Sprache im Konflikt: Zur Rolle der Sprache in sozialen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen 9783110881653, 9783110139587


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German Pages 479 [484] Year 1994

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Table of contents :
Vorwort der Herausgeberin
I. Theoretische Aspekte des sprachlichen Konflikts
Verdrängte Konflikte und falsche Konsense im politischen Diskurs
Asyl-Diskurs. Konflikte und Blockaden in Politik, Medien und Alltagswelt
Strategisches Handeln im politischen Konflikt: Frauen und Männer im kommunalen Parlament
Sprache und Konflikt. Einige zeichentheoretische Überlegungen zum Status rhetorischer Strategien in der politischen Kommunikation
Der Kompromiß. Strukturelle und funktionale Merkmale eines kommunikativen Handlungsmusters in der Politik
Die multipolare Welt – eine konzeptuelle Herausforderung
War die Dynamik Zufall? Zum Stellenwert pragmatisch-semantischer Konzepte in der deutschen West-Ost-Politik auf dem Weg zur deutschen Einheit
Im Widerstreit. Der Diskurstheoretiker Jürgen Habermas als Praktiker
II. Konflikte im deutschen Diskurs
Deutsche Nation. Zur Geschichte eines Leitbegriffs im Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung
Deutsch-deutscher Sprachwandel
Gemeinsame Sprache, geteiltes Verstehen. Anmerkungen zur Systematik von Verständigungsschwierigkeiten zwischen Deutschen Ost und Deutschen West
Sprache im totalitären Staat: Der Fall DDR
Als das Wünschen noch geholfen hat. Semantische und symbolische Strategien im Gründungsaufruf des Neuen Forums
Semantische Destruktion als Methode der Manipulation
Die Funktion von Emotionswörtern in der politischen Debatte um Attentate
III. Konflikte und Medien
Der Golfkrieg von 1991 als Medien-Ereignis
Getting the Message Through. Metaphor and the Legitimation of the Gulf War
Der zweite Golfkrieg im Rückblick. Rekonstruktion von Zeitgeschichte als mediale Öffentlichkeitsarbeit
Österreich und seine „Nazi-Hanseln“. Vom massenmedialen Umgang mit Neonazismus und Auschwitzlüge in Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung
Sprachliche Präsentation der Eigentumsfrage in der sowjetischdemokratischen Presse von 1985–1991
Sprachliche Ambiguität als politisches Problem. Berichte und Auseinandersetzungen in der kommunistischen Presse Frankreichs zum Putsch in der ehemaligen Sowjetunion (1991)
Der Parteiname als Synekdoche? Eine rhetorische Perspektive zum Wandel der Konfliktkonstellationen
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Sprache im Konflikt: Zur Rolle der Sprache in sozialen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen
 9783110881653, 9783110139587

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Sprache im Konflikt

Sprache Politik Öffentlichkeit Herausgegeben von Armin Burkhardt · Walther Dieckmann K. Peter Fritzsche · Ralf Rytlewski

Band 5

w DE

G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

Sprache im Konflikt Zur Rolle der Sprache in sozialen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen

Herausgegeben von Ruth Reiher

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt

Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Einheitsaufnahme

Sprache im Konflikt : zur Rolle der Sprache in sozialen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen / hrsg. von Ruth Reiher. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 (Sprache, Politik, Öffentlichkeit ; Bd. 5) ISBN 3-11-013958-8 NE: Reiher, Ruth [Hrsg.]; G T

© Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeberin

IX

I. Theoretische Aspekte des sprachlichen Konflikts HANS-WERNER EROMS

Verdrängte Konflikte und falsche Konsense im politischen Diskurs

3

J O S E F KLEIN

Asyl-Diskurs. Konflikte und Blockaden in Politik, Medien und Alltagswelt

15

CAJA T H I M M

Strategisches Handeln im politischen Konflikt: Frauen und Männer im kommunalen Parlament

72

HARDARIK BLÜHDORN

Sprache und Konflikt. Einige zeichentheoretische Überlegungen zum Status rhetorischer Strategien in der politischen Kommunikation

93

REINHARD H O P F E R

Der Kompromiß. Strukturelle und funktionale Merkmale eines kommunikativen Handlungsmusters in der Politik

113

CHRISTINA SCHAFFNER

Die multipolare Welt — eine konzeptuelle Herausforderung

....

140

War die Dynamik Zufall? Zum Stellenwert pragmatisch-semantischer Konzepte in der deutschen West-Ost-Politik auf dem Weg zur deutschen Einheit

155

CHRISTA LANG-PFAFF

RÜDIGER VOGT

Im Widerstreit. Der Diskurstheoretiker Jürgen Habermas als Praktiker

173

VI

Inhaltsverzeichnis

II. Konflikte im deutschen Diskurs D I E T R I C H BUSSE

Deutsche Nation. Zur Geschichte eines Leitbegriffs im Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung

203

RUTH REIHER

Deutsch-deutscher Sprachwandel

232

J Ö R G UND M A R G I T A PÄTZOLD

Gemeinsame Sprache, geteiltes Verstehen. Anmerkungen zur Systematik von Verständigungsschwierigkeiten zwischen Deutschen Ost und Deutschen West

244

COLIN GOOD

Sprache im totalitären Staat: Der Fall D D R

263

BERT BRESGEN

Als das Wünschen noch geholfen hat. Semantische und symbolische Strategien im Gründungsaufruf des Neuen Forums

277

CHRISTIAN BERGMANN

Semantische Destruktion als Methode der Manipulation

299

EDITH T H O M A S

Die Funktion von Emotionswörtern in der politischen Debatte um Attentate

305

III. Konflikte und Medien ANDREAS M U S O L F F

Der Golfkrieg von 1991 als Medien-Ereignis

327

PAUL CHILTON

Getting the Message Through. Metaphor and the Legitimation of the Gulf War

347

ADI GREWENIG

Der zweite Golfkrieg im Rückblick. Rekonstruktion von Zeitgeschichte als mediale Öffentlichkeitsarbeit

361

Inhaltsverzeichnis

VII

HELMUT GRUBER/RUTH WODAK

Österreich und seine „Nazi-Hanseln". Vom massenmedialen Umgang mit Neonazismus und Auschwitzlüge in Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung

391

VALENTINA W I N O G R A D O W A

Sprachliche Präsentation der Eigentumsfrage in der sowjetischdemokratischen Presse von 1985 - 1 9 9 1

418

C H R I S T I N E TEICHMANN

Sprachliche Ambiguität als politisches Problem. Berichte und Auseinandersetzungen in der kommunistischen Presse Frankreichs zum Putsch in der ehemaligen Sowjetunion (1991)

425

K A R I PALONEN

Der Parteiname als Synekdoche? Eine rhetorische Perspektive zum Wandel der Konfliktkonstellationen

447

Vorwort der Herausgeberin „Sprache im Konflikt" war das Thema der dritten Arbeitstagung der Arbeitsgruppe „Sprache in der Politik", die unter Federführung der Humboldt-Universität zu Berlin am 1. und 2. Mai 1992 in Gosen bei Berlin stattfand. Die Wahl des Ortes sowie der veranstaltenden Hochschule waren kein Zufall. Dem lag die bewußte Entscheidung zugrunde, die erste g e s a m t d e u t s c h e Konferenz der Arbeitsgruppe in einem östlichen Bundesland durchzuführen. Die hohe Zahl von Teilnehmern aus ostdeutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen bestätigte die Richtigkeit dieser Entscheidung. Daß vielen Wissenschaftlern aus den neuen Bundesländern die Teilnahme an dieser Konferenz möglich war, ist neben der Hilfe des Berliner Senats vor allem der finanziellen Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung zu danken, 4 i e auch die Mittel für die Herstellung des Typoskripts sowie für die Veröffentlichung eines zweiten Konferenzbandes zur Verfügung gestellt hat. 1 Als einige Kollegen am Rande der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft im Februar 1991 nach einem politisch aktuellen und linguistisch relevanten Thema für die dritte Tagung der Arbeitsgruppe „Sprache in der Politik" Ausschau hielten, war der Konflikt am Golf in seine heiße Phase getreten. Aus der Aktion „Wüstenschild" war die Operation „Wüstensturm" geworden. Der „Wüstenbrand" stand zum damaligen Zeitpunkt noch aus. Die Ereignisse im Nahen Osten und deren Darstellung in den Medien waren es also, die zur Wahl des Themas „Sprache im Konflikt" führten. Die gigantische mediale Inszenierung dieser militärischen Auseinandersetzung ließ die Rolle von Sprache und Kommunikation bei der Entstehung von Konflikten, ihrer Austragung sowie ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit deutlich ins Bewußtsein treten. Daß das Thema aber nicht nur einseitig auf militärische Konflikte ausgerichtet war, sondern sich

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Reiher, Ruth/Läzer, Rüdiger (Hrsg.) (1993): Wer spricht das wahre Deutsch? Erkundungen zur Sprache im vereinigten Deutschland. Berlin.

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Vorwort der Herausgeberin

als weiter Rahmen für zahlreiche Problemstellungen erwies, wurde durch die Spezifizierung „zur Rolle der Sprache in sozialen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen" zu kennzeichnen versucht. Dabei war es erstaunlich, in welchem Maße sich das Interesse an der wissenschaftlichen Analyse des Konfliktfeldes Golfkrieg in knapp eineinhalb Jahren verflüchtigt hatte. Dieser Gegenstand bildete nur noch ein Nebenthema. Beachtung fanden Konfliktpotentiale, wie sie sich ζ. B. durch den Zerfall der ehemaligen Sowjetunion, durch die Auseinandersetzung um die Aufnahme von Asylbewerbern oder allgemein durch Defizite in der Kultur der politischen Debatte ergaben. Im Zentrum jedoch standen diejenigen Konflikte, die im Zusammenhang mit dem deutschen Einigungsprozeß entstanden sind. Diese Interessenlage findet auch in dem vorliegenden Band ihren Niederschlag. Von den 22 Aufsätzen widmen sich nur drei dem Thema Golfkrieg. Die anderen 19 Beiträge gehen der besonderen Rolle der Sprache bei der Bewältigung sozialer Widersprüche oder politischer Interessengegensätze nach. Angesichts der Tatsache, daß gesellschaftliche Umbruchsituationen nicht nur von sprachlichen Veränderungen begleitet werden, sondern diese selbst wieder auf die gesellschaftlichen Prozesse zurückwirken, nehmen die sprachlich-kommunikativen Probleme in den unterschiedlichen Problemfeldern und sozialen Bereichen des größer gewordenen Deutschland einen festen Platz ein. Die Ausbildung und öffentliche Austragung deutsch-deutscher Konfliktsituationen oder deren mediale Reflexion sind nicht auf die diesem Thema gewidmeten Beiträge beschränkt. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch den gesamten Band. Die Konferenz als Ganzes wurde von der Maxime dominiert, daß Konflikte zum Leben gehören und nicht der Anfang vom Ende seien. Trotz dieses allgemein akzeptierten Grundsatzes verwies die unterschiedlich praktizierte Art des Umgangs mit Konflikten auf eine der Ursachen für Störungen in der Kommunikation der Deutschen und wurde damit zum Spiegelbild gesellschaftlicher Widersprüche. So zielten die ostdeutschen Teilnehmer in stärkerem Maße als ihre westlichen Kollegen auf Konsens. Zurückzuführen ist dieser Unterschied im konfliktären Handeln auf gegensätzliche Erfahrungen und Erwartungen der Wissenschaftler Ost und der Wissenschaftler West. In der gesellschaftlichen Praxis der D D R waren Konflikte nicht nur kein Thema, ihr Vorhandensein innerhalb des geschlossenen gesellschaftlichen Systems wurde weitgehend negiert. Dort, wo Konflikte nicht zu leugnen waren, war man stets bestrebt, sie nicht zuzuspitzen, sondern zu

Vorwort der Herausgeberin

XI

glätten und „unter den Teppich zu kehren". Sogenannte antagonistische Widersprüche wurden nur im Verhältnis zu anderen Systemen, ζ. B. als „Klassenkampf" akzeptiert. Selbst zu Zeiten, in denen existentielle innenpolitische Krisen das Land erschütterten und für jedermann sichtbar waren, wurde in der öffentlich-politischen Kommunikation die Vorstellung einer homogenen, sozial und ideologisch undifferenzierten D D R Gesellschaft beibehalten. Zwar wurde dieses harmonisierende Gesellschaftsbild mehr oder weniger vorsichtig von der Kultur- und Kunstszene, aber auch von Wissenschaftlern in Frage gestellt, doch eine Auseinandersetzung, in der die latent existierenden Konflikte öffentlich ausgetragen wurden, gab es nicht. Gegenwärtig hat es den Anschein, als ob dieser Topos der Gemeinsamkeit, dieses „Wir"-Bewußtsein — jetzt allerdings in anderer Qualität —, doch in stärkerem Maße als positiver Wert verinnerlicht wurde, als es der einzelne vielleicht wahrhaben möchte. Der Erfahrungshintergrund der in der alten Bundesrepublik sozialisierten Wissenschaftler hebt sich deutlich von dem ihrer östlichen Kollegen ab. Die Existenz von Konflikten sowie das Bemühen um deren Bewältigung ist ständig erlebte Praxis. Dazu bedarf es der Fähigkeit, Interessengegensätze auf den Punkt zu bringen, das Aufeinandertreffen von unvereinbaren Verhaltensweisen und Meinungen diskursiv zuzuspitzen. Damit verbunden ist häufig das Bedürfnis, ja der durch Verdrängungswettbewerb und Konkurrenz hervorgerufene Zwang, sich darzustellen. Oftmals geht es nicht primär um den Versuch, vorhandene Konflikte zu lösen, vielmehr wird der Konflikt gesucht: als Gelegenheit, seinen eigenen Scharfsinn und seine theoretischen Fähigkeiten öffentlich zu beweisen. Aufgrund dieser verschieden ausgeprägten Bereitschaft und Fähigkeit, Konflikte auszutragen und auszuhalten, begleitet von unterschiedlich tradierten Interaktionsstilen und Sprechweisen, blieben zahlreiche Diskrepanzen im Raum stehen, so daß die Konferenz nicht nur linguistische Erkenntnisse zum Thema „Sprache im Konflikt" er- und vermittelte, sondern zugleich selbst Lehrstück konfliktreichen Handelns und Sprechens war. Vor diesem Hintergrund verschiedenartiger historischer und wissenschaftlicher Erfahrungen ist auch das Verhältnis von 16 zu 8 zu sehen: 16 Beiträge dieses Bandes entstammen der Feder westlicher und nur 8 derjenigen östlicher Wissenschaftler. Diese Differenz läßt sich nicht al-

XII

Vorwort der Herausgeberin

lein mit der größeren Anzahl von Linguisten aus der alten Bundesrepublik erklären. Ein tiefer liegender Grund für die Zurückhaltung östlicher Sprachwissenschaftler gegenüber dem Thema „Sprache und Politik" ist wohl in dem Fehlen einer diesbezüglichen Tradition zu sehen. „Politik vollzieht sich in Sprache" konstatierte Erhard Eppler. 2 Sie ist das einzige Mittel, politische Zusammenhänge deutlich zu machen, sich mit kontroversen Meinungen auseinanderzusetzen und Konsens herzustellen. Wenn sich Politik aber vorwiegend sprachlich realisiert, dann ist politische Sprachkritik zugleich Kritik der Politik. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Politik war in der D D R nicht möglich. Da es keine vom parteistaatlichen Meinungsmonopol unabhängige politische Öffentlichkeit gab, konnte es auch keinen öffentlichen wissenschaftlichen Diskurs über den politischen Sprachgebrauch, keine Kritik der politischen Sprache geben. Offizielle Verlautbarungen und Äußerungen führender Politiker waren sakrosankt. Dennoch ist bemerkenswert, daß die — wenn auch vage geäußerte — politische Kritik in der D D R häufig sprachlich artikuliert wurde. Nicht eine politische Entscheidung an sich, sondern die Art und Weise der Information wurde einer kritischen Wertung unterzogen. Die einzelnen Beiträge dieses Bandes nehmen in unterschiedlicher Weise auf das Rahmenthema „Sprache im Konflikt" Bezug. Die im ersten Teil zusammengefaßten Arbeiten reflektieren das Verhältnis von Sprache und Konflikt vorwiegend unter methodischer Perspektive. Der zweite Abschnitt vermittelt einen Einblick in eine Reihe sprachlich-kommunikativer Konflikte, die weitgehend mit dem deutschen Vereinigungsprozeß verbunden sind. Die mediale Präsentation von Konflikten außerhalb der Bundesrepublik — einschließlich der medienkritischen Aufsätze zum Konfliktfeld Golfkrieg — werden im dritten Kapitel vorgestellt. Das Kapitel „Theoretische Aspekte des sprachlichen Konflikts" wird durch den Beitrag von Hans-Werner Eroms (Passau) „Verdrängte Konflikte und falsche Konsense im politischen Diskurs" eröffnet. Eroms thematisiert das Verhältnis von Demokratie und politischer Streitkultur und sieht eine Gefahr für die Demokratie im wachsenden Verlust der argumentativen Präsentation von Alternativen. Beizukommen ist diesem Dilemma nur durch Überwinden der argumentativen Abstinenz zwischen

2

Eppler, Erhard (1992): Kavalleriepferde beim Hornsignal. Spiegel der Sprache. Frankfurt/Main. S. 7.

Die Krise der Politik im

Vorwort der Herausgeberin

XIII

den Parteien sowie der offenen Behandlung kontroverser Themen in der Bürger-Politiker-Kommunikation. Daß die parlamentarischen Debatten argumentativ gar nicht so defizitär sind, wie es die Medienberichterstattung vermuten läßt, demonstriert Josef Klein (Koblenz) am Beispiel der Asyldebatte des Zeitraumes von Mitte 1991 bis Frühjahr 1992. Allerdings bleibt die Auseinandersetzung mit Argumenten der politischen Konkurrenz im Verhältnis zur Pro-Argumentation sekundär. Zu diesem Ergebnis gelangt der Autor durch Analyse der Argumentationen auf den drei Hauptebenen gesellschaftsweiter Kommunikation; das sind Parlamentsdebatten, Nachrichtensendungen des Fernsehens/Presseberichterstattung und Alltagsgespräche. Defiziten in der Kultur der politischen Debatte geht Caja Thimm (Heidelberg) nach, wenn sie Unterschiede strategischen Handelns von Frauen und Männern im kommunalen Parlament diskutiert. Ausgehend vom handlungstheoretischen Konzept, verfolgt sie die Realisierungsformen der Resistenz-, Beziehungssicherungs- und Diskreditierungsstrategie unter geschlechtsspezifischem Aspekt. Wie in einer Reihe bereits vorliegender Publikationen macht die Autorin auch mit dieser Untersuchung auf franendiskriminierende Sprachverwendung durch Männer aufmerksam und klagt eine größere Fairneß in der politischen Auseinandersetzung ein. Der Beitrag „Sprache und Konflikt" von Hardarik Blühdorn (Erlangen) ist in erster Linie der linguistischen und politikwissenschaftlichen Methodendiskussion gewidmet. Er reflektiert einige zeichentheoretische Überlegungen zum Status rhetorischer Strategien in der politischen Kommunikation und zielt darauf, mit linguistischen und zeichentheoretischen Methoden und Modellbildungen grundlegende Zusammenhänge des politischen Sprachgebrauchs aufzuklären und zu systematisieren. In seinem „Der Kompromiß" betitelten Aufsatz beschreibt Reinhard Hopfer (Berlin) die Voraussetzungen, kommunikativen Handlungsbedingungen und sprachlichen Erscheinungsformen des öffentlichen Kompromisses, den er als eine im Bereich der Pölitik beheimatete Variante der Konfliktbewältigung bestimmt, für deren Zustandekommen ein Minimalkonsens zwischen den Konfliktparteien notwendig ist. Neben der Konfliktfähigkeit und Verhandlungsbereitschaft der Beteiligten, deren Zugang zur öffentlichen Kommunikation sowie dem Aussetzen konfliktverschärfender Handlungen während der Phase der Kompromißsuche, von Hopfer als „Eingangsbedingungen" bezeichnet, fixiert der Autor Maximen des Handlungsmusters Kompromiß. Es sind dies die Maxime

XIV

Vorwort der Herausgeberin

der Identitätswahrung, der Grenzziehung und der Entscheidungsfreiheit. Wie Hopfer an zahlreichen Beispielen aus der aktuellen politischen Praxis exemplifiziert, steuern diese Maximen in allen Phasen eines Kompromisses die Sprach- und Textproduktion in spezifischer Weise. Mit Hilfe der Metaphernanalyse gelingt es Christina Schaffner (Birmingham), in ihrem Beitrag „Die multipolare Welt — eine konzeptuelle Herausforderung" das Interagieren von Kommunikation, Kognition und sprachlichen Strukturen aufzuzeigen und zu erklären. Im Diskurs der 80er Jahre sind es Schlüsselwörter wie „Balance" und „Gleichgewicht", die in der politischen Argumentation und in der praktischen Politik die Konzepte der Bipolarität und des Austarierens der militärischen Kräfte signalisieren. Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen in Europa greifen diese Metaphern nicht mehr. In bezug auf die zukünftige Gestalt Europas und die neue Weltordnung ist nun die Rede von „Verlagerung des Gleichgewichts". Wie Schäffner anhand der veränderten Metaphorik der jüngsten Zeit belegt, sind die gewohnten Denkschemata, die auf Bipolarität ausgerichtet sind, aber relativ stabil geblieben und dominieren nach wie vor die derzeit vage existierende Idee einer multipolaren Welt. Im Zentrum der politikwissenschaftlichen Studie „War die Dynamik Zufall?" von Christa Lang-Pfaff (Berlin) steht eine Politikanalyse der 80er Jahre. Die Dynamisierungsprozesse in den westlichen Bündnisbeziehungen, die Diplomatie des KSZE-Prozesses sowie die Revision des westlichen und östlichen Bündnissystems in Europa bestimmen die politisch-strategische Neuartigkeit der 80er Jahre und schaffen damit die Voraussetzungen für den relativ kurzen Prozeß der deutschen Vereinigung. Die von Lang-Pfaff vorgenommene politikwissenschaftliche Sprachanalyse verweist vor allem auf die Entwicklung neuer diplomatischer Stile in den West-West-, den Ost-West- und den West-Ost-Beziehungen. Der Titel des Beitrages von Rüdiger Vogt (Gießen) „Im Widerstreit" nimmt Bezug auf den vom Autor entworfenen Diskurs-Begriff. In Auseinandersetzung mit einigen theoretischen Positionen von Jürgen Habermas entwickelt Vogt ein analytisches Diskurs-Konzept, in dessen Zentrum der „Widerstreit" als öffentlich geführte Debatte ohne Bindung an formalisierte Entscheidungsprozeduren in kontroversen Problemdeutungen steht. Seine Ausführungen sind Ergebnis einer dezidiert kritischen Sicht auf den in der Wochenzeitschrift Die Zeit publizierten Aufsatz von Jürgen Habermas „Bemerkungen zu einer verworrenen Diskussion. Was bedeutet ,Aufklärung der Vergangenheit' heute?".

Vorwort der Herausgeberin

XV

Am Anfang des Kapitels „Konflikte im deutschen Diskurs" steht eine begriffsgeschichtliche Studie zur politischen und historischen Leitvokabel „Deutsche Nation" von Dietrich Busse (Köln). Der Autor entwickelt in der Gegenüberstellung von „Kultur- und Volksnation" und „Staatsbürgernation" ein demokratisch geprägtes nationales Konzept. Mit der Darlegung wesentlicher politischer, sozialer und ökonomischer Faktoren der deutschen Entwicklung erfaßt er die Bedingungen, die das Selbstverständnis der Deutschen als „schwierige", „verwirrte", „überforderte" Nation begründen und bis in die Gegenwart nachhaltig beeinflussen. Indem er dem problematischen Selbstbild der Deutschen im Zusammenhang mit der Semantik des Nationsbegriffs nachgeht, thematisiert er dessen Konfliktpotential, das „durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten erheblich verstärkt worden ist". Ruth Reiher (Berlin) wendet sich den Prozessen des Sprachwandels im Zuge der deutschen Vereinigung zu. Ausgehend von den Ergebnissen und Defiziten der Sprachforschung in den Jahren der deutschen Teilung, erörtert sie Möglichkeiten und Perspektiven der Sprachentwicklung sowie — mit Blick auf die Sprachträger — des Sprachverhaltens in näherer und fernerer Zukunft. Sie demonstriert ihre Thesen anhand der Ergebnisse einer Befragung zur sprachlichen Ο st-West-Problematik, die über einige Aspekte des Sprachwissens, der Sprachverwendung sowie der Bewertung der Sprache des „anderen" Auskunft geben. Mit spezifischen Kommunikationsproblemen zwischen Ost- und Westdeutschen beschäftigen sich Jörg und Margita Pätzold (Berlin) in ihrem Beitrag. Anhand einer detaillierten Analyse eines Ausschnitts aus einem Gespräch, das Barbara Friedrichs (ZDF) im Dezember 1992 mit Erwin Strittmatter führte, machen sie deutlich, daß starre vorgeprägte Kategorisierungen der Stellung Ostdeutscher zum SED-Staat symmetrische Kommunikation verhindern und dann zu Konflikten führen, wenn individuelle Erfahrung sich einer Einordnung in so dominante wie undifferenzierte bipolare Kategorien wie Täter/Opfer oder Mitläufer /Widerständler verweigert. Eine Außensicht auf die Sprach- und Kommunikationsverhältnisse in der DDR bringt Colin Good (Durham) ein. Indem er seiner Sprachanalyse die These vom totalitären Staat DDR zugrunde legt, arbeitet er wesentliche Aspekte des Sprachgebrauchs im Rahmen einer einseitig gerichteten öffentlich-politischen Kommunikation heraus. Neben Sprachreglementierungen im offiziellen politischen Diskurs, wie ζ. B. „Skin", „Skinhead" oder „Neonazi", die zu den Tabuwörtern in den Medien gehörten,

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Vorwort der Herausgeberin

beschreibt er vor allem, in welche semantischen Schwierigkeiten der öffentliche Diskurs seinerzeit durch die notwendige sprachliche Anpassung an Veränderungen in der Realität geriet. Bert Bresgen (Siegen) führt mit seiner sprachlichen Analyse des Gründungsaufrufs des Neuen Forums, des ersten offiziellen Gründungsdokuments einer DDR-weiten Oppositionsbewegung, in die kommunikative Situation der Wende-Zeit ein. In den diskursiven Zusammenhang der DDR des Jahres 1989 gestellt, geht der Autor den unterschiedlichen Quellen nach, die die inhaltliche und sprachliche Spezifik dieses Dokuments prägen. Die Analyse weist den Text als ein sprachliches Amalgam aus vornehmlich sozialutopischen und bürgerlich-demokratischen Elementen aus, wie sie sich seit Anfang der 80er Jahre in den alternativen Gruppen herausgebildet hatten. Mit der „semantische(n) Destruktion als Methode der Manipulation" beschäftigt sich Christian Bergmann (Zwickau). Anhand der semantischen Analyse der Lexeme „real" und „Wahl" geht er der Frage nach, wie es im „Wahlfälschungs"-Prozeß gegen den ehemaligen Dresdner Oberbürgermeister Berghofer zu Verständigungsproblemen über die Bedeutung der Nominalphrase „reales Wahlergebnis" kommen konnte. Das alltagsweltliche Verständnis, wonach es sich bei Emotionen um private Phänomene handelt, widerlegt Edith Thomas (Aachen) durch ihre Analyse von Emotionswörtern in der politischen Debatte um Attentate. Indem sie Politikerreden aus der Zeit der Weimarer Republik und der Gegenwart untersucht, bestimmt sie nicht nur die Funktionen von Emotionen als soziale Phänomene, sondern ermittelt auch die intersubjektive Bedeutung der Emotionswörter in konkreten sozialhistorischen Kontexten. In dem das dritte Kapitel „Konflikte und Medien" eröffnenden Beitrag zeigt Andreas Musolff (Birmingham) anhand der kritischen Auswertung englischer und deutscher Presseberichterstattung den „Golfkrieg von 1991 als Medien-Ereignis". Nicht die von der amerikanischen Militäradministration verhängte Zensur über das Kriegsgeschehen am Golf und damit eine pauschale Medienverdammung ist sein Thema. Vielmehr versucht er, durch die Analyse zahlreicher Beispiele medialer Informations- und Sprachthematisierung die Auseinandersetzung um diesen Krieg, um seine politische Deutung und den ihn betreffenden Sprachgebrauch deutlich zu machen. Der Aufsatz von Paul Chilton (Warwick) thematisiert die von der Bush-Administration in deren Darstellungen zum Golf-Krieg langfristig

Vorwort der Herausgeberin

XVII

angelegte Strategie zur Legitimierung einer militärischen Lösung des Golf-Konflikts. Im besonderen werden semantische Potenzen zentraler alltagssprachlicher metaphorischer Begriffe für eine erwünschte Konzeptualisierung der politischen Lage vor, während und nach dem Krieg untersucht. So diente etwa die WEG-Metapher mit ihren Implikationen von Zielorientiertheit, Eindimensionalität oder vom unbeirrten Voranschreiten auf einer einmal eingeschlagenen Bahn als ein solches Kernkonzept für die sprachliche Präsentation der Ereignisse bzw. des Handelns der Vereinigten Staaten. Anhand einschlägiger Äußerungen von Verantwortlichen wird die Virulenz solcher im Unterbewußtsein wirkenden Metaphern wie der des SPIELs oder der Personifizierung von Staaten als teilbare Einheit von Körper und Seele (bzw. Haupt) nachgewiesen. Erst diese metaphorische Personifikation ermöglichte die Darstellung der Kampfhandlungen als „Ent-hauptungsschläge" oder „(saubere) chirurgische Schnitte". „Der zweite Golfkrieg im Rückblick", so überschreibt Adi Grewenig (Hannover) ihren Beitrag, in dem sie Fernsehsendungen zum Jahrestag dieses zeitgeschichtlichen Ereignisses als Bestandteil des medialen Golfkriegsdiskurses einer näheren Betrachtung unterzieht. An vier Sendungen, die Mischgattungen wie ,Dokumentarspiel', ,Faction', ,Dokudrama' und ,Dokumentarfilm' repräsentieren, wird das Problem einer medialen Öffentlichkeitsarbeit durch die Rekonstruktion von Zeitgeschichte erörtert. Besondere Aufmerksamkeit widmet Grewenig in ihrer gattungsgeleiteten Analyse der Frage, ob den Zuschauern mit diesen Rückblickssendungen zum zweiten Golfkrieg Informationen vermittelt werden, die über die der Nachrichtenoberfläche hinausgehen. In zahlreichen Arbeiten, die sich speziell auf die entferntere oder auch jüngste österreichische Vergangenheit beziehen, haben Ruth Wodak und Helmut Gruber (Wien) die diskurshistorische Methode entwickelt, deren Kern in einer fruchtbaren Vernetzung unterschiedlicher wissenschaftlicher Zugänge und Methoden besteht. Diese vornehmlich auf die linguistisch-historische Zusammenarbeit ausgerichtete Methode exemplifizieren die Autoren in ihrem Beitrag „Österreich und seine ,Nazi-Hanseln'", in dem sie den massenmedialen Umgang mit Neonazismus und „Auschwitzlüge" in der Neuen Kronenzeitung, Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung, im Zeitraum von Januar bis Mai 1992 vorführen. Gruber/ Wodak begnügen sich nicht mit den Texten allein; sie konfrontieren die Textbeschreibung mit den tatsächlichen Ereignissen und den bekannten historischen Fakten und gelangen damit — gerade bei der Analyse

XVIII

Vorwort der Herausgeberin

sprachlicher Strategien wie „Anspielung", „Verleugnung" oder „Verharmlosung" — zu Interpretationsergebnissen, die einzelwissenschaftlich und auf der Grundlage ausschließlich linguistischer Analysen nicht erreichbar sind. Mit der „sprachliche(n) Präsentation der Eigentumsfrage in der sowjetisch-demokratischen Presse von 1985 bis 1991" beschäftigt sich Valentina Vinogradowa (St. Petersburg). Durch eine sprachlich-stilistische Analyse der Moskauer Nachrichten, einer Wochenzeitschrift für Intellektuelle, demonstriert sie die Art und Weise, in der sich das Lexem privat/ Privateigentum seinen Weg in die Presse und damit in das Bewußtsein der Öffentlichkeit bahnt. Thema des Beitrages von Christine Teichmann (Berlin) ist die „sprachliche Ambiguität als politisches Problem". Anhand der Auseinandersetzungen in der kommunistischen Presse Frankreichs zum Putsch in der ehemaligen Sowjetunion von 1991 behandelt die Autorin das Problem des kommunikativen Sinns einer sprachlichen Äußerung und verweist auf das Konfliktpotential, das die Kluft zwischen Gemeintem und Gesagtem in sich bergen kann. Ausgangspunkt ihrer linguistischen Analyse ist die Ambiguität der Erklärung der FKP zum Putsch in der ehemaligen Sowjetunion, die zu einem in der Partei bis zur Zerreißprobe geführten Streit darüber führte, ob diesem Text eine eindeutige illokutive Handlung des „Verurteilens" zugeschrieben werden könne oder nicht. Aufgrund der Beobachtung der europäischen Parteienlandschaft ermittelt Kari Palonen (Jyväskylä) die politischen Benennungsmotive für die Namen von Parteien. Darüber hinaus erstellt er eine Typologisierung der Parteinamen und rekonstruiert Tendenzen bei der Namensänderung. Von besonderer Aktualität sind seine Ausführungen zu den Neugründungen von Parteien oder Namensänderungen, die mit dem politischen Umbruch in Osteuropa einhergehen. Zentrale methodologische Probleme rücken ins Zentrum, wenn den Bedingungen von Bedeutungskonstitution im konfliktären Sprachgebrauch sowie der Vielzahl von Konfliktstilen und ihren sozialen und kulturellen Determinanten nachgegangen wird. Anhand von Detailanalysen spezieller Sprachformen und Redestrategien werden die methodischen Möglichkeiten bei der Beschreibung politischen Sprachgebrauchs diskutiert — seien es nun Diskursblockaden, Verschleierungs- und Ausweichstrategien oder unterschiedliche Kooperationsstile in den Diskursen verschiedener Gesellschaftsgruppen.

Vorwort der Herausgeberin

XIX

Dennoch bleiben viele methodologische Fragen offen. Wie die unterschiedlichen methodischen Zugänge der Beiträge dieses Bandes demonstrieren, eignen sich „für die Analyse politischer Sprache [...] vorwiegend die ,weicheren' semantischen und pragmatischen Verfahren." 3 Wo aber bei der Untersuchung politischer Sprache die Grenzen der linguistischen Fragestellungen liegen und eine Kooperation ζ. B. mit sozialwissenschaftlichen Disziplinen erforderlich wird, bedarf der weiteren Diskussion. Dieser Band versteht sich als ein Angebot dazu. Berlin, im März 1994

3

Ruth Reiher

Burkhardt, Armin (1993): „Vergangenheitsüberwältigung. Zur Berichterstattung über die ,Affäre Fink' in deutschen Medien." In: Reiher, Ruth/Läzer, Rüdiger (Hrsg.): Wer spricht das wahre Deutsch? Erkundungen zur Sprache im vereinigten Deutschland. Berlin, S. 128.

I. Theoretische Aspekte des sprachlichen Konflikts

Verdrängte Konflikte und falsche Konsense im politischen Diskurs HANS-WERNER EROMS (Passau)

1. 2. 3. 3.1 3.2 4. 5.

Die Artikulation der Sachkonflikte in der Politik Die argumentative Auseinandersetzung in der Demokratie Die Abkapselung der Politik Die gegenwärtige Politikverdrossenheit Das Ausweichen in argumentative Scheinstrategien Möglichkeiten einer argumentativen Wende'? Literatur

1. Die Artikulation der Sachkonflikte in der Politik Es bedarf keiner Begründung, daß der öffentliche politische Diskurs bei einer Gesamtbilanz in einer durch mediale Kultur geprägten Demokratie keine Schwächung erfahren darf. Politiker, Politologen, Sprachwissenschaftler und Bürger scheinen darüber gemeinsam zu wachen, ziehen aus der Diskrepanz zwischen drängenden Sachzwängen und ihrer sprachlichen Behandlung jedoch zumeist den Schluß, daß die politische Kultur gefährdet sei. Der Untertitel von Erhard Epplers kürzlich erschienenem Buch (1992) lautet: „Die Krise der Politik im Spiegel der Sprache". Im Widerspruch dazu steht die bei den Politikern in der Exekutive wie in der Opposition zur Schau getragene Unbekümmertheit in der Fortführung ihrer sprachlichen Präsentation. Es ist allerdings zu fragen, ob ein Lamento über den Niedergang der politischen Sprachkultur überhaupt den Kern der Sache trifft. Vielfach wird die Ursache für die Abkopplung der Bürger vom politischen Geschäft, der die Abhebung der Politiker von den Bürgern entspricht, in der Verselbständigung des politischen Geschehens als einer nicht mehr beeinflußbaren Handlungsgröße gesehen. Eine Politikerschelte wie die des Bundespräsidenten, auf die noch einzugehen sein wird, liegt dann nahe. Verquickt sind solche Auffassun-

4

Hans-Werner Eroms

gen fast immer mit einer Divergenz in den Einschätzungen der sogenannten Sachfragen. In der Tat hat die Unterschiedlichkeit bei der Einschätzung der sachlichen Prioritäten eine neue Dimension erreicht. Darauf soll im folgenden zunächst abgehoben werden. Wie es keine automatischen Lösungen solcher Konflikte geben kann, so ist auch bereits die Diagnose unsicher. Allerdings lassen die angedeuteten Zusammenhänge bereits einige Schlüsse auf die Konstellationen des öffentlichen Diskurses zu: Die Teilhabe an der Exekutive führt die Politiker nicht nur zur Realitätsferne, sondern auch zu einem Sprachduktus, der zunehmend als ,obrigkeitlich' oder ,hoheitlich' apostrophiert wird. Die Erwartungen des Bürgers sind jedoch gänzlich anders. Er rechnet immer mit einer Artikulation der Sachkonflikte, die ihm nur teilweise geboten wird. So greift er selber in die Debatte ein, was ihm zweifellos zusteht, jedoch die Asymmetrie des politischen Diskurses verstärken muß. Auch dies wird zu thematisieren sein, wobei sich zeigen wird, daß Voraussetzungen und Folgen der gegenwärtigen Konflikte und noch mehr der Konfliktverweigerung kaum zu trennen sind. 1

2. Die argumentative Auseinandersetzung in der Demokratie Wie weit die Auffassungen der Politiker und der sie Wählenden auseinanderklaffen können, ist mit dem Ausgang der letzten beiden Landtagswahlen des Jahres 1992 erneut bewiesen worden. Zahlreich waren die Äußerungen der Betroffenheit darüber, daß die Wähler die demokratischen Parteien immer weniger wählen. Dabei wird leicht vergessen, daß die Schocks über das Vordringen rechtsradikaler Gruppierungen in immer kürzeren Abständen erfolgen. Hier ist etwa an die Berliner Wahlen von 1989, als die Republikaner ins Abgeordnetenhaus einzogen, zu erinnern und an den Einzug der DVU ins Bremer Parlament am 29. September 1991. Auch damals hatte es Äußerungen der Betroffenheit gegeben, die darin eine Niederlage der Demokratie sehen wollten. Wenn man die damaligen Wahlkämpfe genauer analysiert und sie mit der Situation von 1

Die folgenden Ausführungen verwenden Teile meines Referats über ,Die Rolle der Sprache in der Sicht der Politiker', das ich am 1. Mai 1992 auf der Tagung „Sprache im Konflikt", veranstaltet von der Humboldt-Universität zu Berlin, in Gosen gehalten habe. Für die Hilfe bei der Belegermittlung und vielfältige Diskussion der Thematik habe ich Horst Simon (Passau) zu danken.

Verdrängte Konflikte und falsche Konsense im politischen Diskurs

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1992 vergleicht, ergibt sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die die Ergebnisse vom 29. März dieses Jahres geradezu voraussagbar machten. Die unterschiedlichen sachlichen Voraussetzungen sollen dabei nicht heruntergespielt werden. Dennoch bin ich der Auffassung, daß Vereinigung und neue übernationale Aufgaben keine grundsätzlich neue Situation geschaffen haben, was die politische Auseinandersetzung betrifft. Im Gegenteil, allgemeine Grundlinien der politischen Argumentation und der spezifisch deutschen Konstanten treten in Krisenmomenten nur besonders deutlich zu Tage. Den Sprachwissenschaftler muß es dabei vor allem interessieren, wie in diesen Situationen sprachlich gehandelt wird. Zu den Grundlinien der sprachlichen Konstellation im politischen Raum rechne ich den Kontroverscharakter politischer Sprache. Politisch motivierte Sprache, gleich, ob sie Herrschaft anstrebt oder verteidigt, ist dadurch gekennzeichnet, daß sie e i n e mögliche Handlungsalternative sprachlich präsentiert. Dies gilt in besonderem Maße für die politischen Mandatsträger. In einer pluralistischen Demokratie kann erwartet werden, daß der Bürger diese Grundkonstellation, aus der sprachliche Auseinandersetzung, Kampf um Worte, resultiert, akzeptiert. Er weiß, daß mit Worten um die Sachen gestritten wird. Hans Jürgen Heringer (1990, 117) hat diesen Sachverhalt kürzlich so ausgedrückt: Es ist ein großes Experiment. Alles kann wieder aufgenommen werden, wieder aufbrechen, lange überwundene Standpunkte können wieder auferstehen und in Nischen neue Blüten treiben. Der demokratische Prozeß ist sozusagen ewig, im Prinzip. In der fortwährenden Diskussion liegt gerade die Stärke der Demokratie. Eine Demokratie ist eine Diskussionsgemeinschaft, demokratische Politik ist Diskussion ohne Ende.

Daß sich der Wortstreit bisweilen verselbständigt, muß als notwendiges Übel in Kauf genommen werden. Die wichtigste parteienübergreifende Aufgabe der Politiker besteht meines Erachtens darin, die jeweils spezifische Alternative, den demokratischen Grundkonsens vorausgesetzt, nicht zu verschleiern. Politische Herrschaft in der Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. Notwendig scheint es mir andererseits zu sein, daß die politischen Parteien ihre jeweilige Sicht auf die Dinge als die einzig angemessene ausgeben und daß die Auflösung dieses notwendigen Widerspruchs in einer Wahlentscheidung, wiederum auf Zeit, immer nur vorläufig geschehen kann. Legitim ist es dabei, Bündelungen und Projektionen von Sachfragen in Schlüsselbegriffe vorzunehmen. So unterschiedliche Begriffe wie soziale Marktwirtschaft, Solidarität und Umwelt haben sich im Laufe

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der Geschichte der Bundesrepublik auch durchgesetzt. Der erste ist bekanntlich ein in der CDU geprägter Begriff, den später auch die SPD auf ihrem Weg zur Volkspartei übernommen hat, der zweite kommt aus der sozialistischen Tradition und wurde auch von der CDU reklamiert. 2 Andererseits wird die Herkunft dieses Begriffes immer noch gespürt, auch wenn er derzeit polemisch gewendet wird, so wenn etwa in der CDU von „falsch verstandener Genossensolidarität" in bezug auf Manfred Stolpe gesprochen wird. Und der dritte, von den Grünen in die Debatte gebrachte Begriff, ist, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7 . 4 . 1992 (S. 1) schreibt, inzwischen „von den alten Parteien ,besetzt'". (Man beachte das Wort!) Es liegt auf der Hand, daß derart hoch angesiedelte sprachlich gefaßte Grundwerte tendenziell zu Worthülsen verblassen müssen. Daher ist es verständlich, wenn einerseits versucht wird, Identifikationsbegriffe neu zu schaffen oder aber bereits geschaffene umzuinterpretieren. Auch dies darf nach der langen Debatte um die „Begriffsbesetzung" als bekannt und durchschaubar vorausgesetzt werden. Nicht aber kann hingenommen werden, daß es die politischen Parteien aufgeben, sich argumentativ als unterschiedliche Alternativen zu präsentieren. Genau diese Strategie wird jedoch zunehmend verfolgt. Wie sich dies derzeit in Harmoniebedürfnis, Argumentationsverweigerung und Besserwisserei gegenüber dem Bürger äußert, ist sogleich mit Beispielen zu belegen. Vorher ist darauf hinzuweisen, daß die zunehmend zur Schau getragenen partiellen Gemeinsamkeiten der politischen Parteien auch noch einen anderen Grund haben. Es ist die zunehmende Verselbständigung des politischen Betriebs, die Abkoppelung der Politiker von der Basis, ihr ,Realitätsverlust'. Aber damit bin ich bereits bei der Schnittstelle der beiden Erscheinungen. Denn der Realitätsbezug spielt derzeit als politischer Schlüsselbegriff eine Rolle und wird ein neuer, rein polemischer Kampfbegriff, der wiederum nicht parteipolitisch festzumachen ist. Genau dies stützt die PolitikVerunsicherung der Bevölkerung und macht sie anfällig unter anderem für rechtsradikale Propaganda.

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Vgl. Helmut Kohl: „Um es vorweg zu sagen: Für mich als Demokrat sind Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit Grundlage und Auftrag meines politischen Handelns." (Greiffenhagen, 253)

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3. Die Abkapselung der Politik 3.1 Die gegenwärtige Politikverdrossenheit Zunächst eine Bemerkung zur Politik-Verdrossenheit der Bevölkerung. Sie ist ungleich größer, als man wahrhaben will. Sie schlägt sich ζ. B. darin nieder, daß bei der letzten Landtagswahl in Bayern nur 3 5 , 5 % der „Gesamtstimmberechtigten" die Regierungspartei gewählt haben. Bezogen auf die abgegebenen gültigen Stimmen sind es dann 5 4 , 9 % . Diese Zahl geht in die veröffentlichten Wahlergebnisse ein. Das ergibt eine Parlamentsmehrheit von 127 zu 77 Sitzen, d. h. 6 0 , 6 % . Dieses „Zahlenspiel" zugunsten der gewinnenden Partei muß man allerdings aus den offiziellen Zahlen mühsam rückrechnen. Für die anderen im Landtag vertretenen Parteien sieht das Ergebnis noch viel düsterer aus. Insgesamt, also bezogen auf die „Gesamtstimmberechtigten", d. h. die wahlberechtigten Bayern (denn viele dort wohnende Menschen im Wähleralter, ζ. B. Asylsuchende, EU-Bürger, sonstige Ausländer, sind nicht wahlberechtigt), ergibt sich folgende Verteilung:

csu Nichtwähler SPD Grüne FDP Ungültige Stimmen Sonstige

35,5% 34,1% 16,8% 4,1% 3,3% 1,2%

5,0%

100,0% Immerhin hat kürzlich der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschieden, daß das bestehende Landtagswahlsystem verfassungswidrig ist. Es stehen der CSU nach der letzten Wahl nicht 127 und der SPD 58, sondern nur 121 bzw. 57 Sitze zu; das heißt aber auch, jahrzehntelang ist verschleiert worden, daß die großen Parteien auch noch künstlich überrepräsentiert gewesen sind. Hier klaffen Anspruch — und das heißt sogar parlamentarisch legitimierter Anspruch! — und durch Wählerauftrag vermittelte Wirklichkeit auseinander. Eine solche Diskrepanz muß, einmal erkannt, fatale Konsequenzen haben. 3 Man sollte in den Parlamen3

In der Tat ließ sich dies etwa bei der Wahlwiederholung zum Passauer Stadtrat beobachten. Diese Wahl ist, wie jede Kommunalwahl, natürlich nicht direkt mit einer Landtags- oder Bundestagswahl zu vergleichen, zeigt aber die ,Abwahl' der großen politischen Parteien eigentlich noch deutlicher. Auch hier muß der demo-

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ten die Sitzverteilung nach der Gesamtzahl der Wahlberechtigten und nicht nach Wählern vornehmen und für die „Partei" der NichtWähler leere Sitze bereitstellen, damit das Mißverhältnis offensichtlich wird. Die NichtWähler müssen ja auch ,vertreten' sein. Denn die NichtWähler, die ungültigen Stimmen und ein großer Teil der die Radikalen Wählenden sind zusammen Protestwähler, die argumentativ nicht erreicht worden sind. 3.2 Das Ausweichen in argumentative Scheinstrategien Was nun den sprachlichen Aspekt der gegenwärtigen Konstellation betrifft, so hat Friedrich Karl Fromme in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. 4. 1992 (S. 1) folgendes geschrieben: Man kann landauf, landab an allen Stammtischen (kein Hochmut — das sind reale, nicht erkünstelte ,Kommunikationszentren') sehen, wie sich die Mundwinkel verziehen, wenn die Rede auf Parteien und Politiker kommt. Man traut ihnen alles zu: nur nicht ein sachbezogenes Handeln und ein Minimum von Selbstlosigkeit.

Hier fällt der Begriff real. Aber gehen wir zunächst dem Vorwurf der Abkoppelung nach. Der wird auch von anderen erhoben. Am schärfsten vielleicht von Erwin K. Scheuch, in einer Studie, über die die Medien kürzlich berichtet haben. „So mancher Abgeordnete sehe sich auch gar nicht mehr als Mandatar, sondern als ,Vorgesetzter des Bürgers'" (Der Spiegel, 13.4. 1992, 57), ja, er gebraucht sogar den Ausdruck ,Adelsstand' dafür (S. 59), wenn er das System der Ämterpatronage und das Entstehen „praktisch demokratiefreier Räume" ebd.) beschreibt. Diese Aussage betrifft die etablierten Parteien ziemlich generell. Wenn der Spiegel diese Haltung bei Helmut Kohl moniert, erfaßt er damit nur einen der exponiertesten Vertreter: kratische Schwund aus den veröffentlichten Zahlen erst herausgerechnet werden. Das Endergebnis gibt für die CSU 3 5 , 6 6 % und für die SPD 2 3 , 1 8 % „der Stimmen" an. Dies sind die Prozentzahlen bezogen auf die abgegebenen gültigen Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug nur 5 4 , 6 1 % . 8,5% der Stimmen waren ungültig. In beiden Zahlen spiegelt sich ein hoher Anteil von Protest; das bayerische kommunale Wahlsystem ist allerdings recht kompliziert und mag für den Wählenden fehlerträchtig sein. Das ändert nichts daran, daß nur 16,98% der Wahlberechtigten die CSU, 11,0% die SPD gewählt haben, während die Gruppe der NichtWähler 4 5 , 4 % betrug. Ein schwacher Trost ist es, daß sich so auch immerhin die Zahl der Stimmen für die Republikaner vermindert, von 1 1 , 3 4 % , bezogen auf die abgegebenen gültigen Stimmen, zu 5 , 4 % , bezogen auf die Zahl der Wahlberechtigten.

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„,Der Mann schwebt', so Hans-Ulrich Klose, ,der ist oben drüber'. Den Bonner CDU-Regierungschef berühre das Parteiengezänk gar nicht mehr, der habe sich so gut wie ausgeklinkt aus dem Wechselspiel der Demokratie." (Der Spiegel, 6. 4. 1992, 22). Mit dem die politische Argumentation diffamierenden Ausdruck Parteiengezänk wird auf die Geisteshaltung der schon die Weimarer Republik Verweigernden zurückgegriffen. Vielleicht ist der im gleichen Zusammenhang gebrauchte Begriff wilhelminisch (ebd.) gar nicht so abwegig für die Charakterisierung einer Obrigkeit-Untertanen-Konstellation zwischen Politikern und ihren Wählern. Sollte diese Beschreibung zutreffen und sollten Regierung und Opposition nach den jüngsten Wahldebakeln wirklich aufeinander zugehen, so mag zwar für den Augenblick die politische Handlungsfähigkeit zurückgewonnen werden, längerfristig zeichnet sich eine Gefährdung der öffentlichen Streitkultur ab. Denn die vorgegebene sachliche Gemeinsamkeit muß zwangsläufig die argumentativen Angriffsflächen vermindern. Dafür mehren sich die Zeichen. Während zum Beispiel vor der Wahl in Baden-Württemberg die SPD gesagt hatte, eine „Elefantenhochzeit" mit der CDU sei „unverdaubar und unverkraftbar", empfahl sie danach dem Land „Lösungskoalitionen", was die Süddeutsche Zeitung zu der Überschrift „Lösungskoalition — das neue Wort" plakativ vereinfachte (24. 4. 1992, 4). Oskar Lafontaine antwortete auf eine Interviewfrage, warum er der Regierung denn helfen wolle: „Wir können uns der Verantwortung nicht verweigern" (Der Spiegel, 13. 4. 1992, 32). Björn Engholm spricht von einem „Sanierungspaket der politischen Parteien" (ebd., 31). Er gebraucht dabei immerhin aus der Sicht seiner Partei recht geschickt als induzierte Präsupposition den Kontroversbegriff von der Sanierungsbedürftigkeit der Staatsfinanzen, der das Schlagwort von der Steuerlüge abgelöst hat. 4 Andererseits wird auf der Regierungsseite davon gespro-

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Vgl. dazu die Glosse aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. 4. 1992 (S. 14): „Bilderreich: Fk. Karlheinz Blessing, der Bundesgeschäftsführer der SPD, hat einen gefestigten Ruf für seine bilderreiche Sprache. Bei festlichen Anlässen — und wer wollte verargen, daß die Opposition einen solchen für gekommen hält —, steigert er den Reichtum noch ein wenig. Zum Beispiel so: Mit Genscher ging der Lotse von Bord eines sinkenden Schiffes; Kohl befindet sich im Chaos oder wahlweise in der Kanzlerdämmerung; Lambsdorff ist vom Generaldirektor zum Frühstücksdirektor abgeglitten, und Flaschen im Kabinett halten nicht (eine ungalante Aufforderung an Frau Schwaetzer, ihr Ministeramt zur Verfügung zu stellen). Dazu noch einiges Konventionelle im Stil von Steuerlüge, Kassensturz und sozialem

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chen, das Rumreden aufzugeben (Irmgard Schwaetzer, Der Spiegel, 13. 4. 1992, 31). „Justizminister Kinkel findet,,statt Sprechblasen' müsse den Leuten auch gesagt werden, was nicht geht." (ebd.) Geradezu aus dem Lehrbuch für politische Schlagworttechnik liest es sich, wenn der Bundeskanzler dann davon spricht, „hierbei Prioritäten zu setzen" (7. 4. 1992, 1), das heißt genau die sachlichen Kontroversen eben nicht zu benennen, sondern hinter der hoheitlichen Entscheidungsgewalt zu verbergen. Der Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem dieses Zitat entnommen ist, trägt die Überschrift: „Kohl: Engere Zusammenarbeit mit der SPD. Engholm: Schweiß und Tränen in der Finanzpolitik" ( 7 . 4 . 1992, 1). Damit wird auf Churchills Auspizien für den Fall des Kriegseintritts Englands zu Beginn des Zweiten Weltkriegs angespielt.5 Der SPD-Abgeordnete Horn plädiert offen für eine große Koalition. Wir dürfen uns nicht mehr aufführen wie Kampfhähne auf dem Misthaufen', zitierte ihn ,Bild am Sonntag' [...]. Der bayerische Umweltminister Gauweiler plädierte ebenfalls für eine große Koalition. Angesichts der bevorstehenden Anstrengungen müsse der ,kleinkarierte Parteienstreit' rasch beendet werden. Die Parole müsse heißen ,vom Gezänk zum Konsens'. ( F r a n k f u r t e r Allgemeine Zei-

tung, 13. 4. 1992, 4)

Offenbar wird diese Entwicklung als unabänderliches Schicksal hingenommen. Das Wilhelminische, Vordemokratische in den Äußerungen der Politiker, sicher unbewußt, scheint mir gefährlich. Denn das »Aufhören des Parteiengezänks' ist nun einmal das Ende der politischen Streitkultur. Dies aber, die argumentative Abstinenz, deckt sich mit VorstelKahlschlag, schließlich das einprägsame Bild von der Bluttransfusion, mit der die SPD der anämischen Regierung nicht aufhelfen werde (ohne sich allerdings einer Zusammenarbeit völlig zu verweigern). Am Ende steht der prosaische, aber unbedachte Satz, für Neuwahlen sei der rechte Zeitpunkt noch nicht gekommen, denn die Regierung habe den Tiefpunkt noch nicht erreicht. Das nun darf eine Opposition niemals sagen, und der Kollege Struck von der Bundestagsfraktion hat es auch sogleich unsanft korrigiert." Hier wird hinter der offensichtlich kritisch gemeinten Beschreibung der Sprachhaltung immerhin der Versuch der Opposition sichtbar, sich sprachlich zu profilieren. Wie sollte das anders als durch Attackieren der Regierungspartei vonstatten gehen. 5

Diese Zitatanspielung erfolgte indirekt, wie sich aus einer weiteren Zitatberufung ergibt: Bundespräsident Richard von Weizsäcker gab in seinem Interview mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger zu bedenken, daß das Wohlstandsdenken angesichts der gegenwärtigen Probleme zurückstehen müsse: „Es war doch [Ende 1990] öffentlich und rechtzeitig nach der Schweiß- und Tränenrede gefragt worden." (v. Weizsäcker, 1992, 37)

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lungen der Rechten. Und genau dies birgt auch die Gefahr, daß die gleichen Sachforderungen gestellt werden. Das ist teilweise der Fall, zumindest in der Asylbewerberproblematik, worauf ich hier nicht eingehen kann. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Hüllwörter für die Asylbewerber, deren Anträge als unberechtigt angesehen werden, sich in den Parteien ziemlich gleichen. So werden statt des Stammtischwortes Scheinasylant folgende Ausdrücke verwendet: Wirtschaftsflüchtlinge und Armutsflüchtlinge (Georg Kronawitter, Der Spiegel, 2. 3. 1992, 63). Hans-Ulrich Klose will folgende Differenzierung vornehmen: Ich unterscheide erstens die Gruppe der wirklich politisch Verfolgten, zweitens die Gruppe der Wirtschafts- und Elendsflüchtlinge und der deutschen Aussiedler und drittens die Gruppe der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Die Gruppe der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sollten wir sowohl aus dem Asyl- als auch aus dem Zuwanderungsverfahren ausklammern. Bürgerkriegsflüchtlinge sollten ein befristetes Aufenthaltsrecht erhalten. Wenn der Fluchtgrund entfallen ist, wird die Aufenthaltserlaubnis automatisch widerrufen, und sie müssen zurückgehen. {Passauer Neue Presse, 24. 4. 1992, 3)

Die Rechtsradikalen verwenden das Wort Asyl-Betrüger (DVU, Der Spiegel, 13. 4. 1992, 70), in Leserbriefen finden sich Ausdrücke wie Wohlstandsasylanten (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 4. 1992, 13) oder ungebetene Gäste (Passauer Neue Presse, 22. 10. 1992). Für eine Ausdrucksweise wie freilaufende Asylanten hat sich der Politiker, der sie verwendet hat, immerhin entschuldigt (vgl. Passauer Neue Presse, TJ. 10. 1972, 11). Das Spektrum der Bezeichnungen ist damit sicher noch nicht erschöpft. Im Zusammenhang damit und zwar in der bekannten Initiative des Münchner Oberbürgermeisters Georg Kronawitter, findet sich nun auch der oben berufene „Blick in die Realität". Kronawitter, der das Wahldebakel ausschließlich auf die unbewältigte Asylbewerberproblematik schieben wollte, führte folgendes aus: Unabdingbar scheint mir, daß die SPD möglichst schnell ihre selbstverordnete kollektive Denkblockade beim Asylmißbrauch aufgibt. Wer immer noch glaubt, die jetzige Fassung des Artikels 16 des Grundgesetzes sei auch dann noch sinnvoll, wenn er durch massenhaften Mißbrauch ausgehöhlt ist, der leidet unter Realitätsverlust. (Der Spiegel, 1 3 . 4 . 1992, 44)

Dieser Vorwurf ist an seine Parteigenossen gerichtet. Aber die Vorhaltung der Realitätsferne ist derzeit ein sehr verbreiteter Mechanismus, um

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die eigene Sicht der Dinge als die angemessene auszugeben. Die Sicht der Dinge muß sich in der gewählten sprachlichen Fassung niederschlagen. Wenn dem politischen Gegner diese als mißlungen unterstellt wird, offenbart sich darin der grundsätzliche Anspruch, seine Sachkompetenz anzuzweifeln. Dafür einige Beispiele. In einem Streitgespräch mit ihrer Hamburger Amtskollegin über Kinderkriminalität sagt die bayerische Justizministerin Berghofer-Weichner: „Ich habe eine etwas realistischere Vorstellung." (Der Spiegel, 6. 4.1992,119), was άζτ Spiegel in eine plakative Überschrift umsetzt „Die Realität ist einfach anders" (ebd., 113). Von den „realen Verhältnissen", die anders seien als die Außen Wirkung, sprach auch der seinerzeitige Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Gomolka (Der Spiegel, 9. 3. 1993, 135). Der niedersächsische SPD-Vorsitzende Johann Bruns, der ebenfalls die Einwanderungsrate kontrollieren will, äußerte sich so: „Wir müssen die Realität erkennen: Deutschland ist ein Einwanderungsland." (Gandersheimer Kreisblatt, 22. 4. 1992,1) Ein besonders aufschlußreiches Beispiel für den Gebrauch des Wortes, mit dem die Weltsicht Andersdenkender als falsch ausgegeben wird, findet sich im Kommentar der Passauer Neuen Presse vom 28. 4. 1992 (S. 2) zu der von der Gewerkschaft ÖTV als Eingriff in die Tarifautonomie gerügten Maßnahme der Länder, bereits vor dem Tarifabschluß erhöhte Zahlungen an die Bediensteten vorzunehmen: „Ob für eine derartige Realitätsferne noch jene Verständnis haben, die sich durch diese ideologisch verbohrte Gewerkschaftsspitze vertreten lassen müssen?" Offenbar ist die politische Sprachkultur in eine Krise geraten, in der die Aufgabe der Mandatsträger, in einem demokratisch zustande gekommenen Auftrag zu handeln, dadurch angezweifelt wird, daß ihnen vorgeworfen wird, sie hätten die Verbindung zur Basis verloren. Ein solcher Vorwurf ist nicht ungefährlich. Denn er wird die etablierten Politiker in ihrer wilhelminischen Haltung nur bestärken, weil die Berufung auf die Realität mit Sicherheit über kurz oder lang als Leerformel entlarvt sein wird. Der direkte Draht zu den real existierenden Kommunikationszentren der Stammtische ist es sicher nicht, der die etablierten Parteien aus ihrer Krise herausführen wird. Der Weg kann nur in einer Wiedergewinnung der Streitkultur liegen, in der kontroverse Themen offen behandelt werden. Stattdessen zeichnet sich die Gefahr von „nationalen Pakten der Vernunft" (Björn Engholm) oder großen Koalitionen ab, die ihre Probleme hinter verschlossenen Türen behandeln und den Bürger aussperren werden. Auch der von Björn Engholm der Bundesregierung angebo-

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tene „Interessenkonsens" (Süddeutsche Zeitung, 7 . 9 . 1992, 9) muß zwangsläufig die argumentativen Reibungsflächen zwischen Regierung und Opposition vermindern.

4. Möglichkeiten einer »argumentativen Wende'? Dazu einige abschließende Bemerkungen: Wie sehr es sich rächt, wenn die Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fallen, ist etwa im April 1992 deutlich geworden, als die Vorstellungen der Führungsspitze der F.D.R über die Nachfolge im Amt des Bundesaußenministers gegen die Fraktion nicht durchgesetzt werden konnten. Wenn schon der Bezug zur parlamentarischen Basis bei manchen Parteien nicht mehr gegeben ist, darf man sich nicht wundern, wenn die Basis der demokratischen Pyramide überhaupt nicht mehr erreicht wird. Dabei ist diese von mir gewählte Ausdrucksweise eigentlich nicht angemessen: Der Politiker hat sich vielfach nur angewöhnt, von oben, obrigkeitlich, zu sprechen. Dabei soll er als legitimierter Vertreter des Bürgers, d. h. in dessen Auftrag, reden. Er soll sich daher auch nicht „an den Bürger wenden", sondern mit den politischen Kontrahenten diskursiv auseinandersetzen. Diesen Auftrag jedoch nimmt er immer weniger wahr. „Rhetorik, Gegner angreifen, Schlagabtausch" — das wurde auf unserem Passauer Symposium 1988 von einigen Politikern als „nicht so positiv" angesehen (Goppel/ von Lojewski/Eroms 1989, 138) und „sachliche Information" zu geben als sprachliche Aufgabe des politischen Funktionsträgers dagegengesetzt. Das mag für den in der Exekutive tätigen Politiker angemessen sein, es ist aber nichtsdestoweniger obrigkeitlich gedacht. Eine denkbare Alternative wäre das direkte öffentliche Gespräch zwischen Politiker und Bürger. Auch dies ist unrealistisch. Politikermeinung und Bürgerauffassung werden fast ausschließlich durch die Medien vermittelt. Die direkte Kommunikation ist der Ausnahmefall. Die Medien aber dringen auf plakative Verknappung, wie die Beispiele, die ich angeführt habe, deutlich machen können, wenn sie nicht sogar bereits an der Quelle die mediengerechte Formulierung abverlangen. Dies führt dann in den meisten Fällen zu den unverfänglichen Leerformeln. Eine politische Streitkultur, bei der sich Alternativen argumentativ präsentieren können und müssen, scheint mir der einzig angemessene Ausweg zu sein aus dem Dilemma der monologischen Politikerrede ans Volk und einer BürgerPolitikerkommunikation, die sich ζ. B. derzeit darin äußert, daß sich

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Bürger in Zeitungsannoncen an den Bundeskanzler wenden. Ob innerhalb der Parteien eine ,argumentative Wende' stattfindet oder ob sie durch neue Bürgerbewegungen kommen wird, ist noch nicht abzusehen. Es ist aber nicht belanglos, daß aus der Sicht des höchsten Repräsentanten unseres Staats den Parteien nicht allzu große Chancen eingeräumt werden. In seiner bekannten Parteienschelte hat Richard von Weizsäcker die Machtversessenheit und Allgegenwärtigkeit der Parteizentralen (v. Weizsäcker, 1992, 153), das Berufspolitikertum und generell die von den Parteien als selbstverständlich angesehene, durch den Verfassungsauftrag aber nicht gedeckte Einflußnahme auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens beklagt (ebd., 146). Er hat aber auch in einer Nebenbemerkung durchblicken lassen, daß er den politischen Streit mit Skepsis betrachtet, wenn er sagt: „Bei uns ist ein Berufspolitiker im allgemeinen weder ein Fachmann noch ein Dilettant, sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft." (Ebd., 150). Wenn hier von allerhöchster Stelle eine Diagnose gegeben wird, wie es mit der Streitkultur in Deutschland aussehe, so soll dabei nicht vergessen werden, daß hier auch ein Bürger, der erste Bürger, spricht und zum Ausdruck bringt, daß er das Bürgeranliegen nicht repräsentiert sieht. 5. Literatur Bergsdorf, Wolfgang (1983): Herrschaft und Sprache. Studie zur politischen logie der Bundesrepublik Deutschland. Pfullingen. Eppler, Erhard (1992): Kavalleriepferde beim Hornsignal. Spiegel der Sprache. Frankfurt/Main. Eroms, Hans-Werner (1974): „Asymmetrische Abstraktem und Konkretem in politischer Zeitalter 52, S. 2 9 7 - 3 1 8 .

Termino-

Die Krise der Politik im

Kommunikation. Zur Funktion von Sprache." In: Sprache im technischen

Goppel, Thomas/von Lojewski, Günther/Eroms, Hans-Werner (Hrsg.) (1989): Wirkung und Wandlung der Sprache in der Politik. Symposium an der Universität Passau in Zusammenarbeit mit dem Aktionskreis Wirtschaft, Politik, Wissenschaft e. V. München vom 25. und 26. November 1988. Passau. Greiffenhagen, Martin (Hrsg.) (1980): Kampf um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit. München. Heringer, Hans Jürgen (Hrsg.) (1982): Holzfeuer politischen Sprachkritik. Tübingen.

im hölzernen

Ofen. Aufsätze

Heringer, Hans Jürgen (1990): „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort." Moral. München.

Politik,

zur

Sprache,

von Weizsäcker, Richard (1992): Richard von Weizsäcker im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger. Frankfurt/Main.

Asyl-Diskurs Konflikte und Blockaden in Politik, Medien und Alltagswelt JOSEF KLEIN

1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2

(Koblenz)

Diskurs-Begriff, Diskurs-Ebenen und methodische Vorbemerkungen Parlamentarische Debatte Argumentationsanalytisches Instrumentarium Konkurrierende Hauptpositionen und Argumente erster Ordnung Legitimationsmuster Breiten- und Tiefenstaffelung. Die SPD-Argumentation Topische Muster komplexer Argumentation CSU und^SPD

2.3.2.2 2.3.2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 3. 3.1 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 5. 5.1 5.2 5.3 6.

Orientierung-

rgtmrentatronen

Die Topik normativer Orientierung: Die Argumentation von Bündnis 90/ Grüne Argumentationstheoretisches Zwischenergebnis Delegitimationsmuster Gegenpositionen Gegenargumentationen Medien-Berichterstattung Defizite der informationellen Grundversorgung Medien und „Ausländerfeindlichkeit" Das Prinzip der Kumulation des Auffälligen und die Stigmatisierung von Ausländern als kriminell Alltagsgespräche Handlungsanalytische Kategorien Sprachlich-kognitive Operationen der Konstitution negativer AusländerStereotypen Kritisches Fazit Zur parlamentarischen Debatte Zur Medienberichterstattung Zum Alltagsdiskurs Literatur

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Josef Klein

1. Diskurs-Begriff, Diskurs-Ebenen und methodische Vorbemerkungen Dieser Beitrag enthält erste Ergebnisse aus einem Projekt, das den „AsylDiskurs", vornehmlich im Zeitraum von Mitte 1991 bis Frühjahr 1992, auf drei Hauptebenen gesellschaftsweiter Kommunikation untersucht. Es sind die Ebenen — der politischen Institutionen — der Medien — der Alltagswelt. Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf Formen des Diskurses, die prototypisch für die genannten Ebenen sind: — Parlamentsdebatten — Nachrichtensendungen des Fernsehens/Presseberichterstattung — Alltagsgespräche. Das Wort Diskurs verwende ich hier nicht in der Bedeutungsvariante, in der die englischsprachige Linguistik es vornehmlich verwendet (discourse = Text), sondern in Anlehnung an den Gebrauch, der vor allem durch die zeitgenössische französische Philosophie geprägt ist (discours = Sprache und Rede als Ferment gesellschaftsweiter oder sektoraler Bewußtseinsbildung). Insofern handelt es sich um einen anderen Typus von „linguistischer Diskursanalyse" als die unter ebendieser Bezeichnung betriebene (Einzel-)Text-Analyse (vgl. van Dijk 1985). Diskurs wird in dieser Untersuchung als Bezeichnung für die tendenziell gesellschaftsweite kommunikative Behandlung eines einigermaßen abgrenzbaren Themenkomplexes in sprachlich-textuellen Formen verwendet. Für Diskursanalysen in diesem Sinne ist es daher zwingend, die in der linguistischen Tradition dominierende Konzentration jeweils auf eine linguistische Untersuchungseinheit — eine strukturelle Domäne, eine Sprechergruppe, einen Text oder Texttyp, eine strittige Frage („quaestio") innerhalb einer Argumentationsanalyse, ein Medium etc. — zu verlassen. Die damit verbundenen methodischen Probleme können hier nicht systematisch abgehandelt werden. Und auch die hier präsentierbaren Ergebnisse sind nicht für alle Ebenen gleich weit ausgearbeitet. Der Schwerpunkt liegt bei der Analyse der Argumentation in der politisch-parlamentarischen Auseinandersetzung über die Asylproblematik. Die Zwischenergebnisse zu den Ebenen Medien und Alltagsdiskurs erscheinen

Asyl-Diskurs

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mir zwar interessant genug, sie hier zu präsentieren — aber sie sind in mehrerlei Hinsicht vorläufig und fragmentarisch. Da das gängige argumentationsanalytische Instrumentarium nicht einmal eine präzise Beschreibung, geschweige denn eine Analyse komplexer, mehrfach verhakter Argumentation erlaubt (viele Reden, mehrere Debatten, mehrere — nicht nur zwei — miteinander argumentativ konkurrierende Positionen), ist die W e i t e r e n t w i c k l u n g des A n a l y s e i n s t r u m e n t a r i u m s f ü r k o m p l e x e A r g u m e n t a t i o n oder besser: f ü r g r o ß e A r g u m e n t a t i o n s k o m p l e x e m i t p l u r a l e r B e t e i l i g u n g ein Schwerpunkt dieses Beitrags. Dabei konzentriere ich mich ganz auf die argumentative Textur. Alle anderen Fragen wie Wortverwendung, Gebrauch von Metaphern und anderen rhetorischen Figuren, Polemik, Mehrfachadressierung etc. bleiben außerhalb der Betrachtung. Die Entwicklung eines argumentationsanalytischen Instrumentariums, das sowohl linguistisch fundiert als auch anwenderfreundlich ist, zielt nicht zuletzt darauf, disziplin-übergreifend ein Defizit zu beseitigen, an dem die sozial- und politikwissenschaftliche Methode der quantitativen Inhaltsanalyse von jeher leidet: zwar große Textmassen zu einem Themenkomplex nur atomistisch nach Leitwörtern, Einstellungen tu L· untersuchen zu können, nicht aber die Kohärenz-Beziehungen innerhalb der Texte, ζ. B. argumentative, zu repräsentieren (Vgl. Merten 1983). Vor dem Einstieg in die Analyse ist noch eine Vorbemerkung zu den kommunikationskritischen Ambitionen des Beitrags nötig. Anders als manch anderer Beitrag aus der Feder von Sprach- und Medienwissenschaftlern zum Asyl-Diskurs zielt diese Arbeit nicht darauf, sprachwissenschaftliche Techniken in den Dienst einer bestimmten politischen Kampf-Position zu stellen. Dieser Beitrag kommt ζ. B. ohne die Unterstellung aus, daß höchstens eine der im Bundestag vertretenen Auffassungen zur Asyl-Frage politisch oder moralisch legitim und alle anderen „rassistisch" seien. 1 Der kommunikationskritische Ehrgeiz, der hinter dieser Untersuchung steht, ist darauf gerichtet, linguistische Methoden zu entwickeln und zu erproben, um Dialog-Blockaden und nicht-genutzte Informations- und Konsens-Ressourcen im gesellschaftlichen Diskurs zu diagnostizieren und auf dieser Basis Therapiestrategien zu erarbeiten, ohne dabei für den eigenen politischen oder ethischen Standpunkt einen — die 1

Beispiele für einen sehr weiten Rassismus-Begriff sind Jäger (1992), Ruhrmann (1991) und Ruhrmann/Kollmer (1987).

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wissenschaftliche Arbeit dominierenden, Dogmatismus produzierenden — Monopolanspruch zu erheben. Im Hinblick auf die drei zu behandelnden Diskursebenen stellt sich die Frage: Von welcher Ebene gehen wir aus? Als Entscheidungskriterium verwende ich den Gesichtspunkt der Relevanz, und zwar mit der Prämisse, daß die gesetzgeberischen Entscheidungen über zentrale politische Fragen für Staat, Gesellschaft und die betroffenen Individuen von besonders großer Bedeutung sind. Daher soll der Ausgangspunkt die Diskursebene der institutionalisierten Politik sein und dort wiederum die parlamentarische Debatte. 2. Parlamentarische Debatte Große Parlamentsdebatten zu Themen, die von den beteiligten Parteien als besonders wichtig eingeschätzt werden, dienen vorrangig dazu, die Positionen der Parteien bzw. ihrer Fraktionen öffentlich zu markieren — oft durch betonte Abgrenzung gegeneinander — und dabei die eigenen Positionen zu legitimieren und konkurrierende Positionen zu kritisieren. Gleichzeitig ist die Parlamentsdebatte der Ort der Bündelung der Gesichtspunkte und Argumente, die von den Parteien bzw. Fraktionen auch in der außerparlamentarischen öffentlichen politischen Kommunikation vertreten werden. 2 Zum Thema „Asyl" fanden innerhalb des hier interessierenden Zeitraums zwei Bundestagsdebatten statt (am 18. 10. 91 und am 20. 2. 92). 3 Da sich zwischen beiden Debatten Positionen und Argumentation der Fraktionen nicht wesentlich geändert haben, habe ich, um deren möglichst vollständige Präsentation während des untersuchten Zeitraums zu gewährleisten, die Argumentationen aller Fraktionen aus den beiden Bundestagsdebatten zusammengefaßt, und zwar auf der Grundlage der Ausführungen ihrer Hauptredner.

2

3

Zur Diskussion um die Funktion parlamentarischer Debatten vgl. ζ. B. Dieckmann (1984), Klein (1991) und Zeh (1989). In den Debatten spielt neben den Themen Asylrecht/Asylverfahren das Thema der ausländerfeindlichen Gewalttaten eine wichtige Rolle, allerdings als Nebenthema. Das dürfte nicht zuletzt eine Folge des Selbstverständnisses des Deutschen Bundestages sein, primär Legislative zu sein und weniger Instanz zur Erklärung, Erläuterung und allgemeinen Reflexion von Ereignissen. In diesem Beitrag konzentriere ich mich ganz auf den Debattenschwerpunkt.

Asyl-Diskurs

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Das waren am 18. 10. 91: Schäuble, Bundesminister des Inneren (CDU/CSU), Däubler-Gmelin (SPD), Schmalz-Jacobsen (FDP), Weiß (Bündnis 90/Grüne), Jelpke (PDS). Am 20. 2. 92 sprachen: Gerster (CDU/CSU), Wartenberg (SPD), Hirsch (FDP), Seiters, Bundesminister des Inneren (CDU/CSU), Weiß (Bündnis 90/Grüne), Jelpke (PDS), Teufel, Ministerpräsident von Baden-Württemberg (CDU), Däubler-Gmelin (SPD), Kinkel, Bundesminister der Justiz (FDP), Schnoor, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen (SPD), Schäuble, Fraktionsvorsitzender (CDU/CSU), Bernrath (SPD), Solms, Fraktionsvorsitzender (FDP). Textgrundlage bilden die Debattenbeiträge der genannten Politiker (innen), wie sie — größtenteils vollständig — abgedruckt sind in der Zeitung Das Parlament (Ausgaben vom 1. 11. 1991 und vom 28. 2./6. 3. 1992). 4 2.1 Argumentationsanalytisches Instrumentarium Wenn man parlamentarische Debatten des hier untersuchten Typs zum Gegenstand linguistischer Argumentationsanalyse machen will, entdeckt man, daß das traditionell zur Verfügung stehende Instrumentarium dem Gegenstand in mehrerlei Hinsicht nicht adäquat ist: 1. Ob sie eher rhetorischen, logischen oder linguistischen Hintergrund haben — argumentationstheoretische und -analytische Konzepte beziehen sich durchweg auf den idealtypischen Fall, daß es — letztlich — um die Klärung e i n e r strittigen Frage („quaestio") bzw. um Pro und Contra zu e i n e r zentralen (hierarchiehöchsten) Position geht. 5 In den beiden untersuchten Debatten lassen sich dagegen jeweils vier — nicht aufeinander zurückführbare — strittige Positionen ausmachen: Die CDU/CSU plädiert primär für die Änderung von Art. 16 GG, SPD und FDP für Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylver-

4

Nicht abgedruckt und nicht in die Analyse einbezogen sind die an die Hauptreden anschließenden Beiträge (für den 18. 10. 91 fünf Kurzinterventionen sowie elf weitere Beiträge; für den 20. 2. 92 fünf weitere Beiträge). Eine vollständige Analyse müßte sämtliche Redner erfassen und die Bundestagsprotokolle zur Textgrundlage nehmen, die zwar auch die Vorlage für den Abdruck in Das Parlament bilden, dort aber um Anredeformeln und Zwischenrufe, manchmal auch um Exkurse und andere von der Parlament-Redaktion für nebensächlich gehaltene Passagen gekürzt werden.

5

Vgl. ζ. B. Naess (1975), Klein (1980), Wunderlich (1980), Kopperschmidt (1989).

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fahren ohne Grundgesetzänderung, Bündnis 90/Grüne für ein Einwanderungsgesetz und die PDS für eine „Politik der offenen Grenzen". Diese schon in der Debatte vom 18. 10. 91 eingenommenen Positionen liegen in der Debatte vom 20. 2. 92 ζ. T. konkretisiert und spezifiziert als Gesetzesentwürfe vor 6 , während am 18. 10. 91 lediglich „Anträge" die parlamentarisch-institutionellen Bezugspunkte für die Debatte bilden. 7 2. Die genannten Traditionen gehen von einer simplen Zweisträngigkeit (Pro und Contra) mit klarer hierarchischer Gliederung und eventueller weiterer binärer Verzweigung beider Stränge aus: Jedes Pro-Argument kann seinerseits auf einer nächsten (hierarchieniedrigeren) Stufe durch Pro-Argumente gestützt und/oder durch Contra-Argumente angegriffen werden und so fort. 8 — In Debatten des hier untersuchten Typs sind Argumente, vor allem ihr propositionaler Gehalt, oft mehrfach vernetzt, ζ. B. insofern sie von den verschiedenen Beteiligten zur Stützung oder Schwächung mehrerer konkurrierender Positionen verwendet werden. Das bedeutet, daß man bei graphischer Repräsentation die gängigen Baumgraphen durch Netzdiagramme ersetzen muß (Vgl. Klein 1992). 3. In traditionellen Argumentationsmodellen wird die von der Sprechakttheorie entdeckte Distinktion zwischen propositionalem Gehalt, propositionaler Einstellung und illokutionärer Rolle einer Äußerung nicht beachtet. Es läßt sich jedoch leicht zeigen, daß die Schlußbeziehung, die zwischen zwei Äußerungen bestehen muß, damit man ihr Verhältnis zueinander als argumentativ verstehen kann (das Argument als „Grund" und die gestützte Position als „Folge"), nicht zwischen den beiden Äußerungen als globalen Entitäten besteht, sondern daß diese konklusive Relation an einem der drei genannten Äußerungsaspekte festzumachen ist, und zwar jeweils für jede der beiden argumentativ verknüpften Äußerungen (vgl. Klein 1 9 8 7 , 71 ff. und 1992, 7 9 - 8 2 ) . Ein Repräsentationsmodell, das den skizzierten Verhältnissen gerecht werden soll, muß vor allem zwei Anforderungen erfülllen: Es hat erstens 6 7 8

Das Parlament, 42. Jg., Nr. 1 0 - 1 1 , 3. Das Parlament, 41. Jg., Nr. 45, 2. Vgl. vor allem Naess (1975), der für dieses Prinzip ein Verfahren vorschlägt, um Argumente nach ihrer Position innerhalb solcher Hierarchien eindeutig zu identifizieren.

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die interne Komplexität von Äußerungen abzubilden, d. h. ein Symbolinventar bereitzustellen, das die Unterscheidung von propositionalem Gehalt, propositionaler Einstellung und Illokution sinnfällig macht. Zu diesem Zweck werden in unserem Modell die propositionalen Gehalte argumentativer Textäußerungen stark komprimiert auf den für die Gesamtargumentation wesentlichen Punkt, und dieser wird in nominalisierter Form formuliert. Im Netz erscheinen also nicht Originalsequenzen aus den Bundestagsreden, sondern teilweise sehr stark komprimierende „abstracts" über Textsequenzen. 9 Diese „propositionalen Konzentrate" bilden die Knoten des Argumentationsnetzes. Die illokutionären Rollen und die propositionalen Einstellungen, in denen die Sprecher die propositionalen Gehalte jeweils verwenden, werden, angelehnt an Searles (1976) Klassifikation der Illokutionstypen, durch Kurzsymbole (ζ. B. „!" für die illokutionäre Rolle des AUFFORDERNS und für die propositionale Einstellung des Für-erforderlich-Haltens) repräsentiert. (Dabei wird hier aus Gründen der Ökonomie darauf verzichtet, illokutionären Rollen und propositionalen Einstellungen unterschiedliche Symbole zuzuordnen). Diese Kurzsymbole werden als Etiketten („labels") an die Propositionen repräsentierenden Knoten geschrieben· A.lierclin£s ^viro. im Fälle von Propositionen, die behauptet werden oder die in der propositionalen Einstellung des Für-wahr-Haltens realisiert sind, ebenfalls aus Ökonomiegründen, auf ein eigenes Kurzsymbol verzichtet. Das Repräsentationsmodell hat zweitens die verschiedenen Typen argumentativ relevanter Relationen zwischen den etikettierten propositionalen Konzentraten abzubilden. Das sind vor allem die konklusiven Verknüpfungen. Sie werden repräsentiert durch die Kanten, die im Netz die etikettierten Knoten verbinden. Hier die wichtigsten: Kanten mit Pfeilspitze symbolisieren Pro-Argumentation (a —• b = weil a gilt, gilt b), Kanten mit Η-Spitze Contra-Argumentation (a Η b = weil a gilt, gilt b nicht); Kanten mit gegabelter Spitze bedeuten Konzessiv-Argumentation (a - < b = obwohl a gilt, gilt b). Kanten ohne Figur an einer ihrer Spitzen symbolisieren bloße Konjunktionen (a — b = a gilt und b gilt). Der Mehrfachbezug von Argumenten wird dadurch sinnfällig gemacht, daß ein Knoten über mehrere Kanten mit mehreren anderen Knoten verknüpft ist und daß er bei wechselnder illokutionärer Verwendung mit mehreren Illokutionssymbolen etikettiert wird.

9

Zur Systematik solcher abstract-Bildung vgl. van Dijk (1980, 45 ff.).

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Zur Einführung in dieses Repräsentationsmodell sollen zunächst drei Beispiele vorgestellt werden, die nach dem Prinzip steigender Komplexität angeordnet sind — und die in inhaltlicher Hinsicht schon Einblick in wichtige Details des parteispezifischen Asyldiskurses geben.

Beispiel 1: Pro-Argumentation Grundgesetzänderung

der CDU/CSU

für

Das Beispiel beinhaltet zwei der von mehreren Rednern der CDU/CSU vorgetragenen Gründe für eine Änderung des Art. 16 GG. In einer Passage aus der Rede des Innenministers Schäuble am 18. 10. 91 werden diese Gründe so formuliert: Ich habe immer gesagt, daß wir drei Punkte in der Sache ändern müssen, und dies wird wegen unserer einzigartigen Verfassungslage leider nicht ohne Grundgesetzänderung möglich sein. Zum einen möchte ich, daß Asylbewerber aus Ländern, in denen es offensichtlich keine politische Verfolgung gibt, nicht in ein mit einem vorläufigen Bleiberecht verbundenes Asylverfahren kommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! — Zuruf von der SPD: Türkei!) Zum anderen möchte ich, daß wir uns wirklich mit vollen Rechten und Pflichten an den internationalen Vereinbarungen, dem Schengener Zusatzabkommen wie dem Dubliner Abkommen in der EG beteiligen können. Das heißt, daß Asylbewerber, die auf dem Weg zu uns schon in einem anderen Land Schutz vor Verfolgung gefunden haben, unmittelbar in dieses Land zurücküberstellt werden können. [...] Auf die Frage, welches die Länder sind, in denen es keine politische Verfolgung gibt, kann man sich verschiedene Antworten denken; darüber kann man ja sprechen. Baden-Württemberg hat vorgeschlagen, diese Länder durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Bundesrates zu definieren. Ich werbe mehr dafür, diese Länder durch die EG unter Beteiligung des Flüchtlingskommissars der Vereinigten Nationen festlegen zu lassen, [...]. (Das Parlament, 41. Jg., Nr. 45, 2, Spalte 5)

Die Gründe, die in dieser Passage von Schäuble schon recht komprimiert formuliert sind (und die er anschließend breiter erläutert), werden für die Repräsentation im Netzmodell noch stärker komprimiert zu folgenden propositionalen Konzentraten: — Abweisung von Asylbewerbern mittels Listen verfolgerfreier Staaten — Abweisung von Asylbewerbern bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat.

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Asyl-Diskurs

Da es sich bei ihnen also ebenso wie bei der von ihnen gestützten Hauptposition um politische Forderungen handelt, werden sie im Netz mit dem Index „!" versehen. Der entsprechende Netzausschnitt sieht dann so aus (Abb. 1): Abweis. v. A.-bewerbern mittels Listen verfolg, freier Herkunftsländer

Abweisg. v. A.-bew. b. Einreise aus sicherem Drittstaat

! Änderung Art. 16 GG l' Abb. 1 Pro-Argumente

Beispiel 2: Contra-Argumentation der FDP gegen CDU /CSU-Argumente pro Grundgesetzänderung Mit dieser CDU/CSU-Argumentation setzt sich der FDP-Abgeordnete Hirsch in der Debatte vom 20. 2. 92 kritisch auseinander und nimmt dabei unmittelbar Bezug auf Gesetzesentwürfe des Landes Baden-Württemberg und der CDU/CSU: [...] Baden-Württemberg k o m m t wieder mit der Listenlösung — listig, aber unwirksam, (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) weil die Flüchtlinge eben aus Problemländern kommen, die niemals auf eine solche Liste gehören; die armen Teufel ... Die Behauptung, wir würden ohne eine Verfassungsänderung ein Reserveasylland, ist polemisch und offenkundig falsch. (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Bündnis 9 0 / G R Ü N E - Widerspruch bei der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das sind wir ja schon!) Wir können nach unserem heutigen Asylrecht einen Flüchtling an der Grenze zurückweisen, der in einem anderen Land Zuflucht gefunden hatte, in dem er vor Verfolgung sicher war und das den Flüchtling nicht an ein Verfolgerland ausliefert. Diese Möglichkeit haben wir selbst dann — ich wiederhole: nach geltendem Asylrecht —, wenn das Asylgesuch eines Flüchtlings in dem anderen Land abgelehnt worden war. Dazu brauchen wir keine Verfassungsänderung. Das ist geltendes Recht. (Das Parlament, 42. Jg., Nr. 1 0 - 1 1 , 2, Spalte 4)

Hirschs Argumente sind keine politischen Forderungen, sondern Feststellungen oder Behauptungen, die (s. o.) nicht eigens durch einen Index für die propositionale Einstellung markiert werden. Im ersten Fall (Listen ver-

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folgungsfreier Staaten) richtet sich das FDP-Argument gegen die Wirksamkeit des im propositionalen Konzentrat genannten Sachverhalts. Deshalb ist hier die — Contra-Argumentation symbolisierende — Kante mit Η-Spitze gegen den entsprechenden Knoten zu richten. Im zweiten Falle wendet sich die FDP-Argumentation nicht gegen die CDU/CSU-Forderung (Abweisung bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat), sondern dagegen, aus dieser Forderung den Ruf nach Änderung des Grundgesetzes abzuleiten. Daher wird hier die Η-Spitze gegen die Kante gerichtet, die die argumentative Verknüpfung durch die CDU/CSU symbolisiert. Der Bezug der CDU/CSU-Argumentation („ — ") und der FDP-Argumentation („..."] aufeinander, ergibt folgenden Netzausschnitt (Abb. 2): Abweis. v. A.-bew. ! | mittels Listen verfolg, freier Herkunftsländer !

Flüchtlinge (überwiegend) aus Verfolgerstaaten

Abweis. v. A.-bew. b. Einreise aus sicherem Drittstaat !

Zurückweisung v. Flüchtlingen bei ·.._ Einreise aus sicherem Drittstaat derzeit schon möglich

! Änderung Art. 16 GG Abb. 2 Contra-Argumente

Beispiel 3: Konzessiv-Argumentation und Mehrfachverknüpfung — Die CDU/CSU zwischen Grundsatzposition

argumentative und

Kompromiß

Den Debatten war ein sog. „Asylkompromiß" zwischen der Regierungskoalition und der SPD vorangegangen, bei dem sich die Partner nur auf gesetzliche Maßnahmen »unterhalb' der von CDU/CSU vehement geforderten Grundgesetzänderung hatten einigen können. Die Union hatte daher in den Bundestagsdebatten das Problem zu lösen, einerseits ihre eigene Grundsatzposition zu legitimieren und andererseits das Ja zu dem ungeliebten Kompromiß zu rechtfertigen.

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Diese Konstellation — Grundsatzposition und Kompromiß gleichzeitig argumentativ zu rechtfertigen — ist eine politische Alltagskonstellation. Gleichwohl vermißt man in der einschlägigen Literatur bis heute eine genaue Analyse der dabei typischerweise verwendeten Argumentationsfigur. Vielleicht liegt es daran, daß dabei die Konzessiv-Relation eine entscheidende Rolle spielt. In der weithin logik-bestimmten Tradition der Argumentationsanalyse konnte man mit der Konzessiv-Relation wenig anfangen. Es gibt keinen Junktor der formalen Logik, der die Bedeutung von Konzessiv-Partikeln wie obwohl, dennoch, trotzdem auch nur annähernd wiedergibt. Das ist nicht verwunderlich, denn deren Bedeutung ist unter dem die Logik interessierenden Aspekt der Wahrheitsfunktionalität keine andere als die des logischen und, also der Konjunktion. Die Bedeutungsspezifik der Konzessiv-Ausdrücke liegt aber gerade nicht in der Wahrheitsfunktionalität, sondern darin, daß sie das Naheliegen und damit die Erwartung einer Schlußbeziehung markieren und gleichzeitig besagen, daß diese Erwartung im vorliegenden Falle enttäuscht wird: Es handelt sich also mehr um eine pragmatische als um eine logische Relation. Diese Dissonanz zwischen dem — zumindest auf den ersten Blick — Naheliegenden und dem tatsächlich Geltenden schreit geradezu danach, argumentativ entschärft und/oder plausibel gemacht zu werden. In unserem Falle besteht die Dissonanz zwischen der Hauptposition der CDU/CSU (! Änderung des Artikels 16 GG), die es zunächst nahelegt, konsequent alles abzulehnen, was dieser Position nicht entspricht, und ihrem tatsächlichen Abstimmungsverhalten (Zustimmung zu einem Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz, das unterhalb der Schwelle der Grundgesetzänderung bleibt). Die argumentative Entschärfung der konzessiven Dissonanz erfolgt hier nach einem typischen Zwei-Schritt-Muster: Erstens gilt es, die Konzessivität selbst zu fundieren, d. h. das „Trotz" in der eigenen Zustimmung zu motivieren durch Einwände gegen die vorbehaltslose Pro-Argumentation der politischen Konkurrenz. So wendet sich die CDU/CSU gegen den Gesamtkomplex (Symbol Σ) der SPD/FDPArgumentation, deren Tenor lautet: Weil wir zur Entlastung der verschiedenen überforderten Behörden vor allem Vereinheitlichung der Zuständigkeiten, Verfahrensstraffung und Sammelunterkünfte benötigen, brauchen wir das ,Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz'. Der zentrale CDU/CSUEinwand dagegen besteht in Hinweisen auf die — angesichts der Zahlenentwicklung — unzureichende Wirksamkeit etlicher bisheriger rein verfahrenstechnischer Maßnahmen und auf den geringen Spielraum für wei-

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tere derartige Maßnahmen. Dieser Einwand stellt für die CDU/CSU gleichzeitig ein Pro-Argument für die Änderung des Art. 16 GG dar. Dies bedeutet eine zweite argumentative Verknüpfung des entsprechenden propositionalen Konzentrats. Zweitens gilt es, die Gründe anzuführen, die bestimmend dafür sind, der ungeliebten Position letztlich doch zuzustimmen. Das Hauptmotiv liegt für die CDU/CSU in der Tatsache, daß sich für die Grundgesetzänderung keine Zwei-Drittel-Mehrheit findet, in Kombination mit dem Grundsatz, daß es besser ist, wenigstens etwas zu tun als gar nichts zu tun — eine Variante des Topos von der Wahl des kleineren Übels. Aus eben diesen Gründen entscheidet sich die Unionsfraktion für die Zustimmung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, obwohl ihr rein verfahrenstechnische Maßnahmen höchst unzureichend erscheinen und obwohl sie im Prinzip an der Forderung einer Änderung des Art. 16 GG festhält. Die hier mit obwohl eingeleiteten Konzessiv-Argumente prallen an der durchschlagenden' Argumentation ab. In der Konzessiv-Relation findet eine dritte argumentative Verknüpfung des propositionalen Konzentrats ,Unzureichende Wirksamkeit bisheriger rein verfahrenstechnischer Maßnahmen und geringer Spielraum für weitere derartige Maßnahmen' statt. Daraus ergibt sich der Netzausschnitt (Abb. 3). Das gesamte Argumentationsnetz für die beiden Debatten enthält als Knoten 83 propositionale Konzentrate, die mit den in beiden Debatten vertretenen vier Hauptpositionen direkt oder indirekt vernetzt sind. Es ist hier leider nicht möglich, das Netzdiagramm abzubilden, das die ganze Breite und Tiefe des im Bundestag entfalteten Argumentationstableaus repräsentiert.10 Darum muß es hier genügen, unter verschiedenen inhaltlichen und methodischen Gesichtspunkten exemplarische Ausschnitte zu präsentieren. 2.2 Konkurrierende Hauptpositionen und Argumente erster Ordnung Die Knoten, die die politischen Hauptpositionen repräsentieren, sind besonders stark vernetzt. Ihrer Stützung oder Kritik dienen letztlich fast alle

10

Das vollständige Netzdiagramm liegt — für Vortragszwecke — als Satz aufeinander projizierbarer Farbfolien vor, bei dem jede Folie jeweils den Ausschnitt aus dem Netz repräsentiert, den eine Fraktion realisiert.

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Asyl-Diskurs Keine 2/3-Mehrheit f. Änderg. Art. 16 GG

Besser etwas zur Verfahrensbeschleunigung als gar nichts tun

! Änderung Art. 16 GG

Unzureichende Wirksamk. bisheriger rein verfahrenstechn. Maßnahmen u. geringer Spielraum f. weitere derartige Maßnahmen

Asylverf. -beschleunig.-gesetz ! _ » v. Zuständigk., Verfahrensstraffg., Sammelunterkünfte u. a. zur Entlastung Überforderter Behörden

Legende: a a ι b f c b -1a —»-c b λ a -+~c !

— a, deshalb c = a und b sind — in Kombination — Argument für c. = b ist Gegenargument gegen ,a, deshalb c\ = Obwohl b gilt, gilt c aufgrund von a. = Normative Einstellung zum propositionalen Gehalt = Argumentation der CDU/CSU = Argumentation der SPD

Abb. 3 Konzessiv-Argumente und Mehrfachverknüpfungen

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vorgebrachten Argumente. Die meisten der 83 Argumente-Knoten sind allerdings nicht unmittelbar mit den Hauptpositionen verknüpft, sondern mittelbar über andere Knoten, die ihrerseits Stützargumente oder Gegenargumente für Argumente höheren Grades repräsentieren. In diesem Abschnitt sollen die Hauptpositionen und nur die unmittelbar auf sie bezogenen Pro- und Contra-Argumente dargestellt werden, und zwar aus Gründen der Übersichtlichkeit als Listen. Hauptposition

1:\ Änderung Art. 16 GG (CDU/CSU)

Pro-Argumente: ! Abweisung von Asylbewerbern mittels Liste verfolgungsfreier Staaten ! Asylantragstellung vom Herkunftsland aus ! Abweisung von Asylbewerbern bei Einreise aus sicherem Drittstaat ! Europäische Asylrechtsharmonisierung mit Möglichkeit der Übernahme der Asylentscheidungen anderer EG-Staaten in der BRD ! Sicherung des Asylrechts für tatsächlich politisch Verfolgte Andere Situation (NS-Verfolgung) den Verfassern des Grundgesetzes vor Augen Hauptposition

2:! Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (SPD, FDP)

Pro-Argumente: ! Vereinheitlichung der Zuständigkeiten

11

Contra-Argumente:11 Hochrangigkeit des Freiheitsversprechens in Art. 16 GG (SPD, FDP) Hintergrund der deutschen Geschichte (SPD, Β 90, PDS) Unsere Verantwortung für die Situation in den Fluchtländern, vor allem in der Dritten Welt (B 90, PDS) Gegnerschaft der Ex-DDR-Bürgerrechtler zu Bürokratenmacht über Flüchtlinge und Notleidende (B 90) ! Europäisches Asylrecht nach Modell des Art. 16 GG (B 90)

Contra-Argumente: Unsere Verantwortung für die Situation in den Fluchtländern (B 90, PDS)

Bei den Contra-Argumenten ist jeweils vermerkt, von welcher Fraktion sie kommen.

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Asyl-Diskurs

! Verfahrensstraffung

! Sammelunterkünfte zur Erstaufnahme der Asylbewerber

Inhumanität von Sammelunterkünften (NS-Assoziationen) (B 90, PDS) Kriminalisierung der Asylbewerber durch erkennungsdienstliche Behandlung (B 90)

! Schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ! Sachleistungen statt Geld für Asylbewerber Überforderung der Bürger Hauptposition 3:! Einwanderungsgesetz für Zuwanderer aus wirtschaftlichen und familiären Gründen; Flüchtlingsgesetz für Flüchtlinge aus existentieller Not; Beihaltung von Art. 16 GG für politisch Verfolgte und dessen Übernahme durch die EG-Staaten Pro-Argumente: Deutschland ein Einwanderungsland ! Rechtsgleichheit bzw. Rechtsanspruch und Rechtssicherheit für Einwanderer ! Keine Abschottung Unsere Verantwortung für die Situation in den Fluchtländern Hauptposition

4:! Politik der offenen Grenzen (PDS)

Pro-Argumente: Völlige rechtliche und politische Gleichstellung der Ausländerinnen) mit den Deutschen Unsere Verantwortung für die Situation in den Fluchtländern

12

Contra-Argumente: Nichteignung des Asylrechts als Instrument der Entwicklungshilfe (CDU/CSU) Keine Bereitschaft anderer EGStaaten zur Übernahme des deutschen Asylrechts (CDU/CSU)

Contra-Argumente: 12 Ungeeignetheit unkontrollierter Zuwanderung zur Lösung der Probleme der Dritten Welt (B 90) Nichteignung des Asylrechts als Instrument der Entwicklungshilfe (CDU/CSU)

Zum beinahe vollständigen Ignorieren der Hauptpositionen von Bündnis 90/Grüne und PDS durch CDU/CSU, SPD und FDP siehe unter Abschnitt „Strategisches Ignorieren".

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2.3 Legitimationsmuster In den untersuchten Debatten betreiben die großen Fraktionen den meisten argumentativen Aufwand zur Rechtfertigung ihrer — in Anträgen oder Gesetzesentwürfen schriftlich vorgelegten — politischen Forderungen und Maßnahmen. In den folgenden Abschnitten sollen daher zunächst die Legitimationsargumentationen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Grüne analyisert werden 1 3 , und zwar — neben der Fokussierung auf die Argumentationsinhalte — zunächst mit Blick auf die formale Struktur und dann auf topische Muster. 2.3.1 Breiten- und Tiefenstaffelung: Die SPD-Argumentation Die Hauptpositionen werden nicht nur, wie im vorigen Abschnitt gezeigt, überwiegend durch eine Mehrzahl unmittelbar mit ihnen verknüpfter Argumente erster Ordnung gestützt oder angegriffen, d. h. nicht nur durch argumentative Breitenstaffelung, sondern auch durch Tiefenstaffelung. Argumente erster Ordnung werden also durch Argumente zweiter bis n-ter Ordnung gestützt. Das gilt vor allem für Pro-Argumentationen, d. h. für die Begründungen der jeweils eigenen Position. So werden die Begründungen der von SPD und FDP getragenen und von CDU/CSU widerwillig als Kompromiß mitgetragenen Hauptposition ,! Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz' seitens der SPD 1 4 von einer Argumentation mit einer hierarchischen Tiefenstaffelung von 4 Stützungsstufen und einer Breitenstaffelung von mindestens 4 Argumenten auf jeder Stützungsstufe gestützt — wobei allerdings die Mehrfachvernetzung einzelner Argumente die Rede von „Hierarchiestufen" nur mit Einschränkung zuläßt. Dabei ist zu beachten, daß sich die in Abb. 4 repräsentierte Gesamtstruktur aus der Analyse mehrerer, auf verschiedene Politiker bzw. Politikerinnen verteilter Debattenreden ergibt (s. o.). Die meisten Argumente werden zwar von allen oder mehreren Rednern vorgetragen, aber mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und Ausführlichkeit. Vor allem die

13

14

Die FDP-Argumentation pro Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wird hier wegen der hohen Übereinstimmung mit der SPD-Argumentation nicht dargestellt. Das zugrundeliegende Textmaterial enthält nur zwei PDS-Beiträge, beide von der Abgeordneten U. Jelpke. Beide Reden enthalten wenig Argumentation, sondern vor allem Negativ-Deutungen der Gegenpositionen. Von der SPD vorgetragene Argumentation wird durch gestrichelte Kanten ( ) symbolisiert.

Asyl-Diskurs

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Tiefenstaffelung der Argumentation wird erst sichtbar bei genauer Analyse sämtlicher Redebeiträge. Denn manchmal wird ein Argument niedriger hierarchischer Stufe direkt zur Stützung der Hauptposition oder eines Arguments erster Stufe verwendet — ohne Explikation der an anderer Stelle oder von einem anderen Redner vorgetragenen Zwischenstufen. An der Basis der SPD-Argumentation stehen 5 Argumente. Einem davon (Hohe und steigende Zahl von Asylbewerbern und anderen Zuwanderern) kommt ein besonderer Status zu, weil alle anderen Argumente dieser Stufe nur in Kombination — in logischer Terminologie: in Konjunktion — mit diesem Argument genutzt werden (Abb. 4). Der besonderen argumentationsstrukturellen Position der hohen und steigenden Zahl von Asylbewerbern und anderen Zuwanderern entspricht die Relevanz-Betonung durch H. Däubler-Gmelin, die Hauptrednerin der SPD: Unser Problem, meine Damen und Herren, ist die große Zahl derer, die kommen.

Zur Lösung bzw. Minderung dieses Problems führt sie dann aus: Wer sie senken will, der kann das nicht über das Asylrecht tun, übrigens auch nicht mit einer Grüridgesetzanderung. Die Zahl der Zuwanderer läßt sich nur senken, wenn es gelingt, die Ausreisegründe und die Fluchtgründe wirksam zu bekämpfen.

Wenn man diese Äußerung mit der Gesamtargumentation der SPD vergleicht, stößt man allerdings darauf, daß weder in der Argumentation zugunsten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (Abb. 4) noch in Passagen, die über dieses Thema hinausgehen, seitens der SPD Vorschläge und/oder Argumente zu der hier erhobenen Forderung nach wirksamer Bekämpfung der „Ausreisegründe und Fluchtgründe" entwikkelt werden. Wie Abb. 4 ausweist, konzentriert sich die SPD-Argumentation in den beiden Debatten nicht auf die Frage, wie die Zahl der Asylbewerber und anderer Zuwanderer zu senken oder deren Anstieg zu bremsen sei, sondern auf das Ziel, vor allem die Behördenapparate in die Lage zu versetzen, das „Problem" der „großen Zahl" verfahrenstechnisch zügiger und effektiver zu b e w ä l t i g e n . Ausgeblendet bleibt in der SPD-Argumentation die Frage, ob und wie sich diese Ziele bei weiter steigenden Zahlen realisieren lassen. Die R e d u z i e r u n g von Zahlen oder Zahlenanstieg bleibt Nebenthema: Abgesehen von Däubler-Gmelins unspezifizierter Forderung nach Bekämpfung der „Ausreisegründe und Fluchtgründe",

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