Rights, Southern Hypocrisy, and the Crisis of the Union.
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sion in den Westen, die Annexion von Texas und der Krieg gegen Mexiko eine neue Welle des Nationalismus entfacht, die nun unter dem Banner der manifest destiny die rassischen und politischen Überlegenheitsgefühle vieler Amerikaner schürte.9 Andere, wie Albert Gallatin, sahen in diesen „mad, dangerous and iniquitous plans“ nur „the spirit of conquest, cupidity and false glory“ am Werk, dem man entschlossen entgegen treten müsse.10 Die Aufgabe der Vereinigten Staaten, wie sie Albert Gallatin verstand, nämlich, „to be a ‚model republic‘, to show that men are capable of governing themselves“, wurde seiner Meinung nach durch die inakzeptablen Aggressionen im Südwesten, durch einen „thirst of unjust aggrandizement by brutal force“ und durch „the love of military fame and false glory“ hintertrieben.11 Die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von expansivem Nationalismus und einer wachsenden Legitimität von States’ Rights und Sektionalismus verquickte sich zunehmend mit der Sklavereiproblematik und der Föderalismusfrage, denn die Expansion des so genannten Empire of Liberty im Südwesten war paradoxerweise auch eine Expansion des Slave Power. Diese Konstellation rückte nun mit zunehmender Dringlichkeit die Frage nach der zukünftigen Aufnahme von Sklavenhalterstaaten oder freien Staaten ins Zentrum öffentlicher Debatten, was wiederum die Ausgleichsmechanismen und die Integrationsfähigkeit des föderalen Prinzips vor neue Herausforderungen stellte.12 Edward Everett, der im Frühjahr 1848 gegenüber seinem mittlerweile in Paris lebenden Freund Robert Walsh Jr. noch seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht hatte, „that the French are studying our system with attention“,13 musste ihm kurze Zeit später berichten, dass die Bundesverfassung genau jene Integrationskraft einbüßte, die er für die republikanische Neukonstituierung Frankreichs im Frühjahr 1848 noch als so vorbildhaft betrachtet hatte: „The anti slavery feeling is daily becoming more extensive & active in the north; & the south becomes in proportion more exigent & intemperate“, erläuterte Everett die sich zuspitzende Situation. „A certain prestige still surrounds the con-
9 Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 701–743. 10 Albert Gallatin an Edward Everett, 16. Dezember 1847, in: SNB, Papers of Albert Gallatin, 44 469–470. 11 Gallatin Albert, Peace with Mexico, in: Gallatin Albert, The Writings of Albert Gallatin, III, S. 581 & 583. 12 Vgl. Potter David M., The Impending Crisis, 1848–1861, S. 48–49; Finkelman Paul, States’ Rights, Southern Hypocrisy, and the Crisis of the Union; Howe Daniel Walker, What hath God wrought, S. 811 13 Edward Everett an Robert Walsh Jr., 30. April 1848, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, Reel 28, Vol 84, 288–289.
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stitution; but it daily becomes weaker.“14 Wie Paul Finkelman die in den 1820er Jahren sich herausbildende und sich um 1848 verschärfende Konstellation treffend beschrieb: „Sectional harmony was possible only as long as no one asked any hard questions about slavery, race, western expansion, or economic development.“15 Und genau diese harten Fragen wurden nun um 1848 in verdichteter Form gestellt und heizten jenen von Edward Everett erläuterten sektionalen Konflikt an, der das föderale System fundamental infrage zu stellen drohte. Als Charles Sumner, der Herausgeber des American Jurist, Freund Edward Everetts und ehemaliger Mitarbeiter von Joseph Story, 1851 seinem deutschen Kollegen Karl Joseph Anton Mittermaier von den turbulenten Entwicklungen der letzten Jahre auf beiden Seiten des Atlantiks erzählte, brachte er genau diesen transatlantischen Charakter von 1848 auf den Punkt: „In the United States there is a struggle substantially co-incident with yours, which is now going on. With us the slave-power is the tyranny.“16 1848 war nicht nur eine Transformationsschwelle in der europäischen Geschichte, sondern auch in der amerikanischen, und die wechselseitigen Beobachtungen wirkten mithin als Katalysatoren der politischen Veränderungsprozesse dies- und jenseits des Atlantiks. Während in den Verfassungsdebatten in der Schweiz und in Deutschland die Beschäftigung mit den amerikanischen Föderalismustheorien eine wesentliche – wenn auch unterschiedlich erfolgreiche – Rolle im Versuch der Neukonstituierung der schweizerischen und deutschen Bundesstaaten spielte und in Frankreich das politische System der Vereinigten Staaten wieder ins Blickfeld kritischer Kommentatoren wie Édouard de Laboulaye geriet,17 zog umgekehrt die amerikanische Wahrnehmung der europä-
14 Edward Everett an Robert Walsh Jr., 20. März 1850, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, Reel 29, Vol. 92, 159. Hervorhebungen im Original. 15 Finkelman Paul, Introduction. Congress, the Rise of Sectionalism, and the Challenge of Jacksonian Democracy, 3, 16 Charles Sumner an K. J. A. Mittermaier, 8. März 1851, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.1475 18. 17 Vgl. Billias George Athan, American Constitutionalism Heard round the World, 1776–1989, S. 142–175; Rappard William E., Pennsylvania and Switzerland, S. 316–338; Guggisberg Hans R., The Confederations of the Netherlands and Switzerland and the American Constitution; Hutson James, The Sister Republics, S. 47–57; Netzle Simon, Die USA als Vorbild für einen schweizerischen Bundesstaat; Boldt Hans, Federalism as an Issue in the German Constitutions of 1849 and 1871; Franz Eckhart G., Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49. Kritischer die Einschätzungen bei Dreyer Michael, American Federalism – Blueprint for Nineteenth-Century Germany?; Dreyer Michael, Die Verfassung der USA; Wellenreuther Hermann, Die USA; Lerg Charlotte A., Amerika als Argument, S. 245–295; Lahmer Marc, La Constitution Américaine dans le Débat Français, S. 289–379; Rudelle Odile, La France et l’expérience constitutionelle américaine; Gray Walter D., Interpreting American Democracy in France, S. 36.
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ischen Revolutionen von 1848 politische Effekte für die zukünftige Entwicklung der amerikanischen Union und für die Integrationskraft der föderalen Struktur nach sich. „Both the United States and Europe had uncertain futures in the year 1848“, gab der Historiker Timothy Mason Roberts im Hinblick auf diese transatlantische Konfliktkonstellation zu bedenken, „the success of the democratic experiment was uncertain during the mid-1800s, on both sides of the Atlantic.“18 *** John C. Calhoun arbeitete an seinen beiden Abhandlungen A Disquisition on Government und A Discourse on the Constitution and Government of the United States als er vom Ausbruch der Revolutionen in Europa hörte.19 Beide Texte beabsichtigten eine fundamentale Revision der bisherigen Interpretationen des amerikanischen Föderalismus und beide Texte entstanden in einer Phase, in welcher Calhouns Blick streng nach Europa gerichtet war. „I look, perhaps, with greater solicitude for the unfolding of the great events now in progress in Europe,“ vertraute Calhoun Ende April 1848 seiner Tochter an, „as they afford me an opportunity to test the truth or error, of the principles, which I have laid down in my elementary discourse on Government.“20 Und die Stichhaltigkeit seiner Argumente versuchte Calhoun in der Tat in den folgenden Monaten mit innereuropäischen und transatlantischen Vergleichen zu untermauern. So hielt er die Zukunftsaussichten für die Revolution in Deutschland für erfolgsversprechender als diejenigen in Frankreich, weil die Deutschen aufgrund ihrer föderativen Strukturen bereits ein hervorragendes Fundament besäßen, „on which to errect, if not a federal Republick like ours, a federal constitutional Government.“21 Seine Hoffnungen für Europa lagen ganz auf der bundesstaatlichen Reform des Deutschen Bundes, „where the advantage of an existing system of confederation of states, and the dread of France from the experience of the first revolution, may lead to establish a federal system some what like ours.“22 Einige Wochen nachdem Calhoun diese Zeilen zu Papier gebracht hatte, erhielt er gleich selbst die Mög-
18 Roberts Timothy M., Distant Revolutions, S. 20. 19 Vgl. Calhoun John C., A Disquisition on Government; Calhoun John C., A Discourse on the Constitution and Government. 20 John C. Calhoun an T. G. Clemson, 28. April 1848, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 752. 21 John C. Calhoun an Thomas G. Clemson, 13. April 1848, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 748. 22 John C. Calhoun an James Edward Calhoun, 15. April 1848, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 750.
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lichkeit, seine Hoffnungen für Deutschland in konstitutionelle Argumente zu übersetzen, denn der Baron Friedrich von Gerolt bat Calhoun im Mai 1848, die vorgeschlagene Verfassung für das Deutsche Reich zu kommentieren. In seinem Antwortbrief verwies er auf die amerikanischen Erfahrungen mit bundesstaatlichen Strukturen und diese zeigten, so Calhoun, „that the tendency to concentrate all powers in the federal government is far stronger than that towards dissolution.“ Dementsprechend riet er den Deutschen, der Bundesgewalt „too little rather than too much power“ zu geben: „A constitution based on national unity, and with such extreme powers, would, it seems to me, form too close a union, for a people divided into communities, with political institutions so very different and interests so very conflicting.“23 Während Calhoun also für die deutsche Revolution durchaus eine föderale Zukunft sah, schätzte er die Bedingungen für die Revolution in Frankreich als weniger erfolgversprechend ein. In Frankreich würde die Revolution darin aufgehen, so Calhoun spöttisch, dass „the right of a mere majority to overturn law and constitution at its will and pleasure“ zum Grundsatz einer republikanischen Regierungsform gemacht werde.24 Mitte Juni 1848 hatten sich seine Zukunftsaussichten für die Revolution in Frankreich noch weiter verdüstert: There is no prospect of a successful termination of the efforts of France to establish a free popular Government; nor was there any from the beginning. She has no elements out of which such a government could be formed; and if she had, still she must fail from her total misconception of the principles, on which such a government, to succeed, must be constructed. Indeed her conception of liberty is false throughout.25
Der Versuch der französischen Revolutionäre, gleichermaßen Freiheit und Gleichheit zu beanspruchen, und ihre Neigung, politische Macht zu zentralisieren und demokratischen Mehrheiten kaum institutionelle Grenzen zu setzen, würde ähnlich wie bei der ersten Revolution nur zu „distraction, anarchy and finally absolute power, in the hand of one man“ führen. Was indessen Calhoun am meisten Sorgen bereitete, war sein Eindruck, dass diese semantische Amalgamierung von Freiheit, Egalität und nationaler Homogenität im französischen Revolutionsdiskurs auch auf der anderen Seite des Atlantiks seine Wirkmacht
23 John C. Calhoun an Baron von Gerolt, 28. Mai 1848, in: Curti Merle E., John C. Calhoun and the Unification of Germany, S. 477–478. 24 John C. Calhoun an James Edward Calhoun, 15. April 1848, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 750. 25 John C. Calhoun an T. G. Clemson, 23. Juni 1848, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 758.
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entfaltete und hier die „peculiar institution“ des Südens bedrohte: „Abolitionism originates in it, which every day becomes more formidable, and if not speedily arrested, must terminate in the dissolution of our Union, or in universal confusion, and overthrow of our system of Government.“26 Die republikanischen „48ers“, welche entweder aus Gründen der Mobilisierung der amerikanischen Öffentlichkeit für die revolutionäre Sache in Europa oder – später – mit dem sich abzeichnenden Scheitern der Revolutionen als Flüchtlinge in die Vereinigten Staaten reisten, waren fast ausnahmslos überzeugte Sklavereigegner. Ließen sie sich in Nordamerika nieder, fanden sie nicht selten ihren Weg in die Free-Soil-Bewegung, was sich in den Augen der Sklavenhalter der Südstaaten zu einer unheilvollen Allianz zwischen europäischen Radikalen, den Free Soilers des Nordens und den mittlerweile international organisierten Abolitionisten verknüpfte.27 Das Unbehagen über den Kurs der europäischen Revolutionen im nordamerikanischen Süden verschärfte sich zudem rasant, als die Französische Republik die Sklaverei in der Karibik abschaffte und damit das revolutionäre Gleichheitspostulat in einer Form ausweitete, welche in den amerikanischen Südstaaten als Angriff auf die Institution der Sklaverei interpretiert wurde.28 Während die Beobachter des Geschehens im amerikanischen Norden die Revolutionen von 1848 in Erinnerungsdiskursen verorteten, die 1776 und 1789 als Referenzereignisse bemühten, erinnerten Südstaatler mit Vorliebe an die Revolution in Haiti und schürten damit Ängste vor einer Sklavenrebellion im amerikanischen Süden.29 Die Revolutionen von 1848 in Europa beschleunigten dementsprechend in Calhouns Perspektive die bereits in Gang gekommenen Entfremdungsprozesse zwischen dem Süden und dem Norden in den Vereinigten Staaten. Calhoun – und mit ihm eine Reihe anderer politischer Theoretiker des amerikanischen Südens – erkannten durchaus, dass die Sklavenhalterstaaten aufgrund ihres geringeren Bevölkerungswachstums im Vergleich mit den freien Staaten des Nordens mittelfristig auf nationaler Ebene in eine strukturelle Minderheitenposition gerieten,
26 John C. Calhoun an T. G. Clemson, 23. Juni 1848, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 758. 27 Vgl. Foner Eric, Free Soil, Free Labor, Free Men, S. 11–39; Wittke Carl, The German Forty-Eighters in America, S. 723; Roberts Timothy M., Distant Revolutions, S. 168–186. 28 Vgl. Roberts Timothy M., Distant Revolutions, S. 125–145. 29 Vgl. Blackburn Robin, Haiti, Slavery, and the Age of the Democratic Revolution, S. 672; FoxGenovese Elizabeth/Genovese Eugene D., The Mind of the Master Class, S. 41–68; Clavin Matthew J., Toussaint Louverture and the American Civil War, S. 55–74. Zum generellen Kontext vgl. auch die Beiträge in Geggus David P. (Hrsg.), The Impact of the Haitian Revolution in the Atlantic World.
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an welcher selbst die „Three-Fifths-Clause“ nichts ändern würde.30 Die Radikalisierung von States’ Rights über Nullification hin zum Sezessionismus spiegelte die wachsenden Befürchtungen des Südens, dass eine nationale Mehrheit letztlich auch die Sklaverei abschaffen könnte, eine Gefahr, der man mit wachsenden einzelstaatlichen Souveränitätsbehauptungen beizukommen versuchte. Calhoun und seine Anhänger erfanden ihre eigene amerikanische revolutionäre Tradition angesichts der wachsenden Infragestellung der Sklaverei. Und diese revolutionäre Tradition baute nun nicht mehr nur auf lokaler Selbstregierung und auf einem ausgeprägten Föderalismus in Form der States’ Rights auf, sondern schloss zunehmend auch das Recht auf Sezession mit ein, wie Calhoun in den späten 1840er Jahren nun immer deutlicher argumentierte.31 Im April 1849 fragte er sich, ob nicht mittlerweile der Zeitpunkt gekommen sei, „when the South will have to chose between disunion, and submission.“ Die vermeintliche „aggression“ des Nordens ginge mittlerweile so weit, dass man ernsthaft zweifeln müsse, „whether the alienation between the two sections has not already gone too far to save the Union.“32 Während in Europa verfassungsgebende Versammlungen über die Zukunft ihrer Länder berieten, trafen sich im Juni 1850 in Nashville radikale Südstaatler, um die Perspektiven einer „Southern Nation“ zu diskutieren und die Frage zu klären, wie der Akt der verfassungskonformen Sezession von demjenigen der verfassungswidrigen Revolution zu trennen sei.33 Die Inkompatibilität von sklavenhaltenden und freien Staaten innerhalb der amerikanischen Union wurde also Ende der 1840er Jahre manifest, die Erosion der föderalen Mechanismen des Interessenausgleichs zwischen dem Norden und dem Süden ebenso. Was freilich den Konflikt weiter anheizte, waren wiederum divergierende Argumentationsmuster, welche die föderalen Grundzüge der amerikanischen Republik betrafen: Während Calhoun und seine Anhänger davon ausgingen, dass die Einzelstaaten aufgrund des Vertragscharakters der Verfassung letztlich das Recht auf eine friedliche Sezession hätten, war der Norden mehrheitlich der Meinung, dass
30 Vgl. Lewis Jan, The Three-Fifths Clause and the Origins of Sectionalism; O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, S. 235–258. Die „Three-Fifths-Clause“ besagte, dass bei den nationalen Volkszählungen drei Fünftel der Sklaven mitgezählt wurden, was sich zugunsten der Sklavenhalter des Südens auf die Sitzverteilung im Repräsentantenhaus auswirkte. 31 Vgl. Forsyth Murray, John C. Calhoun, S. 81–83. 32 John C. Calhoun an John H. Means, 13. April 1849, in: Calhoun John C., The Correspondence of John C. Calhoun, I, S. 765. 33 Vgl. Roberts Timothy M., Distant Revolutions, S. 141. Über die Versuche eine distinkte „Southern Nation“ aufzubauen vgl. Ford Lacy K. Jr., Making the „White Man’s Country“ White; O’Brien Michael, Intellectual Life and the American South, S. 203.
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Sezession als Rebellion gedeutet werden müsse und dass dies ein militärisches Eingreifen der Bundesregierung nach sich ziehen würde. Wie Daniel Webster in einer berühmten Rede 1850 diese konstitutionelle Position unmissverständlich ausdrückte: „There can be no such thing as a peacable secession. Peacable secession is an utter impossibility.“34 Und Francis Lieber zog ein Jahr später nach: „To secede,“ erklärte er zum 4. Juli 1851 lapidar, „requires revolution.“35 Diese Verschärfung der Debatte um die föderale Struktur der Union beschäftigte also auch Francis Lieber. Die Argumente jener „reckless fanatics“, welche die Sezession als inhärenten Bestandteil der föderalen Konstruktion der amerikanischen Union ansahen, beklagte sich Lieber bei Daniel Webster, „may make our Union so rickety a thing that we may suffer nearly all the misery and disgrace under which Germany has staggered for centuries in consequence of her wretched federal constitution and of her ‘particularism’, as the body of those tendencies is there called, which tears that unhappy country – destined for great things but cheated out of her history.“ Liebers komparative Perspektive auf die föderativen Geschichten Deutschlands und Nordamerikas verschob auch seine politischen Loyalitäten, wie er Webster erklärte: I find that I feel far deeper upon this subject of the Union than very many of the native citizens, perhaps because I am not a native American, and therefore naturally and necessarily a Pan-American, and because I am a native German, who knows by heart the commentary which his country has furnished and is furnishing for the text of querulous, angry, selfseeking, unpatriotic confederacies, and who finds in the history of his native country the key dearly and plainly to decipher every line of Grecian decay.36
Waren also die Vereinigten Staaten dazu verdammt, den gleichen Entwicklungsmustern zu folgen, die alle bisherigen Konföderationen gekennzeichnet hatten? Waren die Innovationsleistungen des föderalen Konzepts, welche Lieber in den Debatten der Federal Convention und der ratifizierenden Versammlungen in den Einzelstaaten 1787/88 erblickte, angesichts der Polarisierung der Föderalismusdiskussion um 1850 obsolet geworden? War die Integrationskraft des amerikanischen Föderalismus in Anbetracht der Verschärfung des sektionalen Konflikts nun definitiv an ihre Grenzen gelangt? Oder, wie Lieber im Januar 1850 selbst fragte:
34 Webster Daniel, The Constitution and the Union. A Speech delivered in the Senate of the United States, on the 7th of March, 1850, in: Webster Daniel, The Works of Daniel Webster, V, S. 361. 35 Lieber Francis, An Address on Secession, 4. Juli 1851, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 2, Folder 3, 10. 36 Francis Lieber an Daniel Webster, 6. Juni 1850, in: LCMD, Daniel Webster Papers, Reel 5, Vol. 9. Hervorhebungen im Original.
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Is the Union destined to a shorter life even than brief, brilliant Greece and the stanch, proud Netherlands? Must it, then, really turn out to have been a mere act of speculative folly, – what has ever appeared to me a deed of the boldest and grandest wisdom, and of the most original conception in the framers of our Constitution, – that they, the first in history, dared to engraft a representative system and regular government upon a confederacy?37
Diese Fragen stellten sich für Lieber mit umso größerer Dringlichkeit, als dass er einige Monate zuvor noch in Europa war, um die Verfassungsdebatten in Deutschland vor Ort verfolgen zu können. Dort war genau dieses föderale System Amerikas, welches Lieber nun am Abgrund stehen sah, ein viel diskutiertes Leitbild der Neukonstituierung Deutschlands als Bundesstaat, wie Lieber nach seiner Rückkehr an William C. Preston schrieb: I have heard the men of all parties at Frankfort state that the more they studied our Constitution (and it was published in numberless translations) the more they were amazed at its simple grandeur and deep wisdom, and the more they regretted every impediment and every fact which was in the way of accepting it as it is.38
Vergleichsweise bessere Ausgangsbedingungen vermochte Lieber in dieser Hinsicht bei Deutschlands südlichem Nachbarn zu entdecken. In der Schweiz habe man 1848 nach Jahren von „weakness and humiliation“ eine Bundesverfassung entworfen und verabschiedet, erinnerte Lieber die Leser des Southern Patriot 1851, „in which every essential improvement is avowedly copied from the United States Constitution.“39 „What a blast to Europe!“ müsse es nun bedeuten, wenn dieses Vorbild der republikanischen und bundesstaatlichen Umgestaltung in den Vereinigten Staaten selbst infrage gestellt wird, wenn doch alle Augen der liberalen und republikanischen Kräfte Europas nach Amerika gerichtet seien.40 In Deutschland müsse nun alles getan werden, forderte Lieber in einem Brief an seinen Freund Mittermaier in drängenden Worten, „die Vielfürsterei – ein historischer Scandal, eine politische Absurdität, ein philosophischer Non-sens
37 Francis Lieber an William C. Preston, 18. Januar 1850, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 237. 38 Francis Lieber an William C. Preston, 18. Januar 1850, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 237–238. Zu Lieber und seiner Wahrnehmung der Revolution vgl. Moltmann Günter, Franz Lieber und die Revolution von 1848/49; Schnurmann Claudia, Brücken aus Papier, S. 392–412. Zu den Föderalismusdebatten in der Paulskirche und zu den Verweisen auf den amerikanischen Föderalismus vgl. Lerg Charlotte A., Amerika als Argument, S. 245–295. 39 Suburanus [Lieber Francis], Centralization, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 344. 40 Francis Lieber an George Stillman Hillard, 29. Dezember 1849, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 227.
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– zu eliminieren, zu vertilgen – ob Monarchie oder Republik darauf folge – gleichviel.“41 Die Nachrichten, welche der amerikanische Botschafter in Berlin, Andrew Jackson Donselson, nach Washington sandte, blieben angesichts der revolutionären Wendungen in Deutschland zwiespältig. „It seems scarcely possible that the German States can adopt immediately a representative principle founded as ours is upon the will of the people“, schrieb er am 18. März 1848. Es sei deshalb zu erwarten, dass Deutschland vorerst „a Monarchic form“ behalten werde.42 Nur ein paar Tage später schrieb er indessen an James Buchanan, dass die öffentliche Meinung zu einer „more liberal infusion of the Democratic spirit, and the formation of a federal power“ neige.43 Zudem gerate der amerikanische Konstitutionalismus und dessen wirkungsmächtigste Kommentierung in Form der Federalist Papers nun immer stärker ins Blickfeld der reformorientierten Kräfte in Deutschland: „It is now more fashionable to call for our Federalist and Constitution than for any thing British as a form of government.“44 Zu jenen, welche zu dieser von Donelson konstatierten Aufmerksamkeit für die amerikanische Verfassung und deren berühmtesten Kommentatoren beitrugen, gehörte Liebers Freund Mittermaier. Er rief in der Frankfurter Nationalversammlung seinen Kollegen die Strukturen und Funktionen der amerikanischen Bundesverfassung in Erinnerung und schwärmte, dass in Nordamerika die Aufgabe gelöst worden sei, „die Macht der Centralregierung […] mit der vollsten Möglichkeit einer wohlthätigen Entwickelung der Einzelstaaten in Harmonie zu bringen.“ Andererseits war aber auch zu berücksichtigen, so Mittermaier, dass man es in Nordamerika mit einem „Bund von Freistaaten“ zu tun habe, wohingegen in Deutschland eine Verfassungskonstruktion „unter Verhältnissen eines Bundes von Monarchieen“ zu entwickeln sei, was eine „vorsichtige Prüfung bei Nachahmung amerikanischer Einrichtungen in Deutschland“ erfordere.45 Später versicherte auch der Nachfolger von Joseph Story als Rechtsprofessor am Harvard College, Simon Greenleaf, gegenüber Mit-
41 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 4. Juni 1849, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 61. 42 Andrew Jackson Donelson an James Buchanan, 18. März 1848, in: [Donelson Andrew Jackson], The American Minister in Berlin, on the Revolution of March, 1848, S. 359. 43 Andrew Jackson Donelson an James Buchanan, 21. März 1848, in: [Donelson Andrew Jackson], The American Minister in Berlin, on the Revolution of March, 1848, S. 361. 44 Andrew Jackson Donelson an James Buchanan, 30. März 1848, in: [Donelson Andrew Jackson], The American Minister in Berlin, on the Revolution of March, 1848, S. 371. 45 Rede von K. J. A. Mittermaier, 19. Oktober 1848, in: Wigard Franz (Hrsg.), Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main und Stuttgart, IV, S. 2724.
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termaier, dass die Entwicklungstendenz in Deutschland hin zu einer konstitutionellen Monarchie mit bundesstaatlichen Elementen neige, dass dies allerdings nur zu erreichen sei, wenn der Dualismus zwischen monarchischem Prinzip und Volkssouveränität zugunsten des Letzteren aufgelöst werde: A revolution has begun, & revolutions never go backward. In this country it is generally thought that the world will never be at peace until the great principle of the sovereignty of the people is universally conceded. We do not wish to see thrones overturned; but only to see them established on the basis of constitutional law, framed & assented to by the nation. – There is nothing in American republicanism that is at war with such a monarchy as I have just mentioned.46
Diese Problematik eines Bundesstaates in Form der konstitutionellen Monarchie adressierte auch Christian Karl Josias Bunsen, der Preußische Gesandte in London und ein Bekannter von Mittermaier, Mohl und Lieber, in einem Sendschreiben an die Nationalversammlung. Edward Everett, der Bunsen aus gemeinsamen Tagen in den diplomatischen Zirkeln Londons kannte, hatte ihm Ende 1848 geraten, „that your statesmen cannot study too intently our complicated federal & state system. It presents a great number of the very same problems which either have already arisen or certainly will arise in Germany in the further operation of your new central government.“47 Dies hatten die deutschen Politiker in der Tat getan und auch Bunsen erläuterte in seinem Sendschreiben an die Paulskirche die Grundsätze der föderalen Institutionen Nordamerikas. Der Bundesstaat sei die „Form der Zukunft“, postulierte Bunsen, und der „Föderalismus“ sei das wirksamste Prinzip, um die zentralisierende Tendenz moderner Staaten und die damit einhergehende „Gefährdung der Freiheit“ und „Ertödtung des politischen Lebens im Volke“ zu verhindern. Anders als in Nordamerika, wo der Bundesstaat nach der „demokratisch-republikanischen Form“ gebildet wurde, sei es nun die historische Aufgabe Deutschlands, „die constitutionelle Monarchie in der Form des Bundesstaates zu entwickeln, und dadurch den Typus derselben zu verallgemeinern und zu einer höhern Geltung zu erheben.“48 Francis Lieber war genau gegenüber dieser konzeptionellen Kombination skeptisch. Bereits im Oktober 1848 meinte er, dass die Nationalversammlung es
46 Simon Greenleaf an K. J. A. Mittermaier, 24. Oktober 1850, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 3718.17, Karton 2: D–W. 47 Edward Everett an C. K. J. Bunsen, 26. Dezember 1848, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, Reel 28, Vol. 87, 219. 48 Bunsen Christian Karl Josias, Die deutsche Bundesverfassung und ihr eigenthümliches Verhältnis zu den Verfassungen Englands und der Vereinigten Staaten, S. 16, 17 & 19.
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versäumt habe, „sich Kraft in der Sympathie des Volkes zu verschaffen oder zu erhalten. Als ich in Frankfurt war, schielte das Parlament nach den Fürsten und sah nicht auf das Volk – das deutsche Volk, wenn auch sein Gesicht dahin gerichtet zu sein schien.“49 Das Schielen nach den Fürsten fand seinen Ausdruck unter anderem darin, dass eine bundesstaatliche Neuordnung Deutschlands unter Einbezug der tradierten monarchischen Strukturelemente angestrebt wurde. Das allmähliche Scheitern der Revolution sah Lieber darin begründet, dass die Nationalversammlung die außerparlamentarischen Kräfte der Revolution nicht enger eingebunden habe, um die Verfassung – bei allen Mängeln, die ihr Liebers Meinung nach anhafteten – zur Sache des Volkes zu machen. Dies wäre der revolutionäre Augenblick gewesen, meinte Lieber: „Nie hat es einen ähnlichen Moment in der deutschen Geschichte gegeben, nie, denn noch nie hatte das deutsche Volk etwas positiv gegebenes in der deutschen Politik, wofür es als Volk, den Regierungen gegenüber streiten, worauf es bestehen könnte.“50 Dass der Bundesstaat in Form einer konstitutionellen Monarchie den Bedingungen Deutschlands angemessen wäre und die Föderativrepublik im deutschen Kontext ein gefährliches Experiment sei, blieb demgegenüber auch nach dem Scheitern der Revolution die Überzeugung von Bunsen. Seinem Bostoner Freund Edward Everett versicherte er im Rückblick, dass er sich während der Revolution „für eine freie, wahre Bundesverfassung“ eingesetzt habe, „verschieden von der eurigen nur durch die constitutionell monarchische Form der einzelnen Staaten und die daraus hervorgehende nothwendige monarchisch-erbliche Form des Hauptes der Union; aber sonst ganz im Wesentlichen das große und erhabene System eurer Väter, die Bildung eines großen Staates ohne tödtende oder wenigstens lähmende, legislative und administrative Centralisation, an welcher, in legislativer Hinsicht, England eben so wohl leidet als Frankreich. Dieser Gedanke ist der Gedanke der Zukunft.“51
Der von Bunsen kritisierte Zentralismus in Frankreich war es auch, welcher viele nordamerikanische Beobachter der Ereignisse in Paris skeptisch werden ließ, ob die Revolution in Frankreich einen erfolgreichen republikanischen Kurs einschlagen würde. Francis Lieber hatte für die Französische Revolution ebenso wenig Hoffnung wie John C. Calhoun. Der Zentralismus Frankreichs sei auch durch
49 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 11. Oktober 1848, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 60. 50 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 4. Juni 1849, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 61. Hervorhebungen im Original. 51 C. K. J. Bunsen an Edward Everett, 12. Oktober 1852, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, Reel 14A 0588. Hervorhebungen im Original.
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die 1848er Revolution nicht infrage gestellt worden, sondern im Gegenteil sogar noch verstärkt worden. Die Franzosen seien so daran gewöhnt, alles aus Paris zu erfahren, so Lieber spöttisch über den französischen Zentralismus, dass für die Errichtung einer Republik nichts weiter nötig gewesen war, als „telegraphic despatches telling the Monsieur so and so, that Il n’y a plus de roi or some such thing.“52 Als die Revolution in Frankreich dann schließlich mit dem coup d’état vom 2. Dezember 1851 in die Restauration der Bonaparte-Dynastie unter LouisNapoleon mündete, sah sich Lieber in seinen Einschätzungen über die Gefahren zentralistischer politischer Systeme und der damit zusammenhängenden unzulänglichen republikanischen Institutionen in Frankreich bestätigt.53 Was in Frankreich geschehen war, sei das Resultat dessen, was er in seinen Schriften „Cesarean Sovereignty“ genannt habe, schrieb er an Mittermaier. Und diese sei wiederum nichts anderes als „ein einzelner arroganter Absolutismus der Majorität, which is anything but liberty. Bei den Franzosen ist alles Concentration.“54 Dass ihm sein Freund Robert Walsh Jr. aus Paris berichtete, dass Édouard de Laboulaye, ein französischer Jurist, Korrespondent von Mittermaier und Mohl und späterer Briefpartner Liebers, nun in Paris Vorlesungen über amerikanisches Verfassungsrecht halte und lehre, „that American prosperity is owing chiefly to the institutions, to the federal and national constitutions“, war Lieber deshalb ein schwacher Trost – und dies umso mehr, als die politischen Entwicklungen in Deutschland nun immer klarer auf ein Scheitern der Revolution hindeuteten.55 „Die deutsche Geschichte ist für den Deutschen eine freudenlose“, beklagte sich Lieber im Rückblick auf das Scheitern der Revolution und angesichts der postrevolutionären Restauration bei Mittermaier mit bitteren Worten: Wir sind ein verpfuschtes Volk und Deutschlands jetzige Lage und Benehmen ist schmachvoll. Freilich ist es nicht das Volk, aber das eben ist so schmachvoll, dass deutsche Fürsten regieren und nicht die Vollzieher und Aussprecher des deutschen Sinnes sind. Wenn jemand das ganze deutsche Staatensystem wahr und treu beschriebe ohne Namen zu
52 Lieber Francis, Anglican and Gallican Liberty – Civil Liberty in General 1848–1850, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 44. Hervorhebungen im Original. 53 Vgl. hierzu Sperber Jonathan, The European Revolutions, 1848–1851, S. 255–257. 54 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 18. Januar 1852, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 65. Hervorhebungen im Original. 55 Mr Walsh’s communication to Journal of Commerce, N. Y. April 1850, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 1, Folder 44. Vgl. auch die Briefe Laboulayes in HL, Francis Lieber Papers, LI 2537–LI 2558. Laboulayes Vorlesung wurde 1849 veröffentlicht, vgl. Laboulaye Edouard, Etude de la Constitution américaine.
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nennen – abstrakt wie Plato seine Republik schrieb – man würde es für die absolutistische Hirngeburt eines Narren halten.56
Auf beiden Seiten des Atlantiks schienen sich die politischen Welten also in Richtungen zu bewegen, die Lieber alles andere als gefallen konnten. Der einzige Lichtblick zwischen den scheiternden europäischen Revolutionen und dem gefährdeten Zusammenhalt der amerikanischen Union schien ihm der bescheidene Erfolg der schweizerischen Eidgenossenschaft zu sein. Jedenfalls bemühte sich Lieber in Amerika nun erkennbar, die Gründung des schweizerischen Bundesstaates als erfolgreichen Export des amerikanischen Modells zu propagieren und damit auch den in South Carolina immer lauter werdenden Sezessionisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Switzerland, so far as she has of late reformed her federal constitution, has done so in avowed imitation of the federal pact of our Union,“ erklärte Lieber 1853. Den einzigen republikanischen Erfolg der 1848er Revolutionen in Europa verband es mit der politischen Weisheit der nordamerikanischen founding fathers, die auch den schweizerischen Beobachtern nicht entgangen sei.57 Umgekehrt bemühte sich Lieber, den Amerikanern schweizerische Mythen in Erinnerung zu rufen, weil er sich von diesen Narrativen eine versöhnende Wirkung auf die zerstrittenen Staaten der Union erhoffte. Als sich zu Beginn des Jahres 1850 im Süden die Forderungen nach einer Sezession der Südstaaten verdichteten, griff Lieber in den Mythenschatz der helvetischen Geschichte, um die sezessionistisch gesinnten Südstaaten zur Besinnung zu rufen. „When the Swiss were on the point of severing their country,“ meinte Lieber 1850, Flühe, a hermit, rushed into their senate, calling: „Concord, Concord, Concord!“ and conjured so fervently, and painted the dangers so vividly, and pointed to the past so exhortingly, that he succeeded. Would that we had our Flühe, too! Will Clay be he?58
Tatsächlich war es Henry Clay – zumindest vorläufig. Clay brachte im Frühjahr 1850 eine Reihe von Resolutionen in den Kongress, um die wachsende Entfremdung zwischen den sklavereifreundlichen und sklavereifeindlichen Kräften zu überbrücken, woraus schließlich der sogenannte „Compromise of 1850“ resul-
56 Francis Lieber an K. J. A. Mittermaier, 16. März 1854, in: UBH, Nachlass K. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 2746.895 70. Hervorhebungen im Original. 57 Lieber Francis, On Civil Liberty and Self-Government, I, S. 279. 58 Francis Lieber an William C. Preston, 18. Januar 1850, in: Lieber Francis, The Life and Letters of Francis Lieber, S. 238–239. Zur Rolle dieses Mythos in der Schweiz vgl. Altermatt Urs, Niklaus von Flüe als nationale Integrationsfigur.
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tierte.59 Lieber selbst bemühte sich an einer Rede zum 4. Juli 1851 gleich selbst, in die Rolle des Niklaus von Flüe zu schlüpfen und mit ebenso finsteren Farben die Zukunft eines aufgelösten Nordamerikas zu malen, wie mit hellen Farben die Einzigartigkeit der amerikanischen Union: „You can but fear, that of disunion which I know“, erinnerte Lieber das Publikum an seinen deutschen Erfahrungshintergrund: With you the evils of disunion are happily but matter of apprehension; with me, unhappily, matter of living knowledge. […] The history of Germany, the battlefield of Europe for […] three centuries, will tell you what idol we should worship, were we to toss our blessings to the winds, and were we to deprive mankind of the proud example inviting to imitation.60
Die Vorbildlichkeit, welche Lieber der amerikanischen Föderativrepublik zuschrieb, war aus einer fundamentalen Unsicherheit über die Zukunft der amerikanischen Union selbst geboren. Je näher die föderalen Ausgleichsmechanismen des politischen Systems Amerikas an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit gelangten, je tiefer sich die Risse zwischen Norden und Süden in die politische Landkarte der Union zogen und je unsicherer die Zukunft der Föderativrepublik wurde, desto größer wurde das Bedürfnis nach einer historischen und komparativen Einordnung der amerikanischen Verfassungskonstruktion. Liebers Freund Alexis de Tocqueville sprach im Frühjahr 1848 oft über Amerika.61 Kaum hatten seine Freunde in den Vereinigten Staaten vom Ausbruch der Februar-Revolution gehört, schickten sie neben ihren Glückwünschen auch gleich eine Reihe von Ratschlägen mit, auf welche konstitutionellen Grundlagen die proklamierte französische Republik gestellt werden sollte. William Alexander Duer und John Canfield Spencer rieten Tocqueville, sich im Verfassungskomitee für ein Zweikammersystem einzusetzen, da nur dieses, so meinte Duer, „la pru-
59 Der „Compromise of 1850“ bestand aus einer Reihe von Maßnahmen: in Washington D. C. wurde der Sklavenhandel abgeschafft, Kalifornien wurde als freier Staat in die Union aufgenommen, ein Bundesgesetz zur Rückführung entflohener Sklaven wurde durchgesetzt (eine tragische Ironie angesichts des Insistierens des Südens auf States’ Rights!), New Mexico und Utah wurde die Möglichkeit gegeben, selbst darüber zu bestimmen, ob sie freie oder sklavenhaltende Staaten sein wollten, und ein Grenzstreit zwischen New Mexico und Texas wurde beigelegt. Vgl. hierzu Potter David M., The Impending Crisis, 1848–1861, S. 100–116; Ashworth John, The Republic in Crisis, 1848–1861, S. 30–64; Finkelman Paul, States’ Rights, Southern Hypocrisy, and the Crisis of the Union, S. 474. 60 Lieber Francis, An Address on Secession, 4. Juli 1851, in: MSEL, Francis Lieber Papers, Box 2, Folder 3, S. 4 & 11. Hervorhebungen im Original. 61 Zu Tocqueville während der 1848er Revolution vgl. Jardin André, Alexis de Tocqueville, S. 345–375; Mélonio Françoise, Tocqueville et les Français, S. 73–80.
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dence et la réflexion nécessaires“ in die parlamentarischen Debatten einführen würde, „pour faire des lois sages et saines.“62 Mit John Canfield Spencer hatte sich Tocqueville schon während seiner Amerikareise über die Vorzüge eines Zweikammersystems unterhalten und Tocqueville hatte bereits damals in seinen Reisenotizen Spencers Einschätzung notiert, dass der Bikameralismus „un axiome reconnu par tous en Amérique“ sei, und fügte Spencers Urteil hinzu, „qu’un corps législatif unique est une détestable institution.“63 Ähnliches gab auch Edward Everett seinem alten Freund Tocqueville zu bedenken. Er habe bereits Robert Walsh Jr. in Paris geschrieben, er möge den Bikameralismus unter den Mitgliedern des Verfassungskomitees propagieren und sie von der „importance of considering the American precedents on this point“ überzeugen, denn dies sei „one of the vital points of a representative government“: [T]he utility of a twofold chamber is one of those empirical mysteries of representative government, which are learned by practice; by the positive experience of England & the United States of America in its favor; by the negative experience of your convention in 1793 against it. I am so sure of the necessity of two chambers that I most fully concur with you in the opinion ‘que, si la constitution actuelle n’est pas bientôt modifiée, la république n’aura aucune durée.’ Not only will the Republic be short lived; but no constitutional monarchy can stand with a single chamber.64
Wieder wurde das mentale Koordinatensystem, in welchem die Februar-Revolution von 1848 verortet wurde, von einer zeitlich-diachronen und einer räumlichsynchronen Sichtachse gebildet: Erstere verwies auf die Revolution von 1789 und ihre Folgen, letztere auf die konstitutionellen Erfahrungen Nordamerikas mit dem Zweikammersystem und repräsentativer Demokratie. Die Vorstellung,
62 William Alexander Duer an Alexis de Tocqueville, Juli 1848, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 123; John Canfield Spencer an Alexis de Tocqueville, 10. Juni 1848, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance étrangère d’Alexis de Tocqueville, S. 122–123. 63 Tocqueville Alexis de, Voyage en Amérique, S. 68. 64 Edward Everett an Alexis de Tocqueville, 12. Mai 1849, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, Reel 29, Vol. 89, 147 ff. Hervorhebungen im Original. Tatsächlich hatte Everett zwei Wochen zuvor an Robert Walsh geschrieben, es sei zu hoffen, „that the French are studying our system with attention. I am glad that there are members of the provisional government, who will on their acquaintance with you possess the means of precise & accurate information. I hope you will enforce upon them the all-importance of two chambers. No matter how defective the theory (& with us, except as a historical necessity growing out of the pre-existing rights of the States as politically equal, the theoretical grounds for two chambers are very imperfect) the practical operation is most salutary.“ Edward Everett an Robert Walsh Jr., 30. April 1848, in: MHS, Edward Everett Papers, Microfilm Edition, Reel 28, Vol 84, 288–289.
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dass ein bikamerales System die Verwerfungen demokratischer Partizipation und Entscheidungsfindung wenn nicht verhindern, dann zumindest abschwächen könne, und dass dadurch die Verfahrensrationalität einer republikanischen Ordnung sowie ihre politische Stabilität befördert würde, speiste sich also gleichermaßen aus einem diachronen und einem transatlantischen Vergleich. Bezeichnenderweise verzichtete Everett auf eine theoretische Herleitung des Bikameralismus und dessen Funktionen und verwies stattdessen auf die „mysteriösen“ aber seiner Meinung nach positiven politischen Effekte dieser Einrichtung. Damit umschiffte er natürlich jene antizipierten Einwände gegen den Bikameralismus, wie sie bereits in der Französischen Revolution eine wichtige Rolle gespielt hatten, nämlich dass dieses Institutionsarrangement entweder föderal oder aristokratisch hergeleitet wurde – denn beides war für die Revolutionäre von 1789 ebenso wenig hinnehmbar, wie für jene von 1848, wie Tocqueville selbst bald erfahren musste.65 Im Mai 1848 argumentierte Tocqueville im Verfassungskomitee für die Einführung des Zweikammersystems in Frankreich. Dass die Franzosen „le système des 2 chambres“ für eine „institution aristocratique“ hielten, versuchte er mit dem Verweis auf das amerikanische Zweikammersystem als Missdeutung zu entlarven. Bezeichnenderweise sparte Tocqueville in seinem Argument indessen explizit die föderale Dimension des Senats aus und akzentuierte stattdessen den Umstand, dass beide Kammern vom Volk gewählt würden und demnach nur unterschiedliche institutionelle Gefäße zur Repräsentation des Volkswillens darstellten: „Il faut que, comme en Amérique, les deux Chambres représentent de la même manière, par des moyens semblables, les mêmes intérêts et les mêmes classes du peuple.“66 Ziel des Zweikammersystems war in dieser Perspektive eine deliberative Filterung und Reifung des legislativen Willensbildungsprozesses sowie die Kontrolle und Balancierung der Exekutive und nicht mehr primär die Repräsentation ständischer oder föderaler Interessen. Diese Begründung überzeugte indessen 1848 ebenso wenig wie 1793. Armand Marrast knüpfte in
65 Vgl. Mélonio Françoise, Tocqueville et les Français, S. 77; Lamberti Jean-Claude, Le modèle américain en France de 1789 à nos jours, S. 493–495; Rudelle Odile, La France et l’expérience constitutionnelle américaine; Dijn Annelien de, Balancing the Constitution; Dippel Horst, The Ambiguities of Modern Bicameralism. 66 [Anon.], Procès-verbaux du Comité de Constitution de 1848, S. 130–131. Vgl. hierzu auch Jardin André, Alexis de Tocqueville, S. 365–369; Jaume Lucien, Tocqueville et le problème du pouvoir exécutif en 1848. Bereits in De la Démocratie en Amérique hatte Tocqueville argumentiert, dass die Teilung der Legislative in zwei Kammern in den Einzelstaatsverfassungen als „un axiome dans la science politique de nos jours“ angesehen werden müsse, vgl. Tocqueville Alexis de, De la Démocratie en Amérique, I, S. 85.
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seiner Argumentation an die tradierten Argumentationsmuster aus dem Republikanismusdiskurs der Französischen Revolution an, wenn er gegen Tocqueville erklärte: „Pour maintenir l’unité nationale, il est indispensable de n’avoir qu’une Chambre, puisqu’il n’y a qu’un seul peuple.“67 Und dieses Argument wog weitaus schwerer als Tocquevilles. Neben der gescheiterten Einführung des Zweikammersystems drängte Tocqueville zudem auf ein anderes politisches Projekt, das ihn seit seiner Amerikareise beschäftigte und dessen Realisierung in der kontingenten Situation der Revolution machbar schien: eine Dezentralisierung der Administration. In den ersten Wochen nach dem Ausbruch der Revolution traf er sich regelmäßig mit Richard Rush, dem amerikanischen Botschafter in Paris, bei welchem eifrig über „some of the points of Republican Government“ debattiert wurde.68 Rush war zu Beginn der Februar-Revolution begeistert, sowohl von der „suddenness of a thunderbolt“, mit welcher die Monarchie hinweggefegt wurde, als auch vom anschließenden ruhigen Gang der revolutionären Umgestaltung, die er Mitte März 1848 noch von den „liberal tendencies of enlightened Republicanism“ angeleitet sah.69 Die Befürchtungen mancher Beobachter, welche die Revolution vor dem Hintergrund der „reminiscences of the old revolution of 89“ deuteten, seien völlig unbegründet, schrieb Rush an James Buchanan: Burke himself if upon the stage again, would see, up to this point, the completeness of the contrast; and as the triumph of peaceful virtues during this first eventful month of their present revolution has been so signal, the hope grows more and more that they will not be found wanting when they come to the momentous task of building up, upon ruins of their monarchy, the essential institutions for the new form of government they have proclaimed.70
Genau an diesem Punkt, dem Aufbau republikanischer Institutionen auf den Ruinen der Monarchie, wichen indessen die Vorstellungen der meisten französischen Revolutionäre von jenen ab, welche Rush in Paris zu propagieren versuchte und welche er auch ausgiebig mit Tocqueville diskutierte. Am 30. April 1848 notierte Rush in sein Tagebuch, dass sich die Diskussionen mit Tocqueville auf das Themenfeld „federative principle and centralization“ konzentriert hatten.
67 [Anon.], Procès-verbaux du Comité de Constitution de 1848, S. 129. Vgl. hierzu auch Rosanvallon Pierre, The Republic of Universal Suffrage, S. 113. 68 Rush Richard, Occasional Productions, S. 384. 69 Richard Rush an James Buchanan, 14. März 1848, in: PUL, Rush Family Papers, Letterbook, Subseries 2A, Folder 11, S. 70–73. 70 Richard Rush an James Buchanan, 29. März 1848, in: PUL, Rush Family Papers, Letterbook, Subseries 2A, Folder 11, S. 81.
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Rush sprach sich im Hinblick auf die Organisation der französischen Republik für ein „federative system“ aus, „as exemplified in our Union, from its combining with federation the strength of consolidation; federation taking charge of the whole internal concerns of our States; consolidation (centralization) presenting us with one front to foreign Powers.“71 Wie Tocqueville erklärte, waren die Aussichten für eine solche föderative Umgestaltung Frankreichs düster, da die „powers and jurisdiction of the Parliaments as now existing in the departments“ äußerst gering seien. „He sees great difficulty in constructing out of them anything like our State governments for France“, resümierte Rush Tocquevilles Argumentation. „She is too much disposed to centralization from long habit, which had become a conviction.“72 Rushs Nachrichten über den Kurs der Februarrevolution motivierten nun auch Außenminister James Buchanan dazu, seine Sicht der Dinge kundzutun. „The history of the former French Revolution has, I think, rendered doubtful the stability of any purely central Republican Government in France“, meinte Buchanan in einem Brief an Rush Ende März 1848, und kontrastierte die politische Geschichte Frankreichs mit jener der Vereinigten Staaten, wo die föderale Struktur und die Souveränitätsteilung zwischen Bund und Einzelstaaten sowohl die Stabilität als auch die Freiheit der amerikanischen Republik garantierten: „These State Governments are the citadels of liberty and the watchful guardians of the rights of the people against encroachments of Federal power.“73 Die Einrichtung solcher Einzelstaaten – „or some substitute for them“ – betrachtete Buchanan deshalb als ratsam „for the protection and security of constitutional liberty in the French Republic.“74 Nachdem Rush diesen Brief von Buchanan erhalten hatte, unternahm er einen erneuten Anlauf, Tocqueville davon zu überzeugen, dass in Frankreich die Gelegenheit des revolutionären Handlungsspielraums zu nutzen sei um das föderative mit dem nationalen Prinzip zu verbinden. Er übergab ihm Buchanans Brief, „that he might judge how far, in the new Constitution preparing for France, the French Provincial Parliaments might be more or less assimilated to our State Governments, so as to make the political machine work efficiently to results such as we witnessed in the United States.“75 Allerdings schienen auch die Argumente
71 Rush Richard, Occasional Productions, S. 392. 72 Rush Richard, Occasional Productions, S. 391. 73 James Buchanan an Richard Rush, 31. März 1848, in: Buchanan James, The Works of James Buchanan, VIII, S. 35–36. 74 James Buchanan an Richard Rush, 31. März 1848, in: Buchanan James, The Works of James Buchanan, VIII, S. 36. 75 Rush Richard, Occasional Productions, S. 420–421.
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Buchanans Tocqueville nicht zu überzeugen, notierte doch Rush in sein Tagebuch, Tocqueville habe sich „little sanguine of the successful application of the two principles [the national and the federal principle] in France“ gezeigt.76 Mitte Mai 1848 musste sich Rush dann eingestehen, dass die Bedingungen für eine Rezeption des amerikanischen Föderalismus in Frankreich kaum gegeben seien. „When we in America allude to the State Governments as the pillars of our Republic, there appears to be little or no recipient in French opinion for that doctrine, or anything analogous to it“, berichtete er nach Washington: It is possible that the process of debate in the Assembly may open a door to its more favorable reception, but the compactness and unity of France, her martial character, the intensity of national feelings all over the country, with her situation externally towards Europe […] – considerations like these appear to leave her people an ear for little else just now than consolidation.77
Ähnliche Erfahrungen machte Tocqueville auch im Verfassungskomitee, wo er auf eine Dezentralisierung der administrativen Strukturen drängte. Dass eine föderale Umgestaltung in Frankreich unmöglich war, wie er seinen amerikanischen Kollegen zu erklären versuchte, bedeutete für Tocqueville noch nicht, dass man nicht zumindest auf eine administrative Dezentralisierung als einer Art Funktionsäquivalent zu den fehlenden föderalen Traditionen Frankreichs hinarbeiten könnte. „La centralisation est le droit donné à l’État de faire avec énergie et promptitude ce qui est nécessaire dans son intérêt“, erklärte Tocqueville im Mai 1848 im Komitee. „Mais il faut ne donner à l’État que ce qui est une affaire qui intéresse vraiment l’État, et laisser à la commune, à la personne locale ce qui est d’un intérêt local. Il faut que la commune puisse délibérer sur ses affaires sans que l’État intervienne.“78 Das Problem des französischen Staates lag nach Tocqueville darin, dass die Freiheit der Bürger und die Selbstverwaltung der Gemeinden durch einen exzessiven Zentralismus über Gebühr eingeschränkt wurden und die Machtkonzentration in Paris zu einer Korrumpierung der politischen Eliten in der Metropole führte.79 Auch diese Argumente trafen im Komitee indessen auf taube Ohren. Alexandre-François Vivien sah sich angesichts von Tocquevilles Erörterungen gar dazu veranlasst, das alte Gespenst der föderalistischen Hydra wieder
76 Rush Richard, Occasional Productions, S. 421. 77 Richard Rush an James Buchanan, 10. Mai 1848, in: PUL, Rush Family Papers, Letterbook, Subseries 2A, Folder 11, S. 115. 78 [Anon.], Procès-verbaux du Comité de Constitution de 1848, S. 115. 79 Vgl. Jaume Lucien, Tocqueville et le problème du pouvoir exécutif en 1848, S. 741; Rudelle Odile, La France et l’expérience constitutionnelle américaine, S. 41–44.
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zu reaktivieren: „[S]i le système républicain ne conservait pas et n’augmentait pas même la centralisation,“ warnte er vor Tocquevilles Vorschlägen, „on irait à la fédération.“80 Administrative Dezentralisierung wurde im Frankreich der Februarrevolution nach wie vor in jenen Deutungsmustern verortet, welche die Große Revolution geprägt hatte. So war etwa in Francis Weys Manuel des Droits et des Devoirs, ein populäres Nachschlagewerk, das im Untertitel als Dictionnaire Démocratique bezeichnet wurde, zu lesen, dass die Zentralisierung Frankreich während der Großen Revolution vor einer dreifachen Bedrohung gerettet habe: „du morcellement, de la guerre civile et de l’invasion“: La centralisation a rendu la France homogène, indissoluble; elle a simplifié le gouvernement, facilité les transactions, retrempé le patriotisme, rallié toutes les provinces à un intérêt commun, et assis sur des bases immuables la puissance de ce vaste empire.81
Es war auch angesichts solcher Deutungen, dass Richard Rush, der überzeugte Anhänger eines föderalen Republikanismus, zunehmend zur Überzeugung gelangte, dass die Chancen für die demokratischen Revolutionen in Europa schlecht stehen. „My faith in the establishment of democracy in Europe does not increase by a near view of all that has been passing around me in this region,“ gestand er gegenüber George Bancroft und zeigte sich erleichert, „that when we get back to our country, we shall be where Republicanism is cherished because understood.“82 Was in Frankreich unter Republikanismus verstanden wurde, war ganz offensichtlich nicht dasselbe, was Richard Rush damit in Verbindung brachte. Gerade weil Republikanismus und Föderalismus im politischen Diskurs Frankreichs seit der Revolution quasi zu „asymmetrischen Gegenbegriffen“ geronnen waren,83 zog sich ein Riss durch die politische Sprache der republikanischen Kräfte dies- und jenseits des Atlantiks. Mitte Januar 1848, kurz vor dem Ausbruch der Revolution in Frankreich, hatte sich Tocqueville bereits intensiv mit der Föderalismusfrage auseinandergesetzt, allerdings nicht primär mit Blick auf den Kontrast zwischen amerikanischem Föderalismus und französischem Zentralismus, sondern mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen in der Schweiz. Die Eidgenossenschaft lag schon länger im Blickfeld Tocquevilles, hatte er doch einige Jahre nach seiner Amerikareise auch
80 [Anon.], Procès-verbaux du Comité de Constitution de 1848, S. 115. 81 Wey Francis, Manuel des Droits et des Devoirs, S. 249. 82 Richard Rush an George Bancroft, 21. März 1849, in: PUL, Rush Family Papers, Subseries 2A, Folder 11, 1849. 83 Vgl. Koselleck Reinhart, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe.
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einige Schweizer Kantone bereist.84 Vor einem komparativen Deutungshorizont, der seine Amerikareise möglich gemacht hatte, schrieb er im Juli 1836 aus Bern an seinen Freund Francisque de Corcelle, dass das politische Institutionengefüge der Schweiz nicht als „fédération“ zu bezeichnen sei, sondern viel eher die Form einer „ligue“ aufweise: J’ai […] déjà en ma qualité d’Américain conçu un dédain très superbe pour la constitution fédérale de la Suisse que j’appelle sans façon une ligue et non une fédération; un gouvernement de cette nature est à coup sûr le plus mou, le plus impuissant, le plus maladroit et le plus incapable de mener les peuples autre part qu’à l’anarchie, qu’on puisse imaginer.85
In seinem Reisebericht Voyage en Suisse brachte Tocqueville diese Beobachtung dann in die lakonische Formulierung: „Il y a des cantons, il n’y a pas de Suisse.“86 Im Januar 1848 waren nun aber diese Kantone seit einigen Monaten in einen tiefgreifenden Transformationsprozess geraten, der auch Tocquevilles englischen Freund, den Historiker George Grote, dazu veranlasste in die Schweiz zu reisen und in seinen in der Zeitschrift Spectator publizierten Seven Letters on the recent Politics of Switzerland über den Bürgerkrieg und die Revolution in der Schweiz zu berichten.87 An Tocqueville schrieb der mit den Radikalen sympathisierende Grote im Dezember 1847 zudem einen Brief, in welchem er die Ereignisse in der Schweiz reflektierte und den schweizerischen Transformationsprozess in einen europäischen Kontext stellte.88 Tocqueville selbst befasste sich offenbar nicht zuletzt aufgrund der Ausführungen seines Freundes Grote mit der schweizerischen Revolution und nahm ein einige Jahre zuvor erschienenes Buch mit dem ihm wohl irgendwie bekannten Titel La Démocratie en Suisse zum Anlass, um an der Académie des sciences morales et politiques am 15. Januar 1848 über die jüngsten politischen Entwicklungen in der Schweiz zu referieren. Geschrie-
84 Zu Tocquevilles Auseinandersetzung mit der Schweiz vgl. Dürr Emil, Die Demokratie in der Schweiz nach der Auffassung von Alexis de Tocqueville; Monnier Luc, Tocqueville et la Suisse; Dufour Alfred, Histoire et constitution; Ganzin Michel, Alexis de Tocqueville. 85 Alexis de Tocqueville an Francisque de Corcelle, 27. Juli 1836, in: Tocqueville Alexis de, Correspondance d’Alexis de Tocqueville et de Francisque de Corcelle, I, S. 70–71. Hervorhebungen im Original. 86 Tocqueville Alexis de, Voyage en Suisse, S. 455. 87 Vgl. Grote George, Seven Letters on the recent Politics of Switzerland. 88 In der Ausgabe von 1876 wurde der Brief Grotes an Tocqueville vom 21. Dezember 1847 abgedruckt, vgl. Grote George, Seven Letters on the recent Politics of Switzerland, S. 159–171. Über die Beziehungen zwischen Tocqueville und Grote vgl. das allerdings mit Vorsicht zu genießende Buch von Grote Harriet, George Grote, S. 183, 207, 223, 332. Zum Kontext vgl. die kurze Skizze bei Straumann Heinrich, George Grote und der Sonderbundskrieg.
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ben hatte das von Tocqueville relativ scharf kritisierte Buch der Genfer Jurist Antoine-Elisée Cherbuliez, ein Schüler Pellegrino Rossis, der enge Kontakte zu seinen ebenfalls demokratieskeptischen deutschen Kollegen Robert Mohl und K. J. A. Mittermaier pflegte.89 Tocqueville hielt sich indessen nicht lange bei Cherbuliez’ Ausführungen auf, sondern nutzte die Gelegenheit, um über zwei Themen zu sprechen, die ihn seit seiner Amerikareise immer wieder beschäftigten und die sich in der eidgenössischen Revolution von 1847/48 eng miteinander verbanden: der Demokratisierungsprozess in Nordamerika und Europa und der Föderalismus. Den jüngsten Transformationsprozess der Eidgenossenschaft betrachtete Tocqueville als paradigmatisch für den ganzen Kontinent: „Ce qui se passe en Suisse n’est pas un fait isolé, c’est un mouvement particulier au milieu du mouvement général qui précipite vers sa ruine tout l’ancien édifice des institutions de l’Europe“, erklärte er gleich zu Beginn seines Vortrages. „Si le théâtre est petit, le spectacle a donc la grandeur; il a surtout une originalité singulière. Nulle part, la révolution démocratique qui agite le monde ne s’était produite au milieu de circonstances si compliquées et si bizarres.“90 Zu diesen komplizierten und verworrenen Bedingungen, unter welchen sich die demokratische Revolution in der Schweiz vollzogen hat, gehörte in Tocquevilles Perspektive die sprachliche, kulturelle, konfessionelle und politische Vielfalt in der politischen Kultur der Eidgenossenschaft und damit verbunden ihre föderative Tradition. Der Bundesvertrag von 1815 war seiner Meinung nach ein vollkommen gescheiterter Versuch, aus einer Liga einen Bundesstaat zu machen. Während einerseits kein Zweifel darüber bestehe, „qu’en Suisse la souveraineté est divisée en deux parts: d’un côté se trouve le pouvoir fédéral, de l’autre les gouvernements cantonaux“, habe man der Bundesregierung andererseits kaum die politischen Mittel gegeben, ihre Souveränitätsrechte auch durchsetzen zu können.91 „Je n’hésitarai pas à dire“, so das scharfe Urteil Tocquevilles über den Bundesvertrag von 1815, „qu’à mon sens la constitution fédérale de la Suisse est la plus imparfaite de toutes les constitutions de ce genre qui aient paru jusqu’ici dans le monde.“92 Diese institutionellen Rahmenbedingungen seien nun in den letzten Jahren unter Verände-
89 Vgl. zu Cherbuliez Keller Alexis, Le libéralisme sans la démocratie. 90 Tocqueville Alexis de, Rapport à l’Académie des sciences morales et politiques sur le livre de M. Cherbuliez, intitulé la Démocratie en Suisse, S. 84. 91 Tocqueville Alexis de, Rapport à l’Académie des sciences morales et politiques sur le livre de M. Cherbuliez, intitulé la Démocratie en Suisse, S. 90–91, 101–102. 92 Tocqueville Alexis de, Rapport à l’Académie des sciences morales et politiques sur le livre de M. Cherbuliez, intitulé la Démocratie en Suisse, S. 102.
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rungsdruck geraten, denn: „La Suisse, en effet, depuis quinze ans, est un pays en révolution.“93 Gerade was das Verhältnis zwischen demokratischer Revolution und Föderalismus betrifft, seien widersprüchliche Effekte zu beobachten, deren Berücksichtigung für das Verständnis des politischen Zustandes der Schweiz unerlässlich sei. Zum einen haben die demokratischen Revolutionen den lokalen und kantonalen politischen Räumen eine größere politische Aktivität und Bürgerpartizipation beschert und damit deren Funktionen als Rahmen politischer Auseinandersetzung, Deliberation, Identitätsbildung und institutionell ausgestalteter Entscheidungsfindung gestärkt. Zum anderen habe aber die demokratische Revolution auch einen Effekt der nationalen Integration durch Konflikt gezeitigt. Die Frage für oder wider die demokratische Revolution transzendierte in Tocquevilles Sichtweise die kantonalen Loyalitäten und schuf Konflikt- und Interessenkonstellationen, welche die kantonalen Rahmungen politischer Identitätsbildung und Konfliktaustragung sprengten: Jusqu’alors, chaque canton avait un intérêt à part, un esprit à part. L’avènement de la démocratie a divisé tous les Suisses, à quelques cantons qu’ils appartenissent, en deux partis: l’un favorable aux principes démocratiques; l’autre, contraire. Il a créé des intérêts communs, des passions communes qui ont senti pour se satisfaire le besoin d’un pouvoir général et commun qui s’étendit en même temps sur tout le pays.94
Der Konflikt über die demokratische Revolution schuf also in seiner Optik „un esprit public national“;95 die Kommunikationsnetze der Gegner und Befürworter der demokratischen Revolution warfen sich über die Kantons- und Sprachgrenzen hinweg, erhöhten die Mobilisierungsfähigkeit der Bürger und schufen damit eine nationale politische Öffentlichkeit, wo zuvor eine entlang mannigfacher sprachlicher, konfessioneller und politischer Grenzen fragmentierte Öffentlichkeit existierte. Das, was den Föderalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika ermöglichte, nämlich eine aktive, die Union durchdringende politische Öffentlichkeit, welche eine institutionelle Unifizierung teilweise obsolet machte, schien nun in der Schweiz ebenfalls in den Zukunftshorizont der politischen Entwicklung zu rücken, argumentierte Tocqueville zum Abschluss seines Vortrages
93 Tocqueville Alexis de, Rapport à l’Académie des sciences morales et politiques sur le livre de M. Cherbuliez, intitulé la Démocratie en Suisse, S. 86. 94 Tocqueville Alexis de, Rapport à l’Académie des sciences morales et politiques sur le livre de M. Cherbuliez, intitulé la Démocratie en Suisse, S. 108–109. 95 Tocqueville Alexis de, Rapport à l’Académie des sciences morales et politiques sur le livre de M. Cherbuliez, intitulé la Démocratie en Suisse, S. 109.
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in einer komparativen Perspektive. Diese Zukunftsperspektive einer bundesstaatlichen Umgestaltung der Eidgenossenschaft erschien Tocqueville dementsprechend nicht als teleologischer Kulminationspunkt einer nationalen Bewegung, sondern als kontingente Möglichkeit im konfliktreichen Ringen um die politische und konstitutionelle Ausgestaltung eines föderativ geprägten, komplexen und vielschichtigen politischen Gemeinwesens, das sich inmitten einer demokratischen Revolution befand. Zur gleichen Zeit, als George Grote seinem Freund Tocqueville über die politischen Entwicklungen in der Schweiz berichtete, beendete in Luzern Ignaz Paul Vital Troxler seine Schrift Die Verfassung der Vereinigten Staaten Nordamerika’s als Musterbild der Schweizerischen Bundesreform, welche im Januar 1848 veröffentlicht wurde.96 Das „window of opportunity“, welches sich mit dem Sonderbundskrieg geöffnet hatte,97 wollten Troxler und seine radikalen Mitstreiter, für welche George Grote so viel Sympathie aufbrachte, zur Veränderung der Bundesverhältnisse in der Schweiz nutzen. Hierfür griffen sie auf ein Argumentationsarsenal zurück, das sie zusammen mit anderen radikalen Intellektuellen seit den späten 1820er Jahren entwickelt hatten und welches den nordamerikanischen Föderalismus als Inspiration für die schweizerische Bundesreform bemühte. Sekundiert wurde Troxler auch 1848 von seinem radikalen Genfer Weggefährten James Fazy, der sich 1847/48 für „un gouvernement fédéral à l’américaine“ und für das Zweikammersystem aussprach: „Par cette division on concilia les deux principes de la souveraineté cantonale et la représentation directe du peuple dans les affaires fédérales“, erläuterte Fazy später sein Engagement für die stärkere Berücksichtigung der nordamerikanischen Erfahrungen mit der Föderativrepublik.98 Seinem Briefpartner Karl August Varnhagen von Ense schrieb Troxler Ende September 1847 über die schweizerische Verfassungsfrage: Einzig und allein durch die prinzipielle Anwendung der Verfassungsgrundlage der Vereinigten Staaten Nordamerikas kann das Problem gelöst werden, nur durch Einführung des Zweikammersystems oder der Scheidung der Bundesbehörde in einen Bürgerrat (Repräsentantenrat, Landhaus) und in einen Ständerat (Senat, Oberhaus) kann der ietz lose Staa-
96 Vgl. Spiess Emil, Ignaz Paul Vital Troxler, S. 890; Furrer Daniel, Gründervater der modernen Schweiz, S. 494. 97 Vgl. Suter Andreas, Die Revolution von 1848, S. 22. Zur Revolution von 1848 und ihren Kontexten vgl. auch die Beiträge in den beiden Sammelbänden von Hildbrand Thomas/Tanner Albert (Hrsg.), Im Zeichen der Revolution und Ernst Andreas/Tanner Albert/Weishaupt Matthias (Hrsg.), Revolution und Innovation. 98 Fazy James, Les Mémoires de James Fazy, S. 122–125. Vgl. hierzu auch Haas Leonhard, Die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Nordamerika, S. 250–251; Rappard William E., Pennsylvania and Switzerland, S. 335–336.
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tenbund in einen wohlgeordneten Bundesstaat umgewandelt werden, ohne dass er, was um der Kantone willen zu verhüten ist, in einem Einheitsstaat aufgehe. Ich werde nun die Nordamerikanische Verfassung vom Jahr 1787 in einer revidierten Übersetzung dem Publikum vorlegen, sie ins Licht setzen als Musterbild für unsere Bundesreform und die nötigen Beziehungen auf unsere Zustände und Verhältnisse nach innen und außen nachzuweisen suchen.99
Zur Jahreswende hatte Troxler die amerikanische Bundesverfassung übersetzt, ihr eine emphatische Einleitung vorangesetzt und Erläuterungen hinzugefügt. Zudem druckte er in Auszügen die Argumente zur Reform des schweizerischen Bundes ab, welche Karl Theodor Welcker in seinem bereits 1834 publizierten Aufsatz Über Bundesverfassung und Bundesreform vorgetragen hatte und die Welcker nun als Abgeordneter der Paulskirche seinen Kollegen im Verfassungsausschuss in Erinnerung zu rufen versuchte.100 In Form einer Invention of Tradition versuchte Troxler seinerseits in der Einleitung zu seiner Schrift einen historischen Bogen zu schlagen, der die Idee der Föderativrepublik auf schweizerische historische Erfahrungen zurückführte und sie gleichsam auf eine atlantische Wander- und Bildungsreise schickte: Der Bundesstaat ist die eigenste, freieste und vollkommenste Form der Föderativ-Republik. Seine Idee hat auch der Stiftung der Schweizer Eidgenossenschaft zu Grund gelegen und sie ist das Wesen und der Inhalt, welcher durch die Weisheit großer und edler Geister in dem politischen System der Vereinigten Staaten Nordamerikas als Frucht langer, reifer Berathung geläutert und ausgebildet worden ist. […] Der Keim dieser Föderalrepublik, wie das Alterthum und Mittelalter keine gesehen, ist in unseren Bergen gesäet und von Europa aus jenseits des Meeres mittels Pensylvanien in den großen Welttheil übertragen, dort zur Frucht am Risenbaume gereift. Es kommt uns also unser Ursprünglichstes und Eigenthümlichstes zurück.101
Dieses Narrativ konstruierte angesichts der krisenhaften Umbruchphase von 1847/48 eine Kontinuität des bundesstaatlichen Konzepts, welches seine Wurzeln
99 I. P. V. Troxler an Karl August Varnhagen von Ense, 29. September 1847, in: [Troxler Ignaz Paul Vital/Varnhagen von Ense Karl August], Briefwechsel zwischen Ignaz Paul Vital Troxler und Karl August Varnhagen von Ense 1815–1858, S. 324–325. 100 Vgl. Troxler Ignaz Paul Vital, Die Verfassung der Vereinigten Staaten Nordamerika’s als Musterbild der Schweizerischen Bundesreform, S. 31–34; Welcker Karl Theodor, Ueber Bundesverfassung und Bundesreform, über Bildung und Gränzen der Bundesgewalt. Vgl. hierzu auch Lerg Charlotte A., Amerika als Argument, S. 263–279. 101 Troxler Ignaz Paul Vital, Die Verfassung der Vereinigten Staaten Nordamerika’s als Musterbild der Schweizerischen Bundesreform, S. 9. Zur Invention of Tradition vgl. Hobsbawm Eric/Ranger Terence (Hrsg.), The Invention of Tradition; Hobsbawm Eric, Das Erfinden von Traditionen; Suter Andreas, Nationalstaat und die „Tradition von Erfindung“.
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in den mythischen Tiefen der schweizerischen Geschichte fand, über einen transatlantischen Verfeinerungsprozess in Form des amerikanischen Bundesstaatsmodells nun seinen Weg in die Schweiz zurückfand und dort wieder an jene Traditionen anschloss, welche es einst selbst begründet hatte. Diese intellektuelle Bricolage und „Erfindung von Tradition“ zielte deutlich darauf ab, „eine Kontinuität mit einer brauchbaren geschichtlichen Vergangenheit“ herzustellen, um damit die politische Legitimität einer konzeptuellen Orientierung an der amerikanischen Föderativrepublik in den schweizerischen Verfassungsdebatten zu steigern.102 *** Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.103
So schrieb Karl Marx 1852 im Rückblick auf die revolutionären Ereignisse in Europa von 1848/49 in Worten, die für die hier thematisierte Frage nach der politischen Sprache des Föderalismus neue Fragehorizonte erschließen. Waren die Revolutionen von 1848/49 auch im Hinblick auf die politische Sprache des Föderalismus eine „lumpige Farce“ der Großen Revolution? Flüchteten sich auch die föderativen Begrifflichkeiten in die semantischen Kostüme der Großen Revolution? Wurde das föderale Konzept 1848 also in der „erborgten Sprache“ der Großen Revolution artikuliert und verlor vielleicht gerade deswegen seine Potenz, „die Dinge umzuwälzen“? Oder müsste nicht viel eher dem Umstand Rechnung getragen werden, dass nicht nur „die Tradition“ wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden lastet, wie Marx polemisch zuspitzte, sondern eine Pluralität von Traditionen, die gerade durch die Möglichkeiten wechselseitiger Lernprozesse und semantischer Transfers neue Erwartungshorizonte und neue politische Handlungsoptionen zu erschließen imstande war?104 Die Antworten auf diese Fragen
102 Hobsbawm Eric, Das Erfinden von Traditionen, S. 98. 103 Marx Karl, Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon, S. 115. Vgl. zu Marx auch Sperber Jonathan, Karl Marx, S. 293–297. 104 Zur politischen Sprache in der Revolution von 1848 in Deutschland vgl. Steinmetz Willibald, „Sprechen ist eine Tat bei euch“.
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müssen naturgemäß differenzierter ausfallen, als dies Marxens Polemik – bei all ihrem politischen Scharfsinn und ihrer sprachlichen Meisterschaft – nahelegt. Zweifellos bildete die revolutionäre Umbruchphase um 1848 eine verdichtete Phase wechselseitiger transatlantischer Beobachtung, wie die oben rekonstruierten Beispiele zu verdeutlichen versuchten. Nicht nur die Französische Revolution und die ihr folgenden Versuche der verfassungsmäßigen Bändigung warfen ihre Schatten auf die politische Sprache des Föderalismus um 1848, sondern auch die Amerikanische Revolution und die nordamerikanische Bundesverfassung von 1787. Die Diskursfelder, auf welchen über die Bedeutung von 1848 und über Vergangenheit und Zukunft des föderalen Konzepts gestritten wurde, waren mithin von einer transatlantischen Ausdehnung. Die Chiffre „1848“ lässt sich vor diesem Hintergrund als eine von Kontingenz geprägte Transformationsschwelle für die politische Sprache des Föderalismus dies- und jenseits des Atlantiks betrachten – eine Transformationsschwelle, die allerdings unterschiedliche historisch-semantische Effekte in den jeweiligen Kontexten hervorrief. In der Schweiz ist die revolutionäre Umgestaltung vom Staatenbund zum Bundesstaat mit Anleihen bei der amerikanischen Verfassung ironischerweise genau in jenem Moment vollzogen worden als diese bundesstaatliche Ordnung in den Vereinigten Staaten durch das Aufkommen des Sezessionismus radikal infrage gestellt wurde. Damit sei indessen nicht gesagt, dass 1848 die Föderalismusdiskussion in der Schweiz beendet worden wäre, wie bereits der Hinweis auf die Bundesverfassungsrevision von 1874 deutlich macht.105 Der neu gegründete und mit noch relativ schwachen Institutionen ausgestattete Bundesstaat blieb auch nach 1848 gefangen in einem Spannungsgefüge zwischen Ansprüchen nach lokaler und kantonaler Autonomie einerseits und Forderungen nach einer stärkeren nationalen Konsolidierung andererseits; Widerstand gegen zentralisierende politische Praktiken des Bundes wurde ebenso in der politischen Sprache des Föderalismus artikuliert wie nationale Integrations- und postrevolutionäre Versöhnungsdiskurse auf ihre Metaphern und historischen Narrative zurückgriffen.106 Die mehrdeutige politische Sprache des Föderalismus erwies sich auch nach der Gründung des Bundesstaates von 1848 als ein viel bemühtes und gleichzeitig auch immer umstrittenes Mittel, um die vielfältigen politischen, sozioökonomischen, konfessionellen und kulturellen Kämpfe und Konflikte zu bearbeiten, welche die schweizerische Gesellschaft in den nachfolgenden Jahrzehnten prägten.
105 Vgl. Meyerhofer Ursula, Republik und Föderalität in der Schweiz 1798–1848, S. 205; Zimmer Oliver, A Contested Nation, S. 147–153; Speich Chassé Daniel, Die Schweizer Bundesstaatsgründung von 1848: ein überschätzter Bruch? S. 406–407. 106 Vgl. hierzu Zimmer Oliver, A Contested Nation, S. 147–148.
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Während Troxler 1848 in der schweizerischen Öffentlichkeit zu bedenken gab, dass die amerikanischen Gründungsväter „ein eigentlich menschheitliches Problem gelöst“ und mit ihrer Verfassung ein Muster für „alle Föderativrepubliken“ geschaffen hätten, reflektierte John C. Calhoun in South Carolina darüber, inwiefern die US-Verfassung das Moment der friedlichen Sezession theoretisch inkorporiere, um mit dieser Herleitung die Institution der Sklaverei aufrecht zu erhalten und damit die Lösung eines deutlich dringenderen „Menschheitsproblems“ aufzuschieben.107 Damit stellte sich nach 1848 in der amerikanischen politischen Kultur eine Frage mit zunehmender Dringlichkeit: Wollte man in Zukunft auf die Union setzen und für deren Frieden und Persistenz die Sklaverei als notwendiges Übel hinnehmen oder war man nicht länger bereit, die Bundesverfassung in den Dienst der Sklavenhalter zu stellen und sie damit, in den Worten des Abolitionisten William Lloyd Garrison, zu einem „covenant with death, and an agreement with hell“ zu degradieren?108 Frederick Douglass, der afroamerikanische Intellektuelle und Abolitionist, erinnerte seine Zeitgenossen 1849 an die Zusammenhänge zwischen der Bundesverfassung und der Sklaverei als er unmissverständlich schrieb: „[T]he original intent and meaning of the Constitution (the one given to it by the men who framed it, those who adopted, and the one given to it by the Supreme Court of the United States) makes it a pro-slavery instrument.“109 Die föderale Struktur der Union wurde nach 1848 von den politischen Theoretikern des amerikanischen Südens in zunehmendem Maße für die Aufrechterhaltung der Sklaverei bemüht und wurde damit zu einem dynamisierenden Moment innerhalb der krisenhaften Konfliktspirale, die schließlich 1861 im Ausbruch des Bürgerkriegs eskalierte.110 Mit den Schutzme-
107 Troxler Ignaz Paul Vital, Die Verfassung der Vereinigten Staaten Nordamerika’s als Musterbild der Schweizerischen Bundesreform, S. 11; Calhoun John C., A Discourse on the Constitution and Government, S. 81. 108 Garrison soll diese Formulierung an einer Rede zum 4. Juli 1854 öffentlich vorgetragen haben, nachdem er bereits in privaten Briefen davon Gebrauch gemacht hatte, vgl. Finkelman Paul, Garrison’s Constitution; Foner Eric, Blacks and the U. S. Constitution, S. 169; Young James P., American Political Thought from Jeffersonian Republicanism to Progressivism, S. 391. 109 Douglass Frederick, Letter to C. H. Chase on „The Constitution and Slavery“, North Star, 9. Februar 1849, in: Douglass Frederick, Selected Speeches and Writings, S. 128. Douglass änderte später seine Meinung und argumentierte nicht mehr gegen die Bundesverfassung, sondern beanspruchte nun, dass die Sklaverei innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens abgeschafft werden könne und müsse, da sie gegen die Präambel der Verfassung verstoße, welche er als Interpretationsanleitung für das ganze Dokument verstand. Vgl. hierzu Black Kelvin C., Frederick Douglass’ Differing Opinions on the Pro-Slavery Character of the American Union. 110 Vgl. Ashworth John, The Republic in Crisis, 1848–1861, S. 5–29; Finkelman Paul, States’ Rights, Southern Hypocrisy, and the Crisis of the Union, S. 476–478.
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chanismen, welche die Bundesverfassung von 1787 auch gerade mittels föderaler Institutionen für die Aufrechterhaltung der Sklaverei errichtete, säte sie gleichzeitig den Keim für den Bürgerkrieg.111 Und erst nach dem Bürgerkrieg, der eine massive Machtverschiebung zugunsten der bundesstaatlichen Institutionen zur Folge hatte, erhielt die Union jenes national-unitarische Gewand, in welches sie manche europäische Beobachter bereits vor der 1848er Revolution eingekleidet sehen wollten. In Deutschland „scheiterte“ die Revolution – zumindest vorerst was das von einigen ihrer Protagonisten formulierte Ziel einer bundesstaatlichen Einigung anbelangte – vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Berufung auf das in unitarischer Version verstandene amerikanische Vorbild, wie Carl J. Friedrich zu bedenken gegeben hat.112 Markierten die Verfassungsdebatten der Paulskirche 1848 also „den Ort, an dem der Föderalismus seine Attraktivität auf der Linken verlor“?113 In der Tat wurde der Föderalismus nach 1848 in der deutschen politischen Kultur mehrheitlich konservativ gewendet und entwickelte sich im Zuge einer „realpolitischen Wende“ der politischen Sprache zu einem Konzept, das Demokratisierungsprozesse hemmte und eine antiparlamentarische Spitze erhielt, wie dies etwa in der Bundesstaatstheorie von Georg Waitz und in der politischen Praxis im Kaiserreich deutlich werden sollte.114 Allerdings ist diese semantische Umfunktionalisierung des Föderalismus bereits in den Kontroversen im Zuge der „reichsnationalen Transformation des konstitutionellen Diskurses“ im Deutschland des Vormärz angelegt.115 Das Eintreten für den Bundesstaat und der Verweis auf den amerikanischen Föderalismus war mitnichten ein Reservat der demokratisch-republikanischen Linken. Am Amerikadiskurs beteiligten sich in wirkungsmächtiger Art und Weise auch gemäßigte und demokratieskeptische Liberale wie Mittermaier und Mohl – und selbst Konservative wie Franz Joseph Buß kommentierten den Föderalismus der Vereinigten Staaten, wenn auch mit deutlich
111 Vgl. Finkelman Paul, How the Proslavery Constitution Led to the Civil War, S. 436–438. 112 Vgl. Friedrich Carl J., The Impact of American Constitutionalism Abroad, S. 54. Zum Deutungsmuster des „Scheiterns“ der Revolution vgl. Langewiesche Dieter, Wirkungen des „Scheiterns“. 113 Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, S. 108. 114 Vgl. Rumpler Helmut, Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (1815–1871), S. 224–225; Krüger Peter, Einflüsse der Verfassung der Vereinigten Staaten auf die deutsche Verfassungsentwicklung, S. 237–238. Zur „realpolitischen Wende“ der politischen Sprache in der Revolution von 1848 vgl. Steinmetz Willibald, „Sprechen ist eine Tat bei euch“, S. 1111–1115. 115 Vgl. Blänkner Reinhard, Der Vorrang der Verfassung, S. 322.
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herausgestellter Distanz.116 Wie bereits Franz Neumann schrieb, ist es „nahezu unmöglich […], das föderalistische Element von allen anderen zu isolieren und ihm bestimmte Funktionen zuzuschreiben.“117 Entscheidend sind die Relationen und die damit verbundenen Funktionalisierungen des Föderalismuskonzepts in einer umfassenden institutionellen und politisch-kulturellen Konfiguration. Diese wurden nun weder im Vormärz noch 1848 dahingehend weiter geführt, eine föderale Organisation des angestrebten deutschen Nationalstaates aus dem Konzept der Volkssouveränität abzuleiten. Auch das bismarcksche Kaiserreich war, was das föderale Element anbelangt, im Kern ein von oben durchgesetzter Bund der Fürsten und nicht eine sich von unten her verbindende Assoziation der deutschen Länder oder Völker.118 Föderalismus wurde hier zum Mittel, die assoziierten Monarchien in der Institution des Bundesrates zu integrieren, die parlamentarische und demokratische Mitsprache zu begrenzen und damit die parlamentarische Verantwortung der Regierung zu umgehen, kurz: Föderalismus wurde zu einem staatlichen Verwaltungs- und Organisationsprinzip, das sich gegen jene volkssouveräne Herleitung der „Föderativrepublik“ wandte, wie sie von den demokratischen und republikanischen Kräften zuweilen gefordert worden war.119 Und wie entwickelte sich die Geschichte des Föderalismuskonzepts im Frankreich der 1848er Revolution, der ja Marxens bissige Kritik in erster Linie galt? Mit dem Blick auf die französische Diskussion des Föderalismuskonzepts wird man Marxens Polemik nicht absprechen können, dass sie im Wesentlichen zutraf. Tatsächlich folgten die Debatten über Föderalismus, Zweikammersystem, administrative Dezentralisierung und Checks and Balances über weite Strecken den argumentativen Mustern, welche bereits die Große Revolution geprägt hatten.120 Zwar versuchte etwa Édouard de Laboulaye während der 1848er Revo-
116 Vgl. Buß Franz Joseph von, Über die Verfassungsurkunde der Vereinigten Staaten von NordAmerika, S. XXVI. 117 Neumann Franz, Zur Theorie des Föderalismus, S. 135. Vgl. hierzu auch die Überlegungen bei Diamond Martin, The Ends of Federalism. 118 Vgl. Rumpler Helmut, Föderalismus als Problem der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (1815–1871), S. 225; Renzsch Wolfgang, German Federalism in Historical Perspective, S. 19–22; Dann Otto, Der deutsche Weg zum Nationalstaat im Lichte des Föderalismus-Problems, S. 68; Weichlein Siegfried, Föderalismus und Bundesstaat zwischen dem Alten Reich und der Bundesrepublik Deutschland, S. 110–117. 119 Zur Zäsur von 1848 für die Begriffsgeschichte von „Republik“ vgl. Langewiesche Dieter, „Republik“ und „Republikaner“, S. 152; Steinmetz Willibald, „Sprechen ist eine Tat bei euch“, S. 1104–1105. 120 Vgl. Rosanvallon Pierre, The Republic of Universal Suffrage, S. 112–113; Lahmer Marc, La Constitution Américaine dans le Débat Français, S. 384–385; Rudelle Odile, La France et l’expérience constitutionnelle américaine, S. 40–41.
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lution mit seinem Pamphlet Considérations sur la Constitution die konstitutionellen Ideen der nordamerikanischen Union in die politischen Debatten Frankreichs einzuspeisen und hielt am Collège de France Vorlesungen über L’Amérique et la Révolution Française.121 In seinen Questions constitutionnelles, in welchen er eine Gegenüberstellung zwischen der „école américaine“ und der „école révolutionnaire ou française“ vornahm (womit er bemerkenswerterweise der amerikanischen Schule ihre revolutionäre Tradition bereits in der Bezeichnung absprach), stellte er indessen im Rückblick fest, „qu’en France et en Amérique la langue politique n’est pas la même; il y a un abîme entre la démocratie suivant l’école révolutionnaire et la démocratie telle qu’on l’entend aux États-Unis.“122 Dieser von Laboulaye akzentuierte Abgrund trifft ganz wesentlich auf die unterschiedlichen Semantiken des Föderalismusbegriffs in Frankreich und Nordamerika zu, an welchen auch die Revolution von 1848 nichts änderte. Noch 1870 schrieb Laboulaye an seinen Brieffreund Francis Lieber, dass die politische Kultur Frankreichs in ihrem strengen Blick auf die eigene revolutionäre Vergangenheit und auf die „république, une et indivisible“ gefangen sei. Klagend schrieb er an Lieber, „que j’ai été seul à défendre les principes démocratiques reçus en Amérique et en Suisse. Nous vivons sur les vielles erreurs de 1789; ce sont les dogmes religieux qu’il n’est même pas permis de discuter.“123 Föderalismus als erster Schritt zu einem „morcellement“ der Nation gehörte offenbar auch 1870 noch zu den tradierten Assoziationsfeldern, welche von den politischen Diskursen der Großen Revolution bis weit ins 19. Jahrhundert hineinragten.
121 Laboulaye Edouard, Questions constitutionnelles, 3; Laboulaye Edouard, Considérations sur la Constitution; Laboulaye Edouard, Etude de la Constitution américaine. Vgl. hierzu Gray Walter D., Interpreting American Democracy in France, S. 36 & 63. 122 Laboulaye Edouard, Questions constitutionnelles, S. VI–VII. 123 Edouard de Laboulaye an Francis Lieber, 6. Juni 1870, in: HL, Francis Lieber Papers, LI 2557.
Resümee und Schlussbetrachtung Als Joel Barlow 1800 über die Möglichkeiten und Grenzen einer nach föderalen Gesichtspunkten durchzuführenden Reform des durch die Französische Revolution umgewälzten Kontinents reflektierte, begrenzte er dies keinesfalls nur auf das politische Gebilde mit der Form eines Hexagons am westlichen Rand Europas. Eine „Föderalisierung“ Frankreichs war in seiner Perspektive nur ein erster Schritt zu einer generellen „Föderalisierung“ des ganzen europäischen Kontinents, der schließlich eine „general confederation“ bilden würde, so die Zukunftsvision Barlows: „This system should be adopted and this confederation joined by every European people as fast as they become free […]. It would present a great union of republics, which might assume the name of the United States of Europe, and guarantee a perpetual harmony among its members.”1 Nur die Verbindung von repräsentativer Demokratie und Föderalismus erlaube die Etablierung von großflächigen Republiken, die gleichermaßen demokratische Selbstregierung gegen Innen und eine auf Frieden und Ausgleich gerichtete Politik untereinander ermögliche und damit jene Gefährdungen verhindere, die in der Vergangenheit zum Niedergang von republikanischen Konföderationen und zum Scheitern aller Experimente demokratischer Selbstregierung geführt hätten. Das amerikanische Experiment mit seiner spezifischen Koppelung von repräsentativer Demokratie und Föderalismus schien nun in Barlows Perspektive dieser Geschichte des immer wiederkehrenden Aufstiegs und Falls föderal-republikanischer politischer Gebilde ein Ende zu bereiten. „Happily for mankind“, meine Barlow in Worten, die gleichermaßen seinen Kosmopolitismus und seinen Patriotismus zum Ausdruck brachten, the representative principle is a fit companion and a sure guide of that other precious experiment which our country has adopted with such singular propriety, the principle of confederation. The union of these two theories, as organized in America, is a vast improvement on the wisdom of former ages; and I cannot but hope that they will be so far cherished by us, and imitated by others, as to change very greatly the face of human society.2
Diese Ausführungen Barlows sind in mancherlei Hinsicht charakteristisch für die politischen Diskurse, welche in dieser Studie untersucht wurden. Barlow beteiligte sich mit seinen Pamphleten an einem in dieser Untersuchung detaillierter
1 Barlow Joel, Letters from Paris, to the Citizens of the United States of America. Letter II, S. 50– 51. Hervorhebungen im Original. 2 Barlow Joel, Letters from Paris, to the Citizens of the United States of America. Letter II, S. 52–53. Hervorhebungen im Original. Vgl. hierzu auch Ziesche Philipp, Cosmopolitan Patriots, S. 64–87.
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rekonstruierten transatlantischen Diskurs über die Bedeutung des Föderalismus für die im Zeitalter der Revolutionen tiefgreifend transformierten Gesellschaften Nordamerikas und Europas. Bei all seinem Insistieren auf den Vorteilen einer repräsentativ-demokratischen und föderalen Organisation politischer Gemeinwesen war Barlow sich indessen auch bewusst, dass der Föderalismusbegriff im postrevolutionären Frankreich eine gänzlich andere Bedeutung erhalten hatte, als dies in seiner amerikanischen Heimat der Fall war. Wenn Barlow über die Chancen und Grenzen nachdachte „to federalize France“ – und mit Frankreich den europäischen Kontinent –, hing er gleichermaßen seiner Überzeugung an, dass dem Vorbild der amerikanischen Föderativrepublik die Zukunft gehörte, wie er sich der Voraussetzungsbedürftigkeit dieser politischen Ordnung gewahr wurde.3 Barlows Ausführungen sind indessen nicht nur deshalb für diese Studie paradigmatisch, weil in ihnen die Konturen eines komplexen und kontextuell gebrochenen transatlantischen Dialoges über den Föderalismusbegriff im Zeitalter der Revolutionen aufscheinen. In seinen Worten schimmert zudem ein temporaler und politischer Veränderungsfaktor durch, der den historischen Wandel des Föderalismusbegriffs in den Vordergrund rückt. Barlow sprach von den Möglichkeiten, „to federalize France“, genauso wie die Jakobiner einige Jahre zuvor die Losung herausgegeben hatten, es sei nun Zeit „de defédéraliser les departements“.4 Ob man Frankreich und Europa „föderalisieren“ sollte, wie Barlow meinte, oder ob man die Departemente der „république une et indivisible“ „deföderalisieren“ sollte, wie es die Jakobiner einige Jahre zuvor beabsichtigt hatten – entscheidend ist zunächst einmal, dass beides den Zeitgenossen offenbar politisch machbar schien. Das Auftauchen der Verbflexion eines Wortes, das zuvor nur als Substantiv (Föderation, fédération, federation, etc.) oder Adjektiv (föderal, fédéral, federal, etc.) bekannt war und damit in erster Linie eine deskriptive Funktion und eine statische Qualität hatte, verweist nicht nur auf die Transformation der politischen Sprache im Zeitalter der Revolutionen, sondern auch auf die Wirklichkeitsvorstellungen der Zeitgenossen: Sie hielten nun Dinge für politisch gestaltbar, die zuvor unhinterfragt gegeben waren. Zu sagen, dass man etwas zu „föderalisieren“ oder zu „deföderalisieren“ beabsichtige, bedeutete zugleich eine Dynamisierung des Verhältnisses von sprachlicher Benennung und politischem Handeln; diese Begriffe zielten nicht mehr darauf ab, politische Gebilde zu beschreiben, um sie bestimmten Typologien und Staatsformen zuord-
3 Barlow Joel, Letters from Paris, to the Citizens of the United States of America. Letter II, S. 49. Hervorhebungen im Original. 4 Vgl. Ozouf Mona, La Révolution Française et la perception de l’espace national, S. 604.
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nen zu können, sondern deren aktive Gestaltung und Veränderung gleichsam in den politischen Zukunftshorizont zu rücken und dem politischen Handeln der Menschen zu überantworten.5 Eine letzte Bemerkung zu Barlows Ausführungen ist noch angebracht. Für Barlow war das föderative Prinzip offenbar noch nicht ein primär auf die Organisation des Nationalstaates gerichtetes Ordnungsprinzip. Zwar befürwortete er eine „Föderalisierung“ der französischen Republik, erweiterte diese Forderung aber auch im Hinblick auf eine postrevolutionäre Befriedung des europäischen Kontinents. In seiner Sichtweise des Föderalismus waren die uns heute so vertrauten – und sich mitunter auch als begriffsgeschichtliche Hypothek erweisenden – dichotomischen Unterscheidungen zwischen Staatenbund und Bundesstaat, Völkerrecht und Staatsrecht, Vertrag und Verfassung noch in der Schwebe.6 Die politische Sprache des Föderalismus zielte in Barlows Sprachgebrauch nicht nur auf die Assoziation politischer Handlungseinheiten „diesseits des Nationalstaates“, um eine Wendung Reinhart Kosellecks aufzunehmen, sondern konnte potenziell auch „jenseits des Nationalstaates“ seine Anwendung finden.7 Gerade im Zeitalter der Revolutionen waren die begrifflichen Dichotomien zwischen Staatenbund und Bundesstaat, zwischen federal government und consolidated government, zwischen état fédéral und fédération d’états Teil umstrittener Debatten, mittels welcher die inhärenten Spannungslagen der politischen Sprache des Föderalismus bearbeitet wurden. Der gebannte Blick auf den konsolidierten Bundesstaat, welcher in heutiger Perspektive meist als einzig überlebensfähige Form der föderalen Organisation gilt,8 verstellt mithin den Blick auf den historischen Variantenreichtum föderaler Ordnungsversuche, auf die kreativen Versuche, föderale Spannungslagen in bestimmten historischen und politisch-kulturellen Kontexten zu bearbeiten, und auf den historisch-semantischen Wandel föderaler Begrifflichkeiten. Diese Dimensionen der politischen Sprache des Föderalismus – kontextabhängiger Variantenreichtum, Kreativität und historische Wandelbarkeit – lassen sich besonders anschaulich im Zeitalter der Revolutionen beobachten, wie es in dieser Studie vorgeschlagen wurde. Es war der Anspruch dieser Studie, die in den Ausführungen Joel Barlows aufblitzenden Problemfelder eines transatlantischen Föderalismusdiskurses
5 Vgl. hierzu auch Koselleck Reinhart, Sprachwandel und sozialer Wandel im ausgehenden Ancien régime. 6 Zur Kritik an der Staatenbund-Bundesstaat-Dichotomie vgl. Schönberger Christoph, Die Europäische Union als Bund, S. 89; Beaud Olivier, Théorie de la Fédération, S. 92. 7 Vgl. Koselleck Reinhart, Diesseits des Nationalstaates. 8 Vgl. Schönberger Christoph, Die Europäische Union als Bund, S. 86.
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tiefgehender zu diskutieren, indem sowohl die kontextabhängig unterschiedlichen Semantiken des Föderalismusbegriffs und deren Entwicklungstendenzen im Zeitalter der Revolutionen rekonstruiert wurden, als auch die pragmatische Arbeit an diesen unterschiedlichen Semantiken durch historische Akteure, die sich zwischen diesen Kontexten bewegten und damit eine besondere Disposition für einen reflexiven Umgang mit föderalen Begrifflichkeiten aufwiesen. Die folgenden Ausführungen beabsichtigen, die Ergebnisse dieser Herangehensweise an die Problematik des transatlantischen Föderalismusdiskurses im Zeitalter der Revolutionen zusammenzufassen, zu systematisieren und mit einigen methodischen Reflexionen zu verbinden. Im ersten Teil dieser Arbeit wurde der Umstand problematisiert, dass der Föderalismusbegriff im Zeitalter der Revolutionen in unterschiedlichen politischkulturellen Kontexten unterschiedliche Bedeutungsschichten und -spektren aufwies. In heuristischer Absicht wurde in diesem Zusammenhang das Konzept einer historisch-semantischen Sattelzeit zwischen 1750 und 1850 in einen atlantischen Kontext gestellt und den kontextuell gebrochenen aber dennoch miteinander verbundenen Geschichten des Föderalismusbegriffs nachgegangen. Der Föderalismus war mitnichten eine raum- und zeitunabhängige Idee, sondern ein Konzept mit einer dünnen, variablen, umstrittenen und wandelbaren Kohärenz9 – ein Konzept, das auf je unterschiedliche historische Erfahrungen aufbaute, auf unterschiedliche gesellschaftliche und politische Konfliktlinien antwortete und unterschiedliche Erwartungen in den hier untersuchten Kontexten Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz mobilisierte. Gleichzeitig zirkulierte das Föderalismuskonzept im Untersuchungszeitraum auch innerhalb eines transatlantischen Diskurskontinuums, in welchem komparative Analysen und Begriffsaneignungen vorgenommen wurden, mit welchen wiederum in tradierte politische Diskurse interveniert und semantische Transformationsprozesse angestoßen wurden. Der Versuch einer komparativen und transferhistorischen Semantik des Föderalismusbegriffs im Zeitalter der Revolutionen hat diesen komplexen semantischen Überblendungen, Aneignungen, Ambivalenzen, Ungleichzeitigkeiten und Temporalisierungen Rechnung zu tragen, will er nicht in die Fallstricke eines semantischen Nominalismus treten.10 Erst mit der Berücksichtigung dieser Kontexte können die pragmatischen Sprechakte der historischen Akteure hinreichend verortet werden. Auch für sie galt, um die bekannte Wendung von
9 Vgl. hierzu auch Sewell William H. Jr., Concept(s) of Culture, S. 173. 10 Vgl. hierzu Koselleck Reinhart/Spree Ulrike/Steinmetz Willibald, Drei bürgerliche Welten? S. 411–413; Steinmetz Willibald, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte, S. 192–197; Leonhard Jörn, Erfahrungsgeschichten der Moderne, S. 428.
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Karl Marx zu modifizieren, dass sie zwar den Föderalismusbegriff nach ihren eigenen Intentionen und Interessen nutzten, dass sie ihn aber „nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ zu gebrauchen hatten.11 In Nordamerika, Frankreich, Deutschland und der Schweiz waren diese Umstände bisweilen sehr unterschiedlich, weshalb sich in transkulturell vergleichender Perspektive gebrochene aber dennoch miteinander verwobene Föderalismussemantiken herausgebildet haben. Hierbei ist insbesondere der Beobachtung Rechnung zu tragen, dass diese gebrochenen Geschichten des Föderalismusbegriffs nicht Ausdruck einer genuinen nationalen Entwicklung sind, sondern sich erst aus der Begegnung und Auseinandersetzung mit aus anderen politisch-kulturellen Kontexten stammenden Föderalismusbegriffen und den in ihnen gespeicherten Erfahrungsdeutungen entfalteten. „Nationale“ Sonderwege setzten „transnationale“ Diskussionen voraus. Mit Blick auf diese komplexen und verwickelten Begriffsgeschichten des Föderalismus lassen sich aufbauend auf den im ersten Teil dieser Arbeit detaillierter rekonstruierten Differenzierungen zumindest einige generelle Befunde festhalten. Der Föderalismusbegriff war in allen hier untersuchten politisch-kulturellen Kontexten ein zutiefst umstrittener und polysemer Begriff. Zwar lässt sich generell eine Transformation der politischen Sprache des Föderalismus von einer außenpolitischen und völkerrechtlichen Assoziationstheorie zu einem innenpolitischen und staatrechtlichen Organisationsprinzip feststellen, allerdings war dies ein brüchiger Transformationsprozess, der mit unterschiedlichen Konfliktkonfigurationen, Temporalitäten, Widerständigkeiten und komplexen Aushandlungsprozessen einherging. In den Vereinigten Staaten setzte die in Europa gemeinhin als Zäsur in der föderalen Theoriebildung interpretierte Bundesverfassung von 1787/89 den Diskussionen um die föderale Struktur der Union keinesfalls ein Ende. Die Argumente der Antifederalists fanden bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Gehör, States’ Rights- und Nullification-Theoretiker des Föderalismus entwickelten alternative Lesarten der Bundesverfassung, welche den Versionen der Federalists und später der Whigs fundamental widersprachen. Die federal republic wurde von States’ Rights-Intellektuellen als Gegenbegriff zum angeblich von den Federalists und Whigs angestrebten consolidated government bemüht. Nur mühsam setzten sich jeweils im Nachgang konstitutioneller Krisen wie dem Missouri-Compromise, der Nullification-Debatten oder dem Compromise of 1850 vermittelnde Interpretationen eines middle ground-Konzepts durch, ohne dass die alternativen Lesarten der federal republic in ihren politisch-kulturellen Milieus an Wirksamkeit und Prä-
11 Marx Karl, Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon, S. 115.
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gekraft eingebüßt hätten. Mit der zunehmenden Verwicklung der Debatten über die föderale Struktur der Union mit der Sklaverei, mit dem Ausbau der Kommunikations- und Infrastrukturförderung und mit bundesstaatlicher Wirtschaftsförderung verschärfte sich der Kampf um die Deutungshoheit über den amerikanischen Föderalismus und über die Frage, was denn die founding fathers mit der föderalen Struktur der Union bezweckt hatten. Hauptsächlich aufgrund divergierender Interpretationen über den Zusammenhang zwischen Sklaverei und Föderalismus brachen sektionale Konfliktfelder in der amerikanischen politischen Kultur auf, welche die konstitutionellen Ausgleichsmechanismen des politischen Systems Nordamerikas an die Grenzen ihrer Integrationskraft brachten. Letztlich war es auch in den Vereinigten Staaten ein Bürgerkrieg, der diesen Zusammenhang endgültig auflöste, die Theorien der States’ Rights und der Nullification verdrängte und der föderativen Union im Zuge der Reconstruction nun ein deutlich unitarisches Gepräge gab. Hatten sich die amerikanischen Verfassungsdenker an den Theorien Montesquieus abgearbeitet, hatten sie seine Ausführungen manchmal als Argumente gegen eine weitergehende Integration der Union genutzt oder beabsichtigten sie manchmal, mit ihren konstitutionellen Vorschlägen explizit über dessen Föderalismustheorie hinaus zu gehen, so erhielten Montesquieus Reflexionen über die république fédérative in seiner französischen Heimat einen gänzlich unterschiedlichen Rezeptionsgang. Die Französische Revolution stellte auch in der historischen Semantik des Begriffsfeldes zum Föderalismus eine Wasserscheide dar. Verfolgten die frühen französischen Beobachter die Amerikanische Revolution und die ihr folgenden Experimente des modernen Konstitutionalismus mit beachtenswerter Aufmerksamkeit, fielen die Ausarbeitung der Bundesverfassung und damit auch die politischen Diskurse, die zu einer signifikanten Transformation des Föderalismuskonzepts beitrugen, in eine Zeitspanne, in welcher das Ancien Régime grundlegend umgekrempelt wurde. Die französischen Provinzen waren in der vorrevolutionären politischen Welt Frankreichs nicht selbstregierende Republiken, wie dies im amerikanischen Fall die ehemaligen Kolonien und späteren Einzelstaaten der Union waren; die Provinzen waren stattdessen Teil des aristokratischen Privilegiensystems der alten Ordnung, das abzuschaffen die Revolutionäre angetreten waren. Die Dispositionen zu einer Aneignung föderaler Diskurse, wie sie auf der anderen Seite des Atlantiks die öffentlichen Debatten prägten, waren dementsprechend wenig gebildet. Fédéralisme wurde im Frankreich der Revolution in erster Linie mit den intermediären Strukturen des Ancien Régimes, mit Aristokratie und Korporatismus in Verbindung gebracht. Verschärfend kam hinzu, dass die Montagnards mit ihrer Konzeption eines hochgradig unifizierten, homogenisierten und zentralisierten Nationalstaats den Föderalismus sukzessive von einem politischen Denunziationsbegriff in die Benennung
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eines politischen Verbrechens verwandelten. Dass der Begriff fédéralisme mit einer Zerstückelung der einen und unteilbaren Republik einherginge und dass er fast ausschließlich von jenen bemüht werde, die sich heimlich die Zustände der alten Ordnung zurückwünschten, gehörte bis weit ins 19. Jahrhundert zu einem wenig hinterfragten politischen Glaubenssatz gerade der republikanischen Kräfte in Frankreich. Wollte man im postrevolutionären Frankreich auf die politischen Effekte hinarbeiten, welche in Nordamerika mit der föderalen Struktur in Verbindung gebracht wurden, tat man gut daran, den Diskurs der administrativen Dezentralisierung zu bemühen und über Föderalismus zu schweigen. Obwohl die politischen Diskurse in Deutschland mitunter stark von der Französischen Revolution geprägt wurden, entwickelte sich die Geschichte des Föderalismuskonzepts hier in anderen Bahnen. Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert waren in der deutschen Sprache Begriffsprägungen wie Staatenbund, Bundesstaat oder Bundesrepublik entstanden, welche den genuin deutschen Begriff des Bundes mit zusätzlichen Bedeutungsschichten versahen, die ihrerseits einen neuen politischen Erwartungshorizont erschlossen. Der Begriff Föderalismus wurde in jenem Maße zurückgedrängt, als dass ihm einerseits die pejorative Konnotation des französischen Revolutionsdiskurses anhaftete und dass er andererseits vom dichotomischen Begriffskontinuum zwischen Bundesstaat und Staatenbund überlagert wurde. Damit war die föderale Semantik bereits in der Begriffsbildung auf den Staat bezogen. Dies erwies sich in der Folge einerseits als Element der begrifflichen Klärung, denn Staatenbund und Bundesstaat wurden nun in einem staatswissenschaftlich-juristisch geprägten Diskurs kategorisch unterschieden und mithin in ein temporales Deutungsmuster integriert, welches den Bundesstaat als Zielvision einer nationalstaatlichen Einigung imaginierte. Andererseits erwies sich die Fokussierung auf den Staat, welche in den Begriffen Staatenbund und Bundesstaat bereits angelegt ist, auch als eine semantische Hypothek, denn sie verstellte bisweilen die vielfältigen Bezüge zwischen republikanisch-demokratischer Selbstregierung, einer aktiven Bürgerschaft und einer skeptischen Haltung gegenüber staatlicher Macht, wie sie im amerikanischen Diskurs um die federal republic immer auch mitschwebten und mitverhandelt wurden. Diese Staatszentriertheit des Föderalismusdiskurses mag letztlich auch den Nährboden für die rasche Etablierung einer „realpolitischen Wende“ in der politischen Sprache im Zuge der 1848er Revolution in Deutschland bestellt haben – eine Wende, die letztlich auch den demokratisch-republikanischen Leitbegriff der Föderativrepublik aus dem politischen Zukunftshorizont der Revolution herauskatapultierte.12
12 Vgl. hierzu Steinmetz Willibald, „Sprechen ist eine Tat bei euch“, S. 1113–1115.
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In einer komplexen Überlagerung von tradierten klassisch-republikanischen und kommunalistischen politischen Praktiken, aus dem atlantischen Revolutionszyklus angeeigneten Verfassungsvorstellungen und in enger Wechselwirkung mit den Debatten um Staatenbund und Bundesstaat in Deutschland entfaltete sich der Föderalismusdiskurs in der Schweiz. Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert und mit besonderer Intensität während der krisenhaften Phase der Helvetik wurde das begriffliche Ringen um die adäquate Verfassungsstruktur für die Schweizerische Eidgenossenschaft in einer experimentellen Diskussion angetrieben, welche von bemerkenswerten transkulturellen Verweiszusammenhängen geprägt war. Das föderative Erbe der Alten Eidgenossenschaft, die Erfahrung der Helvetik und damit die Bedeutung der Französischen Revolution für die Schweiz, die deutschen Debatten um die Differenzierung und Klärung der Bundessemantik nach 1815 und die zunehmend als eine entfernte Verwandte betrachtete amerikanische Föderativrepublik lieferten vielfältige Argumentationsstränge, aus welchen schweizerische Publizisten und Intellektuelle ihre Zukunftsvisionen der eidgenössischen Politik und Verfassung woben. Anders als in Deutschland war man in der Schweiz nicht damit konfrontiert, monarchische Traditionsbestände in der politischen Kultur und in den institutionellen Herrschaftsstrukturen abschütteln oder sie mit Ansprüchen nach Verfassungs- und Bundesstaatlichkeit vermitteln zu müssen. Anders als in Frankreich stand der republikanisch-demokratische Diskurs nicht ausschließlich für die Erinnerung an die Französische Revolution (und die Helvetik), sondern konnte an tradierte föderative Diskurse anschließen, ohne dass damit die republikanische Legitimität solcher Ansprüche infrage gestellt worden wäre. Die kulturellen Dispositionen für eine kreative Ausgestaltung einer Föderativrepublik waren somit gut ausgebildet, zumal man damit die Extreme der unitarischen Republik, wie sie in den Erinnerungen an die Helvetik noch präsent waren, und dem auf kantonaler Souveränität aufbauenden Radikalföderalismus, wie er 1815 wieder hergestellt wurde, teilweise umschiffen konnte – was freilich nur wenig an der Umstrittenheit des Konzepts einer schweizerischen Föderativrepublik änderte. Dennoch erwiesen sich im Zuge des Bürgerkrieges und der Revolution von 1847/48 diese Debatten um die Föderativrepublik als ein geeignetes begriffliches Gerüst, um in der kontingenten Krisensituation von 1847/48 institutionelle Neuerungen einzuführen, welche einerseits an tradierte Erfahrungsbestände föderativer Staatlichkeit anschlossen und andererseits den zum Leitbild avancierten Nationalstaat in Form des Bundesstaates einzulösen versprachen. Im zweiten Teil dieser Studie wurde diese diachron-semantische Perspektive auf die Entwicklung des Föderalismusbegriffs mit einer stärker synchronpragmatisch ausgerichteten Perspektive ergänzt. Transatlantische Mediatoren, die zwischen den im ersten Teil behandelten politisch-kulturellen Kontexten
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vermittelten und in umfassendere Diskurs- und Interpretationsgemeinschaften eingebettet waren, wurden als Einstiegsmöglichkeit genommen, um die pragmatischen Verwendungsweisen einer durch transkulturelle Vergleiche und Aneignungen angereicherten politischen Sprache des Föderalismus in spezifischen Diskussionszusammenhängen zu untersuchen. Die im ersten Teil der Arbeit rekonstruierten und kontextuell gebrochenen Semantiken des Föderalismusbegriffs begrenzten einerseits, was mit der pragmatischen Verwendung dieses Begriffs sagbar und letztlich auch begreifbar und machbar war. Andererseits arbeiteten die im zweiten Teil dieser Studie thematisierten Autoren und Diskursgemeinschaften auch an diesen Grenzen des politisch Sagbaren und Machbaren. Vergleichende Betrachtungen und Begriffsaneignungen aus anderen politisch-kulturellen Kontexten führten zu Umsemantisierungen, Bedeutungserweiterungen und begrifflichen Differenzierungen, welche wiederum tradierte Semantiken des Föderalismusbegriffs teilweise zur Disposition stellten. In den Erfahrungen, transkulturellen Austauschprozessen und intellektuellen Transitionen von historischen Akteuren wie Albert Gallatin, Lafayette, Charles-Arnold Scheffer, Louis-Prosper Conseil, James Fazy, Fanny Wright, Francis Lieber, Edward Everett und Jared Sparks, Alexis de Tocqueville, Robert von Mohl und K. J. A. Mittermaier widerspiegelten sich umfassendere politische Konflikte und Debatten im Zeitalter der Revolutionen, auf welche diese Autoren mit der politischen Sprache des Föderalismus zu antworten versuchten und diese damit auch transformierten. Mit Albert Gallatin wurde ein Akteur thematisiert, der auf der Grundlage seiner Sozialisation im republikanischen Genf und seiner frühen und intensiven Begegnung mit den Schriften Jean-Jacques Rousseaus nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten zu einem in vielerlei Hinsicht repräsentativen Vertreter eines demokratisch-republikanischen Föderalismusdiskurses in der politischen Kultur Nordamerikas wurde. Charakteristisch für diesen Strang in der politischen Sprache des Föderalismus war der Versuch, die Argumente der gemäßigten Antifederalists über die mit der Ratifikation der Bundesverfassung von 1787/89 markierte konstitutionelle Wasserscheide hinüber zu retten und mit deren Mobilisierung eine restriktive Interpretation der Bundesverfassung einzufordern. In enger Zusammenarbeit mit Thomas Jefferson und James Madison wurde Gallatin zu einem der Vordenker der demokratisch-republikanischen Opposition gegen die Federalists in den 1790er Jahren. In diesem Zusammenhang verteidigte er die föderativen Strukturen der amerikanischen Verfassung gegen die zentralisierenden Ambitionen der Federalists und wurde zu einem der Wegbereiter der Principles of ’98, welche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem der zentralen konstitutionellen Referenzpunkte der States’ Rights-Theorien des amerikanischen Föderalismus wurde – ein ambivalentes Erbe, dessen sich Gallatin in
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späteren Jahren bewusst wurde und danach stärker zu den National Republicans und den Whigs tendierte. Albert Gallatins Freund Lafayette wurde als Einstiegspunkt genommen, um einerseits die komplexe Gleichzeitigkeit einer signifikanten Transformation des Föderalismusbegriffs in Nordamerika und die weitgehende Zurückweisung föderaler Ordnungsbegriffe im revolutionären Diskurs Frankreichs zu thematisieren; andererseits aber vor allen Dingen die postrevolutionäre Verarbeitung der Revolutionserfahrung zu rekonstruieren, die im sozialen Umfeld Lafayettes zusehends vor einem komparativen Deutungshorizont vorgenommen wurde, der die Amerikanische und die Französische Revolution und ihre Folgen in einen analytischen Zusammenhang rückte. Mit Fanny Wright, Charles-Arnold Scheffer, Louis-Prosper Conseil und James Fazy wurden heute bisweilen fast völlig vergessene politische SchriftstellerInnen thematisiert, die dank Lafayettes transatlantischer Vermittlungstätigkeit ausführlich über den amerikanischen Föderalismus schrieben und ihn insbesondere in radikalen, republikanisch-demokratischen, aber auch in liberalen Kreisen zu propagieren versuchten. Kennzeichnend für deren politische Sprache des Föderalismus war der Versuch, aus dem Scheitern der Französischen Revolution und der in ihrer Perspektive weitgehend gelungenen Amerikanischen Revolution Lehren zu ziehen, um die Unzulänglichkeiten des klassischen Republikanismus abzuschütteln und einen modernen, naturrechtlich fundierten, föderalen oder dezentralisiert organisierten Republikanismus zu entwickeln. Nur ein solch modern-liberaler Republikanismus schien ihnen angesichts einer durch die Industrielle Revolution und durch die Französische Revolution grundlegend transformierten politisch-sozialen Welt noch zukunftsträchtig zu sein. In der Figur des deutsch-amerikanischen Intellektuellen Francis Lieber zeigte sich die vielschichtige Überlagerung kontinentaleuropäischer politischer Diskurse, der Bundesstaatstheorie der Whigs in New England und der Föderalismusdiskurse in den amerikanischen Südstaaten, mit welchen sich Lieber wie kaum ein anderer Europäer auseinandersetzte und welche er als Herausforderung für seine eigenen Beiträge zur politischen Sprache des Föderalismus begriff. Angesichts der Nullification-Debatten und der sich darin ausdrückenden Kämpfe um die Deutung des ambivalenten Textes der Bundesverfassung von 1787 erkannte Lieber, dass sich die politischen Wissenschaften in einer politischen Gemeinschaft, die auf einer geschriebenen Verfassung beruht, vor allen Dingen der Sprache und der Interpretation sprachlicher Zeichen zuzuwenden habe. Seine politische Hermeneutik des Föderalismus zielte darauf ab, die Föderalismusinterpretation der Whigs durch eine Theorie der adäquaten Interpretation und Auslegung jener Texte zu stärken, welche im Umfeld der Ratifikationsdebatten geschrieben worden waren, inklusive der Bundesverfassung von 1787 selbst. Damit wandte sich Lieber gleichermaßen gegen die Politik der Jacksonians wie
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gegen die States’ Rights- und Nullification-Theoretiker, die seiner Meinung nach die Innovationsleistungen der founding fathers durch fehlgeleitete Interpretationen dieser Texte aushöhlen würden. Deren Einsicht in die Notwendigkeit institutionell gehegter Freiheit als Bedingung der Möglichkeit republikanischer Selbstregierung in einem demokratischen und föderal organisierten Flächenstaat wurde dadurch gerade untergraben. Liebers politische Weggefährten unter den Whigs in New England, insbesondere Edward und Alexander H. Everett, Jared Sparks, Charles Francis Adams und Robert Walsh Jr., wurden zum Ausgangspunkt genommen, um die umstrittenen Debatten um die Historisierung der amerikanischen Bundesstaatsgründung im Amerika Jacksons zu thematisieren. Die umstrittene Suche nach den original intentions der amerikanischen Gründungsväter führte zu einer grundlegenden Politisierung der Geschichtsschreibung über die Amerikanische und Französische Revolution sowie über die Gründung der Union. Die Bedeutung des amerikanischen Föderalismus hing auch davon ab, wie er historisch hergeleitet wurde. Bostoner Historiker im Umfeld der North American Review schrieben diese Geschichte der amerikanischen Bundesstaatsgründung vor dem Hintergrund ihrer intensiven und vor Ort durchgeführten Auseinandersetzung mit der Geschichte und Kultur des europäischen Kontinents. Ihre historischen Narrative der amerikanischen Föderativrepublik waren in ein doppeltes Referenzsystem eingebunden: Einerseits sollten sie in Nordamerika das kollektive Gedächtnis der Amerikaner aus dem Bannkreis einzelstaatlicher Erinnerungsdiskurse herauszulösen und im Prozess der Nationsbildung auf die amerikanische Union überleiten. Andererseits zielten sie auch auf die Unterstützung der postrevolutionären Reformbemühungen der liberalen und republikanisch-demokratischen Kräfte in Europa. Die politische Sprache des Föderalismus trat hier in umkämpften historischen Narrativen auf, in welchen die Verhältnisbestimmungen zwischen nationaler Identität und regionaler Identität, zwischen universalistischen Prinzipien und historischen Bedingungen, zwischen nordamerikanischen und europäischen politischen Kulturen verhandelt wurden. Von diesen Reflexionen über Geschichte und Gegenwart des amerikanischen Föderalismus, wie sie sich in den Schriften der Whigs finden lassen, ließ sich auch Alexis de Tocqueville inspirieren. Seine native informants stammten fast alle aus dem politisch-kulturellen Milieu der Whigs und es waren in erster Linie ihre Föderalismusinterpretationen, welche Tocqueville in De la démocratie en Amérique einem europäischen Publikum wirkungsmächtig vorstellte. Ungeachtet der Widersprüche und Inkonsistenzen, welche sich in Tocquevilles Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Föderalismus finden lassen, war es doch der Zusammenhang zwischen Föderalismus, Demokratie und republikanischer Selbstregierung, welcher von Tocqueville in Anlehnung an Argumente, die ihm
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zuvor von Francis Lieber, Jared Sparks und anderen erläutert wurden, in den Vordergrund rückte. Die politische Sprache des Föderalismus schien in seiner Perspektive politische Mittel zur Hand zu geben, welche die Gefahren des in seiner Sichtweise unvermeidbaren Demokratisierungsprozesses zu lindern versprachen. Der Föderalismus bot durch eine Multiplizierung politischer Deliberations- und Willensbildungsprozesse politische Instrumentarien zur Bändigung einer Tyrannei der Mehrheit und verhinderte gleichzeitig die Erosion von Bürgertugend. Er sensibilisierte die Bürger für die öffentliche Sache und gewöhnte sie damit an die Ausübung verantwortungsvollen, kollektiven politischen Handelns. Anders als in seiner französischen Heimat, die Tocqueville als kontrastive Interpretationsfolie neben seine Analyse der politischen Kultur Nordamerikas stellte, ging hier der Versuch einer Etablierung der demokratischen Republik nicht mit einer Konzentration der politischen Macht einher, sondern mit einer Zerstückelung und gegenseitigen Verschränkung. Anders wurde der Föderalismus von Robert von Mohl – „Germany’s de Tocqueville“, wie er von Gottfried Dietze einmal genannt wurde –13 interpretiert. Er und sein liberaler Weggefährte K. J. A. Mittermaier bemühten sich in ihren Schriften um eine stärkere Berücksichtigung des nordamerikanischen Verfassungsund Verwaltungsrechtes in Deutschland, von welchen sie sich Impulse für eine Reform des Deutschen Bundes erhofften. Diese Reform sollte indessen nicht die Form einer konsequenten Republikanisierung der deutschen politischen Kultur hin zu einem demokratisch organisierten Bundesstaat annehmen, wie die Orientierung an der amerikanischen Föderativrepublik nahelegen könnte, sondern zielte auf eine Aneignung bundesstaatlicher Elemente zum Zwecke einer nationalstaatlichen Einigung der „föderativen Nation“ in Form einer konstitutionellen Monarchie. Die politische Sprache des Föderalismus bei Mohl und Mittermaier zeichnet sich durch ein formal-juristisches und verwaltungstechnisches Vokabular aus, das den amerikanischen Föderalismus teilweise von seinen republikanisch-demokratischen Ermöglichungsbedingungen entkoppelte und mit seiner Fokussierung auf den Staat und dessen Verwaltung mitunter die von Tocqueville, Lieber und anderen hervorgehobenen politisch-kulturellen Aspekte föderaler Ordnungen in den Hintergrund rückte. Die Fragen nach den Zusammenhängen zwischen Föderalismus, republikanischer Selbstregierung, der Ausbildung von Bürgertugenden in deliberativen Prozessen und der Eindämmung von staatlicher Macht, rückten erst am Vorabend der Revolution von 1848 nach einem langwierigen Lernprozess ins Blickfeld dieser Gelehrten. Der diskursive Leitbegriff blieb aber auch für sie „Bundesstaat“ und nicht „Föderativrepublik“.
13 Vgl. Dietze Gottfried, Robert von Mohl, Germany’s de Tocqueville.
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Die politische Sprache des Föderalismus erweist sich im Rückblick auf die Ergebnisse dieser Arbeit als eine grundlegend umkämpfte und vielschichtige. Mit ihr wurden unterschiedliche politische Geltungsansprüche artikuliert, die in den verschiedenen politisch-kulturellen Kontexten auf unterschiedliche Konfliktkonstellationen antworteten. Mit der politischen Sprache des Föderalismus konnte in den Vereinigten Staaten ein Südstaaten-Intellektueller wie John C. Calhoun seine Ansprüche zur Perpetuierung der Sklaverei ebenso zum Ausdruck bringen, wie seine Gegenspieler unter den Whigs in New England sie in Form historischer Integrationsnarrative als Mittel einer kulturellen Nationsbildung nutzten, um genau jene sektionalen Konflikte zu überwinden, die Calhoun mit seinen Argumenten zuspitzte. Die politische Sprache des Föderalismus konnte als Mittel zur Brechung von staatlicher Machtkonzentration und zur Förderung republikanischer Selbstregierung in Anspruch genommen werden, wie dies Albert Gallatin, Francis Lieber und Alexis de Tocqueville in unterschiedlichen Varianten vortrugen, oder sie konnte als Ermächtigung der bundesstaatlichen Institutionen hin zu einem starken und durchsetzungsfähigen Nationalstaat gelesen werden, wie Robert von Mohl aus der Lektüre der Schriften seines Helden Alexander Hamilton folgerte. Derweil betrachteten Intellektuelle wie James Fazy und Charles-Arnold Scheffer den föderalen Republikanismus der Amerikaner als eine willkommene Alternative zu den Pathologien des europäischen Republikanismus, welche sie im Anschluss an ihre Beschäftigung mit dem Erbe der Französischen Revolution diagnostizierten, während ihr Kollege Louis-Prosper Conseil für seine französische Heimat einen dezentralisierten Einheitsstaat als einzig realistische Chance sah, die politischen Effekte zu provozieren, die ihm in föderalen politischen Gebilden besonders attraktiv schienen: die Nähe zwischen Regierten und Regierenden, die Multiplizierung der politischen Deliberations- und Willensbildungsprozesse und damit die Kultivierung von Bürgertugenden. In dieser Vielfalt, Komplexität, Wandelbarkeit und Umstrittenheit der politischen Sprache des Föderalismus widerspiegelt sich gleichermaßen die Pluralität der politisch-kulturellen Erfahrungsräume in den revolutionären und postrevolutionären Übergangsgesellschaften Europas und Nordamerikas im Zeitalter der Revolutionen und die Bestrebungen der historischen Akteure diese Pluralität zu reflektieren und aus den daraus resultierenden Erfahrungsdeutungen politische Forderungen abzuleiten. Dies- und jenseits des Atlantiks war man mit gesellschaftlichen und politischen Problemkomplexen konfrontiert, welche die „Sattelzeit“ insgesamt charakterisierten: die politischen Transformationskräfte, welche die atlantischen Revolutionen freigesetzt hatten; der sozioökonomische Wandel im Zuge der beginnenden Industriellen Revolution; die Entstehung des modernen Kapitalismus und die Entfaltung arbeitsteiliger Marktgesellschaften; die Ausdifferenzierung und Pluralisierung der Gesellschaften und die Herausfor-
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derungen ihrer politischen Integration; der Aufstieg moderner Nationalstaaten und dessen Begleiterscheinung in Form einer Konzentration politischer Macht.14 Diese übergreifenden Veränderungsprozesse der politisch-sozialen Welt im Zeitalter der Revolutionen schufen zahlreiche politische und gesellschaftliche Konfliktkonstellationen, die in den politischen Kulturen Nordamerikas, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz je unterschiedliche Ausprägungen annahmen, die indessen auch durch wechselseitige Beobachtungen und transkulturelle Debattenverläufe reflektiert wurden. Antworten auf diese Herausforderungen wurden in allen Untersuchungskontexten auch im Föderalismus gesucht. Besonders attraktiv war die politische Sprache des Föderalismus unter jenen Akteuren, die republikanische Überzeugungen pflegten, diese allerdings von den erwähnten Transformationsprozessen und dem Fanal der Französischen Revolution infrage gestellt sahen. Die politische Sprache des Föderalismus erlaubte vor dem Horizont eines solchen politischen Problembewusstseins, klassisch-republikanische Forderungen nach politischer Teilhabe und Bürgerverantwortung, nach Selbstregierung und Gemeinwohlorientierung abzurufen und sie gleichzeitig in eine fundamental veränderte, postrevolutionäre politisch-soziale Welt zu transportieren. Der Föderalismus schien einerseits durch seine Fragmentierung des politischen Raumes politische Teilhabe und damit die Kultivierung republikanischer Bürgertugenden zu fördern und verhinderte andererseits durch die Multiplizierung und Brechung demokratischer Willensbildungsprozesse, dass diese klassisch-republikanischen Werte in die Zentralisierung politischer Macht, in Tugendterror, Usurpation und Tyrannei umschlugen, wie man dies in der Französischen Revolution beobachtete. Die politische Sprache des Föderalismus schien damit eine Möglichkeit zu bieten, die „liberté des anciens“ mit der „liberté des modernes“ zu verknüpfen, wie dies Benjamin Constant 1819 gefordert hatte.15 Gerade in den Strömungen des liberalen Republikanismus in Europa, zu welcher Constant und Lafayette, vielleicht auch Tocqueville, zu zählen sind, und in dessen radikalen Version, wie sie etwa von James Fazy, Charles-Arnold Scheffer, LouisProsper Conseil und Fanny Wright vertreten wurden, sowie unter den Whigs in Nordamerika entwickelte die politische Sprache des Föderalismus eine bemer-
14 Vgl. zu diesen vielschichtigen Transformationsprozessen die Überblicksdarstellungen bei Hobsbawm Eric, Europäische Revolutionen; Sperber Jonathan, Revolutionary Europe 1780–1850; Lyons Martyn, Post-Revolutionary Europe; Brandt Hartwig, Europa 1815–1850; Jones Colin/ Wahrman Dror (Hrsg.), The Age of Cultural Revolutions; Armitage David/Subrahmanyam Sanjay (Hrsg.), The Age of Revolutions in Global Context, c. 1760–1840; Auslander Leora, Cultural Revolutions. Zum Aufstieg des Nationalstaates in dieser Epoche vgl. auch Morrison Michael A./ Zook Melinda (Hrsg.), Revolutionary Currents; Leonhard Jörn, The Rise of the Modern Leviathan. 15 Vgl. Constant Benjamin, De la liberté des anciens comparée à celle des modernes, S. 285.
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kenswerte Attraktivität. Diese beruhte insbesondere auf dem Problembewusstsein, dass föderale oder dezentralisierte politische Ordnungen die Transition von klassisch-republikanischen Anliegen in die politische Moderne beförderten, ohne dass damit republikanische Kernanliegen geopfert werden mussten.16 Dieses Problembewusstsein lag der Suche nach republikanischen Prinzipien jenseits des „républicanisme à la mode des anciens“, wie sie Charles-Arnold Scheffer einforderte, ebenso zugrunde, wie James Madisons „republican remedy for the diseases must incident to republican government“, Albert Gallatins „true federal principles“, Benjamin Constants „nouveau genre de fédéralisme“, Fanny Wrights „magic circle of the confederacy“, Ignaz Paul Vital Troxlers „republikanischem Föderalismus“, Francis Liebers Verbindung zwischen „republican federalism“, „institutional liberty“ und „self-government“, Edward Everetts und Jared Sparks‘ republikanischer Integrationsgeschichte der Bundesverfassung oder Alexis de Tocquevilles Reflexionen über die „art d’éparpiller la puissance“. Bei allem Variantenreichtum der politischen Sprache des Föderalismus im Zeitalter der Revolutionen gehörte dieser Versuch, republikanische Konzepte durch die Koppelung an föderale Ordnungsideen für eine grundlegend transformierte politisch-soziale Welt tauglich zu machen, zu den verbindenden Elementen dieser politischen Sprache. Dass diese politische Sprache eine grundlegend umkämpfte und ambivalente war, liegt nicht nur an der Komplexität der Konfliktkonfigurationen, auf welche sie zu antworten versuchte, sondern auch an den inhärenten Spannungen des Föderalismus selbst. Der Föderalismus artikuliert auf den ersten Blick in all seinen im Zuge dieser Studie rekonstruierten Varianten und in all seinen kontextuell gebrochenen Erscheinungsformen zunächst einmal einen Widerspruch: Er beansprucht, dass assoziierte politische Gemeinwesen gleichzeitig unabhängig und trotzdem miteinander verbunden sind, dass sie Autonomie genießen und trotzdem zugunsten der politischen Handlungsfähigkeit des Bundes diese Autonomie einschränken. Allerdings erweist sich dieser Widerspruch vielleicht nur dann als solcher, wenn Souveränität und Staat in ein Verhältnis der Deckungsgleichheit gerückt werden und damit der souveräne Nationalstaat als Norm gesetzt wird, vor welchem föde-
16 Ich schließe mich hier einerseits der Argumentation über die Transformationsprozesse zwischen klassischem Republikanismus und Liberalismus an, wie sie von Andreas Kalyvas und Ira Katznelson vorgeschlagen wurde, ergänze sie aber andererseits durch die Dimension des Föderalismus, welche bei ihrem Buch nur randständig im Kapitel zu Madison und Paine angesprochen wird, vgl. Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, Liberal Beginnings, S. 1–17, 88–117. Vgl auch Kalyvas Andreas/Katznelson Ira, The Republic of the Moderns.
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rale Gebilde eigentlich nur defizitär erscheinen können.17 Gerade die Geschichte der politischen Sprache des Föderalismus und der eng mit ihr verbundene Versuch, Souveränität nicht monistisch und unteilbar zu denken, erinnert daran, dass der restlos homogenisierte und überhaupt erst dadurch als „souverän“ imaginierte Nationalstaat nicht der telos der Geschichte ist. Es gehört zum spannungsreichen Erbe der atlantischen Revolutionen, dass sie durch die Einführung und Durchsetzung der Idee der Volkssouveränität einerseits zum Aufstieg des Nationalstaates beigetragen haben und andererseits gleichzeitig auch diesseits und jenseits seiner Grenzen über ihn hinauswiesen.18 Denn die Diskurse um Volkssouveränität und Republik schufen Raum zwischen der politischen Bürgergesellschaft und dem Staat, ein Raum, der sowohl diesseits als auch jenseits des Nationalstaates in Form von föderalen Arrangements ausgestaltet werden konnte, wie Joel Barlow bereits 1800 zu bedenken gab. In dieser Hinsicht lag der Föderalismus und seine Begrifflichkeit quer zum Aufstieg des modernen Nationalstaates und dessen Vokabular, oder anders gesagt: der Föderalismus war ein Stachel im Fleisch des Nationalstaates, der daran erinnerte, dass die politische Bürgergesellschaft und der Staat nicht zwangsläufig deckungsgleich sind. Die Rede von geteilter Souveränität war in dieser Hinsicht ein Versuch, dieser Problematik Rechnung zu tragen. Es ist aber auch in dieser Hinsicht an ein Argument James Wilsons in der Pennsylvania Ratifying Convention zu erinnern, der meinte, dass genau diese Rede von der geteilten Souveränität in einer demokratischen Republik nur dann Sinn mache, wenn sie als ein Derivat des Prinzips der Volkssouveränität verstanden wird. Das Volk gibt in einer demokratischen Republik seine Souveränität grundsätzlich nie auf, sondern verteilt durch die von ihr debattierten und ratifizierten Verfassungen Teile davon auf Zeit an politische Körperschaften und staatliche Einrichtungen, die es für berechtigt und befähigt hält, definierte politische Aufgaben zu erledigen. In dieser demokratischrepublikanisch grundierten Version einer geteilten Souveränität, nach welcher Souveränitätsrechte „from the bottom up“ delegiert werden, konnten sowohl die Einzelstaaten als auch der Bundesstaat schlicht als repräsentative Institutionen des Volkes verstanden werden, ohne dass politische Gesellschaft und staatliche Institutionen konvergierten; der Föderalismus war nicht mehr wie im politischen Denken des 18. Jahrhunderts eine Assoziationstheorie von Staaten, sondern Ausdruck eines politischen Willensbildungsprozesses des Volkes, das seine politische Macht, seine Souveränitätsrechte, teilt und an unterschiedliche Institutionen verteilt.
17 Vgl. hierzu Koselleck Reinhart, Diesseits des Nationalstaates, S. 503; Sheehan James J., The Problem of Sovereignty in European History; Weichlein Siegfried, Europa und der Föderalismus; Grimm Dieter, Souveränität, S. 54–69. 18 Vgl. Onuf Peter S., Nations, Revolutions, and the End of History, S. 175.
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An der Begriffsgeschichte der geteilten Souveränität wird deutlich, was insgesamt eine charakteristische Begleiterscheinung des transatlantischen Föderalismusdiskurses im Zeitalter der Revolutionen war. Diese komplexen föderalen Machtverteilungen entzogen sich bisweilen dem tradierten politischen Vokabular. Man war gezwungen, wie Madison meinte, herkömmlichen politischen Begriffen eine andere Bedeutung zu geben – und es war vielleicht gerade diese Sperrigkeit, die so viele der hier untersuchten Akteure dazu genötigt hat, über politische Sprache nachzudenken: von Madisons Klage über dieses „cloudy medium“ und seine Einsichten in die „silent innovations of time on the meaning of words and phrasing“, über Albert Gallatins Warnung, dass die Freiheiten der Bürger in einem auf einer Verfassungsurkunde basierenden politischen Gemeinwesen eigentlich nur durch Worte geschützt werden, bis hin zu Francis Liebers in Auseinandersetzung mit Thukydides entwickeltem Versuch, durch eine politische Hermeneutik das Auseinanderdriften von Text und Interpretation zu verhindern, oder Alexis de Tocquevilles Einsicht, dass der menschliche Geist leichter Dinge erfindet, bevor er ihnen adäquate Namen gibt. In all diesen Fällen waren es Versuche, Föderalismus zu denken und sprachlich zu artikulieren, welche diese Intellektuellen an die Brüchigkeit des Verhältnisses von Sprache und politischer und sozialer Welt erinnerten und sie zu kreativen Bestrebungen zwangen, jenseits der tradierten politischen Nomenklaturen nach Lösungen zu suchen.
Abkürzungen ANF Archives Nationales de France, Paris APS American Philosophical Society, Philadelphia PA AQR American Quarterly Review BGE Bibliothèque de Genève EKUT Eberhard Karls Universität Tübingen, Handschriftenabteilung The Huntington Library, San Marino CA HL LC Library of Congress, Manuscript Division, Washington DC MDHS Maryland Historical Society, Baltimore MD MHS Massachusetts Historical Society, Boston MA MSEL Milton S. Eisenhower Library, Special Collections, The Johns Hopkins University, Baltimore MD NAR North American Review PHS Pennsylvania Historical Society, Philadelphia PA PUL Princeton University Library, Department of Rare Books and Special Collections, Manuscripts Division, Princeton NJ SNB Schweizerische Nationalbibliothek, Bern SLA Schweizerisches Literaturarchiv, Bern StAR Staatsarchiv Aargau UBH Universitätsbibliothek Heidelberg
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: L’Hydre Aristocratique, Paris 1789. © Bibliothèque nationale de France. Abb. 2: Vue des six différentes stations de la fête de l’unité et l’indivisibilité de la République Paris 1793. © Bibliothèque nationale de France. Abb. 3: Le Peuple Français Terrassant Le Fédéralisme, Detail aus: Vue des six différentes stations de la fête de l’unité et l’indivisibilité de la République Paris 1793. © Bibliothèque nationale de France.
Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Schweizerische Nationalbibliothek, Bern (SNB) The Papers of Albert Gallatin, Microfilm Edition, FRg 244 Schweizerisches Literaturarchiv, Bern (SLA) Fonds Weideli, D–7-a: Documents provenant de la famille Fazy Bibliothèque de Genève (BGE) BGE Fondation Fazy, Corr. 1–13 BGE Fondation Fazy, Ms. 1–14 BGE Correspondance Pellegrino Rossi, Facs. 19–22 BGE Ms Dumont BGE Dossiers ouverts Archives Nationales de France, Paris (ANF) Microfilm Archives Lafayette, Lagrange, 729 MI 1–64 Microfilm Lafayette Papers, Cornell University, Ithaca, New York, 217 MI 1–55 Universitätsbibliothek Heidelberg (UBH) Nachlass C. J. A. Mittermaier, Heid. Hs. 3718, Heid. Hs. 2746, Heid Hs. 2790 Eberhard Karls Universität Tübingen, Handschriftenabteilung (EKUT) Nachlass Robert von Mohl, Md 613 Staatsarchiv Aargau (StAR) Nachlass Heinrich Zschokke, NL.A-0196/001–004 Library of Congress, Manuscript Division, Washington DC (LCMD) Henry Clay Family Papers David Bailie Warden Papers Joseph Story Correspondence Daniel Webster Papers Massachusetts Historical Society, Boston MA (MHS) Alexander Hill Everett Letters, Microfilm Edition, P-156 Edward Everett Papers, Microfilm Edition, P-349 American Philosophical Society, Philadelphia PA (APS) Peter Stephen Duponceau Collection, B D92 p Pennsylvania Historical Society, Philadelphia PA (PHS) Peter S. Du Ponceau Papers, McAllister Collection, The Library Company of Philadelphia, McA MSS 019 Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Folder: Lieber, Francis Gratz Collection, European Statesmen, Case 10, Box 5, Folder: Mittermaier, Karl Joseph Anton Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Box 36, Folder: Walsh, Robert Jr. Gratz Collection, American Literary Duplicates, Case 6, Box 36, Folder: Warden, David Bailie Gratz Collection, American Prose, Case 6, Box 6, Folder: Lieber, Francis Gratz Collection, French Authors, Case 11, Box 28, Folder: Tocqueville, Alexis de Autograph Letters of the Presidents of the United States, Am 1275 f 10 Madison, James, Letters, Am 1013 New York Historical Society, New York NY (NYHS) Albert Gallatin Papers, Microfilm Edition
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Periodika Ausgewählte Beiträge aus den nachfolgend aufgelisteten Zeitungen und Zeitschriften werden unter der Rubrik Gedruckte Quellen und Quellensammlungen mit Autorenangabe und Titel des Aufsatzes separat aufgeführt. American Quarterly Review (AQR) American Review of History and Politics Bibliothèque Universelle des sciences, belles-lettres, et arts. Littérature Bibliothèque Universelle de Genève, Nouvelle (3ème) série Der aufrichtige und wohl-erfahrene Schweizer-Bote Der Freisinnige. Freiburger politische Blätter Journal de Genève Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes La Revue Américaine L’Europe Central Le Fédéral Le Patriote François. Journal libre, impartial et national Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts Neue Helvetia. Eine schweizerische Monatsschrift North American Review (NAR) Revue des Deux Mondes Revue Encyclopédique The United States Magazine and Democratic Review Überlieferungen zur Geschichte unserer Zeit Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
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Personenregister A A True Friend 161–162 Adams, Charles Francis (1807–1886) 282, 284, 288, 299–302, 304–308, 310, 319–320, 445 Adams, John (1735–1826) 83, 173, 202–205, 298, 377–378 Adams, John Quincy (1776–1848) 25–26, 211, 317 Agrippa, siehe Winthrop, James Albera, Vitale (1799–?) 229 Althusius, Johannes (1563–1638) 136 Amar, André (1755–1816) 97 Andrey, Georges (1938–) 128 Angermann, Erich (1927–1992) 282 Armitage, David (1965–) 25 B Badollet, Jean (1757–1837) 179–180 Bailyn, Bernard (1922–) 13 Baker, Keith Michael (1938–) 18, 33 Bancroft, George (1800–1891) 423 Banning, Lance (1942–2006) 14, 393 Barante, Prosper de (1782–1866) 101 Barlow, Joel (1754–1812) 15–18, 99–102, 113, 194, 435–437, 450 Beaud, Olivier (1958–) 86, 336 Beaumont, Arthur J. 102 Beaumont, Gustave de (1802–1866) 81, 241, 248, 322, 324–327, 338 Bentham, Jeremy (1748–1832) 193, 206–208, 243 Blackbourn, David (1949–) 363 Blänkner, Reinhard 116, 365 Blickle, Peter (1938–) 34 Bodin, Jean (1529/30–1596) 89, 108–109 Bonaparte, Louis, Napoleon (1808–1873) 415 Bonaparte, Napoleon (1769–1821) 133, 176, 191, 213, 215, 268 Bonstetten, Karl Viktor von (1745–1832) 139, 194, 211 Bornhauser, Thomas (1799–1856) 149–150, 231
Botta, Carlo (1766–1837) 370 Braun, Rudolf (1930–2012) 34 Brissot, Jacques Pierre (1754–1793) 83, 91–93, 97, 198, 202 Brooke, John L. (1953–) 287 Buchanan, James (1791–1868) 412, 420–422 Bunsen, Christian Karl Josias (1791–1860) 413–414 Buonarotti, Filippo (1761–1837) 229 Burke, Edmund (1729–1797) 31, 59, 420 Buß, Franz Joseph von (1803–1878) 122, 432 Buzot, François-Nicolas-Louis (1760–1794) 91–92, 97 C Calhoun, John C. (1782–1850) 1–2, 46, 74–77, 153, 184, 241, 246–247, 257, 270, 297, 334, 356, 377, 406–409, 414, 431, 447 Campe, Joachim Heinrich (1746–1818) 113 Carrel, Armand (1800–1836) 213, 219, 222, 375 Chambrier, Frédéric-Alexandre de (1785–1856) 148, 153–154 Chartier, Roger (1945–) 22 Cherbuliez, Antoine-Elisée (1797–1869) 148, 372, 397, 425 Clarke (-Mohl), Mary Elizabeth (1793–1883) 370 Clay, Henry (1777–1852) 197, 250, 262, 303, 416 Cobban Alfred (1901–1968) 43 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat (1743–1794) 83, 88, 91, 97–98, 116, 136, 198–199, 202, 216 Conrad, Sebastian (1966–) 286 Conseil, Louis-Prosper (1796–?) 213, 215, 222–227, 238–239, 332–333, 375, 443–444, 447–448 Constant, Benjamin (1767–1830) 32–33, 101, 196, 206–207, 217–219, 221, 370, 448–449 Cooper, James Fenimore (1789–1851) 141, 324
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Personenverzeichnis
Cooper, Thomas (1759–1839) 246 Corcelle, Francisque de (1802–1892) 212, 225, 424 Cousin, Bernard 98 Coxe, Tench (1755–1824) 163, 166–167 Cushing, Luther Stearns (1803–1856) 372, 384–385 D Danton, Georges (1759–1794) 92, 110 Darnton, Robert (1939–) 128 David, Jacques-Louis (1748–1825) 94 Depping, Georges-Bernard [Georg Bernhard] (1784–1853) 369 Desmoulins, Camille (1760–1794) 87 Destutt de Tracy, Antoine Louis Claude (1754–1836) 175 Dietze, Gottfried (1922–2006) 446 Dippel, Horst (1942–) 116 Donelson, Andrew Jackson (1799–1871) 412 Douglass, Frederick (1818–1895) 431 Druey, Henri (1799–1855) 145, 149, 155, 231, 234 Du Pont de Nemours, Pierre Samuel (1739–1817) 198 Duer, William Alexander (1780–1858) 332, 417–418 Dumont, Etienne (1759–1829) 165, 193, 206–208, 210–211, 230, 238 Duponceau, Peter Stephen (1760–1844) 241, 243–244, 248, 325, 327–328 E Elliot, Jonathan (1784–1846) 296–300, 305, 319 Ellis, Richard E. (1937–2009) 8 Elsner, Heinrich (1806–1858) 229 Everett, Alexander H. (1790–1847) 261, 282, 284, 287, 290–294, 299, 301–303, 305, 317, 319–320, 445 Everett, Edward (1794–1865) 2–4, 8, 11, 32–33, 159, 235–237, 243, 250, 259, 282–290, 293–294, 298–299, 304–305, 307, 309, 311–320, 322–323, 326–327, 332, 353, 404–405, 413–414, 418–419, 443, 445, 449
F Fäsi, Johann Conrad (1727–1790) 130 Fazy, James (1794–1878) 38, 145, 150, 153, 195, 212–215, 228–235, 238–239, 427, 443–444, 447–448 Fazy, Jean-Louis (1792–1878) 229 Félice, Fortuné-Barthélemy de (1723–1789) 82, 128–129 Ferguson, Adam (1723–1816) 20 Findley, William (1741–1821) 62, 164, 171–172 Finkelman, Paul (1949–) 405 Flüe, Niklaus von (1417–1487) 416–417 Follen, Charles [Karl] (1796–1840) 243 Francesco, Antonino de (1954–) 9, 202 Franklin, Benjamin (1706–1790) 83, 89, 163, 249 Friedrich, Carl J. (1901–1984) 432 Furet, François (1927–1997) 43 G Gagern, Hans Christoph von (1766–1852) 113–114, 124 Gallatin, Albert (1761–1849) 11, 70–71, 159, 161–190, 191–192, 206, 211, 214, 236–237, 241, 281, 325, 331, 404, 443–444, 447, 449, 451 Gans, Eduard (1797–1839) 321–322 Garrison, William Lloyd (1805–1879) 431 Geertz, Clifford (1926–2006) 12 Gentz, Friedrich von (1764–1832) 25–27, 375 Gerolt, Friedrich von (1797–1879) 407 Gerry, Elbridge (1744–1814) 297, 304 Godechot, Jacques (1907–1989) 39–40, 43 Godwin, William (1756–1836) 206 Goodrich, Samuel Griswold (1793–1860) 266–267 Green, Abigail 366 Greenleaf, Simon (1783–1853) 372, 412–413 Grote, George (1794–1871) 242, 370, 424, 427 Grotius, Hugo (1583–1645) 56 Guggisberg, Hans Rudolf (1930–1996) 283 Guizot, François (1787–1874) 101, 194 H Haller, Gottlieb Emanuel von (1735–1786) 128, 130–132
Personenregister
Hamilton, Alexander (1755–1804) 11, 59–61, 66, 68–69, 72–73, 86, 114, 124, 172–174, 178, 196–197, 291–293, 303, 306, 330–331, 335, 352–353, 356, 377–379, 388–389, 447 Hartz, Louis (1919–1986) 13 Harvey, David (1935–) 33 Hayne, Robert (1791–1839) 1–3, 254–255 Heeren, Arnold Hermann Ludwig (1760–1842) 115–116 Heine, Heinrich (1797–1856) 195 Henke, Hermann Wilhelm Eduard (1783–1869) 146 Henrion de Pansey, Pierre Paul Nicolas (1742–1829) 101 Henry, Patrick (1736–1799) 252–253, 304 Higonnet, Patrice (1938–) 90, 227 Hillard, George Stillman (1808–1879) 402 Hintze, Hedwig (1884–1942) 82 Hobbes, Thomas (1588–1679) 89 Howe Ward, Julia (1819–1910) 241 Howe, Daniel Walker (1937–) 281, 302 Howe, Samuel Gridley (1801–1876) 241 Humboldt, Wilhelm von (1767–1835) 241 I Isoard, François (1765–1795) 93 Ivernois, François d’ (1757–1842) 165 J Jackson, Andrew (1767–1845) 152, 159, 254, 256, 265–266, 270–271, 273, 280, 309–310, 323, 326, 328, 334–335, 346, 351, 358, 445 Jainchill, Andrew 359 Jay, John (1745–1829) 11, 86, 114, 124, 173, 183, 306, 330, 389 Jefferson, Thomas (1743–1826) 1, 11, 68–71, 166, 171–172, 175–177, 183–184, 198, 200, 202, 221–223, 225, 246, 269, 286, 290–293, 297–298, 300, 308, 332–333, 378, 443 Jennings, Jeremy 222 Jullien, Marc-Antoine (1775–1848) 32, 208, 318
515
K Kalyvas, Andreas 13–14 Kammen, Michael (1936–2013) 188, 259 Karmis, Dimitrios 323, 338 Kasthofer, Karl Albrecht (1777–1853) 38, 141, 150–153, 231 Katznelson, Ira 13–14 Kent, James (1763–1847) 248, 310–311, 325, 333–334 Kloppenberg, James T. (1951–) 14, 344, 350 Knox, Henry (1750–1806) 166 Koselleck, Reinhart (1923–2006) 28–30, 50, 98, 107, 199, 437 Kramer, Lloyd S. 11–12, 21, 192, 195, 285, 320 Kramnick, Isaac (1938–) 14 Kuhn, Bernhard Friedrich (1762–1825) 134–135 L La Harpe, Frédéric César de (1754–1838) 139, 211 Laboulaye, Édouard René Lefebvre de (1811–1883) 249, 370, 405, 415, 433–434 LaCroix, Alison 58 Lafayette, George Washington (1779–1849) 229 Lafayette, Marquis de (1757–1834) 1, 4–6, 10–11, 101, 159, 175, 189, 191–239, 243, 309, 324–325, 327, 443–444, 448 Lamare, Pierre-Bernard (1753–1809) 202–204 Lasteyrie, Mélanie de (1809–1895) 212 Lee, Richard Henry (1732–1794) 67, 297, 304 Legaré, Hugh S. (1797–1843) 78 Leresche, Jean-Louis-Benjamin (1800–1857) 149 Leu, Johann Jacob (1689–1768) 129 Lieber, Francis [Franz] (1800–1872) 11, 78, 159, 241–280, 281–282, 307, 326–327, 331–332, 336–337, 345–346, 351, 353, 371, 394–397, 410–417, 434, 443–447, 449, 451 Livingston, Edward (1764–1836) 1–3, 77, 250, 254–257, 327, 332, 334, 372, 384 Lolme, Jean Louis de (1740–1806) 199, 204
516
Personenregister
M Mably, Gabriel Bonnot de (1709–1785) 82–83, 136 Madison, James (1751–1836) 1–6, 8, 10–11, 15–16, 55–56, 59–66, 68–73, 75–78, 81, 85–86, 88, 114, 119, 121–124, 128, 131, 151, 166–167, 172–174, 177, 180–181, 183–184, 186, 188, 205, 209, 250, 254–255, 266, 270–271, 275, 290, 294–297, 300, 302–304, 306, 308, 330, 337, 344, 355–356, 358, 381, 390–391, 393, 443, 449, 451 Maier, Pauline (1938–2013) 164 Maissen, Thomas (1962–) 42 Maletz, Donald 339 Marrast, Armand (1801–1852) 419 Marshall, John (1755–1835) 71–75, 77–78, 251–252, 377, 379, 381 Martin, Luther (1748–1826) 296–297 Marx, Karl (1818–1883) 429–430, 433, 439 Mason, George (1725–1792) 162, 297 Massé, Jean-Elisée (1791–1870) 146–147 Mathews, James M. 281 Matthews, Jean 282 Maza, Sarah (1953–) 85 Mazzei, Filippo (1730–1816) 83, 116, 198–199 McDuffie, George (1790–1854) 153 McLean, John (1785–1861) 328–330 Meister, Leonard (1741–1811) 131–132 Mignet, François-Auguste (1796–1884) 229, 375 Mill, James (1773–1836) 208 Mill, John Stuart (1806–1873) 194–195, 222–223, 242 Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti (1749–1791) 207 Mittermaier, Karl Joseph Anton (1787–1867) 78, 160, 248, 275–276, 368, 371–373, 382–385, 388–389, 391–398, 405, 411–416, 425, 432, 443, 446 Mohl, Jules (1800–1876) 370 Mohl, Robert von (1799–1875) 11, 159, 245, 278, 368–398, 413, 415, 425, 432, 443, 446–447 Monnard, Charles (1790–1865) 211 Monneron, David Frédéric (1756–1837) 136–140
Monroe, James (1758–1831) 214, Montesquieu, Charles de Secondat (1689–1755) 56, 60, 62, 64, 81–83, 92, 101, 111–112, 114, 124, 128, 130, 170, 176, 204, 249, 328–329, 341–342, 344–345, 358, 440 Moreno, Manuel (1782–1857) 303 Morris, Gouverneur (1752–1816) 388 Morus, Thomas (1478–1535) 136 Müller, Johann Georg von (1759–1819) 140 Müller, Johannes von (1752–1809) 124, 128–129, 140 Mundt, Theodor (1808–1861) 140–141, 146 Murhard, Friedrich Wilhelm August (1778–1853) 121–124, 390 N Necker, Jacques (1732–1804) 100, 102 Neumann, Franz (1900–1954) 433 Newton, Isaac (1643–1727) 275 Niebuhr, Barthold Georg (1776–1831) 241–242 Nora, Pierre (1931–) 42–43 O O’Brien, Michael (1948–2015) 242, 271 Oswald, Eleazer (1755–1795) 167 Ott, Auguste (1814–1903) 104 Ozouf, Mona (1931–) 85 P Paine, Thomas (1737–1809) 24–25, 28–29, 31, 194, 266, 290, 298 Palmer, Robert (1909–2002) 34, 39–40, 43 Parisot, Jacques-Theodore (1783–?) 208 Pfyffer, Kasimir (1794–1875) 372 Pickering, John (1777–1846) 372 Pictet de Rochemont, Charles (1755–1824) 139 Planta, Peter Conradin de (1815–1902) 142 Pocock, J.G.A. (1924–) 6, 13–14, 52, 57 Posselt, Ernst Ludwig (1763–1804) 216 Pradt, Dominique de (1759–1837) 84 Preston, William C. (1794–1860) 411 Preuß, Hugo (1860–1925) 11 Price, Richard (1723–1791) 83
Personenregister
Priestley, Joseph (1733–1804) 206 Proudhon, Pierre-Joseph (1809–1865) 104–105 Pufendorf, Samuel von (1632–1694) 56 Pütter, Johann Stephan (1725–1807) 109, 129 Rakove, Jack N. (1947–) 188 Randeria, Shalini (1955–) 286 Randolph, Thomas Jefferson (1792–1875) 223 Rawle, William (1759–1836) 248 Récamier, Julie (1777–1849) 321 Rémond, René (1918–2007) 39 Reynolds, Thomas Caute (1821–1887) 78 Rives, William C. (1793–1868) 295 R Roberts, Timothy Mason 406 Robespierre, Maximilien de (1758–1794) 92, 110, 136, 268–269, 298 Rochefoucauld, Louis-Alexandre de la (1743–1792) 83, 198, 202 Rodgers, Daniel (1942–) 13 Roger, Alexandre 144, 148 Rosanvallon, Pierre (1948–) 44, 52, 352 Rossi, Pellegrino (1787–1848) 148, 230, 425 Rotteck, Karl von (1775–1840) 122, 124, 142, 194–195, 365–368, 371, 394 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778) 89, 92, 136, 141, 165, 209, 267, 276, 443 Rush, Richard (1780–1859) 420–423 Rüttimann, Johann Jakob (1813–1876) 37, 373 S Sahlins, Marshall (1930–) 20, 22, 160 Scheffer, Ary (1795–1858) 193 Scheffer, Charles-Arnold (1796–1853) 193, 213–223, 228, 238–239, 325, 375, 443–444, 447–449 Schiera, Pierangelo (1941–) 365 Schleichermacher, Friedrich (1768–1834) 241, 259 Schnell, Karl (1786–1844) 144 Scholl, Anton 38 Schorske, Carl (1915–2015) 36 Secrétan, Louis (1758–1839) 135–136 Seidel, Günther Karl Friedrich (1764–1800) 116–117
517
Seigneux, Georges Massé de (1764–1841) 148, 154 Sergeant, Thomas (1782–1860) 248 Sewell, William H. Jr. (1940–) 12, 22 Seybert, Adam (1773–1825) 218 Shalhope, Robert E. 13, 30 Short, William (1759–1848) 202 Siegenthaler, Hansjörg (1933–) 148 Sieyes, Emmanuel Joseph (1748–1836) 28, 87–91, 134–136 Sismondi, Jean Charles Léonard Simonde de (1773–1842) 193, 208–211, 238, 317–318 Skinner, Quentin (1940–) 19 Smilie, John (1741–1812) 164, 169 Smith, Melancton (1744–1798) 67 Snell, Wilhelm (1789–1851) 231 Sparks, Jared (1789–1866) 11, 194, 243, 252, 282, 284, 286–290, 294–296, 298–299, 303–307, 309, 312, 319–320, 322, 326–327, 329, 331, 337, 340, 342–343, 345–346, 351, 353, 443, 445–446, 449 Spencer, John Canfield (1788–1855) 323, 326, 357, 417–418 Stapfer, Philipp Albert (1766–1840) 139, 144 Stettler, Friedrich (1796–1849) 149–151 Story, Joseph (1779–1845) 78, 122, 243, 245, 250–252, 254, 273, 277–278, 329, 333, 372, 377, 379–380, 405, 412 Subrahmanyam, Sanjay (1961–) 25 Sumner, Charles (1811–1874) 372, 405 Suter, Andreas (1953–) 133 Sydenham, M.J. 86 T Taylor of Caroline, John (1753–1824) 72–73, 296, 356, 377 Ther, Philipp (1967–) 35 Thierry, Augustin (1795–1856) 370 Thiers, Adolphe (1797–1877) 375 Thukydides 258, 451 Ticknor, George (1791–1871) 193–195, 243, 284, 319, 402 Tocqueville, Alexis de (1805–1859) 11, 27, 32, 81, 101, 104, 121–122, 124, 140–141, 159, 223, 230, 241, 245, 248–249, 266, 268–269, 277–278, 321–361, 370, 380, 397–398, 417–427, 443, 445–448
518
Personenregister
Troxler, Ignaz Paul Vital (1780–1866) 37, 120, 141–143, 150–151, 153–154, 231, 427–428, 431 Trudaine de Sablière, Charles-Michel (1766–1794) 202 Tscharner, Vincenz Bernhard (1728–1778) 130–131 Tucker, Nathaniel Beverley (1784–1851) 246 Tucker, St. George (1752–1827) 246–247 Turgot, Anne Robert Jacques (1727–1781) 83–84, 98 U Umbach, Maiken 109 V Varnhagen von Ense, Karl August (1785–1858) 427 Vattel, Emer de (1714–1767) 56 Vivien, Alexandre-François (1799–1854) 422 Voyer d’Argenson, Marc-René (1771–1842) 214, 219 W Waitz, Georg (1813–1886) 432 Walker, Timothy (1806–1856) 329–331
Walsh, Robert Jr. (1785–1859) 237, 243–244, 282, 284–286, 314, 319, 404, 415, 418, 445 Warden, David Bailie (1772–1845) 11, 206–207, 325, 332, 369–370, 372, 377 Washington, George (1732–1799) 166, 194, 197–202, 298, 378, 389 Webster, Daniel (1782–1852) 1–3, 8, 55, 77, 250, 254–255, 311, 410 Welcker, Karl Theodor (1790–1869) 120–122, 124, 142, 371, 390, 394, 428 Wellenreuther, Hermann (1941–) 41, 373 Wey, Francis (1812–1882) 423 White, Hayden (1928–) 282, 353 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 110–113 Wilentz, Sean (1951–) 324, 358 Williams, Raymond (1921–1988) 29–30 Wilson, James (1742–1798) 61–62, 119, 161–164, 450 Winthrop, James (1752–1821) 63 Wollstonecraft, Mary (1759–1797) 206 Wood, Gordon S. (1933–) 13–14, 27, 30, 56, 164, 234, 289, 348 Wright, Frances [Fanny] (1795–1852) 193, 206–211, 237–239, 443–444, 448–449 Yates, Robert (1738–1801) 296–297 Zschokke, Heinrich (1771–1848) 142, 144, 210–211, 238
Orts- und Sachregister A Aarau 146, 210, 238 Abolitionismus 408, 431 Absolutismus 264, 269, 273–276, 318, 407, 415–416 Absolutismus, aufgeklärter 364, 374, 392, 398 Académie des sciences morales et politiques 424 Alien and Sedition Acts (1798) 69–70, 173, 181, 183–184, 186–187, 264 Aix 88 Allianz 51, 82, 107–108 Amendments 66, 162, 168–171, 173, 182, 187, 233–234, 298, 317 American Jurist 260, 384, 405 American Quarterly Review 243 Américanistes 198–199, 202, 204 Anarchie 17, 100, 178, 215, 224, 302, 334, 338, 376, 378, 383, 407, 424 Ancien Régime 81, 84, 86, 88, 93, 97, 101, 132, 135, 145, 195, 218, 228, 267–268, 316, 385, 440 Anglomanes 199 Antifederalists 8, 46, 58, 62–64, 66–68, 162–163, 167–169, 171–174, 181–182, 188–189, 220–221, 246, 252, 264, 293, 296–297, 303–304, 377, 379, 396, 439, 443 Aristokratie, aristokratisch 66, 86–89, 93, 95, 97, 101–102, 117, 134, 163, 179–180, 196, 199, 201, 203–204, 225, 227, 232, 234, 246, 267, 317, 335, 339–340, 374, 378–379, 419, 440 Arras 88 Articles of Confederation and Perpetual Union 58–59, 69, 72–73, 83–84, 86, 139, 170, 197–198, 246, 264, 300–302, 314, 318, 331, 380 Aufklärung 199
B Badenweiler 365 Baden 371 Basel 145 Bastille 85, 94 Begriffsgeschichte 17, 51, 58–59, 78, 84, 98, 100, 102, 107–108, 113, 127, 158, 223, 261, 263, 437, 439, 451 Berlin 241–242, 396, 412 Bern 134, 149–150, 424 Bikameralismus, siehe Zweikammersystem Bill of Rights 66, 137, 161–163, 167, 198–200, 379 Bonapartismus 9, 214 Boston 2, 32, 193–194, 235, 241, 243–246, 250, 252, 256, 279, 282–283, 288–290, 298, 322, 326, 329, 345, 353, 372, 402, 414, 445 Brüssel 217 Bund 4, 37–38, 51, 58, 67, 75, 107–109, 118, 120–121, 124, 133, 145, 149, 151–154, 171, 173, 175–176, 210, 221, 224–225, 234, 250–251, 262–263, 275, 279, 294, 301–302, 315, 329, 331, 333, 342, 354, 378, 382, 387, 398, 412, 421, 433 Bund, Achäischer 111 Bund, der Amphiktyonen 111 Bundesreform, deutsche 120–121, 124–125, 365, 368, 382, 384–385, 389–390, 399, 406, 446 Bundesreform, schweizerische 38, 142–146, 150–152, 154, 211, 228, 230–231, 233–234, 427–428 Bundesrepublik 107, 128, 441 Bundesstaat 8, 37–38, 41, 46, 51, 74, 77, 81, 90–91, 103, 107, 113–122, 127, 140–144, 146–149, 154–155, 220, 233, 238, 251, 253, 279, 286, 337, 342, 357, 363–365, 367, 371, 380–381, 385, 387, 389, 391, 398–399, 411, 413–414, 425, 428, 430, 432, 437, 441–442, 446, 450
520
Orts- und Sachregister
Bundesverfassung, amerikanische (1787) 1–4, 8, 14, 25, 42, 46, 55, 58–59, 63, 66–68, 72–75, 77, 84, 89, 91, 116, 122–123, 128, 151, 153, 161–163, 166–170, 172–174, 177, 179–183, 188–189, 196–199, 203, 211, 218, 220–221, 233–234, 245–246, 249–254, 256–259, 261–264, 270, 272–274, 279–280, 286, 288, 290, 292, 294–312, 320, 322, 327, 329, 333–334, 336, 342, 344, 351, 356–357, 377, 379–380, 384, 389, 391–392, 397–398, 402, 404, 412, 428, 430–432, 439–440, 443–444, 449 Bundesverfassung, deutsche (1848) 365, 414 Bundesverfassung, schweizerische (1848) 151–152, 411, 427–429, 430 Bundesvertrag, schweizerischer (1815) 142, 144–145, 148, 151, 230–231, 425 Bündnis 51, 107, 110, 130 Bürger 58, 60, 62, 64, 66–67, 69, 86, 111, 120, 124, 137, 152, 165, 175, 178, 184–186, 188–190, 195, 200, 216, 219–221, 225, 238–239, 244, 260, 269, 276–277, 280, 282, 287, 292, 303, 307–308, 338, 341–352, 354, 356, 360, 366, 374, 376, 379, 383, 388, 393–399, 422, 426, 441, 446, 451 Bürgergesellschaft 177, 179, 190, 394–395, 450 Bürgerkrieg, amerikanischer (1861–1865) 8, 26, 31, 78, 431–432, 440 Bürgerkrieg, französischer (1793–1794) 93, 113, 316 Bürgerkrieg, schweizerischer (1847) 424, 442 Bürgersinn 185, 218, 277, 348, 394 Bürgertugend 233, 270, 273, 307–308, 312, 338–339, 348, 360, 388, 446–448 Bürgertum 195, 387–391, 399 C Carbonari 211–214, 217, 229 Chartres 88 Checks and Balances 171, 238, 273, 305, 433 Columbia 244 Compound Republic 59–60, 65, 85, 277 Compromise of 1850 416–417, 439
Confederation 17, 51, 58, 73, 141, 167, 198, 252–253, 264, 274, 301–302, 328, 406, 435 Confédération 51, 82, 90, 99, 102–104, 127, 129–131, 144, 146–150, 153–155, 228, 230, 236, 337, 355–356 Confédération d‘états 103–104, 127, 146–149, 154–155, 369, 437 Consolidated Government 3, 58, 62, 66–67, 71, 73–76, 78, 168, 246, 252–255, 437, 439 Constitutionalists, Pennsylvania 163–164, 167 Continental Congress (1776/77) 57 Cumberland 169 D Déclaration des droits de l’homme et du citoyen 200 Deliberation 16, 180, 182, 225, 277, 308, 344–345, 348–350, 360, 397, 426, 446–447 Democratic-Republican Societies 186–187 Democratic Review 322, 335, 401–402 Demokratie 62, 121, 134, 209, 226, 265–267, 271, 308–311, 321–323, 338, 341, 344–345, 349, 353–354, 363–364, 373–374, 379–380, 382, 389, 397–398, 402, 425, 445 Demokratie, direkte 123, 144, 209, 267 Demokratie, repräsentative 15, 123, 144, 280, 386, 390, 392, 418, 435 Deutscher Bund 117, 120–121, 125, 147, 365, 368, 376, 382, 385, 389–390, 399, 406, 446 Dezentralisierung 9, 101–102, 217–218, 225–227, 238–239, 337–340, 420, 422–423, 433, 441, 444, 447, 449 Diskursgemeinschaft 7, 10, 46–48, 158–159, 213, 237, 373, 443 Dissenters, Pennsylvania 167–168 Doctrinaires 101, 192 E Eidgenossenschaft, Schweizerische 38, 57, 104, 111, 117, 127, 129–133, 135, 138–143, 146–148, 152, 154–155, 211, 230, 233, 416, 423, 425, 427–428, 442
Orts- und Sachregister
Encyclopedia Americana 243–244, 250, 252, 264–265 Enumerated Powers 56, 61, 68, 72, 172–176, 189, 255 Etat fédéral, federative 51, 85, 90, 99–103, 115, 127, 146–149, 154, 231, 369, 437 Examiner 222–223 Exekutive 67, 163–164, 198–201, 233, 271, 276–277, 309–310, 351, 419 F Fayette County 163, 169 Federal Convention (1787) 2, 57, 61, 64, 128, 131, 166, 180–182, 252, 264, 295, 300–305, 308, 311–312, 318, 388, 410 Federal Farmer 67 Federal Government 1, 56, 59–60, 66–68, 75, 77, 180, 297, 323, 357, 403, 407, 437 Federal Republic 59, 62, 65, 74, 76, 107, 176, 183, 188, 190, 209, 275, 301, 406, 439, 441 Fédéralisme 5–7, 51, 59, 81, 84–86, 91–105, 113–114, 127, 135–137, 217, 227, 440–441, 449 Federalist, The Federalist Papers 3–4, 11, 14–16, 55, 59–61, 64–66, 68, 73, 75, 81, 86, 91, 114, 122–124, 186, 202–205, 209, 248, 266, 275, 278, 303, 306, 330–331, 334, 336, 352, 355–356, 358, 390, 412 Federalists 46, 58–59, 62, 67–73, 84, 162–164, 171–174, 179–184, 187, 221, 246, 251, 262–264, 266, 283, 286–293, 296–304, 310, 325, 335–336, 376–382, 388–391, 439, 443 Fédération 51, 81, 84–85, 103–105, 209, 219, 227, 234, 369, 423–424, 436 Fédération d’états 369, 437 Fête de la Fédération (1790) 84–85 Fête de l’unité et de l’indivisibilité de la République Française (1793) 94–97 Feudalismus 100–101, 138, 265, 267, 374 Feuillants 202–203 Föderalismus, als politische Sprache 6–7, 12, 16, 18, 24, 158–190, 234, 280, 319, 359, 364, 367, 393, 429–430, 437, 443–451
521
Föderalismus, als republikanischer Transformationsdiskurs 13–16, 436–440, 448–449 Föderalismus, amerikanischer 4, 9, 46, 55–79, 88–92, 114–119, 121–125, 137, 149–155, 161–190, 204–205, 209–210, 219–220, 224–226, 231, 234, 241–280, 287, 293–305, 310, 315, 325–361, 364–371, 377–381, 387, 390–391, 398–399, 403, 405–406, 417, 422, 427–428, 431–432, 439–440 Föderalismus, deutscher 107–125, 363–400, 441 Föderalismus, französischer 81–105, 110–113, 132–140, 202–206, 218, 225–227, 337, 417–423, 433–437, 440–441, 446 Föderalismus, schweizerischer 127–155, 228–235, 403, 416, 423–430, 442 Föderativrepublik, siehe Republik, föderale, FöderativFoedus 51, 57, 78, 84, 107–108 Frankfurt 411–412, 414 Free Soil-Bewegung 408 G Gemeinde 68, 88, 91, 98, 143–144, 152–153, 326, 340, 344, 346–348, 422 Gemeinwohl 13, 64, 152, 188, 216, 238, 272–273, 292, 294, 307–310, 351, 448 Genf 11, 139, 146, 150, 163, 165, 179, 194, 204, 206–210, 213, 228–230, 238, 317–318, 372, 425, 427, 443 Gewalten, intermediäre 82, 86, 88, 97, 101–102, 337, 350, 378–379, 440 Gewaltenteilung 34, 155, 167, 226, 233, 365, Gironde 97 Girondisten 91, 97–98, 113–114, 136 H Haiti 408 Harrisburg 169–170, 181 Harrisburg Convention 169–170, 181 Hartford Convention 71, 251 Harvard 243, 372, 384, 412 Heidelberg 78, 248, 275, 371–372
522
Orts- und Sachregister
Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 107, 129 Helvetik, Helvetische Republik 132–145, 149, 155, 442 I Ideengeschichte 18–20, 38, 40 Innerschweiz 143, 152 Integration, europäische 43–44 Intellectual History 16–21, 36 J Jacksonians 271, 273, 309–310, 351, 444 Jakobiner 9, 91–93, 97–98, 104, 136, 196, 203, 214, 227, 266, 268, 375–376, 436 Jay Treaty 173, 180, 183 Jeffersonians 286, 293, 297, 335 Jena 241–243 Judikative 46, 164, 233, 251, 271, 333, 341 K Kaiserreich, deutsches 432–433 Kantone 42, 132–133, 138–140, 143–155, 230, 233–234, 424, 426, 428, 430, 442 Karibik 408 Kolonien 83, 168, 206, 306, 343, 440 Kommunalismus 144–145, 341–345, 364, 442 Konföderation 51, 57, 62, 64, 66, 82, 110–113, 124, 130, 151, 252, 255, 275, 302, 314–315, 327, 410, 435 Kongress, amerikanischer 1, 69, 72, 74, 88, 122, 167–173, 178, 182, 185, 187, 221, 246, 250–251, 300–302, 380, 382, 416 Konstitutionalismus 8–9, 43, 74, 116, 121, 139, 149–150, 204, 226, 245–249, 313, 315, 326, 368, 385, 392–393, 412, 440 Konterrevolution 85, 93, 97–98, 100, 105, 179, 214, 227 Korporatismus 86, 440 Kosmopolitismus 186, 313, 435 Kritische Zeitschrift für die Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 248, 363, 371–372, 395
L L’Europe Centrale 230–231 La Grange 193, 207, 212, 219, 230 La Revue des deux Mondes 249 Landsgemeinde 134, 155 Le Commerce 248–249 Le Havre 324 Le Journal de Genève 230–231 Le National 213, 222, 375 Le Patriote François 91–92 Legislative 56, 87, 89–90, 99, 163–168, 202, 225, 228, 232–233, 251, 255, 414, 419 Leipzig 116, 124 Lexington 244 Liberalismus 13–15, 45, 101–102, 120, 141–142, 159, 197, 206, 211, 213, 222, 229, 235, 298, 306, 314, 316–318, 337, 359–360, 364–365, 372, 375, 378, 382, 385–392, 399, 411–412, 420, 432, 444–449 Liga 51, 151, 357, 425 Limited Government 5, 56, 68, 226, 271, 347 London 206–207, 241–242, 413 Luzern 372, 427 M Majority Rule 265, 270–274, 351 Manchester 243 Marseille 93 Massachusetts 162, 186, 254 Mexiko 404 Mischverfassung 201, 364, 382 Missouri Compromise (1820) 439 Monarchie 9, 66, 98, 101, 110, 159, 191, 232, 268, 327, 339, 400, 412, 420, 433 Monarchie, konstitutionelle 120, 191–192, 201–203, 365, 381–387, 389–392, 399, 413–414, 446 Montlhéry 88 Montpellier, Virginia 1, 295 Montagnards 86, 91–93, 97, 100, 110, 112–116, 440 N Nashville 409 National Republicans 72, 250–251, 286–288, 302–303, 444
Orts- und Sachregister
Nationalismus 37, 277, 286, 313, 404 Nationalstaat 9, 16, 31, 35–38, 66, 98, 102–103, 108–110, 125, 177, 197, 235, 239, 255, 257, 275, 277, 280, 303, 354, 367–368, 380, 399, 433, 437, 440–442, 446–450 Nationalverein, schweizerischer 230 Nationalversammlung, deutsche (1848) 412–414 Nationalversammlung, französische 87, 268 Naturrecht 34, 137, 194, 201, 444 Neuenburg 153 New England 244–247, 250, 253, 256, 259, 264, 266, 283–284, 326, 346, 371, 444–447 New Hampshire 168 New York 67, 191, 241, 244, 279, 281, 310, 325–326 North American Review 3, 194, 235, 285, 287–288, 303, 322, 401–402, 445 Nullification 1–5, 8–9, 69, 75–79, 81, 101, 103, 152–155, 159, 188–189, 236, 249–259, 261–262, 264, 297, 299, 302, 312–314, 329, 334, 353, 356–357, 377, 409, 439–440, 444–445 O Olmütz 196 Opposition, loyale 68, 163, 167–172, 220, 274, 396 P Paris 1, 4, 11, 15–16, 85, 89, 91–97, 110, 111, 114, 139, 191, 193, 196, 198–199, 202, 207, 211, 214, 218, 222–223, 230, 245, 321–322, 325, 332–333, 353, 369–372, 401, 404, 414–415, 418, 420, 422 Parlamentarismus 365, 382, 386, 432–433 Patriotismus 132, 190, 258, 313, 435 Paulskirche 413, 428, 432 Pennsylvania 61–62, 89, 161–172, 178–181, 199, 203, 450 Philadelphia 57, 161, 166–168, 180, 241, 243–245, 279, 295–297, 304–305, 310, 327
523
Preußen 242, 365–366, 396, 413 Principles of `98 68–72, 75, 297, 443 Provinzen 86–87, 93, 440 R Radikalismus 102, 142, 150, 179, 194, 206, 211–235, 377, 381, 408, 424, 427, 444, 448 Ratifikation, der amerikanischen Bundesverfassung 2, 4, 8, 58–71, 161–174, 181–183, 189, 196–197, 220, 246, 252–255, 264, 288, 295–296, 302, 305, 309, 315, 334, 356, 358, 443–444 Rechtsstaat 273, 292, 325, 331, 365, 376, 380, 382, 392–393 Reconstruction 440 Regeneration 31, 87, 150, 191 Repräsentation 5, 16, 33, 88–90, 98, 120–121, 123–124, 134, 150, 155, 164–166, 209–210, 268, 271, 274–276, 305, 312, 348, 365, 383–385, 392–394, 398–399, 419 Republicans 11, 62, 68–71, 172–173, 221, 246, 288–193, 398, 335 Republicans, Pennsylvania 163–164 Republik, föderale, Föderativ- 1, 4–5, 12–13, 15–16, 27, 44–46, 55–62, 67, 101–102, 104, 110, 112–113, 117, 125, 135, 151, 155, 168, 190–193, 210–213, 218, 224, 230–231, 237–239, 298, 341–342, 346, 355, 358, 365, 378, 382, 391, 400, 414, 417, 423, 427–433, 436, 441–442, 445–447 Republikanismus, 4–5, 12–15, 45, 65, 67, 101, 144, 151, 175, 192–193, 203, 205, 210, 213, 224, 232, 235, 238, 250, 274, 282, 298, 312, 316, 338–341, 388, 392, 420, 423, 444, 447–449 Republikanismus, klassischer 201, 216, 232, 291, 348, 355, 392, 398, 444 République 91–92, 137–138, 209, 216, 223–224, 226, 232, 331, 339, 341, 343, 347, 355, 418 République, fédérative 60, 81–83, 90–91, 100, 107, 112, 115, 128–131, 212, 328–329, 342, 440
524
Orts- und Sachregister
République, une et indivisible 5, 93–97, 112, 136, 176, 434, 436 Resolutionen, Kentucky- und Virginia- 1–2, 69–71, 183–184, 297–298 Restauration 191, 213, 315, 390, 415 Revolution (1830) 9, 141, 150, 152, 191–192, 213, 230–231, 265, 318 Revolution (1848) 41–42, 103–104, 125, 127, 155, 160, 363, 383, 393, 397–400, 401–434, 441, 446 Revolution, Amerikanische (1776) 25–27, 30, 83, 163, 243, 249, 272, 288–289, 294, 306, 316, 340, 375, 409, 430, 440 Revolution, Februar- (1848) 421, 423 Revolution, Französische (1789) 25, 33, 39, 43, 84, 99, 137, 215, 228, 232–233, 258, 289–292, 315, 375–376, 414, 430, 435, 440, 442, 444–445 Revolution, Industrielle 368, 393, 444, 447 Revolutionen, atlantische 11, 24–36, 38, 44, 155, 194, 196–200, 223, 235, 289–294, 319, 359–360, 363, 368, 374–375, 382, 385, 393, 398, 447, 450 Revue Américaine 213, 219, 221–223 Revue Encyclopédique 32, 208–209, 317–318 Rom 241–242 S Sattelzeit 24–36, 158, 438, 447 Sektionalismus 188, 221, 236, 270, 286, 294, 299, 326, 353, 403–405, 410, 440, 447 Self-Government 5, 65, 263, 268, 274, 277, 327, 336, 351, 449 Semantik, historische 17–18, 20, 36, 50–53, 127, 147, 438, 440 Senat 1, 59, 75, 88, 122, 124, 135, 199–204, 225, 254, 315, 419, 427 Sezession 78, 169, 257, 275, 356–357, 403, 409–410, 416, 430–431 Sklaverei 26, 72, 74, 77, 206, 236–237, 244, 270, 299, 353, 404–405, 408–409, 416, 431–432, 440, 447 Société de 89 202 Société des Amis des Noirs 202 Sonderbundskrieg 427
South Carolina 1, 152–153, 241–249, 254, 256, 264, 278–279, 302, 416, 431 Souveränität 1, 33, 44, 60–62, 85, 89, 108, 115, 118–120, 125, 140, 144–155, 279, 306, 338, 391, 442, 449 Souveränität, doppelte 83 Souveränität, geteilte 4–5, 56, 66, 71, 89–90, 98, 104, 118–119, 130, 138, 152–153, 173, 210, 221, 233–234, 250, 253–255, 262, 279, 315, 330, 342, 351–353, 357, 381, 387–391, 409, 421, 425, 450–451 Souveränität, Volks- 16, 58, 62, 89, 119, 123, 138, 150–152, 197, 204, 226, 234, 268, 272–273, 290, 308–309, 315, 330, 340, 351, 360, 391–392, 398, 402, 413, 433, 450 Soziale Frage 374 Staat 37, 103, 108, 111, 115, 118, 133, 162, 260, 264, 274, 307, 335, 338, 349, 376, 379, 383, 386–397, 441, 446, 449–450 Staat, zusammengesetzter 109, 118, 129–132 Staatenbund 9, 38, 51, 103, 107, 113–128, 140–149, 154–155, 197, 233, 257, 314, 371, 382, 397–399, 430, 437, 441–442 Staatslexikon 121–124, 142, 363, 371, 394 Stände, Ständegesellschaft 86, 97, 234 States’ Rights 1, 8, 46, 68–77, 184, 188, 236, 246–247, 249–258, 261, 279, 286, 296–302, 313–314, 319, 333–334, 353, 356, 377–381, 390, 404, 409, 439–440, 443, 445 Supreme Court 71–78, 243, 250–251, 325, 328–329, 333, 377–380, 431 T Terror, Terreur 97, 137, 192, 215–216, 268, 297–298, 314, 401, 448 Texas 404 Three-Fifths-Clause 409 Thurgau 149 Tübingen 372 Tyrannei 114, 228, 233, 448 Tyrannei der Mehrheit 123, 276, 344, 351, 355–356, 360, 446
Orts- und Sachregister
U Unabhängigkeitserklärung, amerikanische (1776) 56–57, 218, 288 Union 3, 26, 46, 51, 56, 58–60, 63, 68, 70–72, 76–77, 78, 83, 92, 99–102, 104, 117–118, 131, 141, 153–154, 159, 163, 170, 176–179, 183–190, 197–199, 206, 209–210, 218, 220, 231, 236–237, 246, 250–258, 275, 177, 179, 282, 287, 293, 298–299, 301–305, 308, 312, 315, 322, 328–331, 333–334, 337, 340–343, 346, 348–349, 352–358, 376–381, 401, 406–411, 414, 416–417, 421, 426, 431–435, 439–440, 445 Uniontown 169 Unitarismus 9, 92, 102, 108, 110–113, 118, 121, 133–134, 138, 193, 235, 275, 303, 338, 373, 378–380, 387–388, 432, 440, 442 Universalismus 5, 233, 401, 413, 445 V Vereinigte Provinzen der Niederlande 57, 82, 104, 111–113, 128–130, 217, 314, 398 Verfassung, amerikanische, siehe Bundesverfassung, amerikanische (1787) Verfassung, französische (1791) 201 Verfassung, schweizerische, siehe Bundesverfassung, schweizerische (1848) Verfassungskomitee, französisches (1848) 417–422
525
Virginia 1–2, 69, 72, 75, 78, 183–184, 246, 252, 254, 297 Volonté générale 87–90, 135, 228, 267 Vormärz 31, 41, 119, 382, 387, 398–399, 432–433 W Waadt 135, 145 Washington DC 412, 422 Whigs 46, 72, 77, 159, 246, 250–253, 262, 266, 269, 272–273, 279, 281–319, 329, 332, 335–336, 349, 351, 371, 388, 401, 439, 444–448 Whiskey Rebellion (1794) 178–179 Y Yverdon 128 Y Zentralismus 92, 98, 154, 220, 226, 233, 268, 275, 299, 338–340, 354, 414–415, 422–423 Zürich 373 Zweikammersystem 42, 86–89, 198–199, 201–205, 210, 225–226, 234, 238, 326, 342, 417–420, 427, 433
Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuel und Lutz Raphael Die Reihe Ordnungssysteme nimmt Impulse auf, die sich seit zwei Jahrzehnten aus der Revision politik- und sozialgeschichtlicher Forschungsansätze entwickelt haben. Als Forum einer methodisch erneuerten Ideengeschichte trägt sie der Wirksamkeit politisch-kultureller Traditionen Europas seit dem Zeitalter der Aufklärung Rechnung. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dem konkreten Wechselspiel ideeller, politischer und sozialer Prozesse. Die Reihe Ordnungssysteme hat insbesondere das Ziel: – vergleichende Studien zu den nationalen Eigenarten und unterschiedlichen Traditionen in der europäischen Ideengeschichte zu fördern, – gemeineuropäische Dimensionen seit der Aufklärung zu untersuchen, – den Weg von neuen Ideen zu ihrer breitenwirksamen Durchsetzung zu erforschen. Die Reihe Ordnungssysteme verfolgt einige Themen mit besonderem Interesse: – den Ideenverkehr zwischen Europa und Nordamerika, – die Beziehungen zwischen politischen und religiösen Weltbildern, – die Umformung der politischen Leitideen von Liberalismus, Nationalismus und Sozialismus im 20. Jahrhundert, – die Herausbildung traditionsstiftender, regionenbezogener Gegensatzpaare in der europäischen Ideenwelt, wie zum Beispiel den Ost-West-Gegensatz. Die Reihe Ordnungssysteme bemüht sich um eine methodische Erneuerung der Ideengeschichte: – Sie verknüpft die Analyse von Werken und Ideen mit ihren sozialen, kulturellen und politischen Kontexten. – Sie untersucht die Bedeutung von Wissenssystemen in der Entwicklung der europäischen Gesellschaften. – Sie ersetzt die traditionelle Ideengeschichte der großen Werke und großen Autoren durch eine Ideengeschichte, die Soziabilität und Kommunikation als tragende Gestaltungskräfte kultureller Produktion besonders beachtet. – Sie bezieht Institutionen und Medien der Kulturproduktion systematisch in die Untersuchung ein.
Band 1: Michael Hochgeschwender Freiheit in der Oensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen 1998. 677 S. ISBN 978-3-486-56341-2
Band 2: Thomas Sauer Westorientierung im deutschen Protestantis mus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises 1999. VII, 326 S. ISBN 978-3-486-56342-9
Band 3: Gudrun Kruip Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen 1999. 311 S. ISBN 978-3-486-56343-6 Band 4: Axel Schildt Zwischen Abendland und Amerika Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre 1999. VIII, 242 S. ISBN 978-3-486-56344-3 Band 5: Rainer Lindner Historiker und Herrschaft Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert 1999. 536 S. ISBN 978-3-486-56455-6 Band 6: Jin-Sung Chun Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit Die westdeutsche „Strukturgeschichte“ im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948–1962 2000. 277 S. ISBN 978-3-486-56484-6 Band 7: Frank Becker Bilder von Krieg und Nation Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913 2001. 601 S. und 32 S. Bildteil ISBN 978-3-486-56545-4 Band 8: Martin Sabrow Das Diktat des Konsenses Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969 2001. 488 S. ISBN 978-3-486-56559-1
Band 9: Thomas Etzemüller Sozialgeschichte als politische Geschichte Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 2001. VIII, 445 S. ISBN 978-3-486-56581-2 Band 10: Martina Winkler Karel Kramář (1860–1937) Selbstbild, Fremdwahrnehmungen und Modernisierungsverständnis eines tschechischen Politikers 2002. 414 S. ISBN 978-3-486-56620-8 Band 11: Susanne Schattenberg Stalins Ingenieure Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren 2002. 457 S. ISBN 978-3-486-56678-9 Band 12: Torsten Rüting Pavlov und der Neue Mensch Diskurse über Disziplinierung in Sowjetrussland 2002. 337 S. ISBN 978-3-486-56679-6 Band 13: Julia Angster Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie Die Westernisierung von SPD und DGB 2003. 538 S. ISBN 978-3-486-56676-5 Band 14: Christoph Weischer Das Unternehmen ‚Empirische Sozialforschung‘ Strukturen, Praktiken und Leitbilder der Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland 2004. X, 508 S. ISBN 978-3-486-56814-1
Band 15: Frieder Günther Denken vom Staat her Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970 2004. 364 S. ISBN 978-3-486-56818-9 Band 16: Ewald Grothe Zwischen Geschichte und Recht Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970 2005. 486 S. ISBN 978-3-486-57784-6 Band 17: Anuschka Albertz Exemplarisches Heldentum Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart 2006. 424 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-57985-7
Band 21: Thomas Großbölting „Im Reich der Arbeit“ Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914 2007. 518 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-58128-7 Band 22: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.) Ordnungen in der Krise Zur politischen Kulturgeschichte Deutsch lands 1900–1933 2007. 566 S. ISBN 978-3-486-58177-5 Band 23: Marcus M. Payk Der Geist der Demokratie Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn 2008. 415 S. ISBN 978-3-486-58580-3
Band 18: Volker Depkat Lebenswenden und Zeitenwenden Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts 2007. 573 S. ISBN 978-3-486-57970-3
Band 24: Rüdiger Graf Die Zukunft der Weimarer Republik Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933 2008. 460 S. ISBN 978-3-486-58583-4
Band 19: Lorenz Erren „Selbstkritik“ und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin (1917–1953) 2008. 405 S. ISBN 978-3-486-57971-1
Band 25: Jörn Leonhard Bellizismus und Nation Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750–1914 2008. XIX, 1019 S. ISBN 978-3-486-58516-2
Band 20: Lutz Raphael, Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.) Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte 2006. 536 S. ISBN 978-3-486-57786-0
Band 26: Ruth Rosenberger Experten für Humankapital Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland 2008. 482 S. ISBN 978-3-486-58620-6
Band 27: Désirée Schauz Strafen als moralische Besserung Eine Geschichte der Straälligenfürsorge 1777–1933 2008. 432 S. ISBN 978-3-486-58704-3
Band 33: Silke Mende „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ Eine Geschichte der Gründungsgrünen 2011. XII, 541 S., 6 Abb. ISBN 978-3-486-59811-7
Band 28: Morten Reitmayer Elite Sozialgeschichte einer politisch-gesellschaft lichen Idee in der frühen Bundesrepublik 2009. 628 S. ISBN 978-3-486-58828-6
Band 34: Wiebke Wiede Rasse im Buch Antisemitische und rassistische Publikationen in Verlagsprogrammen der Weimarer Republik 2011. VIII, 328 S., 7 Abb. ISBN 978-3-486-59828-5
Band 29: Sandra Dahlke Individiuum und Herrschaft im Stalinismus Emel’jan Jaroslavskij (1878–1943) 2010. 484 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-58955-9 Band 30: Klaus Gestwa Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte, 1948–1967 2010. 660 S., 18 Abb. ISBN 978-3-486-58963-4
Band 35: Rüdiger Bergien Die bellizistische Republik Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918–1933 2011. 448 S. ISBN 978-3-486-59181-1 Band 36: Claudia Kemper Das „Gewissen“ 1919–1925 Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen 2011. 517 S. ISBN 978-3-486-70496-9
Band 31: Susanne Stein Von der Konsumenten- zur Produktionsstadt Aufbauvisionen und Städtebau im Neuen China, 1949–1957 2010. VIII, 425 S., 107 Abb. ISBN 978-3-486-59809-4
Band 37: Daniela Saxer Die Schärfung des Quellenblicks Forschungspraktiken in der Geschichtswissenschaft 1840–1914 2014. 459 S., 1 Abb. ISBN 978-3-486-70485-3
Band 32: Fernando Esposito Mythische Moderne Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien 2011. 476 S., 17 Abb. ISBN 978-3-486-59810-0
Band 38: Johannes Grützmacher Die Baikal-Amur-Magistrale Vom stalinistischen Lager zum Mobilisierungsprojekt unter Brežnev 2012. IX, 503 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-70494-5
Band 39: Stephanie Kleiner Staatsaktion im Wunderland Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930) 2013. 588 S., 38 Abb. ISBN 978-3-486-70648-2 Band 40: Patricia Hertel Der erinnerte Halbmond Islam und Nationalismus auf der Iberischen Halbinsel im 19. und 20. Jahrhundert 2012. 256 S., 22 Abb. ISBN 978-3-486-71661-0 Band 41: Till Kössler Kinder der Demokratie Religiöse Erziehung und urbane Moderne in Spanien, 1890–1936 2013. 544 S., 19 Abb. ISBN 978-3-486-71891-1 Band 42: Daniel Menning Standesgemäße Ordnung in der Moderne Adlige Familienstrategien und Gesellschaftsentwürfe in Deutschland 1840–1945 2014. 470 S., 8 Abb. ISBN 978-3-486-78143-4 Band 43: Malte Rolf Imperiale Herrschaft im Weichselland Das Königreich Polen im Russischen Imperium (1864–1915) 2015. 537 S., 31 Abb. ISBN 978-3-486-78142-7
Band 44: Sabine Witt Nationalistische Intellektuelle in der Slowakei 1918–1945 Kulturelle Praxis zwischen Sakralisierung und Säkularisierung 2015. 412 S. ISBN 978-3-11-035930-5 Band 45: Stefan Guth Geschichte als Politik Der deutsch-polnische Historikerdialog im 20. Jahrhundert 2015. VII, 520 S. ISBN 978-3-11-034611-4 Band 47: Gregor Feindt Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft Oppositionelles Denken zur Nation im ostmitteleuropäischen Samizdat 1976–1992 2015. XII, 403 S. ISBN 978-3-11-034611-4 Band 48: Juri Auderset Transatlantischer Föderalismus Zur politischen Sprache des Föderalismus im Zeitalter der Revolution, 1787–1848 2016. XI, 525, S., 3 Abb. ISBN 978-3-11-045266-2