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German Pages 476 Year 2021
Avraham Siluk Die Juden im politischen System des Alten Reichs
bibliothek altes Reich
Herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal
Band 36
Avraham Siluk
Die Juden im politischen System des Alten Reichs Jüdische Politik und ihre Organisation im Zeitalter der Reichsreform
Zugleich leicht überarbeitete, gekürzte Fassung von: Marburg, Univ., Diss., 2019 unter dem Titel: Siluk, Avraham: „Die Juden im politischen System des Alten Reichs. Jüdische Politik und ihre Organisation im 16. Jahrhundert.“ Diese Publikation wurde unterstützt durch das Pro-Post-Doc-Programm des Forschungszentrums Historische Geisteswissenschaften an der Goethe Universität, Frankfurt am Main
ISBN 978-3-11-072347-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-072353-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-072356-4 ISSN 2190-2038 Library of Congress Control Number: 2021940721 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Supplikation Josels von Rosheim, in seiner Funktion als Befehlshaber der Reichsjudenschaft, an Kaiser Karl V. von 1548. Digitalisat aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Signatur: HHStAW, RHR, Jud. Misc. K 41,1, fol. 54. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Meiner wichtigsten Stütze und meiner liebsten Ablenkung, Daniela und Eyal
Vorwort Diese Arbeit ist das Ergebnis einer langjährigen und intensiven Beschäftigung mit der politischen Geschichte der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im 16. Jahrhundert. Konkret behandelt sie die Frage nach den Möglichkeiten einer oft angefeindeten und bedrohten religiösen Minderheit, sich unter den Bedingungen der frühneuzeitlichen Politik im Gefüge des alten Reichs politisch zu organisieren, ihre Anliegen vor den christlichen Obrigkeiten zu vertreten, die Gesetzgebung zu beeinflussen und für Sicherheit vor Verfolgungen und Vertreibungen zu sorgen. Die Studie wurde als Dissertation im Herbst 2019 vom Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg angenommen und für die Drucklegung gekürzt und leicht überarbeitet. „It takes a village to raise a child“, lautet ein afrikanisches Sprichwort, das hier zum Ausdruck bringen soll, dass wissenschaftliche Monografien nicht allein im isolierten Studienstübchen entstehen, sondern im intellektuellen Austausch mit anderen ihre Gestalt annehmen. Diesbezüglich gebührt mein herzlicher Dank folgenden Personen, die mich in der gesamten Promotionsphase in vielfältiger Weise unterstützt und zur Entstehung dieses Buches einen wichtigen Beitrag geleistet haben. An erster Stelle geht mein Dank an meinen Doktorvater, Prof. Dr. Christoph Kampmann, der diese Arbeit und ihren Verfasser hervorragend betreut und mit seiner fachlichen Expertise, seinen kritischen Nachfragen und wertvollen Anregungen zu ihrer Qualität enorm beigetragen hat. Weiterhin möchte ich meiner langjährigen Chefin und Zweitbetreuerin, Prof. Dr. Rebekka Voß danken, die mir sowohl die Tür zur Welt der Judaistik geöffnet als auch die eigene Bürotür immer offengehalten hat und mich stets mit kompetentem fachlichem Rat und großzügiger Förderung unterstützt hat. Durch ihre vortrefflichen Ideen konnte die Arbeit um einige Aspekte und Perspektiven bereichert werden. Herrn Prof. Dr. em. Wilhelm-Ernst Winterhager danke ich ganz herzlich dafür, dass er mir den Mut gemacht hat, dieses riesige wissenschaftliche Unterfangen in Angriff zu nehmen, und die Arbeit in der Anfangsphase mit ausgezeichnet und viel Engagement betreut hat. Der Text ist das wichtigste Werkzeug für Historiker*innen, um Ideen zu formulieren und Erkenntnisse zu vermitteln. Der Text meiner Arbeit wäre ohne die kritischen Kommentare sowie unzähligen Anregungen und Impulse, die ich von vielen Personen erhalten habe, zweifellos ein ganz anderer geworden. Mein großer Dank gilt insbesondere Dr. Julian Katz, Dr. Boris Queckbörner, Dr. Dirk Hainbuch, PD Dr. Elke Morlok, Patrick Kindervater, Dr. Jörn Christophersen, Dr. Christian Mühling, Karl-Ernst Kreutter sowie Anca Ilea und Ioana Moldovan, die das Korrektorat des finalen Manuskripts übernommen haben und die sprachliche https://doi.org/10.1515/9783110723533-002
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Vorwort
Qualität der Arbeit im letzten Bearbeitungsstadium immens gesteigert haben (für noch bestehende sprachliche Ungereimtheiten übernehme ich die volle Verantwortung). Genauso wichtig wie ihre Hilfestellung waren ihre Freundschaft, ihr offenes Ohr und ermutigendes Wort. Einen aufrichtigen Dank möchte ich denjenigen Personen und Institutionen aussprechen, die mich und meine Arbeit finanziell und ideell unterstützt haben. Zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben das Leo-Baeck-Fellowship-Programm und die Studienstiftung des Deutschen Volkes mit einem Promotionsstipendium, das es mir 2011‒2013 ermöglicht hat, mich ausschließlich auf meine Forschung zu konzentrieren. Die Studienstiftung und das Graduiertenzentrum der PhilippsUniversität Marburg haben mir zudem wichtige Archivaufenthalte in Wien, Jerusalem, Augsburg, Stuttgart und Karlsruhe ermöglicht. Das Schreibstipendium, das mir Rebekka Voß aus Mitteln des Lehrstuhls für Geschichte des deutschen und europäischen Judentums an der Goethe-Universität gewährt hat, war eine enorme Hilfe bei der Fertigstellung des Manuskripts. Schließlich wurde diese Publikation durch das Pro-Post-Doc-Programm des Frankfurter Forschungszentrums Historische Geisteswissenschaften großzügig finanziell unterstützt. Zum großen Dank verpflichtet bin ich den Mitarbeiter*innen am Haus-, Hof, und Staatsarchiv Wien, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Generallandesarchiv Karlsruhe, Hessischen Staatsarchiv Marburg, Hessischen Staatsarchiv Darmstadt, Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar, Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Augsburg, an den Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem und an der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Ihr Entgegenkommen und ihre kompetente Beratung waren bei der Suche nach den Quellen, auf denen meine Untersuchung beruht, stets hilfreich. Ich möchte ferner ganz herzlich den Herausgeber*innen der Schriftenreihe „bibliothek Altes Reich“, insbesondere PD Dr. Stephan Wendehorst, für die freundliche Aufnahme meiner Studie in ihre Reihe danken. Meinen Eltern, Esther und Yechiel Siluk und meinen Schwestern, Inbal Siluk und Ifat Leichter danke ich besonders herzlich für die Ermunterung und Unterstützung über die Jahre und aus der Ferne. Den größten Dank schulde ich jedoch meiner Frau, Daniela Kreutter, und unserem Sohn Eyal, die nicht nur die Geduld aufgebracht haben, sich meine ewigen Monologe über Josel von Rosheim, Karl V. und andere Protagonisten dieser Studie anzuhören, sondern mir auch stets zur Seite gestanden und mir die Kraft gegeben haben, meine Dissertation zum Abschluss zu bringen. Ihnen widme ich diese Arbeit. Marburg, im Juli 2021
Inhalt Vorwort
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Abkürzungsverzeichnis
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Perspektiven der Politikgeschichte der Juden in der Frühen Neuzeit: zur Einleitung 1 . Was ist eine frühneuzeitliche jüdische Politik und wie kann man sie 14 erforschen? . Politische Organisation im Zeichen der Evolution: zur Methodologie und zum Aufbau der Arbeit 23 32 . Zum Umgang mit den Quellen der Politikgeschichte der Juden
Zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich 40 . Der Rechtsstatus der Juden im Wandel der Zeit 41 . Wirtschaftsgeschichtliche und finanzielle Entwicklungen der deutschen Juden 46 . Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der 52 Juden . Jüdische Organisationsformen und die jüdische Führung an der 65 Schwelle zur Frühen Neuzeit . Die Unwahrscheinlichkeit der Organisation 78
Anfänge einer politischen Organisation? 81 . Pfefferkorns Agitation und die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit 83 .. Erste Versuche politischer Zusammenschlüsse 1509‒ 1510 87 111 .. Erste Erfolge und Selbstbehinderung 1513‒1516 .. Glück im Unglück: Der Vertreibungsversuch von 1515/ 16 116 . Organisation im Abseits 121 128 . Die Entstehung einer Organisation? Ein Zwischenfazit
X
Inhalt
Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation 133 . Der Machtwechsel im Reich 133 .. Die beginnende Reformation – Chancen für einen Neuanfang 134 christlich-jüdischer Beziehungen? .. Interim und Kaiserwahl – zwischen kolossalem Scheitern und ultimativem Erfolg jüdischer Politik 141 147 . Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation .. Der Reichsrabbiner – ein Test für den Zusammenhalt? 148 154 .. Das Reichsregiment .. Die Blutbeschuldigung von Pösing (Ungarn) 161 . Die (Un‐)Gewissheit der Organisation 167
170 Jüdische Politik zwischen Reich und Territorium I . Das Jahr 1530 als Herausforderung und Kristallisationspunkt für die 171 politische Organisation der Juden . Zwischen territorialer und Reichsorganisation 201 201 .. Entwicklungen auf Reichsebene .. Die territoriale Ebene 212 .. Zur Überwindung territorialer Schranken 239 . Zwischenfazit: Eine Reichsorganisation unter dem Eindruck der 244 Territorialisierung
Zwischen konfessionellen Fronten 247 . Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten 249 . Neue Herausforderungen in altem Gewand in katholischen Regionen 259 . Jenseits von Konfession und Territorium 268 . Die Überwindung der konfessionellen Gefahr? Jüdische Diplomatie im Zeichen einer pro-kaiserlichen Annäherung 278 306 . Konsolidierung, Institutionalisierung und Kaisernähe
Jüdische Politik zwischen Reich und Territorium II 310 312 . Auf dem Weg der Professionalisierung . Wirkung und Grenzen der kaiserzentrierten Politik der Juden 321 322 .. Der Kampf um wirtschaftliche Rechte 332 .. Das Ringen um Reisefreiheit im Reich . Jüdische Gemeinden und Individuen: Nutznießer der jüdischen Politik? 347 . Die (Dis‐)Funktionalität einer erfolgreichen Organisation 358
Inhalt
XI
Eine Organisation in Transformation? Jüdische politische Repräsentation nach dem Tod des Befehlshabers 363 367 . Tendenzen der Fortführung 380 . Tendenzen der Auflösung . Organisation ohne Zentrum 386
389 Fazit . Jüdische Politik im 16. Jahrhundert: Zusammenschau in umgekehrter 389 Chronologie . Geographische und kulturelle Aspekte frühneuzeitlicher jüdischer Politik 398
Quellen- und Literaturverzeichnis Anhang
446
Personenregister
458
406
Abkürzungsverzeichnis ADB AJS Review Aschkenas CAHJP FHKAW NÖ HA GJ GLA HHStAW Conf. Priv. Jud. misc. MEA RHR RK RRegB HStA Stuttgart HStAM HStAD HZ ISG Bmb. JA JwJ RS RSP JJLG Judaica
Allgemeine deutsche Bibliographie Association for Jewish Studies Aschkenas. Zeitschrift für die Geschichte und Kultur der Juden Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem Finanz- und Hofkammerarchiv Wien Niederösterreichische Herrschaftsakten Germania Judaica Generallandesarchiv Karlsruhe Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Confirmationes privilegiorum deutsche Expedition Judicialia miscellanea Mainzer Erzkanzlerarchiv Reichshofrat Reichskanzlei Reichsregisterbücher Hauptstaatsarchiv Stuttgart Hessisches Staatsarchiv Marburg Hessischen Staatsarchiv Darmstadt Historische Zeitschrift Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main Bürgermeisterbuch Juden Akten Juden wider Juden Reichssachen Ratsschlagungsprotokoll Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft Judaica. Beiträge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart LexMA Lexikon des Mittelalters MGWJ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums NDB Neue deutsche Bibliographie OGA Osiander Gesamtausgabe REJ Revue des Études Juives RTA Reichstagsakten JR jüngere Reihe StaAA Stadtarchiv Augsburg StaBi Augsburg Staats- und Stadtbibliothek Augsburg StAL Staatsarchiv Ludwigsburg ThHStAW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar WA Weimarer Ausgabe von Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe ZGJD Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland ZHF Zeitschrift für historische Forschung
https://doi.org/10.1515/9783110723533-003
1 Perspektiven der Politikgeschichte der Juden in der Frühen Neuzeit: zur Einleitung \ ?מי ימלל גבורות ישראל\ אותן מי ימנה הן בכל דור יקום הגיבור\ גואל העם Wer könnte die großen Taten Israels nacherzählen/ wer wird sie aufzählen?/ Denn in jeder Generation erhebt sich ein Held/ der Erretter des Volkes¹
Diese Strophe des wohl bekannten Chanuka-Liedes, das eine säkularisierte Variante der alttradierten jüdischen Vorstellung von Gottes Schutz für sein Volk darstellt², bringt ein Motiv zum Ausdruck, das in der Geschichtsschreibung des Historismus ein Gemeinplatz war: Große Männer machen die Geschichte.³ In der Forschung zu jüdischer Geschichte in der Frühen Neuzeit scheint die Suche nach diesen großen Männern zumindest teilweise noch bis heute fortzudauern. So scheint für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ein ‚Erretter des jüdischen Volkes‘ in der Person Josels von Rosheim gefunden worden zu sein. „Der Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“⁴ steht bislang nahezu allein im Zentrum des Forschungsinteresses zur politischen Geschichte der Juden in der Reichsgeschichte jenes Jahrhunderts.⁵ Die Judenschaft des Reichs, in
‚Mi jemalel‘ ist ein Chanuka-Kanon des zionistischen Dichters, Komponist und Musikwissenschaftlers Menashe Rabina, der im Palästina der 1930 Jahre verfasst wurde. Die erste Strophe des Liedes ist eine Anspielung auf Psalm 106:2: „Wer kann die großen Taten des HERRN ausreden und alle seine löblichen Werke preisen?“. Vgl. Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Band 1, Leipzig 1879, S. 28 und Thomas Carlyle: On Heroes, Hero-Worship, and the Heroic in History. Lecture 1: The Hero as a Divinity, ed. by Henry David Gray, New York u. a. 1906, S. 1‒40, hier S. 1. So lautet der Titel der Biografie von Selma Stern: Josel von Rosheim. Der Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Stuttgart 1959. Außer Sterns Studie gibt es eine große Zahl von Untersuchungen zu Josel von Rosheim, darunter vier Mongraphien: Chava Fraenkel-Goldschmidt: The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of Jewry in Early Modern Germany, übers. v. Naomi Schendowich, mit einer englischen Edition von Adam Shear [Studies in European Judaism, Bd. 12], Leiden – Boston 2006; Dies. (Ed.): Sefer ha-Miknah des Rabbi Joseph of Rosheim, Jerusalem 1970 ( =ספר המקנהHebr.: Buch des Erwerbs (von Weisheit (A.S.)); Ludwig Feilchenfeld: Josel von Rosheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland im Reformationszeitalter, Straßburg 1898, sowie der zweibändige historische Roman von Marcus Lehmann: Rabbi Joselmann von Rosheim. Eine historische Erzählung aus der Zeit der Reformation, Teil 1, Frankfurt am Main 1879 und Teil 2, Frankfurt am Main 1889. Neben den Monographien gibt es eine sehr große Anzahl an Aufsätzen zu https://doi.org/10.1515/9783110723533-004
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deren Namen Josel von Rosheim agierte, hat als eigenständiger politischer Akteur hingegen kaum Beachtung gefunden. Die große Aufmerksamkeit für Josel von Rosheim als politischer Akteur hat dazu geführt, dass der sogenannte jüdische ‚Befehlshaber‘ zu einer Ausnahmeerscheinung wurde, während die politische Rolle der Reichsjudenschaft⁶ ignoriert wurde. Damit wird das Bild von den Juden als grundsätzlich passiven Untertanen, die der Willkür ihrer Umwelt ausgeliefert waren⁷, impliziert, tradiert und bestätigt. Demgegenüber können allerdings zahlreiche Beispiele angeführt werden, bei denen die Juden z. T. hochkomplexe diplomatische Anstrengungen unternahmen, um ihre Rechte zu bewahren, Diskriminierungen zu verhindern und die Beendigung von Verfolgungen herbeizuführen. Selbst wenn dabei eine ‚Go‘el‘- beziehungsweise Erlöserfigur wie Josel von Rosheim an der ‚Frontlinie der Diplomatie‘ stand, verminderte dies nicht den Beitrag der restlichen, politischen Elite der Juden im Reich. Das Gegenteil ist der Fall: Die gemeinschaftlichen Organisationsstrukturen der Juden aus den verschiedenen Teilen Reiches machten Josels politisches Wirken überhaupt erst möglich. Die Vorstellung, dass ein einziger
Josel von Rosheim. Siehe z. B. Elisheva Carlebach: Between History and Myth: The Regensburg Expulsion in Josel of Rosheim’s Sefer Ha-Miknah, in: Dies. / John M. Efron/ David N. Myers (Hrsg.): Jewish History and Jewish Memory. Essays in Honor of Yosef Hayim Yerushalmi, New England 1998, S. 40‒53; Friedrich Battenberg: Josel von Rosheim, Befehlshaber der deutschen Judenheit, und die kaiserliche Gerichtsbarkeit, in: Jost Hausmann (Hrsg.): „Zur Erhaltung guter Ordnung“. Beiträge zur Geschichte von Recht und Justiz. Festschrift für Wolfgang Sellert zum 65. Geburtstag, Köln u. a. 2000, S. 183 – 224; Monique Ebstein: Joselmann de Rosheim, commandeur des juifs du saint empire romain Germanique (1478‒1554), in: Rolf Decot und Matthieu Arnold (Hrsg.): Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006, S. 117‒125 und Leonore Siegele-Wenschkewitz; Josel von Rosheim: Juden und Christen im Zeitalter der Reformation, in: Kirche und Israel 6,1 (1991), S. 3‒16. Vor allem die ‚Wissenschaft des Judentums‘ vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts befasste sich sehr oft mit Josel. Siehe z. B: Moritz Stern: Joselmann von Rosheim und seine Nachkommen, in: Zeitschrift für Geschichte der Juden in Deutschland (ZGJD) 3/1 (1889), S. 65‒74; Isidor Kracauer (Ed.): Josel(mann) von Rosheims Journal, in: Révue des Etudes Juives (REJ) 16 (1888), S. 84‒105; ders.: Procès de R. Joselmann Contre la Ville de Colmar, in: REJ 19 (1889), S. 282‒293 und Harry Breßlau: Aus Straßburger Judenakten, in: ZGJD 5/3 (1892), S. 307‒334.Vor Kurzem erschien auch François Guesnet: The Politics of Precariousness. Josel of Rosheim and Jewish Intercession in the Holy Roman Empire in the 16th Century, in: Jewish Culture and History 19,1 (2018), S. 8‒22. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei an dieser Stelle angemerkt, dass sich die Verwendung der Bezeichnungen Juden und Judenschaft in dieser Arbeit zwar auf die führende politische Elite aller Juden im Reich (v. a. Rabbiner und Gemeindevorsteher) beschränkt, dass diese Führungsschicht aber stellvertretend für und in aller Regel auch mit der Bevollmächtigung aller Juden im Reich agierte. Vgl. dazu die frühe Kritik über die tränenreiche (lachrymose) Geschichtsschreibung der Juden von Salo W. Baron: Ghetto and Emancipation, in: Menorah Journal 14 (1928), S. 515‒526.
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jüdischer Repräsentant allein für die Gestaltung der gesamten Politik aller Juden im Reich zuständig gewesen sei, kann zudem mit den Quellen nicht belegt werden. Vielmehr zeigt das Studium der Dokumente zur politischen Geschichte der Juden im Reich und insbesondere zu deren Kommunikation mit den christlichen Obrigkeiten, dass die Juden schon vor Josels ‚Debüt‘ auf der politischen Bühne Formen der gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit entwickelten, kollektive politische Entscheidungen trafen und diese auch erfolgreich ausführten. Auch während Josels Phase als politischer Akteur und nach seinem Tod lassen sich viele Belege für das Agieren der reichsweiten politischen Führungselite der Juden finden. Daher ist es die zentrale Aufgabe der vorliegenden Studie, die Strukturen und Formen des politischen Zusammenschlusses der Juden im 16. Jahrhundert sichtbar zu machen und dadurch die Politikgeschichte der Juden auf einer breiten Basis darzustellen. Die nähere Beschäftigung mit der politischen Organisation der Juden des Reichs lässt sich nicht zuletzt mit der Erkenntnis begründen, dass viele Historikerinnen und Historiker die Existenz der sogenannten ‚gemeinen Judenschaft‘ nicht nur als eine rechtliche Sammelbezeichnung aller jüdischen Gemeinden und Personen im Reich⁸ ansehen, sondern auch als eine wie auch immer strukturierte, politische Organisationsform anerkennen. Yacov Guggenheim hat beispielswiese festgehalten, dass es „[s]eit der Regierungszeit Karls V. […] eine offizielle Repräsentation und damit auch eine Organisation der Juden in Deutschland“ gegeben habe.⁹ Auch Friedrich Battenberg hat „Bestrebungen zu einer reichsweiten Organisation der Judenschaft“ zu Beginn des 16. Jahrhunderts festgestellt¹⁰ und Stefan Litt, der derartige Beurteilungen kritisch betrachtet, hat bekräftigt, dass
Vgl. v. a. Friedrich Battenberg: Die Privilegierung von Juden und Judenschaften im Bereich des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, in: Barbara Dölemeyer / Heinz Mohnhaupt (Hrsg.): Das Privileg im europäischen Vergleich, Band 1, Frankfurt am Main 1997, S. 139‒190. Rotraud Ries: Alte Herausforderungen unter neuen Bedingungen? Zur politischen Rolle der Elite in der Judenschaft des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, in: Sabine Hödl, Peter Rauscher und Barbara Staudinger (Hrsg.): Hofjuden und Landjuden. Jüdisches Leben in der Frühneuzeit, Berlin – Wien 2004, S. 91‒141, hier S. 101 verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die ältere „Forschung [..] sich [..] darin einig [war], dass es reichsweite Organisierungsformen der Juden weder im Mittelalter noch in der Frühen Neuzeit gegeben hat.“ Yacov Guggenheim: A suis paribus et non aliis iudicentur. Jüdische Gerichtsbarkeit, ihre Kontrolle durch die christliche Herrschaft und die obersten rabi gemeiner Judenschafft im heiligen Reich, in: Christoph Cluse, Alfred Haverkamp und Israel J. Yuval (Hrsg.): Jüdische Gemeinde und ihr christlicher Kontext in kulturräumlich vergleichender Betrachtung, 5.‒18. Jahrhundert [Forschungen zur Geschichte der Juden, Abtl. A, Bd. 13], Hannover 2002, S. 405‒440, hier S. 421. Vgl. Friedrich Battenberg: Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts [Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 60], München 2001, S. 23.
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„Ansätze [für eine solche Organisation] zu beobachten“ gewesen seien.¹¹ Am weitesten ging Selma Stern in ihrer Biographie über Josel von Rosheim, die in dessen Wahl zum Befehlshaber den konstituierenden ‚Schöpfungsakt‘ des politischen Zusammenschlusses aller jüdischen Gemeinden im Reich postulierte. Dieser Akt war ihrer Ansicht nach ein einzigartige[s] Ereignis in der Geschichte des deutschen Judentums […]. Weder vorher noch nachher haben die Juden des Reichs freiwillig ihr ängstlich gehütetes und sorgfältig bewahrtes Sonderleben in Gemeinden und Landjudenschaften aufgegeben, um sich zu einer, wenn auch losen Gemeinschaft zusammenzufinden.¹²
Trotz der vielfachen Feststellung der Existenz einer politischen Organisation der Juden befassten sich Historikerinnen und Historiker bisher nicht eingehend mit deren Entstehung, längerfristiger Entwicklung, Zusammensetzung, diplomatischen Operationsmustern, Interaktionen mit den Obrigkeiten und politischen Strategien. Bislang wurden in der Forschung lediglich vereinzelte und ganz bestimmte Aspekte jüdischen Lebens im Reich diskutiert und behandelt, die im Zusammenhang mit einer möglichen jüdischen politischen Organisation gesehen werden können. Eric Zimmer, der die Versammlungen von Rabbinern und Gemeindevorstehern vom Hohen Mittelalter bis zum Jahre 1603 untersucht hat¹³, stellt dabei ein hervorstechendes Beispiel für eine eher einseitige Betrachtung jüdischer politischer Organisationsformen dar. Obwohl er eine der wichtigsten Formen des politischen Zusammenschlusses der Juden durchleuchtet hat, war er weder an der Fähigkeit dieser Gremien, reichsweite und für alle beteiligten Gemeinden bindende Beschlüsse zu fassen, noch an deren politischer Funktion für die Juden im Reich interessiert.¹⁴ Auch in einer weiteren Studie über die Führung
Stefan Litt: Geschichte der Juden Mitteleuropas. 1500‒1800, Darmstadt 2009, S. 45, vgl. auch ebd. S. 54 f. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 74. Der Begriff der Judenschaft kann sich sowohl auf die Gemeinschaft aller Juden im Reich beziehen, oder als Synonym zu städtischen Gemeinden und territorialen Zusammenschlüsse – wie etwa die Landjudenschaften – verwendet werden. Eric Zimmer: Jewish Synods in Germany During the Late Middle Ages, New York 1978. Als Gegenbeispiele siehe z. B. Hayim Hillel Ben-Sasson: Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 2: Vom 7.‒17. Jahrhundert. Das Mittelalter, München 1979, S. 143 f., 151 f. und 153 f.; Louis Finkelstein: Jewish Self-Government in the Middle Ages, New York 1924, S. 60 f. und Heinrich Graetz: Geschichte der Juden.Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bd. 8:Von Maimunis Tod (1205) bis zur Verbannung der Juden aus Spanien und Portugal. Zweite Hälfte, 4. unver. Auflage, Berlin 1998 (Leipzig 1890), S. 425. Siehe auch Kap. 2.4. dieser Arbeit.
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der jüdischen Gemeinden im Reich thematisiert Zimmer nicht die reichsweite, politische Organisation, der diese Führung vorstand.¹⁵ Im Gegensatz zu Zimmer betonte Daniel J. Cohen die politische Funktion und Bedeutung von überregionalen Synoden von Rabbinern und Vorstehern verschiedener Gegenden, die sich jeweils zusammentaten, wenn es galt, über Dinge, die die gesamte jüdische Gemeinschaft in Deutschland betrafen, zu beraten und zu entscheiden, beziehungsweise Verordnungen zu erlassen.¹⁶
Dennoch belässt es auch Cohen hinsichtlich der Untersuchung einer möglichen Reichsorganisation bei einigen allgemeinen Aussagen. Sein Forschungsinteresse gilt stattdessen den Selbstverwaltungsorganen territorialer Judenschaften im 17. und 18. Jahrhundert.¹⁷ Dabei kann die Entstehung der von Cohen untersuchten Landjudenschaften bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurückverfolgt werden, wie noch gezeigt werden soll. Ein anderer Forscher, der die Versammlungen und die Führung der jüdischen Gemeinden im Reich untersuchte, war Arye Maimon. Obwohl Maimon sich nicht explizit mit der politischen Organisation der Juden befasste, konnte er einige wichtige Erkenntnisse über die Frühphase der politischen Zusammenschlüsse der Juden gewinnen.¹⁸ Vor allem die Schwierigkeiten der Judenschaften im Reich, gemeinsame Aktionen zu planen und umzusetzen, wurden von Maimon vorbildlich analysiert. Da er den anfänglichen Misserfolgen der Juden ein allzu großes Gewicht beimaß, kam er jedoch zur Schlussfolgerung, dass „der deutsche
Eric Zimmer: Leaders and Leadership of the Jewish-German Communities in the Sixteenth and Seventeenth Centuries (hebr.), in: Avraham Grossmann und Yosef Kaplan (Hrsg.): Kahal Israel. Jewish Self-Government in the History (hebr.), Bd. 2: Das Mittelalter und die Frühneuzeit, Jerusalem 2004, S. 261‒286. Daniel J. Cohen: Die Entwicklung der Landesrabbinate in den deutschen Territorien bis zur Emanzipation, in: Alfred Haverkamp (Hrsg.): Zur Geschichte der Juden in Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981, S. 221‒242, hier S. 224. Cohens größte Arbeiten haben die Landjudenschaften zum Thema. Vgl. Daniel J. Cohen: The Organization of the „Landjudenschaften“ in Ashkenaz in the Seventeenth and Eighteenth Centuries (hebr.), 3 Bände, Jerusalem 1968; ders.: Die Landjudenschaften in Deutschland als Organe der jüdischen Selbstverwaltung von der frühen Neuzeit bis ins neunzehnte Jahrhundert. Eine Quellensammlung, Band 1‒3, Göttingen 1996‒2001 und ders.: Die Landjudenschaften in Hessen-Darmstadt bis zur Emanzipation als Organe der jüdischen Selbstverwaltung, in: Christiane Heinemann (Hrsg.): Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben, Wiesbaden 1983, S. 151‒214. Siehe Arye Maimon: Tagungen von Judenschaften in Westdeutschland im frühen 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), S. 71‒82.
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und der jüdische Partikularismus [..] die Einheit des deutschen Judentums“ zerstört hätten.¹⁹ Ein weiterer Aspekt der politischen Organisation der Juden betrifft die politische Fürsprache bzw. ‚Schtadlanut‘, die das „Mittel der Kommunikation zwischen religiöser Minderheit und nicht-jüdischer Herrschaft“²⁰ darstellte. Die Schtadlanut hat eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit seitens der Forschung erfahren.²¹ Allerdings konzentrierte sich auch hier die Forschung entweder primär auf die Person Josels von Rosheim oder auf die Zeit nach dem 16. Jahrhundert, als die jüdische Interessenvertretung in den Händen einflussreicher jüdischer Hoffaktoren – bekannt auch als ‚Hofjuden‘ – lag.²²
Ebd. S. 82. Ein Jahr zuvor veröffentlichte Maimon einen Aufsatz über eine Episode, die im gleichen Zeitraum stattgefunden hatte und in der ebenfalls Erfolge der Judenschaft vorgekommen waren. Allerdings zog Maimon, offensichtlich keine Querverbindungen zwischen den zwei untersuchten Affären und übersah somit Entwicklungen im Bereich der jüdischen Zusammenarbeit. Vgl. Arye Maimon.: Der Judenvertreibungsversuch Albrechts II. von Mainz und sein Mißerfolg (1515/1516), in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 4 (1978), S. 199‒220. François Guesnet: Die Politik der ‚Fürsprache‘. Vormoderne jüdische Interessenvertretung, in: Dan Diner (Hrsg.): Synchrone Welten. Zeitenräume jüdischer Geschichte, Göttingen 2005, S. 67‒92, hier S. 67. Der Begriff steht für überreden, beeinflussen oder auch sich um etwas bemühen. Schtadlanut wird im modernen Sprachgebrauch auch als Lobbyismus bezeichnet. Siehe darüber Miriam Thulin: Art. „Shtadlanut“, in: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 5 (2014), S. 472‒477. Vergleich Guesnet: Politik der Fürsprache; ders.: Politics of Precariousness; Rotraud Ries: Politische Kommunikation und Schtadlanut der frühneuzeitlichen Judenschaft, in: Rolf Kießling (Hrsg.): Räume und Wege. Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300‒1800, Berlin 2007, S. 169‒190 und Thulin: „Shtadlanut“. Siehe z. B. Selma Stern: Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus. Ein Beitrag zur europäischen Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 2001; Britta Waßmuth: Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde. Soziale Beziehungen und Mentalitätswandel der Hofjuden in der kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim am Ausgang des Ancien Régime, Ludwigshafen 2005; Rotraud Ries und Friedrich Battenberg (Hrsg.): Hofjuden: Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert [Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. 25], Hamburg 2002. Es gibt zudem eine umfangreiche Forschungsliteratur zu einzelnen jüdischen Hoffaktoren. Siehe z. B.: Bernd Schedlitz: Leffmann Behrens. Untersuchung zum Hofjudentum im Zeitalter des Absolutismus, Hildesheim 1984; Harry B. van der Linden: Veitel Heine Ephraim. Hofjude Friedrichs II., Berlin 2013; Alexandra Przyrembel und Jörg Schönert (Hrsg.): „Jud Süß“. Hofjude, literarische Figur, antisemitisches Zerrbild, Frankfurt am Main 2006; Miriam Thulin: Jewish Families as Intercessors and Patrons: the Case of the Wertheimer Family in the Eighteenth Century, in: Jewish Culture and History 19.1 (2018), S. 39‒55; Joshua Teplitsky: A ‘Prince of the Land of Israel’ in Prague. Jewish Philanthropy, Patronage, and Power in Early Modern Europe and Beyond, in: Jewish History 29 (2015), S. 245‒271; ders.: Prince of the Press. How One Collector Built History’s Most Enduring and Remarkable Jewish Library, London 2019. Ausnahmen bilden Studien zu unbekannten jüdischen
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Eine wichtige Studie zu jüdischen Organisationsversuchen im Kontext der frühneuzeitlichen Politik ist der umfangreiche Aufsatz von Rotraud Ries, die die Frage nach der politischen Elite der Juden und den Begebenheiten, unter denen sie agierten, stellt.²³ Riesʼ lesenswerte Ausführungen berühren viele wichtigen Aspekte, die das politische Agieren der Juden im Reich betrafen und beeinflussten. Da ihr Aufsatz jedoch einen Überblick über einen sehr großen Zeitraum darstellt, finden sich darin keine ausführlichen Analysen der jüdischen Organisationsbestrebungen bzw. -formen. Zudem behandelt Ries nicht die jüdischen Interaktionen mit Reichsinstitutionen und -obrigkeiten, die eine der zentralen Komponenten der jüdischen Politik in der Frühen Neuzeit ausmachten. Dadurch bleiben viele Fragen im Zusammenhang der politischen Geschichte der Juden im Reich offen. Zwar wendet sich Rotraud Ries in einem späteren Aufsatz genau diesem Problembereich zu und thematisiert die politische Kommunikation der Juden als einen zentralen Bestandteil der jüdischen Interessenvertretung in der Frühen Neuzeit.²⁴ Ihre wertvollen Ausführungen beschränken sich jedoch auf theoretische Überlegungen und bieten somit keine Analyse von Fällen konkreter Ausgestaltung der jüdischen Politik. Überhaupt zeichnen sich Forschungen zur politischen Geschichte der Juden häufiger dadurch aus, dass sie kaum umfassende Analysen der politischen Aktionsmuster der Juden, der jüdischen Reaktionen auf herrschaftliches Handeln und der Interaktionen zwischen Juden und Herrschern vornehmen. Wenn die soeben genannten Sachverhalte in der Forschung thematisiert werden, dann geschieht dies meist anhand vereinzelter Beispiele.²⁵ Eine andere HerangehensWortführern: Rebekka Voß: „Habe die Mission treu erfüllt und begehre meinen Lohn darum“. Amt, Funktion und Titel des Shtadlan und ihre Wahrnehmung in der Frühneuzeit, in: Birgit E. Klein/Rotraud Ries (Hrsg.): Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente frühneuzeitlicher Juden in Aschkenas. Beispiele, Methoden und Konzepte, Berlin: Metropol 2011, 139 – 166; Wolfgang Treue: Zwei hessische Diplomaten. „hauptleut“ und „vorgänger“ im 16. Jahrhundert, in: Kalonymos 12 (2009), Heft 4, S. 1‒4; Avraham Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten vor christlichen Gerichten. Implikationen und Komplikationen jüdischer Normen, in: Aschkenas 23 (2013), S. 151‒ 181. Ries: Herausforderungen. Dies.: Politische Kommunikation. Bei Ausnahmen handelt es sich meist um Arbeiten zu bestimmten Territorien, die nur in manchen Fällen übergreifende Aussagen anstreben. Siehe z. B. Johannes Mordstein: daß wür ebenfahlß Eur Hochgräffliche Excellenz gehorsame unterthanen seint. Partizipation von Juden an der Legislationspraxis des frühmodernen Staates am Beispiel der Grafschaft Oettingen 1637‒1806, in: Kießling u. a. (Hrsg.): Räume und Wege, S. 79‒106; Rotraud Ries: Jüdisches Leben in Niedersachsen im 15. und 16. Jahrhundert [Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 35], Hannover 1994, S. 356‒359 und 376‒380; Doreen Levermann: Supplizieren jüdischer Untertanen in Preußen. Auf der Grenze zwischen Selbst- und
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weise an das Thema der jüdischen Politik bildet die Studie von Yosef Hayim Yerushalmi. In einem Überblick der gesamten jüdischen Geschichte in der Diaspora formulierte Yerushalmi die These von der hierarchischen Orientierung der jüdischen Politik und deren Fokus auf die höchsten Herrschaftsträger. Dies bezeichnet er als ‚Königbündnis‘ aufgrund der angestrebten Nähe zum Monarchen.²⁶ Da seine Ausführungen aber die ‚longue durée‘ von der Antike bis in die Zeit des Nationalsozialismus behandeln und zudem einen sehr weiten geografischen Raum erfassen, müssen seine Thesen für die Reichsterritorien und für die Frühe Neuzeit noch durch Detailstudien wie die vorliegende Untersuchung überprüft werden. Insgesamt ist die politische Geschichte der Juden in der Frühen Neuzeit noch wenig erforscht. Dies gilt insbesondere für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Selbst dort, wo explizit von jüdischer Politik die Rede ist, sind entweder die politische Ideengeschichte bzw. die jüdischen Denker²⁷ gemeint, oder die „Politik innerhalb der jüdischen Gesellschaft(en) und ihre v. a. normativen Grundlagen“.²⁸
Fremddarstellung (1648‒1812), in: Klein/Ries (Hrsg.): Selbstzeugnisse, S. 185‒21; sowie Eva Wiebel: Korporative Modelle in der Selbst- und Fremddarstellung der jüdischen Gemeinde Breisachs im 17. und 18. Jahrhundert, in: ebd. S. 215‒234; Voß: „Habe die Mission“; Wolfgang Treue: Diener dreier Herren. Möglichkeiten und Unmöglichkeiten jüdischen Lebens in der frühen Neuzeit, in: Frank G. Hirschmann und Gerd Mentgen (Hrsg.): Campana pulsante convocati. FS anläßlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp, Trier 2005, S. 563‒597. Yosef Hayim Yerushalmi: „Diener von Königen und nicht Diener von Dienern“. Einige Aspekte der politischen Geschichte der Juden, München 1995. Dieser umfangreiche Aufsatz basiert auf einen Vortrag in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, den Yerushalmi im Oktober 1993 hielt. Charakteristisch dafür ist die Zeitschrift „Hebraic Political Studies“, die zwischen 2005 und 2009 erschien. Die absolute Mehrheit der Aufsätze in dieser Zeitschrift befasste sich mit Arbeiten zur politischen Theorie und Philosophie jüdischer Denker. Siehe zudem die Aufsätze in Richard Cohen u. a. (Hrsg.): Jewish Culture in Early Modern Europe. Essays in Honor of David B. Ruderman, Pittsburgh 2014, darin v. a. Benjamin Fisher: For God and Country. Jewish Identity and the State in Seventeenth-Century Amsterdam, S. 50‒62. Schließlich siehe Bernard Dov Cooperman (Hrsg.): Jewish Thought in the Sixteenth Century [Harvard Judaic Texts and Studies, Bd. 2], Cambridge 1983. Ries: Politische Kommunikation, S. 169. Siehe z. B. Arbeiten, die sich auf die Frage der Autonomie und Selbstverwaltung konzentrieren: Eric Zimmer: Harmony and Discord. An Analysis of the Decline of Jewish Self-Government in 15th Century Europe, New York 1970; Stefan Rohrbacher: Medinat Schwaben. Jüdisches Leben in einer süddeutschen Landschaft in der Frühneuzeit, in: Rolf Kießling (Hrsg.): Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches [Colloquia Augustana, Bd. 2], Berlin 1995, S. 80‒109; Ders.: Organisationsformen der süddeutschen Juden in der Frühneuzeit, in: Robert Jütte und Abraham P. Kustermann (Hrsg.): Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, Wien 1996, S. 137‒ 150; Jorg Deventer: Organisationsformen der Juden in einem nordwestdeutschen Duodezfürs-
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Letzteres gilt auch für Arbeiten im Rahmen der ‚Jewish political studies‘, die Organisationsformen der jüdischen Politik überzeitlich und ohne eine Rückbindung an die jeweiligen soziopolitischen Rahmenbedingungen betrachten, in denen sie sich notwendigerweise formieren und bewegen mussten.²⁹ Die theoretischen Überlegungen dieser Forschungsrichtung zur ‚Jewish political tradition‘ brachten daher nur abstrakte Aussagen und Konzepte hervor, die für die Analyse des Gegenstandes dieser Arbeit kaum Erkenntnisgewinne versprechen.³⁰ Insgesamt fällt ein eklatantes Defizit der Forschung ins Auge, wenn man nach einer Politikgeschichte der Juden fragt, welche die Juden als integrierte Akteure im jeweiligen politischen System und ihre vielfältigen Partizipationsformen am politischen Geschehen analysiert. Das ‚Agens‘ der Juden wird somit implizit negiert. Ähnlich problematisch verfuhr die ältere Rechtsgeschichte der Juden. Diese Forschungsrichtung befasste sich vorwiegend mit Rechtsnormen und Gesetzestexten zum ‚Judenrecht‘ im Reich und vermeinte, daraus Schlüsse und Erkenntnisse über die soziale und politische Lebenssituation der Juden ziehen zu können.³¹ Dabei
tentum der Frühen Neuzeit, in: ebd., S. 151‒172; Friedrich Battenberg: Die jüdischen Gemeinden und Landjudenschaften im Heiligen Römischen Reich. Zwischen landesherrlicher Kontrolle und Autonomie, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.): Selbstverwaltung in der Geschichte Europas in Mittelalter und Neuzeit. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 10. bis 12. März 2008 [Der Staat, Beiheft 19], Berlin 2010, S. 101‒136; Finkelstein: Jewish Self-Government und Andreas Gotzmann: Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit. Recht und Gemeinschaft im deutschen Judentum [Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. 32], Göttingen 2008. Vgl. z. B. Daniel J. Elazar und Stuart A. Cohen (Hrsg.): Jewish Political Organization. The Jewish Polity from Biblical Times to the Present, Bloomington 1985; Michael Walzer, Menachem Lorberbaum and Noam J. Zohar (Hrsg.): The Jewish Political Tradition,Volume 1: Authority, New Haven 2000 und Volume 2: Membership, New Haven 2003; Daniel J. Elazar: Kinship & Consent. The Jewish Political Tradition and Its Contemporary Uses, New Brunswick 19972, S. XV‒XXXVII und Moshe Hellinger (Hrsg.): Jewish Political Tradition throughout the Ages. In Memory of Daniel J. Elazar [Hebr.], Ramat-Gan 2009/2010. Noch problematischer erscheint der Versuch, eine überzeitliche (internationale) jüdische Außenpolitik zu entwerfen. Siehe Shmuel Sandler: Toward a Theory of World Jewish Politics and Jewish Foreign Policy, in: Hebraic Political Studies 2,3 (2007), S. 326‒360, der „patterns of international behavior in the foreign policy of the Jews“ identifizieren wollte und zwar ausdrücklich ohne Begrenzung auf einer „particular time or place.“ Ebd. S. 328. Eine nuanciertere Analyse bietet die Studie von David Biale: Power and Powerlessness in Jewish History, New York 1986. Dies ist vermutlich auch der Grund für die magere Rezeption dieser Forschungsrichtung. Der Versuch, diese Forschungsrichtung zu verstetigen, indem man 2004 die Zeitschrift „Jewish Political Studies Review“ gründete, endete nur wenige Jahre später 2009 mit der Einstellung der Zeitschrift. Vgl. z. B. Otto Stubbe: Die Juden in Deutschland während des Mittelalters in politischer, socialer und rechtlicher Beziehung, Braunschweig 1866; Guido Kisch: Ausgewählte Schriften,
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wurden aber die konkrete juristische Praxis und somit auch die Rolle der Juden als aktiv Handelnde im Rechtssystem des Heiligen Römischen Reiches ignoriert. Erst die Hinwendung ‚von den Rechtsnormen zur Rechtspraxis‘ in der jüdischen Geschichte ermöglichte es, die von der älteren Forschung gemachten Aussagen zu überprüfen.³² Bislang hat dieser Paradigmenwechsel weitreichende Erkenntnisse über die Juden als Akteure vor Gericht und über ihren Platz in der Rechtsordnung sowie in der Rechts- und Gerichtskultur des Reiches erbracht³³, womit ein wichtiger Beitrag zur Integration der jüdischen Geschichte in die allgemeine Reichsgeschichte geleistet wurde. Auf der politischen Ebene fehlen hingegen noch ähnliche Studien. Zwar sollen hier weder die enorme Bedeutung des Rechts im Bereich der frühneuzeitlichen Politik – waren doch beide Bereiche im 16. Jahrhundert nahezu
Bd. 1: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters. Nebst Bibliographien, Sigmaringen 19782 und Bd. 2: Forschungen zur Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Juden. Mit einem Verzeichnis der Schriften von Guido Kisch zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden, Sigmaringen 1979; Dietmar Willoweit: Die Rechtsstellung der Juden, in: Germania Judaica, Bd. III.3; Sabine Frey: Rechtschutz der Juden gegen Ausweisungen im 16. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1983 und die Forschungen von Friedrich Battenberg: Des Kaisers Kammerknechte. Gedanken zur rechtlich-sozialen Situation der Juden im Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: HZ 245 (1987), S. 545‒599; Ders.: Privilegierung; Ders.: Von der Kammerknechtschaft zum Judenregal. Reflexionen zur Rechtsstellung der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich am Beispiel Johannes Reuchlins, in: Sabine Hödl u. a. (Hrsg.): Hofjuden und Landjuden. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit, Berlin 2004, S. 65‒90. Vgl. dazu Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst: Von den Rechtsnormen zur Rechtspraxis: Ein neuer Zugang zur Rechtsgeschichte der Juden im Heiligen Römischen Reich?, in: Aschkenas. Zeitschrift für die Geschichte und Kultur der Juden, 11/1 (2001), S. 39‒58; Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst: Zwischen Kaiser, Landesherrschaft und Halacha: Zwischenräume als jüdische Rechts- und Handlungsspielräume, in: Dieselben (Hrsg.): Juden im Recht. Neue Zugänge zur Rechtsgeschichte der Juden im Alten Reich [ZHF, Beiheft 39], Berlin 2007, S. 1‒10. Siehe z. B. zu den Juden in Frankfurt am Main Verena Kaspar Marienberg: „vor Euer Kayserlichen Mayestät Justiz-Thron“. Die Frankfurter jüdische Gemeinde am Reichshofrat in josephinischer Zeit (1765‒1790) [Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Bd. 19], Innsbruck 2012. Siehe außerdem Barbara Staudinger: Juden am Reichshofrat. Jüdische Rechtsstellung und Judenfeindschaft am Beispiel der österreichischen, böhmischen und mährischen Juden 1559 – 1670. Diss. masch., Wien 2001; André Griemert: Jüdische Klagen gegen Reichsadelige. Prozesse am Reichshofrat in den Herrschaftsjahren Rudolfs II. und Franz I. Stephan [Bibliothek Altes Reich, Bd. 16], München 2015 und weitere Beispiele in: Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst (Hrsg.): Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte [Bibliothek Altes Reich, Bd. 7], München 2013 sowie in: Dieselben: Juden im Recht.
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untrennbar miteinander verschränkt³⁴ – noch die politischen Implikationen von rechtlichen Prozessen und Handlungen geleugnet werden. Trotz dieser Interdependenzen zwischen dem Rechts- und Politiksystem im frühneuzeitlichen römisch-deutschen Reich muss festgehalten werden, dass der Rechtsweg zwar in bestimmten Fällen durchaus politisch sein konnte, die Justiznutzung³⁵ aber nicht per se politisch war. So gleichen das Auftreten und die Handlung vor einem Gericht nicht einer Planung und Umsetzung einer politischen Aktion, wo die Interessen und Kalküle der am Prozess der Entscheidungsfindung beteiligten Herrschaftsträger eventuelle rechtliche Bedenken meist überwogen. Jüdische Versuche der Einflussnahme von sie betreffenden Rechtskodifizierungsvorgängen waren daher zwangsläufig politisch. Sie konnten nur über eine direkte Interaktion mit den Trägern der politischen Herrschaft erfolgen, die nicht zuletzt über die Macht verfügten, das Recht zu gestalten. Diese Interaktionen sollen mitunter auch deswegen als politisch – im Sinne der ‚Kunst des Möglichen‘³⁶ – angesehen werden, weil die Juden von herrschaftlichen Entscheidungsfindungsprozessen offiziell ausgeschlossen waren. Ihre Partizipationsmöglichkeiten an der Politik liefen aus der Position der relativen Machtlosigkeit und meist über den Umweg der Gesuche und Gravamen und nicht über eine direkte Teilnahme. In der hochkomplexen rechtlichen Situation im Reich, wo verschiedene Rechtslagen und -traditionen nebeneinander existierten, sowie einander überlappen, ergänzen aber auch widersprechen konnten³⁷, erforderte daher
Eigentlich gilt diese Aussage für praktisch alle Epochen der Geschichte. Aus diesem Grund analysiert Niklas Luhmann die Beziehung zwischen dem Rechts- und Politiksystem als eine ‚strukturelle Kopplung‘.Vgl. Niklas Luhmann: Operational Closure and Structural Coupling. The Differentiation of the Legal System, in: Cardozo Law Review 13 (1992), S. 1419‒1434; Ders.: Wie ist Bewusstsein an Kommunikation beteiligt?, in: Ders: Soziologische Aufklärung, Bd. 6: Die Soziologie und der Mensch, Wiesbaden 1995, S. 37‒54; Ders.: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Darmstadt 2002, S. 29 ff., 38 ff. und 163 ff.; Ders.: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt am Main 1997, S. 92 ff. und 100 ff., und Bd. 2, S. 779 ff.; Ders.: Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000, Kapitel 10. Vgl. dazu Martin Dinges: Justiznutzungen als soziale Kontrolle in der Frühen Neuzeit, in: Andreas Blauert und Gerd Schwerhoff (Hrsg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozialund Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 503‒544, der auch die Bedeutung der Justiznutzung zum Staatsbildungsprozess thematisiert. Diese Formulierung wird in der Literatur meist Otto von Bismarck zugeschrieben. Sie wurde aber auch von renommierten Wissenschaftlern wie dem deutschen Philosophen Helmut Plessner verwendet. Siehe z. B. Norbert Axel Richter: Grenzen der Ordnung. Bausteine einer Philosophie des politischen Handelns nach Plessner und Foucault, Frankfurt am Main 2005, S. 174 und 238. Stefan Ehrenpreis: Wissen über Juden und Judentum in der politischen Öffentlichkeit des Alten Reichs, in: Mitteilungen des Sonderforschungsbereichs 573, I (2010), S. 7‒13. Siehe außer-
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die politische Partizipation genaue Kenntnisse der jeweiligen Rechtssituation, politischen Konstellation sowie der Herrschaftsverhältnisse und -interessen. Zudem war die Rechtslage im Reich einem stetigen Wandel durch Aushandlungsprozesse auf der Ebene der Politik ausgesetzt. Dies galt im frühen 16. Jahrhundert umso mehr, als die Reichsreform, die Herausbildung von Territorialstaatlichkeit und die konfessionellen Auseinandersetzungen zu einer Beschleunigung von Rechtskodifizierungsprozessen und zu häufigen Veränderungen im politischen System des Reichs führten. Hatten sich die Juden schon immer einen Handlungsspielraum innerhalb der bestehenden Rechtsordnung erkämpfen müssen, ergaben sich für sie durch die rapiden Veränderungen nun sowohl Chancen als auch Hindernisse und Risiken hinsichtlich der Gestaltung ihrer politischen Aktionen und Vertretung. Für die jüdische Geschichte gibt es bislang nur wenige Studien, die die Rolle von Juden in politischen Aushandlungsprozessen um Rechte und Freiheiten umfassend darstellen.³⁸ Diese Studien stehen jedoch eher im Kontext der Landesund Lokalgeschichte als im Zusammenhang der allgemeinen Reichsgeschichte und lassen sich der zweiten – neben der Rechtsgeschichte – dominanten Tendenz der Forschung zur jüdischen Geschichte in der Frühen Neuzeit zuordnen, nämlich der landesgeschichtlichen Historiographie. Studien, die aus dieser Perspektive betrieben werden, prägen seit den 1980er Jahren die Forschungslandschaft stark und erzeugen dabei eine Tendenz zur ‚Territorialisierung‘ der jüdischen Geschichte.³⁹ Die Zahl dieser Arbeiten ist mittlerweile derart umfangreich gewor-
dem Ders.: Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte. Eine thematische Einführung, in: Ders., Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst (Hrsg.): Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte, München 2013, S. 9‒18. Siehe z. B. Johannes Mordstein: Selbstbewusste Untertänigkeit. Obrigkeit und Judengemeinden im Spiegel der Judenschutzbriefe der Grafschaft Oettingen 1637‒1806 [Quellen und Darstellungen zur jüdischen Geschichte Schwabens, Bd. 2], Eppendorf/Neckar 2005; Ders: Partizipation von Juden und Debra Kaplan: Beyond Expulsion. Jews, Christians, and Reformation Strasbourg, Stanford 2011, bes. Kap. 3 und 4, S. 49‒92. Es muss an dieser Stelle konstatiert werden, dass die regionale bzw. territoriale Geschichtsschreibung durch zwei Faktoren besonders begünstigt wurde. Zum einen hat die Forschung zur jüdischen Geschichte nach der nationalsozialistischen Herrschaft die Epoche der Frühen Neuzeit lange Zeit vernachlässigt und erhielt erst durch die Errichtung diverser Institute für Landesgeschichte in den verschiedenen Bundesländern finanzielle und institutionelle Unterstützung zur Erforschung der jeweils ’eigenen’ jüdischen Geschichte. Zum anderen hängt diese Entwicklung mit der Struktur der Archivlandschaft in Deutschland, die im Gegensatz zu Frankreich, England oder den USA kein zentralisiertes, sondern ein föderales, nach Bundesländern gegliedertes Archivwesen aufweist.
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den⁴⁰, dass eine kohärente Gesamtschau der rechtlichen, politischen und sozialen Lebenssituationen der Juden im Reich nur in groben Zügen erzielt werden kann.⁴¹ Aufgrund der lange dominierenden lokal- oder regionalgeschichtlichen Perspektive erscheint ein Großteil der Forschung zur jüdischen Geschichte im Reich entweder ähnlich atomisiert wie die jüdische Siedlungsstruktur am Ausgang des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, oder rein territorial organisiert wie im 17. und 18. Jahrhundert. Eine jüdische Geschichte auf Reichsebene wird dadurch praktisch negiert. Diese Problematik ist aber nicht neu: Bereits 1989 hat Ronnie Po-chia Hsia bemerkt, dass die vielen räumlich an Territorien und Bundesländern gebundenen Untersuchungen „zwar einen detaillierten längsschnittartigen Überblick der Geschichte einzelner jüdischer Gemeinden“ bieten; sie lassen jedoch „oft die überterritorialen Verbindungen der Juden im Reich außer acht(!)“.⁴² Die Forschung zur jüdischen Geschichte im 16. Jahrhundert ist besonders von den beiden beschriebenen Forschungstendenzen betroffen. Die Beschäftigung der Forschung mit normativen Quellen wie jüdischen Privilegien und landesherrlichen Judenordnungen vernachlässigte die Entstehungsprozesse dieser Rechtsdokumente und vor allem das jüdische Engagement im Vorfeld dieser
Beispiele für landesgeschichtliche Historiographie zur jüdischen Geschichte sind: Rotraud Ries: Jüdisches Leben in Niedersachsen, Stefan Lang: Ausgrenzung und Koexistenz. Judenpolitik und jüdisches Leben in Württemberg und im „Land zu Schwaben“ (1492‒1650), Ostfildern 2008, Stefan Litt: Juden in Thüringen in der frühen Neuzeit (1520‒1650) [Veröffentlichungen der historischen Kommission für Thüringen, Bd. 11], Köln 2003, Kathrin Geldermans-Jörg: „Als verren unser geleitget“. Aspekte christlich-jüdischer Kontakte im Hochstift Bamberg während des späten Mittelalters, Hannover 2011; Christian Scholl: Die Judengemeinde der Reichsstadt Ulm im späten Mittelalter. Innerjüdische Verhältnisse und christlich-jüdische Beziehungen in süddeutschen Zusammenhängen, Hannover 2012, Gerd Mentgen: Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsass, Hannover 1995, Rolf Kießling (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit [Colloquia Augustana, Bd. 10], Berlin 1999, Sabine Ullmann: Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650 – 1670 [Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Band 151], Göttingen 1999 und selbstverständlich die Bände des in Trier angesiedelten Großprojekts „Germania Judaica“. Hier v. a. die bereits erschienenen Bände 3/1‒3/3 zu den Jahren 1350‒1519 und 4/2 zur Landgrafschaft Hessen-Marburg 1520‒1650, Tübingen 1987‒2009. Siehe z. B. Battenberg: Juden in Deutschland, Ders.: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, 2 Bde., Darmstadt 20002, Stefan Litt: Geschichte. Ronnie Po-Chia Hsia: Die Juden im Alten Reich. Forschungsaufgaben zur Geschichte der Juden im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Georg Schmidt (Hrsg.): Stände und Gesellschaft im Alten Reich [Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 29], Stuttgart 1989, S. 211‒221, hier S. 211.
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Gesetzgebungsvorgänge. So erhielt der Reichshofrat, der in der Forschung v. a. in seiner Funktion als ein gerichtliches Organ untersucht wird, nicht genug Aufmerksamkeit in seiner Funktion als ein Exekutivorgan, vor dem sich die jüdische Politik sehr häufig entfaltete.⁴³ Die Landesgeschichtsschreibung zum frühen 16. Jahrhundert konzentrierte sich mehr auf die Lebensumstände der Juden als auf ihre politische Agency und befasste sich mit interkommunalen und überterritorialen Verbindungen der Judenschaften nur punktuell. In aller Regel wurden derartige innerjüdische politische Beziehungen ausschließlich an der Person Josels von Rosheim festgemacht, der in der Fachliteratur auf diese Weise zur alleinigen Kohäsionsfigur der Reichsjudenschaft avancierte.⁴⁴ Somit lässt sich der Bogen zurück zur anfänglich dargestellten Problematik schlagen: Es gibt noch keine Politikgeschichte der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in der Frühen Neuzeit, die über die Beschreibung der Taten außergewöhnlicher Personen hinausreicht. Die vorliegende Studie beabsichtigt, einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke zu leisten.
1.1 Was ist eine frühneuzeitliche jüdische Politik und wie kann man sie erforschen? Die Erforschung der jüdischen Politik im frühneuzeitlichen römisch-deutschen Reich ist ein weites und facettenreiches Thema und erfordert daher eine klare Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes. Eine erste Eingrenzung kann anhand der Definition des Politikbegriffs erfolgen. Es soll hier ein engerer Politik Womöglich trug zu dieser Tendenz die Tatsache bei, dass der Reichshofrat vor 1559 nicht als eine gerichtliche Instanz organisiert war. Aus diesem Grund grenzten ältere Arbeiten ihre Untersuchung des Reichshofrats zwischen den Jahren 1559 und 1806 ein. Vgl. Lothar Gross: Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559 bis 1806 [Inventare des Wiener Haus-, Hofund Staatsarchiv, Bd. 5], Wien 1933; Oswald von Gschliesser: Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 – 1806, Wien 1942. Dem sogenannten ordo consilii vom 18. August 1550 wurde hingegen weniger Bedeutung bei der Konstituierung des Reichshofrats als Gericht beigemessen. Vgl. Wolfgang Sellert: Die Ordnungen des Reichshofrats 1550‒1766, 1. Halbbd. bis 1626 [Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 8/1], Köln – Wien 1980. Siehe außerdem Stefan Ehrenpreis: Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576‒1612 [Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 72], Göttingen 2006 und Sabine Ullmann: Geschichte auf der langen Bank. Die Kommissionen des Reichshofrats unter Kaiser Maximilian II. (1564‒1576) [Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs, Bd. 18], Mainz 2006, sowie Griemert: Jüdische Klagen und Kaspar Marienberg: „vor Euer Kayserlichen Mayestät Justiz-Thron“. Siehe z. B. Lang: Ausgrenzung, S. 84‒94 und 155‒160.
1.1 Was ist eine frühneuzeitliche jüdische Politik
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begriff zugrunde gelegt werden, der Politik als ein (Funktions‐)System mit mehr oder weniger klaren, dennoch wandelbaren Strukturen, Institutionen, Verfahrensweisen und Akteuren versteht, in dessen Rahmen die Gesetzgebung, die Diplomatie und das Regieren entfaltet, gestaltet und umgesetzt werden. Politik beschreibt zugleich den Prozess zur Herstellung kollektiver Verbindlichkeit bzw. kollektiv verbindlicher Entscheidungen.⁴⁵ Bezieht man diese Definition auf das Reich im 16. Jahrhundert, so umfasste der Bereich der Politik vorwiegend den Kreis der Personen, die Herrschaft ausübten (Kaiser, Fürsten, Stände, Stadträte usw.) oder unterstützten (juristische und theologische Berater, Sekretäre und sonstige bevollmächtigte Agenten), sowie diejenigen Akteure, die – wie die Repräsentanten der Juden – trotz formeller politischer Machtlosigkeit Einfluss auf den politischen Prozess ausübten bzw. auszuüben versuchten. Ferner lassen sich die Institutionen der Herrschaft wie der Reichstag, die Verwaltung und die Gerichte diesem Bereich zuordnen, soweit sie als Herrschaftsinstrumente dienten, wie auch auf jüdischer Seite die Versammlungen der Rabbiner und jüdischen Gemeindevorsteher. Im Kontext der frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte muss eine klare Unterscheidung zwischen einer jüdischen Politik und einer Judenpolitik gemacht werden. Die von den Juden selbst betriebene Politik soll demnach als eine jüdische Politik verstanden werden. Eine ‚Judenpolitik‘ beschreibt hingegen die Politik der christlichen Herrschaftsträger gegenüber Juden; sie kann aber auch die Juden lediglich als eine Projektionsfläche zur Verfolgung anderer politischer Zielsetzungen und somit auch als eine ‚Judenpolicey‘ angesehen werden.⁴⁶ In der Frühen Neuzeit lassen sich unter einer jüdischen Politik diejenigen Themen finden, die die Juden selbst, ihre Rechte, Existenz oder Besitztümer betrafen. Es war eine Politik, die in einer stratifizierten – d. h. hierarchisch nach Geburt bzw. nach einer Zugehörigkeit zu einem klar definierten sozialen oder
Damit lehnt sich die Definition in dieser Arbeit an die des Sonderforschungsbereichs 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ an, der an der Universität Bielefeld bis 2012 angesiedelt war. Vgl. das Forschungsprogramm des SFB 584, https://www.uni-bielefeld.de/ geschichte/forschung/sfb584/3_Forschungsprogramm_20 -12- 07x.pdf, S. 1 (letzter Zugriff: 5. Juli 2019). Im Kontext dieser Arbeit ist v. a. der Hinweis wichtig, dass „Kommunikation dann [politisch ist], wenn sie [..] Breitenwirkung, Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit besitzt, beansprucht oder zuerkannt erhält“. Ebd. Zum Begriff der ‚Judenpolicey‘ und die Probleme mit dem Begriff der Judenpolitik siehe Ulrich Hausmann: Prolegomena zur Analyse und Interpretation obrigkeitlicher Judenpolitik im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in: Aschkenas 26,2 (2016), S. 351‒410. Zur ähnlichen Unterscheidung zwischen Judenrecht und jüdischem Recht siehe Kisch, Guido: Jewry-Law in Central Europe – Past and Present, in Ders.: Forschungen, S. 51‒77 und Battenberg: Privilegierung, S. 146‒150.
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Berufsstand organisierten – Gesellschaft⁴⁷ auf die eigene Interessenvertretung beschränkt war. Die Juden beanspruchten nicht, Mitglieder anderer sozialen Gruppen der Gesellschaft (Zünfte, Bauernschaft, Adel) und deren Anliegen zu repräsentieren, genauso wie Bauer, Adel und Zünfte keine Politik zugunsten der Juden verfolgten. Eine dauerhafte politische Koalition der Juden mit anderen gesellschaftlichen Gruppen war aufgrund der Zentralität ihrer religiösen Zugehörigkeit praktisch ausgeschlossen. In der vorliegenden Arbeit soll die jüdische Politik als integral zum politischen System des Reichs verstanden und behandelt werden. Daher stehen im Zentrum des Interesses vor allem Berührungspunkte der jüdischen Führung und Vertretung mit Personen und Institutionen der Reichspolitik. Das bedeutet, dass entweder direkte Interaktionen der jüdischen Führung und Repräsentation mit den Obrigkeiten und deren Beratern oder indirekte jüdische Versuche der Einflussnahme auf die obrigkeitliche ‚Judenpolitik‘, etwa durch publizistische Mittel oder durch die Mobilisierung von auswärtigen politisch relevanten Persönlichkeiten als Intermediatoren, im Fokus stehen werden. Man kann diese politische Interaktion auch als jüdische ‚Diplomatie‘ bezeichnen, da es sich um eine jüdische Interessenvertretung handelt, die auf die nicht-jüdische Umwelt gerichtet war. Innerjüdische Angelegenheiten, wie etwa die Regelung des Kults und des sozialen Alltags innerhalb der Judenschaft, wurden hingegen in den allermeisten Fällen intern im Rahmen der jüdischen Autonomie geregelt.⁴⁸ Intern wurden aber
Mit Stratifikation ist hier der Definition Niklas Luhmanns folgend gemeint, dass die hierarchische, vorwiegend nach Schichtenzugehörigkeit – die auch Berufsgruppen beinhalten kann – organisierte soziale Differenzierung das leitende ordnende Prinzip der frühneuzeitlichen Gesellschaft war. Man trifft also auf eine stratifizierte Gesellschaft, „wenn die Gesellschaft als Rangordnung repräsentiert wird und Ordnung ohne Rangdifferenzen unvorstellbar geworden ist“. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, zweiter Teilband, Frankfurt am Main 1997, S. 678‒707, hier S. 679. Das komplexe Thema der jüdischen Autonomie kann hier nicht eingehend behandelt werden. Zugespitzt kann die Autonomie folgendermaßen beschrieben werden: Die Juden verfügten über eine eigene Gerichtsbarkeit in religiösen Angelegenheiten – eine für Interpretationen relativ offene Kategorie – und eine weitgehende Selbstverwaltung in Sachen wie Steuererhebung, Armenfürsorge, Bildung und der Verabschiedung von internen Verordnungen. Diese Autonomie war allerdings sehr prekär, weil sie jederzeit unterminiert oder gar außer Kraft gesetzt werden konnte, wenn eine Obrigkeit sich davon Profit versprach oder andere eigene Interessen dadurch durchsetzen konnte. Über diese Thematik siehe z. B. Zimmer: Harmony and Discord; Finkelstein: Jewish Self-Government; Jacob Katz: Tradition und Krise. Der Weg der jüdischen Gesellschaft in die Moderne, München 2002 (Übersetzung des bereits 1958 auf Hebräisch erschienenen Werks); Andreas Gotzmann: Die Grenzen der Autonomie. Der jüdische Bann im Heiligen Römischen Reich im späten 18. Jahrhundert, in: Ders./ Wendehorst (Hrsg.): Juden im Recht, S. 41‒80; Ders.:
1.1 Was ist eine frühneuzeitliche jüdische Politik
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auch die ‚diplomatischen‘ Unternehmungen vorbereitet, die der allgemeinen jüdischen Politik zuzuordnen sind. Zu diesem Zweck wurde eine Organisation benötigt, die Beschlüsse fasste und für deren Ausführung sorgte. Die Untersuchung der zur Ausführung der jüdischen Politik nötigen jüdischen Organisationsstrukturen bildet den zweiten Schwerpunkt der Untersuchung.⁴⁹ Hinzu gehört nicht zuletzt die Analyse der strukturellen Aufstellung der jüdischen Repräsentation, welche die Formen und Foren der politischen Zusammenschlüsse der jüdischen Gemeinden sowie deren personelle und institutionelle Ausstattung umfasst. Neben der Aufstellung stellt sich auch die Frage nach der Ausrichtung der jüdischen Politik, womit sich der Fokus der Analyse von den internen jüdischen Organisationsversuchen zum Bereich der Interaktion mit den Obrigkeiten erneut verschiebt. Es handelt sich dabei um die Untersuchung der Aktionsmuster der jüdischen Repräsentanten und um die Frage danach, an welchen Reichsinstitution und -personen sich die Juden vorzüglich wandten, auf welche Weise und mit welchen argumentativen oder materiellen Mitteln sie es taten. Da man davon ausgehen kann, dass die Juden ihre Vorgehensweisen mithilfe ihres Wissens über politische und rechtliche Konstellationen planten und umsetzten, lässt sich aus ihren Handlungen ihr Wissensstand über herrschaftliche Kräfteverhältnisse, Kompetenzen und Gerichtsbarkeiten sowie über bestehende Rechtslagen und Herrschaftstraditionen ablesen. Darüber hinaus verraten sie etwas über die politische Einschätzung der Juden in der jeweiligen Situation und sogar über ihre Taktiken und Strategien. Da in jeder gegebenen politischen Lage mehrere Akteure mit je eigenen Interessen und Ressourcen gleichzeitig agieren konnten und die Juden zudem aus einer marginalen Position handelten, müssen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auch die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Tatsächlich lassen sich die Handlungsspielräume der Juden nur relational zwi-
Jüdische Autonomie; Battenberg: Die jüdischen Gemeinden; Willoweit: Rechtsstellung; Susanna Burghartz: Juden – eine Minderheit vor Gericht (Zürich 1378‒1436), in: Dies. u. a.: (Hrsg.): Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, Sigmaringen 1992, S. 229‒ 244; Birgit Wiedl: Eine zünftige Gemeinde. Handwerkszünfte und jüdische Gemeindeorganisation im Vergleich, in: Nicht in einem Bett – Juden und Christen in Mittelalter und Frühneuzeit. Hrsg. vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs, Wien 2005, S. 44‒49 und Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, bes. S. 156 f. Die ‚interne‘ Politik der Juden ist hingegen ist kein zentraler Gegenstand der Untersuchung. Allerdings verdient sie an manchen Stellen Aufmerksamkeit, da die internen Abläufen Aufschluss über die Gestalt und Funktionsweise der Organisation geben können. Diese umfassen z. B. interne Machtfragen innerhalb der Judenschaft und die Jurisdiktion, Autorität und Verteilung von Kompetenzen. Themen, die den jüdischen Kult und die jüdische Theologie betreffen, sollen hingegen nur marginal oder gar nicht beachtet werden.
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schen den bestehenden rechtlichen Gegebenheiten und dem Vermögen und Geschick aufzeigen, die eigenen Interessen durchzusetzen. So konnte die Schließung von (temporären) Zweckbündnissen mit mächtigen politischen Akteuren die Handlungsoptionen der Juden ausweiten. Ein unvorsichtiges Agieren konnte hingegen zur Einmischung weiterer Parteien führen und dadurch zur Schmälerung der jüdischen Handlungsspielräume. Ein relationaler Analyseansatz, der nicht nur auf die de jure bestehenden rechtlichen Rahmen schaut, sondern auch die de facto ausgeführten politischen Aktionen miteinbezieht, verspricht zudem Erkenntnisse über die Formen und Modi jüdischer Partizipation am politischen Geschehen sowie über die jüdische Möglichkeit der Beeinflussung von Gesetzgebungsverfahren. Wie unlängst überzeugend dargelegt wurde, war Herrschaft in der Frühen Neuzeit in hohem Maß daran orientiert, die Akzeptanz der Untertanen für die sie betreffenden politischen Maßnahmen zu generieren.⁵⁰ Dementsprechend waren politische Entscheidungsfindung und deren Umsetzung in der Regel Resultat von Aushandlungsprozessen zwischen Herrschenden und Beherrschten.⁵¹ Die Planung und Ausführung von politischen Aktionen erforderten in aller Regel ein gewisses Maß an Koordination und Kooperation. Dies impliziert daher das Vorhandensein einer funktionierenden jüdischen Interessenvertretung, die über politische Erfahrungen, Kenntnisse des politischen Systems und eine mehr oder weniger klare Zielsetzung verfügte. Die Erforschung der politischen Organisationsformen der Juden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt aber eindeutig, dass eine derartige ‚Parteibildung‘ zu Beginn des Jahrhunderts noch bevorstand. Die Hervorbringung bestimmter organisatorischer Strukturen soll daher als eine strategische Maßnahme der Juden verstanden werden, weil sie als das politische Instrument zur Vertretung und Umsetzung jüdischer Interessen dienen sollte. Die Juden im Reich des 16. Jahrhunderts verfügten nicht über eine institutionalisierte politische Organisation im modernen Sinne. Dennoch zeigt die Analyse der Quellen, dass die Häufung an Fällen der politischen Zusammenarbeit eine stabile Organisationsstruktur hervorbrachte.Wie es zur Herausbildung dieser Struktur kam, wie sie sich konsolidierte und mit der Zeit veränderte, welche
Stefan Brakensiek: Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche [HZ, Beiheft 49], München 2009, S. 395‒406. Siehe v. a. die Beiträge in: Roland G. Asch und Dagmar Freist (Hrsg.): Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, KölnWeimar-Wien 2005, darin v. a. die kritischen Bemerkungen von Wolfgang Reinhard: Zusammenfassung: Staatsbildung durch „Aushandeln“? S. 429‒438.
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Wirkung sie entfaltete und was aus ihr letztendlich wurde, sind dabei zentrale Fragen, dieser Arbeit. Da die Untersuchung der Entstehung, Entwicklungen und Wandlungsprozessen der Organisation eine leicht nachzuvollziehende chronologische Struktur aufweisen, erscheint es sinnvoll, die Geschichte der Organisation ins Zentrum der Arbeit zu platzieren. Die Entwicklungen der jüdischen Organisation sollen dabei nicht als eine inhärent jüdische Angelegenheit behandelt werden. Vielmehr müssen sie als Teil der Veränderungen in der Reichspolitik betrachtet und auch anhand dieser Veränderungen erklärt werden. So ist es wichtig, den Einfluss von Prozessen wie der Reichsreform, der Herausbildung und Konsolidierung von Territorialstaaten, der Reformation, der Konfessionskonflikte und der Entstehung der Druckpublizistik auf die Handlungsmöglichkeiten und Strategien der Juden aufzuzeigen. Im Endeffekt geht es um die Annahme, dass die politische Organisation der Juden und überhaupt ihr politisches Agieren von Entwicklungen und Veränderungen in ihrer Umwelt beeinflusst waren bzw. darauf reagieren oder angepasst werden mussten. Das Zusammenspiel von Veränderungen in der Reichspolitik und Anpassungen der jüdischen Organisation an diese manifestierte sich in vielfältiger Weise. So wurde im Zeitalter der Reichsreform der Reichstag zum zentralen Organ der Verabschiedung von Reichsgesetzen, während sich darin gleichzeitig die Entfaltung einer allmählichen Verschiebung der Reichspolitik hin zu einer ständischen Verfasstheit manifestierte.⁵² Für die Juden bot sich daher einerseits die Möglichkeit, den Reichstag als eine Anlaufstelle ihrer Anliegen zu betrachten und zu nutzen, was ein Impuls zur Koordinierung ihrer Zusammenarbeit lieferte; andererseits drohten die kaiserlichen Privilegien der Juden aufgrund der strukturellen Veränderungen und Reformen im Reich an Wirkmächtigkeit zu verlieren. Zudem mussten die Juden in einem politischen System agieren, das durch Verschiebungen von Kompetenzen und Gerichtsbarkeiten vom Reich auf die erstarkenden Territorialherrschaften und durch religiöse Streitigkeiten einem stetigen Wandel unterlag und sich einer zunehmenden Tendenz zur (politischen) Fragmentierung ausgesetzt sah. Derart weitreichende Systemveränderungen mussten
Vgl. beispielsweise die Diskussion über die Reichsreform und deren ‚ständischen Charakter‘ bei Christine Roll: Das zweite Reichsregiment 1521‒1530 [Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 15], Köln – Weimar – Wien 1996, S. 17‒19 und die dort erwähnte Literatur. Allgemein über die Reichsreform siehe Wolfgang Reinhard: Probleme deutscher Geschichte 1495‒ 1806. Reichsreform und Reformation 1495‒1555, 10. völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart 2004, 223‒ 262 und für die frühere Phase, Hartmut Boockmann und Heinrich Dormeier: Konzilien, Kirchen- und Reichsreform (1410‒1495), 10. völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart 2005 sowie Heinz Angermeier: Die Reichsreform 1410‒1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984.
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Einfluss auf die Gestaltung der Reichspolitik der Juden gehabt haben, und veranlassten somit eine Art jüdische Reichsreform. Sie erzeugten Gefahren, boten aber auch Chancen für die jüdische Existenz im Reich.⁵³ Ferner verdienen die Beziehungen der jüdischen Vertretung zum Kaiser bzw. zur Institution des Kaisertums besondere Beachtung. Der Kaiser war historisch gesehen (zumindest nominell) der oberste Schutzherr der Juden im Reich. Im Zeitalter der Reichsreform ergaben sich jedoch Veränderungen der (Macht‐)Position und Stellung des Kaisers im Reich – etwa infolge der Reformation, der Konfessionsbildung und der Territorialisierung.⁵⁴ Wie dies auf die Organisationsstrukturen der Juden und auf ihre politischen Strategien auswirkte, wird daher im Rahmen der Arbeit untersucht. Die konsequente Einbettung der Untersuchung der jüdischen Politik in die tiefgreifenden Veränderungen im politischen System des Reichs soll dazu dienen, die jüdische Geschichte als einen integralen Teil der Reichsgeschichte darzustellen. Damit distanziert sich die Untersuchung von vielen (vorwiegend) älteren Arbeiten, die soziale und geistesgeschichtliche Entwicklungen der vormodernen
Chancen und Gefahren ergaben sich den Juden auch durch die neue Form der politischen Kommunikation, die der Buchdruck mit sich brachte: die politische Publizistik. Über die Publizistik und den Buchdruck im Reich des 16. Jahrhunderts siehe Hans-Joachim Köhler (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, Stuttgart 1981; Thomas Kaufmann und Elmar Mittler (Hrsg.): Reformation und Buch. Akteure und Strategien frühreformatorischer Druckerzeugnisse, Wiesbaden 2017; Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung, Stuttgart 2002. Zur jüdischen Thematik siehe Christine Mittlmeier: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen, Frankfurt am Main u. a. 2000 sowie die Quellensammlung von Winfried Frey: Das Judenbild in den Flugschriften des 16. Jahrhunderts, Nordhausen 2008. Über die Rolle der Publizistik im internationalen Kontext siehe z. B. Alexandra Schäfer-Griebel: Die Medialität der Französischen Religionskriege. Frankreich und das Heilige Römische Reich 1589, Stuttgart 2018 und Christian Mühling: Die europäische Debatte über den Religionskrieg (1679‒1714). Konfessionelle Memoria und internationale Politik im Zeitalter Ludwigs XIV., Göttingen 2018. Mit Territorialisierung wird in dieser Arbeit die Konsolidierung von Herrschaft über eine räumliche Fläche und die weitgehende Verdrängung fremder Hoheitsansprüche und Machtfaktoren sowie die Kodifizierung des Rechts für alle im Territorium lebenden Untertanen und der Aufbau von dauerhaften Verwaltungsstrukturen bezeichnet. Die Betonung dieser Definition liegt hierbei nicht auf den Prozess der (frühneuzeitlichen) Staatsbildung, die erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Territorialisierung im Reich dominierte, sondern auf das zunehmende Bestreben von Herrschaftsträgern, ihre Herrschaftseinheit als sogenannte territorium calusum zu gestalten. Vgl. dazu allgemein Joachim Bahlcke: Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit [Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 91], München 2012, hier v. a. S. 7‒10, 20‒ 23, 26‒29, 68 f.
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jüdischen Welt ohne geographische Einschränkungen und somit auch ohne die historisch erforderliche Bezugnahme auf die besonderen lokalen bzw. regionalen Rahmenbedingungen betrachtet und analysiert haben.⁵⁵ Derartige Arbeitsweisen begünstigten die Entwicklung von Thesen, die eine jüdische Frühneuzeit negierten⁵⁶, als verspätet ansahen⁵⁷ oder als eine eigenständige Erscheinung darstellten.⁵⁸ Die hier vorgelegte Studie sieht die sogenannte ‚jüdische Frühneuzeit‘ nicht als ein autonomes historisches Phänomen. Sie betrachtet sie vielmehr als Resultat von Verflechtungen, Interdependenzen und einer wechselseitigen Beeinflussung des jüdischen Lebens mit den Entwicklungen innerhalb der nichtjüdischen Umwelt.⁵⁹ Jüdisches Leben soll dementsprechend als Teil der ‚allgemeinen‘ Frühen Neuzeit verstanden werden und nicht als abgetrennt davon. Aus diesem Grund konzentriert sich die Untersuchung auf einen (mehr oder weniger) klar definierten geografischen und politischen Raum. Die jüdische und die All Vgl. dazu Ivan Marcus: The Israeli Historiography of Medieval Jewish History. From National Positivism to New Social and Cultural History (hebr.), in: Zion 74 (2009), S. 109‒140, v. a. S. 109‒ 131. Ein Extrembeispiel bieten solche Arbeiten, die sogar als zeitlos angelegt sind. Vgl. oben, Anm. 31. Vgl. Michael Brenner: Vorwort, in: Katz: Tradition und Krise, S. 7‒10, hier S. 8. Hayim Hillel ben-Sasson: What are the Jewish Middle Ages? (hebr.), in: Joseph Haker (Hrsg.): Continuity and Change. Studies in the History of the Jews in the Middle Ages and Early Modernity (hebr.), Tel-Aviv 1984, S. 377‒368. Ben-Sasson hat das Ende des ‚jüdischen Mittelalters‘ mit den Wirren um den ‚falschen Messisas‘ Schabbatei Zwi in der Mitte des 17. Jahrhunderts datiert. Vgl. ebd. S. 359. Außerdem Zimmer: Jewish Synods, der seinen Untersuchungszeitraum von 1286 bis 1603 als das jüdische Mittelalter bezeichnete. David Ruderman: Early Modern Jewry. A New Cultural History, Princeton 2010 und Stefan Litt: Geschichte, S. 3‒5 und insbesondere 130‒131. Mehr über diese Diskussion auch bei André Griemert: Jüdische Klagen, S. 36 f. Die Relevanz der nichtjüdischen Umwelt für Entwicklungen in der jüdischen Welt wird in den letzten Jahren vermehrt anerkannt. So hat Rebekka Voß: Umstrittene Erlöser. Politik, Ideologie und jüdisch-christlicher Messianismus in Deutschland, 1500‒1600, Göttingen 2011 bereits auf korrelierende und Parallelstrukturen im eschatologischen Denken der Juden und Christen im 16. Jahrhundert hingewiesen, die nicht zuletzt Resultat von Verflechtungen waren. Siehe auch Dies.: Charles V as Last World Emperor and Jewish Hero, in: Jewish History 30,1‒2 (2016), S. 81‒ 106 und Dies. und Micha Perry: Approaching Shared Heroes. Cultural Transfer and Transnational Jewish History, in: Jewish History 30,1 (2016) Themenheft: Shared Heroes in Judaism, Christianity and Islam. Counter-Stories and Entangled Histories, hrsg. von Rebekka Voß und Micha Perry, S. 1‒15; dies.: Love Your Fellow as Yourself: Early Haskalah Reform as Pietist Renewal, in: Transversal. Journal for Jewish Studies 13 (2015), S. 4‒11; Avraham Siluk und Rebekka Voß: The 18th Century as a Time of Religious Renewal and Reform, in: Zutot 17 (2019), S. 1‒16; Roni Weinstein: Kabbalah and Jewish Modernity, Liverpool 2016; Jonathan Garb: The Yearning of the Soul. Psychological Thought in Modern Kabbalah, Chicago 2015. In der Tat wurde aber die Vorstellung von einer kohärenten gesamtjüdischen Geschichte bereits in Zweifel gezogen: Murry Jay Rosman: How Jewish is Jewish History? Michigan 2007.
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gemeingeschichte im Heiligen Römischen Reich werden dabei als miteinander verflochten aufgefasst. Obwohl die vorliegende Arbeit bewusst eine enge Definition des Begriffs ‚Politik‘ wählt, muss auch den kulturellen Aspekten von Politik Rechnung getragen werden. Dies ist besonders wichtig, wenn man die jüdische Geschichte und Politik als in die Reichsgeschichte und -politik integriert begreifen will. Wenn zuvor die Rede davon war, dass die Juden auf eine präzise Einschätzung der jeweiligen politischen Situation angewiesen waren, so betrifft dies auch die kulturelle Bedeutungsebene von Politik, die sich in jedem historischen, geographischen und kulturellen Kontext unterschiedlich konstituieren kann.⁶⁰ Im Rahmen dieser Untersuchung wird deshalb davon ausgegangen, dass jedwede Interessenvertretung, die erfolgreich sein will, Kenntnisse nicht nur über Rechtsnormen und Akteure besitzen muss, sondern auch über symbolische Gepflogenheiten und Gesten sowie Wertesysteme und -hierarchien im jeweiligen politischen System. Nur mithilfe des kulturellen Verständnisses kann Politik also wahrlich die ‚Kunst des Möglichen‘ sein.⁶¹ In diesem Sinne soll der Versuch unternommen werden, das jüdische Verständnis von Prozessen, Entwicklungen sowie Macht- und Rechtsverhältnissen der Reichpolitik aus den Handlungen und Kommunikationen der jüdischen Organisation zu erfassen. Dieses Verständnis stellt einen Indikator für die jüdische Wahrnehmung und Einschätzung des politisch Machbaren dar. Ferner wird darauf zu achten sein, ob die Aktivitäten der Juden mit den Gepflogenheiten, Wertesystemen, Normen etc., welche die ‚politische Kultur‘ im Reich⁶² dominierten, Ausführlich über das kulturelle Verständnis des ‚Politischen‘ siehe Barabara StollbergRilinger: Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? in: Dies. (Hrsg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen [ZHF Beiheft 35], Berlin 2005, S. 9‒24. Dass dies auch für die moderne Politik gilt, zeigt z. B. Thomas Mergel: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574‒606. Das Verständnis politischer Kultur, das dieser Arbeit zugrunde liegt, unterscheidet sich von der politikwissenschaftlichen Definition nach Gabriel Almond und Sidney Verba: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963. Sie betrifft also nicht die Einstellung von Bevölkerungsteilen eines politischen Systems zu Grundfragen der Ordnung desselben. Vielmehr zielt der Begriff auf die Bedingungen politischen Handelns, die von vielfältigen Faktoren wie Herrschaftstraditionen und politischen Normen und Handlungsroutinen mitbestimmt werden. Vgl. Karl Rohe: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven in der politischen Kulturforschung, in: HZ 250 (1990), S. 321‒346, hier S. 333; Wolfgang Reinhard: Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer politischen Historischen Anthropologie, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 593‒616; Thomas Mergel: Kulturgeschichte der Politik, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.10. 2012 (http://docupedia.de/zg/Kulturgeschichte_der_Politik_Version_2.0_Thomas_Mergel?oldid= 129217, letzter Zugriff: 18. 2. 2019).
1.2 Politische Organisation im Zeichen der Evolution
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kompatibel waren. Denn die Unternehmungen der jüdischen Repräsentanten mussten – um Aussicht auf Erfolg zu haben – von den christlichen Herrschaftsträgern und deren Beratern als rechtlich und moralisch legitim akzeptiert werden. Sie mussten die anerkannten Formen des Agierens im politischen Kontext, d. h. im Rahmen der Herbeiführung politischer Entscheidungen oder der Umsetzung politischen Handelns, beherrschen. Dabei ist stets zu beachten, dass eine politische Kultur des Heiligen Römischen Reiches – ähnlich einer europäischen politischen Kultur – einerseits durchaus existierte, andererseits aber „nie in abstrakter Reinform, sondern immer nur in der spezifischen Gestalt von besonderen historischen Varianten vor Ort“.⁶³
1.2 Politische Organisation im Zeichen der Evolution: zur Methodologie und zum Aufbau der Arbeit Die Existenz einer voll etablierten und funktionsfähigen Organisation zur politischen Vertretung der gesamten Reichsjudenschaft wird in dieser Arbeit nicht von vornherein angenommen. Vielmehr geht die Untersuchung davon aus, dass eine derartige Organisation zu Beginn des 16. Jahrhunderts weder existierte noch, dass ihre Gestalt und Struktur vordeterminiert waren. Warum sich aber in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert eine bestimmte Form der politischen Interessenvertretung herausgebildet hatte, bedarf trotz der Kontingenz ihrer Entstehung und Entwicklung einer Erklärung. Zu diesem Zweck wird im Verlauf der Studie das sozialwissenschaftliche Konzept der sogenannten sozio-kulturellen Evolution⁶⁴ herangezogen.
Reinhard: Europäische politische Kultur, S. 597. Siehe darüber v. a. Luhmann: Gesellschaft, S. 413‒576; Ders.: Geschichte als Prozeß und die Theorie sozio-kultureller Evolution, in: Ders.: Soziologische Aufklärung 3: Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen 1993, S. 178‒197; Ders.: Systemtheorie, Evolutionstheorie und Kommunikationstheorie, in: Ders.: Soziologische Aufklärung, 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975, S. 193‒203; Ders.: Das Problem der Epochenbildung und die Evolutionstheorie, in: Hans Ulrich Gumbrecht und Ursula Link-Heer (Hrsg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur und Sprachhistorie, Frankfurt am Main 1985, S. 11– 33; Rainer Walz: Theorien sozialer Evolution und Geschichte, in: Frank Becker (Hrsg.): Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Studien, Frankfurt am Main u. a. 2004, S. 29‒75; Frank Becker und Elke Reinhardt-Becker: Systemtheorie. Eine Einführung für die Geschichtsund Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2001, S. 39‒42; Frank Buskotte: Resonanzen für Geschichte. Niklas Luhmanns Systemtheorie aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, Berlin 2006, S. 72‒77. Die Anwendung der Systemtheorie in historischen Arbeiten bedarf einer methodologischen
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Ausgangspunkt für die Arbeit mit diesem Konzept ist das Verständnis, dass Evolution „kein unilinearer Prozeß, kein kontinuierlicher Prozeß, kein nur endogener, sondern ein auch exogener Prozeß, kein irreversibler Prozeß und kein notwendiger Prozeß“ ist.⁶⁵ Sie ist dennoch ein Prozess, der Strukturveränderungen hervorbringt, die man mit den richtigen methodischen Mitteln verfolgen und analysieren kann. Systemtheoretisch gesprochen⁶⁶ beginnt ein evolutionärer Vorgang dann, wenn Änderungen in der Umwelt eines sozialen Systems stattfinden, die eine Anpassung des betroffenen Systems erfordern. Der Anpassungsdruck, der dabei entsteht, veranlasst das System dazu, eine (innerhalb der eigenen Systemlogik) geeignete Lösung für die gestörte System-Umwelt-Beziehung zu finden. Wenn ein Lösungsansatz aus einer unbegrenzten Fülle an Variationen gewählt und eine Stabilisierung sowohl des Systems als auch der System-Umwelt-Beziehung erreicht wird, wird zugleich die Komplexität des Systems insofern zunehmen, als sich nun Strukturen für ähnliche Problemlagen etablieren. Dies bedeutet wiederum, dass sich die Komplexität der System-Umwelt-Beziehung reduziert, denn der Selektionsdruck in einem späteren ähnlichen Fall entfällt.⁶⁷ Die Evolution kann somit auch als ein Mechanismus der Komplexitätsreduktion von Interaktionen definiert werden. In ihrer systemtheoretischen Ausprägung fokussiert sich die sozialwissenschaftliche Evolutionstheorie allerdings auf die Makroebene und gesamtgesellschaftliche Strukturänderungen.⁶⁸ Aus diesem Grund erscheint sie zunächst als
Operationalisierung, da die Theorie mit einem hohen Abstraktionsgrad arbeitet, der zur Untersuchung und Analyse historischer Ereignisse erst auf der Ebene von Prozessen taugt. Dass die Anwendung systemtheoretischer Annahmen und Grundsätze in historischen Arbeiten erfolgreich und produktiv sein kann, erweisen Arbeiten wie Rudolf Schlögl: Anwesende und Abwesende. Grundriss für eine Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, Konstanz 2014; Michael Sikora: Der Sinn des Verfahrens. Soziologische Deutungsangebote, in: Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Vormoderne politische Verfahren [ZHF, Beiheft 25], Berlin 2001, S. 25‒52; Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Herstellung und Darstellung von Entscheidungen: Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne [ZHF, Beiheft 44], Berlin 2010. Luhmann: Geschichte als Prozeß, S. 183. Über die Systemtheorie und die hier angesprochenen Systeme und ihre Umweltbeziehungen siehe v. a. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1984 und darin Kapitel 1, „System und Funktion“, S. 30‒91 und Kapitel 5, „System und Umwelt“, S. 242‒285. Siehe außerdem Becker/Reinhardt-Becker: Systemtheorie, bes. S. 19‒39. Vgl. Luhmann: Geschichte als Prozeß, S. 184. Luhmann: Systemtheorie, S. 195, ist der Ansicht, dass man den Evolutionsbegriff rekonstruieren muss und als jede Strukturänderung definieren, „die durch Differenzierung und Zusammenspiel dieser Mechanismen [Variation, Selektion, Stabilisierung (A.S.)] erzeugt wird.“ Luhmann ist z. B. mehr an der Evolution der Evolutionsmechanismen, an Epochenbildung und an die Ordnungsprinzipien der Gesellschaft (segmentäre, stratifiziert und funktional diffe-
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ungeeignet für die Beantwortung von akteurszentrierten, historischen Fragestellungen auf der Meso- und Mikroebene. Eine weitere Beschäftigung mit systemtheoretischen Prämissen und Begrifflichkeiten ist für die Ziele der hier vorgelegten Untersuchung daher nicht unmittelbar dienlich. Dennoch lässt sich aus den hier beschriebenen Mechanismen der Evolution eine Methodologie ableiten, mit der die Entstehung und Entwicklung der politischen Organisation der Juden im Deutschland des 16. Jahrhunderts analysiert werden können. Im Kontext dieser Untersuchung erscheint es nur von Vorteil, wenn man die Evolutionstheorie mit Elementen aus dem Bereich der Handlungstheorien und der Institutionen-Lehre verknüpft, denn „Institutionen ‚entstehen‘ im Handeln“.⁶⁹ Laut Thomas Luckmann lässt sich Handeln als ein Verhalten definieren, „das an einem Zukunftsentwurf ausgerichtet ist“. Demnach ist „gesellschaftliches Handeln [..] ein Handeln, dessen Entwurf an einem ‚Anderen‘ ausgerichtet ist“.⁷⁰ Es erfordert einen gemeinsam geteilten Sinn bzw. kulturellen Horizont, der eine Verständigung zwischen den Handelnden und denjenigen, denen die Handlung gilt, ermöglicht. „All dies beruht auf Erfahrungen in einer gemeinsamen Umwelt“.⁷¹ Die gemeinsame ‚Geschichte‘ ist eine Voraussetzung dafür, dass Handlungen habitualisiert, Erwartungen befriedigt und Unsicherheiten eingehegt werden.⁷² Gerade dann, wenn derartiges (intersubjektives) Handeln „wichtige Lebensprobleme für die Handelnden ‚löst‘, indem Handlungserwartungen und Handlungsvollzüge im Verlauf einer gemeinsamen Handlungsgeschichte in wechselseitig verpflichtender Weise routinisiert werden“, kann man von einer Institutionalisierung bzw. einem institutionalisierten Handeln reden.⁷³ Überträgt man diese theoretischen Überlegungen auf den Untersuchungsgegenstand dieser Studie, so kann die politische Organisation der Juden zunächst als die ‚institutionalisierte‘ Art und Weise des jüdischen Politikbetreibens im Reich des 16. Jahrhunderts verstanden werden. Sie ist die Summe der etablierten, verdichteten und standardisierten Strukturen der gemeinsamen politischen Anstrengungen der Reichsjuden, welche eine kollektive Handlungsgeschichte hervorbrachten und die Formen der politischen Zusammenarbeit ‚institutionalisier-
renzierte Gesellschaftsmodelle) interessiert. Vgl. die oben genannte Literatur von Luhmann und zur Systemtheorie. Thomas Luckmann: Zur Ausbildung historischer Institutionen aus sozialem Handeln, in: Ders.: Wissen und Gesellschaft. Ausgewählte Aufsätze 1981‒2002, hrsg. von Hubert Knoblauch, Jürgen Raab und Bernt Schnettler, Konstanz 2002, S. 105‒115, hier S. 107. Ebd. S. 108. Ebd. Vgl. ebd. S. 109. Ebd. S. 112.
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ten‘. Der Vorgang der ‚Institutionalisierung‘ soll dabei mit einer evolutionären Entstehung der jüdischen Interessenvertretung gleichgesetzt werden, beschreibt er doch den Prozess der Herausbildung ihrer Strukturen. Die Annahme einer evolutionären Entwicklung der Organisation eignet sich dabei deswegen als Erklärung, weil sich in der gesamten Anfangsphase des Untersuchungszeitraums keinerlei Pläne für eine langfristig organisierte, gesamtjüdische Zusammenarbeit finden lassen, während sich ein derartiger ‚institutionalisierter‘ Zusammenschluss im Verlauf des Untersuchungszeitraums zweifelsfrei konstatieren lässt. Über die Entwicklung der politischen Organisation der Juden hinaus bieten die hier vorgestellten theoretischen Annahmen einen Erklärungsansatz für die politischen Handlungsweisen der Juden. Sowohl die ‚Institutionalisierung‘ als auch die Evolution der Strukturen der jüdischen Politik hatten den gleichen Effekt: Sie lieferten den Juden routinierten Lösungsansätze für wiederkehrende oder ähnlich gelagerte Probleme. Konnten die Reichsjuden im Prozess ihrer politischen Entscheidungsfindung und in der Umsetzung ihrer politischen Maßnahmen auf bereits erprobte Methoden, Handlungsmuster und Lösungen zurückgreifen, mussten sie „sich nicht immer wieder neu“ abstimmen, wenn ein „‚altes‘ Problem wieder auftaucht[e]“.⁷⁴ Dabei kann der Prozess der Herausfindung der effektivsten Lösungsansätze ebenfalls als evolutionär betrachtet werden, da die ‚erprobten‘ Mittel das Ergebnis der Selektion einer Maßnahme bzw. eines Maßnahmenkatalogs aus einer potentiell unbegrenzter Anzahl an Variationen sind. Die Integration einer Handlungsweise in das Arsenal der bewährten Lösungsansätze stellt demnach die Stabilisierung desselben dar. Dabei soll die politische Interaktion der jüdischen Vertretung im Reich mit Akteuren und Institutionen der Reichspolitik äquivalent zu einer System-UmweltBeziehung betrachtet werden. Zwar ist die Organisation der jüdischen Politik als Teil des politischen Systems des Reichs anzusehen, aber sie kann aufgrund des stratifizierten Charakters der frühneuzeitlichen Gesellschaft als ein autonomes Subsystem davon verstanden werden. Ergaben sich strukturelle Veränderungen in der Reichspolitik, so erzeugte es einen Anpassungsdruck auf die jüdische Politikvertretung. Im Rahmen der vorliegenden Studie wird daher nach evolutionären, d. h. strukturellen und organisatorischen Änderungen in der politischen Aufstellung, in den Entscheidungsfindungsmechanismen, und in der Art der Ausführung politischer Unternehmungen der Juden im Reich gesucht, die im Kontext von Veränderungen in der Reichspolitik – also in der politischen Umwelt, in der die Juden agieren mussten – analysiert werden.
Vgl. Luckmann: Zur Ausbildung, S. 112.
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Man darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass „das frühneuzeitliche Römisch-Deutsche Reich [..] durch ein ständig neu auszutarierendes Neben-, Mitund Gegeneinander verschiedenster horizontal und vertikal verlaufender Ebenen der Herrschaft und des Rechts gekennzeichnet“ war.⁷⁵ Das heißt also, dass die Strukturen der Reichspolitik sich ebenfalls im Wandel befanden. Eine derart gelagerte, analytische Betrachtung der Interdependenzen zwischen den Strukturveränderungen der jüdischen Organisation und Entwicklungen und Prozesse der Reichspolitik soll dazu dienen, zwei oben genannte Anliegen dieser Arbeit voranzubringen: Erstens geht es darum, den Akzent in der Geschichtsforschung von einer einseitigen Fokussierung auf einzelne Akteure wie Josel von Rosheim zu einer strukturellen und systematischen Einbettung der jüdischen Politik im Kontext der politischen Kultur der Frühen Neuzeit zu verschieben und , zweitens, die jüdische Geschichte somit als einen integralen Teil der Reichsgeschichte darzustellen. Da die Operationalisierung des theoretischen Ansatzes Strukturveränderungen hervorheben soll, wird eine beachtliche Anzahl an Fallbeispielen benötigt, anhand deren diese Veränderungen analytisch nachvollzogen werden können. Die Konstatierung einer evolutionären Veränderung bedarf nämlich des Nachweises, dass eine etwaige ‚Neuerung‘ keine einmalige Angelegenheit war und dass sich sowohl das ‚System‘ der jüdischen Organisation wie auch die ‚SystemUmwelt-Beziehung‘ unter den veränderten Bedingungen stabilisierten. Da diese Studie praktisch das gesamte 16. Jahrhundert – allerdings mit besonderem Fokus auf die erste Jahrhunderthälfte – und im gesamten Reichsgebiet in den Blick nimmt, müssen bestimmte Kriterien festgelegt werden, um die Zahl der Fallbeispielen einzugrenzen. Zunächst müssen solche Situationen identifiziert werden, in denen einen Selektions- bzw. Anpassungsdruck auf die jüdische Bevölkerung und deren Führung entstand. In aller Regel handelte es sich um Bedrohungssituationen, in denen die Juden entweder einer konkreten Gefahr der Verfolgung oder Vertreibung ausgesetzt waren, oder vor einer rechtlichen Verschlechterung ihrer Situation aufgrund politischer oder gesetzgeberischer Maßnahme standen. Derartige Vorfälle sind jedoch erst dann von Interesse für die vorliegende Untersuchung, wenn die Bedrohung alle oder zumindest weite Teile der Juden im Reich betraf. Bedrohungen auf regionaler oder lokaler Ebene werden erst dann berücksichtigt, wenn im Laufe der jüdischen Reaktionen darauf Querverbindungen zu den reichsübergreifenden, politischen Anstrengungen der Juden bzw. deren Organisation nachgewiesen werden können.
Ehrenpreis: Wissen über Juden, S. 7.
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Um die evolutionäre Entstehung der jüdischen Organisation greifbar zu machen, müssen einige weitere Hypothesen gestellt werden: Erstens kann in der Anfangsphase keine Schaffung aus dem Nichts angenommen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die am Anfang des 16. Jahrhunderts in Entstehung begriffene, politische Organisation der Juden auf frühere Traditionen und auf bestehende Vorbilder politischer (jüdischer wie christlicher) Vertretung rekurrierte. Zweitens dürfen die Bedrohungen und politischen Herausforderungen, welche den Juden begegneten, nicht kurzlebig gewesen sein. Um wesentliche und dauerhafte Veränderungen zu verursachen, müssen sie einen andauernden Druck auf die Judenschaft – und in späteren Phasen der Untersuchung auf die jüdische Organisation – ausgeübt haben. Drittens sind besonders solche Situationen und Phänomene zu betrachten, die Bedrohungen existenzieller Natur bedeuteten und dementsprechend perzipiert wurden. Derartige Bedrohungslagen steigerten die Dringlichkeit einer Reaktion und motivierten die Partizipation an der Planung und Durchführung von politischen Aktionen, sowie die Mobilisierung von Ressourcen. Eine so geartete Bedrohungssituation, welche die Bedingungen für eine evolutionäre Entstehung einer reichsweiten politischen Organisation der Juden erzeugte, präsentierte sich 1509 im Zusammenhang mit der Pfefferkorn-Affäre und der Gefahr der Konfiskation und Vernichtung des jüdischen Schrifttums. Bevor aber die Entstehung der Organisation im 16. Jahrhundert untersucht werden kann, muss nachgewiesen werden, dass zuvor keine derartige, auf der Reichsebene angesiedelte, politische Vertretung der Juden bestanden hatte. Aus diesem Grund widmet sich Kapitel 2 der Situation der Juden im Spätmittelalter, den Entwicklungen ihrer rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und siedlungspolitischen Situation sowie den Veränderungen im innerjüdischen Bereich seit der Zeit der großen Pestepidemie 1348‒49. Mithilfe eines Überblicks der jüdischen Geschichte im Spätmittelalter soll dieses Kapitel eine Analyse der Ausgangssituation der Hauptuntersuchung liefern. Die Entstehungsphase einer reichsweiten politischen Zusammenarbeit der Juden im Reich, die im Kapitel 3 behandelt wird, wird anhand der vielfältigen Abwehrversuche der Juden gegen Pfefferkorns Konfiskationspläne untersucht. Dieser von den Juden als eine existentielle Gefahr wahrgenommene mehrjährige ‚Ausnahmezustand‘ zog sich durch weitere politische Bedrohungen derart in die Länge, dass die jüdischen Gemeinden im Reich vom 1509 bis 1517 in engem Kontakt stehen, häufige Versammlungen veranstalten und in Kooperation und Koordination miteinander politisch agieren mussten. Obwohl die jüdischen Organisationsbemühungen etliche Jahre andauerten, erfolgte aus ihnen keine kohärente Form der politischen Repräsentation. Stattdessen lässt sich eine Vielzahl an verschiedenen Akteuren und kleinen und großen jüdischen Unternehmungen
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verzeichnen, deren Bedeutung sich erst über eine interpretative Analyse – bzw. eine ‚dichte Beschreibung‘ im Sinne Clifford Geertz‘⁷⁶ – erschließen soll. Ob damit die Bedingungen für eine evolutionäre Entstehung einer Organisation politischer Vertretung erfüllt waren, wird im Rahmen dieses Kapitels untersucht. Kapitel 4 beschäftigt sich mit Fragen nach den weitreichenden machtpolitischen Veränderungen, die das Reich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfuhr, sowie deren Bedeutung für die bis dahin entwickelten, politischen Zusammenschlüsse der Juden. So stellt sich die Frage, welche Risiken und Chancen der Tod Maximilians I., die darauffolgende Thronvakanz, die Wahl Karls I. von Spanien zum Kaiser und die anschließende Einsetzung des zweiten Reichsregiments den Juden boten. Auch die beginnende Reformation verursachte erhebliche Umwälzungen in der Reichspolitik und beeinflusste sie auf Dauer. Die Untersuchung in diesem Kapitel fragt deshalb nicht zuletzt nach der Haltung der Reformation zu den Juden und nach den Reaktionen der Juden auf die Reformation in deren Konsolidierungsphase bis zum Speyerer Reichstag von 1529. Aufgrund dieser politischen und religiösen Tumulte ließ der politische Druck auf die Juden nach und somit auch die Notwendigkeit, die gesamtjüdische Zusammenarbeit voranzutreiben. Da eine Inaktivität der Juden zur Schwächung der Kohäsionskräfte ihrer in Entstehung begriffenen Organisation hätte führen können, untersucht das Kapitel die Impulse und Zwänge zur Weiterentwicklung der gesamtjüdischen Zusammenarbeit in dieser relativ ereignisarmen Zeit. Gegenüber dieser relativen ‚Ereignisarmut‘ zeichnet sich das Jahr 1530 als äußerst turbulent für die Juden im Reich aus. Die große Anzahl an Bedrohungen, die den Juden in diesem Jahr begegnete, stellte eine wichtige Erprobung der bis dahin entwickelten Strukturen der jüdischen Zusammenarbeit dar und brachte eine dauerhafte Veränderung in der politischen Organisation mit sich. Aus diesem Grund widmet sich ein großer Teil des fünften Kapitels den Vorkommnissen von 1530. Da das jüdische Leben infolge der in Augsburg verabschiedeten Reichspolizeiordnung und angesichts der Konsolidierungsbestrebungen der territorialen Herrschaft in vielen Reichsgegenden vorwiegend durch landesherrliche ‚Judenpolitik‘ bestimmt wurde, fokussiert sich das Kapitel des Weiteren auf lokale bzw. regionale Bemühungen von Juden, ihre Lebensbedingungen mitzugestalten. Schwerpunkt der Untersuchung bleibt allerdings der Bezug zur jüdischen Reichspolitik, weshalb das Hauptaugenmerk der Analyse auf den Querverbindungen zwischen den regionalen Interessenvertretungen und der Reichsorgani-
Vgl. Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie der Kultur, in: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, übers. von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann, Frankfurt am Main 1983, S. 7‒43, hier bes. S. 10‒12.
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sation der Juden liegen soll. Abschließend sollen die Ereignisse von 1539 in Frankfurt am Main betrachtet werden, denn auf den dort abgehaltenen Schmalkaldischen Bundestag erhielten die Reichsjuden zum ersten Mal seit Beginn des Jahrzehnts die Gelegenheit, ihre politische Organisation auf überterritorialer Ebene zu reaktivieren. Auch Kapitel 6 der Arbeit betrachtet die Situation auf territorialer Ebene und analysiert deren Einfluss auf die Reichspolitik der Juden. Allerdings liegt der Fokus in diesem Abschnitt auf der Bedeutung des konfessionellen Faktors für die ‚Judenpolitik‘ von Landesherren und Reichsobrigkeiten in den 1540er Jahren. Anschließend soll die jüdische Reaktion auf diese Entwicklungen im Detail untersucht werden. Dabei werden nicht nur die jüdischen Bemühungen um politische Stabilität und Sicherheit, sondern auch ihr politisches Navigieren und Taktieren zwischen den konfessionellen Lagern im Vorfeld und während des Schmalkaldischen Krieges gleichermaßen in Augenschein genommen. Ebenfalls bedeutsam für diese Phase sind einige Entwicklungen, welche die politische Organisation der Juden auch jenseits von territorialer und konfessioneller Politik betrafen. Es handelt sich um Entwicklungen, die zu einer fortschreitenden Konsolidierung der Reichsjudenschaft beitrugen und zu Veränderungen der Aufstellung ihrer Organisation und der Ausrichtung ihrer Politik führten. In diesem Zusammenhang verdienen vor allem die immer enger werdenden Beziehungen der Juden zum Kaiser besondere Aufmerksamkeit und werden daher im Detail analysiert. Das vorletzte Kapitel der Untersuchung (Kapitel 7) setzt an einem Zeitpunkt an, als die politische Organisation der Juden sich als konsolidiertes und funktionsfähiges Gebilde zeigte. Das Kapitel befasst sich mit Aspekten, anhand derer die Professionalisierung der Arbeit der Organisation im Umgang mit Reichsinstitutionen und deren Personal aufgezeigt werden kann. Die Analyse konzentriert sich zunächst auf die quantitative Untersuchung der jüdischen Aktionen auf Reichstagen im Zeitraum von 1543 bis 1551 und sucht nach Entwicklungen, die auf eine Verbesserung bei der Erzielung von zuverlässigen Resultaten verweisen. Zwei Fallbeispiele aus der Zeit des Augsburger Reichstags 1550/51 ergänzen die quantitative um eine qualitative Analyse. Dadurch sollen Aussagen über die Errungenschaften der Reichsorganisation der Juden am angedeuteten Höhepunkt ihres Bestehens erzielt werden. Diese Fallbeispiele werden zudem zeigen, dass sich die Arbeit der jüdischen Organisation in dieser Phase erneut im Spannungsfeld von Reichs- und territorialer Politik befand. Im Fokus dieses Abschnitts werden daher die Strategien der Juden zur Sicherung ihrer Rechte und Freiheiten vor dem Hintergrund dieser komplexen politisch-rechtlichen Konstellation stehen. Von zentralem Interesse ist dabei die Anpassung ihrer Politik an die neuen Gegebenheiten angesichts der fortschreitenden Territorialisierung im Reich. Schließ-
1.2 Politische Organisation im Zeichen der Evolution
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lich wird die Selbstrepräsentation jüdischer Individuen und Gemeinden vor Reichsinstanzen auf quantitativer Basis analysiert. Damit macht das Kapitel auf eine neue Entwicklung aufmerksam, die auf eine allgemeine Verbesserung der rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation der Reichsjudenschaft hindeutet. Diese ‚Früchte des Erfolgs‘ der Reichsorganisation verweisen jedoch auf eine ansetzende Verschiebung der politischen Arbeit von der Reichsorganisation auf lokale und regionale Instanzen, die im darauffolgenden Kapitel untersucht wird. Das letzte Kapitel des Hauptteils (Kapitel 8) befasst sich überblicksmäßig mit den Fortführungs- und Auflösungstendenzen, die sich in den Organisationsformen der Judenschaft in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zur Versammlung von 1603 manifestierten. Bei dieser Versammlung wird auch das Ende der Untersuchung angesetzt, weil sie die letzte bekannte reichsübergreifende politische Versammlung der Juden in der Frühen Neuzeit darstellt. Dieses abschließende Kapitel verfolgt zwei Ziele: Erstens bietet es einen Ausblick hinsichtlich der Arbeit und Konstitution der jüdischen Reichsorganisation nach dem Tod der bis dahin zentralen Figur der jüdischen Politik, Josels von Rosheim. Zweitens liefert dieses Kapitel mithilfe der Methode der sozio-kulturellen Evolution einen Erklärungsansatz dafür, wie die jüdische Organisation, die Mitte des Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hatte, unter den veränderten Bedingungen nach der Herrschaftszeit Karls V. sich strukturell umwandelte. Jedes der acht Kapitel endet mit einer kurzen analytischen Zusammenfassung der wichtigsten Strukturveränderungen und somit der ‚Evolution‘ der jüdischen Politik und Organisation. Im Fazit der Arbeit erfolgt sodann eine resümierende Synthese der Entwicklungen der jüdischen Politik und deren Organisation, die das chronologische Prinzip dieser Arbeit umkehrt. Das heißt, dass die zentralen Entwicklungslinien der jüdischen Politik des 16. Jahrhunderts von ihrem Ende zu den Anfängen nachgezeichnet werden. Im zweiten Schritt werden geographische und kulturelle Aspekte der jüdischen Politik behandelt. Einen Schwerpunkt bilden dabei die vielfältigen Partizipationsformen der Juden am politischen Geschehen und an der politischen Kultur im Reich des 16. Jahrhunderts. Auf diese Weise sollen sowohl die Prozesshaftigkeit der Entstehung und Gestaltung der jüdischen Politik als auch ihre Anbindung an das politische System des Reiches und an die Veränderungen darin verdeutlicht werden.
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1 Perspektiven der Politikgeschichte der Juden in der Frühen Neuzeit
1.3 Zum Umgang mit den Quellen der Politikgeschichte der Juden Die Quellen, anhand derer die Politikgeschichte der Juden im 16. Jahrhundert erschlossen werden soll, sind sehr disparat und können in verschiedene Kategorien unterteilt werden. Die wesentliche Quellengruppe stellen Akten dar, welche die politische Kommunikation der Juden mit den Obrigkeiten im Reich enthalten. Von besonderer Relevanz für die Untersuchung sind daher zunächst die jüdischen Supplikationen und Gravamina. Aus kommunikationstheoretischer Perspektive stellen Supplikationen an Herrscher Kommunikationsakte dar, die auf die Wiederherstellung verletzter Rechte mithilfe herrschaftlicher Autorität abzielten. Sie waren also sowohl Rechtsakte als auch politische Akte. Sie sind unter anderem deshalb aufschlussreich, weil sie dem Empfänger oder den Empfängern auch eine ‚Erzählung‘ bzw. ‚Narration‘ der politischen oder rechtlichen Ursachen für die Bitte oder Beschwerde boten. Solche Schriften unternahmen es somit, den Rahmen zu strukturieren, in dem die jeweilige Bitte oder Beschwerde gelesen werden sollte. Dieses ‚Framing‘ wird hier als eine argumentative und daher auch als eine strategische Handlung des bzw. der Supplikanten verstanden.⁷⁷ Das heißt, dass die Analyse von jüdischen Supplikationen ein Schlaglicht nicht nur auf die rechtlichen, wirtschaftlichen oder politischen Themen, sondern auch auf die argumentativen Strategien der Juden und deren kulturellen Eignung innerhalb des politischen Systems im Reich werfen kann.⁷⁸ Trotz des beträchtlichen Informationsgehalts, welchen die Quellengattung der Supplikationen und Gravamina bietet, weist sie zwei Problematiken auf. Siehe darüber Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet ‒ und daraus Politik macht, Köln 2016 und Dies.: Sprache – Werte – Frames. Die Botschaft der Politik, Frankfurt am Main 2014. Zu frühneuzeitlichen Supplikationen siehe: Rosi Fuhrmann, Beat Kümin und Andreas Würgler: Supplizierende Gemeinden. Aspekte einer vergleichenden Quellenbetrachtung, in: Peter Blickle (Hrsg.): Gemeinde und Staat im alten Europa [HZ Beihefte, N.F., 52], München 1998, S. 267‒323, hier konkret S. 271; André Holenstein: Bittgesuche, Gesetze und Verwaltung. Zur Praxis „guter Policey“ in Gemeinden und Staat des Ancien Régime am Beispiel der Markgrafschaft Baden(‐Durlach), in: ebd. S. 325‒357; Cecilia Nubola und Andreas Würgler (Hrsg.): Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.‒18. Jahrhundert), Berlin 2005; Gabrielle Haug-Moritz und Sabine Ullmann (Hrsg.): Frühneuzeitliche Supplikationspraxis und monarchische Herrschaft in europäischer Perspektive, Wien 2015; Ulrich Hausmann und Thomas Schreiber: Euer Kaiserlichen Majestät in untertänigster Demut zu Füßen. Das Kooperationsprojekt „Untertanensuppliken am Reichshofrat in der Regierungszeit Kaiser Rudolfs II. (1576 – 1612)“, in: Alexander Denzler, Ellen Franke und Britta Schneider (Hrsg.): Prozessakten, Parteien und Partikularinteressen. Höchstgerichtsbarkeit in der Mitte Europas vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2015, S. 71– 96.
1.3 Zum Umgang mit den Quellen der Politikgeschichte der Juden
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Erstens geben derartige Schriften allein keinen Aufschluss über die obrigkeitliche Reaktion auf sie. So erfährt man aus ihnen weder, ob sie abgelehnt wurden, noch – im Falle, dass ihnen stattgegeben wurde – welche Handlung(en) der Obrigkeiten sie auslösten. Zweitens ist die Überlieferung jüdischer Supplikationen im 16. Jahrhundert lückenhaft. Dies hängt nicht zuletzt mit den nur partiell entwickelten Verwaltungsstrukturen zusammen, welche unter anderem auch die Archivierung eingegangener Supplikationen betrafen. Daher müssen weitere Quellengruppen in die Analyse herangezogen werden. Über nicht überlieferte jüdische Supplikationen erfährt man aus unterschiedlichen anderen Quellen, wie etwa in erlassenen oder entworfenen aber aus verschiedenen Gründen zurückgehaltenen Mandaten, Befehlen und Privilegien. Soweit diese Dokumente auf jüdische Supplikationen reagierten, stellen sie nicht nur die obrigkeitliche Antwort auf sie dar, sondern geben auch Aufschluss über deren Inhalt. So erwähnen oder wiederholen die obrigkeitlichen ‚Antworten‘ in aller Regel die Bitten und Gesuche der Juden, bevor sie ihre herrschaftliche Entscheidung verkündigen. Aus diesem Grund werden derartige Mandate, Privilegien etc. in dieser Untersuchung ‚gegen den Strich‘ gelesen. Dadurch soll jüdisches Agieren als Ursache und Anlass ihrer Verabschiedung bzw. Erteilung herausgearbeitet werden. Mithilfe dieser Herangehensweise kann man aus diesen Quellen nicht nur Rückschlüsse auf die Anliegen und Ziele der Juden ableiten, sondern auch ihre argumentativen Strategien und zum Teil sogar ihre politischen Kalküle eruieren. Eine andere Quellenart, aus der man Informationen über nicht überlieferte Supplikationen beziehen kann, sind Protokolle unterschiedlicher Verwaltungsinstanzen auf der städtischen, territorialen oder Reichsebene. Die Protokolle geben zwar in der Regel nur wenig Aufschluss auf den Inhalt der betreffenden Supplikationen, weil sie meist stichwortartig formuliert sind oder nur knappe Einträge über den Betreff der Supplikation enthalten. Nichtsdestotrotz dokumentieren solche Protokolle umfassender als andere Quellen die jüdische Interaktion mit obrigkeitlichen Verwaltungs- bzw. Regierungsorganen. Man findet darin Einträge über alle überreichten Supplikationen, über deren Annahme oder Ablehnung durch die ‚Behörde‘ und manchmal sogar über die Empfehlungen zu ihrer Weiterbearbeitung. Darüber hinaus ist diese Quellengattung aufgrund des seriellen Charakters von Protokolleinträgen wichtig für die vorliegende Studie. Mit ihnen kann man quantitative Daten gewinnen, etwa über Häufigkeit und Erfolgsquote von Gnadengesuchen, sowie über die supplizierenden Personen bzw. im Falle der Reichsjudenschaft auch über ihre bevollmächtigten Repräsentanten. Eine Quellengattung, die ebenfalls die politischen Interaktionen von Juden und christlichen Obrigkeiten dokumentiert, stellen Gerichtsakten dar. In diesen Akten lassen sich Klageschriften und Berichten der Kläger, Entgegnungen der
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beklagten Prozesspartei, Zeugenaussagen, Zeugnisse, Leumundsbriefe, Rechnungen und anderes Material finden. Für die Beantwortung der hier präsentierten Fragestellung eignen sich interessanterweise v. a. solche Gerichtsprozesse, bei denen Juden gegen andere Juden vor einer christlich-obrigkeitlichen Gerichtsinstanz stritten. In solchen Fällen lassen sich oft wichtige Informationen zur Erforschung der politischen Geschichte der Juden im 16. Jahrhundert finden. Dieser Umstand erklärt sich dadurch, dass in ihnen oftmals Informationen über innerjüdische Entwicklungen und Handlungen offengelegt werden, die ansonsten verborgen geblieben wären. Die Gründe für die sonst gepflegte jüdische Geheimhaltung waren vielfältig: Sie diente u. a. dazu, die jüdische Autonomie und Gerichtsbarkeit zu wahren, wie auch jüdische Personen oder Besitztümer zu schützen.⁷⁹ Trotz ihrer enormen Bedeutung für diese Untersuchung ist die Zahl der berücksichtigten Prozessakten leicht überschaubar.⁸⁰ Eine weitere Quellengruppe kann als innerjüdische Korrespondenz bezeichnet werden. Die Überlieferung zumindest eines Teils dieser Dokumente ist dem Umstand zu verdanken, dass sie zeitgenössisch und aus unterschiedlichen noch aufzuzeigenden Beweggründen ins Deutsche übertragen und christlichen Obrigkeiten überreicht wurden.⁸¹ Unabhängig davon, ob diese innerjüdischen Korrespondenzen im hebräischen Original oder in der zeitgenössischen, deutschen Übersetzung überliefert sind, stellen sie eine kaum zu überschätzende Ergänzung der obrigkeitlichen Quellen dar. Sie werfen Licht auf interne Vorgänge, Aktivitäten und Strukturen der politischen Organisation der Juden im Reich und lassen Aufschlüsse über ihre Entscheidungsfindung ziehen. Überliefert sind neben brieflichen Korrespondenzen zwischen jüdischen Gemeinden und Individuen auch Beschlüsse der Versammlungen der jüdischen Führung im Reich. Während die bisher erwähnten Quellengruppen nach der herkömmlichen Definition zu den Überresten gehören, kann die Erforschung der politischen Geschichte der Juden durchaus auch von sogenannten Traditionsquellen jüdischer Provenienz Erkenntnisse erzielen. Die sogenannten historischen Schriften Josels
Siehe Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, S. 151– 161. Bei etlichen Gerichtsakten mit ‚vielversprechendem‘ Inhalt, die anhand von Findbehelfen noch ermittelbar sind, handelt es sich leider um Kriegsverluste. Vgl. Friedrich Battenberg: Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt 1080 – 1650, Wiesbaden 1995, Einträge Nr. 1232, 1306 und 1307, der mindestens drei vermisste Reichskammergerichtsprozesse von Juden gegen Juden auflistet, in denen entweder der Sachverhalt eindeutig politisch war, oder die darin involvierten Juden bekannte politische Akteure waren. Berühmt ist in diesem Zusammenhang etwa die Schrift Josels von Rosheim Trostschrift ahn seine Brüder wider Buceri büchlein, ediert in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 357– 363. Siehe ausführlich darüber in Kap. 6.1 dieser Arbeit.
1.3 Zum Umgang mit den Quellen der Politikgeschichte der Juden
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von Rosheim⁸², allen voran seine ‚Chronik‘⁸³, stellen zentrale Quellen für die vorliegende Untersuchung dar. Sie bieten nicht nur immense Informationswerte, sondern auch eine genuin jüdische Sichtweise und Deutung der politischen Geschehnisse im 16. Jahrhundert.⁸⁴ Aufgrund der besonderen Wichtigkeit von Flugschriften im 16. Jahrhundert und aufgrund der Frageperspektiven, die diese eröffnen, darf die Heranziehung derartigen Schrifttums hier nicht fehlen. Es handelt sich zum Beispiel um Flugschriften und -blätter, die antijüdische Propaganda und Polemik enthalten. Gerade die Werke von Konvertiten aus dem Judentum sind aufgrund des ‚insider knowledge‘, über das sie verfügten, interessant. Zwar muss man das in ihnen meist polemisch vorgetragene Wissen über die Juden nur mit Vorsicht genießen, allerdings lieferten derartige Schriften nicht selten Anlässe, Motivationen oder Vorwände für Obrigkeiten, gegen die Juden in ihrem Herrschaftsbereich vorzugehen. Aus dem letztgenannten Grund veranlassten diese Polemiken und Schmähschriften auch jüdische Reaktionen und Organisationsversuche. Dasselbe kann auch über antijüdische Schriften von Reformatoren wie Martin Luther und Martin Bucer gesagt werden: Sie bedrohten Leben und Rechte der Juden, indem sie Obrigkeiten zu antijüdischen Maßnahmen aufriefen, und sie lösten ebenfalls oft jüdische Abwehrversuche aus. Zudem sollen Flugschriften berücksichtigt werden, deren Druck von Juden veranlasst wurde. Diese Drucke sind insofern als aktive politische Handlungen der Juden zu betrachten, als sie Versuche der Einflussnahme auf die politische Öffentlichkeit im Reich darstellten und mitunter weitere Gegenmaßnahmen ihrer Gegner provozieren konnten. Durch die Betrachtung dieser Quellen kann also das
Siehe Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings samt den dort abgedruckten Anhängen und Dies.: Sefer ha-Miknah. Die Schwierigkeit, dieses Schriftstück Josels zu definieren, ist bereits mehrfach thematisiert worden. Vgl. z. B. Breßlau: Aus Straßburger Judenakten, S. 309, und Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 39 f. Über den Aspekt des autobiografischen Schreibens und des historischen Gedächtnisses in der ‚Chronik‘ Josels von Rosheim siehe: Gabriele Jancke: Autobiographien als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Köln 2002, S. 35 – 43 und Debra Kaplan: Writing History, Defining Communities: The Construction of Historical Space in Josel von Rosheim’s Chronicle, in: Andreas Bähr, Peter Burschel und Gabriele Jancke (Hrsg.): Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, Köln 2007, S. 97– 110. Chroniken und Schilderungen in Büchern, die mehrere Jahrzehnte nach den Ereignissen verfasst wurden, sind von nachrangiger Bedeutung für die Untersuchung und werden daher nur punktuell herangezogen. Zu erwähnen sind z. B. A Hebrew Chronicle from Prague, c. 1615, ed. by Abraham David, transl. By Leon J. Weinberger and Dena Ordan, Alabama 1993 und Josef Juspa Hann: Sefer Josef omez (hebr.), [1630], Jerusalem 1965.
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Feld umrissen werden, in dem die jüdische Politik und die obrigkeitliche ‚Judenpolitik‘ sich dynamisch und in wechselseitiger Beeinflussung entfalteten. Die Einbeziehung dieser Drucke ermöglicht mithin Rückschlüsse auf den jüdischen Umgang mit dieser in der Zeit der Reformation und der Reichsreform besonders öffentlichkeitswirksamen Form der politischen Kommunikation. Schließlich sollen auch die Reichstagsakten für die nachfolgende Untersuchung zur politischen Geschichte der Juden herangezogen werden. Die fortgeschrittene Arbeit an der Edition dieser Akten aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bietet wichtige Einblicke in die Arbeit der Reichstage und ermöglicht eine systematische Recherche nach Akten, welche die Juden im Reich betrafen. Dadurch, dass die Reichstage im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einem zentralen Ort der Reichspolitik und zum zentralen Organ der Gesetzgebung wurden, stellten sie ein wichtiges Aktionsfeld für das politische Agieren der Juden dar. In den edierten Reichstagsakten findet sich daher eine Fülle an Quellen, die über jüdische Aktivitäten und über durch Juden veranlassten politischen Handlungen anderer Akteuren Auskunft geben. Außerdem enthalten die Reichstagsakten vielfältige Dokumente über die politischen und rechtlichen Herausforderungen, welchen den Juden im Laufe des Jahrhunderts begegneten. Bis auf die Flugschriften, Reichstagsakten und hebräischen Schriften ist die überwiegende Mehrheit der in dieser Studie verwendeten Quellen bislang nicht ediert worden. Die in den Zeitschriften der sogenannten ‘Wissenschaft des Judentums‘⁸⁵ publizierten Quellen waren in der Regel zufällige Funde. Daher waren diese Editionen meist fragmentarisch und die Kontextualisierung der abgedruckten Quelle blieb oft spekulativ. Trotz ihrer enormen Verdienste verfolgten diese jüdischen ‚Historiker der ersten Stunde‘ keine nachvollziehbaren Editionsrichtlinien und versäumten es teilweise, Archivsignaturen oder auch den allgemeinen Fundort anzugeben.⁸⁶ Auch wenn in den allermeisten Fällen kein Bedenken bezüglich der Verlässlichkeit der korrekten Wiedergabe von
‚Die Wissenschaft des Judentums‘ bezeichnet die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandene Forschungstradition jüdischer Gelehrten, die zugleich die Geburtsstunde der modernen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Judentum markiert. Siehe darüber Michael Brenner und Stefan Rohrbacher (Hrsg.): Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust, Göttingen 2000 und Johannes Heil: Wissenschaft des Judentums 1819 – 1933 – Wissenschaft, Selbstbild und Trugbilder, in: Markus Hilgert und Michael Wink (Hrsg.): Menschen-Bilder. Darstellungen des Humanen in der Wissenschaft, Berlin-Heidelberg 2012, S. 351– 371. Es besteht ein freier Internetzugang zu den zahlreichen Ausgaben der verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen, die im Rahmen der Wissenschaft des Judentums entstanden und verlegt wurden, unter www.compactmemory.de. Siehe dazu z. B. Gerson Wolf: Zur Geschichte der Juden in Deutschland, in: ZGJD 3,2 (1889), S. 159 – 184, hier S. 168 – 169 und in Anmerkung 80 im Kap. 7.2 dieser Arbeit.
1.3 Zum Umgang mit den Quellen der Politikgeschichte der Juden
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Quelleninhalten besteht⁸⁷, wurde in dieser Studie versucht, wann immer es möglich war, auf die Originaldokumente und nicht auf die so veröffentlichten Quellen zuzugreifen.⁸⁸ Da die Fragestellung dieser Arbeit auf die Untersuchung und Analyse der politischen Organisation der Juden auf Reichsebene bzw. der jüdischen Reichspolitik abzielt, stehen die Aktenbestände der Reichsarchive im Zentrum der Untersuchung. Diese befinden sich vor allem im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien (HHStAW), wo sämtliche Akten des Reichshofrats und der kaiserlichen Kanzlei, sowie des Mainzer Erzkanzlerarchivs aufbewahrt werden. Aus den Beständen des Reichshofrats wurden sowohl Gratialia und Judicialia als auch die Protokolle gesichtet. In den Gratialia finden sich kaiserliche Privilegien, Schutzund Geleitbriefe und Kommissionen, die den Juden als kaiserliche ‚Gnadenakte‘ gewährt wurden. Oftmals sind solche Dokumente zusammen mit weiterem Schriftgut, wie den ihnen zugrunde liegenden jüdischen Gnadengesuchen, überliefert. Weitere jüdische Supplikationen wie auch kaiserliche Mandate und Reskripte finden sich im Bestand der Judicialia, der vor allem gerichtliche Akten umfasst. Für das 16. Jahrhundert gab es noch keine strikte Trennung zwischen diesen zwei Bereichen, weshalb Gratialquellen oft auch in gerichtlichen Akten zu finden sind. Da der Reichshofrat in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts – in jüdischen Betreffen zumindest – selten als Gerichtsinstanz diente, enthält die Sammlung der Judicialia kaum reine Gerichtsakten. Die relevanten Quellen im Bestand des Kanzleiarchivs sind die Reichsregisterbücher, die Reichstagsakten, die Akten der sogenannten kleineren Reichsstände und Dokumente aus der Zeit Maximilians I., die als ‚Maximiliana‘ bezeichnet werden. Schließlich handelte es sich dabei um renommierte Historiker wie Isidor Kracauer und Harry Breßlau, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen ein hohes Maß an Vertrauen verdienen. So gilt Kracauers umfassende Studie zur Geschichte der Frankfurter Juden bis heute als ein Standartwerk. Vgl. Isidor Kracauer: Geschichte der Juden in Frankfurt am Main. 1150 – 1825, 2 Bände, Frankfurt am Main 1925 und 1927. Harry Bresslau verdiente seine Reputation durch seine umfangreiche Edition königlicher und kaiserlicher Urkunden und durch seine langjährige Tätigkeit am Projekt des Monumenta Germaniae Historica. Siehe über ihn den Nachruf von Bettina Raabe: Harry Bresslau (1848 – 1926). Wegbereiter der historischen Hilfswissenschaften in Berlin und Straßburg, in: Herold-Jahrbuch, NF 1 (1996), S. 49 – 83. Eine Ausnahme bilden die von Moritz Stern in verschiedenen Bibliotheken und Archiven Europas gemachten Abschriften von Originaldokumenten, die sich in den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem befinden (CAHJP, Signaturgruppe P 17). Eine erhebliche Anzahl dieser Abschriften wurde im Rahmen der Arbeit an dieser Studie mit den Originalquellen verglichen und erwiesen sich als sehr akkurat und verlässlich. Über Moritz Sterns Ausbildung und Tätigkeit v. a. als Bibliothekar siehe Wilke, Carsten: „Stern, Moritz“ in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 281– 282, https://www.deutsche-biographie.de/pnd133524019.html#ndbcontent (letzter Zugriff: 4.1. 2019).
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Die jüdische Organisation führte im Laufe des 16. Jahrhunderts politische Unternehmungen nicht nur vor den kaiserlichen Verwaltungs- und Gerichtsorganen, sondern auch vor Reichsfürsten und -städten. Daher erwies sich eine Recherche in vielen Staats- und Stadtarchiven in Deutschland als unabdingbar. Dabei konzentrierte sich die Arbeit auf Archive in Regionen, wo es im Untersuchungszeitraum jüdische Siedlungsschwerpunkte gab, oder es wurde aus Hinweisen in der Forschungsliteratur auf relevante Archive geschlossen. Eine Recherche in den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem konnte dabei helfen, den Aufwand im überschaubaren Rahmen zu halten. In dieses Archiv wurden in den 1950er Jahren „diejenigen Archive der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Deutschland, die nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus aufgefunden wurden“, überführt.⁸⁹ So konnte dort eine konzentrierte Quellensichtung für viele Regionen und Städte des Reiches – wie z. B. Sachsen, Würzburg, Burgau, Worms und Straßburg – durchgeführt werden. Für die Fragestellung dieser Arbeit war vor allem der Quellenbestand P-17 von Interesse. Dieser umfasst die Abschriften von Akten aus vielen verschiedenen Archivstandorten – allen voran von Quellen aus elsässischen Archiven zu Josel von Rosheim. Das Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main (ISG) beherbergt ebenfalls relevanten Quellen in einem relativ großen Umfang. Dies unterstreicht die zentrale Bedeutung, die die Frankfurter Judenschaft für das politische Leben der Juden im 16. Jahrhundert hatte. Diese Gemeinde war nicht nur eine der größten jüdischen Kehilot (hebr. ‚Gemeinden‘) im Reich, sondern auch eine treibende Kraft hinter den ersten politischen Zusammenschlüssen der Reichsjuden. Vor allem die erste Phase der Untersuchung bis 1517 stützt sich daher auf die „Juden Akten“, Bürgermeisterbücher, Ratsprotokolle und weitere Bestände des Frankfurter Archivs. Neben Frankfurt befinden sich Bestände von überregionaler und regionaler Bedeutung im Hauptstadtarchiv Stuttgart (HStA Stuttgart), im Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) und in den Hessischen Staatsarchiven Marburg (HStAM) und Darmstadt (HStAD). Ergänzend zu diesen Beständen wurden einzelne Akten oder kleine Bestände aus dem Stadtarchiv Augsburg (StaAA), aus der dortigen Staats- und Stadtbibliothek (StaBi), aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW), aus dem Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL) und dem Wiener Finanz- und Hofkammerarchiv (FHKAW) berücksichtigt. Durch die Einbeziehung Cohen: Die Entwicklung der Landesrabbinate, S. 221– 225 und siehe ausführlicher darüber Ders.: The Gathering of Jewish Records to Israel, Salt Lake City 1969 und Ders.: Jewish Records from Germany in the Jewish Historical General Archives in Jerusalem, in: Leo-Baeck-InstituteYearbook 1 (1956), S. 331– 345.
1.3 Zum Umgang mit den Quellen der Politikgeschichte der Juden
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dieser Bestände konnte die Fragestellung zum Einfluss, zu den Auswirkungen und zu den Ergebnissen der jüdischen Aktivitäten, welche auf der Reichsebene stattfanden, auf die Politik territorialer Herrscher erweitert werden. Durch die Erschließung dieser auf regionale Zusammenhänge bezogenen Bestände war es nicht zuletzt auch möglich, die gegenseitigen Einflussnahmen von lokalen und regionalen Organisationen der Juden und deren Reichsorganisation aufzuzeigen, sowie Unterschiede in protestantischer und katholischer ‚Judenpolitik‘ zu erläutern. Gemessen an den zentralen Fragestellungen dieser Arbeit bieten die hier vorgestellten Quellenarten und -bestände eine breite Grundlage zur Erforschung der politischen Geschichte der Juden im Reich des 16. Jahrhunderts. Zum einen lassen sich damit sowohl die reichsübergreifende Dimension wie auch die territorialen Komponenten einer frühneuzeitlichen jüdischen Politik sowie die Interdependenzen zwischen beiden Ebenen beleuchten. Zum anderen erschließt sich mithilfe der in diesem Quellenkorpus enthaltenen hebräischen Schriftzeugnisse und jüdischen Supplikationen eine dezidiert jüdische Perspektive. Die Wirkung der jüdischen Politik lässt sich außerdem nicht zuletzt anhand der dokumentierten Reaktionen und Anschlusshandlungen der christlichen Obrigkeiten und Institutionen erkennen, mit denen die jüdische Organisation kommunizierte und interagierte. Die verschiedenen Akten, Urkunden, Protokolle, Chroniken und Flugschriften ermöglichen somit eine vielschichtige und facettenreiche Untersuchung der politischen Handlungsspielräume, Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten der Juden im System der Reichspolitik des 16. Jahrhunderts.
2 Zur Geschichte der Juden im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich Die Forschung zur jüdischen Geschichte zeichnet für den Zeitraum zwischen der großen Pestwelle 1348/49 und dem Ende der Herrschaftszeit Maximilians I. 1519 das Bild einer Krisenperiode für die deutsche Judenheit.¹ Diese Entwicklung war mit der Wende zum 16. Jahrhundert keineswegs abgeschlossen. Tatsächlich treten nahezu sämtliche Phänomene der Verfolgung, Diskriminierung und Vertreibung, wie auch Stereotype und Vorurteile gegenüber den Juden, die üblicherweise dem Mittelalter zugeschrieben werden, auch im 16. Jahrhundert in Erscheinung, meist allerdings unter anderen Vorzeichen. In diesem Kapitel soll der Schwerpunkt nicht so sehr auf der Beschreibung eines Untergangs liegen, sondern es sollen Elemente, Prozesse und Entwicklungen gesucht werden, die, mittelbar wie unmittelbar, die Lebensbedingungen und politischen Handlungsspielräume der Juden zu Beginn des 16. Jahrhunderts mitbestimmten. Wenn im weiteren Verlauf der Untersuchung die Rede von der Entstehung und der Genese einer politischen Organisation der Juden sein wird, so Siehe z. B.: Germania Judaica (GJ), Band III, 1350 – 1519, Teile 1– 3, hrsg. von Arye Maimon, Mordechai Breuer und Yacov Guggenheim, Tübingen 1987– 2003 und darin v. a. die Einleitungskapitel im Teilband 3, S. 2079 – 2327; Zimmer: Harmony and Discord; Israel J. Yuval: Scholars in Their Time. The Religious Leadership of German Jewry in the Late Middle Ages, Jerusalem 1988; Mordechai Breuer: The Ashkenasic Yeshiva in the Late Middle Ages (hebr.), Diss. masch., Jerusalem 1967; Markus J. Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergrunde ihrer Vertreibung aus den deutschen Reichsstädten im 15. Jahrhundert, Wien – Köln – Graz 1981; František Graus: Pest – Geissler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit [Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 86], 2., durchges. Aufl., Göttingen 1988; Michael Toch: Siedlungsstruktur der Juden Mitteleuropas im Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Alfred Haverkamp / Franz-Josef Ziwes (Hrsg.): Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters [ZHF, Beiheft 13], Berlin 1992, S. 29 – 39; Stefan Rohrbacher: Die jüdischen Gemeinden in den Medinot Aschkenas zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg, in: Christoph Cluse / Alfred Haverkamp / Israel J. Yuval (Hrsg.): Jüdische Gemeinden und ihr christlicher Kontext in kulturräumlich vergleichender Betrachtung. Von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert [Forschungen zur Geschichte der Juden, Abteilung A, Bd. 13], Hannover 2002, S. 451– 463; Ders.: Stadt und Land: Zur „inneren“ Situation der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit, in: Monika Richarz / Reinhard Rürup (Hrsg.): Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte, Tübingen 1997, S. 37– 58; Alfred Haverkamp: Lebensbedingungen der Juden im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Dirk Blasius und Dan Diner (Hrsg.): Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland, Frankfurt am Main 1991, S. 11– 31; Dean Phillip Bell: Gemeinschaft, Konflikt und Wandel. Jüdische Gemeindestrukturen im Deutschland des 15. Jahrhundert, in: Kießling / Ullmann (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten, S. 157– 191. https://doi.org/10.1515/9783110723533-005
2.1 Der Rechtsstatus der Juden im Wandel der Zeit
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gilt es zuerst festzustellen bzw. nachzuweisen, dass eine derartige politische Repräsentation davor nicht bestand. Es geht hier zugleich aber auch um die Analyse der Ausgangssituation der Juden im 16. Jahrhundert, als sie erste Versuche unternahmen, eine politische Zusammenarbeit zu organisieren. In diesem Sinne verstehen sich folgende Ausführungen sowohl als eine Vorgeschichte wie auch als eine Kontextualisierung der politischen Geschichte der Juden im Römisch-Deutschen Reich im 16. Jahrhundert.
2.1 Der Rechtsstatus der Juden im Wandel der Zeit Die rechtliche Situation der Juden im Reich unterlag einem ständigen Wandel, auch wenn die theologisch wie politisch begründete und konstant erscheinende Vorstellung vom minderen Rechtsstatus der Juden genau den gegenteiligen Eindruck erweckt. Es gilt zunächst, diese Wandlungen der rechtlichen Lage der Juden im Spätmittelalter zu verfolgen, um mögliche Auswirkungen auf weitere Entwicklungen identifizieren zu können. Die rechtliche Stellung der Juden galt spätestens seit 1234 im kodifizierten kanonischen Recht als eine ewige Knechtschaft (servitus perpetua), die einerseits als gerechte Strafe für die von den Juden an Jesus Christus begangenen Sünden und andererseits als Zeugnis für die Wahrheit des christlichen Glaubens verstanden wurde.² Somit war die Existenz der jüdischen Bevölkerung innerhalb der Christenheit als ein fester Bestandteil der göttlichen Ordnung zumindest ideell gesichert. Diese auf Augustin zurückgeführte Begründung des Rechtsstatus der Juden rechtfertigte ihre Aufnahme in den päpstlichen Schutz vor den Verfolgungen und Ausschreitungen, die seit den ersten Kreuzzügen immer wieder ausbrachen.³
So z. B. bei Thomas von Aquin. Vgl. Peter Aufgebauer und Ernst Schubert: Königtum und Juden im deutschen Spätmittelalter, in: Susanna Burghartz u. a. (Hrsg.): Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, Sigmaringen 1992, S. 273 – 314, hier S. 277 und darüber hinaus Alfred Haverkamp: „Kammerknechtschaft“ und „Bürgerstatus“ der Juden diesseits und jenseits der Alpen während des späten Mittelalters. Israel J. Yuval zum 60. Geburtstag, in: Michael Brenner und Sabine Ullmann (Hrsg.): Die Juden in Schwaben [Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, Bd. 6], München 2013, S. 11– 40, hier v. a. S. 14– 19. Vgl. Friedrich Battenberg: Des Kaisers Kammerknechte, in: HZ 245 (1987), S. 545 – 599, hier S. 558 f.; Ders.: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, Band I: Von den Anfängen bis 1650, Darmstadt 1990, S. 101 f. und Guido Kisch: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters; nebst Bibiliographien, in: Ders: Ausgewählte Schriften, Band 1, Sigmaringen 1978, S. 64.
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Unter Kaiser Friedrich II. erlebte die theologisch begründete Knechtschaft der Juden eine politische Umdeutung, als dieser 1236 die Juden in die kaiserliche Kammerknechtschaft (servitus camere imperialis) aufnahm. Zwar wurde diese Maßnahme zum Schutz der Juden angesichts der wegen Ritualmordbeschuldigungen ausgebrochenen Verfolgungen von Lauda und Fulda beschlossen.⁴ Allerdings ging es dem Kaiser zugleich darum, aus diesem Rechtsinstitut ein Herrschaftsinstrument zu machen, denn es ließen sich aus den Schutzrechten Herrschaftsrechte ableiten und finanzielle Vorteile schöpfen.⁵ Die praktische Bedeutung der Aufnahme der Juden in das kaiserliche Schutzverhältnis war einerseits, dass sie ihr Recht beim Kaiser direkt einklagen konnten. Da die Juden nun „mit Leib und Vermögen“ in die kaiserliche Kammer gehörten⁶, konnte der Kaiser sie andererseits beliebig besteuern. Die Verschränkung von Schutzgewährung und Besteuerungsrecht war aber in zweifacher Hinsicht eine Achillesferse für die Juden, denn sie führte zum einen „schon im Ansatz dazu, daß jene bedingt und befristet war [und] jederzeit aufgehoben werden konnte“.⁷ Zum anderen unterstrich das geschaffene Schutzverhältnis die Schutzbedürftigkeit der Juden, was zur Abwertung ihres sozialen Status beitrug.⁸ Spätestens in der Mitte des 14. Jahrhunderts zeigte sich, dass der kaiserliche Schutz nicht mehr effektiv war. Dies hing mit dem allgemeinen „Verfall der Autorität des Kaisertums“⁹ zusammen. So zeigte der kaiserliche Schutz in der Zeit des Schwarzen Todes keine Wirkung, als Gerüchte über Brunnenvergiftungen durch Juden zu unzähligen Verfolgungen und Vertreibungen der jüdischen Be-
Zur Rechtsentwicklung und Aufnahme der Juden in die kaiserliche Kammerknechtschaft siehe z. B. Friedrich Battenberg: Die Ritualmordprozesse gegen Juden in Spätmittelalter und Frühneuzeit. Verfahren und Rechtsschutz, in: Rainer Erb (Hrsg.): Die Legende vom Ritualmord. Zur Geschichte der Blutbeschuldigung gegen Juden, Berlin 1993, S. 95 – 132, hier v. a. S. 105 – 112. Vgl. Battenberg: Kammerknechte, S. 559; Ders: Zeitalter, S. 107 ff.; Dietmar Willoweit: Verfassungsgeschichtliche Aspekte des Judenschutzes im späten Mittelalter, in: Aschkenas 9,1 (1999), S. 9 – 30, hier S. 12 ff. und Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 274– 281. Kisch: Forschungen, S. 41. Zum „Eigentumsgedanken“ der Kaiser über die Juden siehe auch Willoweit: Verfassungsgeschichtliche Aspekte, S. 16 f. Battenberg: Kammerknechte, S. 560. Vgl. Friedhelm Burgard: Zur Migration der Juden im westlichen Reichsgebiet im Spätmittelalter, in: Haverkamp / Ziwes: Umwelt, S. 41– 57, hier S. 45 und Wenninger: Man bedarf …, S. 33, der diesen Zusammenhang für eine spätere Entwicklung festhält. Kisch: Forschungen, S. 42. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 14. Auch Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 278, weisen darauf hin, dass „Zeiten eines geschwächten Königtums immer die Gefahr von Pogromen heraufbeschworen“.
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völkerung führten. Vielmehr waren es die städtischen bzw. lokalen Obrigkeiten, die Verfolgungen und Vertreibungen der jüdischen Bevölkerung verhinderten.¹⁰ Die kaiserliche Kammerknechtschaft der Juden verlor aber schon im späten 13. Jahrhundert an Bedeutung, als Rudolf I. 1286 die Judenschutzrechte an territoriale Herrscher verlieh. Die Tendenz zur Verpfändung von Judenregalien an lokale weltliche und geistliche Obrigkeiten verstärkte sich in der Folgezeit, sodass die „Schutzrechte [im Endeffekt] dadurch zum disponiblen Handels- und Nutzobjekt“ wurden.¹¹ Diese Territorialisierung und vor allem Kommerzialisierung der Judenschutzrechte, wie sie im neunten Artikel der Goldenen Bulle sehr auffallend zum Ausdruck kommt¹², führten im Laufe der Zeit zur Aushöhlung der Schutzbeziehung zwischen Kaiser und Judenschaft. Nichtsdestotrotz war der fiskalische Nutzen der Judenschutzrechte in der darauffolgenden Zeit der ausschlaggebende Faktor für das Verhältnis der Könige und Kaiser zu den Juden. Die Reichsoberhäupter erhielten nämlich trotzdem die halbe Judensteuer und behielten sich zudem das Recht vor, Kopfsteuer und Sonderabgaben von den Juden zu erheben.¹³ Ungeachtet der Tatsache, dass viele territoriale Herrscher Judenregale wahrnahmen, verselbständigte sich die Vorstellung, „daß alle Juden des Reiches unabhängig von ihrem Wohnort, und auch unabhängig davon, ob sie einem territorialen Regalinhaber unterstanden oder nicht, dem Kaiser direkt und persönlich unterstellt seien“.¹⁴ Für die Juden bedeutete dies zweierlei: Einerseits konnten sie weiterhin Sonderrechte beim Kaiser ersuchen, wobei diese andererseits in aller Regel nicht als eine „Sondervergünstigung, sondern nur noch [als] eine Garantie zur Verhinderung weiterer Beeinträchtigungen“ verstanden wurden.¹⁵ Es kann
Nicht vertrieben wurden die Juden beispielsweise aus Goslar und aus Regensburg, das in der folgenden Zeit eine der größten Judengemeinden des Reichs beherbergte. Außerdem haben Herzog Albrecht II. von Österreich, Pfalzgraf Ruprecht und Karl IV. – in seiner Rolle als König bzw. Landesherr – in Böhmen und Mähren die Juden geschützt. Vgl. Wenninger: Man bedarf …, S. 29 und 31. Battenberg: Zeitalter, S. 110. Vgl. auch Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 23. Dort wird das Judenregal verdinglicht, indem es „in einem Atemzug mit dem Gold-, Silber-, Zinn-, Blei-, Eisen- und Salzregal genannt“ wird. Vgl. Wilhelm Güde: Die rechtliche Stellung der Juden in den Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sigmaringen 1981, S. 44. Siehe auch Eberhard Isenmann: Steuern und Abgaben, in: GJ III.3, S. 2208 – 2281, hier S. 2209. Denn „Regalien konnten gar nicht vollständig preisgegeben, sondern nur delegiert und in ihren Nutzungen anderen Gewalten übertragen werden“. Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 288. Vgl. auch Battenberg: Kammerknechte, S. 565 f. und allgemein über diese Entwicklung bei Isenmann: Steuern. Battenberg: Zeitalter, S. 137. Friedrich Battenberg: Die Privilegierung von Juden und Judenschaften im Bereich des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, in: Barbara Dölemeyer / Heinz Mohnhaupt
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jedoch angenommen werden, dass die alle Juden des Reichs umfassende rechtliche Kategorie der Kammerknechtschaft ein gewisses Maß an Gemeinschaftssinn bei den Juden hervorrief.¹⁶ Insgesamt unterlag die kaiserliche Kammerknechtschaft der Juden zwei zentralen Entwicklungen, die sie ihres ursprünglichen Sinnes entleerten. Die erste Entwicklung war die bereits angesprochene Territorialisierung der Judenregale, die bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts so weitverbreitet war, dass es „kaum noch einen Landesherrn [gab], der nicht als Teil seiner juristisch neu begründeten Landeshoheit das Judenregal für sich in Anspruch nahm“.¹⁷ Das Recht über Aufnahme, Niederlassung, Duldung, Handel, Gerichtsbarkeit und nicht zuletzt Vertreibung der Juden wurde sodann als eine landesherrliche Angelegenheit betrachtet, die im 16. und 17. Jahrhundert auch häufiger durch rechtliche Kodifizierungen in Form von territorialen Judenordnungen ihren Ausdruck fand. Die zweite, in die Neuzeit hinein weisende Entwicklung war die seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts voranschreitende Rezeption des römischen Rechts. Der ‚Corpus Iuris Civilis‘ (CIC) problematisierte die Auffassung, wonach die Juden als Knechte anzusehen waren, die mit Leib und Gut dem Kaiser gehörten. Der Codextitel ‚De Iudaeis et Coelicolis‘ (C.1.9.) besagte nämlich, dass die Juden „nicht der Willkür ihrer Umwelt ausgesetzt sind, sondern daß sie wie alle anderen teilhaben an der durch das römische Recht gewährleisteten Rechtsordnung“.¹⁸ Aus diesem Rechtsgrundsatz soll Johannes Reuchlin in seinem Gutachten über die jüdischen Bücher die Schlussfolgerung gezogen haben, die Juden seien Mitbürger im Reich.¹⁹ Diese Rechtsauffassung wurde im Juristendiskurs des beginnenden 16. Jahrhunderts breit rezipiert und nahm großen Einfluss auf die
(Hrsg.): Das Privileg im europäischen Vergleich, Band 1, Frankfurt am Main 1997, S. 139 – 190, hier S. 157. Vgl. auch Kisch: Forschungen, S. 193. Vgl. Battenberg: Zeitalter, S. 137 f. Battenberg: Privilegierung, S. 154. Dieser Sachverhalt muss auch im Zusammenhang mit der allgemeinen Tendenz zur Durchsetzung der territorialisierten Form der Herrschaft im Reich gesehen werden. Vgl. dazu auch Stefan Litt: Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500 – 1800, Darmstadt 2009, S. 15 f. Güde: Rechtliche Stellung, S. 31; Hans-Jürgen Becker und Ludwig Hödl: [Art.] Friede, in: Lexikon des Mittelalters, hrsg. v. Robert Auty u. a., ND der Ausgabe Stuttgart 1999, München 2002, Bd. 4, Sp. 919 – 921. Vgl. Johannes Reuchlin: Gutachten über das jüdische Schrifttum, hrsg. u. übers. v. Antonie Leinz-von Dessauer [Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 2], Konstanz 1965, S. 35 und Friedrich Battenberg: Juden als „Bürger“ des Heiligen Römischen Reichs im 16. Jahrhundert. Zu einem Paradigmenwechsel im „Judenrecht“ in der Reformationszeit, in: Rolf Decot und Matthieu Arnold (Hrsg.): Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006, S. 175 – 198.
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Rechtsprechung des Reichskammergerichts.²⁰ In Rechtsdokumenten der Frühen Neuzeit tauchte daher die Kammerknechtschaft – wenn überhaupt – immer seltener auf.²¹ Die Kammerknechtschaft wurde also im Laufe der Zeit sinnentleert und die Rechtslage der Juden weitgehend territorialisiert. Daher beruhten die vielen Wiederaufnahmen oder Neugründungen von jüdischen Gemeinden nach den zahlreichen Vertreibungen aus der Zeit des Schwarzen Todes auf Entscheidungen von landesherrlichen oder (reichs‐)städtischen Obrigkeiten. Meist war der Beschluss, Juden in eine Stadt (wieder‐)aufzunehmen, mit der Erwartung eines fiskalischen Nutzens verknüpft. Die konkrete Aufnahme geschah jedoch auf der Basis von erteilten Schutzbriefen, die in der überwiegenden Mehrzahl befristet waren und jedes Mal nach Ablauf der Schutzfrist neu verhandelt werden mussten. Die Schutzbriefe des Spätmittelalters wurden in aller Regel nicht an ganze Gemeinden erteilt, sondern individuell ausgehandelt, wobei sich der Schutz, der einem jüdischen Haushaltsvorstand gewährt wurde, auf alle dem Haushalt zugehörigen Personen – Familie und Gesinde – erstreckte.²² Die neue Schutzrechtspraxis brachte mit sich eine große Unsicherheit für die Juden, denn die Schutzbriefe konnten in bestimmten Situationen aufgekündigt bzw. nicht erneuert werden. Auch die Befristung der Aufnahmedauer machte eine Verwurzelung an einem Ort und die Herausbildung von festen gemeindlichen Strukturen schwer. In der Tat gab es in den 150 Jahren zwischen 1350 und 1500 mehrere Fälle, in denen die Juden mehrfach aus einer Stadt vertrieben und dann aber wiederaufgenommen wurden.²³ Problematisch war auch die Notwendigkeit, sich individuell um die eigene Schutzaufnahme bemühen zu müssen, da nicht alle Juden über ausreichende finanzielle Mittel verfügten, um ihre Interessen gegenüber den christlichen Autoritäten vertreten zu können.²⁴ Diese Situation erschwerte eine jüdische Organisierung zwecks Verhandlung über Aufnahmemodalitäten immens und verringerte die Möglichkeit der Juden, Solidarität mit ihren Glaubensgenossen zu üben. Die zunehmende Rechtsunsicherheit nahm einen maßgeblichen Einfluss auch auf die finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen der Juden im Spätmittelalter. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, bestand jedoch eine interdependente Beziehung zwischen den verschiedenen Ent-
Vgl. Battenberg: Zeitalter, S. 176 und etwas ausführlicher Ders.: Kammerknechtschaft, S. 68. Vgl. Ebd. S. 72 und Battenberg: Kammerknechte, S. 549 f. Vgl. Willoweit: Rechtsstellung, S. 2177 und Michael Toch: Die Juden im mittelalterlichen Reich [Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 44], München 20032, S. 53. Z. B. in Nördlingen. Vgl. Wenninger: Man bedarf…, S. 154 ff. Vgl. Battenberg: Kammerknechte, S. 573 f.
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wicklungen, sodass die Rechtssituation der Juden auch durch die anderen genannten Veränderungen bedingt war.
2.2 Wirtschaftsgeschichtliche und finanzielle Entwicklungen der deutschen Juden Ähnlich der rechtlichen unterlag auch die wirtschaftliche Situation der Juden im Reich des Mittelalters einem fortwährenden Wandel, obwohl die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden sehr statisch geblieben ist. So hat zwar die Vorstellung, die Juden seien das gesamte Mittelalter hindurch Geldleiher und „Wucherer“ gewesen, durchaus eine gewisse Berechtigung; sie bedarf aber dennoch einer starken Modifizierung und Ausdifferenzierung. Während die Juden in der Frühphase ihrer Ansiedlung im Bereich des Heiligen Römischen Reiches mehrheitlich im Handel tätig waren, verlagerte sich besonders seit dem späten 12. und beginnenden 13. Jahrhundert ihre wirtschaftliche Tätigkeit in den Bereich der Geldleihe. Diese Entwicklung ist angesichts der kirchlichen Verbote von christlichen Darlehensgeschäften und von Zinsnahme im Allgemeinen nicht überraschend. Versuche, das Zinsverbot auf die Juden auszudehnen, waren allesamt misslungen, weil man auf ihre Darlehen und damit überhaupt auf flüssige Geldmittel offensichtlich nicht gänzlich hätte verzichten können.²⁵ Nicht allein die kirchlichen Bestimmungen zu Zinsgeschäften beeinflussten diesen Wandel. Vielmehr scheint die Zunahme an Handelstätigkeiten christlicher Kaufleute eine ausschlaggebende Ursache für eine (nicht planmäßige) Verdrängung der Juden aus dem Handel gewesen zu sein, denn die christlichen Kaufmannsgilden konnten sich im Wettbewerb mit jüdischen Händlern auf die Unterstützung der patrizischen Führungsschichten der Städte verlassen.²⁶ Schließlich scheint die beginnende Sesshaftigkeit der Juden im Reich die Wandlung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit hin zur Geldleihe befördert zu haben.²⁷
Vgl. Toch: Mittelalter, S. 7 f.; Battenberg: Zeitalter, S. 19 f., auch S. 102 f. und 112. Allerdings ist die „Chronologie des Niedergangs des Handels und des gleichzeitigen Aufstiegs der Geldleihe als hauptsächlicher Lebenserwerb der Juden immer noch unklar“. Toch: Mittelalter, S. 7 f. Siehe auch Ders.: Economic Activities of German Jews in the Middle Ages, in: Ders. (Hrsg.): Wirtschaftsgeschichte der mittelalterlichen Juden. Fragen und Einschätzungen [Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 71], München 2008, S. 181– 210, hier S. 187 ff. Ebd., S. 188.
2.2 Wirtschaftsgeschichtliche und finanzielle Entwicklungen der deutschen Juden
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Die Verdrängung der Juden aus bestimmten Berufszweigen ist im Licht bisheriger Forschung eindeutig bei den Handwerksberufen zu erkennen.²⁸ Die Organisierung der Handwerksgesellen in Bruderschaften und sonstigen Innungen, aber auch die allgemeine Verfestigung der Zünfte in ihrer dezidiert christlich-sakralen Prüfung beförderten die Verdrängung der Juden aus vielen Berufen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts konnten dann die Zünfte, als sie in den Städten an politischem Einfluss gewannen, den Ausschluss der Juden aus vielen Handwerken regelrecht erzwingen. Dabei spielte zweifellos die religiöse Färbung dieser Organisationsformen eine Rolle, denn die mit der religiösen Zugehörigkeit begründete Ablehnung der Juden wurde dann auch durch theologische Positionen gerechtfertigt.²⁹ Dennoch waren nicht alle Handwerksberufe den Juden verschlossen und es existierten durchaus manche nichtzünftigen Tätigkeitsbereiche.³⁰ So gab es jüdische Warenhändler, Ärzte, Hausierer, Glaser u. Ä. Allerdings entfielen die meisten den Juden noch offenstehenden Handwerke auf den Bereich des religiösen Kults und der Selbstversorgung, etwa Rabbiner, Vorsänger, Schächter und Bäcker.³¹ Trotz dieser Vielfalt an Berufen ist nicht zu leugnen, welche zentrale Stellung die Geldleihe für die spätmittelalterliche Judenschaft einnahm. Das Zinsgeschäft wurde nicht nur das wichtigste Tätigkeitsfeld der Juden im Reich, sondern bildete auch „die Existenzgrundlage des aschkenasischen Judentums“ und war sogar „der eigentliche Grund, warum Juden in [..] Zeit[en] wachsender Anfeindungen überhaupt Boden unter den Füßen und ein Dach über dem Kopf finden konnten“.³² Der Beruf des Kreditgebers, der den Juden bei hohen ‚unternehmerischen‘ Risiken auch ein relativ hohes Vermögen bescheren konnte, konnte zugleich Gefahr mit sich bringen. Unter den vielfältigen Ursachen für die Verfolgungen und Vertreibungen des Schwarzen Todes fällt besonders auf, wie oft „das Vermögen der Getöteten und Vertriebenen eingezogen und ihre Schuldscheine vernichtet“
Wenngleich weitreichende Partizipation an handwerklichen Produktionsvorgängen in östlichen Teilen des Reichs durchaus zu beobachten ist. Vgl. die Doktorarbeit von Jörn R. Christophersen: Studien zur Geschichte der Juden im Mark Brandenburg während des späten Mittelalters (13.–16. Jahrhundert), Diss. masch., Uni-Trier 2016 (in Druckvorbereitung). Vgl. Battenberg: Kammerknechte, S. 560 f.; Litt: Geschichte, S. 16; Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 18 und Toch: Die Wirtschaftliche Tätigkeit, in: GJ III.3, S. 2139 – 2164, hier S. 2145. Toch: Mittelalter, S. 11 f. und Litt: Geschichte, S. 16. Siehe ebd. und Toch: Mittelalter, S. 96. Toch: Wirtschaft, S. 2147.
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wurden.³³ Sowohl der Adel als auch zahlreiche Städte, die bei den Juden zum Teil hoch verschuldet waren, profitierten also von den gewaltsamen Ausweisungen.³⁴ Bei den (Wieder‐)Aufnahmen von Juden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts hing wiederum die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen oft davon ab, ob die aufzunehmenden Juden als Geldhändler tätig waren. Dies belegen vor allem die Schutzbriefe, aus denen hervorgeht, dass „jede andere berufliche Betätigung [..] die Chance der Stättigkeit“ minderte.³⁵ Offensichtlich versprach man sich finanzielle Vorteile von der Aufnahme der Kreditgeber, von denen man große Geldsummen für die Schutzaufnahme verlangen konnte.³⁶ Außerdem waren ja schließlich mit den Judenschutzrechten steuerliche Rechte verbunden. Eng verknüpft mit der Geldleihe war also die Steuerkraft der Juden; aber auch diese hatte widersprüchliche Folgen für sie. Auf der einen Seite war es gerade der fiskalische Nutzen, der Juden an vielen Ortschaften das Aufenthaltsrecht einbrachte. Auf der anderen Seite setzte sich sowohl bei den Königen bzw. Kaisern als auch bei territorialen und städtischen Herrschern die Tendenz durch, die Juden vorwiegend als Steuerobjekte zu betrachten und zu behandeln. Vor allem bei den Reichsoberhäuptern war diese Tendenz klar erkennbar, sodass in der Forschung „die Beziehung zwischen Königtum und Juden […] im Spätmittelalter [als] nackte[r] Fiskalismus“ bezeichnet wird.³⁷ So begannen die Reichsoberhäupter ab 1342, von sämtlichen Juden eine jährliche Abgabe von einem Gulden über 12 Jahre zu erheben.³⁸ Neben diesem sogenannten ‚Goldenen Opferpfennig‘ wurde auch der ‚Dritte Pfennig‘, der vor allem bei Königs- und Kaiserkrönungen erhoben wurde, eingeführt, u. a. als Abgabe zur Kriegshilfe. Darüber hinaus legitimierte die Praxis der Entrichtung des ‚Dritten Pfennigs‘ die Einführung einer speziellen Krönungssteuer, die König Sigismund bei seiner Kaiserkrönung 1434 verlangte.³⁹ Dass die Geldforderungen im Zusammenhang mit der Kaiser- bzw. Königskrönung als eine ‚Ehrung‘ oder ‚Schenkung‘ genannt wurden, ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um eine
Wenninger: Man bedarf…, S. 27 Vgl. ebd. und Michael Toch: Die Verfolgungen des Spätmittelalters (1350 – 1550), in: GJ III.3, S. 2298 – 2327, hier S. 2325, der es folgendermaßen ausdrückt: „Im gesamten Komplex der Verfolgungen und besonders der Vertreibungen erscheint der wirtschaftliche Gewinn für die Obrigkeiten von allererstem Stellenwert[, was d]ie Nüchternheit, mit der in den Jahren 1349/50 um das Erbe der ermordeten Juden gefeilscht wurde“, zeigt. Toch: Wirtschaft, S. 2147. Vgl. auch Toch: Mittelalter, S. 8. Vgl. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 26. Toch: Mittelalter, S. 50. Ausführlich über die Einführung dieser Abgabe bei Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 289 – 292 und S. 308. Isenmann: Steuern, S. 2231 f.
2.2 Wirtschaftsgeschichtliche und finanzielle Entwicklungen der deutschen Juden
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Zwangsabgabe handelte – zumal die Juden bei einer Krönung darauf angewiesen waren, dass ihre Privilegien bestätigt und erneuert wurden.⁴⁰ Neben den regelmäßigen Steuern wurden aber auch außerordentliche Zahlungen bei besonderen Anlässen erhoben. So war es nicht unüblich, Sonderabgaben zur Finanzierung von kriegerischen Feldzügen allgemein zu beschließen oder speziell den Juden aufzuerlegen, wie es z. B. im Hussitenkrieg und mehrfach in Verbindung mit den Türkenkriegen geschehen ist. Diese außerordentlichen Reichssteuern, die als Anschläge bezeichnet wurden, halfen auch bei der Finanzierung des Konstanzer Konzils, obwohl es sich hierbei um eine rein christliche Angelegenheit handelte. Schließlich waren die Juden auch von der Einführung von allgemeinen Steuern wie dem auf dem Reichstag von 1495 beschlossenen ‚Gemeinen Pfenning‘ betroffen.⁴¹ Doch waren die fiskalischen Forderungen nicht das Einzige, was die Finanzkraft der Juden belastete. Nachdem die Vertreibungen des Schwarzen Todes bereits massiv am jüdischen Kapital gezehrt hatten, verschlangen die Schuldentilgungsaktionen zu Ende des 14. Jahrhunderts einen Großteil des jüdischen Vermögens. Während an der Schuldentilgungsaktion von 1385 eine vergleichsweise kleine Zahl an Reichsstädten (ca. 15 bis 22) beteiligt war, betraf die zweite Tilgung von 1390 eine wesentlich größere Region, sodass der Schuldenerlass weitaus schlimmer ausfiel.⁴² In der Folge der großen Tilgungsaktionen gab es in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ähnliche Unternehmungen auf lokaler Ebene. So wurden Juden aus Trier und Regensburg vertrieben, nachdem die bei ihnen liegenden Pfänder ohne Entschädigung konfisziert wurden. Meist wurden ihnen auch ihre liegenden Güter bei dieser Gelegenheit entzogen. Allerdings endeten die meisten dieser späteren Schuldentilgungen ohne beachtenswerte finanzielle Vorteile für die Obrigkeiten, weil die fiskalische Leistungsfähigkeit der Juden bereits erschöpft war.
Ebd. und S. 2258. Vgl. Ebd. S. 2245 und 2256, sowie Toch: Mittelalter, S. 50. Allgemein über die Steuerforderungen des 15. Jahrhunderts siehe Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 292– 299. Aufgebauer und Schubert weisen auch darauf hin, dass die Juden ein gewisses Mitspracherecht in Steuersachen hatten, insofern als die Steuersummen häufig durch Verhandlungen mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden festgelegt wurden. Allerdings gestehen die Autoren gleich ein, dass dieses Mitspracherecht aufgrund der zum Teil sehr heiklen Lage der Juden sehr beschränkt war. Ebd. S. 302 f. Vgl. František Šmahel: Die Prager Judengemeinde im hussitischen Zeitalter (1389 – 1485), in: Cluse / Haverkamp / Yuval (Hrsg.): Jüdische Gemeinden, S. 341– 363, hier S. 352; Wenninger: Man bedarf… S. 48 und ausführlich über die Schuldentilgungen S. 38 ff.; zudem Willoweit: Rechtsstellung, S. 2206.
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Der durch die Verfolgungen, Vertreibungen und Schuldentilgungsaktionen verursachte Verlust von großen jüdischen Vermögenswerten bewirkte, zusammen mit dem immer weiter steigenden Steuerdruck und den außerordentlichen Zwangsabgaben, dass die jüdische Bevölkerung des Reichs fast gänzlich verarmte.⁴³ Zu dieser Entwicklung trug auch die Verringerung der Zinssätze im Laufe des 15. Jahrhunderts wesentlich bei.⁴⁴ Nicht zuletzt beeinflusste die Entstehung und das Erstarken von christlichen Geldhäusern – dazu zählten u. a. die großen Finanzier-Dynastien der Fugger und Welser – die wirtschaftliche und finanzielle Abschwächung der Juden. Die christlichen ‚Banken‘ übernahmen im ausgehenden Mittelalter die lukrativen Geldgeschäfte mit Königen und Fürsten, während die Juden, die in früheren Zeiten Schuldner aus allen Bevölkerungsschichten zu ihren Kunden gezählt hatten, nun ihren Lebensunterhalt vorwiegend mit Pfandleihgeschäften mit ärmeren städtischen und ländlichen Bevölkerungskreisen bestreiten mussten.⁴⁵ Auch diese letzte berufliche ‚Nische‘, die den Juden ein nicht zu unterschätzendes wirtschaftliches Auskommen gewährte, bot ihnen keine Sicherheit, denn gerade der tägliche geschäftliche Kontakt mit den unteren Bevölkerungsschichten beschwor viele soziale Konflikte herauf. Die enge wirtschaftliche Beziehung zwischen meist leseunkundigen und von der Verarmung bedrohten Bauern oder Handwerkern und ihren jüdischen Kreditgebern barg tatsächlich ein Potenzial für soziale Unruhen, die im ausgehenden Mittelalter zu heftigen Ausschreitungen gegen Juden führten.⁴⁶ Die soziale Spannung wurde zudem dadurch gesteigert, dass die Tätigkeit der Juden als Geld- und Pfandhändler einer stetig schärfer werdenden Kritik am Wucher unterzogen wurde. Der theologisch begründete Wucherdiskurs war ursprünglich v. a. gegen christliche Zinsnahme gerichtet und erstreckte sich zunächst „[n]ur indirekt – auf dem Umweg über die Fürstenmoral“ auf den jüdischen Geldhandel.⁴⁷ Erst im 15. Jahrhundert und v. a. in der Zeit nach dem Basler Konzil (um 1435) wurde der Vorwurf des Wuchers, der nun als Todsünde ver Wenninger: Man bedarf… S. 243 und Isenmann: Steuern, S. 2276. Vgl. Wenninger: Man bedarf… S. 230 – 36. Vgl. z. B. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 27 und Arno Herzig: Die Juden in Deutschland zur Zeit Reuchlins, in: Ders. / Julius H. Schoeps (Hrsg.): Reuchlin und die Juden, [Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 3], Sigmaringen 1993, S. 11– 20, hier S. 12 f. und Toch: Mittelalter, S. 12. Vgl. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 22 f. und Toch: Wirtschaft, S. 2164. Christoph Cluse: Zum Zusammenhang von Wuchervorwurf und Judenvertreibung im 13. Jahrhundert, in: Friedhelm Burgard / Alfred Haverkamp / Gerd Mentgen (Hrsg.): Judenvertreibungen in Mittelalter und früher Neuzeit [Forschungen zur Geschichte der Juden, Abteilung A: Abhandlungen, Bd. 9], Hannover 1999, S. 135 – 163, hier S. 163. Siehe auch die Beiträge des Themenhefts zum jüdischen Geld- und Kreditgeschäft in der Zeitschrift Aschkenas 20 (2012).
2.2 Wirtschaftsgeschichtliche und finanzielle Entwicklungen der deutschen Juden
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standen wurde, zu einem polemischen Instrument gegen die Juden.⁴⁸ Die Missionspredigten des päpstlichen Legaten Nikolaus von Kues, der die Beschlüsse des Konzils im Reich verbreitete, und von Wanderpredigern wie Johannes Capistranus und Peter Negri spielten dabei eine wesentliche Rolle.⁴⁹ Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts etablierte sich ein Stereotyp vom jüdischen Wucherer, das auch im 16. Jahrhundert die soziale Stellung der Juden mitprägte.⁵⁰ Es lässt sich demzufolge eine Verschlechterung des sozialen Status der Juden konstatieren, die offensichtlich durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit beeinflusst war. Zusammenfassend lassen sich ein Rückgang der ökonomischen Tätigkeit und eine massive Abschwächung der finanziellen Kraft der Juden im Reich feststellen. Dies brachte sie an den Rand der (fiskalischen) Bedeutungslosigkeit in den Augen von Städten und Territorialherren, die in früheren Zeiten große steuerliche Einnahmen durch den Besitz des Judenregals erzielt hatten. Die hinzukommende Verurteilung der jüdischen Geldgeschäfte als schädlicher Wucher, der die ‚armen Christen‘ ruinierte, moralische Missstände verursachte und daher ein Unruhepotenzial darstellte, machte die jüdische Anwesenheit vielerorts unerwünscht. Dies waren wesentliche Gründe für die zahlreichen Judenvertreibungen des 15. Jahrhunderts.⁵¹ Die ökonomische Lage der Juden beeinflusste auch die königliche bzw. kaiserliche Beziehung zur Reichsjudenschaft. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts erhielt Kaiser Maximilian I. anlässlich seiner Königskrönung (1486) eine ‚Ehrung‘ in Höhe von lediglich 1000 Gulden, eine Summe, die in früheren Zeiten von „eine[r] einzige[n] Gemeinde, ja bisweilen ein[em] einzelne[n] Jude[n]“ erbracht worden war. Die schwindende steuerliche Kraft der Juden „dürfte auch der Grund gewesen sein, warum [Maximilian I. (A.S.)] sich die Erlaubnis zu ihrer Vertreibung relativ
Vgl. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 28 f; Cluse: Zusammenhang, S. 161; Wenninger: Man bedarf…, S. 220 ff.; Toch: Mittelalter, S. 12 und Peter Moraw: Die Kirche und die Juden, in: GJ III.3, S. 2282– 2297, hier S. 2290. Vgl. Moraw: Kirche, S. 2290 und 2296; Fritz Backhaus: Die Vertreibung der Juden aus dem Erzbistum Magdeburg und den angrenzenden Territorien im 15. und 16. Jahrhundert, in: Burgard / Haverkamp / Mentgen (Hrsg.): Judenvertreibungen, S. 225 – 240, hier S. 226 und Markus Wenninger: Juden als Münzmeister, Zollpächter und fürstliche Finanzbeamte im mittelalterlichen Aschkenas, in: Toch (Hrsg.): Wirtschaftsgeschichte, S. 121– 138, hier S. 135. Vgl. z. B. Ronnie Po-Chia Hsia: The Usurious Jew. Economic Structure and Religious Representation in an Anti-Semitic Discourse, in: Ders. / Hartmut Lehmann (Hrsg.): In and Out of the Ghetto. Jewish-Gentile Relations in Late Medieval and Early Modern Germany, Washington 1995, S. 161– 176. Vgl. z. B. für Ulm Isenmann: Steuern, S. 2276; außerdem allgemein Wenninger: Man bedarf…, S. 236, Toch: Verfolgungen, S. 2323 ff.
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leicht abkaufen ließ.“⁵² Allerdings waren die Vertreibungen des Spätmittelalters nicht ausschließlich wirtschaftlich motiviert, sondern hatten mehrere Gründe, wie im Folgenden geschildert werden soll.
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden Die Zeit zwischen der Mitte des 14. und dem Ende des 15. Jahrhunderts stellt im Hinblick auf Verfolgungen keine Ausnahmeerscheinung dar. So gut wie keine der in dieser Periode auftauchenden Formen der Judenfeindlichkeit waren erstmalig, oder verschwanden spurlos danach. Was allerdings ins Auge fällt, ist der nun häufig aufgetretene Zusammenhang zwischen Verfolgung, Vertreibung und den begleitenden Diskursen über die Schädlichkeit und Gefährlichkeit der Juden, die sich im Spätmittelalter zu regelrechten Stereotypen und Vorurteilen verfestigten. Die Verfolgungen während der Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts markieren einen tiefen Schnitt in der jüdischen Geschichte im Heiligen Römischen Reich. Es war zwar nicht das erste Mal, dass viele jüdische Gemeinden und Einzelpersonen in einer Welle von Pogromen schwer zu leiden hatten – zu denken wäre beispielsweise an die Ausschreitungen während der ersten Kreuzzüge.⁵³ Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts vermehrten sich aber die Verfolgungen aufgrund der Vorwürfe von Ritualmorden und Hostienschändung.⁵⁴ Während die meisten Ausschreitungen des 13. Jahrhunderts als lokale Pogrome bezeichnet werden können⁵⁵, verliefen im Unterschied dazu die Verfolgungswellen des ausgehenden 13. und der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts großräumig und besonders brutal.⁵⁶
Wenninger: Man bedarf…, S. 244. Siehe auch Isenmann: Steuern, S. 2218 f. Siehe z. B. Alfred Haverkamp (Hrsg.): Juden und Christen zur Zeit der Kreuzzüge, Sigmaringen 1999; Robert Chasan: European Jewry and the First Crusade. Berkeley – Los Angeles 1987 und Eva Haverkamp (Ed.): Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während des Ersten Kreuzzugs, Hannover 2005. Da diese Thematik später in der Arbeit ausführlich behandelt wird, wird hier auf die Angabe der Forschungsliteratur verzichtet. Vgl. Kapitel 3.2, 5.2.1, 6.2 und 6.4 dieser Arbeit. Eine Auflistung der Vorfälle zwischen 1235 und 1285 findet sind in der Einleitung von Zvi Avneri (Hrsg.): GJ, Bd. II: Von 1238 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Teil 1, Tübingen 1968, S. XXXIV. Z. B. die sogenannten ‚Rintfleisch‘- und ‚Armleder‘-Verfolgungen, die lokal ausbrachen, sich aber bald auf mehrere Regionen ausweiteten und bei denen jeweils mehrere Tausend Juden ums Leben kamen. Siehe z. B. Friedrich Lotter: Die Judenverfolgungen des „König Rintfleisch“ in Franken um 1298. Die endgültige Wende in den christlich-jüdischen Beziehungen im Deutschen Reich des Mittelalters, in: ZHF 15 (1988), S. 385 – 422 und Ders.: Hostienfrevelvorwurf und Blut-
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden
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Den absoluten Höhepunkt dieser turbulenten und blutigen Periode stellte die Pestzeit um die Mitte des 14. Jahrhunderts dar. Die Gerüchte, Juden hätten die Trinkbrunnen vergiftet und die Pest verursacht, lösten unzählige Verfolgungswellen in fast allen Teilen des Reiches aus, manchmal sogar noch bevor die Seuche in eine bestimmte Region Einzug hielt.⁵⁷ In vielen Fällen endeten die Ausschreitungen mit der Vertreibung der überlebenden Juden und der Konfiszierung des jüdischen Besitzes. Somit markierte diese Phase sowohl die Zerschlagung der größeren Judengemeinden und nahezu aller städtischen Zentren als auch die beginnende finanzielle Schwächung der Juden.⁵⁸ Obwohl sich hier ein Bruch in der Siedlungsgeschichte der Juden im Reich vollzog, war dieser nicht von Dauer. An vielen Orten konnten sich Juden recht bald eine (Wieder‐)Aufnahme verschaffen⁵⁹; meist konnten sie sogar zu den zentral gelegenen Straßen und Plätzen zurückkehren, wo sie vor den Pogromen gelebt hatten. Neben den oben erwähnten veränderten Aufnahme- und Schutzbedingungen⁶⁰ war auch die Zahl der aufgenommenen Familien kleiner als in der Zeit vor 1348. Die vergleichsweise kleine Anzahl an Juden in den neuen Siedlungsorten erschwerte die Organisation eines „nach innen und außen wirksame[n] Gemeindeleben[s]“.⁶¹ Umso schwerer wurde es, als die Ausweisungen im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts wieder einsetzten. Wenn an manchen Orten „Vertreibungen und Wiederansiedlungen [..] rasch aufeinander folgten“⁶², dann verursachte diese Unbeständigkeit, dass sich kaum jüdische Gemeinden, geschweige
wunderfälschung bei den Judenverfolgungen von 1298 („Rintfleisch“) und 1336 – 1338 („Armleder“), in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. 5: Fingierte Briefe, Frömmigkeit und Fälschung, Realienfälschung, (MGH 33,5), Hannover 1988, S. 533 – 583, mit einer Liste der „Hostienwunder und Hostienfrevelbeschuldigungen im Deutschen Reich 1290 und 1338“. Außerdem Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 15 f. und GJ II.1, S. XXXIVf. Vgl. GJ II.1, S. XXXVIII–XXXIX; Alfred Haverkamp: Die Judenverfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes im Gesellschaftsgefüge deutscher Städte, in: Ders. (Hrsg.): Zur Geschichte, S. 27– 93, hier S. 27– 46 und Battenberg: Zeitalter, S. 120 ff. Vgl. Battenberg: Zeitalter, S. 121 f.; Toch: Mittelalter, S. 61 f. Die Wiederansiedlung fand in nur etwa der Hälfte der Orte, in denen vor der Jahrhundertmitte Juden ansässig gewesen waren, statt. Siehe dazu Ellen Littmann: Studien zur Wiederaufnahme der Juden durch die deutschen Städte nach dem Schwarzen Tode. Ein Beitrag zur Geschichte der Judenpolitik der deutschen Städte im späten Mittelalter, in: MGWJ 72,6 (1928), S. 576 – 600, sowie die regionale Studie von Hans Lichtenstein: Zur Wiederaufnahme der Juden in die brandenburgischen Städte nach dem Schwarzen Tode, in: ZGJD, NF 5 (1935), S. 59 – 63. Siehe oben Kapitel 2.1. Außerdem Toch: Mittelalter, S. 34 f. und Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 20 f. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 21. Ebd.
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denn Zentren, auf Dauer etablieren konnten. In einigen Städten, in denen jüdische Siedlungen dauerhaft bestehen blieben, wurden die Juden in bestimmten Wohnvierteln und Gassen angesiedelt, die durch Tore und teilweise sogar zugemauerte Fenster von der christlichen Stadtbevölkerung abgegrenzt wurden. So war es beispielsweise bereits bei den Wiederaufnahmen nach den Pestverfolgungen in Nürnberg und in Worms sowie im 15. Jahrhundert in Passau und in Frankfurt am Main.⁶³ Judenvertreibungen waren bis zum letzten Viertel des 14. Jahrhunderts meist keine Initiative der Obrigkeiten, sondern wurden begründet als Maßnahme zur Wiederherstellung des sozialen Friedens nach Unruhen, Aufruhr und Ausschreitungen der Bevölkerung gegen die Juden. Im 15. Jahrhundert hingegen wurden Vertreibungen regelrecht zu einem Instrument der Durchsetzung von politischen Zielen und wurden deshalb nahezu immer auf Betreiben der Lokalbzw. Territorialobrigkeiten vollzogen.⁶⁴ Zu dieser Entwicklung trugen selbstverständlich die Entwertung des Judenschutzes zu einem fiskalischen Nutzungsfaktor und die finanzielle Schwächung des jüdischen Kapitals bei. Dass sich gleichzeitig soziale Konflikte wegen der jüdischen Kredit- und Pfandleihegeschäfte mit den niederen Schichten häuften, verschärfte die Situation der Juden, die immer mehr als sozialer Störfaktor wahrgenommen wurden. Die bereits angesprochene Verurteilung des jüdischen Wuchers wurde im 15. Jahrhundert immer häufiger mit dem den Juden unterstellten Hass auf Christen verknüpft. Damit war die Ansicht verbunden, die Juden würden den Niedergang der Christenheit herbeiwünschen. Dass man zudem glaubte, sie verfluchten, verschmähten und verspotteten Jesus, Maria und die gesamte christliche Ordnung, verschärfte das Misstrauen ihnen gegenüber. In diesem Zusammenhang wurde das jüdische Geldgeschäft als ein Mittel angesehen, mit dem die Juden die ärmeren Christen zu ruinieren, den Frieden zu stören und die christliche Ordnung zu zerstören trachteten.⁶⁵
Vgl. Toch: Mittelalter, S. 35; für Worms siehe Gerold Bönnen: Jüdische Gemeinde und christliche Stadtgemeinde im spätmittelalterlichen Worms, in: Cluse / Haverkamp / Yuval (Hrsg.): Jüdische Gemeinde, S. 309 – 340, hier S. 313. Vgl. Wenninger: Man bedarf…, S. 259. Vgl. z. B. Toch: Verfolgungen, S. 2324; Winfried Frey: Gottesmörder und Menschenfeinde. Zum Judenbild in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: Alfred Ebenbauer und Klaus Zatloukal (Hrsg.): Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt,Wien u. a. 1991, S. 35 – 51 und BenZion Degani: Die Formulierung und Propagierung des jüdischen Stereotyps in der Zeit vor der Reformation und sein Einfluss auf den jungen Luther, in: Heinz Kremers (Hrsg.): Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderungen, Neukirchen 1985, S. 3 – 44.
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden
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Auch wenn diese Auffassungen meist der Fantasie entsprungen waren, war die Vorstellung vom jüdischen Hass auf Christen kein reines Hirngespinst oder ein schieres antijüdisches Propagandamittel, sondern entsprach einer wahren Feindschaft. Angesichts der vielen Anfeindungen, Diskriminierungen und Verfolgungen entwickelten die Juden tatsächlich eine christenfeindliche Polemik und sogar eine „Rache-Erlösung“, die in ihren Gebeten, liturgischen Dichtungen und polemischen Werken zum Ausdruck kamen.⁶⁶ Obwohl eine kollektive Vergeltung der Juden gegen ihre christlichen Peiniger unrealistisch war, befürchtete ihre christliche Umwelt ebendies.⁶⁷ Diese Angst muss schließlich eine nicht unwesentliche Rolle bei der Entstehung der Blutbeschuldigung und des Vorwurfs der Hostienschändung gespielt haben, die wiederum ein Grund bzw. eine Rechtfertigung für viele Verfolgungen und Vertreibungen waren.⁶⁸ Damit erkennt man ganz deutlich, wie reziprok wirksam die gegenseitige religiöse Feindschaft war und welchen Einfluss sie auf die Lebenswirklichkeit von Juden wie Christen übte. Aus der Vorstellung, die Juden wünschten den Untergang der christlichen Herrschaft herbei, erwuchs zudem die Beschuldigung, sie würden sich mit Feinden der Christenheit verbünden. So löste die den Juden unterstellte Verbindung mit den Hussiten in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts schwere Verfolgungen aus, die zur Verhaftung und Verbrennung von Hunderten ‚österreichischen‘ Juden sowie zur Verjagung und Ermordung zahlreicher weiterer Juden im Reich führten.⁶⁹ Auch im Zusammenhang mit der Türkengefahr wurden die Ju-
Vgl. Israel J. Yuval: Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter [Jüdische Religion, Geschichte und Kultur, Bd. 4], Göttingen 2007, bes. S. 105 – 145. Siehe außerdem Jacob Katz: Exclusiveness und Tolerance. Studies in Jewish Gentile Relations in Medieval and Modern Times [Scripta Judaica, Bd. 3], London 1961, S. 89 f. Ein wesentlicher Beitrag dazu, dass die Christen von jüdischen Verwünschungen wussten, kam durch die Werke von Konvertiten und des Hebräischen kundiger Gelehrter zustande. Zu nennen seien beispielsweise die Werke der Konvertiten Viktor von Carben und Johannes Pfefferkorn sowie jene christlicher Theologen wie Petrus Venerabilis und Petrus Nigri. Öffentliche Disputationen über diese Thematik, wie in Paris 1240, trugen zudem zur Verbreitung dieser Auffassung bei. Vgl. Yuval: Zwei Völker, S. 137 ff. Über die christliche Angst vor dem jüdischen Messianismus und der damit einhergehenden rachevollen Erlösungserwartung siehe v. a. Voß: Umstrittene Erlöser, bes. S. 23 – 45. Siehe auch Rebekka Voß: Messias der Vergeltung. Gewaltvorstellungen im jüdischen Messianismus und ihre christliche Wahrnehmung, in: Peter Burschel und Christoph Marx (Hrsg.): Gewalterfahrungen und Prophetie, Köln 2013, S. 381– 413. Vgl. z. B. Degani: Jüdische Stereotype, S. 16, und František Graus: Die Juden in ihrer Mittelalterlichen Umwelt, in: Ebenbauer/Zatloukal (Hrsg.): Juden, S. 53 – 65, hier S. 63. Vgl. Klaus Lohrmann: Zwischen Finanz und Toleranz. Das Haus Habsburg und die Juden. Ein historischer Essay, Graz – Wien – Köln 2000, S. 122; Laux: Gravamen, S. 41 f. Laut Toch:
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den – u. a. aufgrund ihrer Handels- und Familienbeziehungen ins Osmanische Reich – als feindliche Spione verdächtigt.⁷⁰ Auch unabhängig von der offenen wie verborgenen Feindschaft bestanden auf beiden Seiten Tendenzen zur Abgrenzung von der jeweils anderen religiösen Gruppe.⁷¹ Im 15. Jahrhundert bekam diese Tendenz auf christlicher Seite einen eindeutigen Schub durch die Konzilien von Konstanz (1414‒18) und Basel (1431‒ 49).⁷² Vor allem im Baseler Konzil wurden wichtige Beschlüsse gefasst, die ältere Anordnungen bezüglich des Umgangs von Christen mit Juden bekräftigten und verschärften. So wurde u. a. beschlossen, dass Juden kein christliches Hausgesinde beschäftigen durften, und der Umgang mit Juden an Festtagen, auf Hochzeiten oder auch in Bädern sollte unterbunden werden. Des Weiteren wurde die Behandlung von Christen durch jüdische Ärzte wie auch der Umgang der ‚Taufjuden‘ mit ihren alten Glaubensgenossen untersagt. Nicht zuletzt sollten auch die Wohngegenden der Juden von denen der Christen abgegrenzt sein. Schließlich sollten die Juden dazu genötigt werden, ein Gewand zu tragen, mit dem man sie von den Christen besser unterscheiden konnte.⁷³ Im Unterschied zu früheren synodalen Bestimmungen konnten die Beschlüsse der Konzile des 15. Jahrhunderts auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ihre Wirkung entfalten. Die Missionspredigten, die der päpstliche Legat im Reich, Nikolaus von Kues, in den ersten Jahren der zweiten Jahrhunderthälfte hielt, hatten wenigstens bei der Durchsetzung von Judenabzeichen in zahlreichen Orten Erfolg.⁷⁴ Die Kennzeichnung der Juden sollte die Überwachung des Kontakts zwischen Juden und Christen erleichtern. Wie bei anderen Randgruppen (Bettler, Dirnen usw.), die durch Kleiderordnungen und Sonderabzeichen von der übrigen Bevölkerung unterschieden wurden, führte die ‚Visi-
Verfolgungen, S. 2307 war die Ballung an antijüdischen Ausschreitungen in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts „[n]ach Zahl der betroffenen Orte [..] die größte Verfolgungswelle überhaupt“. Die Türkengefahr war im 16. und 17. Jahrhundert ein großes Problem der Reichspolitik und somit lebte auch der Spionagevorwurf gegen Juden fort. Dazu mehr in den Kapiteln 5.1, 6.3 und 6.4 dieser Arbeit. Vgl. z. B. Kaplan: Beyond Expulsion, S. 66 ff. Vgl. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 13 f. und Moraw: Kirche, S. 2285 f. Mit diesen Konzilien überwand die Kirche den Autoritätsverlust, der durch die Großen Schismen (1387– 1417) und das Scheitern des Konziliarismus verursacht worden war. Die relevanten Bestimmungen des Baseler Konzils wurden durch Willehad Paul Eckert übersetzt, in: Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch (Hrsg.): Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden, Bd. 1, Stuttgart 1968, S. 248 – 250. Vgl. Moraw: Kirche, S. 2290.
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden
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bilisierung‘ ihres Andersseins zu ihrer Stigmatisierung und zur Abwertung ihres sozialen Status.⁷⁵ Zeitgleich mit Nikolaus von Kues machte sich der Franziskanermönch Johannes Capistranus für kirchliche Angelegenheiten im Reich stark. Den Beschlüssen des Baseler Konzils folgend, hielt er zahlreiche Zwangs- und Missionspredigten für Juden ab. Seine hasserfüllten Hetzpredigten bedienten sich oft des Vorwurfs der Hostienschändung und der Blutlegende und stifteten an manchen Orten unmittelbar Pogrome gegen die Juden an, die z. T. mit Vertreibungen endeten.⁷⁶ Nicht zuletzt forderten Capistranus und andere Wander- oder Lokalprediger der Zeit – zu nennen seien beispielsweise Bernhardin von Feltre und Petrus Negri – die in den Konzilien festgelegte soziale und räumliche Abgrenzung der Juden von der übrigen Bevölkerung. Die Tendenzen zur Ausgrenzung und Ausschließung der Juden verdichteten sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und wurden zu einem erheblichen Maße durch die Erfindung des Buchdrucks gefördert. So wurden im späten 15. Jahrhundert vermehrt Agitationsschriften, aber auch literarische Werke gegen Juden gedruckt.⁷⁷ Hinzu kamen Flugblätter und -schriften, in denen ‚Nachrichten‘ über von Juden begangene angebliche Ritualmorde und Hostienschändungen verbreitet wurden. Das Paradebeispiel für solch einen Einsatz des neuen Druckmediums gegen die Juden stellen die Flugschriften im Zusammenhang mit der Blutbeschuldigung von Trient (1475) dar.⁷⁸ Die „Flut von Darstellungen in Wort
Vgl. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 28. Allgemein zu Stigmatisierung siehe: Robert Jütte: Stigma-Symbole. Kleidung als identitätsstiftendes Merkmal bei spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Randgruppen (Juden, Dirnen, Aussätzige, Bettler), in: Neithard Bulst / Robert Jütte (Hrsg.): Zwischen Sein und Schein. Kleidung und Identität in der ständischen Gesellschaft, Saeculum 44 (1993), S. 65 – 89. Vgl. Moraw: Kirche, S. 2296; Toch: Mittelalter, S. 64 f. und Backhaus: Vertreibung, S. 226. Bekannt sind vor allem die Werke Hans Folz’, aber auch die Passions- und Fastnachtsspiele. Siehe z. B. Thomas Bartoldus: We dennen menschen die schuldig sind. Zum Antijudaismus im geistlichen Spiel des späten Mittelalters und Regine Schiel: Die gißigen würm das seit ir. Antijudaismus in Fastnachtspielen des Nürnberger Meistersängers Hans Folz (Ende 15. Jahrhundert), beide in: Arne Domrös (Hrsg.) Judentum und Antijudaismus in der deutschen Literatur im Mittelalter und an der Wende zur Neuzeit. Ein Studienbuch, Berlin 2002, S. 121– 146 und 147– 178. Vgl. z. B. Wenninger, Man bedarf…, S. 223. Franz-Josef Ziwes: Territoriale Judenvertreibungen im Südwesten und Süden Deutschlands im 14. und 15. Jahrhundert, in: Burgard / Haverkamp / Mentgen (Hrsg.): Judenvertreibungen, S. 165 – 187, hier S. 165 schreibt sogar, dass „[e]rst nach 1475 und damit nach dem Aufkommen der populärsten Ritualmordfama des Spätmittelalters um Simon von Trient [..] sich die Ereignisse derart verdichten, daß man in den Vertreibungen Folgeerscheinungen der Verleumdungskampagnen sehen kann“. Aus der umfangreichen Literatur zu den Ereignissen von Trient und deren Auswirkungen siehe: Klaus Brandstätter: Antijüdische Ritualmordvorwürfe in Trient und Tirol. Neuere Forschungen zu Simon von Trient und
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und Bild, die die angeblichen Verbrechen der Juden in höchst drastischer Weise darstellten“⁷⁹, steigerte die sowieso weitverbreitete Furcht und das bestehende Misstrauen gegenüber Juden. In dieser Zeit bestand ferner eine Tendenz zur „Vulgarisierung religiöser Gehalte und liturgischer Handlungen“⁸⁰, wodurch die den Juden unterstellte Gotteslästerung zentral angeprangert wurde. Tolerierte man die Juden weiterhin, machte man sich, so die gängige Vorstellung, selbst der Sünde der Gotteslästerung schuldig.⁸¹ Dies führte zur Verbreitung antijüdischer Einstellungen unter Christen und nicht selten zu einem volksfrommen Druck und somit zur erhöhten Bereitschaft der Lokalobrigkeiten, Judenvertreibungen durchzuführen. Es gab aber auch politische Gründe für die spätmittelalterlichen Judenvertreibungen. Die vielen Konflikte über die Unabhängigkeit der Städte von ihren Territorial- bzw. Landesherren verursachten Unsicherheit an vielen Orten, an denen sich Juden niedergelassen hatten. Bei diesen Konflikten waren sowohl die Territorialherren als auch die Städte sehr bemüht, ‚eine Monopolstellung‘ (Haverkamp) über die Juden zu erlangen und dadurch die Möglichkeit von Eingriffen seitens anderer Mächte in den eigenen Herrschaftsbereich zu verhindern. Da die Judenrechte meist dennoch „Ansatzpunkte für Eingriffe anderer Mächte und Anlaß zu weiteren Auseinandersetzungen boten“, waren besonders die Städte dazu geneigt, sich ihrer Juden zu entledigen.⁸² Politische Faktoren gab es auch bei den knapp unter 30 territorialen bzw. landesherrlichen Vertreibungen, die im Zeitraum zwischen 1390 und 1520 stattfanden. Häufig wurden diese in Umbruchphasen, wenn ein Herrscherwechsel bevorstand, beschlossen und umgesetzt.⁸³ Der Zusammenhang hierin lag in den auszuhandelnden Wahlkapitulationen, bei denen die Landstände ihre Interessen besser durchsetzen konnten, v. a. wenn der neue Herrscher auf die „legitimierende
Andreas von Rinn, in: Historisches Jahrbuch 125 (2005), S. 495 – 536; Susanna Buttaroni und Stanisław Musiał (Hrsg.): Ritualmord. Legenden in der europäischen Geschichte, Wien 2003; Ronnie Po-chia Hsia: Trient 1475. Geschichte eines Ritualmordprozesses, Frankfurt am Main 1997; Wolfgang Treue: Der Trienter Judenprozeß. Voraussetzungen – Abläufe – Auswirkungen 1475 – 1588 [Forschungen zur Geschichte der Juden. Abhandlungen, Bd. 4], Hannover 1996 und Rainer Erb (Hrsg.): Die Legende vom Ritualmord. Zur Geschichte der Blutbeschuldigung gegen Juden, Berlin 1993. Wenninger, Man bedarf…, S. 223. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 29. Vgl. z. B. Toch: Verfolgungen, S. 2324. Vgl. Haverkamp: Lebensbedingungen, S. 26 f. Allerdings konnten die Ausweisungen von den territorialen Fürsten konterkariert werden, sodass die Juden binnen kurzer Zeit zu ihrem Wohnort zurückkehren konnten. Vgl. Laux: Gravamen, S. 34. Vgl. Ziwes: Territoriale Judenvertreibungen, S. 173 und 182.
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden
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oder stabilisierende Mitwirkung der Stände angewiesen“ war.⁸⁴ Oft motivierte eine antijüdische Stimmung in den fürstlichen Kanzleien bei den Landständen und bei den Territorialstädten die Forderung nach der Vertreibung der Juden.⁸⁵ Dabei ging es den Adligen nicht selten schlichtweg darum, von der Konfiszierung des jüdischen Vermögens zu profitieren und eine Tilgung ihrer Schulden zu erzwingen.⁸⁶ Die Rolle der Kaiser im gesamten Komplex der städtischen und territorialen Vertreibungen war nicht eindeutig. Bei Aktionen auf territorialer Ebene hatten die Kaiser meistens nicht die Möglichkeit, zu intervenieren, weil die Judenregale in den Händen der Landesherren lagen und diese die Verfügungsmacht über Niederlassung, Duldung und Vertreibungen bei sich hatten. Dennoch sind Fälle bekannt, in denen der Kaiser an der Vertreibungsaktion mittelbar beteiligt war.⁸⁷ Maximilian I. war in seiner Funktion als Landesherr in den österreichischen Erblanden sogar derjenige, der 1496 die Juden aus der Steiermark und Kärnten auswies.⁸⁸ Derselbe Kaiser lehnte allerdings zu Beginn seiner Regentschaft den Plan einer Generalvertreibung der Juden aus dem gesamten Reich und aus den habsburgischen Erblanden ab.⁸⁹ Im Kontext der Ausweisungen der Juden aus Reichsstädten, in denen oft jüdische Zentren bestanden⁹⁰, hatten die Kaiser mehr Einfluss auf den Gang der Ereignisse und konnten in vielen Fällen die Vertreibungen verhindern. Allerdings waren die Einmischungen der Reichsoberhäupter nicht durch die Sorge um ihre jüdischen Untertanen motiviert. Viel ausschlaggebender bei solchen Interventionen war die Wahrung ihrer finanziellen und machtpolitischen Interessen. Das hatte zu bedeuten, dass mit einem kaiserlichen Eingriff in die Ereignisse nur dann zu rechnen war, wenn die Kaiser finanzielle Verluste durch diese Aktionen zu
Ebd., S. 182 und Laux: Gravamen, S. 50 – 72. Vgl. Laux: Gravamen, S. 52, 56 und 66; Rotraud Ries: „De joden to verwisen“ – Judenvertreibungen in Nordwestdeutschland im 15. und 16. Jahrhundert, in: Burgard / Haverkamp / Mentgen (Hrsg.): Judenvertreibungen, S. 189 – 224, hier bes. 210 ff. Allerdings lässt sich erkennen, dass der Einfluss der Landstände und -städte sowie deren antijüdische Haltung im 16. Jahrhundert ausschlaggebender als im 15. Jahrhundert waren. Vgl. Rotraud Ries: Zur Bedeutung von Reformation und Konfessionalisierung für das christlich-jüdische Verhältnis in Niedersachsen, in: Aschkenas 6,2 (1996), S. 353 – 420, hier bes. 400 – 417. Vgl. Ziwes: Territoriale Judenvertreibungen, S. 173. So war es bei den Geschehnissen im Kontext der großen Schuldentilgungen. Vgl. Süssmann: Judenschuldtilungen. Vgl. Art.: Österreich, in: GJ III.3, S. 1979. Vgl. Isenmann: Steuern, S. 2230. Z. B. in Ulm, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt am Main, Regensburg, Nördlingen, Speyer und Worms.
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befürchten hatten oder wenn ihre Herrschaftsrechte oder politische Autorität dadurch verletzt worden wären.⁹¹ Gegen Ende des 15. Jahrhunderts bemühten sich die römisch-deutschen Könige und Kaiser jedoch kaum um Verhinderung von Judenausweisungen. Bereits unter Friedrich III. wurden die jüdischen Vermögenswerte – teilweise durch exorbitante Steuerforderungen – weitgehend verbraucht⁹², sodass es sich aus fiskalischer Sicht kaum mehr lohnte, sich für die Juden einzusetzen.⁹³ Besonders unter Maximilian I. sticht dieser Umstand hervor. Dieser nutzte zwar seine Hoheitsrechte, um Sondersteuern von den Juden zu erzwingen, hatte aber nur geringe Summen zu erwarten.⁹⁴ Seine Vorgehensweise bei den zahlreichen Vertreibungen während seiner Regentschaft zeugt davon, dass er in den Judenausweisungen eine finanzielle Quelle sah. Die Städte, die sich ihrer Juden entledigen wollten, konnten ein Vertreibungsprivileg bzw. -mandat gegen Sonderzahlungen erwerben, die an den Kammerfiskal entrichtet wurden. Darüber hinaus beanspruchte der Kaiser alle unbeweglichen Güter der Juden für sich, sodass sich die Städte die bei ihnen liegenden jüdischen Häuser, Friedhöfe und Synagogen gegen große Beträge erkaufen mussten.⁹⁵ Für den Kaiser war dieses ‚Geschäftsmodell‘ besonders gewinnbringend, auch wenn es nur für kurzfristige Finanzierungen reichte; für die Städte war dieser Vorgang teuer, weshalb manche mit der Vertreibung zögerten⁹⁶; für die Juden war dies naturgemäß desaströs, denn ihr oberster Schutzherr wurde zu einer Quelle ihres Leidens.⁹⁷ Man kann für das 15. Jahrhundert – und bis zum Ende der Herrschaftszeit Maximilians I. – zwei große Vertreibungswellen ausmachen. Die erste Ballung fand in den Jahren 1420‒1440 statt. Die überwiegende Zahl der Ausweisungen erfolgte aus den Städten, und zwar aus dem Rheingebiet (Speyer, Zürich, Heilbronn und Mainz; aber auch Augsburg und Frankfurt).⁹⁸ Die zweite Flut an Vertreibungen begann in der zweiten Hälfte der 1470er Jahre, verstärkte sich ab ca. 1490 und endete erst nach der Wahl Karls V. als Nachfolger Maximilians I. –
Vgl. u. a. Wenninger: Man bedarf…, S. 208. Zur fiskalischen Judenpolitik Friedrichs III. siehe Isenmann: Steuern, S. 2224 und 2229. Vgl. Wenninger: Man bedarf…, S. 2218 f. Vgl. oben Kap. 2.2. Zu den Sondersteuern unter Maximilian vgl. Isenmann: Steuern, S. 2245 ff. und 2256. Vgl. Wenninger: Man bedarf…, S. 244 und Isenmann: Steuern, S. 2230. Vgl. beispielsweise Kapitel 3.1.3 dieser Arbeit zur Situation in Frankfurt am Main im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Ein gegenteiliges Beispiel wären die Versuche der Stadt Regensburg, ihre Juden zu vertreiben, die von Maximilian I. blockiert wurden und erst nach seinem Tod in der Zeit der Vakanz durchgeführt werden konnten. Siehe ausführlich darüber im Kapitel 4.1.2 dieser Arbeit. Vgl. Ziwes: Territoriale Judenvertreibungen, S. 166 und Wenninger: Man bedarf…, S. 245.
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden
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allerdings nicht bevor eine Reihe von unrechtmäßigen Vertreibungen aus Städten (Regensburg, Weißenburg i. B., Rothenburg ob der Tauber) in der Interimszeit stattfand.⁹⁹ Hier ist zwar eine Konzentration der Ausweisungen in den Städten in den südlichen und südwestlichen Regionen des Reichs (Schwaben, Franken, Bayern, Elsass) zu beobachten, aber es gab auch Vertreibungen in Mecklenburg, Pommern, dem Erzstift Magdeburg, den österreichischen Ländern und der Mark Brandenburg.¹⁰⁰ Insgesamt hatten die Vertreibungen des 15. Jahrhunderts tiefgreifende und nachhaltige Auswirkungen auf die Siedlungsstruktur der Juden im Reich. Im Vergleich zu den Ausweisungen des 14. Jahrhunderts gab es nur wenige Wiederzulassungen der Juden an ihre alten Wohnorte, sodass in vielen Städten und Regionen über mehrere Generationen und oft sogar Jahrhunderte keine jüdischen Siedlungen bestanden. Da die überwiegende Zahl der Ausweisungen aus den Städten erfolgte und den Juden im Reich immer weniger Niederlassungen innerhalb von Städten bzw. Stadtmauern erlaubt waren, wurde der ländliche Bereich „[a]n der Schwelle zur Frühneuzeit […] in immer stärkerem Maß zum hauptsächlichen Rückzugsraum“¹⁰¹ vieler jüdischer Familien und Gemeinden. Dieser Prozess, der den Niedergang des städtischen Judentums im Reich herbeibrachte und damit eines der Hauptmerkmale der mittelalterlichen Reichsjudenschaft gänzlich veränderte¹⁰², verlief meist allmählich.¹⁰³ So gibt es reichlich Beispiele dafür, dass die aus einer Stadt ausgewiesenen Juden in der direkten Umgebung Aufenthalt fanden. Die neuen Niederlassungsorte konnten kleine und kleinste Städte, aber oft auch ländliche Ortschaften des Landadels, einer Ritterschaft oder der kleinen Reichsstände sein.¹⁰⁴ Eine Abwanderung in
Dazu siehe Kap. 4.1.2 dieser Arbeit. Diese Liste ist keineswegs vollständig und ließe sich um einige Städte und Regionen ergänzen. Eine ausführliche Aufzählung der städtischen und territorialen Vertreibungen findet sich bei Laux: Gravamen, S. 31– 40. Stefan Rohrbacher: Stadt und Land: Zur „inneren“ Situation der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit, in: Richarz/Rürup (Hrsg.): Jüdisches Leben, S. 37– 58, hier S. 37. Vgl. z. B. Toch: Mittelalter, S. 6; Friedrich Battenberg: Juden in Deutschland, S. 2 f. und Kisch: Forschungen, S. 193, der auf den Zusammenhang zwischen der jüdischen Konzentration in den Städten und der Entstehung und Ausgestaltung des Judenrechts aufmerksam macht. Zur Infragestellung der Hypothese, wonach das Landjudentum ein direktes Ergebnis aus den Vertreibungen des Spätmittelalters sei, siehe Friedrich Battenberg: Aus der Stadt auf das Land? Zur Vertreibung und Neuansiedlung der Juden im Heiligen Römischen Reich, in: Richarz / Rürup (Hrsg.): Jüdisches Leben, S. 9 – 35. Vgl. Willoweit: Rechtsstellung, S. 2203 f.; Rohrbacher: Jüdische Gemeinden, S. 454; Battenberg: Zeitalter, S. 165 und Burgard: Zur Migration, S. 53.
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eine andere Reichsstadt war zwar möglich¹⁰⁵, konnte aber in aller Regel nur auf individueller Basis erfolgen, sodass bis dahin bestehende Gemeinden sich auflösten. Die auf benachbarte Ortschaften ausgewichenen Judenschaften versuchten, im Kontakt mit dem alten Siedlungsort zu bleiben – sei es wegen wirtschaftlicher Angelegenheiten oder wegen der dort gelegenen Friedhöfe. Nicht selten bemühte man sich auch um die Rückkehr in den alten Wohnort, und zwar „nicht immer erfolglos“.¹⁰⁶ Die Rückzugsorte der Juden waren nicht selten ungeschlossene Territorien, sogenannte territoria non clausa ¹⁰⁷, in denen sich „unterschiedliche[..], oft gemischte[..] oder strittige[..] Rechts- und Herrschaftsverhältnisse fanden“.¹⁰⁸ Diese Räume boten den Juden gute Existenzmöglichkeiten und einen gewissen Schutz, weil die ineinandergreifenden, sich teils überlappenden, teils konkurrierenden Herrschaftsansprüche und -interessen in diesen Territorien großflächige Ausweisungen schwierig, wenn nicht sogar undurchführbar machten. Außerdem konnte die zersplitterte Jurisdiktion eine repressive Judenpolitik weitestgehend verhindern, da die Juden die Möglichkeit hatten, ihre Rechte bei konkurrierenden Herrschaftsträgern einzuklagen.¹⁰⁹ Ein bedeutsames Resultat der städtischen Judenvertreibungen war das Verschwinden der jüdischen Zentren, das nicht nur die Judenschaft einer einzelnen Stadt, sondern auch eine Vielzahl kleinerer Gemeinden aus den umliegenden Ortschaften betraf. Im Rahmen der spätmittelalterlichen Judenausweisungen wurden, bis auf einige wenige, alle jüdischen Zentren an Rhein, Main und Donau zerstört.¹¹⁰ Die Bedeutung dieses Verlusts lag einerseits darin, dass die Einrichtungen der jüdischen Gemeinde geschlossen oder zerstört wurden, wodurch viele religiöse, kulturelle und Alltagsbedürfnisse einer ganzen Region nicht mehr gedeckt werden konnten. So führte die Schließung von Jeschiwot (jüdischen Hochschulen) dazu, dass die Rabbiner- und Gelehrtenausbildung an vielen Orten nicht mehr möglich war. Auch die Schließung oder Zerstörung von jüdischen Bädern und Friedhöfen machte die Durchführung ritueller Zeremonien nahezu Vgl. Willoweit: Rechtsstellung, S. 2203. Ebd. 2203 f. mit dem dortigen Verweis auf einzelne Ortsartikel der GJ. Zum Begriff siehe: Dietmar Willoweit: Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt [Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 11], Köln – Wien 1975, bes. S. 286 – 295. Rohrbacher: Stadt und Land, S. 48. Vgl. ebd. Beispiele für jüdische Handlungsspielräume in Ortschaften mit komplexen Herrschaftsverhältnissen bieten Treue: Diener dreier Herren und Mordstein: daß wür ebenfahlß. Allerdings war die Möglichkeit, in einen Nachbarort umzusiedeln bzw. in den Schutz eines Lokaladeligen auszuweichen, bei territorialen Vertreibungen aus den großen Flächenstaaten nicht gegeben. Vgl. Willoweit: Rechtsstellung, S. 2204. Vgl. Rohrbacher: Stadt und Land, S. 37.
2.3 Verfolgungen, Vertreibungen und die veränderte Siedlungsstruktur der Juden
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unmöglich.¹¹¹ Andererseits betraf die Zerstörung der Zentren die regionale Anbindung mehrerer Judenschaften. Somit waren auch die lokalen und überlokalen Strukturen und die formellen oder auch informellen Netzwerke der einzelnen Gemeinden zerschlagen. Die Vertreibung der jüdischen Gemeinden aus den Städten führte auf lange Sicht zu einer vermehrten Niederlassung in ländliche Gegenden, auch wenn die Verländlichung der jüdischen Siedlungsstruktur noch mehrere Generationen dauerte.¹¹² Die Tendenz dazu wird aber bereits an der Schwelle zur Frühen Neuzeit erkennbar, obwohl die Judenschaft im Reich sich immer noch als städtisch begriff. So findet man in den hebräischen Quellen die „Vorstellung, daß der Gegensatz zwischen Stadt und Land gleichbedeutend sei mit dem Gegensatz zwischen Orten, an denen jüdische Gemeinden bestanden, und solchen, an denen keine oder allenfalls einzelne Juden lebten.“¹¹³ Dabei bewirkten die Verdrängung der Juden aus den Städten und die Praxis der Erteilung von individuellen Schutzbriefen, dass sich die Zahl der Ortschaften, an denen einzelne jüdische Familien lebten, vermehrte. Der Prozess der Vereinzelung jüdischer Existenz, der auch als ‚Atomisierung‘¹¹⁴ bezeichnet wird, war auch den zeitgenössischen Juden nicht entgangen. Schließlich war es unter den neuen Bedingungen vielerorts schwierig, auch nur das Quorum von zehn mündigen (d. h. mindestens 13 Jahre alten) Männern zwecks der Abhaltung eines Gottesdiensts zusammenzubekommen.¹¹⁵
Vgl. z. B. Litt: Geschichte, S. 12 f., der in diesem Zusammenhang von einer geistigen Krise redet. Zu den weggefallenen Institutionen zählen auch die Synagogen, zu denen an großen jüdischen Festen die Juden aus der gesamten Region kamen, oder die Gemeindehäuser, in denen Hochzeiten und andere Feiern veranstaltet wurden. Diese wurden in der späteren Vertreibungsphase (v. a. 1519/20) in Kirchen oder Rathäuser umgewandelt. Siehe Ortsartikel zu Regensburg, Rothenburg ob der Tauber und Weißenburg in Bayern in: GJ III.2. Zum Aspekt der „Tilgung der Gemeindefundamente“ durch Zerstörung von Friedhöfen siehe Jörn Roland Christophersen: Jüdische Friedhöfe und Friedhofsbezirke in der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg, in: Sigrid Hirbodian u. a. (Hrsg.): Pro multis beneficiis. Festschrift für Friedhalm Burgard. Forschungen zur Geschichte der Juden und des Trierer Landes, Trier 2012 [Trierer historische Forschungen, Bd. 68], S. 129 – 146, hier S. 137 (mit weiterer Literatur). Vgl. Toch: Siedlungsstruktur, S. 30 – 32; Battenberg: Aus der Stadt, S. 12; Rohrbacher: Jüdische Gemeinden, S. 454 f.; Ders.: Stadt und Land, S. 50. Ebd., S. 38. Vgl. Rohrbacher: Jüdische Gemeinde, S. 454; Litt: Geschichte, S. 11. Der Begriff stammt ursprünglich von Daniel J. Cohen: Die Landjudenschaften in Hessen-Darmstadt bis zur Emanzipation als Organe der jüdischen Selbstverwaltung, in: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben, Wiesbaden 1983, S. 151– 214, hier S. 151. Vgl. z. B. Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 273.
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Die jüdische Siedlungsstruktur veränderte sich nicht nur wegen der Umsiedlung von Einzelpersonen, Familien und ganzen jüdischen Gemeinden innerhalb des Reichs. Besonders im 15. Jahrhundert verstärkte sich die Tendenz zur Auswanderung aus dem Reich, wobei Polen und Italien bevorzugte Zielländer waren.¹¹⁶ Die Abwanderung war allerdings nicht allein durch Verfolgungen und Vertreibungen verursacht. Auch die immer wachsende Steuerlast und die Gefahr der Verarmung trieben viele Juden dazu, ihren Wohnort, ihre Gemeinde und schließlich auch das Reich zu verlassen.¹¹⁷ Die Migration in diese beiden Länder war nicht ausschließlich von den erschwerten Lebensbedingungen veranlasst, sondern auch von den dortigen Aufnahmebedingungen. In Polen wurde die Einwanderung durch die aktive Politik der Könige regelrecht begünstigt. Die Juden durften sich nach den ihnen verliehenen Geleitbriefen „in jeder beliebigen Stadt niederlassen und ihre Familien und Bekannten herbeiholen“.¹¹⁸ Freilich bildeten die aus den deutschen Territorien stammenden Juden die Mehrheit der Zugewanderten, die in der zweiten Hälfte des 14. und des 15. Jahrhunderts nach Polen kamen, eine Zuwanderung, die besonders in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wuchs.¹¹⁹ Auch für Italien sind gute Lebensbedingungen in den oberitalienischen Republiken und Signorien belegt. Bekannt ist zum Beispiel, dass die jüdische Gemeinde in Venedig „sich zum großen Teil aus deutschen Juden rekrutierte“ und in der Folge „zu einem Zentrum der italienischen und auch insgesamt der aschkenasischen Judenschaft“ wurde.¹²⁰ Wie leicht zu erkennen ist, betrafen die beschriebenen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Prozesse und Entwicklungen fast jeden Lebensbereich der Juden und lösten dementsprechend auch eigene Dynamiken innerhalb der jüdischen Bevölkerung im Reich aus. Der Vollständigkeit halber ist
Vgl. z. B. Rohrbacher: Stadt und Land, S. 37; Battenberg: Aus der Stadt, S. 28 und Ders.: Juden in Deutschland, S. 4 f. Laut Toch: Mittelalter, S. 102 ist die Migration nach Italien relativ gut belegt, während die immer wieder erwähnte Auswanderung nach Polen durch die spärlichen Quellen nur schwer interpretierbar sei. Im Gesamtkontext der Judenmigration muss auch die Einwanderung nach Palästina und ins Osmanische Reich Beachtung finden. Vgl. dazu Jonathan Israel: European Jewry in the Age of Mercantilism, 1550 – 1750, Oxford – New York 19892, S. 26 f. Darüber v. a. Isenmann: Steuern, S. 2281 und Willoweit: Verfassungsgeschichtliche Aspekte, S. 30. Jacek Wijaczka: Die Einwanderung der Juden und antijüdische Exzesse in Polen im späten Mittelalter, in: Burgard / Haverkamp / Mentgen (Hrsg.): Judenvertreibungen, S. 241– 256, hier S. 243. Vgl. Wijaczka: Einwanderung, S. 243. Battenberg: Aus der Stadt, S. 28; Angela Möschter: Juden im venezianischen Treviso (1389 – 1509) [Forschungen zur Geschichte der Juden, Abteilung A, Bd. 19], Hannover 2008.
2.4 Jüdische Organisationsformen und die jüdische Führung
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es daher unverzichtbar, auch auf die innerjüdischen Prozesse einzugehen, die dann vor allem kulturelle und organisatorisch-strukturelle Veränderungen herbeiführten. Diese sind schließlich von besonderer Wichtigkeit für das Verständnis der Voraussetzungen und der Möglichkeit der Entstehung einer politischen Organisation der Juden im beginnenden 16. Jahrhundert.
2.4 Jüdische Organisationsformen und die jüdische Führung an der Schwelle zur Frühen Neuzeit Die städtische jüdische Gemeinde, die ‚Kehilah‘ (= – )קהילהoft auch als sakrale Gemeinde (‚kahal kadosch‘= )קהל קדושbezeichnet –¹²¹, war die üblichste Organisationsform der Juden seit ihrer Niederlassung in der europäischen Diaspora. Die ‚Kehilah‘ war zudem ein politisches Gebilde, das über eigene Organe der Selbstverwaltung¹²² verfügte und die Repräsentation der Gemeinde gegenüber der Obrigkeit ausübte.¹²³ Zudem stellte die ‚Kehilah‘ ihren Mitgliedern einige Institutionen und Funktionsträger zur Verfügung, ohne die das religiös-kultische Leben nach jüdischen Gesetzen und Gebräuchen nicht möglich gewesen wäre.¹²⁴ Nach außen führten Gemeindeanführer Verhandlungen mit den christlichen Obrigkeiten um die Rechte der Gemeinde, um den obrigkeitlichen Schutz und um finanzielle Forderungen; nach innen drückte sich der politische Charakter der ‚Kehilah‘ v. a. durch die Verabschiedung von Gemeindestatuten (hebr. ‚Takkanot‘ = )תקנות aus, die für alle Gemeindemitglieder verbindlich waren.¹²⁵
Dazu siehe z. B. Dean Phillip Bell: Sacred Communities. Jewish and Christian Identities in Fifteenth Century Germany, Boston 2001. Außerdem Hayim Hillel Ben-Sasson: Geschichte des jüdischen Volkes, Bd. 2: Vom 7.–17. Jahrhundert. Das Mittelalter, München 1979, S. 12. Gemeint sind u. a. die Armenfürsorge, die Steuereintreibung und die religiöse Gerichtsbarkeit, die von den jüdischen Gemeinden selbst organisiert wurden. Dafür waren Funktionsträger wie die ‚Parnasim‘ (Gemeindevorsteher), auch als Judenälteste (in Prag) oder Baumeister (in Frankfurt am Main) bekannt, zuständig. Als Institutionen konnten neben der Synagoge, den rituellen Bädern und den Friedhöfen auch Schulen (oder auch Jeschiwot) sowie Gerichte vorkommen. Unter den Funktionsträgern der ‚Kehilah‘ findet man bspw. die Schächter, Totengräber, Schreiber, Schulklopfer u. v. m.Wichtigster ‚Dienstleister‘ war selbstverständlich der Rabbiner, der die Gemeinde in die religiöse Lehre unterwies, meist eine Jeschiwa führte, als Richter diente und in den meisten Fällen auch Führungsfunktionen in der Gemeinde innehatte. Vgl. Breuer / Guggenheim: Jüdische Gemeinde, S. 2090 – 2104. Ebd. S. 2090. In vielen Punkten erinnert die Verfassung der jüdischen Gemeinden an die Grundstruktur anderer Korporationen des Alten Reichs wie der Zünfte. Vgl. hierzu Wiedl: Eine zünftige Gemeinde.
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Im Übergang vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit erlebte der Begriff der ‚Kehilah‘ in den jüdischen Quellen einen Wandel. Bezeichnete ‚Kehilah‘ im Mittelalter eine „vollgültige[..] Gemeinde mit allen zugehörigen Funktionen und Institutionen“, begann man im 16. Jahrhundert diesen Begriff bereits auf solche Siedlungen anzuwenden, die früher lediglich den Titel einer ‚Chawura‘ (= )חבורה erhalten hätten. Der Begriff ‚Chawura‘, der für eine Gemeinschaft von Juden ohne vollen Gemeindestatus steht, verschwand in dieser Zeit weitgehend aus der jüdischen Literatur. Die einzige verbliebene Unterscheidung war zwischen der ‚Kehilah‘ und dem ‚Jischuw‘ (= )ישוב, der die „bloße[..] Ansiedlung von Juden am Ort ohne Gemeindestrukturen“ bezeichnete.¹²⁶ Der Begriff der ‚Kehilah‘ weckt den Eindruck einer weitgehenden jüdischen Autonomie. Dieser Eindruck verstärkt sich umso mehr, wenn man die Gerichtsbarkeit der jüdischen Gemeinden in Betracht zieht, die es jüdischen Gerichten gestattete, über Gemeindemitglieder zu richten.¹²⁷ In der Tat bestand eine jüdische Autonomie in Bereichen der Selbstverwaltung, des religiösen Kults und der inneren Organisation bis zu einem vergleichsweise hohen Grad. Diese Selbstorganisation war meist allerdings ein Resultat der fehlenden Institutionen und Strukturen der vormodernen Herrschaft.¹²⁸ Auch war der Status der Autonomie häufig gar nicht rechtlich geklärt, womit den jüdischen Gemeinden gewisse Handlungsspielräume offenstanden, um ihre Autonomie auszugestalten. Zugleich konnten die christlichen Obrigkeiten die jüdischen Autonomieansprüche jederzeit außer Kraft setzen.¹²⁹ Solange die christlichen Autoritäten kein Interesse hatten, sich in innerjüdische Angelegenheiten einzumischen, bestand eine jüdische Autonomie zwar nicht ‚de jure‘, war also rechtlich nicht festgelegt, konnte aber ‚de facto‘ bestehen.¹³⁰
Rohrbacher: Jüdische Gemeinden, S. 455 f. Vgl. auch Mordechai Breuer und Yacov Guggenheim: Die jüdische Gemeinde, Gesellschaft und Kultur, in: GJ III.3, S. 2079 – 2138, hier S. 2090. Allerdings nicht in strafrechtlich relevanten Angelegenheiten, denn es war jüdischen Gerichten grundsätzlich verboten, Körperstrafen zu verhängen. Über die jüdische Gerichtsautonomie vgl. Breuer / Guggenheim: Jüdische Gemeinde, S. 2105 ff. Über die Funktionsweise der jüdischen Gerichte vgl. z. B. Zimmer: Harmony, S. 67– 89 und Moshe Frank: Die jüdischen Gemeinden in Aschkenas und deren Gerichte. Vom 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (hebr.), Tel Aviv 1938. Damit lassen sich beispielsweise die Schwierigkeiten der Kaiser bei der Steuereintreibung erklären. Vgl. Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 301. Vgl. Zimmer: Harmony, S. 95. Die früher v. a. von der älteren Geschichtsschreibung unhinterfragte Autonomie der jüdischen Gemeinden wurde in den letzten Jahren zur Diskussion gestellt. Für die Frühe Neuzeit siehe
2.4 Jüdische Organisationsformen und die jüdische Führung
67
Die Gemeindeautonomie bedeutete aus jüdischer Sicht nicht nur die Freiheit von obrigkeitlichen Interventionen, sondern auch die Unabhängigkeit von Einflussnahmen seitens anderer jüdischer Gemeinden. „The community itself was its own source of authority“¹³¹ wird behauptet, womit gemeint ist, dass es keine übergeordnete jüdische Instanz gab, die der Gemeinde Macht verleihen oder absprechen könnte. Allerdings war dieses Prinzip im Mittelalter recht umstritten. Während manche Rabbiner der Meinung waren, dass die legislative Macht nicht in den Händen der Gemeinden, sondern in denen der großen Gelehrten lag, vertrat die Mehrheit der Gelehrten den Standpunkt, dass die Gemeinden ihre Statuten aus eigener Macht verabschieden durften.¹³² Oft entstanden Streitigkeiten auch dann, wenn eine Gemeinde oder ein Zusammenschluss von mehreren Gemeinden ihre Autorität über andere ‚Kehilot‘ (plural für ‚Kehilah‘) ausstrecken wollten, oder wenn der Rabbiner einer Gemeinde über ein Mitglied einer anderen Gemeinde richtete und es exkommunizieren wollte.¹³³ Trotz dieser Tendenzen des Partikularismus und der Beharrung auf Autonomie unter den jüdischen Gemeinden sind einige Versuche der Zusammenarbeit und sogar von Zusammenschlüssen auf überlokaler Ebene bekannt. Bereits aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts sind Anstrengungen des großen Rabbiners Gerschom ben Judah (ca. 960‒1040) überliefert, die zerstreuten und unabhängigen Gemeinden in einer Föderation zusammenzuführen.¹³⁴ Allerdings weiß man nicht viel über die Inhalte und Modalitäten der Treffen. Besser belegt sind die Versammlungen des zwölften Jahrhunderts, bei denen Vertreter von jüdischen Gemeinden aus Zarfat ( = צרפתFrankreich) und Aschkenas ( = אשכנזDeutschland) unter der Führung des großen Gelehrten Tam¹³⁵ tagten.¹³⁶ Hier redet man sogar
v. a. Gotzmann: Jüdische Autonomie und Battenberg: Die jüdischen Gemeinden. Für das Mittelalter siehe Willoweit: Rechtsstellung, S. 2192 f. Zimmer: Harmony, S. 104. Vgl. Finkelstein: Self-Government, S. 51 f. Siehe z. B. Zimmer: Harmony, S. 132– 134, der für das 15. Jahrhundert feststellen konnte, dass das kommunale Autoritätssystem auch bei interkommunalen Gelegenheiten die Oberhand behielt. Ebd. S. 142. Außerdem Finkelstein: Self-Government, S. 63. Zimmer: Jewish Synods, S. 11 f.; Ben-Sasson: Geschichte, S. 151. Eigtl. Jaacov ben Meir (1100 – 1171), war der Enkel des Schlomo Jitzchaki von Troyes (bekannt als RaSchI, 1040 – 1105), eines der großen Thora- und Talmudinterpreten. Rabbenu Tam selbst galt als wichtiger Gelehrter. Gemeint sind hier die Tagungen von ca. 1150 und 1160 in Troyes und 1196 wahrscheinlich in Mainz, Worms oder Speyer. Vgl. Finkelstein: Self-Government, S. 41– 43 und Ben-Sasson: Geschichte, S. 151.
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von ersten Versuchen der Organisierung einer zentralen Autorität für die Juden Zarfats und Aschkenas’.¹³⁷ Nach dem Tod des Rabbenu Tam gab es keine Versammlungen mehr auf französischem Boden, aber die Tradition wurde in der Rheinregion fortgeführt, wohin sich das geistig-kulturelle Zentrum der Juden nach und nach verlagerte. Im 13. Jahrhundert ist ein eindeutigerer Zusammenschluss auf regionaler Ebene zu verzeichnen, und zwar jener der Rheingemeinden unter der Führung der Judenschaften aus Speyer, Worms und Mainz – auch als ‚Kehilot SchUM‘ bekannt –, die im 13. und 14. Jahrhundert einen Verband bildeten.¹³⁸ Aus dem Zeitraum zwischen ca. 1220 und 1223 sind gleich drei Tagungen der SchUM-Gemeinden bekannt. Auf diesen Versammlungen wurden viele Statuten diskutiert, verabschiedet, modifiziert, ergänzt und schließlich – auf der dritten Tagung – endgültig beschlossen bzw. bestätigt, wodurch das wichtige und als ‚Takkanot SchUM‘ tradierte Statutenwerk entstand.¹³⁹ Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts ist eine weitere, letzte wichtige Versammlung in dieser Region bekannt, bei der die rabbinische Autorität in Sachen der Exkommunikation diskutiert wurde.¹⁴⁰ Die Versammlungen des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts sind zwar durch Aussagen in Rabbiner-Responsen belegt, aber man weiß sehr wenig über die begleitenden Umstände dieser Zusammenkünfte. Die Verfolgungen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und insbesondere des Schwarzen Todes brachten die Institution der Versammlungen offensichtlich zum Erliegen, denn es sind keine Nachrichten vor 1381 über solche Treffen überliefert.¹⁴¹ So wie es scheint, nahm man in den 1380er Jahren die alte Tradition wieder auf und begann erneut Statuten auf regionaler Ebene zu verabschieden. Dabei zeichnete sich ab, dass neben der Rheinregion nun auch in östlichen Regionen des Reichs neue Zentren entstanden.¹⁴²
Vgl. Ebd., Geschichte, S. 151 f. und Finkelstein: Self-Government, S. 49, 153 und 159. Vgl. Zimmer: Synods, S. 12 f. und Ben-Sasson: Geschichte, S. 153. Über den Verbandcharakter des Zusammenschlusses zwischen den Gemeinden der drei Bischofsstädte siehe Rainer Barzen: Kehilot Schum: Zur Eigenart der Verbindungen zwischen den jüdischen Gemeinden Mainz,Worms und Speyer bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Cluse / Haverkamp / Yuval: Jüdische Gemeinden, S. 389 – 404, hier bes. S. 398. Ebd. S. 396 f. und Finkelstein: Self-Government, S. 59 – 62. Die Statuten selbst sind mit Erläuterungen ebd. S. 218 – 251 abgedruckt. Vgl. Finkelstein: Self-Government, S. 63 f. Vgl. Zimmer: Synods, S. 19 ff. Dies belegen die Versammlungen von Erfurt und Weißenfels. Siehe Zimmer: Synods, S. 23 – 29 und Graetz: Geschichte, Bd. 8, S. 426. Siehe auch Litt: Geschichte, S. 45, der im 15. Jahrhundert erste Anzeichen für übergemeindliche Organisationsstrukturen, also korporative Strukturen, in mehreren östlichen Regionen des Reichs (Franken, Thüringen, Mähren, Polen) zu
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Aus der gesamten Frühphase sind bereits erste Hinweise auf das Verfahren der Versammlungen überliefert, wie die Einladungen zur Tagung, das Mehrheitsprinzip bei der Entscheidungsfindung, die schriftliche Abfassung der getroffenen Beschlüsse und die Verkündung der verbindlichen Bestimmungen bei allen relevanten Gemeinden. Zudem ist bekannt, dass man die Gültigkeit der Statuten mithilfe der Autorität der Versammlung in den verschiedenen ‚Kehilot‘ durchzusetzen vermochte.¹⁴³ Inhaltlich beschlossen diese Versammlungen ‚Takkanot‘ über das innerjüdische religiös-kultische Leben sowie über christlich-jüdische Beziehungen.¹⁴⁴ So nahmen die Regelungen der Bräuche ‚Jebum‘ und ‚Chalitza‘¹⁴⁵ neben der Frage der Polygamie und dem Verbot, Glaubensgenossen vor christliche Gerichtsinstanzen zu verklagen, einen zentralen Stellenwert in diesen Synoden ein. Somit kristallisiert sich heraus, dass die zentrale Verwaltung, die angeblich bei diesen Versammlungen errichtet werden sollte, nicht so sehr die politische Repräsentation anstrebte. Vielmehr scheinen die Koordination und Reglementierung des religiösen Lebens der zerstreuten Gemeinden in der Diaspora durch eine zentrale Instanz Ziel oder zumindest Ergebnis der Zusammenkünfte gewesen zu sein. Einzige Ausnahme war der Zusammenschluss der SchUM-Gemeinden, bei dem eine politische Engführung in Bezug auf das innerjüdische Leben manifest wurde.¹⁴⁶ Im Unterschied zu früheren Epochen kam es bei den Versammlungen des 15. Jahrhunderts viel häufiger und expliziter zu einer Beschäftigung mit ‚profanen‘ Themen wie z. B. den Steuerforderungen der Reichsoberhäupter. Dies überrascht allerdings wenig, weil diese Zusammenkünfte häufig auf Veranlassung der Kaiser zustande kamen. Je stärker die Judenregale auf unterschiedliche Territorialfürsten verteilt waren, desto notwendiger war es für die Kaiser, die Gesamtjudenschaft des Reichs zusammenzubringen, um Sondersteuern zu vereinbaren, waren sie doch
erkennen glaubt. Siehe auch Ders: Territoriale Organisationsformen der Juden in Thüringen während der Frühen Neuzeit, in: Aschkenas 10,1 (2000), S. 245 – 253. Vgl. Ben-Sasson: Geschichte, S. 151 f. und 153 f.; Finkelstein: Self-Government, S. 60 f. und Graetz: Geschichte, Bd. 8, S. 425. Über das Mehrheitsprinzip siehe Ben-Sasson: Geschichte, S. 143 f. Vgl. Finkelstein: Self-Government, S. 41 f. und 56 ff. Mit ‚Jebum‘ ( )יבוםwird die Pflicht eines Mannes bezeichnet, die Witwe seines Bruders zu heiraten bzw. mit ihr ein Kind zu zeugen, sofern der Verstorbene keine Kinder in die Welt gesetzt hatte. ‚Chalitza‘ ( )חליצהist eine Zeremonie, bei der der Bruder des verstorbenen Mannes öffentlich erklärt, dass er die Witwe seines Bruders nicht heiraten will. Im Anschluss an diese Zeremonie wird die Frau wieder heiratsfähig. Allerdings findet man auch bei den ‚Takkanot SchUM‘ keine Ansätze einer organisierten politischen Vertretung gegenüber den christlichen Obrigkeiten. Die Statuten sind bei Finkelstein ediert und ins Englische übersetzt. Vgl. Finkelstein: Self-Government, S. 218 – 251.
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bei deren Eintreibung in gewisser Weise auf die Kooperation der jüdischen Gemeinden angewiesen. So wurde im Jahre 1430 eine Versammlung der Juden auf Anordnung König Sigismunds berufen, bei der die Vertreter der Juden im Reich mit kaiserlichen Gesandten über die Steuerforderungen verhandeln sollten. Allerdings scheiterten die ersten zwei Versuche und die Tagung fand nicht statt. Erst nach der Kaiserkrönung Sigismunds und während des Baseler Konzils gelang es dem Kaiser, eine Tagung aller jüdischen Gemeinden des Reichs zu veranlassen.¹⁴⁷ Königliche Steuerforderungen bildeten auch für die folgenden jüdischen Versammlungen den Anlass. In den Jahren 1438‒39 berief König Albrecht nicht weniger als vier Judentage ein, bei denen jüdische Bevollmächtigte mit Vertretern des Königs über die Eintreibung des ‚Dritten Pfennigs‘ verhandelten.¹⁴⁸ Die vielen verordneten Beratungen führten zu einer engeren Kooperation unter den jüdischen Gemeinden und somit zu einer ersten Koordination von Plänen und Abmachungen, wie man mit den Obrigkeiten weiter verhandeln wollte.¹⁴⁹ Auch darüber hinaus nutzten die jüdischen Gesandten und Anführer die Gelegenheit, um Konflikte innerhalb der Judenschaft zu regeln und die zwischengemeindliche Arbeit zu verstärken.¹⁵⁰ Diese Ansätze einer jüdischen Organisation waren aber nicht von Bestand, denn erst 1470 unter Kaiser Friedrich III. wurde die nächste jüdische Versammlung mit politischem Charakter veranlasst.¹⁵¹ Eine weitere jüdische Tagung wurde zwar um die Mitte der 1450er Jahre¹⁵² in Bingen am Rhein abgehalten, behandelte allerdings nur innerjüdische politische Themen. Im Rahmen dieses Treffens wurden mehrere Statuten verabschiedet, von denen ein Artikel besonders bekannt wurde, nämlich dass Rabbi Seligman, ein großer Gelehrter und Initiator der Versammlung, zum obersten und einzigen
Vgl. Zimmer: Synods, S. 32 ff. Siehe auch Isenmann: Steuern, S. 2233. Die Versuche dauerten fast zwei Jahre lang und es mussten über 80 Mandate verabschiedet werden, um die Versammlung zustande zu bringen.Vgl. Isenmann: Steuern, S. 2238 ff. Siehe auch die Korrespondenz König Albrechts mit Konrad von Weinsberg in: Deutsche Reichstagsakten unter König Albrecht II., zweite Abteilung 1439, [Deutsche Reichstagsakten, ältere Reihe, Bd. 14], hrsg. v. Helmut Weigel, Stuttgart 1935, v. a. Akten Nr. 110 – 112, 117, 121, sowie 135 – 148. Siehe v. a. das bei Zimmer zitierte Responsum des Rabbi Jacob Weil, wonach bereits beim ersten Treffen in Nürnberg Abmachungen zwischen den jüdischen Gemeinden beschlossen wurden. Vgl. Zimmer: Synods, S. 35 f. Vgl. ebd. 37. Vgl. Isenmann: Steuern, S. 2241. Zimmer: Synods, S. 38 datierte die Tagung auf 1456. Graetz hingegen wollte sich nicht genau festlegen und hielt die Jahre 1455 – 57 als möglichen Zeitraum für die Zusammenkunft fest. Vgl. Graetz: Geschichte, Band 8, S. 427– 435. Zuletzt hat allerdings Yuval dafür plädiert, die Tagung auf 1454 zu datieren. Vgl. Israel Jacov Yuval: An Appeal Against the Proliferation of Divorce in Fifteenth Century Germany (hebr.), in: Zion 48 (1983), S. 177– 216, hier S. 179.
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Richter in innerjüdischen Angelegenheiten in der Rheinregion werden sollte. Diese Bestimmung wurde von Gemeinden, die an der Versammlung nicht teilgenommen hatten, strikt abgelehnt, weil sie die Beschlüsse als unrechtmäßig betrachteten und die eigene Autonomie verletzt sahen.¹⁵³ Im entfachten Streit vertraten die zu Rat gezogenen großen jüdischen Gelehrten der Epoche eine ähnliche Ansicht. Sie urteilten, dass die Versammlung das Mehrheitsprinzip verletzte und die verabschiedeten Verordnungen daher keine Gültigkeit besitzen sollten.¹⁵⁴ Im Ergebnis scheiterte also der einzige jüdische Versuch des 15. Jahrhunderts, eine zentrale Autorität über weite Kreise der Judenschaften im Reich zu implementieren. Versammlungen wurden schließlich auch wegen äußerer Gefahren gehalten; allerdings geschah dies auf regionaler Ebene. So wurden um die Mitte des 15. Jahrhunderts regionale Versammlungen in Franken abgehalten, bei denen Vorgehensweisen geplant wurden, um drohende Verfolgungen abwehren zu können. Zudem ist eine gemeinsame Beratung der fränkischen Juden bekannt, die 1453 eine Vertreibung durch den Würzburger Bischof zu befürchten hatten. Es fehlen viele Informationen über diese Versammlung, überliefert ist jedoch, dass die Juden dem Bischof eine Sondersteuer anbieten wollten, um ihn von diesem Plan abzubringen.¹⁵⁵ Eine der bekanntesten jüdischen Kooperationen auf überregionaler Ebene war zugleich auch die letzte des Mittelalters. Die Blutbeschuldigung in Trient (1475), die zu Ermittlungen wegen sechs angeblicher Ritualmorde an christlichen Knaben in Regensburg (1476) führte¹⁵⁶, veranlasste die Festnahme von 17 Juden, Darunter waren auch große und wichtige Gemeinden wie Frankfurt am Main, Worms, Köln und Oppenheim. Zimmer: Synods, S. 38 f.; Ders.: Harmony, S. 132 ff.; Finkelstein: Self-Government, S. 77; Ben-Sasson, Geschichte, S. 262. und Yuval: Scholars, S. 233. Laut Zimmer: Harmony, S. 136 funktionierte das Mehrheitsprinzip auf interkommunaler Ebene folgenderweise: „The assembly of a large number of kehilot was considered as one large community. As such, it was governed by the rules and regulations of the communal system.When a large number of kehilot assembled in order to pass ordinances of a religious nature to strengthen their social, economic, and political positions, or seek their own welfare, an agreement by the majority of kehilot induced final adoption by all the kehilot. The minority communities had to acquiesce and submit to the will of the majority“. Vgl. Zimmer: Harmony, S. 138 ff. und insbesondere das dort gebrachte Zitat aus den Responsa des Moses Minz auf S. 139. Die wichtigsten Werke zu den Ereignissen in Regensburg sind immer noch die Arbeiten von Raphael Straus: Die Judengemeinde Regensburg im ausgehenden Mittelalter auf Grund der Quellen kritisch untersucht und neu dargestellt [Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. 61], Heidelberg 1932; Ders. (Hrsg.): Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Juden in Regensburg [Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte, N.F.
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die Verordnung von Hausarrest für die restliche jüdische Gemeinde und die Beschlagnahme der jüdischen Besitztümer. Aufgrund der Größe und des Ansehens der Regensburger Judenschaft¹⁵⁷ kam es zu einer schnellen Reaktion der übrigen Juden im Reich. Noch im gleichen Jahr versammelten sich die Vertreter der unterschiedlichen Gemeinden in Nürnberg, um die Angelegenheit zu besprechen und Hilfe für die in Not geratene Regensburger Gemeinde zu organisieren.¹⁵⁸ Es war nicht das erste Mal, dass solche Beschuldigungen gegen die Regensburger Juden erhoben wurden. In den Jahren zwischen 1470 und 1476 wurden viermal Vorwürfe gegen sie wegen angeblicher Ritualmorde oder Hostienschändungen vorgebracht.¹⁵⁹ Auch in Endingen am Kaiserstuhl mussten Juden aufgrund ähnlicher Vorwürfe Verfolgungen erleiden.¹⁶⁰ Die Affäre um den toten Knaben Simon von Trient, die zeitnah zu einem regelrechten Medienspektakel wurde, führte schließlich zu „einer ganzen Reihe von Ritualmordbeschuldigungen“ in Norditalien.¹⁶¹ Die mediale Verbreitung der angeblichen Schandtaten der Juden durch Druckschriften und die Anhäufung von Verfolgungsfällen führten den Juden im Reich vor Augen, welche große Gefahr die unter Folter erzwungenen Geständnisse für weitere Personen und Gemeinden darstellten.¹⁶² Die in Nürnberg 1476 versammelten Juden schickten Gesandte nicht nur an Kaiser Friedrich III., der bereits bei den früheren Vorfällen in Regensburg zugunsten der Juden interveniert hatte, sondern auch an den päpstlichen Legaten, Bischof Alexander von Forli. Diese Vorgehensweise war nicht ungewöhnlich.
Bd. 18), München 1960 und von Moritz Stern: Zum Regensburger Judenprozeß 1476 – 1480, in: Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft (JJLG) 19 (1927), S. 363 – 386, und 20 (1929), S. 157– 179; Ders.: Der Regensburger Judenprozeß 1476 – 1480, Berlin 1935. Siehe zudem Zimmer: Synods, S. 43 – 47; Treue: Trienter Judenprozeß, S. 393 – 403 und Siegfried Wittmer: Jüdisches Leben in Regensburg. Vom frühen Mittelalter bis 1519, Regensburg 2001, hier bes. S. 140 – 148. Die Gemeinde wurde zwar im Laufe des 15. Jahrhunderts ökonomisch sehr geschwächt. Dennoch blieb sie bis zu ihrer Auflösung durch Vertreibung (1519) weiterhin eine der größten im Reich. Zugleich galt sie aufgrund der dort befindlichen Jeschiwot und von dort aus wirkenden Rabbiner als ein Zentrum der Gelehrsamkeit. Hierzu siehe z. B. Aaron Freimann: Aus der Geschichte der Juden in Regensburg von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Vertreibung im Jahre 1519, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden. Festschrift zum siebzigsten Geburtstage Martin Philippsons, hrsg. vom Vorstand der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, Leipzig 1916, S. 78 – 95, hier S. 86 f. Ebd. S. 43 – 47. Siehe z. B. Ronnie Po-Chia Hsia: The Myth of Ritual Murder. Jews and Magic in Reformation Germany, New Haven 1988, S. 67– 72. Siehe ebd., S. 14– 41 und Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 59 – 67. Treue: Trienter Judenprozeß, S. 403 ff. So führte das ‚Geständnis‘ eines der in Trient beschuldigten Juden, nämlich des Konvertiten Wolfgang, zum Verdacht und Prozess gegen die Juden in Regensburg. Hsia: Trient 1475.
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Sowohl Päpste als auch Kaiser sprachen sich schon seit dem 13. Jahrhundert gegen diese Beschuldigungen aus, nahmen die Juden in ihren Schutz auf und versuchten, die Verfolgungen zu unterbinden.¹⁶³ Das jüdische Gesuch war hier erfolgreich und die lokale geistige Führung wurde einer Untersuchung durch päpstliche Kommissare unterzogen.¹⁶⁴ Zudem beschloss die jüdische Versammlung, Geld von allen jüdischen Gemeinden des Reichs anzufordern, um der in Bedrängnis geratenen Judenschaft in Regensburg zu helfen. Um diesen Beschluss zu bekräftigen, wandten sich die teilnehmenden Rabbiner und Gemeindevorsteher an den großen italienischen Rabbiner Joseph Colon, der bei der Zusammenkunft in Nürnberg nicht anwesend war. Dieser wurde gebeten, seine Autorität dafür einzusetzen, dass alle Gemeinden dem Beschluss der Versammlung folgten, und diejenigen Gemeinden mit dem Bann zu belegen, die dem nicht folgten. Allem Anschein nach beteiligten sich tatsächlich viele jüdische Gemeinden an den finanziellen Anstrengungen; allerdings dauerte es weitere drei bis vier Jahre, bis alle verhafteten Juden freikamen und der Prozess eingestellt wurde.¹⁶⁵ Wie leicht zu erkennen ist, waren es vor allem die Rabbiner und großen Gelehrten, die Versammlungen einberiefen und leiteten. Das deutsche Rabbinat¹⁶⁶ war aber einem ständigen Wandel unterworfen und die Rabbiner übernahmen nicht immer und nicht in jedem Kontext die Führungsrolle. Auf lokaler Ebene waren es in der Regel nicht die Rabbiner, sondern die ‚Parnasim‘ (Gemeindevorsteher), die die Gemeinde nach außen repräsentierten und für die Organisation nach innen zuständig waren. In den meisten Fällen dienten die einflussreichsten, angesehensten und wohlhabendsten Gemeindemitglieder als ‚Parnasim‘. Das Amt des Gemeindevorstehers wurde auf Zeit vergeben und war unentgeltlich. Von Beruf konnten sie Geldleiher, Händler, Ärzte, aber auch Rabbiner sein; sie
Z. B. Battenberg: Zeitalter, S. 105 f. Vgl. auch M. Stern: Zum Regensburger Judenprozeß, S. 381 und Zimmer: Synods, S. 44. Ausführlich darüber: Diego Quaglioni: Das Inquisitionsverfahren gegen die Juden von Trient (1475 – 1478), in: Susanna Buttaroni und Stanisław Musiał (Hrsg.): Ritualmord. Legenden in der europäischen Geschichte, Wien – Köln – Weimar 2003, S. 85 – 130, bes. S. 111– 113. Vgl. M. Stern, Zum Regensburger Judenprozeß, S. 384 ff.; Treue: Trienter Judenprozeß, S. 400 f. und Wenninger: Man bedarf…, S. 173 f. Siehe zudem Joseph Colon: Responsa, Nr. 4, zit. in: Zimmer: Synods S. 44 ff. Man soll hier nicht von einem institutionalisierten Rabbinat ausgehen. Für das Spätmittelalter und die ersten Jahrhunderte der Frühen Neuzeit handelt es sich vielmehr um einen Berufsstand, der sich im Laufe der Zeit professionalisierte, eine etablierte Position innerhalb der Judenschaft erlangte und sich erst unter den Bedingungen des sich festigenden modernen Staates als Institution herausbildete. Darüber siehe z. B. Breuer: Yeshiva; Yuval: Scholars; Zimmer: Harmony und Ders.: The Fiery Embers of the Scholars. The Trials and Tribulations of German Rabbis in the Sixteenth and Seventeenth Centuries (hebr.), Jerusalem 1999.
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mussten jedoch zu den stimmberechtigten Gemeindemitgliedern zählen. In ihrer Rolle als Repräsentanten nahmen die ‚Parnasim‘ an den Versammlungen aktiv teil.¹⁶⁷ In der Zeit vor dem Schwarzen Tod setzte sich die Tendenz durch, dass die Rabbiner sich auf die geistige und geistliche Führung konzentrierten, während die Kaufmänner und Finanziers, die Beziehungen zu den unterschiedlichen Herrschern hatten, die säkularen Aufgaben übernahmen. Diese Tendenz kehrte sich in der Zeit nach den Verfolgungen der Pestwelle Mitte des 14. Jahrhunderts um, als die meisten Gemeinden dabei waren, sich (neu) zu konstituieren und nach Führungsfiguren suchten.¹⁶⁸ In dieser Epoche begannen die christlichen Herrschaftsträger, Rabbiner als eindeutige Anführer der Judenschaft wahrzunehmen und in der Folge auch vermehrt als territoriale und sogar als Reichsrabbiner einzusetzen.¹⁶⁹ Fast gleichzeitig begann der Rabbinerberuf eine gewisse Professionalisierung zu erfahren. Diese Entwicklung war aber keineswegs geplant und wurde von den Zeitgenossen auch nicht immer als positiv wahrgenommen. Vielmehr resultierte sie aus der besonderen Situation der Judenschaft nach den Verfolgungen und dem großen Sterben während des Schwarzen Todes. Der Mangel an jüdischen Gelehrten, v. a. an solchen mit tiefen Kenntnissen in der rabbinischen Literatur und Tradition, führte dazu, dass viele Jeschiwa-Studenten ohne ausreichende theologische Kenntnisse eine Ordination (gen. Semicha= )סמיכהvon ihren Lehrern erhielten, damit der kultisch-religiöse Bedarf der (neu)gegründeten Gemeinden gedeckt und die religiöse Erziehung fortgeführt werden konnten. Diese Praxis führte jedoch zu einer Entwertung des Rabbinerstands. Die rabbinische Autorität war in früheren Generationen an den Grad der Gelehrsamkeit eines Schülers gekoppelt gewesen, der das maßgebliche Kriterium für seine Anerkennung bildete. Die Ordination war ein zeremonieller Akt gewesen, mit dem die Unterwerfung eines Schülers unter seinem Lehrer aufgehoben wurde. Nun entfiel diese Komponente weitgehend und die neue Generation von Rabbinern musste ihre Autorität auf eine ‚offizielle‘ Urkunde stützen, die aber nichts Weiteres besagte, als dass deren Inhaber in der Lage waren, selbständig zu unterrichten.¹⁷⁰
Wichtige Informationen über die Parnasim und ihre Funktion geben Breuer / Guggenheim: Jüdische Gemeinde, S. 2091 f. Vgl. Zimmer: Harmony, S. 104 und 106 f. sowie Ders.: Fiery Embers, S. 14 ff. Darüber v. a. Jakov Guggenheim: A suis paribus und Yuval: Scholars, S. 338 f. Die Geschichte und Entwicklung des Amtes des Reichsrabbiners wird im Kap. 4.2.1 behandelt. Vgl. Mordechai Breuer: The Ashkenazi Ordination (semicha) (hebr.), in: Zion 33 (1968), S. 15 – 46, hier S. 19; Ders.: Yeshiva, S. 126 ff. und Yuval: Scholars, S. 326.
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Die Entkoppelung der Ordination vom Grad der Gelehrtheit der ordinierten Rabbiner beflügelte die Kritik an den neuen Generationen von Rabbinern. Danach hätten diese nicht das geistige Rüstzeug gehabt, um die Gesetze der Halacha und des Talmuds richtig auszulegen und daher nach den Prinzipien dieser Quellen des jüdischen Religionsrechts über die Gemeinden zu richten. Des Weiteren erschienen die Rabbiner dieser Epoche in den Augen der Kritiker oft als herrschsüchtig und gierig, sowohl nach Macht und Ansehen als auch nach Geld und Vorteilen.¹⁷¹ Zudem wurde ihnen vorgeworfen, dass sie ihre Macht der Verhängung von Bannen überbordend anwandten.¹⁷² Der Bann, der ein anerkanntes, traditionelles Instrument der Sozialdisziplinierung war, wurde nun als eine tyrannische Maßnahme und eine illegitime Waffe angesehen und seine Verwendung wurde hitzig diskutiert und kritisiert. Zwar kann es sein, dass der Mangel an Anerkennung die Rabbiner dazu veranlasste, auf dieses Instrument zurückzugreifen; in den Augen der Zeitgenossen aber verfestigte sich dadurch das Bild der Überheblichkeit der Rabbiner.¹⁷³ Einen weiteren Aspekt bilden wirtschaftlich-finanzielle Gesichtspunkte, nämlich die Praxis, eine Bezahlung für geleistete Dienste zu verlangen. In früheren Epochen waren Rabbiner vorwiegend Experten in Fragen des jüdischen Rechts und der Religion gewesen; nun wandelten sie sich vermehrt zu Anbietern von religiös-kultischen Dienstleistungen.¹⁷⁴ Diese Tendenz ging fast gleichzeitig mit einer anderen Entwicklung einher, welche die Professionalisierung des Berufs weiterhin verstärkte. Im 15. Jahrhundert wurde es nämlich üblich, dass eine Gemeinde einen Rabbiner anheuerte, der dann gegen Gehalt für alle religiösen Bedürfnisse zu sorgen hatte.¹⁷⁵ Diese Form des kommunalen Rabbinats war zunächst eine ungewöhnliche Erscheinung, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu einer Häufung von Konflikten zwischen Rabbinern führte, die Anspruch auf eine Monopolstellung innerhalb einer Gemeinde erhoben.¹⁷⁶ Auch die bereits angesprochene Anerkennung der rabbinischen Autorität durch christliche Fürsten und Stände gab dem Rabbinerberuf einen gewissen Professionalisierungsschub. Die Rabbiner dienten gewissermaßen als Beauftragte
Vgl. Breuer: Semicha, S. 20 f.; Zimmer: Harmony, S. 118 f. Dazu ebd. und Yuval: Scholars, S. 423 ff. Ausführlich darüber: Yuval: Scholars, S. 405 – 423. Außerdem Breuer: Semicha, S. 31. Vgl. Yuval: Scholars, S. 338.; Zimmer: Harmony, S. 114 ff. Vgl. Yuval: Scholars, S. 399 – 404 und außerdem die dort diskutierten Forschungsmeinungen, ebd. S. 11– 21. Siehe v. a. Yuval: Scholars, S. 364– 398 und Mordechai Breuer: The Leadership Role of the Rabbinat Among the Ashkenazi Communities in the Fifteen Century (hebr.), in: Zion 41 (1976), S. 47– 66, hier S. 54 ff.
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der Herrscher, die offizielle Befugnisse, Gericht über Juden zu halten sowie andere Privilegien dafür erhielten.¹⁷⁷ Auch diese Entwicklung war nicht unproblematisch. Die jüdischen Normen verboten es nämlich strikt, dass man ein öffentliches Amt mithilfe der nichtjüdischen Autoritäten erlangte.¹⁷⁸ Dies war auch einer der Gründe dafür, dass die Einsetzung der Reichsrabbiner von Konflikten begleitet oder aber stillschweigend vonseiten der Juden ignoriert wurde.¹⁷⁹ Allerdings erfolgte die Einsetzung der meisten Lokal- und Territorialrabbiner nicht gänzlich ohne Absprache mit der jeweiligen jüdischen Gemeinde. In zahlreichen Fällen wurde ein Rabbiner zuerst von der Gemeinde gewählt und erst anschließend durch den christlichen Herrscher im Amt bestätigt.¹⁸⁰ Die parallelen Entwicklungen der Professionalisierung des Rabbinerberufs auf der einen und des zunehmenden Verlustes an Anerkennung desselben auf der anderen Seite führten zu einem gesteigerten Konfliktpotenzial sowohl unter den Rabbinern selbst als auch zwischen den Rabbinern und den Gemeinden bzw. deren Vorstehern.¹⁸¹ Aus dieser Zeit sind zahlreiche Klagen über mannigfache Erscheinungen von Respektlosigkeit gegenüber den jüdischen geistigen Führern überliefert. Berichtet wird zum Beispiel über die Weigerung von Gemeindemitgliedern, der Vorladung eines Rabbiners nachzukommen, über einen despektierlichen Umgang mit den Rabbinern in der Synagoge, über häufige Störungen der Gottesdienste und über die Missachtung der rabbinischen Banne.¹⁸² Die Konflikthaftigkeit innerhalb der jüdischen Gemeinden beschränkte sich allerdings nicht allein auf die Rolle der Rabbiner als Anführer. Das Zusammenspiel von Vertreibung, Zerstörung der Bildungseinrichtungen und Auswanderung führte dazu, dass bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Ausbildung der geistigen Elite der Juden sich aus den nordalpinen, deutschsprachigen Territorien des Reichs wegverlagerte. Dementsprechend findet man in der ersten Hälfte des Jahrhunderts keine großen Gelehrten unter den Reichsjuden.¹⁸³ Ein Hinweis auf
So wurden in manchen Fällen die durch die weltlichen Herrschaftsträger ernannten Rabbiner von der Steuerpflicht befreit. Vgl. Yuval: Scholars, S. 428 – 435. Außerdem siehe Guggenheim: A suis paribus, S. 409. Siehe z. B. ‚Takkanot Rheinus‘, abgedruckt in: Finkelstein: Self-Government, S. 227 (Übersetzung auf S. 241) und Guggenheim: A suis paribus, S. 406. Ebd. S. 410 f.; Breuer: Leadership, S. 63 ff.; Gerson Wolf: Zur Geschichte der Juden in Deutschland, in: ZGJD (1889), H. 2, S. 159 – 184, hier S. 159 ff.; Graetz: Geschichte, Bd. 8, S. 114. Siehe z. B. Guggenheim: A suis paribus. Darauf hat Breuer: Leaderhip, S. 53, hingewiesen. Vgl. ebd. S. 56 – 61 und Yuval: Scholars, S. 414. Darauf verweist z. B. die Tatsache, dass aus dieser Zeit weder wichtiges rabbinisches Schrifttum noch Responsa-Werke deutscher Rabbiner überliefert sind. Das Fehlen von rabbinischen Responsa deutet darauf hin, dass im Reich zu dieser Zeit keine Rabbiner von großem
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den damals wahrgenommenen Zustand der Gelehrtenausbildung im Reich lässt sich in der Aussage des prominenten polnischen Rabbiners Moses Isserles (1520‒ 1572) finden. Isserles schrieb an einen anderen Rabbiner, der aus dem Reich nach Polen zurückgekehrt war: „… ich [hätte] es für besser gehalten [..], daß Du in Deutschland geblieben wärest und dort ein Amt als Rabbiner und Lehrer angenommen hättest“.¹⁸⁴ Auch die Auswanderung von kapitalkräftigen Juden wird hie und da in der Literatur erwähnt¹⁸⁵, sodass man davon ausgehen kann, dass auch die wirtschaftliche Elite der Juden geschwächt war. Die überlieferten innerjüdischen Quellen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vermitteln den Eindruck eines nachlassenden Zusammenhalts der Juden untereinander. So wurde die innerjüdische Gerichtsbarkeit immer häufiger dadurch verletzt, dass Juden andere Juden vor christlichen Gerichtsinstanzen verklagten, obwohl dies nach jüdischen Normen streng verboten war.¹⁸⁶ Auch die Eintreibung von Steuern wurde schwieriger, weil viele (wohlhabende) Juden im Rahmen ihrer zeitlich befristeten Individualschutzbriefe persönliche Steuersätze mit den christlichen Autoritäten vereinbarten und sich zum Teil von der allgemeinen Steuerlast befreien ließen. Gerade diese individuellen ‚Steuerabkommen‘ verschärften die Steuerlast der übrigen Gemeinde, denn sie hatte in der Regel eine festgesetzte Summe zu entrichten, die sie nun ohne die Beteiligung einiger der vermögenderen Mitglieder aufbringen musste. Unter diesen Umständen mussten oft auch die ärmeren und unterprivilegierten jüdischen Schichten, die in der Regel keine Steuern zahlten, mit besteuert werden.¹⁸⁷
Ansehen wirkten, die von anderen Rabbinern in Sachen der Streitschlichtung, der Auslegung des Talmuds und der Halacha oder in allgemeinen Angelegenheiten des Alltaglebens in der Diaspora befragt wurden. Zu der rabbinischen Responsa-Literatur siehe z. B. das Projekt zur Erfassung der rabbinischen „Fragen und Antworten“-Werke an der Universität Bar-Ilan in Israel: http://www.res ponsa.co.il/home.en-US.aspx, letzter Zugriff: 05.04. 2013 und Art.: She’elot u-Teshubot („questions and answers“), in: JewishEncyclopedia.com, http://www.jewishencyclopedia.com/articles/ 13525-she-elot-u-teshubot, letzter Zugriff: 05.04. 2013. Die wenigen ‚deutschen‘ Rabbiner, die laut Friedrich Battenberg zu den bedeutenden ihrer Generation zu zählen sind (Jochanan Luria und Samuel Margulies), starben bereits Anfang des 16. Jahrhunderts und hatten offensichtlich keine Nachfolger. Vgl. Battenberg: Juden in Deutschland, S. 91 f. Zitiert nach Wijaczka: Einwanderung, S. 244. Vgl. Isenmann: Steuern, S. 2281 und Toch: Mittelalter, S. 13 und 17 f. Darüber siehe z. B. Birgit Klein: Wohltat und Hochverrat. Kurfürst Ernst von Köln, Juda bar Chajjim und die Juden im Alten Reich, Hildesheim 2003, S. 378 ff.; Zimmer: Harmony, S. 88 f.; Robert Jütte: Ehre und Ehrverlust im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Judentum, in: Klaus Schreiner und Gerd Schwerhoff (Hrsg.): Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit [Norm und Struktur, Bd. 5], Köln – Weimar – Wien 1995, S. 144– 165 und zuletzt Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten. Vgl. Zimmer: Harmony, S. 66.
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Diese Phänomene deuten sowohl auf eine Tendenz der Entsolidarisierung innerhalb der jüdischen Gemeinden als auch auf eine Erosion der Autonomie(‐ansprüche) der Juden hin. Sie wurden aber nicht ausschließlich durch die Streitigkeiten innerhalb der Judenschaft, sondern auch maßgeblich durch äußere Einflüsse und äußeren Druck mitverursacht. So führten erschwerte Bedingungen in vielen Lokalitäten dazu, dass die notwendigen organisatorischen und personellen Ressourcen fehlten, um ein Gerichtstribunal einzurichten. Begleitet war dies von häufig auftretenden Einmischungen der christlichen Herrscher in die jüdische Jurisdiktion, die sie anfochten oder gar außer Kraft setzten.¹⁸⁸ In solch einer Situation verwundert es kaum, dass jüdische Konfliktparteien der eigenen Gerichtsbarkeit kein Vertrauen mehr schenkten.¹⁸⁹ In dieser Hinsicht sollen die Verletzungen der innerjüdischen Gerichtsbarkeit und damit einhergehend die Übertretung von innerjüdischen normativen Verboten als ein deutliches Anzeichen einer Dysfunktionalität der autonomen Strukturen der jüdischen Gemeinden angesehen werden. Auch die Steuerproblematik deutet eher auf ein strukturelles Problem der jüdischen Autonomie hin, als dass sie auf ein fehlendes Gefühl von Zusammengehörigkeit verweist. Individuelle Steuerabkommen resultierten schließlich aus den individuellen Schutzaufnahmen einzelner Familien. Es erscheint daher naheliegend, dass ein Geschäftsmann, der hohe persönliche Steuern und Abgaben zu zahlen hatte, sich von der allgemeinen Steuerpflicht befreien lassen würde.¹⁹⁰ In dieser so beschaffenen Situation wurde letztendlich nicht nur die traditionelle Form der Steuereintreibung durch die Gemeinde außer Kraft gesetzt, sondern auch die kommunale Autonomie und Autorität untergraben. Damit sahen sich die Juden im Reich gegen Ende des 15. Jahrhunderts nicht nur mit einer personellen Führungsproblematik, sondern auch mit strukturell-organisatorischen Herausforderungen konfrontiert.
2.5 Die Unwahrscheinlichkeit der Organisation Die in diesem Kapitel beschriebenen Entwicklungen und Prozesse, welche die Juden im Reich im Laufe des Spätmittelalters erlebten, deuten auf eine kontinuierliche Verschlechterung ihrer Lage hin. Im rechtlichen Bereich tritt diese Entwicklung deutlich zu Tage. Die Aushöhlung der Institution der Kammerknecht Siehe z. B. zum mittelalterlichen Zürich Burghartz: Minderheit vor Gericht, bes. S. 236 – 239. So z. B. wenn an einem Ort kein unparteiischer Richter zu finden war.Vgl. Zimmer: Harmony, S. 71 f. Vgl. Zimmer: Harmony, S. 36 ff.
2.5 Die Unwahrscheinlichkeit der Organisation
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schaft von ihrer ursprünglichen Funktion der Schutzgewährung und ihre Umdeutung im Sinne fiskalischer Interessen führte nicht nur zur Zunahme der rechtlichen Unsicherheit der Juden, sondern belastete sie darüber hinaus zunehmend finanziell. Auch die ‚Territorialisierung des Judenrechts‘ durch die Verpfändungspraxis der Judenregale fiel zuungunsten der Juden aus. Neben der zusätzlichen finanziellen Belastung erschwerte diese Entwicklung jüdische Zusammenschlüsse ungemein, da die einzelnen jüdischen Gemeinden in einer jeweils lokalen oder regionalen Rechts- und Herrschaftsstruktur eingebunden waren. Durch die Territorialisierung fiel schließlich auch der Kaiser bei vielen der lokalen Verfolgungen als Schutzgarant weg. Ob das Vertrauen der Juden in die Institution des Kaisertums deshalb geschwächt wurde, kann nur vermutet werden. Tatsache ist, dass gesamtjüdische Bittgesuche an den Kaiser seit dem späten 15. Jahrhundert immer seltener überliefert sind und dass daher die jüdische Führung wenige politische Erfahrungen auf Reichsebene sammeln konnte. Die sich verschlechternde soziale Stellung der Juden, die durch sich gegenseitig bedingende Angst, Misstrauen und religiöse Antagonismen bestimmt war, trug maßgeblich zu ihrer Ausgrenzung bei, sodass sie immer mehr aus einer Randposition agieren mussten. Vor allem die Vorstellung von der jüdischen Geldleihe als Wucher verursachte soziale Konflikte und führte zu vermehrten Beschränkungen ökonomischer Aktivitäten der Juden. Neben dem Ausschluss aus vielen Berufen und der Verdrängung aus den lukrativen Geldgeschäften führten auch die Verfolgungen und Schuldtilgungsaktionen zu einer Veränderung der ökonomisch-finanziellen Lage der Juden im Reich. Es kann hierbei von einer wesentlichen Schwächung der Finanzkraft der Juden ausgegangen werden, die ebenfalls ihre politischen Handlungsoptionen einschränkte. Der Bedeutungsverlust der Juden für den Fiskus bei gleichzeitiger Zunahme an sozialem Konfliktpotenzial veranlasste viele Lokal- und Territorialobrigkeiten zu dem Entschluss, sich ihrer Juden zu entledigen. Die unterschiedlichen Vertreibungswellen während des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts zerstörten fast sämtliche städtische jüdische Siedlungen. Am Ende dieser Vertreibungsphase blieben jüdische Zentren auf deutschen Territorien des Reichs in lediglich zwei Reichsstädten bestehen – in Worms und in Frankfurt.¹⁹¹ Die meisten Juden lebten nun vereinzelt oder in kleinen Siedlungsformen auf dem Land. Mit den Vertreibungen und der Zerstörung der jüdischen Gemeinden wurden auch die interkommunalen Strukturen zerschlagen und damit auch die Auch die jüdische Gemeinde im böhmischen Prag blieb in dieser Zeit bestehen. Sie gewann aber erst im Laufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts allmählich an Bedeutung für die Reichsjudenschaft als Korporation, bis sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine Führungsrolle übernahm.
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Möglichkeit einer Fortsetzung tradierter Formen der überlokalen Organisation. Die wirtschaftliche, geistliche und politische Führung der Juden litt ebenfalls unter Verarmung, Verfolgung, Vertreibungen, Auswanderungen und innerjüdischen Konflikten und zuvor bestehende innerjüdische und jüdisch-christliche Kommunikations- und Personennetzwerke verloren zwangsläufig ihre Bedeutung. Die prekäre Lebenssituation der Juden am Ende des Mittelalters war das Resultat eines komplexen, facettenreichen und interdependenten Prozesses, der fast alle Lebensbereiche der Juden im Reich erfasste. Der Ausgang des Mittelalters scheint dabei den Höhepunkt dieser Entwicklung darzustellen. Die dadurch entstandene schwierige Lage sorgte zudem dafür, dass die politischen Handlungsoptionen der Juden eingeengt wurden. Konnte für das gesamte Mittalter keine auf Reichsebene angesiedelte politische Organisation der Juden nachgewiesen werden, so erscheint die Entstehung eines derartigen Organs jüdischer Repräsentation und Interessenvertretung unter diesen Bedingungen unwahrscheinlich.
3 Anfänge einer politischen Organisation? Nachdem festgestellt werden konnte, dass die Juden im ausgehenden 15. Jahrhundert über keine Strukturen einer kollektiven Organisation verfügten und dass die Formung eines solchen Zusammenschlusses aus vielfältigen Ursachen sogar unwahrscheinlich geworden war, stellt sich die Frage nach möglichen Gründen, welche die Herausbildung gemeinsamer Strukturen begünstigt und motiviert haben konnten. So bildeten die Juden im Reich eine klar definierbare soziale Gruppe, die sich über ihre religiöse Zugehörigkeit definierte. Die Teilnahme an einer Kult- und Glaubensgemeinschaft brachte eine Reihe von Distinktionsmerkmalen mit sich. So unterschieden sich die jüdischen Rituale, Zeremonien, Feste und die Liturgie von ihren christlichen Äquivalenten. Die Differenzen wirkten nicht nur äußerlich, sondern betrafen auch die innerlichen Glaubensüberzeugungen, die auf unterschiedlichen Lehrgrundsätzen und Überlieferungen basierten. Im Laufe des Mittelalters und aufgrund der seit der Antike bestehenden Konkurrenzsituation zwischen dem Judentum und dem Christentum etablierten sich immer mehr Distinktionsmerkmale, die zum Teil die christlichen Religionsanführer und zum Teil die rabbinischen Autoritäten einführten. So wurde das Zusammenleben von Christen und Juden im gleichen Haushalt genauso wie der sexuelle Verkehr zwischen Angehörigen der unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften verboten. Um dies zu überwachen, wurden die Juden in bestimmte Teile der Stadt, in der sie lebten, verwiesen, bzw. sie konzentrierten sich selbst auf einer Gasse oder in einem Stadtteil.¹ Die Unterschiede zwischen Angehörigen beider Religionsgemeinschaften wurden zudem visualisiert. Die Juden mussten den sogenannten Judenhut oder später jüdische Abzeichen – meist gelber fleck oder gelber Ringk genannt – tragen.² Schließlich unterschied sich der jüdische Bevölkerungsteil von seiner christlichen Umwelt durch die Sprache, die er nutzte, sei es Jiddisch oder Hebräisch. Alle genannten Elemente der Differenzierung trugen einerseits dem zunehmenden Misstrauen und der Angst vor dem Anderen bei. Denn – sozialpsychologisch gesprochen – kann die Andersartigkeit der Anderen bedrohlich auf die
Die religiösen Vorschriften der Schabat-Einhaltung, v. a. der Brauch des ‚Eruv Chazerot‘ (ערוב – )חצרותdie Festlegung eines Bereichs, in dessen Grenzen sich die Juden während der Schabat frei bewegen konnten, ohne die Heiligkeit des Tages zu verletzen – erforderten diese Wohnkonzentration geradezu. Vgl. dazu Klein: Obrigkeitliche und innerjüdische Quellen, S. 253 – 283. Siehe Rudolf Hirsch und Rosemarie Schuder: Der gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte, Köln 1999. https://doi.org/10.1515/9783110723533-006
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Integrität der eigenen Identität wirken.³ Andererseits kann eine Identität, geschweige denn eine kollektive Identität, ohne das ‚konstitutive Außen‘, das die Anderen darstellen, gar nicht erst entstehen. Das heißt, dass gerade diejenigen Merkmale, die eine Person oder eine soziale Gruppe von anderen Personen und Gruppen unterscheiden, für die Herausbildung der eigenen Identität konstitutiv wirken.⁴ Der Andere ist dabei identitätsstiftend nicht nur für die hegemoniale Gruppe, sondern auch für diejenigen, die als die Anderen wahrgenommen werden.⁵ Für die Juden im Reich hätten die gemeinsame Sprache, der geteilte Glaube, die Praktizierung der gleichen Rituale und Zeremonien, die Achtung der gleichen Gebote und die Einhaltung der gleichen Vorschriften zu bedeuten, dass sie sich zwangsläufig als Angehörige einer sozialen Gruppe wahrnahmen. Zugleich bewirkten die geteilten oder zumindest ähnlich gelagerten Erfahrungen der Diskriminierung, Ausgrenzung,Verfolgung und Vertreibung, dass die Juden sich als eine Schicksalsgemeinschaft verstanden.⁶ Folglich kann argumentiert werden, dass gerade die Erfahrungen des Andersseins die Voraussetzung für einen jüdischen Zusammenhalt schufen. Dies stimmt umso mehr in Notsituationen, bei denen die Juden erkannten, dass die Gefahren sie als eine Gruppe bedrohten und einen Zusammenschluss erforderten. Allerdings müsste solch eine Notlage von einer besonderen Qualität gewesen sein, damit die im vergangenen Kapitel beschriebene Krise auf der interkommunalen Organisationsebene überwunden und die Zusammenarbeit der Gemeinden (re)aktiviert würde.
Siehe Alois Hahn: Die soziale Konstruktion des Fremden, in: Walter M. Sprondel (Hrsg.): Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Für Thomas Luckmann, Frankfurt am Main 1994, S. 140 – 163, hier besonders S. 153 und 155; Andreas Zick: Die Konflikttheorie der Theorie sozialer Identität, in: Thorsten Bonacker (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung, Wiesbaden 20084, S. 409 – 426, hier S. 409 – 411. Die Idee, dass eine Identität erst über die Abgrenzung von einem sogenannten, ‚konstitutiven Außen‘ gewonnen wird, gehört in der Soziologie zu einem „semiotische[n] Gemeinplatz“. Damit ist nach dem Denken Jacques Derrida gemeint, dass ein ‚Außen‘ die „Identität und Stabilität des Innen garantiert [und] damit konstituiert“. Andreas Reckwitz: Subjekt, Bielefeld 2008, S. 76 und 78. Über die Notwendigkeit der ‚Wir-Sie-Beziehung‘ bzw. eines antagonistischen ‚Freund-FeindVerhältnisses‘ für die Entstehung von politischen Identitäten siehe z. B. Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt am Main 2007, S. 22 ff. Mit Hegemonie wird hier eine subtile Form von Herrschaft gemeint, die sich darauf gründet, dass partikulare Interessen und Weltdeutung eines Teiles der als gesamtgesellschaftliche Interessen vermittelt, vom Rest der Gesellschaft als solche anerkannt und daher durchgesetzt werde. Vgl. Hahn: Konstruktion des Fremden, S. 151. Über das Element des Leidens im Prozess von Nationsbildung – als eine kollektive Identität – siehe Ernest Renan: Was ist eine Nation?, in: Ders.: Was ist eine Nation? Und andere politische Schriften, Wien 1995, S. 41– 59.
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1509 präsentierte sich den Juden eine derartige Bedrohung, die sie zu einer Zusammenarbeit motivierte. Diese war der Plan des Konvertiten Johannes Pfefferkorn, sämtliche jüdische Bücher (das Alte Testament ausgenommen) zu konfiszieren und zu vernichten. Im Folgenden sollen daher die Umtriebe Pfefferkorns und die Gefahr, die daraus für die Juden im Reich erwuchs, dargelegt werden, um die Notwendigkeit der jüdischen Reaktion zu begründen. Anschließend sollen die verschiedenen Vorgehensweisen und Organisationsversuche der Juden zwischen den Jahren 1509 und 1517 ausführlich analysiert werden. Bevor das Kapitel mit einer Analyse der Entstehung einer Reichsorganisation der Judenschaft abschließt, sollen weitere Fallbeispiele zum jüdischen Umgang mit politischen Herausforderungen in Regionen abseits des sich entwickelten Zentrums jüdischer Organisationsversuche untersucht werden. Die Bedeutung der Ereignisse an diesen ‚peripheren‘ Schauplätzen soll in der anschließenden Analyse erörtert werden.
3.1 Pfefferkorns Agitation und die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit Man kann kaum genug betonen, welche zentrale Bedeutung die Agitation Pfefferkorns gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen für die erste Phase der Herausbildung einer politischen Organisation der Juden im Reich hatte. Pfefferkorn, der laut eigenen Aussagen 1504 zusammen mit Frau und Kindern die Taufe auf sich nahm, verschrieb sich der Aufgabe, seine ehemaligen Glaubensgenossen zu missionieren.⁷ Zu diesem Zweck verfasste und publizierte er Schriften, in denen er
Aus der umfangreichen Literatur zu Pfefferkorn siehe z. B. Ludwig Geiger: Johannes Reuchlin. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1871; Heinrich Graetz: Geschichte der Juden. Von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Bd. 9: Von der Verbannung der Juden aus Spanien und Portugal (1494) bis zur dauernden Ansiedelung der Marranen in Holland (1618), Leipzig 1907, neu aufgelegt Berlin 1998, bes. Kapitel 3; Ders.: Aktenstücke zur Confiscation der jüdischen Schriften in Frankfurt a. M. unter Kaiser Maximilian durch Pfefferkorns Angeberei, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ), 24 (1875), S. 289 – 300, 337– 343 und 385 – 402; Isidor Kracauer: Die Konfiskation der hebräischen Schriften in Frankfurt a. M. in den Jahren 1509 und 1510, in: ZGJD 1 (1887), H. 2, S. 160 – 176 und H. 3, S. 230 – 248; Ders., Actenstücke zur Geschichte der Confiscation der hebräischen Schriften in Frankfurt a. M., in: MGWJ 44 (1900), H. 3, S. 114‒126, H. 4, S. 167‒177 und H. 5, S. 220‒234; Hans-Martin Kirn: Das Bild vom Juden im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts; dargestellt an den Schriften Johannes Pfefferkorns, Tübingen 1989; Ellen Martin: Die deutschen Schriften des Johannes Pfefferkorn. Zum Problem des Judenhasses und der Intoleranz in der Zeit der Vorreformation, Göppingen 1994; Avner Shamir: Christian Conceptions of Jewish Books. The Pfefferkorn Affair, Copenhagen 2011;
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zur Judenmission aufrief und Ratschläge erteilte, wie diese zu bewerkstelligen sei. In seiner ersten Schrift, Judenspiegel, versuchte Pfefferkorn selbst, die Juden zur Konversion zu bewegen, indem er ihnen die Grundsätze des christlichen Glaubens in zehn Punkten erklärte.⁸ Gleichzeitig unterbreitete er Vorschläge unter den Christen und v. a. unter den christlichen Obrigkeiten, wie mit den Juden umzugehen sei, um ihr Übertritt zum Christentum zu veranlassen.⁹ Diese Vorschläge wiederholten sich in ähnlicher Form in anderen Schriften Pfefferkorns und bildeten die Bausteine seines Plans der Judenmission. Diese beinhalteten die Forderung, den Juden den Wucher zu verbieten, um Schaden von den christlichen Untertanen abzuwenden, und damit die Juden keine materiellen Vorteile aus ihren wirtschaftlichen Privilegien ziehen würden.¹⁰ In seinem zweiten Vorschlag verlangte Pfefferkorn, dass die Juden dazu angehalten würden, christliche Predigten zu hören, denn die beraubung des wort gots, des sy nit horen, sei die zweite Ursache, warum die Juden sich nicht bekehren ließen.¹¹ Die letzte Forderung Pfefferkorns war zugleich die einzige, die er selbst weiterverfolgen konnte. Ausgehend von der Überzeugung, dass die rabbinische Religionslehre und Tradition die Juden durch Schmähungen und Lügen gegen Jesus, Maria und den christlichen Glauben von der göttlichen Wahrheit verleitete, schlug er vor: Darumb nemet in den weg der bucher, verbrenet sy, so syn sie dan dester lichtlicher zu [b]ewegen auf den weg der warheit. ¹² In den darauffolgenden Schriften¹³ änderte Pfefferkorn seine Strategie und verschärfte den Ton, indem er seiner Leserschaft die angebliche ‚Schlechtigkeit‘ der Juden und die Unvernunft ihres Glaubens vorführte. Dies tat er, indem er die Bräuche, die ‚falsche‘ Frömmigkeit und die kultischen Praktiken der Juden ins Jonathan Adams: Revealing the Secrets of the Jews. Johannes Pfefferkorn and Christian Writings about Jewish Life and Literature in Early Modern Europe, Berlin – Boston 2017; Yaacov Deutsch: Judaism in Christian Eyes. Ethnographic Descriptions of Jews and Judaism in Early Modern Europe, Oxford 2012; Elisheva Carlebach: Divided Souls. Converts from Judaism in Early Modern German Lands 1500 – 1750, New Haven – London 2001. Johannes Pfefferkorn: Der Judenspiegel, Köln 1507. Eine Edition dieser Schrift befindet sich in: Kirn: Bild vom Juden, S. 205 – 230. Pfefferkorn behauptete mehrfach, dass er bereits bei seiner Konversion noch weitere zehn Personen ins Christentum überführte. Siehe z. B. sein Schreiben an den Frankfurter Rat vom Januar 1510: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (ISG), Juden Akten (JA) 670, Bl. 1. Pfefferkorn: Judenspiegel, in: Kirn: Bild vom Juden, S. 220 – 223. Vgl. ebd., S. 220 – 226. Pfefferkorn: Judenspiegel, in: Kirn: Bild vom Juden, S. 223. Ebd. S. 225. Gemeint sind folgende Werke: Johannes Pfefferkorn: Ich heyß eyn buchlin der iuden beicht, Köln 1508 [VD 16, P 2397] und Ders.: In disem buchlin vindet // yr ein entliche furtrag, wie // die blinden Juden yr Ostern halten, Köln 1509 [VD 16, P 2291] – auch bekannt als das Osternbüchlein.
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Lächerliche zog. Dabei war seine Polemik darauf ausgerichtet, die Juden als Ketzer der eigenen Religion darzustellen.¹⁴ Anhand dieser Darstellung konnte Pfefferkorn seinen eigenen Forderungen Nachdruck verleihen, denn die Juden ließen sich nur durch Zwangspredigten, durch den Verlust der ökonomischen Privilegien und durch die Vernichtung der ‚falschen‘ Bücher von ihrem ‚Irrglauben‘ befreien und ins Christentum überführen. Somit zielten diese Schriften ebenfalls auf die Bekehrung der Juden ab, auch wenn die Mission nicht mehr durch Überzeugung, sondern über Zwang erfolgen sollte. Die Schriften Pfefferkorns können aus mehreren Gründen nicht als belanglos betrachtet werden: Pfefferkorn veröffentlichte seine judenmissionarischen Werke just in der Zeit, in der der Buchdruck seinen ersten Durchbruch und sein erstes Etablierungsmoment im Reich erfuhr.¹⁵ Die vergleichsweise hohe Auflagenzahl seiner Schriften lässt zudem vermuten, dass sie gut verkauft wurden.¹⁶ Außerdem wurden die Schriften durch den Kölner Humanisten Ortwin Gratius ins Lateinische übersetzt und somit einem gelehrteren Publikum auch außerhalb des deutschsprachigen Raums zugänglich gemacht. Aber auch darüber hinaus zeugt die enge Zusammenarbeit mit dem Dominikaner Theologen Gratius – später auch mit weiteren Theologen, wie Arnold von Tongern – von der Unterstützung, die Pfefferkorn von diesem Orden erhielt. Pfefferkorn erlangte zudem Beistand auch von den Franziskanern, die ihm den Kontakt zu Kunigunde von Österreich, der Schwester des Kaisers und Äbtissin des Franziskanerklosters in München vermittelten. Kunigunde gab Pfefferkorn nicht nur ihre Zustimmung für sein Vorhaben, sondern auch ein Empfehlungsschreiben, das maßgeblich dazu beitrug, dass der Kaiser ihm ein Mandat erteilte, das die Konfiszierung der jüdischen Bücher anordnete.¹⁷ So kam es, dass der Plan, den Pfefferkorn in seinen Schriften entworfen hatte, um die Juden von ihrem ‚Irrglauben‘ zu befreien, zwar nicht vollständig, aber dennoch in einem seiner zentralen Punkte in die Tat umgesetzt werden konnte. Laut Pfefferkorns eigenen Aussagen nahmen auch die zeitgenössischen Juden Notiz von seiner Agitation. In seiner Schrift Der Judenfeind, die zugleich die schärfsten Angriffe gegen die Juden enthielt, informierte er seine Leserschaft über
Vgl. Martin: Pfefferkorns Schriften, S. 92 und Kirn: Bild vom Juden, S. 38. Siehe z. B. Andreas Würgler: Medien in der Frühen Neuzeit [Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 85], 2. durchges. Aufl., Oldenburg 2013 und Stephan Füssel: Guttenberg und seine Wirkung, Darmstadt 1999. So wurde laut der Datenbank der bayerischen Staatsbibliothek der Judenspiegel sieben Mal in den Jahren 1507– 08 aufgelegt. Auch die Werke der Judenfeind und der Judenbeicht erlebten mindestens fünf Auflagen innerhalb weniger Jahre. Vgl. Martin: Pfefferkorns Schriften, S. 138.
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ein angebliches Komplott, wie er clärlich bericht vnnd getrülich gewarnet worden sei, dass die Juden planen, ihn zu ermordrn vnnd zu verdilgen. ¹⁸ Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung kann durch keine weiteren Quellen belegt werden. Tatsächlich aber waren die Frankfurter Juden über Pfefferkorn und seine Schriften informiert, als er am Leibhüttenfest 1509 in Frankfurt am Main erschien.¹⁹ Überrascht scheinen die Frankfurter Juden dennoch von der Tatsache gewesen zu sein, dass Pfefferkorn ein kaiserliches Mandat bei sich hatte, das ihn dazu berechtigte, ihre buecher und schrifften uberall zu visitiren zuverfaren unnd zubesehen unnd was darunter befunden, die widder die pucher unnd gesatzt Moßi auch der propheten weren, unnd wie obstet ungegrunt unsern heiligen Cristenglauben zu nachteill schmach unnd ubell reichten, die selben alle, doch an yeden ortt mitt wissen Ratt unnd in gegenwartigkeit des pastors oder pfarrers auch zweyer vom Rat oder der oberkeit von euch zunemen die abweg zuthunn unnd zu underdrucken.²⁰
Die hiermit gestartete Konfiszierungsaktion Pfefferkorns stellte eine existenzielle Bedrohung für die Juden dar, weil die Vernichtung ihres Schrifttums auf lange Sicht einer Austilgung ihrer Religion gleichgekommen wäre. Die jüdische Religion war nicht so sehr im Alten Testament oder noch genauer in den puecher[n] und gesatz Moißi auch der propheten, sondern vielmehr in der rabbinischen Literatur kodifiziert – vorwiegend im Talmud und in den posttalmudischen Kommentarwerken. Ohne die sehr reichhaltige und vielfältige Überlieferung der rabbinischen Werke hätte der jüdische Kult sein Fundament verloren und in der Folge nicht mehr praktiziert werden können.²¹ Eine Tatenlosigkeit seitens der Juden war angesichts dieser Bedrohung unvorstellbar.
Johannes Pfefferkorn: Ich bin ain Büchlein der Judenfeindt, Köln 1509 [VD 16, P 2313], Bl. 124v (Laut nachträgliche Blätternummerierung). Sie beschimpften ihn in ihrem Bericht über dieses Ereignis als den unreinen Metzger – einen Beruf, den er angeblich vor seiner Konversion ausübte. Vgl. Kracauer: Actenstücke, hier S. 119. Mandat Maximilians I. über die Konfiszierung der jüdischen Bücher – Padua, 19. August 1509, ISG, JA 779, Bll. 4r-5r, hier Bl. 4rf. Eine ähnliche, allerdings anders gelagerte Überlegung äußerte auch Johannes Reuchlin in seinem Ratschlag, ob man den Juden all ire buecher nemmen, abthun unnd verbrennen soll. Er schreibt darin: Sollte man den Juden ihre Bücher wegnehmen, so würden sie vil seltzamer ding von nüwe schreiben, die bößer wern dann dise/ vnnd iren kinden von yetzt über hundert iar sagen das vnd das were inn den verbrennten Büchern gestanden. in: Reuchlin: Augenspiegel, S. XVIIIv.
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3.1.1 Erste Versuche politischer Zusammenschlüsse 1509‒1510 Pfefferkorns Ankunft in Frankfurt am Main blieb in der Tat nicht ohne eine Reaktion seitens der lokalen jüdischen Gemeinde. Aber nicht nur die Frankfurter Judenschaft wurde aktiv in dieser Angelegenheit. Im Laufe der Monate und Jahre nach Beginn der Auseinandersetzungen beteiligte sich ein immer größer werdender Kreis an jüdischen Gemeinden an den Bemühungen, Pfefferkorns Unternehmung zum Erliegen zu bringen und die Errettung des eigenen Schrifttums herbeizuführen.²² Als das kaiserliche Konfiszierungsmandat in der Frankfurter Synagoge zum ersten Mal verlesen wurde, baten die Juden der Stadt den Rat um eine Bedenkzeit. Sie berieten sich über ihr weiteres Vorgehen und gaben anschließend zur Antwort, dass sie kurtzlich vnnd vngewarnter sachen angelangt worden [weren]. Darumb mochten oder konten sie alle erschrecken lute so ylents [=eilend (A.S.)] nitt anttwortt geben. Es were auch ine one mogelich alle buchere so in einer kurtze inn die sinagogen zu beringen Begerthen darumb inen ein zeitt zugeben darinne sie der buchere bey eynender suchen mochten, Sie wollten bey gutem glauben kein buch so jtzt hinder inen were verusseren.²³
Bereits in dieser frühen Phase zeichnete sich die doppelte Strategie ab, welche die Frankfurter Juden beim Umgang mit den Obrigkeiten verfolgen sollten: Auf der einen Seite wollten sie die Maßnahmen gegen sie so weit wie möglich hinauszögern bzw. ins Stocken bringen. Auf der anderen Seite achteten sie darauf, sich als gehorsame Untertanen zu zeigen. Sie vermieden es daher, dem Rat öffentlich zu widersprechen oder sich dem Befehl des Kaisers direkt zu widersetzen.²⁴
Es gibt zwar mehrere Werke, die sich mit den jüdischen Handlungen in der Angelegenheit befassen. Es fehlt aber weiterhin eine Analyse der jüdischen Aktionen und deren Wirkung aufs politische Geschehen. Siehe Graetz: Geschichte, Bd. 9, S. 63 – 180; Ders.: Actenstücke; Kracauer: Actenstücke; Ders.: Die Konfiskation; Ders: Geschichte der Juden in Frankfurt a. M. (1150 – 1824), Bd. 1, Frankfurt am Main 1925, S. 249 – 264. Neuere Arbeiten sind David H. Price: Johannes Reuchlin & the Campaign to Destroy Jewish Books, New York 2011, besonders Kap. 6 „Who Saved the Jewish Books“, S. 113 – 137; Ders.: Who or What Saved the Jewish Books? Johannes Reuchlin’s Role in the Jewish Book Pogrom of 1509 – 1510, in: Daphnis – Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur 39 (2010), S. 479 – 517; Arye Maimon: Tagungen von Judenschaften in Westdeutschland im frühen 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), S. 71– 82; Zimmer: Synods, S. 47– 57. Bericht des Frankfurter Rats vom 25. September 1509: ISG, JA 779, Bl. 6rf. Ein Ungehorsam seitens der Juden hätte zudem Strafen nach sich gezogen.Vgl. das kaiserliche Mandat von Padua vom 19. August 1509: Ebd. Bl. 4vf.
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Die erste Aufschiebung verschaffte der Frankfurter Gemeinde drei Tage Atemund Beratungszeit, an deren Ende Pfefferkorn in Begleitung von Ratsverwandten und der lokalen Geistlichkeit in der Frankfurter Synagoge eintraf. Als Teil ihrer Verzögerungstaktik baten die Juden um eine Abschrift des Mandats, damit sie sich dem deserbaß [=desto besser (A.S.)] wissen zu halten vnd zugeleben. Sie meinten zugleich aber, wo ine das abgesagt wurde, sei[e]n sie beswert vnd beruffen sich, an die ky.mat. […] dieselb zuberichten. ²⁵ Der Rat übergab ihnen zwar eine Abschrift des Mandats, führte aber dennoch die Beschlagnahme durch. Die Konfiszierung wurde dennoch bald darauf erneut unterbrochen, da der Freitag aufgrund des Sabbatbeginns vor dem Sonnenuntergang ein kurzer Tag war.²⁶ Die Verzögerungstaktik der Juden verschaffte ihnen Zeit, um weiterführende Maßnahmen treffen zu können. So schickten sie unmittelbar Rabbi Jonathan²⁷ nach Worms, um beim dort tagenden Reichskammergericht eine Einstellung des Vorgehens zu erbitten.²⁸ Allerdings scheiterte dieser Versuch, denn das Reichskammergericht war eine Appellationsinstanz und eine Appellation war als Rechtsmittel nur dann möglich, wenn ein Rechtsstreit bereits erstinstanzlich entschieden worden war.²⁹ Zudem kann die Zurückweisung des jüdischen Gesuchs auch durch die voreingenommene Einstellung des damaligen Vorsitzenden des Gerichts, Graf Adolf von Nassau, erklärt werden.³⁰ Die Gesandtschaft nach Worms war aber nicht gänzlich umsonst, denn in Worms lebte eine der größeren und traditionsreichsten jüdischen Gemeinden im Reich. Es ist davon auszugehen, dass der Frankfurter Bote die dortige Gemeinde von der Angelegenheit unterrichtete und dadurch die Grundlage für eine spätere Zusammenarbeit schaffte. Bericht des Frankfurter Rats vom 28. September: ebd. Bl. 8v. Darüber berichteten die Juden selbst "כי אותו היום היה קצר מהכיל וגלחים )=אנשי דת( לא רצו לבטל "'השבת ויום א. Siehe Aktenstück Nr. I, in: Kracauer: Actenstücke, S. 119 oder in der Übersetzung, wo es heißt: „… da der Tag zu kurz war, um das Werk zu vollenden. Aber die Geistlichen wollten den Sabbath nicht stören und ebenso wenig ihren Feiertag den Sonntag darauf“, ebd. S. 120. Es handelt sich wahrscheinlich um Jonathan Zion, ein Frankfurter Jude, der später die Gesandtschaft zum Kaiserhof übernahm. Er war vermutlich kein approbierter Rabbiner und hielt sich selbst für nicht ausreichend gelehrt, um die Juden adäquat zu vertreten. Vgl. seinen Brief an die Frankfurter Judenschaft vom 19. Oktober 1509, gedruckt in: Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. IV, S. 167– 171 (Hebr.) und 171– 177 (Dt.). Ebd. Akt Nr. I, S. 119 f. Zum Reichskammergericht siehe Bernhard Diestelkamp: Das Reichskammergericht. Der Weg zu seiner Gründung und die ersten Jahrzehnte seines Wirkens (1451– 1527), Köln 2003; Ders. (Hrsg.): Oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt im Europa der frühen Neuzeit, Köln 1996; Wolfgang Sellert (Hrsg.): Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis, Köln 1999. Dies belegt sein Empfehlungsbrief für Pfefferkorn an den Frankfurter Rat vom 08. August 1509. ISG, JA 850. Vgl. auch Kracauer: Geschichte, S. 252.
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Die Absage des Gerichts stellte ein Problem für die Juden in Frankfurt dar, weshalb man die Sabbat- bzw. Sonntagruhe nutzte, um Gumprecht von Weißenau, an den Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen nach Aschaffenburg zu entsenden.³¹ Die Tatsache, dass man Gumprecht am jüdischen Ruhetag zu solch einer Mission schickte, zeugt von der Dringlichkeit der Sache, denn die SabbatRuhe darf nach jüdischem Verständnis nur bei Lebensgefahr verletzt werden. Der Grund dafür, dass die Juden den Mainzer Erzbischof in dieser Angelegenheit ansuchten, liegt im Wortlaut des kaiserlichen Mandats. Dort wurde angeordnet, dass Pfefferkorn sein Vorhaben nur in der Gegenwart von Ratsgesandten und Angehörigen der lokalen Geistlichkeit ausführen dürfe.³² Die Anwesenheit von Ratsgesandten sollte verhindern, dass lokale Obrigkeiten sich in ihren Rechten verletzt gesehen hätten. Die Geistlichkeit musste zugegen sein, da die Zensur im Reich in geistlicher Zuständigkeit lag. Damit sollte ein Widerstand seitens der Lokalobrigkeiten und Kirchenvertreter verhindert werden. In Frankfurt gehörten die an der Konfiszierung beteiligten Geistlichen dem Bartholomäuskapitel an, das im Mainzer Erzstift eingegliedert war. Eine Mitwirkung der Frankfurter Geistlichen an Pfefferkorns Aktion bedurfte daher der Zustimmung des zuständigen Erzbischofs, wie die Frankfurter Juden offensichtlich erkannten: Sie schickten ihren Gesandten an Uriel, damit dieser den Geistlichen befehle, die Hand zu lassen von dieser Sache. ³³ Außerdem war der Mainzer Erzbischof beim Frankfurter Geldleiher Simon von Weißenau um 1.500 fl. verschuldet.³⁴ Die Entsendung von Simons Sohn Gumprecht nach Aschaffenburg lässt die Annahme zu, dass die Juden dem Erzbischof einen (Teil‐)Erlass seiner Schulden im Gegenzug für seine Unterstützung in Aussicht stellten.³⁵ Problematisch für die Juden in Frankfurt war allerdings, dass Gumprechts Gesandtschaftsmission nicht erfüllt werden konnte, bevor Pfefferkorn und seine Begleiter die Bücherkonfiskation fortsetzten. Die Juden versuchten daraufhin, die Ratsgesandten zu verunsichern. Sie erhoben ein großes Geschrei und verwiesen auf die Verletzung ihrer in kaiserlichen Privilegien garantierten Rechte hin. Der Gumprecht war der Sohn Simons von Weißenau, einer der einflussreichsten Kreditgeber Frankfurts. Vgl. Mandat Maximilians I. vom 19. August 1509, in: ISG, JA 779, Bll. 4r–5r. ""שלחנו ה'ל גומפריכט וו"שנ' לההגמון ממענץ יר"ה לאושנבורג להסיר יד הגלחים מזה הענייןAktenstück Nr. I, in: Kracauer: Actenstücke, S. 120 bzw. in der Übersetzung auf S. 121. Man muss auch bedenken, dass der Erzbischof von Mainz zugleich Reichskanzler war und daher als eine wichtige Appellationsinstanz fungierte. Vgl. Price: Campaign, S. 115. Vermutlich war dies ein Teil der großen Unkosten, von denen die Frankfurter Judenschaft später berichteten.Vgl. z. B. den Brief der Frankfurter Judenschaft an ihren Gesandten zum Kaiser, in: Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VI, S. 222 ff. und den Bericht auf S. 227– 228.
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Kaiser, so war ihre Argumentation, habe der Konfiskation nur deswegen zugestimmt, weil ihm die Unwahrheit über ihre Bücher berichtet worden sei. Dies wollten sie auch beweisen und boten deswegen an, ob man die [Bücher] horen [wollte], wollen sie die lesen lassen. ³⁶ Sie bekundeten schließlich ihre Absicht, die Wahrheit über ihre Bücher dem Kaiser vorzutragen und signalisierten somit ihre Zuversicht darüber, dass sie im Recht stünden. Die jüdische Argumentation erwies sich als wirksam: Die verunsicherten Begleiter Pfefferkorns entschieden, die Beschlagnahme zu unterbrechen und sich beim Rat über das weitere Vorgehen zu beraten. Da der Frankfurter Rat immer nur dienstags und donnerstags tagte³⁷, wurde die Konfiszierung um einen weiteren Tag verschoben. In der Zwischenzeit traf der jüdische Gesandte in Frankfurt wieder ein und brachte ein Schreiben vom Mainzer Erzbischof, das die Beteiligung seiner Geistlichen an der Beschlagnahme verbot.³⁸ Gumprecht bekam vom Erzbischof zwei weitere Schriftstücke, die an den Kaiser weitergegeben werden sollten, sowie eine kurze Nachricht an den erzbischöflichen Marschall am Kaiserhof, Ferowin von Hutten. Diesem befahl Uriel von Gemmingen, alles zu tun, damit Pfeferkorn kein weiter bifelch uder giwalt in sulcher sach vun keiserliche maiestet gischech unt du so vun wegen der iuden sölch brif bringen unt biforderlich sein, damit si ir pit bei keiserlichi maiestet erlangen mögen.³⁹
In den Schreiben an Maximilian I. beschwerte sich der Erzbischof, dass er nie kein biricht uder red gihort hätte, dass die Juden in [s]einem stift Bücher hätten, die sie in irem globen ir[r] machen unt zu keziri reizen solen. ⁴⁰ Damit impliziert war die Klage darüber, dass das kaiserliche Mandat seine Autorität und Gerichtsbarkeit verletzte, weil es die Konfiszierung ohne sein Mitwissen und ohne seine Zustimmung anordnete. Zudem erklärte er den Konvertiten Pfefferkorn zu erforschung sölcher sachen nit ginugsam unt och ungischikt. ⁴¹ Vor allem das zweite Argument kann mit gewisser Sicherheit auf das jüdische Gesuch zurückgeführt werden.
Ebd. Siehe auch den jüdischen Bericht bei Kracauer: Actenstücke, Nr. I, S. 120. Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Dr. Roman Fischer vom ISG. ISG, JA 779, Bl. 20. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. X, S. 233 f. Kracauer: Actenstücke, Aktenstück Nr. IX, S. 232: Schreiben Uriel von Gemmigen an Kaiser Maximilian I. vom 1. Oktober 1509. Es handelt sich dabei um eine zeitgenössische Abschrift mit jüdisch-deutscher Orthografie. Das Dokument ist auch im Original (auf Latein) erhalten: ISG, JA 779, Bl. 20 f. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. IX, S. 233.
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Ähnliche Einwände gegen die Eignung Pfefferkorns trugen sie auch dem Frankfurter Rat vor.⁴² Durch diese von den Juden initiierte Intervention des Mainzer Erzbischofs kam Pfefferkorns Plan zeitweise zum Erliegen. Ohne die Mitwirkung der örtlichen Geistlichkeit waren die im Mandat vorgeschriebenen Voraussetzungen zur Durchführung der Konfiskation nicht erfüllt. Dies war mitunter ein Grund dafür, dass sich auch der Frankfurter Rat aus der Sache herauszog. Die Juden in Frankfurt rechneten offensichtlich nicht damit, dass die erzbischöfliche Intervention das Ende der Affäre herbeiführen würde. Einen Tag nach der Rückkehr Gumprechts nach Frankfurt, am 3. Oktober 1509, schickten sie daher Jonathan Zion nach Italien, wo sich der Kaiser wegen des Kriegs mit Venedig aufhielt. Er war beauftragt, die Schreiben des Erzbischofs an ihren Adressaten zu liefern und den Kaiser von den bösen Absichten Pfefferkorns zu überzeugen und so die Pläne des Frevlers zu vereiteln. ⁴³ Gleichzeitig mit der Gesandtschaft zum kaiserlichen Hof konzentrierten die Frankfurt Juden ihre Mühen auf die Mobilmachung aller jüdischen Gemeinden im Reich. Der jüdische Gastwirt Knebel bekam den Auftrag, alle jüdischen Gemeinden Aschkenas von den Vorfällen zu unterrichten und sie zu einer Tagung einzuladen.⁴⁴ Um den Ernst der Lage unmissverständlich zu machen, wandten sich die Rabbiner Frankfurts an die übrigen jüdischen Gemeinden mit pathoserfüllten Worten: Gott, bei dem wohnt das Licht, führe uns aus der Finsterniss(sic!) zum Licht, jetzt, da uns heimsucht Not und Strafgericht; ja heut ist nicht der Tag zu einem Festbericht. Ach und Weh über den Einbruch und das Klagegeschrei, das in unsre Burgen gekommen [ist]!⁴⁵
Auch die Beschreibung der Ereignisse in Frankfurt enthielt zugespitzte Formulierungen, die die Schwere der Notlage veranschaulichen sollten. So beschränkte sich die Darstellung nicht auf die Schilderung der Konfiszierung, sondern legte zudem nahe, dass
Siehe Supplikation der Frankfurter Juden an den Rat ihrer Stadt vom 27. September 1509: ISG, JA 655; ähnlich argumentieren sie in einer weiteren Supplikation vom 11. April 1510: ISG, JA 350. Demgegenüber bescheinigt der kaiserliche Geleitsbrief für Pfefferkorn, dass dieser gegrundt erfaren der hebrreyschen zungen und glauben sei. Ebd. JA 779, Bl. 3. Ebd. Akt. Nr. I, S. 121. Vgl. ebd. הוי ואבוי על פרץ. כי אין היום יום בשורה, בעידן צוקה וצרה, יוציאנו מאפילה לאורה,אלק' דעימי' שרי נהורא …וצווחה הבא בארמונותינו. Ebd. Akt. Nr. II, S. 121, Übersetzung auf S. 122.
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es zu befürchten [ist], dass er [=Pfefferkorn (A.S.)] von unserem Herrn, dem Kaiser, die Vollmacht haben möchte, Hand anzulegen auch an unser Leben, und das Wäre ein Decret von unerhörter Härte und Grausamkeit. Indem ich diese Zeilen unter Thränen niederschreibe, kann ich den Sachverhalt nicht wie er ist, darlegen, sondern nur den hundertsten Theil desselben, wie euch der Bote berichten wird.⁴⁶
Angesichts dieser Bedrohung beriefen die Frankfurter Juden eine Versammlung ein, bei der die notwendigen Schritten zur Vereitelung von Pfefferkorns Plan beraten werden sollten. Vor allem sollte eine Rechnung für die nötigen Ausgaben aufgestellt werden. Die Frankfurter Juden mahnten die übrigen Gemeinden an, weise und einflussreiche Vertreter nach Frankfurt zu schicken. Jeder Gesandte sollte zugleich mit einer umfassenden Vollmacht ausgestattet sein, damit seine Worte und Thaten beglaubigt seien Namens seiner Gemeinde und seine Meinung […] und seine Handlung gleich der ihrigen. ⁴⁷ Damit sollte die Beschlussfähigkeit der geplanten Versammlung garantiert werden. Um möglichen Schwierigkeiten vorzubeugen, erlaubten die Frankfurter Rabbiner den eingeladenen Vertretern das Reisen an Feiertagen und am Sabbat. Wie bei der Gesandtschaft an den Mainzer Erzbischof zeugt auch hier diese Erlaubnis davon, wie gefährlich und dringlich die Juden die Situation einschätzten. Schließlich drohten die Juden in Frankfurt denjenigen Glaubensgenossen mit einer Exkommunikation, die ihrer Einladung keine Folge leisten würden. Für diejenigen, die sich nicht absondern würden, erteilten sie hingegen ein Segen.⁴⁸ Im Grunde genommen ist diese Vorgehensweise der Frankfurter Juden nicht neu oder innovativ. Die Einberufung von Versammlungen war eine attraktive Option, denn man konnte dadurch an die alte Tradition der mittelalterlichen Rabbinersynoden anknüpfen und somit auf alte Strukturen und Normen der Entscheidungsfindung zurückgreifen.⁴⁹ Die Wiederbelebung dieser alten Tradition und Institution war auch deswegen sinnvoll, weil ‚Tradition‘ eine zentrale politische Kategorie der Frühen Neuzeit war, die in vielerlei Hinsicht eine legitimatorische Kraft besaß.⁵⁰
ויש לחוש אשר ג"כ הכח בידו מאת אדונינו הקיסר יר"ה לשלוח יד בגופינו ח"ו ונא אה' דבר קשה וגזירה ושמד אשר לא נשמע כמותו בעו"ה והנני הכותב בדמע אשר לא אוכל להציע הדבר כמו שהיא )!( אך קצתו מעשר מן המעשר כאשר יגיד לכם הנוכח. Ebd. שלחו מכם אלינו פה ק"ק ורנקבורט אנשים חכמים וידועים ויהיו דבריו ומעשיו אמתיים בשם קהלו יצ"ו פיו כפיהם …ועשייתו כמעשיהם. Ebd. Ebd. Siehe im Kap. 2.4. und bei Zimmer: Synods. Über die Bedeutung der Tradition für vormoderne, europäische Gesellschaften siehe: Louise Schorn-Schütte: Vorstellungen von Herrschaft im 16. Jahrhundert. Grundzüge europäischer politischer Kommunikation, in: Neuhaus (Hrsg.): Frühe Neuzeit, S. 347– 376, hier bes. S. 348 ff.
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Trotz der Tatsache, dass die Frankfurter Judenschaft viel Aufwand und Sorgfalt bei der Planung der Versammlung betrieben hatten, kam das Treffen nicht zustande. Die Gründe für das Scheitern dieser Zusammenkunft sind unbekannt und der Misserfolg verhieß dabei nichts Gutes für den Frankfurter Gesandten zum kaiserlichen Hof. Bereits in seinem ersten Brief vom 17. Oktober berichtete Jonathan Zion von den unsicheren Verhältnissen in Italien und davon, dass alles äußerst teuer sei, und dass man kein Kredit bekommen oder Tausch machen könne. Er teilte auch mit, dass er auf die Unterstützung der lokalen Juden habe verzichten müssen, weil der Kaiser und sein Hof kriegsbedingt ständig in Bewegung gewesen seien. Damit er nicht mit leeren Händen vor dem Kaiser erscheinen müsste, sah er sich gezwungen, um weiteres Geld zu bitten.⁵¹ Die Frankfurter Juden beriefen darauf eine zweite Versammlung für den 6. November ein, die allerdings ebenfalls nicht stattfand.⁵² Die Gründe für das Scheitern sind jedoch bekannt. Die Juden aus der Markgrafschaft Lippe, die aus Deutz, Boppard, Schweinfurt, Müllhausen, Würzburg und aus Ansbach-Kulmbach, sowie eine Reihe von weiteren Personen blieben dem Treffen wegen der Gefahren beim Reisen und wegen der zu erwarteten finanziellen Unkosten fern.⁵³ Ähnlich verhielt es sich bei den Gemeinden aus Rothenburg ob der Tauber, Weißenburg in Bayern und Donauwörth, die aber ihre Absicht zusicherten, sich an den Kosten der gemeinsamen Anstrengungen beteiligen zu wollen.⁵⁴ Gemeinden aus nahegelegenen Ortschaften wie Worms, Friedberg, Gelnhausen und Windecken entsandten zwar Vertreter nach Frankfurt; manche von ihnen erklärten aber zugleich, dass sie keine Vollmachten erteilen könnten. Aufgrund der zurückhaltenden Zusagen und wegen der spärlichen Vertretung wurde diese Versammlung ohne einen bindenden Beschluss beendet.
Die Kraft der Tradition erschöpfte sich nicht zuletzt von der Gegenüberstellung mit der ihr diametral entgegenstehenden Kategorie der Neuerung. So findet man häufig in rechtshistorischen Dokumenten den legitimierenden Verweis auf „Herkommen“ oder „Gewohnheit“, während bereits im Mittelalter „Novitas [..] fast stets der Abwertung [diente]“. Hans-Joachim Schmidt: Einleitung: Ist das Neue das Bessere? Überlegungen zu Denkfiguren und Denkblockaden im Mittelalter, in: Ders. (Hrsg.): Tradition, Innovation, Invention. Fortschrittsverweigerung und Fortschrittsbewusstsein im Mittelalter, Berlin 2005, S. 7– 24, hier S. 13. Siehe auch Christoph Kampmann, Katharina Krause, Eva-Bettina Krems und Anuschka Tischer: Einleitung, in: Christoph Kampmann u. a. (Hrsg.): Neue Modelle im Alten Europa. Traditionsbruch und Innovation als Herausforderung in der Frühen Neuzeit, Köln 2012, S. 7– 17 und Wolf-Friedrich Schäufele: Zur Begrifflichkeit von „alt“ und „neu“ in der Frühen Neuzeit, in: ebd. S. 18 – 36. Ebd. Akt. Nr. III, S. 124 ff. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VII, S. 226. Vgl. Maimon: Tagungen, S. 75; Kracauer: Geschichte, S. 253. Vgl. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VII, S. 225 ff.
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Neben den unsicheren Reisewegen machte auch die Situation der jeweiligen Gemeinden an ihrem Siedlungsort den Grund für ihr Fernbleiben aus. Die sozialen Spannungen, die rechtliche Verschlechterung und die Schwächung der finanziellen Kraft der Rothenburger Juden führten beispielsweise zu einer starken jüdischen Auswanderung aus der Stadt.⁵⁵ Für 1510 sprechen Einschätzungen von maximal 6‒10 jüdischen Steuerzahlern in Rothenburg. Nicht viel anders war es in Weißenburg in Bayern, wo 1510 zwischen fünf und neun Judenhäuser nachgewiesen sind.⁵⁶ Es waren aber nicht nur äußere Zwänge und Begebenheiten, welche das Scheitern der Versammlung herbeiführten. Auch innere Streitigkeiten, ein gewisses Misstrauen zwischen den Gemeinden und vermutlich das Beharren auf der eigenen Autonomie trugen zum Misserfolg bei. Dies lässt sich vor allem aus der Korrespondenz der Frankfurter Juden mit der Rothenburger Gemeinde schließen. Offensichtlich hegte man in Rothenburg den Verdacht, dass die Frankfurter Gemeinde die Führung über die anderen Judenschaften an sich reißen wollte, weil sie Verfügungen und Bestimmungen erlassen hatte, die andere Gemeinden betreffen sollten.⁵⁷ In dieser Hinsicht kann die Erlaubnis der Frankfurter Rabbiner, am Sabbat zu reisen, als eine Anmaßung, und die Drohung mit dem Bann als eine regelrechte Verletzung der Autonomie anderer Rabbiner und Gemeinden angesehen werden. Das fehlende Vertrauen wurde auch dadurch bezeugt, dass man offenbar befürchtete, die Frankfurter Gemeinde wolle sich mit den Geldern der anderen Kommunen bereichern.⁵⁸ Die jüdische Gemeinde in Rothenburg beschloss zusammen mit den Judenschaften aus Weißenburg und Donauwörth, sich an den Kosten nur unter der Voraussetzung zu beteiligen, dass alle anderen Gemeinden des Reichs ihren Anteil zahlen würden. Zudem erklärten sie, nur solche Kosten mittragen zu wollen, welche die Frankfurter Juden am Kaiserhof hatten –
Vgl. Harry Breßlau: Zur Geschichte der Juden in Rothenburg ob der Tauber, in: ZGJD 3 (1889), H. 3, S. 301– 336 und 4 (1890), H. 1, S. 1– 17; Claudia Steffes-Maus: Das „Judenbuch III“ der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber, in: Campana pulsante convocati. Festschrift anläßlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp, hrsg. v. Frank G. Hirschmann und Gerd Mentgen, Trier 2005, S. 545 – 561, hier S. 555, bes. Anm. 51. Ähnliche Entwicklungen glaubt Max Freudenthal: Dokumente zur Schriftenverfolgung durch Pfefferkorn, ZGJD (1931), H. 4, S. 277– 232, hier S. 228 ff. für Donauwörth und Weißenburg zu erkennen. Moritz Stern: Die Vertreibung der Juden aus Weißenburg 1520, in: ZGJD (1929/30), H. 4, S. 297– 303, sowie Vgl. das Schreiben der Frankfurter Gemeinde an die Rothenburger Juden, Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VIII, S. 228 ff. (Hebr.) und 230 ff. (Dt.). Die Frankfurter Juden schrieben in ihrer Reaktion auf das Fernbleiben der Gemeinden aus Rothenburg, Weißenburg und Donauwörth: Denn das war keineswegs unsere Absicht, Euer Geld in unsere Tasche zu stecken. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VIII, S. 229 (Hebr.) und 231 (Dt.).
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andere Ausgaben (z. B. beim Erzbischof oder beim Frankfurter Rat) lehnten sie ab. Darüber hinaus entschlossen sie sich, der Versammlung fernzubleiben. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Frankfurter Juden diesen drei Gemeinden die Hauptverantwortung für das Misslingen der Versammlung gaben. Ihrer Ansicht nach war die Absage dieser drei Gemeinden ein negatives Beispiel für andere Gemeinden, die in der Folge ebenfalls nicht anreisen wollten. Die Hauptschuld lag allerdings ihrer Meinung nach bei der Rothenburger Judenschaft. Die Frankfurter Juden schrieben dazu: Als die Wörther und Weissenburger, die bereits in der Absicht, zu uns zu kommen, ihren Wohnort verlassen hatten, bei ihrer Ankunft in Eurer Stadt Euren Entschluss merkten, bekleideten sie sich mit einem anderen Geist. Auch die Juden in den Bezirken des Markgrafen und der Markgräfin von Würzburg und Werthheim hatten sich alle in Wertheim versammelt. Als sie aber sahen, dass Ihr zurückbliebet, zogen auch sie ihre Hände zurück.⁵⁹
Als die Frankfurter Juden ihrem Gesandten zum Kaiserhof schrieben und vom Scheitern der Versammlung berichteten, klangen ihre Worte resigniert: Die Schwierigkeiten, die widerstrebenden Gemeinden, die nahen sowie die entfernteren, zu einem Bunde zu vereinen und sie zu gemeinsamem Handeln gegen unsere Feinde zu bestimmen […], sind kaum zu bewältigen […]. Noch haben wir keinen einzigen Heller von ihnen erhalten, alle ziehen vielmehr ihre Hände von uns ab und vertrösten uns mit leeren Versprechungen und windigen Redensarten.⁶⁰
Aus dieser Resignation heraus meinten sie, dass bereits alles getan ist, was zu thun war. ⁶¹ Dennoch sollte Jonathan Zion versuchen, eine weitere Aufschiebung der Konfiskation zu erlangen. Er sollte zudem daraufhin wirken, dass man sie nicht dazu zwingen würde, eine Disputation mit einem Konvertiten oder einem Christen zu halten.⁶²
Ebd., S. 231 f. Zweiter Brief der Frankfurter Juden an Jonathan Zion, in: ebd. Akt. Nr. VI, S. 222 ff. Ebd., S. 224. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VI, S. 224. Dieser besondere Wunsch entsprang vermutlich der Erfahrung, dass viele mittelalterliche Disputationen zu einem Schauprozess wurden und zu einer gezwungenen oder freiwilligen Konversion zahlreicher Juden führten. Am Wichtigsten in diesem Kontext ist die Disputation von Paris, die mit der Verbrennung von über 40 Wagen mit Talmudexemplaren endete. Siehe Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversos-Judaeos Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.–20. Jahrhundert), Frankfurt am Main, 1994, S. 98 – 105. Andere Beispiele sind aus Tortosa (1413/14), Barcelona (1263) und Neapel (1292) bekannt. Zu Tortosa siehe Ben Sasson: Geschichte, S. 241, 246 und 282 f. und Schreckenberg: Adversus-Judaeos, S. 434– 481; zu Barcelona siehe ebd. 208 – 219 und Hans-Georg von Mutius: Die christlich-jüdische Zwangsdisputation zu Barcelona. Nach dem hebräischen Protokoll des
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Obwohl der Frankfurter Bericht an Jonathan Zion nur vom Misserfolg berichtete, leisteten einige jüdische Gemeinden durchaus Hilfe. So sollte Jonathan Zion durch die Vermittlung der Friedberger Juden einen Kredit in Höhe von 200fl. erhalten. Auch beschafften die Wormser Juden die Information, dass der Vorsitzende des Reichskammergerichts, Graf Adolf von Nassau, davon erfuhr, dass die Juden an den Kaiser supplizierten hatten, nachdem ihre Appellation von ihm bereits zurückgewiesen worden war. Da Jonathan Zion selbst an diesem Appellationsvorgang beteiligt war, sei der Graf nun über ihn erzürnt. Die Wormser Juden konnten auch in Erfahrung bringen, dass der Graf Pfefferkorn mit einem Empfehlungsschreiben ausgestattet hatte, und befürchteten nun, dass er als Richter in dieser Angelegenheit gewählt werden könnte.⁶³ Auch die Regensburger Juden haben keine Mühe und, so weit möglich, kein noch so grosses Opfer gescheut ⁶⁴, bis sie eine beglaubigte Abschrift einer Urkunde erlangten, in der bezeugt wurde, dass Pfefferkorn vor seiner Konversion wegen Diebstahls verhaftet worden war. Laut dem Dokument kam Pfefferkorn erst dann frei, nachdem er Heinrich von Guttenstein, dem Herrn in Tachau (Böhmen), hundert ungarschen gilden gezahlt hatte.⁶⁵ Die Juden aus Regensburg hofften damit, aller Welt die Bosheit dieses Abtrünnigen zu beweisen ⁶⁶ und somit Pfefferkorns Ruf unter dem Adel dauerhaft zu schädigen.⁶⁷ Darüber hinaus wiesen die Regensburger Juden ihren Gesandten am Kaiserhof an, Jonathan Zion bei seinen Bemühungen behilflich zu sein.
Moses Nachmanides, Frankfurt am Main 1982; zu Neapel siehe Benjamin Scheller: Die politische Stellung der Juden im mittelalterlichen Süditalien und die Massenkonversion der Juden im Königreich Neapel im Jahr 1292, in: Ludger Grenzmann u. a. (Hrsg.): Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden) [Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, NF 4,1], Berlin 2009, S. 143 – 172. Ebd. Akt. Nr. VI, S. 223. Laut Kracauer hingegen, fürchteten die Juden, dass Pfefferkorn zum Richter ernannt würde. Brief der Regensburger Juden an die Frankfurter Judenschaft, in: ebd. Akt. Nr. V, S. 222. Ebd. und auch die zeitgenössische Abschrift der Urkunde vom 24. Oktober 1509: Akt. Nr. XI, S. 234.Vgl. auch Akt. Nr.V, S. 220 ff., in dem die Regensburger Gemeinde über ihre große Mühe bis zur Erlangung des Dokuments berichtete. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. V, S. 222. Es ist zudem denkbar, dass die Juden damit die Aufrichtigkeit von Pfefferkorns Konversion in Misskredit ziehen wollten. Denn es war zu jener Zeit keine Seltenheit, dass Juden sich taufen ließen, um einer schweren Strafe zu entgehen. Vgl. Hsia: Trient 1475, S. 129. Pfefferkorn selbst sah sich gezwungen, sich gegen diese Beschuldigung zu wehren. In einem Schreiben an den Frankfurter Rat vom Januar 1510 stellte er das Dokument als ein Produkt jüdischer Bestechungsbemühungen dar. Vgl. ISG, JA 670, Bl. 1.
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Eine letzte bekannte Hilfestellung kam aus Würzburg. Es handelt sich um ein kurzes Schreiben eines gewissen Simon Pfefferkirchen⁶⁸, in dem er die Frankfurter Juden auf Bestimmungen in päpstlichen Privilegien hinwies, mit denen die Unzulässigkeit von Pfefferkorns Plan argumentiert werden könnte. Wichtig ist auch eine Stellungnahme, die er vom Würzburger Bischof Lorenz von Bibra erhielt, wonach dieser meint nit, das es rech[t] zu gih [=zugeht (A.S.)], das selchi sach uf schlecht pastor uder schlecht =[ גלחיםGeistlichen (A.S.)] sez. ⁶⁹ Damit stellte er die Angelegenheit aus kirchenrechtlicher Perspektive in Zweifel. Diese vielen verschiedenen Aktivitäten der Juden fanden eher hinter den Kulissen statt. Jonathan Zions Gesandtschaftsmission am kaiserlichen Hof konnte davon nur bedingt profitieren. In den ersten Tagen seines Aufenthalts am kaiserlichen Hof in der Stadt Rovereto⁷⁰ musste der Frankfurter ‚Schtadlan‘ ohne finanzielle Hilfe auskommen. Nichtsdestotrotz erzielte er mit der Unterstützung der italienischen Juden Isaak und Mosche von Triest erste Erfolge. Die drei Juden bekamen eine Audienz beim Kaiser, bei der sie ihm ihre Privilegien vorzeigen konnten. Offensichtlich gerieten sie in Verlegenheit, als ihnen bewusst wurde, dass der Kaiser den Inhalt des Konfiszierungsmandats bereits kannte und sie ihn somit nicht leicht würden umstimmen können.⁷¹ Angesichts der zahl- und einflussreichen Gegner der Juden am Hof wiederholte und bekräftigte Jonathan Zions Bericht an mehreren Stellen, wie wichtig eine kollektive Vorgehensweise aller jüdischen Gemeinden sei: Man müsse weise Männer mit viel Geld und von großer Gelehrsamkeit zum Kaiser schicken, denn nur diese würden etwas ausrichten können.⁷² Denselben Ratschlag sowie die Ermahnung zum gegenseitigen Beistand alle[r] Gemeinden, welche sich unter der Herrschaft des grossen Adlers [..] befinden, wiederholte auch Isaak von Triest in einer Notiz, die er dem Bericht Jonathan Zions hinzufügte.⁷³ Das Scheitern der Organisationsversuche in Frankfurt hatte also einen unmittelbaren Einfluss auf die Erfolgschancen am kaiserlichen Hof. Vor allem hielt sich Jonathan Zion selbst aus Mangel an Erfahrung und nötiger Kenntnisse in der Aus der Anrede kann man schließen, dass es sich um den Schwiegersohn eines Frankfurter Juden namens Simon (vielleicht von Weißenau). In: GJ III.2, S. 1702 wird vermutet, dass es sich um einen der Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Würzburg handelt. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VII, S. 226. Zwischen Trient und Verona. Interessanterweise glaubten sie weiterhin an die prinzipielle ‚Unschuld‘ des Kaisers am Unrecht, das ihnen widerfuhr. Isaak von Triest erklärte, dass der Kaiser gewiss nicht die gleiche schädliche Absicht wie Pfefferkorn gehabt habe. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. IV, S. 167 f. (Hebr.) Vgl. ebd., S. 168 ff., 170 f. (Hebr.) und 175 ff. (Dt.). Ebd. S. 177 (Dt.)
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jüdischen Religions- und Rechtslehre als ungeeignet für diese Gesandtschaftsmission.⁷⁴ Heikel wurde die Lage zudem, als der Kaiser einen Bericht erhielt, wonach die Frankfurter Juden seine Herrschaft und Autorität über sie abgeleugnet hätten.⁷⁵ Nun bedarf dieser Vorwurf einer Erklärung. Allem Anschein nach bezieht sich diese Unterstellung auf eine Aussage der Frankfurter Juden in ihrer ersten Supplikation an den Rat ihrer Stadt. Dort schrieben sie: [S]o nw wir armen uwer vnterthone eynem erberan roet vnterworffe sein alein, auch uwer weysheit unß zudem dickerran moll [=öfters (A.S.)] mandate unnd anderre geschefftan vo[n] keysserliche[r] meystot usgange vertedingt [=durch Gerichtsspruch festgesetzt (A.S.)] dermoßan, wir niemandt weytter verplicht sein denn uwerer weysheit. NB⁷⁶
Mit dieser Formulierung wollten die Juden den Kaiser offensichtlich nicht beleidigen, sondern den Frankfurter Rat an seine Schutzpflicht erinnern. Sie handelten zudem aus fundierter Kenntnis ihres rechtlichen Status in der Stadt. Der Frankfurter Rat besaß nämlich seit 1349 ein Privileg Kaiser Karls IV., das ihm alle Rechte über die in der Stadt wohnenden Juden übertragen hatte. Der Wortlaut des Privilegs ist eindeutig: Auch die Iudischeit dieselbs i[h]m [=dem Rat, (A.S.)] vnd nimand anderes zugehorn, dienen vnd gewertig sein sollen, mit allen vnd yeglichen steuren schatzungen betten diensten nutzen {unleserlich} zinsen renten […] anslagen pflichen, halben dritten oder zehnden pfenning vnd allen anderen gerechtikeits anvordrung vnd ausslegung.⁷⁷
Dieses Privileg bildete häufig die Rechtsgrundlage für gerichtliche Argumentationen des Frankfurter Rats in Rechtsstreiten mit dem Kaiser über die Sondersteuern der Juden.⁷⁸ Allerdings berührte die Argumentation in der jüdischen Supplikation nicht so sehr den rechtlichen Bereich, sondern vielmehr die damit eng verschränkte politische Sphäre. Dem Rat sollte die Verletzung seiner Ho-
Dieser Mangel brachte ihn in Bedrängnis, als ihm angeordnet wurde, eine Disputation mit Pfefferkorn zu führen. Ebd. S. 169. Ebd. S. 176. Supplikation der Frankfurter Judenschaft an den Frankfurt Rat vom 27. September 1509: ISG, JA 655. Unterstreichungen und die Bemerkung NB (notabene=wohlgemerkt) sind im Original enthalten. ISG, JA 940, Q I, Bll. 3 – 4. Es handelt sich beim hier zitierten Dokument um eine Erneuerung des Privilegs durch Friedrich III. von 1470. Ebd. Q II, Bll. 1– 22.
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heitsrechte klar gemacht werden, wenn er die Juden und deren Besitztümer nicht schützen würde.⁷⁹ Man kann annehmen, dass Unterstützer des Konfiszierungsplans im Frankfurter Rat Pfefferkorn über die jüdische Argumentation unterrichteten.⁸⁰ Pfefferkorn war dann vermutlich derjenige, der die jüdische Wortwahl dem Kaiser mitteilte und dabei derart umdeutete, dass daraus der Schein vom jüdischen Ungehorsam erweckt werden konnte. Dies zeigt die heikle politische Lage der Juden und der begrenzte (rhetorische) Handlungsspielraum, in dem sie sich bewegen konnten. Für die diplomatischen Bemühungen des jüdischen Gesandten am kaiserlichen Hof in Rovereto verursachte dieser angebliche Ungehorsam große Schwierigkeiten. Deswegen betonte er in seinem Schreiben, dass es unbedingt erforderlich sei, dass man [s]chleunigst […] kluge und verständige Männer aus [den anderen (A.S.) ⁸¹] Gemeinden zum Kaiser entsandte.⁸² Allerdings wusste er bereits vom vorherrschenden innerjüdischen Argwohn und rechnete daher nicht mit einer schnellen Hilfe. Die Worte am Ende seines Berichts klangen daher so düster und resigniert wie die der Frankfurter Gemeinde davor: Er schrieb, dass er wisse, dass die übrigen Gemeinden und der Rest des Volkes mir nicht glauben und auf meine Stimme nicht hören werden, und meine Erzählung, da ich ein Frankfurter bin, verdächtigen werden. ⁸³ Trotz der vielen Misserfolge waren nicht alle Unternehmungen der Frankfurter Juden vergeblich.Vor allem die gelungene Mission beim Mainzer Erzbischof erwies sich mittelfristig als besonders hilfreich. Durch die erzbischöfliche Intervention stand nun die Frage nach der Zuständigkeit der Bücheruntersuchung im Mittelpunkt. Der Mainzer Marschall, Ferowin von Hutten, bat den Kaiser um die Übertragung der gesamten Aktion an den Erzbischof; der Kaiser stimmte dem nur teilweise zu. Er befahl zwar, die in Frankfurt beschlagnahmten Bücher zur weiteren Untersuchung an den Erzbischof zu übergeben, und ordnete die Rückgabe derjenigen Bücher an, die nicht gegen die mosaischen Gesetze seien und die
ISG, JA 655. Die Information kam vermutlich von Adam Schönwetter, der Frankfurter ‚Beauftragte‘ in jüdischen Angelegenheiten. Er war einer der drei Ratsdelegierten, die Pfefferkorn in Frankfurt von Anfang an begleiteten. Seine Tätigkeit in jüdischen Angelegenheiten sollte bis (mindestens) 1517 fortgedauert haben und trug immer judenfeindliche Züge. Siehe Dietrich Andernacht: Regesten zur Geschichte der Juden in der Reichsstadt Frankfurt am Main von 1401– 1519, Bd. 1/3: Die Regesten der Jahre 1496 – 1519 [Forschungen zur Geschichte der Juden, Abt. B: Quellen, Bd. 1,3] Hannover 1996, Regst. Nrr. 3597, 3627, 3658, 3966, 4105 und 4113. Die Übersetzung Kracauers „aus unseren Gemeinden“ ist falsch. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. IV, S. 176 (Dt.). Ebd.
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christliche Religion nicht schmähten⁸⁴; alle anderen Bücher sollten jedoch Pfefferkorn überreicht werden. Anschließend erwartete der Kaiser einen Bericht vom Erzbischof über die gesamte Angelegenheit.⁸⁵ Damit keine Unklarheiten oder neue Streitpunkte entstehen würden, schickte der kaiserliche Hof ein Schreiben an den Frankfurter Rat mit der Instruktion, den Befehlen des Erzbischofs Folge zu leisten. Zudem wurde der 25. Januar 1510 als Frist festgesetzt, an der die christlichen Gelehrten ihr Urteil über die bis dahin konfiszierten Bücher abgeben sollten.⁸⁶ Nachdem Jonathan Zion über den Inhalt der unterschiedlichen Schreiben des Kaisers unterrichtet worden war, stand für ihn fest, dass das Versprechen des Kaisers, man wolle den Juden ihre Privilegien nicht verwehren oder dagegen handeln, nur ein Lippenbekenntnis gewesen sei.⁸⁷ Zum Pessimismus des jüdischen Gesandten trug zudem bei, dass die Kommissare, die die jüdischen Bücher untersuchen sollten, von Pfefferkorn vorgeschlagen worden waren.⁸⁸ Die Übertragung der Untersuchung der jüdischen Bücher an den Mainzer Erzbischof kann im ersten Moment als ein Erfolg für die Juden angesehen werden, intervenierte er doch bislang immer zu ihren Gunsten. Sobald die Angelegenheit in seiner Gerichtsbarkeit stand, gab aber der Mainzer Erzbischof seinen Widerstand gegen die Aktion auf. Auch seine ablehnende Haltung gegen Pfefferkorn änderte sich vollkommen. Stattdessen zeigte sich nun Uriel wenig an der Bücherkonfiskation interessiert und übertrug die Verantwortung für den weiteren Fortgang der Untersuchung seinem gelehrten Berater Hermann Ortlieb und Pfefferkorn.⁸⁹ Der Wandel in der erzbischöflichen Haltung erschwerte die politische Situation der Juden. Sie verloren einen Verbündeten und mussten sich dabei auf ein Damit werden die Bestimmungen des ersten Mandats von Padua wiederholt. Ebd. Akt. Nr. IV, S. 169 (Hebr.). Siehe ebd. Vgl. auch das Mandat des Kaisers an den Erzbischof vom 24. November 1509 (ISG, JA 779, Bll. 24– 29) und die Anweisungen des Erzbischofs an den Frankfurter Rat vom 2. Januar 1510, ebd. Bl. 35. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. IV, S. 169 (Hebr.). Zudem stellte der jüdische Gesandte fest, dass der Kaiser an dem ersten Mandat von Padua festhalten wollte. Dies widerspricht der gängigen Forschungsmeinung, wonach sich Maximilian I. relativ gleichgültig in der Affäre verhielt. Auch bedürfte die Ansicht, wonach der Kaiser seine ‚Judenpolitik‘ ausschließlich aus finanziellen Gesichtspunkten gestaltete, einer Revision. Siehe dazu Erna Tschech: Maximilian I. und sein Verhältnis zu den Juden (1490 – 1519), Diss. masch., Graz 1971 S. 62; Jochen A. Fühner: Kaiser Maximilian I. und die Juden in den österreichischen Erblanden [Mitteleuropäischen Studien, Bd. 1], Herne 2007, S. 95 f. Vgl. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. IV, S. 170 und Pfefferkorn: Zu lob und Ere [VD 16 P 2295], S. 13 (nach eigener Zählung). Siehe das Schreiben des Mainzer Erzbischofs an den Frankfurter Rat vom 2. Januar 1510: ISG, JA 779, Bl. 35 und den Protokolleintrag des Frankfurter Rats vom 9. April 1510.
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Verfahren einlassen, das sie selbst nicht mehr kontrollieren konnten. Vielleicht deswegen brachten viele Frankfurter Juden ihre Bücher aus der Stadt und versteckten sie bei Verwandten und Bekannten in Worms oder anderen jüdischen Siedlungen. Sie rechneten jedoch nicht damit, dass Pfefferkorn die in Frankfurt ins Stocken geratene Konfiszierungsaktion in anderen Städten der Mainz-RheinRegion fortsetzen würde.⁹⁰ Indessen hörten die Bemühungen der Frankfurter Juden um die endgültige Annullierung des Konfiszierungsmandats nicht auf und sie konnten ein ‚Zweckbündnis‘ mit dem Rat ihrer Stadt eingehen. Allerdings vollzog sich der Wandel in der Einstellung der Frankfurter Obrigkeit nur allmählich. So war die erste jüdische Supplikation in ihrer Absicht erfolglos, dem Rat die gemeinsamen Interessen bei der Verhinderung der Konfiskation aufzuzeigen.⁹¹ Es scheint indes, dass der Erfolg anderer Juden, eine Intervention ihrer jeweiligen Obrigkeiten zu ihren Gunsten zu veranlassen, die Einstellung des Frankfurter Rats änderte. Da die Juden (laut Regalien) mit Hab und Gut ihrer jeweiligen Obrigkeit gehörten⁹², sahen es diese Herrscher als ihr Interesse, die Bücherkonfiszierung ihrer jüdischen Untertanen zu beklagen. So empfing der Frankfurter Rat seit Dezember 1509 etliche Briefe verschiedener christlicher Herrscher, die die Rückgabe der Besitztümer ihrer Juden forderten.⁹³ Die Intervention der verschiedenen Obrigkeiten bewirkte freilich eine Verunsicherung beim Frankfurter Rat, der mit benachbarten und weiter entfernten Herrschaften nicht in Konflikt geraten wollte. Zwar musste er mit viel Aufwand ihre Forderungen zurückweisen, weil die Bücher ja auf Befehl des Kaisers hin beschlagnahmt worden waren. Zugleich aber führte die Vorgehensweise der Vgl. M[eier] Spanier: Pfefferkorns Sendeschreiben von 1510, in: MGWJ 78 (1934), H. 6, S. 581– 587, hier S. 584 – und in einer um die gleich Zeit (vermutlich erste Hälfte 1510) veröffentlichten Schrift – Pfefferkorn: Zu lob und Ere, S. 13 (nach eigener Zählung). Unterstützt kann diese Behauptung durch Ratsprotokolle aus Frankfurt (vom 4. Oktober 1510), die von angeblichen Versuchen der Juden berichten, noch nicht konfiszierte Bücher aus der Stadt zu schaffen. ISG, JA 779, Bl. 10r. Siehe auch Freudenthal: Dokumente. Vgl. ISG, JA 655. Vgl. Battenberg: Zeitalter, S. 110 f. So verwendete sich Markgraf Friedrich von Brandenburg-Ansbach für Hayum von Schwabach am 18. Dezember 1509 und zweimal für Beifus von Kitzingen am 31. Januar und am 7. März 1510: ISG, JA 667. Ähnlich verhielt es sich mit Joachim I. von Brandenburg, der zugunsten von Benedikt am 21. Januar und erneut am 26. April 1510 intervenierte (Ebd. JA 779, Bl. 30, 69 und 70). Zudem kam ein heftiger Widerspruch am 23. und erneut am 26. Januar und schließlich am 4. Februar 1510 von Friedrich Kessler von Sarmsheim, dem Amtmann zu Babenhausen, der gegen die Frankfurter Vorgehensweise gegenüber Seligmann, dem jüdischen Hintersassen des Grafen von Hanau, protestierte (ebd. JA 668). Vgl. auch die Beschwerde Caspars, Freiherr zu Mörsberg und Belfort, Reichslandvogt im Unterelsaß vom 1. Februar 1510, ebd. JA 669.
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protestierenden Kanzleien dem Frankfurter Rat vor Augen, wie andere Herrschaften ihre Schutzfunktion ausübten und ihre Hoheitsrechte aktiv bewahrten. Durch die Interventionen wurde auch der materielle Wert der Bücher – als Kaufsund Verkaufsware –, der bei einer Konfiszierung und Vernichtung ersatzlos verloren wäre, markant. Der finanzielle Aspekt spielte auch in einer weiteren Hinsicht eine Rolle. Die Juden Frankfurts führten in dieser Phase Verhandlungen mit dem Kaiser über die in Frankfurt verpfändeten Kleinodien des kaiserlichen Vetters und militärischen Oberhaupts, Erichs I. von Braunschweig-Calenberg.⁹⁴ Vermutlich fürchtete der Rat, dass der Kaiser die Bücher der Juden als Druckmittel nützen würde, um die Juden zu einem Kompromiss mit Erich I. zu zwingen. Daraus schöpfte der Rat den Verdacht, dass die handelung [..] von wegen einer schatzung furgenommen sein könnte und dass er finanzielle Einbüßen erleiden müsste.⁹⁵ Aus diesem Grund beschloss der Rat, sich hinsichtlich der Bücherkonfiskation auf die Seite der Juden zu stellen und teilte dies seinem Gesandten zum Reichstag in Augsburg, Jakob Heller, mit. Er befahl ihm sogar, den jüdischen Bevollmächtigten zu diesen Verhandlungen beizustehen.⁹⁶ Anschließend beriet er über die Frage, wie die Aufhebung der Bücherkommission am besten zu erreichen wäre.⁹⁷ Dadurch, dass der Frankfurter Rat sich nun auf die Seite seiner Juden stellte, erhielten sie eine wertvolle Unterstützung von einem wichtigen Verbündeten.⁹⁸ Dies war v. a. deswegen bedeutsam, weil sich eine antijüdische Stimmung auf dem Reichstag von Augsburg verbreitete⁹⁹ – nicht zuletzt aufgrund des Sendschreibens Pfefferkorns sowie seiner anlässlich des Reichstags veröffentlichten Schrift Zu lob
Die wichtigsten Schriftstücke in dieser Angelegenheit sind aufbewahrt in: ISG, Reichssachen (RS) 2/250. Die Auseinandersetzung um die Rückzahlung der Schulden des Braunschweiger Herzogs begann bereits am 12. November 1508 und wurde am 18. November 1509 lediglich fortgesetzt. Entwurf des Briefs des Frankfurter Rats an seinen Gesandten Karl von Hynsburg vom 12. April 1510, in: ISG, JA 779, Bl. 42. Solche Vermutung äußert der Rat bereits in einem Entwurf eines Briefes an den Kaiser vom 16. März 1510 (ebd, Bl. 34). Vgl. Brief des Frankfurter Rats vom 17. Januar, ISG, Reichstagsakten (RTA) 25/8. Die Entscheidung des Rats, den Juden beizustehen, findet sich in einem Eintrag im Bürgermeisterbuch (Bmb.) vom 15. Januar 1510. Vgl. Andernacht: Regesten, 3621. Vgl. Eintrag im Bmb. vom 29. Januar 1510 in: Andernacht: Regesten, 3627. Die Unterstützung durch den Rat war nicht umfassend, weil er seine Beihilfe nur unter der Bedingung versprach, dass die Juden die Kosten selber zu tragen haben.Vgl. Eintrag im Bmb. vom 7. Februar 1510 in Andernacht: Regesten, 3640. Vgl. das Schreiben der Frankfurter Gesandten nach Augsburg, Karl von Hynsberg vom 6. April 1510: ISG RTA 25/82 und Andernacht: Regesten, 3653, sowie das Schreiben des anderen Frankfurter Gesandten, Jakob Heller vom 9. November 1510, Andernacht: Regesten, Nr. 3704.
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und Ere. ¹⁰⁰ Aber selbst mit der Unterstützung des Frankfurter Rats erwies es sich als schwierig, die Verhandlungen voranzubringen, weil der Kaiser vorwiegend mit der Mobilisierung von Mitteln für seinen Feldzug in Italien beschäftigt war. Die Kooperation zwischen dem Frankfurter Rat und den Juden verstärkte sich in der zweiten Märzhälfte 1510, als der Mainzer Kommissar Hermann Ortlieb seine baldige Ankunft in Frankfurt ankündigte. Der Rat in Frankfurt verschaffte sich und seinen Juden daraufhin noch einen Aufschub bis nach Ostern und drängte seinen Gesandten am Reichstag, den Kaiser zur Aufhebung der Kommission zu bewegen. Zu diesem Zweck bereitete er mithilfe der Juden eine Supplikation vor, in der er den Kaiser über die Verletzung der Bestimmungen seines Mandats (von Rovereto) informierte, die Konfiszierung der jüdischen Bücher als nachteilig für die Christenheit darstellte und Vorschläge für das weitere Verfahren bereitete.¹⁰¹ Die gemeinsamen Anstrengungen der Frankfurter Juden und deren Obrigkeit fruchteten allerdings nicht in der Rückgabe der Bücher und der Aufhebung der Kommission. Ein wesentlicher Grund dafür war die vergleichsweise kleine Summe von maximal 200 Gulden, welche die Frankfurter Juden zur Verfügung stellen wollten. Sie erklärten dabei, dass sie nit der massen gelt uß zu geben der handel der bucher halber, bereit seien, weil die Sache nit allein [die Juden] zu franckfurt an[trifft] ¹⁰², womit sie offensichtlich ihre Verbitterung über die schlechten Erfahrungen der vorhergegangenen Monate zum Ausdruck brachten. Laut der Einschätzung des Frankfurter Gesandten bedürfte es allerdings mindestens 1000 Gulden, um positive Ergebnisse erzielen zu können.¹⁰³ Erneut schwächte also die ‚Unfähigkeit‘ der jüdischen Gemeinden, eine Zusammenarbeit zu organisieren, ihre Handlungsoptionen und Verhandlungspositionen. Nichtsdestotrotz eröffnete sich den Frankfurter Juden eine unerwartete Chance, die Angelegenheit zu ihren Gunsten zu wenden. Laut dem Bericht Hynsbergs erhielten sie die Mitteilung, dass die kaiserliche Mat. eß guten beschait geben [will], wenn sie bereit wären, die p[f]ande mit den herzog bis […] ein jar lang stehen zu lassen.¹⁰⁴ Trotz anfänglichen Zögerns ließen sich die Juden auf dieses
Vgl. Spanier: Sendeschreiben und Pfefferkorn: Zu lob und Ere. Zu der Korrespondenz mit dem Gesandten in Augsburg siehe die Eintragung im Bmb. vom 22. März 1510, Andernacht: Regesten, 3648 f. und ISG, RTA 25/87. Zur (gemeinsamen) Supplikation des Rats und der Juden siehe ISG, JA 779, Bll. 36 – 38, 40 – 41 und 43. Diese bemerkenswerte Zusammenarbeit des Frankfurter Rats mit der lokalen Judenschaft hat bisher in der Forschung noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten, kann hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden. Karl von Hynsberg an den Frankfurter Rat vom 22. April 1510 in: ISG, RTA 25/86. Vgl. ebd. und Andernacht: Regesten, 3665. Schreiben Karls von Hynsberg an den Frankfurter Rat vom 26. April 1510, ebd. RTA 25/61.
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Angebot ein.¹⁰⁵ Im Ergebnis verabschiedete der Kaiser am 23. Mai zwei neue Mandate. Das erste Mandat verordnete die Aufhebung der erzbischöflichen Kommission und die Rückgabe der in Frankfurt beschlagnahmten Bücher unter der Bedingung, dass sie zuerst aufgelistet und die Juden sie bis zu deren Überprüfung bereithalten würden.¹⁰⁶ Das zweite Mandat verkündete die getroffene Abmachung zwischen dem Kaiser und dem Juden Itzing von Bopfingen, einem der Hauptgläubiger Erichs I. von Braunschweig-Calenberg. Demnach wurde vereinbart, daz er vnns, auf vnser begern, fur sich selbst vnd an stat seiner verwanten Juden, zugesagt, vnd sich verschriben, [… bis] zu Ostern des Funffzehenhundertsten und eilften Jars […] stilltzusteen, die phand vnverruckht zubehalten, vnd beleiben zulassen.¹⁰⁷
Die gewonnene Gunst des Kaisers kam den Juden sehr zugute, denn Pfefferkorn und der erzbischöfliche Beauftragte Herrmann Ortlieb hatten bereits Anfang April die Konfiszierung der Bücher in Frankfurt fortgesetzt. Bis zur Austeilung des Mandats versuchten die Juden – mit wenig Erfolg –, die Arbeit der Kommission mit unterschiedlichen juristischen und verfahrenstechnischen Argumentationen zu hindern.¹⁰⁸ Sie warfen zudem Pfefferkorn vor, er wolle an unsern glauben ein großen abbruch tun und beschwerten sich, dass es sich [..] nit geburt, jemant von seinen glauben abdrunnigkeit [zu] machen widder sinen willen. ¹⁰⁹ Schreiben Karls von Hynsberg an den Frankfurter Rat vom 3. Mai 1519, ebd. RTA 25/83. Vgl. ISG, JA 779, Bl. 71. Zu Recht weist hier Price darauf hin, dass diese Lösung mit dem zweiten Vorschlag des Frankfurter Rats korrespondiert. Vgl. Price: Campaign, S. 125. Die Bücherrückgabe fand am 7. Juni 1510 in der Synagoge statt. ISG, JA 779, Bl. 56. ISG, RS 2/250, Bl. 7. Im Mandat befahl der Kaiser dem Frankfurter Rat, darauf zu achten, dass sich die weiteren Gläubiger an dieser Abmachung einhalten würden. Offensichtlich hatte Itzing nur eine angewonen gewalt, aber keine konkrete Vollmacht, welche diese Vereinbarung rechtskräftig gemacht hätte, und der Kaiser wollte verhindern, dass die anderen Gläubiger an dieser Abmachung ebenfalls festhielten. Die Verbindung zwischen den zwei Angelegenheiten machen auch Kracauer: Konfiskation, S. 246 f. und Price: Campaign, S. 123. Die Behauptung Kracauers, die auch Price wiederholte, wonach die Bücher auch in den anderen Gemeinden zurückgegeben wurden, konnte nicht belegt werden. Z. B. bat man um acht Tage Aufschiebung und Bedenkzeit, was zurückgewiesen wurde. Man verwies auch auf angebliche Fehler, nämlich dass die Kommission sich nicht an die Bestimmungen des kaiserlichen Mandats halte. ISG, JA 779, Bll. 10vff. Dabei nahmen die Juden den Kaiser beim Wort und argumentierten, dass es nicht erlaubt sei, sie in ihren Freiheiten zu beschweren. In diesen Supplikationen achteten sie sehr darauf, die Autorität des Kaisers und des Mainzer Erzbischofs explizit zu bestätigen. So heißt es im Ratsprotokoll: p[ro]testirn vnd betzugen erstlich die juden, das sie key mat in alweg gehorsam wollen sin, des glichen v g von mentz wie ine gepurt vnd schuldig sin. Ebd. Bl. 11r. Supplikation der Frankfurter Judenschaft an ihren Rat vom ca. 11. April 1510: ISG, JA 350.
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Als das neue Mandat bekannt gemacht wurde, gab es Proteste dagegen. Sowohl die Schwester Maximilians als auch der Erzbischof von Mainz wandten sich gegen die Entscheidung des Kaisers. Die Aufhebung der Kommission muss vor allem für den Erzbischof eine große Kränkung gewesen sein, erklärte sie doch die bereits geleistete Arbeit für ungültig.¹¹⁰ Angesicht dieses Drucks berief der Kaiser eine neue Kommission, die nach Überprüfung der rechtlichen Einwände aus Frankfurt am 26. Juli wiedereingesetzt wurde.¹¹¹ Diese neue Wendung in der Angelegenheit brachte die Juden erneut in eine Zwangslage. Da die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Politik stark von den finanziellen Versprechungen an die Obrigkeiten abhängig waren, muss es den Frankfurter Juden klar geworden sein, dass sie mit ihren Anstrengungen allein nicht weiterkommen könnten. Sie waren auch nicht mehr willig, die Kosten allein zu tragen. Sie strebten daher erneut die Organisation einer Zusammenarbeit aller Gemeinden im Reich an. Tatsächlich wurde kurze Zeit nach der Verabschiedung des neuen Konfiszierungsmandats eine kleine Versammlung einiger jüdischer Gemeinden abgehalten, die eine neue Strategie verfolgte. Vertreter dieser Versammlung überreichten dem Kaiser eine Supplikation, in der sie um einen Befehl
Vgl. Kracauer: Konfiskation, S. 247 f., Johannes Pfefferkorn: Defensio Ioannis Pepericorni contra famosas et criminales obscurorum virorum epistolas, in: Epistolae obscurorum virorum, Dialogus ex obscurorum virorum salibus cribratus adversariurum scritta. Defensio Ioannis Pepericorni contra famosas et criminales obscurorum virorum epistolas. Ortvini Gratii Lamentationes obscurorum virurom, uno volumine comprehensa, Leipzig 1869, Bl. Bii. Demnach soll der Erzbischof Pfefferkorn gegenüber gesagt haben [p]utabat e[ni]m satius esse tale negocium no[n] incepisse qu[am] male terminasse. Siehe ISG, JA 779, Bl. 74 und Johannes Reuchlin: Doctor Johannsen Reuchlins … entschuldigung gegen und wider ains getaufften iuden genant Pfefferkorn vormals getruckt vßgangen vnwarhaftigs schmachbüchlin Augenspiegel, Tübingen 1511 [VD 16, R 1306], Bll. Aiivf. Es gibt eine Verwirrung über die Datierung dieses Mandats wegen der Ähnlichkeit im Inhalt mit einem Brief Maximilians I. an den Mainzer Erzbischof vom 6. Juli 1510. Dieses Datum wurde fälschlicherweise von manchen Autoren übernommen. Vgl. Ludwig Geiger: Maximilian I. in seinem Verhältnisse zum Reuchlinschen Streite, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 9 (1869), S. 203 – 216, hier S. 210; Johannes Janssen (Hrsg.): Frankfurts Reichscorrespondenz. Nebst andern verwandten Aktenstücken von 1376 – 1519, Freiburg 1866, Nr. 1028; Price: Campaign, S. 125. Am besagten Datum hielt sich der Kaiser aber nicht in Füssen auf, sondern in Kaufbeuren. Vgl. Victor von Kraus (Hrsg.): Itinerarium Maximiliani 1508 – 1518, mit einleitenden Bemerkungen über das Kanzleiwesen Maximilians I., in: Archiv für österreichische Geschichte 87 (1899), S. 229 – 318 (http://www.literature.at/viewer.alo?viewmode=fullscreen&objid=10009, letzter Zugriff: 29. Juli 2013). Es ist nicht ersichtlich, wie Zimmer: Synods, S. 53 das Datum 19. Juli ermittelt hat.
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baten, der alle Juden des Reichs zu einer Generalversammlung in Worms beorderte. Die Erteilung des Befehls erfolgte am 8. August 1510.¹¹² Die Entscheidung, eine Versammlung kraft eines kaiserlichen Befehls zu organisieren, sollte die Probleme aus den vorhergegangenen, gescheiterten Organisationsversuchen vermeiden bzw. überwinden. Auf der einen Seite stellte man die Veranstaltung unter die Schirmherrschaft des Kaisers, womit man einem möglichen Widerstand von Lokalobrigkeiten entgegenwirkte. Auch diente das kaiserliche Dekret als Geleit für die anreisenden Juden, wodurch die Gefahr beim Reisen vermindert werden konnte. Auf der anderen Seite wurde das Mandat als Befehl an die Juden konzipiert, der sie unter Androhung von schweren Strafen¹¹³ dazu anhalten sollte, zur Versammlung zu erscheinen. Durch die Einschaltung der kaiserlichen Autorität konnte also Zwang ausgeübt werden, der alle innerjüdischen Streitigkeiten und jedes noch bestehende Misstrauen irrelevant machte. Nicht zuletzt gewährte das Mandat eine lange Frist von einem Monat für die verschiedenen Gemeinden, um ihre Vertreter nach Worms zu schicken.¹¹⁴ Um also sowohl die äußeren als auch die innerjüdischen Hinderungsgründe zu eliminieren, die zum Scheitern der früheren Versammlungen beigetragen hatten, wählten die beteiligten Gemeinden den kaiserlichen Schutz und Zwang. Dies ist ein wichtiger strategischer Zug, denn damit konnten die Juden zum ersten Mal in der Angelegenheit eine Anbindung des Kaisers an ihre Pläne schaffen. Im kaiserlichen Mandat lassen sich Hinweisen finden, wie die Juden diese strategische Anbindung anstrebten. Zunächst fällt besonders auf, wie die Juden dem Kaiser seine Machtstellung im Reich und seine Herrschaft über sie rhetorisch bestätigten. Die jüdische Argumentation, die im kaiserlichen Mandat als Argument für seine Verordnung wiederholt wird, lautet: [D]eßhalben euch not sy, ain gemeyne besambung [=Versammlung (A.S.)] im reich zuhalten und nach dem aber solich besa[m]lung on [=ohne (A.S.)] unser als Romischem Keiser gunst
Mandat von Innsbruck vom 8. August 1510: ISG, RS 1/2379, Bll. 36r-v und ebd. JA 865. Das Dokument wurde auch gedruckt in: M. Stern: Versammlung, bes. S. 248 f. Die Abschrift des Mandats in Rothenburg, von der Breßlau: Rothenburg, S. 315 – 317 berichtet, gibt Augsburg als Ausstellungsort an. Vermutlich handelt es sich um eine Abschrift, denn der Kaiser verließ Augsburg bereits am 10. Juli 1510 und kehrte dorthin erst am 19. März 1513 zurück. Vgl. Kraus: Itinerarium Maximiliani. Neben der pene, nemlich x marck goldes drohte der Kaiser ungehorsamen Juden mit der priuirung [ihrer] schutz und schirm auch aller ewer priuilegien und freiheitten. ISG, RS 1/2379, Bl. 36r. Ebd. Bl. 36v.
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und willen nit bescheen mag, sein wir deßhalben mit vnderthenige bete angelangt und ersucht, unsern gunst und willen euch darin zugeben.¹¹⁵
Die markante Behauptung, wonach eine jüdische Versammlung im Reich nur mit der kaiserlichen Zustimmung bzw. nur auf eine kaiserliche Veranlassung gehalten werden dürfte, war rechtlich und faktisch nicht korrekt. Seit dem Mittelalter fanden viele jüdische Tagungen ohne kaiserliches Einvernehmen und Mitwissen statt. Die Kaiser akzeptierten dabei die Beschlüsse und Vollmachten solcher Versammlungen ohne Widerspruch und verhängten auch nie Sanktionen gegen die Juden wegen der Abhaltung von angeblich ungenehmigten Treffen. Diese Aussage stellte also kein rechtliches, sondern ein politisches Argument dar, das allem Anschein nach von den Juden stammte. Neben der Bestätigung der kaiserlichen Macht und Autorität spielte auch der finanzielle Aspekt eine große Rolle. Es handelt sich hier nicht um eine direkte Zahlung für kaiserliche Leistungen, sondern um ein indirektes Versprechen auf finanzielle Vorteile für den Kaiser. So wurde eine vergleichsweise hohe Geldstrafe vereinbart, die ausschließlich dem kaiserlichen Fiskus zufallen sollte und nicht, wie es sonst üblich war, zur Hälfte in die gemeinsame Kasse der Juden zu entrichten gewesen wäre. Es gibt aber einen weiteren Grund, warum das Dokument als ein finanzielles Versprechen verstanden werden könnte. Maximilians Schreiben von 1510 wies nämlich eine sehr große Ähnlichkeit mit einem Mandat Friedrichs III. von 1470 auf, in dem der damalige Kaiser die Juden des Reichs dazu befohlen hatte, sich zu versammeln.¹¹⁶ Damals ging es um die steuerrechtliche Wiedereingliederung der Juden in die kaiserliche Kammer, nachdem viele Inhaber von Judenregalen alle
Ebd. Diese Passage, die mit den Worten angeleitet wird, [u]nns ist von ewern wege anbracht, muss eine wörtliche Übernahme der verschollenen jüdischen Supplikation sein. Darauf verwies zuerst M. Stern:Versammlung. Siehe auch Kap. 2.4. Es wurde in der Literatur mehrfach argumentiert, dass die zwei Dokumente mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten aufweisen (Siehe v. a. Breßlau: Rothenburg, S. 316 und Zimmer: Synods, S. 55) und in der Tat entstanden beide Mandate in sehr unterschiedlichen Kontexten. Vor allem in Bezug auf den Anlass für und auf die Initiative zur Versammlung unterscheiden sich die zwei Begebenheiten – so war 1470 die kaiserliche Kanzlei, 1510 die Judenschaft selbst Initiator der Angelegenheit. Dennoch ist die Ähnlichkeit in der Struktur beider Mandate nicht zu übersehen. Beide Dokumente gehen von einem Rechtsbruch aus, der eine Zusammenkunft der Juden notwendig macht und die zur Beseitigung des Rechtsbruchs führen sollte. Zudem enthalten sie die Komponente des Zwangs, zur Versammlung zu erscheinen. Auch die Idee einer jüdischen Versammlung unter kaiserlicher Schirmherrschaft ist in beiden Dokumenten sehr zentral.
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jüdischen Steuern und Abgaben für sich beansprucht hatten.¹¹⁷ Aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit erscheint es plausibel, dass die Urkunde von 1470 als Vorlage für das Innsbrucker Mandat von 1510 diente.¹¹⁸ Ob die Juden die Vorlage lieferten, oder ob die Kanzlei diese herbeiholte, sei dahin gestellt. Wichtig ist nur, dass die Idee zu einer jüdischen Versammlung unter einer kaiserlichen Aufsicht auf einer nachweisbaren Tradition fußte und damit eine rechtliche Legitimation besaß. Da zudem die Angelegenheit von 1470 unmittelbar mit einem Vorteil für den kaiserlichen Fiskal in Verbindung stand, muss die Wiederholung des Vorgangs dem Kaiser aus finanziellen Gesichtspunkten attraktiv gewesen sein. Die gewählte Vorgehensweise der Juden ist ein beeindruckendes Zeugnis für ihre Einschätzung der kaiserlichen ‚Judenpolitik‘ unter Maximilian I. Versucht man also, das Urteil der Juden über diese Politik aus ihren gewählten Aktionen zu eruieren, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Nach vielen Jahren gesammelter – vorwiegend schlechter – Erfahrungen und einer gewissen Lernphase seit Beginn der Pfefferkorn-Affäre betrachteten die Juden Maximilians Handeln als vorwiegend von finanziellen Zielen und zugleich von Reputationskalkülen motiviert. Daher zielten ihre Handlungen einerseits auf die Bestätigung, Bejahung und Unterstreichung der Autorität, Herrschaft und Macht des Kaisers, und andererseits auf ein Versprechen auf finanzielle Vorteile ab.¹¹⁹ Die Aktion der Juden war nicht zuletzt auch deswegen bemerkenswert, weil sie ihre Beherrschung der politischen Sprache über Rechtsfragen zeigt, die sowohl durch die Verwendung der Leitbegriffe ‚Tradition‘, ‚Herkommen‘ und ‚Gewohnheit‘ als auch durch die Anzeige von Beschwerden als ‚Neuerungen‘ zum Ausdruck kam.¹²⁰ Der beschriebene Vorgang, der zum Erlass des kaiserlichen Mandats und schließlich zu einer gewissen Anbindung des Kaisers an die jüdischen Unternehmungen führte, barg in sich also eine angemessene Thematisierung der Frage nach Recht. Insgesamt zeigt sich hierin, dass die Juden in vielfältiger Art und Weise über weitreichende Kenntnisse der politischen Kultur und
Grazer Mandat Friedrichs III. an die Judenschaft im Reich vom 31. August 1470: gedruckt in: M. Stern: Versammlung, S. 250 f. Vgl. M. Stern: Versammlung, S. 250 f. Nichtsdestotrotz wurde zuletzt zu Recht kritisiert, dass man in der Forschung die ‚Judenpolitik‘ Maximilians I. ausschließlich als eine von finanziellen Interessen motiviert charakterisierte. Vgl. J. Friedrich Battenberg: Maximilian I. und die Juden im Heiligen Römischen Reich, in: Eike Wolgast (Hrsg.): „Nit wenig verwunderns und nachgedenkens“. Die „Reichstagsakten – Mittlere Reihe“ in Edition und Forschung, Göttingen 2015, S. 45 – 70. Vgl. Art. ‘Neuerung’ in: Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, Leipzig 1862, 662 (Online: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mo de=Vernetzung&lemid=GN 04627#XGN04627, letzter Zugang am 20. Januar 2018).
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Struktur im Reich verfügten und dass sie auch gewusst haben, diese Kenntnisse vorteilhaft für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Interessanterweise erzielte diese vielversprechende Vorgehensweise der Juden nicht die gewünschten Resultate. Soweit ersichtlich, kam es zu keiner Zusammenkunft der Reichsjudenschaft. Die Gründe dafür, dass die Versammlung nicht stattfand, sind unbekannt.¹²¹ Für die Juden war es daher nur von Vorteil, dass die ersten Gutachten der Kommission zur Beurteilung der jüdischen Bücher und der Beschlagnahmeaktion in diesem Zeitraum beim Mainzer Erzbischof bereits eingegangen waren.¹²² Von besonderer Wichtigkeit war dabei das Gutachten von Johannes Reuchlin. Darin stellte sich der Humanist, Jurist und Hebraist gegen die Bücherkonfiskation und für den Erhalt des jüdischen Schrifttums.¹²³ Diese
Ob der Streit zwischen Pfefferkorn und zwei Juden aus Worms zur Absage oder zu einer Verschiebung der Versammlung beitrug, ist nicht gewiss. Siehe dazu Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStAW), Reichskanzlei (RK), Maximiliana, K 23, Bl. 88rff. Siehe auch das Schreiben Maximilians I. an die Stadt Worms und an Graf Adolf von Nassau vom 6. Dezember 1510 (Konzept): HHStAW, RK, Maximiliana, K 23, Bl. 88rff. Reuchlin reichte sein Ratschlag, ob man den Juden alle ire buecher nemmen, abthun unnd verbrennen soll am 6. Oktober 1510 ein.Vgl. Reuchlin: Augenspiegel, Bl. XXv. Einen Tag später, am 7. Oktober war auch das Gutachten des Inquisitors aus Köln, Jakob von Hoogstraeten, eingereicht worden. Vgl. Pfefferkorn: Defensio, Bll. Ciiir–Civv. Alle weiteren Urteile der Kommissionsmitglieder wurden bis Mitte November fertiggestellt und dem Erzbischof überreicht. Vgl. ebd. Bll. Bivrff. Die umfangreiche Literatur zu Reuchlins Gutachten, zu seinem Werk Augenspiegel und zum Streit darüber macht eine weitere Schilderung der Ereignisse überflüssig, zumal der Fokus dieser Arbeit auf den jüdischen Aktivitäten und nicht auf den christlichen Akteuren liegt. Zu Reuchlin und der Reuchlin-Affäre siehe: Geiger: Johann Reuchlin; Graetz: Geschichte, Bd. 9, S. 63 – 180; Winfrid Trusen: Die Prozesse gegen Reuchlins „Augenspiegel“. Zum Streit um die Judenbücher, in: Stefan Rhein (Hrsg.), Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit [Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 5], Sigmaringen 1998, S. 87– 131; Erika Rummel: The Case Against Johann Reuchlin. Religious and Social Controversy in Sixteenth-Century Germany, Toronto 2002; James H. Overfield: A New Look at the Reuchlin Affair, in: Howard L Adelson (Hrsg.), Studies in Medieval and Renaissance History, 8, Nebraska 1971, S. 167– 207; Hans Peterse: Jacobus Hoogstraeten gegen Johannes Reuchlin. Ein Beitrag zur Geschichte des Antijudaismus im 16. Jahrhundert, Mainz 1995; Heiko Augustin Oberman: Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 1981; Guido Kisch: Zasius und Reuchlin. Eine rechtsgeschichtlich-vergleichende Studie zum Toleranzproblem im 16. Jahrhundert, [Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 1], Konstanz 1961; Arno Herzig und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Reuchlin und die Juden, [Pforzheimer Reuchlinschriften; Bd. 3], Sigmaringen 1993, v. a. die Artikel von Arno Herzig: Die Juden in Deutschland zur Zeit Reuchlins, S. 11– 20; Friedrich Lotter: Der Rechtsstatus der Juden in den Schriften Reuchlins zum Pfefferkornstreit, S. 65 – 88 und Heiko Augustin Oberman: Johannes Reuchlin: Von Judenknechten zu Judenrechten, S. 39 – 64. Zuletzt auch Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Reuchlins Freunde und Gegner. Kommu-
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Stellungnahme führte bekanntlich zu einer großen Kontroverse, welche die Gemüter in der europäischen Öffentlichkeit mehrere Jahre erregte. Als Resultat geriet Pfefferkorns Aktion ins Stocken¹²⁴ und das Thema der Beschlagnahme der jüdischen Bücher fast in Vergessenheit. Die Juden, die so viel Mühe in den Kampf gegen Pfefferkorns Umtriebe investiert hatten und denen zum großen Teil auch der Verdienst für die Vereitelung seiner Pläne gebührt, konnten in der Folge von Reuchlins Gutachtung die Errettung ihres Schrifttums feiern.¹²⁵
nikative Konstellationen eines frühneuzeitlichen Medienereignisses [Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 12], Ostfildern 2010 und Price: Campaign. Pfefferkorn behauptete dabei, dass die Juden den Inhalt von Reuchlins Gutachten beeinflusst hätten. Johannes Pfefferkorn: Handt Spiegel Johannis Pfefferkorn, wider und gege‘ die Jüden, und Jüdischen Thalmudischen schrifftenn, Mainz 1511 [VD 16, P 2294]. Die erste Auflage muss bereits vor dem 11. August 1511 erschienen sein.Vgl. den Brief Reuchlins an den kaiserlichen Sekretär Cyprian von Serntein vom 11. August 1511: Johannes Reuchlin: Briefwechsel, Bd. 2 (1506 – 1513), ediert v. Mattias Dall’Asta und Gerald Dörner, Stuttgart – Bad Cannstatt 2003, S. 181– 185. Frühneuzeitliche jüdische Quellen feierten Reuchlin dafür.Vgl. Josel von Rosheim: Sefer haMiknah, S. 14; Ders.: Historical Writings, S. 312. Siehe auch die Aussage Chajim ben Bezalel von Friedberg: ( ספר החייםSefer ha-Chajim), Bl. בr, zit. nach Geiger: Johann Reuchlin, S. 253 f.: וכבר שמעתי מזקני הארץ כי בימים שעברו עמדו איזיהו רשעי בני עמינו ושלחו ידם ולשונם בכלי חמדה זו וחשבו לתת אותו לשריפת אש מפני לעג הדברים התמוהים שנמצא בו לפי מיעט שכלם וכמעט שגמרו מזימתם הרעה עד שהעיר ה' רוח חכם נוצרי אחד שעמד בפני השרים והעמים ולמד זכות על הספר הקדוש הזה באמרו שהאגדות התמוהים שנמצאו בו הן דוגמת העשבים המרים והסמים הממיתי' שנמצאו בחניות הרוכלים עם שאר כל בשמים ראש שגם הם לתועלת גדול לרפואת האדם … רק שאין מוכרין דברים הללו רק לרופאים המומחים ליבים שיודעם להשתמש בהם במקום הראוי כך כל מליצי חכמים זכרונם לברכה וחידתם הן ליודעים חן והן גם כן מות ומכשול לכסילים ההולכים בחושך ומטבו דברי החכם הנוצרי הזה המליץ טוב בעיני המלך והשרים ויצאו המלשינים בפחי נפש: „Ich habe von Alten erzählen hören, dass in früheren Jahren einige getaufte Juden aufgetreten sind, und mit Wort und That sich angestrengt haben gegen diese göttliche Geräth (den Thalmud) und sich bemüht haben, es dem Feuer Preiszugeben, aus Spott und Hass gegen die darin enthaltenen Dinge wegen der Kleinheit ihres Verstandes. Und beinahe hätten sie ihren bösen Plan ausgeführt, da erweckte Gott den Geist eines weisen Christen, der vor Fürsten und Völker hintrag und Achtung vor diesem heiligen Buche lehrte. Er sagte: die seltsamen Erzählungen, die darin gefunden werden, sind wie die bitteren Kräuter und tödtlichen Gifte, die neben köstlichen Gewürzen in den Apotheken verkauft werden. Auch sie werden gebraucht zur Heilung von Krankheiten, … aber ihr Werth ist nur bedeutenden Aerzten bekannt, die wissen, sich ihrer am rechten Orte zu bedienen. So werden auch die köstlichen Worte unserer Weisen und ihre Verborgenheiten nur von den Verständigen erkannt, aber den Thoren, die in der Finsterniss wandeln, sind Tod und Verderben. – Die Vertheidigungsrede dieses weisen Christen gefiel dem König und den Fürsten; die Verläumder aber gingen beschämt davon.“
3.1 Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit
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3.1.2 Erste Erfolge und Selbstbehinderung 1513‒1516 Die meisten Abhandlungen, die sich mit den geschilderten Ereignissen in den Jahren 1509/10 befasst haben, geben den Hinweis darauf, dass die Juden 1513/14 erneut in der Bücherangelegenheit aktiv geworden seien. Meist geht man in diesem Zusammenhang davon aus, dass eine jüdische Versammlung zwischen 1513 und 1515 stattgefunden haben soll. Über den Anlass zur Zusammenkunft und deren Inhalt hat man bisher nur widersprüchliche und sehr vage Aussagen gemacht.¹²⁶ Auch die Datierung der Versammlung blieb lange Zeit umstritten¹²⁷ und beruhte ausschließlich auf Interpretationen von Pfefferkorns Angriffen auf die Juden in seiner Defensio-Schrift.¹²⁸ In der Tat liegen keine Zeugnisse von jüdischen Aktivitäten gegen Pfefferkorn seit Beginn seines Streits mit Reuchlin und bis Juni 1513 vor – weder in Frankfurt noch in anderen Regionen des Reichs. Auch sind keine weiteren Organisationsversuche aus dieser Zeit bekannt, vor allem nicht auf überlokaler Ebene. Selbst die Bemühungen der Frankfurter Juden vom Juni 1513, von denen die Rede im Folgenden sein wird, zielten zunächst nicht auf die Errichtung einer jüdischen Reichskorporation ab, sondern begannen als eine lokale Angelegenheit. Als Kaiser Maximilian I. Ende Juni 1513 in Frankfurt weilte, nutzten die Juden der Stadt die Gelegenheit und traten in Verhandlungen mit ihm über ihre Rechte.¹²⁹ Dabei ging es um sechs zentrale Themen: 1. die Bestätigung ihrer Freiheiten und Rechte; 2. die Gewährung eines umfassenden Geleits für ihre Handels- und sonstige Geschäftstätigkeiten; 3. ein Verbot ihrer Vertreibung aus der Stadt und 4. ein Verbot einer unrechtmäßigen Gefangennahme, Folter und Besitzergreifung; 5.
Vgl. Kracauer: Geschichte, S. 265 ff.; Maimon: Tagungen; Zimmer: Synods, S. 57 und Price: Campaign, S. 136. Der neueste Versuch, die Versammlung zu datieren, findet sich bei Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, S. 166, Anm. 52. Demnach soll die Versammlung nach Mitte November 1513 und vor März 1514 abgehalten worden sein. Siehe darüber auch weiter unten. Siehe z. B. Maimon: Tagungen, S. 79, der Bezug auf Pfefferkron: Defensio, Bl. Jiiiiv nimmt: Propter quod Iudei non solum maximopore gavisi sunt, verum etiam per hoc deteriores facti et eorum Rabi iccirco per totum imperium Wormatii conventum habuerunt disputando et in similibus, omnino arbitrantes, quando oculare speculum Ioannis Reuchlin pro se, et contra tot universitates et doctos admissum sit… Darüber erfährt man aus einer Prozessakte eines Gerichtsstreits, der Ende Oktober 1514 in Frankfurt initiiert wurde: ISG, Juden wider Juden (JwJ) 5, Bl. 2. Ausführlich über den Rechtsstreit und den Inhalt der Akte siehe: Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten.
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die Erteilung des Rechts, nicht vor fremden Gerichten vorgeladen zu werden und 6. die Einstellung der Schriftenagitation Pfefferkorns gegen sie.¹³⁰ Es gab offensichtlich mehrere Anlässe für die Verhandlungsbemühungen der Frankfurter Juden mit dem Kaiser; drei davon scheinen zentral gewesen zu sein. Am unmittelbarsten betrafen die Frankfurter Juden ihre Wohnrechte (die sogenannte Stättigkeit), die auf ein Jahr statt der bis dahin üblichen drei Jahre beschränkt wurden. Tatsächlich beriet sich der Rat öffentlich über eine mögliche Ausweisung der Juden aus der Stadt.¹³¹ 1513 wuchs zudem die Unruhe in der Stadt und die Beschwerden der Frankfurter Bürger gegen die Juden wurden häufiger.¹³² Offensichtlich erkannten die Juden diese Gefahr rechtzeitig und wollten vorbeugend die Möglichkeit der Auflösung ihrer Gemeinde durch eine kaiserliche Intervention verhindern. Auch ein Fall aus der Pfalzgrafschaft bildete einen konkreten Anlass für die jüdischen Bemühungen um ein Schutzprivileg. In Aspisheim bei Bingen am Rhein wurde ein älterer Jude gefangen genommen und peinlich verhört, weil er Kruzifixe geschändet haben soll. Die Juden in Frankfurt wollten mit ihrem Gesuch beim Kaiser zum einen den alten Juden in Schutz nehmen, zum anderen dem generellen Verdacht entgegnen, sie würden crutzefix und desgleychen une[h]ren. In ihrer Argumentation beteuerten sie die Unzurechnungsfähigkeit des alten Mannes, weswegen die Verhaftung und Folter durch die Pfalzgrafen unrechtmäßig gewesen seien.¹³³ Der dritte Anlass war die kontinuierliche Agitation durch Pfefferkorns Schriften. Seit Beginn des Streits mit Reuchlin veröffentlichte Pfefferkorn neben dem Handt Spiegel auch eine weitere Schrift, Brandtspiegel, in der er die Juden erneut angriff.¹³⁴ Die Juden reagierten auf diese Belästigung, indem sie Gesandten
Diese Bestimmungen umfasst das Privileg, das die Frankfurter Juden vom Kaiser Maximilian I. am 30. Juli 1513 erwirkten. Enthalten in: Ebd. Bll. 3v–5r. Der Ausstellungsort des Privilegs ist Audenarde (=Oudenaarde im heutigen Belgien) und nicht Andernach wie Andernacht: Regesten, Nr. 3830 meinte. Andernacht: Regesten, Nrr. 3729, 3733, 3734, 3767– 68 und 3824. Ebd. Nrr. 3821– 22. Sie schrieben vom alten Mann, dass er des nit zu thun v[er]stendig gewesen. Diese Informationen erfährt man aus einer Briefkorrespondenz zwischen den Frankfurter Juden, dem Rat von Frankfurt und die Pfalzgrafen bei Rhein, die einige Zeit später stattfand. Hier geht es um ein Schreiben der Frankfurter Juden an ihren Rat vom 23. August 1513 in: ISG, RS 2/367, Bll. 3rf. Johannes Pfefferkorn: Abzotraiben vnd aus zulesche[n] eines vngegrunte[n] laster buechleyn mit namen Auge[n], spiegell So Johannes Raichlein lerer der rechten, gegen vnd wyder mich Johannes Pfefferkorn erdicht, gedruckt, vn[d] offentlich vormals vßgeen hat lassen Dar gege[n] ich mey[n] vnschult allen menschen gruntlich tzu verneme[n] vn[d] tzu vercleren in desez gegenwyrdige‘ buechgelgyn, genant Brandtspiegell, gethan hab. Köln 1512 [VD 16, P 2287].
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an den Kaiser schickten, um die unpylich beschwerung, so [ihnen] von eynem der sich nent Johannis pfefferkorn deglich ufglegt werdt, vorzutragen.¹³⁵ Damit bezweckten sie zum einen die Einstellung von Pfefferkorns Spott und Schmach gegen sie, denn es sei ihm nicht gestattet, sich vsserhalb [des kaiserlichen (A.S.)] beuelchs vnd verwilligung, weiter widder sie zubruchen, wedder mit worten, geschrifften oder buchern. ¹³⁶ Zum anderen wollten sie damit ein Druck- und Verkaufsverbot seiner Schriften erwirken, womit sie vermutlich das Erstarken der ihnen entgegengebrachten feindseligen Stimmung zu verhindern hofften. Diese letzte Bestimmung gegen Pfefferkorns antijüdische Agitation hob interessenterweise die lokale Ausrichtung und Gebundenheit des Privilegs auf, denn nicht nur die Frankfurter Juden sollten davon profitieren, sondern alle Juden des Reichs. Es sollten sich nämlich daran iglichen Churfursten, fursten, geistlichen vnd weltlichen, prelatenn, Grauen, freyen hern, Rittern, knechten, hauptleutte, lanmarschalcken, Vitzthumben, vogten, pflegern, verwesern, Amptlutte, Burggrauen, Landtrichtern, Burgermeistern, Richtern, Reten, burgern, gemeynde vnnd sonst allen andern vnnseren vnd des Reichs vnderthan vnd getrewen, in was wirden, Stads oder wesens die sein¹³⁷
halten. Wie deutlich zu ersehen ist, stand dieses Verbot nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Bücherkonfiskation¹³⁸, sondern bezog sich vornehmlich auf die antijüdische Agitation des Konvertiten. Bemerkenswert dabei ist, dass die Juden offenbar zum ersten Mal von einer reaktiven zu einer proaktiven Vorgehensweise gegen den Konvertiten übergingen. Die Verhandlungen der Frankfurter Juden mit dem Kaiser über die Erteilung des Privilegs konnten nicht abgeschlossen werden, bevor der Kaiser von Frankfurt abgereist war. Aus diesem Grund wurde ein Schtadlan, Jakob Süßmann, mit der Aufgabe betraut, dem Kaiser nachzureiten und die Erteilung des Privilegs zu erwirken.¹³⁹ Nach Süßmanns Schilderungen sei er dem Kaiser nach Koblenz gefolgt und verhandelte dort mit ihm über die Anliegen der Frankfurter Juden. Das Privileg konnte er allerdings erst zweieinhalb Monate später (am 8. Oktober 1513) erwirken, weil der Kaiser in der Zwischenzeit in Engellandt gezogen war.¹⁴⁰ Als
ISG, RS 2/367, Bl. 3r. ISG, JwJ 5, hier Bl. 4v. ISG, JwJ 5, Bl. 4vf. Wie Price: Campaign, 136 es fälschlicherweise tut. ISG, JwJ 5, Bl. 1rf. Ausführlich über diese Gerichtsakte und den darin enthaltenen Prozess zwischen Süßmann und den Frankfurter Juden siehe Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten. ISG, JwJ 5, Bl. 3v. Das Privileg ist auf den 30. Juli datiert.Vermutlich war die Vorlage an diesem Datum fertig, aber die Besiegelung und Ausstellung verzögerte sich wegen der Reisen des Kai-
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Süßmann gegen Ende Oktober mit dem Privileg zurück nach Frankfurt kam, wollten die Frankfurter Juden das Privileg nicht entgegennehmen.¹⁴¹ Die Weigerung der Frankfurter Judenschaft, das Privileg anzunehmen, kann durch Spannungen in der Stadt erklärt werden. Bereits Ende Juli beklagten sich Friedrich und Ludwig, Pfalzgrafen bei Rhein, beim Frankfurter Rat, weil die gemain Judeschafft daselbst gegenn ir key. Mt. Schwerlich dargebenn, verclagt vnd vnderstandenn ein ungnedigen kayser gegen sie zu machen.¹⁴² Die Pfalzgrafen verlangten vom Rat der Stadt Frankfurt, dass er seine Juden dazu bringen würde, ihnen eine Entschädigung – Kerung und Abtrag – zu zahlen.¹⁴³ Der Frankfurter Rat wollte zwischen beiden Seiten vermitteln und schlug den Pfalzgrafen vor, Gesandte zur Frankfurter Herbstmesse zu schicken, um mit den Juden einen Ausgleich auszuhandeln.¹⁴⁴ Da der Rat zudem Nachteile aus der Angelegenheit befürchtete, verlangte er von seinen Juden, derartige Unternehmungen gegenüber dem Kaiser nicht ohne sein Wissen zu führen. Dies taten die Juden dann auch, als sie von Süßmanns Erfolg am Kaiserhof erfuhren. Sie teilten dies dem Rat mit und beteuerten, dass sie das erwirkte Privileg ohne die Zustimmung des Rats nicht annehmen wollten. Sie argumentierten dabei, dass es sich dabei vornehmlich um ein Privileg gegen Pfefferkorns Machenschaften handelte.¹⁴⁵ Als der Rat am 11. November unter Androhung einer Strafe die Entgegennahme des Privilegs verbot, befolgten die Juden den Befehl.¹⁴⁶ Gleichzeitig wollten und konnten sie auch nicht auf den kaiserlichen Schutz verzichten. Aus diesem Grund beauftragten sie Süßmann [s]olich erlangt privilegin gegen key.mat. widder abzutragen vnnd das uff alle gemey[n] Juddeschafft zustellen. ¹⁴⁷ Man kann an dieser Stelle festhalten, dass diese Entscheidung der Frankfurter Juden eine Kursänderung darstellte. Erst nachdem ihr Alleingang in Misserfolg zu enden drohte, sahen sie sich vor die Notwendigkeit gestellt, erneut eine kollektive Maßnahme zu ergreifen. Angesichts der vielen vergangenen gescheiterten Versuche erschien also eine neue gemeinsame Vorgehensweise aller Juden des
serlichen Hofs. Maximilian war im Übrigen nicht in England, aber er führte Verhandlungen mit englischen Gesandten in den Niederlanden. Vgl. Kraus: Itinerarium Maximiliani, S. 294 f. ISG, JwJ 5, Bl. 5v. Vgl. das Schreiben der Pfalzgrafen an den Frankfurter Rat vom 29. Juli 1513: ISG, RS 2/367, Bl. 1. Ausführlich über die Auseinandersetzungen siehe bei Kracauer: Geschichte, S. 266 f. und Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, S. 164– 167. ISG, JwJ 5, Bll. 2, 3 und 5. Schreiben des Frankfurter Rats an den Pfalzgrafen vom 6. September 1513. ISG, RS 2/367, Bl. 8. Jüdische Eingabe an den Frankfurter Rat vom 25. Oktober 1513. ISG, JA 438, Bl. 25r. Vgl. Andernacht: Regesten, Nr. 3853. ISG, JwJ 5, Bl. 5v.
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Reichs nicht als eine natürliche Option für die Frankfurt Juden. Erst die äußeren Zwänge und das Potenzial, das Verbot des Frankfurter Rats auf diesem Weg zu umgehen, veranlassten diese Handlungsweise.¹⁴⁸ Süßmanns Versuche, das Generalprivileg zu erwirken, dauerten fast ein Jahr. Am 8. August 1514 war er erfolgreich und das begehrte Privileg wurde erstellt.¹⁴⁹ Dieses großzügige Rechtsdokument, das einerseits Schutz vor Vertreibungen, unrechtmäßiger Verhaftung und Pfefferkorns Agitation, andererseits ausgeweitete Handels- und Geleitsrechte für alle Juden des Reichs garantieren sollte, wurde jedoch nicht allein aus Gnade erteilt. Der Kaiser bzw. sein Hofmeister,Wilhelm von Rappoltstein, verlangte von den Juden eine Abgabe von 2000 Gulden im Gegenzug zur Ausstellung des Mandats.¹⁵⁰ Allerdings erfolgte die Auszahlung der geforderten Gelder zunächst nicht. Ein Konflikt zwischen der Frankfurter Gemeinde und dem Gesandten Süßmann über dessen Lohn führte dazu, dass die Frankfurter Juden das Privileg nicht annahmen und darüber hinaus andere jüdische Gemeinden davon abhielten, ihren Anteil zu entrichten. Dies erfährt man von einer Beschwerde Maximlians I., der einen glaublichen bericht erhalten hatte, wonach Repräsentanten der Frankfurter Judenschaft mit falsche[r] gebildung andere jüdischen Gemeinden angeredet hätten, damit sie die obbemelt vnnser fryheitten weitter nit annemen sonder verachten. ¹⁵¹ Der Kaiser lud nun drei ihrer Vertreter – Simon von Weißenau, Isaak von Esslingen und Gmpel (=Gumpchin) – für den 1. Dezember 1515 vor und brachte die Gemeinde in eine problematische Position. Daher mussten sie schnell in der Angelegenheit einlenken und ihren Streit mit Süßmann schnell beenden. Als Süßmann am 30. Oktober 1515 in Frankfurt eintraf, erzielten die Frankfurter Juden einen Vergleich mit ihm und legten den Konflikt bei.¹⁵²
Es ist davon auszugehen, dass die Frankfurter Juden die Beteiligung anderer Judenschaften an den Kosten anstrebten und zu diesem Zweck eine Versammlung organisierten. Es gibt tatsächlich Anhaltspunkte dafür, dass so eine Tagung stattfand, obwohl ihre Datierung umstritten ist. Vgl. Kracauer: Geschichte, S. 265; ihm folgend auch Zimmer: Synods, S. 57; Maimon: Tagungen, S. 78 f.; Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, S. 166. ISG, JwJ 5, Bl. 6r–7v. Das Privileg ist gedruckt in: Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, S. 180 – 181. Der Kaiser verlangte ursprünglich 4000 Gulden, willigte schließlich die kleinere Summe ein. Vgl. ISG, JwJ 5, Bl. 11r. Siehe das Schreiben Maximilians I. vom 17. September 1515: ISG, JA 673, Bl. 2. Über die Gründe der Frankfurter Juden zu dieser Handlungsweise siehe Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten. Dies teilten die Juden dem älteren Bürgermeister, Konrad Scheid, mit. Siehe Andernacht: Regesten, Nr. 4007.
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Während die innerjüdische Streitigkeit beendet werden konnte, blieb der Konflikt mit dem Kaiser virulent. Die gefährliche Lage ließ ein gegenseitiges Misstrauen unter den Juden entstehen. Gumpchin, einer der Vertreter, die vom Kaiser vorgeladen waren, wollte dem kaiserlichen Befehl nur unter der Bedingung Folge leisten, dass die Gemeinde ihm unter Eid und in Anwesenheit von Ratsvertretern eine volkomlichen gewalt verleihen und eine finanzielle Beteiligung bei möglicher Verhängung von Geldstrafen zusichern würde. Er argumentierte dabei, dass die Citation[, so] von Kay. Mt. ußgangen, vnnd aber wißlich das solich sach vns zwene nicht allein sunder alhie die gemeyne Judischeit mit betreff ist. ¹⁵³ Die Beharrung der Frankfurter Juden auf ihren partikularen (finanziellen) Interessen aufgrund ihres Streits mit Süßmann brachte ihnen eine Reihe von Komplikationen ein. Kurz nachdem sie ihre Streitigkeiten mit den Pfalzgrafen, mit dem Rat und schließlich mit Süßmann beigelegt hatten, geriet die Frankfurter Judenschaft in Konflikt mit sich selbst und mit dem Kaiser. Zudem trug ihr Verhalten dazu bei, dass andere jüdischen Gemeinden nicht den nötigen Schutz genießen konnten, der im Privileg versprochen wurde.¹⁵⁴ Als sich zudem in diesem Zeitraum eine neue existentielle Gefahr anbahnte, benötigten die Juden dringender denn je den Schutz und die Hilfe des Kaisers.
3.1.3 Glück im Unglück: Der Vertreibungsversuch von 1515/16 In den letzten Monaten des Jahres 1515 nahm der Plan einer großräumigen Judenvertreibung aus dem Stift Mainz und den angrenzenden Gebieten allmählich Gestalt an. Initiator des Plans war der Frankfurter Rat, der seit April des gleichen Jahres seine Beratungen über eine Ausweisung seiner Juden intensivierte und seit Juni auch die Unterstützung des Mainzer Erzbischofs, Albrechts II., für seine Pläne gewinnen konnte.¹⁵⁵ Mit seinem Plan wollte der Frankfurter Rat die in der Zeit üblich gewordene Praxis der kaiserlichen Kanzlei umgehen, wonach das
Schreiben Gumpchins an den Frankfurter Rat vom 27. Dezember 1515: ISG, JA 950. Gumpchin schreibt hier über zwei und nicht drei jüdische Vertreter, wie im Schreiben des Kaisers. Einer der drei Vertreter war zu dieser Zeit nach Mainz umgezogen und der dritte war vom Frankfurter Rat schon wegen seines Alters entschuldigt worden. Vgl. ISG, JA 673, Bl. 1. Siehe in diesem Zusammenhang z. B. über die Vertreibung der Juden aus Ansbach und Bayreuth 1515 weiter unten, Kap. 3.2. Siehe v. a. ISG, RSP 1b, Bl. 248v und 251v, sowie Andernacht: Regesten, Nr. 3966. Unter anderem informierte sich der Frankfurter Rat bei anderen Städten, wie sie ihre Juden vertrieben hatten und wie viel es sie gekostet hatte. Siehe z. B. Die Antwortschreiben der Städte Ulm (ISG, RS 1/2379, Bl. 37 f.) und Nördlingen (Ebd., Bl. 51) an den Frankfurter Rat.
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Recht auf Vertreibung der Juden vom Kaiser teuer erkauft werden musste. Auch die Häuser der Juden, die als kaiserliches Gut deklariert wurden, mussten von der jeweiligen Obrigkeit mit weiteren finanziellen Aufwendungen erworben werden. Um die kaiserlichen Handlungsoptionen über eine unerlaubte Judenausweisung eindämmen zu können, sollte daher die Vertreibung auf regionaler Basis und unter der Mitwirkung eines mächtigen Fürsten vorgenommen werden. Denn, wenn viele Obrigkeiten sich an der Aktion beteiligen würden, könne „der Kaiser nicht viel ausrichten und die Stadt Frankfurt [oder überhaupt keinen der Beteiligten gesondert (A.S.)] zur Rechenschaft ziehen“.¹⁵⁶ Vorgesehen war zunächst eine Versammlung aller Herrschaften der Region, die Judenregale besaßen. Es sollte beratschlagt werden, wie mit den Juden zu verfahren sei, die unsers cristlichen glaubens widerwertigen, sich allenthalben also mehren vnd verbreyten, das solichs nit allein vnserm cristlichen glauben zu nachteyl vnd verkleynunge, sonder auch vnsern vnd andere fursten, Grauen, Hern, auch der vom Adel und Stetten vnderthanen und verwanten, zu großer argerunge und abnemen, an irer zeitlichen narunge wachssen wurde.¹⁵⁷
Zu diesem Zwecke sollten die eingeladenen christlichen Herrscher in der Nacht zum 7. Januar 1516 nach Frankfurt kommen.¹⁵⁸
Arye Maimon: Der Judenvertreibungsversuch Albrecht II. von Mainz und sein Mißerfolg (1515/16), in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 4 (1978), S. 191– 220, hier S. 219. Vgl. auch Andernacht: Regesten, Nr. 3981. Diese Geschichte ist vergleichsweise gut erforscht. Es besteht daher kein Bedarf, auf die Motivationen und das Verhalten der unterschiedlichen Akteure einzugehen. Die beste Abhandlung über den Vertreibungsplan ist immer noch die von Maimon: Judenvertreibungsversuch; ansonsten stammen fast alle Werke aus der Zeit vor 1945. Kracauer: Geschichte, S. 270 – 277; Graetz: Geschichte, Bd. 9, S. 153 ff.; Karl Anton Schaab: Diplomatische Geschichte der Juden zu Mainz und dessen Umgebung, mit Berücksichtigung ihres Rechtszustandes in den verschiedenen Epochen, Mainz 1855, S. 148 – 163. Schaab gibt auch einige zentrale Quellen in seiner Abhandlung wieder; Außerdem gibt es den nationalsozialistisch angehauchten Aufsatz von Fritz Zschaecks: Der deutsche Judenvertreibungsplan von 1516, in: Weltkampf. Die Judenfrage in Geschichte und Gegenwart 1 (1943), H. 2, S. 1– 18. Zuletzt erschienen ist der Aufsatz von Rolf Decot: Juden in Mainz in der frühen Neuzeit, in: Ders. und Matthieu Arnold (Hrsg.): Christen und Juden im Reformationszeitalter, [Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Religionsgeschichte, Bd. 72], Mainz 2006, S. 199 – 215. Das Schreiben ist vom 8. Dezember 1515: Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM), 86 Hanauer Nachträge α611, unpaginiert, oder Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD), A 14 Nr. 2851. Wesentliche Punkte sowie eine Liste der Teilnehmer sind im Protokoll der Mainzer Kanzlei enthalten vom 9. Januar 1516: ISG, RS 1/2379, Bl. 34r–35r.
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Das Vorhaben sah neben einer generellen Judenausweisung aus dem Erzstift Mainz und den angrenzenden Gebieten auch eine Selbstverpflichtung aller teilnehmenden Obrigkeiten vor, Juden auch in Zukunft nicht wiederaufzunehmen. Der Plan bedrohte nicht nur die örtlichen Judengemeinden, sondern auch den Rest der Reichsjudenschaft, denn abgesehen vom Siedlungsverbot sollte auch ein Reiseverbot für Juden durch die teilnehmenden Territorien vereinbart werden. Die Sperrung eines weiträumigen Gebiets im Reich hätte sowohl das Reisen als auch den Handel der Juden stark erschwert. Die Juden, die schnell auf diese Bedrohung reagieren mussten, befanden sich in einer schwierigen Lage: Angesichts der Tatsache, dass alle Obrigkeiten der Region in den Vertreibungsplan miteinbezogen waren, blieben den Juden nicht viele Handlungsoptionen offen, als sich an den Kaiser zu wenden, mit dem sie sich allerdings noch im Konflikt befanden. Es kam den Juden in diesem Falle jedoch zugute, dass die Aktion der Fürsten nicht nur gegen sie, sondern auch gegen den Kaiser gerichtet war.¹⁵⁹ Aus dem Umstand heraus, dass der Kaiser große Schäden aus der Aktion zu tragen gehabt hätte, öffnete sich einen neuen Handlungsspielraum für die Juden, die nun ihre eigenen Interessen mit denen des Kaisers bündeln konnten. Zuvor mussten sie aber die Bezahlung der geforderten 2.000 Gulden schnell organisieren, um den Konflikt mit ihm beizulegen. Zu diesem Zweck hielten sie eine Versammlung ab, in der sie den bindenden Beschluss fassten, den finanziellen Forderungen des Kaisers nachzukommen, und sie schickten den Frankfurter Gastwirt Knebel zum Kaiser.¹⁶⁰ An Knebels Seite wurde Jakob Süßmann geschickt, der bereits Erfahrungen bei Verhandlungen mit kaiserlichen Beratern hatte. Tatsächlich konnte eine Abmachung zwischen den jüdischen Legaten und dem kaiserlichen Hofmeister Wilhelm von Rappoltstein am 21. Januar getroffen und verkündet werden. Demnach sollten nun Knebel und Süßmann die zwey dusent gulden allenthalben inn Rich […] eyntr[e]iben. ¹⁶¹
Neben der Autoritätsverletzung und der Verlust großer Geldbeträge hätte der Kaiser auch eine Schwächung seiner Einflussmöglichkeit in der Region zu befürchten, die laut Maimon: Judenvertreibungsversuch, S. 210 – 219, einen zentralen Beweggrund der Beteiligung des Mainzer Erzbischofs am Vertreibungsplan war. Schreiben des Frankfurter Rats an den Kaiser vom 03. Januar 1516 – ISG, JA 663. Über Knebel siehe Maimon: Tagungen, S. 80, Andernacht: Regesten, Nr. 3557 und Shlomo Ettingers: Elé Tóldót. Verzeichnis aller Frankfurter Juden bis 1902 mit Personalangaben, Bd. C 1: Personenregister (1241– 1560), ISG, Manuskripte S6a/60. Über die Versammlung erfährt man vom Schreiben des Kaisers an den Juden des Reichs vom 8. Februar 1516, in dem er die Juden erneut an ihre Zusagen erinnerte, die sie in ihrer iungst gehalten versamlung zu Wurmbs beschlossen hatten. ISG, RS 1/2379, Bl. 46 und ebd. JA 702, Bl. 9. Schreiben Rappoltsteins aus Roppweiller – zwischen Zweibrücken und Hagenau – vom 21. Januar 1516: ebd. Bl. 47. Die Eintreibung der zugesagten Gelder verlief jedoch nicht reibungslos
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Nachdem die Juden und der kaiserliche Hofmeister eine Regelung für die Eintreibung der 2000 Gulden gefunden hatten, konnten die jüdischen Gesandten mit einem beglaubigten Schreiben des Hofmeisters zum kaiserlichen Hof in Kaufbeuren weiterreisen und dem Kaiser die von ihnen gesammelten Informationen über den Vertreibungsplan überbringen.¹⁶² Ihnen öffnete sich dabei ein schmales Zeitfenster, da die ‚Fürstenversammlung‘ vom 7. Januar 1516 mit dem Ergebnis endete, dass ein yeder gesannter die furbrachten ursachen vnnd beratschlagung an sein Oberkeit vnnd mitverwandten brengen sollte.¹⁶³ Die Entscheidung über das weitere Vorgehen wurde auf die nächste Beratungsrunde vertagt, die für den 11. Februar gesetzt wurde. Der weitere Verlauf der jüdischen Aktion war erfolgreich und der Kaiser erließ am 28. Januar ein Mandat, in dem er den Erzbischof von Mainz davor warnte, die von ihm geplante unrechtmäßige Vertreibung durchzuführen.¹⁶⁴ Am darauffolgenden Tag erließ Maximilian I. ein zweites Mandat, in dem er allen Teilnehmern der ersten Versammlung befahl, das ir also den obgemelten furgenomen vnnd angesetzte tag keins wegs besuchet noch verrer [=ferner] dar inne handlet oder p[ro]cediret sonder gentzlich damit stilsteet vnd die Judischheit in den berurten euwern lannde vnd gebieten, wie bißher luth irer behendigen freiheit wonen vnd on vnsern willen vnd zugeben nit vßtreibt lasset.¹⁶⁵
Offensichtlich konnten die Juden dem Kaiser sehr präzise Auskünfte geben, denn das Mandat benannte alle Teilnehmer der Versammlung einzeln¹⁶⁶ und wiederholte den Beschluss, die selbig Judischeit auß ewrem gebietten vßzutreiben vnd keinen mer anzunemen. Sogar die Entscheidung, die zweite Versammlung uff
und dauerte bis frühestens März 1517 an, weil einige Obrigkeiten dagegen protestierten, dass ein Frankfurter Jude Geld von ihren jüdischen Untertanen einsammelte. Vgl. dazu z. B. die vielen Schreiben des Grafen Georg von Wertheim, die seit Mai 1516 den Frankfurter Rat erreichten, sowie die Antwortschreiben des Rats und Knebels: Vgl. ISG, JA 702, Bll. 1– 8, 4, 10 – 14 und 17– 21. Trotz dieser Widrigkeiten ist zweifelsfrei belegt, dass das Privileg tatsächlich ausgestellt wurde. Eine durch Wilhelm von Rappoltstein beglaubigte Kopie vom 18. Februar 1518 liegt im HStA Stuttgart, A 56 U 6a. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Juden dem Kaiser die Informationen lieferten. Dies geht klar aus beiden in diesem Zusammenhang erlassenen Mandaten hervor. Vgl. ISG, RS 1/2379, Bl. 34v. Gedruckt in: Schaab: Diplomatische Geschichte, S. 159 f. Mandat Maximilians I. vom 29. Januar 1516 – ISG, RS 1/2379, Bl. 48vf. Vgl. Auch Maimon: Vertreibungsversuch, S. 205. Nur der Landgraf von Hessen und die Grafen von Rieneck und Isenburg-Büdingen fehlen bei der Aufzählung des kaiserlichen Mandats. Dafür taucht Gelnhausen zweimal im Dokument auf. Vgl. ISG, RS 1/2379, Bl. 48r.
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Montag nach Invocavit in der vasten schirstkonfftig ¹⁶⁷ anzusetzen, konnten die Juden dem Kaiser melden. Angesichts der Tatsache, dass die jüdischen Gesandten bereits unterwegs waren, als diese Informationen bekannt wurden, erstaunt es, wie reibungslos die innerjüdische Kommunikation funktionierte. Der ‚diplomatische Erfolg‘ (Maimon) der Juden war enorm: Man konnte den Konflikt mit dem Kaiser beilegen und damit die Beziehungen zu ihm normalisieren und sogar eine erste Annährung schaffen. Zugleich wurde das Privileg von 1514 und mit ihm der Schutz vor Vertreibungen ‚restauriert‘. Schließlich führten die Bemühungen dazu, dass der Vertreibungsplan vereitelt wurde. Zwar fand die zweite ‚Fürstenversammlung‘ in Frankfurt statt und sie beschloss, die Vertreibung nun mit Zustimmung des Kaisers verfolgen zu wollen. Allerdings blieben die meisten Teilnehmer der Veranstaltung fern und ihr Beschluss fand keine Unterstützer.¹⁶⁸ Trotz des enormen Erfolgs lässt sich hier erkennen, dass hier nicht der politische ‚Weitblick‘ der Grund für die organisierten Unternehmungen der Juden war. Vielmehr war es wie bei den anderen, hier behandelten Fällen eine durch äußere Bedrohungen verursachte Notwendigkeit zum gemeinsamen Handeln, welche die jüdischen Gemeinden dazu brachte, ihre partikularen Interessen hintanzustellen und geschlossen zu agieren. Somit hatten die Juden das ‚Glück‘, dass die Gefahr eines großen Unglücks sie zum Handeln bewegte und ihnen aus der bedrohlichen Schutzlosigkeit in ein allgemeines kaiserliches Schutzverhältnis verhalf. Feststellen lässt sich darüber hinaus, dass sich in den Jahren 1509‒1516 die Beratungen und Aktivitäten der Juden anhäuften und intensivierten. Diese hatten den Anspruch, alle Juden im Reich zu mobilisieren und gemeinsame Aktionen durchzuführen, und ließen die Reichsjudenschaft als ein Kollektiv in Erscheinung treten. Trotz des genannten Anspruchs erreichten die ersten jüdischen Anstrengungen eine lediglich beschränkte Weite im Reich. Anfänglich waren „Gebiete des Rheins, des Mains und der oberen Donau“¹⁶⁹ in den Bemühungen um eine Zusammenarbeit miteinbezogen. Später weitete sich der Kreis der partizipierten Gemeinden um die des Ober- und Unterelsasses aus. Die Ereignisse der Jahre 1513‒16, die zunächst nur Frankfurt betrafen, umschloss im weiteren Verlauf nicht
Ebd., Bl. 48rf. Angesichts des erlangten Privilegs hätte der Plan sowieso kaum Aussichten auf Erfolg gehabt Der Frankfurter Ratsmitglied, Adam Schönwetter, versuchte 1517 vergeblich, die Aktion erneut aufzurollen. Vgl. das Gutachten Schönwetters vom 17. Juli 1517: ISG, RS 1/2379, Bll. 42– 45 und Andernacht: Regesten, Nr. 4113. Maimon: Tagungen, S. 73. Die Mitwirkung der italienischen Juden beschränkte sich offensichtlich auf die Hilfe, die sie dem Frankfurter Gesandten in Italien leisteten. Weitere Verbindungen sind nicht bekannt.
3.2 Organisation im Abseits
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mehr den Kreis der Gemeinden, die 1509‒10 beteiligt gewesen waren, sondern lediglich die Judenschaften in der Region um Frankfurt und Worms. Kontakt mit entfernteren Regionen des Reichs findet man mit Ausnahme des Elsasses in diesem Zeitraum kaum.¹⁷⁰ Es zeichnet sich also für die erste Phase der Untersuchung ein Zentrum der jüdischen Aktivitäten in und um Frankfurt am Main ab.¹⁷¹
3.2 Organisation im Abseits Wenn Frankfurt am Main das Zentrum der kollektiven Anstrengungen der Juden um Schutz vor Verfolgungen und Vertreibungen war, dann stellt sich die Frage nach der Peripherie der angestrebten Organisation. Denn andere Regionen konnten nur marginal, wenn überhaupt, von den frühen Unternehmungen der sich entwickelnden Reichsorganisation der Juden profitieren. Die Ereignisse in Berlin 1510 veranschaulichen dies in einer besonders schaurigen Weise. Der gegen die märkischen Juden wegen angeblicher Hostienschändung geführte Strafprozess fand zwar während einer Zeit reger jüdischer Aktivitäten statt, geographisch aber abseits des sich entwickelten Zentrums. Die Berliner Geschehnisse sind überaus bekannt und waren Gegenstand vieler Untersuchungen und Abhandlungen.¹⁷² Dennoch müssen zunächst einige
Lippe und Köln stellen eine absolute Ausnahme dar. Die Angabe bei Maimon: Tagungen, S. 73, Anm. 7, wonach man die Stadt Lingen zum Kreis der eingeladenen jüdischen Gemeinden zählen soll, scheint allein aufgrund der enormen Entfernung unwahrscheinlich. Die Angabe Linden (bei Gießen) scheint in diesem Kontext daher logischer. Über Frankfurt am Main als Zentrum siehe v. a. Rotraud Ries: Die Mitte des Netzes. Zur zentralen Rolle Frankfurts für die Judenschaft im Reich (16.–18. Jahrhundert), in: Fritz Backhaus u. a. (Hrsg.): Die Frankfurter Judengasse. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit [Schriftenreihe des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Bd. 9], Frankfurt am Main 2006, S. 118 – 130 und 306 – 313. Siehe z. B. Friedrich Holtze: Das Strafverfahren gegen die märkischen Juden im Jahre 1510 [Verein für die Geschichte Berlins, Bd. 21] Berlin 1884; eine Auseinandersetzung mit dieser Darstellung findet sich im jüdischen Monatsblatt Jeschurun aus dem Jahr 1884, in den Heften 24– 26, S. 372– 73, 387– 89 und 404– 405; Aaron Ackermann: Der märkische Hostienschändungsprozess vom Jahre 1510, in: MGWJ 49 (1905), H. 2, S. 167– 182 und H. 3, S. 286 – 299; Ders.: Geschichte der Juden in Brandenburg an der Havel. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen dargestellt und mit urkundlichen Beilagen, Berlin 1906, bes. S. 31– 63; Werner Heise: Die Juden in der Mark Brandenburg bis zum Jahre 1571 [Historische Studien, Bd. 220], Berlin 1932, S. 210 – 227; J. Landsberger: Geschichte der Juden in der Stadt Stendal vom Ende des 13. Jahrhunderts bis zu ihrer Vertreibung im J. 1510, in: MGWJ 31 (1882), S. 172– 182; David Kaufmann: Die Märtyrer des Berliner Autodafés von 1510, in: Magazin für die Wissenschaft des Judentums 16 (1891), S. 48 – 53; Georg Sello: Der Hostienschändungs-Proceß vom Jahre 1510 vor dem Berliner Schöffengericht,
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3 Anfänge einer politischen Organisation?
Aspekte beleuchtet werden. Begonnen hatte die Affäre mit einem Diebstahl aus einer Kirche, bei dem ein christlicher Kesselflicker, Paul Fromm, zwei Hostien entwendet haben soll. Obwohl Fromm ohne Folter gestand, die Hostien selbst verzehrt zu haben, wurde der Verdacht einer jüdischen Beteiligung am Verbrechen erhoben. Tatsächlich änderte Fromm seine Aussage bei der zweiten, peinlichen Befragung und gab an, eine der Hostien an einen Juden verkauft zu haben. Diese erste Beschuldigung veranlasste eine umfangreiche Untersuchung, bei der immer mehr Juden durch Folter zu Geständnissen und Bezichtigungen gezwungen wurden. Bis zum Abschluss der Untersuchung wurde insgesamt wegen sieben angeblicher Ritualmorde an christlichen Kindern ermittelt. Nach einem kurzen Prozess endete die Affäre mit der Verbrennung von 38 Juden sowie der Ausweisung aller anderen Juden aus der Markgrafschaft Brandenburg.¹⁷³ Die Geschwindigkeit, mit der das Verfahren in die Wege geleitet, durchgeführt und abgeschlossen wurde, schränkte die Handlungsmöglichkeit der Juden ein. Die Folterung Fromms, bei der er den Juden Salomon von Spandau bezichtigte, erfolgte am 9. Juni 1510. In den Tagen darauf wurde Salomon nach Berlin gebracht, wo auch er unter Folter verhört wurde. Aufgrund seines Geständnisses erließ der Brandenburger Markgraf Joachim I. einen Haftbefehl gegen alle Juden des Territoriums. Das heißt, dass binnen weniger Tage die gesamte märkische Judenschaft unter Arrest gestellt wurde und wenige Möglichkeiten der Kommunikation mit anderen jüdischen Gemeinden hatte.
in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte (NF) 4 (1891), S. 121– 135; Hans Lichtenstein: Der Vorwurf der Hostienschändung und das erste Auftreten der Juden in der Mark Brandenburg, in: ZGJD (Neue Folge) 4 (1932), H. 4, S. 189 – 197. Modernere Abhandlungen bringen Fritz Backhaus: Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 39 (1988), S. 7– 26; Christine Mittelmeier: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen, Frankfurt am Main 2000; Felix Escher: Vor 500 Jahren: Das Martyrium von 1510 in der Mark Brandenburg, in: Judaica. Beiträge zum Verständnis des Judentums 66 (2010), S. 321– 331; Dietrich Kurze: Der Berliner Prozess und die Vertreibung der Juden aus der Mark Brandenburg im Jahre 1510, in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins, 59 (2010), S. 25 – 53. Vgl. Holtze: Strafverfahren, S. 11– 43 und Ackermann: Juden in Brandenburg, S. 33 – 59. Spätere Schilderungen weichen nicht sehr von diesen sehr quellennahen Beschreibungen ab. Es muss angemerkt werden, dass die Prozessakten selbst nicht überliefert wurden. Alle Abhandlungen rekonstruierten die Affäre anhand zeitgenössischer Druckerzeugnisse, die eine voreingenommene Berichterstattung aufweisen. Siehe darüber z. B. Escher: Vor 500 Jahren, S. 325, der darauf hinweist, dass die „Schriften [..] gleichsam als Handlungsanweisungen zum Konstruieren weiterer entsprechender Vorwürfe dienen“ konnten. Ähnlich argumentiert auch Backhaus: Hostienschändungsprozesse, S. 22 f.
3.2 Organisation im Abseits
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Überhaupt scheint die geographische Lage der Juden in der Mark Brandenburg ihre Situation schwierig gemacht zu haben. Nachdem die Vertreibungen des Spätmittelalters kaum jüdische Existenz in nördlichen Regionen des Reichs hinterlassen hatten, befanden sich in der unmittelbaren Nähe keine jüdischen Gemeinden mehr. Die nächstgelegene Judenschaft lebte zu dieser Zeit mindestens 150 km entfernt, in Braunschweig. Allerdings fielen die Braunschweiger Juden selbst der gleichen Beschuldigung zum Opfer. Ihnen wurde nämlich die Komplizenschaft mit den brandenburgischen Juden vorgeworfen, worauf auch sie in Haft genommen wurden.¹⁷⁴ Eine rasche Verbindung zu den größeren, weiter entfernten Siedlungsschwerpunkten in Schwaben, Frankfurt am Main, Worms oder Regensburg kam nicht zustande.¹⁷⁵ In den auf der Festnahme der brandenburgischen Juden folgenden drei Wochen wurde der Prozess in großer Geschwindigkeit fortgeführt. In diesem Zeitraum wurden ca. 100 Verdächtige verhört und dem Richter vorgeführt. Bereits am 1., 3. und 4. Juli wurden die Geständnisse im Gericht bestätigt und am 11. Juli vor dem Berliner Schöffengericht öffentlich wiederholt. Etwa eine Woche später, am 19. Juli 1510, wurde das Todesurteil auf dem Scheiterhaufen verkündet und unmittelbar danach vollstreckt.¹⁷⁶ Während nicht bekannt ist, ob im Zeitraum zwischen der Verhaftung und Hinrichtung der märkischen Juden Informationen über die Vorgänge in andere Regionen des Reichs gelangten, wurden die Nachrichten in der Folgezeit schnell und weit verbreitet. So kennt man fünf fast gleichlautende Schriften, die bereits 1510 gedruckt wurden. Einer der Drucke ist auf den 7. September 1510 datiert und muss kurz nach der Hinrichtung verfasst worden sein.¹⁷⁷ Ein weiterer ausführlicherer Bericht, aus dem die meisten Informationen stammen, wurde am 1. Februar
Eine Schuld konnte ihnen allerdings nicht nachgewiesen werden und sie wurden nach der Leistung von zwei Urfehden aus der Haft entlassen. Dennoch wurden sie aus der Stadt vertrieben, nur um im darauffolgenden Jahr wieder aufgenommen zu werden. Vgl. Ries: Jüdisches Leben, S. 293 f. und die gedruckten Dokumente bei Holtze: Strafverfahren, S. 73 – 79. Vermutlich aus dem gleichen Grund waren die Brandenburger Juden an den Planungen und Beratungen der Frankfurter Juden 1509 nicht involviert. Ob eine Verbindung zu jüdischen Gemeinden in Polen möglich war, ob diese in so einer Situation ausreichende Handlungsmöglichkeiten gehabt hätten und überhaupt, ob die polnischen und die Reichsjudenschaften politische Beziehungen in dieser Phase pflegten, kann eventuell die künftige Forschung beantworten. Festzuhalten ist, dass in dieser Affäre keine Kontaktaufnahme nach Osten erkennbar ist. Vgl. Heise: Juden in der Mark Brandenburg, S. 218. Es handelt sich dabei um die Schrift Ein wunderbarlich geschichte, wie die Merckischen juden das hochwirdig Sacrament gekaufft und zu martern sich unterstanden, München 1510 [VD 16 W 4595].
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3 Anfänge einer politischen Organisation?
1511 veröffentlicht¹⁷⁸ und gelangte später fast vollständig und zusammen mit dem zeitnah entstandenen Gedicht Jacob Winters in die 1598 publizierte Annales Marchiae Brandenburgicae des Andreas Angelus.¹⁷⁹ Außerdem erwähnten einige Chroniken der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts¹⁸⁰ die ‚Geschichte vom jüdischen Frevel gegen die heilige Hostie‘. Ferner ging auch Johannes Pfefferkorn in seiner Schrift Handt Spiegel auf diese in dem vergangenen jare zu Berlyn in der Marck bescheen[e] Affäre ein.¹⁸¹ Schließlich nutzte man zum Zweck der Verbreitung der Geschichte nicht allein eine sehr lebendige und erzählerische Sprache, sondern man bediente sich auch der Bildsprache und fügte dem 1511 in Druck gebrachten Sumarius einige Holzschnitte bei, welche die Geschichte bildlich veranschaulichten.¹⁸² Ähnlich wie die Affäre um den Knaben Simon von Trient 1475¹⁸³ wurden auch die Geschehnisse in Berlin 1510 zu einem medialen Ereignis¹⁸⁴, das die Vorstellung von den gefährlichen Juden verstärkte und sogar visualisierte. Die übrige Judenschaft im Reich erfuhr von diesen Ereignissen wohl kurz nach der Vertreibung der Brandenburger Juden. Erste Nachrichten erreichten sie vermutlich bereits im August, als ihre Vertreter auf dem Augsburger Reichstag weilten.Wie oben
Ditzs ist der warhafftig Sumarius der gerichts hendel unnd proceß der gehalten ist worden uff manchfaldig Judicia, aussag, und bekentnus eines Pawl From gnant der das hochwirdig Sacrament sambt einer monstrantzien ec. Auss der kyrchen zu Knobloch gestolen. Und auch der begangen hendell der Jüden die ir thetliche hennde an das aller heiligst hochwirdigst Sacrament unnd vil unschuldige cristliche kinder torstiglich gelegt unnd im Zehende Jar zu Berlein gerechtfertigt sein worden, Frankfurt an der Oder 1511 [VD 16 D 1446]. Andreas Engel: Annales Marchiae Brandenburgicae, Das ist Ordentliche Verzeichnuß und beschreibung der fürnehmsten und gedenckwirdigsten Märckischen Jahrgeschichten vnd Historien, so sich vom 416. Jahr vor Christi Geburt, bis auffs 1596. Jahr im Churfürstentumb Brandenburg, vnd dazu gehörenden Landen und Herrschaften, von Jahr zu jahr begeben und zugetragen haben…, Frankfurt an der Oder 1598, S. 269 – 280. [VD 16 E 1181]. Vgl. Kurze: Der Berliner Prozess, S. 26 f. und 43 f. Pfefferkorn: Handt Spiegel, Bl. Aiiiv–Aivr. Einige der Holzschnitte sind gedruckt worden bei Kurze: Der Berliner Prozess, S. 27– 30, 32 und 34. Siehe auch Christine Mittlmeier: Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen, Frankfurt am Main 2000; Wolfgang Harms und Michael Schilling: Das illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit. Traditionen – Wirkungen – Kontexte, Stuttgart 2008. Siehe dazu Kap. 2.4. Über das Thema von Medialität in der Frühen Neuzeit grundsätzlich siehe z. B. Markus Sandl: Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation [Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen, Bd. 18], Zürich 2011; Natalie Krentz: Auf den Spuren der Erinnerung. Wie die „Wittenberger Bewegung“ zu einem Ereignis wurde, in: ZHF 36 (2009), 563 – 595; Harriet Rudolph: Das Reich als Ereignis. Formen und Funktionen der Herrschaftsinszenierung bei Kaisereinzügen (1558 – 1618), Köln 2011, v. a. S. 332– 427.
3.2 Organisation im Abseits
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im Zusammenhang mit dem Abwehrkampf gegen Pfefferkorn berichtet wurde¹⁸⁵, baten die Juden den Kaiser auf diesem Reichstag um einen Befehl zur Abhaltung einer Generalversammlung. Es erscheint daher plausibel, dass die Verfolgung von Berlin gemeint war, als sich die Juden in ihrer Supplikation wegen beschwerden und neuerungen beklagten. Vor diesem Hintergrund scheint das Scheitern dieser Versammlung umso mehr zu verdeutlichen, wie dringend eine schnelle und effektive jüdische Organisation nötig war. Zwar kann man nicht wissen, ob eine rechtzeitige jüdische Intervention in diesem Fall wirksam gewesen wäre, aber das Fehlen an Strukturen und standardisierten Vorgehensweisen, das diese Phase der (Nicht‐)Organisation am meisten charakterisierte, führte dazu, dass sich verhängnisvolle Vorfälle wie die Affäre in Berlin ohne jedwede jüdische Reaktion ereignen konnten. Ähnlich verlief es bei der Ausweisung der Juden aus Bayreuth und der gesamten Markgrafschaft Brandenburg-Kulmbach im April 1515.¹⁸⁶ Auch hier erfolgte keine Intervention seitens anderer jüdischer Gemeinden. Allerdings handelte es sich in diesem Fall um eine territoriale Vertreibung, die durch eine besondere Herrschaftssituation veranlasst wurde. So fanden die Ausschreitungen der „[b]öse[n] Buben und Handwerksbruss“ gegen die Juden in die gleiche Zeit statt, in der die Söhne des Markgrafen Friedrich II., Casimir und Georg, ihren Vater entmachteten und dafür auf Unterstützung der Landstände angewiesen waren, die den Juden feindlich gesinnt waren. Außerdem starb im gleichen Zeitraum die alte Fürstin Anna, die Großmutter der neuen Landesherren, die als Judengönnerin galt.¹⁸⁷ Obwohl eine jüdische Einmischung von außen nicht möglich war, wäre die rechtliche Situation der Bayreuther Juden günstiger gewesen, wenn das kaiserliche Privileg vom August 1514 bereits ausgestellt worden wäre. Damit scheinen die Streitereien, die zu den Misserfolgen der ersten Organisationsversuche führten, eine negative Rolle auf das Schicksal der Juden in der ‚Peripherie‘ gespielt zu haben. Demgegenüber beeinflusste die periphere Lage der Juden im Elsass ihre Situation nicht negativ. Das Elsass unterschied sich insofern von anderen Reichsterritorien, als es eines der herrschaftlich „zersplittertste[n Länder] des Heiligen Römische Reichs [war]“. Aus diesem Grund bildete es „einen idealen Zufluchts-
Vgl. Kap. 3.1.1. Siehe dazu Hans-Jürgen Wunschel: Bayreuth, in: GJ III.1, S. 93 – 96 und Ders.: Nürnberg, Burggrafschaft, und Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, Markgrafschaft, in: GJ III.3, S. 1965 – 1977, bes. S. 1970 – 72. Adolf Eckstein: Geschichte der Juden im Markgrafentum Bayreuth (1248 – 1780), Bayreuth 1907, S. 15 – 19.
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3 Anfänge einer politischen Organisation?
ort“ für verfolgte Juden.¹⁸⁸ Im späteren 15. Jahrhundert erlebten die jüdischen Siedlungen im Elsass eine Zäsur, nachdem viele Juden während des Burgundischen Krieges aus ihrem Wohnort vertrieben worden oder selbst aus Furcht geflüchtet waren. Die Zerstreuung der elsässischen Judenheit verstärkte sich, als der Straßburger Bischof die Juden während einer Verfolgungswelle aus allen Gebieten seines Stifts für eine befristete Zeit ausweisen ließ. Zwar sollten die Juden ursprünglich zu ihren angestammten Wohnsitzen zurückkehren dürfen, wie ein Dekret des Pfalzgrafen Philipp des Aufrichtigen anordnete, nur weigerten sich viele der Städte, die vielfach verarmten Juden wieder aufzunehmen. Somit setzte sich ein rascher Prozess der ‚Verdorfung‘ (Mentgen) der jüdischen Siedlung im Elsass in Gang. Die elsässischen Juden bildeten darauf ländliche Gemeinden, die in der Vereinigungen mehrerer Siedlungsorte bestanden.¹⁸⁹ Daraus wiederum ergaben sich zwei große Zusammenschlüsse von gemeinen Judenschaften im Unter- und im Oberelsass, die für die politische Repräsentation der lokalen Juden in den jeweiligen Landvogteien zuständig waren.¹⁹⁰ Als im Jahre 1510 Josel von Rosheim (damals noch in Mittelbergheim wohnhaft¹⁹¹) und ein gewisser Rabbi Zadok zu Vorstehern und Repräsentanten aller unterelsässischen Juden gewählt wurden, war dies ein deutliches Zeugnis für das fortgeschrittene Stadium der jüdischen Organisation in der Region.¹⁹² Zwar mussten die einzelnen Haushalte die Bedingungen ihres Schutzverhältnisses sowie Alltagsprobleme mit den jeweiligen Lokalobrigkeiten selbst regeln. Allerdings bedurften die meisten jüdischen Ansiedlungen aufgrund der großen Zerstreuung einer zentralen Vertretung, wenn sie Verhandlungen über korporative Rechte führen und sonstige gemeinsame Anliegen vor den Obrigkeiten vortragen wollten. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 19. Siehe außerdem Mentgen: Studien, S. 71, der Sterns Aussage mit Einschränkungen bejaht. Vgl. Mentgen: Studien, S. 26, 71 f. und 121. Über die Weigerung der Städte, den Juden die Siedlung wieder zuzulassen, vgl. ebd. S. 402– 410. Siehe darüber hinaus Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 57– 75, und die etwas veraltete Darstellung von S. Stern: Josel von Rosheim, S. 19 – 24. Siehe darüber v. a. Debra Kaplan: Beyond Expulsion, S. 32– 35. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 118 und Ludwig Feilchenfeld: Rabbi Josel von Rosheim, S. 9. Siehe dazu v. a.: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 91– 100, sowie Josels Bericht ebd. auf S. 312; außerdem Stern: Josel von Rosheim, S. 50 – 53 und Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 20 f. Die lange Zeit, v. a. aber in der älteren Literatur geführte Diskussion darüber, ob Josel 1510 als Vorsteher aller Juden im Reich gewählt wurde, oder ob er die Führung nur für das untere Elsass übernahm, scheint obsolet zu sein, angesichts der Tatsache, dass Josel in allen bisher behandelten Ereignissen noch gar nicht in Erscheinung trat. Wie zu zeigen sein wird, vergingen noch einige Jahre, bis Josel eine politische Rolle auf Reichsebene übernehmen und zum Rang des Befehlshabers avancieren sollte.
3.2 Organisation im Abseits
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Die vergleichsweise etablierte regionale Organisation der Juden im Unterelsass ist mit höchster Wahrscheinlichkeit einer der zentralen Gründe dafür, dass einige Vertreibungsversuche in der Region immer wieder verzögert und sogar vereitelt werden konnten. So war es Ende 1514, als der Straßburger Bischof zusammen mit den Herren von Andlau ein Vertreibungsprivileg von Kaiser Maximilian I. für einige Ortschaften erwirken konnte.¹⁹³ Josel von Rosheim, der in dieser Angelegenheit die Interessen der unterelsässischen Juden vertrat, schilderte die Ereignisse in einem Bericht.¹⁹⁴ Die Juden appellierten an Gerichte in der Landvogtei und konnten dadurch die Umsetzung der Ausweisung hinauszögern. Darauf reagierten der Bischof und seine ‚Komplizen‘ mit einem Gesuch an den Kaiser, der im Dezember 1515 ein Mandat erließ, das die Einstellung des jüdischen Appellationsvorgangs befahl. Seinen Befehl an die Landvögte, Hauptleute und Räte des oberen und unteren Elsasses besagte, dass sie die fürsten von Straßburg, die von andlo und ir mitverwante den Juden und Judyn also außpieten und sy außtriben lassen sollten.¹⁹⁵ Es dauerte ein weiteres Jahr – laut Josels Bericht musste er in dieser Zeit insgesamt dreimal zum Kaiser reiten –, bis die Juden einen Erfolg erzielen konnten. Am 4. Dezember 1516 erhielten sie ein kaiserliches Privileg für die gemeine judischait des Ober- und Unterelsasses, das die Rückkehr der Juden, die aus iren whonungen vertriben worden waren, forderte.¹⁹⁶ Im Rahmen seiner Bemühungen konnte Josel zudem Verhandlungen mit dem Straßburger Bischof und den Herrschern von Andlau initiieren und eine Übereinkunft treffen, die den Streit beilegte. Ein gleichzeitiger Konflikt der Juden mit der Stadt Oberehnheim blieb zwar ungelöst, aber das erlangte Privileg konnte die Vertreibungsabsichten des
Das Privileg wurde in Innsbruck am 1. Dezember 1514 erstellt und wurde gedruckt bei Carl Theodor Weiss: Geschichte und rechtliche Stellung der Juden im Fürstbistum Straßburg, besonders in dem jetzt badischen Teile, nach Akten dargestellt, Bonn 1896, Beilage Nr. II. S. 124 f. Obwohl Josels Bericht die Affäre auf das jüdische Jahr 5275 (Sept. 1514–Sept. 1515) datiert, dauerten die Auseinandersetzungen ungefähr zwei volle Jahre. Möglicherweise fasst Josel die Affäre derart kurz zusammen, um das anfängliche Scheitern zu minimieren und den anschließenden Erfolg höher zu bewerten. Schließlich war es die Absicht seiner Schrift, seine Glaubensgenossen auch angesichts schwerer Krisen zu ermuntern, weil sie auf die Errettung durch Gott vertrauen könnten. Siehe dazu: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 39 – 42, bes. S. 41; Gabriele Jancke: Autobiographische Texte – Handlungen in einem Beziehungsnetz. Überlegungen zu Gattungsfragen und Machtaspekten im deutschen Sprachraum von 1400 bis 1620, in: Winfried Schulze: Ego-Dokumente. Annährung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, S. 73 – 106. Kaiserliche Mandat von Füssen, vom 9. Dezember 1515: Weiss: Geschichte Beil. III, S. 126 f. Das Privileg ist gedruckt bei Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. I., S. 145 f.
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3 Anfänge einer politischen Organisation?
Oberehnheimer Rats als Rechtsbruch erscheinen lassen und der Streit zog sich daher in die Länge.¹⁹⁷ Die regionale Organisation der elsässischen Juden konnte zwar nicht alle Vertreibungsabsichten der unterschiedlichen Herrscher im Gebiet vereiteln. Sie befähigte die Juden aber dazu, auf die Vertreibungsgefahren schnell zu reagieren, diese zumindest zeitweilig zu verhindern und ihre Wohnsituation dadurch mittelfristig zu stabilisieren. Die größte Errungenschaft dieser jüdischen Vertretung scheint darin bestanden zu haben, dass sie der drohenden Willkür der Obrigkeiten – zuerst über den gerichtlichen Weg, danach über den Gang zum Kaiser – einen Riegel schieben konnte. Die Vorgänge im Elsass unterscheiden sich so sehr von den Ereignissen in Brandenburg-Kulmbach, dass ein Vergleich zwischen beiden Fällen schwierig erscheint. Dennoch kann angenommen werden, dass die Juden im letztgenannten Territorium ihre Vertreibung hätten erschweren können, wenn sie, wie im Elsass, über Organisationsstrukturen und erprobte politische Vorgehensweisen verfügt hätten. Was das Beispiel aus dem Elsass noch deutlicher zeigt, ist, dass unter bestimmten Bedingungen eine funktionierende und effiziente jüdische Vertretung auch abseits der kollektiven Organisation der Reichsjuden möglich war. Angesichts dieser Erkenntnisse erscheinen regionale Organisationen der einzelnen Judenschaften ebenso notwendig wie ein zentrales Vertretungsorgan.
3.3 Die Entstehung einer Organisation? Ein Zwischenfazit Aus dem bisher Geschilderten lassen sich einige Erkenntnisse über die ersten jüdischen Organisationsversuche und v. a. über ihre Vorgehensweisen angesichts von Verfolgungs- und Bedrohungsszenarien festhalten. Zunächst lässt sich konstatieren, dass die ersten Bestrebungen nach politischen Zusammenschlüssen der jüdischen Gemeinden im Reich immer in Reaktion auf kollektive Gefahren unternommen wurden, die nicht auf lokaler Ebene bekämpft werden konnten. Es war dabei kein Zufall, dass die wichtigsten Impulse für die Organisation von der
Das Privileg hebt den Rechtsbruch besonders stark hervor: Die Juden seien wider ir freihaiten und alt herkomen beschwert und gedrungen worden, wiewol si auf menigliches clag und inspruch solchs austreibens, auch der malefitz und anderer handel halben urbutig und willig sein, meniglichem geburlichs rechtens gehorsamlich statt zu thun. Die Ungerechtigkeit sei darüber hinaus dadurch größer gewesen, dass man dem Kaiser hinderruck Anklagen gegen sie vorbrachte. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. I., S. 146. Einen guten Überblick über den Streit der Stadt Oberehnheim mit den Juden sowie über die wichtige Literatur dazu bietet Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 81– 90.
3.3 Die Entstehung einer Organisation? Ein Zwischenfazit
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großen, traditions- und einflussreichen städtischen Gemeinde in Frankfurt kamen, denn diese bildete – zusammen mit Worms – zugleich ein geographisches Zentrum der noch bestehenden jüdischen Siedlung im Reich. Erstaunlich für diese erste Phase ist die große Diskrepanz zwischen der Fähigkeit einzelner jüdischer Gemeinden, komplexe und oft auch erfolgreiche politische Unternehmungen zu starten, und dem Unvermögen, diese Kräfte auf interkommunaler Ebene zu bündeln. Während also die Frankfurter Judenschaft in der Lage war, den Rat ihrer Stadt und den Erzbischof von Mainz zumindest vorübergehend auf ihre Seite zu bringen, scheiterten alle ihre Versuche, eine Zusammenarbeit der Reichsjudenschaft zustande zu bringen. Dabei waren es nicht nur die großen Entfernungen, die lauernden Gefahren unterwegs und die prekäre Situation mancher Gemeinden an ihrem Siedlungsort, die das Zustandekommen von kollektiven Aktionen verhinderten. Es waren auch innerjüdische Auseinandersetzungen, eine fehlende gemeinsame Erfahrung und ein gegenseitiges Misstrauen, die wesentlich zum Scheitern der Organisationsbestrebungen beitrugen. Auf der taktischen Ebene kann man eindeutig erkennen, dass die Juden mit ihren Vorgehensweisen dann erfolgreich waren, wenn sie ihre eigenen Interessen mit denen eines oder mehrerer Herrscher bündeln konnten. So konnten die Frankfurter Juden den Mainzer Erzbischof davon überzeugen, dass seine Rechte verletzt würden, wenn er die Beschlagnahme ihrer Bücher durch Pfefferkorn zuließe. Ähnlich verhielt es sich, als jüdische Gesandte 1516 den Kaiser auf die drohende Verletzung seiner Autorität und Interessen hinwiesen, wenn er die geplante Judenvertreibung aus dem Erzstift Mainz und den umliegenden Gebieten nicht verhinderte. In beiden Fällen bewiesen die Juden nicht nur fundierte Kenntnisse über die rechtlichen und somit auch herrschaftlichen Konstellationen im Reich, sondern sie konnten auch dieses Wissen zu ihren Gunsten einsetzen, etwa um politische Kräfte gegeneinander auszuspielen. Diese und andere Beispiele zeugen von den Kenntnissen der Juden nicht nur über die politische und rechtliche Struktur des Reichs, sondern auch über die politische Kultur. So erweist sich, dass die Mobilisierung der Macht und Autorität einer Obrigkeit besonders dann erfolgreich war, wenn man ihr glaubwürdig machen konnte, dass ihre eigenen Belange auf dem Spiel standen. Solch eine Argumentation nutzten die Frankfurter Juden, als sie dem Frankfurter Rat die Bücherkonfiszierung nicht als ein ihnen widerfahrenes Unrecht, sondern als eine Bedrohung der städtischen Rechten und Freiheiten darstellten. Es war bei dieser rhetorischen Strategie zudem von Bedeutung, dass die machtpolitische Autorität und Reputation der angesuchten Herrschaft in den Bittgesuchen eine Bestätigung erfuhren. Erfolgversprechend waren die jüdischen Supplikationen auch dann, wenn sie das Versprechen auf finanzielle Vorteile enthielten. Das jüdische Wissen über diese kulturellen Elemente der Reichspolitik beschränkten sich also nicht
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nur auf politische Kalküle wie etwa die Frage danach, an welche Instanzen man sich zu wenden hatte. Die Juden mussten darüber hinaus die politische Sprache beherrschen, um alle relevanten sprachlich-kulturellen Codes bedienen zu können. Fehlendes kulturelles Wissen über die Politik konnte dabei zu politischen Fehltritten führen. Eine Gefahr bei der Suche nach einer Allianz mit einer Obrigkeit war das Verletzen möglicher Interessen anderer Herrscher. So belastete der Appell der Frankfurter Juden an die ‚Machtvollkommenheit‘ und ‚alleinige Verfügungsmacht‘ des Frankfurt Rats ihre Anstrengungen am Kaiserhof erheblich. Der Frankfurter Rat verbot wiederum seinen Juden die Entgegennahme eines kaiserlichen Privilegs, weil er eine Einschränkung seiner Rechte befürchtete und überdies Streitigkeiten mit den Pfalzgrafen vermeiden wollte. Man kann somit festhalten, dass die Handlungsmöglichkeiten der Juden durch die Notwendigkeit zur Rücksichtnahme auf Herrschaftsinteressen unterschiedlicher Gewaltträger eingeschränkt waren. Das bedeutet wiederum, dass die Handlungsspielräume der Juden so weit gestreckt werden konnten, bis eine Obrigkeit die jüdische Aktivität als für sich negativ empfand oder interpretierte, und sich in der Sache zu Wort meldete. Diese eher flexiblen Grenzen für jüdische Handlungen konnten positiv auf die jüdischen Vorgehensweisen wirken; sie erzeugten aber eine gewisse Unsicherheit. Dies galt umso mehr für die Anfangsphase, als die sich formierende Repräsentation der Juden beim Umgang mit Obrigkeiten in komplexen Konstellationen noch unerfahren war. Eine Entwicklung, die mit dieser Unsicherheit wohl zusammenhing, war die allmähliche Konzentration der jüdischen Handlungen Richtung Kaiser. Zwar war der Kaiser in jeder Phase Adressat jüdischer Bittgesuche und Appellationen, allerdings zeigen die Vorgehensweisen der jüdischen Gemeinde in Frankfurt in besonderer Weise, dass man anfänglich geneigt war, zuerst andere Instanzen anzusuchen. Nichtsdestotrotz zeichnete sich in den folgenden Jahren eine Annäherung der jüdischen Vertretung an den Kaiser ab. Zum großen Teil war diese dadurch verursacht, dass der Kaiser aufgrund der Beschaffenheit der Bedrohungen die beste Anlaufstelle darstellte. Offensichtlich setzte durch den häufigen Kontakt der Juden mit dem Kaiser und seinen Beratern ein Lernprozess ein, der es den Juden ermöglichte, den richtigen Umgang mit dieser Person und Institution zu finden. Nachdem sich das Verhältnis zwischen dem Kaiser und der jüdischen Vertretung verbessert hatte, erwies er sich dann auch als eine verlässliche Schutz- und Rechtsinstanz. So gewährte er ihnen ab 1510 nahezu alle ihre Bitten. Demgegenüber zeigten sich andere Obrigkeiten, die anfänglich wichtige Verbündete der Juden waren, als unzuverlässige Stützen. Der Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen und der Frankfurter Rat sind prominente Beispiele dafür.
3.3 Die Entstehung einer Organisation? Ein Zwischenfazit
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Nähe und Distanz sind in mehrfacher Hinsicht wesentlich für die erste Phase der Untersuchung. Während sich Frankfurt am Main und Worms als Zentrum der jüdischen Aktivitäten herausstellten, erweist sich die Distanz einer Gemeinde von diesem Zentrum ein Hindernis sowohl für die innerjüdische Kommunikation als auch für die Herstellung physischer Kontakte (z. B. für die Abhaltung von Versammlungen). Solange keine handlungsfähige politische Organisation bestand, hieß es für Judenschaften in der Peripherie, dass ihr Schicksal vorwiegend von ihrer Fähigkeit bestimmt war, sich auf der lokalen bzw. regionalen oder territorialen Ebene zu organisieren. Tatsächlich konstituierten die jüdischen Unternehmungen und Organisationsversuche im Zeitraum von 1509 bis 1517 keine auf Reichsebene angesiedelte politische Organisation und Repräsentation. Man erkennt hierin keine planvolle Strategie der Juden oder eine geregelte Intention. Vielmehr erscheinen die jüdischen Handlungsweisen vielfach als spontane Reaktionen auf Gefahrsituationen. Dementsprechend wirken ihre Beschlüsse,Vorgehensweisen und Aktionen in den meisten Situationen als das Ergebnis einer Vielzahl von Ad-hoc-Entscheidungen. Diese Einschätzung mag zwar in Übereinstimmung mit der in der Forschung vorherrschenden Meinung stehen, dass die Juden zu Beginn des 16. Jahrhunderts entweder ein zu schwaches „reichsweites gemeinsames (Bedrohungs‐)Bewusstsein“ entwickelten¹⁹⁸, oder dass der „deutsche und der jüdische Partikularismus [..] die Einheit des deutschen Judentums“ zerstörte.¹⁹⁹ Zieht man jedoch in Betracht die im vorherigen Kapitel postulierten Unwahrscheinlichkeit der Entstehung einer politischen Organisation aller Juden im Reich, so rückt das Misslingen der frühen jüdischen Versuche in ein neues Licht. So überrascht es nicht, dass anfänglich viele unterschiedliche Handlungsweisen gewählt, probiert und durchgeführt werden mussten, bis erste erfolgreiche Kooperationen entstanden. Erst die schwerwiegenden Bedrohungen des beginnenden 16. Jahrhunderts und die andauernde Notwendigkeit zum gesamtjüdischen Handeln erzeugten eine kontinuierliche, innerjüdische Interaktion, aufgrund derer sich erste Strukturen der Zusammenarbeit aufbauten und Vorgehensweisen und Strategien sukzessiv standardisierten. Somit lässt sich für den beschriebenen Zeitraum eine durch Not verursachte Verdichtung innerjüdischer Kommunikation und Koordination auf politischer Ebene beobachten. Diese sich festigenden etablierenden und sogar konsolidierenden Formen der jüdischen Zusammenschlüsse, wie auch die sich
Ries: Alte Herausforderungen, S. 101; Dies.: Politische Kommunikation, S. 177, wo sie die ersten Mobilisierungsversuche der jüdischen Gemeinden durch die Frankfurter Juden zutreffend als „dilettantisch“ bezeichnet. Maimon: Tagungen, S. 82.
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3 Anfänge einer politischen Organisation?
standardisierenden Handlungsweisen, deuten auf eine evolutionäre Entstehung einer Organisation.
4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation Kann man in der Zeit zwischen 1509 und 1517 eine fast kontinuierliche jüdische Anstrengung für die Stabilisierung ihrer rechtlichen Lage beobachten, so findet man in den folgenden drei Jahren so gut wie keine Hinweise auf überregionale politische Aktivitäten der Juden. Dabei blieb die rechtliche Situation der Juden in einigen Städten instabil und Vertreibungsgefahren bestanden trotz des Schutzprivilegs von 1514 weiterhin. Allerdings standen jüdische Themen nicht mehr im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit, denn zwei Entwicklungen von ‚internationaler‘ Bedeutung dominierten die Politik im Reich. Zum einen löste der Tod Maximilians I. einen Wettbewerb um die Nachfolge aus, bei dem Thronansprüche aus Spanien, Frankreich, England und Sachsen erhoben wurden.¹ Wer sich nicht mit dem ‚Kampf der Dynastien‘ (Schorn-Schütte) beschäftigte, befasste sich zum anderen mit der ‚Häresie‘ Martin Luthers und der im Entstehen begriffenen Reformationsbewegung. In gewisser Weise markieren beide Ereignisse – Reformation und Kaiserwahl – einen Machtwechsel im Reich. Während die Wahl Karls I. von Spanien zum römisch-deutschen Kaiser den Personenwechsel an der Spitze des Reiches anzeigte, stellte die Reformation die Vorherrschaft der katholischen Kirche infrage. Im Folgenden sollen beide Ereignisse auf die Frage hin untersucht werden, welche unmittelbare Bedeutung sie für die Geschichte der Juden im Reich hatten.
4.1 Der Machtwechsel im Reich Während die kurze Periode zwischen dem Tod Kaiser Maximilians I. und der Krönung seines Enkels Karl V. eine nur vorübergehende Instabilität im Reich verursachte, waren die Auswirkungen der Reformation von epochaler und nachhaltiger Bedeutung. Aus diesem Grund gilt es, die Ereignisse, die in der Zeit der Vakanz auf dem Thron stattfanden, einerseits als punktuell, andererseits in ihrer unmittelbaren Bedeutung für das jüdische Leben im Reich zu betrachten.
Siehe dazu Herrmann Wiesflecker: Kaiser Maximilian I., das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. 5, Der Kaiser und seine Umwelt. Hof, Staat,Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, München 1986, S. 445 – 447; Außerdem Karl Brandi: Die Wahl Karls V., in: Nachrichten v. d. Gesellschaft. d. Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1926, S. 109 – 133; Alfred Kohler: Karl V. 1500 – 1558. Eine Biographie, München 1999, S. 65 – 74 und Louise SchornSchütte: Karl V. Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 2000, S. 32– 39. https://doi.org/10.1515/9783110723533-007
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4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation
Dahingegen übte die Reformation zunächst nur indirekt einen Einfluss auf die Reichsjuden aus, während sie langfristige Umwälzungen sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft bewirkte. Da sie aber auf die Dauer einen politischen und sozialen Unsicherheitsfaktor auch für die Juden darstellte und zudem noch vor dem Tod Maximilians I. einsetzte, soll sie hier zuerst behandelt werden.
4.1.1 Die beginnende Reformation – Chancen für einen Neuanfang christlich-jüdischer Beziehungen? Eine Übersicht über die gesamte Epoche der Reformation ist mit dem Fokus der Arbeit auf die Entwicklung der jüdischen Organisation und der jüdischen Politik nicht vereinbar. Daher soll dieser Abschnitt die erste Phase der Reformation von den Anfängen der Bewegung um Martin Luther bis zu deren ersten politischen und theologischen Konsolidierung behandeln. Als Endpunkt wurde 1529 gewählt, weil bis zu diesem Jahr die meisten programmatischen Schriften bereits veröffentlicht waren² und der Protestantismus als eine geschlossene Einheit auf politischer Ebene – nämlich durch den Akt der Protestation der Fürsten auf dem Speyerer Reichstag – symbolisch in Erscheinung trat. Schließlich vollzog sich in diesem Jahr die Trennung des Luthertums von den reformierten Lehren Huldrych Zwinglis nach dem Marburger Religionsgespräch, sodass nach außen hin auch eine einheitliche Theologie vertreten werden konnte. Der vorläufige Abschluss dieses Prozesses, die Verabschiedung der ‚Confessio Augustana‘, wird an dieser Stelle außen vor gelassen, weil der Reichstag von Augsburg von 1530 für die Juden den Beginn einer neuen Etappe ihrer Organisation auf Reichsebene markiert. Die ersten Jahre der Reformation brachten eine gewisse Erleichterung für die Juden im Reich.Waren die Bücher und Rechte der Juden im Zentrum der ReuchlinKontroverse, welche die Gelehrten- und obrigkeitliche Öffentlichkeit fast ein ganzes Jahrzehnt gefesselt hatte, so geriet nun diese Angelegenheit durch den Streit um Martin Luthers Thesen und Lehre fast in Vergessenheit. Die ‚causa Lutheri‘, die durch einen wirksamen Einsatz von Flugschriften und -blättern zu einem medialen Ereignis und zum dominantesten Thema der Reichspolitik wurde³,
Gemeint sind Schriften Luthers wie An den christlichen Adel deutscher Nation (1520); Von der Freiheit eines Christenmenschen (1521); Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei (1523); Der große und kleine Katechismus (1529). Zur Reformation als Medienereignis, Flugschriftenpublizistik und ‚reformatorischen Öffentlichkeit‘ siehe z. B. Köhler (Hrsg.): Flugschriften; Rainer Wohlfeil: Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation, München 1982; Berndt Hamm: Die Reformation als Medi-
4.1 Der Machtwechsel im Reich
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löste die ‚causa Reuchlini‘ auf. Der dadurch entfachte innerchristliche Streit verdrängte die ‚Judenfrage‘ weitgehend aus der öffentlichen Aufmerksamkeit.⁴ Die ‚Judenfrage‘ war aber nicht gänzlich von der Tagesordnung verschwunden. Der zentrale Stellenwert, den Luther und seine Mitstreiter dem Alten Testament und der hebräischen Sprache beimaßen, wurde von ihren Gegnern als Beweis dafür genutzt, dass sie den reinen christlichen Glauben mit jüdischen Elementen oder Einflüssen verunreinigt hätten. Allerdings wurde der Vorwurf des ‚Judaisierens‘, wie es zeitgenössisch genannt wurde, nicht nur von Seiten der Katholiken erhoben, sondern auch von Vertretern der neuen Lehre selbst. So wurde die übereifrige Einhaltung von Gesetzen der Kirche mit der strikten Gesetzbefolgung der Juden verglichen und als ‚judaisierend‘ diffamiert.⁵ Reformatoren nutzten dieses Kampfwort nicht nur, um ihre Gegner zu brüskieren, sondern auch gegen eigene Parteigänger. So wurde Philipp Melanchthon vom Wittenberger Reformator Andreas Karlstadt oft als ‚Judaisierer‘ denunziert, weil er angeblich seine theologischen Erkenntnisse direkt von Moses zu folgern versuchte.⁶ Neben dem Vorwurf des ‚Judaisierens‘ bestand auch die Beschuldigung, jemand sei ein ‚Judengönner‘ oder ein ‚Patron der Juden‘, ein Vorwurf, der auch Johannes Reuchlin gemacht wurde. Dies galt nun auch für Luther, der von seinen Gegnern, den ‚Papisten‘, oft als Judenförderer beschimpft wurde. Andere Reformatoren wie Andreas Osiander und Johannes Böschenstein mussten darüber hinaus gegen verleumderische Gerüchte kämpfen, sie seien in Wirklichkeit getaufte Juden.⁷ Diese Verdächtigungen zielten, wie die des ‚Judaisierens‘, darauf ab, die Lehren oder die Handlungen der bezichtigten Personen zu diskreditieren. enereignis, in: Jahrbuch für biblische Theologie 11 (1996), S. 137– 166; Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517– 1617, Stuttgart 2002. Eine große Ausnahme bildeten die Flugschriften im Zusammenhang mit der Vertreibung der Juden aus Regensburg 1519, auf die im folgenden Unterkapitel (4.1.2) zurückzukommen sein wird. Siehe dazu Heiko A. Obermann: Zwischen Agitation und Reformation. Die Flugschriften als „Judenspiegel“, in: Köhler (Hrsg.): Flugschriften, S. 269 – 289, hier S. 277– 281. Vgl. Louis Israel Newman: Jewish Influence on Christian Reform Movements, New York 1925, S. 1– 4 und 617– 620 sowie die Literaturhinweise in: Miriam Bodian: The Reformation and the Jews, in: Jeremy Cohen / Moshe Rosman (Hrsg.): Rethinking European Jewish History, Oxford– Portland 2009, S. 112– 132, hier S. 112 f., Anm. 3. Vgl. Andreas Osiander: Gesamtausgabe (OGA), Bd. 1, Schriften und Briefe 1522 bis März 1525, hrsg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß, Gütersloh 1975, S. 67– 76. Siehe z. B. die Verteidigungsschrift Böschensteins: Johannes Böschenstein: Ain diemietige versprechung durch Johann Böschenstain, geborn von christenlichen oeltern, auß der stat Eßlingen, wider etlich, die von im sagen, er seye von jüdischen stammen und nit von gebornnen christen herkommen… OGA 1, S. 69. Zu dieser Thematik siehe auch Gustav Bauch: Die Einführung des Hebräischen in Wittenberg, in: MGWJ 48 (1904), S. 22– 32, 77– 86, 145 – 160, 214– 223, 283 – 299,
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4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation
Interessanterweise existierte auch auf jüdischer Seite eine ähnliche Vorstellung von der Reformation als ein Werk der ‚Judaisierung‘. Samuel Usque, ein portugiesischer Marrane, der nach der Vertreibung von der Iberischen Halbinsel zum Judentum zurückgekehrt war, schrieb die Reformation jüdischen Konvertiten zu: Viele Nachkommen dieser Krypto-Juden fühlen sich sehr unbequem in dem Glauben, den ihre Väter so widerwillig annehmen mußten. Es wäre nicht undenkbar, daß aus ihrer Mitte die Lutheraner hervorkamen, die sich nun überall in der Christenheit vermehren. Da im ganzen Bereich der Christenheit Juden gezwungen worden waren, ihren Glauben zu wechseln, scheint es wie göttliche Vergeltung, daß Juden nun mit Waffen zurückschlagen, die man ihnen aufgedrängt hat.⁸
Mit dieser Interpretation verschrieb sich Usque der sogenannten ‚Rache-Erlösung‘. Dabei wurde die Reformation als eine göttliche Strafe derer angesehen, die das jüdische Volk so lange verfolgt hatten. Die innerchristlichen Streitigkeiten und vor allem die daraus entstandene Spaltung der Christenheit schienen Usque und anderen Juden das nahende Ende der christlichen Religion und die Erlösung des jüdischen Volkes vom Joch der Völker zu verkünden.⁹ Die Reformation wurde aber auch unter positiven Gesichtspunkten als ein Vorzeichen für das nahende messianische Zeitalter interpretiert. Dabei waren reformatorische Neuerungen wie das Bilderverbot oder die Abschaffung des Mönchtums und des Zölibats von symbolhaftem Charakter für die Juden, denn sie
328 – 340 und 461– 490, hier besonders S. 152– 160 und 214 ff. sowie Otto Kluge: Die hebräische Sprachwissenschaft in Deutschland im Zeitalter des Humanismus, in: ZGJD 3 (1931), S. 81– 97, 180 – 193; 4 (1932), S. 100 – 129, hier besonders S. 84 ff. und 180 ff. Samuel Usque: Consolation for the Tribulations of Israel, übersetzt aus dem Portugiesischen von A.M. Cohen, Philadelphia 1965, Dialog III, Nr. 20, S. 193, zit. nach Pinchas E. Lapide: Stimmen jüdischer Zeitgenossen zu Martin Luther, in: Heinz Kremers (Hrsg.): Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderungen, Neukirchen 1985, S. 171– 185, hier S. 178. Vgl. Stefan Schreiner: Jüdische Reaktionen auf die Reformation – einige Anmerkungen, in: Judaica. Beiträge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart, 39 (1983), H. 3, S. 150 – 165, hier S. 152. Derartige Deutungen, welche die Ereignisse ihrer Zeit mit messianischen Erwartungen verknüpften, waren unter jüdischen Vertriebenen von der Iberischen Halbinsel verbreitet, die oft eine Parallele zwischen ihrem Trauma und dem Exil aus dem Heiligen Land zogen.Vgl. dazu Yosef Hayim Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin 1988, S. 69 f; Hayim Hillel Ben-Sasson: The Reformation in Contemporary Jewish Eyes, in: Proceedings of the Israel Academy of Sciences and Humanities 4 (1969/70), S. 239 – 326, hier S. 255 f. und 260 – 264.
4.1 Der Machtwechsel im Reich
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brachten das „Christentum und [das] Judentum einander geistlich näher“.¹⁰ Diese Interpretation der Geschehnisse festigte sich nicht zuletzt wegen des Interesses christlicher Hebraisten für die hebräische Sprache, die hebräische Bibel und die rabbinische Literatur, das zu einem regen Austausch zwischen christlichen und jüdischen Gelehrten führte.¹¹ Bei den Juden müssten dabei der freundschaftliche Umgang und der freundliche Ton, mit denen ihnen nun begegnet wurde, zumindest die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer rechtlichen und sozialen Lage geweckt haben. Eine solche positive Stimmung unter den Juden muss spätestens mit dem Erscheinen von Luthers Schrift Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei ¹² (1523) eingetreten sein, denn damit vertrat kein anderer als der ‚Verursacher der Reformation’ eine für die Zeit außergewöhnlich judenfreundliche Position. Seine wohlwollenden Empfehlungen betrafen nicht nur einen gefälligen Umgang mit den Juden, ohne Hochmut und Verachtung, sondern enthielten auch das Verbot, Gewalt gegen sie anzuwenden oder Lügen über sie zu verbreiten. Angesichts der Verdrängung der Juden aus vielen Berufen und Erwerbsmöglichkeiten dürfte vor allem Luthers Appell, man solle den Juden nicht mehr verbieten, untter uns tzu arbeyten, hantieren und andere menschliche gemeynschafft tzu haben ¹³, auf große jüdische Zustimmung gestoßen sein. Während die meisten positiven jüdischen Stimmen von außerhalb des Reiches kamen, war die Haltung der Juden im Reich verhalten und abwartend. Dies hing sehr wahrscheinlich mit der großen Unsicherheit zusammen, die die Reformation mit sich brachte. Die alte Kirche vermochte im Mittelalter vielleicht
Vgl. Pinchas E. Lapide: Stimmen jüdischer Zeitgenossen zu Martin Luther, in: Kremers (Hrsg.): Die Juden und Luther, S. 171– 185, bes. S. 175 – 179 und hier S. 177; Schreiner: Jüdische Reaktionen, S. 150 – 154; Abraham David: The Lutheran Reformation in Sixteenth-Century Jewish Historiography, in: Jewish Studies Quarterly 10,2 (2003), S. 123 – 139; Ben-Sasson: Reformation in Jewish Eyes, S. 255. Vgl. ebd. S. 265. Zum Kontakt zwischen verschiedenen Reformatoren und jüdischen Gelehrten siehe Stefan Schreiner: Was Luther vom Judentum wissen konnte, in: Kremers (Hrsg.): Die Juden und Martin Luther, S. 58 – 71; zu Thomas Müntzer: ebd. S, 59, 61 f. und 66 f.; zu Andreas Osiander: ebd. S. 68 f. und Gerhard Philipp Wolf: Osiander und die Juden im Kontext seiner Theologie, in: Zeitschrift für bayrische Kirchengeschichte 53 (1984), S. 49 – 77, hier S. 50 – 57; zu Martin Bucer: R. Gerald Hobbs: Bucer, the Jews, and Judaism, in: Dean Phillip Bell / Stephen G. Burnett (Hrsg.): Jews, Judaism, and the Reformation in Sixteenth-Century Germany, Leiden – Boston 2006, S. 137– 169, hier S. 141– 154; zu Wolfgang Capito sowie anderen Straßburger Reformatoren: Kaplan: Beyond Expulsion, S. 122 – 135. Martin Luther: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 11, Weimar 1900 (im Folgenden werden Bände aus dieser Reihe als WA [Weimarer Ausgabe] abgekürzt), S. 314– 336. Ebd. S. 336.
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4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation
nicht immer und auch nicht vollständig, die Juden zu beschützen; ihre Lehre ließ aber auch keine Ausrottung der Juden zu. Die Juden erfüllten in der katholischen Theologie die Funktion der geduldeten Sünder: Einerseits trugen sie die Schuld am Tod Jesu, weshalb sie von der Erwählung Gottes ausgeschlossen worden und zu ewiger Knechtschaft verdammt waren; andererseits waren sie zu dulden, weil ihre Anwesenheit als Knechte unter den Christen die Wahrheit des christlichen Glaubens bezeugte. Im Gegensatz zu dieser Position der ‚Papstkirche‘ kann auf lutherischer Seite keine einheitliche theologische Position zur ‚Judenfrage‘ in der Frühphase der Reformation festgestellt werden. Die erste bekannte Stellungnahme war die bereits genannte Schrift Luthers von 1523. Allerdings endete Luthers Schrift nicht mit einer endgültigen Antwort über den richtigen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit den Juden, sondern mit der Absichtserklärung: Hie will ich’s diesmal lassen bleiben, bis ich sehe, was ich gewirkt habe. ¹⁴ Eine vorübergehende Antwort lieferte das Werk dennoch, und zwar über die richtige Art der Auseinandersetzung mit den Juden bei religiösen Gesprächen. In der Folge von Luthers erster ‚Judenschrift‘ begann tatsächlich eine publizistische Beschäftigung der Reformation mit dem Judentum, aber nicht mit den Juden selbst. Eine Reihe von Schriften mit missionarischer Absicht wurden veröffentlicht, in denen fiktive Gespräche mit Juden über Religionsinhalte inszeniert wurden.¹⁵ Die Schriften achteten auf einen freundschaftlichen Ton und auf eine Beweisführung, die ausschließlich die Heilige Schrift als Quelle verwendete. Die Juden, die in diesen reformatorischen Druckwerken vorkamen, wurden zwar nicht angefeindet, sie wurden jedoch auch nicht in einem positiven Licht dargestellt. Diese freundschaftliche Haltung gegenüber Juden im reformatorischen Schrifttum soll zwar nicht lange angehalten haben, war allerdings charakteristisch für die Frühphase des Luthertums. Es kann aber keineswegs behauptet werden, dass die Reformation in den ersten Jahren gar keinen Einfluss auf die Lage der Juden im Reich ausübte. Der ‚große Bauernkrieg‘¹⁶ (1524‒26) ist zumindest insofern als ein Produkt der Re-
WA 11, S. 336. Vgl. v. a. Thomas Kaufmann: Das Judentum in der frühreformatorischen Flugschriftenpublizistik, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 95 (1998), S. 429 – 461, hier S. 429. Beispiele für solche Flugschriften liefert z. B. Otto Clemen (Hrsg.): Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, Bd. 1, Halle a. S. 1907. Wichtige Überblicks- und Darstellungswerke zum Bauernkrieg sind Günther Franz: Der deutsche Bauernkrieg, 12. Aufl., Darmstadt 1984; Ders. (Ed.): Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges [ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 2], München 1963; Peter Blickle: Die Revolution von 1525, 2. neu bearb.
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formation anzusehen, als er ein Versuch der politischen Umsetzung reformatorischen Gedankenguts war. Auch wenn in dieser Epoche Bauernaufstände keine Seltenheit waren, wären die Forderungen in den ‚Zwölf Artikeln‘ der Bauern ohne die Reformation undenkbar.¹⁷ So verhielt es sich beispielsweise bei dem Anspruch, den eigenen Pfarrer wählen zu können, der dann das hailig Euangeli lauter vn[d] klar predigen one allen menschliche[n] zusatz, leer vnd gebot. ¹⁸ Vor allem aber bestand die Verbindung der Forderungen der Bauern zur Reformation in der Übernahme von Luthers Prinzip der ‚sola scriptura‘, das einen sehr prominenten Stellenwert in den Manifesten der Bauern erlangte. So machten sie in den ‚Zwölf Artikeln‘ deutlich, dass sie bereit seien, jede ihrer Forderungen zurückzunehmen, wenn ihnen aus der Heiligen Schrift gezeigt würde, dass ainer oder mer Artickel, alßhie gesteldt, [..] dem wort Gotes nicht gemeß [..] weren. ¹⁹ Die Juden betrafen v. a. die Forderungen nach der Tilgung von Schulden und der Begrenzung von Zinsen. Nachteilig für sie war auch eine weitverbreitete antijüdische Stimmung in der Bauernschaft und unter deren Anführern. Dies war etwa der Fall bei Balthasar Hubmeier, der mit seinen Predigten den Hass auf die Juden in Regensburg befeuerte und maßgeblich an der Vertreibung von 1519 beteiligt war; ähnlich verhielt es sich mit Johannes Teuschlein, der für die Ausweisung der Juden aus Rothenburg mit verantwortlich war.²⁰ Unter diesen Bedingungen überrascht es kaum, dass sowohl die Konfiszierung jüdischer Besitztümer und die Beschränkung jüdischer Handels- und Leihrechte als auch die Vertreibung der Juden sowie die Verweigerung einer künftigen Wiederaufnahme gefordert wurden.²¹ Die antijüdische Stimmung unter den Bauern kann nicht oder nicht allein mit theologischen und/oder politischen Positionen der Reformation erklärt werden, zumal sich Martin Luther und Philipp Melanchthon – um nur zwei der wichtigsten
und erw. Auflage, München 1981; Ders.: Der Bauernkrieg. Die Revolution des gemeinen Mannes, 4. aktualisierte und überarb. Auflage, München 2012 und Adolf Laube / Hans Werner Seiffert (Ed.): Flugschriften der Bauernkriegszeit, Berlin 1975. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 138 f. und die dort aufgeführte Literatur (Anm. 223). Dye Grundtlichen Vnd rechten haupt Artickel aller Baurschafft vnnd Hyndersessen der Gaistlichen vn[d] Weltlichen oberkayten, von wölchen sy sich beschwert vermainen, Augsburg 1525 [VD 16 G 3540] (im Folgenden als Die Zwölf Artikel der Bauern), hier Artikel 1, Bl. A3r. Ebd. Beschluss, Bl. B1vf. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 144 und Alfred Stern: Die Juden im großen deutschen Bauernkrieg 1525, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 8 (1870), S. 57– 72, hier S. 61 f. So z. B. im Bistum Basel und im Rheingau. Franz: Quellen, Nr. 88, S. 264, Nr. 147, S. 450 und Nr. 149, S. 455. Vgl. auch Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 144 f.
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Reformatoren zu nennen – öffentlich gegen die ‚Rebellion‘ der Bauern äußerten.²² Dennoch bereitete die Reformation den geistigen Boden für diesen ‚revolutionären‘ Krieg vor und beeinflusste somit die politische Situation der Juden im Reich. Gleichzeitig aber konnten sich die Entwicklungen in der Folge der Reformation auch als vorteilhaft für die Juden erweisen. Gerade der von den Bauern so zentral gehaltene Grundsatz der ‚sola scriptura‘ bot den Juden die Möglichkeit, judenfeindlichen Forderungen zu entgegnen. So konnte Josel von Rosheim mithilfe des Alten Testaments die Vorwürfe der Bauern entkräften, als er mit dem Bauernhaufen vor seiner Stadt Rosheim verhandelte. In seinem Bericht beschreibt Josel die Ereignisse folgendermaßen: Ich ging zu [den Bauern] … bei Altdorf und sprach ihnen ins Herz mit dem Buch [=Alten Testament], damit sie den Feldherren ihrer Kräfte den Befehl geben, zu verkünden, dass man die Juden nicht angreifen soll. Und sie schrieben auch viele Geleitbriefe für jede Stadt und Region…²³
Darüber hinaus gewährten viele Städte, welche die Reformation in ihren Bereich einführten, den Juden Schutz vor den aufgebrachten Bauern und ließen keine Angriffe auf jüdisches Gut oder Leben zu.²⁴ Die frühreformatorische Politik gegenüber Juden blieb dennoch für lange Zeit weder einheitlich noch geradlinig bei der Beantwortung der Frage nach den Bedingungen für die Duldung der Juden in lutherischen Territorien.²⁵ Der langfristigere Einfluss der Reformation auf die Situation der Juden und der jüdischen Politik im Reich war stattdessen die neugeschaffene Konstellation in der Reichspolitik, welche die Reformation bewirkte. Bestand ohnehin eine Verzah-
Am bekanntesten ist das Werk von Martin Luther: Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern, 1525, in: WA XVIII, S. 344– 361. Außerdem Philipp Melanchthon: Ein Schrift Philippi Melanchthon wider die Artikel der Bauerschaft, in: Franz: Quellen, Nr. 44, S. 179 – 188. Zit. nach der Edition bei Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 317 f. und abgeglichen mit der hebräischen Version der gleichen Quelle bei Ders. (Hrsg.): Rabi Joseph of Rosheim. Historical Writings (hebr.), Jerusalem 1996, S. 289 f. Vgl. auch das Schreiben Josels an den Rat zu Hagenau von einem späteren, unbekannten Datum – gedruckt in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beilage 30, S. 207– 211, hier besonders Art. Nr. 6, S. 209 f. Vgl. ebd. 140 f. Siehe auch den Aufsatz von Debra Kaplan: Entangled Negotiations. Josel of Rosheim and the Peasants’ Rebellion of 1525, in: AJS Review 40,1 (2016), S. 125 – 143. In diesem Zusammenhang weist Thomas Kaufmann auf den Umstand hin, dass es in der protestantischen Judenpolitik mehr „Schwankungen und Kurskorrekturen als früher oder in altgläubig gebliebenen Gebieten“ gab. Thomas Kaufmann: Luthers „Judenschriften“ in ihren historischen Kontexten, Göttingen 2005, in: Göttinger Nachrichten 2005, S. 479 – 586, hier S. 503.
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nung von Religion und Politik in der Frühen Neuzeit²⁶, so wurde nun der theologische Streit zu einem regelrechten Politikum. Die sich dabei herausbildenden religionspolitischen Lager stellten die Juden im Reich langfristig vor eine große politische Herausforderung. Eine weit unmittelbarere Wirkung auf ihre politische Organisation und auf ihre Lage hatten hingegen das Ableben Kaiser Maximilians I. und die Krönung des neuen römisch-deutschen Kaisers Karl V.
4.1.2 Interim und Kaiserwahl – zwischen kolossalem Scheitern und ultimativem Erfolg jüdischer Politik Mit dem Tod Maximilians I. am 12. Januar 1519 trat ein Fall von Vakanz im Kaiseramt ein. Bis zur Wahl Karls I. von Spanien zum Reichsoberhaupt am 28. Juni 1519 vergingen fünf Monate; bis zur Krönung am 23. Oktober 1520 waren es weitere 16 Monate. Es dauerte also insgesamt 21 Monate, bis ein neuer Kaiser auf den Thron saß. Aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses der Juden vom Kaiser bedeutete dies eine Periode von knapp zwei Jahren ohne kaiserlichen Schutz.²⁷ In der Tat brachte das Interregnum horrende Folgen für einige jüdische Gemeinden mit sich. Die Stadt Regensburg nutzte die Vakanz aus und wies die jüdische Gemeinde an, die Stadt innerhalb einer Woche zu verlassen.²⁸ Ihrem Beispiel folgten auch die Städte Weißenburg²⁹ und Rothenburg ob der Tauber, die ebenfalls kurze Fristen zur Umsetzung der Vertreibung anordneten.³⁰
Louise Schorn-Schütte: Konfessionskriege und europäische Expansion. Europa 1500 – 1648, München 2010, S. 67. Hinzu kam die Ungewissheit über das Schicksal der Juden unter dem neugewählten Monarchen, weil Karl von Habsburg in Burgund aufwuchs, wo keine Juden leben durften, und das spanische Reich erbte, das die Juden entweder vertrieben oder zur Konversion gezwungen hatte. Darauf verweist v. a. Selma Stern: Josel von Rosheim, S. 58. Vgl. Straus: Judengemeinde Regensburg; Ders. (Ed.): Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Juden in Regensburg [Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte, N.F. Bd. 18], München 1960; Wittmer: Jüdisches Leben; Peter Herde: Art. Regensburg, in: GJ III.2, S. 1178 – 1230; Wilhelm Volkert: Die spätmittelalterliche Judengemeinde in Regensburg, in: Dieter Henrich (Hrsg.): Albrecht Altdorfer und seine Zeit, Regensburg 1981, S. 123 – 149; Ders.: Die Regensburger Juden im Spätmittelalter und das Ende der Judengemeinde (1519), in: Edelgard E. DuBruck / Karl Heinz Göller (Hrsg.): Crossroads of Medieval Civilization: The City of Regensburg and Its Intellectual Milieu, Detroit 1984, S. 139 – 171. Zu Weißenburg siehe: Freudenthal: Dokumente; M. Stern: Weißenburg und Michael Toch: Art. Weißenburg in Bayern, in: GJ III.2, S. 1570 – 1574, hier S. 1571 f. Dazu siehe August Schnizlein: Zur Geschichte der Vertreibung der Juden aus Rothenburg o./ Tauber 1519/20, in: MGWJ 61 (1917), S. 263 – 284, der eine Vielzahl an Dokumenten wiedergibt; außerdem Breßlau: Rothenburg (1890), S. 1– 17; Michael H.Wehrmann: Die Rechtsstellung der
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Gerade das Beispiel Regensburg veranschaulicht die Schutzlosigkeit, der die Juden in der Interimszeit ausgesetzt waren.³¹ Die Regensburger Juden erlitten bereits im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts eine rapide Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Restriktive Bestimmungen des Rats, antijüdische Predigten, Ausschreitungen und Anklagen gegen die Juden sowie Rechtsstreitigkeiten mit der Stadt scheinen den Alltag bestimmt zu haben. Ab 1514 intensivierte die Stadt ihre Bestrebungen, die Vertreibung der Juden auf den Weg zu bringen.³² Allerdings war die jüdische Gemeinde gut organisiert und konnte die Bestrebungen des Regensburger Rats durch Bittgesuche an den Kaiser, der in Regensburg zugleich der Inhaber der Judenregale war, und an das Regiment in Innsbruck blockieren.³³ Als der Kaiser starb, nützte die Stadt die Gelegenheit sofort aus und befahl den Juden, die Stadt zu verlassen. Die Regensburger Judenschaft reagierte zwar sehr schnell und klagte die Unrechtmäßigkeit des Vorgangs zeitnah beim Regiment in Innsbruck an.³⁴ Die Intervention des Regiments blieb allerdings – wie später auch die des eingeschalteten Reichsvikars, Pfalzgraf Ludwig – unwirksam. Alle Befehle und Drohungen, die Regensburg nach der Vollendung der Ausweisung erhielt, wurden zurückgewiesen. Der Rat weigerte sich, die Vertreibung rückgängig zu machen und die Juden wiederaufzunehmen.³⁵
Rothenburger Judenschaft im Mittelalter (1180 – 1520). Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, Würzburg 1977, S. 214 f.; Ludwig Schnurrer: Die Vertreibung der Juden aus Rothenburg 1519/20, in: Geschichte und Kultur der Juden in Rothenburg o. d. T, hrsg. vom Bezirk Mittelfranken durch Andrea M. Kluxen / Julia Krieger [Fraconia Judaica, Bd. 7], Würzburg 2012, S. 47– 55 und Hans Jürgen Wunschel: Art. Rothenburg ob der Tauber, in: GJ III.2, S. 1252– 1276, hier S. 1262 f. Die Regensburger Judengemeinde war bei ihrer Vertreibung eine der größten im Reich. Laut zeitgenössischen Quellen wurden ca. 600 Juden aus der Stadt vertrieben. Wenninger: Man bedarf, S. 180 schätzt diese Zahl als zu hoch. Die Chronica newer Geschichten des Wilhelm Rem beziffert die Zahl der vertriebenen Juden hingegen auf 700 Mann. Vgl. Straus: Urkunden und Aktenstücke, Nr. 1056a. Allgemein über die Bedeutung der Regensburger Judenschaft siehe z. B. Carlebach: Between History and Myth, S. 41. Verlässliche aber unvollständige Daten über die Zufluchtsorte der vertriebenen Regensburger Juden bietet Herde: Regensburg, in: GJ III.2, S. 1202. Vgl. Straus: Judengemeinde Regensburg und Ders. (Ed.): Urkunden und Aktenstücke, wo sich eine sehr große Zahl von Regesten-Einträgen zwischen den Jahren 1514– 1519 befindet, die sich mit Streitsachen zwischen der Regensburger Judenschaft und dem Rat beschäftigen. Vgl. Einträge Nrr. 799 und 806 passim. Siehe dazu beispielsweise folgende Regesten bei Straus: Urkunden und Aktenstücke, Nrr. 843, 845, 852, 854, 864, 872, 879, 886 – 87, 905, 930, 941– 42, 946, 963 und 972. Bereits einen Tag nach der Verkündigung der Vertreibung (22. Februar 1519) gingen mehrere Schreiben der Juden an das Innsbrucker Regiment und dessen in Augsburg verweilenden Vertreter. Straus: Urkunden und Aktenstücke, Nrr. 1048 – 1052. Ebd. Nrr. 1053, 1058 – 1061, 1070 ff. u. a. Vgl. auch Herde: Regensburg, S. 1201.
4.1 Der Machtwechsel im Reich
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Da auch die Versuche der jüdischen Gemeinden in Weißenburg und Rothenburg gescheitert waren, die Vertreibungspläne ihrer städtischen Obrigkeiten zu vereiteln, kann ein strukturelles Defizit in der Rechtssicherheit der Juden in Zeiten der Thronvakanz konstatiert werden.³⁶ Erst als der neue Kaiser den Thron bestieg, konnten die Juden darauf hoffen, dass das ihnen angetane Unrecht wirksam rechtlich geahndet würde. Denn trotz aller Unterschiede zwischen den jeweiligen Vertreibungen³⁷ verliefen alle drei Fälle widerrechtlich. Aus diesem Grund mussten die drei Städte beim neuen Kaiser Rechenschaft ablegen und Strafgelder an den Kaiser sowie Entschädigungszahlungen an die Juden entrichten. Die Entschädigungen beinhalteten allerdings nicht das Recht auf eine Wiederkehr in die Stadt. So konnte Regensburg bei Karl V. nachträglich das Privileg de non tolerandis Judaeis erwirken.³⁸ Soweit ersichtlich, intervenierte die restliche Reichsjudenschaft nicht zugunsten der drei Gemeinden und blieb stattdessen in diesen Jahren inaktiv. Diese Tatenlosigkeit lässt sich wohl damit erklären, dass die gesammelte politische Erfahrung der Juden offensichtlich einerseits zu sehr an die jüdische Gemeinde in Frankfurt und andererseits in ihrer Ausrichtung an den Kaiser als Anlaufstelle gebunden war. Dennoch weckt die jüdische Untätigkeit den Eindruck, als ob die sich herausbildenden Strukturen jüdischer Zusammenarbeit in diesen Jahren bereits erodiert gewesen wären. Dass dies nicht der Fall war, kann dem Bericht Josels von Rosheim über die Krönung Karls V. entnommen werden, der die jüdischen Aktivitäten im Rahmen der Krönungszeremonie schildert:
Die vergeblichen Versuche des Regiments in Innsbruck und des Reichsvikars, des Pfalzgrafen Ludwig, die Vertreibung der Juden aus Regensburg zu unterbinden, weisen darauf hin. Dies soll nicht heißen, dass die Juden immer sicher waren, solange der Kaiser noch lebte. Noch 1517 erteilte Maximilian I. der Stadt Donauwörth das Recht, ihre Juden zu vertreiben. Vgl. Reinhard H. Seitz: Art. Donauwörth, in: GJ III.1, S. 237– 240, hier S. 239. In Rothenburg holte man rechtliche Gutachten ein, bevor man sich für die Vertreibung entschließen konnte. Um der Vertreibung eine Legitimation zu verschaffen, fälschte man Dokumente, die besagten, dass „die Juden selbst [..] die Entlassung aus der Stadt erbeten“ hätten. Auch gewährte man den Juden mehr Zeit bis zum Abzug und war bestrebt, ihnen die Abwicklung ihrer Geschäfte zu ermöglichen.Vgl.Wunschel: Rothenburg ob der Tauber, S. 1262 f. und ausführlicher Breßlau: Rothenburg (1890), S. 1– 7. In Weißenburg, wo man die Ausweisung ohne kaiserliche Bewilligung scheute, berief man sich auf die Pogromstimmung in der Stadt und nötigte die Familienoberhäupter der jüdischen Haushalte eine Urfehde zu schwören, in der sie um Erlaubnis baten, die Stadt zu verlassen. Vgl. Toch: Weißenburg in Bayern, S. 1572. Straus: Urkunden und Aktenstücke, Nr. 1113.
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Im Jahr 1520 wurde unser Herr, Kaiser Karl, zum König gekrönt. Ich kam zu ihm und zu seinen Dienern, um für unser Volk und unser Erbe zu bitten. Ich und der Mann, der mit mir war, erlangten umfassende Privilegien für ganz Aschkenas.³⁹
Josel von Rosheim, der zu jener Zeit der Vorsteher der unterelsässischen Juden war, vertrat die Reichsjuden also nicht allein. Er war in Begleitung eines anderen Juden, der vermutlich Vertreter einer anderen Judenschaft war. Ihr Erscheinen vor dem Kaiser war also koordiniert. Da es bei ihrer Vertretung darum ging, ein Schutzprivileg für alle Juden des Reichs zu erbitten, kann davon ausgegangen werden, dass es sich nicht um eine private Initiative handelte, sondern dass sie von der allgemeinen Reichsjudenschaft dazu beauftragt worden waren. Zudem befanden sich die freihaiden, gnad brief, priuilegien, alltherkumen vnd gut gewonhaiden, so [die Juden (A.S.)] von weilendt Ro. Kaisern Kunigen vnd in sunderhait Kayser Maximilian, […] erlangt vnd hergepracht haben ⁴⁰, nicht in privaten Händen, sondern wurden an einem gemeinsamen Ort aufbewahrt. Man benötigte daher eine Zustimmung bzw. einen Auftrag der Gemeinde(n), um von diesen Dokumenten Gebrauch zu machen. Die diplomatische Mission nach Aachen⁴¹ erscheint
Abschnitt 9 aus Josels Chronik, gedruckt in Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 315. Vgl. auch die Einleitung dazu in ebd. S. 127 f. Die deutsche Übersetzung von Stellen aus Josels Chronik berücksichtigt sowohl die englische als auch die hebräische Version der Edition von Fraenkel-Goldschmidt. Aschkenas ist die jüdische Bezeichnung für das mittelalterliche und frühneuzeitliche Deutschland (und Nordfrankreich). Privileg Karls V. für die Reichsjudenschaft vom 3. November 1520, in: HHStAW, RK, Reichsregisterbücher (RRegB), Bd. 31, Bll. 493v–494r. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 128, Anm. 189 weist auf eine Kopie des Dokuments im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stuttgart, A 56 U 6b) hin. Eine weitere beglaubigte Kopie befindet sich im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt (ISG, JA 863, Bl. 1). Ein Vergleich der Dokumente in Stuttgart und Frankfurt mit dem Entwurf in Wien (HHStAW, RK, RRegB, Bd. 31, Bll. 492– 495) zeigt allerdings enorme Unterschiede. Es handelt sich offensichtlich um zwei unterschiedliche Dokumente. Das in Wien aufbewahrte Konzept ist die Vorlage für das tatsächliche Privileg, das den Juden ausgehändigt wurde. Bei den in Frankfurt und Stuttgart sich befindenden Vidimus-Dokumenten handelt es sich um Abschriften eines Mandats Karls V. an alle Fürsten und Stände des Reichs, in dem das Reichsoberhaupt die Aufnahme der Reichsjudenschaft in seinen Schutz verkündigte und zur Achtung dieser Freiheiten ermahnte. Das Privileg wurde zwar ca. 10 Tage nach der Krönung (am 3. November 1520) in Köln entworfen, allerdings wird darin Aachen explizit als Ort des Gnadengesuchs und der Gnadenerteilung genannt: … als wir nach schickung des Allmechtigen gesetzt vnser Reichs Kunigcliche Crone in vnser vnd des heiligen Reichs Stuel vnd Stat Aachen jetzo loblichen vmphangen, haben vns darauf die gemain Judischait allenthalben im heiligen Reiche wonhafft vnd gesessen vnnser Cron knecht, durch ir gesanndten vndertheniglich vnd demuetigclichen anrueffen. HHStAW, RK, RRegB, Bd. 31, Bll. 492– 495.
4.1 Der Machtwechsel im Reich
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daher als das Resultat interkommunaler Zusammenarbeit der Juden im Reich und belegt den Fortbestand der jüdischen Zusammenschlüsse. Neben der Erwirkung des Privilegs veranlassten die jüdischen Gesandten auch die Ausstellung eines kaiserlichen Mandats an alle Fürsten, Stände und Städte des Reiches. Darin verkündete der römisch-deutsche Kaiser die Wiedereingliederung der Reichsjudenschaft in die kaiserliche Kammer, der die Juden nun (wieder) on mittel vnderwurffig vnd zugehorig sein. ⁴² Offensichtlich erkannten die Juden in der ‚Reaktivierung‘ der Institution der Kammerknechtschaft⁴³ ihre beste Option für einen umfassenden Schutz, ohne den sie doch vber vnd widder [ihrer (A.S.)] freiheit in viel beschwern vnd belaidiget vnd der massen gedrungen [werden], das den selben freiheiten zu appeuch(!) vnd nachteil vnd ir berurter judischeit zu mercklichen scheden gedeihe vnd reiche.
Angesichts dieser Bedrängnis könne nur der Kaiser sie bey obbermelten jren gegeben freyheitten vnnd prizilegien zuhanthaben vnd dawider nit beschwern zulassenn.⁴⁴
Der Vorgang der Bestätigung und Bekanntmachung der Privilegien bedeutete für die Juden zugleich die Überwindung der Unsicherheit des Interregnums und die Wiederherstellung der institutionellen Anbindung der Judenschaft an das Kaisertum. Ihnen kam dabei zugute, dass Karl V., der nur unter großem (finanziellen) Aufwand den Anspruch auf den Thron erlangt hatte⁴⁵, darauf bedacht war, die politischen Traditionen des Reichs fortzuführen. Aus diesem Grund bestätigte und erneuerte er alle Rechte, Gewohnheiten und das Altherkommen des Reichs und der Reichsmitglieder bei seiner Krönung. Es war aber nicht nur die Einstellung des jungen Monarchen, welche die diplomatische Mission der Juden erfolgreich machte. Vielmehr belegen die Ereig Mandat von Köln, 3. November 1520: ISG, JA 863, Bl. 1r-v. Neben der Unterschrift Karls V. befinden sich auch die Signaturen des Mainzer Erzbischofs und Reichskanzlers Albrecht II. und des Vizekanzlers Nikolaus Ziegler. Es sei hier darauf hinzuweisen, dass in keinem der Dokumente der Begriff der Kammerknechtschaft gebraucht wurde. Stattdessen wurden neue Formulierungen gewählt, um die unmittelbare Beziehung zwischen der Judenschaft und dem Kaisertum zu bezeichnen. So stellt sich die Frage, ob die Vermeidung des Begriffs einen Neuanfang im rechtlichen Verhältnis zwischen dem Kaiser und den Juden darstellte. Weiterführende Gedanken darüber finden sich bei Battenberg: Von der Kammerknechtschaft zum Judenregal. Mandat von Köln, 3. November 1520: ISG, JA 863, Bl. 1r-v. Siehe darüber den immer noch lesenswerten, allerdings sehr im nationalen Diskurs des beginnenden 20. Jahrhunderts befangenen Aufsatz von Brandi: Wahl Karls V., S. 112, Anm. 1.
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nisse in Aachen und Köln die jüdische Kenntnis der politischen Kultur im Reich. Die jüdischen Gesandten scheinen gewusst zu haben, dass ein neuer Herrscher anlässlich seiner Krönung alte Rechte und Freiheiten bestätigte. Allein schon ihre Partizipation an den Krönungsfeierlichkeiten war also von Bedeutung. Ihr Erfolg zeugt davon, dass sie sich zeremoniell korrekt (solenn ⁴⁶) zu verhalten wussten. Darüber hinaus stellten sie auch ihr Verständnis des Reichsrechts unter Beweis, indem sie die relevanten rechtlichen Dokumente vorweisen konnten, anhand derer sie ihre Freiheiten sichern und den kaiserlichen Schutz erlangen konnten. Nun muss der Erfolg der jüdischen Vertreter relativiert werden. Es fanden sich in Aachen und Köln unter den Bittstellern, deren Gesuche bewilligt wurden, auch einige Herrscher, die das Recht erwarben, die Juden in ihrem Herrschaftsbereich nicht mehr dulden zu müssen. Manche erlangten sogar die Erlaubnis, die Juden zu vertreiben. Zwar standen diese Vertreibungs- und Nichtduldungsrechte im Widerspruch zum Judenprivileg, das derartige Vertreibungen verbot. Im Rahmen einer Krönung befasste sich die kaiserliche Kanzlei aber nicht mit Rechts-, sondern mit Gnadenfragen. Juristische Komplikationen aus diesen Gratial-Akten waren daher ein Problem, das später in gerichtlichen Verhandlungen zu lösen war.⁴⁷ In Bezug auf die Reichsorganisation der Juden bleiben einige Fragen offen. Einerseits deuten ihr Auftreten als eine geschlossene Reichskörperschaft und die Berufung auf die gemeinsam erlangten Privilegien auf eine Kontinuität hin. In dieser Hinsicht schuf die Unterbrechung der Zusammenarbeit während des Interregnums offensichtlich keine unüberwindbaren Hürden für sie, sich im Vorfeld der Krönungsfestlichkeiten schnell und effektiv (wieder) zu organisieren. Andererseits waren die jüdischen Gesandten nach Aachen nicht die bekannten Vertreter aus den Jahren zuvor – z. B. Gompchin, Knebel oder Süßmann –, sondern eine Person, die bisher nur auf regionaler Ebene eine Rolle gespielt hatte, und eine weiter unbekannte Figur. Außerdem scheint die Aktion nicht von der jüdischen Gemeinde in Frankfurt ausgegangen zu sein, obwohl Frankfurt bis dahin das Zentrum aller Organisationsversuche bildete. In diesem Licht gesehen, erscheint das Auftreten der jüdischen Vertretung bei der Krönungszeremonie mehr von Brüchen als von einer Kontinuität der bisherigen politischen Zusammenschlüsse der Juden zu zeugen. Angesichts dieser Feststellung muss davon ausgegangen werden, dass es sich bei dieser Organisierung und Koordinierung der Zur Solennität in der Politik der Frühen Neuzeit siehe Harriet Rudolph: „Mit gewöhnlichen Solennitäten“. Politische Rituale und Zeremoniell im Alten Reich, in: Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal (Hrsg.): Lesebuch Altes Reich, München 2006, S. 67– 72. Dies zeigt beispielsweise der Prozess zwischen den elsässischen Juden und der Stadt Colmar. Kracauer: Procès.
4.2 Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation
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jüdischen Interessenvertretung um eine Art Fortführung der alten Strukturen ohne personelle Kontinuität handelt. Die Stabilität dieser (neu)geschaffenen Organisation muss zunächst als ungewiss angesehen werden, zumal zu jener Zeit noch nicht absehbar war, ob die Zusammenarbeit ein einmaliges Ereignis war und ob weitere Organisationsversuche überhaupt geplant waren. Diese Ungewissheit charakterisiert auch deswegen die nachfolgende Phase, weil der Kaiser, der sich als ein konstituierendes Element für die jüdischen Zusammenschlüsse erwies, bald darauf das Reich für eine lange Zeit verlassen sollte.
4.2 Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation Obwohl die lange Abwesenheit Karls V. aus dem Reich in den 1520er Jahren das Potenzial hatte, die politische Organisation der Juden in eine erneute Orientierungslosigkeit zu stürzen, sollte sich dieses Szenario nicht erfüllen. Bevor der Monarch seine kriegerischen Unternehmungen zur Umsetzung der Idee der Universalmonarchie⁴⁸ begann, führte er zwei ‚Amtshandlungen‘ durch, welche den Zustand der jüdischen Organisationsstrukturen mittelbar wie unmittelbar beeinflussen sollten. Die erste Bestimmung des Kaisers betraf die jüdische Selbstorganisation in ihrem Kern: die Ernennung eines Reichsrabbiners, der über alle Juden im Reich richten sollte. Die zweite Verfügung betraf die Regierbarkeit des Reichs während des kaiserlichen Fernbleibens und stand bereits in seiner Wahlkapitulation fest: die Errichtung eines Reichsregiments, das anstelle des Kaisers die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte.⁴⁹ Im Folgenden sollen die Auswirkungen dieser Verordnungen auf die Struktur und Aufstellung der politischen Organisation der Juden untersucht werden. Es
Vgl. z. B. Karl Brandi: Kaiser Karl V. Der Kaiser und sein Weltreich, München 19738, S. 102 ff.; Kohler: Karl V., S. 94– 100 und Franz Bosbach: Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der Frühen Neuzeit [Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 32], Göttingen 1988. Außerdem siehe: Ursula Czernin: Gattinara und die Italienpolitik Karls V. Grundlagen, Entwicklung und Scheitern eines politischen Programms, Frankfurt am Main 1993, S. 119 – 130. Dazu Gerd Kleinheyer: Die kaiserlichen Wahlkapitulationen [Quellen und Studien zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts, Reihe A: Studien, Bd. 1], Karlsruhe 1968, S. 49, der darauf hinweist, dass bereits Maximilian I. die Errichtung des Reichsregiments versprochen hatte. Außerdem Roll: Das zweite Reichsregiment, die den diplomatischen Erfolg des Kaisers, das Regiment nur während seiner Abwesenheit aus dem Reich bestehen zu lassen, hervorhebt. Ebd. S. 20, 22 und 170. Die Wahlkapitulation Karls V. vom 3. Juni 1519 findet sich in: August Kluckhohn (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 1], Göttingen 1962, Nr. 387, S. 864– 876, bes. Art. 4, S. 866.
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wird analysiert, wie die kaiserlichen Entscheidungen Impulse und Zwänge zur weiteren Selbstorganisation der jüdischen Repräsentation setzten. Anschließend soll kurz auf die Geschichte der Blutbeschuldigung von Pösing (Ungarn) eingegangen werden. Diese Gefahr betraf zwar die Juden im Reich nur mittelbar, sie veranlasste jedoch politisches Agieren seitens der Reichsjudenschaft und gab damit einen weiteren Impuls für die politische Organisation der Juden.
4.2.1 Der Reichsrabbiner – ein Test für den Zusammenhalt? Die Ernennung eines Reichsrabbiners durch Karl V. war keine Neuerung, sondern eine Erneuerung einer Praxis aus dem 15. Jahrhundert.⁵⁰ Bereits 1407 setzte König Ruprecht den Rabbi Israel von Rothenburg als vnser[..] vnd des richs iudischen hochmeyster über alle vnd igliche iudische hohemeistere ⁵¹ ein. Nach Israel von Rothenburg wurde 1418 Chajim Isaak aus Würzburg⁵² durch König Sigismund in dieses Amt berufen. 1435 ernannte Sigismund durch seinen Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg den Wormser Juden Anselm von Köln zum neuen Reichsrabbiner.⁵³ Auch unter Friedrich III. und Maximilian I. wurde Rabbinern der Titel eines jüdischen Hochmeisters urkundlich verliehen und bestätigt.⁵⁴ Der Aufgabenbereich des Reichsrabbiners war vielfältig. Er sollte zwar hauptsächlich die Eintreibung der Steuern unter den Juden organisieren und es wurde auch erwartet, dass er Bußgelder säumiger Juden einsammelte und dem
Dazu siehe Guggenheim: A suis paribus; Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 310 f.; Breuer / Guggenheim: Die jüdische Gemeinde, S. 2133; Yuval: Scholars, S. 160 f., 366, 396 f. und 425 f. Mandat König Ruprechts vom 3. Mai 1407, gedruckt in: Joseph Chmel (Ed.): Regesta chronologico-diplomatica Ruperti regis Romanorum. Auszug aus den im k. k. Archive zu Wien sich befindenden Reichsregistraturbüchern vom Jahre 1400 bis 1410, Frankfurt am Main 1834, Nr. 2306, S. 224 f., hier S. 225. Zur Identifizierung des jüdischen Hochmeisters Israel mit dem Rabbiner aus Rothenburg siehe Moritz Stern: König Ruprecht von der Pfalz in seinen Beziehungen zu den Juden. Ungedruckte Königsurkunden nebst ergänzenden Aktenstücken, Kiel 1898, S. XLIX. Vgl. Hatto Kallfelz: Art. Würzburg, in: GJ III.2, S. 1698 – 1711, hier S. 1703. Vgl. Moriz Stern: Der Wormser Reichsrabbiner Anselm, in: ZGJD N.F. 5 (1935), H. 2, S. 157– 168; Wolf: Zur Geschichte; Breuer / Guggenheim: Die jüdische Gemeinde, S. 2132. Unter Friedrich III. ist die Ernennung von Israel Bruna in Regensburg (vor 1468) bezeugt. Vgl. Herde: Regensburg, S. 1193 f. und Yuval: Scholars, S. 396 f. Später verlieh Friedrich den Titel Lewi von Völkermarkt in Nürnberg (1478 und nochmals 1486). Der Nachfolger am Thron, Maximilian I., bestätigte ihn 1490 in diesem Amt. Vgl. Michael Toch: Art. Nürnberg, in: GJ III.2, S. 1001– 1044, hier S. 1018.
4.2 Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation
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kaiserlichen Fiskal weiterreichte.⁵⁵ Im Unterschied zu anderen jüdischen Steuerboten bekam er aber auch die Befugnis, über alle vnd igliche iudische hohemeistere, Juden vnd Judynn in tutschen landen zu richten.⁵⁶ Damit sollte eine Instanz eingesetzt werden, die eine Zentralisierung der jüdischen Gerichtsbarkeit nach sich zu ziehen versprach. Obwohl auch hierbei finanzielle Erwägungen der Kaiser nicht fehlten⁵⁷, enthielt der Gedanke an ein solches jüdisches Amt auch ordnungspolitische Gesichtspunkte, die sehr zeittypisch waren. Die Errichtung des Amtes des Reichsrabbiners sollte eine klare hierarchische Struktur unter den Juden und damit eine der Struktur des Reichs äquivalente Ordnung schaffen. Von der Konzentration der Rechtsprechung bei einer Person, die als kaiserlicher Agent dienen sollte, versprach sich der Kaiser den Zugriff auf die unter verschiedenen Obrigkeiten lebenden Juden sowie auf innerjüdische Angelegenheiten. Schließlich ging es auch um die „Reformation der jüdischen Gerichtsbarkeit im Reich[, die in einer deplorablen Verfassung war,] und damit ganz besonders [um] die Entlastung der christlichen Gerichte“.⁵⁸ Auf jüdischer Seite war die Kreierung des Reichsrabbinats – zumindest in der Theorie – nicht von Nachteil. Mit dem neuen Amt hätte sich den Juden die Möglichkeit geöffnet, die vielen Streitigkeiten in Steuerfragen, die fast regelmäßig in den verschiedenen Gemeinden ausbrachen⁵⁹, zentral zu schlichten und beizulegen. Weit wichtiger erscheint aber, dass sie mit dem Reichsrabbiner eine vermittelnde Instanz zum Reichsoberhaupt erlangt hatten. Auch war es vorteilhaft für die Reichsjudenschaft, einen durch den Kaiser anerkannten und geförderten korporativen Charakter zu erlangen, zumal die Ernennungsurkunde explizit das jüdische Recht und dessen Geltungsbereich bekräftigte.⁶⁰ Ungeachtet dessen wurde die kaiserliche Einsetzung eines jüdischen Hochmeisters von Seiten der Juden nicht wohlwollend aufgenommen. Dem ersten Reichsrabbiner begegnete sogar eine regelrechte Rabbineropposition und, anstatt
Darauf verwiesen bereits Aufgebauer / Schubert: Königtum, S. 310. Vgl. das Mandat Ruprechts, in: Chmel: Regesta, S. 225. Ruprecht argumentiert in seiner Ernennungsurkunde für Israel von Rothenburg, dass durch die Verhängung von Strafen durch unterschiedliche Rabbiner vns vnd deme riche vnd sust andern vnsern vnd des richs kurfürsten, fürster, herren vnd stetten soliche zinse, rente vnd anders, daz sich gebüret, abegeen vnd gemynnert werden. Ebd. S. 224. Guggenheim: A suis paribus, S. 425. Siehe dazu Zimmer: Harmony, S. 66 f. Im Dokument heißt es konkret, dass der Reichsrabbiner berechtigt war, alle vnd igliche Juden vnd Judynn in tutschen landen […] fur sich zu heischen, zu laden vnd mit dem iudischen banne vnd rechten zu straffen, zu bannen, zu vrteilen vnd zu bussen, als iudisch recht innhalden vnd nach dem vnd ein iglicher nach vsswysunge iudischs rechten gebrochen hat, vnd von desselben rechten wegen zu straffen vnd zu bussen ist. Mandat Ruprechts, in: Chmel: Regesta, S. 225.
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dass die Zusammenarbeit befördert wurde, ergaben sich hieraus nur heftige Streitigkeiten. Im Zuge dieser Konflikte wurde sogar ein Bann gegen den Reichsrabbiner Israel von Rothenburg ausgesprochen, was wiederum Konflikte mit dem König verursachte.⁶¹ Über alle anderen Reichsrabbiner findet man bis auf die Ernennungsurkunde kaum überlieferte Quellen. Vor allem jüdische Quellen schweigen über ein mögliches Wirken eines Reichsrabbiners.⁶² Der Grund für die reservierte bis ablehnende Haltung der Juden gegenüber dieser Instanz kann in gewisser Weise mit der jeweiligen Person des Reichsrabbiners erklärt werden. So weiß man über den ersten ‚Amtsinhaber‘, dass er bereits einige Jahre zuvor Streitigkeiten mit einem Rabbiner in Nürnberg gehabt hatte. Wegen dieses Zwists musste die Judenschule in der Stadt geschlossen werden und Israel von dort wegziehen.⁶³ Ausschlaggebender für die mangelnde Akzeptanz der Reichsrabbiner scheinen aber innerjüdische Normen gewesen zu sein. So verboten viele Statuten der jüdischen Gemeinden die Ausübung eines Amtes, wenn dies durch Nichtjuden veranlasst wurde.⁶⁴ Nach diesem Prinzip hätte jeder Kandidat entweder zuerst die Einwilligung der restlichen Rabbiner ersuchen oder ganz auf die Stelle verzichten müssen. Außerdem waren viele Gemeinden und Rabbiner nicht bereit, auf ihre Autonomie und Gerichtsbarkeit zu verzichten. Als Karl V. im Dezember 1520 Rabbi Samuel von Worms zu ainem obersten Rabi [gemeiner Ju]dischhait ⁶⁵ im Reich und in den Habsburger Erblanden ernannte, bestand also angesichts des früheren Scheiterns Zweifel, ob der neue
Siehe Yuval: Scholars, S. 365 f.; Stern: König Ruprecht, S. LI ff.; Guggenheim: A suis paribus, S. 410 – 412. Vgl. z. B. M. Stern: Reichsrabbiner Anselm, S. 161. Der Gegner Israels in Nürnberg, Coppelmann, stand später an der Spitze des oppositionellen Lagers. Vgl. Stern: König Ruprecht, S. L. Vgl. Stern: König Ruprecht, S. L.; Guggenheim: A suis paribus, S. 406 f. und 410 f., Finkelstein: Self-Government, S. 60. Ernennungsurkunde Karls V. an Samuel von Worms vom 18. Dezember 1520: HHStAW, RK, kleinere Reichsstände, K 539, Bl. 12. Es handelt sich um eine Abschrift der Originalurkunde, welche die Juden Kaiser Ferdinand I. 1559 vorlegten, als sie um die Ernennung eines neuen Reichsrabbiners baten. Mehr über dieses Dokument siehe im Kap. 8.1. Diese Quelle wurde von der Forschung bislang für verschollen gehalten. Vgl. Wolf: Zur Geschichte, S. 161; Moriz Stern: Die Wormser Reichsrabbiner Samuel und Jakob 1521– 1574, Berlin 1937, S. 16. Das Dokument ist durch Wasserschäden und Schimmel schwer beschädigt und ist zum Teil unleserlich. Ein Vergleich der Abschrift von 1520 mit der Ernennungsurkunde Rabbi Jakobs von Worms zum Reichsrabbiner durch Ferdinand I. (vom 26. Juni 1559, gedruckt in: Stern: Die Reichsrabbiner, S. 15 f.) weist nur einige wenige orthographische Unterschiede und bis auf die Namen der privilegierten Rabbiner sowie Erstellungsort und Erstellungsdatum gar keine inhaltlichen Abweichungen auf. Somit können die unleserlichen Stellen durch eine Abgleichung beider Dokumente ergänzt werden.
4.2 Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation
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Einsetzungsversuch Aussichten auf Erfolg hatte. Dieses scheinbare Problem stellte sich dem jungen Monarchen offensichtlich nicht. Seine Entscheidung, das alte Amt des Reichsrabbiners wieder zu besetzen, war für ihn ein selbstverständliches Recht, das ihm qua Amt zustand: Wir Karl der fünft von Gottes genaden Erwelter Romischer Kaiser zu allen zeiten merer des reichs … Bekhenen als von weillendt vnnseren vorfarn am Reiche Romischen Kayssern vnnd Khunigen {uf uns kommen,} das gemain Judischait so im hailligen reich {wohnendt und geseß}en vnns als Romischen Kaisern vnd sonst {niemandt andern} vnderworfen vnd zugehörig ist, vnnd wir derselben {Jüdischheit einen} obersten Rabi, der von vns beuelch vnd gewalt {habe, gedachte Jüdischeit inn ihrer} Ordnung zuhalten, auch den Pan vnd ander gebot {nach Innhalt ihrer} gesetze zuthon vnd fürzunemen verordnen vnd {unnd setzen sollen und} mogen.⁶⁶
Es ist sehr auffallend, dass die Urkunde an keiner Stelle die Steuereintreibung als eine Aufgabe des Reichsrabbiners benennt, gehörte diese doch traditionellerweise zu den Kernkompetenzen dieses Amtes und gab vielen Obrigkeiten überhaupt den Antrieb, jüdische Hochmeister einzusetzen.⁶⁷ Tatsächlich übertrug Karl V. diese Kompetenzen an Samuel von Worms, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Im Mai 1521 beauftragte Karl V. Graf Felix zu Werdenberg und Heiligenberg damit, den ‚Goldenen Opferpfennig‘ einzuziehen und zu diesem Zweck einen General Raby vber all Raby, der obberirten Judischheyt im heiligen Reich [zu] kiesen vnd für[zu]nemen. ⁶⁸ Diese Vollmacht stand im kompletten Widerspruch zur erwähnten Ernennungsurkunde, da sie suggerierte, dass es noch keinen gewählten und eingesetzten Reichsrabbiner gab, obwohl Samuel von Worms bereits fünf Monate zuvor für dieses Amt bestimmt worden war. Die ‚doppelte Ernennung‘ des Reichsrabbiners kann wohl damit erklärt werden, dass die Regierung Karls V. die Steuereintreibung nicht ins Auge fasste, als sie Samuel von Worms ins Amt des Reichsrabbiners einsetzte. Diese fiskalische Angelegenheit wurde erst dann wichtig, als man daran interessiert war, den
HHStAW, RK, kleinere Reichsstände, K 539, Bl. 12. Die in geschweiften Klammern stehenden Teile markieren die aus der Urkunde Ferdinands I. von 1559 übernommenen Ergänzungen. Dies war nicht nur auf Reichs-, sondern auch auf lokaler und regionaler Ebene der Fall. Vgl. v. a. Guggenheim: A suis paribus, S. 416. Mandat vom 22. Mai 1521, gedruckt in: Johann Daniels von Olenschlager, Schöffens und des Raths zu Frankfurt: Neue Erläuterung der Guldenen Bulle Kaysers Carls des Iv. Aus den älteren Teutschen Geschichten und Gesezen zur Aufklärung des Staatsrechts mittlerer Zeiten als dem Grunde der heutigen Reichsverfassung, Frankfurt 1766, Urkunden Buch: Nr. XXXIII, S. 90 – 91. In der Forschung ging man bisher davon aus, dass diese Urkunde das einzige Ernennungsdokument Samuels von Worms zum Reichsrabbiner sei. Vgl. v. a. Stern: Die Reichsrabbiner, S. 1 f., dem die meisten Autoren folgten.
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‚Goldenen Opferpfennig‘ einzusammeln. Dabei war die Vorgehensweise der kaiserlichen Kanzlei alles andere als neu. Schon Kaiser Sigismund hatte seinen Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg damit beauftragt, das er von unser wegen und an unser stat Judische meister, die die Judischeit ire rabbi nennet, zu im nehmen,⁶⁹ damit dieser dafür sorgte, dass säumigen Juden ihre Steuern und Abgaben entrichteten. Karl V. wählte also die gleiche Vorgehensweise, die seine Vorgänger auch schon benutzt hatten. In diesem Lichte betrachtet darf die Vollmacht an Felix von Werdenberg nicht als Auftrag gesehen werden, einen weiteren Reichsrabbiner zu wählen oder gar den bereits ernannten zu bestätigen. Vielmehr ging es um die Übertragung einer weiteren Kompetenz an den schon ‚amtierenden‘ Reichsrabbiner. Angesichts dieses Vorgangs lässt sich fragen, ob die Wiederbelebung des Amts des Reichsrabbiners überhaupt eine kaiserliche Initiative war. Hätte Karl V. von Beginn an zugunsten seiner Finanzen gehandelt, hätte er die Komponente der Steuereintreibung in die Ernennungsurkunde hineingeschrieben.⁷⁰ Dasselbe gilt auch, wenn die kaiserlichen Kanzlei Pläne gehabt hätte, die Judenschaft im Reich zu strukturieren und als Reichskorporation zu kontrollieren. Wäre dies der Fall gewesen, hätte der fiskalische Aspekt nicht fehlen dürfen. Die nachträgliche Hinzufügung der Steuereintreibungskomponente lässt daher die Annahme zu, dass die Einsetzung Samuels von Worms als Reichsrabbiner eine jüdische Initiative war. Dafür spricht zum einen die Tatsache, dass die Juden mit dem Reichsrabbiner ein Bindeglied zum Kaiser etabliert und eine einende Instanz geschaffen hätten. Zum anderen hätten mit dem Reichsrabbiner auch die kurz zuvor erlangten korporativen Freiheiten und Rechte der Juden eine weitere offizielle Bestätigung erhalten. Schließlich gab es im Gegensatz zu früheren Reichsrabbinern keinen Widerstand gegen Samuel. In den mehr als 20 Jahren, in denen er das Reichsrabbineramt innehatte, sind stattdessen viele Fälle der Kooperation der Juden unter seiner Führung bekannt. Der erste Fall fand sogar kurze Zeit nach seiner Ernennung statt. So ist aus Frankfurt am Main eine Quelle überliefert, aus der man über Samuel von Worms’ erste ‚Amtshandlungen’ erfährt. In einer Briefkorrespondenz zwischen dem Trierer Erzbischof, Richard von Greiffenklau zu Vollrads, und dem Frankfurter Rat beschwerte sich der Kurfürst über Meier vnnd Isaac Judden vnnd
Vollmacht Kaiser Sigismunds an Konrad von Weinsberg vom 23. April 1434: Deutsche Reichstagsakten, Bd. 11: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigismund, fünfte Abteilung 1433 – 1435, hrsg. von Gustav Beckmann, Gotha 1898, Nr. 167, S. 309 f. Vgl. auch Stern: Anselm, S. 157. Dennoch ist es weiterhin die gängige Meinung der Forschung, dass „[t]he obvious motive for the appointment was to collect the infamous ‚Goldenen Opferpfennig‘“. Zimmer: Synods, S. 58.
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Rabbi zu franckfurt, die einen Bann gegen die Trierer Judenschaft ausgesprochen hätten.⁷¹ Der Erzbischof zeigte sich empört über diesen Vorgang, weil sy [=die Frankfurter Rabbiner (A.S.)] mit vnsern Judden vermug vnnser Regalien, nichts zuthun sullen haben. ⁷² Er verlangte, dass der Rat in Frankfurt die Rabbiner dazu anhalten sollte, den Bann aufzuheben. Der Rat forderte von den Rabbinern eine Erklärung für diese Angelegenheit. In ihrem Antwortschreiben berichteten diese, dass in verruckter Zit die Trierer sowie andere jüdische Gemeinden wie Frankfurt, Worms, Gelnhausen und sunst allenthalben die Judden vmb here eine Zusage an den obersten Rabi zw Wormbs gemacht hätten, etlicher soma gelts zu geben.⁷³ Nun hätten die Juden aus Trier ihr Versprechen nicht eingehalten, weshalb der oberste Rabbiner die Frankfurter Rabbiner und andere mher Judden angeregt, die trierschenn Judden, vmb ire […] vngehorsam nach Juddischer gewonheit in Banne zuthun. ⁷⁴ So wie es scheint, wurde der Streit beigelegt, nachdem die Trierer Juden bereit gewesen waren, die von ihnen zugesagten 88 Gulden abzüglich der Unkosten für Boten zu zahlen und die Frankfurter Rabbiner im Gegenzug den Bann aufgehoben hatten.⁷⁵ Aus diesem Vorfall lassen sich drei Erkenntnisse über den Reichsrabbiner im ersten Jahr seiner ‚Amtszeit‘ ziehen: Erstens war Samuel in der Lage, eine jüdische Versammlung einzuberufen und derart erfolgreich zu leiten, dass die teilnehmenden Gemeinden einen bindenden Beschluss fassen konnten. Zweitens agierte er nicht mit der vollen ihm durch das kaiserliche Privileg verliehenen Macht. Anstatt die Juden von Trier selbst mit dem Bann zu belegen, bat er um die Unterstützung anderer Rabbiner, allen voran der Frankfurter, damit die Disziplinarmaßnahme als eine gemeinschaftliche Sanktion der Gesamtjudenschaft ihre Wirkung entfalten konnte. Er setzte also auf Kooperation statt auf Befehlsgewalt und vermied dadurch Konflikte zwischen den jüdischen Gemeinden. Drittens erkannten die meisten Gemeinden offensichtlich die Autorität des Reichsrabbiners, indem sie sich an die Beschlüsse der von ihm geleiteten Versammlung hielten und seinen Bann gegen die Trierer Juden unterstützten. Der Reichsrabbiner war also in den Augen der Juden kein Agent des Kaisers, sondern eine jüdische Führungsfigur, und sein Amt war auch das erste offizielle Amt in der jüdischen Organisation. Die politische Repräsentation der Juden be-
Schreiben des Trierer Erzbischofs an den Frankfurter Rat vom 7. August 1521: ISG, JA 556, Bl. 1. Ebd. Es handelte sich dabei um eine Gabe, welche die Juden dem Kaiser überreichen wollten. Vgl. das Schreiben des Trierer Erzbischofs vom 28. August. Ebd. Bl. 4. Schreiben der Frankfurter Rabbiner Meyer und Isaak an den Erzbischof von Trier vom 11. August 1521, Ebd. Bl. 2. Vgl. Ebd. Bll. 4 und 5.
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gann somit Gestalt anzunehmen. Von enormer Bedeutung für die weitere Genese der Organisation war allerdings auch die obrigkeitliche Sicht auf den Reichsrabbiner. Die Eintreibung der kaiserlichen Sondersteuern ist ein Beispiel dafür; der Umgang des Reichsregiments mit den Juden und ihrem obersten Rabbiner stellt ein weiteres dar.
4.2.2 Das Reichsregiment Wie schon in der Zeit des Interregnums bestand auch kurz nach der Krönung Karls V. eine gewisse ‚Ungewissheit‘ über den Zustand und die Zukunft der jüdischen Organisation. Noch 1521 verließ der neugewählte König das Reich und sollte ihm fast ein ganzes Jahrzehnt fernbleiben. Da es während der vorherigen Vakanz zum Erliegen der Organisation der Juden gekommen war, war es zumindest vorstellbar, dass die erneute Abwesenheit des obersten Schutzherrn eine ähnliche Wirkung erzeugen würde. Nun war aber die Situation dadurch verändert, dass gerade für die Zeit, in der Karl V. aus dem Reich abwesend war, das Reichsregiment die Regierungsgeschäfte übernehmen sollte.⁷⁶ Da zudem der gesamte Supplikationsbereich in die Zuständigkeit des Reichsregiments fiel, bestand mit ihm eine zentrale Anlaufstelle für die Juden.⁷⁷ Aber nicht allein die Existenz des Reichsregiments und die Möglichkeit des Supplizierens waren für die Reichsorganisation der Juden von Bedeutung. Auch die Gesetzgebung, die die Juden betraf, beschränkte sich in den Jahren der Geschäftsführung durch das Reichsregiment zum großen Teil auf die Vorbereitung von Gesetzesentwürfen.⁷⁸ Daher ergaben sich in dieser Zeit kaum Anlässe für gemeinsames Vorgehen des jüdischen Zusammenschlüsses. Es gab allerdings einen Bereich, in dem das Reichsregiment die Juden immer wieder ins Visier nahm. In seinem Bestreben, die Kosten der (wieder)geschaffenen ‚Behörde‘ zu finanzieren, brachte das Reichsregiment die Juden als Steuerobjekt Über die tatsächlichen Befugnisse und Aufgabenbereiche des Reichsregiments sowie über die dem Kaiser vorbehaltenen Rechte siehe Roll: Reichsregiment, S. 119 – 159 und 176 – 187. Ebd. S. 137. Dies lässt sich aus der „Quellenarmut“ zur jüdischen Geschichte während der Reichstage der 1520er Jahre erschließen – damit sind nicht allein die Quelleneditionen zu den Reichstagsakten gemeint, sondern auch die entsprechenden Dokumente in den Beständen des Wiener Haus-, Hofund Staatsarchivs (Es handelt sich um folgende Bestände: Reichskanzlei (RK), Reichstagsakten (RTA), Nichtpermanenter Reichstag (NpR), Karton (K.) 1– 3; ebd. RK, Reichsakten in genere, K. 1– 4 und ebd. Mainzer Erzkanzlerarchiv (MEA), RTA, K. 3a, 3b und 4a bis 4d.). Eine Untersuchung des Verhältnisses der Juden zum Reichsregiment fehlt soweit ersichtlich gänzlich und kann hier nur im Ansatz vorgenommen werden.
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wiederholt ins Gespräch. Bereits während des Wormser Reichstags unterbereitete der kleine Ausschuss in einem Gutachten zur finanziellen Unterhaltung von Regiment und Kammergericht den Vorschlag, dass man mocht demselben zu steuer anfenklich ein hielf uf die Juden, so im reich sein, dermassen anschlahen, das sie von einem jeden haubt dits zwen Reinisch gulden geben. ⁷⁹ Gleichzeitig wurde aber ständig angemahnt, dass die zusätzlichen Abgaben der Juden nicht dazu führen dürften, das dadurch derselbigen Juden wucherlich und ander bose, verpotne hendel weiters nit verhengt oder zugelassen wurden. ⁸⁰ Da die Reglementierung und Einschränkung der „wücherlichen Contracte“ der Juden in allen Entwürfen der sich in Vorbereitung befindenden Reichspolizeiordnung enthalten war, hatten die Juden mit einer doppelten finanziellen Belastung in der kommenden Zeit zu rechnen. Die Beratungen über die Begrenzung des jüdischen Geldhandels und über die Besteuerung der Juden intensivierten sich während der Reichstage von Nürnberg 1522/23, als auch über die Erhebung einer Türkensteuer diskutiert wurde. Die Vorschläge des Reichsregiments wurden an den Kaiser geschickt, der in einem Brief vom 1. November 1522 seine Stellungnahme zu den Plänen abgab und gegen die Absichten des Regiments Einspruch erhob.⁸¹ Er betonte, dass alle Juden im heiligen reich unser kaiserlichenn kamer zugehörend [sind (A.S.)], und [es (A.S.)] sich auch deshalben nit gezimet, das dieselben Juden mit anschlegen unnd steur dann zw notturfft unnd nutz unser kaiserlichen kamer beschwert werden sollenn.⁸²
Er brachte auch einen zweiten Einwand vor, nämlich dass die Juden gemaincklich fast arm seien, um mit schwern anschlegen [..] beladen zu werden. Dieses nach Mitgefühl klingende Argument zielte allerdings nicht auf das Wohl der Juden, Gutachten des kleinen Ausschusses vom 13. Mai 1521, gedruckt in: Adolf Wrede (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 2], Gotha 1896 (im Folgenden als RTA JR 2), Nr. 52, S. 405 – 412, hier S. 410. Vgl. auch das Gutachten des Markgrafen Casimir für Pfalzgraf Friedrich über Unterhaltung von Regiment und Kammergericht vom März 1522, in: Adolf Wrede (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V., 3. Band [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 3], Göttingen 19632 (im Folgenden als RTA JR 3), Nr. 24, S. 136 – 38, hier S. 137, sowie die darauffolgenden Vorschläge des Regiments zum gleichen Thema und die Antwort des Ausschusses auf diese Vorschläge, ebd. S. 142 und 146. RTA JR 2, S. 410. Es geht um ein Schreiben aus dem spanischen Valladolid, bei dem der Kaiser mehrere Schreiben des Reichsregiments beantwortete, nämlich vom 16. April, 17. und 21. Juli, 16. August und 3. September. Der Druck des kaiserlichen Schreibens befindet sich zum Teil fehlerhaft und in Auszügen bei M. Stern: Die Reichsrabbiner, S. 4 f. Vgl. dazu auch den Druck des Schreibens in: RTA JR 3, Nr. 41, S. 228 – 237, hier S. 234. Zitiert nach M. Stern: Die Reichsrabbiner, S. 4.
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denn Karl V. verwies zugleich darauf, dass eine Vertreibung der Juden aus dem Reich gottgefälliger wäre.⁸³ Somit lässt sich erschließen, dass es dem Kaiser erneut um die Finanzkraft der Juden ging, als er ihre weitere finanzielle Belastung durch das Reichsregiment ablehnte. Diesen Eindruck gewannen auch Zeitgenossen Karls V. So schrieb der kursächsische Rat Hans von der Planitz in einem seiner Berichte an Friedrich den Weisen von Sachsen, dass der Kaiser nichts zur Unterhaltung des Reichsregiments beitragen wollte, weil ir Mt. nicht will gestaten den juden etwas aufzulegen, ßunder zeiget an, sie gehoren in sein kamer, dobei woll zu vormerken, das er aus der camer garnichts geben will. ⁸⁴ Es ist schwer einzuschätzen, inwieweit die Aussage Karls V. über die Vertreibung der Juden aus dem Reich als eine zu verwirklichende politische Maßnahme zu verstehen ist. Angesichts seiner Herkunft und vielleicht sogar seiner Prägung durch die ‚judenfreie‘ Umgebung in Spanien erscheint es möglich, dass der Vorschlag durchaus ernst gemeint war. Allerdings hätte so eine Lösung dem Reichsregiment nicht gedient – es hätte sogar die sonstigen Einnahmen durch die Judensteuer verloren – und zudem wäre sie aufgrund der komplexen Rechtssituation im Reich schwer umsetzbar gewesen. In der Hinsicht kann das kaiserliche Vertreibungsangebot als ein taktisches Argument angesehen werden, um dem Reichsregiment die Verfolgung dieses Besteuerungsplans als nicht lohnend erscheinen zu lassen.⁸⁵ Das kaiserliche Schreiben hatte lediglich eine aufschiebende Wirkung auf die Besteuerung der Juden. Im darauffolgenden Jahr beschloss das Reichsregiment im Rahmen des zweiten Nürnberger Reichstags die Heranziehung jüdischen Vermögens zur Finanzierung seiner Aufgaben. Zu diesem Zweck bestellte es den Reichsrabbiner nach Nürnberg. Wie ersichtlich ist, kam das kürzlich erneuerte Amt des Reichsrabbiners dem Reichsregiment sehr zugute. Anstatt mehrere Verhandlungen mit den unterschiedlichen jüdischen Gemeinden einzeln führen zu müssen, bestand nun die Möglichkeit, den ernannten Vertreter der Juden mit dem Aufbringen der Steuer zu beauftragen.⁸⁶ Als Samuel von Worms vor dem
Aber nicht desteweniger, sovern es euch und andern stenden des reichs geneme ist, sein wir unnsers teils wol zufriedenn, das got dem allmechtigen und dem christenlichen glawben zu lob unnd eren gemaine Judenschafft aus dem heiligen reich teutscher nation verjagt unnd vertriben werden sollenn, das unns dann billicher beduncken will. Ebd. S. 4 f. Schreiben vom 30. Dezember 1522, in: Hans von der Planitz: Des kursächsischen Rathes Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521– 1523, gesammelt von Ernst Wülcker. Nebst ergänzenden Aktenstücken, bearb. von Hans Virck, Leipzig 1899, Nr. 130, S. 295. Siehe dagegen Zimmer: Synods, S. 58. Vgl. M. Stern: Die Reichsrabbiner, S. 5.
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Reichsregiment erschien, argumentierte er allerdings, dass er gar nicht befugt sei, im Namen der Judenschaft über Abgaben zu verhandeln, sondern dass er der Zustimmung der jüdischen Gemeinden bedürfe. Um den Wünschen des Reichsregiments nachkommen zu können, bat er um ein Mandat, das allen jüdischen Gemeinden des Reichs auftrug, Vertreter nach Nürnberg zu schicken.⁸⁷ Im darauf ausgestellten Befehl wurde den Juden angeordnet, das ir euch auf gemeltes euers rabi erfordern zu stund an erscheinet, alher kombt unnd samt ime verer handlunge von unns gewertig seit. ⁸⁸ Durch diesen Vorgang wird deutlich, dass das Reichsregiment sowohl den korporativen Charakter der Reichsjudenschaft als auch den Reichsrabbiner als Funktionsträger anerkannte.Wollte es ursprünglich nur mit der Führungsfigur der Juden verhandeln, musste es sich nun auf Verhandlungen mit der Versammlung der jüdischen Vertreter einlassen. Hierdurch erkennt man sogleich, dass das Handeln Samuels von Worms das bereits etablierte jüdische Verfahren der Entscheidungsfindung bekräftigte. Demnach war bei Entscheidungen, die alle Juden des Reichs betrafen, ein gemeinsamer Beschluss erforderlich. Von Bedeutung für die Möglichkeit der Juden, sich in Nürnberg zu versammeln, um dem Befehl des Reichsregiments nachzukommen, ist das Geleit, das am Ende des Dokuments erteilt wurde. So führt das Mandat aus: [d]ie obgenanten Juden sollen auch hiehero, alhie unnd widerumb von dannen bis an ir gewarsam unnser und des reichs frei, sicher gleyt haben. ⁸⁹ Die Ausstellung des Geleits war besonders deswegen notwendig, weil die Stadt Nürnberg seit 1499 keine Juden in ihrem Bereich duldete. Schon in den Vorbereitungen für den Reichstag hatte die Stadt angeordnet, dass Juden nur dann in die Stadt hineinkommen dürften, wenn sie vom Regiment oder vom König eine Urkunde ihres Geschäfts vorlegen könnten und sich eidlich [..] verpflichte[te]n, sich während ihres Hierseins aller handtirung, wucherns und wechselns zu enthalten. ⁹⁰ Damit zeigt sich eine strukturelle Problematik auf, welche die jüdischen Zusammenschlüsse auch schon früher beeinträchtigt hatte. Ohne ein Geleit war die Möglichkeit, sich an Orten zu versammeln, an denen die wichtigsten Reichsversammlungen stattfanden, nicht
Vgl. das Mandat des Reichsregiments, das im Anschluss an diese Verhandlungen am 18. November 1523 ausgestellt wurde. Gedruckt in: M. Stern: Die Reichsrabbiner, S. 5 f. hier S. 6. Ebd. Ebd. Bestimmungen des Nürnberger Rates für die Aufrechterhaltung der Ordnung während des Reichstags vom 15. November 1522, RTA JR 3, Nr. 47, II, S. 249 f., hier S. 249, Anm. 1. Vgl. auch die Beschlüsse des Nürnberger Rates aus Anlass des Reichstages zwischen Februar und April 1522, ebd. S. 40 – 42, hier S. 41 f.
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ohne weiteres gegeben. So musste auch Maximilian I. 1510, 1511 und 1513 Geleite für die Juden ausstellen, die er zu sich lud. Nun war das Treffen der jüdischen Delegationen durch das Reichsregiment ermöglicht. In der Tat erschienen einige Vertreter verschiedener jüdischer Gemeinden in Nürnberg und führten dort Verhandlungen, wie Josel von Rosheim berichtet.⁹¹ Allerdings erfährt man weder aus seinem Bericht noch aus anderen Quellen, was dort entschieden wurde und ob, wie in der Forschung gemutmaßt wird, andere Themen Gegenstand der Zusammenkunft waren.⁹² Es spricht einiges dafür, dass die Wünsche des Reichsregiments nicht erfüllt wurden. Allerdings war dies allem Anschein nach kein Resultat jüdischer Handlungen.Vielmehr scheinen der Widerstand unterschiedlicher Inhaber jüdischer Regalien sowie begleitende Umstände die Ursachen für das Scheitern der Besteuerungspläne des Reichsregiments gewesen zu sein. So sind vor allem die Vorbehalte der Räte von Frankfurt und Worms in der Angelegenheit bekannt. Die Stadt Worms forderte den Reichsrabbiner direkt dazu auf, er solle „Forderungen für Worms [ablehnen] und das Reichsregiment auf die Wormser Privilegien“ hinweisen.⁹³ Dies versprach er auch zu tun, als er in seiner Antwort schrieb, das ich nit dabey sein will, das yetzig gegen e. w. privilegien gehandelt wird. Wie er sogleich anmerkte, konnte er in warheit nit merken, das eß die meinung sey. ⁹⁴ Im Fall Frankfurts war die Sache komplizierter. Offensichtlich wollte der Rat mit den jüdischen Gesandten auch Ratsdelegierte mitschicken – vermutlich um die Kontrolle über die zu fällenden Entscheidungen zu behalten. Da die Stadt aber mit einer Fehde beladen war, bat sie den Reichskammergerichtsprokurator, Conrad von Schwabach, ihren Juden behilflich zu sein, wofür sie ihm auch eine Vollmacht zuschickte. In seinen Instruktionen wollte der Frankfurter Rat, dass Conrad von Schwabach im Namen der Stadt den Umstand erklärte, das die Jud zu franckfurt eynem Erbarn Rath mit leyb vnd gut onmittel vnderworff(en) verwant vnd
Vgl. Abschnitt 10 seines Berichts, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 316. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 132– 135 glaubt, dass Vorwürfe der Falschmünzerei ein Thema der Versammlung gewesen sein könnten. Diese Problematik war in der Tat prominent in Nürnberg, wie die Reichstagsakten belegen. Auch kann Fraenkel-Goldschmidt auf Akten des Nürnberger Rats verweisen, die sich damit befassen. Allerdings kann diese Vermutung nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Ob aus dem Schweigen der Quellen auf einen Erfolg der jüdischen Beratungen zu schließen wäre, wie Stern es vermutet, kann nur insofern angenommen werden, als man von keiner neuen Steuer erfährt. Vgl. dazu Zimmer: Synods, S. 59. Diese Angabe stammt aus einem Konzept im Stadtarchiv Worms, das M. Stern: Die Reichsrabbiner, S. 7, wiedergibt. Beide Zitate aus Ebd.
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zustendig syen, nach vermoge keyserlicher priuilegien. ⁹⁵ Somit sollte verhindert werden, dass den Frankfurter Juden eine ‚unbefugte‘ Steuer auferlegt würde. Einige Tage später erfuhr der Rat, dass das Reichsregiment die Entscheidung über das Vorgehen vertagt hatte und dass der jüdische Gesandte Schmoll nach Frankfurt zurückkehren konnte.⁹⁶ Das Scheitern der Besteuerungs- und somit der Finanzierungspläne des Reichsregiments durch den Widerstand verschiedener Obrigkeiten und des Kaisers kann als ein Vorbote des ‚Sturzes‘ des Reichsregiments in den darauffolgenden Monaten gedeutet werden.⁹⁷ Allerdings bedeutete die Entlassung der Mitglieder des Reichsregiments am 8. April 1524 keineswegs seine endgültige Auflösung, sondern war ein Schritt in Richtung Neukonstituierung und eine Neubesetzung; diesmal war das Regiment mit weniger Kompetenzen ausgestattet und wurde dem Reichstag mit seinen Ausschüssen untergeordnet.⁹⁸ Während das Regiment dadurch massiv an politischer Macht und Einflussmöglichkeit einbüßte und weitgehend in politische Bedeutungslosigkeit geriet, verhielt es sich anders mit dem Statthalter des Regiments. Dieses Amt bekleidete Erzherzog Ferdinand, der Bruder Karls V. Ihm wurden für die Übergangszeit bis zur Wiederaufnahme der Regimentstätigkeiten die Regierungsgeschäfte übertragen. Er sollte demnach „nach seinem Belieben Kurfürsten und Fürsten zur Beratung hinzuziehen“ und in Eilsachen auch „allein entscheiden können, als ob die regimentspersonen gar beieinander weren“.⁹⁹ Ferdinand wurden zudem kaiserliche Hoheitsrechte übertragen, die weit über die Präsidentschaft über das Regiment hinausreichten.¹⁰⁰ Somit gewann er im Laufe des dritten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts zunehmend an politischer Bedeutung und Macht. Zwar war seine Position zunächst noch vom Bestehen des Regiments abhängig, löste sich aber von dieser allmählich ab. So bestimmte Karl
Schreiben des Frankfurter Rats an Conrad von Schwabach vom 21. Dezember 1523: ISG, JA 853, Bll. 1– 2. Schreiben Conrads von Schwabach an den Frankfurter Rat vom 31. Dezember 1523: Ebd. Bl. 3. Ausführlich über die Vorgänge bis zur Entlassung des Regiments während des dritten Nürnberger Reichstags siehe bei Roll: Reichsregiment, S. 205 – 227 und in der Einleitung von Adolf Wrede (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 4], Göttingen 1963 (im Folgenden RTA JR 4). Roll: Reichsregiment, S. 226 f. Ebd. S. 219 f. Dass er darüber hinaus in Zukunft die Hälfte der Kosten für das Regiment selbst übernehmen sollte und dass der Tagungsort des Regiments nach Esslingen und damit in ein habsburgisches Einflussgebiet verlagert wurde, verstärkte seine Position innerhalb des Gremiums immens. Vgl. ebd. S. 226 f. So z. B. das Recht, Standeserhöhungen zu vollziehen, die er durch die ihm übertragene kaiserliche Siegelhoheit vornehmen konnte. Vgl. ebd. S. 45.
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V. in einer Urkunde vom 20. Februar 1525, dass Ferdinands Statthalterschaft aufrechterhalten bleiben sollte, auch wenn sich das Regiment auflöste.¹⁰¹ Noch im gleichen Monat wurde überdies der geheime Teil des Brüsseler Erbteilungsvertrags veröffentlicht, in dem die ständische Position Ferdinands als Landesherr der österreichischen Erbländer sowie der vorderösterreichischen Länder bestimmt wurde.¹⁰² Mit seiner durch Heirat ermöglichten Wahl zum König von Böhmen und Ungarn 1526/27 erhielt Ferdinand nun auch die Kurwürde. Seine Stellung im Reichsgefüge verstärkte sich rapide und gipfelte 1531 mit seiner Krönung zum römisch-deutschen König. Somit wurde er zum wahrhaften kaiserlichen Statthalter, der keiner institutionellen Bindung an das Reichsregiment mehr bedurfte.¹⁰³ Diese Entwicklung in der Position Ferdinands im politischen Gefüge des Reichs ist deshalb wichtig, weil ihr eine große Bedeutung bei der Etablierung und Festigung des Kaisertums seines Bruders zukam. Ferdinand „erwies sich als ungemein fähiger und zugleich loyaler Statthalter des Kaisers im Reich“, sodass er im Endeffekt maßgeblich zur „Integration des Reichs in das politische System Karls V.“ beitrug.¹⁰⁴ Vor allem aber wurde er im Laufe der 1520er Jahre zum eindeutigen Stellvertreter des Kaisers im Reich. Für die Juden bedeutete dies nun, dass sich ihnen im Reichsstatthalter eine personalisierte Anlaufstelle für ihre Anliegen präsentierte.¹⁰⁵ Resümierend kann man die Wichtigkeit des Reichsregiments für die politische Organisation der Juden wie folgt zusammenfassen: Durch den Druck und den Zwang, die das Regiment in den frühen Jahren seines Bestehens auf die Juden in Steuersachen ausübte, etablierte sich zunächst der Reichsrabbiner als jüdische Führungsperson und als Vermittler zwischen den Interessen der Reichsobrigkeiten und denen der Juden. Seine Konsolidierung in dieser Rolle ermöglichte zudem das reibungslose Zustandekommen von Versammlungen.Vor diesem Hintergrund spielte das Reichsregiment eine Rolle dabei, die bestehenden jüdischen Strukturen der Zusammenarbeit zu festigen. Die Schwächen des Reichsregiments erlaubten indes auch den Aufstieg Erzherzog Ferdinands zum kaiserlichen Stell-
Vgl. ebd. S. 32. Davor war Ferdinand lediglich als Statthalter Karls in diesen Gebieten bekannt.Vgl. Brandi: Kaiser Karl V., S. 121– 125 und Roll: Reichsregiment, S. 38. Vgl. Roll: Reichsregiment, S. 33 und 39 – 49. Ebd. S. 39. Diese Tendenz war sowieso dadurch angelegt, dass Ferdinand als Landesherr der vorderösterreichischen Länder in einer Region regierte, die ein großes jüdisches Siedlungsgebiet darstellte. Über die Juden in Schwaben siehe Lang: Ausgrenzung und Koexistenz und Rohrbacher: Organisationsformen.
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vertreter im Reich und somit die Entstehung einer zentralen Autorität, an die sich die Juden auch in Abwesenheitszeiten des Kaisers wenden konnten.
4.2.3 Die Blutbeschuldigung von Pösing (Ungarn) In der Zeit nach dem jüdischen Treffen in Nürnberg von 1523 und bis 1529 findet man keine Hinweise auf weitere jüdische Zusammenschlüsse auf Reichsebene. Das soll allerdings nicht heißen, dass dies für die Juden eine Zeit ohne Herausforderungen war. So erfährt man aus Josels Memoiren über eine Vertreibungsgefahr der Juden aus dem Unterelsass, die er in seiner Rolle als regionaler Parnas (Vorsteher) und Schtadlan (Fürsprecher) abwenden konnte.¹⁰⁶ Auch in Württemberg, das ähnlich wie der Elsass unter habsburgischer Regentschaft und daher unter der Statthalterschaft Ferdinands stand, mussten die Juden eine Vertreibungsgefahr befürchten.¹⁰⁷ Die Rolle Ferdinands als (stellvertretender) Landesherr in Regionen des Reichs, in denen sich jüdische Siedlungsschwerpunkte etablierten – neben dem Elsass ist vor allem an vorderösterreichische Territorien wie Burgau zu denken – führte also zwangsläufig zu mannigfachen ‚diplomatischen‘ Beziehungen der Juden mit ihm. Diese dienten offensichtlich als Grundlage für das erste gesamtjüdische Hilfsgesuch an ihn, das im Zusammenhang mit einem Fall einer Blutbeschuldigung entstand. Diesmal wurde Ferdinand sowohl als kaiserlicher Statthalter wie auch als König von Ungarn und Landesherr in den österreichischen Erblanden ersucht. Der Fall ist wie folgt überliefert: Am Christi-Himmelfahrtstag (6. Mai) 1529 wurde ein christlicher Knabe namens Hänsel in der Stadt Pösing¹⁰⁸ in Ungarn vermisst. Der Verdacht fiel schnell auf die Juden der Stadt, worauf ihre Häuser (ergebnislos) durchsucht wurden.¹⁰⁹ Als schließlich die Leiche des Jungen auf
Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 151– 53 und die 12. Sektion der Memoiren S. 318 – 19. Es handelt sich offensichtlich um Ereignisse zwischen den Jahren 1524 und 1528. Siehe dazu das Privileg Ferdinands für die unterelsässischen Juden vom 06. Januar 1524 (ISG, JA 353, Bl. 79), das Fraenkel-Goldschmidt vermutlich nicht vorlag. Über die Herrschaftsverhältnisse im Herzogtum Württemberg siehe v. a. Lang: Ausgrenzung und Koexistenz, S. 5 – 23. Es handelt sich um die Stadt Pezinok in der Nähe von Pressburg bzw. Bratislava, die in der heutigen Slowakei liegt. Die folgende Schilderung der Ereignisse folgt den im Wiener Finanz- und Hofkammerarchiv (FHKAW) des österreichischen Staatsarchivs befindlichen Dokumenten unter der Signatur Niederösterreichische Herrschaftsakten (NÖ HA) J 15 A. Einige dieser Dokumente sowie weitere Aktenstücke sind in der Monumenta Hungariae Judaica (MHJ). Publicat fecit Societas Litteraria Hungarico-Judaica, Tomus I., cooperante Der Mauricio Weisz, Studio Dris Arminii Friss, Budapestini
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einem Feld gefunden und in die Stadt gebracht wurde, nahm man die Judenschaft der Stadt fest. Man lud ‚Zeugen‘ aus der ganzen Region vor, die den Leib des Toten begutachten sollten, und war sich schnell einig, dass es sich um eine jüdische arbeit handelte vnd von den jüden beschehen vnd verbracht sein. ¹¹⁰ Darauf begann ein Prozess gegen die Juden wegen eines ihnen unterstellten Ritualmords. Nachdem die Juden zweimal unter massivem Einsatz von Folter befragt worden waren, konnten Geständnisse von ihnen erzwungen werden. Im Ergebnis wurden ca. 36 Männer und Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.¹¹¹ Die Blutbeschuldigung von Pösing¹¹² verlief nach einem bekannten Muster. Nach der Festnahme folgten das peinliche und dann das strenge Verhör, in dem
1903, S. 399 – 420 gedruckt. Siehe zudem die zeitgenössische Flugschrift: Anonymus: Ein erschrockenlich geschicht vnd Mordt/ ßo von den Juden zu Pösing (ein Marckt in Hungarn gelegen) an einem Neunjärigen Knäblein begangen, wie sie das jämerlich gemartert/ geschlagen / gestochen / geschnitten vnd ermordt haben. Darumb dann biß in die dreissigk Juden / Mann vnd Weibs personen / vmb yhr mißhandlung / auff Freitag nach Pfingsten, den xxi.tag May/ des. M.D. vnd xxix. Jars / verprennt worden seind, 1529. In dem anonym verfassten Gutachten Ob es war und glaublich sey das die Juden der Christen kinder heymlich erwürgen, und jr blut gebrauchen, das dem Nürnberger Reformator Andreas Osiander zugeschrieben wird, findet man weitere Informationen über den Vorfall. Vgl. Andreas Osiander d. Ä.: Gesamtausgabe, Bd. 7, Schriften und Briefe 1539 bis März 1543, hrsg. v. Gerhard Müller und Gottfried Seebaß, Gütersloh 1988, S. 223 – 248. Siehe auch dazu Moriz Stern: Andreas Osianders Schrift über die Blutbeschuldigung wiederaufgefunden und im Neudruck, Kiel 1893. Zu Osiander siehe darüber hinaus: Winfried Frey: Ritualmordlüge und Judenhaß in der Volkskultur des Spätmittelalters. Die Schriften Andreas Osianders und Johannes Ecks, in: Peter Dinzelbacher / Hans-Dieter Mück (Hrsg.): Volkskultur im europäischen Spätmittelalter, Stuttgart 1987, S. 177– 197; Brigitte Hägler: Die Christen und die „Judenfrage“. Am Beispiel der Schriften Osianders und Ecks zum Ritualmordvorwurf, Erlangen 1992. Neben den christlichen Quellen sind auch jüdische Berichte über die Ereignisse überliefert: So berichtet Josel von Rosheim im 13. Abschnitt seiner Memoiren darüber. Gedruckt in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 320. Auch eine hebräische Chronik aus Prag sowie die sogenannten Memorbücher einiger jüdischer Gemeinden erwähnen die Märtyrer von Pösing. Vgl. die Ausführungen von Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 168 – 172. Siehe auch David Kaufmann: Die Märtyrer des Pösinger Autodafés von 1529, in: MGWJ 38,9 (1894), S. 426 – 429. FHKAW NÖ HA J 15 A, Bl. 7v und Ein erschrockenlich geschicht vnd Mordt, Bl. 3. Die unterschiedlichen Dokumente machen differierende Angaben über die Zahl der hingerichteten Juden. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 169 – 172 behandelt diese Frage ausführlich und kommt zu dem Ergebnis, dass hierbei zwischen 36 und 40 Personen (einschließlich Kinder, die laut einer jüdischen Quelle freiwillig ins Feuer gerannt seien) umkamen. Da die Affäre mehrfach in der Literatur behandelt wurde, wird hier darauf verzichtet, die Ereignisse im Einzelnen nachzuerzählen. Für weitere Informationen siehe: Gerson Wolf: Historische Skizzen aus Österreich-Ungarn, Wien 1883, S. 296 – 98; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 72– 74 und Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 154– 172. Vor allem die Auseinandersetzung Fraenkel-Goldschmidts mit den verschiedenen Aspekten der Affäre und mit der wissenschaftlichen Literatur macht eine Behandlung der Pösinger Ereignisse überflüssig.
4.2 Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation
163
die Befragten dazu genötigt wurden, weitere Juden der Mitschuld zu bezichtigen. Mit der öffentlichen Wiederholung der Schuldgeständnisse, der Verkündung des Urteils und der unmittelbar darauffolgenden Hinrichtung fand das Verfahren auch sehr schnell sein Ende. In Pösing soll der Prozess lediglich acht Tage bis zur Vollstreckung des Todesurteils gedauert haben. Wie im Fall der Blutbeschuldigung von Berlin 1510 dienten die erzwungenen Geständnisse als Rechtfertigungsgrundlage für die Fortführung der strafrechtlichen Verfolgung gegen weitere jüdische Kreise. Bis zu diesem Zeitpunkt trugen alle Versuche der Juden, die Einstellung des Prozesses und die Entlassung der verhafteten Juden zu erwirken, keine Früchte. Die ungarischen Juden wandten sich sowohl an König Ferdinand als auch an den siebenbürgischen Wojewoden Stephan Báthory und beklagten die Unrechtmäßigkeit des Verfahrens. Außerdem äußerten sie folgende Befürchtung: Timerent autem ipsi Mendel¹¹³ et ceteri iudei, ne si ipsum iudeum captum¹¹⁴ adhibitis tormentis faceret ipse Franciscus comes investigari, eciam tormentorum coactus fateretur, que ipsis conquerentibus ne audita quidem aus cogitata fuissent, et damnum periculumque eisdem afferri possent.¹¹⁵
Zwar waren die Juden insofern erfolgreich, als sowohl Ferdinand wie auch Báthory zu ihren Gunsten intervenierten¹¹⁶, allerdings blieb die Intervention erfolglos und die Verhöre wurden fortgesetzt.¹¹⁷ Unmittelbar nach Abschluss des Verfahrens in Pösing strengten die Grafenbrüder Wolfgang von Pösing und Franz von St. Georgen einen Prozess gegen die niederösterreichischen Juden in Marchegg an. Diese wurden nämlich während des Pösinger Prozesses der Mittäterschaft bezichtigt, residierten aber nicht im Herrschaftsbereich der beiden Grafen.¹¹⁸ Zu diesem Zeitpunkt intensivierten sich
Mendel war der Anführer der ungarischen Juden. In der Quelle wird er als prefectus iudorum bezeichnet. Über ihn siehe Alexander Scheiber: Mendel of Buda in Nuremberg, in: Journal of Jewish Studies 23 (1972), S. 192– 195. Die Quelle bezieht sich auf die Festnahme eines Juden, der nicht in Pösing ansässig war. Vermutlich ging es dabei um Jacob von St. Georgen. Aus seinem Verhör wissen wir, dass Jacob des Colman brueder, an strenger frag, Nichts wollen bekennen, Allain das er gesagt hat, Er sei kain Jud von pösing, Er wär deswilen gewesen, haim zuziehen, zu seinem weib und kind. FHKAW, NÖ HA J 15 A, Bl. 9r. Schreiben Ferdinands an die Stadt Tyrnau vom 15. Mai 1529. MHJ, S. 412. Siehe Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 156 f. und MHJ, Nr. 331, S. 412. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 157. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 156. Laut Josel wurden alle Juden Mährens unter Arrest gestellt. Siehe ebd. S. 320.
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4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation
die jüdischen Anstrengungen in der Angelegenheit. Am 12. Juni schickten die gesandt der judischeit eine ausführliche Supplikation an König Ferdinand, in der sie den grossen gewalt und frevel beklagten, so die graven von Bösing wider got, ehre und recht, wieder alle pillicheit gehandelt, ohne ewrer königlichen maiestat willen, wissen und zugeben ubereilt. ¹¹⁹ Sie zeigten darin auch auf, inwiefern die Grafen unrechtmäßig gehandelt und welche rechtswidrigen Verfahrensschritte zum jämmerlichen Abschluss des Prozesses geführt hatten.¹²⁰ Sie baten den König darum, für die Einstellung des Verfahrens und die Freilassung der inzwischen in Marchegg gefangengenommenen Juden zu sorgen. Am 16. Juni überreichte Ferdinand seinen Statthaltern, Regenten und Räten des niederösterreichischen Regiments die jüdische Supplikation und forderte die Übergabe der inhaftierten Juden in seine Hände, und zwar in der Weise, dass sie nach Wien gebracht würden, um dort weiter befragt zu werden.¹²¹ Die Gefahr der Ausweitung der Verfolgung zeigte den Juden im Reich die Notwendigkeit, jenen in den betreffenden Gebieten zu Hilfe zu kommen. In dieser Angelegenheit beauftragten die jüdischen Anführer Josel von Rosheim, nach Günzburg¹²² zu reisen und eine Fürsprache für die verhafteten Juden zu halten.¹²³
MHJ, Nr. 333, S. 413 – 416, hier S. 414. Vgl. auch FHKAW NÖ HA J 15 A, Dokumentstück Nr. 8, Bll. 20 – 21. Das waren zum einen die peinliche Befragung ohne ein begründetes Verdachtsmoment, zum anderen die Tatsache, dass das aufgefundene tote Kind gar nicht der Vermisste hätte sein können. Auch die Drohung mit dem Feuertod für diejenigen, die sich nicht der Tat schuldig bekannt hätten, und die abschließende Verbrennung von Personen, die gar nicht befragt worden waren, bemängelten sie als rechtswidrig. Ebd. FHKAW NÖ HA J 15 A, Dokumentstück Nr. 7, Bl. 19. Vgl. auch MHJ, Nr. 335, S. 418 f. Günzburg war die Hauptstadt der Markgrafschaft Burgau, einer vorderösterreichischen habsburgischen Herrschaft. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 158. In der Forschung wurde häufig darüber debattiert, ob bei dieser Angelegenheit eine Versammlung stattfand und wenn ja, wo. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 115; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 73 bejahten diese Frage und nannten Günzburg als Veranstaltungsort. Lang: Ausgrenzung und Koexistenz, S. 235 sah darin sogar den „Hinweis für die hervorgehobene Stellung der Gemeinde in Schwaben und Ausdruck ihrer Zugehörigkeit zur ‘gemeinen Jüdischheit im Reich‘“. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 157 f. bemerkte hingegen, dass dies keine zwingende Schlussfolgerung aus der Quelle sei, und meinte zudem, dass „it is hard to believe that in the case in question, where swift action was required to avert an additional catastrophe, there was sufficient time to assemble the authorized delegates of the heads of the German Jewish communities.“ Diese Bemerkung stützt sich auf die Feststellung von Arye Maimon: Tagungen, dass die Organisierung einer jüdischen Versammlung sehr zeitaufwendig und problematisch war. Maimon untersuchte aber nur die ersten Versuche jüdischer Zusammenschlüsse im Zusammenhang mit der Pfefferkorn-Affäre. Als Fraenkel-Goldschmidt die Ergebnisse Maimons auf die Angelegenheit von 1529 übertrug, verkannte sie die gesamte Entwicklung im Bereich der politischen Organisation der Juden. Da Josel laut eigener Aussage „auf Veranlassung“ der Rabbiner bzw.
4.2 Impulse und Zwänge einer Selbstorganisation
165
Zu diesem Zweck sollte er sämtliche Privilegien und Rechtsdokumente mitführen, die die Unschuld der Juden und die Unwahrheit hinter der Ritualmordbeschuldigung ‚beweisen‘ sollten. In Günzburg fertigte er Kopien dieser Dokumente sowie eine Rechtfertigungsschrift an, die er den Beratern des ungarischen Königs übergab.¹²⁴ Diese Schrift gilt als verschollen.¹²⁵ Aber eine andere – soweit ersichtlich bislang unbekannte – Rechtfertigungsschrift Josels, die im Wiener Haus-, Hofund Staatsarchiv aufbewahrt wird, kann darüber Aufschluss geben. Es handelt sich um ein Schreiben Josels an den aller durchleutchtigiste[n] Großmechtigiste[n] Romische[n] Künig Ferdinand aus dem Jahr 1543, das mit der Blutbeschuldigung von Würzburg in Verbindung steht.¹²⁶ Es kann sich allerdings nicht um eine gleichlautende Schrift gehandelt haben, weil die Blutbeschuldigung von Pösing dort überhaupt nicht vorkommt. Da beide Schriften eine grundsätzliche Verteidigung der Juden gegen den Vorwurf des Ritualmordes beabsichtigten und auch beide auf die verschiedenen Schutzprivilegien Bezug nahmen, die Päpste und Kaiser den Juden verliehen hatten, kann eine inhaltliche Verwandtschaft angenommen werden. So erwähnte Josel mit großer Wahrscheinlichkeit in beiden Schriften die Feststellung der Babste, Cardinaln, Key. vnd Kö. sollichs durch die geschrifft [=Bibel (A.S.)], auch durch hochgelerte doctores vnd gethöiffte [=getaufte (A.S.)] Judenn {unleserlich} erfarenn, das sollichs in {unleserlich} kein weise noch weg ¹²⁷ wahr sei. Auch die Tatsache, dass die Unwahrheit des Vorwurfs die Päpste und Kaiser dazu bewogen habe, die Juden in Schutz zu nehmen und dies schriftlich festzulegen, wird wohl in beiden Schriften Josels vorzufinden sein. Das Gleiche gilt wohl auch für die
Anführer der Juden gehandelt hatte, muss also eine Versammlung stattgefunden haben. Allerdings geht aus der Quelle nicht hervor, dass sich das Treffen in Günzburg ereignete. Ganz im Gegenteil schrieb Josel, dass er dorthin geschickt worden sei, um (beglaubigte) Kopien der jüdischen Privilegien zu erstellen (Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 320). Diese Schilderung folgt dem Bericht Josels in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 320. Siehe Feilchenfeld: Josel von Rosheim S. 116 und Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 158. HHStAW, RK, Kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 14r–17r. Das Dokument liegt direkt hinter der Bestellungsurkunde für Samuel von Worms als Reichsrabbiner, steht aber in keinem inhaltlichen Zusammenhang damit. Das Dokument ist zwar nicht datiert, aber Josel spricht darin die Affäre von Würzburg (1543) explizit an: wie dann jetzt nehst auch der gleichenn zu Wurzburg auff vnwarhafftige erdichte lasster die armen Juden daselbst gefencklich vnd peinlich angenomen worden. Ebd. Bl. 16r. Über den Inhalt, den Kontext und die Überlieferung dieser Quelle wird in Kapitel 6.4 ausführlich eingegangen. Ebd. Bl. 14v.
166
4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation
Aufzählung der Päpste – [n]emlich Babst Gregorius ¹²⁸, Martinus ¹²⁹, Hunerius ¹³⁰, Vincentius, Alexander ¹³¹, Nicolaus ¹³² – und Kaiser – Friedrich¹³³, Sigismund¹³⁴, Maximilian I.¹³⁵ und Karl V. (by der Crönung ¹³⁶ (1520)) –, welche die Juden in ihren Schutz genommen hatten. Schließlich ist es kaum denkbar, dass der Hinweis darauf, dass auch by den Concilien außgangen [sei], das man solliche lasster hien für, by den schwerenn [=schwören] Sant peter vnd sant paulus bennen, nit mehr glauben soll ¹³⁷, im Rechtfertigungsschreiben von 1529 gefehlt hatte. Josels Intervention war erfolgreich. Im Anschluss an die Übergabe der Worte der Entschuldigung wurden alle Juden tatsächlich aus der Haft entlassen und der Prozess gegen sie wurde eingestellt. Das Gelingen der Rettungsmission und der Abwehr der Verfolgungsgefahr demonstrierten Josels Verhandlungsgeschick und brachten ihm einen guten Ruf ein. Sie waren sicherlich wesentliche Gründe dafür, dass er im darauffolgenden Jahr beauftragt wurde, die Juden gegen den Vorwurf der jüdischen Spionage für die Türken zu verteidigen sowie weitere wichtige Vertretungsmissionen zu führen. Die Ereignisse in der Folge der Blutbeschuldigung von Pösing offenbaren Entwicklungen im Bereich der jüdischen Organisation. Es zeigt sich darin v. a.,
Bulle Gregors X. vom 7. Oktober 1272, vgl. Moritz Stern: Die päpstlichen Bullen über die Blutbeschuldigung, Berlin 1893, S. 18 – 23. Bulle Martins V. vom 20. Februar 1422, vgl. ebd. S. 24– 29. Vermutlich geht es um Honorius III. (1148 – 1227) und seine Schutzbulle für die Juden vom 7. November 1217. Vgl. Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.–20. Jh.), Bd. 2, Frankfurt am Main 1994, S. 64– 70, hier S. 65. Beide Dokumente konnten nicht identifiziert werden. Bei Vincentius kann es sich um Innozenz IV. handeln, der die Juden gegen solche Beschuldigungen in mehreren Bullen in Schutz nahm.Vgl. Die Blutbeschuldigung gegen die Juden. Stimmen christlicher Theologen, Orientalisten und Historiker. Die Bullen der Päpste. Simon von Trient [Documente zur Aufklärung, Bd. 2], Wien 1900, S. 108 – 121. Bulle Nikolaus V. vom 5. November 1447. Vgl. ebd. S. 134– 141. Das Privileg Friedrichs II. von 1236. Vgl. Lorenz Weinrich (Ed.): Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, Darmstadt 1977, Nr. 123, S. 497– 503. Friedrich wird zwei Mal erwähnt. Leider ist es nicht ersichtlich, ob beide Male Friedrich II. gemeint ist. Vermutlich handelt es sich um das Privileg Kaiser Sigismunds von 6. Juni 1415.Vgl. Wilhelm Altmann und Ernst Bernheim (Hrsg.): Ausgewählte Urkunden zur Erläuterung der Verfassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter. Zum Handgebrauch für Juristen und Historiker, vierte verbesserte Auflage, Berlin 1909, S. 183 – 185. Josel bezieht sich hierbei auf Ereignisse, die in der Region um Freiburg und im Elsass stattgefunden haben sollen. HHStAW, RK, Kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 14v–15r. Ebd. Bl. 14v.
4.3 Die (Un‐)Gewissheit der Organisation
167
dass eine schnelle und effektive Reaktion auch nach Jahren ohne (nachweisbare) Aktivitäten möglich war. Die rasche Entscheidung über die bevorzugte Vorgehensweise, nämlich Abschriften der relevanten Privilegien an Reichsdiener zu übergeben, und die schnelle Umsetzung dieses Beschlusses verweisen darauf, dass bestimmte Erfahrungen im Laufe der Jahre gesammelt worden waren und dass gewisse Strukturen der Entscheidungsfindung und der Durchführung von Beschlüssen sich etabliert hatten. Auch die Wahl der geeigneten Vertretung funktionierte tadellos und war offensichtlich nicht mehr konfliktträchtig wie in früheren Jahren. Eine stabilisierende Wirkung durch den Reichsrabbiner kann hier zwar nicht nachgewiesen werden, scheint aufgrund der Erfahrungen der frühen 1520er Jahre jedoch plausibel. Dass Josel von Rosheim hier die Juden vor dem König repräsentierte, hatte vermutlich wenig damit zu tun, dass er „allem Anschein nach [zum] ‚Vorgänger‘ und ‚Befehlshaber‘ erwählt“ wurde.¹³⁸ Wahrscheinlicher erscheint, dass ihm diese Aufgabe übertragen wurde, weil er eine herausragende ‚Erfolgsquote‘ bei der Vertretung der Interessen der elsässischen Juden gegenüber von Reichsoberhäuptern hatte.
4.3 Die (Un‐)Gewissheit der Organisation Der Tod Maximilians I. und die Vakanz auf dem Thron scheinen die Formen der Zusammenarbeit der Juden, die sich im gesamten zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zwar mühsam, aber kontinuierlich verdichtet und standardisiert hatten, zum Erliegen gebracht zu haben. Erst die Wiederbesetzung des Amtes des Kaisers veranlasste die Juden im Reich, eine gemeinsame Vorgehensweise zwecks Sicherung ihrer Rechte und dazu eine schnelle Mobilisierung ihrer Ressourcen zu organisieren. Somit lässt sich feststellen, dass die institutionelle Anbindung der Reichsjudenschaft an das Kaisertum von einer konstituierenden Bedeutung für die politischen Zusammenschlüsse der Juden auf Reichsebene war. Sucht man nach Spuren einer jüdischen Organisation zu Beginn der 1520er Jahre, so stellt sich heraus, dass die Kommunikation zwischen den jüdischen Gemeinden noch intakt war und dass sie ihre politischen Erfahrungswerte aus den vorhergegangenen Jahren dazu nutzen konnten, um Versammlungen abzuhalten und bindende Beschlüsse zu fassen. Dies zeugt von einer bereits eingetretenen Stabilisierung der Formen innerjüdischer Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung. Die Zeit der jüdischen Tatenlosigkeit während des
S. Stern: Josel von Rosheim, S. 74.
168
4 Jüdische Organisation in einem Reich in Transformation
Interregnums führte also zu keiner ‚Erosion‘ der im Entstehen befindlichen Zusammenschlüsse der Juden. Dennoch macht sich ein Bruch zu früheren Zusammenschlüssen bemerkbar: War Frankfurt seit dem Erscheinen von Pfefferkorn das Zentrum der jüdischen Aktivitäten gewesen, so finden sich nun kaum Hinweise darauf, dass die Frankfurter Judenschaft die Führungsrolle noch wahrnahm.¹³⁹ Stattdessen trifft man auf den Wormser Reichsrabbiner und auf den elsässischen Vertreter an der Spitze jüdischer Unternehmungen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Frankfurter Gemeinde nicht mehr zu denen gehörte, die an den Entscheidungsfindungsprozessen beteiligt waren. Eine bestehende personelle Kontinuität, von der hier auszugehen ist, war schließlich eine der Voraussetzungen für das Fortleben der geschaffenen Strukturen. Die Tatsache, dass manche Impulse für die Organisation von Reichsinstanzen ausgingen, trug vermutlich zu ihrer Loslösung von der lokalen Anbindung bei. Das Amt des Reichsrabbiners, das ursprünglich von christlichen Herrschern um ihres eigenen (fiskalischen) Vorteils willen geschaffen worden war, wurde nun allem Anschein nach auf Antreiben der Reichsjuden wiederbelebt. Karl V. erkannte offensichtlich den Nutzen, den er aus der wiedergeschaffenen richterlichen Instanz ziehen konnte, und stattete den Reichsrabbiner mit den traditionellen Befugnissen der Steuereintreibung aus. Durch diese doppelte Rolle des Reichsrabbiners entstand eine vermittelnde Instanz zwischen der Reichsjudenschaft und der Reichsobrigkeit, die in den folgenden Jahren von herrschaftlicher Seite auch bereitwillig genutzt wurde. Obwohl somit die Basis für eine stabile jüdische Organisation vorhanden war, verursachte die Abwesenheit des Kaisers aus dem Reich und die Errichtung des Reichsregiments Schwierigkeiten für die Juden. Anstatt ihre Anliegen durch personelle Anbindung an den Kaiser vertreten zu können, hatten sie es nun mit einem Verwaltungsorgan zu tun, das aus mehreren Personen mit unterschiedlichen Interessen bestand und zudem unter Autoritätsschwäche litt. Zwar übte das Reichsregiment Druck auf die Juden aus und zwang sie dadurch zur Zusammenarbeit, womit eine weitere Verdichtung der Organisationsstrukturen erreicht werden konnte. Allerdings ließ der Druck mit der Auflösung des Regiments schlagartig nach. Da zudem die Reformation und die durch sie ausgelösten innerchristlichen Streitigkeiten das politische Geschehen im Reich das gesamte Jahrzehnt über dominierten, bestanden in diesem Zeitraum keine weiteren Ge-
Dieses weitgehende Verschwinden der Frankfurter Juden aus der jüdischen Führung zeigt sich auch dadurch, dass sich im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main für die Jahre nach 1517 kaum mehr Quellen finden, die die gesamte Judenschaft des Reichs betreffen.
4.3 Die (Un‐)Gewissheit der Organisation
169
fahren, welche die Reichsjudenheit kollektiv bedrohten. In dieser Phase nachlassenden Drucks findet man keine weiteren Hinweise auf reichsjudenschaftliche Aktivitäten. Ohne eine Notwendigkeit war also auch keine Zusammenarbeit vorhanden. In dieser frühen Phase der Organisation bestand die Gefahr, dass die Strukturen der Zusammenarbeit erodieren würden. Es ist daher eine große Ironie, dass das Unglück in Ungarn dies verhinderte, indem es die Juden nach Jahren der Untätigkeit zu einer Reaktivierung ihrer Organisationsinfrastruktur veranlasste und somit die (analytisch postulierte) Ungewissheit über deren Fortbestand beseitigte. Lediglich bezüglich der Aufstellung der Organisation bestand ein Rest an Unsicherheit, denn es blieb noch unklar, welche Rolle der bevollmächtigte ‚Schtadlan‘ und welche der Reichsrabbiner darin spielen würden.
5 Jüdische Politik zwischen Reich und Territorium I Nach der relativen Ereignisarmut der 1520er Jahre sahen sich die Juden in den 1530er Jahren mit neuen politischen Herausforderungen konfrontiert, welche zu Veränderungen und Fortentwicklungen ihrer Politik und Repräsentation führten. Zum einen wurden alte Vorwürfe gegen sie reaktiviert und neue erhoben; zum anderen änderte sich durch das Vorantreiben der verfassungsrechtlichen Reformprojekte im Reich der rechtlich-politische Rahmen, innerhalb dessen sich die jüdische Organisation bewegte. Der 1530 abgehaltene Reichstag von Augsburg war in dieser Hinsicht besonders bedeutsam, weil sich dort mehrere Bedrohungen für jüdische Duldung und Rechte manifestierten, welche schnelle jüdische Reaktionen erforderten. Mit der Verabschiedung der Reichspolizeiordnung kam zudem ein gesetzgeberischer Prozess zum Abschluss und brachte ein „umfassende[s], reichsweit geltende[s] Polizeigesetz [hervor], das […] thematisch und inhaltlich den Rahmen für die Polizeigesetzgebung der einzelnen Reichsterritorien und auch der lokalen Ordnungstätigkeit aufzeigte“.¹ Die allgemeine politische Instabilität der 1520er Jahre konnte damit insofern eingehegt werden, als sie einen wichtigen Schub für die Konsolidierung der territorialen Herrschaft leistete. Zudem zeugt der (vorläufige²) Abschluss der Reichspolizeiordnung von einem gewissen Konsens in Fragen der gesellschaftlichen Ordnung und auch von einer wiederhergestellten Funktionstüchtigkeit der Reichspolitik.³ Die Reichsjudenschaft musste auf diese Entwicklungen reagieren, um sowohl Verfolgungsmomente als auch eine Verschlechterung ihrer rechtlichen Situation abzuwehren. Ihre Reaktionen mussten sich an den sich verändernden Rahmen anpassen und bewegten sich daher zwischen dem Reich und seinen Territorien. So waren sie bei ihren Vorgehensweisen stets gezwungen, der Tatsache Rechnung
Matthias Weber: Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Historische Einführung und Edition [Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 146], Frankfurt am Main 2002, S. 13. Bereits während des 16. Jahrhunderts musste die Reichspolizeiordnung noch zweimal (1548 und 1577) überarbeitet werden. Grundlegend Literatur über die Polizeiforschung für die Frühe Neuzeit findet man bei Michael Stolleis / Karl Härter (Hrsg.): Policey im Europa der Frühen Neuzeit [Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 83], Frankfurt am Main 1996; Karl Härter (Hrsg.): Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft [Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 129], Frankfurt am Main 2000. https://doi.org/10.1515/9783110723533-008
5.1 Das Jahr 1530 als Herausforderung und Kristallisationspunkt
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zu tragen, dass die Beschlüsse der Reichspolizeiordnung einerseits reichsweite Geltung besitzen sollten, andererseits auf territorialer Ebene unterschiedlich umgesetzt werden konnten. Das heißt, dass die jüdische Organisation einen politischen ‚Spagat‘ leisten musste, um den unterschiedlichen Herausforderungen effektiv zu begegnen. Die Untersuchung der 1530er Jahre soll sich zunächst auf die jüdischen Reaktionen und Aktionen angesichts der verschiedenen politischen Herausforderungen und Bedrohungen konzentrieren. Zentral dabei ist die Analyse der Konsolidierung der jüdischen Führung auf Reichsebene im Verlauf deren Handlungen. Aufmerksamkeit wird allerdings auch der politischen Strategie der Juden geschenkt, die nun nicht mehr ausschließlich auf die Lösung von aktuellen Bedrohungen gerichtet war, sondern auch strukturelle Probleme adressierte. Daneben soll anhand von konkreten Interaktionen der Reichsjuden mit Juden außerhalb der deutschen Länder des Reichs versucht werden, die geographische Dimension der Reichsjudenschaft zu eruieren. Ein weiterer Fokus der Analyse betrifft die Gesetzgebungsprozesse verschiedener Territorien im Reich und die Teilnahme jüdischer Gemeinden und Repräsentanten daran. Dabei soll gezeigt werden, inwiefern die politischen Unternehmungen der Juden auf territorialer Ebene mit den Anstrengungen auf der Ebene der Reichspolitik in Verbindung standen.
5.1 Das Jahr 1530 als Herausforderung und Kristallisationspunkt für die politische Organisation der Juden 1530 markiert ein besonders wichtiges Jahr für das politische Geschehen im Reich. Karl V. kehrte nach fast einem Jahrzehnt als siegreicher Feldherr und als gekrönter Kaiser ins Reich zurück. Nachdem er seine Herrschaft in Spanien und in den Niederlanden stabilisiert hatte und dazu noch seine Vorstellungen in Italien weitgehend hatte durchsetzen können⁴, musste er sich dem politischen ‚Chaos‘ im Reich widmen. Im Jahr zuvor hatten sich nämlich die religiösen Auseinandersetzungen zugespitzt und kulminierten mit der Protestation der lutherischen Stände und Städte gegen die Bestätigung des Wormser Edikts. Im Ergebnis wurde der Reichstag in seiner Beschlussfähigkeit beeinträchtigt. Neben der Religionsfrage im Reich bestanden nur wenige Monate nach Beendigung der Belagerung Wiens offene Fragen bezüglich der ‚Türkengefahr und -abwehr‘. Schließlich Vgl. Brandi: Karl V., S. 157– 248.
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5 Zwischen Reich und Territorium I
mussten noch zentrale Reformprojekte im Reich – wie z. B. die Reichspolizei- und Halsgerichtsordnung – vorangetrieben werden, die im gesamten vergangenen Jahrzehnt keinen legislativen Abschluss gefunden hatten.⁵ Für die Juden brachte das Jahr sowohl Chancen als auch Gefahren mit sich. Vor allem die Rückkehr des Kaisers ins Reich bot ihnen die Möglichkeit, den kaiserlichen Schutzverhältnis wiederherzustellen. Dies geschah dann auch direkt im Mai des Jahres, als der Kaiser und sein Bruder sich in Innsbruck aufhielten. Nur wenige Tage nach dem Eintreffen Karls V. in der Stadt erschien dort auch Josel von Rosheim als Vertreter der gemeinen Judenschaft im Reich.⁶ Veranlasst wurde die Gesandtschaft durch die vielen Beschwerden gegen die Juden, wonach sie mit den Erzfeinden der Christenheit und des Reichs, den Türken, im Bunde stünden und für sie spionierten.⁷ Nach Josels Aussage hätten diese Beschuldigungen dazu geführt, dass den Juden der Durchzug durch manche Gebiete des Reichs versperrt Zum Weiterlesen siehe Angermeier: Die Reichsreform, bes. S. 237 passim; Volker Press: Reformatorische Bewegung und Reichsverfassung. Zum Durchbruch der Reformation – soziale, politische und religiöse Faktoren, in: Ders.: Das Alte Reich. Ausgewählte Aufsätze, [Historische Forschungen, Bd. 2] hrsg. v. Johannes Kunisch, Berlin 20002, S. 480 – 512, bes. S. 507; Wolfgang Reinhard: Probleme deutscher Geschichte 1495 – 1806. Reichsreform und Reformation 1495 – 1555 [Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 9], 10. neu bearb. Auflage, Stuttgart 2004 und Barbara Stollbarg-Rilinger: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reichs, München 2008, bes. S. 93 – 133. Der Kaiser traf am 6. Mai in Innsbruck ein und Josel hatte bereits am 18. Mai eine Audienz bei ihm. Zum Itinerar Karls V. siehe: Die Reichsregisterbücher Kaiser Karls V., hrsg. vom Kaiser-Wilhelm-Institut für deutsche Geschichte, nach amtlichen Vorarbeiten vollendet von Lothar Gross, Wien – Leipzig 1930, Nrr. 4581, und 4606 – 07. Darüber schrieb Josel in seiner Chronik: Im Jahre 1530 verbreitete sich das Gerücht hartnäckig unter den Völkern: Die Juden schwärzen uns beim Türken an… Übersetzung nach S. Stern: Josel von Rosheim, S. 80. Solche Vorwürfe waren offensichtlich weit verbreitet. So findet man sie im Gutachten Konrad Peutingers an die Stadt Nördlingen: [D]weill die Juden so bisher in hochtewtscher Landen gewonet, grosse verreterey als Landtkundig ist gegen dem Turcken, wider die Christen gevbt, vnd ietzo an nechst verschinen // sein des Turcken // forgenomen zuge, wider die gefangen Christen strefflich gehanndelt, an der marter, vnd sonst in all ander boesling wider die Christen dulmescher gewesen // auch boes nachrichten kuntschaften gemacht… Staats- und Stadtbibliothek (StaBi) Augsburg, 2° Cod Aug. 399, Bl. 266r. Er basierte den Vorwurf auf Geständnisse von Gefangenen in Württemberg und wundert sich das, auf die bemelten wurtenbergischer gefangen vrgichten gegen den Juden, durch sy angezaigt // vnd so sy nach nottfür anzeigen wurden // nit ferrer gehandelt wirt, dan ire der Juden genant ist vnd stedt, wo sy mochten, die Christen gen zu verdilgen vnd auch zu teiten [=töten (A.S.)] wie sy dan // taglich // ton, den fl. flüch, vber kayß. Mt. vnd die Christen in irer sprach sprechen, das weilendt der from doctor Johan Röchlin selig, oft vnd glawplich anzaigt hat. Ebd. Bl. 267r. Zum Zusammenhang zwischen diesen Vorwürfen und der Agitation Augustin Baders siehe Anselm Schubert: Täufertum und Kabbalah. Augustin Bader und die Grenzen der Radikalen Reformation, Gütersloh 2008, S. 191– 193; Voß: Umstrittene Erlöser, S. 148 – 152.
5.1 Das Jahr 1530 als Herausforderung und Kristallisationspunkt
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wurde und dass man sie für vogelfrei erklärte.⁸ Josel bezog sich in seinem Bericht höchstwahrscheinlich auf die im Juli 1529 durch Ferdinand verabschiedete Erneuerung der ‚Judenfreiheit‘, die Karl V. am 25. Juni 1521 dem Herzogtum Württemberg gewährte. In dieser Confirmatio wurde über das ursprüngliche Verbot des Zinsgeschäfts der Juden in Württemberg hinaus bestimmt, das diß nagenden würm⁹ [=Juden (A.S.)], in vnserm Fürstenthumb Wirtemberg nit gehalten, noch darein zuwandern gedult werden, Sonder so sie darinnen betretten, allermengklichen erlaubt sein, vencklichen angenomen, vnd gegen inen mit harter straff, an iren leiben, vnd haben, ernstlich gehandelt werden soll.¹⁰
In Josels Schilderung der Ereignisse scheint sich die jüdische Wahrnehmung des Ausmaßes der Gefahr widerzuspiegeln.¹¹ Aus dieser Perspektive war eine schnelle Reaktion unentbehrlich, und tatsächlich wurde auf interkommunaler Ebene eine Vereinbarung getroffen, Josel zum Kaiser zu entsenden. Nach dem Beschluss der jüdischen Gemeinden verfasste der jüdische Wortführer eine apologetische Schrift, mit der er den Spionage- und Verratsvorwurf zu entkräften trachtete.¹²
Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 321. Diese Anklage ist vor allem für die südwestliche Region des Reichs, einen Siedlungsschwerpunkt der Reichsjuden, belegt. Vgl. die antijüdische ‚Denkschrift‘ der 23 südwestlichen Städte an den Kaiser, die den Juden unterstellte, vnuerborgen kundt vnnd offennbar vnnd besonnder in des grewlichen Türcken zuge wider die Teuchsch Nacion gehandelt zu haben. StaBi Augsburg, 2° Cod H. 29, Bll. 327r–335v, hier Bl. 327r. Diese Bezeichnung für die Juden stammt aus der württembergischen Regimentsordnung von 1498 und wurde in allen späteren württembergischen Mandaten gegen Juden übernommen. Vgl. Lang: Ausgrenzung, S. 59. HStA Stuttgart, A 56 Bü 1 (5), 1. Darin ist auch die ursprüngliche Judenfreiheit von Karl V. enthalten. Ein weiteres Exemplar des gedruckten Privilegs befindet sich im CAHJP Jerusalem, DWu-4,1. Mehr über die Verhältnisse in Württemberg siehe Lang: Ausgrenzung, S. 61. Es muss hier angemerkt werden, dass Josels Aussage über die Maßnahmen gegen Juden mit der zitierten Bestimmung zwar übereinstimmt, allerdings findet man hierin keine Erwähnung über die Beschuldigung wegen Spionage. Die gleiche Verschränkung zwischen dem Spionagevorwurf und den antijüdischen Erlassen wiederholt eine spätere jüdische Quelle aus dem frühen 17. Jahrhundert: „In 5289 (1529) in all the lands there was a new accusation against the Jews […] impugning that they spy on the King {the Emperor}, may he be exalted, for the King of Ishmael {the Ottoman sultan}. In Consequence, there was a plot to deny the Jews their rights, leaving them unprotected and liable to massacre and extermination, Heaven forbid!“ A Jewish Chronicle from Prague, c. 1615, ed. von Abraham David, übersetzt. von Leon J. Weinberger und Dena Ordan, Alabama 1993, S. 9, zitiert nach FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 173. Die bekannten englischen und deutschen Übersetzungen für diese Passage (FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 321 und S. Stern: Josel von Rosheim, S. 80) geben m. E. Josels Aussage nicht korrekt wieder. Aus beiden entsteht der Eindruck, als wäre die beschlossene
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Zwar sind auch in diesem Fall Josels Worte der Entschuldigung ¹³ nicht überliefert, aber aus der Reaktion des Kaisers geht der Erfolg der Mission eindeutig hervor. Josel konnte erwirken, dass das Privileg, welches die Juden von Karl V. nach Empfahung, unser königlichen Crön zu Ach [=Aachen (A.S.)] erhalten hatten, von ihm nun alß Romischer gekronter keyser [..]ernewer[t], [..] confirmier[t] und [..] bestette[t] wurde.¹⁴ Darüber hinaus erreichte er, dass die Verletzung der jüdischen Freiheiten und Rechte mit einer der hohen Geldstrafe von fünffzig Markh lotigs Goldts geahndet werden sollte.¹⁵ Das Innsbrucker Privileg vom Mai 1530 stellte keine besondere Verbesserung der rechtlichen Position der Juden dar, denn er enthielt keine neueren Schutzbestimmungen. Seine Bedeutung lag daher in der Erneuerung der politischen Beziehungen der Reichsjudenschaft mit dem Kaiser, der darin die Reichsunmittelbarkeit der Juden betonte und seine Herrschaftsansprüche somit markierte.Von Wichtigkeit scheint zudem die durch die jüdische Aktion gewährleistete Kontinuität der personellen Beziehungen Josels von Rosheim zum Kaiser. Für Josel selbst kam ein persönlicher Gewinn hinzu, denn er erhielt vom Kaiser einen individuellen Schutzbrief ¹⁶, der zwar formelhaft gestaltet war, ihn aber unter direkten kaiserlichen Schutz stellte. Josel und die Juden profitierten zudem davon, dass auch der künftige römisch-deutsche König in Innsbruck zugegen war. Nur wenige Monate zuvor, am 28. Dezember 1529 hatte Ferdinand ein Mandat erlassen, das die Reisefreiheit der Juden durch seine Erbländer – darunter Württemberg, wo er die Statthalterschaft innehatte – stark einschränkte.¹⁷ Nun veranlasste die Gesandtschaftsmission Jo-
Vorgehensweise eine Initiative Josels gewesen. Allerdings bedeutet der hebräische Ausdruck על פי הסכמת הקהלות: „nach der Übereinkunft (bzw. Beschluss) der Gemeinden“. Ebd. Privileg von Innsbruck vom 18. Mai 1530, HHStAW, RK, RRegB Karls V., Bd. 9, Bl. 74v–75r. Eine beglaubigte Abschrift des Dokuments befindet sich zusammen mit weiteren Privilegien in den ‘Central Archives for the History of the Jewish People’ (CAHJP) Jerusalem, Inv. 3222 – 1. Eine weitere Abschrift befindet sich im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt (HStAD), C 1 A, Nr. 6, Bll. 449r–456v, hier bes. Bll. 449r–450v. Ein Druck des Privilegs liegt in HStAM, 86 Hanauer Nachträge, Nr. 26704. HStAD, C 1 A, Nr. 6, Bl. 450v. HHStAW, RK, RRegB Karls V., Bd. 9, Bl. 74r. Die einzige interessante Ausnahme darin im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Schutzbriefen für Juden ist die besondere Zollbefreiung. Möglicherweise war diese Einschränkung durch den Spionagevorwurf motiviert, denn Ferdinand war als österreichischer Landesherr und ungarischer sowie böhmischer König am stärksten von der türkischen Bedrohung betroffen. So erscheint der Wunsch nach Kontrolle über die durch seinen Herrschaftsbereich ziehenden Juden wenige Wochen nach Belagerung Wiens nur plausibel.
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sels, dass Ferdinand am 24. Mai eine ‚Erläuterung‘ für die vorher ausgegangene Bestimmung erließ. Demnach hätten die iuden die […] wolbekant sein auch die stewern vnd geleit gelt jarlich bezalen, [sich beschwert (A.S.)], das inen auß misuerstandt solicher vnnser Mandata ir freyer handel vnd wandel imer vnd durch die selben vnser landt vnd herschafften[… d]urch vnsere Amptleut Oberkeiten vnd vnderthanen gespert sey.¹⁸
Nun sollten die Freiheiten und Privilegien der Juden nicht mehr durch die Amtmänner verletzt werden. Vielmehr sollen sie ungehindert die Herrschaftsgebiete Ferdinands passieren dürfen.¹⁹ Der Hinweis darauf, dass die Einschränkung aus einer irrtümlichen Auslegung des Mandats seitens der Amtsleute resultierte, stammt vermutlich aus der Beschwerde der Juden. Damit sollte eine direkte jüdische Kritik der Amtshandlungen Ferdinands vermieden werden. Auch die Betonung und Differenzierung, dass dadurch nicht nur fremd Argkwönisch vnnd vnbekannt Juden, die kain Schein vnd vrkhund darzuthundt hetten, sondern auch ‚legitime‘, jüdische Geschäftsleute betroffen seien²⁰, wird wohl von den Juden selbst gestammt haben. Sie ließ Ferdinand nun einen Spielraum, die ursprüngliche Verordnung zu modifizieren, ohne einen ‚Gesichtsverlust‘ zu erleiden. Die Auseinandersetzungen über Pass- und Handelsrechte der Juden in Württemberg wurden damit zwar nicht beendet, dennoch hatten die Juden nun eine rechtliche Grundlage, um gegen eine Verweigerung ihres Durchzugs durch das Territorium zu klagen. Dies geschah auch recht bald, als die Juden Lazarus und Simon von Schwabach im Juli 1530 eine Supplikation im Namen der gantzer Gemainer Judischait an Ferdinand übergaben. Darin beschwerten sie sich wegen der Versperrung des Herzogtums für durchreisende Juden und nahmen dabei direkten Bezug auf das Mandat vom 24. Mai 1530.²¹ Während die rechtliche Argumentation der Supplikanten fundiert war, überrascht es, dass sich Lazarus und Simon außerdem auf ein allgemeines, inter- bzw. transreligiöses, göttliches Recht beriefen. Die Supplikanten meinten, man müsse sie gemäß ihren Freiheiten passieren lassen, damit vnns Armen, das erdtrich, so Got der Allmechtig yederman
Mandat von Innsbruck vom 24. Mai 1530, hier als ein ‚Vidimus‘ des Reichserzkanzlers, Erzbischof Albrecht von Mainz vom 29. Juni 1530: HStA Stuttgart, A 56 Bü 1, Q 5, Dok. Nr. 2 und auch Nr. 3. Eine weitere Kopie des Dokuments befindet sich in: ISG, JA 693. Die hier zitierten Stellen stammen aus dem in Stuttgart befindenden Dokument Nr. 3, Bl. 1v. Ebd. Ebd. Bl. 2r. Supplikation vom 20. Juli 1530, HStA Stuttgart, A 56 Bü 1, Q 6.
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zu guet geschaffen hat, nit gesperrt werde. ²² Außergewöhnlich in seiner religiösen Aufladung war auch der Schlusssatz der Supplikation, in dem Lazarus und Simon betonten, dass sie vmb e. Ka. Mt. aller vndertanigkhait zuuerdienen willig vnd vmb deselben gluckselig Regierung vnd langleben Got den Allmechtigen zubitten, Angedechtig sein wollen.²³ Es wird an späterer Stelle noch auf derartige religiöse Formel zurückzukommen sein, weil sie angesichts der massiven Politisierung der Religion im Zuge der Reformation als ein riskantes Unterfangen der Juden erscheint. Sollte es sich hier allerdings um eine rein sprachliche Strategie gehandelt haben, um Ferdinand zu einer möglichst günstigen Stellungnahme zu bewegen, so hatten die Supplikanten keinen Erfolg. Zwar gab Ferdinand den Befehl, man solle ihrem Gesuch stattgeben, allerdings erhielten sie keine generelle Passfreiheit für die gesamte Judenschaft, in deren Namen sie suppliziert hatten. Vielmehr wurde explizit angeführt, dass nur Lazarus, Simon und ihren Mitverwandten der Durchzug erlaubt sein soll, und zwar allein deswegen, weil sie mit vnnsern vnnderthanen in dem Fürstentumb Wirtemberg nichts sonnders zuthun gehabt, noch sy beschwert hätten, und weil sie von vnns ain sonnder Glaytt auf etliche Jar erhalten hatten.²⁴ Dabei ließ der Monarch auch diese individuellen Passrechte nicht allgemein gelten, sondern wollte, dass sein Regimentsstatthalter sich mit den beiden Bittstellern aushandele, wie vnnd welcher gestalt vnnd mit was maß sy die Zeit vnnsers Künigklichs Glaitts aus vnnserem Lanndt Würtemperg henndlen vnnd wanndlen sollen vnnd mügen. ²⁵ Zwar galten also die mit Josel ausgehandelten, moderaten Geleitsbestimmungen für ‚vergleitete‘ Juden in Habsburgischen Territorien, aber die gemeine Judenschaft konnte nicht auf einen generellen freien Durchzug durch Württemberg hoffen. Mit dem Zusammentreten des Reichstags in Augsburg sah sich die Judenschaft indes mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert. Die erste dieser Herausforderungen betraf neue und alte Beschuldigungen, die der Konvertit Anthonius Margaritha in seinem kurz vor dem Reichstag in Augsburg erschienenen Werk Der gantz Jüdisch glaub gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen vorbrachte.²⁶ Ganz in der Tradition der ‚Enthüllungsliteratur‘²⁷ – und ähnlich wie
Ebd. Ebd. Schreiben Ferdinand an den Statthalter seines Regiments in Stuttgart, Georg, Freiherr zu Waldburg und Reichserbtruchsess vom 4. August 1530. Ebd. Ebd. Anthonius Margaritha: Der gantz jüdische Glaub mit sampt ainer gründtlichen vnd warhafften anzaygunge Aller Satzungen Ceremonien, Gebetten, Haymliche vnd offentliche Gebreüch, deren sich dye Juden halten, durch das gantz Jar, Mit schönen vnd gegründten Argumenten wyder
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in Pfefferkorns Osternbüchlein, Judenbeicht und insbesondere seinem Judenfeind ²⁸ – zeichnete Margaritha jüdische Gebete und Bräuche nach. Dies tat er einerseits, um sie zu verhöhnen, andererseits, um den angeblichen jüdischen Spott und Hass gegenüber den Christen und dem Christentum aufzudecken. Gerade die ständige Wiederholung des Vorwurfs, die Juden würden den Untergang der gesamten Christenheit in ihren Gebeten und Zeremonien täglich herbeiwünschen²⁹, muss den Nerv der Zeit getroffen haben. Laut Margaritha würden die Juden Gott täglich darum bitten, das er ein grosse forcht vnd angst auf alle völcker vnd Christen werffe, vnd solle ein schwert vnd großsen krieg, von Orient biß zu Occident, vnnder den Christen erwecken. ³⁰ Dabei würden die Juden den Sieg der äußeren Feinde der Christen herbeisehnen: In summa alle der Juden Hoffnunge vnd betten ist dahin gerichtet, das der Christen Scepter hinweck genommen, vnd zu nichten werdenn sol, wie sy dan yetz in des türcken krieg ain vberflüssige freud gehabt vn verhofft, das scepter d[er] Christen solt hingenomen worden sein, denn alle ire scribenten schreiben, dieweil die Edomitter [=jüdische polemische Bezeichnung für die Christen (A.S.)] dz scepter haben, künden vnd mügen sy kain scepter
jren Glauben, Augsburg 1530 [VD 16 M 937]. Das genaue Druckdatum war der 7. April 1530. Mittlerweile ist die Literatur über Margaritha und sein Werk umfangreich geworden. Siehe z. B. Michael Thomson Walton: Anthonius Margaritha and the Jewish Faith. Jewish Life and Conversion in Sixteenth-Century Germany, Detroit 2012; Maria Diemling: Anthonius Margaritha and his ’Der Gantz Judisch Glaub’, in: Dean Phillip Bell, Stephen G. Burnett (Hrsg.): Jews, Judaism and the Reformation in Sixteenth-Century Germany, Boston-Leiden 2006, S. 303 – 333; Dies.: „Christliche Ethnographien“ über Juden und Judentum in der Frühen Neuzeit: die Konvertiten Victor von Carben und Anthonius Margaritha und ihre Darstellung jüdischen Lebens und jüdischer Religion, Diss. masch., Wien 1999; Peter von der Osten-Sacken: Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Anton Margarithas „der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002; Carlebach: Divided Souls; Josef Mieses: Die älteste gedruckte deutsche Übersetzung des jüdischen Gebetbuches aus dem Jahre 1530 und ihr Autor Anthonius Margaritha. Eine literarhistorische Untersuchung, Wien 1916. Vgl. Schreckenberg: Adversus-Judaeos, S. 604. Allgemein über die Praxis der Enthüllung der jüdischen Bräuche bei Konvertiten, vgl. Carlebach: Divided Souls, S. 170 – 199; Allgemein über die Darstellung von Juden in sogenannten christlichen Ethnographien über Juden siehe Deutsch: Judaism. Aus der Vielfalt der möglichen Beispiele für diese Ähnlichkeit sei hier eins aufgegriffen. Beide Autoren gehen auf die Begrüßungsformel ein, mit der die Juden Christen angeblich empfangen. Sie behaupten, dass die Juden nicht „seid willkommen“ sagen, sondern sprechen שדsched willkom, das ist teuffel kum ec. Margaritha: Der gantz Jüdische glaub, Bl. Bivr und vgl. Pfefferkorn: Judenfeindt, Bl. Aivr. Vgl. Margaritha: Der gantz Jüdische glaub, Ciiv, Diiv, Fir, Fiiir, Fivvf., Niiiv, u. v. m. Ebd. Bl. Ciiv.
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vberkomen, wenn aber das scepter von Edomitern genomen werde, dan so werden sy ir scepter wider vberkommen.³¹
Margaritha sprach im Rahmen seiner ‚Aufdeckung‘ der vermeintlich verborgenen Wünsche und Praktiken der Juden die größten Ängste der Zeitgenossen an und machte die Juden zu gefährlichen Feinden der Christen.³² Es ist daher kein Wunder, dass sein Werk auf dem Augsburger Reichstag Wiederhall fand, zumal darin der vermeintliche Spott der Juden gegenüber der christlichen Obrigkeit auf provozierende Art thematisiert wurde.³³ Unter diesen Bedingungen überrascht es auch nicht, dass der Kaiser Josel von Rosheim voll mit Zorn befahl, sich zu diesen Anschuldigung im Rahmen einer öffentlichen Disputation gegen Margaritha zu äußern.³⁴ Selma Stern hat zu Recht auf die große Verantwortung hingewiesen, die Josel zu tragen hatte, als ihm befohlen wurde, gegen den Konvertiten Margaritha zu disputieren.³⁵ Die politischen Konsequenzen hätten die Judenschaft schwer treffen können. Vermutlich aus dem gleichen Grund hatten die Frankfurter Juden etwa 20 Jahre zuvor ihren Gesandten zum kaiserlichen Hof in Italien angewiesen, alles zu tun, um eine öffentliche Disputation gegen Pfefferkorn zu verhindern.³⁶ Allerdings hatte Josel bereits einige Erfahrungen in der apologetischen Verteidi-
Ebd. Bl. Gir. Über die Bedrohungsszenarien durch die Türkengefahr und die Gefahr der Spaltung in der Christenheit siehe z. B. Damaris Grimmsmann: Krieg mit dem Wort. Türkenpredigten des 16. Jahrhunderts im Alten Reich [Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 131], Berlin 2016; Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978; Martin Wrede: Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg, Mainz 2004; Thomas Kaufmann: „Türckenbüchlein“ Zur christlichen Wahrnehmung „türkischer Religion“ in Spätmittelalter und Reformation [Forschungen zu Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 97], Göttingen 2008; Simon Hadler: Zugehörigkeit durch Abgrenzung. Der Türke als der Andere Europas, in: Gregor Feindt u. a. (Hrsg.): Europäische Erinnerung als verflochtene Erinnerung. Vielstimmige und vielschichtige Vergangenheitsdeutungen jenseits der Nation, Göttingen 2014, S. 93 – 118, hier S. 112– 113. Zur Haltung Karls V. dazu siehe Schorn-Schütte: Karl V., S. 7– 8 und Eike Wolgast: Die Wahrnehmung von Nichtchristen und konfessionellen Gegnern in der Frühen Neuzeit, in: Ders.: Aufsätze zur Reformations- und Reichsgeschichte, Tübingen 2016, S. 487– 505. Darnach betten sie wider alle oberkeit der Christen vn nennen sy ein gotloses vnd schalckhafftiges künigreich. Margaritha: Der gantz Jüdische glaub, Bl. Ciiv. עד שבחימה שפוכה שלח הקסר בי להשיב תשובה תכף בלי שהיה. Josel von Rosheim: Sefer ha-Miknah, S. 15. Vgl. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 87. Vgl. Kracauer: Actenstücke, Akt. Nr. VI, S. 224. Außerdem siehe Kap. 3.2.1.
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gung seiner Glaubensgenossen gesammelt, musste er doch seine Fähigkeiten bereits bei der Abwehr der Blutbeschuldigung von Pösing und des Spionagevorwurfs unter Beweis stellen. Diese waren aber nicht die einzigen dokumentierten Fälle, in denen Josel als Verteidiger seiner Glaubensgenossen auftrat. Die Auffassung von der Reformation als ein Werk der Verunreinigung des Glaubens durch jüdische Einflüsse verbreitete und verselbstständigte sich im Laufe der 1520er Jahre. 1530 verdichtete sie sich zum Vorwurf, die Juden hätten den Luterischen Iren glauben gelert. ³⁷ Damit stand der Vorwurf im Raum, die Juden hätten die Fäden im Hintergrund gezogen, um die Spaltung in der Christenheit herbeizuführen.³⁸ Tatsächlich mehrten sich seit dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die Begegnungen zwischen jüdischen Gelehrten und christlichen Hebraisten, in denen nicht nur die hebräische Sprache, sondern auch die rabbinische Literatur vermittelt wurde. Nun gehörte eine große Anzahl an christlichen Hebraisten der Reformationsbewegung und genossen als viri trilingui ein hohes Ansehen.³⁹ Vermutlich erwuchs der Vorwurf der jüdischen Mitwirkung an der Zersplitterung der Christenheit aus diesem Austausch bzw. wurde auf diesen projiziert. Dies führte offensichtlich zu einem Verfahren gegen die Juden und auch dort musste Josel vor die Obrigkeit treten und die Beschuldigung entkräften. In seiner einige Jahre später verfassten Trostschrift schrieb er über diesen Fall, wie er 1530 vor unserm Allergn. Herren und Konig unser entschuldigung furbracht, daß man uns belogen hab etc. ⁴⁰ Mit dieser kryptischen Aussage meinte er womöglich, dass lutherische Gelehrte jüdisches Wissen genutzt hätten, um ihre Lehre mit Argumenten aus dem Alten Testament und der rabbinischen Literatur zu untermauern, ohne dass die Juden davon gewusst hätten. Trotz dieser apologetischen Erfahrungen suchte Josel die offene Konfrontation mit Margaritha nicht, sondern vermittelte stattdessen in seinem Bericht den
Josel von Rosheim: Josephi od. Jesels Juden Trostschrift ahn seine Brüder wider Buceri Buchlin, sine die et consule (datiert auf 1541), zitiert nach der Edition bei Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 340 – 374 (einschließlich Einleitung und englischer Übersetzung), hier S. 362. Dieser Vorwurf kann im Zusammenhang mit Margarithas Unterstellung gesehen werden, wonach die Juden einen großen Krieg unter den Christen herbeisehnten. Darüber siehe z. B. Stephen G. Burnett: Christian Hebraism in the Reformation Era (1500 – 1660), Authors, Books, and the Transmission of Jewish Learning, Leiden – Boston 2012 und Otto Kluge: Die hebräische Sprachwissenschaft in Deutschland im Zeitalter des Humanismus, in: ZGJD 3 (1931), S. 81– 97, 180 – 193; 4 (1932), S. 100 – 129. Josel von Rosheim: Trostschrift, Bl. 21v. Siehe Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 362.
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Eindruck, als sei er durch den Zwang zur Disputation in eine große Not geraten.⁴¹ Die Disputation, die am 25. Juli 1530 stattfand, war tatsächlich eine gewichtige Veranstaltung, bei der der Kaiser, sein Bruder und alle Stände des Reichs zugegen waren. Sie war zudem ein formalisiertes Verfahren, das durch Comesarien und retten überwacht wurde. Man begrenzte die Themen gemäß der üblichen zeitgenössischen Praxis⁴² auf drei zentrale Punkte, die sich an Vorwürfen aus Margarithas Werk orientierten.⁴³ In seiner Sefer ha-Miknah listete Josel diese Punkt auf ⁴⁴: 1. Die Juden verfluchen die Christen, 2. sie verspotten Jesus in ihrem „עלינו “לשבחGebet (Alenu le-schabe‘ach = Wir müssen Gott loben)⁴⁵ und 3. sie verführen Christen zur Konversion ins Judentum.⁴⁶ Über den Verlauf der Disputation ist nichts bekannt, weil keine Protokolle überliefert wurden.⁴⁷ Josel berichtet aber davon, dass seine Antworten „überle Vgl. z. B. Josel von Rosheim: Sefer ha-Miknah, S. 15 und Ders: Trostschrift, in: FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 362 (früherer Druck befindet sich in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 180 – 184). Über christliche jüdische Disputationen im 16. Jahrhundert siehe z. B. Hayim Hillel BenSasson: Jewish-Christian Disputation in the Settings of Humanism and Reformation in the German Empire, in: Harvard Theological Review 59 (1966), S. 369 – 390; Friedrich Battenberg: Reformation, Judentum und landesherrliche Gesetzgebung. Ein Beitrag zum Verhältnis des protestantischen Landeskirchentums zu den Juden, in: Andreas Mehl und Wolfgang Christian Schneider (Hrsg.): Reformatio et reformationes. Festschrift für Lothar Graf zu Dohna zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1989, S. 315 – 346. Zur literarischen Gattung der Disputation mit Schwerpunkt auf jüdisch-christliche Streitgespräche Gaby Knoch-Mund: Disputationsliteratur als Instrument antijüdischer Polemik. Leben und Werk des Marcus Lombardus, eines Grenzgängers zwischen Judentum und Christentum im Zeitalter des deutschen Humanismus, Tübingen 1997, bes. Kap. 4, S. 190 – 271. Insgesamt ist die Forschungslage zur Disputationskultur in der Reformationszeit eher dürftig und bezieht sich meist auf die Stellung der Reformatoren zu den Juden. Vgl. Josel von Rosheim: Sefer ha-Miknah, S. 15 und Josels Supplikationen an den Straßburger Rat von 1543. Erste Supplikation vom Mai 1543 gibt Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 311, Anm. 4 wieder. Die zweite Supplikation vom 11. Juli 1543 wird in Auszügen ebd. S. 332– 334 vorgebracht und vollständig gedruckt in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 400 – 408. Vgl. Josel von Rosheim: Sefer ha-Miknah, S. 15; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 179 und Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 311. Vgl. Margaritha: Der gantz Jüdische glaub, Bl. ciiir–diiir. Ärger verursachte das Gebet vor allem durch die Aussage, dass die Juden zum König aller Könige beteten, während andere Völker sych knyen vn bucken zu ainer thorhait vnd eyttelkait, vnd betten zu einem got der nit helffen kan. Dabei wurde das jüdische Wort für ‚helfen‘ =יושיעJoschia als eine Anspielung und Verhöhnung des Namen Jesus=Joschua verstanden. Ebd. Kir. Dort behauptet Margaritha: [o]b aber die Judn sprechen wolten, sy machten yetzmal auß keinem Christen kain juden, sage ich in götlicher warheit das es offt geschicht… Gegen die Mutmaßung Carlebachs: Divided Souls, S. 51, dass gar kein Protokoll geführt wurde, spricht Josels Aussage in seiner Trostschrift: E. Ers[ame] Rath zu Augsprug(!) wißen tregt,
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gen“ ( )תשובות ניצחותwaren und Margaritha in der Folge verhaftet und anschließend aus Augsburg ausgewiesen wurde.⁴⁸ Laut seiner Interpretation habe die Niederlage Margaritha sogar dazu veranlasst, zu „Luther in den Bund zu gehen“, d. h. in das protestantische Lager überzuwechseln.⁴⁹ In der Tat ist bekannt, dass Margaritha bereits im folgenden Jahr an der lutherischen Universität in Leipzig Hebräisch lehrte und dass seine Schrift einen Einfluss auf Luthers antijüdische Einstellung in den 1540er Jahren hatte.⁵⁰ Da aber Margaritha spätestens ab 1534 und bis zu seinem Tod (1542) im katholischen Wien tätig war, kann sein „Bund mit Luther“ nicht so fest gewesen sein, wie Josel es in Sefer ha-Miknah darstellte.⁵¹ Auch Margarithas Haft und Ausweisung waren nicht unbedingt eine direkte Folge der Niederlage in der Disputation. Laut Margarithas eigene Aussagen, sei er in Haft gekommen, nachdem die Juden ihn hinterhältig und mit der Hilfe eines Falschmünzers in Verruf gebracht hätten. So soll der listige bouben hinderruckh dargeben, ich wolte wider zu irem [=der Juden (A.S.)] glauben fallen, ich were auffüerisch, ich hette Kayserlich Mayestat Rät vbel nachgeredt vnd auch gefloucht. ⁵² Josel von Rosheim und die Disputation erwähnte Margaritha hingegen mit keinem Wort.⁵³ Der Zweck der Disputation war laut Josels Bericht die Überprüfung des Wahrheitsgehalts von Margarithas Vorwürfen und nicht, wie Elishava Carlebach argumentiert, „a political debate as to whether the emperor should extend the customary privileges of toleration to Jews“.⁵⁴ Der Kaiser hatte diese Privilegien schließlich bereits zwei Monate zuvor erneuert. Etwa zehn Tage vor der Disputation bestätigte er zudem – zumindest implizit – den rechtlichen Status der Juden
dartzu der hochgelert Doctor Mathias Helldt, Ro. Keys. Mt. Jetziger Cantzler, und Doctor Brandtner solche Disputation uffgeeben mußten. In: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 362. Josel von Rosheim: Sefer ha-Miknah, S. 15, wo Josel zugleich betont, dass er seinen Sieg über seinen Widersacher nur durch Gottes Hilfe erringen konnte. Vgl. außerdem Josels Schreiben an den Rat zu Straßburg vom 11. Juli 1543, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 405. Josel von Rosheim: Sefer ha-Miknah, S. 15. Siehe dazu Osten-Sacken: Martin Luther. Dies erfährt man u. a. von einer weiteren antijüdischen Schrift, die Margaritha 1534 in Wien veröffentlichte und dem Mainzer Erzbischof Albrecht II. widmete. Anthonius Margaritha: Der hebrayschen zungen bey der löblichen Universitet zu Wienn in Osterreych ec. Dißmal Ordinari Lector, erklerung. Wie aus dem heylligen 53. Capittel, des fürnemigisten Propheten Esaie grüntlich außgefüert, probiert, das der verhaischen Moschiach (wellicher Christus ist) schon khomen, die Juden auff khainen anndern mer wartten sollen … Wien 1534. Margaritha: Der hebrayschen zungen, Bl. CXVII. Dass Josel von Rosheim die zweifelhafte Person sein könnte, die zu Margarithas Verhaftung geführt hatte, wie Walton: Anthonius Margaritha, S. 77 mutmaßt, erscheint nicht plausibel. Carlebach: Divided Souls, S. 51.
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als Reichsangehörige, als er einige Mandate bezüglich der jüdischen Pflicht, den Opferpfennig zu entrichten, erließ.⁵⁵ Möglicherweise bezog sich Carlebach mit ihrer oben zitierten Interpretation auf das Privileg, das der Kaiser den Juden am 12. August 1530 verliehen hatte.⁵⁶ Allerdings kann es nicht in Zusammenhang mit der Disputation Josels mit Margaritha gebracht werden. Im Zeitraum zwischen dem 25. Juli – dem Datum der Disputation von Augsburg – und dem 12. August verlieh Karl V. sogar zwei Freiheitsbriefe gegen die Juden.⁵⁷ Anlass für das neue Privileg war vielmehr ein Fall in der Grafschaft Hanau, wo ein jüdisches Mädchen durch einen Edelmann – Wilhelm Waise von Feuerbach⁵⁸ – entführt und in dessen Schloss festgehalten wurde. Der Vater des entführten Kindes, Mosse, wandte sich offensichtlich an Josel von Rosheim und bat ihn um Hilfe. Josel wandte sich in der Folge mit einer Supplikation an die Obrigkeit des Entführers, Graf Balthasar von Hanau, und bat ihn darum, dem Juncker zu befehlen, dass er Moße sein fleyß vnd plut [Fleisch und Blut (A.S.)] zu seynen Handen widerstellen solle.⁵⁹ Josels Argumentation in seiner Supplikation an den Grafen von Hanau ist von besonderer Wichtigkeit, weil sie Elemente enthält, die in den Bestimmungen des künftigen Privilegs von Augsburg ihren Niederschlag finden sollten. Josel betonte
HHStAW, RK, RReB. Karls V, Bd. 17, Bl. 354v. Vgl. zudem die Privilegierung des Konstanzer Bischofs Balthasar und des Hofmeisters Ferdinands Wilhelm Freiherr zu Regendorf mit der Eintreibung des Goldenen Opferpfennigs ebd., Bd. 12, Bll. 8v–10r, Bd. 13, Bll. 104v–105v und bes. Bd. 17, Bll. 353r–354v. Vgl. außerdem das Mandat des Kaisers an die Juden in der Sache: ebd. Bd. 13, Bll. 106rf. und Bd. 17, Bll. 354v–355r. All diese Schriftstücke wurden in Augsburg am 15. Juli 1530 ausgestellt. Vgl. HStAD, C 1 A Nr. 6, Bll. 450v–453r und HHStAW, RHR, Confirmationes privilegiorum deutsche Expedition (Conf. Priv.), K(arton) 95, Bll. 24r–27r. Da es um unterschiedliche Abschriften des gleichen Privilegs handelt, gibt es neben den vielen orthographischen Unterschieden auch einige inhaltliche Abweichungen (Auslassungen und verrutschte Stellen im Text). Das Wiener Exemplar – es handelt sich um ein ‚Vidimus‘ durch die Stadt Worms von 30. Mai 1540 – ist das vollständigere Dokument und wird deswegen vorwiegend benutzt. Der erste Freiheitsbrief wurde am 29. Juli der Stadt Colmar gegeben: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 34, Konv(olut) 4, Nr. 6. Vgl. dazu Kracauer: Procès. Am 6. August erhielt auch Kaufbeuren die Judenfreiheit.Vgl. Stadtarchiv Augsburg (StaAA), Urkunden Reichsstadt Kaufbeuren, Urk. 264 und HHStAW, RHR, Con. Priv., K. 101, Konv. 3, Nr. 2. Über dieses Adelsgeschlecht siehe Ernst Heinrich Kneschke (Hrsg.): Neues allgemeines deutsches Adels-Lexicon, Bd. 9, Leipzig 1870, S. 438 f. Vgl. Uta Löwenstein (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Marburg 1267– 1600, Bd. 1, Wiesbaden 1989, S. 261. Vgl. die Supplikation Josels von Rosheim an Graf Balthasar von Hanau vom 18. Juli 1530: HStAM, 86 Hanauer Nachträge Nr. 6000 c.
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zunächst den rechtlichen Status des Vaters des entführten Mädchens, denn Mosse habe seyn steuher vnd Zinß Euwer Gnadt vnd Euwer genaden mitverwanten vßsgericht vnd betzalt, darumb er von Eurer Gnadt mitsampt der andern mitverwanten getrost vnd gefreyhet ist, zu Mintzenburg wonen vnd Beschirmbt soll sein, mitsampt sein weyb vnd Kinder, Haben [und] guther.⁶⁰
Aus dieser Feststellung konnte Josel die Pflicht des Grafen herleiten, die Rechte des Juden und dessen Familie zu schützen. Denn die Handlung des Junkers sei wider alle natürliche auch geistliche gesatz und ordenunng, wie auch der Landtfriden außwist. Außerdem verboten mehrere Kaiser und Päpste, dass man vnser Kinder von vns zu [..] Kristen glauben soll infüren oder verschlissen ec. Ferner habe auch die jetzige kaiserliche Majestät die gemeynen Judenscheit deutzer Nacion in Schutz vor deßgleichen Gewalt genommen.⁶¹ Als Beweis wurde der Supplikation eine Kopie (in Druckform) des Innsbrucker Privilegs vom Mai 1530 beigefügt.⁶² Josel erwähnte sogar die im Privileg genannte Geldstrafe, die bei Verletzung der Bestimmungen zu entrichten wäre: [n]ämlich fünffzig margk ledigs golt darüber gesetzt Halb in Mayt. und halb gedachtn Juden. ⁶³ Sollte in der Sache nichts geschehen, so müsste Josel […] als von wegen vnd auß beuelch [=Befehl (A.S.)] verordet von kay.lich Mayt. auch von eyner gemeyne Judenßheit […] gegen gedachten Junckeren mit Keyserlichem Rechten vurnemen an ordt vnd Endt, da sich daß geburt.⁶⁴
Josel schloss also seine Argumentation mit der selbstbewussten Erklärung, dass die Juden bereit seien, die Einhaltung ihrer Rechte vor Gericht zu erstreiten. Allem Anschein nach konnte die Berufung auf das Innsbrucker Privileg den Fall nicht zu einem Abschluss führen, weshalb die Juden sich veranlasst sahen, sich um die Erlangung spezifischer Schutzbestimmungen gegen derartige Über-
Ebd. Bl. 1. Ebd. HStAM 86 Hanauer Nachträge Nr. 26704. Die Adressierung lautet: Copey der Confirmation der Juden Freyheit, Vff Sambstag nach Vincula Petri M.g. H. Graff Balthasarn durch ein keyserlichen Bott vberantwurt vnd gegen dem original collacionirt worden. HStAM, 86 Hanauer Nachträge Nr. 6000 c, Bll. 1 f. Des Weiteren erinnert Josel den Grafen Balthasar und seinen Neffen, dessen Vormünder er war, daran, dass sie auß gerechten pflicht Billich ire Burger mit sampt seyner Kinder ,Haben, güter zu schirmen schuldig sein, sowie daran, dass die Handlung des Junkers gegen den Land- und Burgfrieden verstieß. Ebd. Bl. 3.
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griffe zu bemühen. Ein Privileg, das König Sigismund ca. 1414 den Juden in den elsässischen Städten verliehen hatte, bot dabei eine geeignete Vorlage, da es das Verbot umfasste, das man auch khainen der vorgenannten Juden, ire weyb vnnd Khinder, zu der tauff dringen solle. ⁶⁵ In der Tat stellt das Augsburger Privileg vom 12. August 1530 eine Erneuerung dieses Freiheitsbriefs dar, dessen Geltungsbereich nun auf alle Juden im Reich ausgeweitet wurde.⁶⁶ Abgesehen vom Schutz vor Zwangstaufen besteht eine weitere Verbindung zwischen der Supplikation Josels an den Grafen von Hanau und dem gewährten Privileg Karls V. So korrespondiert Josels Argumentation, dass die Juden den gleichen Land- und Burgfrieden wie die Christen genießen sollten, mit einer Bestimmung des Privilegs. Dort wird ausgeführt, dass man ir leib oder guet in Stetten, dorffern, auf dem velde, auff Strassen, vnd auff wassern, beschirmen soll, vnd das inen alle straßen offen sein sollen, vnd das sye auch darauff aller Freyhait schirmens, fridens vnd gnaden, Ob sey fridt, oder krieg geniessen vnd willhafftig sein sollen vnd mugen, des Cristen Edel vnd vnedel geniessen, vnd Tailhafftig sein.⁶⁷
Das Privileg ist schließlich aus einem anderen Grund bedeutend. Die Erklärung des Kaisers darin, die Juden gehörten zu seiner vnd des reichs Camer, bedeutete vermutlich nicht nur der Schutz vor der Willkür lokaler und regionaler Obrigkeiten, sondern kann auch als eine Reaktivierung der Institution der Kammerknechtschaft verstanden werden. Obwohl diese Rechtsinstitution ihre Schutz-
HStAD C 1 A, Nr. 6, Bl. 451v. Laut Friedrich Battenberg soll sich das Privileg nicht wesentlich von einem gleichzeitigen Privileg für die Heilbronner Judenschaft unterschieden haben. Vgl. Das Privileg König Sigismunds für die Juden der Stadt Heilbronn vom 15. Oktober 1414, gedruckt in: Eugen Knupfer (Bearb.): Urkundenbuch der Stadt Heilbronn [Württembergische Geschichtsquellen, Bd. 5], Stuttgart 1904, Nr. 451, S. 210 – 212. Beide Urkunden standen „in einer Serie von Privilegien, die [..] Sigmund in den Jahren 1414 und 1415 verschiedenen Reichsstädten und schließlich der gesamten Judenschaft des Reichs gewährte“. Battenberg: Privilegierung, S. 157 und Ders.: Heilbronn und des Königs Kammerknechte. Zu Judenschutz und Judennutzung in Stadt, Region und Reich, in: Christhard Schrenk / Hubert Weckbach (Hrsg.): Region und Reich. Zur Einbeziehung des Neckar-Raumes in das Karolinger-Reich und zu ihren Parallelen und Folgen. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 15. Bis 18. März 1991 in Heilbronn, Heilbronn 1992, S. 271– 305, bes. S. 278. Die weiteren Privilegien, die Sigismund in der jener Zeit unterschiedlichen Judenschaften verlieh, finden sich als Regesten bei Friedrich Battenberg (Hrsg.): Die Gerichtsstandprivilegien der deutschen Kaiser und Könige bis zum Jahre 1451 [Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 12,2], Köln – Wien 1983, Nr. 1133, 1154, 1157, 1163a, 1184, 1197 und 1198. Interessanterweise fehlt das Verbot der nicht einvernehmlichen Taufe von jüdischen Kindern in einer Abschrift des Privilegs von 1540. Vgl. HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, Bl. 25r. HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, Bl. 25r.
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funktion seit sehr langer Zeit nicht erfüllte, scheint es, dass die Juden die Unterordnung unter dem unmittelbaren kaiserlichen Schutz als die effektivste Lösung ihrer Probleme betrachteten. Dies zeugt von einem großen Vertrauen der Juden in das Kaisertum und ganz konkret in Kaiser Karl V. – bzw. von einem großen Misstrauen in die übrigen Stände und Institutionen des Reiches. Dass dieses Misstrauen gerechtfertigt war, zeigt eine lange Anklageschrift von insgesamt 23 Freien und Reichsstädten gegen die Juden, die am 2. August 1530 dem Kaiser überreicht wurde.⁶⁸ Es handelte sich dabei vorwiegend um Städte aus südlichen und südwestlichen Regionen des Reichs, die in der Nähe von großen jüdischen Siedlungen gelegen waren. So waren es Städte wie Colmar, Hagenau und Straßburg im Elsass, Offenburg im Baden, Bingen und Regensburg, die sich den Klagen gegen die Juden anschlossen. Die überwiegende Mehrzahl der Städte ließ zwar keine Niederlassung von Juden in ihrem Herrschaftsbereich zu, sah sich aber vom Handeln der Juden in nahgelegenen Gebieten betroffen.⁶⁹ In der Supplikation beschwerten sich die Städte über das geschäftliche Gebaren der Juden, das sowohl den einzelnen Christen als auch der jeweiligen Obrigkeit und der Allgemeinheit schadete. Die einzelnen ‚armen‘ christlichen Untertanen litten demnach vor allem darunter, dass die Juden ihnen Geld zu solch hohen Zinsen liehen, das die selben durfftigen Cristenn, inen höchste verbrievet, verschreybung geben, vnnd […] Sich (!) darinnen gegen inen beschwärlicher weyß verzeyhenn müssten.⁷⁰ Aber nicht nur die hohen Zinsen stellten ein Problem dar. Die Juden zögen außerdem alle erdenklichen, kaiserlichen und päpstlichen Privilegien heran, um die armen Christen vor Kayßerliche vnnd annder frömbde hofe oder lanndtgericht vorzuladen. Damit würden die Christen von irem ordenlichem [Gerichtsstuhl (A.S.)] darzue sie gesessenn sein, vnnd allso in frembde gericht gewalltigklich gezogen. ⁷¹ Dieser Zustand sei nicht zuletzt deswegen untragbar, weil das Erscheinen vor fremden Gerichten sehr kostspielig sei und den vnwider-
Eintrag in die Ratsprotokolle der Stadt Augsburg vom 2. August 1530: StaAA, Mikrofilm-Rolle (M/R) 30, Bl. 29r. Vor allem die Judenschaft Schwabens stand im Zentrum der Beschwerde der Städte Ulm, Augsburg, Reutlingen, Donauwörth, Schwäbisch-Hall, Schwäbisch-Gmünd, Isny (im Allgäu), Aalen, Bopfingen, Nördlingen, Biberach, Kempten, Memmingen, Wangen (im Allgäu), Heilbronn, Kaufbeuren und Dinkelsbühl. Vgl. StaBi Ausgsburg, 2° Cod H. 29, Bll. 327r–335v, hier Bl. 335v. Über diese Schrift im Allgemein siehe Heinrich Lutz: Conrad Peutinger. Beiträge zu einer politischen Biographie, Augsburg 1958, S. 312 und Ludwig Müller: Aus fünf Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Riess, Augsburg 1900, S. 82– 86. StaBi Ausgsburg, 2° Cod H. 29, Bl. 327v. Ebd. Bl. 328r.
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bringlicher versamnuß irer Arbait bedeute. Im Resultat seien diese Christen derart verarmt, dass sie ihre Ehefrauen und Kinder nicht mehr ernähren können.⁷² Dabei ging es den Städten nicht allein um das Wohl ihrer Untertanen, sondern in erster Linie um die vermeintliche Untergrabung ihrer Herrschaftsrechte durch die von Juden angestrengten Gerichtsprozesse. Denn die Vorladung der Untertanen vor fremde Gerichte bedeutete in den Augen der supplizierenden Städte die Entfernung derselben von Iren ordenlichen gerichts herren durch einen ungepurennde[n] Gerichtszwang.⁷³ Gerade die Gerichtsbarkeitsproblematik war für die genannten Städte relevant, weil sie alle unter der Zuständigkeit des kaiserlichen Hofgerichts in Rottweil fielen.⁷⁴ Dieses Gericht war in der Tat eine bevorzugte Anlaufstelle für jüdische Geldleiher, die gegen ihre Schuldner gerichtlich vorgehen wollten.⁷⁵ Dies galt umso mehr für Streitigkeiten mit Untertanen solcher Territorien, zu denen den Juden kein oder nur sehr beschränkter Zutritt gewährt wurde. Die Klage richtete sich auch gegen einzelne Praktiken der jüdischen Geld- und Pfandleiher, die aus Sicht der Städte eine große Beschwernis für die christlichen Untertanen waren. So müssten sich die armen Christen verpflichten, nit allein gelichen hauptgut, sonder auch vmb den kunfftigen, schweren [=schwören], vnd im fußstapffen abgeraiten wucher, auff genannte zeyt, Auch alls fur
Ebd. Ebd. Über diese Jurisdiktion siehe die Bestimmung der Freiheit Rotweils von 1496, die sich auf folgende Gebiete erstreckte: Nemlich von Rotweil biß an die Fürst vnnd an das gepirg Jhenhalb ober Elsas vnnd hiedißhalb dem gpirg dem Rhein ab vnnd biß gen Coln vnd mit fürab, vnnd hiedißhalb dem Rhein, widerumb herauf gen Frannckfurt vnnd als weit Franckfurt lanndt geet biß an den Thuringer waldt, vnnd in Francken vnnd Schweinfelden biß an das bairlanndt vnnd hiedeßhalb bairen weither biß gen Augspurg an den Lech vnnd mit vber den Lech vnnd vor dem gebirge wither was vor dem gepirt leyt gen Schwaben zu biß gen Chur vnnd was an dem selben Strich vnd Kraiß vmbher leyt biß geen Appenzell, gen Schweitz, geen Lutzern, gen Bern, gen Freyburg, in vechtlanndt vnnd denselben Kraiß vmbher bis gen welschen Newemburg, vnnd dnnwen wither biß gen Brwndrut, gen Munippellgart, vnd nit füro, vnnd daswelbst wider herumb biß an den Forst vnd an das gepirg Jhenhalb ober Elsas vnnd an alle Ende so zwischen den vorgeschriben kraiß von ainem an den anndern ligendt, weit lanng vnd brait. StaBi Ausgsburg, 2° Cod H. 29, Bl. 30rf. Vgl. Gerd Mentgen: Das kaiserliche Hofgericht Rottweil und seine Bedeutung für die Juden im Mittelalter am Beispiel des Elsaß, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte [Germ. Abt.] 12 (1995), S. 396 – 407, hier bes. S. 397 f. Außerdem Müller: Aus fünf Jahrhunderten, S. 160 – 165 und Lang: Ausgrenzung, S. 189 f. und 221– 224. Die Problematik der jüdischen Anklagen gegen christliche Untertanen im Hofgericht zu Rottweil bestand nicht nur aus städtischer Sicht, sondern auch aus territorialer Perspektive. Zum Fall Württemberg siehe z. B. Lang: Ausgrenzung, S. 62 und das Privileg Karls V. an Württemberg vom 15. Oktober 1530: HStA Stuttgart, A 56 Bü 2, Q 2 (7), Bl. Aiir.
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Hauptgut auff das Häfftigeßt zu uerschreiben vnnd den nit in warer [a]lls wucher sonnder alls hauptgut zusetzen, vnnd doch nit mer anlehenn weyß empfachen, dann alls vil inen mit grundt, vnd bestänndiger weyße gelichenn.⁷⁶
Demnach bezichtige man die Geld- und Pfandleiher nicht allein wegen der hohen Summen, die für das Hauptgut verlangt wurden, sondern auch wegen der Erhebung von Zinseszinsen als des unzulässigen Wuchers. Dabei qualifizierte man gleichzeitig das Geldleihen auf Pfand an sich als Wucherei. Zudem wollte man auch das Kaufen und Verkaufen von Pfändern auf Anleihen verbieten lassen, mit denen die Juden einen beschwärlichen wucher darauff schlachen. ⁷⁷ Zu diesen in der Zeit häufig vorgebrachten Beschwerden kam die ebenfalls übliche Kritik über den jüdischen Handel mit gestohlener Ware, das wie die anderen unbilligen Praktiken verboten werden sollte.⁷⁸ Die jüdischen Geschäftspraktiken führten laut der Klage der Städte zudem zu fiskalischen Verlusten vieler Obrigkeiten, deren Untertanen wegen des jüdischen Wuchers ins Verderben stürzten. Der Wegfall an Steuereinahmen beträfe aber nicht nur die freien und Reichsstädte, sondern auch das gemainenn einkomen, [das] der maßen täglich für vnnd für geschmelert werden [würde], dardurch Ewer Kay. Mt. vnd dem hailligen Reych, auch mangell vnd abbruch zugefuegt würde.⁷⁹ Um diesen großen Schaden vom Reich und seinen Gliedern abzuwehren, schlugen die Städte vor, der Kaiser solle die schädliche Judenschaft auß hoch teitsch Lannden schaffen, vnd weck thon, Oder ob das nit sein möchte, Ir wucheren abschaffen, das verbieten, vnnd sie zu der HanndArbait tringen, vnnd hallten lassen, dann inen der wucher in der Bibell, vnnd Hailliger schrifft verbotten ist.⁸⁰
Die Klageschrift der oben genannten Städte fügte sich in eine antijüdische ‚Tradition‘ der Reichsstädte ein, die mit den Vertreibungen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Der Ärger der städtischen Obrigkeiten darüber, dass die Judenausweisungen das Problem des jüdischen Wuchers nicht gelöst hatte, führte nun mit der Forderung nach einer Generalvertreibung oder einem Generalverbot der jüdischen Geldleihe zu einer neuen Eskalationsstufe im Kampf gegen die jüdische Schädlichkeit. Die Suppli-
StaBi Augsburg 2° Cod H. 29, Bl. 329r. Ebd. Bl. 329v. Vgl. ebd. Bl. 330v. Über das ‚jüdische Hehlerrecht‘ siehe Friedrich Lotter: Talmudisches Recht in den Judenprivilegien Heinrichs IV.? Zu Ausbildung und Entwicklung des Marktschutzrechts im frühen und hohen Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 72 (1990), S. 26 – 33. StaBi Augsburg 2° Cod H. 29, Bl. 330rf. Ebd. Bl. 331rf.
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kation der Städte stellte dabei aber weder eine isolierte Maßnahme gegen den jüdischen Wucher dar, obwohl sie sich als ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer organisierten antijüdischen Aktion zeigt, noch war sie losgelöst vom allgemeinen Zinsdiskurs im Reich. Bereits vor dem Reichstag in Augsburg wurde die Wucherfrage zu einem breit diskutierten Thema im Reich. Die im 15. Jahrhundert ansetzende Kritik über die moralische und theologische Verwerflichkeit der Geldleihe erhielt in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts starken Auftrieb, als im Zuge der Reformation und der massiven Verbreitung von Druckschriften neue Stimmen, neue Argumente und neue Perspektiven in die öffentlich geführte Debatte aufgenommen wurden. Dabei betraf die Problematik nicht nur den jüdischen Wucher, sondern fast jede Form der Zinsnahme – ein populäres Thema sowohl in humanistischen literarischen Erzeugnissen wie auch in Flugschriften und gedruckten Predigten der Reformationszeit.⁸¹ Nicht zuletzt führte die Zinsfrage auch zu politischen Kontroversen, die eine Vielzahl an Gutachten zu dem Thema hervorbrachten.⁸² In den 1520er Jahren wurde das Problem des Wuchers auch in legislativen Bera-
Ein literarisches Beispiel der zeitgenössischen Kritik findet man z. B. in: Thomas Murner: Narrenbeschwörung, 1512, S. 67rff. Da das Thema der Zinsnahme und deren Verurteilung in eine sehr große Zahl der gedruckten Flugschriften der Zeit vorkommen, sollen hier nur ein paar Beispiele genügen, um diese Vielfalt anzudeuten. Siehe z. B. Martin Luther: Eyn Sermon von dem wucher, Leipzig 1519 [VD 16 L 6436]; Ders.: Ain Sermon von dem wucher, Docto. Martini Luthers Augustiner zu Wittemberg, Augsburg 1520 [VD 16 L 6441]; außerdem Jakob Strauß: Das wucher zu nemen vnd gebẽ. vnserm Christlichem glauben. vnd br[ue]derlicher lieb … entgegen yst / vnuberwintlich leer / vnnd geschrifft. Jn dem auch die gemoletẽ Euangelisten erkennet werden. … D. Ja. Strausz Ecclesiastes zu Jsennach. Erfurt 1524; Hans Schwalb: Beclagung aines leyens genant Hanns Schwalb über vil mißbreüch Christliches Lebens, und darin begriffen kürtzklich von Johannes Hußsen, Im Jar M. D. XXI., [Augsburg] 1521, gedruckt in: Otto Clemen (Hrsg.): Flugschriften aus den ersten Jahren der der Reformation, Bd. 1, Nieuwkoop 1967, S. 337– 360, bes. S. 354 f.; Johann Eckhart: Hie kompt ein Beüerlein zu einem reichen Burger von der güldt, den Wucher betreffen, so kompt ein Pfaff auch darzu vnd dar nach ein münch gar kürtzweylich zu lesen, Speyer 1522 [VD 16 H 3466]. Eine juristisch-theologische Auseinandersetzung über das Thema entstand bereits im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Siehe dazu Johann Peter Wurm: Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit 1513– 1515, Münster 1997. Allgemeiner zum Thema siehe auch Ernst Ramp: Das Zinsproblem bei Luther, Zwingli und Calvin, Zürich 1949. Zum Diskurs über den jüdischen Wucher siehe z. B. Hsia: The Usurious Jew; für das Mittelalter zuletzt Gunnar Mikosch: Von jüdischen Wucherern und christlichen Predigern. Eine Spurensuche, in: Aschkenas 20,2 (2010), S. 415 – 437. Ein Beispiel für Gutachten in der Zinsfrage bietet die Auseinandersetzung um die Regelung von Zinsangelegenheiten in der Stadt Nürnberg. Vgl. Andreas Osiander d.Ä.: Ratschlag zur Entrichtung von Zinsen (1525), in: Ders.: Gesamtausgabe, Bd. 2, Schriften und Briefe April 1525 bis Ende 1527, hrsg. v. Gerhard Müller in Zusammenarbeit mit Gottfried Seebaß, Gütersloh 1977, S. 205 – 214.
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tungen häufig thematisiert. So waren bereits in frühen Entwürfen der geplanten Reichspolizeiordnung Bestimmungen über wucherliche Kontrakten und über den Judenwucher enthalten.⁸³ Mit der Verabschiedung der Reichspolizeiordnung auf dem Augsburger Reichstag von 1530 sollten die Beratungen über die Wucherproblematik – sowohl im Allgemeinen wie auch in Bezug auf jüdische Geschäftstätigkeiten – und über die damit eng verbundene Frage nach der Duldung der Juden zu einem Abschluss kommen. Für die Juden im Reich war dies eine besonders gewichtige Angelegenheit, denn angesichts der antijüdischen Stimmung und der Forderungen des gänzlichen Verbots von jüdischen Zinsgeschäften mussten sie um ihre finanzielle Existenzgrundlage fürchten.⁸⁴ Über den Judenwucher findet man in den Akten zum Augsburger Reichstag vielfältige Beschwerden, die zum großen Teil mit denen der 23 freien und Reichsstädten übereinstimmten. Auch wurde auf dem Reichstag die Praxis der Einreichung von erstinstanzlichen Anklagen wegen Schuldsachen vor ‚ausländischen‘ Gerichten – explizit genannt wurden dabei die kaiserlichen Gerichte in Rottweil und in Westfalen – als unrechtmäßig verurteilt. Um dem etwas entgegenzusetzen, beschloss der so genannte große Ausschuss, das ein yder vnderthan bey seinem ordenlichen gericht, darunther er gesessen gelassen, vnd daselbst in erster Instantz ersucht vnd berechtigt werde, vnd das die gericht der freyen stule zu Rotweill vnnd anderßwo, nit wider die vnderthanen, die vnther ordenlichen gerichten gesessen, gepraucht werden.⁸⁵
Auch wurde in den Beratungen das Thema des ‚jüdischen Hehlerrechts‘ angesprochen und als ein Vorwurf gegen Obrigkeiten formuliert, die diese Praxis nicht nur zugelassen, sondern auch befördert hätten. Demnach hätten sie dies getan, indem sie die vnderthanen […] mit Juden vbersetzt, [denen sie (A.S.)] grosse freiheid [geben würden (A.S.)], das sie auch kein gestolen gut sollen one bezalung der verpfendten somen widergeben. ⁸⁶
Vgl. den Entwurf einer Polizeiordnung durch den kleinen Ausschuß vom 17. April 1521, RTA JR 2, Nr. 30 S. 332– 361, bes. § 14 Von wucherlichen contracten, S. 345 f. und § 26 Von den Juden S. 355 f., sowie die im Gutachten des großen Ausschusses enthaltenen Stellungnahmen zu den gleichen Artikeln, S. 360 f. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 23. Bestimmungen aus den Beratungen des großen Ausschusses: HHStAW, Mainzer Erzkanzlerarchiv (MEA), RTA 5, Bl. 341r, § 16. Ebd. § 17.
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Neu kam allerdings der Vorwurf hinzu, wonach der Jüdden Wücher durch geistlich gericht becrefftiget werde.⁸⁷ Vermutlich stammt diese Unterstellung aus protestantischen Kreisen. Sie scheint jedoch insofern eine gewisse Substanz zu besitzen, als in den geistlichen Gerichten Schuldsachen grundsätzlich anerkannt wurden, in dem das die geistliche Richter zu vrsach nemen, das die leuth vor inen bekennen vnnd schweren die schult sey nit wucher. ⁸⁸ Zwar mag es absurd klingen, dass den Richtern solcher Gerichte zum Vorwurf gemacht wurde, dass sie solche eidlichen Erklärungen akzeptierten. Man argumentierte allerdings damit, dass aller wucher in gemeinen rechten verbotten vnnd der arme man in solichem Bekennen von den Juden nit wenig betrogen werde. Daher kam die Forderung auf, weder geistliche noch weltliche Gerichte sollten derartige Bekenntnisse anerkennen.⁸⁹ Unabhängig vom innerchristlichen Gegensatz und der Meinungsverschiedenheiten in verschiedenen Bereichen beschlossen die Ausschüsse des Reichstags übereinstimmend, dass den Judden allenthalben im reich, der Wucher nit soll gestattet werden. ⁹⁰ Außerdem sollten Entscheidungen des kaiserlichen Hofgerichts in Rottweil über jüdischen Wucher und Kontrakte darüber nit fur eh[rh]afft oder krefftig gehalten werden. ⁹¹ Dieser Konsens in der Sache mündete schließlich in eine Bestimmung der Reichspolizeiordnung, die am 19. November 1530 offiziell verabschiedet wurde. Darin wurde verfügt, dass die Juden, so wuchern, von niemands imm heyligen Reich gehaußt, gehalten, oder gehandthabt werden, daß auch die selben imm Reich weder frid noch gleydt haben, und inen an keynen gerichten umb solche schulden, mit was schein der wucher beeckt, geholffen⁹²
Ratschlag des grossen ausschus des Mißbreuch vnnd beschwerung halber der vnnderthanenn, ebd. Bll. 105rff., hier § 14: Der Juden Wucher durch Geistlich gericht becrefftiget, Bl. 110v und in einer anderen Version Bll. 200rf. Ebd. Bl. 110v. Ebd. Vgl. Ebd. Bll. 121v, 200v und 341r. Vgl. außerdem die Concordata der Geistlichen vnd weltlichen Beschwerungen Constitucion weiß zusam’en getzogen vom 19. November 1530, HHStAW, RK, RTA 3, Bll. 176 ff., hier Bl. 185r und die Consulatio super Grauaminibus, Nationis Germanicae, contra Curiam Romanam exhibitis. Augustae conclusa, ebd. Bll. 213 ff., hier Bl. 214r: Quod nulli judices, debeant recipere recognitiones Christianorum & Judaeis, Super eo quod contracty cum Judaeis initi non sint vsuvarii. Item quod nulli Principes, debeant concedere Judaeis, faculltatem exigendi vsuras ec. Ebd Bl. 185r. Romischer Keyserlicher Maiestat Ordenung und Reformation guter Pollicei im Heyligen Römischen Reich Anno M.D.XXX. zu Augspurg uffgericht (im Folgenden als RPO 1530 bezeichnet), gedruckt in: Weber: Reichspolizeiordnungen, S. 129 – 166, § 27, S. 156 f., hier S. 156. Die Verordnungen über den ‚jüdischen Wucher‘ scheinen derart restriktiv gewesen zu sein, dass sie den Juden von der Bestimmung Von wucherlichen Contracten (§ 26) ausschlossen, die eine Zinsnahme
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werden soll. Die Verantwortung für die Einhaltung dieser Bestimmung wurde denjenigen Obrigkeiten übertragen, die Juden in ihrem Herrschaftsbereich duldeten. Diese Obrigkeiten sollten die Juden auch dazu anhalten, sich mit zimlicher handtierung und handtarbeyt [zu] erneren, wie eyn jede oberkeyt das selbig seinen underthanen und dem gemeynen nutz zum nützlichsten und träglichsten zu sein, ansehen und ermessen würd. ⁹³ Natürlich war diese ‚Alternative‘ kaum realisierbar, weil den Juden nicht nur die Aufnahme in Gilden und Zünfte verwehrt war, sondern auch die Ausübung zahlreicher handwerklichen Tätigkeiten. Den Juden war die Entwicklung, die zum vollständigen Verbot ihrer Geldgeschäfte zu führen drohte, nicht entgangen. Zum Teil kannten sie die aktuellen Vorwürfe gegen ihre Geldgeschäfte bereits aus ihren Siedlungsorten, zum Teil aufgrund von Beratungen und Beschlüssen auf früheren Reichstagen. Für die Geschehnisse in Augsburg waren zudem die Kontakte Josels von Rosheim wichtige Informationsbeschaffungsquellen. So war er durch ein Schreiben des kaiserlichen Hofmeisters, Matthias Heldt, über die vielen Beschwerden gegen die Juden unterrichtet.⁹⁴ Aufgrund Ihrer Kenntnisse über die drohenden Gefahren wurden die Juden schon während bzw. am Rande des Reichstags aktiv. Initiiert wurde ihre Aktivität durch ein Berichtsschreiben Josels von Rosheim an alle jüdischen Gemeinden, in dem er sie dazu aufforderte, ihre bevollmächtigten Repräsentanten nach Augsburg zu schicken.⁹⁵ Tatsächlich kam eine jüdische Versammlung in Augsburg zustande, nachdem die Juden nu gehorsamlich von vil orten und enden ire gesanten und gewalthaber zu mir [=Josel (A.S.)] gesant hatten.⁹⁶ Die jüdischen Beratungen brachte ain zemliche, und erbere ordnung und satzung hervor,⁹⁷ mithilfe derer die Juden v. a. ihre Bebis 5 % akzeptierte. Vgl. ebd. S. 154– 156. Dies hängt damit zusammen, dass die Reichspolizeiordnung keinerlei Unterscheidung zwischen einem legitimen (billigen) Geldgeschäft der Juden und einem Wuchergeschäft machte. Ebd. S. 157. Vgl. die ‚Missive‘ Haldts an Josel vom 25. November 1530, in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beilage IV., S. 159 f. Allerdings soll die Bedeutung dieser ‚Missive‘ nicht hervorgehoben werden, weil sie erst nach dem Abschluss des Reichstages datiert ist. Ich als gehorsamter darauf der gemainen judischhait allenthalben verschriben und zu wissen gethan sollichs beschwer und clag, wie gehört, mit erstanstlicher meiner beger, das si samt und sonder selbs oder durch ir volmechtige anwalt zu mir gen Augspurcg im Reichstag erscheinen sollen. Siehe Artikel und Ordnung so durch Josell juden von Rossheim gemeiner jüdischer regierer aufgericht und beschlossen worden, gehalten im reichstag zu Augspurgk [am 17. November (A.S.)] im jar 1530, (im Folgenden als Artikel und Ordnung) gedruckt in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 377– 382, hier S. 378. Vgl. auch den Druck bei Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beilage Nr. III, S. 153 – 159. Artikel und Ordnung: in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 378. Ebd.
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ziehungen zu ihrer christlichen Umwelt zu regeln beabsichtigten. Die wohl bekannten Bestimmungen⁹⁸ der Satzung bieten einen großen Aufschluss über die politischen Strategien der Juden und über die Fortentwicklung ihrer politischen Organisation, und sollen daher ausführlich behandelt werden. Bevor mit der Analyse der einzelnen Bestimmungen begonnen wird, verdienen zunächst die formelle Gestaltung des Dokuments und die argumentative Strategie der Juden einige Aufmerksamkeit. Das jüdische Statutenwerk von 1530 hatte die Form eines zeittypischen Rechtsdokuments mit einer Präambel, einer Aufzählung der Bestimmungen in Paragraphenform und einem Schlussteil, in dem die Juden ein Appell an die christlichen Obrigkeiten richteten und um eine gerechte Behandlung baten. Dabei nutzten die Juden Formulierungen und Anreden, welche mit der formalisierten Ausdrucksweise in offiziellen Dokumenten der Zeit fast genau übereinstimmten.⁹⁹ Zudem präsentierte sich die jüdische Führung nach außen als ein hierarchisch gegliedertes politisches Gebilde, das die Struktur der Reichspolitik nachahmte. So wurde Josel von Rosheim als ein Regierer der Judenschaft stilisiert, der der Versammlung aller Gemeindevorsteher, also dem jüdischen Legislativorgan vorstand; ähnlich wie der Kaiser als Schirmherr über den Reichstag fungierte. Schließlich wurde die jüdische Statutenurkunde – analog zu Reichsgesetzen – unter dem insigel des Regierers Josel ausgestellt. Diese Form der Repräsentation der jüdischen Organisation nach außen bedarf einer Erklärung, da vor allem die Stilisierung Josels von Rosheim als alleinigen Anführers der Judenschaft zur weitverbreiteten Forschungsmeinung führte, als hätte er eine Herrschaftsgewalt über die restlichen Juden im Reich gehabt.¹⁰⁰
Sie wurden in der Forschungsliteratur breit diskutiert. Vgl. z. B. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 180 f.; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 98 – 100; Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 28 – 29 und die unvollständige Wiedergabe bei Zimmer: Synods, S. 63 f. So findet man im Dokument Anreden wie E[ure] Fürstl[iche] Gn[aden] und andern, in was wurden stadts die stend, die üblicherweise auch in kaiserlichen Mandaten verwendet werden. Artikel und Ordnung, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 382 und vgl. z. B. die von Karl V. der Stadt Schweinfurt erteilte ‚Judenfreiheit‘ von 1555, HStAD, A 14 Nr. 2857. So z. B. Chava Fraenkel-Goldschmidt, die Josel als einziger aktiver Urheber des Dokuments sieht, während sie den restlichen Juden die Rolle von passiven Rezipienten zuschreibt: „R. Joseph’s efforts to prevent the prohibition of Jewish usury focused on the drafting of a ten-article document […] that included an undertaking on the part of all German Jewry to abide by certain self-imposed restrictions in their monetary transactions […]. This economic document, on which he labored throughout the days of the Diet, does not receive any specific mention in his Chronicle.“ Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 179. Später schreibt sie jedoch, dass „delegates of the communities came from many places and, together with him, they drew up the [..] ordinances“. Ebd. S. 180. Auch Eric Zimmer betonte, dass „Josel, employing his position as
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Die Darstellungsweise der jüdische Führung war allerdings keine Abbildung einer tatsächlichen Herrschaftsstruktur innerhalb der Judenschaft, sondern diente vielmehr der politischen Strategie der Juden, die vor allem die Annahme der jüdischen Beschlüsse durch die christlichen Obrigkeiten anstrebte. Daher musste die jüdische Führung den christlichen Entscheidungsträgern sowohl rechtlich als auch symbolisch signalisieren, dass sie legitimiert war, allgemein bindende Beschlüsse zu verabschieden, und für deren Umsetzung und Einhaltung sorgen konnte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verabschiedung des Dokuments unter der nominellen Autorität eines gemeinsamen Anführers und eines ihm unterstehenden Legelativorgans als eine strategische Entscheidung, mit der man sowohl einen einheitlichen politischen Willen als auch Durchsetzungsvermögen gegenüber den christlichen Fürsten demonstrieren wollte. Über die formalistische und symbolische Ebene hinaus gestalteten die Juden ihre Satzung in einer sprachlichen und argumentativen Weise, die den obrigkeitlichen Adressaten ansprechend und gefällig erscheinen sollte. Daher verzichteten sie gänzlich auf eine rhetorische Auseinandersetzung mit ihren Gegnern und deren Vorwürfen. Stattdessen griffen sie die Beschuldigungen ihrer Ankläger auf und erklärten ihre Absicht, selbst gegen die Missstände im jüdischen Geldhandel vorgehen zu wollen. Sie betonten dabei, dass die Vorwürfe nicht die jüdischen Geldgeschäfte grundsätzlich, sondern lediglich etliche von der judischait im Hailigen Reich beträfen, die sich der ungebur haltent in villerlai weg verhielten.¹⁰¹ Die Reichsjudenschaft wollte sich von solchen ‚schädlichen‘ Juden und deren Geschäftspraktiken distanzieren¹⁰² und hatte deswegen vor, sollichs furzekomen und ab[zu]stellen. ¹⁰³ Mit dieser Argumentationsweise zeigten die Juden eine sensible Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten der christlichen Umwelt. Mit ihrer zemliche, und erbere ordnung boten sie nun Lösungen für die beklagten Missbräuche an. So geben bereits die ersten zwei Artikel der Ordnung eine direkte Antwort auf zentrale Vorwürfe bezüglich der jüdischen Zinsnahme. Man beschloss darin, dass regent of German Jewry, called for a synod of the Jewish Kehilot“, und er sieht in diesem Vorgang eine „centrifugal movement toward the inter-communal leader, who demonstrated considerable power within the Kehilot of the Empire“. Zimmer: Synods, S. 63. Auch S. Stern: Josel von Rosheim, S. 98 betont den Gehorsam, den die Gemeinden Josel leisteten. Ausgerechnet in der älteren Literatur wird diese Verfügungsgewalt Josels über die übrigen Juden im Reich differenzierter bewertet.Vgl. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 27. Ähnlich ausgewogen ist die Darstellung des Sachverhalts bei Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 310. Artikel und Ordnung, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 377 f. Und so ain gemaine Judischhait nit in sollichem [–] wider solliche juden [–] ain gehorsam und ernstlich ain sehen wölten haben. Ebd. S. 378. Ebd.
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kein Jude – und keine Jüdin¹⁰⁴ – berechtigt sei, versteckte Zinsen von Christen zu nehmen. Auch wenn die Schulden nach der gesetzten Frist nicht zurückgezahlt wurden, soll der Gläubiger keine neuen Zinsen bzw. Zinseszinsen erheben dürfen. Zudem sollten bei Darlehen keine Wuchersätze vereinbart werden, sondern die Summen müssten mit den Regelungen übereinstimmen, die in den kaiserlichen Privilegien der Juden enthalten waren. Auch sollten keine viertel- oder halbjährlichen Abrechnungen zwecks der Zins- oder Zinseszinserhebung erlaubt sein. Die Bestimmungen forderten, dass die Juden sich nach zemlich und billchkeit (Art. 1) sowie wie vor alter guter gewonhit (Art. 2) verhielten. Der finanzielle Ruin von christlichen Schuldnern sollte dabei möglichst vermieden werden, denn es ginge schließlich darum, dass einer bei dem andern sein leibsnarung durchainander handlin und neren mugen. ¹⁰⁵ Die Juden kündigten zudem vorbeugende Schritte an, mit denen potenzielle soziale Konflikte vermieden werden könnten. So beschlossen die versammelten Vertreter der jüdischen Gemeinden, dass eine Geldleihe an unverheiratete Kinder oder Gesinde ohne das Wissen und die Zustimmung der Eltern oder des Hausvaters nicht erlaubt sei (§5).¹⁰⁶ Außerdem schlugen sie einen gewissen Schutz für Angehörigen eines Schuldners vor, der vor der Begleichung seiner Schulden verstorben war (§ 6). Auch sollte es den jüdischen Gläubigern nicht länger erlaubt sein, derartige Schuld eigenmächtig gerichtlich zu verklagen und zu bekeumern. Stattdessen sollte eine Untersuchung durch den Parnas bestimmen, ob ein Prozess gegen die Erben angestrebt werden sollte, und wenn ja, vor welchem Gericht.¹⁰⁷ Auch die christlichen Beschwerden wegen des Gerichtszwangs wurden im jüdischen Statutendokument zentral behandelt.¹⁰⁸ Die Praxis des Zitierens von Christen vor so genannten ‚ausländischen‘ Gerichte und weg von des gemelten schuldners Amptman oder Schulthaissen wurde dabei als erstinstanzliches Vor-
Zwar werden Jüdinnen im Dokument nicht überall explizit erwähnt, aber es ist bekannt, dass es im 16. Jahrhundert auch jüdische Geldleiherinnen gab, für die diese Bestimmungen ebenfalls galten. Artikel und Ordnung, Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 378 f. Die sprachliche Ähnlichkeit dieser Bestimmungen zu den in der Supplikation der Reichsstädte geäußerten Vorwürfen ist verblüffend und hat manche Autoren dazu veranlasst, die jüdische Satzung als eine direkte Reaktion auf dieses Dokument anzusehen.Vgl. Müller: Aus fünf Jahrhunderten, S. 85 und ihm folgend Lutz: Peutinger, S. 312. Artikel und Ordnung, Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 379 f. Die entsprechende Zeile über den Parnas fehlt in der englischen Übersetzung der Edition von Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 380. Für die vollständige Wiedergabe der Bestimmung vgl. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 155. Artikel und Ordnung, Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 379.
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gehen schlicht verboten (§ 3). Im Falle, dass der Schuldner das Geld nicht zurückzahlen wollte oder konnte, sollte zunächst eine Klage bei der lokalen Obrigkeit eingereicht werden, um eine gütliche Lösung zu finden. Erst wenn die Geldforderungen nach einer Monatsfrist nicht beglichen wären, sollte es dem jüdischen Gläubiger erlaubt sein, auslendische[s] recht zu suchen. Allerdings gab es eine Einschränkung für diese Erlaubnis, nämlich, dass damit keine überzogenen Kosten und Schaden für den Schuldner entstünden.¹⁰⁹ Mit diesem Entgegenkommen wollten die Juden den christlichen Obrigkeiten signalisieren, dass sie völlig gewillt seien, deren Gerichtsbarkeit zu respektieren und die Verletzung derselben zu unterbinden. Ferner versäumten es die Juden nicht, auf den Hehlereivorwurf einzugehen. Die Verfügung (§ 4), die die jüdischen Unterhändler diesbezüglich formulierten, verbot die Pfandleihe auf gestohlenes Gut grundsätzlich. Für den Fall, dass sich ein Pfand als gestohlen erwies, wurde angeordnet, man dürfe doch ferter in kein weg mit demselbigen reuplichen [=räublichen] und dieplichen [=diebischen] personen kaufen, leuchen [=leihen] noch handlin. ¹¹⁰ Die gestohlene Ware sollte dabei unentgeltlich zurückgegeben werden, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Gegenstände oder um Vieh handelte. Im Falle, dass die Ware schon vertauscht oder verkauft worden wäre, müsste der jüdische Gläubiger, dem beschedigten das gelt dafur geben. ¹¹¹ Zu allen bisher erwähnten Beschlüssen waren auch eine Kontrollinstanz und ein Sanktionsmechanismus vorgesehen. So sollten die jüdischen Gemeindevorsteher die Einhaltung der einzelnen Bestimmungen überwachen und sich an Vermittlungsversuchen zwischen den jüdischen und christlichen Litiganten beteiligen. Dabei sollten sie als eine erste Schieds- und Schlichtungsinstanz fungieren, bevor die Streitsachen vor die christlichen Obrigkeiten gebracht würden.¹¹² Durch diese Beschlüsse war offensichtlich eine eindeutige Kompetenzerweiterung der Parnasim anvisiert, übernahmen sie doch traditionellerweise lediglich Aufgaben im innerjüdischen Bereich und als Repräsentanten der jüdischen Gemeinde vor der unmittelbaren lokalen Obrigkeit. Um die Ausübung der Kontrollfunktion der Parnasim zu ermöglichen, übertrug man ihnen die Berechtigung, Geldstrafen gegen die (jüdischen) Übertreter der Ordnung zu verhängen. Dabei stand im Vordergrund der Überlegungen offenbar der Versuch, die Zustimmung der Obrigkeiten zu diesem ‚Reformpro Ebd. Wie das bewerkstelligt werden soll, wird im Dokument nicht erwähnt. Ebd. Ebd. Darüber verfügt auch § 8, in dem die Pflicht der Parnasim festgehalten wird, Christen behilflich zu sein, wenn sie eine Klage gegen einen Juden oder eine Jüdin vorbringen. Ebd. S. 381.
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gramm‘ der jüdisch-christlichen Geschäftsbeziehungen zu gewinnen, denn zwei Drittel jeder Geldstrafe sollen dem christlichen Herrscher zufallen. So soll bei einer Übertretung einer der ersten drei Bestimmungen eine Pene von drei Gulden entfallen, wovon 2 guldin der oberkeit da der jud gesessen ist, und de[r] dritte[..] guldin gemeiner judischait parnosen zukommen sollten.¹¹³ Die Verletzung des Hehlereiverbots sollte mit sechs Gulden geahndet werden, davon sollten vier in die obrigkeitliche Kasse und zwei den Parnasim bezahlt werden; ein Verstoß gegen die sechste Bestimmung wurde gar mit einer Geldbuße von zwölf Gulden belegt – acht für die Obrigkeit und vier für die Gemeindevorsteher. Bei einer vorsätzlichen Übertretung der Bestimmungen mit einer betrügerischen Absicht (§ 7) war keine Geldstrafe mehr vorgesehen, sondern es sollten dieselbigen juden oder judin in unsern höchsten bann und maledeiungen als veracht [getan und (A.S.)], obgescheiden von al unser kaiserlichen feuhaiten (!) und gnaden sein.¹¹⁴ Derartige Bestrafung kam einer Erklärung dieser Person für vogelfrei gleich, denn sie müsste fortan als Ausgestoßener ohne Rechte und ohne Schutz ihr Leben fristen. Darüber hinaus sollte den übrigen Juden eingeschärft werden, dass sie mit demselbigen [nicht] verheuraten, auch nit mit i[h]m essen noch trinken, noch [..] herbergen dürfen. Diejenigen, die mit dem Ausgestoßenen verkehren würden, sollten ebenfalls bestraft werden.¹¹⁵ Der neunte Artikel sah sogar die Pflicht der einzelnen Juden vor,Verstöße oder Missbräuche iren obersten parnosen und richter anzuzeigen. Die Nichterfüllung dieser Pflicht sollte mit einer Buße in der Höhe von drei Gulden bestraft werden.¹¹⁶ Die Implikationen dieser Bestimmung waren sehr weitreichend, denn sie bedeuteten einen regelrechten ‚Denunziationszwang‘ und eine Mithaftung für die Verfehlungen anderer. Dies kann sicherlich als eine Form der Sozialdisziplinierung angesehen werden¹¹⁷, die sich zudem an der jüdischen Norm orientierte, dass jeder für die Verfehlungen seines Glaubensgenossen bürgen sollte.¹¹⁸
Ebd. S. 378 f. Ebd. S. 380. Artikel und Ordnung, Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 380. Ebd. S. 381. Über diese breitdiskutierte These des Marburger Historiker Gerd Oestreich siehe vor allem Gerd Oestreich: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179 – 197, hier v. a. S. 192 ff. Außerdem siehe die Aufsätze im Sammelband von Heinz Schilling (Hrsg.): Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Frankfurt am Main 1999, und darin v. a. Carl A. Hoffmann: Nachbarschaften als Akteure und Instrumente der sozialen Kontrolle in urbanen Gesellschaften des sechzehnten Jahrhunderts, S. 187– 202. Eine Infragestellung der These bringt z. B. Martin Dinges: Frühneuzeitliche Ar-
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In der letzten Verfügung der Satzung (§ 10) wurden schließlich die Gemeindevorsteher und jüdischen Richter verpflichtet, ernstlichen Vleis anzuwenden, um die Einhaltung der Bestimmungen zu garantieren. Es sei ihre Verantwortung, so die Argumentation, die Missstände durch jüdische Handlungen zu verhindern und die Übeltäter zu bestraffen, weil sonst ain comon der judischait dhain schuld oder nachtail haben könnte.¹¹⁹ Dabei beteuerten die Juden gegenüber dem intendierten obrigkeitlichen Publikum, dass die gemeine[n] Canonen ordnung und gesatz [der Juden (A. S.)] von alter her und unser hailige geschrift ausweist und vermag, gerechtigkeit und erberkeit zu brauchen. ¹²⁰ Mit der Abfassung der Bestimmungen war das Schriftstück noch längst nicht zu Ende, denn auf die ‚Absichtserklärung‘ der Juden bezüglich der Regulierung ihres Verhaltens gegenüber christlichen Geschäftspartnern folgte ein Appell an die Reichsstände und -fürsten. Darin baten die Juden darum, dass man ihnen ihre vom Kaiser bestätigten und erneuerten Rechte nicht verweigere, sie durch die verschiedenen Territorien reisen ließe und sie nicht vertriebe, sondern sie menschlich und frauntlichweis [..] bei der cristenhait also [=wie] wir vor alter her gehalten worden ze wonen, handlin und wandlin ließe.¹²¹ Insgesamt konnte die jüdische Ordnung mit ihren vorgeschlagenen Lösungen ein großes Entgegenkommen gegenüber den gegen sie erhobenen Beschwerden zeigen und vielversprechende Regelungsmechanismen für künftige Konflikte vorstellen, die zudem finanzielle Anreize enthielten. Dass die Juden Floskeln und äußerliche Zeichen von damals üblichen Rechtsdokumenten verwendeten und sich darüber hinaus der ‚Codes‘ der politischen Sprache bedienten, ist ein eindrucksvolles Zeugnis der jüdischen Kenntnisse der politischen Kultur im Reich. Die Juden verfolgten dabei nicht nur das Ziel, die ökonomischen Beziehungen zwischen Christen und Juden zu befrieden, sondern nutzten die Gelegenheit auch dazu ihre Loyalität zum Reich und zu allen christlichen Obrigkeiten zu signalisieren. Aus diesem Grund versprachen sie, got den almechtigen umb E[uer] F[ürstliche] G[naden] auch andern stenden des Hailigen Reichs gesunt und ge-
menfürsorge als Sozialdisziplinierung? Probleme mit einem Konzept, in: Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), S. 5 – 29. Diese Norm schöpft ihre Legitimation aus der halachischen Interpretation des Lev. 26:37 ְבָּאִחיו-[ ְוָכ ְשׁלוּ ִאישׁUnd sie scheiterten jedermann in seinem Bruder (A.S.)]. Diese besagte, dass man wegen der Verfehlungen/Sünden des anderen scheitere, woraus die Schlussfolgerung zu ziehen sei, dass ganz Israel einander bürge. Siehe Mischna, Traktat Sanhedrin (M San), 27:2. Artikel und Ordnung, Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 381. Ebd. Ebd. S. 382.
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lickseligen reigierung zebitten nimer [zu] vergessen. ¹²² Hierdurch versuchten die Juden zugleich, die Unterstellung zu entkräften, sie wünschten in ihren Gebeten den Untergang des Reichs und der christlichen Ordnung herbei. Dennoch berührten die Juden mit dieser Zusage von Fürbitten für die christlichen Obrigkeiten das in der gespaltenen ‚reformatorischen Öffentlichkeit‘¹²³ heikle Thema der Religion. Angesichts der im Zuge der Reformation zunehmenden Politisierung der Religion im Heiligen Römischen Reich hätten Aussagen, die das jüdische Gebet und die jüdische Religion (implizit) aufwerteten, als eine Zumutung angesehen werden können. Möglicherweise erkannten die Juden dieses Gefahrenpotential und argumentierten, dass sie auch menschen [sind], von got dem almechtigen auf der erden zewonen geschaffen, bei euch und mit euch zewonen und [zu] handlin. ¹²⁴ Damit konstruierten die Juden eine Gemeinschaft aller Menschen, die alle konfessionellen, religiösen und kulturellen Differenzen überbrückte und zu der auch sie gehörten. Die Juden (er)fanden somit eine integrative Sprachregelung, um sich als Teil des Reiches darzustellen. Mit diesem bemerkenswerten jüdischen Schriftstück von 1530 schufen die Juden die Voraussetzung für eine Neugestaltung der Beziehungen zwischen Christen und Juden. Dabei waren die jüdischen Artikel und Ordnung nicht ausschließlich ein ‚economic document‘ (Fraenkel-Goldschmidt), behandelten sie doch über die Geschäftspraktiken der Juden hinaus weitreichende Fragen bezüglich der Regelung von Konfliktfällen zwischen Juden und Christen. Hinzu kommt, dass die Beschlüsse der Versammlung von Augsburg Änderungen auch im innerjüdischen Bereich vorsahen, die indes Dynamiken der Sozialdisziplinierung und sozialen Kontrolle enthielten. Dies war also ein rechtliches und politisches Dokument, das die Verhaltensweisen der Juden in der christlichen Gesellschaft als Voraussetzung für ihre Duldung regelte.Vor diesem Hintergrund scheint es richtiger von einer ‚jüdischen‘ (weil selbstgegebenen) Judenordnung zu reden. Durch diese Bezeichnung lässt sich das Dokument in die Nähe zeitgenössischer landesherrlicher Judenordnungen¹²⁵ rücken, die das Leben der Juden in der christlichen Umwelt zu verrechtlichen suchten, und damit die Bedeutung der
Ebd. Siehe dazu die Definition von Burckhardt: Das Reformationsjahrhundert, S. 56 f., die eine Erweiterung und Zuspitzung der These von Rainer Wohlfeil darstellt. Vgl. auch Wohlfeil: Einführung, S. 123 – 131. Artikel und Ordnung, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 382. Da diese Satzung in gewisser Weise die Basis und den Rahmen für jüdische Verhandlungen mit den territorialen Landesherren vorgab, ähnelte sie in dieser Funktion zudem der um die gleiche Zeit verabschiedete Reichspolizeiordnung.
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Satzung in ihrem rechtlichen und kulturellen Kontext einordnen und hervorheben. Für die politische Organisation der Juden können bereits hier drei Sachverhalte festgehalten werden: Erstens fällt es ins Auge, dass sich das Zustandekommen der Zusammenschlüsse der jüdischen Gemeinden in dieser Phase als unkompliziert und ertragreich erwiesen. Dies sieht man vor allem an der weitreichenden Beschlussfähigkeit der Versammlung und an der damit einhergehenden ‚Reform-‘, bzw. Anpassungswilligkeit an die veränderten Rahmenbedingungen der Reichspolitik. Zweitens ist die neue Position des unterelsässischen Vorstehers, Josels von Rosheim bemerkbar. Der jüdische Gesandte und Fürsprecher avancierte durch die Beschlüsse von Augsburg zu einem wichtigen Anführer der Juden im Reich¹²⁶ und stand ab diesem Zeitpunkt an der Spitze einer – noch nicht klar definierten – jüdischen Organisation zum Zweck politischer Repräsentation auf Reichsebene. Drittens wurde die interne (also innerjüdische) Autonomie der Gemeinden bestätigt und bekräftigt, indem man die Verantwortung zur Einhaltung der Satzung und zur Ahndung von Verstößen an die lokalen Parnasim übertrug. Die Beratungen der jüdischen Vorsteher und Rabbiner dauerten bis zum 17. November 1530. Die ‚jüdische Judenordnung‘ wurde somit nur zwei Tage vor der Verabschiedung der Reichspolizeiordnung am Abschluss des Reichstags fertiggestellt. Dieses schmale Zeitfenster war offensichtlich nicht ausreichend, um die ‚jüdische Judenordnung‘ den tagenden Ständen und Fürsten zur Beratung zu übergeben – zumal man davon ausgehen kann, dass die meisten Stimmberechtigen zu diesem Zeitpunkt bereits aus Augsburg abgereist waren. Dennoch war die Mühe nicht gänzlich umsonst. Josel von Rosheim überreichte die ‚jüdische Judenordnung‘ dem lokalen Augsburger¹²⁷ Bischof Christoph von Stadion, woran dieser gnedigs gefallen [..] gehapt habe. Der Bischof ließ darauf eine Abschrift anfertigen, in der er verordnete, diese artigckel [publik zu machen (A.S.)], damit alle perteyenn Cristen und auch gemelte Judischhait in der margraffschafft Burgaw wyssen gnedigclich und sollich ze haltenn und handhabenn. ¹²⁸ Ähnliche positive Reaktionen auf die ‚jüdische Judenordnung‘ in Form einer öffentlichen Bekanntmachung verzeichnete man am 8. Dezember 1530 aus
Welche Funktion bzw. Amt er tatsächlich ausführte, wird im weiteren Verlauf der Arbeit behandelt. Eine gelungene Definitionsbestimmung und Unterscheidung zwischen Amt und Funktion bietet Voß: „Habe die Mission treu erfüllt“, S. 153– 166. Er war nicht der Bischof von Straßburg, wie S. Stern: Josel von Rosheim, S. 101, fälschlicherweise angegeben hat. Vgl. die Notiz des Burgauer Schreibers Johannes Meysch vom 6. Dezember 1530, gedruckt bei Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 158. Vgl. auch die Kopie im CAHJP, Mikrofilm HM/2723 B.
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Ulm, am 16. Dezember 1530 aus der unterelsässischen Landvogtei, am 10. Januar 1531 aus Rosheim und zehn Jahre später am 9. Januar 1541 aus Oberehnheim.¹²⁹ Ob sich mit diesen lokalen Verkündungen der Satzung auch eine rechtskräftige und -bindende Übernahme durch die jeweiligen Herrschaftsträger vollzog und ob tatsächliche Schritte zur Umsetzung ihrer Bestimmungen unternommen wurden, kann für die Zeit von 1530‒31 jedoch nicht nachgewiesen werden.¹³⁰ Trotz dieser Erfolge wurde das Hauptziel, die Satzung dem Reichstag zu präsentieren und das Verbot der jüdischen Geldgeschäfte zu verhindern, verfehlt. Daher vereinbarten die jüdischen Anführer, dass Josel die verabschiedete Satzung alle[n] fürstenn vnd herenn stende des hayligen Reychs [..] bringen vnd schickenn sollte.¹³¹ Aus diesem Grund machte sich der jüdische ‚Regierer‘ auch alsbald auf den Weg, um dem kaiserlichen Hof hinterher zu reiten und Karl V. die jüdischen Beschlüsse zu übermitteln. Josel hatte Schwierigkeiten, eine Audienz beim Kaiser zu erlangen, da der Kaiser nach der Krönung seines Bruders mit aufständischen Ständen in den Niederlanden beschäftigt war und sehr häufig zwischen Brüssel und Gent reiste.¹³² Josel, da er Jude war, konnte hingegen nicht frei in den Niederlanden umherreisen und musste daher knapp drei Monate – vom 18. Februar bis 17. Mai 1531 – am kaiserlichen Hof verbringen, bevor ihm eine Audienz in der kaiserlichen Kammer gewährt wurde.¹³³ Josel fasste das Treffen mit dem Kaiser als
Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 158 f. Es ist allerdings zumindest ein Fall überliefert, bei dem Josel die Satzung bei einem Fall von Hehlerei-Verdacht in Dangolsheim bei Straßburg einsetzen wollte. In einer Supplikation vom 21. Juni 1531 an Straßburg schrieb Josel: Wir haben auch ein schwere ordnung selbs gemeinlich uffgericht wider die so erfunden mochten werden, die einiches ungerechtigkeit thatten, nemlich nün [=neun] oder zehen artikel sie zu straffenn, des ich von wegen gemeyner Jüdischeit willig byn zu übergebenn, damit e. g. weyss dem selbigen nach auch zu richten, inn Hoffnung e. g. wird ein gevallens daran haben. CAHJP P 17 / 177, S. 129 – 132. Das Original stammt aus dem Stadtarchiv Straßburg, GUP 174/75 Nr. 26. Diese Pläne der Judenschaft erfährt man aus einer Supplikation Josels an den württembergischen Statthalter in Stuttgart, in der er um eine Erlaubnis zum Durchzug durch das Territorium für sich und seinen Diener bat. Vgl. Josels Supplikation vom 6. Dezember 1530: HStA Stuttgart, A 56 Bü 2, Nr. 3 (1). Josels Bitte wurde allerdings abgelehnt (vgl. die Stuttgarter Kanzlei Notiz vom 10. Dezember 1530, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 2, Nr. 3 (1)), weil Württemberg eine antijüdische Politik verfolgte und am 15. Oktober 1530 eine umfassende Judenfreiheit vom Kaiser erwarb. Vgl. HStA Stuttgart, A 56 Bü 2, Nr. 2 (7). Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 185, Anm. 370 und Reichsregisterbücher Kaiser Karls V., S. 96. Wörtlich übersetzt kam Josel in das Zimmer des Kaisers, um von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu reden: באתי לפני ולפנים בחדרו של הקסר לדבר עמו. Abschnitt 16 des Berichts Josels in der hebräischen Version in: Fraenkel-Goldschmidt: Joeph of Rossheim (hebr.), S. 295, und in der
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erfolgreich auf, denn dieser gab mir die richtigen Antworten. ¹³⁴ Die Auswirkung dieser Gesandtschaft sollte sich allerdings erst im darauffolgenden Jahr auf dem Regensburger Reichstag offenbaren.
5.2 Zwischen territorialer und Reichsorganisation Die weiteren Bemühungen der Juden, ihre rechtliche Situation nach der politischen Niederlage in Augsburg zu verbessern, verliefen sowohl auf Reichs- wie auch auf territorialer Ebene. Zwar war das Reich mit seinen Institutionen der Hauptschauplatz für die Reichsorganisation der Juden, gleichzeitig spielten aber die vielen sich herausbildenden Territorialstaaten eine ausschlaggebende Rolle für die Lebensumstände der Juden in den 1530er Jahren. Dies war nicht zuletzt der Fall, weil die Umsetzung der Bestimmungen der Reichspolizeiordnung eyner jeden oberkeyt, so regalien von unß und dem heyligen Römischen Reich hat, übertragen wurde und es daher die Aufgabe dieser Obrigkeiten war, diß unser ordnung nach eyns jeden landts gelegenheyt einzuziehen, zu ringern und zu meßigen. ¹³⁵ Bevor allerdings die Entwicklungen auf territorialer Ebene untersucht werden können, müssen zunächst einige Sachverhalte auf Reichsebene behandelt werden.
5.2.1 Entwicklungen auf Reichsebene Die jüdischen Bemühungen um die Anerkennung ihrer selbstauferlegten Statuten und um eine Milderung der in den Reichspolizeiordnung enthaltenen Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit fanden auf dem Reichstag von Regensburg 1532 eine unmittelbare Fortsetzung. Allerdings verlief die diplomatische Aktivität Josels von Rosheim dort nicht nach Plan. Auf diesem Reichstag erschien der zum Judentum zurückkonvertierte portugiesischer Marrane Salomon Molcho. Zusammen mit dem Messiasprätendent David ha-Re‘uveni schmiedete Molcho messianische Pläne zur Erlösung Israels.¹³⁶ Diese sahen die Führung ei-
englischen Übersetzung Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 322 f., hier S. 322: „At that time I had an audience with the Emperor in his inner sanctum“. Vgl. ebd. und S. Stern: Josel von Rosheim, S. 103. RPO 1530 § 39,2, in: Weber: Die Reichspolizeiordnungen, S. 165. Die Geschichte dieser zwei Persönlichkeiten erregte sowohl bei den Zeitgenossen als auch bei künftigen Historikergenerationen große Aufmerksamkeit. Für zeitgenössische Berichte siehe z. B. David ben Shlomo Gans: Zemaḥ David (hebr.), Teil 1, Prag 1592; R. Gedalia ibn Yahya: Shalshelet ha-Kabbala (hebr.), Jerusalem 1962 [Original: Venedig 1587], S. 103; Shlomo Molcho:
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nes „endzeitlichen Krieg[s] gegen die Türken“¹³⁷ unter militärischer Führung der christlichen Großmächte und mit Mitwirkung einer Armee jüdischer Soldaten vor.¹³⁸ Molcho kam 1532 nach Regensburg mit der Absicht, die Unterstützung des Kaisers bei der Umsetzung seiner Pläne zu gewinnen. Der Kaiser ließ Molcho aber in Haft nehmen und nach Mantua bringen, wo er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.¹³⁹ Josel von Rosheim, der in Regensburg Geschäfte im Namen der Reichsjudenschaft auf dem Reichstag verrichten wollte, erfuhr von Molchos Absicht, möglichst alle Juden für den ‚endzeitlichen Krieg‘ zu rekrutieren.¹⁴⁰ Er versuchte, Molcho von seinen Plänen abzubringen, und, als dies ihm nicht gelang, verließ er die Stadt in Eile. Damit wollte er dem Kaiser bedeuten, dass er und die im Reich lebenden Juden nichts mit den Plänen Molchos zu tun hätten.¹⁴¹ Auch wenn die Gesandtschaft Josels frühzeitig beendet werden musste, kann sie als überaus erfolgreich betrachtet werden. Laut Josels Beschreibung erreichte er in Regensburg nichts Geringeres, als die Restitution der Existenzgrundlage der Reichsjudenschaft, denn sie erhielten die Erlaubnis, ihre Zinsgeschäfte wieder aufzunehmen.¹⁴² Im Reichsabschied von 1532 wurde nämlich beschlossen, dass die wucherer, Jüden, Monopolirer, vnd andere die vnbillich contrect vnd handtierung treiben, vermög des gemeynen rechten, des Reichs abschiedts, Nemlich zu Köln im jar zwölff,
Shlomo Molcho’s Sermons (hebr.), Prag [ohne Datum]. Für moderne historiographische Beschäftigung mit diesen Persönlichkeiten siehe z. B. Graetz: Geschichte, Bd. 9, S. 227– 255 und 530 – 548; Ders.: Salomon Molcho und David Reubeni, in: MGWJ 5 (1856), H. 6, S. 205 – 215 und H. 7, S. 241– 261; Aaron Zeev Eshkoli (Ed.): Die Geschichte David ha-Re‘uveni. Nach dem Oxforder Manuskript und mit zeitgenössischen Schriften und Zeugnissen (hebr.), Jerusalem 1993; Motti Benmelech: Shlomo Molcho – The Life and Death of the Messiah Ben Joseph (hebr.), Diss. masch., Jerusalem 2006 (Mittlerweile im Druck erschienen, Jerusalem 2016); Asriel Schochat: On the Affaire of David ha-Reuveni (hebr.), in: Zion 35 (1979), S. 69 – 116; Shlomo Simonson: David ha-Reuveni‘s Second Mission in Italy (hebr.), in: Zion 26 (1961), S. 198 – 207; FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 188 – 199 und zuletzt Voß: Umstrittene Erlöser, S. 167– 187, mit weiterführender Literatur. Voß: Umstrittene Erlöser, S. 167. Vgl. Benmelech: Shlomo Molcho, S. 273 – 275 und Eshkoli: Geschichte, S. 191 f. Der Grund für die Hinrichtung war vermutlich sein Abfall vom christlichen Glauben. Vgl. Graetz: Molcho und Reubeni, S. 259. Vgl. Ebd. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 324. Ebd. S. 323. In typischer Manier fügt Josel die ganze Angelegenheit in eine heilsgeschichtliche Narration ein, wonach es die Einwirkung Gottes war, welche die Juden vor Klagen in Schutz genommen und die repressiven Bestimmungen auf ihre Erwerbstätigkeiten rückgängig gemacht hätte.
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der mindern zal, vnnd jüngst zu Augspurg auffgericht, fürgenommen vnd gestrafft werden sollten.¹⁴³
Damit wurden die Bestimmungen der Reichspolizeiordnung mit einer kleinen aber für die Juden sehr wesentlichen Änderung bestätigt: Die Geldgeschäfte der Juden sollten nun nicht mehr von denen anderer Bevölkerungs- und Berufsgruppen gesondert behandelt werden. Zwar sollten wucherische Praktiken auch weiterhin unter Strafe stehen, aber die jüdische Zinsnahmepraxis wurde nicht mehr an sich als Wucher eingestuft. Das heißt, dass Juden Kredite vergeben durften, solange sie sich an die in der Reichspolizeiordnung vereinbarte FünfProzent-Regelung hielten. Nur was dar über gegeben, genommen oder gehandlt, wöllen wir das selbig für wucherlich geacht und gehalten, und wie obgemelt, bestrafen.¹⁴⁴ Neben der Wiederzulassung des jüdischen Geldhandels griff der Reichsabschied eine weitere nicht bindende, die Juden betreffende Bestimmung der Reichspolizeiordnung auf und erhob sie zu einer rechtlich bindenden Verpflichtung. Dienten bis dahin die Beschlüsse von Augsburg als Weichenstellung für weitere Gesetzgebungsakten auf territorialer, lokaler oder städtischer Ebene, so wurde es nun nach dem Reichsabschied von Regensburg obligatorisch, wo Jüden hinder eyner herrschafft gesessen weren, daß die selb oberkeyt bei den Jüden einsehens haben vnd ordnung mache[n], damit niemants vnbillicher weiß beschwerd werde. ¹⁴⁵ Vor seiner Abreise aus Regensburg gelang dem jüdischen Wortführer ein weiterer strategischer Zug zugunsten seiner Glaubensgenossen. Josel erreichte nämlich, dass der päpstliche Legat auf dem Reichstag, Kardinal Lorenzo Campeggio, die Authentizität eines kaiserlichen Dokuments aus dem Jahr 1216 be-
Abschiedt des Reichßtags zu Regenspurg Anno M.D.XXXII. gehalten, [gedruckt zusammen mit der] Reformation des Keyserlichen Cammergerichts durch Römsicher Keyserlicher Maiestatt auch Churfürsten Fürsten vn[d] gemeyner Reichstende Co[m]missarien vnd rethe zu Speier im[m] eyn vnnd dreissigsten jar auffgericht, Mainz 1532 [VD 16 R 783], Bl. Dir. RPO 1530 § 26,8, in: Weber: Die Reichspolizeiordnungen, S. 156. Diesem moderaten Erfolg gingen jedoch mehrere Verhandlungsrunden voraus, bei denen der Kaiser zugunsten einer Milderung der Einschränkungen der jüdischen Geldgeschäfte und gegen den Widerstand der Stände eintrat. Vgl. die unterschiedlichen Entwürfe und Stellungnahmen in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag in Regensburg und die Verhandlungen über einen Friedstand mit den Protestanten in Schweinfurt und Nürnberg 1532, bearb. von Rosemarie Aulinger [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 10] (im Folgenden als RTA JR 10), 2. Teilband, Göttingen 1992, Nr. 118, S. 645 – 649, Nr. 119, S. 649 – 651 und Nr. 130, S. 680 – 683. Abschiedt des Reichßtags zu Regenspurg vom 27. Juli, Mainz 1532, Bl. Dir.
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stätigte.¹⁴⁶ Der Nutzen dieser Aktion erscheint zweifelhaft, denn der päpstliche Nuntius war nicht berechtigt, eine kaiserliche Urkunde zu bestätigen.¹⁴⁷ Es scheint aber, dass die Juden mit diesem Vorgang eine diplomatische Geste Richtung Kaiser senden wollten. Mit der Bestätigung der Authentizität der Urkunde bekräftigte der Repräsentant des Papsttums zumindest implizit und symbolisch die allgemeine, kaiserliche Oberhoheit über die Reichsjudenschaft. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Vorgehensweise als eine Strategie zur politischen Annährung der Juden an den Kaiser. Wie erkennbar ist, konzentrierte sich die jüdische Politik zu Beginn des 1530er Jahre auf den Kaiser. Jedoch verließ Karl V. 1532 erneut das Reich für unbestimmte Zeit.¹⁴⁸ Dies sollte im Gegensatz zu den 1520er Jahren kein großes Problem für die jüdische Organisation darstellen, denn die Vertretung des Kaisers und die Führung der Regierungsgeschäfte in seiner Abwesenheit waren nach der Wahl und Krönung Ferdinands I. zum römisch-deutschen König klar geregelt. Demgegenüber erschwerten die konfessionelle Spaltung und die Gründung des Schmalkaldischen Bundes den ‚normalen‘ politischen Betrieb und es fanden in dieser Zeit keine Reichstage¹⁴⁹ statt, auf denen die Juden des Reichs konzertiert ihre Anliegen hätten vorbringen können.
Es handelte sich um eine Urkunde Friedrichs II. für die Juden in Regensburg, die das Fragment einer Urkunde Friedrichs I. vom 1182 enthielt, in dem sich die früheste bekannte Erwähnung der sogenannten Kammerknechtschaft der Juden befindet. Der erste, der auf diesen Fund aufmerksam gemacht hat, war Harry Breßlau in einer Mitteilung in: ZGJD 3 (1889), S. 394– 5. Eine ausführlichere Wiedergabe der Urkunde findet man bei Paul Scheffer-Boichorst: Ein ungedrucktes Juden-Privileg Friedrichs I. und II., in: Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 10, 1889, S. 459 – 462. Vgl. dazu Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 57; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 108; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 188. Erst 1541 nahm der Kaiser wieder an einem Reichstag (erneut in Regensburg) teil. Die unterschiedlichen Fürstenversammlungen dieses Jahrzehnts entsprachen meist nicht dem Charakter eines Reichstags. So ist es umstritten, ob der Tag von Worms 1535 als Reichstag gelten könnte. Siehe dazu v. a. Helmut Neuhaus: Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert. Reichstag – Reichkreistag – Reichsdeputationstag [Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 33], Berlin 1982, S. 40 – 46 und 60 ff., der das Treffen in Worms als Reichstag bezeichnete. Neuerdings hat jedoch Joachim Whaley: Germany and the Holy Roman Empire, Vol. 1: From Maximilian I. to the Peace of Westphalia 1493 – 1648, Oxford 2012, S. 310, der Wormser Versammlung den Status eines Reichstags abgesprochen. Zu den Schmalkaldischen Bundestagen (Nürnberg 1534 und Frankfurt am Main 1539) siehe Gabriele Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund: 1530 – 1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, Leinfelden-Echterdingen 2002 und Albrecht P. Luttenberger: Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530 – 1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg), Göttingen 1982.
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Dies bedeutete allerdings nicht, dass die jüdische Reichsorganisation in dieser Zeit erneut in Tatenlosigkeit erstarrte. In den Jahren 1532‒36 wurde die Führung der Juden in den teutschen landen mindestens dreimal um Hilfe gerufen. So geschah dies 1535¹⁵⁰, als eine Blutbeschuldigung¹⁵¹ gegen die Juden Schlesiens dazu führte, dass der Vorsteher aller jüdischen Gemeinden unter der Herrschaft des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde und alle jüdischen Männer der Region verhaftet wurden.¹⁵² Nachdem die lokalen und regionalen Rettungsversuche nur minimale Erfolge erzielt hatten, wurde Josel von Rosheim in dieser Angelegenheit aktiv.¹⁵³ Laut Josels Bericht reiste er zusammen mit einem Rabbi namens Liebermann nach Schwabach und Ansbach – den Hauptstädten der Markgrafschaft – um für unsere Brüder, die Untersassen Schlesiens einzutreten.¹⁵⁴ Weiterhin schilderte er, dass er über sechshundert [Gulden] aus Aschkenas hinausbrachte, um in den Ohren des Grafen Markgrafen Jörg zu plädieren und zu beweisen, dass wir und ganz Israel unschuldig seien.¹⁵⁵ Räumlich gesehen wurde das Geld tatsächlich aber nicht aus Aschkenas, also aus Deutschland, weggebracht, weil Ansbach und Schwabach auf deutschem Territorium lagen. Es wurde auch nicht aus dem Reich weggebracht, weil Schlesien ein dem Reich zugehöriges Territorium war und die Juden dieser Region Untertanen des Brandenburg-Ansbacher Markgrafen Georg waren, der ein Reichsmitglied war. Dennoch markierte Josel mit seiner Aussage eine Grenze zwischen den ‚deutschen‘ und den ‚schlesischen‘ Juden, denn das Geld der
Die jüdischen Quellen – darunter eine Reihe von Briefen aus der internen Kommunikation der Juden sowie der Bericht Josels von Rosheim über die Ereignisse – datieren auf das Jahr 1533, während die obrigkeitlichen Dokumente aus dem Jahr 1535 stammen. Das Jahr 1535 ist als Datum vorzuziehen, weil die Dokumentation auf obrigkeitlicher Seite weit vollständiger ist und eine Verwechslung auf jüdischer Seite durch die Umrechnung von der jüdischen Zeitzählung möglich ist. Es handelte sich hierbei nicht um eine Tötung eines christlichen Kindes, sondern um den Versuch, alle christlichen Frauen der Region durch ‚jüdische Hexerei‘ zu töten. Die Stadt Jägerdorf, in der die Affäre begann, war Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach unterstellt. Diese Geschichte wurde mit all ihren Hintergründen und Komplikationen bei Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 199 – 213 bereits so ausführlich und präzise geschildert, dass sich eine weitere Beschäftigung mit den meisten Aspekten des Vorfalls erübrigt. Vgl. auch Louis Neustadt: Die letzte Vertreibung der Juden in Schlesien, Breslau 1893, der einige zentrale Quellen jüdischer Provenienz (S. 4– 11) gedruckt hat. Die gleichen Dokumente hat auch Isidor Kracauer: Additions a l’histoire de la persécution des Juifs. Dans la Haute-Silésie en 1533, in: Revue des Études Juives 20 (1890), S. 108 – 116 gedruckt. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 201, 212 f. und Abschnitt Nr. 18 des Berichts Josels, ebd. S. 324 f. Ebd. 324. Ebd.
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‚deutschen‘ Juden sollte nun als Hilfestellung für ‚ausländische‘ Judenschaften dienen. Mit diesem Bericht Josels wurden nicht nur die geografische Eingrenzung der jüdischen Reichsorganisation, sondern auch ihre materiellen Ressourcen angesprochen. Josel schrieb nicht, woher er die 600 Gulden hatte, und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass das Geld als Reaktion auf die Ereignisse in Schlesien in den deutsch-jüdischen Gemeinden gesammelt wurde. Fraenkel-Goldschmidt mutmaßt deswegen, dass die Reichsjudenschaft eine gemeinsame Kasse besaß, aus der sie ihre diplomatischen Missionen finanzierten.¹⁵⁶ Sollte es tatsächlich eine derartige Kasse gegeben haben, dann entstand sie vermutlich nur kurze Zeit zuvor. Dies lernt man aus einer anderen Episode, von der Josel berichtet. Es ging dabei um jüdische Gemeinden in den peloponnesischen Städten Patras und Koroni 1532, sowie in Tunesien 1535, welche durch die Kriege und Eroberungen der Armeen Karls V. große Leiden ertragen mussten. Bitter war nicht zuletzt das Schicksal derjenigen Juden, die die Kriegshandlungen und Plünderungen überlebt hatten, anschließend aber in die Sklaverei verkauft wurden.¹⁵⁷ Einige von ihnen kamen zwar aufgrund von Lösegeldern frei, die von jüdischen Gemeinden in Italien gestellt wurden, allerdings reichte das in Italien eingesammelte Geld nicht aus, um alle Juden freizukaufen. Aus diesem Grund wandten sich die italienischen Juden an jüdische Gemeinden in anderen Ländern.¹⁵⁸ Dieser Appell stieß im Reich auf Widerhall und die ‚deutschen‘ Juden begannen, Lösegeld zu sammeln, und zwar wurden von je hundert Gulden vier Gulden dem ‚Hilfsfond‘ überlassen. Josel berichtete jedoch, dass das Lösegeld nicht an den Ort gebracht werden konnte, an dem es gebraucht wurde, weil man dafür keine sicheren Transportwege und -mittel fand. Er beschloss darauf, das Geld für andere Fälle des Freikaufs von Häftlingen oder für ähnliche, gravierende Notfälle zu verwenden.¹⁵⁹ Im Gegensatz zur Grenzziehung gegenüber den schlesischen Juden kann die Hilfestellungen, welche die Reichsjuden für die Juden Böhmens 1534 leisteten, nicht eindeutig als eine Unterstützung nach ‚außen‘ bezeichnet werden. Zwar war die politisch-rechtliche Situation ähnlich, da die böhmische Krone dem Reich angegliedert und der böhmische König Ferdinand ab 1531 der römisch-deutsche
Ebd. S. 213. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 213 – 219 fasst die wichtigste Literatur mit Einbezug hebräischer Quellen zusammen. Ebd. S. 217 f. In Josels Bericht findet man ein weiterer Hinweis für die Grenzen der Organisation der ‚deutschen‘ Juden. Im Abschnitt 19 seiner Chronik verwendete er den hebräischen Terminus ( מדינות לועזMedinot loas), der als ‚fremdsprachige Länder‘ übersetzt werden kann und üblicherweise Italien bezeichnete. Siehe ebd. S. 325. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 325.
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König war. Es finden sich in den Organisationsbemühungen der deutschen Juden jedoch keine Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit der böhmischen Juden darin. So waren keine Repräsentanten der böhmischen Gemeinden an den Versammlungen im Reich zugegen und die Beschlüsse der Reichsjudenschaft erwähnten nicht die Juden Böhmens und – soweit erkennbar – erstreckten sich auch nicht auf sie. Dennoch, als schwerwiegende Auseinandersetzungen innerhalb der Prager Gemeinde 1534 ausbrachen¹⁶⁰ und sich alsbald auf weitere Gemeinden Böhmens ausweiteten, sahen sich die Rabbiner Posens und Aschkenas’ in der Pflicht, für einen Kompromiss und für gerechte Männer zu sorgen, die den Disput zum Abschluss bringen würden. ¹⁶¹ Gewählt wurden für diese Vermittlungsmission der Prager Rabbiner Abraham ben Avigdor und Josel von Rosheim. In enger Zusammenarbeit wurden Statuten verabschiedet, mit denen die internen Angelegenheiten der Prager Gemeinde geregelt werden sollten.¹⁶² Allerdings war eine der Konfliktparteien, die reiche und einflussreiche Familie Horowitz, mit den Entwicklungen und Beschlüssen nicht einverstanden. Um die Intervention Josels zu sabotieren, wandte sie sich an die Obrigkeit und beklagte, dass ein frembde[r] Jude aus teutschen Landen hieher gebracht und ohn E. Mt. oder der Kammer Vorwissen denselben zu einem Rabi gesetzt, welcher unter ihnen […] viel neuer judischer Satzungen und Ordnungen, die E. Mt. und der Oberkeit zuwider sein, gemacht und dasselb alles in ein Buechl beschrieben haben solle.¹⁶³
Die wichtigen Dokumente zu diesem Streit sind gedruckt bei Gottlieb Bondy und Franz Dworský (Ed.): Zur Geschichte der Juden in Böhmen, Mähren und Schlesien von 906 bis 1620, Bd. I: 906 bis 1576, Prag 1906, Nr. 375 ff. Siehe außerdem über den Konflikt selbst z. B. Jan Hěrman: The Prague Jewish Community Before the Expulsion of 1541, in: Otto Muneles und Jan Hěrman (Hrsg.): Prague Ghetto in the Renaissance Period [Jewish Monuments in Bohemia und Moravia, Bd. 4], Prag 1965, S. 15 – 40; H[erman?] Horowitz: Die Familie Horowitz in Prag, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei 2 (1931), S. 89 – 105; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 219 – 230; Alexander Putík: Ursachen und Folgen des Prager „Rabbinerumsturzes“ des Jahres 1579. Beitrag zur innenpolitischen Geschichte der Prager jüdischen Gemeinde, in: Judaica Bohemiae 46 (2011), Suppl., S. 33 – 74. Abschnitt 20 der Chronik Josels von Rosheim, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 326. Vgl. Abschnitt 20 von Josels Bericht, in: ebd. S. 326 f. Schreiben der böhmischen Kammer an König Ferdinand mit dem Inhalt des jüdischen Gravamens vom 2. November 1534, gedruckt in: Bondy / Dworský: Böhmen, Mähren und Schlesien, Nr. 416, S. 295 f. Dass die Beschwerde von der Familie Horowitz stammte, erfährt man aus Josels Erzählung über die Ereignisse, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 327.
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Durch diese Beschwerde zogen also einflussreiche Akteure innerhalb der Prager Gemeinde eine Grenze zwischen böhmisch und deutsch, zugehörig und fremd bzw. außenstehend. Zwar war die Markierung dieser Grenze eine Taktik der Familie Horowitz, die befürchtete, Einfluss und Macht einzubüßen. Aber sie orientierte sich an dem bestehenden politischen und rechtlichen Rahmen, der für die böhmische Obrigkeit insofern maßgeblich war, als er ihre herrschaftliche Kompetenz bestätigte. Josel wurde also implizit vorgeworfen, durch sein Eingreifen in den Konflikt auch in die Herrschaftsbefugnisse der Prager Obrigkeit einzugreifen.¹⁶⁴ Für die böhmische Obrigkeit war die Sachlage offenbar nicht derartig problematisch. Johann [H]er[r] von Wartenbergk, auf Zwieretiz etc., obrister burggraf zu Prag drückte dem Vertreter der deutschen Juden die Anerkennung seines Amtes auch in Böhmen aus. Er gewährte nämlich dem fursichtig Judmeister Jossell von Rossheim, obrister rabi der gemeinen judischeit durch Beheim und der teutsch land einen Geleitbrief, was er damit begründete, dass Josel oftmals aus notturft seines auferlegten amts und viler zufelliger gescheft halben durch herschaften und gepiet reisen und ziehen müsse.¹⁶⁵ Nach weiteren Auseinandersetzungen zwischen den ‚Ältesten‘ der Prager Juden und der Familie Horowitz wurde die Ordnung, an deren Entstehung Josel mitgewirkt hatte, offiziell verabschiedet und angenommen.¹⁶⁶ Auch einige Jahre später, als die böhmischen Juden (1541) schwere Verfolgungen und schließlich eine Vertreibung erleiden mussten, kam Hilfe vonseiten der Reichsorganisation der Juden. In Reaktion auf die Bitte von vielen Rabbinern beteiligte sich Josel zusammen mit anderen Prager Juden aktiv an den Verhandlungen mit dem König zugunsten der böhmischen Juden. Ergebnis der Verhandlungen war, dass eine kleine Anzahl an Juden die Erlaubnis erhielt, in ihrem Wohnort zu bleiben. In Josels Augen war dies ein großer Erfolg, denn ca. ein Jahr später war er selbst Zeuge, wie weitere Juden nach Böhmen zurückkehren und die zerstörten Gemeinden wiederaufbauen konnten.¹⁶⁷ Tendenziell kann man hier eine Verdichtung und Verfestigung der Beziehungen der politischen Organisation der Reichsjuden zu den böhmischen Juden
Gegen Josel wurde ein Verfahren initiiert. Er konnte allerdings durch den Beistand großer Teile der dortigen Judenschaft freigesprochen werden. Vgl. ebd. und S. 226 f. Vgl. Copia gleits Johan Herr von Wortemberg, obrister burggraf zu Prag, für Josel, 20. Oktober 1534, in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. IX., S. 166. Man kann hier nur annehmen, dass Josels Beziehungen zum Hof König Ferdinands ihm diese Anerkennung bescherte. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 227. Das Vertreibungsedikt wurde 1542 von Ferdinand annulliert. Vgl. ebd. S. 333 und FraenkelGoldschmidts Ausführungen über diese Angelegenheit ebd. S. 249 – 256.
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feststellen. Dass die Prager Gemeinde und die böhmischen Juden insgesamt Teil dieser Organisation geworden wären, kann allerdings nicht konstatiert werden. Die Ereignisse in Prag zeugen immerhin von einer Vernetzung der beiden Judenschaften, die angesichts der zunehmend zentralen Funktion König Ferdinands für beide Regionen auch weitere Annährungen ermöglichte.¹⁶⁸ Wie aus der hier dargestellten Schilderung zu vernehmen ist, wuchsen im Laufe der 1530er Jahre das Ansehen und der Ruf des elsässischen Parnas erheblich, da er ausnahmslos im Vordergrund der jüdischen Unternehmungen agierte. Er trat vor vielen verschiedenen christlichen Herrschern mit dem Titel des gemeinen jüdischen regierers auf und konnte somit die Juden fast überall im Reich vertreten.¹⁶⁹ Ähnliches tat er auch 1535, als er beim Reichskammergericht eine Eingabe machte¹⁷⁰; statt des erhofften Zugangs zu dieser Reichsinstitution erbrachte ihm der Regierer-Titel eine Anklage wegen einer Anmaßung.¹⁷¹ Wie die Klageschrift betonte, war es bei namhaften, schweren strafen und peenen verboten, das kainer, was wesens oder stands der seie, sich einichs falschen bosen betrugs und unzimlichen, nit erlaubten, ungeburlichen titels, weder heimlich noch offentlich, gebrauchen, behelfen, rumen oder anmassen.
Josel soll aber des unangesehen ¹⁷² fur einen regierer gemeiner judischait im reich ungeburlicher weis, auch on einichen schein genennt, geschribn, gerumt und angegeben haben.¹⁷³ Aufgrund dieser Rechtsverletzung wurde Josel befohlen, in-
Soweit ersichtlich wurden bislang keine ausführlichen Studien zur Bedeutung Ferdinands I. für die Juden im Reich und in seinen weiteren Herrschaftsgebieten. Ausnahme bildet der Aufsatz zum Verhältnis Ferdinands zu den Juden Böhmens von Shmuel Steinherz: The Expulsion of the Jews of Bohemia in the Year 1541 (hebr.), in: Zion 15 (1950), S. 70 – 92. Vgl. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 115. Die Verwendung dieser Bezeichnung war, wie bereits argumentiert wurde, von jüdischer Seite sanktioniert und sollte dazu dienen, den Bemühungen Josels von Rosheim ein politisches Gewicht zu verleihen. In welchem Zusammenhang diese Eingabe gemacht wurde, ist nicht klar. Möglicherweise ging es um einen gerichtlichen Streit, den Josel gegen eine der elsässischen Städte führte. Siehe die Anklage gegen Josel durch den kaiserlichen Kammerfiskal und Prokurator Wolfgang Weydner – verfasst durch den Protonotarius des Reichskammergerichts, Caspar Hamerstetter – vom 6. Juli 1535, in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. X., S. 167 f. Die Quelle benennt hier explizit einen aus schlchter geburt und handwerks, der sich königl. Titels angemast hatte. Damit wurde einen Bezug zwischen dem Fall Josels und den Ereignissen im Münsteraner Täuferreich hergestellt. Vgl. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 13 und S. Stern: Josel von Rosheim, S. 114 f. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. X, S. 167
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nerhalb von drei Wochen in Person oder durch einen bevollmächtigten Vertreter vor dem Reichskammergericht zu erscheinen.¹⁷⁴ Der von jüdischer Seite unternommene Versuch, ihrer Organisation eine hierarchische, der politischen Konstitution des Reichs ähnelnde Struktur zu geben und damit den Aktivitäten ihres höchsten Repräsentanten korporative Legitimität und Autorität zu verleihen, wurde Josel nun zum Verhängnis. Offenbar konnte die Bezeichnung des Regierers in dem Sinne verstanden werden, als ob die Juden versucht hätten, eine autonome Herrschaftsinstanz mit Autorität über alle ihre Glaubensgenossen zu etablieren. Laut der Anklage des kaiserlichen Fiskals sei aber nur die rom. kais. Mt. als einigs und rechtens Hn. und regierers der judischeit. ¹⁷⁵ Bei den Verhandlungen vor dem Reichskammergericht übergab Josels Anwalt, Christoph Hoss, dem Gericht eine Verteidigungsschrift. Darin beteuerte er, dass die Verwendung des Titels keine spöttische oder höhnische Absicht beinhalte, sondern einfältiglich, sine dolo, fraude und alle arglistigkeit und verachtung bescheen. Die Verwendung der Bezeichnung sei keine Anmaßung gewesen, weil ja Josel jud bei irer Mt. Rheten, marschalken, regiment zu Enssheim, aus Boheim und Teutschlanndt ein oberster der juden, oberster rabi und eins teils regierer der judischeit durch sie und menniglich genannt worden
sei.¹⁷⁶ So erhielt Josel während des Reichstags in Regensburg (1532) einen Geleitbrief vom kaiserlichen Erbmarschall Georg von Pappenheim, in dem er der Judenschaft in teutschen landen oberster bezeichnet wurde.¹⁷⁷ Zudem handele es sich bei dieser Bezeichnung um eine deutsche Übertragung des chaldäischen Worts ‚Parnas‘ und des hebräischen Ausdrucks manhig [ = מנהיגAnführer]. Es waren Titel, mit denen die Juden laut der Verteidigungsschrift Josel anzureden pflegten.¹⁷⁸ Schließlich habe der jüdische Parnas mit der Verwendung dieser Titulierung zu erkennen [ge]geben, das er von wegen gemeiner judischeit das kais. schreiben zu verantworten und urkund zu begeren bevelch hett. ¹⁷⁹
Vgl. ebd. Replice et conclusiones des kais. Fiscals ctra. Jösel juden von Rossheim, so sich nennet regirer gemeiner judischeit im reich vom 4. November 1536, in ebd., Beil. XIII, S. 173 – 176, hier S. 174. Exeptiones et in eventum conclusiones Jösel juden zu Rosheim ctra. den kais. Fiscal. Praes. Speir 5. Julii anno 36, gedruckt in: ebd., Beil. XII, S. 169 – 173, hier S. 170. Insgesamt werden sechs Dokumente vorgelegt, die diesen Gebrauch belegen sollten. Ebd. S. 170 f. Zitiert nach Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 56. Ebd. S. 172. Ebd. S. 171.
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Aus Sicht des kaiserlichen Fiskals kam die Verteidigung einem Geständnis gleich, weil der Tatbestand selbst nicht geleugnet, sondern lediglich mit – seiner Ansicht nach – irrelevanten Argumenten entschuldigt wurde. Alle angeführten Begründungen stellten nach dem Befinden des Fiskals keine zwingende Notwendigkeit für die Verwendung des Regierer-Titels dar. Auch wenn dies ohne böse Absicht geschehen sei, müsse Josel dennoch bestraft werden, denn sonst würden also viel missthaten entschuldiet und ungestraft hingen, welches aber vermög der recht kainswegs sein soll. ¹⁸⁰ Am Ende setzte sich diese Sichtweise durch und Josel „wurde zu einer Strafe von zwei Mark Gold und zur Tragung der Kosten verurteilt“.¹⁸¹ Den umstrittenen Titel des Regierers verwendete Josel bereits seit Beginn des Prozesses nicht mehr, sondern die Bezeichnung des Befehlshabers, die auch eine adäquatere Beschreibung seiner Befugnisse darstellt.¹⁸² In der Argumentation von Josels Anwalt befindet sich eine Aussage, die einer Klärung bedarf. Christoph Hoss schrieb: Und wonet noch ein jud im Elsass, auch Josel jud genannt, darum zu einem underscheid, den beclagten juden zu erkennen, wurd er, wie angezogen, allenthalben genannt, und dass er von gemeiner judenschaft uf allen reichstagen und sonst zu handlen obersten gewalt hat.¹⁸³
Mit dieser Aussage impliziert Hoss, dass Josel von Rosheim eine Art ‚PauschalVollmacht‘ besessen habe, um im Namen der Juden Verhandlungen zu führen. Vermutlich diente die ‚jüdische Judenordnung‘ von 1530 als das Dokument, mit dem Josels Funktion innerhalb der Judenschaft festgeschrieben wurde. Josels Rolle innerhalb der politischen Organisation der Juden erhielt somit den Charakter eines zeitlich unbeschränkten Amtes.¹⁸⁴
Ebd. Beil. XIII, hier bes. S. 174. Ebd. S. 15. Vgl. ebd. Ebd. Beil. XII, hier S. 171. Laut Josels eigener Aussage in einer Supplikation an den Grafen von Hanau vom 20. April 1539 wurde er zu seiner Rolle als Befehlshaber sowohl von den Juden als auch von christlichen Obrigkeiten ernannt: [W]ie wol ich alß ein armer, zu einem Juden von Keyser vnd Konigen Churfursten vnd fursten, lange Jar her, der gemeine Judichheit, allenthalben zu einer verorneten furgenger vnd beuehlchhaber gesetz, darzu von der gemeine Judischheit gewahlt, derenhalben ich nuhn außgewong auff alle reichstag, auch fur alle Kay~ vnnd Churfurstliche Höffenn, vnnd gerichtszwang, wo sich ire notturfft erfordert, gehandlet vnnd handlen muß, bey meinem eyd, der mir auffgelegt ist, wie ich dan dasselbig mit urkuntlichen brieffen E. gnaden Secertarie N. gewisen han ec. Schreiben Josels vom 20. April 1539 in: HStAM 86 Hanauer Nachträge, 26169, Bll. 6r–7v.
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Mit der Kristallisation von Josels Funktion als ‚unbefristeter‘ Wort- und Verhandlungsführer der Reichsjuden, mit der Markierung der Grenzen zwischen den ‚deutschen‘ und den ‚ausländischen‘ Juden und mit den Versuchen der Implementierung der jüdischen Judenordnung sind die wichtigsten politischen und strukturellen Entwicklungen der politischen Organisation der Juden in den 1530er Jahren auf Reichsebene behandelt worden. Im gleichen Zeitraum gab es allerdings v. a. auf territorialer Ebene politische und rechtliche Änderungen, die für das Leben der Großzahl der Juden im Reich bedeutsam waren. Aus diesem Grund soll im Folgenden der Blick auf den Umgang der Juden mit den Herausforderungen auf territorialer Ebene gerichtet werden.
5.2.2 Die territoriale Ebene Die Neugestaltung der landesherrlichen ‚Judenpolitik‘ erhielt durch die Bestimmungen der Reichspolizeiordnung von 1530 und den Reichsabschied von 1532 einen wichtigen Impuls. Diese beiden politischen Programme sollen aber nicht nur als Teil der Reichsreform verstanden werden, sondern sind v. a. im Rahmen des Territorialisierungsprozesses zu verorten – ein Prozess, der nicht zuletzt durch den konfessionellen Streit im Reich massiv vorangetrieben wurde.¹⁸⁵ Der wahrscheinlich markanteste Ausdruck der Territorialisierungstendenzen manifestierte sich in den Anstrengungen der Landesherren, die unterschiedlichen Rechte und Normen ihres jeweils eigenen Herrschaftsgebiets zu kodifizieren und zu vereinheitlichen. Dabei versuchte man, die ansässigen Untertanenverbände einer sich zentralisierenden Gewalt unterzuordnen und das Gemeinwesen nach den leitenden zeitgenössischen Prinzipien der guten Polizei und des gemeinen Nutzes zu organisieren.¹⁸⁶ Zu diesem Zweck mussten viele Lebensbereiche reglementiert werden. Leitende Vorstellung für viele dieser Bemühungen war die obrigkeitliche Fürsorge für das Seelenheil der Untertanen, die unter dem Eindruck der Refor-
Zur Konfessionalisierung siehe Heinz Schilling: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), S. 1– 45; Wolfgang Reinhart: Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ZHF 10 (1983), S. 257– 277; Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß (Hrsg.): Das Konfessionalisierungsparadigma. Leistungen, Probleme, Grenzen, Münster 2013. Darüber siehe v. a. die zu Beginn dieses Kapitels angeführte Literatur zur Policeyforschung sowie Richard van Dülmen: Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Ein Versuch, in: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 5 – 14.
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mation zu einer zentralen Motivation der landesherrlichen Reglementierungstätigkeit wurde, wenngleich zunächst vorwiegend in protestantischen Territorien.¹⁸⁷ Im Bereich der Judenpolitik soll der Wunsch nach einer Vereinheitlichung des Rechts besonders groß gewesen sein, weil „dieses in einer Vielzahl von Einzelschutzbriefen, Privilegien und Statuten festgehalten war und für die landesherrliche Verwaltung oder die Stadtobrigkeit kaum noch überschaubar blieb“.¹⁸⁸Auch wollte man mögliche ‚fremde‘ Einflüsse zurückdrängen, wie etwa Geldforderungen seitens des Kaisers an die Juden oder Gerichts- bzw. Appellationsrechte, welche die eigene Gerichtsbarkeit untergruben.¹⁸⁹ Die politischen Maßnahmen von Territorialobrigkeiten bargen ein wichtiges, für die Juden vorteilhaftes Element in sich. Unabhängig von der Intention der Herrscher leisteten die Judenordnungen des 16. Jahrhunderts einen weiteren Schub der Verrechtlichung jüdischen Lebens im Reich. Zwar bestand in jedem Fall die Möglichkeit, dass die Verrechtlichung des jüdischen Lebens restriktiv oder gar repressiv ausfallen konnte, aber der Rechtskodifizierungsprozess bot den Juden die Gelegenheit, sich für ihre Interessen einzusetzen und die Resultate bis zu einem gewissen Grad zu beeinflussen. Schließlich aber bedeutete die Verrechtlichung die Einhegung obrigkeitlicher Willkür. Erfüllten die Juden die landesherrlichen Bestimmungen, so hatten sie – im Idealfall – keine obrigkeitlichen Repressalien zu befürchten.¹⁹⁰ Judenordnungen gab es allerdings nicht erst ab 1530. So erließen städtische Obrigkeiten, wie etwa in Wien und Worms¹⁹¹, Judenordnungen schon in den
Vgl. Friedrich Battenberg: Judenordnungen der frühen Neuzeit in Hessen, in: Heinemann (Hrsg.): Neunhundert Jahre, S. 83 – 122, hier S. 86. Ebd. Ein Ziel dabei war, für die Stabilisierung der eigenen Finanzen zu sorgen. Vgl. ebd. Ursula Floßmann: Landrechte als Verfassung [Linzer Universitätsschriften, Monographien 2], Wien – New York 1976, S. 230 geht bei der Analyse der Entstehung der Territorialstaaten aus rechts- und verfassungsgeschichtlicher Perspektive davon aus, dass die Landesordnungen „die Herstellung einer einheitsstiftenden Ordnung zur Objektivierung des politischen Willens oder die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Herrschaftsausübung“ förderten. Zwar bezieht sie sich bei dieser Aussage vor allem auf die herrschaftliche Spannung zwischen Landständen und Landesfürsten (siehe dazu auch S. 52 f.), aber dieses Ergebnis ist auch auf andere Herrschaftsbeziehungen übertragbar. Siehe dazu v. a. Battenberg: Landesordnungen. Interessanterweise verabschiedete Frankfurt am Main im 16. Jahrhundert keine Judenordnung, welche die Rechte der Juden in der Stadt auf Dauer geregelt hätte. Stattdessen hielt man an die so genannte Stättigkeit fest, die nur für eine bestimmte Zeit Geltung hatte und bei jeder Erneuerung geändert werden konnte. Erst nach dem Fettmilchaufstand 1616 war die Stättigkeit zeitlich nicht mehr begrenzt und mit 188 Paragraphen in Druckform erschienen. Vgl. Cilli Kasper-Holtkotte: Die jüdische Gemeinde von Frankfurt am Main in der Frühen Neuzeit. Familien, Netzwerke und Konflikte eines jüdischen Zentrums, Berlin – New York 2010, S. 23 f.
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1520er Jahren. Das sogenannte Wormser Gedinge von 1524, das ab dem 23. April 1525 in Kraft trat, bestimmte in 20 Artikeln die Wohn- und Handelsrechte der Wormser Juden. Interessanterweise und im Unterschied zu anderen, späteren Fällen der Verabschiedung von Judenordnungen findet man hierbei keine Aussagen über eine jüdische Beteiligung am Kodifizierungsprozess.¹⁹² In Wien verabschiedete Ferdinand I. 1528 die in der Forschung wenig bekannte Ordnung, wie es füran mit den Inlendischen und angesessnen Juden, so Kayserlicher Majestät Cammerguet sein. Auch denen ausslendischen Frembden und unerkhanten, durchziehenden oder dergleichen Juden.¹⁹³
Neben den städtischen Ordnungen sind weitere Judenordnungen aus anderen Kontexten überliefert. Ein Beispiel ist die 15 Punkte umfassende – in der Forschung weitgehend unbekannte – Ordnung der Juden, die Abbtt Harttmann bereits 1514 für das Stift Fulda verabschiedete.¹⁹⁴ Ein weitaus bekannteres Beispiel ist die Judenordnung in der Pfalz von 1515.¹⁹⁵ Unter Kaiser Maximilian I. wurde 1516 eine Judenordnung für die vorderösterreichische Herrschaft Hohenberg erlassen, die sein Nachfolger Ferdinand I. 1530 bzw. 1531 erneuerte und im Folgenden behandelt wird.¹⁹⁶ Für diese erwähnten Judenordnungen findet man jedoch keine Hinweise auf jüdische Betriebsamkeit im Vorfeld derer Verabschiedung. Beim Erlass von Judenordnungen ab 1530 lassen sich hingegen jüdische Beteiligung am bzw. jüdische Versuche der Einflussnahme auf den Prozess der Gesetzgebung belegen. Im Folgenden sollen Beispiele aus fünf verschiedenen Reichsterritorien näher betrachtet werden. Ein Augenmerk der Untersuchung wird dabei auf Verbindungen gerichtet, die zwischen den Tätigkeiten, Beschlüssen und Erfolgen der Reichsorganisation der Juden zu den Bemühungen lokaler Judenschaften bestanden.
Vgl. Fritz Reuter: Bischof, Stadt und Judengemeinde von Worms im Mittelalter (1349 – 1526), in: Heinemann (Hrsg.): Neunhundert Jahre, S. 41– 81, hier S. 56 – 60; Ders.: Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms, Frankfurt am Main 19872, S. 67– 75. Der Juden Ordnung. Anno 1528, FHKA Wien, Patente K. 1.32. Eine der wenigen Erwähnungen dieser Judenordnung brachte Gerson Wolf: Geschichte der Juden in Wien (1156 – 1876), Wien 1876, S. 21 f. Abbtt Harttmanns Ordnung der Juden, in: HStAM, K 437, Nr. 235, Bll. 38r–40v. Extract und Außzug der new Begriffenen und verfaßten Juden ordenung, Worms, 14. April 1515: Generallandesarchiv (GLA) Karlsruhe, Abt. 77, Pfalz Generalia 2875. Judenordnung von 1. Mai 1516: HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q(uadrangel) 1 und eine Ausfertigung des Dokuments vom 12. August 1531 GLA Karlsruhe, 79 p 12, Nr. 1011, Bll. 147r–152r. Vgl. dazu Lang: Ausgrenzung, S. 152– 54 und 156 – 160.
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A Hohenberg (1530/31) Chronologisch gesehen war die Judenordnung der Habsburger Herrschaft Hohenberg die frühere.¹⁹⁷ Wie bereits erwähnt, hatte Maximilian I. 1516 die erste Ordnung erlassen. Während der 1520er Jahre bemühten sich die Juden immer wieder um die Aushebelung der Bestimmungen dieses Rechtsdokuments, indem sie „allgemeine [..] Judenprivilegien des Reichs zur Verbesserung ihrer Position einzusetzen“ versuchten.¹⁹⁸ Nachdem sich in den 1520er Jahren Konflikte wegen angeblicher jüdischer Übertretungen der Ordnung von 1516 angehäuft hatten, ließ der Landesherr Ferdinand von Habsburg am 23. August 1530 sie erneuern und in Druck erscheinen.¹⁹⁹ Die Juden sahen sich hochbeschwert durch die Erneuerung der Ordnung von 1516 und supplizierten daher an das Regiment in Innsbruck. Sie fanden zudem in Graf Rudolf zu Sulz, dem Reichs Hofrichter vnnd die vrtteilsprecher des Hofgerichts zu Rottweill ²⁰⁰ einen wichtigen Verbündeten. Dieser war auch von den Bestimmungen der Judenordnung betroffen, weil darin Juden verboten wurde, Hohenberger Untertanen zum Hofgericht in Rottweil zitieren zu lassen. Zudem sollten Rechtsentscheide aus Rottweil für nichtig erklärt werden.²⁰¹ Der Richter aus Rottweil reichte ebenfalls ein Gravamen beim Innsbrucker Regiment ein. Ergebnis dieser doppelten Beschwerde war keineswegs die komplette Revision der Judenordnung. Dennoch sah sich Ferdinand veranlasst, vnnser ordnung
Die Begleitumstände dieser Judenordnung sowie deren Umsetzung wurden durch Lang: Ausgrenzung, S. 156 – 166 ausführlich behandelt. Folgende Ausführungen beschränken sich daher auf die für die genannte Fragestellung relevanten Aspekte. Lang: Ausgrenzung, S. 156. So argumentierten verschiedene Juden in Supplikationen an das Regiment in Innsbruck, dass dieselb ordnung […] vnns doch, wo wir derselben geloben vnnd nachkhomen sollten, in vil artigkheln gantz beschwerlichen were, wurd auch obemelten vnnsern freyhayten vnnd confirmacionen zu grossen abbruch vnnd schmelerung Reichen. Die genannten Freiheiten und Bestätigungen, die durch die Umsetzung der Ordnung verletzt worden seien, waren laut den supplizierenden Juden im Generalprivileg von 3. November 1520 enthalten. Supplikation der Judischait gesessen vmb vnd in der Herrschafft Hohennberg an König Ferdinand (vor August 1530): HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q 4. Vgl. auch die Supplikation des Mayr Jud von Kiebingen von wegen mein vnd meiner gesellen vmb Sässen der Herschafft Hochemberg vom 25. Juni 1528 : HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q 2. (Lang: Ausgrenzung, S. 155 hat sich offensichtlich verrechnet, als er das Datum auf den 26. Juni festgesetzt hat). Das genannte Privileg von 1520 wurde im Kapitel 4.1.2. behandelt. HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q 5. Argumentiert wurde dabei, dass das alte Dokument vff pappier geschribenn vnnd ettwas schadhafft worden ist. Aus dem Präambel zu den Erläuterungen zur Judenordnung von 1530, vom 12. August 1531: HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q 6. Siehe auch die Abschrift in: GLA Karlsruhe 79 p 12, Nr. 1011, Bll. 147r–152r. Die Angaben bei Lang: Ausgrenzung, S. 160 sind inkorrekt. Art. 3 der 1516/1530er Judenordnung: HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q 5.
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[zu] änder[n], erleutter[n] vnnd widerumb vonn Newem vorzunehmen.²⁰² Die Veränderungen zwischen der erneuerten Ordnung vom 1530 und der Erläuterung von 1531 fielen nicht besonders groß aus. Dennoch wurde nun Juden, die sich an die Vorschriften der Ordnung hielten, garantiert, dass sie nit Beschwert, belaidigt, beschedigt noch geschmächt, sonder bei Recht friden vnnd aller Billichait gehandthabt vnnd geschirmbt [werden sollten]. Vnnd wer die Juden darüber mit Nam angreiffen mit wortten oder werckhen vnbillicher weise belaidigen, beschwern oder schmähen wurde, der soll dem Juden darumb nach Billichen dingen abtrag vnnd Widerkerung zethun schuldig vnnd darzu in Vnnser vngnad vnd straff gefallenn sein vnnd darumb nach vngnaden gestrafft werdenn.²⁰³
Die Hohenberger Juden konnten nicht auf die ‚jüdische Judenordnung‘ bei ihren Verhandlungen mit dem Innsbrucker Regiment verweisen, weil die Hohenberger Judenordnung mehrere Monate vor deren Verabschiedung erneuert wurde. Auch hätte eine spätere Berücksichtigung des jüdischen Statutendokuments eine vollständige Überarbeitung der Hohenberger Bestimmungen erforderlich gemacht und somit auch eine Abkehr vom tradierten Recht in der Region verursacht. Ferdinand beschloss bei seinen Erläuterungen von 1531, die Herrschaftstradition in Hohenberg offenbar fortzuführen, und blieb daher sprachlich und inhaltlich in der Nähe des Ursprungsdokuments von 1516/30. Obwohl der Fall von Hohenberg wenig über die lokale jüdische Politik aussagt, bleibt er im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung relevant. Er bietet einen Erklärungsansatz für einen weiteren Fall der Kodifizierung jüdischer Rechte in einem anderen Territorium der vorderösterreichischen Regierung, nämlich in der Markgrafschaft Burgau.
B Burgau (1534) Die Ähnlichkeiten zwischen den Fällen Hohenberg und Burgau ergeben sich nicht allein aus der Zugehörigkeit beider Herrschaftsbereiche zum Haus Habsburg. Auch die Grundsituation weist Parallelen auf, denn die weitverbreiteten Beschwerden gegen die Juden in der Region wurden auch in Burgau rezipiert.²⁰⁴ Zudem waren die für Burgau anvisierten Judenrechte erstaunlich ähnlich zu denen in Hohenberg; sie stimmten in Inhalt und Reihenfolge weitgehen überein und
Erläuterungen zur Judenordnung von 1530, vom 12. August 1531, in: HStA Stuttgart, B 37a Bü 125, Q 6. GLA Karlsruhe, 79 p 12, Nr. 1011, Bll. 151r-v. Rosemarie Mix: Die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau von 1534, in: Kiessling / Ullmann (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten, S. 23 – 57, hier S. 23.
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sogar die Wortwahl ist teilweise deckungsgleich.²⁰⁵. Insgesamt kann daher angenommen werden, dass die Hohenberger Judenordnung als Vorbild für die Burgauer Ordnung diente. Dennoch bestanden auch einige Unterschiede in der politischen Konstellation und in der Ausgangssituation. So war die Judenschaft in der Markgrafschaft Burgau zahlenmäßig weit größer als die in der kleinen Herrschaft Hohenberg und auch besser organisiert.²⁰⁶ Auch waren die politischen Umstände in Burgau komplexer als in Hohenberg, weil sich neben dem Haus Habsburg auch „adelige und geistliche Herrschaftsträger – die sogenannten Insassen – um die Arrondierung ihrer Rechte“ bemühten und darin mit der habsburgischen Herrschaft konkurrierten.²⁰⁷ So lag die Markgrafschaft Burgau u. a. unter Pfandschaft beim Bischof von Augsburg. Wie bereits erwähnt wurde, überreichte Josel von Rosheim 1530 dem Augsburger Bischof die ‚jüdischen Judenordnung‘, von der der Bischof eine Kopie anfertigen und bekanntmachen ließ. Damit sollte die ‚jüdische Judenordnung‘ als eine Art Richtlinie beim jüdisch-christlichen Umgang dienen. Sie wurde allerdings nicht im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens verabschiedet und erlangte daher auch keinen Gesetzescharakter. Der Augsburger Bischof nahm offensichtlich auch nicht Teil an der Entstehung der Burgauer Judenordnung. Der Akt der Gesetzgebung war allerdings kein Alleingang der Obrigkeit, sondern es gingen ihm Verhandlungen voraus. So wurde bereits im Juni 1533 eine Kommission berufen, die über die geplante Ordnung beraten sollte.²⁰⁸ Auch die Juden wurden in diesen Prozess einbezogen, wie ein Mandat Ferdinands von Habsburg vom 28. Juni 1533 belegt.²⁰⁹ Demnach hatten sich die Juden bereits am 3. Februar des Jahres wegen einer anderen Judenordnung beschwert, die Ferdinand auf Ansynnen des Erwirdigen Unnsers Fursten und lieben andechtigen Cristoff Bischofs zu Augspurg, auch Burgermaister unnd Rat dasselbst, unnd dann unnser getreuen lieben Johann Löble, auch Reymunden, Anthoni unnd Jeronimen den Fuggern, Unnsern Reten, zu
Die Judenordnung der Markgrafschaft Burgau ist in: Mix: Judenordnung, S. 49 – 57 gedruckt. Über die Ähnlichkeiten der Ordnungen von Burgau und Hohenberg siehe auch Lang: Ausgrenzung, S. 160. Siehe darüber v. a. die Arbeiten Rohrbacher: Medinat Schwaben; Ders.: Stadt und Land; Cohen: Landjudenschaften als Organe der Selbstverwaltung, Bd. 3, Abschnitt 36, S. 1453 ff. Mix: Judenordnung, S. 25. Vgl. Mix: Judenordnung, S. 28 f. Mandat Ferdinands [I.] an die Burgauische Judenschaft vom 28. Juni 1533, gedruckt in: Cohen: Die Landjudenschaften als Organe der Selbstverwaltung, Bd. 3, Nr. 36:2, S. 1454– 1455. Vgl. auch Mix: Judenordnung, S. 29 und Lang: Ausgrenzung, S. 161.
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Abstellung ir Underthanen Beswerung in Unnser Marggrafschafft Kirchperg, unnd Herrschafft Sayfridsperg unnd Biberbach gegen
die Juden hat aufrichten lassen wollen.²¹⁰ In seinem Mandat vom 28. Juni befahl Ferdinand der Burgauer Judenschaft, Delegierte nach Günzburg zu entsenden, um wegen einer neuen Judenordnung für die gesamte Markgrafschaft Burgau angehört zu werden. Nun lässt sich hier offensichtlich der Wunsch der vorderösterreichischen Regierung erkennen, eine rechtliche Vereinheitlichung und somit auch eine bessere Kontrollierbarkeit ihrer unterschiedlichen Herrschaften zu etablieren. Da es in Burgau zuvor keine Judenordnung gab, verwundert es nicht, dass man ein bereits verabschiedetes Statutendokument einer benachbarten, dem gleichen Regiment unterstehenden Herrschaft als Vorlage für das neue Gesetzesvorhaben verwendete. Die Bestrebung nach Herrschaftskonsolidierung und Rechtsvereinheitlichung waren vermutlich auch der Grund, warum die ‚jüdische Judenordnung‘, die in Burgau ja bereits bekannt war, nicht berücksichtigt wurde. Die Übernahme der Hohenberger Judenordnung durch die für Burgau eingerichtete Kommission geschah allerdings nicht ohne eine restriktive Auslegung einiger der Bestimmungen. Dies veranlasste die Juden dazu, eine Beschwerde an den Landesfürsten, Ferdinand, zu überreichen.²¹¹ Laut dem jüdischen Gravamen und dem ihm beigefügten Auszug aus den Beschlüssen der Kommission²¹² waren für Burgau einige Verschärfungen der Hohenberger Bestimmungen geplant. Sie betrafen vorwiegend die Vorschriften bezüglich der Anrufung ‚fremder‘ Gerichte und der jüdischen Geschäftsbeziehungen mit Christen. So wollte man den Burgauer Juden sämtliche Leihgeschäfte verbieten, und zwar unabhängig davon, ob die jüdischen Geldleiher ortsansässig waren oder nicht.²¹³ In diesem Sinne sollten
Gedruckt in: Cohen: Landjudenschaften als Organe der Selbstverwaltung, S. 1454. Die Judenordnung(en) für Kirchberg, Seyfridsberg und Biberbach sind soweit ersichtlich nicht überliefert. N.N. gemeiner Jüdischeidt teutscher Nation an den Allerdurchleuchtigiste[n] Grosmechtigiste[n] vnüberwindtlichiste[n] Römische[n] Kaiser Auch zu Hungern vnnd Behaimb ec. Künig Ferdinand I., empfangen vor dem 4. Februar 1535: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 2. Konvolut (Konv.), Bll. 31r–32v. Die Adressierung Ferdinands als Kaiser soll nicht als ein Irrtum, sondern, wie gezeigt werden soll, als eine kommunikative Strategie seitens der Juden bewertet werden. Ebd. Bll. 33r-v sowie ein späterer Zusatz, Bll. 33v–34r. Es handelte sich laut dem Wortlaut des Dokuments um eine Judenfreiheit, die 1530 den Städten Ulm, Kaufbeuren, Biberach, Ravensburg, Lindau, Weißenburg am Rhein und dem Abt zu Salmannsweiler (Salem am Bodensee) verliehen wurde und nun ein Bestandteil der Judenordnung werden sollte. Ebd. Bl. 33rf. Darüber hinaus sollte das Verbot nicht nur das Leihen auf liegende Güter beschränken, wie üblich war, sondern auch fahrende Güter betreffen.
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dann auch alle Gerichtsprozesse wegen Schuldsachen als unrechtmäßig angesehen werden. Dies bedeutete, dass die christlichen Schuldner aus Burgau nicht länger verpflichtet wären, zu Rotweil noch an ainichen andern Gericht zuerscheinen. Vielmehr sollten die furgenomne Procesß […] crafftloß nichtig vnnd von vnwirden sein. ²¹⁴ Dabei sollten auch solche Geschäftsverträge ungültig sein, die vor dato der erlangt Freyhait beschlossen wurden.²¹⁵ Die rückwirkende Ausweitung des Verbots der Leihgeschäfte und der jüdischen Nutzung der Landes- und Reichsgerichte – anstatt der lokalen Gerichte – war eine große Belastung für die Juden. Sie wandten sich deshalb an Ferdinand und beklagten die Verletzung ihres grundsätzlichen Anspruchs, das wir aller geistlichen vnnd weldtlichen Rechte teilhafftig sein sollen. ²¹⁶ Die Juden erinnerten daran, dieses Recht sei von allen Kaisern und Königen des Reichs, darunter auch von ihm selbst als Ro. Kay. Mt. gegeben und betraf auch das Hofgericht zu Rotweill vnnd di freien Landtgericht in Schwaben. ²¹⁷ Mit diesem Appell an die kaiserliche Würde und die mit ihr zusammenhängende oberste Schutzfunktion versuchten die Juden, Ferdinand dazu zu bewegen, den Konflikt nicht als Landesherr des betroffenen Territoriums, sondern als römisch-deutscher König, als Herrschaftsträger auf Reichsebene und Repräsentant des Kaisers zu betrachten. Dadurch, dass sie ihr Gesuch auf diese Weise an Ferdinand richteten, beabsichtigten die Juden also, ihre Beschwerde auf die reichsrechtliche Ebene zu verlagern. Damit wollten sie offenkundig ihre vom Kaiser verliehenen Freiheiten gegenüber den lokalen Bestimmungen hierarchisieren und ausspielen.²¹⁸ Die Burgauer Juden entwickelten zudem eine geschickte Strategie, um die Rechte und Interessen ihrer unmittelbaren Obrigkeit durch ihr Vorgehen nicht in Frage zu stellen, indem sie ihre Beschwerde im Namen der gemeine[n] Jüdischeidt teutscher Nation überreichten.
Ebd. Bl. 33v. Ebd. Ebd. Bl. 31r. Es scheint, dass die Burgauer Juden eine ähnliche Argumentation verfolgten, wie Josel von Rosheim, als er von den Juden als Teilhabenden des Reichsfriedens und -rechtssystems sprach. Die Argumentation, dass die Juden concives also Mitbürger im Reich laut des römischen Rechts waren, wurde in den Jahren seit Reuchlins Gutachten über die Konfiszierung der Judenbücher unter Rechtsgelehrten und in der Praxis des Reichskammergerichts rezipiert. Vgl. dazu Güde: Rechtliche Stellung, S. 51 und Battenberg: Juden als Bürger. N.N. gemeiner Jüdischeidt teutscher Nation an den Allerdurchleuchtigiste[n] Grosmechtigiste[n] vnüberwindtlichiste[n] Römische[n] Kaiser Auch zu Hungern vnnd Behaimb ec. Künig Ferdinand I., empfangen vor dem 4. Februar 1535: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 2. Konv., Bll. 31r– 32v, hier Bl. 31r. Auch hierin lässt sich eine große Ähnlichkeit zu den Vorgängen im Umfeld der Entstehung der Hohenberger Judenordnung erkennen.
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Die jüdische Beschwerde war erfolgreich, wie aus einem Schreiben Ferdinands vom 4. Februar 1535 zu entnehmen ist.²¹⁹ Darin gab der Landesfürst eine Erklärung, wie der umstrittene Artikel zu den sogenannten ‚ausländischen‘ Gerichten zu verstehen sei. Zunächst beteuerte er, dass es sein will[e] vnn meinung nit gewest ist, dem Kaiserlichen Hofgericht zu Rotweil, noch vnnserm Freyen Lanndtgericht zu Schwaben, an iren Rechten vnnd gebrauchen durch solche Ordnung Ichts abzuprechen. ²²⁰ Aus diesem Grund dürften all new Ordnung vnnd sazungen Allain auf kunfftig vnnd nit auf vergangen fall verstannden werden. Die Konsequenz für jüdische Gläubiger in der Region Burgau solle demnach sein, dass alle laufenden Prozesse in den genannten Gerichten zu Ende geführt werden dürften, und dass auch Geschäfte, die vor der Verabschiedung der Ordnung abgeschlossen worden waren, gültig bleiben sollten.²²¹ Somit konnte das Gesuch der Juden Burgaus die beabsichtigte Verschärfung der ursprünglichen Judenordnung stoppen. Auch in dem der Markgrafschaft Burgau benachbarten Herzogtum Württemberg wurde 1536 eine Landesordnung verabschiedet, die äußerst restriktive Bestimmungen gegen praktisch jedweden Umgang mit Juden enthielt. Da aber Juden seit einigen Jahrzehnten ohnehin offiziell nicht mehr in Württemberg leben durften und auch ihre Reise- und Handelsmöglichkeiten in dem Herzogtum sehr eingeschränkt waren, gab es lange Zeit keine nachweisbare jüdische Reaktion auf dieses Gesetz.²²² In Straßburg hingegen, wo Juden seit 1388 nicht leben durften und wo in den 1530er Jahren restriktive Bestimmungen bezüglich ihres Aufenthalts und Handelsrechte verabschiedet wurden, bemühten sich die Juden um eine Milderung dieser Beschränkungen.
C Straßburg (1536) Am 16. März 1530 beschloss die Stadt Straßburg das Verbot des geschäftlichen Kontakts von Bürgern und Hintersassen der Stadt mit Juden.²²³ Soweit bekannt, wurden die Bestimmungen nicht umgesetzt und die Juden konnten in den
HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, Konv. 2, Bll. 35rf. Ebd. Bl. 35r. Vgl. ebd. Bl. 35v. Aus diesem Grund wird darauf verzichtet, die Ereignisse in Württemberg an dieser Stelle zu schildern. Ausführlich über die Situation in Württemberg, über die Verabschiedung der Landesordnung zum Umgang der Untertanen und Amtsmännern mit Juden sowie über die jüdischen Verhandlungen mit Württemberg über ihre Rechte in der Region wird im Kapitel 7.2 berichtet. Vgl. zudem Lang: Ausgrenzung. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 390 – 394.
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nächsten Jahren weiterhin ihren Geschäften in der Stadt nachgehen.²²⁴ Die Androhung einer Verschärfung der ‚Judenpolitik‘ des Straßburger Rats veranlasste Josel von Rosheim am 21. Juni 1531 dazu, eine Supplikation an den Rat zu übergeben und darum zu bitten, die Juden nicht kollektiv für die Verfehlungen einzelner zu strafen, sonder allewegen uns lassen zu verantwurtung und verhör komen […] [i]n tröstlicher hoffnung E. Gn. werd uns arme […] wider bei dem alten brauch lassen, bei euer statt us und in […] passieren, handlen und wandlen. ²²⁵ Damit die Stadt keine wiederholten Fälle jüdischen Unrechts zu befürchten hätte, verpflichtete sich der Parnas im Namen aller Juden, für die Unterbindung von Missetaten und die Bestrafung der Missetäter zu sorgen. Er schrieb dazu: Und wo es sich befende, das einer oder mehr sich der ungepür halten würde, nem er sine straf, wie und wo sich das gepürt. Wir haben auch ein schwere ordnung selbs gemeinlich ufgericht wider die, so erfanden mochten werden, die einiches ungerechtigkeit theten, nemlich 9 oder 10 artikel, sie zu strafen.²²⁶
Offensichtlich konnte Josel dieses Versprechen nicht einhalten, denn es kam in den nächsten Jahren immer wieder zu Konflikten wegen angeblichen jüdischen Wuchers und auch wegen jüdischer Klagen gegen Straßburger Bürger vor dem Hofgericht in Rottweil. Um ein einseitiges Vorgehen des Stadtmagistrats gegen die Juden zu verhindern, verkündete Josel von Rosheim 1534 den Beschluss der unterelsässischen Juden, sich zu verobligieren, hiesige Bürger und Hintersassen in Stadt und Land mit fremden, ausländischem Gericht nicht vorzunemen, wenn die Stadt ihnen im Gegenzug freies Geleit auf ihrem Gebiet gewährte.²²⁷ Es handelte sich hierbei um die ‚Reaktivierung‘ der Bestimmungen unser[er] judisch ordenug, die Josel, wie er schrieb, als gemeiner judischer regierer in teutschen landen mit rath anderer mer judn aus kraft vilgemelter unserer judischen ordenung solichs offentlich under meinem secret hatte ausgehen lassen und die er dem Straßburger Magistrat (vermutlich 1531 bereits) übergeben hatte.²²⁸ Mit diesem Schritt wollte er wohl einerseits die jüdischen Einwohner der Region an die Bestimmungen und an den für Übertretenden drohenden Bann erinnern. Andererseits sollte verhindert
Vgl. Kaplan: Beyond Expulsion, S. 80 f. Supplikation Josels von Rosheim an den Straßburger Rat vom 21. Juni 1531, gedruckt in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil.VII, S. 162– 164, hier S. 163. Das Originaldokument liegt im Archives Municipal (Arch.Mun.) in Straßburg, Serie III (ältere Signatur G.U.P.) 174, Nr. 26. Eine Abschrift des Dokuments findet sich im CAHJP Jerusalem, P 17/177, S. 129 – 132. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. VII, S. 163. Schreiben Josel von Rosheim an allen juden und judin deutscher nation vom 25. Juni 1534, gedruckt bei Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. VIII, S. 164– 166. Ebd. S. 165.
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werden, dass der Straßburger Rat uns arme judischeit [..] in verdacht sol haben, als so wir, so vil in unserer macht und straf were, nit nachkomen wolten. ²²⁹ Diese jüdische Selbstverpflichtung beruhigte die Gemüter in der Stadt offensichtlich nur für eine gewisse Zeit, denn bald darauf ergaben sich weitere Streitfälle, bei denen Juden Straßburger Einwohner vor ‚ausländischen‘ Gerichten verklagten. Der Rat der Stadt beschloss hierauf, keine Geleite für Juden mehr auszustellen.²³⁰ Dieses Mal sahen sich die elsässischen Juden gezwungen, nach unnserm pr[a]uch und herkhomen in der gemelten Landtuogtey Hagnaw namblich zu Roßheim [zu] versamel[n]. ²³¹ Die Beschlüsse dieser Versammlung wurden dem Rat vermutlich am 4. Juli 1536 in Form einer Absichtserklärung übergeben. Diese lautete: Die Juden in der Landvogtei Hagenaw obligiren sich, der statt Strassburg burger und angehörige vor keinen fremden gerichtsstelln, sonder allein vor Hn. Meister und raht der statt Strassburg vorzunemen oder zu actioniren, auch dasjenige, was innerhalb der ringsmaur gestolen und ihnen zugebracht würd, ohne entgelt zu restituiren.²³²
Bei der Übergabe der Absichtserklärung bat Josel von Rosheim den Straßburger Rat um eine Stellungnahme und versprach, dass die Juden darauf eine Versammlung innerhalb von 14 Tagen halten würden und dise sachen gehorsamlich vollenden. ²³³ Die endgültige Selbstverpflichtung der Juden wurde dann am 18. Juli 1536 von Josel und – zur offiziellen Bestätigung – vom Rat der Stadt Rosheim besiegelt und den Stadtoberen von Straßburg überreicht.²³⁴ Allem Anschein nach akzeptierte Straßburg das jüdische Angebot, sodass nun eine Art Vertrag zwi-
Ebd. Vgl. den Vertrag vom 18. Juli 1536: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 390 f. Ebd. S. 391. Das Dokument ist gedruckt bei Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. XIV, S. 176 – 179, hier S. 176 f. Ebd. S. 178. Feilchenfeld datiert das Dokument auf den 18. Juli 1536, was aber nicht stimmen kann, weil das Dokument mit den vollendeten Sachen genau dieselbe Datierung trägt. Man müsste also dieses Dokument um mindestens 14 Tage zurückdatieren. Debra Kaplan: Beyond Expulsion, S. 80 – 85, datiert die gesamte Auseinandersetzung auf das Jahr 1534 zurück und gibt eine andere Signatur (Arch. Mun. Serie III, 174/21) an als Feilchenfeld und Fraenkel-Goldschmidt (Arch. Mun. Serie III 174/22). So endet die Urkunde mit dem Wortlaut: und wir meister und Rath zu Rosheim erstgemelt bekhennen harmit, das wir ub gemeine Judischeit der landtwogtey hagenaw jn under Elsaß pet[?] willen unnser stat Jnsigell gehenckt haben an disen brief … Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 394.
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schen den Juden und der Stadt bestand. In den darauffolgenden Jahren fand der Vertrag auch Anwendung.²³⁵ Auch diese getroffenen Abmachungen lehnten sich stark an die Statuten von 1530 an. So war die Verpflichtung der Juden, Straßburger Bürger und Angehörige mit kheinem ußlendischen Rechten kay[serlichen] oder kon[iglichen] Landt houe [=hof] oder ander gericht zu belasten²³⁶, bereits im Statutendokument von 1530 vorhanden. Nun wurde aber zusätzlich vereinbart, dass Appellationen nur vor den lokalen Kammerrichtern, den so genannten Dreizehn, erlaubt waren.²³⁷ Auch die Vorschrift bezüglich der entschädigungslosen Rückgabe gestohlenen Guts war bereits in den sogenannten Artikel und Ordnung enthalten; allerdings sollte die Übertretung der Bestimmung nach den Statuten von 1530 mit sechs Gulden, nach denen für Straßburg aus dem Jahr 1536 hingegen mit zehn Gulden geahndet werden.²³⁸ Insgesamt wurden nur wenige Artikel der jüdischen Judenordnung Teil der Vereinbarung von 1536. Auch alle Bestimmungen, die die Rolle der Gemeindevorsteher festhielten, fielen dabei weg. Stattdessen mussten die lokalen jüdischen Vorsteher ihre Strafbefugnisse an den städtischen Obrigkeiten abtreten. Da keine Juden in Straßburg wohnen durften, war es nur verständlich, dass die Kontrolle und Überwachung der vereinbarten Bestimmungen von der Stadt ausgeübt werden sollten. Nichtsdestotrotz kann argumentiert werden, dass die Autorität der jüdischen Versammlung, die den Vertrag konzipiert hatte, von der Stadt bestätigt wurde. In der folgenden Zeit konnte sie dann auch Verträge mit Straßburgs benachbarten Städten schließen.²³⁹
D Sachsen (1536/37) In manchen Territorien des Reichs waren die dort ansässigen Juden zu schwach, um Einfluss auf die Neuregelung landesherrlicher Judenrechte zu üben. So verhielt es sich in Sachsen, als Kurfürst Johann Friedrich 1536 die Vertreibung der
Darauf weist Fraenkel-Goldschmidt hin. Sie berichtet, dass das Originaldokument, das im Archives Municipales Straßburg (Signatur: Serie III 174/22) aufbewahrt ist, Namen von Juden aus unterschiedlichen jüdischen Gemeinden im Elsass enthält, die sich zwischen den Jahren 1536 – 1564 verpflichteten (verobligiert), die Bestimmungen des Vertrags zu befolgen. Ebd. S. 389. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 391 f. Vgl. 3 § der Artikel und Ordnung, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 379. Vgl. ebd. 4 § und Beil. Nr. XIV in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 178. Siehe z. B. die Dokumentation bei Feilchenfeld zu der Auseinandersetzung der Juden mit der Stadt Oberehnheim über den gleichen Streitgegenstand wie in Straßburg. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. 15, S. 179 f., Beil. 18, S. 186 – 88 und Beil. 19, S. 188 – 190.
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Juden aus seinem Fürstentum beschloss und ihnen den Durchzug durch dasselbe verbot.²⁴⁰ Eine genaue Zahl der betroffenen jüdischen Gemeinden und Individuen ist nicht bekannt. Allerdings weiß man, dass in den thüringischen Territorien des Kurfürstentums Sachsen nur vereinzelte jüdische Familien lebten. Ein weiterer Hinweis auf die Schwäche der sächsischen Judenschaft ist die Tatsache, dass keine Indizien für eine Selbstvertretung gegenüber dem Landesfürsten überliefert sind. Stattdessen wurde Josel von Rosheim in dieser Sache engagiert, um die Verhandlungen mit dem sächsischen Landesherrn zu führen. Während vergleichsweise wenige Juden von der Ausweisung getroffen waren, betraf hingegen das Durchzugsverbot weite Kreise der Reichsjudenschaft, die Handels-, Familien- oder sonstige Beziehungen zu jüdischen Gemeinden in Polen oder Böhmen unterhielten. Da Josels Gesandtschaft zudem erst mehr als ein halbes Jahr nach dem mutmaßlichen Beginn der Vertreibung stattfand²⁴¹, ist davon auszugehen, dass nicht die Wiederansiedlung der sächsischen Juden im Zentrum seiner diplomatischen Mission stand, sondern die Reiseeinschränkung für die übrige Judenschaft. Josels Vorgehensweise in dieser Angelegenheit ist besonders interessant, denn anstatt Johann Friedrich eine Vollmacht der Judenschaft vorzulegen, holte er zwei christliche Empfehlungsschreiben ein, die seinen Leumund und sogar seine Gelehrsamkeit, die er nach art und verstandt seins glaubens uf Got sich bewisen und beflissen habe, bestätigten.²⁴² Die erste Empfehlung erhielt er vom Straßburger Rat, an dem er eine (nicht überlieferte) Supplikation gerichtet hatte, die die problematische Situation in Sachsen erklärte. Damit gelang es Josel, „[the] most important city in his vicinty, and, [..] a bastion of Protestantism“ auf seine Seite zu bringen, was für den verbündeten lutherischen Kurfürsten wohl „carried particular weight“.²⁴³ Während die Schrift des Rats an den sächsischen Kurfürsten gerichtet war, adressierte das zweite Schreiben eine weitere sehr wichtige Person im sächsischen Herzogtum, Martin Luther. Verfasst wurde es vom Straßburger Reformator Wolfgang Capito, mit dem Josel von Rosheim eine enge Beziehung Vgl. Litt: Juden in Thüringen, S. 156 Litt, ebd. gibt den Inhalt des Mandats vom 6. August 1536 aus einer zeitgenössischen Abschrift (Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, GHA IV, Nr. 352) wieder. Die Vertreibung sollte innerhalb von 14 Tagen erfolgen. Am 15. Oktober desgleichen Jahres musste eine Erinnerung an die kurfürstlichen Beamten erstellt werden, was darauf deutet, dass die Vertreibung bis zu diesem Datum noch nicht (vollständig) erfolgte. Josels erste belegbare Handlung im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit fand hingegen erst im Mai 1537 statt. Vgl. das Empfehlungsschreiben und Geleit des Straßburger Rats für Josel von Rosheim vom 5. Mai 1537, gedruckt in: Harry Bresslau: Aus Straßburger Judenakten, S. 307– 334. Ebd., S. 325. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 233.
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unterhielt.²⁴⁴ Vermutlich hoffte der jüdische Verhandlungsführer darauf, die Fürsprache des Straßburger Reformators möge zu einer positiven Aufnahme bei Luther führen, aus der wiederum eine gewichtige Fürsprache beim Kurfürsten hätte erwachsen sollen. Es ist zudem zu vermuten, dass Josel durch die Kontaktaufnahme mit Luther eine Beziehung zur wichtigsten Figur der Reformation knüpfen wollte. Diese Hoffnungen wurden allerdings bald enttäuscht. Martin Luther lehnte die Bitte Josels um ein Treffen mit scharfen Worten ab und erhob stattdessen den Vorwurf gegen die Juden, sie hätten seines Diensts ²⁴⁵ so schändlich mißbrauchen und solche Ding fürnehmen, die uns Christen von ihnen nicht zu leiden sind. ²⁴⁶ Es sei schließlich nicht seine Absicht gewesen, so Luther, dass die Juden durch seine Gunst und Forderung in ihrem Irrtumb gestärkt und ärger werden. ²⁴⁷ Josel von Rosheim dienten dieser Brief sowie die in den darauffolgenden Jahren erschienenen judenfeindlichen Schriften Luthers²⁴⁸ als ein Beweis dafür, dass das sächsische Vertreibungsedikt von 1536 auf eine Empfehlung des Reformators zurückzuführen sei²⁴⁹ – ein Verdacht, der allerdings durch Quellen nicht zu belegen ist. Josels Mission in Sachsen scheiterte nach diesem Misserfolg bei Luther. Es gelang dem jüdischen Befehlshaber nicht, eine Audienz bei Johann Friedrich zu erhalten. Laut seiner eigenen Aussage kam Josel mit grosser müwe biß uff sieben
Siehe das Kapitel über christliche Hebraistik in Straßburg in: Kaplan: Beyond Boundaries, S. 121– 134. Das Empfehlungsschreiben Capitos an Luther vom 26. April, gedruckt in: Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 326 – 327, hier S. 327. Siehe auch Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 234, die auch die lateinische Fassung des Schreibens behandelt. Gemeint ist seine Schrift Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei von 1523. Martin Luther an Josel von Rosheim vom 11. Juni 1537, gedruckt in: WA: Briefwechsel, Bd. 8, S. 89 – 91, hier S. 89. Luther bezog sich hier schon vermutlich auf die Sekte der Sabbather, die Christen angeblich ins Judentum überführen wollten. Siehe darüber Luthers Schrift Ein Brief D. Mart. Luther wider die Sabbather, an einen guten Freund, Wittenberg 1538, in: WA 50, S. 309 – 337. Ebd. S. 89 f. In diesem Brief Luthers an Josel von Rosheim manifestierte sich die veränderte Einstellung des Reformators zu seinen zeitgenössischen Juden zum ersten Mal.Vgl. z. B. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 126 – 130; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 234 f.; Kaufmann: Luthers „Judenschriften“, S. 523 ff., sowie die zahlreichen Beiträge, die das Thema Luther und die Juden behandeln. Siehe z. B. Kremers (Hrsg.): Die Juden und Martin Luther. Luther: Wider die Sabbather (1538); Von den Juden und ihren Lügen (1543); Vom Schem Hamphoras (1543), in: WA 53 und Von den letzten Worten Davids (1543), WA 54. Abschnitt Nr. 22 der Chronik Josels von Rosheim, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 328 f. Außerdem gab Josel Margaritha die Schuld für Luthers Gesinnungswandel in Bezug auf die Juden. Vgl. hierzu Josels Brief an den Straßburger Rat vom 11. Juli 1543, gedruckt in Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 400 – 408.
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mayal in Mayssen [..] zu gemeltem tocktar [=Doktor Luther]. ²⁵⁰ Weiter konnte er offensichtlich nicht reisen und musste deswegen auf die nächste Gelegenheit warten, um das Gesuch der Judenschaft an den Kurfürsten zu bringen. Diese ergab sich erst zwei Jahre später auf der Versammlung des Schmalkaldischen Bundes in Frankfurt am Main.²⁵¹ In der Zwischenzeit mussten sich auch die Juden Hessens um ihre Wohn- und Handelsrechte bangen.
E Hessen (1538/39) Die Judenordnung von Hessen ist vermutlich die bekannteste in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und wurde in der Forschung auch vielfach behandelt.²⁵² Dennoch scheinen manche Angaben bezüglich des Ablaufs der Verhandlungen korrekturbedürftig, weshalb hier eine erneute Betrachtung vorgenommen werden soll.Vor allem aber wurde bisher nicht genug Aufmerksamkeit auf die aktive Rolle der Juden bei diesen Verhandlungen gerichtet. Die Auseinandersetzungen über die Judenrechte in Hessen begannen bereits 1524, als der noch junge Landgraf Philipp eine Verordnung an seinen Amtmännern erließ, in der er verfügte, dass in unserm Ambt keynen[!] Juden wonen dürften. Zudem sollten die hessischen
Ebd. S. 402. Allgemein über den Schmalkaldischen Bund siehe v. a. Haug-Moritz: Der Schmalkaldische Bund. Über den Bundestag von 1539 siehe Irene Haas: Reformation – Konfession –Tradition. Frankfurt am Main im Schmalkaldischen Bund 1536 – 1547 [Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. 30], Frankfurt am Main 1991, bes. S. 117 ff. Friedrich Battenberg hat diese Judenordnung bereits 1987 ediert und in mehreren Aufsätzen behandelt. Friedrich Battenberg: Judenverordnungen in Hessen-Darmstadt. Das Judenrecht eines Reichsfürstentums bis zum Ende des Alten Reiches. Eine Dokumentation [Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, Bd. 8], Wiesbaden 1987, S. 59 – 61; Ders.: Reformation, Judentum und Landesherrliche Gesetzgebung; Ders.: Judenordnungen in der frühen Neuzeit in Hessen, in: Heinemann (Hrsg.): Neunhundert Jahre, S. 83 – 122; Sigmund Salfeld: Die Judenpolitik Philipps des Großmütigen, in: Philipp der Großmütige. Beiträge zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit, Marburg 1904, S. 519 – 544. Siehe außerdem die Literatur zu Martin Bucers Beteiligung an der Affäre: Hans Reichrath: Martin Bucer und die Juden. Die Frage nach der Einheit der „Kirche“, in: Judaica. Beiträge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart, 48,3 (1992), S. 142– 153, hier v. a. S. 145 – 149; Steven Rowan: Luther, Bucer and Eck on the Jews, in: The Sixteenth Century Journal 16 (1985), S. 79 – 90; Martin Bucer: Deutsche Schriften, Bd. 7: Schriften der Jahre 1538 – 1539, hrsg. von Robert Stupperich, Gütersloh, 1964, S. 319 – 394, worin weitere relevante Quellen zur Entstehung der Judenordnung ediert sind, S. 377– 394. Diese Quellen sind auch in der Online-Ausstellung des Hessischen Staatsarchivs Marburg einsehbar unter http://www.digam.net/?str=247 (letzter Zugriff: 28.08. 2014). Siehe schließlich Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 340 – 374, mit einer ausführlichen Schilderung der Rolle Josels von Rosheim bei dieser Angelegenheit.
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Amtmänner den Edelleuten der Region nach Philipps Willen einschärfen, dass ihren eigenen jüdischen Hintersassen verbieten, sein Furstemthumb Landen oder Gepieten [..] betreten zu lassen. Schließlich waren die hessischen Beamten dazu angehalten, denselben [Juden (A.S.)] unser Sicherheyt und Gleyt auf[zu]sagen. ²⁵³ Allem Anschein nach wurden diese Verordnungen nicht oder nur kurzfristig befolgt und umgesetzt, denn es sind keine weiteren Quellen überliefert, die auf eine Vertreibung hinweisen.²⁵⁴ Zudem ist die fortgesetzte Anwesenheit der Juden in der Region durch eine weitere Verordnung des Landgrafen vom 28. Mai 1532 belegt. Darin verkündete Philipp, dass er den Juden, so in vnserm Fürstenthumb, Landen vnd gepieten, seßhafftigh, vffs new, Sechs Jahre langk, […], vnter vns zuenthalten, irer notturfft nach hyn vnd widder zw reysen, zw handlen, zw wabern vnd zuwandren, gestattete.²⁵⁵ Es fällt dabei auf, dass der hessische Landesfürst von den bereits in seinem Land ansässigen Juden sprach. Zudem war ausdrücklich von einer Erneuerung ihres Aufenthalts die Rede, was auf eine frühere, nicht überlieferte Gewährung des Niederlassungsrechts hindeutet.²⁵⁶ Bis die gewährte Frist von sechs Jahren verstrichen war, änderte sich die politische Situation der Juden zwar nicht in der Landgrafschaft selbst, wohl aber in den benachbarten protestantischen Territorien.²⁵⁷ Aus den zwei bedeutenden Herrschaftsgebieten Sachsen und Württemberg wurden die Juden bis 1538 bereits vertrieben. Außerdem veröffentlichte Martin Luther im Frühjahr des gleichen Jahres seine Schrift Wider die Sabbather, mit der er sich zum ersten Mal in scharfem Ton gegen die Juden und ihre theologischen Auffassungen zu Wort meldete. Zwar beinhaltete die Schrift keine konkreten Vorschläge für eine repressive Judenpolitik, aber sie trug vermutlich zu einer antijüdischen Stimmung unter den Protestanten bei.
Verordnung vom 18. Juli 1524, gedruckt in: Battenberg: Judenverordnungen, S. 59. Einige Quellen aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg zu Streitigkeiten der Stadt Marburg mit Juden und zum Wunsch der Stadt, diese zu vertreiben (von 1525 und 1529), belegen sogar das Gegenteil, nämlich, dass eine Vertreibung nicht stattfand. Vgl. HStAM, 17 I Alte Kasseler Räte, Nr. 199, ebd., 17 e Marburg, Nr. 37 und ebd., 330 Marburg A I, Nr. 14, oder die Edition von Friedrich Küch: Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Marburg [Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, Bd. 13,1], Teilbd. 1, Marburg 1918, Nr. 212, S. 289 – 295, bes. S. 293, Nr. 213, S. 296 – 300, bes. S. 298 und Nr. 221, S. 305. HStAM, 17 I Alte Kasseler Akte, Nr. 79, Bl. 3 und der Entwurf dafür auf Bl. 2. Angesichts des Vertreibungswunsches von 1524 und der ihm folgenden, hier angedeuteten Wiederzulassung jüdischer Siedlungen muss man davon ausgehen, dass Verhandlungen der Juden mit dem Landesherrn in dieser Angelegenheit erfolgt waren, die ebenfalls nicht überliefert wurden. Hessen schloss sich der Reformation ab 1526 an. Über die Einführung der Reformation in Hessen siehe z. B. Richard Andrew Cahill: Philipp of Hesse and the Reformation, Mainz 2001.
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Die Vorgänge in Hessen lassen erkennen, dass Landgraf Philipp durchaus von der allgemeinen Stimmung im protestantischen Lager beeinflusst war. Er strebte nicht nach einer schlichten Erneuerung der jüdischen Wohnrechte wie 1532, sondern sah eine Notwendigkeit darin, sowohl die wirtschaftlichen und allgemeinen Niederlassungsrechte der Juden zu regulieren als auch die Kontrolle über etliche Religionsangelegenheiten zu übernehmen. Allerdings suchte er im Unterschied zu anderen Reichsfürsten nach einer ausdifferenzierten Antwort auf die Frage nach der Duldung der Juden in seinem Territorium und beschloss daher keine allgemeine Vertreibung. Angesichts des Ablaufs der sechsjährigen Duldungsfrist musste er dennoch die Judenrechte in seinem Herrschaftsbereich so regeln, dass sie den Ansprüchen eines nach protestantischer Vorstellung gottgefällig agierenden Fürsten genügten. Aus diesem Grund holte Philipp der Großmütige Rat beim Straßburger Bürgermeister Jakob Sturm ein. Bereits vor dem 6. Juli 1538 erhielt der hessische Landgraf eine Antwort von Sturm, die er seiner Kanzlei mitteilte. In seinem Schreiben wiederholte der Landgraf die Aussage Sturms, das man die Juden nit gar sollt verjagenn ec., und forderte zugleich, dass seine Räte sich bei Sturm erkundigten, wie Man sie die Judenn sollt leidenn, und wie sye die vonn Straspurg leiden, Auch was sie inen gebenn. ²⁵⁸ Sturm verwies in seiner Antwort auf Martin Bucer, der im Rahmen seiner Beratungen bezüglich der Täuferfrage in Hessen ohnehin in die Region einreisen sollte. In der Tat ließ sich Philipp von Bucer in der Angelegenheit beraten. Darauf erstellte Bucer zusammen mit sechs hessischen Geistlichen ein Gutachten zur Duldung der Juden.²⁵⁹ Bevor aber das Gutachten in der hessischen Kanzlei eingegangen war, hatten bereits erste Verhandlungsrunden zwischen Vertretern der hessischen Juden und dem Landgrafen stattgefunden. Wann die Verhandlungen zuerst aufgenommen wurden, ist unbekannt. Der Anfang muss aber wohl um den Beginn des Jahres 1538 – vielleicht sogar etwas früher – liegen.²⁶⁰ Um diese Zeit wurden zwei jüdi-
Brief Philipps von Hessen an seine Räte vom 6. Juli 1538: HStAM 17 I Alte Kasseler Räte, Nr. 80, Bl 34. Es ist nicht klar, ob Landgraf Philipp wusste, dass die Juden in Straßburg seit 1390 nicht mehr leben durften. Vgl. Stupperich: Bucer Schriften, S. 323, Anm. 11. Siehe auch Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 341, die die Korrespondenz mit Sturm auf das Jahr 1536 zurückdatiert, ohne dies zu belegen. Vgl. Stupperich: Bucers Schriften, S. 324 und das Gutachten selbst, ebd., S. 342– 361. Das Gutachten muss vor dem 23. September erstellt worden sein, weil Philipp an diesem Datum seinen Räten seine Reaktion auf das Gutachten schickte. HStAM 86 Nr. 19943 (alte Signatur: 86, Hanauer Nachträge Nr. α611). Hinweis hierauf gibt eine Prozessakte im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main (ISG, Judicialia L 24). Über den Verhandlungsbeginn gibt sie lediglich Andeutungen. So z. B. in dem Vernehmungsprotokoll des Zeugen Isaac (genannt Schweitzer) von Homberg (Ohm), der sich
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sche Vertreter, Lazarus von Babenhausen und Gottschalk von St. Goar – allem Anschein nach unabhängig voneinander – zu Landgraf Philipp gesandt, trafen dennoch in Kassel aufeinander und beschlossen, die Verhandlungen gemeinsam zu führen.²⁶¹ Die meisten bekannten Details über die Verhandlungen der Juden mit dem hessischen Landgrafen stammen aus dem Rechtsstreit, der zwischen den beiden jüdischen Delegierten vor dem Schöffengericht in Frankfurt am Main geführt wurde. Der Kläger Lazarus war ein Arzt aus der Grafschaft Hanau, der ein großes Ansehen und gute Kontakte zu diversen Fürstenhöfen hatte. Deshalb wurde er für diese wichtige Mission ausgewählt, obwohl er der hessischen Judenschaft nicht angehörte.²⁶² Der Angeklagte, Gottschalk von St. Goar, war zwar weniger gut vernetzt als der Arzt Lazarus, aber er war ein wohlhabender Geldleiher und deshalb sozial hochgestellt.²⁶³ Der Grund, warum beide Personen als Verhandlungsführer gleichzeitig gewählt und entsandt wurden, ist unklar. Es zeugt allerdings davon, dass zwischen den unterschiedlichen hessischen Gemeinden keine zureichende Koordination bestand.²⁶⁴ Die erste offizielle Anhörung der jüdischen Gesandten am Hof des Landgrafen fand zur gleichen Zeit statt, als die beiden Gesandten einander trafen (ca. Anfang Februar). Allerdings endeten diese ersten Gespräche damit, dass seine F[ürstlichen] Gn[aden] inen anzeige gethane innerhalb sechs wochenn, zu ihm zurück-
zu erinnern glaubte, dass die Sache sei vngeuerlich in den winachten viertagen [=Feiertagen 1537/8 (A.S)] gewesen. Ebd. Bl. 39r. Diese Akte wurde bisher in der Literatur lediglich zweimal und nur in einem sehr begrenzten Rahmen behandelt. Siehe Treue: Zwei hessische Diplomaten; Ders.: Landgrafschaft Hessen-Marburg [Germania Judaica, Teil IV (1520 – 1650), Bd. 2], Tübingen 2009, hier S. 147– 148. Siehe ISG, Judicialia L 24, Bl. 4r. Die Akte ist bezüglich der Gesandten sehr widersprüchlich. An einigen Stellen wird behauptet, dass Lazarus der gemeinen Judenschafft halben schon mehrere Wochen vor Gottschalk nach Kassel geritten war. Ebd. Bll. 4r und 38v. An anderen Stellen wird angedeutet, dass Lazarus erst durch Gottschalk in die Sache engagiert wurde. Ebd. 13v. Wohl gemerkt, stammen die Aussagen sowohl auf Bl. 4r als auch auf Bl. 13v von Lazarus‘ Anwalt. Über diesen jüdischen Arzt siehe v. a. Friedrich Battenberg: Juden um Landgraf Philipp den Großmütigen von Hessen, in: Aschkenas 14,2 (2004), S. 387– 414, hier S. 400 – 404. Darüber gibt eine Aussage Gottschalks Aufschluss, nämlich dass er zweyhunndert gulden vnd mehr kostenn bei den Verhandlungen selbst tragen würde (ISG, Judicialia L 24, Bll. 4r und 54v). Darüber hinaus werden seine Geschäfte durch weitere Quellenerwähnungen belegt. Siehe Löwenstein: Quellen, Bd. 1, Nrr. 1051a, 1268 und 1275. St. Goar gehörte zwar der Landgrafschaft Hessen an, war aber durch ihre Lage am Rhein sehr peripher gelegen innerhalb des hessischen Herrschaftsbereichs. Allgemein über den Zustand der Juden in Hessen in diesem Zeitraum siehe Treue: HessenMarburg, S. 10 – 26.
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zukommen.²⁶⁵ Die zwei jüdischen Vertreter ritten danach zusammen nach Frankfurt und vereinbarten, sich vor dem ihnen gegebenen Datum in Frankfurt wieder zu treffen und zusammen nach Kassel zu reisen. Als die Zeit gekommen war, fanden sich beide wieder in Frankfurt ein. Lazarus von Babenhausen konnte allerdings nicht nach Kassel reiten, weil er dringend in Darmstadt gebraucht wurde. Der dortige Oberamtmann bestellte ihn zu sich, weil seine Frau schwer erkrankt war.²⁶⁶ Nach einer kurzen Absprache mit den Rabbinern in Frankfurt reisten die beiden Gesandten nach Darmstadt und vereinbarten mit dem Oberamtmann, er woll vonn seinent wegenn […] zwe meynen gnedigen fürstenn vnnd herrnn reithenn, vnnd der stettigkeit halbenn, in seinem namen auch zuhandelnn. ²⁶⁷ So musste nun Gottschalk die zweite Verhandlungsrunde beim Landgrafen zusammen mit dem darmstädtischen Beamten bestreiten. Lazarus wartete in Darmstadt vier Wochen auf die Rückkehr des Oberamtmanns, der ihm bei seiner Rückkehr aus Kassel schließlich bescheit gepracht, er solle selber zu meinen gnedigenn fürsten vnnd herrenn reisen.²⁶⁸ Bei ihrer erneuten Reise zum landgräflichen Hof – gegen Ende April – gerieten die beiden Verhandlungsführer in Streit über Geldfragen. Offensichtlich wurde seitens der landgräflichen Kanzlei eine große Anzahlung, was man vmb ausprengung der stetigkeit geben soll, erwartet, und die Gesandten waren sich über den Anteil uneinig, den jeder von ihnen zu entrichten habe.²⁶⁹ Den Streit trugen sie zunächst vor der Kasseler Judenschaft aus. Als man zu keiner Einigung kam, begaben sich die beiden zusammen mit einem Gesandten der Kasseler Juden nach Marburg und Wetter. Dort wurde beschlossen, was Lazarus inn namen gemeiner Judeschafft Handeln solt. ²⁷⁰ Zu diesem Zweck wurde ein weiterer Jude abgeordnet, der ihm (und Gottschalk, der sich aus den Verhandlungen zurückziehen wollte) helfen sollte. Gottschalk plädierte daraufhin dafür, eine Versammlung aller hessischen Juden einzuberufen. Allerdings konnten Lazarus und sein Begleiter an der Tagung nicht teilnehmen. Auch Gottschalk erschien zum Treffen nicht und
ISG, Judicialia L 24, Bl. 4r. Ebd. Bll. 4rf. Ebd. Bl. 4v. Ebd. ISG, Judicialia L 24, Bl. 5r. Siehe dazu auch den 5. § des Entwurfs der Judenordnung: Ein jeder Jude sol M.G.H. vnd Fürsten den Schutzpfenning geben wie von alters / oder was mein G.H. im wird auff setzen. Martin Bucer: Von den Jude‘. Ob / vn‘ wie die vnder den Christe‘ zu halten sind / ein Rathschlag / durch die gelerte‘ am ende dis büchlins verzeichnet / zugericht, Straßburg 1539 [VD 16 R 364], Bl. Av (Im Folgenden als Bucer: Judenratschlag), Bl. Av. ISG, Judicialia L 24, Bl. 5r. Offensichtlich wurde erst durch diesen Streit zum ersten Mal geregelt, dass Lazarus die Verhandlungen führen soll und was die Judenschaft überhaupt erwartet.
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daher sei nichts aus dem selbigenn tagk zw wetzlar geworden. ²⁷¹ Vermutlich trug die Abwesenheit aller drei Gesandten von dieser Tagung zu deren Scheitern bei. Der Grund für Gottschalks Fernbleiben ist nicht bekannt. Über Lazarus und seinen Begleiter weiß man hingegen, dass sie zu jener Zeit in Friedwald die Verhandlungen mit Landgraf Philipp fortführten. Allerdings gefährdeten die Streitigkeiten zwischen den jüdischen Gesandten die gesamte Mission, denn Lazarus unterbrach die Gespräche mit dem Landgrafen und reiste nach Frankfurt, um vor den dortigen Rabbinern Anklage gegen Gottschalk zu erheben. Erst als der jüdische Richter drey wochenn zeit angesetz [hatte (A.S.)], inn denen [Gottschalk (A.S.)] sich gein Cassll zustellenn sollte, um seinen Verpflichtungen nachzukommen, kehrte Lazarus zum Landgrafen zurück und setze die Verhandlungen fort.²⁷² Es scheint, dass die Verhandlungen mit dem Landesherrn vor dem drohenden Abbruch standen, weil die finanziellen Forderungen zur Verlängerung der jüdischen Stätigkeit nicht erfüllt worden waren. So erwähnt die Klageschrift, die Lazarus später beim Frankfurter Schöffengericht gegen Gottschalk einreichte, dass durch des beclagtenn [=Gottschalks] auspleibens sich des clagers [=Lazarus (A.S.)] furgenomene handlung der gemeinen Judschafft bestetigkeit belangend, desselbigen mals verhindert vnnd ime clegern abermals ein ander tagk zw 14. Tagenn vonn meinem gnedigen Herrn angesetzt wordenn ist.²⁷³
Diese vorerst letzte Verhandlungsrunde dauerte laut Lazarus‘ Anklageschrift sechs Wochen.²⁷⁴ Die Prozessakte ist sehr sparsam, was den Inhalt der Verhandlungen der Juden mit dem hessischen Landgrafen betrifft. Dies überrascht nicht, weil nicht die jüdischen Wohn- und Handelsrechte der Gegenstand des Gerichtsprozesses waren, sondern der finanzielle Streit zwischen den jüdischen Gesandten. Aus diesem Grund wird der finanzielle Aspekt der diplomatischen Bemühungen der Juden in der Akte sehr deutlich. So waren die oben erwähnten fiskalischen Erwartungen der Kasseler Kanzlei nicht die einzigen finanziellen Aufwendungen, welche die Juden im Rahmen des Aushandlungsprozesses ihrer Wohn- und Handelsrechte aufbringen mussten. Die Zeugenaussage des Frankfurter Juden Mosche zum
Ebd. Vgl. ISG, Judicialia L 24, Bl. 5v.Wie viel Zeit der Prozess vor den Frankfurter Rabbinern dauerte ist aus der Akte nicht ersichtlich. Allem Anschein nach scheiterte die Schlichtung der Frankfurter Rabbiner, sodass der Streit vor das Schöffengericht in Frankfurt gebracht wurde. ISG, Judicialia L 24, Bl. 5v. Ebd. Bl. 6v.
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Kessel berichtet z. B., wie Lazarus zu ihm kam und ihm beuolhenn [habe], alhie ein grossen guldinen knopff machen zulassenn, der schönn seyhe, denselben, dem fürstenn von Hessen, von der gemeynen Judtschafft wegen zuschencken. ²⁷⁵ Spätere Verhandlungen der Juden mit Philipp von Hessen werden in der Akte nicht mehr aufgeführt, weil die Anklageerhebung vor dem Schöffengericht in Frankfurt vor der nächsten Gesprächsrunde erfolgte.²⁷⁶ Es ist anzunehmen, dass in dieser Zeit die landgräfliche Kanzlei den ersten Entwurf der landesherrlichen Judenordnung formulierte, der daraufhin den christlichen Theologen um Bucer zur Begutachtung übergeben wurden.²⁷⁷ Die Quellen liefern mithin den Beleg dafür, dass es mindestens drei Verhandlungsrunden der Juden mit Philipp und seinen Beratern gegeben hatte, bevor Matin Bucer überhaupt in die Angelegenheit einbezogen wurde. Die sieben Artikel, die Bucer und den hessischen Geistlichen zwischen Juli und September 1538 zur Begutachtung übergeben wurden, waren also das Ergebnis der ersten Verhandlungsrunden der Juden mit dem Landgrafen. Es lassen sich dabei einige Ähnlichkeiten zur ‚jüdischen Judenordnung‘ von 1530 erkennen, sodass man in diesem Dokument eine der Grundlagen der entworfenen sieben Artikel vermuten darf.²⁷⁸ So kann man aufgrund der grundsätzlichen Erlaubnis des jüdischen Handels und jüdischer Geldleihe unter der Wahrung der billichkeit ²⁷⁹ annehmen, dass sich die hessischen Artikel an den Beschränkungen des Geldhandels orientierten, die sich die Juden 1530 auf Reichsebene selbst auferlegt
ISG, Judicialia L 24, Bl. 59r. Nämlich am 20. September 1538. Ebd. Bl. 1r. Aus der Kostenrechnung am Ende der Akte geht zudem hervor, dass der Streit einen Tag zuvor vor die Bürgermeister der Stadt Frankfurt gebracht und von ihnen an gericht gewisenn worden war. Ebd. Bl. 103r. Dies suggeriert zumindest die Gerichtsakte, in der vorgebracht wird, dass Lazarus uff den letzten ritth […] den abscheidt by dem Fürstenn vom Hessen machte. Ebd. Es handelte sich hierbei allerdings nicht um Bestimmungen, die dem Landgrafen von den Juden überreicht wurden, wie in der Literatur behauptet wird. So Max Lenz (Ed.): Briefwechsel Landgraf Philipps des Grossmüthigen von Hessen mit Bucer, 1. Teil, Leipzig 1880, S. 55 – 60; Salfeld: Judenpolitik, S. 527. Diese Annahme beruht auf eine falsche Interpretation einer Aussage im Gutachten der hessischen Geistlichen. Dort steht: So viel aber nur die frage des Landgrauen, und dan auch der Juden vorgeschlagene Artikel belangete (HStAM 17 I, Alte Kasseler Akten, Nr. 80, Bl. 29r). Dabei handelt es sich um Artikel, die die Juden belangten, nicht aber von ihnen stammten. Vgl. auch die das Titelblatt von Bucers Schrift: Vorschlag wie die Juden zu dulden sein sollen, dem Durchleuchtigen … herrn Philippsen Landgrauen zu Hessen ec. Von der Juden wegen vbergeben. (Bucer: Judenratschlag, Bl. Av). Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 342 vermutet eine Beteiligung Josels an die Formulierung der hessischen Judenordnung. Allerding erlauben die Quellen solche Annahme nicht zu. Artikel und Ordnung, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 378 und Bucer: Judenratschlag, Bl. Av, § 3.
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hatten. Die Verbindung zur ‚jüdischen Judenordnung‘ zeigt sich aber vor allem im vierten Artikel. Hier wurden die Befugnisse der jüdischen Vorsteher als Kontrollund Strafinstanz innerhalb ihrer Gemeinden anerkannt: [Die Juden s]ollen sonderliche personen vnder inen habe‘ / die auff die straffwirdigen Juden sehen / beneben den Amptknechten / vnnd das sie selbige sondere personen die straffwirdigen Juden / den andern Juden anzeigen / damit sie die straffwirdigen nach ihrem gesetz vnter sich selbst straffen.²⁸⁰
Allerdings waren nicht nur die Juden an der Formulierung des Entwurfs der hessischen Judenordnung beteiligt. Es gab auch andere Interessengruppen, die offenbar am Aushandlungsprozess teilnahmen. So lässt sich bereits am ersten Artikel ein Einfluss der Zünfte erkennen. Zwar wird darin den Juden gestattet, zu kaufen und zu verkaufen, doch [nur] in den Stedten da kein zunft were, wo sie die zunfft nicht leiden möchten. ²⁸¹ Im Gutachten Bucers und der hessischen Geistlichen wurde dem Landesherrn empfohlen, die Rechte der Juden nach dem Prinzip zu gestalten, dass die Juden dabei der Schwantz und nicht das Haubt sein dürfen.²⁸² Ihnen sollten demnach nicht nur alle Ämter und Befehlsgewalt über Christen verwehrt sein, sondern auch der Kauffmanns Handel und v. a. der Wucher verboten werden, weil sie sich rühmten, als hetten sie fueg und recht, die Christen zu betriegen. ²⁸³ Um die Unterordnung der Juden unter den Christen zu erreichen, sollte man ihnen verordenen, zu den allen muhseeligsten und verachtesten arbeiten als Bergkkauppen, Graben und Wölle zu machen, stein und Holtz zu hauen, Kalck zu brennen, schornsteit zu fegen und Cloackheußer Waßermeister Ambt und Schniderei.²⁸⁴
Schließlich äußerten die Geistlichen die Meinung, dass der Verbleib der Juden in Hessen Nachteile für die Religion und für das Wohl der christlichen Untertanen verursache. Aus diesem Grund beschlossen sie, dass es nützlicher und beßer sein muß, die Juden […] lenger in Fürstenthum nicht zugedulde[n]. ²⁸⁵ Wollte man sie
Ebd. § 4. Vgl. mit Artikel und Ordnung, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 378 – 381, wo es mehrfach um die Parnasim geht, die für die Einhaltung der Bestimmungen auf der jüdischen Seite halten sollten. Bucer: Judenratschlag, Bl. Av, § 1. Bucer: Judenratschlag, Bl. B 2r und HStAM 17 I, Alte Kasseler Räte, Nr. 80, Bl. 29r. Vgl. auch ebd. 28v. Ebd. Bl. 27v. Ebd. Bl. 29r. Bucer: Judenratschlag, Bl. B 4rf.
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dennoch im Land tolerieren, dann müsste es unter den vorgeschlagenen Konditionen geschehen. Damit soll garantiert werden, dass sie kein bequemes Leben in ihrer Religion führten, sondern dass sie vielmehr zum Religionswechsel genötigt würden.²⁸⁶ Der Landgraf reagierte auf den Vorschlag der Theologen mit einem berühmt gewordenen Schreiben an seine Kanzlei.²⁸⁷ Im Dokument bekundete er seine Ablehnung der harschen Politik, die die Theologen ihm vorschlugen. So schrieb Philipp: [W]ir können aber bey vns nit schlissen, oder finden das man die Juden eben also hart und gentz vngehalten sollte, alß der gelerten Rat schlag auß weyset. Zu diesem Schluss gelangte er, weil er weder im Alten noch im Neuen Testament Stellen finden konnte, die besagten, daß wir die Juden so vbell halten sollten. ²⁸⁸ Der Landgraf kam daher zum Schluss, dass die Juden unter den vorgeschlagenen Bedingungen unmöglich in seinem Land würden bleiben können.²⁸⁹ Das Gutachten der Theologen wurde nicht nur vom Landgrafen, sondern auch von den hessischen Juden kommentiert. In einem Schreiben Philipps an seine Räte vom 13. Dezember 1538 berichtete er, dass er das Gutachten den Juden zeigte und von ihnen ezliche Articull bekam, wie sie meinenn das sie zudultenn sein soltenn. Philipp empfand die jüdischen Vorschläge als nit vngleichmessig [zu] sein ²⁹⁰ und bat daher seine Räte um ihre Meinung, ob die Judenn uff dieselbigenn Articull nitt zuleidenn sein soltenn. ²⁹¹ Fünf Tage später, am 18. Dezember, bekam er die Antwort der Kasseler Kanzlei. Demnach überbrachte man die jüdischen Vorschläge den Gelehrten (Theologen?) zur Begutachtung und diese hätten darauf ein
Ebd. Bl. B4v. Philipp von Hessen an Statthalter Cantzler und Rathe zu Cassel, Dato Melsingen (Melsungen, südlich von Kassel) am 23 tagk september anno xxxviii: HStAM, 86 Nr. 19943 (Alte Signatur: 86 Hanauer Nachträge α611). Bisher wurde der Brief des Landgrafen fälschlicherweise auf den 23. Dezember 1538 datiert, obwohl die erste Erwähnung dieser Quelle in der Simmlerischen Sammlung der Zentralbibliothek in Zürich das Dokument richtig datiert hatte. Siehe Lenz: Briefwechsel, S. 57, der zuerst behauptete, dass die Datierung bei Simmler falsch sei, und ihm folgend Stupperich: Bucers Schriften, S. 382, der den Brief mit der falschen Datierung herausgegeben hat. Stupperich datiert auch die weitere Korrespondenz des Landgrafen mit der Kanzlei falsch. Ebd. S. 330 – 332. Weitere Behandlung dieses Schreibens findet man z. B. in: FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 345; Rowan: Luther, Bucer, Eck, S. 84 f.; Stupperich: Bucers Schriften, S. 330 f.; Reichrath: Martin Bucer, S. 147– 149. HStAM 86 Nr. 19943. Ebd. Philipp von Hessen an seine Räte in Kassel vom 13. Dezember 1538: HStAM 17 I Alte Kasseler Räte, Nr. 80, Bl. 35. Es ist in diesem Zusammenhang anzunehmen, dass Philipp den Juden seine Kritik über das Gutachten vom 23. September 1538 zeigte, bzw. eine Kopie davon übergab. Siehe darüber weiter unten. Ebd.
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raitschlag begriffen, welchen wir in warheit bey unsern gewissen nit zuuerandern oder zuuerbessern wissen. ²⁹² Auf der Grundlage dieses Ratschlags wurden nun elf Artikel verfasst, die sowohl den Juden als auch Bucer übergeben wurden.²⁹³ Bucer reagierte bereits am 27. Dezember mit einem Brief an Philipp, in dem er einerseits die im theologischen Gutachten vertretene Meinung erläuterte und verteidigte und andererseits eine grundsätzlich positive Einschätzung über den neuen Entwurf äußerte.²⁹⁴ Es dauerte etwas länger, bis die Juden ihre Antwort überreichten, weil der Entwurf zunächst vor eine Versammlung der hessischen Juden gebracht werden musste. Aus der Präambel ihrer Stellungnahme erfährt man etwas über den Zustand dieser ländlich organisierten Judenschaft – oder zumindest über das Bild, das diese Judenschaft von sich geben wollte: Dieweill aber gnediger her[r] solche gemelte articull vns armen, gemeinen vnnd der schrifft vnerfahrnen Judden etwas beschwerlich [ist], haben wir, die wir jzo zugegen gewesen, vns mit gemelten Lazaro Judden berathen, [der] E[ure] f[ürstliche] g[naden] diesse vnsere vnderthenige antwort vff gemelte articull E.f.g. gebenn solle.²⁹⁵
Vermutlich war der Grad der Bildung der auf dem Land zerstreuten und in Kleinund Kleinstgemeinden lebenden Juden tatsächlich so dürftig, wie sie selbst angaben. Darauf verweist auch ihre Beantwortung des ersten Artikels des neuen Entwurfs der Judenordnung: Auf das Verbot der Nutzung des Talmuds in Hessen brachten sie das Argument vor, dass kein Jud in E.f.g. fürstenthumb [zu finden ist (A.S.)], der den Thalmuth verstehe, viel weniger schrifftlich bei sich hatt. Dessen ungeachtet versprachen sie, unter sich nachzuforschen, ob jemand talmudische Schriften besitzt, und diese dann E.f.g. gelarten zu vberlibbern […] [d]amit dieselbigen gelerten zusehen haben, was vnpillichs darein begriffen, alsdann williglichen daruon abstehenn woltenn. ²⁹⁶ Die Bereitschaft der hessischen Juden, den Talmud einer Untersuchung durch christliche Gelehrte unterziehen zu lassen und Teile davon gegebenenfalls aufzugeben, war nur ein in einer Reihe von Zugeständnissen, welche sie in ihrer
Schreiben der Stadthalter, Kanzler und Rat von Kassel an Philipp von Hessen vom 18. Dezember (Mitwochs nach Lucy) 1538: Ebd. Bl. 36. Entwurf der Judenordnung, undatiert [Dez. 1538] in: HStAM 17 I Alte Kasseler Räte, Nr. 80, Bll. 3r–5r. Bucer an Philipp von Hessen vom 27. Dezember 1538, in: Lenz: Briefwechsel, S. 59 – 60. Stellungnahme der Juden zum Entwurf der Juden Ordnung, Anfang 1539: HStAM 17 I Alte Kasseler Räte, Nr. 80, Bl. 6r–8r. Die Quelle wurde durch Stupperich: Bucers Schriften, S. 386 – 387, hier S. 386 ediert. Ebd.
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Stellungnahme anboten. So zeigten sie sich willig, auf den Bau neuer Synagogen zu verzichten (Art. 2), keine Disputationen mit Christen zu führen (Art. 3), die Bestechung von Amtsmännern durch ihresgleichen zu unterbinden (Art. 8), jüdische Vorsteher zwecks der Einhaltung der übrigen Bestimmungen zu bestellen (Art. 10), die Schutzgelder zu zahlen (Art. 11) und möglichst allen den Handel betreffenden Bestimmungen des Entwurfs zu befolgen (Artt. 5 und 6).²⁹⁷ Zudem gelobten sie, jedwede Lästerung Christi zu unterlassen (Art. 1). Die Pflicht, christliche Predigten anzuhören (Art. 4), hielten sie hingegen für etwas beschwerlich aus vsachen, die wir jzo nit woll darthwn könnenn. Dennoch boten sie dem Landgrafen ein Kompromiss an, indem sie darum baten, vns die offentlichenn, gemeynen predigen frey [..] stehen [zu] lassen, wehm es geliebe nach gelegenheit, zeitt vnd stett zwbesuchenn. ²⁹⁸ Lediglich zwei Verfügungen des Entwurfs betrachteten sie als gantz beschwerlich. Gegen die restriktiven Bedingungen, unter denen die Juden Geld verleihen sollten (Art. 7), argumentierten sie, dass ye kein Christ zu diessen zeitten solchs woll halten kann. Aus diesem Grund baten sie um eine Gleichbehandlung mit allen anderen hessischen Untertanen.²⁹⁹ Schließlich wollten sie vermeiden, einen Eid ablegen zu müssen, wie in der Bestimmung über das Verbot der Bestechung der hessischen Amtmänner vorgesehen war (Art. 8), [d]ann […] bei vns Juddenn nit gebrauchlich ist, jn solchenn fellen so leichtlich Eyde zwthun. ³⁰⁰ Die jüdische Stellungnahme erscheint wie eine rhetorische Glanzleistung der Diplomatie. Die Juden zeigten sich willig, gehorsam, ja bisweilen unterwürfig, und vermieden damit eine konfrontative Haltung. Man kann daher annehmen, dass die wenigen von ihnen vorgebrachten Vorschlägen und Forderungen nicht als ein Affront angesehen wurden. Auch ihre wiederholte Bitte, man möge sie nicht anderes behandeln als die übrigen Untertanen der Landgrafschaft, muss im Lichte ihrer großen Zugeständnisse als ein annehmbares Begehren erschienen haben. Die Juden betonten selbst ihr williges Entgegenkommen, als sie an den Landgrafen appellierten, sie zu schutzenn vnd daruber nit höher dringen [zu] lassenn. Dan wir verhoffen, wir habenn vns vff furgegebene articull zw diesem mall zimlich erpottenn. ³⁰¹
Vgl. ebd. 386 f. Art. 9 stellte kein Zugeständnis der Juden dar, weil er sich auf die Pflicht der hessischen Beampten bezog, die Haltung der Bestimmungen zu überwachen. Ebd. Vgl. ebd. S. 387. Ebd. Dem Bestechungsverbot selbst hatten sie jedoch zugestimmt. Über die jüdische Einstellung zu Eidesleistung siehe z. B. Siluk: Innerjüdische Streitigkeiten, S. 169, Anm. 64. Ebd.
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Ihre Stellungnahme war aber nicht die einzige Aktion, die die hessischen Juden unternahmen, um eine für sie günstige Stimmung zu erzeugen. Wie oben dargestellt, bekamen sie von Philipp Einsicht in das Gutachten der hessischen Theologen gewährt. Offenbar erhielten sie auch eine Abschrift des Schreibens Philipps an seine Räte, in dem er mit theologischen und weltlichen Argumenten die Vorschläge der Geistlichen widerlegte.³⁰² Diese Abschrift gaben die Juden nun in Druck, um publik zu machen, dass die Meinung des Landgrafen dem Ratschlag der hessischen Theologen entgegenstand.³⁰³ Die Erkenntnis, dass hessische Juden Philipps Schrift vnder seiner F[ürstlichen] G[naden] namen, in den druck bracht[en], vnd allenthalbe[n] ausbreite[te] n ³⁰⁴, wirft die Frage auf, was sie damit bezweckten und ob sie nicht ein hohes Risiko eingingen. Eine unerlaubte Veröffentlichung des fürstlichen Schreibens hätte den Zorn Philipps erwecken und die Verhandlungen über die Wohn- und Handelsrechte erheblich gefährden können. Es ist daher zu vermuten, dass die Juden entweder tatsächlich eine Genehmigung der landgräflichen Kanzlei erhielten – was aber nicht dokumentiert ist – oder dass sie mit der Annahme operierten, Philipp würde die Veröffentlichung seiner Erwiderung auf das theologische Gutachten als eine Geste zur Vermehrung seiner Reputation als weiser und gelehrter Fürst sehen. Da keine Reaktion Philipps zu diesem Vorgang bekannt ist, kann man annehmen, dass er das Handeln der Juden stillschweigend billigte. Der Zweck der jüdischen Aktion scheint demgegenüber eindeutig. Die Veröffentlichung stellte die ‚tolerante‘ Haltung des hessischen Landesherrn, seine Weisheit und seine Gelehrsamkeit in einer Weise zur Schau, dass Philipp die Vorschläge im theologischen Gutachten nur noch schwerlich in die Judenordnung hätte integrieren können. Hätte er dies dennoch getan, hätte man ihm vorhalten können, er würde entgegen seiner eigenen Meinung agieren und Maßnahmen umsetzen, die er selbst zuvor abgelehnt habe. Die Juden verwendeten also Philipps Worte, um ihn als Verfechter ihrer Tolerierung darzustellen. Die hessischen Gelehrten werteten diese jüdische Agitation als ein Affront und informierten Martin Bucer darüber. Bucer verfasste darauf eine Reaktionsschrift, in der er sowohl das theologische Gutachten als auch einen Brief an ein einem anonymen Freund publizierte, der zugleich eine Verteidigung der theolo-
Es geht um das Schreiben vom 23. September 1538: HStAM 86 Nr. 19943. Darüber berichtet Bucer: Judenvorschlag, Bl. Cr und Ciiirf. Laut Rowan: Luther, Bucer, Eck, S. 84, Anm. 20 befindet sich ein Exemplar dieses Druckes in der British Library (Signatur: 4033. df. 5) unter dem Titel: Antwort des Durchleuchtigsten Hochgebornen Landtgrauen zu Hessen Graue zu Catzenelnbogen, etc., an seine Räth, uff den Rathschlag wider die Juden von den Geystlichen berathschlagt worden. Bucer: Judenvorschlag, Bl. Cr.
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gischen Stellungnahme war.³⁰⁵ Sein Verteidigungsversuch kam nicht ohne Attacke gegen die Juden aus, die er in polemischer Manier als vnsere[..] Feinde[..] nach dem Euangelio bezeichnete.³⁰⁶ Somit bewirkte die jüdische Reaktion auf das Theologengutachten wiederum eine Gegenreaktion. Wie Josel von Rosheim später berichtete, verstärkte die Gegenreaktion der Theologen die judenfeindliche Stimmung in Hessen. So beschwerten sich die hessischen Juden, dass das gemain Volck [wegen Bucers Schreiben (A.S.)] widder [sie] angereitzet worden [war], [so] daß [sie] an ettlichen orthen mit thatlicher schmach beschwert und beschedigt würden.³⁰⁷ Dass diese Übergriffe tatsächlich mit Bucers Schrift zusammenhingen, wird durch einen Fall illustriert, den Josel ebenfalls schilderte: [U]f der Strahßen bey Fridpurg [ist] ein armer Jud geschlagen worden und das sein genommen, die thater [haben] gesprochen: ‚Sehe, Jude den truck an so Butzerus erlaubt hat, mann soll euch euer gueter nehmen, und die theylen under arme‘, und damit hingelauffen etc.³⁰⁸
Diese Ereignisse erfolgten allerdings, allem Anschein nach, erst nach der Verabschiedung der Judenordnung, also nachdem sich Philipp für eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts der Juden auf vorerst zwei weitere Jahre entschieden hatte. Grundlage für die beschlossene Judenordnung waren die elf vorgeschlagenen Artikel im zweiten Entwurf vom Dezember 1538, zu denen sowohl die Juden als auch Bucer bereits Stellung genommen hatten. Allerdings kamen drei neue Bestimmungen hinzu – ein Verbot des Beischlafs jüdischer Männer mit christlichen Frauen, ein Verbot des Handels mit gestohlenem Gut und ein Verbot aller Geschäftstätigkeiten sogenannter ‚ausländischer Juden‘.³⁰⁹ Philipps grundsätzliche Entscheidung, Juden in seinem Territorium zu dulden, ist dennoch interessant. Zwar zeigte er damit, dass er an einer Vertreibung nicht interessiert war, allerdings weist die zweijährige Befristung des jüdischen Bleiberechts auf eine generelle Unentschlossenheit des Landgrafen in der ‚Judenfrage‘ hin. Diese politische Unbestimmtheit scheint ein generelles Problem für die neue theologische Lehre gebildet zu haben, die offensichtlich noch keine endgültigen Antworten auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit Juden gefunden hatte. Diese theologische und daraus resultierende rechtspolitische Unsicherheit schlug
Bucer: Judenratschlag. Das Gutachten ist vom Anfang bis Bl. Biiiiv; die Antwort auf den jüdischen Druck in Form eines Briefes (datiert auf den 10. Mai 1539) ist auf Bll. Cr–Ende gedruckt. Z. B. Ebd. Divr. Josel von Rosheim: Trostschrift, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 357. Ebd. S. 358. Vgl. das edierte Dokument bei Battenberg: Judenverordnungen, S. 59 – 61.
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sich in der Judenordnung nieder, die einerseits einige Ratschläge der Geistlichen berücksichtigte und die Regulierung von religionsbezogenen Themen ostentativ in den Vordergrund stellte³¹⁰, andererseits aber an der ursprünglichen Duldung der jüdischen Ansässigkeit und Wirtschaftstätigkeit in der Landgrafschaft festhielt. Es spricht einiges dafür, dass Philipps endgültige Entscheidung im Rahmen des Schmalkaldischen Bundestages, der vom 12. Februar bis 24. April 1539 in Frankfurt stattfand, gefällt wurde. Diese Reichsveranstaltung³¹¹ war bedeutsam, weil sie der Reichsorganisation der Juden unter der maßgeblichen Führung ihres Befehlshabers, Josels von Rosheim, die Gelegenheit bot, Verhandlungen mit mehreren Landesherren parallel zu führen. Somit verlagerte sich erneut der Schwerpunkt jüdischer Diplomatie von der territorialen zur Reichsebene.
5.2.3 Zur Überwindung territorialer Schranken Das Zusammenkommen vieler Landesherren in der Reichsstadt Frankfurt am Main 1539 eröffnete der Reichsjudenschaft die Gelegenheit, ihre Reichsorganisation zu reaktivieren, denn bei solchen ‚Großereignissen‘ war es leichter, die gemeinsamen Ressourcen effizient zu bündeln und Verhandlungen mit mehreren Fürsten und Ständen gleichzeitig zu führen. Für die Juden war es vermutlich besonders günstig, dass die Fürstenversammlung in der Messestadt Frankfurt stattfand, wo eine gut organisierte und vernetzte jüdische Gemeinde bestand und wohin viele Juden aus allen Regionen des Reichs des Geschäfts wegen regelmäßig hinreisten. Es ist zwar nicht zweifelsfrei zu ermitteln, aber dennoch zu vermuten, Waren die Bestimmungen über das Disputationsverbot und die Anhörung von Predigten die letzten Artikel des ursprünglichen Entwurfs, so bildeten sie nun zusammen mit Verfügungen über die Verbote, neue Synagogen zu bauen, gegen Jesus Christus zu lästern und den Talmud zu benutzen, die erste thematische Einheit des neuen Entwurfs (Art. 1– 4). Diese neuen Bestimmungen sowie das Verbot von Bestechung von Amtsknechte gehen eindeutig auf das Gutachten der Theologen zurück. Bei anderen Artikeln des Entwurfs kann der Einfluss des Gutachtens lediglich vermutet werden. Vgl. HStAM 17 I Alte Kasseler Räte, Nr. 80, Bll. 3r–5r. Neben den Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes waren zahlreiche weitere Reichsrepräsentanten in Frankfurt zugegen, darunter die Kurfürsten Joachim von Brandenburg und Pfalzgraf Ludwig bei Rhein sowie kaiserliche und königliche Vertreter. Vgl. die ausführliche Liste in der Chronik des Schuhmacherhandwerks, Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen der Reformationszeit. Nebst einer Darstellung der Frankfurter Belagerung von 1552, bearb. von R. Jung, Frankfurt am Main 1888, S. 10 – 26, hier S. 12– 14. Auch die Chronik der Katharina Weiss von Limburg, genannt Scheffers Kreinchen, gedruckt in: ebd. S. 279 – 296, hier S. 290, weist auf den Reichscharakter der Veranstaltung hin: uf den letzten tag des heumonats [kamen] auch die städt, die nicht in dem bund sein. es kamen auch Cöllen, Aach, Worms, Speyer. es waren auch hie des königs räth von Engeland. Vgl. auch Haas: Reformation, S. 117– 124.
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dass eine jüdische Versammlung im Vorfeld oder während des Bundestages abgehalten wurde. Jedenfalls ist bekannt, dass der jüdische Befehlshaber Josel von Rosheim angefragt wurde, sich zugunsten der hessischen Juden und gegen das Gutachten der hessischen Theologen zu engagieren.³¹² Ebenso auf Grundlage eines gesamtjüdischen Auftrags erfolgten vermutlich auch die parallellaufenden Verhandlungen Josels mit Herzog Johann Friedrich von Sachsen und mit Markgraf Joachim II. von Brandenburg. Der Schtadlan aus dem Elsass scheint in allen die Juden betreffenden Verhandlungen aktiv und führend gewesen zu sein. Insgesamt deuten die Aktivitäten des jüdischen Anführers darauf hin, dass er ein konkretes und vermutlich von den Juden im Reich gemeinschaftlich definiertes Ziel verfolgte. Er investierte nämlich viel Mühe, um theologische Vorbehalte bezüglich jüdischer Anwesenheit in protestantischen Gebieten zu entkräften. Aus diesem Grund versuchte er in Frankfurt, Martin Bucer zur Rede zu stellen und ihm zu beweisen, dass die in seinem Ratschlag vertretenen Ansichten über die Juden nicht nur unberechtigt seien, sondern auch schlimme Konsequenzen nach sich zögen. So schrieb Josel darüber, wie er Bucer vom Angriff auf den Juden bei Friedberg berichtet hatte und ihm angezeigt [hatte, dass (A.S.)] solche ergernus uß seinem Schreiben verfolgt. ³¹³ Vermutlich fand dieses Gespräch im Rahmen einer großen, in der Anwesenheit vieler christlicher Gelehrten geführten Disputation statt, von der Josel in seiner Chronik berichtete.³¹⁴ Über diese Disputation schrieb er nämlich, dass er die Argumente Luthers, Bucers und ihrer Anhänger mit den Worten unserer heiligen Thora widerlegte, bis sie meine Worte der Wahrheit anerkannten. ³¹⁵ Über diese Begegnung berichtete auch Bucer selbst. Er schrieb in seiner polemischen Schrift gegen die Juden: [V]nd hat ein Jud mich selb wöllen bereden, wir haben jnen inn disem stuck [=Gutachten (A.S.)] seer onrecht gethon, Dann er mir ein buch zeiget, darinn staht das sie vns Heiden, bei denen sie wohnen, sollen recht thün. ³¹⁶ Allem Anschein nach konnte Josel den Reformator mit seiner Argumentation nicht überzeugen. Der jüdische Befehlshaber behauptete sogar, dass jener
Ein Hinweis darauf ist Josel von Rosheim: Trostschrift, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 340 – 374. Josel von Rosheim: Trostschrift, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 358. Abschnitt 22, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 329 f. Ebd, S. 330. Bucer: Judenratschlag, Divv. Vermutlich meinte Bucer damit, dass Josel gegen die Unterstellung im Gutachten argumentierte, wonach die Juden mit ihren Geschäftspraktiken christlichen Untertanen vorsätzlich schaden wollten.
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sich nicht nur mit demselbigen noch nit settigen laßt, sondern, dass er auch understeet uns alle mit sampt andere große stennd zu beleydigen. ³¹⁷ Es gab im Rahmen der Versammlung von Frankfurt ein weiteres öffentliches Gespräch (ohne jüdische Beteiligung), das positiv für die Juden endete. Philipp Melanchthon trug dem Kurfürst Joachim II. von Brandenburg vor, wie der 1510 in Berlin geführte Prozess wegen Blutbeschuldigungen und angeblicher Hostienschändung der Juden auf einer Falschaussage des damaligen Beichtvaters und einer Vertuschung seitens des Bischofs Hieronymus beruht hatte.³¹⁸ Mit diesem Bericht war es vermutlich nicht Melanchthon Absicht, den Juden zu helfen. Vielmehr ging es ihm darum, die Vertreter der ‚alten Kirche‘ zu diskreditieren, indem er ihnen grundsätzliche moralische Verdorbenheit vorwarf. Melanchthon erklärte, dass dem inzwischen zum Protestantismus konvertierten und reumütigen Beichtvater verziehen werden solle; den katholisch gebliebenen Bischof hingegen verurteilte er als den eigentlichen Täter. Er sei derjenige gewesen, der den damaligen Kurfürsten Joachim I. belogen und irregeführt hatte und so zu judenfeindlichen Maßnahmen verleitet.³¹⁹ Josel von Rosheim betrachtete diese ‚Enthüllung‘ als Wunder im Wunder und als Ursache für seinen Erfolg bei den Verhandlungen mit Joachim II. ³²⁰ In seiner etwa zwei Jahre später verfassten Trostschrift, berichtete er, wie er mit der hilf Gots bey Hoch-gedachtem Churf[ürsten] der gemainer Judischeit allenthalben erlanngt,
Josel von Rosheim: Trostschrift, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 358. Außer mit dem Straßburger Theologen hatte Josel ein – eventuell sogar öffentliches – Gespräch mit mindestens einem weiteren protestantischen Gelehrten, den er allerdings nicht namentlich erwähnte. Vgl. ebd. 359. Vgl. die Berichte Josels in seiner Chronik, Absch. 22 und in seiner Trostschrift, in: FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 330 und 358. Außerdem S. Stern: Josel von Rosheim, S. 137 und Kurze: Der Berliner Prozess, S. 39. Vgl. Ebd. Dass der Bischof Hieronymus von Brandenburg nicht unbedingt als Feind in den Augen der Lutheraner angesehen wurde, siehe Wilhelm Ernst Winterhager: Luthers „gnädiger Bischof“: Hieronymus Schulz, Bischof von Brandenburg (1507– 1521) und Havelberg (1521/22), in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 69 (2013), S. 87– 117. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 330. Der Wunder bestand nicht zuletzt darin, dass Joachim II. anscheinend vorhatte, die noch sporadisch vorhandene jüdische Anwesenheit in seinem Herrschaftsbereich aufzulösen, nachdem sein Vorgänger im Amt das Aufenthaltsverbot für Juden gelockert hatte. Über diese Lockerung siehe das Mandat vom 24. Oktober 1532 in: Adolf Friedrich Riedel (Ed.): Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlungen der Urkunden, Chroniken und sonstigen Geschichtsquellen für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, Bd. 6, 2. Hauptteil: Urkunden-Sammlung zur Geschichte der auswärtigen Verhältnisse der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, Berlin 1858, Nr. 2536, S. 385 und Kurze: Der Berliner Prozess, S. 36. Über den Plan, diese jüdische Ansiedlung aufzulösen, vgl. Abschn. 22 in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 329.
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in Jren Churft. Gnaden Landen zu handeln und wandeln. ³²¹ Vermutlich lag Josel bei seiner Einschätzung nicht ganz falsch. Gleichwohl begründete Joachim II. seine Entscheidung nicht mit der Enthüllung durch Melanchthon. Er gab als Gründe stattdessen an, die Generalprivilegien, welche den Juden von kaiserlicher Seite traditionell gewährt wurden und die begnadung, welche die Juden auf dem Bundestag in Frankfurt von andern Chur und Fursten, zum teil unsern benachparten erlangten.³²² Mit den benachbarten Fürsten waren vermutlich der sächsische Herzog Johann Friedrich, der unter Vormundschaft stehende Graf Philipp III. von Hanau sowie sein Vormund Graf Wilhelm von Nassau und Landgraf Philipp von Hessen gemeint. Johann Friedrich hatte noch am 24. März 1539 in Frankfurt das sächsische Durchzugsverbot für Juden aufgehoben.³²³ In Hanau wurde zu jener Zeit über Zoll- und Geleitsgelder für Juden in der Hanauischen Grafschaft verhandelt, was das Bestehen von Durchreiserechten für Juden implizierte.³²⁴ In Hessen schließlich wurde die landesherrliche Judenordnung verabschiedet, die den Juden nicht nur Handels- und Geleitsrechte, sondern auch eine Niederlassungserlaubnis gewährte. Mit Sachsen und Hessen handelte es sich gewiss um die führenden reformatorischen Kräfte und mit Brandenburg um einen Kurfürsten mit großem Einfluss in der Reichspolitik. Da aber keine weiteren der Schmalkaldischen Bundesgenossen und der lutherischen Stände die Politik Sachsens, Hessens, (Hanaus) und Brandenburgs nachahmten, kann hier keine Rede von einer tatsächlich neuen Einheitlichkeit protestantischer ‚Judenpolitik‘ sein. Ferner zeigen sich beim genauen Hinsehen einige Unterschiede auch in der jeweiligen Politik Hessens, Sachsens und Brandenburgs gegenüber Juden. Während Hessen den Juden das Wohnen, den Handel mit Waren und unter bestimmten Voraussetzungen auch Geldleihgeschäfte erlaubte, war diese Erlaubnis an einer zweijährigen Frist gebunden und schloss ‚ausländischen‘ Juden ausdrücklich von allen Rechten aus. Brandenburg ließ sowohl das Geleit als auch den Warenhandel aller Gedruckt in Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 358. Schreiben Joachims II., gedruckt in: Kurze: Der Berliner Prozess, S. 53. Abschrift des Mandats Johann Friedrichs vom 25. März 1539: Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW), Kopialbücher A 10, Bll. 136r–137v. Wie bereits Stefan Litt erwähnt hat, nannte die Urkunde explizit Josel von Rosheim als Verhandlungspartner. Vgl. Litt: Juden in Thüringen, S. 158. Zusammen mit dieser Urkunde ist ein Passbrief für Juden aus östlichen Regionen (z. B. Prag und Polen) aufbewahrt. Daraus lässt sich der Anlass des jüdischen Insistierens auf der Mindestforderung, dass ihnen der Durchzug durch sächsische Gebiete gestattet würde. Vgl. ThHStAW, Kopialbücher A 10, Bll. 138r-v. Vgl. HStAM, 86 Hanauer Nachträge, 26169, Bll. 1– 7 und ebd. Protokolle II Hanau A Nr. 2, Bd. 4,1, Bll. 66v und 83v.
5.2 Zwischen territorialer und Reichsorganisation
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Juden zu, allerdings machte Joachim II. diese Freiheiten davon abhängig, dass die Juden sich in allweg geburlich halten [sollten] und mit niemandt der unsern kain unbillich und wucherlich contract oder handel treiben oder furnemen, auch [sollten die Juden (A.S.)] in unsern landen ire wonung nit haben. ³²⁵ In Sachsen hingegen beschränkten sich die Bestimmungen ausschließlich auf das Passierrecht. Dieses war zwar nicht fristgebunden, aber an der Bedingung geknüpft, dass sich kein Jude vnderstehen noch anmassen [solle] jn vnsern Churfürstenthumen vnd Landen Heußlich, oder sonsten nider zuthun vnd zuwonen, noch darjnne zubenachten, oder auch gewerbe vnd Hanttirunge d[a]rJnne zutreiben darzu von jrem glauben opinion vnd meynung, andern einzubilden zureden.³²⁶
Wenn es also eine vergleichbare ‚Judenpolitik‘ dieser drei Fürsten gab, dann bestand sie v. a. darin, dass sie den Juden nur eingeschränkte Rechte gewährte und diese an Bedingungen knüpfte. Nichtsdestotrotz markierte die erste Hälfte des Jahres 1539 eine große Erleichterung für die Juden im Reich, da ihnen nun Handels- und Reisewege wieder offenstanden, die zum Teil rund 30 Jahre versperrt gewesen waren. Es scheint daher, dass die großen Vorbehalte gegenüber jüdischer Anwesenheit in lutherischen Regionen des Reiches geschwächt worden waren. Die Juden im Reich erreichten mit den Erfolgen von 1539 allerdings noch keine dauerhafte politischrechtlichen Stabilität. Die ‚Judenfrage‘ soll auch in den kommenden Jahren sowohl im Rahmen der obrigkeitlichen Suche nach einer gottgefälligen und dem Gemeinwesen dienlichen Politik als auch im Kontext theologischer Debatten weiterhin umkämpft bleiben.
Schreiben Joachims II., gedruckt in: Kurze: Der Berliner Prozess, S. 53. ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv, Kopialbücher A 10, Bl. 137r. Es spricht einiges dafür, dass das Disputationsverbot in Anlehnung an das hessische Gutachten in dieses Mandat aufgenommen wurde. Vgl. auch das Schreiben Johann Friedrichs an Philipp von Hessen vom 20. Juli 1539, in: HStAM, 3 PA, 2581, Bl. 199v: Er schrieb, [d]aß sich auch alle Juden seind der Zeit, also bei vermeidung Jrer gefhar, vnnd vnnser Ernnsten straff haben haltenn müssen, biß vff nechstgehaltenem tagk zu Frannckfurt, do wir vff bestehene fürbiettenn, denjenigen Juden, so gein Leiptzk, oder annderen orttenn Kauffmanschafft vnnd Hantierungen treiben, durch vnnsere fürstenthumb zuraisenn, dermassenn erlaupt, daß sie darinnen nicht benachtenn noch verharren solten. Es handelte sich in dieser Akte um einen Fall einer Gefangennahme eines Juden durch sächsische Amtmänner, um eine Beschwerde, die dem hessischen Landgrafen in der Sache gereicht wurde und um die darauffolgenden Auseinandersetzungen um Jurisdiktion. Siehe auch ebd. 3 PA, 2689, Bll. 3 – 9v. Im Übrigen verraten beide Mandate die finanziellen Motive der Erlaubnis jüdischer Präsenz in einem Land, nämlich die Einnahmen von Geleits- und Zollgebühren.
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5 Zwischen Reich und Territorium I
5.3 Zwischenfazit: Eine Reichsorganisation unter dem Eindruck der Territorialisierung Während die Reichsorganisation der Juden in den 1520er Jahren erste Konsolidierungen erfuhr, blieb sie im gleichen Zeitraum größtenteils amorph: Die zentralen, jüdischen Akteure variierten und der Umgang mit den Obrigkeiten im Reich war nicht geregelt. Dennoch erwiesen sich die Versammlungen der jüdischen Vorsteher und Rabbiner als beschlussfähig und effektiv in der Koordinierung von Vorgehensweisen. Zu Beginn der 1530er Jahre befestigte sich zwar die Rolle der Versammlungen als das wichtigste Entscheidungsfindungsorgan der Reichsjudenschaft, dennoch änderte sich die Kontur der Organisation. Spätestens am Ende des Jahres 1530 avancierte der unterelsässische Regionalvorsteher Josel von Rosheim zur zentralsten Fürsprecherfigur der Juden im Reich. Diese Entwicklung scheint allerdings keiner langen Planung gefolgt zu haben, sondern war das Ergebnis einer Entwicklung der vorausgegangenen zwei Jahre. Josel von Rosheim, der jahrelang die Interessen der unterelsässischen Juden erfolgreich vertreten hatte, erwarb sich offensichtlich durch die ertragreichen Verhandlungen und Vertretungen, die er 1529 und v. a. 1530 im Namen der Gesamtjudenschaft, oder auch im Auftrag von einzelnen jüdischen Gemeinden führte, einen Namen als einen geschickten und verlässlichen Wortführer. Auch seine Fähigkeit, aus lokalen Problemlagen Antworten zu finden, die der gesamten Judenschaft im Reich vorteilhaft waren, dürfte seinem Ruf gedient haben. Als er eine Versammlung berief, um die Gefahren eines absoluten ‚Wucherverbots‘ zu besprechen, konnte er also mehrere Erfolge – darunter zwei kaiserliche Privilegien – vorweisen, weshalb er aller Voraussicht nach an dieser Versammlung zum ‚Regierer‘ gewählt wurde. Mit der Etablierung Josels in der Rolle des Hauptfürsprechers und Verhandlungsführers der Reichsjudenschaft erhielt der politische Zusammenschluss der jüdischen Gemeinden einen Institutionalisierungsschub. Nun verfügte die politische Organisation der Juden über zwei offiziell ernannte und von Reichsobrigkeiten anerkannte Funktionsträger – Josel von Rosheim und den Reichsrabbiner Samuel von Worms – sowie über ein Entscheidungsfindungsorgan bestehend aus der Versammlung der Vertreter der verschiedenen jüdischen Gemeinden. Gleichsam bedeutend für die Neuorganisation der jüdischen Reichsvertretung war die Verabschiedung der ‚jüdischen Judenordnung‘, durch die Versammlung. Diese diente nämlich einerseits als ein Angebot an christliche Obrigkeiten, anhand dessen die Juden im Reich ihre wirtschaftlichen und Wohnrechte aushandeln wollten. Andererseits stellt das Dokument ein bindendes ‚leagal framework‘ für alle wirtschaftlichen Beziehungen der Juden mit Christen und alle daraus entstehenden Streitpunkte dar. Damit manifestierte sich darin ein Autoritätsan-
5.3 Zwischenfazit
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spruch der in Augsburg abgehaltenen Versammlung von bis dahin unbekanntem Maß in der jüdischen Geschichte im Reich. Faszinierend dabei ist nicht allein die hierarchische Struktur der Organisation, die sich dort manifestierte, sondern auch der Versuch, die Autonomie der Judenschaft insgesamt zu stärken, indem man sich die Verantwortung zusprach, über die Einhaltung der Bestimmungen zu wachen und über eine Bestrafungsmacht zu verfügen. Nichtsdestotrotz blieben diese Veränderungen und Beschlüsse weniger folgenreich in den nächsten Jahren. Der Kampf um Judenrechte verlagerte sich zum großen Teil von der Reichs- auf territoriale Ebene, wo die Einmischungs- und Einflussmöglichkeiten der Reichsorganisation der Juden eingeschränkt war. Wie es sich in den untersuchten Regionen zeigt, waren die Rechtskodifizierungsprozesse, in deren Rahmen Judenordnungen verabschiedet wurden, überwiegend von spezifischen Herrschaftstraditionen, dem bestehenden Recht und den politischen und religiösen Zielen der Obrigkeit bestimmt. Dennoch erkennt man auf jüdischer Seite den Versuch, die ‚jüdische Judenordnung‘ zur Grundlage von Verhandlungen zu machen, auf Reichsebene erworbene Rechte gegen territoriale Rechte auszuspielen, oder gar das Personal der Organisation – nämlich Josel von Rosheim – zu aktivieren. Die Situation der relativen Schwäche der Reichsorganisation in Angelegenheiten der Reichsterritorien konnte erst auf einer Reichsveranstaltung behoben werden. Das Zusammentreffen zahlreicher Fürsten in Frankfurt am Main bot den Juden nicht nur die Gelegenheit, mehrere Verhandlungen parallel zu führen, ihre Ressourcen zu mobilisieren und sich gegenseitig Unterstützung zu bieten, sondern ermöglichte auch die gegenseitige Beeinflussung dieser Fürsten, wie vor allem aus dem Mandat Joachims II. hervorgeht. Schließlich begünstigte die Art der Veranstaltung, dass sich darin eine zwar beschränkte und vorübergehende Öffentlichkeit entstand, die aber Chancen für eine protestantische Debatte über Judenrechte bot, die – mehr zufällig als gelenkt – zugunsten der Juden entschieden wurde. Angesichts der Tatsache, dass eine jüdische Zusammenarbeit auf Reichsebene zwischen 1531/2 und 1539 kaum stattfand, ist die Reaktivierung der Organisation bemerkenswert. Die Ähnlichkeit in den erreichten Zielen in den verschiedenen lutherischen Territorien lässt den Schluss zu, dass die Juden eine politische Strategie verfolgten, die zunächst auf die Aufhebung von Pass- und Durchzugsverboten abzielte und darüber hinaus auch eine Erleichterung ihrer Handelstätigkeiten erstrebte. Der Weg hin zu diesen Zielen lief dabei – neben den Zugeständnissen der ‚jüdischen Judenordnung‘ – über den Versuch, religiösen Vorbehalten zu entgegnen, um dadurch Antagonismen zu lindern. Schließlich erkennt man aus der Untersuchung, dass die Organisation der Juden zwar Sorge um Judenschaften in Böhmen, Schlesien, Tunis und in den
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peloponnesischen Städten Patras und Koroni trug, und zum Teil auch Fürsprache für sie übernahm. Allerdings lässt sich anhand dieser Fälle eine Grenze zwischen der Reichsjudenschaft und diesen jüdischen Gemeinden ziehen. Derartige Grenzziehung wurde dagegen im Fall der Blutbeschuldigung von Pösing nicht gemacht, als die ‚deutschen‘ Juden ihren österreichischen Glaubensbrüdern und -schwestern zu Hilfe kamen. Daher erscheint die Annahme plausibel, dass die deutschen Territorien des Reichs die geographischen (und rechtlichen) Grenzen der jüdischen Organisation ausmachten.
6 Zwischen konfessionellen Fronten Die Konsolidierung der Reformation in vielen Regionen des Reichs sowie die Etablierung eines protestantischen Lagers in der Reichspolitik führten zu einer evolutionären Veränderung des politischen Systems zu einem Zweilagersystem. Der innerchristliche Religionsstreit, der die Reichspolitik seit ca. 1520 dominiert hatte, spitzte sich indes in den 1540er Jahren zu und kulminierte im Schmalkaldischen Krieg. Dieser militärische Konflikt stellte die Juden zuweilen wortwörtlich zwischen die konfessionellen Fronten. Eine allzu eindeutige Ausrichtung ihrer politischen Strategie zugunsten der einen oder anderen rivalisierenden Partei war deshalb sowohl für die einzelnen Judenschaften als auch für die Gesamtjudenheit des Reichs mit großen Risiken behaftet. Die jüdische Führung musste daher in dieser heiklen Situation bei ihren politischen Handlungen zwischen unterschiedlichen politisch-religiösen Befindlichkeiten der verschiedenen Obrigkeiten navigieren. Die Rolle des Kaisers innerhalb der angespannten religionspolitischen Lage im Reich ist von großem Interesse für die Untersuchung der jüdischen Politik dieser Jahre. Einerseits konnte bereits mehrfach festgestellt werden, dass Momente der Verdichtung jüdischer Organisationsstrukturen sich v. a. dann ereigneten, wenn der Kaiser sich im Reich aufhielt. Andererseits trat Karl V. im konfessionellen Streit häufig als eine zentrale Konfliktpartei auf, der keine Entspannungspolitik in Fragen der Religion zuzuschreiben ist.¹ Aus diesem Grund soll es ein Schwerpunkt der Untersuchung sein, zu beobachten, wie sich die politische Beziehung der jüdischen Vertretung zu ihm gestaltete. Neben dem Kaiser war auch das Reich ein zentraler Referenzpunkt für jüdische Politik. Die Reichstage oder ähnliche Reichsveranstaltungen waren wichtige Orte für die Juden, um Verhandlungen mit unterschiedlichen Institutionen und Personen zu führen, ihre Anliegen vorzutragen und ihre Interessen zu vertreten. Das Stattfinden eines Reichstags bot daher oft eine Gelegenheit für die Juden – oder auch die Notwendigkeit –, sich im Voraus zu versammeln und ihre Vorgehensweisen zu planen. Die vergleichbar große Dichte an Reichstagen in den
Allgemein über diese Zeit und die Rolle des Kaisers siehe Reinhard: Probleme deutscher Geschichte, S. 320 – 343 und Albrecht P. Luttenberger: Die Religionspolitik Karls V. im Reich, in: Alfred Kohler (Hrsg.): Karl V.: 1500 – 1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, Wien 2002, S. 293 – 344. https://doi.org/10.1515/9783110723533-009
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6 Zwischen konfessionellen Fronten
1540er Jahren² stellte daher ein weiteres Potenzial für Kohäsion in der jüdischen Organisation dar. Die zentrale Rolle des Kaisers und des Reichs bedeutete aber keineswegs, dass damit den Juden keine politischen Herausforderungen auf der territorialen Ebene mehr begegneten. Nicht allein, aber gerade in Regionen, in denen eine landesherrliche Judenordnung im vorherigen Jahrzehnt verabschiedet worden war, kam es erneut zu Spannungen zwischen der Judenschaft und den Obrigkeiten sowie deren christlichen Untertanen. Wie bereits am Ende des vorausgegangenen Kapitels angedeutet, verschlechterte sich in den 1540er Jahren das Verhältnis der protestantischen Landesfürsten zu den Juden markant. Luthers judenfeindliche Schriften und Bucers Polemik scheinen dabei den Ton im protestantischen Lager angegeben zu haben. Aber auch in katholischen Territorien war die Lebenssituation der Juden nicht einfach und die antijüdische Polemik katholischer Autoren verhieß nichts Gutes.³ Die jüdischen Reaktionen auf diese Entwicklungen sollen daher im Rahmen des vorliegenden Kapitels ebenfalls thematisiert werden. Schließlich minderte sich in dieser Zeit der ökonomische und fiskalische Druck auf die Juden keineswegs. Kriegstribute und sonstige finanzielle Herausforderungen bildeten eine weitere Motivation für die Juden, sich auf Reichsebene zu versammeln und gemeinsame Lösungen zu finden. Die Beschäftigung der politischen Führung der Juden mit diesen zahlreichen unterschiedlichen und parallel verlaufenden Problemkreisen muss die Entwicklung der Organisation vorangetrieben haben. Daher werden in diesem Kapitel die personelle und strukturelle Aufstellung der politischen Repräsentation der Juden, ihre Operationsweise angesichts der steigenden Komplexität der Probleme und Aufgaben sowie ihre politische Ausrichtung und Orientierung analysiert.
Folgende Reichstage fanden in diesem Jahrzehnt statt: 1541-Regensburg, 1542-Speyer und Nürnberg, 1543-Nürnberg, 1544-Speyer, 1545-Worms, 1546-Regensburg und 1547/48-Augsburg. Darüber hinaus wurden auch sonstige Fürstenversammlungen wie 1541 in Hagenau abgehalten. Siehe dazu die von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen „Deutschen Reichstagsakten – jüngere Reihe“, Bände 12– 18, Göttingen 2003 – 2010. Siehe zum Beispiel die Schrift des Ingolstädter Theologen und großen Luther-Gegners Johannes Eck: Ains Juden büechlins verlegung darin ain Christ, gantzer Christenhait zu schmach, will es geschehe den Juden vnrecht in bezichtigung der Christen kinder mordt…, Ingolstadt 1541 [VD 16 E 383].
6.1 Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten
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6.1 Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten Für die Juden in der Landgrafschaft Hessen bot das Ende der Verhandlungen um ihre Wohn- und Handelsrechte keine positive Perspektive. Die verabschiedete landesherrliche Judenordnung muss aus ihrer Sicht sehr restriktiv ausgefallen sein. Deshalb baten sie Josel von Rosheim um eine Intervention zu ihren Gunsten. Da Josel zu dieser Zeit mit anderen Verpflichtungen beschäftigt war, beschloss er 1541, ihnen eine – hier mehrfach zitierte – Trostschrift zu widmen, um sie zu einer guten Erbarn meynung [zu] weysen [..], damit euch kein unrath hievon entsteen mocht. ⁴ Die Trostschrift Josels wurde in der Forschung zwar bereits mehrfach diskutiert,⁵ aber sie verdient im Kontext dieser Arbeit weitere Aufmerksamkeit. Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass das einzige überlieferte Exemplar eine unvollständige, gelegentlich nur in Überschriften verfasste deutsche Fassung war, die beim Straßburger Rat lag. Josel von Rosheim schrieb den Text zunächst auf Hebräisch oder Jiddisch, denn er war für den internen jüdischen Gebrauch gedacht und sollte an unserm sabathen für[ge]lesen [werden], darmit sie als geborne juden erbar und from in der forcht Gottes halten sollen. ⁶ Dann hatte er aber die Schrift ein[er] fromme[n] person in ewer sprach zu deutsch furgeben abzuschreiben. ⁷ Offensichtlich sollte die Obrigkeit ihren Inhalt kennen, damit Josel nicht unterstellt werden könnte, er hätte jemanden geschmäht oder jemandes Ehre verletzt.⁸ Diese Vorgehensweise ist vor dem Hintergrund des Streits der hessischen Juden mit Martin Bucer interessant. Josels Trostschrift ist als Reaktion auf Bucers polemische Publikation zu bewerten, die wiederum eine Reaktion auf die Veröffentlichung der Briefkorrespondenz Bucers mit Landgraf Philipp durch die Juden war.⁹ Bucer und die hessischen Theologen hatten die jüdische Vorgehensweise offensichtlich als Affront empfunden und darauf mit einer Apologie reagiert, welche die Juden in eine nachteilige Situation brachte. Josels Strategie, seine Trostschrift den Obrigkeiten bekanntzumachen, sollte diese Eskalationsspirale
Dies alles geht hervor aus der Vorrede in: Josel von Rosheim: Trostschrift, in: FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 357. Siehe v. a. Ebd. S. 340 – 374; Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 320 f. und 327– 330; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 140 – 143; Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 127– 132. Schreiben Josels von Rosheim an den Straßburger Rat vom 9. März 1541, gedruckt in: Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 327 f. Ebd. S. 328. Vgl. Ebd. Vgl. Kap. 5.2.2.E dieser Arbeit.
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6 Zwischen konfessionellen Fronten
unterbrechen, denn dadurch konnte zumindest verhindert werden, dass Gerüchte über den Inhalt erneut die Gemüter erregten. Er schrieb dazu: Nun will ich solchs mein schreiben diß Buchs, keinem zu schmach oder bosem reden oder seine meynung dahin gleichen, sondern uns zu verantworten. ¹⁰ Auch wollte Josel dadurch den Obrigkeiten vor Augen führen, dass seine Schrift nichts gegen das Christentum oder die christliche Autorität enthielt. Aus diesem Grund hob er darin die Pflicht der Juden gegenüber den Obrigkeiten im Allgemeinen und gegenüber der Stadt Straßburg insbesondere hervor.¹¹ Die Trostschrift war ein Meisterstück einer deeskalierenden Apologie. Sie benannte zwar das Unrecht, das den Juden angetan worden war, vermied es aber gänzlich, die ‚Bösewichte‘ zu diffamieren. Stattdessen versuchte Josel, der jüdischen Leserschaft Trost zu spenden, indem er ihr ‚zeigte‘, dass Gott auf ihrer Seite stehe. Dies tat er u. a., indem er seine ‚Theorie‘ von der guten Herrschaft erklärte, die immer mit Gottes Gnade und mit der Sorge für die jüdischen Untertanen zusammenhänge: Gott [gibt] den großen Heuptern, solchen verstanndt, daß sie auch versteent die h. geschrift, dardurch sie uns wider solche gnediglich erhalten und keren sich nit an alle giftige geschrey über uns; Je großer die herren seint, so großer sie auch gnad von Gott haben, die selben seint auch gegen meniglichen millt etc.¹²
Das so kommunizierte Vertrauen auf Gottes schützende und lenkende Hand war für Josel auch handlungsleitend. Daraus leitete er sowohl die Pflicht der Juden zum Gehorsam gegenüber den Obrigkeiten ab als auch die Empfehlung an seine Glaubensgenossen, [s]eind Fromm und leidend auch so werdend ir vor Martin Butzers rathschlag wol bleiben. ¹³ Schließlich ermutigte Josel die Juden in Hessen zum Beharren in ihrem Glauben und zur Geduld und ermahnte sie gleichzeitig, ihr Verhalten zu ändern, denn er hatte vernommen, jr halten euch gar weltlich mit Reutery(?) und Hochmut, auch einer dem andern nit holdt, und umb sonst feyndtschaft tragen. ¹⁴ Sein Ratschlag an sie bestand also im Grunde darin, sich selbst zu bessern, an den Grundsätzen der Religion festzuhalten und auf Gottes Hilfe zu vertrauen.
Josel von Rosheim: Trostschrift, fol. 7, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 358. Ebd. fol. 20 und 22, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 361 f. Ebd. fol. 19b, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 361. Ebd. fol. 34, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 363. Ebd. fol. 19, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 361.
6.1 Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten
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Trotz Josels Zuversicht verbesserte sich die Situation der hessischen Judenschaft in der Folgezeit nicht. Etwa zwei Jahre nach dem Abfassen seiner Trostschrift, am 1. April 1543, veröffentlichte Philipp der Großmütige eine ‚Erläuterung‘ zur Judenordnung von 1539. Demnach sollten die Juden, die nicht zur Predigt erscheinen, aufgezeichnet werden und der Behandlung durch die Amtsleute übergeben werden. Es sollten auch alle ihrer Bücher einer Untersuchung unterzogen werden. Sie wurden zudem angehalten, einen Eid zu leisten, dass sie nicht gegen die Lästerungs- und Disputationsverbote verstoßen würden. In Bezug auf die Wirtschaftstätigkeit wurde einerseits an das Wucherverbot erinnert, das nun einerseits absolut formuliert wurde (dz sie gar keynen Wucher nemen, wenig oder vil), andererseits wurde ein komplettes Verbot für Handel mit Münzen verhängt. Ferner sollten sich die Juden unter Eid der Einhaltung der Ordnung verpflichten oder schlicht verjagt werden. Zwecks der Überwachung der Einhaltung der Ordnung sollte man schließlich eynen gemeynen Inquisitorem ordenen, welcher zum fürderlichsten in unsern Stetten umbherreiten und daruff sehen und erforschen solle, ob es von Juden und Amptleuten also gehalten werde. ¹⁵ Landgraf Philipp begründete die Verschärfung der Bestimmungen seiner Judenordnung damit, dass seine erste Ordnung verachtet und die christliche Religion dadurch zu Hön und Schimpf verkommen würde.¹⁶ Bereits am 20. August 1542 – also ungefähr ein halbes Jahr zuvor – beklagte sich Philipp darüber, dass „Juden, die sich wegen der hessischen Judenordnung außer Landes begeben und under andere leuthe gewendet haben“¹⁷, Handel mit seinen Untertanen trieben. Indem die Juden das Land also verließen und dennoch die Passfreiheit in Anspruch nahmen, konnten sie sich der Kontrolle der hessischen Amtmänner weitgehend entziehen und ihren Geschäften nachgehen. Als Reaktion darauf befahl der hessische Landgraf die Festnahme und Bestrafung solcher Juden. Neben dem Versuch, die landesherrliche Kontrolle zu restituieren, gab es einen weiteren Grund dafür, dass Philipp eine neue, restriktivere Auflage seiner Landesordnung verabschiedete. Zu Beginn des Jahres (1543) war Luthers judenfeindliche Schrift Von den Juden und ihren Lügen erschienen.¹⁸ Darin lieferte Lu-
Alle Zitate und Inhalte aus der Edition dieser Quelle in: Battenberg: Judenverordnungen, S. 62– 63.Vgl. mit dem zeitgenössischen Druck der Verordnung vom 1. April 1543, in: HStAD, E 3 A Nr. 36/1. Battenberg: Judenverordnungen, S. 62. Zitiert nach Löwenstein (Bearb.): Quellen, Nr. 1326, S. 379 f. Luther: Von den Juden und ihren Lügen,WA, Schriften, Band 53, S. 412– 552. Die Schrift wurde bereits 1542 fertiggestellt und auch die Drucklegung wurde in diesem Jahr begonnen. Publiziert wurde das Werk aber erst 1543. Zu einer neuen Edition siehe Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen. Neu überarbeitet und kommentiert von Matthias Morgenstern, Wiesbaden 20163.
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ther nicht nur eine theologische Wiederlegung der angeblichen jüdischen Schmähungen und Lästerungen gegen Jesus, sondern listete auch eine Reihe von politischen Maßnahmen zum Umgang mit den Juden auf. Diese Maßnahmen fasste er als eine scharffe barmhertzigkeit auf.¹⁹ Philipp von Hessen erhielt sehr rasch zwei Exemplare davon und schrieb Luther schon am 27. Januar, dass er das Buch gelesen und dass es ihm vast wol [gevellet] hatte.²⁰ Nun nahm der hessische Landgraf zwar keine von Luthers Maßnahmen der ‚scharfen Barmherzigkeit‘²¹ in die Erläuterung seiner Judenordnung auf, aber er war davon durchaus beeinflusst.Vor allem seine Befürchtung, dass die christliche Religion zu ‚Hohn und Schimpf‘ durch die Missachtung der Ordnung verfallen könne, scheint von Luthers Werk angeregt worden zu sein.²² Zudem können die Forderung, die Bücher der Juden zu inspizieren, sowie die Verschärfung der Lästerungs- und Disputationsverbote auf viele Aussagen Luthers zurückgeführt werden.²³ Das Werk Von den Juden und ihren Lügen wurde nicht nur vom hessischen Landgrafen, sondern von der Mehrheit im protestantischen Lager positiv aufgenommen.²⁴ Vor allem in Sachsen kam dies zur Geltung. Der sächsische Herzog Johann Friedrich zog eine weitreichendere Konsequenz aus der Lektüre der Schrift und beschloss, das Abkommen über jüdische Geleitsrechte in Sachsen zu kündigen und ein neues, vollständiges Durchzugs- und Aufenthaltsverbot zu erlas-
Luther: Von den Juden und ihren Lügen, WA 53, S. 522– 526. Die Literatur über Luthers Einstellung zu den Juden und über seine Judenschriften ist dermaßen umfangreich, dass sie eine Beschäftigung damit in diesem Rahmen überflüssig macht. Siehe z. B. Osten-Sacken: Martin Luther; Heinz Kremers (Hrsg.): Die Juden und Martin Luther; Kaufmann: Luthers „Judenschriften“; Oberman: Wurzeln des Antisemitismus, v. a. S. 125 passim. Brief Philipps von Hessen an Martin Luther vom 27. Januar 1543, in: WA, Briefwechsel, Bd. 10, S. 258 – 259. Diese enthielt die Verbrennung der Synagogen, die Zerstörung der Häuser der Juden und deren Unterbringung in Ställen, die Konfiszierung des Talmuds und der jüdischen Gebetbücher, ein Lehrverbot für Rabbiner, den Entzug des Geleits, das Wucherverbot und die Güterbeschlagnahme sowie die Nötigung der jungen Jüdinnen und Juden zur Verrichtung körperlicher Arbeit. Vgl. Von den Juden und ihren Lügen, WA, Schriften, Bd. 53, S. 523 f. Der Vorwurf der Lästerung an die Juden war eines der zentralen Themen im Buch. Vgl. ebd. S. 457, 461 f., 479, 481 f., 491 und v. a. 513 – 522. In dieser Hinsicht argumentierte Luther, dass das Disputieren mit Juden ihre Lästerungen nur befördere. Vgl. ebd. S. 481 f. und im übertragenen Sinne S. 462. Siehe z. B. Melanchthons Empfehlung des Werks an Landgraf Philipp von Hessen, vgl. WA 53, S. 414.
6.1 Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten
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sen.²⁵ Zwar begründete der Kurfürst seine Entscheidung u. a. damit, dass Juden in seinem Territorium entgegen der ihnen auferlegten Einschränkungen übernachtet, Handel getrieben, Disputationen gehalten und Gott gelästert hätten²⁶, gleichzeitig aber verwies er ausdrücklich darauf, dass er zur Aufhebung der Passerlaubnis durch die Stadlichen schrifften [veranlasst worden sei (A.S.)], so der Erwirdige vnd Hochgelarte […] Martinus Luther […] wider das verstockte Judenthum, newlichen gethan, vnd im druck, mit bestendigen gründen, der Heiligen Schrifft, hat ausgehen lassen. ²⁷ Scheinbar unabhängig von Luthers judenfeindlichen Werken bestanden antijüdische Tendenzen in anderen lutherischen Territorien. So ist z. B. bezüglich der Situation in Braunschweig bekannt, dass die Stadtgeistlichen bereits ab 1540 „die über Jahre verstummten Ausweisungsforderungen […] wieder“ aufgriffen und ihre antijüdische Rhetorik in den darauffolgenden Jahren immer weiter verschärften.²⁸ Der Braunschweiger Rat kündigte zwar das Wohnrecht der Juden deswegen nicht auf und erneuerte es 1542 sogar. Er reagierte aber zugleich auf den Druck der Geistlichen, indem er „die Lebensmöglichkeiten der Juden [..] ein[engte]“ und u. a. christlich-jüdische Gemeinschaft und jüdische Präsenz an christlichen Feiertagen verbot.²⁹ Dennoch wichen die Stadtgeistlichen nicht von ihrer Maximalforderung ab und begannen ab 1543 auf Luthers Schriften wiederholt hinzuweisen. In den nächsten Jahren wurde die Politik der Stadt gegenüber Juden tatsächlich rigoroser und 1546 erfolgte sodann die Ausweisung.³⁰ Die antijüdische Politik in Regionen, die sich der Reformation anschlossen, kann auch für Württemberg festgestellt werden. Dort begann allerdings die Ver Mandat Johann Friedrichs vom 6. Mai 1543, Druckexemplar CAHJP, D/Sa 1/1. Eine fehlerhafte Edition des Mandats befindet sich bei Burkhardt: Die Judenverfolgungen im Kurfürstentum Sachsen von 1536 an, in: Theologische Studien und Kritiken 70/3 (1897), S. 593 – 598, hier S. 596 ff. Wann wir dann in glaubliche erfarung komen, Das die Juden, berürter vnser jhnen erzeigten, nachlassung, nicht allein, mit dem Passiren, vnd Durchzichen, misbraucht, Sondern nachtlager, darin zu halten, Auch hantirens, Gewerb vnd Artzneytreibens, Vnd darin von ihren irthumben, wider vnsern warhafftigen, Christlichen Glauben, jnn berurten vnsern Landen zudisputiren. CAHJP, D/Sa 1/ 1. Ebd. Bei den „stattlichen Schriften“ handelt es sich auch um Luthers zweite judenfeindliche Schrift, Vom Schem Hamphoras [ = שם המפורשder vollständige (unaussprechliche) Name Gottes], und um Vom Geschlecht Christi, die am 28. März 1543 und also vor dem Erlass des sächsischen Mandats erschien. Vgl. WA 53, S. 573 – 648, hier S. 573. Vgl. Ries: Zur Bedeutung, S. 368. Allgemein über Judenpolitik in dieser Region siehe Dies.: Jüdisches Leben. Ries: Zur Bedeutung, S. 369 f. Ebd. 371 und 374, Dies.: Jüdisches Leben, S. 293 – 298. Ries macht auf ähnliche Vorfälle und Entwicklungen in der Stadt Goslar aufmerksam. Ebd. S. 300 – 301 und Dies.: Zur Bedeutung, S. 374– 376.
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6 Zwischen konfessionellen Fronten
schlechterung der Situation der Juden bereits mit der Rückkehr Herzog Ulrichs I. aus dem Exil 1536.³¹ Am 1. Juni 1536 verabschiedete Württemberg eine repressive Ordnung gegen jüdische Aktivitäten im Territorium.³² Juden durften das Territorium ausschließlich mit einer schriftlichen Erlaubnis der Zentralregierung betreten. Den Untertanen war allerdings verboten, Geschäftsbeziehungen mit Juden einzugehen, und es war ihre Pflicht, ‚unvergeleitete‘ Juden den Amtmännern anzuzeigen, die sie von stund an gefengklich annemen, woluerwart behalten sollten. Den gesetzestreuen Untertanen wurde der Schutz vor jüdischen Klagen versprochen.Verletzungen dieser Pflicht konnten hingegen mit einer Verweisung aus dem Territorium zusätzlich zu Geld- und Haftstrafen enden.³³ Darüber hinaus setzte Ulrich I. benachbarte Herrschaften unter Druck und verpflichtete sie, dafür zu sorgen, dass ihre jeweiligen Juden die Bestimmungen seiner Landesordnung nicht verletzten.³⁴ Zu Beginn der 1540er Jahre ließ Ulrich I. seine Judenfreiheiten vom Kaiser bestätigen und darüber hinaus auf die Gebiete seines Bruders Georg
Über Ulrich von Württembergs Vertreibung durch den Schwäbischen Bund siehe Horst Carl: Der Schwäbische Bund 1488 – 1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation [Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 24], LeinfeldenEchterdingen 2000, S. 443 – 451. Siehe außerdem Dieter Mertens: Württemberg, in: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 2: Die Territorien im Alten Reich, hrsg. von Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarzmaier, Stuttgart 1995, S. 1– 163, hier bes. S. 55 – 81; sowie Eugen Schneider: Art. Ulrich I. (Herzog von Württemberg), in: ADB Bd. 39 (1895), S. 237– 243, Online-Ausgabe: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ulrich_I._(Herzog_von_W %C3 %BCrttemberg)&oldid=1680858 (letzter Zugriff am 11. Juni 2014). Zwar durften Juden schon einige Jahrzehnte lang in Württemberg nicht mehr leben und auch ihre Reise- und Handelsmöglichkeiten in der Region waren stark eingeschränkt. Nachdem es aber in den 1520er Jahren einige Judenaufnahmen in „Dörfern der württembergischen Adelsklientel“ gegeben hatte, sah sich der württembergische Herzog dazu veranlasst, mit neuen Maßnahmen der ‚Judenproblematik‘ zu begegnen. Hauptproblem durch die jüdische Präsenz war das verstärkte jüdische Handelsvolumen im Herzogtum. Als Resultat daraus entstand die Situation, dass manche Untertanen Württembergs bei Juden aus den umliegenden Gebieten verschuldet waren und dass gegen einige von ihnen Prozesse vor den sogenannten ‚fremden‘ Gerichten geführt wurden. Vgl. Lang: Ausgrenzung, S. 54– 64, sowie die oben angeführten Privilegien für diese Region von 1521 (HStA Stuttgart, A 56 Bü 1 Q 5, 1), 1529/30 (ebd. Q 5 und 6) und 1530 (HStA Stuttgart, A 56 Bü 2). CAHJP, Jerusalem, D-Wu-4,1, Bl. 2– 4. Die Bestimmungen in dieser Landesordnung gingen zum großen Teil auf Empfehlungen der württembergischen Räte in einem Gutachten vom 1. Februar 1536 zurück. Siehe HStA Stuttgart, A 56 Bü 4, Q 1. Darin wurde auf die Disziplinierung der Untertanen Wert gelegt. Vgl. Lang: Ausgrenzung, S. 65 – 72. Durch diesen Druck brachte er beispielsweise die Reichsstadt Esslingen dazu, „den [Niederlassungs‐]Vertrag der Juden nicht weiter zu verlängern“. Ebd. S. 69. Dies gab Esslingen in einem Schreiben an den Kaiser von 1544 auch zu. Vgl. HHStAW, RHR, Judicialia miscellanea (= Jud. misc.), 43 (J 3), Konv. 2, Bll. 5 – 7.
6.1 Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten
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von Württemberg ausweiten.³⁵ Dabei agierte der Herzog zwar nicht nach den Empfehlungen Luthers, aber er rechtfertigte seine antijüdische Politik selbst damit, dass er in krafft vnserer religion handele.³⁶ Insgesamt erkennt man in protestantischen Territorien in den 1540er Jahren eine rasche Wendung der Politik gegenüber Juden zum Schlechten. Zwar kann diese nicht auf einen einzigen Faktor zurückgeführt werden, dennoch lässt sich erkennen, dass weite Teile des protestantischen Lagers entweder eine repressive und konditionierte Duldung der Juden oder ein absolutes Verbot jüdisch-christlicher Beziehungen befürworteten. Auch zeichnet sich in dieser Phase ab, dass die Rolle der Theologen bei der Gestaltung der Politik gegenüber Juden größer wurde. Die Bemühungen Josels von Rosheim aus dieser Zeit zeugen davon, dass die Juden den Einfluss der Reformatoren auf die Politik in protestantischen Gebieten erkannten und daher versuchten, ihn zu schwächen. In einem Schreiben vom Mai 1543 wandte sich Josel an den Straßburger Rat und bat darum, Luthers Werke nit zulassen mehr zu trucken. ³⁷ Dabei vermied Josel es, Luther persönlich anzugreifen. Stattdessen argumentierte er, dass Luther durch mameluckische abtrinische juden bewegt worden sei, mit ungeschickten worten gegen die Juden zu schreiben, wiewol er und andere hochgelerten wider uns judischeit nie begert anders, dan das man söll mitleiden mit uns armen tragen. ³⁸ Mit dieser Argumentation gab Josel nicht Luther, sondern den bösen Konvertiten aus dem Judentum die Schuld.³⁹ Zudem kritisierte Josel das grob unmenschlich buch, weil daraus die einfachen Leute die falsche Konsequenz ziehen würden, man wird und soll uns thodt schlagen. Der jüdische Wortführer bat um die Verhinderung der Verbreitung dieser Lügen also deswegen, damit wir armen nit durch unverstendige mechten beschedigt werden. ⁴⁰ Der Rat folgte dieser Bitte und verbot den Druck.⁴¹ Am 11. Juli überreichte Josel dem Straßburger Rat ein weiteres Schreiben, in dem er Luthers diffamierenden Aussagen über die Juden, ihre Religion und ihren Kultus widersprach. Es scheint dabei, dass Josel zunächst daran interessiert war, HStA Stuttgart, A 56 Bü 6, Q 1, Bll. 2r–6v. CAHJP, Jerusalem, D-Wu-4,1, Bl. 4. Josel von Rosheim an den Straßburger Rat vom 28. Mai 1543, gedruckt in: Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 330 – 332, hier S. 331.Vgl. auch die Abschrift in: CAHJP, P 17/177, S. 190 – 193. Ebd. Mit den „abtrünnigen Juden“ meinte Josel vermutlich Pfefferkorn und Margaritha. Letzterer wird später im Schreiben nochmals als Feind der Juden erwähnt. M. E. kann man hier argumentieren, dass Josel an die zeitübliche Herrschaftskritik anknüpfte, die nicht den Herrscher selbst, sondern dessen Berater böser, illegaler und illegitimer Absichten bezichtigte. Josel von Rosheim an den Straßburger Rat vom 28. Mai 1543, gedruckt in: Breßlau: Straßburger Judenakten, S. 331. Vgl. dazu die Abschrift des Protokolleintrags von M. Stern, CAHJP, P 17/177, S. 194.
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dem Rat Argumente zu liefern, mit denen er das Verbot rechtfertigen konnte. So begann er seine Argumentation mit der Schilderung der Auswirkungen der Schrift Von den Juden und ihren Lügen. Ähnlich wie in seinem Brief vom Mai schrieb Josel auch hier, dass Luthers publizierte Meinung einen Unrechtszustand herbeiführe, bei dem die Juden praktisch für vogelfrei erklärt würden. So schilderte er, dass der gemein man offenbore sagen und rümen, so man ein Juden an Leib oder gutt bischedigen, würdt im verzihen, dan doctor morti luther het solche meinung in seinem truck lossen uß geen, auch bifolhan zu bredigen. ⁴² Demnach führe die Verbreitung der Schrift dazu, dass Christen gegen Recht und Herrschaftsnormen verstießen. Dadurch würden nicht nur ein uff rur und ein gwalt […] wider alli lands frieden verursacht, sondern auch eine Verletzung der den Juden verliehenen kaiserlichen Freiheiten und Schutzversprechungen. Mit dem Verweis auf den Frieden bedankte sich Josel im Namen der Judenschaft dafür, dass der Rat den Druck dieser Schrift verhindert hatte. Obwohl Josel also in seinen Argumentationen an zeitgenössische Topoi anknüpfte, war er auch hier darauf bedacht, keine Eskalation herbeizuführen und die Gemüter nicht zu erregen. Dennoch führte er in seinem Schreiben Beispiele aus der Heiligen Schrift an, die Luthers Urteile über die Juden entwerten und diskreditieren sollten.⁴³ So schreibt er beispielsweise, dass Gott selbst, der alli menschen gdancken weiß, wolt Stom und Amorra [=Sodom und Gomorrha] nicht verfolgen, ohne die Gerüchte über die schweren Sünden überprüfen zu lassen. Dies kommentiert Josel mit der Bemerkung: Wie kan doctar Marti, der keines mensche gdancken weiß ob er andechtig, wo oder weit von got ist, also unferhordt [unverhört] ein gantze Cumon der Jüdischeidt gmeinlich unter stedt [=untersteht] zu vertilgen […] Ire hofennung und drost [Trost] on all forcht absagen alß so er von got uß gisandt were solche biffelch zu sagen.⁴⁴
Dieser Logik folgend konnte Josel argumentieren, dass die Juden vom Recht oder vom Landfrieden nicht auszuschließen seien, nur weil sie nit glauben wolten, waß Marti luter glaubtt. ⁴⁵ Die Obrigkeit sollte, so Josel weiter, ihre Untertanen vor Luthers Aussagen bewahren, denn er predige auch gegen andere, die nach seinem Urteil daß kalb vonn Aron anbeten – womit er die Katholiken meinte.⁴⁶ Dieses
Josel von Rosheim an den Straßburger Rat vom 11. Juli 1543, gedruckt in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 400 – 408, hier S. 401. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 402. Ebd. Ebd. S. 403. Vgl. Ebd. S. 399.
6.1 Die Verschlechterung in Territorien evangelischer Fürsten
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aufrührerische Potential sei zudem umso gravierender, denn Luther schreibt klorlich, so die Oberkeit nit drin wolt sehan, soll ein jder pffarher dem gmein Man sein vor nehmen wie ghordt predigen und verkünden. ⁴⁷ Neben der Diskreditierung von diffamierenden Argumenten in Luthers Schriften und neben der Darstellung eines Bedrohungspotenzials verfolgte Josel eine weitere rhetorische Strategie. In seinen Entgegnungen auf Verleumdungen in Luthers Vom Schem Hamphoras erklärte er, seine Glaubensgenossen beteten alle gmeinlich in unsserem gbett, Got sol sich uber unß und alli krautauren erbarmen, daß er unß seine geist ingeben, domit [w]ir i[h]n worhafftig erkenen mogen, seinem willen zu thon. ⁴⁸ Damit konstruierte Josel eine Gemeinschaft aller Menschen, die gemeinsam bzw. gleichzeitig nach Gotteserkenntnis strebe. Die Juden täten dabei nicht nur für die eigene Erlösung, sondern auch zugunsten der Christen Fürbitte. Nachdem Josel eine ausführliche Entgegnung auf Luthers scharfe Rhetorik geliefert und die Haltung des Straßburger Rats mit Rechtfertigungen bestärkt hatte, versuchte er, dessen Unterstützung für sein weiteres Vorgehen zu gewinnen. Dieses bestand darin, das Verbot der Verbreitung von Luthers neuen ‚Judenschriften‘ auch in anderen protestantischen Gebieten zu erwirken. Er bat den Rat darum, seinen Einfluss innerhalb des protestantischen Lagers insgesamt und im Schmalkaldischen Bund insbesondere zugunsten der Juden zu nutzen, damit ihre Rechte und ihr Schutz wiederhergestellt würden.⁴⁹ In diesem Zusammenhang berichtete Josel, dass er seine Bitte überreiche, die weil aber nun itzundt meine brüder umb solche uß gangene truck an etliche Orten in Mayssen und in brunswiger oberkeiten und […] an fil orten hart beschwert, bra[u]bt, veriagt und an iren leib und güttern gischedigt worden.⁵⁰
Das Schreiben war also nicht ausschließlich als eine Verteidigungsschrift konzipiert, sondern diente zugleich als ein Ersuchen um Hilfestellung im geplanten Vorgehen Josels gegen Luthers ‚Verleumdungsschriften‘.⁵¹ Der Rat der Stadt
Ebd. 403. Ebd. 403 – 405, Zitat auf S. 405. Der Rat sollte laut Josel so gnedig sein und bey dem Durch lochtigsten hochgeborne Chur fürsten und fürsten, Sachsen und Hessen [ansuchen (A.S.)], daß ire F[ürstlichen] G[naden] ein gnediges insehans weln mit sampt andern punds genossenn […] der mossen daß man unß arme itze in disse geschwinde lauffe bey ire for gigebne Drost und schirm gnediglich lossen bleiben, on alli Naüerung. Ebd. S. 405. Ebd. Es muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass viele Formulierungen in dieser Supplikation an Aussagen aus Josels Trostschrift erinnern. So schreibt er über die guten Herrscher, die uß fil irem hohen verstandt […] unß arme gnediglich schirmen und bleiben lossen und gar kein Nauerung wider
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6 Zwischen konfessionellen Fronten
Straßburg enttäuschte Josels Erwartungen zwar nicht gänzlich, denn er beschloss, dass Luthers antijüdische Werke auch in Zukunft in der Stadt nicht gedruckt werden durften.⁵² Dennoch wollte er sich nicht bei anderen Obrigkeiten zugunsten der Juden verwenden und schlug Josel stattdessen vor, er moege den churfürsten, Pfaltzgraven und anndere ihr oberkeiten [direkt (A.S.)] ahnsuchen. ⁵³ Josel ließ sich von dieser Verweigerung einer aktiven Hilfestellung nicht entmutigen und wandte sich zwei Monate später erneut an den Rat, als ihn Beschwerden der hessischen Juden erreichten. Zwar benutzte er die gleiche versöhnliche und für christliche bzw. obrigkeitliche Ohren vermutlich gefällige Rhetorik⁵⁴, doch milderte er seine Bitte an den Straßburger Rat stark ab. Diesmal ersuchte er ihn nicht um eine Intervention, sondern lediglich um ein Empfehlungsschreiben für den Landgrafen von Hessen, wie es ihm vorher bereits gegeben worden war, weil er gegen hochgedochtem fürsten nit bekannt sei.⁵⁵ Nun zeigt sich in der Antwort des Rats, dass er nicht länger gewillt war, selbst dieser einfachen Bitte zu entsprechen. Seine Erwiderung war kurz und forsch: Josel solle den unterelsässischen Landvogt als seine Obrigkeit anschreiben.⁵⁶ Die Ablehnung dieses Gesuchs deutet darauf hin, dass auch der Straßburger Rat von der judenfeindlichen Stimmung im protestantischen Lager erfasst worden war. Für Josel von Rosheim bedeutete dies zugleich den Verlust eines Verbündeten. Aus den hier beschriebenen Aktivitäten des jüdischen Anführers lässt sich feststellen, dass die Tendenz zur Verschlechterung der Lebensumstände der Juden unter protestantischen Obrigkeiten bis Ende 1543 einen Höhepunkt erreichte. Unter diesen Bedingungen blieben den Juden immer weniger Handlungsmöglichkeiten gegenüber den protestantischen Herrschern offen. Abgesehen von eiunß armen vor zu nehmen [haben] wie dan alle K[aiser], konige, Chor fürsten und fürsten […] der selbigen […] gnediglich ghalten und halten, daß selbig auch zu gnissen. Wie daß selbig E.G. und allen hoch gdachten usz angebornar grechtickeit selbst zu thon woll wissen werden. Ebd. S. 407. Dies erfährt man aus einem Vermerk im Stadtprotokoll. Vgl. Ebd. S. 400; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 157 und den Vermerk in: CAHJP, P 17/177, S. 195: man werde sich ihr wider den Luther nicht beladen, selber auch hie nichts trucken lassen. CAHJP, P 17/177, S. 195. So schreibt er beispielsweise über den Landgrafen von Hessen, er habe gehört, dass der hochgedacht fürst ein hohen verstandt inn der heiligenn schrifft hatt, auch ein gnediger berumpten fürst ist, der selbs gern eins yeden antwort unnd entschuldigung zu hören geneigt sei. Bitte Josels von Rosheim an den Straßburger Rat umb furdernuss an den Lendtgraven zu Hessen vom September 1543, CAHJP, P 17/177, S. 209 – 211, hier S. 209 f. Zudem begründete er seine Bitte damit, [d] wyl nun das göttlich und natürlich gesatz usswyset, das ein yedes gottsförchtig mensch seinem nechsten menschenbild kein erger oder leyds offenbar oder heymlich solt zufügen, sonder zu schirmen pflichtig ist. Ebd. S. 210. Ebd. Antwort des Rats vom 5. September 1543, ebd. S. 212.
6.2 Neue Herausforderungen in altem Gewand in katholischen Regionen
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nigen klugen sprachlichen Strategien scheinen die Juden keine spezielle Antwort auf die politischen Herausforderungen von Seiten der protestantischen Fürsten und Theologen gefunden zu haben. Bedenkt man, dass dieses Problem eng mit Tendenzen zur Territorialisierung zusammenhing, blieb den Juden nur der Ausweg, nach umfassenden Antworten auf Reichsebene zu suchen.
6.2 Neue Herausforderungen in altem Gewand in katholischen Regionen Im Gegensatz zur zunehmenden Tendenz der Verschränkung von theologischen Überzeugungen und judenfeindlicher Politik im lutherischen Lager scheint im katholischen Bereich keine kohärente Korrelation zwischen der offiziellen Theologie und antijüdischen Vorfällen zu bestehen. Diese wirken bei oberflächlicher Betrachtung ‚lediglich‘ als tradierte Formen des mittelalterlichen Judenhasses. Dennoch hinterließ der konfessionelle Streit im katholischen Lager gewisse Spuren in der Haltung gegenüber Juden und der Begründung judenfeindlicher Politik. Ein markantes Beispiel für eine tradierte Verfolgungsbegründung, die aber noch durch den konfessionellen Streit erhitzt wurde, ist der Fall einer Blutbeschuldigung, der sich 1540 in einem Dorf namens Sappenfeld bei Eichstätt ereignete. Kurz vor Ostern verschwand ein Knabe aus dem Dorf, und als wenige Tage später seine geschändete Leiche in der Nähe des benachbarten Dorfes Titting gefunden wurde, fiel der Verdacht auf die dort wohnenden Juden. Auf Befehl des Eichstätter Bischofs sollten alle Juden der Region verhört werden.⁵⁷ Da soweit ersichtlich keine amtlichen oder gerichtlichen Akten zu diesem Fall überliefert sind, ist zu vermuten, dass der Prozess im Sand verlief.⁵⁸ Überliefert ist der Fall v. a. durch zeitgenössische publizistische Schriften. Eine der zentralen Quellen in diesem Zusammenhang ist die Schrift des Ingolstädter Theologen Johannes Eck⁵⁹, die wichtige Informationen zu den Vorgängen und dem Ablauf der Ereignisse enthält. Von Eck erfährt man, dass zwei der verhörten Juden zu ihrer Vernehmung eine Verteidigungsschrift mitbrachten, die von einem christlichen Gelehrten verfasst worden sein und die Unschuld der Juden bzw. die Falschheit
Dies weist eine verblüffende Ähnlichkeit zu den Ereignissen in Berlin 1510 auf. Siehe dazu Kap. 3.2. Vgl. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 180 – 181; Hsia: Myth, S. 124– 131; Johann Christian Freiherr von Aretin: Geschichte der Juden in Baiern, Landshut 1803, S. 44– 49 und FraenkelGoldschmidt: Historical Writings, S. 244– 248, die die bessere Fallrekonstruktion liefert. Eck: Ains Juden büechlins verlegung, Ingolstadt 1541 [VD 16 E 383].
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6 Zwischen konfessionellen Fronten
der Blutbeschuldigung beweisen sollte. Bei dieser Verteidigungsschrift handelt es sich zweifellos um das in der Forschung als ‚Andreas Osianders Schrift über die Blutbeschuldigung‘ bekannte Traktat von 1529.⁶⁰ Interessant in diesem Zusammenhang sind folgende Aspekte: 1. Die Juden besaßen ein Druckexemplar der Schrift. Die Originalfassung wurde jedoch nur handschriftlich und in Form eines Briefes verfasst. Der Autor lehnte eine Veröffentlichung ab und machte die Offenlegung seiner Meinung sogar davon abhängig, dass sein Adressat sie nicht in Druck geben würde.⁶¹ Es ist nicht bekannt, wie diese Schrift in die Hände der Juden gelangte und wer sie drucken ließ. Es ist durchaus möglich, dass die Juden selbst den Druck in Auftrag gaben. Damit würde ihre Vorgehensweise jener der hessischen Juden ähneln, die die Briefkorrespondenz Martin Bucers mit dem hessischen Landgrafen in Druckform publik machten. Wenn diese Annahme stimmt, kann man sogar davon ausgehen, dass die Veröffentlichung von Schriftstücken christlicher Herkunft, die ‚projüdische‘ Positionen enthielten, zu einer
Vgl. M. Stern: Andreas Osiander; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, 158 – 160, und 246 f.; Rowan: Luther, Bucer, Eck, S. 85 f., sowie die Literatur und Ausführungen in Kapitel 4.2.3. Meines Erachtens bestehen immer noch erhebliche Zweifel bezüglich der Identität des Autors. Der einzige Beleg für diese Annahme ist die Vermutung bzw. Verdächtigung Ecks, es sei Hosander oder ain ander Luterischer verfierer, der die Schrift verfasste. Eck: Ains Juden büechlins verlegung, Bl. D4r. Eck und Osiander hatten in den Jahren vor 1540 einige öffentlich ausgetragene Streite über Fragen der Kirchenordnung und Katechismuspredigten geführt, wodurch sich erklären würde, warum Eck den Nürnberger Reformator beschuldigte.Vgl. Osiander: Gutachten zur Blutbeschuldigung, in: OGA, Bd. 7: Schriften und Briefe 1539 bis März 1543, S. 218, Anm. 5. Einzig eine Aussage Ecks in einem Brief vom 22. Februar 1542 an Pfalzgraf Ottheinrich scheint seinem Verdacht eine glaubwürdige Grundlage zu geben. Darin berichtete Eck, obs aber Hosiander [die Schrift verfasst (A.S.)] hab, ist das durh herr Hunger von Parspergs juden, die sollich buechlin geantwurt haben, anzaigt worden seinem richter. Zitiert nach Theodor Kolde: Zwei Briefe von Johannes Eck, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 7, Erlangen 1901, S. 225 – 232. Allerdings wird die Richtigkeit dieses indirekten Hörensagens auch von Brigitte Hägler bezweifelt, die nach einer umfassenden Untersuchung der Frage nach der Autorenschaft der Schrift eingesteht, dass „die Verfasserschaft Osianders […] nicht als restlos gesichert gelten kann.“ Brigitte Hägler: Die Christen und die Judenfrage. Am Beispiel der Schriften Osianders und Ecks zum Ritualmordvorwurfs, Erlangen 1992, S. 28 – 38. …ich [schreibe] nicht offenlich an yederman, sonder in gehaim an euch allein […], der ir mein schrifft, wo sie zur sache nicht dienstlich oder yemand beschwerlich und ergerlich oder aber mir selbs nachtaylig sein moecht, wol koendt und billich solt in gehaim behalten und untertrucken, wie ich mich on das in allweg versihe, so wurd ich widerumb kün und můtig und hab lust, gegen eur E. achtbarkait mein maynung zů entdecken… Andreas Osiander: Ob es war und glaublich sey, daß die Juden der christen kinder heymlich erwürgen und ir blut gebrauchen, in: OGA 7, S. 216 – 248, hier S. 224.
6.2 Neue Herausforderungen in altem Gewand in katholischen Regionen
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geregelten Handlungsoption für Juden in ihren politischen Aktionen geworden war. Wie Bucer vor ihm war auch Eck durch die Bekanntgabe der Schrift dazu angeregt worden⁶², eine apologetisch-polemische Entgegnung zu veröffentlichen. Es war also der jüdische Versuch, ‚Propaganda‘ mithilfe der neuen Druckmedien zu betreiben, der den Auslöser für die öffentliche Auseinandersetzung dieser Autoren mit dem Rechtsstatus der Juden bildete. Zwar war der Hauptzweck Ecks die Widerlegung der Argumente aus der Schrift von 1529, die die ‚Faktizität‘ der Blutbeschuldigung bestritten. Eck scheute sich allerdings nicht, fast alle tradierten Vorurteile und üblen Gerüchte über Juden aufzuzählen, um die Wahrheit der Beschuldigung zu ‚beweisen‘.⁶³ Zusätzlich listete er eine Reihe von Voraussetzungen auf, unter denen seiner Meinung nach die Juden überhaupt zu tolerieren seien⁶⁴ – dies ist eine weitere Übereinstimmung mit Bucers Reaktion. Damit kursierten im gleichen Zeitraum zwei Druckschriften, die nicht nur diffamierende Elemente gegen die Juden, sondern auch Vorschläge zur Einschränkung ihrer Rechte und Lebensbedingungen enthielten. Hinzu kommt, dass die Autoren dieser Traktate zwei hochangesehene und politisch einflussreiche Theologen waren, und zwar in ihrem jeweiligen konfessionellen Lager – Bucer im Protestantismus und Eck im Katholizismus.⁶⁵ Antijüdische Meinungen, Vorurteile und Beschuldigungen konnten sich daher über die Konfessionsgrenzen hinweg verbreiten. Nachdem in den 1530er Jahren Vor-
Eck bekam laut eigener Aussage die Schrift von Albrecht von Leonrod, fürstlicher Hofmeister des Bischofs von Eichstätt, und sollte ein Gutachten schreiben, ob der richter ain grund seins fürnemmen hett. Eck: Ains Juden büechlins verlegung, Bl. A3r. Vermutlich erweiterte er später das Gutachten zu einem Traktat, das er im Folgejahr veröffentlichte. Darauf deuten zum einen Ecks Aussage, das habe ich in der eil gethan (Ebd.), und zum anderen die Widmung der Schrift, die erst auf den 16. September 1541 datiert war, also über ein Jahr nach den Ereignissen in Sappenfeld. Rowan: Luther, Bucer, Eck, S. 86 charakterisiert das Werk aus diesem Grund als ein „compendium of every horror story medieval anti-Jewish polemic could encompass“. Darunter waren einige bekannte Repressalien zu finden: Verbote für Juden, ein christliches Amt auszuüben, ihre Häuser in der Karwoche zu verlassen, Gewerbe oder Wucher zu treiben, christliche Dienstboten zu beschäftigen, Christen zu heiraten oder gegen Christen vor Gericht als Zeugen auszusagen. Außerdem sollen sie Predigten hören, von ihren Besitztümern den Zehnt abgeben und Zeichen auf ihren Kleidern tragen. Eck: Ains Juden büechlins verlegung, Kap. 23, Bll. X3v–Y2v. Eine vollständige Liste dieser Bedingungen findet sich bei Aretin: Geschichte, S. 48 f. Johannes Eck war vor allem in seiner Rolle als Hauptkontrahent und Widersacher Luthers hochangesehen. Zu Eck allgemein siehe z. B. den Sammelband von Jürgen Bärsch und Konstantin Maier (Hrsg.): Johannes Eck (1486 – 1543). Scholastiker – Humanist – Kontroverstheologe [Eichstätter Studien, N.F., Bd. 70], Regensburg 2014, darin v. a. den Beitrag von Volker Leppin: Luther und Eck – Streit ohne Ende? S. 131– 160.
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würfe wegen angeblicher jüdischer Ritualmorde an christlichen Kindern in den deutschen Territorien des Reichs weder zu Prozessen noch zu Verfolgungen geführt hatten⁶⁶, war es umso gefährlicher für die Juden, dass das Thema der Blutbeschuldigung nun erneut in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt wurde. Es ist kaum zu übersehen, dass der Konfessionsstreit hier eine erhebliche Rolle spielte. Eck machte in seiner Schrift seine Meinung deutlich, dass ein Lutheraner hinter der ‚Lügenschrift‘ stand.⁶⁷ Dies motivierte ihn vermutlich umso mehr, die Angriffe auf die Juden zuzuspitzen, um die Haltlosigkeit der ‚judengönnerischen‘ Behauptungen des Verführers aus dem protestantischen Lager zu unterstreichen. Seine Diffamierung des lutherischen Judenbegünstigers sollte dabei die Gefährlichkeit der Protestanten insgesamt unterstreichen.⁶⁸
Obwohl der Prozess letztendlich fallen gelassen wurde, mussten die Juden sich gegen die Beschuldigungen verteidigen. Josel von Rosheim berichtete, dass er zu Hilfe gerufen worden war und sich mit großem Aufwand beim Herzog Ottheinrich von Pfalz-Neuburg und den Grafen zu Pappenheim für die Freilassung der festgenommenen Juden hatte verwenden müssen. ⁶⁹ Die Herren von Pappenheim, in
Es ist mindestens ein Fall aus dem vorderösterreichischen Amt Ensisheim im Oberelsass überliefert, bei dem zwei Juden 1537 beschuldigt wurden, ein christliches Kind in ihrem Haus eingesperrt und Blut von ihm genommen zu haben. Das Regiment sah allerdings die Vorwürfe nicht als erwiesen an, sondern verdächtigte die Familie des Kinds, das noch lebte, dass sie die Juden, mit denen sie in Konflikt stand, durch falsche Beschuldigungen aus dem Weg zu räumen versuchte. Anstatt eines verschärften Verhörs der Juden ordnete die Regierung an, dass das Kind von seiner Familie entfernt und zwecks der Ermittlung des Tathergangs erneut befragt werde. Nachdem die Schuld der Juden nicht nachgewiesen werden konnte, ließ man sie nach der Leistung einer Urfehde wieder frei.Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA Karlsruhe), 79 P 12, Nr. 2, Bll. 73r–74r. Eck schreibt zudem, dass er die Aufgabe der Widerlegung der Schrift nicht zuletzt gern than, weil der Richter öffentlich bekanntgab, dass der Verfasser der Verteidigungsschrift sey ain Luterischer predicant. Eck: Ains Juden büechlins verlegung, Bl. A3r. So schreibt Eck schon in der Einleitung, wie der Judenuater zu hon vnd spot vnsers glaubens beschuldigt, als thüen sie den Juden vnrecht wider das göttlich, natürlich, vnd geschriben recht: So doch er der oberkait vnd richtern, Künigen, Fürsten, Herren vnd Burgern sollich tyrranney fälschlich zu mißt, vnd jederman schmächt, allain das er die Jude[n] schön darunder mach. Ebd. Vgl. auch Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 247. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 331 f., hier S. 332. Auf Seite 248 weist Fraenkel-Goldschmidt darauf hin, dass Josel die Ereignisse auf das Jahr 1541 datiert. Eine überzeugende Erklärung für diese Spätdatierung – der Fall ereignete sich zweifelsfrei 1540 – findet sie aber nicht. Andere Autor*innen liefern keine Informationen zu dieser Frage.
6.2 Neue Herausforderungen in altem Gewand in katholischen Regionen
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deren Herrschaftsbereich die Leiche des Knaben gefunden worden war, kommen zwar in den christlichen Quellen nicht vor. Laut Josel spielten sie jedoch eine wichtige Rolle, weil sie die Freilassung der in Haft gehaltenen Juden ablehnten. Aus diesem Grund eröffneten die Juden aus Schwaben einen Prozess gegen sie vor dem Reichskammergericht. Relativ bald darauf mussten sie sich aber aus der Angelegenheit zurückziehen und Josel das Verfahren alleine fortführen lassen.⁷⁰ Vermutlich befürchteten sie, dass der Prozess sich zu einer Verfolgungswelle entwickeln und sie selbst erfassen würde.⁷¹ Es ist daher anzunehmen, dass Josel von dieser Judenschaft zu Hilfe gerufen wurde, als Schwierigkeiten auftraten, wegen derer die schwäbischen Juden ihr Engagement einstellen mussten. Über die Verhandlung vor dem Reichskammergericht ist wenig bekannt. Allerdings sind Supplikationen und Mandate aus dieser Zeit überliefert, die mit der Streitsache im Zusammenhang zu stehen scheinen. So verhält es sich mit dem Mandat, das König Ferdinand am 24. Juli 1540 an den verwalter des Kay. Cammerrichterampts vnnd […] den Beysitzernn des Kayserlichen Cammergerichts erließ. Darin befahl er dem Gerichtsdiener, den Juden zu ihrem Recht zu verhelfen.⁷² Nach dem Wortlaut des Mandats beschwerten sich die Juden beim König, dass ein rechtswidriges Verfahren gegen sie geführt würde, das die Privilegien und Schutzversprechungen von Kaisern und Päpsten verletze, und zwar: an den enden, da sy heuslich gesessen vnd wonnen, gnugsame vorgennde erkhundigung mit der that gegen jnen nit verfarn, oder gehandelt werden solte, so würde doch an mehr orthen solichen begnadung vnd freyhaytten zu wider gehandelt vnd vnuerdienter sachen gegen innen mit venncklicher [=Gefängnis (A.S.)] annemung peinlicher frag vnd in ander weg handt angelegt.⁷³
Die Klage beschränkte sich allerdings nicht nur auf die rechtswidrige Behandlung durch ihre Verfolger, sondern bemängelte auch, dass das Gericht seinen Pflichten
Ebd. S 332. In vielen Fällen der Blutbeschuldigung hatten Judenschaften in Nachbarregionen unter der Ausweitung von Beschuldigtenkreisen zu leiden. Vgl. den Fall von Berlin 1510, Kap. 3.3 und den Fall von Pösing, Kap. 4.2.3. [W]an ir von gedachter Judischait sament oder sonnderlich, oder irenn Beuelchhabern mit einicher beschwerht, das die wider obberuerte ire habende freihaiten oder ordenliche recht belaidiget vergwaltiget oder beschwerdt inn was gestalt oder wege solchen beschehen mochte angesucht werdet, ds ir dan demselben jeder Zeit auf ir clag ausprach vnd vordrung ordenlich vnd gepurend recht inhalts des Camergerichts ordnung gestattet vnd furderlich verhelffet. Mandat Ferdinands I. vom 24. Juli 1540, HHStAW, RHR, Jud. Misc. K 41/1, Bll. 9r–10v. Ebd. Bl. 9r.
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nicht nachgekommen war⁷⁴, weshalb die inhaftierten Juden eine langwierige Gefangenschaft erdulden mussten.⁷⁵ Erst durch die Intervention von König Ferdinand konnten die Juden (bescheidene) Erfolge erzielen. Die Nutzung der Schrift gegen die Blutbeschuldigung konnte hingegen anscheinend nichts bewirken, weshalb Josel von Rosheim vermutlich darüber nichts berichtete. Auch Fälle der Kodifizierung des Judenrechts in katholischen Gebieten weisen z.T. konfessionalisierende Hintergründe auf. Dies war der Fall im Amt Ensisheim im Oberelsass, wo man in den 1540er Jahren begann, die Juden als Problem zu betrachten. Zwar bewilligte man über Jahre hinweg viele der jüdischen Gesuche – z. B. hob man die Pflicht auf, in Städten, Dörfern und Märkten den gelben Ring zu tragen⁷⁶; man ließ auch keine unrechtmäßigen Verfolgungen wegen angeblicher Ritualmorde zu⁷⁷ und erlaubte den Aufbau von lokalen Organisationsstrukturen⁷⁸ –, doch gleichzeitig ergriff man Maßnahmen gegen die wachsende Zahl der Juden in diesem Gebiet.⁷⁹ Diese Bemühungen der vorder-
Dies war weder das erste noch das letzte Mal, dass die Juden sich an den Kaiser oder dessen Bruder wandten, damit dieser das Reichskammergericht an seine Verpflichtungen erinnerte. Ein früherer Fall ereignete sich im Januar 1533 – die Begleitumstände sind unbekannt – und ein späterer erfolgte am 24. Mai 1541, als König Ferdinand dasselbe Mandat auf eine wiederholte Klage der Juden hin (Supplikation vom 12. Mai 1541) auf dem Reichstag in Regensburg erneuerte. Vgl. HHStAW, RHR, Jud. Misc. K 41/1, Bll. 7, 8 und 11r-v. Die inhaftierten Juden mussten mindestens bis Ende Juli in Haft bleiben. Vgl. Abschn. 24, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 332. Die Aufhebung galt aber nicht auf dem Land und unterwegs. Vgl. das Schreiben des vorderösterreichischen Regiments an die Regierung in Ensisheim vom 16. Mai 1536, GLA Karlsruhe, 79 P 12, Nr. 2, Bl. 30v. Vgl. GLA Karlsruhe, 79 P 12, Nr. 2, Bll. 73r–74r. Hinweise darauf liefern die erfolgreichen, alle Juden des Oberelsasses betreffenden Supplikationen gegen unrechtmäßige Behandlung und Neuerungen vom 27. Februar 1539, die die korporative Struktur dieser Judenschaft zum Vorschein bringen. Auch die gewährte Bitte um eine Niederlassungserlaubnis für einen Rabbiner samt Frau und Kindern als Lehrer für die jüdischen Kinder in der Region deutet darauf hin. Vgl. Ebd. Bll. 146v–147r. Die bestehenden Organisationsstrukturen könnten als Grund dafür angesehen werden, warum die Angelegenheit nicht die Reichsebene erreichte. Bereits 1536 gab es erste Schritte in diese Richtung: [D]ieweil sein Mt. bericht sey, wie vor Jaren in den vordernösterreichischen Landen gar wenig Juden gewesen yezo aber vil worden seyen, welhes seiner Ku. Mt. vnderthanen zu merkhlicher beswer vnnd verderben raiche, dz Jr Euch erkündigen, wie uil Juden in Vorlanden yezund wonhafft vnd der Juden freyhaitten für Euch nehmen, ermessen, dieselben in welhen artiggln die leidlich vnnd vnleidlichen seyn, Ainen Ratslag darüber verfassen dergestalt, welhe aritggl den Juden zuzulassen vnnd wil auch welhergestalt Inen ain newe freyhait gegeben, auch in was anzal Sy geduldt werden mochten, vnd des alles seiner Mt. auf ferrern beuelh vnnd wolgefallen zuberichten. Ebd. Bl. 30v. 1539 folgte die Errichtung einer königlichen Kommission, die ermitteln sollte, wieuil Juden vor etlichen Jaren daselbst zu Ennßhaim vnd in vorlannden
6.2 Neue Herausforderungen in altem Gewand in katholischen Regionen
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österreichischen Regierung führten schließlich zu Einschränkungen der Judenrechte in der Region.⁸⁰ Das Ergebnis der Auseinandersetzungen darüber kann durchaus als vom ‚Geiste des (Früh‐)Konfessionalismus‘ geprägt charakterisiert werden.⁸¹ Darin wurden nicht nur die üblichen Wohn- und Wirtschaftsrechte oder der Umgang der Juden mit der christlichen Umwelt geregelt, sondern auch jüdische Religions- und Kultangelegenheiten kontrolliert und überwacht, sodass hier von einer interreligiösen Sozialdisziplinierung gesprochen werden kann.⁸² gewesst, vnd vmb wieuil sich dieselben gemert haben, welher gestalt auch seiner Ku. Mt. vnderthanen von den Juden bißher beschwerdt worden seien, vnd alßdann ainen Ratschlag darüber zuuerfassen, durch was mitl vnd wege der vnderthanen obligen vnd beschwerung abgestellt oder gemiltert werden muge. Ebd. Bll. 152rf. (März 1539). Vgl. die Schriftstücke für die Jahre 1542– 1545, ebd. Bll. 268v–269v, 376r und 397rf. Mit ‚Konfessionalismus‘ bzw. ‚Frühkonfessionalismus‘ ist hier das Phänomen gemeint, dass Fürsten ihre Politik, ihren Herrschaftsbereich und das territoriale Recht so umgestalteten, dass dadurch die jeweilige ‚Leitkonfession‘ als alleinig sichtbare zur Geltung kam. Dies bedeutet, dass gleichzeitig andere Konfessionen oder religiöse Gruppen durch Einschränkungen und eine restriktive Kontrolle möglichst verdrängt und unsichtbar gemacht wurden. Eine weitere Eigenschaft derartiger Politik ist, dass sie stark durch die Konkurrenzsituation der Konfessionen motiviert war. In Bezug auf die Gestaltung des Judenrechts heißt das, dass nicht die Rechte der Juden selbst Objekt der Gesetzgebung waren, sondern dass das verfolgte Ziel die Sicherung des Status der eigenen religiösen Lehre und die Bewahrung der Untertanen vor fremden Einflüssen und Verführungen (durch Juden) war. Dies bedeutet wiederum, dass die Juden lediglich als Projektionsfläche für eine ‚konfessionalisierende Innenpolitik‘ und gewissermaßen für die Austragung der interkonfessionellen Rivalität dienten. Beispiele dafür sind die bereits besprochene Judenordnung Hessens und die hier angesprochene Ordnung für das Oberelsass. Soweit ersichtlich gibt es noch keine Studien, die die Implikationen der Konfessionalisierung (nach Schilling und Reinhard) für Minderheiten und die Bedeutung von Minderheiten für die Konfessionalisierung(‐sthese) in der Frühphase behandeln. Eine im Februar 2017 in Stuttgart abgehaltene Tagung zu dem Thema „Juden in Konfessionalisierungsprozessen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert – Projektionen, Opfer und Akteure“ machte auf diesen Umstand aufmerksam, konnte jedoch keine neuen Ergebnisse über diesen Konnex liefern. Einzige Ausnahme ist der Aufsatz von Ries: Zur Bedeutung, dessen Fragestellung sich allerdings auf die Gestaltung der Minderheitspolitik in der Zeit der Reformation und der Konfessionalisierung konzentriert. Vgl. den Entwurf der Judenordnung Ferdinands für das Oberelsass vom 19. August 1546 (das verabschiedete Dokument soll laut einer Notiz am Folgetag, dem 20. August 1546, erstellt worden sein), GLA Karlsruhe, 79 P 12, Nr. 3, Bll. 12r–21v. So wurden ähnlich wie in Hessen der Bau von Synagogen (§ 3) und Religionsdisputationen (§ 18) verboten. Überhaupt sollte ausdrücklich der Anschein gewahrt werden, dass die Juden den Christen unterworfen seien (§§ 19 und 20). Diese Judenordnung ging sogar einen Schritt weiter und schränkte die Siedlungsdichte der Juden (§ 1) und die Kontaktmöglichkeiten der Juden mit Christen stark ein (z. B. §§ 8 und 10), verbot Üppigkeit bei jüdischen Festen (§ 10) oder bei jüdischen Kleidern (§ 11) und untersagte öffentliche Feiern der Juden und die Zurschaustellung ihrer Religion (§§ 11, 15, 16 und 17). Die Auseinandersetzung über dieses soweit ersichtlich in der Forschung bislang unbekannte Dokument dauerte mindestens weitere zwei Jahre an. Vgl. Ebd. Bll. 24rf., 42vf. und 68v.
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Antijüdische Maßnahmen hingen nicht immer mit konfessionalisierenden Tendenzen zusammen. In der Herrschaft Hohenberg z. B. wuchs in den 1540er Jahren der Unmut der Amtmänner darüber, dass die Juden die dortige Judenordnung in vil weg, zu mergklichen verderben, gedachter vnnderthanen missprauchen, vnnd darwid[er] hanndl[t]en. ⁸³ Die Judenordnung von Hohenberg beinhaltete keine besonderen religiösen Bestimmungen und auch die Beschwerde der Amtmänner weist keine religiösen Hintergründe auf. Die Folgen dieser und anderer ähnlichen Klagen waren jedoch gravierend. War die erste Reaktion des vorderösterreichischen Regiments der Entzug des Geleits in bestimmte Städte⁸⁴, so beschloss man nur wenige Monate später die endgültige Ausweisung der Juden aus dieser Herrschaft.⁸⁵ Obwohl dieser Beschluss den Juden ein Jahr bis zum Auszug gewährte, beschwerte sich das Regiment im Namen der königlichen Majestät noch vor Ende der Frist, dass sich die Ku[nigliche] M[ajestä]t. nit erJnnern khan, das Jr Mt. obberurter Judischait, vber Jr[er] Mt. beuelh […] einich bewilligung gethan, das Sy über die hieuor zugelassen Zeit lennger in der Herrschafft Hohenberg bleiben mögen, oder gedult werden sollten.⁸⁶
Ohne wahrnehmbare konfessionalistische Motivation scheint auch die Generalvertreibung der Juden aus Böhmen (1541/42) beschlossen und durchgeführt worden zu sein. Die wichtigsten Studien zu dieser Vertreibung sowie die bekannten historiographischen Quellen⁸⁷ kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: dass eine Reihe von – vorwiegend – finanziellen Interessen nebst Beschuldigungen wegen
Der konfessionalistische Charakter kommt hier dadurch zum Ausdruck, dass der Versuch unternommen wurde, die jüdische Religion unsichtbar zu machen und zu diesem Zweck eine restriktive Kontrolle der Religionsausübung der Juden einzurichten. Außerdem weist auch die Ähnlichkeit mancher Prinzipien dieser Kontrolle zu Bestimmungen in Judenordnungen in protestantischen Territorien auf den konfessionalistischen Gehalt dieses Gesetzeswerk. Vorderösterreichische Regierung an Statthalter, Schultheißen und Amtleute der Herrschaft Hohenberg vom 21. Januar 1540, GLA Karlsruhe, 79 P 12, Nr. 1012, Bl. 100r. Ebd. Vorderösterreichische Regierung an Hauptmann und Amtleute der Herrschaft Hohenberg vom 13. April 1540, Ebd. Bl. 106v. Ebd. Bll. 138r-v, hier Bl. 138v. Zu erwähnen ist an erster Stelle der Aufsatz von Steinhartz: Vertreibung. Außerdem Jan Heřman: The Conflict Between Jewish and non-Jewish Population in Bohemia Before the 1541 Banishment, in: Judaica Bohemiae 6 (1970), S. 39 – 54, sowie die Zusammenfassung von Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 249 – 256, die auch sämtliche, relevante (christliche und jüdische) historiographische und archivalische Quellen benennt. Eine zum Teil problematische Darstellung findet sich bei Lohrmann: Zwischen Finanz und Toleranz, S. 159 – 166.
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Spionage, Brandstiftungen und Geldbetrug zum Vertreibungsbeschluss führten.⁸⁸ Außerdem ist man sich einig, dass sich der nach der Niederlage gegen die Türken auf dem Schlachtfeld geschwächte König Ferdinand nur schwerlich den z.T. lautstarken Vertreibungsforderungen der verschiedenen Akteure (der böhmischen Königskammer, des Landadels, der Städte oder der Untertanen) hätte widersetzen können.⁸⁹ Wie bereits in früheren Fällen (Kap. 5.2.1.) kam es auch hier zeitweilig zur Zusammenarbeit der ‚deutschen‘ und der ‚böhmischen‘ Juden. Auf Ersuchen der Rabbiner im Reich wurde Josel von Rosheim gebeten, den Vertretern der böhmischen Juden zu Hilfe zu kommen.⁹⁰ Was genau seine Rolle bei den Verhandlungen mit König Ferdinand war, ist nicht bekannt. Die Bündelung der Kräfte der rechtlich und politisch angeschlagenen Juden Böhmens – eigentlich waren es vorwiegend Prager Juden, die die Verhandlungen führten – mit denen der rechtlich und politisch gut organisierten ‚deutschen‘ Judenschaft hatte eine gewisse Wirkung. Ferdinand I. gewährte 15 jüdischen Familien das Bleiberecht für ein weiteres Jahr, um die verbliebenen Angelegenheiten und die Schuldforderungen der Vertriebenen zu regeln.⁹¹ Im Laufe der folgenden Jahre gewährte Ferdinand weiteren Juden die Rückkehr ins Land und ließ v. a. in Prag die erneute Etablierung der jüdischen Gemeinde zu. Insgesamt kann hier festgehalten werden, dass die politischen Herausforderungen, welche den Juden auf territorialer Ebene bereits in den 1530er Jahren begegneten, in den 1540er Jahren fortdauerten und oft, aber nicht immer, durch konfessionelle Elemente verstärkt wurden. Zwar konnten die Juden auf viele der Bedrohungen mit gewissem Erfolg reagieren, aber es entwickelte sich keine wahrnehmbare territoriale Strategie der jüdischen Politik. Auf Reichsebene lassen
Interessant ist, dass sämtliche jüdischen Quellen hier den Vorwurf der Brandstiftung als den Hauptgrund für die Vertreibung nennen, während die christlichen Quellen dieses Element kaum berücksichtigen. Für die christlichen Quellen vgl. die Akten in: Bondy/Dworskỷ (Ed.): Zur Geschichte, S. 306 ff. und Steinhartz: Vertreibung, S. 91 über den Bericht des Prager Stadtschreibers. Die hebräischen Quellen sind neben dem Hinweis im Bericht von Josel von Rosheim (Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 333) eine „anonyme Chronik“ (David (Ed.): A Hebrew Chronicle) sowie folgende historiographische Quellen: Gans: Zemaḥ David und Joseph Ha-Cohen: Emek ha-bacha: Historia Persecutionum Judaeorum, ed. v. Meir Letteris, Wien 1852. Vgl. z. B. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 250 f. und Steinhartz: Vertreibung, S. 84. Vgl. Abschnitt 25 der Chronik Josels, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 333. Geleitbrief König Ferdinands vom 6. März 1542 in Speyer für 15 Juden für den Zeitraum vom 23. April 1542 bis 23. April 1543 (tschechisch), gedruckt in: Bondy / Dworskỷ: Zur Geschichte, Nr. 467, S. 340 – 341.
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sich hingegen weitreichende politische Handlungen der jüdischen Organisation feststellen, die im Folgenden in den Fokus genommen werden sollen.
6.3 Jenseits von Konfession und Territorium 1541 fand der Reichstag nach fast einem Jahrzehnt wieder in Anwesenheit des Kaisers statt. Den Juden bot dies die Gelegenheit, die erfolgreichen Aspekte ihrer Reichspolitik aus den 1530er Jahren fortzuführen. Angesichts von Verletzungen ihrer Freiheiten und Rechte wie unrechtmäßige Besitzkonfiskation, Erhebung von ungebührlichen Zöllen sowie Versperrung der Reisewege und des Durchzugs durch Städte, Dörfer und Märkte⁹² ließen die Juden ihre kaiserlichen Privilegien bestätigen. Am 24. Mai 1541 wurde ihnen das ersehnte Privileg gewährt, das das besondere Schutzverhältnis zwischen Karl V. und der Judenschaft zentral thematisiert: erstens indem es ausdrücklich die Bestätigung der Privilegien hervorhebt, die in nechstverschienenen dreysigsten Jahr der minderen Zahl deß Monats May, und das andere am zwölften Tag deß Monats Augusti vergeben wurden, und zweitens indem es betonte, dass die Juden, definiert als die Jüdischheit im Heiligen Reich und unsere erblichen Fürstenthumben und Landen, wohnhafft und geseßen, dem Kaiser ohne Mittel unterworffen sind.⁹³ Knapp zwei Monate später, am 20. Juli 1541, erwirkten die Juden ein weiteres kaiserliches Mandat⁹⁴, in dem v. a. die Thematik des ‚gelben Rings‘ bzw. ‚gelben Flecks‘, welchen die Juden auf ihrer Kleidung tragen mussten, hervorgehoben wurde.⁹⁵ Zwar mussten die Juden bereits im Mittelalter ein gelbes Abzeichen tragen, damit man sie von den Christen unterscheiden konnte, aber im 16. Jahrhundert wurde immer weniger auf die Einhaltung dieser Vorschrift geachtet. In
Diese Formen der Verletzung wurden explizit im Privileg Karls V. an die Reichsjudenschaft vom 24. Mai 1541 genannt und unter Strafe gestellt. Vgl. HStAD, C 1 A, Nr. 6, Bll. 453r – 455v. Ebd. Dieses Dokument ist in Form einer durch Kaiser Ferdinand I. bestätigten Abschrift von 1560 überliefert. Vgl. ebd. Bl. 456v. Das kurz zuvor erlassene Privileg wurde darin sogar noch erwähnt. Siehe Mandat Karls V. vom 20. Juli 1541, in: CAHJP, P 17/177, S. 164– 165. Eine weitere Kopie findet sich im HStA Stuttgart, A 56 Bü 6, Nr. 2. Durch die Verwendung des gelben Davidsterns, auch bekannt als Judenstern, durch die Nazis erhielt dieses mittelalterliche und frühneuzeitliche Abzeichen Aufmerksamkeit bei der Behandlung der Verfolgungsgeschichte der Juden.Vgl. v. a. Hirsch / Schuder: Der gelbe Fleck; außerdem Wolfgang Osiander: Gelber Fleck, gelber Ring, gelber Stern. Kleidungsvorschriften und Kennzeichen für Juden vom Mittelalter bis zum Nationalsozialismus, in: Geschichte lernen 80 (2001), S. 26 – 29; Jens J. Scheiner:Vom „Gelben Flicken“ zum „Judenstern“? Genese und Applikation von Judenabzeichen im Islam und christlichen Europa (841– 1941), Frankfurt am Main 2004.
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den 1530er und 1540er Jahren gewann das Thema allerdings erneut an Relevanz, vermutlich im Zusammenhang mit den vielen zeitgenössischen Kleiderordnungen.⁹⁶ Die Pflicht des Tragens dieses Abzeichens war den Juden v. a. auf Reisen beschwerlich. So baten die Juden der österreichischen Vorlande ihre Obrigkeiten bereits 1536 darum, dass sie allain in den Stetten, Märckhten, Fleckh[en] und Dörffern solhe Ringlin auf dem Clayd tragen [müssten (A.S.)], aber aus dem dz sy auf dem Land nit sicher sein würden, derselben Ringlin und Zeich[en], so sy über vnnd auf dem Land hin vnd wider wandln zutragen gelassen sein⁹⁷
sollten. Neben den Gefahren beim Reisen erkannten die Juden auch den Zusammenhang zwischen dem Tragen des Zeichens und den erhöhten Zollgebühren, die ihnen auferlegt wurden. In einem Gesuch an den Kaiser hoben sie daher hervor, es sei ihnen dermassen beschwerlich gewesen, zaichen […] zu tragen, dardurch sy offt in gefarlichait ihrer leibs und lebens kommen, newen zollen und glait genöttigt und gedrungen werden solten, das sy zu letst gancz vertrukht, aussgetilgt und an ihren leiben, leben und guettern belaidiget und beschediget wirden.⁹⁸
Mit dem Erlangen des Mandats vom 20. Juli 1541 wurde nun die Pflicht der Juden aufgehoben, das Zeichen auf Reisen tragen zu müssen. Es bedarf einer Erklärung, warum die Juden die Problematik mit dem gelben Ring nicht im Rahmen der Privilegienbestätigung vom Mai zu regeln versucht
In der Reichspolizeiordnung von 1530 machten Bestimmungen bezüglich Kleidervorschriften etwa ein Drittel aller Paragraphe aus. GLA Karlsruhe 79 P 12, Nr. 2, Bl. 30v. Hier nach der Wiederholung der jüdischen Klage im Mandat vom 20. Juli 1541 in CAHJP, P 17/ 177, S. 164– 165, hier S. 165. Ironischerweise verursachte diese Lösung neue Probleme für die Juden in manchen Regionen. In Frankfurt am Main entwickelte sich das Phänomen, dass Juden ihre Zeichen nicht oder nur versteckt trugen, weswegen der Stadtrat am 18. August 1541 den Juden das ordentliche Tragen des gepurlichen zaichen […] offentlich vnd vnuerdeckt unter Androhung einer Geldstrafe befahl (ISG, JA 502). In Württemberg verursachte die Bekanntgabe dieses Mandats einige Probleme. Zunächst bedeutete die Aufhebung der Kennzeichnungspflicht, dass die Erkennung der Juden erschwert würde. Außerdem widersprach die Aufforderung, den Juden Zugang zu Märkten ohne Hindernisse zu ermöglichen, sowohl der Landesordnung von 1536 als auch der württembergischen Judenfreiheit, die 1530 und 1541 vom Kaiser erneuert und bestätigt wurde. Wegen dieser Problematik gab es zum einen eine Briefkorrespondenz zwischen den Räten in Stuttgart und Herzog Georg von Württemberg, dessen Region von diesen Bestimmungen auch betroffen war (HStA Stuttgart, A 56 Bü 6, Nr. 3, 1– 2), und es wurden zum anderen Gutachten erstellt, wie damit umgegangen werden könne, ohne dass die landesherrlichen Rechte verletzt würden (Ebd. A 56 Bü 5, Nr. 4 und 5).
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hatten.⁹⁹ Eine mögliche Begründung dafür kann im Verfahren selbst gefunden werden. So ist es nicht klar, ob die Bestätigung von alten Privilegien zusammen mit dem Erwerb neuer Freiheiten möglich war. Vermutlich waren diese Verwaltungsakte voneinander unabhängig und konnten deswegen auch nicht gleichzeitig in Angriff genommen werden. Ein routinemäßig verlaufener Vorgang hätte daher eine Erweiterung der jüdischen Rechte nicht eingeschlossen und ein gesondertes Gesuch erfordert.¹⁰⁰ Es ist zudem möglich, dass die Juden selbst routinemäßig nach ihren standardisierten Vorgehensweisen gehandelt hatten und den Erwerb neuer Rechte daher nicht mit der Bestätigung ihrer Privilegien vermengten. Sie hatten immerhin vor dem Reichstag die Gelegenheit gehabt, darüber zu beraten, denn sie hielten in der zweiten Hälfte 1540 eine Versammlung in Worms ab, in der sie die ‚jüdische Judenordnung‘ von 1530 erneuerte. Hintergrund war ein Verhandlungsgespräch, das Josel von Rosheim kurze Zeit zuvor mit dem Kanzler des Deutschordens auf einer Fürstenversammlung in Hagenau geführt hatte. Gegenstand der Gespräche waren die Niederlassung und die Wirtschaftstätigkeit der Juden in den Gebieten des Deutschordens und die jüdische Ordnung diente allem Anschein nach als Grundlage für die Verhandlungen. Dem Kanzler des Deutschen Ordens reichten offensichtlich nicht die Versicherungen, die Josel ihm gemacht hatte, vor allem weil die Ordnung vor langem […] vffgerichtt wurde.¹⁰¹ So wollte er Garantien von der jüdischen Führung, dass sie tatsächlich die Judenn […] daran zuhaltenn vermocht, domit die seiner F.G. arme leuth, nit so hart vonn etlichen der Juden betrengt vnd beschwerdt wurdenn. ¹⁰² Soweit ersichtlich hat man bislang in der Forschung beide Dokumente zur vergleichenden Betrachtung der Entwicklung des Judenrechts im Reich noch nicht herangezogen. Meist wurde, wenn überhaupt, nur das eine oder das andere Mandat berücksichtigt. Vgl. Battenberg: Privilegierung, S. 161 f. Dadurch wurde übersehen, dass die Juden zwei Anläufe benötigten, um eine befriedigende Lösung für ihre Probleme zu finden. Die Bestätigung von Privilegien verlief im 16. Jahrhundert grundsätzlich routinemäßig. Dies zeigt nicht nur die Einfachheit, mit der die Juden die Erneuerung ihrer Privilegien erwirken konnten, sondern auch die gleichzeitige Bekräftigung von sogenannten Judenfreiheiten für unterschiedliche Obrigkeiten. So war es beispielsweise 1541: Verbat das Judenprivileg vom Mai die Vertreibung der Juden, die Verhinderung ihrer geschäftlichen Tätigkeiten und die Versperrung ihrer Reisewege, so erlangten dennoch im gleichen Jahr der Bischof von Speyer (am 25. Mai) sowie die Städte Nördlingen (am 5. April), Nordhausen (am 6. April) und Ulm das Recht, jüdische Präsenz und Tätigkeit in ihrer jeweiligen Jurisdiktion zu verbieten. Vgl. HHStAW, Findbehelf 64/2, I/30 (Conf. Priv.). Zu weiteren in diesem Zeitraum erwirkten Judenbefreiungen im Deutschen Orden, in Bönnigheim (1542), Heilbronn (1543) und im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken (1543) siehe Lang: Ausgrenzung, S. 199. Vgl. Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL), B 287, Bü 3, Qu 10. Ebd.
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Die gewünschten Garantien vermittelte Josel in einer Supplikation an den Hochmeister des Ordens, Walter von Cronberg. Demnach hat ain gemeyn Judennschafft … itzo, von newem, zu Wormbß, ein schweren grossen pann verabschiedet, welche alle Juden dazu verpflichtete, sich überall zimlich vnnd pillich zuhaltenn. ¹⁰³ Zusätzlich legten die Juden ihre Ordnung dem Kaiser vor, damit er deren Legitimität anerkannte.¹⁰⁴ Indem die Juden nun das Versprechen abgaben, die ubertretter one ablesslich zu straffen, dadurch sich e.f.g. oder andere weltliche oder geistliche nit zu beschweren habenn ¹⁰⁵, verbesserten sie die Aussichten, ihre Wohn- und Handelsrechte auf der Grundlage der Ordnung und somit auf der Basis von Kompromissen aushandeln zu können. Kompromisse mussten die Juden auch angesichts der vielen finanziellen Forderungen, die ihnen in dieser Phase auferlegt wurden, suchen. So wurden sie im Juli 1541 dazu angehalten, dem Kaiser den sogenannten Goldenen Opferpfennig, der von den Juden seit der Zeit her vnserer Khayserlichen Cronung […] nicht geraicht worden ist, zu entrichten.¹⁰⁶ Allerdings war der Kaiser bereit, auf ihre finanziellen Interessen Rücksicht zu nehmen und die Höhe der zu entrichtenden Summe auf zehen taußent gulden Reinisch zu begrenzen. Er begründete diese ‚Mäßigung‘ mit der Türkensteuer, die kurz zuvor auf dem Reichstag bewilligt worden war und die Juden selbstverständlich auch betraf.¹⁰⁷ Etwa neun Monate später beschloss man im Rahmen der Beratungen über die wachsende Bedrohung durch die Türken eine zusätzliche Sonderabgabe für die Juden:¹⁰⁸ Item die juden sollen zu dieser turckenhilf also angeschlagen werden, das ein jede judenperson, sie sey jung oder alt, zu anfang dieser steur einen fl. legen und die reichen juden in sollichem anschlag den armen zu hilf komen. Darzu soll ir jeder von 100 fl. haubtguets, an was war [=Ware] die immer gelegen sein, jedes jars auch einen fl. zu geben schuldig und hiemit ir wucher unbekreftigt sein.¹⁰⁹
Ebd. Welche ordnung wir auch itzundter, der Romische Kayserlichen Maiestat, vnnserer allergenedigstem Herrn, vnderthenigßt furbracht. Ebd. Ebd. Mandat Karls V. an die Juden im Reich vom 19. Juli 1541, in: HHStAW, RHR, Jud. Misc. J 1, K. 41/1, Bll. 3 und 5, hier Bl. 3r. Aufgrund des Datums kann mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die jüdische Bitte um die Befreiung vom gelben Ring im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Opferpfennig vorgebracht wurde. Vgl. ebd. Bl. 3v. Über die Thematik der Türkengefahr auf dem Reichstag von Speyer siehe Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Speyer 1542 [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 12], bearb. v. Silvia Schweinzer-Burian, München 2003 (RTA JR 12). §75 des Reichsabschieds von Speyer vom 11. April 1542, in: RTA JR 12, Teil 2, S. 1168 – 1210, hier S. 1187.
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Die finanzielle Bürde der Juden wuchs in dieser Zeit demnach immens. Vor allem die Forderung einer Sondersteuer auf jüdisches Vermögen und Eigentum, die aus Sicht der Obrigkeit eine Kompensation für die wucherischen Tätigkeiten der Juden darstellte, bereitete ihnen Schwierigkeiten. Dennoch konnten sie sich diesen Forderungen nicht entziehen – v. a. aufgrund der sich verbreitenden Gerüchte über jüdische Spionage zugunsten der ‚Erbfeinde der Christenheit‘.¹¹⁰ Aus dieser schwierigen Situation heraus versuchten die Juden, eine Möglichkeit zu finden, sowohl die Geldforderungen des Reichs zu erfüllen als auch ihr Vermögen vor unzumutbaren Zahlungen zu schützen. Sie beriefen zu diesem Zweck eine Versammlung ein, die über die Modi der Schätzung des zu versteuernden Vermögens beriet. Über den Beschluss der Tagung erfährt man aus einem Schreiben der Wormser Judenschaft an ihre Obrigkeit.¹¹¹ Die Juden schilderten darin, wie sie vom Reich aufgefordert wurden, wider den gemeinen vheind teutscher nation den Türcken ein gemeiner pfennig zu entrichten, betonten jedoch zugleich, dass dies dem gemeinen werck zu gut komme und sie sich darüber auch nit beschweren möchten.¹¹² Erst nachdem sie eine vollkommene Identifikation mit dem Reich und dessen Nöten kommuniziert hatten, führten sie die Probleme aus, die aus der Erfüllung der Forderung für sie entstehen würden. Sollte jeder Jude seinen Besitz selbst schätzen und daraus dem
Die Gerüchte haben sich in der angstvollen Stimmung im Reich schnell verfestigt. Der Nürnberger Rat nutzte das Argument bei den Vorbereitungen für den nächsten Reichstag, der in seiner Stadt stattfinden sollte, um zu erwirken, dass den Juden die Einreise in die Stadt nicht gewährt wurde. Er traf mit dem Erbmarschall Georg von Pappenheim die Abmachung, dieselben vergleitung auß beweglichen guten ursachen – sonderlichen der geverlichen leuft halb und allerley kuntschaften der vorhabenden turckenexpedition zu verhuten – zu vergleiten zu jetzigem reichstage an- und abzustellen. Revers von Bürgermeister und Rat von Nürnberg mit Georg von Pappenheim wegen des Geleitrechts für die Juden, Nürnberg, 2. August 1542, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Nürnberg 1542 [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 13], 2, bearb. v. Silvia Schweinzer-Burian (RTA JR 13), München 2010, S. 153– 4, hier S. 153. Vgl. die Eingabe der Wormser Judenschaft an den Rat vom 7. Juni 1542, gedruckt bei M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 10 – 12 und erneut mit englischer Übersetzung bei Zimmer: Jewish Synods, S. 138 – 141. Aufgrund der Tatsache, dass es sich hierbei um Steuersachen handelte, liegt die Vermutung nahe, dass der Reichsrabbiner Samuel von Worms der Versammlung vorstand. Dasselbe muss auch von der einige Monate zuvor gehaltenen Tagung angenommen werden, denn Bannangelegenheiten lagen vorwiegend in den Händen von Rabbinern und Samuel von Worms wurde von Kaiser Karl V. explizit begünstigt, dass er von vns beuelch vnd gewalt {habe, gedachte Jüdischeit inn ihrer} Ordnung zuhalten, auch den Pan vnd ander gebot {nach Innhalt ihrer} gesetze zuthon vnd fürzunemen. HHStAW, RK, kleinere Reichsstände, K 539, Bl. 12. Eine Teilnahme Josels von Rosheim kann vermutet, aber nicht nachgewiesen werden. Eingabe der Wormser Judenschaft an den Rat vom 7. Juni 1542, zitiert nach M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 10.
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gemeinen Pfennig seinen Beitrag geben, so würde dardurch gar ein gerings unser gemein pfennig ertragen [..], dan wir armen haben weder ligende güetter, weder renten, noch gülten, sonder all unser narung ist nichts dan heusrhat und schülden. ¹¹³ Sie fügten dem hinzu, dass viele dieser (ausstehenden) Forderungen ausfallen könnten, weil man ihnen an etlichen Orten die Schuldeintreibung verbiete. Zudem waren die Fristen bis zur Rückzahlung der Schulden derart lang, dass insgesamt eine große Unsicherheit über die Größe der zu schätzenden Summe bestand.¹¹⁴ Die Juden argumentierten also nicht vorwiegend oder ausschließlich mit den finanziellen Schäden, die solch eine Schätzung ihnen zufügen würde, sondern vielmehr mit dem geringen Ertrag, der dem Reich daraus erwachsen würde. Unter der Begründung, sie wollten ye gern on alle nachred und verdacht sein und der uffgerichten ordenung so vil müglich geleben unnd mit bestem nutz volstreckung thun ¹¹⁵, teilten sie dem Wormser Rat den Beschluss der gemeinen Judenschaft mit. Demgemäß sollte jeder Jude und jede Jüdin selbst die in seinem/ihrem Besitz befindlichen Güter zusammenrechnen und taxieren und dies unter Eid angeben. Allerdings sollte nicht die gesamte angegebene narung versteuert werden, weil ein Großteil davon entweder ein Pfand eins yeden standts sei, der unter den Juden nur hinterlegt wurde, oder schülden, [die,] wie oben angezeigt, ongewiß und nit volkommenlich bezalt werden. ¹¹⁶ Von der gesamten ‚Nahrung‘ sollten deshalb nur zwei Drittel für die aufzubringende Steuer berechnet werden. So hofften die Juden in ihrer abschließenden Argumentation, dass also mer ertragen würde und wir entlich solches dem gemeinen pfennig am nützlichsten sein könnten.¹¹⁷ Während diese vielversprechende argumentative Strategie eine positive Partizipation der Juden an den allgemeinen Anstrengungen des Reichs suggerierte und dadurch dem Verdacht der Spionage entgegenwirken sollte, ist über ihre Wirkung wenig bekannt. Der Wormser Rat notierte lediglich, man will inen den vierten theil an schulden nachlassen,¹¹⁸ wobei nicht klar ist, ob diese Aussage sich auf das gesamte Reich oder nur auf die Wormser Judenschaft bezog. Es sind auch keine weiteren Exemplare dieses Beschlusses bekannt. Was durchaus angenommen werden kann, ist, dass jüdische Vertreter mit diesem Dokument zu dem in Nürnberg stattfindenden Reichstag gereist sind, um es dem Kaiser und den Reichstagsausschüssen zu präsentieren. Dass dies ihnen allem Anschein nach
Ebd. S. 11. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Ebd. 11 und 12. Ebd. S. 10, Anm. 22.
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nicht gelang, muss mit dem Einreiseverbot in die Stadt in Zusammenhang gebracht werden.¹¹⁹ Die rasch aufeinanderfolgenden Treffen der jüdischen Führung trugen nicht nur zur Entwicklung der politischen Strategie gegenüber dem Reich und seinen Mitgliedern bei, sondern führten auch zum Zusammenhalt der jüdischen Gemeinden. Die engen und erfolgreich abgeschlossenen Beratungen boten den Teilnehmern die Gelegenheit, weitere innerjüdische Themen zu besprechen. Noch während des Reichstags in Nürnberg, also bevor die Juden herausfinden konnten, ob ihr Vorschlag zur Entrichtung der Türkensteuer angenommen wurde, versammelten sich am 12. September 1542 erneut die jüdischen Anführer in Worms.¹²⁰ Im Gegensatz zu den meisten Versammlungen der Reichsjudenschaft wurden die Beschlüsse dieser Tagung in ihrem hebräischen Original überliefert¹²¹ und nicht in einer deutschen Übersetzung. Im Zentrum der Beratungen stand die Problematik der innerjüdischen Gerichtsbarkeit. Man sah sich mit dem Problem konfrontiert, dass Rabbiner aus fremden Regionen und Ländern Juden, die nicht zu ihrer eigenen Gemeinde gehörten, vor ihre Gerichte vorluden und dort über sie richteten. Damit untergruben sie die Autorität der ‚deutschen‘ Rabbiner und verletzten den alten Grundsatz, dass ein jüdisches Mitglied einer Gemeinde nur vor ein lokales und nicht vor ein ‚fremdes‘ Gericht gestellt werden solle.¹²² Es erscheint nur folgerichtig, dass die Beschäftigung der Juden mit der Frage der ‚ausländischen‘ bzw. ‚fremden‘ Gerichte zu einer Zeit stattfand, in der sie sich fast täglich von christlichen Obrigkeiten ähnliche Beschwerden über ihre Praxis
Siehe oben Anm. 110. Vgl. Marcus Horovitz: Frankfurter Rabbinen. Ein Beitrag zur israelitischen Gemeinde in Frankfurt a. M., Bd. 1: Von R. Simon Hadarschan bis R. Jesaia Halevi (1200 – 1614), Frankfurt am Main 1882, S. 19 – 22 und 46 – 47; M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 12; Zimmer: Jewish Synods, S. 67; Ders.: Zur Geschichte des Rabbinats in Deutschland im 16. Jahrhundert. Der Disput zwischen den Frankfurter und den schwäbischen Rabbinern (1564– 1565) (hebr.), Jerusalem 1984, S. 3 – 4. Eric Zimmer druckte sowohl eine Notiz, die bereits bei Horovitz (fehlerhaft) publiziert wurde, als auch einen Ausschnitt aus dem Protokollbuch der jüdischen Gemeinde Frankfurt. Siehe Zimmer: Jewish Synods, S. 67 f. und 140 – 147. Beim Protokolleintrag handelt es sich offensichtlich um eine spätere Erneuerung des Beschlusses von 1542, die am 3. Januar 1623 in Frankfurt am Main vorgenommen wurde. 'יען אשר ראינו חדשות מקרוב באו איזה תלמידי חכמים לרדותינו בביתינו להוציא מקצת דרי אשכנז בגזירת . מחוץ לבתי דיניהם ולהשליכם אל ארץ אחרת כיום הזה מלכות אחרת ולשון אחרתZitiert nach Zimmer: Jewish Synods, S. 67, Anm. 1 (hebr.) und S. 68 (engl.).Vgl. auch den Eintrag im Frankfurter Protokollbuch, gedruckt in: ebd. S. 140 (hebr.) und 141 (engl.). Über die alten Grundsätze bzw. Normen siehe v. a. Moshe Frank: Die Gemeinden in Aschkenas und ihre Gerichtshöfe vom 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts (hebr.), Tel-Aviv 1938, S. 71– 74, worin er eine Sammlung mittelalterlicher Statuten und rabbinischer Gutachten zu dieser Frage bringt.
6.3 Jenseits von Konfession und Territorium
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beim Umgang mit Gerichten und Gerichtsbarkeiten anhören mussten. Vermutlich sensibilisierten sie die christlichen Klagen für diese Thematik und veranlassten die Beratungen über dieses Phänomen im innerjüdischen Kontext. Die Korrelation bezüglich der wahrgenommenen Probleme sowie der Lösungsansätze im jüdischen wie im christlichen Bereich ist dabei nicht zu übersehen. So wurde im Beschluss der Versammlung vereinbart und verordnet, dass alle Urteile, Strafen und Exkommunikationen, die vor diesen ‚fremden‘ Gerichten gefällt würden, als null und nichtig erachtet und dass keine Strafen gegen ‚Verurteilte‘ vollstreckt werden sollten.¹²³ Mit diesem Beschluss der jüdischen Versammlung sind aber nicht alle Entscheidungen angesprochen, die die jüdische Führung in den frühen 1540er Jahren traf. Gegen Ende März 1543 brachten Vertreter der Reichsjudenschaft ein Gesuch vor König Ferdinand. Darin erklärten sie, wie der Reichsrabbiner Samuel, nachdem Er mit Allter vnnd schwachait beladen gewest,[..] drey Jüdisch Richter oder Rechtsprecher zu Phreymbdt fürgenomen [habe], die ime behilfflich gewest. ¹²⁴ Nun baten die Vertreter den König darum, die drei Richter in ihrem Amt zu bestätigen, weil der Reichsrabbiner mit Todt abganngen, vnnd die notturfft vnnder gemainer Jüdischhait [es (A.S.)] höchlich erurorderte. ¹²⁵ Es ist ungewiss, wann Samuel und die anderen jüdischen Anführer diese Richter ernannten. In Frage kommen jedoch die letzten drei Versammlungen, die alle eine gewisse thematische Relevanz diesbezüglich aufwiesen. Sollte die Wahl der Richter 1540/41 während der Beratungen um die Erneuerung der ‚jüdischen Judenordnung‘ von 1530 erfolgt gewesen sein, so hätten die Juden ein institutionelles Fundament zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmung vorzuweisen gehabt, das ihnen helfen konnte, ihre Statuten nach außen zu präsentieren.
Zimmer: Jewish Synod, S. 140. Die Ähnlichkeit zum Lösungsansatz von Württemberg in Fragen der ‚fremden Gerichte‘ ist überaus groß. Vgl. HStA Stuttgart, A 56 Bü 4, Bl. 3v–5v und Kap. 6.1. Bewilligung Ferdinands I. für die Jüdishait im heilligen Reich von wegen halltung dreyer Richter vom 28. März 1543, in: HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bll. 21r–22v, hier Bl. 21r. Die Angabe zu Phreymdt kann nicht endgültig geklärt werden. Möglicherweise handelt es sich um eine Ortschaft innerhalb oder in der Nähe von Worms, die an dem Rheinnebenfluss Pfrimm liegt. Eine andere Möglichkeit, die orthographisch näherliegend zu sein scheint, ist, dass es sich um die Stadt Pfreimd in der Oberpfalz, unweit von Nürnberg, handelt. HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bl. 21r. Damit kann keine Rede von einer „Zeit der großen Vakanz“ – von Samuels Tod 1543 bis zur Ernennung des nächsten Reichsrabbiners, Jakob von Worms, im Jahre 1559 – sein, die Guggenheim: A suis paribus, S. 424 postulierte. Es stellt sich allerdings die Frage, wer diese Richter, die in der Urkunde nicht namentlich genannt werden, waren und bis wann sie ihr Amt ausübten.
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Es ist auch möglich, dass man die Einsetzung der Richter während der zweiten Versammlung im Mai/Juni 1542 vornahm, als man über den Besteuerungsmodus zur Aufbringung der Sonderabgaben für den Krieg beriet. Die Richter hätten dann gewiss die gleiche Autorität wie der Reichsrabbiner gehabt, Steuern einzutreiben. In der damals herrschenden Situation, in der die Juden ein großes Interesse hatten, ihre finanziellen Pflichten gegenüber dem Reich schnell zu erfüllen, wäre die Ernennung drei weiterer überregionaler Steuereintreiber, die dem alten Reichsrabbiner zu Hilfe stünden, sehr förderlich gewesen.¹²⁶ Zudem wurde im Reichsabschied von Speyer eine Methode zum effizienten Einsammeln der Steuer beschlossen: Also das in einem jeden furstenthumb oder landtschaft vier statlich, frum und geschieckte personen zu einnemern sollicher anlag [=Türkensteuer (A.S.)] von dem churfursten oder fursten und desselben landtschaft verordnet werden, nemblich einer von dem chur- oder fursten, der ander von den prelaten und geistlichen, der dirtt von graven, freyen hern und der ritterschaft, demslben churfursten oder fursten underworfen, und der viert von den stetten.¹²⁷
Diese auf Reichsebene beschlossene Organisierung der Steuereintreibung setzte die Juden gewiss unter Druck, ihr eigenes Einsammeln des Kriegstributs schnell und ebenfalls effizient zu organisieren. Schließlich hätte die Ernennung der Richter auch zu einer ‚Verfeinerung‘ des jüdischen Rechtssystems geführt, die sich in den Rahmen des Beschlusses gegen die ‚ausländischen‘ jüdischen Gerichte und Richter gut eingefügt hätte. Offensichtlich begründeten die Juden ihre Bitten an den König mit der Notwendigkeit einer ordnungsschaffenden Instanz. In der Urkunde werden die Aufgaben der Richter folgendermaßen charakterisiert: [D]ie obgedachten drey Jüdischen Richter oder Rechtsprecher […, sollen] gewallt vnnd macht haben, bey vnnd vnnder gemainen Jüdischait im heilligen Reich alles vbl [=Übel (A.S.)] arkhwon vnnd mißhanndlungen irer Jüdischen phlicht vnnd ordnung nach abzustellen, zuhanndlen vnnd zustraffen.¹²⁸
Allerdings erwähnt die Bestätigungsurkunde von Ferdinand die Steuereintreibungsfunktion nicht. Dennoch wird dort die Kompetenz angesprochen, Strafen zu verhängen, die dann halb in khay. Mat. vnnser vnnd des Reichs Camer vnnd den anndern halben taill der Cristlichen Herrschafft darunnder die verpannten Jüden gesessen, on alle einred verfallen sein […] sollen. HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bl. 22v. § 67 des Abschieds des Reichstags von Speyer, in: RTA JR 12, Teil 2, S. 1188. HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bl. 21v. Allerdings schweigen die hebräischen Quellen über die Schaffung einer neuen gerichtlichen Instanz.
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Die Einsetzung der drei Richter war eine vorausschauende und weitsichtige Maßnahme zum Ausbau der Strukturen der jüdischen Organisation. Die Richter waren nicht nur Helfer des alternden Reichsrabbiners, sondern sollten und konnten seine Arbeit an seiner statt verrichten. Damit legte man die Basis für eine Kontinuität der Organisationsstrukturen. Mit der Anerkennung durch den Kaiser erhielt die vorerst intern getroffene Maßnahme nicht nur eine allgemeine Legitimation, sondern auch einen dauerhaften Charakter.¹²⁹ Die Organisation der Juden konnte mit der Wahl der Richter eine Erweiterung ihrer reichsweiten Selbstverwaltung erreichen. Mit dieser breiteren Aufstellung schuf sie die Voraussetzung dafür, dass die jüdische Vertretung den zahlreichen politischen Herausforderungen der Zeit besser begegnen konnte. Zudem verschaffte sich die jüdische Organisation insgesamt eine rechtliche Legitimation, indem sie erneut ihre korporative Struktur, die in irem Jüdischen Rechten vnnd gebrauch und nach Jüdischer ordnung ¹³⁰ begründet war, durch das Reichsoberhaupt bestätigen ließ. Ein weiterer Aspekt muss im Zusammenhang der Entwicklungen der jüdischen Organisation kurz angesprochen werden. Josel von Rosheim, der prominenteste Vertreter der Juden im Reich, trat gerade bei diesen Organisationsentwicklungen in den Hintergrund. Zwar war er vermutlich anwesend, als man die ‚jüdische Judenordnung‘ von 1530 erneuerte, und es ist auch möglich, dass er den Beschluss über die Errechnungsgrundlage der Sondersteuern mitzuverantworten hatte. In beiden Fällen war er allem Anschein nach nicht die leitende Figur der Versammlung. Aufgrund der Themen dieser Beratungen ist wohl eher anzunehmen, dass der Reichsrabbiner Samuel sie leitete. An der Versammlung vom 12. September 1542 nahm Josel sogar nachweislich nicht teil. Er unterzeichnete die Statuten, die bei diesem Treffen verabschiedet wurden, erst nachträglich im darauffolgenden Jahr.¹³¹ Somit kann man konstatieren, dass Josel von Rosheim trotz seiner herausragenden Bedeutung für die politische Organisation der Juden
Zu diesem Zweck sollte sich die Geltung der königlichen Bestätigung sowohl auf die bereits erwähnten obgedachten drey Jüdischen Richter oder Rechtsprecher als auch auf diejenigen, die kunnfftigclich an denselben stat aus Irem Jüdischen Gericht Erwellt werden mögen, erstrecken. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Bestätigung der Richter als höchste Rechtssprecher auch nicht in Zukunft durch eine Ernennung eines neuen Reichsrabbiners beeinträchtigt werden sollte. Vgl. HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bl. 21v–22r. Ebd. Er unterschrieb das Dokument erst im Mai oder Juni 1543 zusammen mit dem Vertreter der Schweinfurter Juden. ]…[ היום פה תמוז,' נאם יוסף גרשון ממשפח' לואנש,'גם אני בא בכח ב"ד יושבי אלזס יצו ש"ג. Auch ich, Bevollmächtigter des Gerichtssitzes im Elsass […], sprach Joseph [ben] Gerschon aus der Familie Loans […] heute hier Tammus [5]303. Zitiert nach Zimmer: Jewish Synods, S. 68, Anm. 1.
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nicht ihre einzige zentrale Säule war. Zudem manifestiert sich hierin, dass er in innerjüdischen Angelegenheiten, bei denen die Versammlung unter dem Vorstand des Reichsrabbiners tonangebend war, nicht in der gleichen führenden Rolle agierte wie in ‚diplomatischen‘ Fällen.
6.4 Die Überwindung der konfessionellen Gefahr? Jüdische Diplomatie im Zeichen einer pro-kaiserlichen Annäherung 1543 führte eine Blutbeschuldigung zur Verfolgung der Juden in Oberhaid (bei Bamberg). Diese in der Forschungsliteratur als die ‚Blutbeschuldigung von Würzburg‘¹³² bekannte Affäre veranlasste eine mehrmonatige und komplexe Intervention der Reichsjudenschaft und stand am Anfang einer sich beschleunigenden Dynamik, welche das Verhältnis der Juden zum Kaiser und zur Reichspolitik maßgeblich mitbestimmte. Diese Dynamik, die sich zeitgleich mit einem eskalierenden Konfessionsstreit entwickelte, soll hier näher betrachtet werden. Die jüdischen Reaktionen auf die Verfolgung von Würzburg deuten zunächst darauf hin, dass Josel von Rosheim auch in der Erfüllung seiner ‚diplomatischen‘ Aufgaben nicht auf sich allein gestellt war, sondern regelmäßig Unterstützung von anderen Juden bekam. In seinem Bericht zu diesem Fall erwähnte er explizit, dass weitere Juden ihn bei den beschwerlichen Bemühungen um die Freilassung der gefangen gehaltenen Juden unterstützten, und betonte dabei insbesondere den Einsatz zweier Rabbiner.¹³³ In Würzburg handelte es sich anscheinend nicht um einen typischen Fall von Blutbeschuldigung.¹³⁴ In den bekannten Quellen sind keine Hinweise auf einen
Der Ort unterstand kirchlich dem Bistum Würzburg und war diesem zudem zehntpflichtig. Zur Forschungsliteratur siehe Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 256 – 263; S. Stern: Josel von Rosheim, S. 158 f.; Feilchenfeld: Josel von Rosheim, 59 f. Siehe außerdem Ludwig Heffner: Die Juden in Franken. Ein unpartheiischer Beitrag zur Sitten- und Rechtsgeschichte Frankens, Nürnberg 1855, S. 29; Markus Bohrer: Die Juden im Hochstift Würzburg im 16. Jahrhundert und am Beginn des 17. Jahrhunderts, Freiburg 1922, S. 49 und Karlheinz Müller: Die Würzburger Judengemeinde im Mittelalter. Von den Anfängen um 1100 bis zum Tod Julius Echters (1617), Würzburg 2004, S. 232– 234, der keine neuen Erkenntnisse liefert. Es handelte sich um Rabbi Selkelin, vermutlich Seligmann Reinbach aus Frankfurt am Main, und einen weiteren Rabbiner, den er nur als Rabbi S. erwähnt. Vgl. Abschnitt 26 der Chronik für das jüdische Jahr 5304 (1543/44), in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 334 f. Über die Identität der beiden Rabbiner siehe ebd. S. 257 f. Anm. 575. Eine Notiz Josels von Rosheim, die in das Werk eines späteren Frankfurter Rabbiners aufgenommen wurde, kontextualisiert die Affäre als einen Fall von Martyrium bzw. ‚Kidusch ha-
6.4 Die Überwindung der konfessionellen Gefahr?
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rituellen Charakter des Mordes enthalten, obwohl der Getötete ein christliches Kind war. Nach den Schilderungen Josels von Rosheim wurden die Juden wegen der Ertränkung des Kindes im Fluss angeklagt¹³⁵, kein üblicher Vorwurf im Zusammenhang mit Ritualmorden. Auch das Profil der Angeklagten war ungewohnt, denn vier der insgesamt fünf Verhafteten waren Frauen (darunter eine unverheiratete Jungfrau).¹³⁶ Es wird auch nicht wie in den meisten Fällen von Ritualmordverfolgungen von Wunden und Wundern berichtet. Schließlich fehlt die Beteiligung eines kirchlichen Vertreters bei der Untersuchung des Falls, sodass einiges auf einen weltlichen Kriminalfall hindeutet. Dennoch gingen Josel von Rosheim und die anderen Juden von einer großen Gefahr aus, weshalb sie enorme Summen ausgeben mussten, um die gefangenen Juden freizukaufen.¹³⁷ Vielleicht befürchteten die Juden, dass der Prozess und die damit verbundene Folter dazu führen würden, dass Geständnisse erzwungen und mehr Juden dadurch beschuldigt und verfolgt würden. Immerhin wurden die Angeklagten mehrere Monate festgehalten und mussten über Wochen ‚peinliche Verhöre‘ durchstehen.¹³⁸ Die Strategie der jüdischen Akteure – zuerst in Würzburg und später auf dem Reichstag in Speyer – war besonders komplex. Zunächst versuchten Juden aus Oberhaid, den bischöflichen Schutz vor unrechtmäßiger Rechtsverfolgung und Gewalt zu erlangen, vermutlich weil sie antijüdische Ausschreitungen befürchteten.¹³⁹ Als Nächstes wurden Nachbargemeinden informiert und um Hilfe gebeten. Als man keinen Erfolg erzielen konnte, wurde auch Josel von Rosheim
Schem‘ = Heiligung des göttlichen Namens. Vgl. Juspa Hann: Josif omez, S. 100 – 101. Dazu siehe Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 256 – 257 und Dies.: Sefer ha-Miknah, S. 71. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 256 und 305. Ebd. S. 334. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 335. Josel berichtete, dass die Juden fast zu Tode gefoltert wurden, und zwar über 32 Wochen. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 334 f. Tatsächlich begann der Fall vor November 1543 und dauerte bis mindestens Ende Juni 1544 fort. Erstes Dokument ist der Geleitbrief des Bischofs Konrad von Würzburg vom 1. November 1543 (gedruckt in: Heffner: Juden in Franken, S. 71 f.). Die letzte Supplikation Josels in der Sache erreichte den Reichshofrat nach dem 28. Juni 1544 (HHStAW, kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 14r–17r). Laut Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 258 – 259 waren die im Dokument genannten Juden – die Jüdin Reinlin mit ihren Söhnen Seligmann und Elieser sowie der Jude Mayer und Hendlin, die Frau des Juden Joseph – diejenigen, die verhaftet wurden. Allerdings erklärt das Dokument explizit, dass die genannten Jüdinnen und Juden sich von etlichen Iren musst kumern, d. h. sich um ihre Angehörigen Sorgen machten. Vgl. den Geleitbrief in: Heffner: Juden in Franken, S. 71.
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herbeigerufen.¹⁴⁰ Relativ schnell stellte sich heraus, dass man sich auf die Hilfe des Bischofs nicht verlassen konnte, weshalb man eine Beschwerde an den Kaiser schickte. Mit dem Argument, dass der Kaiser die Judischeit vnd sonst ain jeden von vnbillichen beschwerungen zuverhindern habe, erstrebten die Juden die Einstellung des Verfahrens. Sie konnten in der Tat bewirken, dass der Kaiser dem Bischof befahl, ihm auf dem Reichstag (in Speyer) über die Angelegenheit Bericht zu erstatten und bis dahin alle peinliche frag vnd processen gegen den gefangnen Juden zu suspendieren.¹⁴¹ Die Antwort des Bischofs wurde fünf Tage später verfasst, am 18. Februar, ohne dass der Prozess in dieser Zeit eingestellt wurde. Darin schilderte der Bischof die Anklage des Vaters des ermordeten Kindes und das Verfahren des zuständigen Zehntgerichts und beharrte darauf, dass alles rechtens verlaufen sei.¹⁴² Am 26. Februar richteten die jüdischen Unterhändler ein Begehren an den Reichshofrat wegen der gefangnen Juden zu Obernhaud und baten um einen Beuelh an Bischof zu Wirzburg, das man Sy auf Caution außlassen wolle. Als man ihnen das Antwortschreiben des Bischofs zeigte, baten sie darum, dass der Prozess vor einem unparteiischen Gericht fortgeführt würde.¹⁴³ Dieser Bitte wurde am 3. März stattgegeben, aber erst nachdem die Juden sich mit einer weiteren Supplikation an den Reichshofrat gewandt hatten.¹⁴⁴ Darin beschwerten sie sich, dass unter den Gefangenen ein 16-jähriges Madlin und seugenden kindern mit eingesperrt seien und dass sie allain mit wasser vnd Brot versorgt würden. Zusätzlich würde man die verwanten [der Gefangenen (A.S.)], so inen speyß, drunck vnd klaidung schicken wollen, daran hindern.¹⁴⁵ Der Kaiser reagierte auf diese Supplikation mit dem Erlass eines Befehls an den Bischof, den
Josel erreichte Würzburg Ende Dezember 1543 und blieb dort bis zum 28. Januar 1544. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 256. Entwurf des Mandats Karls V. an den Bischof von Würzburg vom 13. Januar 1544, in: HHStAW, RHR, Jud. Misc. (E 2), K. 21, Konvolut (Konv.) 1, Bl. 1. Vgl. Antwortschreiben Konrads von Würzburg vom 18. Februar 1544, in ebd. Bl. 2. Vgl. Reichshofratsprotokoll für den 26. Februar 1544, in: HHStAW, RHR, Protocolla rerum resolutarum saec. XVI. (Resolutionsprotokolle), Band 1a und 1b: 23. Februar – 10.Juli 1544, hier Bd. 1, Bl. 4r und Protokolleinträge vom 28. Februar 1544, ebd. Bd. 1a, Bll. 6v und 8r. Eine Darstellung dieser Quellengattung und ihres Stellenwerts für manche Fragestellungen erfolgt in der Einleitung zu Kapitel 7. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 260, Anm. 583 gibt ein falsches Datum (23. Februar) an. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1a, Bl. 10v. Die Supplikation ist zwar verschollen, aber der Entwurf des Befehls an den Bischof von Würzburg vom 3. März 1544, in: HHStAW, RHR, Antiqua, K. 1159, Bl. 6, wiederholt diese Anklagen.
6.4 Die Überwindung der konfessionellen Gefahr?
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Angehörigen der eingesperrten Juden ein Geleit zu gewähren, zu ausfuerung Irer vnschulde, gegenwere vnd ander rechtlicher notturfft. ¹⁴⁶ Ende April wandten sich jüdische Vertreter ein weiteres Mal an den Reichshofrat und erwirkten ein Mandat zugunsten der gefangenen Juden. Diesmal waren die Adressaten Philipp Truchsess von Pommersfelden, der Herrschaftsrechte in der Region besaß, und ein namentlich unbekannter Zehntrichter.¹⁴⁷ Damit versuchten die Juden, weiteren Druck auf das Gericht auszuüben. Allerdings brachte dieser Versuch nicht die erwartete Rettung, wie Josel in seiner nächsten Supplikation in der Sache berichtete. Laut seinem neuen Gesuch sei das letzterbetene Mandat nit erhendig auß E. Key. Mat. Canzlei, auch durch vffhaltung E. Kay. Mat. Chamergerichts botten zuuerkünden, verzogen worden.¹⁴⁸ Die Konsequenz dieser Verzögerung war, dass die Richter die armen drei weyber, vnnd ein Junckfrauwen gemartert vnnd gepeinigt, nach ierem beschehen befragt, vff erdichte laster zubekennen, […] on ableßlich gemartert biß gar nehe vff den thod gepracht und somit die Halsgerichtsordnung (Carolina von 1532) verletzt hatten.¹⁴⁹ Diese Verletzung der Rechte ‚aller‘¹⁵⁰ sei, so argumentierte Josel, nye erhort worden und untergrabe zugleich die kaiserliche Autorität, denn die Juden seien E. Kay. Mat. one mittel zugehorig, vnnd vnderwerffen, vnnd nyemand [soll (A.S.)] on E. Key. Mat. beuelch sie beschedigen oder peinnigen dürfen.¹⁵¹ Mit dieser Formulierung vollzog Josel rhetorisch einen Akt der Unterwerfung der Judenschaft unter den kaiserlichen Schutz. Dadurch argumentierte er auch, dass jede Verletzung der Rechte der Juden einem Angriff auf die kaiserlichen Herrschaftsrechte gleichkäme. Um ‚nachzuweisen‘, dass der Wille des Kaisers in diesem Fall missachtet worden sei, wurde gleich zu Beginn der Supplikation hervorgehoben, dass zwei bereits ergangene Befehle des Kaisers an den Bischof den Rechtsbruch nicht beendet hätten.¹⁵² Das habe als Folge gehabt, dass die Juden, die nuhn bißinn dreissig wochen gefanngen, in kolt, vnnd hiz ganz erbermlich außgehungert, verdorben, schwach worden, vnnd jezt zu letst onleidliche marter erleiden mussten.¹⁵³
Gedruckt in: Heffner: Juden in Franken, S. 72 f. Vgl. Protokolleintrag vom 29. April 1544, in: ebd. Bl. 60v. Supplikation Josels von Rosheim an Kaiser Karl V., nach dem 16. Mai 1544, in: HHStAW, RHR, Jud. Misc. 43 (J 3), Konv. 2, Bll. 2r–3v. Nach vermög E. Kay. Mat. vnnd des Rom reichs, vffgericht, halßordnung. HHStAW, RHR, Jud. Misc. 43 (J 3), Konv. 2, Bll. 2rf. Josel erwähnte in diesem Zusammenhang, dass die Verletzung wider recht, auch vber, vnnd wider der Churfst. Mentz vnnd pfalz auch der Bopstlich heyligkeit botschafften vor derzeit beschener fürschrifften geschah. Ebd. Bl. 2v. Ebd. Vgl. Ebd. v. a. Bl. 2r. Ebd. Bl. 3r.
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Auf der Basis dieser Argumentation bat Josel den Kaiser um eine neue Maßnahme: E. Key. Mat. [wolle] einen Chur oder Fursten des Hey. Reichs zu Comissari verordnen, die cleger vnnd die gefanngen Juden gnugsam zuuerhoren, do dann E. Key. Mat. vnnd meniglich onzweiffeln befinden werden, das den gefanngenen Juden ir bericht mit vnwarheit vffgelegt vnnd ir vnschuld an tag komen.¹⁵⁴
Diese Bitte war außergewöhnlich, denn die Einsetzung einer Kommission hätte zur teilweisen Aufhebung der autonomen Jurisdiktion des Bischofs von Würzburg und des Truchsesses von Pommersfelden geführt.¹⁵⁵ Auch dem Zehntgericht wäre dadurch die Jurisdiktion mitten im Prozess entzogen worden. Die Kommissare, welche der Reichshofrat zu ernennen hatte, hätten die Befugnis gehabt, beide Konfliktparteien zu vernehmen und zu urteilen, wer Recht hatte. Zwar ist nicht bekannt, ob tatsächlich eine Kommission gebildet wurde. Aber der Druck auf die Obrigkeiten wuchs und die gefangenen Juden wurden freigelassen. Vermutlich wurden auch etwaige durch Folter forcierte Geständnisse für nichtig erklärt.¹⁵⁶ Während in der Forschung bislang angenommen wurde, dass die Freilassung der Juden Oberhaids kurz nach dem Überreichen dieser Supplikation erfolgte¹⁵⁷, beweist eine weitere Schrift Josels von Rosheim das Gegenteil.¹⁵⁸ In diesem an König Ferdinand gerichteten Schreiben¹⁵⁹ änderte Josel seine Taktik und versuchte, weit mehr als ‚nur‘ die Freilassung der ‚Würzburger‘ Juden zu
Ebd. Kaiserliche Kommissionen zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten konnten in der Regel zwischen den Konfliktparteien oder zumindest mit deren Zustimmung als Konfliktregelungsform vereinbart werden. Sie konnten von einer Konfliktpartei gefordert und vom Reichshofrat in Auftrag gegeben werden, wobei letzterer Fall nur gilt, wenn der Prozess am Reichshofrat geführt wurde. Vgl. Ehrenpreis: Kaiserliche Gerichtsbarkeit, S. 53 – 58, hier S. 53 f. Es kann nicht angenommen werden, dass das Kommissionswesen des Reichshofrats in dieser Zeit bereits gut organisiert und seine Arbeitsweise standardisiert war. Josel bat um die Freilassung der Juden unabhängig davon, ob sie die Tat durch angelegter hohen gwalt vnnd pein […] hetten musen bekennen, oder nit. HHStAW, RHR, Jud. Misc. 43 (J 3), Konv. 2, Bl. 3r.Vgl. auch den Bericht Josels in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 334. So behandelt beispielweise Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 261– 263 die Supplikation vom Mai als das letzte Dokument in der Affäre. Verfasst wurde sie nach dem 28. Juni 1544. HHStAW, RK, Kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 14r–17r. Die Ansprache lautet Aller durchleutchtigister Großmechtigister Romischer Künig. Laut den Reichsregisterbüchern verließ Karl V. Speyer bereits am 9. Juni 1544 und befand sich in der Zeit, in der diese Schrift verfasst wurde, in Metz oder Brüssel. König Ferdinand hingegen blieb noch im Reich.
6.4 Die Überwindung der konfessionellen Gefahr?
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erwirken. Seine Schrift war ein Versuch, die Blutbeschuldigung grundsätzlich auszuhöhlen und zu diskreditieren.¹⁶⁰ Interessanterweise griff Josel in seiner ‚Beweisführung‘ keine Themen oder Argumente aus der weit bekannteren ‚Schrift gegen die Blutbeschuldigung‘ auf, die Andreas Osiander zugeschrieben wird – möglicherweise, weil er fürchtete, dass der König sie bereits durch die verleumderische Schrift Ecks kannte. Stattdessen wählte er eine juristische bzw. obrigkeitsbezogene Verteidigung. Er betonte wiederholt, dass die Juden von der Schuld an diesem Vorwurf durch allen Bäbssten Kaisern von Konigen, vonn dem stul zu Rom vnnd von allen hergeprachtenn Concilien freigesprochen worden waren.¹⁶¹ Diese Position der Würdenträger setzte er der Meinung des vnuerstendige[n], gemeinen Mannes entgegen, der glaube, dass er gott ein wohgeuallenn [thue, die Juden (A.S.)] zuuerthunen, nur weil sie sitt [=seit (A.S.)] der außtribung Jherusalem biß an disen tag, mit viel straffen bekosstigt werdenn. ¹⁶² Im Hauptteil der Schrift führte Josel die ‚Entwicklungsstufen‘ der Schutzgewährung gegen diese verleumderische Anklage an. So begann er mit dem Hinweis auf die Schutzprivilegien, die den Juden von weltlichen wie von geistlichen Herrschern gewährt worden seien, nachdem hochgelerte doctores vnd gethöiffte Judenn aus der Heiligen Schrift die Unzulänglichkeit des Vorwurfs erkannt hätten.¹⁶³ Damit griff Josel u. a. auf das Verfahren, das Kaiser Friedrich II. zur Untersuchung des Ritualmordfalls von Fulda von 1235/36 berufen hatte, zurück.¹⁶⁴ Darauf begann er mit der Aufzählung der päpstlichen und kaiserlichen Privilegien, für die er Abschriften vorweisen konnte,¹⁶⁵ und erklärte, dass das gemeine[..] volck von diesen Privilegien und diesem Urteil nichts gehört habe, weshalb Kaiser und Könige des Reichs beschlossen hätten, dass sie nie habenn wollenn zulassen
Verteidigungsschrift Josels von Rosheim vom 28. Juni 1544 gegen die Blutbeschuldigung. HHStAW, RK, Kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 14r–17r. Es spricht einiges dafür, dass es sich um eine erweiterte und angepasste Fassung der ‚Worte der Verteidigung‘ handelt, die Josel 1529 im Zusammenhang mit der Blutbeschuldigung von Pösing (Kap. 4.2.3.) verfasst hatte. Ebd. Bl. 14r. Ebd. Ebd. Vgl. darüber Bernhard Diestelkamp: Der Vorwurf des Ritualmordes gegen Juden vor dem Hofgericht Kaiser Friedrichs II. im Jahre 1236, in: Dieter Simon (Hrsg.): Religiöse Devianz. Untersuchungen zu sozialen, rechtlichen und theologischen Reaktionen auf religiöse Abweichung im westlichen und östlichen Mittelalter, Frankfurt am Main 1990, S. 19 – 39; Konrad Lübeck: Der angebliche Fuldaer Ritualmord des Jahres 1235, in: Ders.: Fuldaer Studien. Geschichtliche Abhandlungen, Bd. 1, Fulda 1949, S. 165 – 185; Moritz Stern: Die Blutbeschuldigung zu Fulda und ihre Folgen, in: ZGJD 2 (1888), S. 194– 199 und Battenberg: Ritualmordprozesse, S. 105 – 112. Diese Privilegien wurden bereits in Kap. 4.2.3. besprochen.
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on [ihre] vorwissen, vnser [der Juden (A.S.)] plut zuuerurtheiln. ¹⁶⁶ Er machte somit wieder auf den Unterschied zwischen den einfältigen Leuten aufmerksam, die solchen üblen Gerüchten glaubten, und den Obrigkeiten, die solchen myßglauben ablehnten. Deutlich wird aus seiner Argumentation zudem, dass die Entscheidung zum Schutz vor diesem Vorwurf wiederholt und kontinuierlich von den Obrigkeiten bestätigt und erweitert worden war.¹⁶⁷ Da die wiederholte Schutzerneuerung die Beschuldigung nicht aus der Welt schaffen konnte – wofür Josel den aktuelleren Fall von Titting und einen Fall von Landau¹⁶⁸ anführte –, musste die kaiserliche Majestät in den letzten Jahren etliche Male zugunsten der Juden und gegen ihre Verfolger handeln. Nichtsdestotrotz hätte man jetzt nehst auch der gleichenn zu Wurzburg auff vnwarhafftige erdichte lasster die armen Juden daselbst gefencklich vnd peinlich angenomen[..], das nu ein Jamer zuhören, das solliche grosse lobliche Bäbsste Kay. vnnd Kö. Cardinal vnd Bischoffen iren gebott brieffenn vnnd der selbenn sigeln wie gehört nit glauben zugebenn.¹⁶⁹
Mit diesem Argument zielte Josel v. a. darauf ab, dass jedes Mal, wenn das Übel sich wiederholte, die kaiserliche Autorität von etlichen Herrschern missachtet und untergraben wurde. Die Bitte der Judenschaft, wie Josel sie formulierte, war mehrstufig. Zunächst sollte der Kaiser die Schrift annehmen und beratschlagen lassen und danach das Ergebnis vor allen Ständen verkünden, damit sie über den Schutz der Juden vor Gewalt öffentlich informiert würden. Als Nächstes wurde gefordert, dass ein Befehl an das Kammergericht und den kaiserlichen Fiskal ausgehen solle, gegen diejenigen vorzugehen, welche solliche freiheitenn vnd gnaden verachtiglichenn hilten. Nicht zuletzt sollte der Fiskal den Juden bei ihren Prozessen gegen die Übertreter der kaiserlichen Freiheiten behilflich sein, dann vns armen nit möglich [ist,] Jedenn zubeclagenn, vnd fürzunemen, vmb sollichs one by stand. ¹⁷⁰ Schließlich sollte im Fall der Juden von Würzburg ein Befehl zur Befreiung der gefan-
HHStAW, RK, Kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 15r. So habe Kaiser Friedrich III. die Verfolger der Juden in schwere Ungnade gestellt, Kaiser Maximilian I. die Juden vor der Verbrennung gerettet und Kaiser Karl V. den Juden alle ihre Schutzbriefe mit außgetrucktenn worten, das mann keinen Juden oder Jüdin peinlich oder gefengklich annemen, erneuert und überall im Reich verkünden lassen sowie dem Reichskammergericht befohlen, die Juden by solchenn gnden vnd freiheiten altherkomen vnd gewonheitenn [zu] schirmen. Ebd. 15r-v. Dazu vgl. CAHJP, P 17/177, S. 169 – 175. HHStAW, RK, Kleinere Reichsstände, K. 539, Bl. 16r. Ebd. Bl. 16v.
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genen jüdischen Frauen und Männer erlassen und den Juden ermöglicht werden, gegen die Peiniger vor das loblich Camergericht, oder wo vns E. Mt. heinwisett [=hinweist (A.S.)] des Rechtenn halber vorzugehen.¹⁷¹ Die hier vorgestellte Verteidigungsschrift beschränkte sich also nicht auf Abwehr, sondern stellte ein proaktives, initiatives Handeln dar. Dieses bestand darin, einerseits die Schutzgewährung zu bestätigen und zu festigen, sie darüber hinaus nach außen zu vertreten und auf ihrer Grundlage gerichtlich vorzugehen. Bemerkenswert dabei waren sowohl die argumentativ erzeugte unauflösliche Verschmelzung der kaiserlichen und jüdischen Interessen in der Sache und die Aktivierung von Reichsinstitutionen zum Schutz der Juden. Letzteres sollte vermutlich verhindern, dass die Schutzgewährung des Kaisers bei seiner Abwesenheit aus dem Reich wirkungslos bliebe. Interessant an dieser jüdischen Schrift gegen die Blutbeschuldigung ist zudem die vergleichsweise große Bedeutung, die darin dem Papst, dem Stuhl von Rom, den Konzilen und den Bullen eingeräumt wird.¹⁷² Traditionell stand die päpstliche Schutzherrschaft der Juden in Konkurrenz zu den Herrschaftsansprüchen des Kaisers.¹⁷³ Da aber diese Konkurrenzsituation im Laufe der Jahrhunderte an Aktualität und Potenz verlor, spielte sie im 16. Jahrhundert nur eine sehr marginale Rolle.¹⁷⁴ Es sei zudem in diesem Kontext an die Bestätigung der kaiserlichen Schutzfunktion über die Juden durch den päpstlichen Legaten Campeggio erinnert, welche die Juden 1532 in Regensburg erwirkten.¹⁷⁵ Außerdem hob die Schrift Josels die Zugehörigkeit und die Unterwerfung der Reichsjudenschaft unter die kaiserliche Kammer unzweideutig hervor. Lässt man alle Aktionen, die jüdische Vertreter im Zusammenhang mit den Rettungs- und Befreiungsversuchen der Würzburger Juden unternahmen, Revue passieren, so tritt die jüdische Annährung an den Kaiser eindeutig zutage. Zwar gab es ursprünglich jüdische Bemühungen um die Freilassung der gefangen gehaltenen Juden beim Würzburger Bischof und beim Gericht in Oberhaid, aber noch während diese Vermittlungsversuche vor Ort fortdauerten, suchten die Juden die Unterstützung des Kaisers. So wurde das erste Schreiben an den Kaiser
Ebd. Bl. 17r. Der Stuhl zu Rom sowie das Urteil von Rom werden zweimal genannt. Die Päpste werden sieben Mal erwähnt und dazu kommt die Aufzählung der Päpste, die die Juden in Schutz nahmen. Es gibt zudem vier Erwähnungen der Konzile und mindesten drei Nennungen päpstlicher Bullen. Vgl. Battenberg: Zeitalter, S. 117– 119. Dass der päpstliche Schutz überhaupt von Bedeutung war, zeigt die in Böhmen verkündete Bulle Papst Pauls III. zum Schutz der Juden vom 12. Mai 1540, in: Bondy/Dworskỷ: Zur Geschichte, Nr. 453, S. 327– 329. Vgl. Kapitel 5.2.1 dieser Arbeit.
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offenbar in der Zeit verfasst, als sich Josel und seine Mitstreiter noch in Würzburg aufhielten. Als der Kaiser nach Eröffnung des Reichstags nach Speyer kam, verlagerte sich dann der Schwerpunkt der jüdischen Bemühungen eindeutig dorthin. Alle weiteren jüdischen Aktivitäten wurden daraufhin vor den Agenten des Reichshofrats initiiert. Die Anwesenheit des Kaisers auf dem Reichstag erleichterte also die Arbeit der jüdischen Vertreter immens, denn sie ermöglichte ihnen die Bündelung und Konzentration ihrer Ressourcen auf eine zentrale und einflussreiche Instanz der Reichspolitik. Zwar konnte man aus diesem Grund nicht mehr vor Ort präsent sein, aber es eröffneten sich unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten, die schneller und effizienter umzusetzen waren. So konnte man in wenigen Tagen mehrere kaiserliche und reichsgerichtliche Befehle an unterschiedliche Herrschaftsträger und Instanzen veranlassen. Gleichzeitig festigte diese Vorgehensweise die Beziehungen jüdischer Anführer zu Agenten des Reichshofrats und bildete die Basis für weitere jüdische Interaktionen mit dieser Institution. Für das Jahr 1544, in dem die Juden vor dem Hintergrund einer Zunahme an Herausforderungen¹⁷⁶ und Bedrohungen eine umfassende Regelung ihrer Rechte und Sicherheiten anstrebten, bot die Annäherung an den Reichshofrat und den Kaiser einen erfolgversprechenden Ausgangspunkt. Die vielen in Speyer anwesenden Juden¹⁷⁷ nutzten ihren Aufenthalt in der Stadt nicht nur, um für sich selbst
Eine Herausforderung finanzieller Natur war die neue Türkensteuer, die zwar nicht höher als die frühere war, deren Einhaltung aber einer restriktiveren Überprüfung unterlag – vermutlich unter dem Einfluss des sächsischen Kurfürsten. Vgl. Artikel 41 und 63 des Abschieds des Reichstags von Speyer vom 10. Juni 1544, in: Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Der Speyerer Reichstag von 1544 [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 15] (RTA JR 15), 4. Teil, bearb. von Erwein Eltz, Göttingen 2001, Nr. 565, S. 2244– 2304, hier S. 2257 und 2264. Vgl. auch das Gutachten des Kurfürsten von Sachsen zur offensiven Türkenhilfe vom 29. Mai 1544, in: ebd. 3. Teilband, Nr. 189, S. 1288 – 1304, hier S. 1299. Neben Josel von Rosheim und den beiden Rabbinern, die ihm halfen, werden folgende Juden in den Protokollen des Reichshofrats erwähnt (nicht alle Namen konnten rekonstruiert werden): Abraham vnd Jsaac Juden zu Gohrchaim; Jacob vnd Simon Juden zu Kuntzberg (Günzburg); Samuel Jud von Landaw; Beifuß Jud zu Landaw vnd sein Sone Abraham; Samuel Abraham, Jacob Jud von Schweinfurt; Michel Jud von Dormstat; Capelman vnd Jsayas Juden zu B(?)ehingen (Vaihingen?); Jacob Jud von Eßlingen; Mosse vnd Samuel Juden von Burgaw; Samuel Jud von Wormbs; Jacob Jud zu Dalheim vnd Gase Jud sein Vetter; Jacob Jud von Bensaim vnd Salomon von Vmbstat, und Josel Jud vnten(?) die Tagmen(?). Außerdem waren Vertreter der ehemaligen Regensburger Gemeinde ebenfalls anwesend sowie einige Juden aus Alexandria und Krakau. Sehr auffallend ist die Abwesenheit Frankfurter Juden in den Protokollen. Allerdings ist davon auszugehen, dass einer der Mitstreiter Josels in der Würzburger Affäre der Rabbiner Seligmann aus Frankfurt war. Siehe HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1a.
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Geleitbriefe¹⁷⁸ oder andere Hilfestellungen für ihre privaten Interessen¹⁷⁹ zu erwirken, sondern auch, um mit dem Kaiser über ein neues Privileg zu verhandeln. Die Protokolle des Reichshofrats enthalten zwar keine gesonderten Auskünfte über diese Verhandlungen, es kann aber angenommen werden, dass sie im Rahmen der Gespräche über die Befreiung der Würzburger Juden stattfanden. Das Ergebnis der Verhandlungen ist hingegen sehr wohl bekannt. Es handelt sich um das auf den 3. April 1544 datierte Privileg für die gemaine Jüdischait, so in dem heilligen Reiche desselben fürstenthumben, Graffschafften, Herrschafften, Lannden, Stettenn, vnnd gepietten, ir wonnung vnnd erhaltung haben. ¹⁸⁰ Es scheint eine gewisse Unklarheit über das Zustandekommen des Speyerer Judenprivilegs bzw. ‚Carolinums‘¹⁸¹ zu geben. Zwar findet man in den vielen Bestätigungen und Erneuerungen des Privilegs immer den 3. April 1544 als Erstellungsdatum der Urkunde, jedoch wurde das Privileg tatsächlich erst auf dem Regensburger Reichstag von 1546 den Juden verliehen.¹⁸² Dies erklärt auch, warum Josel in seinen Supplikationen bezüglich der gefangenen Juden, die sicherlich nach dem 3. April verfasst wurden, keinen Bezug auf dieses Privileg nahm. Der Grund für die lange Verzögerung bis zur Ausstellung der Privilegsurkunde ist nicht bekannt. Zwei Hauptgründe erscheinen wahrscheinlich: Zum einen war der Kaiser offensichtlich sehr mit anderen schwerwiegenden Problemen – wie dem Krieg gegen Frankreich, einem drohenden Krieg gegen die Türken und der Religionsfrage, zu deren Lösung er sich um die Berufung eines Konzils bemühte – beschäftigt.¹⁸³ Zum anderen muss bedacht werden, dass Josels Schrift gegen die
Vgl. ebd., Bll. 54v, 70v, 75r, 80v, 82v, 87v, 103r und Bd. 1b, Bl. 122r. Vgl. ebd. Bd. 1, Bll. 54r, 64r, 67v und 82r. Das Privileg vom 3. April 1544 ist in vielen Kopien überliefert. Die meisten Exemplare befinden sich als sogenannte Inserate in späteren Bestätigungen. Siehe z. B. HHStAW, RHR, Conf. Priv. dt. Exp., K. 95, Bll. 4r–9v; HStAD, A 14, Nr. 2767, Bl. 171r–176r; HStAM, 86 Nr. 19943 (alte Signatur: 86 Hanauer Nachträge α611); GLA Karlsruhe 67/894, 171– 176. Für weitere Exemplare vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 294, Anm. 671. Hier wird das Exemplar aus dem HHStAW benutzt. Battenberg: Privilegierung, S. 164 weist darauf hin, dass dieses Privileg von den meisten nachfolgenden Kaisern (Ferdinand I, Maximilian II., Rudolf II., Matthias, Ferdinand II., Leopold I. und Karl VI.) bestätigt und erneuert wurde. Vgl. Battenberg: Zeitalter, S. 164. Vgl. Abschnitt 28 in Josels Chronik, in Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 337– 339, hier S. 337. Man könnte in diesem Zusammenhang auch seinen Gesundheitszustand anführen, der ihn für fast ein halbes Jahr daran hinderte, am Reichstag in Worms teilzunehmen. Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Worms 1545 [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 16], 1. Teilband (RTA JR 16), bearb. von Rosemarie Aulinger, München 2003, S. 64 f. Vgl. zudem das Mandat Karls V. an Josel von Rosheim vom 7. August 1545, gedruckt in: Kracauer: Procès, S. 288.
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Blutbeschuldigung erst im Juni 1544 eingereicht wurde. Da das 1546 erstellte Privileg auch diese Problematik enthielt, erscheint es logisch, dass die Juden selbst 1544 um die Verzögerung der Ausstellung der Privilegsurkunde baten, damit diese Thematik rechtlich überprüft werden und eine Berücksichtigung finden konnte. Überhaupt musste eine juristische Überprüfung der zugesprochenen Rechte vorgenommen werden, handelte es sich schließlich um „das freiheitlichste und großzügigste [Privileg], das je den Juden gegeben worden ist“.¹⁸⁴ Auch wenn das zugesprochene Privileg 1544 doch nicht erteilt wurde, so erhielten die Juden am mehrfach erwähnten 3. April 1544 doch ein Mandatum Generalis, de non molestando contra Pacem publicam, und zwar in Druckform. ¹⁸⁵ Das Mandat war zwar nicht so umfassend wie das Privileg; es besteht aber kein Zweifel daran, dass es sowohl in seinem Wortlaut als auch in den enthaltenen Bestimmungen auf dem späteren ‚Carolinum‘ basierte.Vermutlich wollte man auf diesem Wege den Juden diejenigen Rechte gewähren, für die es keine rechtlichen Bedenken gab. Aus dem Wortlaut des Mandats lassen sich drei wichtige Schlüsse ziehen: Erstens scheint die argumentative Strategie, die in den Supplikationen der vergangenen Jahre stets bemüht wurde, von Seiten des Kaisers wohlwollend rezipiert worden zu sein. Die immer wieder suggerierte Verbundenheit der Interessen des Kaisers mit denen der Juden fand einen klaren Ausdruck im Speyerer Mandat. Der Kaiser übernahm darin die Interpretation, dass die Verletzung der Rechte der Judenschaft eine Despektierlichkeit gegenüber seiner Autorität und einen Bruch von Reichsrechten bedeutete. Aus diesem Grund beklagte er, dass entgegen vnsern vnd des Reichsauffgerichten Landtfriden [gehandelt würde (A.S.)], vnd das Sy ainem yeden, so spruch vnd forderung, zu [den Juden (A.S.)] samptlich oder sonderlichen zuhaaben vermaint, vor vns, vnserm Kaiserlichen Camergericht, oder an enden, da sich dasselb gepurt, Rechtens¹⁸⁶
S. Stern: Josel von Rosheim, S. 161. So musste zum Beispiel geprüft werden, ob das Recht, höhere Zinsen als Christen auf geliehenes Geld zu nehmen (HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, Bl. 7r), die Bestimmungen der Reichspolizeiordnung nicht verletzte. Siehe HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1b, Bl. 117v. Die einzige mir bekannte Kopie befindet sich im HStA Stuttgart, A 56 Bü 8 (ohne Paginierung). Eine retroaktive Datierung ist ausgeschlossen. Am 4. Juni 1544 nahm Herzog Ulrich von Württemberg explizit Bezug auf dieses Generalmandat. Vgl. Ebd. Kaiserliches Mandat vom 3. April 1544, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 8. Dasselbe gilt auch für andere Rechtsverletzungen, die im Mandat angesprochen werden.
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zu erscheinen verpflichtet seien. Die wiederholte Missachtung von Reichsrechten und von kaiserlichen Privilegien der Juden veranlasste das Reichsoberhaupt, seine Rechte als Schutzherr zu restaurieren: [D]ieweil vns dan, als Römischem Kaiser gebürt, ainen yeden bey Recht, vnd seinen habenden Freyhaiten zuhandhaben, vnd vor vnbillichen gewalt zu schützen vnd zuuerhüeten, des auch zuthun [wir (A.S.)] gentzlich gemaint sein.¹⁸⁷
Zweitens handelte es sich bei diesem Mandat um eine Schutzerneuerung mit wenigen Erweiterungen. So wurde dem Ausweisungsverbot der Juden von iren heußlichen wonungen, haaben vnnd Güettern ergänzend hinzugefügt, dass es nicht erlaubt sei, diese zu zerstören oder ihnen zu entwenden.¹⁸⁸ Darüber hinaus aber wirkte das Dokument wie eine Wiederholung von alten Privilegien und wurde im Wesentlichen – vom württembergischen Herzog zumindest – als ein Geleitbrief gesehen. Drittens wurde darin die Summe der bei einer Verletzung der Bestimmungen zu entrichtenden Pen nicht genannt. Stattdessen wurde auf den Strafbetrag im nicht ausgestellten Privileg verwiesen. Die Konsequenz für die Juden war, dass sie zwar einen kaiserlichen Schutzbefehl erhielten, dass aber fraglich blieb, wie wirkungsvoll dieser war. Die Reaktion des Herzogs von Württemberg auf das Mandat ist ein gutes Beispiel dafür. Ulrich I. befahl seinen Amtmännern, die württembergische Landesordnung vnangesehenn solches gleits umzusetzen und jüdische Durchreise durch sein Territorium zu verbieten.¹⁸⁹ Soweit bekannt, blieb diese Verletzung des Mandats ohne Konsequenzen für Württemberg. Es scheint, dass die Juden mit diesem Mandat ihr Ziel verfehlt hatten. Sie konnten die so dringend benötigten Schutzregelungen, Rechte und Freiheiten nicht erhalten und hatten dadurch keine Lösungen für die Probleme, mit denen sie sich in diesen Jahren konfrontiert sahen. Tatsächlich erfährt man erst aus dem Wortlaut des letztendlich 1546 ausgestellten Privilegs die Tragweite der versprochenen Rechte und Freiheiten, auf die die Juden zwei lange Jahre hatten warten müssen.¹⁹⁰ Über die Bestätigung und Erneuerung sämtlicher früherer Privilegien hinaus wurden die Juden im Privileg erneut in kaiserlichen und reichsrechtlichen
Ebd. Ebd. Schreiben Ulrichs von Württemberg an seine Räte vom 4. Juni 1544, ebd. Vgl. HHStAW, RHR, Conf. Priv. dt. Exp., K 95, Bll. 4r–9v, hier Bl. 4v. Es handelt sich bei diesem Exemplar laut der Kanzleinotiz um eine dem Original gleichformig gemachte Abschrift. Act. zu Prag den 15. Jan. 1562. Eine weitere Abschrift findet sich in der Bestätigung des Privilegs durch Kaiser Maximilian II. vom 18. März 1566, in: HStAD, A 14, Nr. 2767. Das Dokument ist v. a. in seiner Druckform als Inserat in der späteren Bestätigung des Privilegs durch Kaiser Rudolf II. vom 15. Juni 1577 bekannt. Vgl. HStAM, 86 Hanauer Nachträge, Nr. 19943.
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Schutz, Schirm, Sicherheit und Geleit für gewalt vnnd zu Recht aufgenommen und ihr rechtlicher Status wurde explizit als im Landfrieden inbegriffen bekräftigt.¹⁹¹ Nach dieser allgemeinen Schutzaufnahme listete das Privileg einige Erweiterungen der Rechte der Juden auf. Zunächst wurde die Bedrohung der Versperrung, Schließung oder gar Enteignung jüdischer Synagogen angesprochen, die v. a. in protestantischen Territorien und in der Folge von Luthers antijüdischen Forderungen bestand. Der Kaiser belegte solche Praktiken mit einem Verbot und ordnete an, den Juden zu erlauben, ihren Kult irer gewonhait nach vnnd wie inen das in den Heilligen Concillien vnnd iren Freihaiten zugeben worden ist, beleiben, vnnd des alles Ruehigclich geprauchen. ¹⁹² Als Nächstes behandelte das Privileg den Schutz der Juden vor Entführung und unrechtmäßiger Verhaftung und den ihrer Besitztümer vor Beschädigung und Raub. Hierbei übertrug der Kaiser den Obrigkeiten die Pflicht, gegen diejenigen strafrechtlich vorzugehen, die diese Schutzbestimmungen verletzten. Der Schutz des Leibes und Besitzes der Juden sollte laut einer weiteren Bestimmung auch in Kriegszeiten bewahrt bleiben und sich auf die Reisen der Juden ausweiten. Darüber hinaus sollte den sich auf Reisen befindenden Juden von ainer yeden Oberkhait auf ir yedes ansuechen, mit notturfftigen genugsamen Glaidt gewährt werden.¹⁹³ Damit wurde eines der größten Probleme der Juden in dieser Zeit angesprochen: die fehlende Sicherheit auf Reisen. Um diese zu erhöhen, wurde auch die Befreiung vom Tragen sogenannter ‚jüdischer Abzeichen‘ bekräftigt.¹⁹⁴ Von besonderer Bedeutung war die Bestimmung, die Judenvertreibungen stark einschränkte. Demnach durfte eine Ausweisung von niemands mer [vorgenommen werden (A.S.)] der, oder die seyen, hoch oder Nider Standts aigenßwillens ohne eine Zustimmung des Kaisers. Damit sollte das Schicksal der jüdischen Niederlassungen nicht von der Willkür der verschiedenen Obrigkeiten abhängig sein.¹⁹⁵ Behandelte das Privileg bislang Schutz- und Rechtsbestimmungen, die im Kern nicht übermäßig umstritten waren, so dürfte dies beim nächsten Punkt nicht mehr der Fall gewesen sein. Denn der Kaiser beschloss zuzulassen, dass die Juden ihre Barschafften und Zinß […] umb so viel desto hoher vnnd etwas weitter vnnd merers dan denn Christen […] anlegen und wendn [dürfen sollen (A.S.)], und ihnen solches geduldet werden möge. Er begründete dies damit, dass die Juden mit mehreren und höheren Abgaben und Steuern als die Christen belegt seien.
HHStAW, RHR, Conf. Priv. dt. Exp., K 95, Bll. 5v und 6r. Ebd. Bll. 5v–6r. Vgl. ebd. Bll. 6r–6v. Vgl. ebd. Bl. 6v. Vgl. HHStAW, RHR, Conf. Priv. dt. Exp., K 95, Bl. 6v. Bei dieser Bestimmung berief sich der Kaiser explizit auf das Innsbrucker Privileg vom 18. Mai 1530.
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Gleichzeitig hätten sie keine liegenden Güter und seien zudem von vielen Berufen und Ämtern ausgeschlossen. Daher hätten sie auch keine Rücklagen, dauon sy solche anlagen erstatten und ihren Unterhalt verdienen könnten. Ihnen blieben demzufolge nur die Einnahmen, die sie vor iren Parschafften zuwegen bringen. ¹⁹⁶ Zwar scheint die Argumentation und Rechtfertigung für diese Bestimmung rational und wohl begründet zu sein, sie überrascht aber trotzdem, denn sie wurde in einer Zeit unternommen, in der jüdische Geldgeschäfte moralisch, theologisch und politisch pauschal als Wucher verurteilt und verteufelt wurden. Da Karl V. sich selbst oft auf die Seite derer stellte, die den Wucher bekämpften, ist es umso verwunderlicher, dass er in diesem Fall die jüdische Perspektive uneingeschränkt einnahm und rechtfertigte. Möglicherweise erwarteten beide Seiten aus einer derartigen Lockerung der jüdischen Geldgeschäfte eine Verbesserung der eigenen finanziellen bzw. fiskalischen Situation. Der nächste Punkt im Privileg muss ein Herzensanliegen der Juden in dieser Zeit gewesen sein, denn er behandelte den Vorwurf des Ritualmords. Der Kaiser übernahm auch hier die jüdische Sicht, dass dieser Vorwurf nit aus offenbaren, oder wissentlicher that, oder auf genugsame beweisung […], sonnder auß vrsachen verdenckens vnnd argwons, oder auf ploß anpringung irer [=der Juden (A.S.)] Mißgonner erhoben würde.¹⁹⁷ Er wiederholte die Argumentation, die bereits in Josels Supplikationen aufgeführt worden war, dass sowohl die Päpste als auch die Kaiser die Juden von dieser Beschuldigung freigesprochen hatten. Um derartige Verfolgungen künftig zu unterbinden, sollte die Strafverfolgung zwei Beschränkungen unterliegen: Erstens sollte niemand Juden one vorgeende genugsame anzeig, oder beweisung glaubwurdiger zeugen peinigen vnnd Marttern, noch vom leben zum todt richten dürfen. Zweitens wäre man auch bei der Befolgung der Bestimmungen der Halsgerichtsordnung verpflichtet, zuuor an vnnß oder vnnser nachkomen […] alß gemainer Jüdischait im Reich obriste Obrigkeit gelangen [zu] lassen, vnnd daselbst beschaid [zu] gewartten. ¹⁹⁸ Angesichts dieses weiten Schutzes kann die Bestimmung über die Blutbeschuldigung als die größte Errungenschaft im jüdischen Kampf gegen diese im 16. Jahrhundert gelten. Die Bedeutung des Dokuments für die Judenschaft steigerte sich dadurch immens, dass die darin enthaltenen Freiheiten und Rechte sich nicht nur auf die damals lebenden Juden beziehen, sondern auch für deren Nachkommen gelten sollten.¹⁹⁹ Da die Juden aber die Rechtspraxis im Reich kannten und wussten, dass spätere Gesetzgebung oder Privilegierung die hier verliehenen Rechte und Frei
Ebd. Bl. 7r. Ebd. Bl. 7v. Ebd. Bl. 8r. Vgl. ebd.
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heiten unterminieren oder diesen gar widersprechen könnten, unternahmen sie offensichtlich Schritte, um dies zu verhindern. In einer letzten Bestimmung wurde daher vereinbart: [O]b hierüber auß vergessenhait vnnd vngestuem anhalten, von vnnß oder vnnsern nachkomen am Reiche etwas das obbestimpten vnnd dieser vnnsern Freihait zuwider sein, außgeen oder gegeben würde, deßgleichen […] soll hiewider kain wurckhung Crafft noch macht haben, sonder gantz vnpundig vncrefftig vnnd vnschedlich sein, dann wir solches alles vnnd yedes besonder yetzt alßdan vnnd dann alß yetzt auffheben, cassieren, abthuen vnnd vernichten in Crafft diß Briefs.²⁰⁰
Als eine letzte Maßnahme, um die Wirkmächtigkeit des Privilegs zu garantieren, wurde eine für die Zeit besonders hohe Strafe von 50 Goldmarken bei einer Missachtung und Verletzung der hierin beschlossenen Rechte festgesetzt.²⁰¹ Insgesamt war also das Privileg ein vielversprechendes Instrument, um der Gesamtjudenschaft im Reich einen korporativen Schutz und korporative Rechte zu gewähren, die ihre rechtliche und ökonomische Lage stabilisieren und verbessern sollten. In den Jahren 1544‒1546 bemühten sich die Juden, das Zustandekommen des Privilegs zu sichern. Aus diesem Grund waren ihre politischen Aktionen darauf konzentriert, ihre Beziehungen zum Kaiser zu festigen und sich ihm als wohlgesinnt, dienstwillig und untertänig gehorsam zu zeigen. So verhielt es sich beispielsweise im Zusammenhang mit dem kaiserlichen Feldzug gegen Frankreich und auf dem Reichstag von Worms 1545. Zugunsten der Kriegsanstrengungen des Kaisers in Frankreich sollten die Juden eine Sonderabgabe entrichten. Laut Josels Beschreibung verhandelten jüdische Vertreter mit kaiserlichen Hofräten über die Höhe dieser Sondersteuer und kamen über eine Summe von 3000 Gulden überein, wobei der Wert eines jeden Guldens mit 15 Batzen festgelegt wurde²⁰² – was
Ebd. Bl. 8v. Die eine Hälfte der Strafe sollte in die kaiserliche Kasse fließen und die andere Hälfte der gemeinen Judenschaft oder dem bzw. den beschwerten Juden zugutekommen. Vgl. ebd. Bl. 9r. Vgl. Abschnitt 27 seiner Chronik, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 335. Diese Angabe wird durch ein Mandat Karls V. an Josel von Rosheim vom 7. August 1545 bekannt; gedruckt in: Kracauer: Procès, S. 298. Außerdem ist eine Kanzleinotiz vom 6. August 1545 überliefert, in der für die Juden eine Quittung über die Einzahlung von Hilfsgeldern aufgeführt wurde. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 257, Anm. 24 (zu S. 163) gibt den Inhalt wieder: Der judischeit quittung umb die 111mfl. reinisch, so sy zu der defensif hilff erlegt haben mit zusag, inen ire freyheit zu confirmieren. Originalnotiz befindet sich im HHStAW, RK, RTA, K. 16, Konv. 3, Bl. 224. Wohlgemerkt, diese Zahlung erfolgte ca. ein Jahr nach Beendigung des Kriegs durch den Frieden von Crépy am 18. September 1544.
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wohl einem Mittelwert entsprach.²⁰³ Darüber hinaus sollen die Juden weitere 400 Kronen zum Kauf von Getränken (für das kaiserliche Gefolge) gezahlt haben und zusätzlich eine Schenkung im Wert von 1000 Gulden gemacht haben.²⁰⁴ Aus Josels Bericht erfährt man zudem (indirekt), dass die Eintreibung nach dem Prinzip verlief, das die Juden 1542 in Worms vereinbart hatten.²⁰⁵ Alles deutet darauf hin, dass die Anführer der Judenschaft für die Summe von 3000 Gulden zunächst selbst aufgekommen waren. Am 7. August 1545 tat Karl V. Kund, dass Josel von Rosheim, beuelchhaber gemeiner vnnser judenschafft im hey[ligen] reych in namen derselben […] drew thausent guldenn reynisch in muntz […] zu der negstverscchinen Speyrischen dfensiev hilff […] par erlegt vnnd bezalt habe.²⁰⁶ Gleichzeitig aber gewährte der Kaiser dem jüdischen Befehlshaber das Recht, gegen Juden vorzugehen und diese gegebenenfalls mit dem Bann zu bestrafen, wenn sie ann solcher suma […] iren gepurennden thail gantz oder zu thail noch nit erlet hettenn, oder sich solcher erlegung vnnd bezalung widdern oder sperren wurde[n]. ²⁰⁷ Wenn der Betrag also zu diesem Datum bar vorlag und Josel dennoch den kaiserlichen Befehl brauchte, um das Geld einzutreiben, dann bedeutet dies wohl, dass sich noch nicht alle Juden daran beteiligt hatten. Da die zusätzlichen Schenkungen (im Wert von 400 Kronen und 1000 Gulden) in diesem Dokument nicht erwähnt werden, kann man annehmen, dass diese erst später beschlossen wurden.Vermutlich wollten sich die Juden damit als besonders dienlich erweisen, um den Kaiser zu animieren, das ersehnte Privileg nicht noch weiter hinauszuzögern. Zwar bescherte ihnen die Überreichung der 3000 Gulden die feste Zusicherung des Kaisers, er wolle ihnen ire privilegien vnnd freyhaiten […] in massen wir inen hieuor auf vnnserm jungst gehaltem reychstag zu Speyr des negst verschienen vier vnnd viertzigsten jare dieselben zu confirmieren bewilligen.²⁰⁸ Das Privileg wurde jedoch – aus einem unbekannten Grund – nicht
Vgl. Art. „Batzen“ im Deutschen Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtsprache, hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 1, Weimar 1934, Sp. 1249 – 1250. Vgl. Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 335. Vgl. ebd.: Wir trieben dreiviertel eines Guldens pro hundert ein. Gedruckt in: Kracauer: Procès, S. 298. Dass es sich um den Feldzug gegen Frankreich und nicht um andere kriegerische Auseinandersetzungen handelte, bezeugt der Geleitbrief für Josel von 1548, in dem der Kaiser Josels finanzielle Hilfe in vnserm Jungst Zug in Franckreich explizit nannte. Es handelt sich bei dieser Quelle um eine Bestätigung und Erweiterung des Geleitbriefs Josels auf seine Kinder durch Kaiser Rudolph II. vom 6. Dezember 1570, in: HHStAW, RHR, Conf. Priv. K. 94, Konv. 3, Bll. 442– 449. Weitere Exemplare finden sich ebd. Konv. 1, Bll. 209 – 218 und Konv. 2, Bll. 255 – 262, ebd. (neue Zählung), 20 – 53 und 58 – 78. Kracauer: Procès, S. 298. Ebd.
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bei dieser Gelegenheit ausgestellt. Dennoch erhielten die Juden eine zusätzliche Zusicherung über den Erhalt des Privilegs. Der Kaiser versprach ihnen, dass solche erlegung […] ganntz unschedlich vnd vnnachthailich sein vnnd kein neuerung oder ingang [für sie (A.S.)] bringen sollte²⁰⁹, das heißt u. a., dass ihnen hieraus nicht eine neue regelmäßige Steuer erwachsen würde.²¹⁰ Die Notwendigkeit, einen umfassenden kaiserlichen Schutz vorweisen zu können, zeigte sich 1545 in Worms als besonders dringlich. Bei den Beratungen über die Reichspolizeiordnung wurde der Vorschlag des großen Ausschusses diskutiert, ob es nit pesser sein solt, die juden gantz und gar uss dem Reych teutscher nation zu verweysen. ²¹¹ Als Grund für diesen Vorschlag nannte das Gutachten einige bekannte Argumente: So wurde beklagt, dass auß dem, das die juden im hl. Reych geduldet und zu wuechern zugelassen worden, […] vil underthanen in unuberwindtlichen schaden und verderben khomen seint. Ferner brachte man gegen die Juden den Spionagevorwurf zugunsten des erbvheindt[s] unsers hl. Christlichen glaubens und namens, der Durckh vor.²¹² Dieser Vorschlag führte zwar zu einer breiten Diskussion, aber die meisten Gremien lehnten ihn ab. Der Fürstenrat war der Meinung, dass das absolute Wucherverbot, das im ursprünglichen Vorschlag (und in der Reichspolizeiordnung von 1530) enthalten war, ausreiche und dass jede Obrigkeit ohnehin für ihr Territorium eine Vertreibung beschließen könne. Außerdem warnte man davor, dass eine Ausweisung den Türken umso mehr nutzen würde: Dan so sie gar vertriben, wurden sie dem Turcken mit leib, gut und großer kuntschaft, wie es in der teutschen nacion gelegen, zugewisern. ²¹³ Auch dem Kurfürstenrat wollte der Vorschlag schwerlich furfallen. Sein Argument war rechtlicher Natur, dann ein grosse mennig der juden und on zweivel durch etliche stende algerayt(!) uff etlich jar tolleranz erlangt. Diese Duldung der Juden war zudem nicht beliebig oder unrechtmäßig, weil das kaiserliche Recht zuließ, das sie sollen tollerirt werden. Daher plädierte der Kurfürstenrat dafür, dass die Bestimmung wie bei dem bisherigen Artikel der Reichspolizeiordnung einverleibt bleyben sollte. Über das Problem der angeblichen jüdischen Spionage empfahlen die Kürfursten, dass ob icht proditores [=Verräter (A.S.)] unter inen
Ebd. Vgl. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 163. Gutachten des großen Ausschusses vom 12. März 1545 zu einzelnen Artikeln der Polizeiordnung, ediert in: RTA JR 16, zweiter Teilband, Nr. 96, S. 1034– 1035, hier S. 1035. Ebd. Gutachten des Fürstenrates zum Entwurf der RPO vom 19. März 1545, in: RTA JR 16, 2. TB, Nr. 98, S. 1037– 1043, hier S. 1042.
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befunden, dieselben zu geburlicher straff zu bringen seien.²¹⁴ Später brachte der Kurfürstenrat den Vorschlag vor, dass jede Obrigkeit, die Juden bei sich zuließ, innerhalb von sechs Monaten Maßnahmen treffen müsse, damit die Untertanen nicht unter dem Wucher der Juden zu leiden hätten.²¹⁵ Der Städterat ging in seinem Widerspruch zum Vorschlag sogar einen Schritt weiter und wollte das geplante Verbot jüdischer Geldgeschäfte lockern.²¹⁶ Die Städte aber gaben zu bedenken, ob es nit besser und dem gemeinen man minder beschwerlich sein solt, den juden ein leydenlichen besuch [vermutlich Zins (A.S.)] eher dann handtwerck oder gewerb treyben zu gestatten. ²¹⁷ Sie waren der Meinung, dass daraus nur Zwiespalt und Uneinigkeit entstünden.²¹⁸ Außerdem wäre so eine Maßnahme nicht gebührlich, wenn Stände ihre Duldungsverträge mit Juden deswegen brechen würden.²¹⁹ Es gab also so gut wie keine Zustimmung für den Vertreibungsvorschlag in den verschiedenen Gremien des Reichstags, die sich mit der Reichspolizeiordnung beschäftigten.²²⁰ Dies bedeutet aber nicht, dass keine judenfeindliche Stimmung auf dem Reichstag herrschte. Der Zorn über jüdischen Wucher und angebliche Ausspähung für die Türken klang auch bei den ‚milderen‘ Stimmen in der Diskussion nach und es kam tatsächlich in einigen Regionen des Reichs zu Judenvertreibungen.²²¹ Vermutlich kursierten Gerüchte über diese Beratungen und erreichten jüdische Vertreter, die daher präventiv agierten und sich an den päpstlichen Legaten
Stellungnahme des Kurfürstenrats zum Entwurf der RPO vom 20. März 1545, in: ebd., Nr. 99, S. 1043 – 1046, hier S. 1044. Vgl. den Vorschlag des Kurfürstenrates zur Abänderung von Artikel 32 der RPO vom 26. April 1545, in: ebd., Nr. 105, S. 1062. Siehe dazu den Entwurf der RPO vom 12. März 1545, in: ebd. Nr. 94, S. 989 – 1027, hier S. 1014. Gutachten des Städterates zum Entwurf des RPO vom 15. April 1545, in: ebd. Nr. 102, S. 1055 – 1057, hier S. 1056. Vgl. die Wiederholung der Änderungsvorschläge und Protestation der Reichsstädte vom 24. April 1545, in: RTA JR 16, 2. TB, Nr. 104, S. 1059 – 1061, hier S. 1060. Gutachten des Städterates zum Entwurf des RPO vom 15. April 1545, in: ebd. Nr. 102, S. 1055 – 1057, hier S. 1056. Die Reichsstände protestierten sogar bei König Ferdinand und den kaiserlichen Kommissaren, dass sie den Vorschlag über die Zulassung eines kontrollierten jüdischen Geldhandels nicht genügend berücksichtigt hätten. Protestation der Reichsfürsten vom 3. Juni 1545, in: ebd., Nr. 109, S. 1065 – 1067, hier S. 1065 f. Es ging um Vertreibungen aus der Reichsstadt Esslingen, die eigentlich eine Nichterneuerung des Niederlassungsrechts beschlossen hatte, sowie aus Landau und aus Siedlungsorten im Erzbistum Mainz. Vgl. Josels Bericht in Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 336. Zu den Hintergründen dazu siehe ebd. S. 272– 284.
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zum Reich, Kardinal Alessandro Farnese, wandten und um Hilfe baten.²²² Josel von Rosheim, der anscheinend an dieser diplomatischen Aktion nicht teilnahm, berichtete tatsächlich, dass ein „guter Mann“ (Farnese) sich gegen die Vertreibungspläne stellte und argumentierte, die Gesetze der Religion würden es erfordern, dass die Juden unter christlicher Herrschaft des Kaisers und Königs blieben, um als Zeugnis für die Wahrheit des Christentums zu dienen.²²³ In der jüdischen Supplikation an Farnese ging es allerdings nicht um eine Vertreibung. Vielmehr baten die Juden darin um Hilfe gegen ihre persecutoribus, Nominatum vero Martino Luthero et eidem adherentibus, weil ihnen maxima iniuria ac oppressio drohten.²²⁴ Dabei argumentierten die Juden, dass nicht nur sie selbst wegen der Umtriebe Luthers und seiner Anhänger gefährdet seien, sondern auch die katholische Lehre, denn die Lutheraner würden nichts unversucht lassen, um die Katholiken auf ihre Seite zu ziehen und zum Übertritt zu ihrem Glauben zu bewegen.²²⁵ Sie baten den Kardinal daher, dass er pro sua Clementia & authoritate dignetur nobis miseris in hoc opitulari, quo Romana Ca[e]sarea ac regia Maiestates, nos, contra sua nec non pontificiae sanctitatis bullas priuilegia ac Sigilla opprimi non sinant ²²⁶ vorgehe und äußerten die Hoffnung, dass der Papst und die kaiserliche Majestät ihre Bullen und Gnadenbriefe verteidigen und bewahren würden. Die doppelte Strategie der Juden, einerseits die Gefährdung der Autorität des Privilegien- bzw. Bullenausstellers anzumahnen und andererseits den konfessionellen Antagonismus zu ihrem Zweck zu gebrauchen²²⁷, kommt auch am Ende
Vgl. Graetz: Geschichte, Bd. 9, S. 317; Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 62; Daniel J. Cohen: Über den Kampf der deutschen Juden gegen den Vertreibungsplan von 1545. Rabbi Josef von Rosheim und der Appell an Kardinal Farnese (Hebr.), in Israel und die Nationen. Essays zu Ehren von Schmuel Ettinger, übers. von Avraham Siluk. Online-Ressource: http://www.digam. net/indexd271.html?dok=9100, letzter Zugriff 30.01. 2015; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 266 – 271. Vgl. Abschnitt 27 der Chronik, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 336. Dieses theologische Verständnis der Rolle der Juden in der Heilsgeschichte gibt die traditionelle katholische Sicht wieder. Vgl. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 163 f.; Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 268 und Cohen: Über den Kampf. Bittgesuch der Juden im Reich an Kardinal Farnese, presentatu[m] in Comitiis Imperii. Wormasiae Anno [15]45, HStAM 115, Waldeck, 7.44. Die Quelle ist auch online verfügbar. Siehe: http://www.digam.net/indexd2c4.html?dok=9333, letzter Zugriff 30.01. 2015. Vgl. Jüdisches Bittgesuch an Farnese, in Cohen: Über den Kampf. Ebd. Alessandro Farnese war dermaßen bekannt für seine vehemente Gegnerschaft gegen das Luthertum, dass man ihm sogar noch in der historiographischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts als Protestantenschlächter gedachte. Vgl. Jacques Basnage de Beauval: Histoire de la religion des Eglises Reformées, Bd. 1, Rotterdam, Abraham Acher, 1690, S. 502 und Isaac de
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der Supplikation zum Ausdruck, als erneut die Dringlichkeit der Bitte damit unterstrichen wird: Farnese solle ihnen zu Hilfe kommen, damit sie ne á predicto Luthero aut aliis ei adherentibus […] aduersus antiquisimas ac laudabiliter in hunc vsque diem perductas consuetitines opprimamur. ²²⁸ Die jüdische Vorgehensweise, sich vom Kaiser gewisse Rechte und vom päpstlichen Legaten Unterstützung zu sichern, war also der Versuch, antijüdische Politik ‚von oben‘ zu torpedieren. Diese Taktik weist auf die hierarchische Orientierung der jüdischen Politik hin, die in den höchsten Autoritäten die besten Schutzgaranten erkannte.²²⁹ Gleichzeitig ist eine weitere strategische Überlegung zu beachten: Auch wenn nicht zu erwarten war, dass ein päpstlicher Vertreter Einfluss auf protestantische Stände hätte ausüben können, so ist dennoch denkbar, dass sein Einfluss die katholischen Reichsmitglieder dazu hätte bewegen können, etwaige überkonfessionell vereinbarte Vertreibungspläne aufzugeben. Auf diesem Weg fanden die Juden also eine Möglichkeit, die interkonfessionelle Zusammenarbeit in der Sache zu vereiteln. In den hochbrisanten konfessionellen Spannungen der 1540er Jahren könnte eine derart antilutherische jüdische Supplikation eine prokatholische Orientierung suggerieren. Selbstverständlich handelte es sich dabei nicht um eine Annährung in religiösen Fragen, sondern um eine politische Annährung der jüdischen Repräsentation an die zentralen katholischen Oberhäupter. Solche Annährungsversuche resultierten vermutlich nicht zuletzt aus einem politischen Kalkül, dass die Erlangung einer umfassenden Schutzgewährung durch protestantische Obrigkeiten angesichts der vorwiegend antijüdischen Stimmung und Politik im protestantischen Lager unwahrscheinlich sei. Zudem gab es unter den Lutheranern keine zentrale und beständige Instanz, die als Garant für jüdische Rechte hätte dienen können. Demgegenüber müssen der Kaiser und der Papst als weitaus stabilere Stützen für Schutz und Sicherheit gewirkt haben. Vor allem die feste Stellung des Kaisers innerhalb der politischen und rechtlichen Struktur des Reichs stellte eine der Hauptursachen für das jüdische Streben nach Nähe zu ihm dar. Das Sonderverhältnis der Juden zum katholischen Kaiser hatte jedoch dann das Potenzial, problematisch für die Juden zu werden, als 1546 eine militärische Konfrontation zwischen protestantischen und kaiserlichen Truppen bevorstand. In diesen kriegerischen Auseinandersetzungen geriet die jüdische Bevölkerung des Reichs zum ersten Mal faktisch zwischen die konfessionellen Fronten. Larrey: Histoire D’Angleterre, D’Ecosse, et D’Irlande, Bd. 1, Rotterdam, Reinier Leers, 1697, S. 531. Ich danke Christian Mühling ganz herzlich für diesen Hinweis. HStAM 115, Waldeck, 7.44. Über die These des jüdischen Königbündnisses siehe Yerushalmi: „Diener von Königen“.
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Liest man die Beschreibungen Josels von Rosheim zum Regensburger Reichstag von 1546 und zum Schmalkaldischen Krieg²³⁰, so gewinnt man den Eindruck, dass die Juden ihr Schicksal mit dem des Kaisers verbunden sahen. Zunächst ließ Josel den Kaiser als Vermittler erscheinen, der einseitig um eine friedliche Lösung der Situation bemüht war. Die Schuld am Ausbruch des Krieges gab Josel ausschließlich den Angehörigen des Schmalkaldischen Bundes und ihrem rebellischen Verhalten: Im Jahre [1546] kam unser Herr, der Kaiser nach Regensburg und befahl allen Ständen, zum Reichstag zu kommen, um die Meinungsverschiedenheiten […] auch in Glaubenssachen zu lösen. Und obwohl eine Mehrheit kam, rebellierten die zwei Fürsten, Sachsen und Hessen, und ihre Parteigänger gegen den Kaiser und verursachten Ärger, da sie gegen ihn seit Tagen und Jahren rebellierten.²³¹
Josel brachte die kaiserlichen Friedensbemühungen unmittelbar mit der Vergabe des Speyerer Privilegs zusammen und erzeugte dadurch ein äußerst positives Bild vom gnadenreichen und vom Gott begnadeten Kaiser. Auch bei der Behandlung des Krieges blieben Josels Beschreibungen sehr prokaiserlich. Seine Erzählung ließ Gott wie in einer biblischen Geschichte an der Seite des Kaisers stehen: Obwohl unser Herr, der Kaiser, erhaben sei er, keine so große und starke Armee besaß wie [die Protestanten (A.S.)], kam Gott ihm zu Hilfe, sodass er [seine Gegner (A.S.)] verfolgte und zerschlug. ²³² Mit dieser Sicht suggerierte Josel geradezu, dass ein Bund zwischen dem Kaiser und dem jüdischen Gott bestand.²³³
Die größeren Abhandlungen darüber sind: Bernabé de Busto: Geschichte des Schmalkaldischen Krieges, bearb. von Otto Adalbert Graf von Looz-Corswaren, Burg 1938; Adolf Hasenclever: Die kurpfälzische Politik in den Zeiten des schmalkaldischen Krieges (Januar 1546 bis Januar 1547) [Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. 10], Heidenberg 1905; Ders.: Die Politik Kaiser Karls V. und Landgraf Philipps von Hessen vor Ausbruch des schmalkaldischen Krieges (Januar bis Juni 1546), Marburg 1903; Hermann Josef Kirch: Die Fugger und der Schmalkaldischen Krieg [Studien zur Fugger-Geschichte, Bd. 5], Leipzig 1915; Neuere Studien behandeln den Krieg weniger ausführlich: Walther Peter Fuchs: Das Zeitalter der Reformation [Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 8], Stuttgart 1970; Brandi: Karl V., Kap. 11, S. 434– 486; Helga Schnabel-Schüle: Die Reformation 1495 – 1555, Stuttgart 2006, S. 202– 207. Abschnitt 28 der Chronik, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 337. Interessanterweise erwecken die Beschreibungen von Fraenkel-Goldschmidt über das kaiserliche Treiben während des Reichstags einen ähnlichen prokaiserlichen Eindruck. Vgl. ebd. 284– 286. Ausgewogener ist die Behandlung in: Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Der Reichstag zu Regensburg 1546, bearb. von Rosemarie Aulinger [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 17], München 2005 (RTA JR 17), S. 49 – 56. Ebd. S. 338.
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Die Relevanz des Kaisers für die Sicherheit der Juden blieb auch während des Krieges groß. Als die spanischen Truppen der kaiserlichen Armeen begannen, Juden auszurauben und zu töten, wandte sich Josel an den wichtigsten Berater Karls V. im Reich, Nicolas Perrenot de Granvelle, und erreichte, dass dieser zugunsten der Juden beim Kaiser intervenierte.²³⁴ Diese Intervention war erfolgreich und der Kaiser erließ einen Befehl, dass kein Soldat [seiner (A.S.)] Armeen weder Hand oder Fuß gegen die Juden, sie zu verletzen, erheben darf. ²³⁵ Die Übertretung des Befehls sollte mit dem Tod bestraft werden. Laut Josels Bericht hörten die Verfolgungen durch spanische Truppen unmittelbar danach auf und sie schlossen Frieden mit den Juden, die sie im Gegenzug in der darauffolgenden Zeit offen unterstützten. Josel schrieb: Als der Kaiser mit seiner Armee zur Schlacht kam, brachten die Juden Brot und Wein und schafften dem kaiserlichen Heer mehr als 50 Wagen und Karren herbei. ²³⁶ Über diese logistische Hilfe hinaus soll die jüdische Führung an alle jüdischen Gemeinden appelliert haben, dass sie morgens und abends [für den Sieg des Kaisers] beteten und die liturgischen Hymnen „Avinu malkenu“ [=Unser Vater, unser König] und „Schir ha-jechud“ [=Lied der Einheit] rezitierten.²³⁷ Über Frankfurt berichtete Josel, dass die dortigen Juden dafür beteten, dass Gott unseren Herrn, den Kaiser und Sein Volck Israel schütze, womit er das Schicksal der Juden mit dem des Kaisers verknüpfte.²³⁸
Voß: Charles V weist sogar darauf hin, dass Josel Karl V. als einen positiven Helden in die jüdische Messiaserwartung integrierte. Damit zeigte Josel erneut große Kenntnisse über die internen Abläufe am kaiserlichen Hof. Ein zeitgenössischer Bericht bringt die Relevanz Granvelles deutlich zum Ausdruck: Der Kaiser hat zwei Hauptminister, welche die ganze Last seiner Regierung tragen, Covos und Granvella… Granvella, als der von Geburt ein Burgunder, ist sehr kundig der Niederlande und des Reiches, und ist immer, wenn der Kaiser Spanien verlassen hatte, und in Flandern oder Deutschland war, sehr gestiegen, und neuerlich war derselbe in solchem Ansehen, daß jede Angelegenheit, klein und groß durch seine Hände ging; … Keine Sachen und Geschäfte von Wichtigkeit können erlangt, noch zu gutem Ende gebracht werden, ohne die besondere Begünstigung eines von diesen beiden Großen (Covos und Granvella)… Aus dem Bericht des Bernardo Ravigiero, venezianischer Botschafter bei Kaiser Karl V., vom Juli 1546, in: Franz Bernhard von Bucholtz: Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten: aus gedruckten und ungedruckten Quellen, Bd. 6, Wien 1835, S. 483 – 488, hier S. 485 f. Abschnitt 28 der Chronik, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 338. Ebd. Ebd. Über die messianische Bedeutung von Schir ha-jechud siehe Voß: Umstrittene Erlöser, S. 84. Abschnitt 28 der Chronik, in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 338. Josel wiederholte diese Verknüpfung, indem er unmittelbar nach der Beschreibung des kaiserlichen Siegs die große Errettung des jüdischen Volks schilderte. Ebd. 338 f.
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Trotz dieser rhetorisch heraufbeschworenen Schicksalsverbundenheit der Juden mit dem Kaiser verliefen die jüdischen Bemühungen um Schutz während des Krieges nicht so einseitig, wie hier suggeriert wurde. Josel von Rosheim selbst nutzte seine Kontakte beim Magistrat der Stadt Straßburg, um vom Einfluss der Stadt im Schmalkaldischen Bund profitieren zu können und die Sicherheit der Juden vor Übergriffen der Schmalkaldischen Armeen zu garantieren. Er schrieb während des Krieges den Magistrat in Straßburg an und ersuchte, dass sie bei ihren bundsverwandten verfügen wollen, dass die juden ohnbeschedigt pleiben und bei ihren freiheiten gelassen werden moegen. ²³⁹ Da der jüdische Befehlshaber in diesem Fall eine protestantische Obrigkeit um Hilfe ersuchte, musste er eine gänzlich andere sprachliche Strategie verwenden, die zugleich auch das notwendige Taktieren der Juden zwischen beiden Kriegsparteien offenbart. Während er in seiner Chronik die Schuld am Krieg den protestantischen Fürsten anlastete, hob Josel zu Beginn der Supplikation die Tatsache hervor, dass uf nechst gehaltenem reichstag zu Regenspurgk ein grausame kriegsristung die röm. kais. Mt[…] von Teutsch und Welsch im Beyerland sich(!) versamelt. ²⁴⁰ Damit bestätigte Josel die Informationen der Protestanten über die kaiserlichen Kriegsvorbereitungen noch während des Regensburger Reichstags und deutete eine kaiserliche Mitschuld an der Eskalation an.²⁴¹ Zusätzlich beteuerte der jüdische Anführer die ‚Neutralität‘ der Juden im Reich, die schließlich hinder allen herschaften sizen und keinem theil des kriegs oder andere kriegursache geben. ²⁴² Damit verschwieg er geradezu die logistische Hilfe, welche die Juden den kaiserlichen Armeen zukommen ließen, sowie die aus zeitgenössischer Perspek-
Supplikation Josels von Rosheim an Straßburg von 1546, gedruckt in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, Beil. XXI, S. 191– 193, hier S. 191. Eine genaue Datierung ist nicht möglich. Sicher ist, dass dieses Schreiben nach Beginn des Krieges und der Verkündigung des kaiserlichen Befehls an die Truppen, die Juden zu verschonen, verfasst wurde. Vgl. auch die Kopie der Supplikation nach der Abschrift von M. Stern in: CAHJP, P 17/177, S. 250 – 255. Es handelt sich um eine Abschrift des Originals aus dem Straßburger Stadtarchiv GUP 174/75 Nr. 26, die mit einer Abschrifft derselben hand in Oberehnheimer Stadtarchiv BB11 verglichen wurde. Ebd. So schreibt zum Beispiel Schertlin von Burtenbach zum Reichstag von Regensburg: Vnnd hat die ka. May. 6 artickul proponiert, welche alle verlautet, frid vnd ainigkait ym reich zu machen, vnd doch heimlich vber alles zusagen vnd aine zuuersicht vil kriegsvolcks zu ross vnnd fuss geworbenn. Sebastian Schertlin von Burtenbach: Leben und Thaten des weiland wohledelen und gestrengen Herrn Sebastian Schertlin von Burtenbach, durch ihn selbst deutsch beschrieben. Nach der eigenen Handschrift des Ritters urkundlichtreu, hrsg. von Ottmar F. H. Schönhuth, Münster 1858, S. 33. Supplikation Josels von Rosheim an Straßburg von 1546, gedruckt in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 191.
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tive ebenfalls wichtige spirituelle Unterstützung in Form von Gebeten für göttlichen Beistand.²⁴³ Diese Strategie ist angesichts der Kriegsumstände und der heiklen Situation der Juden gewiss nachvollziehbar. Josel versuchte aber weiterhin, die Position der Juden auch rechtlich zu stärken, und fügte der Beteuerung der grundsätzlichen Neutralität hinzu, dass jeder jud, wo er wohnet, bei seiner oberkeit und mitburger lieb und leid burgfriden zu leisten allwegen schuldig sei,²⁴⁴ womit die Treue zur jeweiligen Obrigkeit bekräftigt und jeglicher Verdacht der Untreue abgewendet werden sollte. Da die Juden den gemeinsamen Burgfrieden mit den Christen hielten, so war Josel in hoffnung, das alle kriegsreth, so E. Gn. Bundgenessen sollichs grüntlich horen und vernemen werrden, das sie solliche schatzung und verderbung der armen unverschult judisch [Volk (A.S.)], nit zugeben werden, sonder von d[e]s heil. Reichs wegen offen geleit on alle schatzung schirmen und becleiden werden, gleicher weise, als hochged. Kais. Mt. auch gethan.²⁴⁵
Mit dem Hinweis auf die positive Rolle des Kaisers wollte Josel die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes dazu animieren, sich ähnlich gegenüber den Juden zu verhalten. Es verwundert aber dennoch sehr, dass er die Handlungsweise des Kaisers seinen Kriegsrivalen als Vorbild präsentierte. Das tat er bereits vorher im Schreiben, als er erwähnte, dass der Kaiser ein offen gepotbrief und mandaten gnedigl. zugestellt, domit dem kriegsvolk, deutsch und welsch, allen nationen lossen verkinden, uns armen, wir wonen, wo wir wellen, dass man uns solle bei ir. Mt. und des reichs friden und geleit solle lossen pleiben.²⁴⁶
Darauf, dass Gebete als eine Ressource in der Politik des 16. Jahrhunderts galten, deuten beispielsweise die jüdischen Supplikationen, die mit dem Versprechen abschlossen, für die dauerhafte und erfolgreiche Regierung eines Herrschers beten zu wollen. Siehe dazu Kap. 5.2.2 und Kap. 7.2 in dieser Arbeit. Zudem konnten ‚lästerliche‘ jüdische Gebete als eine Quelle für Unglück angesehen werden, weshalb sie scharf in Enthüllungsschriften von Konvertiten wie Pfefferkorn und Margaritha kritisiert wurden. Vgl. zu Pfefferkorn Kap. 3.1 und zu Margaritha Kap. 5.1 dieser Arbeit. Supplikation Josels von Rosheim an Straßburg von 1546, gedruckt in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 191. Ebd. S. 192. Josel wiederholte die Bitte um den Schutz der Juden gegen Ende der Supplikation, nachdem er weitere Gründe aufgeführt hatte, warum diese nicht recht- und schutzlos sein dürften. Ebd. S. 191 f.
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Josel betonte zudem zu Beginn der Supplikation, dass die gemeine judisch. ire Mt. und dem röm. reich zugehorig [sei] und in ir beider schutz und schirm von vil 100 jaren her bitz an disen tag begriffen und bestimt sein. ²⁴⁷ Da es Josels Ziel war, sich die Schutzgarantien der Schmalkaldischen Bundespartner zu sichern, ist sein Verhalten in dieser Angelegenheit schwer nachvollziehbar. Es zeugt aber davon, welche Bedeutung der jüdische Anführer dem Kaiser und den (Sonder‐)Beziehungen der Juden zu ihm beimaß. Eine Schutzgarantie des Schmalkaldischen Bundes für die Juden ist nicht überliefert; ob sie lediglich nicht überliefert wurde, oder wegen Josels verherrlichender Einstellung zum Kaiser nicht erteilt wurde, sei dahingestellt. Nach dem kaiserlichen Sieg im Schmalkaldischen Krieg scheinen die ‚Sonderbeziehungen‘ zwischen Judenschaft und Kaisertum noch offenkundiger geworden zu sein. In dieser Zeit wurden die Juden zunehmend in die kaiserliche Gunst genommen. Dies lässt sich beispielsweise daran ablesen, dass die Erfolgsquote jüdischer Gesuche im Reichshofrat in diesen Jahren immens gestiegen war.²⁴⁸ Auf dem sogenannten ‚geharnischten‘ Augsburger Reichstag von 1547/48, auf dem Karl V. auf dem Höhepunkt seiner Macht stand²⁴⁹, ließ der Kaiser zudem eine projüdische Haltung erkennen. Diese kam durch die demonstrative Schutzgewährung zum Ausdruck, die er den Juden im Mandat vom 30. Januar 1548 öffentlich verkündete. Dieser Akt war notwendig geworden, nachdem die Juden an
Ebd. S. 191. Siehe die meist positiv beschiedenen Gesuche der Juden in den Resolutionsprotokollen des Reichshofrats für die Jahre 1547– 48, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bde. 2a–2b, z. B. Bll. 5r, 31r, 47r, 61r, 74v, 77v, 82rf., 91r, 110v, 113, Bd. 2c, Bll. 11rf., 13r, 14v, 32r, 38r, 46r–47r, 52r, 57v, 70v, 80v, 92r, 185rf., 188r, 217v, 227r, 230v, 235r. Vgl. außerdem die entsprechenden Privilegien, Mandate und positiv beschiedenen Supplikationen in ebd. RHR, Conf. Priv. K. 94 (hier meist in Form inserierter Originale in Bestätigungen und Erneuerungen), Bll. 432r–434v, 439r–441r, 442r–449r u.a.m.; ebd. Jud. Misc. K. 41/1, Bll. 51– 54, 57– 59 und 61; sowie ebd. RK, RRegB. unter Ferdinand I., Bd. 6, Bl. 92 f. Eine Analyse dieser Daten erfolgt im nächsten Kapitel. Siehe zudem den Anhang dieser Arbeit. Diese Einschätzung wird von vielen Historiker/-innen geteilt und begründet sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass Karl V. über die Zerschlagung des Schmalkaldischen Bundes im Krieg hinaus durch den Tod Heinrichs VIII. von England und noch mehr durch jenen Franz’ I. von Frankreich eine besondere hegemoniale Stellung in Europa erlangte. Vgl. z. B. Horst Rabe: Deutsche Geschichte 1500 – 1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, München 1991, v. a. S. 406 f.; Franz Brendle: Das konfessionelle Zeitalter, Berlin 2010, S. 83. Der Begriff „geharnischter Reichstag“ taucht schon in der frühneuzeitlichen Literatur auf. Siehe Johannes Sleidanus: Ordentliche Beschreibung vnnd Verzeychnisse, allerley fürnemer Händel, so sich in Glaubens und andern Weltlichen Sachenbei Regierung vorweilen des Großmächtigsten, Keyser Carls des Fünfften, mehrerntheyls in Teutscher Nation zugetragen, Straßburg 1570, S. 469.
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einigen Orten bedrängt und ihre erworbenen Rechte verletzt worden waren.²⁵⁰ In diesem in Druck gegebenen und daher weitverbreiteten Mandat²⁵¹ befahl der Kaiser, alle Beschwerungen der Juden im Reich einzustellen und dabei besonders darauf zu achten, die ihnen 1544 verliehenen Rechte nicht zu verletzen. Dabei machte er deutlich, dass eine Zuwiderhandlung eine Missachtung des Landfriedens bedeutete, denn die Juden seien darin einbegriffen.²⁵² Eine demonstrative Kraft gewann diese Verkündigung nicht allein durch die Drucklegung des Mandats, sondern auch durch die kaiserliche Formulierung, dass dieweil uns dann als röm. kaiser gebürt, ainen jeden bei recht und seinen habend[en] freihaiten zu handhaben und vor unbillichem gewalt zu schützen u[nd] zu verhüten, des auch zu thun genzl[ich] gemaint sein. ²⁵³ Damit wurde eine Formulierung gewählt, durch die suggeriert wurde, dass der Kaiser den Juden die gleiche Behandlung schuldig sei wie anderen Untertanen des Reichs. Dies ist v. a. deswegen markant, weil die übliche Formulierung bei solchen Mandaten meist die jüdische Zugehörigkeit zur kaiserlichen Kammer und das daraus resultierende Schutzverhältnis betonte.²⁵⁴ Die projüdische kaiserliche Haltung wird auch aus der Position deutlich, die Karl V. in den Beratungen zur Reichspolizeiordnung vertrat. Während die Kurfürsten- und Fürstenkollegien das strikte Verbot jüdischer Geldgeschäfte, wie es in der Reichspolizeiordnung von 1530 beschlossen worden war, beibehalten wollten, drängte der Kaiser darauf, diese Bestimmung durch den Artikel aus dem Reichsabschied von 1532, der die jüdische Zinsnahme erlaubte, zu ersetzen.²⁵⁵
Dies führte zu einer Reihe von jüdischen Gesuchen, die im Januar 1548 den Reichshofrat erreichten. Vgl. das Gesuch der Judenschaft in der Landvogtei zu Hagenau vom 10. Januar und jenes der Juden aus Gochsheim vom 17. Januar 1548 sowie die sie begleitenden Supplikationen Josels von Rosheim, der offensichtlich die Überreichung dieser Bittgesuche koordinierte. Vgl. HHStAW, RHR, Jud. Misc. J 1, K. 41/1, Bll. 52– 56 sowie zwei die Judenschaft im Unterelsass betreffende kaiserliche Befehle, ebd. Bll. 57– 59. Das Gesuch Salomons von Northeim von Ende 1547 kann man hier ebenfalls hinzuzählen. Vgl. Ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 2a, Bl. 31r. Mandat Karls V. an alle Glieder des Reichs vom 30. Januar 1548, gedruckt in: Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 195 – 196. Exemplare dieses Mandats befinden sich in mehrfacher Ausfertigung in unterschiedlichen Archiven. Siehe z. B. Bezirksarchiv Straßburg, C. 78; GLA Karlsruhe, 67/894, Bl. 156r–157v; HStA Stuttgart, A 56 Bü 8, ebd. Bü 9, Q 1, Nr. 2 und eine handschriftliche Kopie im HStAD, B 5 Nr. 518. Vgl. Feilchenfeld: Josel von Rosheim, 195 f. Ebd. S. 196. Vgl. z. B. das Mandat Karls V. vom 20. April 1541, in: CAHJP, P 17/177, S. 164– 165. Die genau gleiche Formulierung findet man lediglich im Mandat von 1544, das die Erteilung des Speyerer Privilegs verkündete. Vgl. HStA Stuttgart, A 56 Bü 8. Kaiserliches Bedenken zum Entwurf der RPO von 1545, Augsburg, 18. April 1548, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1547/48, bearb. v. Ursula Ma-
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Zwar traf dieser Vorschlag auf großen Widerstand seitens der Stände, aber sie konnten dennoch die Beibehaltung des kompletten ‚Wucherverbots‘ nicht aufrechterhalten. Nach langen Verhandlungen konnte der Kaiser einige Punkte durchsetzen, die den Juden zugutekommen sollten: 1. Eine Gesamtvertreibung der Juden aus dem Reich sei angesichts der kaiserlichen Privilegien ausgeschlossen.²⁵⁶ 2. Jede Aufnahme und Duldung von Juden müsse durch den Kaiser genehmigt werden, wodurch die Juden ihre besondere Schutzbeziehung zu ihm aufrechterhalten konnten, auch wenn sie sich einer territorialen Herrschaft unterwarfen. 3. Geldgeschäfte der Juden dürften nicht verboten werden. Zwar war jeder Obrigkeit, under den die juoden gesessen, auferlegt, dass sie ordnung fürnemen sollen, damit ire und andere frembde underthanen durch die juden und iren ungoettlichen wuocher nit so jemmerlich beschwerdt. ²⁵⁷ Solche landesherrliche Ordnungen sollten die Geldgeschäfte der Juden nur regeln, aber nicht untersagen. Kurz bevor die Beratungen über die Reichspolizeiordnung abgeschlossen waren, erschien am 22. Juni 1548 Josel von Rosheim vor den Reichsständen. Er überreichte die Bitte, die Kurfürsten und Fürsten wölln hinfurtr mit dem armen volgkh ain gnedigist und menschlich geduldt und mitleydn haben und mit und nebn der röm. ksl. und kgl. Mt. die sachn in dieser loblichn reychsversamlung irenthalbn dahin richtn und layten, das das arm volgkh bey den gmaynen bapstlichen und ksl. satzungen, iren habenden freyhayten, schutz, schirm und glayten gelassn und dawider in aynichn weg nit beschwert werdn, und sich daran nit irren lassen.²⁵⁸
Durch diese Formulierung markierte Josel auf raffinierte Art und Weise die Position der Juden als kaiserliche Schutzbefohlene und zeigte dabei an, dass er und die Judenschaft den Kaiser und seinen Bruder auf ihrer Seite sahen.²⁵⁹ In diesem
choczek [Deutsche Reichstagsakten; Jüngere Reihe, Bd. 18], München 2006 (RTA JR 18), Nr. 228, S. 2026 – 2027, hier S. 2027. Diese Option stand nicht wirklich zur Debatte, aber der Kaiser wies trotzdem darauf hin, dass ein Verbot der jüdischen Geldgeschäfte eine Vertreibung der Juden notwendig machen würde, weil so eine Maßnahme schlicht nicht umzusetzen sei. Gleichzeitig machte er unmissverständlich klar, dass die Entscheidung über Annahme und Vertreibung der Juden eine ausschließlich kaiserliche Prärogative sei. Vgl. die Duplik Karls V. auf den Entwurf der RPO vom 20. Mai 1548, in: ebd. Nr. 232, S. 2058 – 2061, hier S. 2060. Vgl. auch die Quadruplik Karls V. zum Entwurf der RPO vom 4. Juni 1548, ebd. Nr. 236, S. 2070 – 2071, hier S. 2071. Beschluss der Reichspolizeiordnung vom 30. Juni 1548, in: ebd., Nr. 238, S. 2075 – 2080, hier S. 2077. Supplikation Josels von Rosheim an die Reichsstände vom 22. Juni 1548, in ebd. Nr. 363, S. 2575 – 2576. Die explizite Erwähnung König Ferdinands konnte Josel mit einem Geleitbrief belegen, den die Judenschaft am 30. April 1548 vom römisch-deutschen König erhielt. In diesem Dokument
6.4 Die Überwindung der konfessionellen Gefahr?
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Zusammenhang nutzte er die Gelegenheit, um die den Juden verliehenen Privilegien reichsweit bekannt zu machen. Dieser Akt Josels war daher keine übliche Bittstellung, sondern vielmehr eine öffentliche Zurschaustellung sowohl der jüdischen Rechte und Freiheiten als auch der engen Beziehungen der Judenschaft zu den Reichsoberhäuptern.²⁶⁰ Die beschriebenen Vorgänge auf dem Reichstag scheinen den Höhepunkt der Beziehungen der Juden zum Kaiser zu markieren. Angesichts der Tatsache, dass der überaus mächtige Kaiser den Juden Rechte, Schutz und Freiheiten gewährte und sie mithilfe seiner Autorität bei der Durchsetzung ihrer Interessen unterstützte, scheint sich die prokaiserliche Ausrichtung der jüdischen Politik vollends ausgezahlt zu haben. Indem die Juden sich also an die Seite des (vorläufigen) Siegers stellten, war für sie die konfessionelle Gefahr (zumindest temporär) überwunden. Zwar schloss die judenfreundliche Politik des Kasiers nicht aus, dass auch in diesen Jahren privilegia contra Judaeos vergeben wurden²⁶¹, aber dennoch erlangte die politische Situation der Juden in dieser Zeit eine Stabilität, wie sie zuvor im 16. Jahrhundert noch nicht erreicht worden war.
übernahm Ferdinand die Schutzbestimmungen, die im kaiserlichen Mandat vom 30. Januar desselben Jahres enthalten waren, und erweiterte sie auf seine Herrschaftsgebiete und die des Hauses Österreich: Das wir demnach in betrachtung angeregter kaiserlichen Begnadung, vnnd annderer Irer habennden priuilegien, […] sy die gemellt Judischait in vnnsern vnnd vnnsers Hauß Österreichs Schutz vnnd Schirm vor gwallt zum Rechten angenomen vnnd emphangen auch derselben Jüdischait vnnser vnnd vnnsers Hauß Österreichs sicherhait vnnd Glait gegeben vnnd thuen solches hiemit wissentlich in Crafft diz Briefs … Diese Schutzaufnahme umfasste allerdings nicht die Niderösterreichischen Erblannde vnnd fürstlichen Grafschafft Görz und war davon abhängig, dass die Juden sich vnnsern ausgegangen Ordnungen Generalen, vnnd Mandaten gemäss hallten, darwider mit nichte thuen noch hanndlen. Siehe HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bll. 92v–93v. Nichtsdestotrotz versuchte er, etwaige Bedenken der Stände zu zerstreuen, weshalb er die innerjüdischen Regelungen und Kontrollmöglichkeiten erwähnte. … ob etliche juden sich ungeburlich bisheer gehalten hetten oder noch halten wurden, dann ain gemaine judischait wol leyden mag, das dieselbn ir geburlich straf haben. Supplikation Josels von Rosheim vom 22. Juni 1548, in: ebd. Nr. 363, S. 2575 – 5276, hier S. 2576. In der Tat wurden in den Jahren 1547– 48 insgesamt sechs solche Privilegien an Gingen, an Worms und an Schad zu Mittelbiberach (Privilegien contra usuras Judaeorum) sowie an Überlingen, an Villingen und an die Patrizierfamilie Vöhlin (Judenfreiheiten) verliehen bzw. bestätigt oder erneuert. Vgl. HHStAW, Findbehelf 64/2, I/30 (Conf. Priv.).
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6.5 Konsolidierung, Institutionalisierung und Kaisernähe Die 1540er Jahre begannen für die politische Organisation der Juden mit einer Reihe an Versammlungen, gemeinsam geführten Aktionen und kollektiv getroffenen Beschlüssen. Diese rege Aktivität trieb in vielfältiger Weise die Konsolidierung der Judenschaft im Reich als Korporation voran und führte zur Herausbildung einer effizienten Vertretung nach außen und einer sich etablierenden Struktur nach innen. Ausgangspunkte für diese Entwicklung waren sowohl die sich in den vergangenen Jahren akkumulierten Probleme der verschiedenen jüdischen Gemeinden mit Obrigkeiten beider konfessioneller Lager als auch die Erfahrung aus dem vorhergegangenen Jahrzehnt, dass man durch konzentrierte Aktionen auf Reichsebene mehr ausrichten konnte als durch viele Einzelunternehmungen in den verschiedenen Territorien. Ausgehend von dieser Erkenntnis intensivierte sich nicht nur die Zusammenarbeit der jüdischen Führung; auch die Präsenz jüdischer Vertreter auf Reichsveranstaltungen steigerte sich in auffälliger Weise. Die Erneuerung des 1530 durch die jüdische Versammlung in Augsburg verabschiedeten Statutenwerks machte den Anfang dieser Konsolidierungsphase. Der Vorgang der Bestätigung der Gültigkeit eines Rechtsdokuments einige Jahre nach seiner Verabschiedung war eine übliche Praxis in der frühneuzeitlichen Politik.²⁶² Damit bekannte und unterstrich man, dass die darin enthaltenen Bestimmungen weiterhin bindend und rechtskräftig waren, wodurch dem Dokument politische Wirkmächtigkeit verliehen wurde. Die reziproke Bedeutung dieses Vorgangs war, dass die jüdische Organisation ihre Autorität und Befugnis, solche Ordnungen zu verabschieden, bekräftigte und dass ihre Vertreter daher als vertrauenswürdige Verhandlungspartner in puncto Judenrecht agieren konnten. Die jüdische Führung begann in dieser Phase zudem, intern getroffene Beschlüsse durch die christlichen Obrigkeiten anerkennen zu lassen. So war es beispielsweise im Zusammenhang mit beschlossenen Maßnahmen, die den jüdischen Umgang mit Steuerforderungen des Reichs regeln sollten. Sowohl die gemeinsam erarbeitete Berechnungsgrundlage des zu versteuernden jüdischen Vermögens als auch die Wahl der drei Richter, die dem Reichsrabbiner bei der Erfüllung seiner Pflichten zur Seite stehen sollten, erfuhren eine obrigkeitliche
Meist hing dieser Vorgang mit einem Herrscherwechsel oder einer wiederholten Übertretung der vereinbarten Bestimmungen zusammen. Ein Beispiel wäre die Erneuerung und Verschärfung der Judenordnung von Hessen oder jener von Hohenberg. Unter Karl V. wurde es zudem üblich, dass Bittsteller ihre Privilegien jedes Mal bestätigen ließen, wenn der Kaiser ins Reich zurückkam; z. B. die Juden selbst, oder Württemberg in seinem Versuch, die Juden aus dem Territorium fernzuhalten.
6.5 Konsolidierung, Institutionalisierung und Kaisernähe
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Akzeptanz und Bestätigung. Diese Schritte sollten nicht nur die Bereitschaft der Juden demonstrieren, ihren Beitrag zur Finanzierung des Reichs und zu seiner Verteidigung zu leisten, sondern auch ihren Willen, dies auf die effektivste Art und Weise zu ermöglichen. Man sieht somit, dass mit der Steigerung der Effizienz auch der Grad an obrigkeitlicher Zustimmung zur internen jüdischen Entscheidungsfindung anwuchs. Dies wiederum führte zur Stärkung der jüdischen Autonomie und zur Konsolidierung der reichsweiten jüdischen Organisation, die dadurch in zweierlei Hinsicht einen evolutionären Moment erfuhr: Zum einen wurden neue ‚Ämter‘ in der Organisationsstruktur institutionalisiert, wodurch die Komplexität der Organisation nach innen zunahm und sich ihre Aufstellung nach außen mit nun mindestens vier reichsweit anerkannten jüdischen Funktionsträgern²⁶³ stabilisierte. Zum anderen festigte sich eine politische, der Reichsebene immer eindeutiger zugewandte Ausrichtung der jüdischen Organisation, die nicht zuletzt durch ihre eingeschränkten Handlungsspielräume auf territorialer Ebene veranlasst wurde. Die religiös motivierte, verhärtete Haltung Juden gegenüber, die sich in vielen Territorien – v. a. aber im protestantischen Bereich – zeigte, begründete dabei diese Reichsorientierung der jüdischen Politik. Mitbeeinflusst war sie aber auch durch das z.T. klägliche Scheitern der Interventionsversuche des jüdischen Befehlshabers bei Herrschaftsträgern beider Konfessionen. Auch die Etablierung von jüdischen Organisationen auf lokaler bzw. territorialer Ebene, die nun die partikularen Interessen vor den jeweiligen Obrigkeiten übernehmen konnten, förderte wahrscheinlich diese Entwicklung. Einerseits entlastete es die Arbeit der Reichsorganisation, andererseits kristallisierten sich gerade in den oft konfliktbeladenen Konstellationen auf lokaler und regionaler Ebene einige Problemfelder und Thematiken heraus, für deren Lösung reichsübergreifende Antworten gefunden werden konnten.²⁶⁴ Man kann auch in Bezug auf bestimmte sprachliche Strategien der Juden die Beobachtung machen, dass sich diese derart weiterentwickelten und festigten, dass hier sogar von einer ‚rhetorischen Evolution‘ gesprochen werden kann. So konnten die Juden in diesen Jahren eine weitreichende Gefälligkeit gegenüber dem Reich demonstrieren, indem sie ihre politischen ‚Initiativen‘ als ein großes Entgegenkommen und eine Rücksicht auf die Bedürfnisse des Reichs rhetorisch darstellten. Dabei wurde eine starke Reichszugehörigkeit postuliert, die nicht nur Neben dem Befehlshaber und den drei Richtern bestand die Möglichkeit der Einsetzung eines neuen Reichsrabbiners. Die Befreiung der Juden von der Pflicht, Zeichen zu tragen, und das Verbot, Juden ohne kaiserliche Zustimmung wegen Ritualmordbeschuldigungen zu verhören, sind zwei Beispiele dafür.
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eine Kollaboration mit den Türken, sondern auch den Anschein einer Parteilichkeit im konfessionellen Streit negierte. Ähnliches kann man zwar in früheren Dokumenten vereinzelt finden, allerdings wurde diese Fügsamkeit nun expliziter kommuniziert. Somit erlebte dieses argumentative ‚Repertoire‘ der Juden sowohl eine Erweiterung als auch eine Standardisierung, die an manchen Stellen zugleich eine rhetorische Zuspitzung erreichte. Nicht alle Entwicklungen in Bezug auf die Organisationsstruktur sollten eine Außenwirkung aufweisen. So waren die Statuten bezüglich der Autonomie der rabbinischen Gerichte im Reich gegenüber sogenannten ausländischen (jüdischen) Gerichten eine interne Regelung, die nicht an die christliche Umwelt getragen wurde. Josel von Rosheim, der Befehlshaber der Gesamtjudenschaft im Reich, nahm dabei nicht an allen Versammlungen teil und seine Abwesenheit hatte keine Auswirkung auf den Prozess der bindenden Entscheidungsfindung. Auch stand er offensichtlich den Treffen, denen er beiwohnte, nicht vor. Somit lässt sich feststellen, dass in dieser Phase rein innerjüdische Angelegenheiten von reichsweiter Bedeutung durchaus vorkommen konnten und dass die Außenrepräsentation der Juden nicht die interne Machtdynamik reflektierte. Somit beginnt sich hier eine gewisse Ausdifferenzierung in der Politik der jüdischen Organisation herauszukristallisieren. Die nach außen geführte Reichspolitik bzw. Diplomatie der Juden übernahm die Vertretung jüdischer Interessen vor den Obrigkeiten und der christlichen Umwelt und schloss somit auch alle jüdischen Beschlüsse ein, die sich damit befassten. Die innerjüdische Politik hingegen beschäftigte sich mit dem internen Bereich, mit den Regelungen des internen jüdischen Lebens und der Organisation desselben auf überregionaler Ebene. Im Zwischenbereich zwischen innerjüdischen politischen Angelegenheiten und der jüdischen Diplomatie kann man die Vorgaben finden, die die Umgangs- und Verhaltensweise der Juden mit und in der christlichen Gesellschaft regulierten, und die Entscheidungen bezüglich der Zusammensetzung und des Aufbaus der Organisation, die oft einer Anerkennung von ‚außen‘ bedurften. Neben den Veränderungen in der Aufstellung der politischen Vertretung der Juden im Reich gab es auch den erwähnten Wandel in der Ausrichtung ihrer Politik. Die Orientierung der jüdischen Politik an dem Reich und seinen Institutionen brachte die Juden in die Nähe der Person, die das Reich am meisten repräsentierte, und zwar des Kaisers – und dessen Stellvertreters und Bruders Ferdinands I. Zudem beförderte die angespannte religionspolitische Lage im Reich die Kaiserorientierung der Juden. Die dabei entstandene prokaiserliche Haltung brachte jedoch keine prokatholische Politik hervor. So findet man keine Festigung der Beziehungen jüdischer Vertreter mit katholischen Fürsten. Nur der Kaiser und der König – und kurzzeitig der päpstliche Legat – wurden zu jüdischen ‚Verbündeten‘. Eine konfessionelle Orientierung der Juden, wie sie in der jüdi-
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schen Supplikation an Kardinal Farnese anklang, stellte dabei eine kurzfristige Ausnahme dar und diente ausschließlich dazu, die konfessionelle Spannung zugunsten der eigenen Interessen zu manipulieren. Daher war die Kaisernähe und nicht eine wie auch immer geartete parteiliche Orientierung die Strategie, mit der die Juden die Herausforderungen der konfessionell angespannten Lage zu überwinden suchten. Tatsächlich entwickelte sich in dieser Situation der Kaiser wahrhaftig zum ainigen herrn vnnd beschirmer auf erden der Juden, zu dem sie ire zuflucht vnnd hoffnung tragen ²⁶⁵ konnten. Die Abhängigkeit der Juden von der Schutzerweiterung veranlasste sie, ihre Vorgehensweisen noch mehr als zuvor am Kaiser auszurichten. Die über zwei Jahre dauernden Bemühungen um die Ausstellung des Carolinums begünstigten diese Orientierung hin zum Kaisertum enorm, weil sich dadurch netzwerkartige Beziehungen zur kaiserlichen Kanzlei entwickelten. Dass dieses Verhältnis für die Juden überaus einträglich war, förderte ihre Verbindung mit und ihre Anbindung an den Kaiser noch weiter und ließ die politische Kaiserorientierung der Juden zu einer regelrechten Kaiserzentrierung werden, die ihre Handlungsweise in den folgenden Jahren maßgeblich prägen sollte.
Privileg vom 3. April 1544, HHStAW, RHR, Conf. Priv. dt. Exp., K 95, Bl. 5r.
7 Jüdische Politik zwischen Reich und Territorium II Nachdem in den vergangenen Kapiteln die Entstehungs-, Entwicklungsphasen und Veränderungen der politischen Organisation der Juden untersucht wurden, soll im Folgenden die Professionalisierung derselben im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Es geht dabei v. a. darum, herauszufinden, wie die jüdischen Vertreter mit den Reichsinstanzen, vor denen sie die Anliegen der Judenschaft aushandelten, interagierten. Die Dichte an – insgesamt acht – Reichstagen und -veranstaltungen mit Anwesenheit des Kaisers und des Reichshofrats in den 1540er Jahren machte diese Reichsinstitution zum zentralsten Ort jüdischer Aktivitäten. Die Interaktion der Anführer der Judenschaft mit dem Reichshofrat auf den Reichstagen bedarf daher einer näheren Betrachtung. Der Fokus wird auf den Reichstagen ab 1543/44 und bis zum Augsburger Reichstag von 1550/51 liegen. Dabei wird von besonderem Interesse sein, die Verfahrensweisen und Strategien der jüdischen Repräsentation aus der Fülle an durchgeführten Aktionen herauszuarbeiten. Neben den Reichstagsakten sind zu den Reichstagen im erwähnten Zeitraum auch die Resolutionsprotokolle des Reichshofrats überliefert. Diese Protokolle eröffnen neue Zugänge zur Erforschung der Professionalisierung der jüdischen Vertretungsorganisation und ergänzen die Reichsregisterbücher, die ausschließlich die ausgestellten kaiserlichen und königlichen Mandate, Geleitbriefe und Privilegien enthalten.¹ Die Protokolle verzeichnen hingegen nicht nur das Ergebnis eines erfolgreichen Gesuchs, sondern auch die Gesuchvorgänge, selbst wenn sie scheiterten. Somit wird man darin über eingereichte Supplikationen und sonstige jüdische Aktionen informiert, die nicht überliefert wurden und zu denen keine weiteren Zeugnisse existieren. In vielen Fällen kann zudem anhand eines Kanzleivermerks erfahren werden, ob ein Gesuch angenommen wurde und manchmal sogar wie ihm stattgegeben wurde. Damit erfährt man, nicht nur welche Bitten die Juden an den Kaiser vortrugen, sondern auch welche rechtlichen oder administrativen Vorgänge diese Anträge veranlassten. Schließlich ermöglichen die Protokolle des Reichshofrats eine systematische Recherche in den meisten archivalischen Bestände des Reichshofrats, die bislang entweder un Allerdings wurden diese Quellen nur unvollständig oder gar nicht überliefert. Über die Verluste aus den Reichsregisterbüchern siehe Gross: Reichsregisterbücher, S. I–XVIII, bes. S. IV und XVII. Es lässt sich aus dem Index dieses Registers schließen, dass die Mehrheit der Judenprivilegien nicht überliefert wurden. So enthält beispielsweise der Register gar keine Erwähnung des Privilegs vom 3. April 1544. https://doi.org/10.1515/9783110723533-010
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oder nur teilerschlossen sind², indem die in ihnen enthaltenen Einträge Rückschlüsse auf die relevanten Bestände ziehen lassen. Da die Praxis der regelmäßigen Eintragung von Verwaltungsakten in Protokollbücher im Reichshofrat erst in den 1540er Jahren begann, weisen die hier untersuchten Bände noch keine einheitliche Struktur auf.³ Diese fehlende Einheitlichkeit und Gesetzmäßigkeit ist auch bei den Eintragungen der Reichshofräte zu finden. Nur selten kann man aus den Protokolleinträgen den genauen Inhalt einer Supplikation erfahren. Auch die Identität des Supplikanten ist nicht immer nachzuvollziehen.⁴ Dasselbe gilt in verschärfter Form sogar auch für die Vermerke der Kanzlei, die oft nur bei einer Ablehnung eindeutig sind. Aufgrund der Lückenhaftigkeit dieser Quellen werden die Reichshofratsprotokolle in dieser Studie vorwiegend statistisch ausgewertet. Auf diese Weise können viele quantitative Daten analysiert werden, aus denen Informationen und Erkenntnisse gewonnen werden können, ohne auf deren qualitativen Gehalt angewiesen sein zu müssen. Diese können sodann um Informationen aus anderen Quellen ergänzt werden, um weiterführende Aussagen über die politische Organisation der Juden und den Grad ihrer Professionalität treffen zu können. Jenseits der Beschäftigung mit den Protokollen des Reichshofrats bewegt sich die Untersuchung in diesem Kapitel erneut im Kontext des Spannungsverhältnisses zwischen kaiserlichen Autoritätsansprüchen einerseits und der ständischen Verfasstheit der Reichspolitik sowie Tendenzen der Territorialisierung andererseits. Es werden dabei zwei Fallbeispiele behandelt, in denen gezeigt werden soll, wie sich die jüdische Politik zwischen einer kaiserzentrierten und einer territorialen Orientierung bewegte. Der erste Fallbeispiel betrifft die Gesetzgebung,
Die einzigen Bestände, die bislang erfasst wurden, sind zugleich auch die kleinsten des Reichshofrats: Die Alten Prager Akten und Antiqua.Vgl.Wolfgang Sellert (Hrsg.): Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats. Serie I: Alte Prager Akten, Bd. 1– 5, bearb. von Eva Ortlieb und Tobias Schenk, Berlin 2009 – 2012 resp. 2014 und ebd. Serie II: Antiqua, bearb. von Ursula Machoczek, Ulrich Rasche und Tobias Schenk, Bde. 1– 5, Berlin 2010 – 2019. Es handelt sich um Bände 1a bis 10 für die Jahre 1544– 1551. Manche Bände verfügen über einen Namenindex aller Bittsteller, bei anderen ist dieser nur unvollständig oder fehlt gänzlich. Es gibt zwar eine gewisse Korrelation zwischen den Protokollbänden und den Reichstagen, aber es fehlen Aufzeichnungen beispielsweise für die Jahre 1545 – 1546. Zudem überschneidet der Zeitraum, der im Band 8 erfasst ist, zum Teil mit Band 10 (Januar–August 1551). Schließlich fällt Band 9 komplett aus dem Rahmen, weil dort nicht die administrative Aufgabe des Reichshofrats dokumentiert ist, sondern ausführliche Prozessprotokolle, die die gerichtliche Funktion des Reichshofrats widerspiegeln. So z. B., wenn nur der Name Moses Jud ohne Wohnort oder andere identifizierende Informationen wiedergegeben wird und somit diese Person mit anderen gleichnamigen Juden leicht verwechselt werden kann. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 200v.
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die sich auf dem Augsburger Reichstag von 1550/51 mit jüdischen Handelsrechten befasste. Nach – und vielleicht sogar wegen – der Verabschiedung der Reichspolizeiordnung von 1548 sahen die Reichsstände noch Änderungsbedarf in Fragen, die die jüdischen Geschäftspraktiken berührten. Neue Einschränkungen der jüdischen Geschäftstätigkeit standen daher 1551 auf der Tagesordnung und sollten in den Reichstagsabschied aufgenommen werden. Die jüdischen Versuche der Einflussnahme auf diesen legislativen Prozess und die Rolle des Kaisers dabei werden daher im Zentrum der Untersuchung dieses Sachverhalts stehen. Im zweiten Fallbeispiel werden jüdische Strategien zur Erlangung einer Passund Geleitssicherheit im Herzogtum Württemberg betrachtet. Dieses Exemplum steht auch für weitere um die gleiche Zeit stattgefundenen Verhandlungen der Juden mit anderen Territorien stellvertretend. Dieses Beispiel eignet sich für die Veranschaulichung der Problematik der jüdischen Politik zwischen Reich und Territorium besonders, denn diese Rechte markierten doch im wahrsten Sinne des Wortes die Grenzen des Einflussbereichs eines jeden Herrschers. Neben diesen Themenkomplexen wird für die Phase zwischen 1544 bis 1551 auch nach ersten Hinweisen für eine Veränderung des allgemeinen Zustands der Judenschaft im Reich gesucht, welche die langandauernde reichsweite Zusammenarbeit der Juden herbeiführte. Anhand der Resolutionsprotokolle des Reichshofrats sollen daher auf quantitativer Basis die Aktivitäten jüdischer Individuen und Gemeinden vor den Reichsinstitutionen untersucht und analysiert werden, die ohne direkte Mitwirkung Josels von Rosheim oder der Reichsorganisation unternommen wurden. Dabei werden Anzeichen für eine Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Situation der Judenschaften im Reich hervorgehoben, welche die damalige jüdische Politik ermöglichte.
7.1 Auf dem Weg der Professionalisierung Unter den vielen Problemen, die sich der Arbeit der jüdischen Interessenvertretung stellten, war die Zugangsbeschaffung zu den Zentren der politischen Macht im Reich eines der großen. Diese Problematik war besonders bei den Reichstagen evident. Mit Ausnahme von Worms, wo Juden noch lebten, handelt es sich bei den Veranstaltungsorten der Reichstage um Städte, die ihre jüdischen Gemeinden zerschlagen und vertrieben hatten. Einige dieser Städte lehnten auch Jahrzehnte nach der Auflösung der örtlichen Judenschaften einen jüdischen Aufenthalt innerhalb ihrer Mauern ab. Städte wie Nürnberg und Regensburg waren oft nur
7.1 Auf dem Weg der Professionalisierung
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widerwillig bereit, eine Ausnahme während der Reichstage zu machen, und gestatteten sie nur unter großen Einschränkungen.⁵ 1544 sahen sich jüdische Vertreter in Speyer mit dem Problem konfrontiert, dass die Stadt ihnen keine Unterkünfte zuweisen wollte. Die jüdischen Gesandten zu diesem Reichstag mussten daher einigen Aufwand in Verhandlungen über die Modalitäten ihrer Anwesenheit in der Stadt investieren. Die Versuche der jüdischen Vertreter, mithilfe des Einflusses des Reichshofrats Druck auf die Stadt auszuüben, erbrachten dabei nur einen mäßigen Erfolg.⁶ Dabei stellte sich heraus, dass auch die Wege zum Reichstag unsicher für die Juden waren, sodass ihre Vertreter ebenfalls ein Gesuch um ein sicheres Geleit dem Hofmarschall überreichten.⁷ Trotz der reichshofrätlichen Intervention dauerte es mindestens zwei Wochen, bis alle Fragen bezüglich jüdischer Anwesenheit in der Stadt geregelt wurden.⁸ Im Ergebnis konnte eine beträchtliche Zahl an Juden in den nächsten zwei Monaten sich in der Stadt aufhalten, Geschäfte treiben und Anliegen vor dem Reichshofrat vertreten.⁹ Während sich die Zugangsfrage auf dem Wormser Reichstag von 1545 nicht stellte, wurde sie auf dem folgenden Regensburger Reichstag von 1546 erneut relevant, als die Stadt jüdische Anwesenheit stark einschränkte.¹⁰ Da die Juden noch immer auf das in Speyer versprochene kaiserliche Privileg warteten, war für sie der Zugang zum Reichstag äußerst wichtig. Vermutlich meinte Josel von Rosheim diese Schwierigkeiten, als er schrieb, dass er das Privileg nur unter großen Aufwendungen erwirken konnte.¹¹ In Regensburg wandte sich Josel von Rosheim mit einer Supplikation an den Kaiser und schilderte ihm folgende Situation: Obwohl der Marschall von Pappenheim den Juden ein Geleit zum Reichstag ausgestellt habe, begrenzten der Regensburger Rat und der (kaiserliche?) Kammerer die Aufenthaltszeit der Juden
Erinnert sei z. B. an die strikten Bestimmungen des Nürnberger Rats anlässlich des Reichstags von 1522. Vgl. Kap. 4.2.2. Der Reichshofrat fungierte lediglich als eine Vermittlungsinstanz.Vgl. den Protokolleintrag vom 29. Februar 1544, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1a, Bl. 7v und den Protokolleintrag vom 3. März 1544, ebd. Bl. 11v. Anlass war die Festnahme jüdischer Reisende zum Reichstag in Straßburg.Vgl. ebd. Bll. 15v und 17v. Die Juden bekamen am 18. März 1544 die gewünschte Erlaubnis. Vgl. ebd. Bl. 28r. Es können für den Zeitraum vom Februar bis Ende Mai 1544 über 30 jüdische Betreffe von mindestens 17 verschiedenen Bittstellern ermittelt werden. Vgl. ebd. Bll. 54 passim. Vgl. die Supplikation Josels von Rosheim von 1546 (ohne Datum), HHStAW, RK, RTA, K 20, Bl. 88r-v. Vgl. Josels Bericht zu 1546 in: Fraenkel-Goldschmidt: Historical Writings, S. 337– 339, hier S. 337.
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in der Stadt dermaßen, dass den Juden nicht genug Zeit für ihre diplomatischen Geschäfte übrig bliebe. Josel schrieb, dass man ihnen nit anderst [in die Stadt (A.S.)] lassen eingeen, dan sonders morgen vmb die achte vnd zu abent vor vier vra [=Uhr (A.S.)] wider auß. ¹² Der Befehlshaber bat nun darum, dass man ihnen weitere zwei Stunden morgens und zwei Stunden abends zur Erledigung ihrer Geschäfte in der Stadt gewährte.¹³ Diese vier zusätzlichen Stunden seien von größter Bedeutung wegen der Abläufe auf dem Reichstag gewesen, argumentierte Josel. Um sechs Uhr morgens könne man Verhandlungen führen, [e]e [=ehe (A.S.)] man in Rath geet auch zu abend nach vier vren so man von rath geet gewendlich. ¹⁴ Während der restlichen Stunden des Tages tagten die verschiedenen Kommissionen des Reichstags, was kaum Zeit für die Juden übrig ließ, ihre Anliegen vor den anwesenden Fürsten und Gesandten zu bringen. Josels Bitte an den Kaiser, die die tiefen Kenntnisse der Juden über den Reichstagalltag bezeugt¹⁵, war in diesem Fall sehr bescheiden: Er wollte, dass man die Juden in vnd auß bassiren lassen [soll (A.S.)] wie von alter here gehalten. ¹⁶ Obwohl die Stadt Augsburg wie Regensburg ihre Juden längst vertrieben hatte, durften Juden im gesamten 16. Jahrhundert in Augsburg Handel treiben – allerdings unter zunehmender städtischer Kontrolle.¹⁷ Daher ist es keine Überraschung, dass man auf den nächsten Reichstagen in Augsburg 1547/48 und 1550/ 51 eine stärkere jüdische Präsenz vorfindet. Während der Anstieg der Zahl der Juden auf dem Reichstag von 1547/48 im Vergleich zum Speyerer Reichstag von 1544 relativ moderat war¹⁸, wurde der Reichstag von 1550/51 mit 103 jüdischen Gesuchen vor dem Reichshofrat und der Mainzer Erzkanzlei geradezu überflutet.¹⁹ Supplikation Josels von Rosheim von 1546 (ohne Datum), HHStAW, RK, RTA, K 20, Bl. 88r-v, hier Bl. 88r. Vgl. Sigfried Wittmer: Regensburger Juden. Jüdisches Leben von 1519 bis 1990, 2. verb. Aufl. [Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte, Bd. 6], Regenburg 2002, S. 34 f. Supplikation Josels von Rosheim von 1546 (ohne Datum), HHStAW, RK, RTA, K 20, Bl. 88r-v. Dies lässt zudem vermuten, dass die Juden sogar eine geregelte Arbeitsweise auf den Reichstagen entwickelten und Verhandlungen bevorzugt in den Stunden vor Beginn oder nach dem Ende der Hauptberatungen führten. Ebd. Vgl. Sabine Ullmann: ‚Leihen umb fahrend Hab und Gut‘ Der christlich-jüdische Pfandhandel in der Reichsstadt Augsburg, in: Rolf Kiessling und Sabine Ullmann (Hrsg.): Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit [Colloquia Augustana, Bd. 10], Berlin 1999, S. 304– 335, hier S. 305 – 307; Hans-Jörg Künast: Hebräisch-jüdischer Buchdruck in Schwaben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Kiessling / Ullmann (Hrsg.): Landjudentum, S. 277– 303, bes. S. 281– 287. Für den Reichstag von 1547/48 findet man über 40 Betreffe von ca. 30 verschiedenen jüdischen Bittstellern. Für den Speyerer Reichstag von 1544 lassen sich ca. 22 jüdische Personen nachweisen. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bde. 1a–b, 2a–c und 3a–b.
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Die Anwesenheit einer großen Anzahl von Juden auf einem Reichstag war vor allem deswegen bedeutsam, weil sie die Vernetzung, die Zusammenarbeit und den Austausch einer mehrheitlich wohl der finanziellen und politischen Elite der Reichsjudenschaft angehörenden Personengruppe vor Ort förderte.²⁰ In Speyer konnten die Vertreter der jüdischen Gemeinde von Esslingen Gebrauch von Josels Kenntnissen im Reichsrecht machen, um gegen die androhende Vertreibungsgefahr aus der Stadt vorzugehen.²¹ Zudem ersuchten Juden auf dem gleichen Reichstag in mindestens zwei Fällen um die Entsendung einer kaiserlichen Kommission als Konfliktlösungsmechanismus, eine Vorgehensweise, die kurz zuvor im Zusammenhang mit den Verfolgungen in Würzburg zum ersten Mal erprobt wurde.²² Auch Josels Supplikation um den Einlass der Juden in Regensburg 1546 sollte weiteren zwayen oder dreyen Juden begünstigen, die mit der kaiserlichen Kantzeley vnnd auch [mit] andere[n] fürsten dreffenlich zuschaffen hatten.²³ Die gesteigerte Effizienz der Organisation lässt sich auch mithilfe von anderen Beispielen demonstrieren. So wandte sich die Gemeine Judischait am 21. März 1548 an den Reichshofrat in sachen belangend den abtruck des gemainen Mandats ²⁴ vom 30. Januar desselben Jahres und bewirkte die Drucklegung sowie die
Auf dem Reichstag von 1550/51 findet man schon 103 jüdische Anträge, 70 davon von einzelnen Juden. Zwei der Antragssteller – Heyman Jud am Hoff bei Regenspurg und Seligman Jud von Schwandorf – erwähnten explizit die Hilfe, die sie persönlich der kaiserlichen Majestät während des vergangenen Kriegszugs geleistet hatten.Vgl. die Protokolleinträge vom 10. und 17. Januar 1548 in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 2b, Bll. 27r und 46r. Unter den anwesenden Juden fanden sich auch Vertreter von verschiedenen Judenschaften, wie Mosse und Samuel von Burgau, Jacob von Esslingen und Samuel von Worms (nicht der Reichsrabbiner Samuel), sowie Michel von Derenburg, der in der Literatur z.T. als einer der allerersten jüdischen Hoffaktoren gilt. Über Michel von Derenburg vgl. Hans Jaeger: „Michel von Derenburg“, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 440 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn138381453.html (letzter Zugriff: 30.04.3015); S. Stern: Josel von Rosheim, S. 138; Peter Aufgebauer: Das Schuldenwesen der Grafen von Regenstein und der Hoffaktor Michel von Derenburg (gest. 1549), in: Zwischen Herrschaftsanspruch und Schuldendienst. Beiträge zur Geschichte der Grafschaft Regenstein, hrsg. v. der Nordharzer Altertumsgesellschaft, Jena 2004, S. 57– 72 und Ders.: Der Hoffaktor Michel von Derenburg (gest. 1549) und die Polemik gegen ihn, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), S. 371– 399. Josel reichte am 21. Mai 1544 eine Supplikation an den Reichshofrat im Namen der Esslinger Juden.Vgl. HHStAW, RHR, Jud. Misc. 43 (J 3), Konv. 2, Bll. 5r–9v und ebd. Resolutionsprotokolle, 85r und 90r. So wählten sowohl die Juden, die mit Regensburg Verhandlungen führten, als auch der reiche jüdische Lieferant Michel von Derenburg diese Herangehensweise als Mittel zur Beilegung ihrer Konflikte. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1a, Bll. 64r und 67v. Vgl. Supplikation Josels von Rosheim von 1546 (ohne Datum), HHStAW, RK, RTA, K 20, Bl. 88r-v. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 2b, Bl. 185r.
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weite Verbreitung des Dokuments. Die Juden erkannten also den Vorteil von publizierten Gesetzestexten, die mit wenig Aufwand breite Kreise erreichen konnten. Angesichts der Fülle an Problemen, die verschiedene Judenschaften in unterschiedlichen Regionen des Reichs heimsuchten, war die Vervielfachung des Mandats im Druck die beste Möglichkeit, die Bestimmungen schnell und weit bekannt zu machen. Die Professionalität der jüdischen Organisation manifestierte sich auch in anderen Aktionen vor dem Reichshofrat. Am 16. April 1548 bat Josel von Rosheim den Reichshofrat um einen Befehl, der die vngehorsamen Juden, so sich irer Ordnung nit halten vnd auf der Rabbi straf nit geben wollen, […] nochmals […] gehorsamen machen sollte.²⁵ Da die Juden interne Druckmittel hatten, um ungehorsame Juden zu bestrafen, erscheint es fraglich, ob diese Bestätigung überhaupt notwendig war. Betrachtet man jedoch den Kontext, in dem diese jüdische Bitte überreicht wurde, so erkennt man darin eine politische Taktik der Juden im Vorfeld der Beratungen über die Reichspolizeiordnung von 1548. Die Ordnung der Juden, die in dieser Supplikation erwähnt wurde, war die ‚jüdische Judenordnung‘ von 1530, mit deren Hilfe die Juden den Kaiser überzeugen konnten, das in der 1530er Reichspolizeiordnung verabschiedete Verbot jüdischer Geldgeschäfte aufzuheben. Josels Supplikation war daher vermutlich nur ein Vorwand, um den Reichshofrat an dieses Dokument zu erinnern und ihm eine Motivation zu geben, an die kaiserliche Verbotsaufhebung (von 1532) festzuhalten. Tatsächlich tat der Kaiser genau dies in seinem Vorschlag zu Beginn der Verhandlungen.²⁶ Ein weiterer Beleg für die Professionalität der jüdischen Repräsentation stellt Josels Erscheinen vor dem Supplikationsausschuss auf dem Reichstag von 1547/48 dar. Obwohl an fast jedem Reichstag Supplikationsausschüsse gebildet wurden, hatten die Juden nicht immer Zugang zu diesem Reichstagsgremium.²⁷ In diesem Fall handelte es sich zunächst jedoch nicht um einen Fall der jüdischen Repräsentation. Josel wurde dorthin als Zeuge zugunsten des Reichsmarschalls Wolfgang von Pappenheim geladen, der den Ausschuss darum gebeten hatte,
Eintrag vom 16. April 1548, ebd. Bl. 217v. Kaiserliches Bedenken zum Entwurf der Reichspolizeiordnung, in: RTA 18, Teilband 3, Nr. 228, S. 2026 – 2027. Vgl. Kap. 5.1. Es handelte sich in der Regel um Kommissionen, die bei jedem Reichstag neu konstituiert werden mussten und die nicht die Form eines institutionalisierten Ausschusses erhielten. Vgl. Helmut Neuhaus: Reichstag und Supplikationsausschuß. Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts [Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 24], Berlin 1977, S. 148.
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von etlichen alten und des Reichs sachen erfarnen [Personen (A.S.)], so uff diesem gegenwurtigem reichstag personlich alhie [anwesend sind (A.S.)], obangeregter meiner underhaltung und amptsgerechtigkaiten halben bericht [zu] nehmen und nachmalen sollichen bericht der röm. ksl. Mt. […] mit aynem angehencktem furbitt, mich hierinnen dem altherbrachtem gebrauch […] zu bedenckhen.²⁸
Zu den in ‚Reichssachen erfahrenen Personen‘ gehörte offensichtlich auch Josel von Rosheim, der in seiner Anhörung auch angab, dass er gedenckh 40 jar der reichstege von ksl. Mt. maximilian zeiten here, als ein gemeiner gesandter der judischeit gewesen war.²⁹ Der Befehlshaber wurde somit als Experte vorgeladen, um aus jüdischer Perspektive über die Praxis der Vergleitung der Juden in die Reichstage zu berichten. In seiner Aussage, bezeugte Josel von Rosheim, dass die Juden schon immer das Geleit vom Reichsmarschall Utz (=Ulrich) von Pappenheim erhielten und dass sie, wan inen […] was widerfaren, dasselbig haben sy des Reichs marschalckh geclagt, der sy verthedingt. ³⁰ Auch die Erlegung von Strafen fiel laut Josel in des Reichsmarschalls ausschließliche Zuständigkeit. Dies habe der jüdische Befehlshaber auch von anderen Juden sowie schon von seinen Eltern gehört. Somit konnte er bestätigen, daß di juden von Reichs marschalcken das gleit nehmen muessen, wa ein rechsversamblung beisamen. Dasselbig sei je und allweg also gehalten worden. ³¹ Obwohl Josel hier als Zeuge auftrat, nutzte er am Ende seiner Aussage die Gelegenheit, um eine gesamtjüdische Supplikation an dieses Beratungsgremium zu überbringen.³² Vor allem die Resolutionsprotokollen des Reichshofrats gewähren einen Blick auf die Tätigkeit der jüdischen Organisation. Schaut man dort auf die Zahl der gesamtjudenschaftlichen Gesuche während der verschiedenen Reichstage, so Zweite Supplikation des Reichsmarschalls Wolfgang von Pappenheim an die Reichsstände, vom 4. Juni 1548, in: ebd. Nr. 359, S. 2571– 2572. Es handelte sich hierbei um einen Streitfall um die Entlohnung und Privilegienbestätigung des Reichsmarschalls von Pappenheim, der in Konflikt um Zuständigkeiten mit dem Hofmarschall geraten war. Siehe darüber RTA 18, Teil 3, Nr. 301, S. 2315 – 2376, hier S. 2372– 2376, sowie Nrr. 356 – 361, S. 2567– 2574. Siehe außerdem RTA 16, Teil 2, Nrr. 323 – 326, S. 1595 – 1600. Protokoll für den 22. Juni 1548 des Votenprotokolls des interkurialen Supplikationsausschusses, in: RTA 18, Teil 3, Nr. 301, S. 2373. Ebd. Ulrich von Pappenheim war der Vorgänger Wolfgangs im Amt des Reichserbmarschalls. Vgl. ebd. S. 2374. Josel erklärte zudem, dass die Juden auf dem Reichstag von 1544 den Hofund nicht den Reichsmarschall bezahlt hätten, weil ersterer sie durch zwang und forcht danach getrungen, das geleit von ime [=dem Hofmarschall (A.S.)] zu nehmen, auch schanckhung zu geben. Ebd. Vgl. Suplication Jösle Juden, gemayner judischayt anwaldt vom 22. Juni 1548, ebd. Nr. 363, S. 2575 – 2576.
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ergeben sich folgende Zahlen: Auf dem Speyerer Reichstag von 1544 wurden 12 Gesuche eingereicht, darauf ist eine starke Abnahme jüdischer Supplikationen zu verzeichnen, die aber von einem Anstieg ab 1547/48 gefolgt war.³³ Im Zeitraum vom August 1550 bis September 1551 wurde dem Reichshofrat sodann eine Rekordzahl von 25 Gesuchen im Namen der Gesamtjudenschaft überliefert.³⁴ Hinzu kommen sechs weitere jüdische Anträge, die auf der Liste der Supplikationen auftauchen, die der Mainzer Erzkanzlei und dem Supplikationsausschuss überreicht wurden.³⁵ Somit liegt die Gesamtzahl aller eingereichten Supplikationen der Reichsjudenschaft bei 31 – fast viermal mehr als beim vorhergegangenen Reichstag.³⁶ Die absolute Mehrheit der Bittgesuche wurden selbstverständlich von Josel von Rosheim überreicht. In den Jahren 1544‒1548 war er der einzige Bittsteller gesamtjüdischer Anträge und auf dem Augsburger Reichstag von 1550/51 trat Josel 13-mal vor der Mainzer Erzkanzlei und 12-mal vor dem Reichshofrat als gesamtjüdischer Repräsentant auf.³⁷ Eine Anzahl anderer Anträge der gemeinen Judenschaft wurde nominell nicht von Josel verfasst oder eingereicht – seine Mitwirkung bei der Gestaltung dieser Supplikationen ist dennoch sehr wahrscheinlich. Nur vier Supplikationen im Auftrag der Gesamtjudenschaft wurden nachweislich nicht durch Josel von Rosheim bei den verschiedenen ‚Behörden‘ hinterlegt. Das erste dieser Gesuche wurde dem Reichshofrat durch einen gewissen Moses Jud abgeliefert³⁸; beim zweiten wurde zwar der Name des Antragsstellers nicht überliefert, aber es geschah in der Zeit, als Josel von Rosheim wegen anderer
Vgl. Anhang Nr. 2. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 4– 8 und 10 sowie Anhänge Nr. 1, 5 und 11. Die allermeisten Gesuche, die auf dem Augsburger Reichstag von 1550/51 eingereicht wurden, mussten zuerst bei der Mainzer Erzkanzlei hinterlegt werden, bevor sie dem Reichshofrat zur Weiterbearbeitung überreicht wurden. Insgesamt findet man 17 jüdische Anträge auf dieser Liste, aber elf davon sind deckungsgleich mit Anträgen, die einen oder zwei Tage später vor den Reichshofrat gebracht wurden. Vgl. die Liste der von den Juden in der Mainzer Kanzlei eingereichten Supplikationen, vom 18. August 1550 bis zum 18. Februar 1551, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51 [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 19], Teilband 2, bearb. von Erwein Eltz, München 2005 (RTA 19), Nr. 276, S. 1467– 1473. Siehe auch das Stichwortverzeichnis der in der Mainzer Kanzlei hinterlegten und den ksl. Hofrat weitergeleiteten Supplikationen, vom 18. August 1550 bis zum 18. Februar 1551, ebd. Nr. 255, S. 1224– 1360. Vgl. Anhang Nr. 2. Vgl. Anhänge Nr. 4 und 5. Vgl. Eintrag vom 25. August 1550, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6 Bl. 200v. Es handelte sich um eine Supplikation vmb Bewilligung dz sy [die Juden] auf disem Reichstag wie hieuor leihen mogen, die also keine Auswirkung außerhalb des Reichstags selbst haben sollte.
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Verpflichtungen nicht in Augsburg anwesend war.³⁹ Die anderen zwei Supplikationen überreichte der Jude Isaak von Neuburg, der allerdings zuerst durch den jüdischen Befehlshaber und vor dem Reichshofrat offiziell bevollmächtigt worden war, Verhandlungen mit dem Grafen von Pfalz-Neuburg im Namen der Judenschaft zu führen.⁴⁰ Fragt man nach den Erfolgsquoten der jüdischen Anträge, so erkennt man beispielsweise auf dem Augsburger Reichstag von 1550/51, für den sowohl die Protokolle des Reichshofrats als auch die der Mainzer Erzkanzlei überliefert sind, eine sehr positive Tendenz. Von den 17 in der Mainzer Erzkanzlei hinterlegten Supplikationen erreichten elf den Reichshofrat, was eine Quote von ca. 65 % Erfolg ergibt.⁴¹ Da Erfolg hier lediglich die Weitergabe der Gesuche bezeichnet, muss dieser Erfolg relativiert werden. Die Entscheidungsmacht, Anträge positiv oder negativ zu beschieden, lag beim Reichshofrat. Aus den Vermerken der Räte in dieser kaiserlichen Instanz kann man in fünf Fällen sicher davon ausgehen, dass die Gesuche abgelehnt wurden. Für die restlichen 20 Anträge geben die Protokolle zwar meistens eine eher positive Antwort, allerdings konnte diese so ausfallen, dass die Supplikation lediglich an eine weitere Instanz weitergereicht werden sollte, die in der Sache endgültig zu entscheiden hatte. So beschied der Reichshofrat das pitten [der] gemaine[n] Judischait, [..] die Kay. mt. wolle iren hieuor erlangten Freyhaiten zuwider nichts ausgeen lassen, insofern positiv, als er beschloss, dass diese Supplication an die Stende des Reichs gepracht werden sollte.⁴² Allem Anschein nach wurde die Weitergabe an die Reichsstände mit einer Empfehlung des Reichshofrats versehen, sodass hier von einem Erfolg ausgegangen werden kann. Komplizierter wird die Bestimmung, ob ein Gesuch erfolgreich war, wenn die Antwort schlicht lautete: Soll zu kunfftiger gedechtnus bey der Cantzley verwart
Josel war ab der zweiten Märzhälfte und bis Anfang Juni nicht in Augsburg (siehe weiter unten). Bei der Supplikation (vom 28. April 1551) handelte es sich um eine Bitte der Juden, dass der Hofmarschalck inen, dieweil sy noch allerhand bey der Cantzley zu sollicitiren hetten, noch lenger zuuergonne[n] hie [in Augsburg (A.S.)] zupleiben. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 115r. Protokolleintrag vom 11. März 1551, ebd. Bl. 80r. Der genannte Isaak Jud (von Neuburg) tauchte schon im Februar im Rahmen des Streits über jüdische Passrechte in der Grafschaft auf (Protokolleintrag vom 26. Februar 1551, ebd. Bd. 10, Bl. 67r). Allerdings vertrat er ursprünglich Anliegen von privater Natur (ebd. Bl. 53r). Erst mit der Erteilung der Vollmacht veränderte sich die Form seines Engagements. Vgl. Anhang Nr. 6. Allerdings ist nicht bekannt, ob die sechs Anträge, die den Reichshofrat nicht erreichten, abgelehnt, oder von anderen Beratungsgremien bearbeitet wurden. Protokolleintrag vom 19. September 1550, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 264r.
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werden. ⁴³ Man kann derartige Antworten des Reichshofrats entweder als neutral, weil keine endgültige Entscheidung gefällt wurde, oder als eher negativ aus dem ebengleichen Grund bewerten. Als positiv könnte man solche Fälle zumindest insofern klassifizieren, als daraus potenziell weitere Verwaltungsakte erzeugt werden könnten und die Bitte nicht schlichtweg abgeschlagen wurde. Die Erfolgsstatistik sah wie folgt aus: Die 14 Anträge (von 25), die vom Reichshofrat eindeutig positiv entschieden wurden, machen 56 % Erfolg aus; die weiteren sechs Anträge, die zwar keine negative Entscheidung waren, denen aber keine definitive Angabe gemacht werden kann, ergeben weitere 24 %. Insgesamt liegt die Erfolgsquote ziemlich hoch und kann bei einer wohlwollenden Bewertung auf 80 % beziffert werden.⁴⁴ In manchen Fällen lässt sich aus den Resolutionsprotokollen des Reichshofrats eine jüdische Strategie beim Supplizieren eruieren. So findet man manchmal zwei Supplikationen oder mehr zu einem und demselben Thema, die abwechselnd von Josel von Rosheim oder von der gemeinen Judenschaft eingereicht wurden.⁴⁵ Hinzu kam die Praxis, abgelehnte Gesuche zurückzufordern und somit wenige Spuren der gescheiterten Versuche beim Reichshofrat hinterlassen.⁴⁶ Möglicherweise wollten die Juden dadurch verhindern, dass Gesuche mit Verweis auf die bereits abgelehnten Anträge blockiert würden. Im Übrigen resultierte das mehrfache Supplizieren in der gleichen Sache nicht unbedingt aus dem Scheitern der Gesuche, sondern konnte dadurch verursacht sein, dass das weitere Verfahren nicht das erwünschte Ergebnis hervorbrachte. Diese und andere Aspekte zeugen davon, dass die politische Organisation der Juden um die Mitte des 16. Jahrhunderts über weitreichende Erfahrungen in der Arbeit vor den Reichsinstitutionen verfügte und diese mit politischem Geschick auch erfolgreich einsetzen konnte.
Vgl. z. B. den Protokolleintrag vom 25. August 1550, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 203r. Vgl. Anhang Nr. 7. So überreichte Josel von Rosheim am 25. August 1550 das Gesuch, dass die Kay. Mt. [..] gemaine Judischait bey Iren habenden Freyhaiten gnedigist handthaben [wolle] vnd denselben zuwider ir vnuerhort nichts ausgeen lassen (HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 203r). Weniger als einen Monat später, am 19. September 1550 brachte die gemeine Judischait die ähnliche Bitte, die Kay mt. wolle iren hieuor erlangten Freyhaiten zuwider nichts ausgeen lassen. Ebd. Bl. 264r. Am 29. Oktober 1550 übergab Josel erneut eine Supplikation in der gleichen Sache. Vgl. ebd. Bd. 7, Bl. 329v. Vgl. ebd. Bd. 6, Bl. 307r und Bd. 7, Bll. 329v, 335v und 372v.
7.2 Wirkung und Grenzen der kaiserzentrierten Politik der Juden
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7.2 Wirkung und Grenzen der kaiserzentrierten Politik der Juden Nachdem die jüdische Politik in den 1540er Jahren erfolgreich eine einträgliche Annäherung an den Kaiser erreicht hatte, stand sie zu Beginn der 1550er Jahre im Zeichen einer Kaiserzentrierung. Wie die thematische Verteilung der jüdischen Supplikationen auf den Reichstagen jedoch zeigen, betrafen viele Anliegen der Juden territoriale Angelegenheiten oder waren durch politische Initiativen der Stände entstanden. Dennoch gab es vor allem 1544 etliche jüdische Gesuche wegen Verfolgungen – konkreter, ‚die Blutbeschuldigung von Würzburg‘ –, die den kaiserlichen Schutz und die kaiserliche Einmischung unmittelbar erforderten.⁴⁷ In den nächsten Reichstagen und v. a. in Augsburg 1550/51 änderte sich das Bild, und es finden sich keine gesamtjüdischen Bittgesuche wegen Verfolgungen mehr. Dort wurden zwölf Gesuche um kaiserliche Unterstützung (in Form von Mandaten und Privilegien) eingereicht, die den Juden v. a. bei der Abwehr von reichsständischen Gesetzesinitiativen helfen sollte, die den jüdischen Geldhandel unter strenge Regulierungen und Kontrollen stellen wollten. Vierzehn weitere Supplikationen entstanden im Zusammenhang mit jüdischen Verhandlungen mit Territorialfürsten und Lokalobrigkeiten (vier mit Württemberg, sechs mit Bayern und Regensburg und vier mit Neuburg).⁴⁸ Dabei fällt es besonders ins Auge, dass diese Konflikte in weiten Strecken auf der Reichsebene verhandelt wurden, obwohl sie eigentlich von territorialer bzw. regionaler Natur waren. Aus dieser thematischen Aufteilung der Supplikationen zeichnen sich zwei Themenkomplexe ab, die den jüdischen Kampf gegen Einschränkungen ihrer Handelsrechte und für eine weitgehend unbeschwerte Reisefreiheit betreffen. Beide bewegten sich zwischen der Reichs- und territorialer Ebene und werden daher im Folgenden ins Zentrum der Betrachtung gerückt.
Vgl. Anhang Nr. 3. Dort unter Sonstiges aufgefasst. Von den anderen Gesuchen auf diesem Reichstag befassten sich drei mit den Möglichkeiten der Juden, sich auf dem Reichstag aufzuhalten und dort Handel zu treiben; zwei weitere wurden wegen Privilegien und eine wegen Streitigkeiten mit territorialen Herrschaften eingereicht. Zwei letztere Gesuche können nicht einem bestimmten Sachverhalt zugeordnet werden und spielen für die weitere Betrachtung keine Rolle. Vgl. Anhang Nr. 3.
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7.2.1 Der Kampf um wirtschaftliche Rechte Der ‚Kampf‘ der Reichsstände gegen den jüdischen Wucher erfuhr auf dem Augsburger Reichstag von 1551 einen neuen Schub. Nachdem in den vorhergegangenen Jahren das Verbot der jüdischen Geldgeschäfte aufgehoben und reichsweit eine Zinsannahme in der maximalen Höhe von fünf Prozent zugelassen worden war⁴⁹, fühlten sich viele Christen und Obrigkeiten durch die jüdischen Geschäftspraktiken beschwert.⁵⁰ Zwar lautete die Klage nicht mehr, dass die Juden übermäßige Zinsen für Darlehen nehmen, aber dennoch dass sie vom Hauptgeld einen ‚heimlichen Wucher‘ durch sonderliche Verschreibungen ziehen würden.⁵¹ Zudem kritisierte man die Praxis, dass die Juden schulden und anvorderungen, die sie an die armen Untertanen hätten, andern christen verkauffen und die brief darnach auf die kauffenden christen stellen, welche alßdan die armen leuth schier mehr als die Juden dringen. ⁵² Schließlich wollte man sich dagegen wehren, dass die ‚einfältigen‘ Untertanen, die von den Juden listig mit einem ‚heimlichen Wucher‘ beschwert würden, vor fremden Gerichten geladen würden.⁵³ Die ersten Beratungen über diese Fragen begannen am 11. August 1550 und am 13. August beschloss man, ein Gesetz zu verabschieden, das den Juden die Verschreibungspraxis stark reglementieren sollte. Danach sollte ein Schuldenvertragsabschluss ausschließlich unter obrigkeitlicher Aufsicht erlaubt sein. Dabei konnte man sich zunächst nicht einigen, ob diese Regelung sich nur auf künftige, oder auch auf bereits geschlossene Geschäfte beziehen soll.⁵⁴ Die erste Beratungsrunde in der Sache endete am 19. August mit der Forderung an den Kaiser, den Juden einzuschärfen, dass sie kein verschreibung der obligation vor Vgl. Artikel 17 der RPO von 1548, in Weber: Reichspolizeiordnungen, S. 188 – 191, hier S. 190 f. Vgl. z. B. die erste Antwort der Reichstände auf die Proposition zum Reichstag vom 19. August 1550 und das Gutachten der Reichsstände zur Replik Karls V. über die Anschläge und zu einzelnen Bestimmungen der Polizeiordnung vom 6./7. Oktober 1550, in: RTA 19/2, Nr. 89, S. 747– 761, hier S. 760 und Nr. 93, S. 783 – 787, hier S. 786. Vgl. außerdem die Duplik der Reichsstände vom 8. Oktober 1550, ebd. Nr. 94, S. 786 – 799, hier S. 797 f. und schließlich die Supplikation einiger Stände und Städte des Schwäbischen Kreises an die Reichsstände wegen der wucherlichen Kontrakte der Juden vom 15. Dezember 1550, ebd. Nr. 274, S. 1465 – 66. Vgl. die erste Antwort der Reichstände auf die Proposition zum Reichstag vom 19. August 1550, ebd. Nr. 89, S. 760 und den Entwurf der Reichsstände für Mandate zu einzelnen Bestimmungen in der Polizeiordnung vom 8. Oktober 1550, ebd. Nr. 132, S. 895 – 900, hier S. 897 f. Gutachten der Reichsstände zur Replik Karls V. über die Anschläge und zu einzelnen Bestimmungen der Polizeiordnung vom 6./7. Oktober 1550, in: ebd., Nr. 93, hier S. 786. Supplikation einiger Stände und Städte des Schwäbischen Kreises an die Reichsstände wegen der wucherlichen Kontrakte der Juden vom 15. Dezember 1550, in: ebd. Nr. 274, S. 1465 – 66. Vgl. Protokolleintrag vom 13. August im Votenprotokoll des Kurfürstenrates vom 31 Juli 1550 – 16. Februar 1551, in: RTA 19/1, Nr. 82, S. 261– 733, hier S. 314 f.
7.2 Wirkung und Grenzen der kaiserzentrierten Politik der Juden
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jemandts anderst dan der ordenlichen obrigkeit eins jeden orts aufrichten dürften, und dass Verschreibungen nicht nach diesen Maßgaben craftlos, nichtig und unbundig sein, auch kein richter darauf erkennen solt. ⁵⁵ Die Juden erfuhren von diesen Vorschlägen schnell und brachten sechs Tage später – am 25. August – ihre erste Bitte an den Kaiser vor. Es ist auffallend, dass die erste jüdische Reaktion auf diese androhende Einschränkung ihrer Geschäfte im Versuch mündete, das Reichsoberhaupt zu ihren Gunsten zu aktivieren. Die Argumentation in der Supplikation stellt den Kaiser als die einzige Quelle des Rechts und der Gerechtigkeit im Reich dar. So bezeichnete Josel von Rosheim die kaiserliche Majestät als den oberstenn Haupt besitzer, beschirmer und hanndthaber der Gerechtigkait. Die Juden werden darin demensprechend als des Kaisers unmittelbare Camerlewt angegeben.⁵⁶ Auch wurde die reichsständische Gesetzesinitiative als eine Missachtung des kaiserlichen Rechts dargestellt, nämlich dass Ewr. Kay. Mt. Ire sonnder Recht, so sy uber die Juden im heilligen Reich haben, durch disen weg auch verlieren muesten. ⁵⁷ Nicht zuletzt würden die neuen Bestimmungen laut Josels Argumentation auch das gemeine Recht, die Ordnungen, Satzungen und Abschiede des Reichs verletzen. Neben der (Über‐)Betonung der Bedeutung der kaiserlichen Autorität war Josel bemüht, auch die prekäre Lage der Juden hervorzuheben, derer gar geringer Anntzall […] im Heilligen Reich lebten.⁵⁸ Ihnen sei bekanntlich verboten, Ligennde gueter zuhaben, [oder (A.S.)] Ir Narung durch hanndwerck vnd hanndtierung zu verdienen.⁵⁹ So bleibe ihnen nichts anders rechtlich erlaubt, als für ihre Nahrung durch Geldleihe zu sorgen. Allerdings bezichtige man ihre Geschäfte unberechtigterweise als Wucher, weshalb zu befürchten sei, dass keine Obrigkeit auch nur die geringsten Geschäfte zulassen würde. Dabei nähmen viele andere Reichsuntertanen nit allain Sechs, Siben Acht, sonnder bißin zehen vnnd mer gulden Interesse […] von Hundert gulden gelichen gelz Ains Jars Empfanngen. ⁶⁰ Weil die Juden
Erste Antwort der Reichsstände auf die Proposition zum Reichstag vom 19. August 1550, in: RTA 19/2, Nr. 89, S. 760. Supplikation Josels von Rosheim im Namen der Reichsjudenschfat an Karl V. [undat.], in: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 1. Konv., Bll. 1– 2. Die Zuordnung der Supplikation zur ersten jüdischen Reaktion auf die Pläne der Reichsstände basiert auf einen Vergleich mit den Einträgen im Resolutionsprotokoll des Reichshofrates. Vgl. ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 203r. Die Supplikation wurde bereits im 19. Jahrhundert gedruckt, jedoch ohne Angabe des Fundorts. Vgl. Wolf: Zur Geschichte, S. 168 – 169. Supplikation Josels von Rosheim an Karl V., in: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 1. Konv., Bll. 1r– 2r, hier Bl. 2r. Ebd. Ebd. Bl. 1v. Ebd.
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nun zu befürchten hatten, dass sie von irem gelichen gelt, kainen Nuzen mer würden ziehen können⁶¹, könne nur die kaiserliche Autorität sie von ihrem androhenden Elend retten. Josel schrieb zudem: [W]o Ewr Kay. Mt. zugeben sollten, das solliche vorhaben in das werckh gepracht, so wurde ainer armen Judischait alles das, so die gemainen Recht innen zulassen, […] enntzegen vnnd [… s]o mueste ain Judischait […] das gannz Romisch Reich Hungers halben verlassen.⁶²
Die jüdische Bitte lautete demgemäß, dass ihnen ihre wenigen zugelassenen und gegebenen Freiheiten und Gnaden nicht genommen würden, sondern dass man sie lasse, diese weiterhin zu genießen und dass sie darüber nicht beschwert werden sollten.⁶³ Wie leicht zu erkennen ist, blieben die Formulierungen in der jüdischen Bitte sehr allgemein. Daraus kann man entnehmen, dass die Juden noch über keine gesicherten Informationen verfügten, was genau gegen sie geplant war.⁶⁴ Tatsächlich nahmen die Beratungen erst ab dem 2. Oktober an Fahrt auf und am 8. Oktober überreichte man dem Kaiser einen Gesetzentwurf: Demnach sollten Juden Verschreibungsgeschäfte nur unter obrigkeitlicher Aufsicht abschließen dürfen, sonst seien diese craftloß, nichtig und unbundig. ⁶⁵ Auch der Handel von Schuldscheinen zwischen Juden und Christen wurde verboten. Christen durften von Juden Schuldforderungen gegen andere Christen weder abkaufen noch diese an sich übertragen lassen. Eine Übertretung sollte mit dem Verlust des Darlehens bestraft werden. Sollte ein Amtmann, ein Schreiber oder ein Notar solche Geschäfte billigend zulassen, müsste diese Person befürchten, dass sie irer ehren und ampter entsetzt sein, sich deren nicht mehr zu geprauchen haben. Die Obrigkeit sollte bei so einem Fall auch verpflichtet sein, Schreiber, die aktiv gegen das Mandat handeln würden, mit thurm, gefengcknus [oder] in andere gelegene weg [zu] straffen. ⁶⁶
Vgl. ebd. Bll. 1rf. Ebd. Bl. 1v. Ebd. Bl. 2r. Vgl. auch Protokolleintrag vom 25. August 1550, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 203r. Vermutlich aus diesem Grund wurde auch die Supplikation zuerst bei der kaiserlichen Kanzlei zu kunfftiger gedechtnus behalten. Erst am 19. September wurde sie auf Betreiben der Juden an die Stende des Reichs gepracht. Vgl. Protokolleintrag vom 19. September 1550, in: ebd., Bl. 264r. Entwurf der Reichsstände für Mandate zu einzelnen Bestimmungen in der Polizeiordnung vom 8. Oktober 1550, in: RTA 19/2, Nr. 132, S. 895 – 900, hier S. 897 f. Ebd. Über die früheren Stadien der Beratungen vgl. das Votenprotokoll des Kurfürstenrates, in: RTA 19/1, Nr. 82, S. 416 und das Gutachten der Reichsstände zur Replik Karls V. über die Anschläge und zu einzelnen Bestimmungen der Polizeiordnung vom 6./7. Oktober 1550, in: RTA 19/2,
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Als Reaktion darauf erschienen am 9. Oktober Gesandte der Reichsjudenschaft vor dem Supplikationsrat, beschwerten sich über die geplanten Verbote und baten darum, man möge sie bei iren alten freyheitten pleiben [..] lassen. ⁶⁷ Das jüdische Gesuch bekam einen negativen Bescheid: Diese supplication ist im supplicationrat verlesen und darauf algemeinlich bedacht worden, nachdem dieser articul durch Kff., Ff. und gemeine stende deß Hl. Reichs allen desselben underthonen zu nutzen und guttem statlichen erwogen und wol bedacht und der ksl. Mt. als fur ein nothwendig bedencken in underthenigkeit anpracht, welchs auch die ksl. Mt. ir gnedigst gefallen lassen hat, das es derwegen dobei zu lassen und in dem fall der Juden bitt nit zu wilfaren sei.⁶⁸
Nachdem ihre Supplikation vor dem Ausschuss verlesen wurde, wandten sich die Juden auch an die Mainzer Erzkanzlei mit der Bitte, inen mit der reichsstend furgenomen gebott zu verschonen. ⁶⁹ Am 14. Oktober traten sie dann vor dem Reichshofrat und baten den Kaiser darum, er wolle sich durch die Reichs Stend nit bewegen lassen und ihre furgeschlagne Ordnung [..] in ansehung der Vrsachen in irer [=der Juden (A.S.)] Suppon nicht zulassen.⁷⁰ Der Reichshofrat gab den Juden aber bekannt, dass er auf ihre Bitte keinen Bescheid geben könne, weshalb die Juden ihre Supplikation zurückzogen und eine neue Herangehensweise probierten. Am 29. Oktober ersuchte Josel vom Reichshofrat einen offne[n] beuelch, der die Einschränkung der jüdischen Geschäfte unterbinden würde. Er begründete diese Bitte mit einem Bescheid, so ime […] durch die Rethe vor etlich Jahren gegeben worden. ⁷¹ Da er den genannten Bescheid nicht dabei hatte, musste er am darauffolgenden Tag wieder kommen und diesen vorzeigen. Allerdings wurde auch dieses Gesuch abgeschlagen.⁷²
Nr. 93, hier S. 786, sowie die Duplik der Reichsstände vom 8. Oktober 1550, ebd. Nr. 94, S. 786 – 799, hier S. 797 f. Protokolleintrag vom 9. Oktober 1550 im Votenprotokoll des Supplikationsrates, in: RTA 19/2, Nr. 256, S. 1360 – 1447, S. 1387. Sehr wahrscheinlich handelte es sich bei dieser Aktion um die Überbringung der Supplikation, die davor in der kaiserlichen Kanzlei aufbewahrt wurde. Ebd. Vgl. Liste der von Juden in der Mainzer Kanzlei eingereichten Supplikationen, 18. August 1550 – 18. Februar 1551, Eintrag zum 11. Oktober 1550, in: ebd. Nr. 276, S. 1467– 1473. Vgl. Protokolleintrag vom 14. Oktober 1550, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 6, Bl. 307r. Protokolleintrag vom 29. Oktober 1550, in: ebd. Bd. 7, Bl. 329v. Es ist nicht bekannt, um welchen Bescheid es sich handelte. Auf seine Bitten wurden ihm alle Dokumente, die er dem Rat vorlegte, zurückgegeben. Vgl. Protokolleintrag vom 30. Oktober 1550, in: ebd. Bd. 7, Bl. 335v.
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Das Scheitern des jüdischen Ansuchens kam zu einer Zeit, in der sich auf Seiten der Reichsstände diejenigen Stimmen mehrten, welche die starke Reglementierung der jüdischen Geschäftsbeziehungen befürworteten.⁷³ Die Situation verschlechterte sich für die Juden, als die Stände und Städte des Schwäbischen Kreises den Supplikationsrat anfragten, ob er sich beim Kaiser zugunsten ihrer Anliegen gegen die jüdischen Geschäfte verwenden könnte. Zwar erachtete man im Supplikationsrat das Gesuch als nicht notwendig, weil der Rat über das Thema bereits beratschlagt hatte⁷⁴, allerdings unterschied sich die Bitte des Schwäbischen Kreises in einem Punkt. Wenn soliche verschreibung, so von uns, unsern amptleuthen oder statman nit besiegelt [wären, so sollen] unsere underthane, zugewandte, inwoner und burger weder an dem ksl. Hoffgericht zu Rotweil noch an den hoff- und landtgerichten nit fugenommen, oder geladen werden, oder doch daruff zu erscheinen nit schuldig und inen solich proceß und handlung an irem leib, hab und guteren khein nachteil noch schaden bringen oder geberen.⁷⁵
Daher beschloss der Supplikationsausschuss, die Bitte doch nit abtzuschlagen, sonder in dem pillich den armen underthanen zu gutem zu wilfaren. ⁷⁶ ‚Fremde Gerichte‘ sollten also nur dann gerufen werden können, wenn der Geschäftsakt durch die lokale Obrigkeit zuvor überwacht worden war. Diese Regelung war für viele Obrigkeiten besonders wichtig, denn in einem Großteil der betreffenden Regionen und Städte durften die Juden nicht wohnen und z.T. auch nicht handeln. Daher vollzogen sich Geschäfte zwischen Juden und Christen oft außerhalb des Einflussbereichs der Obrigkeiten der christlichen Schuldner. Aus diesem Grund fühlten sich Herrscher meist übergangen, wenn ihre Untertanen gerichtlich vor ‚fremde Gerichte‘ vorgeladen wurden. Durch die angestrebte Bestimmung konnten sie den letzten Bereich unkontrollierten jüdischen Handels, der sich ihrem Zugriff bis dahin entzog, schließen.
So instruierte am 5. November Kurfürst Friedrich von der Pfalz seine Gesandten, eine ablehnende Antwort auf das jüdische Gesuch – vom 10. August – abzugeben. Vgl. das Schreiben des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz an seine Gesandten zum Reichstag vom 5. November 1550, in: ebd. Nr. 228, S. 1144– 1153, hier S. 1149. Vgl. das Gutachten des Supplikationsausschusses zur Supplikation der Mitglieder des Schwäbischen Kreises, undat. [6. November 1550] in: RTA 19/2, S. 1466. Zur Datierung vgl. den Protokolleintrag vom 6. November 1550 im Votenprotokoll des Kurfürstenrates, in: RTA 19/1, Nr. 82, S. 261– 733, hier S. 474. Supplikation einiger Stände und Städte des Schwäbischen Kreises an die Reichsstände wegen der wucherlichen Kontrakte der Juden vom 15. Dezember 1550, in: ebd. S. 1465 – 66, hier S. 1466. Gutachten des Supplikationsausschuss zur Supplikation der Mitglieder des Schwäbischen Kreises, undat. [6. November 1550] in: RTA 19/2, S. 1466.
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Interessanterweise findet man für die Zeit dieser Beratungen keine jüdischen Gesuche im Zusammenhang mit der geplanten Einschränkung ihrer Handelspraktiken. Es ist möglich, dass die Juden sich angesichts des häufigen Scheiterns im Oktober und November 1550 zurückzogen, um über die nächsten Schritte zu beraten. Ihr langes Schweigen kann aber auch durch die Anhäufung von anderen Konflikten verursacht worden sein. So sind etliche Supplikationen zu Konfliktfällen mit Neuburg und Regensburg überliefert; bei letzterem wurde auch Josel von Rosheim aktiv.⁷⁷ Erst am 19. Januar 1551 befasste sich der Befehlshaber mit den androhenden wirtschaftlichen Einschränkungen wieder, als er eine Supplikation an den Kaiser richtete. Darin erklärte er, wie dringlich die Sache geworden sei, [d]ieweil nun solliche pollicei zum end und beschluß gehe. Aus diesem Grund bat er Karl V. abermals darum, dass alle bis dahin gereichten beschwerdt, freiheiten und suplicationen nit in vergeß gestellt werden möchten. ⁷⁸ Der jüdische Befehlshaber war dabei bemüht, die Sache als eine rein kaiserliche Angelegenheit darzustellen. Eine Erlaubnis, ausserthalb euer ksl. Mt. unß armen [eine (A.S.)] ordnung oder neuerung ufzurichten, wäre daher falsch.⁷⁹ Zudem wies er darauf hin, dass die Stände die Einschränkungen nicht einzelnen Juden auferlegen möchten, die sich des ungebührenden Geschäftsverhaltens schuldig machten, sondern der gesamten Judenschaft. Während Josel gegen die pauschale Verdächtigung aller Juden argumentierte, erhob er keinen Widerspruch dagegen, dass Verschreibungen nun mit wissen jeder herrschaft aufgericht werden sollten.⁸⁰ Im Gegenzug bat Josel den Kaiser um einen Befehl, der die jüdischen Geleits- und Passrechte im Reich regeln würde. Demnach sollen die Stände die Juden bei euer ksl. Mt. erlangten feiheiten gegen zustellung gewonnlicher zöll und glait allergnedigist durchreisen lassen.⁸¹ Die Supplikation Josels wurde im Reichshofrat am 23. Januar empfangen. Dort wurde beschlossen – genauso wie schon am 19. September 1550 –, dass die Sache
Beide Konflikte, mit Neuburg und Regensburg, betrafen jüdische Passrechte. Im Falle Neuburgs wurden Supplikationen am 2. und am 29. Dezember 1550 bei der Mainzer Erzkanzlei abgegeben. Wegen Regensburg trafen am 17. und am 31. Dezember 1550 und am 2. Januar 1551 jüdische Anträge ein. Vgl. Anhang 3. Zu Josels Engegement vgl. den Befehl Karls V. an Regensburg vom 2. Januar 1551, der Josel von Rosheim explizit benennt. HHStAW, RHR, Judicialia, Alte Prager Akten (APA), K. 86, Konv. 1, Bl. 4. Supplikation Josels von Rosheim an Karl V. wegen der wucherlichen Kontrakte in der Polizeiordnung, vom 19. Januar 1551, in: RTA 19/2, Nr. 275, S. 1466 – 1467, hier 1467. Ebd. Ebd. Ebd. Um die Wichtigkeit des Kaisers zu unterstreichen, endete Josel die Supplikation mit den Worten: Das umb euer ksl. Mt. lange leben, gluckselige regierung und wolfart gegen Gott dem Allmechtigen zu bitten, wöllen wir armen nimer in vergessen stellen.
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an gemeaine Stend gepracht werden [solle]. ⁸² Dies bedeutete zwar ein Erfolg, aber die Juden hatten bei den Ständen kaum Einflussmöglichkeiten und die Stärke ihrer Supplikation lag in der kaiserzentrierten Argumentation. Somit war zu befürchten, dass die Stände sie nicht wohlwollend aufnehmen würden. In der Tat schienen diese nicht geneigt, in der Sache nachzugeben. Am 27. Januar beschloss der Supplikationsausschuss in einer Umfrage, die Angelegenheit bei dem bedencken der stendt der pollicei halben pleiben zu lassen⁸³ und am 30. Januar gab auch der Kurfürstenrat in Bezug auf Josels Supplikation bekannt: Was hie beschlossen, soll nit eingestellt noch zu wilfaren sein. ⁸⁴ Auch wenn die Juden keinen Einfluss auf die Beratungen der Stände ausüben konnten, war die jüdische Vorgehensweise dennoch nicht ganz ohne Erfolg. Dass die jüdische Supplikation den Ständen übergeben wurde, hieß, dass der Reichshofrat die darin enthaltenen Argumente für berechtigt und die aufgelisteten jüdischen Freiheiten für rechtskräftig und -mäßig hielt. Die Reichsstände konnten daher nicht weiter verfahren wie bisher und die kaiserlichen Privilegien der Juden missachten. Sie wollten aber auch nicht ihre Pläne der Kontrolle über jüdische Geldgeschäfte aufgeben. Daher wurden mehrere unterschiedliche Vorschläge zur Neugestaltung der Bestimmung vorgebracht.⁸⁵ Im Ergebnis wurden Änderungen im Artikel über die wücherliche[n] Contrect vorgenommen, die dann im Reichstagsabschied vom 14. Februar bekanntgegeben wurden. Demnach wurden die meisten Forderungen der Stände beibehalten, sodass Juden nun Verschreibungen nur in Anwesenheit der Obrigkeit, in deren Herrschaftsbereich der contrahierendt christ gesessen [ist], aufrichten durften.⁸⁶ Auch wurde der Handel mit Schuldverschreibung verboten.⁸⁷ Allerdings wurde der Rechtsweg über sogenannte fremde Gerichte in die Bestimmungen nicht
Protokolleintrag vom 23. Januar 1551, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 32r. Protokolleintrag vom 27. Januar 1551, im Votenprotokoll des Supplikationsrates, in: RTA 19/2, Nr. 256, S. 1360 – 1447, hier S. 1442. Protokolleintrag vom 30. Januar im Votenprotokoll des Kurfürstenrates, in: RTA 19/1, Nr. 82, S. 261– 733, hier S. 695. So wurde z. B. vorgeschlagen, Verpfändung von liegenden Gütern in die Hände der Obrigkeit gänzlich zu übertragen, sodass die christlichen Untertanen gar nicht berechtigt wären, diese zu verpfänden.Vgl. das Protokoll zum 1., 2. und 3. Februar 1551, im Protokoll der Verhandlungen über die Endfassung des Reichsabschieds, vom 28. Januar bis 14. Februar 1551, in: RTA 19/2, Nr. 304, S. 1552– 1578, hier S. 1557, 1559, 1562 und 1567– 1569. Abschied des Augsburger Reichstags vom 14. Februar 1551, in: RTA 19/2, Nr. 305, S. 1578 – 1614, hier S. 1598. Ganz knapp über diesen Abschied berichtet auch Friedrich Battenberg in verschiedenen Aufsätzen. Siehe z. B. Battenberg: Judenordnungen, S. 89. Vgl. Abschied des Augsburger Reichstags vom 14. Februar 1551, in: RTA 19/2, Nr. 305, S. 1578 – 1614, hier S. 1598.
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aufgenommen. Man traf auch eine Sonderregelung für die Messen und Jahrmärkte, damit den Juden die aufrichtigen handthierungen und comertien […] hiemit unbenomen sein. ⁸⁸ Bei solchen Gelegenheiten sollten Geschäfte zwischen Juden und Christen nicht mehr vor den Obrigkeiten der kontrahierenden Christen geschlossen werden, sondern vor den Ortsobrigkeiten, in deren Gerichtsbarkeit die Messe oder der Jahrmarkt stattfand.⁸⁹ Obwohl die jüdischen Bemühungen nicht gänzlich umsonst waren und die Reichsstände Kompromisse eingegangen sind, gaben sich die Juden mit dem Gesetz nicht zufrieden. Deswegen blieben jüdische Vertreter in Augsburg auch nach der Beendigung des Reichstags, bis ihnen gegen Ende April befohlen wurde, die Stadt zu verlassen. Die Juden baten den Reichshofrat um einen verlängerten Aufenthalt, dieweil sy noch allerhand bey der Cantzley zu sollicitiren hetten. Man gab ihnen aber zur Antwort, dass sie zur Erledigung ihrer Geschäfte ainen Anwald aus inen verordnen [mogen]; die anderen Juden wurden auf Befehl des Herrn von Arras […] aus geschaffen. ⁹⁰ Der gewählte Anwalt war erwartungsgemäß Josel von Rosheim, der am 5. Juni 1551 dem Reichshofrat eine Supplikation überreichte.⁹¹ Darin beschrieb Josel die Situation der Juden seyt der zerstorung Jherusalem und seitdem sie mit Hab und Gut den römischen Kaisern und Königen one alle mittell zugehorig gewesen seien. Diese Herrscher hätten die Juden mit ‚Begnadungen‘ und Freiheiten privilegiert, die nun auch Karl V. nicht nur auß hochster Angeporner Milltigkheit bestätigt habe, sondern auch aus der Einsicht in die Lebenssituation der Juden. Denn die Juden dürften keinen Grund und Boden oder Baugüter besitzen, sie seien auch vom Gewerbe und von den Handwerkerberufen ausgeschlossen. Dazu kämen noch
Abschied des Augsburger Reichstags vom 14. Februar 1551, in: RTA 19/2, Nr. 305, S. 1578 – 1614, hier S. 1598. Vgl. ebd. Protokolleintrag vom 28. April 1551, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 115r. Mit dem Herrn von Arras war der wichtige Berater und Staatssekretär Karls V. Antoine Perrenot de Granvelle gemeint. Obwohl die Juden die Stadt verlassen mussten, findet man weiterhin unterschiedliche jüdische Vertreter vor dem Reichshofrat, der bis November in Augsburg weilte. Vgl. ebd. Bll. 130r, 136v, 147rf., 149v, 156r, 164v und etliche weitere Protokolleinträge von den Monaten Juni–September 1551. Gemeiner Judischait Gesanndten Supplication [undat.], HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 1. Konv., Bll. 4r–6v. Die Datierung der Supplikation auf den 5. Juni 1551 erfolgt anhand eines Abgleiches mit den Resolutionsprotokollen des RHR (Vgl. ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 156r), sowie über eine Inhaltsanalyse einer kaiserlichen Declaration zugunsten der Juden, die am gleichen Tag gefertigt wurde. Vgl. Ebd. Conf. Priv., K 95, 1. Konv., Bll. 7r–11r. Wolf: Zur Geschichte, S. 169 – 170 druckte diese Supplikation (z.T. fehlerhaft), allerdings ohne Angabe des Fundorts.
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allerlay aufflagen, von denen die Juden nicht nur finanziell, sondern inn vil weg hochlich beschwerdt werden. Aus diesem Grund würde ihnen gestattet, dass sie ire narung mit hinleyhung ihres gelts auff zuubliche innterresse wol suechen, vnnd gehaben sollen. Schließlich wurde ihnen erlaubt, Obligationen zum Zweck des Einbringens ihrer Schulden aufzuschreiben.⁹² Nachdem die Rechtmäßigkeit der jüdischen Darlehensgeschäfte in der Supplikation konstatiert worden war, schilderte Josel, wie manche den Juden feindlich gesinnten Christen danach trachteten, die Juden ins Verderben zu stürzen. Sie wollten alle jüdischen Darlehensgeschäfte, die nicht vor den Obrigkeiten des kontrahierenden Christen geschlossen wurden, für nichtig und kraftlos erklären.⁹³ Eine derartige Pflicht würde, so Josel, den Juden mehr Kosten verursachen, als sie Geld einnehmen könnten. Diese Bestimmung sollte daher geändert werden, damit wir arme dannoch vnser nothwenndige Leibs narung haben khundte, vnd nit so Ellenndt, also gar verderbt, verjagt, vnnd ann bettell gericht wurden. ⁹⁴ Es kann kein Zufall sein, dass die Juden die Konsequenz von dieser wirtschaftlichen Einschränkung mit einer Formulierung schilderten, die typischerweise von christlichen Obrigkeiten genutzt wurde, um die negativen Auswirkungen der jüdischen Geldgeschäfte auf die christlichen Untertanen zu beklagen. Das Motiv dahinter ist klar: Wenn es unzulässig war, die christlichen Untertanen durch bestimmte Geschäftspraktiken an den Bettelstab zu bringen, so dürfte es auch nicht den jüdischen Untertanen widerfahren. Hinzu kam laut der Supplikation noch der beschwerliche Umstand, dass die Juden ann allen orthen mit grossen zöllen, Mauthen vnnd gelaith beladen seind, auch [ihnen (A.S.)] vil oberkheit Stett vnnd Flegkhen verspörth hätten.⁹⁵ Vor dem Hintergrund des Geschilderten brachten Josel nun das Anliegen der Juden zum Ausdruck: Der Kaiser soll Declariern, Confirmiern vnnd sezen, dass Darlehensgeschäfte zwischen Juden und Christen nicht vor der Obrigkeit des christlichen Schuldners abgewickelt werden müssten, solange sie rechtmäßig ablaufen, vor einer ehrlichen, redlichen Obrigkeit geschehen und keine Immobilien betreffen.⁹⁶ Das jüdische Gesuch an den Kaiser forderte aber nicht nur die Aufhebung des Verbots, sondern selbstbewusst auch, dass den Juden zu solchen [ihren (A.S.)] schuld, vermög aller Recht, verholffen werden solle. ⁹⁷
Vgl. Gemeiner Judischait Gesanndten Supplication [undat.], HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 1. Konv., Bll. 4r–4v. Ebd. Ebd. Ebd. Bll. 5r–5v. Vgl. ebd. Bl. 5v. Ebd.
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Der Reichshofrat fand die jüdische Klage offensichtlich berechtigt, weshalb er eine kaiserliche Deklaration diesbezüglich ausstellte. Darin wurde beklagt, dass Obrigkeiten den Artikel im Reichsabschied so auslegen würden, dass sämtliche Geschäfte der Juden mit Christen der strengsten Reglementierung unterworfen seien.⁹⁸ Der Kaiser befände aber, dass diese Vorgehensweise der Stände des Reichs ordnung vnd gedachter gemainer Judischait freyheiten zuwider sei. Dadurch würden jüdische Geschäftskontrakte für nichtig erklärt, unabhängig davon, ob verschreybungen darüber aufgericht oder nit [seyen], ob auch der Christ dem Juden sein aigen handtschrifft gegeben oder der Schuld sonst gestendig ist. ⁹⁹ Anscheinend war man in der kaiserlichen Kanzlei der klaren Ansicht, dass der neue Artikel des Reichsabschieds die Rechtmäßigkeit anderer Formen von Vertragsabschlüssen nicht außer Kraft setzen sollte. Dort, wo bestimmte Voraussetzungen erfüllt würden, sollten Darlehensverträgen nicht verboten werden. In Bezug auf Geschäfte, die im Rahmen einer Messe oder eines Marktes abgewickelt wurden, folgte der Reichshofrat den Wünschen der Juden. Dort mussten die Voraussetzungen erfüllt sein, dass man auf gueten glauben vnd trawen handelte, dies mit Unterschriften oder Zeugen versah und nach vermog der Judischait Freihaiten […] sonderlich von weilandt Kaiser Sigmunden verfuhr.¹⁰⁰ Diese Kontrakte waren zwar uneingeschränkt rechtskräftig und sollten als solche gerichtlich anerkannt werden. Gleichzeitig sollte man sie aber an allen Gerichten vmb das jenige, so der Christ selbs stehen, [vberw(e)isen] vnd […] durch jede andere gepurliche, vnd in gemainen geschribnen rechten zugelassne probation, getzeugnus oder handtschriften anerkennen lassen.¹⁰¹ Nur im Falle, dass Schuldverschreibungen außerhalb der freien Messen und der Wochen- oder Jahrmärkte aufgerichtet werden sollten, seien die Vertragspartner verpflichtet, die Obrigkeit des christlichen Schuldners aufzusuchen und die Schuldbriefe unter deren Aufsicht abzuschließen.¹⁰² Die kaiserliche Deklaration kann als ein kleiner Erfolg für die Juden betrachtet werden. Die jüdische Supplikation veranlasste eine Kanzleitätigkeit, bei Vgl. Declaratio gemainer Judischait im Reich vom 5. Juni 1551, in: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, 1. Konv., Bll. 7r–11r. Ebd. Bl. 8v. Ebd. Bl. 9r. Die Freiheiten von Kaiser Sigismund wurden am 12. August 1530 von Karl V. erneuert und bestätigt, wie die Deklaration selbst betont. Darin war u. a. die Rechtsgültigkeit jüdischer Verschreibungen festgehalten und die Regelung, dass Pfänder, die länger als ein Jahr in den Händen eines Juden liegen, verkauft, versetzt oder verkumer[t] werden dürfen. Vgl. die Abschrift des Privilegs ebd. 2. Konv., Bll. 24r–27r. Ebd., 1. Konv., Bl. 9r. Etwa, um Vorteile aus der Überwachung des Vertragsabschlusses in Form von Gebührenerhebung zu ziehen.
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der die jüdischen (Handels‐)Privilegien eine Bestätigung erhielten. Bei künftigen Streitsachen über jüdische Geschäftsabschlüsse sollten sie demzufolge immer Beachtung finden. Darüber hinaus erreichten die Juden, dass Klarheit darüber verschaffen wurde, wann ein Darlehensvertrag nur vor der Obrigkeit des christlichen Vertragspartners gemacht werden musste und wann sie dazu nicht verpflichtet waren. Vor allem aber konnte mit der Klarstellung darüber, wie der Reichsabschiedsartikel auszulegen sei, verhindert werden, dass die Gegner der Juden die Reichsordnung dazu nutzten, um die Juden genntzlichen inn verderbnuß zubringen. ¹⁰³ Insgesamt können in Bezug auf den jüdischen Kampf um eine (relative) wirtschaftliche Freiheit folgende Punkte festgehalten werden. Die große Wichtigkeit des Themas führte zu einer regen jüdischen Betriebsamkeit, die vorwiegend vor dem Reichshofrat stattfand. Die Juden konnten die Beratungen der Reichsstände nur geringfügig beeinflussen. Ihre hauptsächliche Einflussnahme konnte nur indirekt und über die Erlangung der kaiserlichen bzw. reichshofrätlichen Unterstützung erfolgen, was ihre große Abhängigkeit vom Kaiser unterstreicht. Dennoch konnten sie auf diesem Wege versichern, dass ihre Anliegen und ihr Standpunkt in den Reichstagsausschüssen angehört und berücksichtigt wurden. Trotz aller Besonderheiten dieser Angelegenheit war die jüdische Herangehensweise doch typisch für diese Phase ihrer politischen Organisation. Die Juden wandten sich an erster Stelle an den Kaiser, der in ihren Augen die höchste Quelle des Rechts im Reich symbolisierte. Dies war der Fall auch bei der Regulierung ihrer Konflikte mit Obrigkeiten auf allen politischen Ebenen im Reich und bekommt eine Bekräftigung, wenn man die Verhandlungen der Juden mit verschiedenen Territorialfürsten über die jüdischen Durchzugsrechte betrachtet.
7.2.2 Das Ringen um Reisefreiheit im Reich Die Konflikte der Reichsjudenschaft in Bayern (Neuburg und Regensburg) sowie mit Württemberg hatten zwar unterschiedliche Ursachen und standen zugleich mit anderen Streitsachen in Verbindung, dennoch hatten sie alle eine Sache gemeinsam: Sie betrafen die Pass-, Geleits- und Handelsrechte der Juden in der
Supplikation der gemainer Judischeit Gesanten, in: HHStAW, RHR, Conf. Priv. K 95, 1. Konv. Bl. 4v.
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jeweiligen Region.¹⁰⁴ Da die jüdische Vorgehensweise in den unterschiedlichen Fällen einem ähnlichen Lösungsansatz folgte, soll in der folgenden Darstellung nur ein Fallbeispiel analysiert werden. Behandelt werden soll die Causa Württemberg, denn die Überlieferung der Quellen hierzu ist besonders gut und bietet daher einen besseren Einblick in die jüdische Verhandlungstaktik, Verfahrensweise und Organisationsstruktur.¹⁰⁵ In Württemberg sollten Juden weder leben noch handeln dürfen. Jüdische Geschäftsbeziehungen mit württembergischen Untertanen waren auch außerhalb des Herzogtums verboten. Die Herrschaft Württembergs bestand zudem auch vehement darauf, dass Juden das Territorium nur mit einer schriftlichen Erlaubnis der Regierung in Stuttgart passieren durften. Zu diesem Zweck erwirkte Württemberg kaiserliche Privilegien und ließ sie immer wieder bestätigen. Diese strikte Reglementierung wurde dann auch in die Landesordnung von 1536 festgeschrieben.¹⁰⁶ Die Versuche der Juden, über kaiserliche Privilegien die Einschränkungen ihrer Reisefreiheit zu mildern, änderten nichts an der Haltung der Stuttgarter Räte und des Landesherrn. Dadurch, dass Württemberg ein großes Flächenterritorium war, war das Reiseverbot durch das Herzogtum beschwerlich für die Juden, v. a. weil es zwischen den großen jüdischen Siedlungsschwerpunkten im Unterelsass, in der Schwabenregion und in der Umgebung um Worms und Frankfurt am Main lag. Im Endeffekt bedeutete diese Reiseeinschränkung eine Erschwerung und Verlängerung der ohnehin gefährlichen Reisewege von Juden. Diese Situation betraf auch Juden, die zum kaiserlichen Hofgericht in Rottweil reisen wollten. Dieses lag nicht weit von der südlichen Grenze Württembergs und war durch den Grenzverlauf des Herzogtums z.T. nur unter der Hinterlegung eines Umwegs zu erreichen.
So betraf der Konflikt mit Neuburg zum einen den Fall eines Michael Fierling, der einen Juden getötet haben sollte (vgl. HHStAW, RHR, Jud. Misc. (B1), K. 4), zum anderen Pass- und Wandelrechte der Juden in der Gegend (vgl. ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bll. 37r, 53r, 232v und 247v). Der Konflikt der Juden mit Regensburg berührte sowohl die Passrechte der Juden (vgl. ebd. Judicialia, APA, K. 86, Bl. 4 und ebd. Jud. Misc. J 1, K. 41/1, Bll. 16 und 19), als auch Streitfälle zwischen jüdischen Gläubigern und Regensburger Schuldnern (vgl. ebd. Decisa, K. 88 und ebd. Gratialia et Feudalia, Geleitbriefe, K 1, 1. Konv, Bll. 73 – 74 sowie Wittmer: Regensburger Juden, S. 36 – 37). Zudem gibt es hier Querverbindungen zu den Verhandlungen der Juden mit dem Herzog von Bayern, sodass auch dazu einiges erkannt werden kann. Über den Konflikt mit Bayern siehe Wittmer: Regensburger Juden, S. 36 – 37 und die Quellen dazu in: Straus: Urkunden und Aktenstücke, Nr. 1198 – 1204, S. 500 – 505; außerdem Aretin: Geschichte, S. 49 – 60. Das Dokument liegt sowohl im HStA Stuttgart, A 38 Bü 1 als auch in Jerusalem im CAHJP DWu 4– 1. Ausführlicher über Württemberg und seine Beziehungen zu den Juden siehe Lang: Ausgrenzung und Kap. 6.1 und 6.4 dieser Arbeit.
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Diese Problematik hatte aber nicht nur grundsätzliche Schwierigkeiten verursacht, sondern führte, wie Josel von Rosheim berichtet, zu konkreten Verfolgungen von Juden, die auf württembergischen Straßen oder in den angrenzenden Regionen festgenommen wurden. So bekam der jüdische Befehlshaber während des Augsburger Reichstags von 1550/51 einen Bericht über zwen arme Juden, die auf ihrem Weg zum kaiserlichen Hofgericht in Rottweil außerhalb des Herzogtums (zwischen Hechingen vnnd Rothweil) ergriffen, etliche wuchen gefengklich gehalten, vnnd dartzu bey hundert guldin geschetzt wurden.¹⁰⁷ Josel von Rosheim erhielt darauf den Auftrag, im Namen der Judenschaft mit Württemberg zu verhandeln, damit solche Fälle sich nicht wiederholten. Da das Passieren eines Territoriums eine territoriale Angelegenheit darstellte, wäre eine direkte Verhandlung Josels von Rosheim mit dem württembergischen Herzog zu erwarten. Josel überreichte aber stattdessen dem Reichshofrat eine Supplikation, in der er um einen Beuelch an Herzog Christoffen zu Wirtemberg bat, dass er die Juden bey iren Freyhaiten vnd altem Herkomen vngeirrt vnd vnuerhindert gleiten ließe.¹⁰⁸ Offensichtlich rechnete sich der jüdische Befehlshaber bessere Chancen auf Gehör in der Stuttgarter Kanzlei, wenn er die Unterstützung dieser kaiserlichen Institution vorweisen konnte. Die Entscheidung Josels, seine Kontakte beim Reichshofrat zu benutzen, zahlte sich aus. Der Bitte wurde stattgegeben und der kaiserliche Sekretär Johann Obernburger schrieb Christoph von Württemberg an und forderte ihn, den Juden gemäß ihren Freiheiten den Durchzug durch sein Herrschaftsgebiet zu gestatten.¹⁰⁹ Darüber hinaus beorderte Obernburger einen kaiserlichen Hof- und Kammerboten nach Stuttgart. Dieser sollte den Befehl und das kaiserliche Mandat von 1548 dort übergeben und die Antwort des Herzogs abwarten. Am 1. Februar bezeugte der Kammerbote Valentin Frauenberg die Übergabe der Dokumente. Er berichtete über die positive Antwort, die ihm der württembergische Kanzler Johann Fessler gegeben hatte. Demnach sei der württembergische Herzog bereit, Innhallt dises Kay. Mandats inn aller vnnderthennigkeit aller gepur erzaigen vnnd nach[zu]kommen, habe zugleich aber auch auf die Privilegien des Territoriums verwiesen.¹¹⁰
Supplikation Josels von Rosheim an den Kaiser vom 18. Februar 1551, in HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Qu 1, Dokument Nr. 8, Bl. 1. Protokolleintrag vom 23. Januar 1551, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 32r. Notiz über die eingegangene Supplikation Josels an Johann Obernburger vom 23. Januar 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Qu 1, Dokument Nr. 1. Vgl. zudem die Darstellung bei Lang: Ausgrenzung, S. 85 – 92. Relation von Valentin Frauenberg vom 1. Februar 1551, in: ebd. Dokument Nr. 4.
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Ermutigt von diesem Erfolg schrieb Josel von Rosheim am 6. Februar Christoph von Württemberg und legte die jüdischen Anliegen in drei Punkten dar: Erstens baten die Juden darum, dass ihnen – gemäß ihren Privilegien – der Durchzug durch Württemberg erlaubt würde. Zweitens ersuchten sie die Erlaubnis, in solchen Fällen inn offnen wirzhauß übernachten zu dürfen, wo Ainen di Nacht begreifft. ¹¹¹ Drittens begehrten sie einen Befehl des Landesfürsten an alle Zollstätten und Ämter, damit seine Amtmänner die Juden nicht widerrechtlich beschweren würden. Im Gegenzug zu den jüdischen Ansinnen versprach Josel, dass er als Befehlshaber die Juden dazu anhalten würde, die Zollgelder zu entrichten, die der Herzog bestimmen würde.¹¹² Schließlich bot Josel an, sich nach Ausgang des Reichstags persönlich zu E[uer] E[dlen] geen Stu[tt]ggart zuuerfuegen vnnd [s]ich mit aller gehorsam zuerzaigenn, um die Verhandlung im Namen der Judenschaft zu Ende zu führen.¹¹³ Christoph von Württemberg antwortete nicht Josel direkt, sondern schrieb am 10. Februar seinen Gesandten zum Reichstag an und schilderte, wie aine[r], so sich Josel Jud von Roßhaim gemainer Judischait beuelch haber nennet, einen Befehl an seine Amtmänner begehre und sich dabei auf Johann Obernburger und Valentin Frauenberg berufe.¹¹⁴ Wie ihm aber sein Kanzler Fessler informiert hätte, stimme der Bericht des kaiserlichen Kammerboten nicht, denn er habe nicht zugesagt, den Juden den freien Pass zu gewähren. Vielmehr habe er die Judenfreiheit des Herzogtums ins Spiel gebracht, als er versicherte, dass Württemberg sich dem Kaiser gegenüber gehorsam zeigen wolle. Daher ist also sein vnsers Cantzlers, als auch vnser mainung mitt nichten vnnd khains wegs gewesen, das wir vnns vnserer alten vnnd jetzund von […] Rö. Kay. Mt. Confirmiert freyhait in ainichen weg begeben wollen. ¹¹⁵ Die württembergischen Gesandten sollten daher den falschen Eindruck berichtigen, als hätte der Herzog der Supplikation der Juden zugestimmt. Sie sollten zudem das (beigefügte) Schreiben dem Reichshofrat und insbesondere Johann Obernburger überbringen, von dem er eine Antwort verlangte.¹¹⁶ Als Reaktion auf diesen Schritt des Württemberger Herzogs entschieden sich die Juden, ihre guten Beziehungen zu Reichshofrat erneut zu benutzen, um die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Am 18. Februar supplizierte
Schreiben Josels von Rosheim an Herzog Christoph von Württemberg vom 6. Februar 1551. Ebd. Dokument Nr. 3, hier auf der Rückseite. Vgl. ebd. Ebd. Instruktion Christophs von Württemberg an seinen Gesandten zum Reichstag vom 10. Februar 1551, in: ebd. Dokument Nr. 5. Ebd. Vgl. ebd.
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daher Josel von Rosheim an den Kaiser und beschwerte sich über die Missachtung der kaiserlichen Freiheiten für die Juden, die ja die Nutzung der Reisewege gegen Hinterlegung der gewöhnlichen Zölle zuließen.¹¹⁷ Der jüdische Befehlshaber machte aber nicht den Herzog verantwortlich für diese Beschwerung. Er schrieb, dass die Juden vmb sölche vergangne handlung von hochgedachtem Lanndtfürsten sonnderlich nit Clagen, dann on zweiffel seine fürstlich gnaden, söllich vnnser groß beschwer, als ain Newkhomner fürst, nit gut wisses gehapt, sonder söllichs von den Amptleuten vnnd zollen widerfärt.¹¹⁸
Josels Argumentation überrascht hier sehr, denn Christoph von Württemberg war keinesfalls jung, noch unerfahren. Zwar übernahm der 36 jährige Herzog die Regierungsverantwortung erst wenige Monate zuvor¹¹⁹, aber seine Erziehungsjahre am kaiserlichen Hof in Innsbruck, seine Erfahrungen am Hof des französischen Königs Franz I. und seine Regierungserfahrungen als Statthalter der Grafschaft Mömpelgard machten ihn bei Regierungsantritt gewiss nicht zu einem Newkhomner. ¹²⁰ Es ist nicht bekannt, ob Josel zu wenig über den neuen Herzog wusste, oder ob seine Aussage als eine argumentative Strategie zu verstehen ist, die an den frühneuzeitlichen Topos der schlechten Berater¹²¹ anknüpfte. Sicher ist, dass diese Äußerung ein neues Argument in Josels politisch-kommunikativem Arsenal war. Josel stellte danach sein eigenes Wissen über die ‚wahren‘ Ursachen des Passkonflikts dar. Demnach erlangte Württemberg die Judenfreiheit, nachdem eine berechtigt Klage über eine unerlaubte jüdische Niederlassung im und um das
Supplikation Josels von Rosheim an Karl V. vom 18. Februar 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Qu 1, Dokument Nr. 8. Supplikation Josels von Rosheim vom 18. Februar 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Qu 1, Dokument Nr. 8, Bl. 1v. Sein Regierungsantritt erfolgte direkt nach dem Tod seines Vaters Ulrich am 6. November 1550. Über Christoph von Württemberg siehe Robert Uhland: Art. Christoph Herzog von Württemberg, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 248 – 249, Online Ressource: http://www.deut sche-biographie.de/ppn100089003.html (letzter Zugriff: 16.6. 2015) und Volker Press: Herzog Christoph von Württemberg (1550 – 1568) als Reichsfürst, in: Wolfgang Schmierer u. a. (Hrsg.): Aus südwestdeutscher Geschichte. Festschrift für Hans-Martin Maurer, Stuttgart 1994, S. 367– 382. Gemeint ist die Praxis, einen König oder Fürsten zu kritisieren, ohne ihn direkt angreifen zu müssen. Der Topos des schlechten Beraters war schon im Mittelalter verbreitet. Vgl. Gerd Althoff: Heinrich IV., Ostfildern 2009, S. 118 und 358.
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Territorium dem Kaiser eingereicht worden war.¹²² Während dies also rechtens war, bezeichnete Josel die Praxis der württembergischen Amtmänner als unrechtmäßig, weil sie den Juden wider die geschriben Rechten, vnnd der Billichhait den Durchzug versperrten, obwohl die Juden sich in irem wandel vnnd hanndel in der Khaysserlichen strassen erbrclich on alle wucherlichen hanndel, bloß durch das Lanndt die strassen bassieren wollten.¹²³ Josel argumentierte zudem, dass die Freiheiten Württembergs nur gegenüber Juden, so sich der vngebur halten, wirkmächtig sein sollten, vnnd nit wider vnns arme, die sich allergebur Nurt allain den handl mögen in messen vnnd Jharmerckten, vnnser liebe narung blos ersuechen. ¹²⁴ Bereits in der ‚jüdischen Judenordnung‘ von 1530 appellierten die Juden darum, dass keine kollektiven Strafen gegen Juden verhängt würden, wenn Einzelne widerrechtlich oder ungebührlich handelten. Seitdem wurde dieser Wunsch zu einem festen Bestandteil der politischen Aufforderungen der Juden. Zwar kämpften sie immer noch für kollektive bzw. korporative Freiheiten, gleichzeitig aber traten sie für die Individualisierung der Strafen für sündige Missetäter ein. Um die gemeinen Judenschaft von den Übeltätern zu distanzieren, verkündete die jüdische Führung auch immer wieder ihre Absicht, sie selbst mit dem Bann bestrafen zu wollen. Josel äußerte die Hoffnung, dass der kommende Reichsabschied die Frage nach der Reiserechte der Juden regeln und dass man sie bey gewonlichem Zoll passieren lassen würde, wie es manche Kurfürsten und Fürsten bereits taten.¹²⁵ Er verwies zwar auf die Neuerung, dass Landesherren von ihnen Geleitgeld forderten. Die Juden seien aber bereit, diese Neuerung zu akzeptieren und eine solche ‚Gebühr‘ auch in Württemberg vrpietig zugeben, wie in der Churfurstlich Pfaltz, von yeder meul [=Meile (A.S.)] ain Reder(?) weyß pfenning. ¹²⁶ Den Kaiser bat Josel lediglich darum, dem Herzogen das jüdische Angebot zu vermitteln. Das Gesuch Josels war erfolgreich, und der Reichshofrat erteilte ihm den Bescheid, dass den Juden ein rechtlicher Beistand zustehe, sofern sie vber das
Josel bezog sich hier offensichtlich auf die Umstände, die zur Erwirkung der Judenfreiheiten von 1521 geführt haben. Lang: Ausgrenzung, S. 86 meint, dass Josel in diesem Akt den „Ursprung der judenfeindlichen Politik und der drastischen Geleiteinschränkungen in Württemberg“ sah. Supplikation Josels von Rosheim vom 18. Februar 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 8, Bl. 1v. Ebd., Bl. 2r. Vgl. ebd. Ebd. Die Regelung mit der Pfalz, die Josel hier erwähnte, wurde vermutlich auf dem Reichstag im Rahmen der Verhandlungen des Isaak Jud von Neuburg beschlossen. Weitere Dokumente in der Sache konnten jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht gefunden werden.
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Jungst ausgangen Mandat beschwerdt werden wollten. ¹²⁷ Nun verschoben sich die Machtverhältnisse erneut zugunsten der Juden. Eine jüdische Anklage folgte dem Bescheid aber nicht. Stattdessen versuchte Josel, den Konflikt ‚gütlich‘ zu regeln. Gewappnet mit der reichshofrätlichen Unterstützung wandte sich Josel mit einer langen Supplikation an den Herzog. Er schilderte darin das Anliegen der Juden, wobei er zum großen Teil die gleiche Argumentation wie in seiner Supplikation an den Kaiser wörtlich zitierte. Einzig fügte er hinzu, wie die Juden vor etlich lanngenn Jarenn, bei E.F.G. Herrenn Vatter seligenn, loblicher gedechtnuß nit mer Zoll gebenn, dann der Höchst Sechs wirtenberger Pfeninng. ¹²⁸ Er wiederholte auch hier seinen Kompromissvorschlag, wonach die Juden zusätzlich zu den gewöhnlichen Zollabgaben auch Geleitgeld – wie sie es in der Pfalz auch tun – zu zahlen bereit seien.¹²⁹ Josels Bemühungen waren nicht umsonst. Am 4 März, also etwa zehn Tage nach der Verschickung der Supplikation, erarbeitete die Kanzlei Württembergs ein Entwurf der Bestimmungen des jüdischen Geleits im Territorium. Dabei fiel die geplante Regelung äußerst restriktiv aus und war für die Juden kaum annehmbar. Zunächst war die Durchreise nur zu einigen wenigen vorherbestimmten Jahreszeiten erlaubt, [n]emblich zu beiden frannckfurtter der vasten vnnd herbstenn [Messen (A.S.)], vnnd dann der Nördlinger mess vnnd darnebenn oder darzwuschenn vmb Johannis Baptiste vnnd wyhennacht zeit. ¹³⁰ Auch zu den genannten Zeiten war keine pauschale Erlaubnis erteilt worden; alle Geleitsuchende müssten vorab ihre Reisepläne ankündigen unter Anzeige der Reiseroute. Darauf sollte der Herzog ihnen den Tag und den Ort weisen, an und von dem sie ihren Durchzug antreten dürften. Für die tatsächliche Reise durch das Territorium werde man ein gleitsman [..] verordnen, der sie […], so wytt ir gleitt geett, sicherlich fieren vnnd gleittenn soll. ¹³¹ Während ihres Aufenthalts im Herzogtum sollte jedwede Interaktion oder Handel mit den Untertanen Württembergs strikt verboten sein. Das zu entrichtende Geleitgeld sollte extrem teuer werden: Die vergleiteten Juden sollten einen Goldgulden für das Geleit zahlen und darüber hinaus den Geleitsmann pro
HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 61r. Der gleiche Eintrag findet sich auch in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 9. Supplikation Josels an Christoph von Württemberg vom 22. Februar 1551, in: ebd. Dokument Nr. 10, Bl. 1r. Vgl. ebd. Bl. 1v–2r. Verordnung, welcher Gestalt den Juden durch daß fürstenthumb wirtemberg biß vff endenn, zu wandeln vergondt ist, vom 4. März 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 12, hier Bl. 1v. Lang: Ausgrenzung, S. 87 f. datiert alle Quellen, die im März 1551 verfasst wurden, fälschlicherweise auf Mai. HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 12, hier Bl. 1v.
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Meile ein schilling haller wirttempergischer werung bezahlen, sowie für alle Kosten aufkommen, die er unterwegs haben würde.¹³² Das einzige Entgegenkommen Württembergs war die explizite Einwilligung der Übernachtung der durchreisenden Juden in Wirtshäusern. Diese Antwort aus Stuttgart hat Josel vermutlich zunächst nicht zu sehen bekommen. Die Arbeitsbelastung des Befehlshabers ließ in der Zeit nicht nach und zwang ihn dazu, Augsburg für mehrere Monate zu verlassen.¹³³ Der Grund für seine Abreise waren fiskalische Forderungen vonseiten des Reichs, für deren Aufbringung er seit dem Tod des Reichsrabbiners vermehrt zuständig war. Am 2. März erhielt er vom kaiserlichen Sekretär Obernburger ein Sondergeleit, damit er eine defensif hilff von allen jüdischen Gemeinden im Reich einsammeln könnte. Da er zur Erfüllung dieser Mission durch das ganze Reich hin und her reisen musste, gewährte ihm das Geleit, dass er vnnd sampt seinen knechtenn, die offne strassen auff dem Lanndt inn stetten vnnd fleckenn geprauchen möge, wobei der Bass durch das Lanndt wprtemberg angesichts der anlaufenden Streitigkeit explizit erwähnt wurde.¹³⁴ Der Gesandte Württembergs, Balthasar Eßlinger, wartete nicht auf Josels Wiederkehr, sondern zeigte jüdischen Vertretern in Augsburg den Entwurf der herzoglichen Ordnung. Diese Vertreter waren Wormser Juden, die die Ordnung nicht nur entgegennahmen¹³⁵, sondern auch ein Antwortschreiben darauf verfassten. Darin erklärten sie, dass die Bestimmungen im Entwurf kaum einzuhalten seien. Sie erklärten, dass man doch nicht nur aus geschäftlichen Gründen reise, sondern auch, um gerichtliche Termine wahrzunehmen, oder um Verwandte zu besuchen. Auch könne ein Reiseweg zwanntzig vnnd biß inn sechtzig oder noch mehr meil lang sein, was die Finanzierung einer einzigen Durchreise für viele Juden unbezahlbar wäre.¹³⁶ Ihre Bitte lautete demnach, dass man pro Meile lediglich ain wurtembergschen Edlung [zahlen soll (A.S.)] vnnd den gewonlichen Zoll, wie von alltem her […] oder 4 pfening bezalen soll, wolchermassen die Juden inn der Churfursstlichen pfaltz auch gehallten werden. ¹³⁷
Ebd. 1v–2r. Josels Anwesenheit in Augsburg ist bis zum 11. März und danach erst ab dem 5. Juni 1551 wieder aktenkundig belegt. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bll. 80r und 156r. Sonderliches Mandat für Josel, damit dieser als Kundschafter durch Württemberg reisen kann, ausgestellt durch Johann Obernburger am 2. März 1551. HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 11. Vgl. HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 15, Bl. 1v. Vgl. Supplikation der Gesandten der gemeinen Judenschaft an Christoph von Württemberg vom 22. März 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 14. Ebd. Bl. 1v.
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Als Josel von Rosheim im Juni zurück nach Augsburg kam und erfuhr, dass in seiner Abwesenheit eine Verhandlung zwischen den württembergischen Boten und ettliche[n] Juden, gesandte[n] von wurms stattfand, schrieb er dem Herzogen schnell eine Supplikation. Er machte darin klar, dass die Wormser Juden nit gewalt oder macht [gehabt] haben, solliche post ¹³⁸ vnnd abschaid one [s]ein vor wissen von wegen gemainer Judischhaitt anzunemen. ¹³⁹ Er bat den Herzog um ein schriftliches Geleit, um nach Stuttgart zu kommen und zuhanndeln, ob man dann sollichs alles zu guettenn beschliessen vnd auffrichten wurd. ¹⁴⁰ Um dem Landesherrn ein Entgegenkommen zu signalisieren, versprach Josel, für die Einstellung von Gerichtsprozessen von Juden gegen württembergische Untertanen zu sorgen.¹⁴¹ Der Supplikation fügte Josel noch ein Leumundsschreiben vom kaiserlichen Sekretär Obernburger bei. Darin bescheinigte Obernburger Josel, dass er stets in seinen Gesandtschaftsmissionen auf Reichstagen vnd anderswo an disen kayserlichen hofe […] warhaftig vnd aufrichtig gehandelt hatte. Er attestierte Josel auch, dass das, was Josel im Namen der Judenschaft vereinbare, dem also sey. ¹⁴² Die Kanzlei in Stuttgart war offensichtlich an die weiteren Verhandlungen mit dem jüdischen Befehlshaber interessiert, denn sie lud ihn vor, am 2. August nach Göppingen zum Obervogt zu kommen, um von dort nach Stuttgart vergleitet zu werden. Sie zeigte sich aber mit dem Leumund nicht gänzlich zufrieden, denn sie forderte Josel dazu auf, nur mit vollkommen gwalt von gemeiner Judischeit wegen [zu] erscheinen. ¹⁴³ In der Zwischenzeit bemühten sich die Juden darum, Stuttgart die Geleitregelungen, die sie mit dem bayrischen Herzog Albrecht kurze Zeit zuvor getroffen hatten¹⁴⁴, zukommen zu lassen. Am 1. August schickte der kaiserliche Hofmarschall auf Bitten Jesel Jud eine Kopie der Regelung nach Stuttgart und eine Er bezieht sich hier auf ein klains brieffel, den die Stuttgarter Kanzlei ihm sandte. Supplikation Josels von Rosheim an Christoph von Württemberg vom 17. Juni 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 15, hier Bl. 1v. Ebd. Ebd. Bl. 2r. Johann Obernburgers Leumund für Josel von Rosheim vom 17. Juni 1551, in: ebd. Dokument Nr. 16. Kanzleinotiz auf der Rückseite der Supplikation Josels, verfasst am 21. Juni 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 15. Das genaue Datum ist nicht bekannt. Es sind aber insgesamt drei Schriftstücke, in denen die getroffenen Vereinbarungen über den Judenpass in Bayern knapp geschildert sind, überliefert. Es handelt sich zum einen um ein missif aus der bayerischen Kammer an den kaiserlichen Hofmarschall Wilhelm Böcklin von Böcklinsau vom 7. Juli 1551 (ebd. Dokument Nr. 17). Zum anderen geht es um das Schreiben des Hofmarschalls an Christoph von Württemberg vom 1. August 1551 (ebd. Dokument Nr. 18). Der Hofmarschall fügte dem Schreiben folgende Bemerkung bei: Solcher gestalt hat mein gnl. Her hertog albrecht angenomen, wo es dan e.f. gnaden auch also geliebt anzwonemen, weis ich wol das solchs nit wider die sein kunde.
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weitere Kopie dieser Vereinbarung sandte Josel auch nach Frankfurt, wo zu der Zeit eine Versammlung der Rabin[er] vnd Barnose (Parnasim = Gemeindevorsteher) stattfand. Die Versammlung schickte Josel am 14. Juli ihre Antwort und Vollmacht zurück, die Josel aus dem Hebräischen ins Deutsch übersetzen ließ und der Kanzlei in Stuttgart am 6. August zuleitete.¹⁴⁵ Das Schreiben der Versammlung der jüdischen Vertreter ist eine wichtige Erinnerung daran, dass die politische Organisation der Juden nicht ausschließlich durch Josel von Rosheim verkörpert war. Es stellt ein seltenes Zeugnis der politischen Kommunikation zwischen dem Befehlshaber und seinen Vollmachtgebern dar. Es ist aber auch deswegen beeindruckend, weil es die Form einer Instruktion hat, wie sie bei der Kommunikation zwischen einer Obrigkeit und deren bevollmächtigten Gesandten üblich war. Die Versammlung listete in zehn Punkten die Informationen, die sie erreichten, gab ihre Meinung über die Vorschläge des Verhandlungsführers kund und wies ihn dazu an, wie er bei den verschiedenen Verhandlungspunkten vorzugehen habe und zwar derart, darmit ier nit zu wyt vonn vnsertwegen verpflichten mochten. ¹⁴⁶ Vom Wortlaut der Schrift ist dabei zu entnehmen, dass Josel den in Frankfurt versammelten Rabbinern und Vorstehern über den Stand der Verhandlungen berichterstattete und dass diese die komplexe rechtliche und politische Situation verstanden. So war ihnen beispielsweise bekannt, dass der Kaiser ein Dekret erließ, mit dem die Juden Württemberg hätten verklagen können oder auch, auf welche Rechte und Freiheiten das Herzogtum sich bei der Verweigerung des jüdischen Passes berief und wie dem zu konterkarieren sei.¹⁴⁷ Es müssen an dieser Stelle einige Umstände im Zusammenhang mit dieser Versammlung geklärt werden, denn man kann daraus neue Informationen über die Konstitution der Organisation und ihrer Arbeitsweise erfahren. In der Forschung diente das Wissen über diese Versammlung als ein wichtiges Indiz dafür, dass sich damals ein organischer Zusammenschluß aller wichtigeren Gemeinden und Landjudenschaften gebildet hat, deren Vertreter auf regelmäßig einberufenen Versammlungen […] die Probleme der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Wandlungen besprachen und Maßnahmen zur Abwehr der drohenden Gefahren trafen.¹⁴⁸
Abschrifft von der hebreisch sprach, so von der gemain Judischait Jesell Jud irem veuelh haber zu komen ist vom xiiii Tag Julii 5311 Jar seyther beschaffung der weltt (14. Juli 1551. Das, Dokument ist in Stuttgart am 7. August eingegangen. In: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 20, Bl. 1r. Ebd. Bl. 1r. Vgl. ebd. Bll. 1v und 2r. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 204. Ihr folgt auch Lang: Ausgrenzung, S. 88.
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Wie diese Studie mehrfach belegen kann, trifft diese Aussage jedoch bereits auf jüdische Versammlungen ab den 1520er Jahren. Was hier besonders auffällt, ist erneut die Korrelation zwischen jüdischen Tagungen und Reichsveranstaltungen. Im Gegensatz zu früheren Fällen jedoch erscheint es weniger wahrscheinlich, dass diese Versammlung seit oder sogar vor dem Beginn des Reichstags ununterbrochen tagte; immerhin handelt es sich um einen Zeitraum von ca. einem Jahr. Daher ist damit zu rechnen, dass die Versammlung ihre Beratungen zwischenzeitlich unterbrach. Die Wiederaufnahme der jüdischen Beratungen kann auf den Zeitraum gesetzt werden, als Josel von Rosheim den Auftrag zur Austreibung der defensif hilff von den verschiedenen jüdischen Gemeinden ausgeführt hatte – also zwischen dem 2. März und dem 17. Juni 1551. Die Supplikation vom 5. Juni 1551, in der die gemeine Judenschaft den Kaiser um die Auflockerung des Reichsabschieds bat, muss dann als ein Beschluss dieser jüdischen Tagung angesehen werden.¹⁴⁹ Es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Versammlung in unterschiedlicher Hinsicht eine Souveränität gegenüber dem Befehlshaber erweist. Allein die Tatsache, dass eine Versammlung ohne Josels Anwesenheit stattfinden und allgemein bindende Beschlüsse fassen konnte, unterstreicht diesen Befund. Aber auch die Erklärung der Rabbiner und Parnasim zu Beginn ihrer ‚Instruktion‘ macht deutlich, dass Josel ihre Vorgaben beachten musste und keine Verpflichtungen eingehen sollte, die darüber hinausgingen. Die Suprematie der Versammlung über den Verhandlungsführer drückt sich schließlich auch in der Sprache aus, wenn z. B. auf einen Vorschlag Josels der beschaid folgt, das vnß sollichs Euwers Rats wolgefaltt, weshalb der Befehlshaber ime auch also nachkomen möge.¹⁵⁰ Vor dem Hintergrund dieser analysierten Machtverhältnisse innerhalb der jüdischen Führung und angesichts der Erkenntnis, dass Josel auf ‚Geheiß von‘ und nicht selbsttätig Verpflichtungen im Namen der Judenschaft eingegangen ist, kann keine Rede davon sein, dass sich die Reichsjudenschaft Josel unterordnete.¹⁵¹ Diese Machtbeziehung muss andersherum betrachtet werden, denn es war die jüdische Führung, die Josel Kompetenzen übertrug, damit er in ihrem Namen
Auch Feilchenfeld: Josel von Rosheim, S. 68 vermutet den Ursprung dieser Supplikation aus der Versammlung in Frankfurt. Vgl. die Abschrifft von der hebreisch sprach, so von der gemain Judischait Jesell Jud irem veuelh haber zu komen ist vom 14. Juli 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 20, Bl. 2r. Siehe die pathoserfüllten Worte Sterns, die meinte, dass es das erste Mal „in der Geschichte der deutschen Diaspora [war], daß die Juden des Reichs ihr ängstlich gehütetes Eigenleben opferten, sich einer starken Persönlichkeit unterordneten und sich zu einer engeren Gemeinschaft zusammenschlossen. S. Stern: Josel von Rosheim, S. 204. Ironischerweise wies Stern selbst auf die Tatsache hin, dass Josel von Rosheim „niemals eine Mission [unternahm], zu deren Ausführung er nicht von den Parnasim der Gemeinden den Auftrag erhalten hatte“. Ebd.
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verhandeln konnte. Dies war der Normalfall in der Frühen Neuzeit. Befehlshaber waren stets die Bevollmächtigten und ihre Vollmacht konnte unterschiedlich breit oder eng gefasst werden.¹⁵² Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass Josel viel Macht zugesprochen wurde. Seine Vollmacht war nicht nur von unbeschränkter Dauer – er war zum ständigen Vertreter der Reichsjudenschaft geworden und hatte diese Funktion bis zu seinem Lebensende inne – sondern auch sehr weit gefasst. So konnte er in vielen Fällen „eigenverantwortlich und nach eigenem Ermessen zum Wohle der Betroffenen“ handeln.¹⁵³ Außerdem waren Vereinbarungen, die er mit Obrigkeiten traf, für alle im Reich lebenden Juden bindend. Josel hatte also keine Herrschaftsgewalt über die Juden im Reich; seine diplomatischen Fähigkeiten waren aber dermaßen anerkannt, dass man gewillt war, die wichtigsten Verhandlungen ihm anzuvertrauen und ihn zu diesem Zweck mit ausgiebigen Ressourcen¹⁵⁴ und Befugnissen auszustatten. Josels umfassende Vollmacht berechtigte ihn dazu, die Gespräche mit Württemberg ohne Rücksprache mit der Versammlung zu initiieren, und dies tat er auch als Reaktion auf die Verhaftung der zwei Juden bei Hechingen. Obwohl eine regelmäßige Kommunikation zwischen dem Befehlshaber und den Vertretern der jüdischen Führung zum politischen Alltag der jüdischen Organisation gehörte, erscheint eine Pflicht zur Rücksprache aus praktischen Gründen nicht wahrscheinlich. Die Versammlung der jüdischen Führung war kein ‚immerwährendes‘ Organ, sodass eine ständige Korrespondenz nicht praktikabel war. Auch war eine derartige Berichterstattung nicht erforderlich, solange die Verhandlungen, die Josel führte, den politischen Rahmen nicht sprengten, welchen die Juden mit ihren 1530 verabschiedeten und 1541 erneuerten Statuten festgesetzt hatten.¹⁵⁵ Vor diesem Hintergrund erscheint die Instruktion der Versammlung nicht als Teil eines geregelten internen Verfahrens der Juden, sondern ergab sich nur deswegen, weil die Räte in Stuttgart eine schriftliche Vollmacht verlangten. Im Falle Württembergs wurde die Bevollmächtigung Josels zwar durch die Stuttgarter Kanzlei veranlasst, allerdings bot sich Josel dadurch die Gelegenheit, die jüdischen Vertreter über die wichtigsten Anliegen zu informieren und um ihren Rat zu bieten. Mit ihrer Vollmacht konnten sodann die jüdischen Anführer Josel ihren Input für die Fortführung der Verhandlungen mit Württemberg kommunizieren. Ihre Einflussnahme auf die Verhandlungen selbst war zwar beschränkt, sie kommunizierten aber unmissverständlich, dass die Judenschaft nur Vgl. dazu Voß: „Habe die Mission treu erfüllt“, S. 157– 166. Voß: „Habe die Mission“, S. 159. Zu den Ressourcen sollen nicht nur die finanziellen Mittel und die Gehilfen zählen, sondern auch die Verfügbarmachung von Rechtsdokumenten unterschiedlicher Art. Über die internen Regelungen der Judenschaft siehe v. a. Kap. 6.3.
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den Durchzug verlange und keinesfalls die Zulassung von jüdischen Geschäften in Württemberg begehre. Um die Geschlossenheit aller Juden im Reich in der Sache zu signalisieren, unterstützten sie ausdrücklich Josels Entscheidung, eine gütliche Lösung, anstatt einen gerichtlichen Prozess anzustreben. Sie gaben auch bekannt, dass sie sich aktiv dafür einsetzen wollten, dass Streitsachen von Juden mit württembergischen Untertanen schleinig nach billichait beigelegt werden können und zwar, ohne das vßlendische recht [zu ge]brauchen, dan alain an den selbigen ort, da der beclagt gesassen ist. ¹⁵⁶ Das Schreiben der jüdischen Anführer an Josel ist auch deswegen bemerkenswert, weil es ein Zeugnis über ein leitendes Prinzip der damaligen jüdischen Politik abgibt: die Unterscheidung von Juden als Individuen und der Judenschaft als ein Kollektiv. So bestanden sie mehrfach darauf, dass bei Fällen, bei denen Juden die Vereinbarung verletzten, das ain gemaine Judischait derenthalb nit entgelten soll. ¹⁵⁷ Sie versprachen, dass die Übertretung des zu vereinbarenden Vertrags mit einer Bannverhängung bestraft werde.¹⁵⁸ Im Gegenzug baten sie, dass ihnen der vertrag [vmb der selbigenn willen], wirt nit vffgesagt oder benomen sein, wie dann das recht vnd billichait […] ist, dz die vnschuldigen deß schuldigen nit entgeltten sollen. ¹⁵⁹ Das Wohl der Gemeinheit legitimierte auch die Entscheidung der Versammlung, keine Rücksicht auf die kurzfristigen Wirtschaftsinteressen der Juden, die um das Herzogtum herum lebten, zu nehmen. Die Versammlung erklärte sich sogar bereit, diese Juden unter Druck zu setzen, damit sie ihre Schuldforderungsprozesse gegen die Untertanen Württembergs fallen lassen würden.¹⁶⁰ Wenige Tage später traf Josel von Rosheim in Stuttgart ein. Er hatte bei sich Zeugnisse, die seinen Leumund vonseiten der höchsten Stelle im Reich und seine Handlungsberechtigung vonseiten der höchsten jüdischen Instanz bezeugten. Mithilfe der Dokumente, die die Vereinbarungen der Juden mit Bayern und der Pfalz bezeugten, konnte er dem württembergischen Herzog ein ‚Zuckerbrot‘ in Form von finanziellen Vorteilen bei Vertragsabschluss vorführen. Die ‚Peitsche‘ hielt Josel nur in der Reserve, nachdem er und die Judenschaft beschlossen hatten, auf die vom Kaiser erteilte Berechtigung zur rechtlichen Austragung des Streits zu verzichten.
HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 20, Bl.2v. Ebd. Bl. 3r. Vgl. ebd. Art. 8, Bl. 3r. Ebd. Das Dokument spricht hier explizit von den vnverstendigen Juden vmbsasser hochgedachts furstenthumbs wirtemberg. Ebd. Bl. 2r.
7.2 Wirkung und Grenzen der kaiserzentrierten Politik der Juden
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In den Verhandlungen selbst ging es dann nicht mehr um die Frage, ob den Juden ein Geleit gewährt werden sollte, sondern um dessen Modalitäten. Württemberg wollte durchsetzen, dass die Juden das Land nur mit einem lebendig glait, also mit einer verordneten Begleitperson, passieren dürften. Josel argumentierte dagegen, dass eine derartige Maßnahme im ganzen Reich nicht gebräuchlich seie und dass es die Reputation des Herzogs steigern würde, wenn bekannt wäre, dass ainer by ainem klainen brieflin das Land überqueren darf, alls […] wann ainer lebendig glait by i[h]m hett. ¹⁶¹ Josel warnte auch, dass diese Maßnahme zu unnötigen Streitereien führen könnte und dadurch die Einstellung der laufenden Gerichtsprozesse umsonst sein würde.¹⁶² Nach mehreren Verhandlungstagen wurde am 11. August 1551 das Abkommen zwischen Württemberg und der gemeinen Judenschaft unterschrieben.¹⁶³ Das Herzogtum machte dabei das bessere Geschäft, denn alle seine Anliegen bezüglich der Einstellung von Gerichtsprozessen gegen seine Untertanen und der noch offenen Schuldforderungen nach den Vorstellungen der Stuttgarter Kanzlei geregelt wurden. Auch konnte durchgesetzt werden, dass künftige Streitfragen vor lokalen württembergischen Gerichten ausgetragen würden und dass Juden keinerlei Geschäfte mit Untertanen des Territoriums eingehen würden. Das Herzogtum war also der Hauptnutznießer des Vertrages war, da er seine Vorstellungen weitgehend durchsetzen konnte und sich zudem auf gesteigerte Annahmen entweder durch die Geleitsgelder oder durch etwaige Strafgelder erfreuen konnte.¹⁶⁴ Die Juden hingegen bekamen für ihre vielen Verpflichtungen und Versprechungen¹⁶⁵ lediglich eine eingeschränkte und teure Erlaubnis, das Land mit Begleitung eines Geleitmanns zu überqueren. Zwar forderte Württemberg keine horrenden Summen, sondern orientierte sich an den Vereinbarungen der Juden
Ebd. Dokument Nr. 22. Ebd. Dokument Nr. 21. An der Originalurkunde hängen an der Seite des herzoglichen Siegels Christophs auch Josels eigener Siegel. Die Unterschrift des Befehlshabers wurde auf Hebräisch und Jiddisch gesetzt: נאם = יוסף בר גרשון זל ]…[ גימייניר יודין בועלך האברEs sprach Joseph ben Gerschon […] gemeiner Juden beuelch haber. HStA Stuttgart, A 56 U 15. Etliche weitere Kopien des Vertrags – sowohl handschriftliche als auch in Druckform – finden sich in: ebd. A 56 Bü 9. Obwohl die Dokumente den gleichen Inhalt haben, sind sie von der Struktur her unterschiedlich. Die gedruckte Version ist vom Original abgekürzt und beginnt unmittelbar mit den Maßnahmen zur Beendigung der Gerichtsprozesse, während die handschriftlichen Dokumente eine umfassende Präambel und ausführliche Darlegung der Bestimmungen enthalten. Vgl. zu diesen Bestimmungen ebd. A 56 Bü 9, Dokument Nr. 27, Bll. 1v–3r. Dazu zählt die Bestrafung der Übertreter der Vereinbarung. Vgl. ebd. Bl. 2v.
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mit Bayern und der Pfalz¹⁶⁶, aber hinzu kamen die Zusatzzahlungen an den Geleitsmann (drei Kreuzer pro Meile vnd darzu zimbliche notturfftige zerung vnnd liferung),¹⁶⁷ die ein Durchqueren des Gesamtgebiets dieses Flächenterritorium für viele Juden sicherlich teuer gemacht hätten. Die Juden konnten dennoch erreichen, dass auch der Herzog einige Zugeständnisse machte. Beispielsweise gewährte er ihnen eine Frist von vier Monaten, um ihre anstehenden Schuldforderungen einzutreiben. Weit wichtiger war aber der Kompromiss in Bezug auf die ärmeren Juden, die sich die Kosten des Geleitsmanns nicht hätten leisten können. Für sie wurde vereinbart, dass sie nach einer Leistung eines Gelübdes vor dem Amtmann ein schriftliches Geleit erhalten sollten, mit dem sie zum Durchzug zugelassen waren, solange sie gar kein hanndtierung oder wucher in was schein oder list daß immer erdacht fürgenomen oder geschehen möchte. ¹⁶⁸ Nicht im Vertrag selbst, aber dennoch auf anderem Weg, waren weitere Maßnahmen vereinbart. Offensichtlich war es den Juden besonders wichtig, dass die Ämter und Zollstätten Württembergs schnell vom Vertrag erfuhren. Aus diesem Grund hinterlegte Josel von Rosheim in der Stuttgarter Kanzlei 80 Gulden, die die Kosten der Vervielfältigung und Überschickung des Vertrags an allen Ämtern decken sollten. Als dies nicht schnell genug geschah, schrieb der jüdische Befehlshaber am 9. September 1551 an den Herzog nach Stuttgart und beklagte sich über diesen Missstand.¹⁶⁹ Die Bitte Josels wurde positiv beschieden und noch am gleichen Tag wurde ein Schreiben des Herzogs an seine Kanzlei gereicht.¹⁷⁰
Die Zahlung richtete sich nach Geschlecht und Alter. Ein Mann musste einen halben Gulden, eine Frau ein Viertel und ein Kind ein Achtel eines Guldens hinterlegen (ain frau ain ort vnd von ain kindt ain halb ort ains guldins). Sollte die Durchreise nicht mehr als zwei Meilen betragen, so müsste jede/r einen halben Batzen pro Meile geben. Vgl. ebd. Bl. 3r. Ebd. Eine Übertretung dieser Bestimmung hätte nicht nur den Verlust des Geleits nach sich gezogen, sondern auch eine Peen von 20 Gulden. Ebd. Die hohe der Geldstrafe taucht auf das Dokument nicht, ist aber in einer Notiz aus den Verhandlungen mit Josel bekannt. Während das Geleit traditionell eine Schutzgewährung eines Fürsten für Reisenden vor illegalen Übergriffen auf der Straße, Gewalt und Raub im Herrschaftsbereich desselben Fürsten war, so sollte es durch den Vertrag die Juden vorwiegend vor einer Festnahme durch die Landesbeamten schützen. Außerdem musste das Geleit nicht mehr individuell vom Herrscher ersucht werden, sondern es war auf einer korporativen Basis und grundsätzlich erworben bzw. versprochen. Über die traditionellen Geleitsformen siehe B. Koehler: Art.: Geleit, in: Handwörterbuch zur deutschen Geschichte 1 (1971), Sp. 1481– 1489 und M. Schaab: Art.: Geleit, in: LexMA, 4 (1989), Sp. 1204– 1205. Vgl. Josels Supplikation an Herzog Christoph von Württemberg vom 9. September 1551, in: HStA Stuttgart, A 56 Bü 9, Dokument Nr. 24 (Diese Akte befindet sich außerhalb der Mappe, in der die bisher besprochenen Dokumente liegen). Ebd. Nr. 25.
7.3 Nutznießer der jüdischen Politik
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Aus dieser Aktion lernt man, wie dringend die Lösung des Konflikts mit Württemberg für die Juden war. Sie waren bereit, Kosten der Verkündigung des Abkommens zu übernehmen, obwohl es genauso im Interesse des Herzogs war, die Anweisungen an seine Amtmänner ausgehen zu lassen. Zudem scheint Josel besonders eifrig und schnell gewesen zu sein, seine Verpflichtung zu erfüllen und den Vertrag unter den Juden bekanntzumachen. Laut seiner Aussage habe er von Stuttgart bereits mit E. fen. gen. Gessschwornem Botten […] gemeine Juden zu wormbß vnd franckfurt allenthalben verkundt haben, mit beygelegten E.f.G. freiheiten, daß sie demselbigen wie obgeredt gehorsam wollen nachkomen. ¹⁷¹ Insgesamt kann nicht behauptet werden, dass die Juden von den Vereinbarungen mit Württemberg und Bayern/Pfalz nicht profitierten. Es stimmt zwar, dass das Reisen für sie durch die zusätzlichen Geleitgelder teuer werden sollte, dennoch ist der erreichte Kompromiss nicht zu unterschätzen. Über Jahre hinweg waren große Flächenterritorien nur mit Risiko der Verhaftung zu passieren gewesen. Nachdem auch alle jüdischen Versuche, diese Lage mit vom Kaiser verliehenen Rechten zu ändern, gescheitert hatten, erreichte die Judenschaft nun eine Erleichterung für ihre künftige Handels- und Reisewege.¹⁷² Damit erzielte die jüdische Organisation erste Erfolge bei Territorialfürsten nach etlichen Jahren, in denen sie ihre Aktionen ausschließlich auf den Kaiser und den Reichshofrat konzentriert hatte und kaum bis gar keinen Einfluss auf landesherrliche Politik ausüben konnte.
7.3 Jüdische Gemeinden und Individuen: Nutznießer der jüdischen Politik? Der harte Kampf der Reichsjudenschaft gegen Verfolgungen und Polemiken, gegen rechtliche Diskriminierungen und wirtschaftliche Einschränkungen trug gewisse Früchte. So wurde die kaiserliche Schutzgewährung in den 1540er Jahre sukzessive ausgebaut und umfasste nun Sonderrechte, die nicht zum traditionellen Schutzverhältnis gehört hatten.¹⁷³ In der Folge vieler jüdischer Interven-
Ebd. Nr. 24. Dass die Juden kurz darauf aus dem bayerischen Gebiet ausgewiesen wurden, steht auf einem anderen Blatt. Soweit ersichtlich führte diese Vertreibung aber nicht zur Kündigung des jüdischen Passrechts im Territorium. Zu nennen sind z. B. die Befreiung von der Pflicht, den gelben Fleck auf Reisen zu tragen, das Verbot, Juden ohne kaiserliche Zustimmung wegen Blutbeschuldigung zu verhören, oder die grundsätzliche Privilegierung von jüdischen Geldleihtätigkeiten, die in der Gesetzgebungspraxis eine Berücksichtigung fand.
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tionen und Gnadengesuchen gab es zudem eine generelle Entschärfung restriktiver Politik gegenüber Juden, und die rechtliche Lage der Juden entspannte sich an vielen Orten. Dank dieser sowie lokal vereinbarten rechtlichen Regelungen konnten nicht zuletzt wichtige grundsätzliche Wirtschaftsinteressen der Juden bewahrt werden. Dadurch wurde eine gewisse Stabilisierung ihrer finanziellen Lage erreicht, auch wenn man noch keine allgemeine Erholung der jüdischen Wirtschafts- und Finanzkraft annehmen kann. Eine derartig wirtschaftliche Stabilität kann nur in Ansätzen festgehalten werden und fand vermutlich nicht in allen Schichten oder Regionen statt.Von der Forschung wurde sie bislang kaum beachtet.¹⁷⁴ Die übliche Forschungsmethode zur Ermittlung der Finanzlage der Juden ist anhand der fiskalischen Einnahmen von Judensteuern und -abgaben beim Kaiser, bei den Fürsten oder bei den Städten.¹⁷⁵ Allerdings bietet diese Methode keine ausdifferenzierten Aussagen
Bislang fehlt es an einer Gesamtdarstellung zur Wirtschaftsgeschichte der Juden im Zeitalter Karls V. und v. a. an Aussagen zur Lage der jüdischen Geschäftstätigkeit gegen Mitte des Jahrhunderts. Siehe z. B. Israel: European Jewry, S. 5 – 19; Lohrmann: Zwischen Finanz und Toleranz. Für die Zeit um die Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es nur punktuell Forschungsaussagen, die auf eine Erholung der jüdischen Wirtschaftstätigkeit hinweisen. Über eine Aktivität von jüdischen Großgeldhändlern und sogar regionalen wirtschaftlichen Netzwerken schreiben z. B. Thorsten Burger: Frankfurt am Main als jüdisches Migrationsziel zu Beginn der Frühen Neuzeit. Rechtliche, wirtschaftliche und soziale Bedingungen für das Leben in der Judengasse [Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, Bd. 28], Wiesbaden 2013, S. 357– 376, hier bes. S. 373 – 375, und Michael Toch: Wirtschaft und Geldwesen der Juden Frankfurts im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Karl E. Grözinger (Hrsg.): Jüdische Kultur in Frankfurt am Main. Von den Anfängen bis zur Gegenwart [Jüdische Kultur. Studien zur Geistesgeschichte, Religion und Literatur, Bd. 1], Wiesbaden 1997, S. 25 – 46, hier S. 37 f. Für Schwaben konstatiert Stefan Lang: Zwischen Reich und Territorien. Innen- und Außenperspektiven jüdischen Lebens im „Land zu Schwaben“ in der Frühen Neuzeit, in: Michael Brenner und Andreas Heusler (Hrsg.): Studien zur Jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern. Die Juden in Schwaben, Oldenburg 2013, S. 115 – 131, hier S. 127, dass es eine Schicht jüdischer Finanzier „unterhalb der Elite“ gab, die in der Lage war, Kredite in Summen von einigen Hundert Gulden zu vergeben. Auch Ries: Jüdisches Leben, S. 417– 420, stellt eine kleine Gruppe von sehr erfolgreichen und reichen Geldleihern in Braunschweig-Wolfenbüttels fest. Wichtige Arbeiten in diesem Zusammenhang sind v. a. im Rahmen des Projekts ‚Austria Judaica‘ des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs entstanden. Siehe z. B. Barbara Staudinger: „Gantze Dörffer voll Juden“. Juden in Niederösterreich 1496 – 1670, Wien 2005; Dies: Die Zeit der Landjuden und der Wiener Judenstadt 1496 – 1670/71, in: Eveline Brugger u. a. (Hrsg.): Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2013, S. 229 – 338; Sabine Hödl / Barbara Staudinger: „Ob mans nicht bei den juden […] leichter und wolfailer bekommen müege?“ Juden in den habsburgischen Ländern als kaiserliche Kreditgeber (1520 – 1620), in: Friedrich Edelmayer, Maximilian Lanzinner, Peter Rauscher (hrsg.): Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich
7.3 Nutznießer der jüdischen Politik
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über eine mögliche Entwicklung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Resolutionsprotokolle des Reichshofrats hingegen können einen ersten Einblick in diese Thematik gewähren. Bei folgenden, zu besprechenden Gesuchen handelt es sich nicht zwangsläufig um Schuldstreitigkeiten, jedoch mit höchster Wahrscheinlichkeit um Fälle mit Beteiligung jüdischer Geschäftsmänner der oberen Schichten. So ist es z. B. der Fall bei jüdischen Großhändlern wie Michel von Derenburg, Esias und Moshe von Meersburg, Moses von Herrenberg, Schoya und Aaron von Esslingen und Simon von Günzburg gewesen, die Beschwerden wegen unbezahlter Schulden, verweigerten Passes oder verweigerter Niederlassungen und Beschlagnahmung von Waren beim Reichshofrat einreichten.¹⁷⁶ Fast interessanter als der Streitgegenstand waren die gegnerischen Parteien. Esias und Moshe von Meersburg brachten mehrere Gesuche gegen den Bischof von Konstanz an den Reichshofrat.¹⁷⁷ Die Betreffe Moses von Herrenberg befassten sich mit Beschwerden gegen den Statthalter von Berg, weshalb er vmb ernstlich Mandat an den Bischoue zu Colln ersuchte.¹⁷⁸ Die mächtigsten Gegner hatte aber zweifelslos der ‚Hofagent ohne Hof‘ Michel von Derenburg, der gegen eine Reihe von Reichsständen Schuldprozesse führte und zu diesem Zweck den Reichshofrat um Kommissionen – meist unter der Leitung des Brandenburgischen Kurfürsten – gebeten hatte.¹⁷⁹ Neben diesen z. T. hochkarätigen Streitfällen, gab es eine Vielzahl an weiteren jüdischen Privatgesuchen, darunter auch solche, bei denen es sich um innerjü-
im 16. Jahrhundert, Oldenburg 2003, S. 246 – 269; Peter Rauscher und Barbara Staudinger: Widerspenstige Kammerknechte. Die kaiserlichen Maßnahmen zur Erhebung von „Kronsteuer“ und „Goldenem Opferpfennig“ in der Frühen Neuzeit, in: Aschkenas 14 (2004), H. 2, S. 313 – 363. Insgesamt findet man weit über 20 Einträge für diese Personen für die Jahre 1544– 1551. Vgl. HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bdd. 1– 8 und 10. Ebd. v. a. Bd. 7, Bll. 325r, 341r, 390v. Sowie die Antworten des Bischofs, ebd. Bll. 385v und 399v. Ebd. Bd. 6, Bl. 184r; außerdem Bl. 128v. In einem anderen Fall gegen einen Juden namens Gorma bat er um ein Mandat an den Reichsmarschall. Ebd. Bll. 255r und 272v. So brachte er Gesuche gegen die Witwe des Herzogs Erich von Braunschweig, gegen die Grafen Ulrich von Reimsheim, Gebhard von Mospelt(?) und Meich von Ramstein(?). Ebd. Bd. 1a, Bl. 67v und Bd. 2b, Bl. 185v. Weitere nennenswerte Fälle, in deren Rahmen mehrfache Supplikationen entstanden waren, sind z. B. der Streit zwischen Isaak von Stadtamhof und Hans Amman, einem Bürger des benachbarten Regensburgs wegen nambhafften Summa dargelihnen gelts (ebd. Decisa, K. 88; sowie ebd. Geleitsbriefe, K. 1, Konv. 1, Bll. 73 – 74 und ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 4, Bl. 186v und Bd. 10, Bll. 2v und 12r), sowie zwischen den Juden Moses und Salomon und den Gebrüdern Laux und Marx (Marcus) aus dem österreichischen Adelsgeschlecht bei Ulm Gienger. Vgl. ebd. Bd. 6, Bl. 172r und Bd. 10, Bll. 2r, 10r und 23r. Es sind aber etliche weitere Fälle überliefert, bei denen die Juden den Reichshofrat um Unterstützung bei der Eintreibung und Auszahlung von Schulden ersuchten.
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dische Streitigkeiten handelte.¹⁸⁰ Diese waren aber eher eine Minderheit, v. a. in Relation zu den Anträgen um Sonderschutz, Schirm und Geleit.¹⁸¹ Diese letzte Kategorie ist deswegen wichtig, weil die relativ hohe Zahl an derartigen Bitten in ebenjener Zeit gestellt wurde, als die Reisefreiheit der Juden in mehreren kaiserlichen Privilegien bereits garantiert war. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die individuellen Geleitbriefe an Juden verliehen wurden, die eher den finanziell bessergestellten Schichten angehörten.¹⁸² Diese waren aufgrund ihrer Geschäfte häufiger unterwegs und erkannten offensichtlich – wenn nicht die Notwendigkeit, dann zumindest – die Nützlichkeit des Besitzes eines solchen Reisedokuments. Daher scheint auch die Praxis des Ersuchens von individuellen Geleitsbriefen auf eine Verbesserung in der wirtschaftlichen und sozialen Situation von Juden im Reich zu verweisen. Zwar findet man nicht bei allen überlieferten Geleitbriefen eine Begründung für deren Erteilung. Aber da, wo eine Erläuterung für die Begnadung zu finden ist, lassen sich weitere Details über diese bessergestellten Juden gewinnen. So erfährt man über die reichen Gebrüder Jacob und Simon von Günzburg, dass ihre Geschäfte andere außlendische Cristliche Königreich, Fürstenthumb vnnd Lande berueren vnnd durchraisen eruerdern. ¹⁸³ Auch über die Brüder Schoye und Aaron von Esslingen befindet sich eine interessante Information in der Erneuerung ihres Geleitbriefes für ihre Söhne, nämlich dass sie des Kaisers im Reich habenden Armada nit geringen vorschub gethen vnd vnns darunter kaine mühe vnd costen verdrssen lassen. ¹⁸⁴ Beide Familien waren also in den 1540er Jahren finanziell derart gut aufgestellt, dass sie entweder weiträumige, gar internationale Geschäfte führten, oder in der Lage waren, zu der Finanzierung der kaiserlichen Z. B. der Konflikt Josephs von Frankfurt mit Lazarus von Babenhausen. Ebd. Bl. 231r. Außerdem die Supplikationen von Simon und Mossy zu Rindtfuß, die den Kaiser darum baten, die Frankfurter Judenschaft dazu anzuhalten, ihnen die Rückkehr zum Haus ihres Vaters zu ermöglichen.Vgl. Ebd. Bl. 136v und 149v sowie Bd. 7, Bl. 384v. Siehe dazu auch ISG, Juden wider Juden 13. Es finden sich mindestens 25 solche Anträge in den Eintragungen der Resolutionsprotokolle. Einige dieser Antragssteller sind in der Tat auch als reichere und einflussreiche Juden bekannt, allen voran Josel von Rosheim und seine Söhne und Verwandte, aber auch die Brüder Simon und Jakob von Günzburg sind für ihr Reichtum und Stellung innerhalb der schwäbischen Judenschaft bekannt. Auch die Esslinger Schaya und Aaron sowie Haymann von Hof bei Regensburg (Stadtamhof) gehörten eindeutig zu dieser Schicht von Juden. Haymann war laut Einträge im Resolutionsprotokoll einer derjenigen Juden, die dem Kaiser Geld, Karren und Proviant brachten. Vgl. zu Haymann HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 2b, Bl. 27r. Kaiser Matthias‘ Bestätigung und Erneuerung des Geleitbriefs auf die Söhne von Jacob und Simon von Günzburg vom 16. Oktober 1617. Das Original stammt vom 17. April 1544, in: ebd. Conf. Priv. K. 94, Konv. 3, Bll. 464– 468. Ferdinands II. Konfirmation des Geleitbriefs an die Söhne des Schoya (Schay) und Aaron vom 31. August 1630. Das Original stammt vom 25. August 1550. Ebd. Bll. 469 – 496.
7.3 Nutznießer der jüdischen Politik
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Kriegsanstrengungen wesentlich beizutragen. Bekannt ist selbstverständlich auch die Begründung der Privilegierung Josels von Rosheim mit einem umfassenden Geleitsbrief. Diese Erläuterung offenbart zwar keine unbekannten Details über Josel, aber sie vermittelt einen Eindruck davon, wie er in jener Zeit vom Reichshofrat wahrgenommen wurde: Josel habe nämlich dem Kaiser gehorsame dienst […] bißher gethan [… auch], in betrachtung […] seines wolhaltens, dervon er vnns glaubwirdigen schrifftlichen schein, von etlichen Landt Vögten, Herrn vnd andern vom Adel, darzu von Namhafftigen Stetten im Elsas gelegen, furbracht, darinnen sich befindt, das [er …] seinem Standt vnnd wesen nach vnstraffbar vnnd wolgehalten, wie Er dann auch seither in Gemeiner Jüdischeit geschefften, auf Reichstagen vnnd anderst wo mit trewen Embsigen vleis, auch hieuor in vnserm Jungst Zug in Franckreich, vnnd in disem nechtvergangenen Krieg mit gelt vnnd Prouiant dasselbig vnnserm Kriegs Volck zuzufurdern gehorsamblich nach seinem Vermögen, bewisen.¹⁸⁵
Die meisten Geleitsbriefe aus diesem Zeitraum beinhalteten Rechte und Freiheiten, die in kaiserlichen Privilegien für die Judenschaft ebenfalls enthalten waren. So wurde in ihnen befohlen, dass man diese Juden mit Newen Vngewönlichen Zöllen nicht beschwerdt bzw. vber die gewohnlichen meuthen vnd zollen nit dringen sollte.¹⁸⁶ Auch wurde darin die Befreiung von der Pflicht, ein Judenabzeichen zu tragen, explizit genannt.¹⁸⁷ Schließlich wurde den meisten jüdischen Besitzern dieser Geleitsbriefe gestattet, nach Jüdischer ordnungen vnnd Freyhaiten, so sy die Jüdischait haben ¹⁸⁸, zu leben. Somit können die Geleitsbriefe als ein Zeugnis für
Rudolphs II. Konfirmation für die Söhne Josels von Rosheim vom 6. Dezember 1570. Das Original stammt vom 28. Februar 1548. Ebd. 442– 449. Siehe z. B. die Supplikation von Nathan, Jud Schoya Judens So[h]ne mit sambt seinen gebruedern, Jetzt zu Hildeßheim wohnhafft vnnd dann Rabi Israel Jud, des Aaron Judens So[h]ne mit seinen gebrüedern zu Prag sesshafft. Undatiert. Vgl. ebd. Bll. 439r–441r. Das Geleit wurde ursprünglich am 25. August 1550 erteilt.Vgl. ebd. Bll. 469 – 496.Vgl. auch den Geleitsbrief Karls V. für Aberham vnd Moches von Fürt bey Nürmberg vom 16. Mai 1541, in: ebd. Konv. 1, Bll. 111r–113v. Z. B. beim Geleitsbrief Ferdinands I. für Lazarus, den Judenarzt, sesshaft in Günzburg vom 9. Juni 1544, in: ebd. RK, RRegB unter Ferdinand, Bd. 6, Bl. 58v. Siehe auch bei Jacob und Simon von Günzburg, ebd. RHR, Conf. Priv., K. 94, Konv. 3, Bl. 465v und bei der Bestätigung des Geleitsbriefs durch Maximilian II. für Wolf von Schwabach vom 2. November 1565. Das Original von Karl V. stammt vom 16. Mai 1541. Ebd. Bll. 515 – 523. Hier aus der Erneuerung des Geleitsbriefs Ferdinands I. an Moses von Bonn, einen Einwohner Frankfurts vom 29. Dezember 1566. Das Originaldokument Karls V. stammt vom 3. November 1547. Ebd., Konv. 3 Bll. 432r–434v. Ein weiteres Beispiel bildet auch das Recht, dass die Juden nur an den orten vnnd gerichten, darinn sy sesshafft seien, mit Recht vorgenommen werden sollten vnnd sonst an khainen anndern ort in khainerley weise noch wege vor Gerichten gestellt werden durften.Vgl. Geleitsbrief für Moses von Bonn vom 3. November 1547, ebd. hier Bl. 432v. Vgl. außerdem ebd. Bl. 439r (zu Schöya und Aaron), 446v (zu Josel von Rosheim); Konv. 1, Bl. 111v (zu
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die Erfolge der Reichsorganisation angesehen werden, bestätigten sie doch die allgemeine Rechte der Juden in individualisierter Form. Über die üblichen Bestimmungen hinaus lassen sich bei manchen Personen auch Sonderklauseln finden. So sollte Josel von Rosheim beispielsweise gänzlich von der Pflicht entbunden sein, Zölle und Mauten zu zahlen.¹⁸⁹ Josel erhielt auch das Sonderrecht, in allen Stetten vnnd Flecken im Heiligen Reich, da andere Juden sizen, eingenommen [zu] werden, daselbst […] auch wohnen mögen, vnnd sollen. ¹⁹⁰ Andere Juden erhielten vom Kaiser einen Befehl, der ihnen verhelfen sollte, ire schulden sunderlicher bezallung laut brieflicher vrkhunt der billichait einzufordern.¹⁹¹ Insgesamt ist leicht erkennbar, dass manche Juden für sich Rechte erwirken konnten, die die Freiheiten der restlichen Judenschaft übertrafen und somit bessere Bedingungen für ihre Geschäfte – gleich ob wirtschaftlicher oder diplomatischer Natur – ermöglichten. Somit schlägt sich in diesen Quellen auch die angenommene Entspannung und Stabilisierung der jüdischen Wirtschaftskraft nieder. Gleichzeitig manifestiert sich hier auch eine entsolidarisierende Tendenz zumindest insofern, als manche Juden Partikularrechte für sich erwarben, die sie in eine bessere Lage versetzen sollten als die ihrer Glaubensgenossen. Den Anstieg der jüdischen Gesuche privater Natur kann man anhand der Resolutionsprotokolle des Reichshofrats ermitteln. 1544 findet man 19 private Gesuche – ca. die Hälfte der 36 eingereichten jüdischen Anträge.¹⁹² Für 1545 und
Abraham und Mosche von Fürth); Ebd. RK, RRegB unter Ferdinand, Bd. 6 Bl. 58v (zu Lazarus Judenarzt, sesshaft bei Günzburg. Dokument vom 9. Juni 1544). Diese Bestimmung war schon in früheren Geleitsbriefen üblich. Vgl. den Geleitsbrief Karls V. für Mosse Neustetter und Simon Arzt vom 16. September 1530. Ebd. RRegB unter Karl V., Bd. 12, Bll. 106r–107v. Er sollte überall on Zoll vnnd Mauttstetten freyledig vnaufgehalten passiren. Geleitbrief für Josel vom 28. Februar 1548, ebd. Conf. Priv. 94, Konv. 3, Bll. 442– 449, hier Bll. 445v und nochmals 446v. Dasselbe Recht erhielten z. B. auch der italienische Jude Salomon Bassano und dessen Nachkommen. Die Gleitbriefe für Bassano und seine Kinder und Enkelkinder sind zusammengebunden zu finden und beinhalten Briefe von Maximilian I. (von 1509, 1510 und 1516), Karl V. (von 1530, 1544, 1548), Ferdinand (von Tirol(?) von 1588), Rudolph II. (von 1600), Maximilian von Österreich (von 1615) und Jacob Andrä, Herr von Brandis, Freiherr zu Leonburg (von vor 1629).Vgl. ebd. Bll. 265r–289v. Ebd. Bl. 446v. Hier der Geleitbrief für Moses von Bonn vom 3. November 1547, ebd. Bl. 433r. Ähnlich auch bei Abraham und Moses von Fürth vom 16. Mai 1541, ebd. Konv. 1, Bl. 113r, die für sich auch das Recht erwirken konnten, Pfänder von Christen nach Verlauf der vereinbarten Frist veräußern zu dürfen. Ebd. Bl. 112r. Die Zahl der Juden, die darin begriffen sind, ist etwas höher zu setzen, denn viele Gesuche wurden von mehr als nur einem Juden eingereicht (z. B. Jacob Jud zu Dalheim vnd Gase Jud sein Vetter, Eintrag vom 17. Mai 1544, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1a, Bl. 82v). Gleichzeitig findet man mehrere Einträge der gleichen Person (z. B. supplizierte Samuel Jud von
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1546 ist nur eine Supplikation von privater Natur nachweisbar, weil für diese Jahre keine Protokolle überliefert sind. Für den Augsburger Reichstag von 1547/48 ist die Zahl dann enorm gestiegen. Es lassen sich von 41 Gesuchen etwa dreiviertel (31) als Betreffe von jüdischen Individuen feststellen. Auf dem nächsten Augsburger Reichstag von 1550/51 (und die Monate nach dessen Abschluss) erreichten den Reichshofrat 103 jüdische Gesuche, 70 davon betrafen ‚persönliche‘ Angelegenheiten, sodass etwas mehr als zwei Drittel der bei dieser kaiserlichen Institution behandelten jüdischen Anträge privaten Ursprungs waren.¹⁹³ Grundsätzlich war die Erfolgsquote bei solchen Gesuchen sehr hoch. 1544 waren ca. 90 % der Einträge erfolgreich.¹⁹⁴ Für die Jahre 1547/48 kann man mit einer Erfolgsrate von mindestens 60 % rechnen (19 positive Bescheide, drei Ablehnungen und neun, bei denen weder ein positiver noch ein negativer Bescheid festgestellt werden kann). Mit 49 angenommenen von 70 eingereichten Supplikationen verbesserte sich die Erfolgsstatistik der jüdischen Privatgesuche in den Jahren 1550/51 auf 70 %.¹⁹⁵ Es ist davon auszugehen, dass die Gewährung von kaiserlichen ‚Gratialia‘ Teil einer reziproken Entwicklung war, die die jüdische Finanzkraft stabilisierte. Seit 1530 konnten die Juden den kaiserlichen Schutz ausbauen und die meisten Versuche, ihnen bestimmte Geschäfte zu verbieten, vereiteln oder mildern. Damit konnte die negative Tendenz der Verdrängung der Juden aus der Geschäftswelt gestoppt werden, und auch immer mehr jüdische Individuen konnten sich wieder wirtschaftlich betätigen. Manche Personen konnten im Laufe der Zeit ihre wirtschaftliche Position derart verbessern, dass sie über ausreichend Mittel verfügten, um sich die kaiserliche Unterstützung in Form von Geleitsbriefen zu sichern. Diese Personen konnten daher leichter ihre finanzielle Kraft stärken und mehr lukrative Geschäfte mit hochrangigen Personen eingehen. Diese neue wirtschaftliche Elite der Juden konnte dem Kaiser im Gegenzug Leistungen erbringen und bereicherten seinen Fiskus. Diese Entwicklung besagt zwar nicht viel über die finanzielle und wirtschaftliche Situation der restlichen Juden im Reich. Sie begünstigte aber die jüdischen Gemeinden, in denen die neue Elite lebte, denn finanzkräftige Individuen hatten sehr oft kommunale Funktionen und Führungsrollen inne und übernah-
Worms (nicht der Reichsrabbiner!) zweimal. Ebd. 82r und 87v. Michel von Derenburg überreichte sogar drei Gesuche. Ebd. Bl. 67v). Vgl. Anhang Nr. 8. 17 von 19 können als erfolgreich gelten.Wobei hier erneut darauf hinzuweisen ist, dass Erfolg in diesem Zusammenhang großzügig definiert wird und auch solche Verwaltungsakte umfasst, die weitere administrative Handlungen veranlassten. Vgl. Anhang Nr. 9.
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men wegen ihrer Beziehungen zur nicht-jüdischen Umwelt auch Vermittlungsaufgaben. So überrascht es beispielsweise nicht, dass der sonst unbekannte Samuel von Worms auf dem Reichstag von 1544 sowohl einen Schutz- und Geleitsbrief für sich selbst empfing als auch eine Deklaration für die gesamte Wormser Judenschaft erwirkte.¹⁹⁶ Auch Moses von Herrenberg brachte in den Jahren 1550/51 etliche Gesuche vor den Reichshofrat, die vorwiegend seine privaten Streitigkeiten mit dem Schultheißen zum Berg oder mit dem Juden Groma betrafen.¹⁹⁷ Gleichzeitig nutzte er sein häufiges Auftreten vor dem kaiserlichen Rat, um auch bei allgemeinen jüdischen Konflikten sogenannten SalvaguardiaDekrete zu erwirken.¹⁹⁸ Es können auch weitere Personen eingeführt werden, die bekanntermaßen in ihrer Gemeinde eine führende Rolle ausübten und in den Protokollbüchern des Reichshofrats als Supplikanten in privaten Angelegenheiten auftauchen. Simon von Günzburg war beispielsweise für seine Rolle innerhalb der Judenschaft in Schwaben bekannt¹⁹⁹, obwohl er im behandelten Zeitraum beim Reichshofrat soweit ersichtlich ausschließlich in eigener Sache suppliziert. Man kann also erwarten, dass viele Gemeinden davon profitierten, dass sich eine neue jüdische Wirtschaftselite etablierte. Zusammen mit der relativen Stabilisierung der allgemeinen rechtlichen und politischen Lage der Judenschaften im Reich wirkte das Erstarken der finanziellen und wirtschaftlichen Kraft von Juden positiv auf die Konsolidierung und Stärkung ihrer Gemeinden in den verschiedenen Regionen. Tatsächlich sieht man bereits ab 1544, dass Gemeinden im Alleingang vor dem Reichshofrat auftraten und sich für ihre Anliegen selbst einsetzten. Bis dahin findet man so gut wie keine Supplikationen im Namen von einzelnen Judenschaften, die ohne die Vermittlung von Josel von Rosheim an den Kaiser und den Reichshofrat gelangten.²⁰⁰
Protokolleinträge vom 16. und 23. Mai 1544, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 1, Bll. 82r und 87v. Vgl. Protokolleinträge für den 12. Januar, 20. August und 17. September 1550 sowie für den 13. und 24. Januar und den 13. Mai 1551, in: ebd. Bd. 6, Bll. 128v, 184r und 255r und Bd. 10, Bll. 15v, 29v und 130r. Vgl. Protokolleinträge vom 9. Juni und 1. September 1551, in: ebd. Bd. 10, Bll. 164v, und 247r. Stefan Rohrbacher schreibt über ihn sogar, dass Simon von Günzburg ein „im ganzen Land höchst einflußreicher Führer, eine in der jüdischen Welt weithin berühmte und bewunderte Ausnahmegestalt von geradezu sprichwörtlichem Reichtum“ war. Stefan Rohrbacher: Ungleiche Partnerschaft. Simon von Günzburg und die erste Ansiedlung von Juden vor den Toren Augsburgs in der Frühen Neuzeit, in: Kießling/Ullmann (Hrsg.): Landjudentum, S. 192– 219, bes. S. 196 – 200, hier S. 196. Häufig war Josel der beauftragte Verhandlungsführer von Gemeinden sogar dann, wenn ihre Vertreter auf dem Reichstag anwesend waren. So war es zum Beispiel mit den Supplikationen von Gochsheim und Esslingen. Vgl. die Supplikation Josels im Namen der Gochsheimer Judenschaft
7.3 Nutznießer der jüdischen Politik
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Insgesamt ist die Zahl von kommunalen Gesuchen zwischen den Jahren 1544‒ 1551 relativ gering. Betrachtet man nur die Anträge, die ohne die Hilfe Josels von Rosheim eingereicht wurden und somit eine gewisse Unabhängigkeit der Gemeinden suggerieren, so ergeben sich folgende Daten: In Speyer 1544 wurden lediglich zwei Bitten an den Reichshofrat gebracht. Beide Anträge wurden positiv beschieden. Auf dem Reichstag von Augsburg 1547/48 können sechs kommunale Gesuche zweifelsfrei festgestellt werden, wovon drei erfolgreich waren, eins abgelehnt wurde und bei den letzten zwei keine eindeutige Antwort zu verzeichnen ist.²⁰¹ In den Protokollen von 1550/51 findet man schon acht Einträge mit kommunalem Bezug. Zwei der Gesuche beziehen sich allerdings inhaltlich nicht auf eine spezifische Gemeinde. Von den sechs übrigen Supplikationen wurden vier positiv und zwei negativ entschieden – eine Erfolgsquote von 66.66 %.²⁰² Insgesamt kann also ein moderater Zuwachs an kommunalen Aktivitäten vor dem Reichshofrat in diesen Jahren belegt werden. Inhaltlich lassen v. a. die kommunalen Supplikationen in den Jahren 1550‒51 wichtige Erkenntnisse gewinnen. Bis auf eine Bitte der Juden vom Hof bei Regensburg stammten alle Gesuche von stark situierten, lang etablierten und gut organisierten Gemeinden. Es handelte sich nämlich um die Gemeinden Worms, Frankfurt und die gemaine Judischait der Marggraueschafft Burgaw vnd im Landt zu Schwaben. Allerdings führte die Größe einer Judenschaft nicht zwangsläufig zum Erfolg. So scheiterte gerade die größere und mit überregionalen Strukturen aufgebaute Judenschaft von Schwaben in beiden ihrer Versuche.²⁰³ Wie es scheint, war man nicht gewilligt, den Juden des Medinat Schwaben ²⁰⁴ Sonderrechte zu gewähren. Zum einen handelte es sich um neue Rechte, die über die allgemeinen Freiheiten der Reichsjudenschaft hinausgingen; zum anderen hätte
vom 17. Januar 1548, in: HHStAW, RHR, Jud. Misc. J 1, K. 41/1, Bl. 51r–53v sowie ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 2b, Bl. 46v. Zu Esslingen siehe Josels Supplikation im Namen der Esslinger Gemeinde vom 21. Mai 1544, in: ebd. Jud. Misc. J 1, K. 43, Konv. 2, Bll. 8r–10v. Auch im Streit der Juden Bayerns mit Regensburg supplizierte Josel in deren Namen und half ihnen dabei, ihre Ansprüchen zur Geltung zu bringen (Supplikation vom 2. Januar 1551).Vgl. Ebd. Judicialia, APA, K. 86, Konv. 1, Bl. 4. Zwei der Anträge wurden von Josel von Rosheim überreicht, der aber hier in seiner Rolle als unterelsässischer Gesandter agierte. Interessanterweise stammen zwei der anderen Supplikationen aus der Landvogtei Hagenau, ohne dass der Name Josel von Rosheim im Zusammenhang damit erwähnt wurde. Vgl. Anhänge Nr. 10a und 10b. Vgl. ebd. Protokolleintrag vom 10. Juli 1551, in: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 185v und vgl. den Eintrag vom 14. Juli, ebd. Bl. 192r. Über die geographische Definition von ‚Medinat Schwaben‘ siehe Rohrbacher: Medinat Schwaben und zu weiterer Charakterisierung Lang: Ausgrenzung, S. 8 f. und 233 – 243.
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die Erteilung der Rechte eine de facto Anerkennung von überregionalen jüdischen Organisationsformen bedeutet, welche das territoriale Herrschaftsprinzip verletzten. Im Gegensatz zu Schwaben konnte die Wormser Judenschaft am 11. März 1551 die Confirmation irer Freyhaiten ²⁰⁵ erwirken. Es ging dabei nicht um neue Rechte, aber auch nicht um jüdische Rechte per se. Die Juden machten ihre besondere Situation als Angehörige der Stadt Worms zunutze und ließen ein Privileg für die gemaine Statt Wormbs vnd derselben verwandten bestätigen.²⁰⁶ Nun aber war die Bestätigung ausdrücklich auf die Wormser Juden ausgestellt und dies verhalf ihnen zu einer besseren rechtlichen Position. Dieser geschickte Schachzug der Wormser Juden ist deswegen bewundernswert, weil sie die Freiheiten und Privilegien der Stadt Worms in Verbindung mit den Rechten der gemeine[n] Judischheit im Reiche brachten, die sie ebenfalls confirmier[en] vnndt bestätte[igen] ließen.²⁰⁷ Am 16. April 1551 reichten die Wormser Juden ein zweites Gesuch ein, in dem sie nun Partikularinteressen verfolgten. In dieser zweiten Supplikation ersuchte die Wormser Gemeinde nämlich vmb vergonnung vnd zulassung, das Sy auf handtschrifften vnnd verschreibung leihen vnnd solche handtschrifften vberal in vnd ausserhalb gerichts crefftig sein vnd besteen sollen. ²⁰⁸ Diese Bitte erfolgte nach dem Reichstagsbeschluss über die neuen Einschränkungen der jüdischen Geschäfte, aber bevor der Kaiser diese ein wenig lockerte. Die Wormser Juden wollten derartige Einschränkungen ihres Handels nicht hinnehmen und waren offensichtlich auch nicht gewillt, eine gemeinsame Vorgehensweise, deren Ausführung sich wegen Josels Abwesenheit von Augsburg in die Länge zog, abzuwarten. Sie handelten stattdessen aus eigenem Akkord und sicherten für sich Partikularrechte, die ihre wirtschaftliche Situation weit besser positionierte als die der restlichen Juden im Reich. Die Vorgehensweise der Wormser Juden war allerdings nicht ganz eigennützig, denn sie teilten ihre Informationen allem Anschein nach mit der Frankfurter Judenschaft, die selbst wiederum den Reichshofrat um eine declaration ersuchte, damit auch ihre obligation[en], so zwischen Juden vnd Christen vor den Gerichten, Rath vnd ander Guder leuthen aufgericht, als wol craft haben sollen, wie die vor der
HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 80r. Bestätigung Karls V. für die Wormser Judenschaft vom 11. März 1551, in: ebd. Conf. Priv. K. 98, Konv. 2, Bll. 7r–9r, hier Bl. 7v. Eine abweichende Version des Textes – jedoch ohne inhaltliche Unterschiede – befindet sich in einer späteren Bestätigung in: ebd. Bll. 94v–99r, hier Bl. 95r. Ebd. Bl. 8r. Ebd. Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 103v.
7.3 Nutznießer der jüdischen Politik
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Obrigkeit des Schuldners aufgerichteten Obligationen.²⁰⁹ Das Gesuch war erfolgreich, denn der Reichshofrat gewährte auch den Frankfurter Juden die begert declaration mutades mutandiz wie den von Worms. ²¹⁰ Somit konnte eine weitere starke jüdische Gemeinde Rechte für sich sichern, die die Gesamtjudenheit nicht besaß.²¹¹ Man erkennt hier also, dass in den 1540er und 1550er Jahren starke Gemeinden begannen, ihre Interessen selbstbewusst und autonom vor dem Reich zu vertreten. Dabei ist es weniger verwunderlich, dass sie sich in ihren Rechtsstreiten selbst repräsentierten. Schließlich kannten ihre eigenen Gesandten die rechtliche Lage an ihrem Wohnort am besten. Dennoch zeigten die Wormser und Frankfurter Juden die seltene Fähigkeit, eine Verknüpfung der komplexen Beziehung zwischen Reichs- und Lokalrecht herstellen zu können, um ihre Handlungsmöglichkeiten auszuweiten. Dies war keine Selbstverständigkeit und muss im Kontext der allgemeinen Stabilisierung der rechtlichen und politischen Lage der Juden gesehen werden. Die Wormser und Frankfurter Juden erwarben also Rechte, die über die allgemeinen Privilegien der restlichen Judenheit im Reich hinausgingen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Reichsjudenschaft in dieser Zeit begann, ihre Kohäsionskräfte zu verlieren, und dass ein Prozess der Entsolidarisierung oder gar der Auflösung einsetzte. Die Reichsorganisation war bis zum Ende 1551 wieder voll aktiv und auch erfolgreich bei der Regelung von wichtigen Angelegenheiten und Problemen, die für alle Juden des Reichs relevant waren. Auch scheinen die Frankfurter und Wormser Judenschaften die Reichsorganisation unterstützt zu habe, als diese sich um die Lockerung der wirtschaftlichen Einschränkungen bemühte. So taucht in der gesamtjüdischen Supplikation an den Kaiser vom 5. Juni 1551 fast die gleiche Wortwahl auf, wie in der ‚Deklaration‘ für die Frankfurter Judenschaft.²¹²
Protokolleintrag vom 26. Mai 1551, in: ebd. Bl. 147v. Das Privileg für die Wormser Juden ist nicht überliefert, allerdings kann das Privileg für die Frankfurter Judenschaft in derselben Mappe gefunden werden, in der sonst ausschließlich Dokumente zur Wormser Judenschaft enthalten sind. Vgl. Conf. Priv., K. 98, Konv. 2. Protokolleintrag vom 26. Mai 1551, in: ebd. Bl. 147v. Über den Inhalt vgl. das Privileg Karls V. für die Frankfurter Judenschaft vom 26. Mai 1551, in: ebd. Conf. Priv., K. 98, Konv. 2, Bll. 12r–15v, hier Bl. 14v. Das Dokument ist in Form einer Bestätigung durch Kaiser Rudolph II. vom 27. Juli 1582 überliefert, in: ebd. Bll. 12r–18v. Eine weitere Kopie des Privilegs findet sich in einer früheren Bestätigung durch Kaiser Maximilian II. in: ISG, JA, 351, Bll. 12r–17v. Vgl. HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, Konv. 1, Bl. 1v und ebd. K. 98, Konv. 2, Bl. 14r.
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Es war also nicht eine fehlende jüdische Solidarität, die die Wormser und Frankfurter Gemeinden dazu brachte, im Alleingang Partikularrechte zu erwerben. In einer Messestadt wie Frankfurt waren die Juden z. B. auf eine robuste Finanzkraft angewiesen, um nützlich in den Augen ihrer Obrigkeiten zu erscheinen. So war auch ihre Stätigkeit oft eng vom Einkommen der einzelnen Juden abhängig und Ausweisbedrohungen bestanden oft angesichts des Verlustes an fiskalischem Nutzen.²¹³ Die Notwendigkeit zum alleinigen Agieren der beiden Gemeinden steigerte sich umso mehr, als zu jener Zeit die neuen Einschränkungen jüdischer wirtschaftlicher Tätigkeit beschlossen wurden und alle jüdische Versuche, diese zu milden scheiterten. Zur gleichen Zeit war auch Josel von Rosheim unterwegs auf seiner Mission, die defensiv Hilf einzutreiben. Eine rasche Veränderung des Gesetzes auf gesamtjudenschaflicher Basis war daher nicht in Sicht. Darüber hinaus bekamen die Juden kurz zuvor den Befehl, Augsburg zu verlassen. Die Wormser Judenschaft konnte noch im letzten Moment ihre Bitte einreichen. Als dann das Verbot jüdischer Anwesenheit in Augsburg aufgehoben wurde, supplizierten rasch auch die Frankfurter Juden²¹⁴, vermutlich um etwaigen künftigen Aufenthaltsverboten zuvorzukommen. Man kann daher feststellen, dass beide Gemeinden unter den gegebenen Bedingungen schnell agieren mussten und nicht mit der Absicht, sich von der restlichen Judenschaft abzusondern. Dennoch bleiben Fragen über die Zukunft der politischen Organisation der Juden angesichts dieser Entwicklung offen.
7.4 Die (Dis‐)Funktionalität einer erfolgreichen Organisation Die kaiserzentrierte Politik der Juden intensivierte sich zwischen 1541 und 1550/51, wie die jüdischen Aktivitäten vor dem Reichshofrat zeigen. Angesichts der befestigten Stellung Karls V. im Reich war die jüdische Suche nach Nähe zu ihm die logische Konsequenz ihres Strebens nach Schutz und nach einer politischen Stabilität. Das erkennt man beispielsweise daran, dass die Mehrzahl der jüdi-
Darüber siehe z. B. Burger: Frankfurt als Migrationsziel, S. 473 – 477, der zwar die fiskalische Bedeutung der Juden für die Stadt stark relativiert, dies aber für die jüdische Wohnsituation durchaus anerkennt. Die Entscheidung des Reichshofrats vom 28. April 1551, den Juden den Aufenthalt in der Stadt nicht zu verlängern und jüdische Anliegen nur über einen verordneten Anwalt anzuhören (HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bd. 10, Bl. 115r), hielt offensichtlich nicht lange. Schon am 13. Mai erschien Moses von Herrenberg vor dem Rat und am 26. Mai waren es gleich drei jüdische Individuen und die Frankfurter Gesandten, die Gesuche überreichten. Ebd. Bll. 130r, 136v und 146rf.
7.4 Die (Dis‐)Funktionalität einer erfolgreichen Organisation
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schen Supplikationen nach 1544 entweder Bitten um Rechts- und Schutzerweiterungen (Privilegierung), oder Beschwerden wegen Verletzung derselben darstellten. Demgegenüber nahm die Zahl der Gesuche wegen ‚klassischer‘ Verfolgungsgründen wie Blutbeschuldigung, unrechtmäßiger Verhaftungen oder Ausweisungsbedrohungen im gleichen Zeitraum stark ab.²¹⁵ Die enge Beziehung zum Kaisertum versetzte die Juden auch häufig in eine bessere Verhandlungsposition bei ihren Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Obrigkeiten. So konnten die Juden mit hilfe der kaiserlichen Autorität jede Obrigkeit dazu veranlassen, mit ihnen über ihre Rechte zu verhandeln. Beispielsweise konnten sie bewirken, dass die Geleitsrechte in Württemberg vor dem Hintergrund des Mandats von 1548 erörtert wurden. Es war auch 1550/51 für die Juden sinnvoll und gewinnbringend, mithilfe der kaiserlichen Autorität Reichsgesetzgebungsakte zu ihren Gunsten beeinflussen zu wollen. Dabei befestigten sich ihre Kontakte zum Reichshofratspersonal und ihre Arbeit gegenüber dieser Institution standardisierte sich. Die Zentralität des Kaisers und des Reichshofrats für die jüdische Politik kann dabei quantitativ aufgezeigt werden. Die steigende Zahl an Anträgen, die die Juden dem Reichshofrat vorbrachten, und auch deren Themenvielfalt lassen auf ein großes Vertrauen der Juden in diese Institution schließen. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Gesuche angenommen und weiterbearbeitet wurde, ist zudem ein Indiz für die gesteigerte Professionalität jüdischer Antragssteller. Die Professionalität und Effizient der jüdischen Reichsorganisation steigerten sich dabei offensichtlich durch ihre Kenntnisse über die politische Kultur im Reich. So lässt die rege und zum Teil komplexe und innovative jüdische Nutzung des Supplikationsinstruments auf dem Reichstag auf eine große Vertrautheit mit dieser Form der rechtlich-politischen Partizipation schließen.²¹⁶ Auch lassen die
Diese Feststellung gilt auch für die zeitgenössische, jüdische Wahrnehmung. So wurden beispielsweise die Klagen der Juden wegen beschnittenen Reiserechte in Regensburg, Württemberg und Neuburg nicht auf gewaltsame Angriffe zurückgeführt, sondern gestalteten sich als eine Reaktion auf Verletzungen von bereits erlangten Rechten. Auch im Zusammenhang mit der Verschärfung der Kontrollen über die jüdischen Geld- und Handelsgeschäfte betonten zehn von den zwölf Supplikationen die bereits vorhandenen und vom Kaiser verliehenen Rechte. Erst nachdem alle anderen Versuche nicht die erwünschten Ergebnisse erbracht hatten, gingen jüdische Gesuche dazu über, die beschlossene Verschärfung als eine Beraubung ihres Lebensunterhalts und somit als eine gewaltsame Leiderfahrung zu beschreiben. Im Supplikationsverzeichnis der Mainzer Erzkanzlei zum Reichstag von 1550/1551 finden sich ca. 1550 Gesuche, wovon ca. 50 von jüdischen Antragsstellern überreicht wurden. Dies ergibt etwas mehr als 3 % jüdische Gesuche. Vgl. das Stichwortverzeichnis der in der Mainzer Kanzlei hinterlegten und an den ksl. Hofrat weitergeleiteten Supplikationen während des Augsburger Reichstags von 1550/51, in: RTA 19/2, Nr. 255, S. 1224– 1360.
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Bemühungen der jüdischen Vertretung um die Drucklegung des kaiserlichen Mandats vom 30. Januar 1548 und des Abkommens mit Württemberg vom 11. August 1551 erkennen, dass die Juden die Vorteile und die Wirkmächtigkeit des Druckmediums sehr wohl begriffen.²¹⁷ Die konzentrierte Ausrichtung der jüdischen Politik auf den Kaiser und seinen Reichshofrat brachte dabei kein Versprechen auf Erfolg. Sie beeinflusste aber offensichtlich die jüdische Vorgehensweise stark und engte sie insofern ein, als die Juden Angelegenheiten, die eindeutig in territorialen Zuständigkeiten fielen, über den Reichhofrat und mithilfe der kaiserlichen Autorität zu regeln versuchten. Dies konnte ihnen zwar eine gute Ausgangsposition bei Verhandlungen mit Territorialfürsten verschaffen, aber, wie das Beispiel Württemberg zeigt, erreichte diese Unterstützung schnell die Grenzen ihrer Wirkmächtigkeit. Im Resultat mussten die Juden weitreichende Kompromisse eingehen und beispielsweise neuen Formen von Zöllen und Mauten zustimmen, die ihren kaiserlichen Freiheiten widersprachen. Es manifestierte sich in den jüdischen Aktivitäten auf dem Augsburger Reichstag 1550/51 eine neue Entwicklung in der jüdischen Handlungsweise gegenüber dem Reichhofrat. Gelangten Streit- oder Verfolgungsfälle in früheren Jahren erst dann zum Reichshofrat, nachdem sie vor den lokalen Obrigkeiten und Gerichten verhandelt worden waren, begannen diese Verhandlungen nun erst nach einer jüdischen Einschaltung des Reichhofrats. Somit erkennt man, dass die Reihenfolge, in der die jüdischen Vorgehensweisen verliefen, sich umkehrte. Dies lässt sich in gewisser Weise auch für die jüdischen Versuche der Einflussnahme der Reichsgesetzgebung feststellen, etwa als die Juden den Reichshofrat um Unterstützung bat, obwohl sie offenbar noch keine Einsicht in den Inhalt der Beratungen hatten. Diese Entwicklung ist interessant besonders angesichts des gleichzeitigen Fortschreitens und Erstarkens der Territorialisierungstendenzen im Reich, die durch Bestätigungen, Bekräftigungen und sogar Erweiterungen der territorialen bzw. lokalen Zuständigkeiten in den Reichsordnungen der Zeit fortgeschrieben wurden. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Versuche der Juden, bei eindeutigen territorialen Angelegenheiten kaiserliche Rechte gegen territoriale Herrschaftsrechte auszuspielen, nicht nur aussichtslos, sondern auch riskant. Die Kaiserzentrierung der jüdischen Politik erscheint dabei wie eine Kaiserfixierung. Zwar kann es sein, dass die Juden die Territorialisierungstendenzen nicht wahr-
Weitere Elemente, die auf die jüdischen Kenntnisse der politischen Kultur im Reich und der Anpassung ihrer Organisation daran wurden z. B. im Zusammenhang mit dem ‚Instruktionspapier‘ der jüdischen Versammlung an Josel von Rosheim diskutiert (siehe oben Kap. 7.2).
7.4 Die (Dis‐)Funktionalität einer erfolgreichen Organisation
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nahmen und sich daher blindlings auf die kaiserliche Macht stützten. Ebenso möglich erscheint aber auch, dass sie die fortschreitende Territorialisierung sehr wohl erkannten und sich deswegen dazu entschlossen, an dem Kaiser als ihre verlässliche Stütze festzuhalten. Angesichts ihrer bisherigen Erfahrungen mit Territorialobrigkeiten erscheint dies nicht abwegig, jedoch eine eindeutige Erklärung für diesen Aspekt der jüdischen Politik ist an dieser Stelle nicht möglich. Nicht nur die Sinnhaftigkeit der politischen Strategien der Juden kann für diese Jahre hinterfragt werden, sondern auch die Machtkonzentrierung der jüdischen Repräsentation in den Händen Josels von Rosheim. Josel, der Vollstrecker und oft sogar die treibende Kraft hinter den meisten politischen Aktionen der Juden, erwies sich zwar als ein extrem geschickter und sehr erfolgreicher Verhandlungsführer, der über netzwerkartige Beziehungen zum kaiserlichen Sekretär Johann Obernburger verfügte. Aber die Konzentration aller politischen Aktionen in seinen Händen brachte gewisse Nachteile mit sich. Die Anhäufung an Streitfällen, die Josel 1550 und v. a. 1551 zu sollizitieren hatte, und die steigende Zahl an Anliegen, die er vertreten musste, schränkten seine Handlungsmöglichkeiten stark ein. Solange er die Verhandlungen über die jüdische Wirtschaftstätigkeit auf dem Reichstag und im Reichsabschied führte, konnte er Augsburg schwerlich verlassen, um mit Württemberg oder Bayern über die Geleitsrechte zu verhandeln. Andersherum konnte er keine Verhandlungen über die jüdischen Handelseinschränkungen führen, als er durch den Reichshofrat entsandt wurde, um eine Definsiv-Hilf einzusammeln. War die Ausrichtung der jüdischen Politik in der Zeit kaiserzentriert, so war ihr Aktionspotenzial fast ausschließlich beim Befehlshaber konzentriert. Aus Sicht der sozio-kulturelle Evolution kann analysiert werden, dass die vielen Erfolge des Befehlshabers und beim Reichshofrat zu einer Verknappung der bevorzugten Handlungsoptionen der jüdischen Reichsorganisation führten. Offensichtlich engte die Standardisierung der politischen Vorgehensweisen der Juden zudem den Blick auf ihre Aktionsmöglichkeiten ein. So bestand zu Beginn der 1550er Jahre eine vergleichsweise kleine Anzahl an Handlungsvarianten, die von der Judenschaft als sinnvoll erachtet und ausgeführt wurden. Erst die Erkenntnis der Grenzen dieser Ausrichtung veranlasste die Juden, neue Handlungsoptionen und divergente Verfahrens- und Handlungsweisen zu erproben. Die Juden mussten sich dabei an die neuen politischen und rechtlichen Begebenheiten anpassen, ihre Strategien ändern und Bereitschaft an den Tag legen, neue Kompromisse einzugehen. Die Situation der jüdischen Reichsorganisation war also deswegen besonders, weil sich gleichzeitig mit ihrer Professionalisierung auch ihre strukturellen Defizite manifestierten. Zudem machte sich eine weitere Entwicklung offenbar, als jüdische Individuen und Gemeinden begannen, den Reichshofrat regelmäßig
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zu frequentieren und ihre Anliegen dort selbst zu vertreten.²¹⁸ In gewisser Weise deutete dies eine gewisse Konkurrenzsituation zur bis dahin dominierenden zentralisierten Vorgehensweise der Juden an. Es eröffneten sich den Juden in diesen Jahren also Alternativen, um erfolgsversprechende politische Unternehmungen auch ab- und jenseits der üblichen Verfahrensweisen der Reichsorganisation auszuführen. Die sichtbar gewordenen Alternativen markierten aber nicht das Scheitern des Projekts einer korporativen Reichsorganisation, sondern sie sind ein Produkt davon. Sie verweisen in gewisser Hinsicht auf den Erfolg, den die jahrzehntelange jüdische Zusammenarbeit hervorbrachte, und lassen die graduellen rechtlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in der Situation der Reichsjudenschaft erkennen. Diese Entwicklung deutet auf eine potenzielle Strukturveränderung der jüdischen Organisation hin und markiert somit den Anfang einer neuen evolutionären Phase der jüdischen Politik im Reich. Die Untersuchung dieser Wandlungs- und Ausformungsprozesse wird die Aufgabe des folgenden Kapitels sein.
Vgl. Anhänge Nr. 1 und 11. Es kann in dieser Arbeit auf die wachsende Bedeutung des Reichshofrats für jüdische Individuen und Gemeinden nicht eingehend eingegangen werden. Dieser Umstand bedarf noch weiterer Studien, welche die Anfänge der jüdischen Nutzung der obersten Gerichte im Reich untersuchen würden und somit die Lücke zu den später ansetzenden Studien von Staudinger: Juden am Reichshofrat, Griemert: Jüdische Klagen und Kaspar-Marienberg: „vor Euer Kayserlichen Mayestät“ schließen würde.
8 Eine Organisation in Transformation? Jüdische politische Repräsentation nach dem Tod des Befehlshabers Der Tod des jahrelangen Befehlshabers der Reichsjudenschaft 1554 stellte potenziell ein großes Problem für die Arbeit ihrer Organisation dar. Zwar bildeten die Versammlungen der jüdischen Anführer und deren Beschlüsse den Schwerpunkt der jüdischen Organisation zu Beginn der 1540er Jahre, aber in den späten 1540ern und Anfang der 1550er Jahre konzentrierten sich fast sämtliche Vertretungsaufgaben der Juden in den Händen Josels von Rosheim, der eindeutig zur zentralsten politischen Führungsfigur der Juden wurde. Soweit bekannt ist, wurden zu Josels Lebzeiten keine Pläne oder Überlegungen zu einer Nachfolge im Amt¹ des Befehlshabers gemacht, sodass die Form der diplomatischen Vertretung der Reichsjudenschaft nach seinem Ableben ungewiss wurde. Diese Frage war auch deswegen von Bedeutung, weil sich bereits in der Zeit vor Josels Tod alternative Formen jüdischer Vertretung entwickelten. So erreichten einige lokale und regionale jüdische Gemeinden eine rechtliche und wirtschaftliche Stabilität und begannen sich selbst zu vertreten. Auch machte die verbesserte finanzielle Situation einiger jüdischer Händler, deren Ansehen sowohl innerhalb der Judenschaft als auch gegenüber der christlichen Umwelt wuchs, sie zu potenziellen Verhandlungs- bzw. politischen Anführern der Juden. Diese ‚finanzkräftigen‘ Juden waren allerdings meist nur lokal bzw. regional in Vertretungsaufgaben eingebunden.² Ihr Engagement verstärkte daher eher die Tendenz der regionalen Repräsentation. Die Veränderungen in der Situation der jüdischen Reichsorganisation waren nicht nur durch den Tod Josels verursacht, denn fast zeitgleich neigte sich auch
Aufgrund der Tatsache, dass Josel von Rosheim der erste Befehlshaber ‚auf Lebenszeit‘ war, kann man hier eigentlich nicht von einem geregelten, sondern eher von einem provisorischen Amt sprechen, das Josel innerhalb und im Dienst der jüdischen Reichsorganisation einnahm und erfüllte. Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang stellt Simon von Günzburg dar, der wegen seines Engagements zugunsten der Judenschaft Burgaus ein außergewöhnlich hohes Ansehen hatte, während er auf Reichsebene nur in eigener Sache in Erscheinung trat. Über Simon von Günzburg siehe Rohrbacher: Ungleiche Partnerschaft und die edierten Quellen zum Streit Simons mit Nathan Schotten von Oberhausen in: Eric Zimmer: Aus der Geschichte des deutschen Rabbinats in Deutschland im 16. Jahrhundert. Der Streit zwischen den Frankfurter und den schwäbischen Rabbinern (1564– 1565) (hebr.), Jerusalem 1984, v. a. Dokument Nr. 8: Antwortbrief der schwäbischen Rabbiner an die Rabbiner Frankfurts vom 14. April 1564, S. 20 – 27, hier bes. S. 25. https://doi.org/10.1515/9783110723533-011
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das Zeitalter Karls V. seinem Ende zu. Der Kaiser dankte zwar erst 1556 offiziell ab, zog sich aber schon vor der Eröffnung des Augsburger Reichstags von 1555 weitgehend aus der Reichspolitik zurück und übertrug seinem Bruder Ferdinand wichtige Prärogativaufgaben.³ Man kann jedoch annehmen, dass die Machtübernahme durch Ferdinand I. für die Juden wenig problematisch war, weil sie bereits gute Beziehungen zu diesem Monarchen während seiner langen Regentschaft als römisch-deutscher König aufbauen konnten.⁴ Die jahrelange Erfahrung der Juden in politischen Verhandlungen mit diesem ‚Nachfolgekaiser‘ versprach daher einen möglichst reibungslosen politischen Übergang; es bestand hingegen wenig Klarheit darüber, wie sich die politische Kommunikation der Juden mit späteren Kaisern des 16. Jahrhunderts gestalten würde. Weit einflussreicher als dieser Aspekt scheint die fortschreitende Territorialisierung gewesen zu sein, die durch den ‚Augsburger Religionsfrieden‘⁵ einen weiteren Schub erhielt. Die darin implizierte Anerkennung der landesherrlichen Entscheidungsmacht über religiöse Angelegenheiten eines Territoriums⁶ bedeutete letztendlich ein weiteres Erstarken des Territorialprinzips im Herrschaftssystem des Reichs. Auch wenn damit lediglich eine Bestätigung der seit Jahrzehnten bestehenden politischen Wirklichkeit erfolgte, dürfte die zunehmende Konsolidierung territorialer Rechts- und Herrschaftsstrukturen der politischen Führung der Juden kaum entgangen sein. Sie erkannte diese Situation schließlich bereits 1551, als sie von der kaiserfixierten Ausrichtung ihrer Politik abrücken und ihre Vorgehensweisen vermehrt auf die territoriale Ebene verlagern musste. Neben der Territorialisierung muss auch das Aufkommen des Merkantilismus erwähnt werden, der laut Jonathan Israel die europäische Politik gegenüber Juden Der Kaiser war bereits durch den Fürstenaufstand massiv geschwächt. Seit Ende 1552 blieb er auch außerhalb der deutschen Territorien des Reichs, zuerst in Nordfrankreich und Luxemburg, dann aber für knapp drei Jahre in Brüssel. Vgl. Kohler: Karl V., S. 341– 355. Über die Aufenthaltsorte des Kaisers in diesen Jahren siehe Gross: Die Reichsregisterbücher, S. 149 – 164. Siehe Kapitel 4.2.2, 4.2.3, 5.1, 5.2.1, 5.2.2, 6.3 und 6.4. Eigentlich handelt es sich nicht um einen Vertrag im herkömmlichen Sinne. Der Text wurde im Abschnitt des Reichsabschieds über den Landfrieden behandelt und hatte somit den Charakter eines Reichsrechts. Die bekannte Formel cuius regio, eius religio, die erst durch den Greifswalder Juristen Joachim Stephani im frühen 17. Jahrhundert formuliert wurde, ist im Originaltext des Reichsabschieds von 1555 nicht enthalten. Dieses sogenannte ius reformandi kann bestenfalls als eine implizite Konsequenz durch die im Rechtstext stillschweigend vorhandene Anerkennung des de facto bestehenden status quo bzw. der bis dahin sowieso praktizierten Religionspolitik der Fürsten angesehen werden. Vgl. Abschiedt Der Römischen Königlichen Maiestat, vnd gemeiner Stendt, auff dem Reichßtag zu Augspurg, Anno Domini M.D.L.V. auffgericht, Meyntz, 1555 [VD 16 R 801]. Tatsächlich bestand die ‚Radikalität‘ des Augsburger Religionsfriedens lediglich in der Ausweitung des Geltungsbereichs des „Ewigen Landfriedens“ auf die lutherische Konfession.
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ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst hat. Demnach führte die merkantilistische Politik, die er als die „deliberate pursuit of the economic interest of the state, irrespective of the claims of existing law, privilege, and traditions, as well as of religion“⁷ definiert hat, dazu, dass Judenvertreibungen eingestellt wurden und darüber hinaus neue Niederlassungen von Juden nicht nur zugelassen wurden, sondern auch von manchen Obrigkeiten erwünscht waren.⁸ Es deutet sich also erneut an, dass die Konsolidierung des jüdischen Lebens, die auch von anderen Autoren konstatiert wurde⁹, eng mit der territorialen Gebundenheit und der wirtschaftlichen Stabilisierung zusammenhing. Interessanterweise fällt die Zeit dieser neuen merkantilistisch beeinflussten ‚Judenpolitik‘ in eine Phase zunehmender Konfessionalisierung – nämlich nach der Verabschiedung des Tridentinums und um die Zeit der Entstehung der Konkordienformel –, in der die Schaffung von konfessionell homogenen ‚Staaten’ angestrebt wurde.¹⁰ J. Israel erachtet allerdings die Konfessionalisierung nicht als einen wesentlichen Faktor, denn für ihn bestand ab den 1570er Jahren in Europa „[a] religious deadlock […] practically everywhere north of the Alps and Pyrenees“.¹¹ Eine derartige Feststellung überrascht angesichts der bereits herausgearbeiteten wachsenden Bedeutung konfessioneller Streitigkeiten und konfessionalisierter Politik für die Lebenssituation der Juden in der Zeit davor.¹² Allerdings ist das Bild, das J. Israel von der veränderten Judenpolitik zeichnet, nur auf der Makro-, nämlich auf der gesamteuropäischen Ebene zu beobachten. Eine nähere Betrachtung der Situation der Juden in bestimmten Regionen lässt ein weitaus komplexeres Verständnis der Lage entstehen. So kann Rotraud Ries nachweisen, dass Judenaufnahmen und Wiederbesiedlungen in Nordwestdeutschland bereits im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts keine Seltenheit waren¹³ – eine Phase, die J. Israel noch als Teil des „Exodus from the West“ beschreibt. Zudem kann sie für die
Israel: European Jewry, S. 2 f. J. Israel bezeichnet die Phase zwischen 1570 und 1600 als „turning-point“ und meint darüber hinaus, dass sie „the real beginning of modern Jewish history“ markiert. Vgl. ebd. S. 35 passim. Vgl. z. B. Litt: Geschichte, S. 17 und Rohrbacher: Stadt und Land, S. 53, der diese Konsolidierung explizit mit der Territorialisierung und der Verländlichung jüdischer Siedlungsstruktur im Zusammenhang sieht. Vgl. hierzu Schilling: Konfessionalisierung. Israel: European Jewry, S. 37. Eine ähnliche Bemerkung macht auch Laux: Gravamen und Geleit, S. 91, der jedoch J. Israels Thesen „[u]ngeachtet aller retardierenden und vielfach auch gegenläufigen Momente“ folgt. Ebd. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Israels führt Ruderman: Early Modern Jewry, S. 207– 214. Vgl. Ries: Judenvertreibungen, S. 193.
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Zeit nach dem von J. Israel konstatierten „Wendepunkt“ einige Vertreibungen aus der Region aufzeigen.¹⁴ Schließlich verweist sie in einer anderen Darstellung auf den Konnex zwischen der konfessionalisierten Politik und den Vertreibungen in dieser Region.¹⁵ Die Frage, ob die Konfessionalisierung oder der Merkantilismus der Hauptfaktor war, der die ‚Judenpolitik‘ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bestimmte, bedarf weiterer Untersuchungen. Es bleibt lediglich festzuhalten, dass die Thesen J. Israels um konfessionalisierende Gesichtspunkte und die Konfessionalisierungsthese v. a. im Hinblick auf Minderheitenpolitik um den wirtschaftlichen Aspekt modifiziert, erweitert und überprüft werden müssen. Angesichts der vielen politischen Veränderungen im Reich sowie der Entwicklungen in der Siedlungsstruktur und der rechtlichen wie wirtschaftlichen Stabilität der Judenschaft stellt sich aus der Perspektive der sozio-kulturellen Evolution die Frage nach den Strukturveränderungen der politischen Organisation der Juden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Weder ein spurloses Verschwinden der Reichsorganisation noch eine vollständige Ersetzung der entwickelten Strukturen und genauso wenig ein unverändertes Bestehen können unter den neuen, hier skizzierten Bedingungen angenommen werden.Vielmehr ist entweder mit Anpassungen der Organisationsstruktur oder mit der Etablierung von parallelen Strukturen, die an die Stelle der bestehenden treten würden, zu rechnen. Im Folgenden sollen daher die Tendenzen der Organisation der jüdischen Politik im Reich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts analysiert werden. Es handelt sich dabei um Entwicklungen, die einerseits auf die Fortführung der bestehenden Strukturen – mit einer Anpassung an die neuen politischen Rahmenbedingungen – und andererseits auf die Verlagerung von Kompetenzen, die Etablierung von parallelen Strukturen und letztendlich die allmähliche Auflösung der Organisation hindeuten. Die Untersuchung dieser verschiedenen Entwicklungen soll als Ausblick auf die Zukunft der jüdischen Politik im Reich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts dienen.
Vgl. ebd. zu Dortmund (1596), Grubenhagen (1570), Calenberg (1547) und Wolfenbüttel (1591) S. 194, zu Einbeck (1581/82), Hildesheim (1595) und Hannover (1598) S. 195 und zu Münster (1590) S. 206. Sie kommt dabei sogar zur Einsicht, dass man „diese Vertreibungen zu Ende des 16. Jahrhunderts als schweren Einschnitt in der Siedlungsgeschichte der niedersächsischen Juden werten“ müsse. Ebd. S. 195. Beispielsweise stellt für diese Phase auch Kaplan: Beyond Expulsion, S. 98 f. eine Ausweisungs- und Einschränkungstendenz in der Judenpolitik der Stadt Straßburg fest. Vgl. Ries: Zur Bedeutung, S. 401– 417, wobei sie die Rolle der Geistlichen und Landstände im Prozess, der zur Vertreibung führte, in den Vordergrund stellt.
8.1 Tendenzen der Fortführung
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8.1 Tendenzen der Fortführung Es gibt viele Elemente, anhand derer die Bestrebungen der Juden zur Fortführung ihrer Reichsorganisation erkennbar werden. Den ersten Hinweis darauf geben Aktionen, mit denen die Juden auf die Beibehaltung ihrer kollektiven Rechte im Reich abzielten. Dies belegen z. B. ihre regelmäßigen Ersuchen um Privilegienerneuerungen: Einerseits reflektiert sich darin – neben der Suche nach Sicherheit – der Wunsch, Anerkennung als eine rechtlich kohärente Korporation im Gefüge des Reichs zu erfahren; andererseits bedurfte der Vorgang der Erneuerung ihrer Rechte einer gewissen Koordination zwischen den verschiedenen jüdischen Gemeinden. Obzwar dies vermutlich ein Minimum an Zusammenarbeit erforderte, wirft es Licht auf die Selbstwahrnehmung der Juden als ein Kollektiv. Auf eine derartige Koordinierung verweist nicht allein die Erwähnung, dass die Gesuche im Namen Gemaine[r] Jüdischait im heilligen Reich Teutscher Nation wonhafft vorgebracht wurden, sondern auch, dass ihr verordneter Beuelchhaber sie überreichte.¹⁶ Da die Juden zudem nachweislich für den Vorgang der Bestätigung, Ausfertigung und Beglaubigung von Rechten ‚Gebühren‘ an die kaiserliche Kanzlei entrichten mussten¹⁷, steigert dies die Wahrscheinlichkeit von vorausgegangenen Absprachen zwischen den jüdischen Gemeinden. Zwar waren es in der Regel keine großen Summen, aber zusammengenommen mit der Verpflegung und etwaigen sonstigen Kosten der jüdischen Gesandten sowie möglichen zusätzlichen Schenkungen an den Kaiser konnte ein beträchtlicher Gesamtbetrag entstehen, den vermutlich keine einzelne Person oder Gemeinde alleine hätte bezahlen wollen. In manchen Fällen verrät der Ablauf der Privilegienerneuerung Details über die politischen Vorgehensweisen der jüdischen Organisation. Als die Juden Ferdinand I. 1557 um die Bestätigung bzw. Erneuerung des Generalprivilegs vom 3. April 1544 (Carolinum) ersuchten, geschah dies noch vor dem offiziellen
General Mandat, Gemaine Jüdischhait bei irn Freyhaiten bleiben zelassen vom 4. März 1557, in: HHStAW, RK, RRegB unter Ferdinand I, Bd. 6, Bll. 252vf. und in der Erneuerung vom 29. Mai 1558, Bl. 330vf. So ist beispielsweise für das Jahr 1558 überliefert, dass die Judenschaft im Reich für die Confirmation uber Ire habennde Privilegien […] 50 Gulden, Jeden per 18 batzen zuraiten taxiert worden [ist], thuet 60 Gulden. Ebd., Reichstaxbücher, Nr. 5 (1558), Bl. 11r. Auch für die Erneuerung oder umbfertigung Ihres khurtz hievor erlangten Mandat schutz unnd Schirmbriefs mussten die Juden etwas zahlen. Dieser Verwaltungsakt kostete sie lediglich ein Tax 6 Gulden jeden per 18 batzen zuraiten thuet 7 Gulden 12 Kreuzer. Ebd. Ich danke Herrn Dr. Tobias Schenck von der Göttinger Akademie der Wissenschaften ganz herzlich für die Ermittlung und Weitergabe dieser Informationen.
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Herrscherwechsel.¹⁸ Kurze Zeit nach Ferdinands Kaiserwahl wiederholten sie den Vorgang und ließen ihn dasselbe Generalmandat als nunmer erwllter Römischer Kaiser […] von Newem erneuern.¹⁹ Zwei Tage später ließen sie auch ihre anderen Privilegien erneuern und bestätigen.²⁰ Diese Vorgänge zeigen, dass die Juden sehr rasch Kontakte mit dem neuen kaiserlichen Hof knüpften bzw. die bestehenden Kontakte zum Hof Ferdinands pflegen, enger gestalten und nutzen wollten. Trotz dieser wiederholten Erneuerung baten die Juden Kaiser Ferdinand I. am 19. Januar 1562 um eine dritte Bestätigung des Carolinums.²¹ Dieses (erfolgreiche) Erneuerungsgesuch überrascht zunächst, weil es scheinbar keinen unmittelbaren Grund dafür gab. Allerdings kann eine jüdische Supplikation, die elf Tage später dem Reichshofrat überreicht wurde, eine Erklärung für diese Aktion liefern. Darin beschwerten sich die Vertreter der Reichsjuden darüber, dass etliche obrikaiten auf dem Jungst gehalten Reichstag ²² Rechte vom Kaiser erlangt hätten, welche die Handels- und Geldleihrechte der Juden verletzen würden.Vor diesem Hintergrund lässt sich vermuten, dass die kurz zuvor veranlasste Erneuerung des Carolinums eine taktische Handlung der Juden darstellte, denn der Kaiser konnte die Rechte, die er gerade erst selbst bestätigt hatte²³, nicht ignorieren. Als Lösungsansatz für den nun entstandenen Streit schlugen die Juden eine Regelung vor, die Ferdinand selbst 1535 für die Markgrafschaft Burgau verabschiedet hatte.²⁴ Danach sollten die neuen Einschränkungen nur künftige und sonst keine bisherigen Geschäfte betreffen.²⁵
Vgl. das General Mandat, Gemaine Jüdischhait bei irn Freyhaiten bleiben zelassen vom 4. März 1557, in: HHStAW, RRegB unter Ferdinand I., Bd. 6, Bl.252v–253v. Gemainer Judischait im heilligen Reich Teutscher Nation, Ernewrung der vorigen Mandat vom 29. Mai 1558, in: ebd. Bll. 330v–331v, hier Bll. 330vf. Vgl. auch ebd. Conf. Priv. 95, Bll. 15 – 16, sowie Bll. 17– 22, wo sich auch eine Kopie des Speyerer Judenprivilegs von 1544 befindet. Der Judischait im Reich confirmation vber ire Freyhaiten vom 31. Mai 1558, in: ebd. Bll. 331v–332r. Vgl. die Supplikation der Juden an den Kaiser vom 19. Januar 1562 und die am gleichen Tag erfolgte Bestätigung in: HHStAW, Conf. Priv. 95, Bll. 3r–9v (mit einer Kopie in ebd. Bll. 46 – 47). Auch in diesem Dokument ist eine Kopie des Speyerer Mandats enthalten. Ebd. Bll. 4– 9. Vermutlich handelte es sich um den Reichstag von Augsburg von 1559. Die Supplikation der erwähnten Obrigkeiten und die Gewährung ihrer Bitten konnten jedoch in der Edition der Akten zu diesem Reichstag nicht gefunden werden. Vgl. Josef Leeb (Bearb.): Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559, in: Deutsche Reichtagsakten. Reichsversammlungen 1556 – 1662, Teilbände 1– 3, Göttingen 1999. Supplikation der Juden an den Kaiser vom 19. Januar 1562, in: HHStAW, Conf. Priv. 95, Bll. 3r–9v. Ebd. Bl. 39v. Die Juden brachten das entsprechende Dokument vom 4. Februar 1535 mit. Vgl. Ebd. Bl. 35. Die Supplikation verwendet die Formulierung, dass die Bestimmungen nit auff verfallenn fel, sunder auff khunfftige verstanden werden sollten. Ebd. Bl. 39r.
8.1 Tendenzen der Fortführung
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Abgesehen von der Frage nach dem Erfolg dieser Vorgehensweise lässt sich hier eindeutig eine Kontinuität in den Formen der Repräsentation und den Verhandlungsstrategien der Juden erkennen. Die jüdische Vertretung, die im Namen der Gesamtjudenschaft im Reich supplizierte, nutzte neu erworbene oder erneuerte Rechte, um eine Nähe zum Kaiser zu erzeugen und dadurch eine verbesserte Verhandlungsposition bei einer politischen Aktion gegen rechtliche Einschränkungen zu erlangen. Die reichsjudenschaftliche Zusammenarbeit erfolgte auch bei späteren Vorgängen von Privilegserneuerungen durch die Nachfolgekaiser Maximilian II.²⁶ und Rudolph II.²⁷ Auf diese Weise erreichten die Juden die Sicherung und Zementierung von Freiheiten, Schutz und Rechten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts und darüber hinaus. Die Kontinuität der Reichsorganisation der Juden erschöpfte sich nicht in der Erneuerung ihrer Freiheiten und Rechte oder der Entsendung von Gesandten im Namen der ‚gemeinen Jüdischheit‘. Sie äußerte sich auch in der Wiederbelebung von ‚Institutionen‘ und ‚Ämtern‘, die auch in früheren Jahren wichtig waren. So kam es Ende Mai 1559 zu einem Gesuch der Reichsjuden bei Kaiser Ferdinand I. um die Einsetzung von Jakob von Worms²⁸ zum Reichsrabbiner. Es scheint, dass die kaiserliche Kanzlei keine Kenntnisse über die Rolle und die Aufgabenbereiche des Reichsrabbiners hatte. Aus diesem Grund bat sie die jüdischen Gesandten um Vorlage entsprechender Urkunden.²⁹ Die jüdischen Vertreter mussten darauf eine beglaubigte Kopie der Ernennungsurkunde des Reichsrabbiners Samuel vom Dezember 1520 vorlegen, die als Vorlage für die Einsetzungsurkunde Jacobs von Worms von 1559 diente.³⁰ Im Gegensatz zu seinem Bruder übertrug Ferdinand I. Jüdische Bitte um die Erneuerung ihrer alte[n] khaiserliche[n] vnd khonigliche[n] freyhaiten vom 8. März 1566, in: ebd. Bll. 48 – 49. Lediglich zwei Monate nach dieser Erneuerung beklagten die Juden die Verletzung ihrer Rechte, worauf sie ein Generalmandat ersuchten, das allen Reichsmitgliedern diese Rechte verkündigte. Vgl. die Supplikation der Juden an Maximilian II. vom 17. Mai 1566 und die darin enthaltene Kanzleinotiz über die Ausstellung des Generalmandats, in: ebd. Judicialia, APA, K. 86, Konv. 1, Bl. 12. Vgl. die jüdische Supplikation an Rudolph II. vom 7. Juni 1577, in: ebd. Conf. Priv. 95, Bll. 119 – 120 (falsche Blattnummerierung des Archivs). Offensichtlich lehnte man am Hof Rudolphs II. das Gesuch ab, da der Artikel über die den Juden erlaubten fünf Prozent Zinsen als eine inakzeptable Neuerung empfunden wurde. Die Juden mussten durch eine zweite Supplikation vom 15. Juni 1577 diesem Verdacht entgegentreten (vgl. ebd. Bll. 121 ff.) und konnten darauf die Bestätigung und Erneuerung all ihrer Privilegien erwirken. Vgl. HStAM 86 Hanauer Nachträge Nr. α611. Über diese Person siehe v. a. Moritz Stern: Der Wormser Reichsrabbiner Jakob, in: Ders.: Die Wormser Reichsrabbiner Samuel und Jakob 1521– 1574, hier S. 15 – 27. Vgl. die Kanzleinotiz auf die Supplikation vom 30. Mai 1559, in: HHStAW, RHR, Conf. Priv. 95, Bl. 14. Beide Dokumente sind fast identisch. Die beglaubigte Kopie der Einsetzungsurkunde Samuels befindet sich ebd. Reichskanzlei, kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 12– 13. Die gleichlautende
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dem neuen Reichsrabbiner nicht die Aufgabe der Steuereintreibung. Dies liegt wohl an der Unkenntnis seiner Kanzlei über dieses Amt und dessen fiskalischen Nutzen für frühere Kaiser. Die Juden erwähnten diese Funktion des Reichsrabbiners offensichtlich nicht und, da die Bitte um die Wiederbelebung des Amtes nicht im Rahmen der Krönung des neuen Kaisers oder der Erhebung des Opferpfennigs, sondern etwa ein Jahr später erfolgte, wurde sie mit der Steuereintreibungsfunktion nicht in Verbindung gebracht. Ein konkreter Anlass für die jüdische Aktion kann nicht ermittelt werden. Zwar gaben die Juden als Grund für ihr Gesuch an, dass dardurch [..] vil wider willen zwischen vnns Juden vnd auch gegen Christen verhi[nde]rt vnd abgelegt werden sollte.³¹ Diese allgemeine Formulierung erinnert aber eher an die Sprache der früheren Einsetzungsurkunden, als dass sie einen konkreten Anlass benennt. Wahrscheinlich standen die Personen, die seit 1543 an der Stelle des Reichsrabbiners seine Aufgaben erfüllten, nicht mehr zur Verfügung – Josel von Rosheim starb bekanntlich 1554 und die drei Richter waren entweder in hohem Alter oder ebenfalls verstorben. Somit kann angenommen werden, dass die Juden einen neuen Funktionsträger mit kaiserlicher Vollmacht als Bindeglied zwischen dem Reich und der Judenschaft instituieren wollten. Die Einsetzung des Reichsrabbiners bedeutete nicht nur die Anerkennung und Bestätigung der Autorität einer bestimmten jüdischen Person, sondern auch die Anerkennung der jüdischen Gerichtsbarkeit mit dem speziellen jüdischen Religionsrecht. Somit konnte erreicht werden, dass die innerjüdischen Regelungen, ihre religiösen Normen und schließlich ihre Autonomie eine reichsrechtliche Bestätigung erlangten, denn sowohl die Urkunde für Samuel als auch die für Jakob benannten das Jüdische[..] Gesätz unnd Ordnung explizit als Quellen für die Autorität des Reichsrabbiners.³² Neben den Bemühungen um die Einsetzung eines neuen Reichsrabbiners gab es auch Versuche, die Vakanz im ‚Amt‘ des Befehlshabers zu beenden. Während die ersten gesamtjüdischen Gesuche in den ersten Jahren unter Ferdinand I. ‚anonym‘ im Namen der ‚gemeinen Judenschaft‘ eingereicht wurden, tauchen seit den frühen 1560er Jahren mehrere jüdische Vertreter als Gesandte und Vorsprecher aller Juden im Reich auf. Der bekannteste unter ihnen ist Cosman zum Rade,
Urkunde für Jakob von Worms vom 26. Juni 1559 ist bei M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 15 f. gedruckt. Jüdisches Gesuch um die Einsetzung Jakobs von Worms als Reichsrabbiner vom 30. Mai 1559, in: HHStAW, RHR, Conf. Priv. 95, Bll. 13 – 14, hier Bl. 13. Vgl. M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 16 und Reichskanzlei, kleinere Reichsstände, K. 539, Bll. 12r und 12v.
8.1 Tendenzen der Fortführung
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ein jüdischer Einwohner der Stadt Worms.³³ Cosman erhielt sowohl von Kaiser Ferdinand I. als auch von seinem Sohn Kaiser Maximilian II. einen umfassenden Geleitbrief mit der Begründung, dass er doch als von gemainer Judischait wegen hin vnd wider allerlay im Lande zuraisen vnd sachen zuuerrichten hette. ³⁴ In seiner 1565 vorgelegten Bitte um Erneuerung des Geleitbriefs gab Cosman an, dass er immer noch im Auftrag der Reichsjudenschaft reisen müsse, weil die sachen bisherr noch nit alle erörttert worden seien.³⁵ Es ist bisher noch nicht geklärt, welche Vertretungsaufgaben Cosman zum Rade tatsächlich erfüllte.³⁶ Da es nicht wahrscheinlich ist, dass zwei Kaiser ihn als Vertreter aller Juden im Reich im Geleitbrief bezeichneten, ohne dass er eine Vollmacht vorweisen konnte, muss Cosman über eine gesamtjudenschaftliche Vollmacht und Beauftragung verfügt haben. Eine mögliche Antwort auf die Frage nach Cosmans Tätigkeit liefern Quellen, die ein etwas anderes Licht auf die Struktur der politischen Organisation der Juden in den 1560er Jahren werfen. Im Jahr 1564 wurden dem Kaiser zwei Dokumente im Namen aller Juden im Reich übergeben. Allerdings betraf die Angelegenheit nicht die gesamte Reichsjudenschaft, sondern ausschließlich die jüdische Gemeinde in Worms.³⁷ Eine derartige Repräsentation ist für den behandelten Zeitraum untypisch gewesen. In der Regel supplizierten die einzelnen Judenschaften in der eigenen Sache oder engagierten Vertreter der gemeinen Reichsjudenschaft als Schtadlanim (=Fürsprecher), die in ihrem Auftrag Gesuche einreichten.³⁸ Die Wormser Juden, die in den 1560er Jahren
Über ihn siehe Daniel J. Cohen: Cosman zum Rade. Emissary of the Ashkenazi Jews in the 1660ies. New Documents for the History of the Organization of the Jews in the Holy Roman Empire After the Death of Josel von Rosheim (hebr.), in: Zion 35 (1970), S. 117– 126. Geleitbrief Ferdinand I. an Cosman zum Rade vom 26. August 1560 und die Erneuerung des Briefes durch Maximilian II. vom 5. Juli 1565, in: HHStAW, RHR, Geleitbriefe K. 4, Bll. 107– 112, worin auch die Supplikationen Cosmans zu finden sind. Siehe außerdem die Transkription bei Cohen: Cosman, S. 121– 126. Das Zitat stammt aus dem Entwurf für den Geleitbrief vom 26. August 1560, in: HHStAW, RHR, Geleitbriefe K. 4, Bl. 107r. Ebd. Bl. 110r. Damit wurde die Erwartung Daniel Cohens enttäuscht, dass Dokumente über Cosmans Mission noch entdeckt würden. Cohen: Cosman, S. 120. Vgl. Der gesanndten der Jüdischen gemain Theutscher nation aller vnderthanigist vnd diemüetigist anrueffen vom 6. September 1564 und der gesandte der Judenschafft Teutscher nation von wegen der Juden zu Wormbs vnderthanige Supplication vom 29. Juni 1564, in: HHStAW, RHR, Judicialia, APA, K. 86, Konv. 1, Bll. 6 – 10. Bekannt sind mehrere Supplikationen, die Josel von Rosheim im Namen einzelner Judenschaften einreichte. Vgl. z. B. die Suppliktion Josel[s] Jud von Rosheim von wegen der armen Jüdischeit, so noch wonen in obgedachten Marckt Gochscheim vom 17. Januar 1548 (HHStAW, RHR, Jud. Misc. J 1, K. 41/1, Bll. 51r–53r) und seine Intervention zugunsten der Juden in Esslingen vom 21. Mai 1544 (ebd. J 3, K. 43, Konv. 2, Bll. 8r–9v).
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bemüht waren, einen Plan ihrer Vertreibung aus der Stadt zu vereiteln³⁹, erweckten mit diesem Supplikationsvorgang zumindest den Eindruck, ihre Anliegen wären zugleich Angelegenheit aller Juden im Reich gewesen. Es erscheint nur logisch, dass die Vertretungsmission, die Cosman zum Rade, ein Einwohner Worms, ausführte, Teil der Anstrengungen gegen diese Gefahr war. Unabhängig vom tatsächlichen Wirken Cosmans zum Rade geht aus den hier erwähnten Dokumenten eindeutig hervor, dass er über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren in seinem Status als Vertreter der Reichsjudenschaft anerkannt wurde. Zudem erstreckte sich der kaiserliche Schutz von 1565 auch auf seinen Sohn Haym oder andern seiner verwanden[, die] seinen Bevelch haben. Daraus ergibt sich, dass den Juden im Reich eine politische Reichsvertretung zuerkannt und deren Agenten ein besonderer Schutz⁴⁰ gewährt wurde. Die Erneuerung des Geleitbriefs Cosmans zum Rade ist die letzte überlieferte Dokumentation seines Wirkens. Bereits ein Jahr später, im Mai 1566, ließ sich die Wormser Judenschaft durch Johel Jud von Wormbß gemainer Jüdischait daselbst gesanndter ⁴¹ vor dem Reichshofrat vertreten. Ob Cosman zum Rade zu dieser Zeit noch lebte, ist ungewiss. Bekannt ist stattdessen, dass die drei Monate zuvor erfolgten Erneuerung und Bestätigung des Carolinums von 1544 durch Maximilian II. von anderen Vertretern der Gesamtjudenschaft veranlasst wurde, die keine Anwohner Worms’ waren. In der Forschung wurden diese Vertreter, die auf dem Augsburger Reichstag von 1566 zuerst erschienen, als Abraham von Fürth und Jacob von Roth identifiziert.⁴²
Siehe darüber die Quellen in: HHStAW, RHR, Judicialia APA, K 86, Konv. 1, Bll. 6 – 10 und die umfangreiche Akte in ebd. Conf. Priv. K. 99, Konv. 1. Einige dieser Dokumente hat Gerson Wolf: Zur Geschichte der Juden in Worms und des deutschen Städtewesens – Nach archivalischen Urkunden des k.k. Ministeriums des Aeusseren in Wien, Breslau 1862 gedruckt, allerdings ohne Angabe der Archivsignatur. Siehe außerdem den Aufsatz von Ursula Reutter: Zwischen Reichsstadt, Bischof, Kurpfalz und Kaiser. Zur Geschichte der Wormser Juden und ihrer Schutzherren im 16. und 17. Jahrhundert, in: Ehrenpreis/Gotzmann/Wendehorst (Hrsg.): Kaiser und Reich, S. 119 – 146. Cosman erhielt v. a. das Recht, dass Klagen gegen ihn nur vor kaiserlichen oder unparteiischen Gerichten vorgebracht werden konnten. Vgl. HHStAW, RHR, Geleitbriefe K. 4, Bl. 107r. Supplikation der Gemaine[n] Judischeit zu wormbß vom 8. Mai 1566, in: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 98, Konv. 2, Bl. 5. Zuerst bei Max Freudenthal: Zur Geschichte des Judenprivilegs Kaiser Maximilians II. auf dem Reichstag zu Augsburg 1566, in: ZGJD (1932), Nr. 2, S. 83 – 100, hier S. 85. Danach auch bei Bernhard Brilling: Die Prager jüdische Gemeinde als Fürsprecherin und Vertreterin des deutschen Judentums im 16. und 17. Jahrhundert, in: Theokratika. Jahrbuch des Institutum Judaicum Delitzschianum III, 1973 – 1975, Festgabe für Harald Koch zum 70. Geburtstag, Leiden 1979, S. 185 – 198, hier S. 187 und Stefan Litt: Joachim Ferber von Nordhausen. Gesandter der deutschen Juden am kaiserlichen Hof?, in: Aschkenas 9,1 (1999), S. 145 – 189, hier S. 146. Allerdings
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Parallel zu diesen jüdischen Repräsentanten und zu Cosman zum Rade soll es noch einen weiteren Gesandten der Reichsjudenschaft gegeben haben. Der Reichsrabbiner Jakob von Worms erwähnte ihn in einem Brief vom April 1564⁴³, in dem er den reichen jüdischen Händler Simon von Günzburg beschuldigte, dass er den warhafftigen unnd beglaubten Gesanndten, der viell Jahre gemainer Juddischeit Gesanndter ist gewest und ihre Sachen uffrichtig unnd woll verricht, [angegriffen und beschädigt hätte, sowie (A.S.)] ihn gefennglich gefuhrt schwerlich, wie man führet, so umb daz Leben gefanngen sein, von einer Stadt unnd Flecken inn die annder, wie mann die Ubelthädter fuhret.⁴⁴
Der hier genannte Gesandte der gemeinen Judenheit wird später im Brief als Abraham Landau identifiziert, ein weiterer Anwohner Worms’.⁴⁵ Damit sind aber noch nicht alle jüdischen Legaten der Zeit genannt. In der gleichen Angelegenheit beschrieb der schwäbische Rabbiner Isaak Segal denselben Simon von Günzburg auch als einen wichtigen Schtadlan. Er schrieb über ihn: Höret, die Älteren Israels und verstehet […] Denn auch Ihr habt ihm [Simon (A.S.)] etliche Fürsprache-Aufträge anvertraut, im ganzen Aschkenas, und zwar mehrere Male, dass er sich in seiner Kriegsausrüstung vor unsere Feinde stellte, um uns von ihnen zu retten, und insbesondere Ihr, die Köpfe Israels, auch der Weise, der Rabbi Jakob von Worms, der ihn mehrmals [um Hilfe (A.S.)] bat […]. Ein Mann wie er, der vom Tag an, als er zu einem erwachsenen Mann geworden ist, immer einer unserer Anführer war […] und in seinem Eifer
muss angemerkt werden, dass die Belege für diese Identifizierung unzureichend sind. Freudenthal kommt zu dieser Feststellung, weil diese zwei Juden etwa einen Monat nach der Erneuerung des Privilegs ein duplicat gemeiner jüdenschaft freyheiten conformationes mit höchstgedachter kay. may. großen anhangenden insigell in henden hatten und einen Notar in Augsburg beauftragten, ihnen davon transumpt und vidimus zu machen. Zit. nach Freudenthal: Zur Geschichte, S. 99. Aus Freudenthals eigenen Ausführungen entsteht zugleich das Bild, dass die zwei Juden stark in den Ansbacher und z. T. auch Pappenheimer Herrschaftsgebieten angebunden waren. Daher scheint die Annahme zulässig, dass sie lediglich Vertreter der Ansbacher Juden waren, die eine ‚notarielle‘ Kopie des Privilegs für die Bedürfnisse der Ansbacher Juden anfertigen ließen. Der Brief entstand im Zusammenhang des Streits Simons von Günzburg mit Nathan Schotten von Oberhausen. Siehe dazu Rohrbacher: Ungleiche Partnerschaft und Zimmer: Aus der Geschichte. Der Brief vom 29. April 1565 ist auf Deutsch gedruckt in: M. Stern: Der Wormser Reichsrabbiner, S. 21– 25. Mehr über diesen Streit siehe auch weiter unten 8.2. Ebd. S. 21 f. So M. Stern: Der Wormser Reichsrabbiner, S. 21, FN 24 und ihm folgend Eric Zimmer: Fiery Embers, S. 129 f. sowie Ders.: Jewish Synods, S. 74.
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uns führte […] und sich selbst und sein Vermögen für die Rettung unseres heiligen Volkes opferte […].⁴⁶
Da in den Quellen keinerlei Widerrede seitens der restlichen Rabbiner des Reichs in Bezug auf die Verdienste Simons zu finden ist, kann angenommen werden, dass auch Simon von Günzburg in der Zeit nach dem Tod Josels von Rosheim Vertretungsaufgaben im Namen der Reichsjudenschaft übernahm – vermutlich zeitgleich mit den anderen hier erwähnten Repräsentanten. Aus dieser Vielfalt an gesamtjüdischen Repräsentanten in den 1560er Jahren kann man eine Art Diffusion und parallele Strukturen der Vertretung der Juden im Reich konstatieren. Diese Situation änderte sich im darauffolgenden Jahrzehnt. Allerdings übernahmen nun Gesandte die Vertretung der Reichsjudenschaft nur für eine gewisse Zeit und meist nur für eine bestimmte Angelegenheit. So fand Stefan Litt Belege dafür, dass eine Person Namens Joachim Ferber von Nordhausen 1570 im Namen der Judenschafft in Germania Klage gegen die Herzöge Wolfgang und Philipp von Braunschweig-Grubenhagen vor den Kaiser brachte.⁴⁷ Dabei ging es allem Anschein nach um eine vorwiegend regionale Angelegenheit, nämlich um die Aufhebung eines Durchzugverbots für Juden, welches die Herzöge im genannten Territorium verordnet hatten. Nach dieser Affäre tauchte Joachim Ferber nicht wieder als Repräsentant der Reichsjudenheit in den Akten auf. Stattdessen trifft man 1577 auf zwei andere Personen, die im Namen der Reichsjuden an Kaiser Rudolph II. supplizierten und die Privilegien der Juden bestätigen und erneuern ließen. Dieses Mal handelte es sich um Mosche von Bischofsheim (bei Mainz) und Simon von Frankfurt⁴⁸, die in dieser Angelegenheit mindestens zweimal vor den Reichshofrat traten. Diese jüdischen Repräsentanten, die sich als jüdische gesandte gemeiner Judenschafft In Heiligen Reich Teutscher Nation ⁴⁹ bezeichneten, handelten im Gegensatz zu Joachim Ferber ohne Zweifel als Vertreter aller Juden im Reich. Es scheint aber, dass auch sie nur für diesen einmaligen
זקני ישראל והבינו … הלא גם אתם האמנתם אותו בכמה השתדלות בכל שטח אשכנז כמה וכמה,שמעו נא אתם גם, ראשי בית ישראל, ובפרט אתם, אשר עמד הנגיד תמיד בחרבו ובקשתו נגד שונאינו להציל אותנו בידם,'פעמי אשר מיום הולדתו לאיש תמיד היה אחד, אשר כמה וכמה פעמי' הפציר בו… איש כמוהו,הגאון מהרר"י ווירמיישא ראש ושר בינינו … ובכל מאמצ כחו הלך לפנינו … שמסר עצמו וגופו וממונו עבור עמינו הקדושה להצילם,… ממנהיגינו Brief des schwäbischen Rabbiners Isaak Segal an die Rabbiner in Frankfurt von 1564 (nähere Datierung ist nicht möglich), gedruckt in: Zimmer: Aus der Geschichte, S. 20 – 27, hier S. 25. Litt: Joachim Ferber, S. 146 f. Kursive Stelle zitiert nach HHStAW, Reichshofratsprotokoll Bd. XVI/3 Ic, Bl. 57r. Die beiden Personen sind soweit ersichtlich in der Forschung nicht bekannt. Eine Recherche in den Regesten des Instituts für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main hat keine eindeutigen Befunde über ihre Identität ergeben. Vgl. die beiden Supplikationen in: HHStAW, RHR, Conf. Priv., K. 95, Bll. 119 – 122.
8.1 Tendenzen der Fortführung
375
Auftrag bestellt wurden, denn es lassen sich keine weiteren Belege für Aktivitäten dieser Personen in gesamtjüdischem Auftrag finden.⁵⁰ Erst ab den 1590er Jahren bildete sich eine mehr oder weniger konstante Vertretung der Reichsjudenschaft am kaiserlichen Hof, die interessanterweise ausgerechnet durch die Prager Juden bzw. die Ältesten dieser Gemeinde gebildet wurde.⁵¹ Der Zeitraum, in dem die Prager Judenschaft regelmäßig im Namen von jüdischen Gemeinden im Reich supplizierte und sonstige Vertretungs- und Fürspracheaufgaben übernahm, erstreckte sich über mehr als 30 Jahre, bis in die 1620er Jahre hinein.⁵² Die Übernahme der Vertretungsrolle durch die Prager Gemeinde ist insofern bemerkenswert, als die zwei Judenschaften keine politische Einheit bildeten, obzwar enge Beziehungen und gegenseitige Hilfe belegt sind. Die Veränderungen in der politischen Situation und im Status der Prager Juden können diese neue Entwicklung erklären. Die Prager Gemeinde erlangte eine rechtliche Sicherheit vor Vertreibungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die nicht nur ihren Zuwachs, sondern auch eine wirtschaftliche Blüte ermöglichte.⁵³ Darüber hinaus genoss sie ein großes Ansehen aufgrund der dortigen rabbinischen Schule und der rabbinischen Gelehrten, unter denen ab 1588 der renommierte jüdische Philosoph und Mystiker Jehuda Löw ben Bezalel (bekannt als der MaHaRaL, ca. 1520 bis 1609) zu finden war. Weit wichtiger erscheint aber die Tatsache, dass Kaiser Rudolph II. die Stadt Prag in den langen Jahren seiner Regentschaft zu seiner Hauptresidenz machte. Dies avancierte den Status der dortigen Judenschaft von einer peripheren zu einer zentralen Gemeinde, die einen leichteren Zugang zum Reichshofrat hatte. Verließen sich die jüdischen Gemeinden in den deutschen Territorien des Reichs auf die Hilfe der Prager Gemeinde, mussten sie nicht mehr Gesandte auf die langen und oft gefährlichen Reisewege schicken. Mit der Inanspruchnahme der ‚Dienste‘ der Prager Juden scheinen die ‚deutschen‘ Juden Aufgaben ihrer Selbstrepräsentation ausgelagert zu haben;
Es gab offensichtlich weitere ähnliche punktuelle Vertretungen, die im Namen der Reichsjudenschaft geführt wurden. So gab es eine Vertretungsmission von Leo von Berghausen, Jacob von Grimstadt, Beyfuss von Dudelsheim und Beyfuss von Saarburg, die 1573 als gemeyner Judenschfft in hailigen Reich verordnete Sollicitatorn und Sachwaltere die Speyerer Juden vor dem Reichskammergericht gegen einen Vertreibungsplan vertraten. Ich danke Ulrich Hausmann ganz herzlich für diese Information. Siehe hierzu v. a. Brilling: Prager jüdische Gemeinde, S. 189. Laut Brilling: ebd. S. 195, starb 1623 Jacob Fröschel und somit „der letzte [Prager] Beauftragte der Judenschaft des Reichs“. Bemerkenswerterweise konnten dabei die Prager Juden Gebrauch von den allgemeinen Judenprivilegien und allen voran dem Carolinum von 1544 machen und diese offensichtlich auch auf sich selbst beziehen. Ebd. S. 189 – 191. Vgl. ebd. S. 185.
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allerdings zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass sich die Vertretungstätigkeit der Prager Judenschaft auf Vermittlungsaufgaben im Namen einzelner jüdischer Gemeinden beschränkte und nie im Namen der Gesamtjudenschaft erfolgte. Soweit ersichtlich beteiligten sich die böhmischen Juden in aller Regel auch nicht an den Organisationsbemühungen der deutschen Juden. Sie nahmen weder an ihren Versammlungen teil noch an der Verabschiedung von Statuten zur Regelung von innerjüdischen Normen oder jüdisch-christlichen Beziehungen. Tatsächlich markieren die Versammlungen der Oberen der Reichsjudenschaft eine weitere Tendenz zur Fortführung ihrer politischen Zusammenarbeit. Zwischen 1564 und 1603 fanden mindestens sechs solche Tagungen statt. Nicht immer erfährt man Näheres über die Umstände, Teilnehmer oder Beschlüsse dieser Tagungen. So erfährt man über die Abhaltung einer Rabbinertagung 1564, die sich über die Bedürfnisse der israelitischen Nation in Aschkenas beriet⁵⁴; weitere Informationen sind jedoch nicht bekannt. Im gleichen Zeitraum fand eine weitere jüdische Tagung statt. Auch hierzu sind nur wenige Details bekannt, nämlich dass die Versammelten versuchten, die Zäune unseres Volkes und der wenigen verbleibenden Städte, in denen Juden in deutschen Territorien noch wohnten, zu reparieren und allgemeine Statuten zu verabschieden. ⁵⁵ Bemerkenswert ist dabei die Information, dass ettliche Hochgelerte auß Polen unnd auß anndern Lannden darbe[i] gewesen waren und sich an den Beratungen beteiligten.⁵⁶ Allerdings beschränkte sich ihre Partizipation allem Anschein nach auf Entscheidungen, die einen bestimmten Streit zwischen zwei jüdischen Vertragspartnern betrafen.⁵⁷ Informationen über eine weitere jüdische Zusammenkunft sind im Zusammenhang mit der oben erwähnten Beauftragung Joachim Ferbers mit einer Gesandtschaftsmission zur Aufhebung eines Durchzugsverbots 1570 überliefert. Über diese Versammlung weiß man lediglich, dass 24 Juden aus mindestens zwei
בהקבץ עמי' וממלכות יחדיו מאן מלכי רבנן להתייעץ ולהתבונן בצרכי האומה הישראלית בשטח אשכנז. Gedruckt in: Eric Zimmer: Aus der Geschichte, Dokument Nr. 4, S. 11. Die Versammlung muss ungefähr im März 1564 stattgefunden haben. Vgl. dazu Zimmers ausführliche Einleitung zu den Umständen, unter denen dieses und andere Dokumente entstanden. Vgl. auch Ders.: Fiery Embers, S. 109 – 139 und Ders.: Jewish Synods, S. 72– 76 sowie Rohrbacher: Ungleiche Partnerschaft. Brief des Rabbi Eliezer Treves von Frankfurt an den schwäbischen Rabbiner Isaak Segal vom Frühling 1565, gedruckt in: Zimmer: Aus der Geschichte, Dok. Nr. 9 S. 27– 30, hier S. 27. Vgl. den Brief des Rabbiners Elieser Treves von Frankfurt an Simon von Günzburg vom 29. April 1565, gedruckt in: M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 186 – 190, hier S. 187. Es handelt sich hier um den prominenten Streit zwischen dem reichen jüdischen Geldleiher Simon von Günzburg und seinem ‚Geschäftspartner‘ Nathan Schotten von Obernhausen. Da eine ausführliche Behandlung dieses Streits den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird hier lediglich auf die bereits erwähnte Literatur verwiesen (siehe oben, Anm. 43).
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verschiedenen Territorien (Grafschaft Hohnstein und Braunschweig-Calenberg) daran teilnahmen.⁵⁸ Es ging dabei also nicht um eine Generalversammlung der Reichsjudenschaft, sondern um den Beschluss der jüdischen Gemeinden zweier benachbarter Territorien, die unmittelbar vom Durchzugsverbot betroffen waren. Dass diese eher regionale Beauftragung im Namen aller Juden geschah, kann damit erklärt werden, dass die Angelegenheit von allgemeiner Relevanz im Hinblick auf die jüdische Reisefreiheit war. Für die 1570er Jahre sind laut bisheriger Forschung keine weiteren Versammlungen bekannt; allerdings scheint es, dass es im Vorfeld der Krönung Rudolphs II. 1577 eine Absprache zwischen den jüdischen Gemeinden im Reich bezüglich der Erneuerung ihrer Privilegien gab. Im Rahmen dieser Zusammenkunft wurden allem Anschein nach Statuten verabschiedet, welche das Fundament für spätere reichsweit geltende jüdische ‚Takkanot‘ bildeten, die auf den nächsten Tagungen der jüdischen Elite des Reichs überarbeitet und erweitert wurden, bis zu ihrer endgültiger Verabschiedung 1603 in Frankfurt.⁵⁹ Die Reichsjudenschaft hatte also über einen Zeitraum von über 20 Jahren zusammengearbeitet, um die rabbinische Gerichtsbarkeit, die jüdische Selbstverwaltung und das jüdische Leben im Reich allgemein zu strukturieren.⁶⁰ Während die Vermutung, dass 1594 eine weitere Tagung abgehalten wurde, unzureichend belegt ist⁶¹, fand 1600 sicherlich eine Versammlung statt. Darin verhandelte man vorwiegend über zwei Bestimmungen bezüglich Steuerforde-
Vgl. Litt: Joachim Ferber, S. 147. Sowohl ihre Präambel als auch ihre 13 Artikel wurden nahezu unverändert in die Ordnung von 1603 übernommen. Die bisherige Forschung hat die Datierung diese Tagung auf 1582/83 angesetzt, wobei der erbrachte Beleg nicht überzeugt. Siehe dazu Moritz Stern: Der Hochverratsprozess gegen die deutschen Juden im Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Monatsblätter für Vergangenheit und Gegenwart des Judentums (1890 – 91), S. 24– 39, 80 – 90, 115 – 128 und 154– 162, hier S. 156 f. und Zimmer: Jewish Synods, S. 77. Die hier vorgenommene Datierung basiert auf einer Notiz, die auf die deutsche Abschrift der Statuten von 1600 gemacht wurde. Dort bemerkte der Schreiber, dass das Dokument wholl für 24 Jharen ufgerichtet worden sei, weshalb die Tagung auf 1576/77 zurückdatiert werden kann. Eine zweite Notiz machte der Frankfurter Stadtschreiber auf seine Abschrift des Statutenwerks von 1603. Er hielt darin fest, dass es sich hiermit lediglich um alte ‚Takkanot‘ handelte, die von den Juden nun überarbeitet und ergänzt wurden. Beide Notizen befinden sich bei Zimmer: Jewish Synods, S. 147– 197. Die zitierte Stelle findet sich in: ebd. S. 181 (Text B). Eine weitere deutsche Übersetzung der Juden Ordnung, auffgerichtet zu Franckfort, hernach publicrt in allen Synagogen, durch ganz deutschlandt Ao 1603. Aus dem Hebrieschen transferirte Juden Conspiration ec. befindet sich in: HHStAW, RHR, Jud. Misc., K 43 (J 3), Konv. 3, Bll. 2r– 11v. Zudem wurden die jüdischen Normen in die Gemeindestatuten der Frankfurter Juden übernommen. Vgl. dazu M. Stern: Der Hochverratsprozess. Zimmer: Jewish Synods, S. 88.
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rungen und rabbinischer bzw. kommunaler Gerichtsbarkeit. Am 14. August des Jahres wurde nach ausführlicher Diskussion entschieden, diese Bestimmungen unverändert zu belassen und Instruktionen zu deren Implementierung und Ausführung hinzuzufügen. Allerdings waren nicht alle anwesenden Vertreter mit dem Ergebnis zufrieden, sodass manche ihre Unterschrift verweigerten und den Tagungsort frühzeitig verließen.⁶² Die endgültige Verabschiedung musste auf die nächste Gelegenheit verschoben werden. Erst 1603 fand die Zusammenkunft der jüdischen Vertreter im Reich statt, in deren Rahmen die neuen reichsweiten Regelungen verabschiedet und von allen anwesenden Rabbinern und Gemeindevorstehern unterzeichnet wurden. Diese Versammlung markiert somit den Abschluss eines mehrjährigen Vorgangs, im Laufe dessen sich die Juden im Reich eine neue Reihe von Normen gaben, mit denen sie sowohl Organisationsstrukturen nach innen und nach außen aufbauten wie auch „rituelle Fragen im engeren Sinne“ regelten.⁶³ Insgesamt verliehen die Normen und Regelungen dem Statutendokument einen Charakter, der einer obrigkeitlichen ‚Polizeiordnung‘ ähnelte.⁶⁴ Etwa ein Jahr später wurde gerade dieses Charakteristikum den Unterzeichnern des Dokuments zum Verhängnis. Die jüdischen Anführer wurden des Hochverrats und der Majestätsbeleidigung bezichtigt und ein Prozess wurde gegen sie eröffnet, weil, laut Anklage, die Verabschiedung von reichsweit geltenden Verordnungen ausschließlich der herrschaftlichen Prärogative vorbehalten seien.⁶⁵
Vgl. ebd. S. 88. Anlass für diese Versammlung war nicht nur die Verabschiedung und Bestätigung der innerjüdischen Verordnungen, sondern auch ein „Aufruf zur Unterstützung der armen Juden von Prag“ gewesen. Birgit E. Klein: Die „Frankfurter Rabbinerversammlung“ von 1603: Vorgeschichte, Verordnungen, Folgen, in: Backhaus u. a. (Hrsg.): Frankfurter Judengasse, S. 161– 170, hier S. 163. Vgl. auch Kracauer: Geschichte, Bd. 1, S. 329. Vgl. Klein: „Frankfurter Rabbinerversammlung“, S. 163. Volker Press: Kaiser Rudolf II. und der Zusammenschluss der deutschen Judenheit. Die sogenannte Frankfurter Rabbinerverschwörung von 1603 und die Folgen, in: Haverkamp (Hrsg.): Zur Geschichte, S. 243 – 293, hier S. 250 stimmt in seinem Urteil mit Klein überein, wenn er schreibt, dass „[i]m ganzen gesehen [..] die Judenordnung also Regelungen des täglichen Lebens von religiösen Vorschriften bis zum Gebaren im Wirtschaftsleben enthielt“. Er fügt aber hinzu, dass man mit Hilfe der Verordnung die Judenheit „auf strikte Einhaltung der üblichen rechtlichen Normen in Reich und Territorien“ festzulegen versuchte. Zur Affäre der Frankfurter ‚Rabbinerverschwörung‘ siehe: M. Stern: Der Hochverratsprozess; Zimmer: Jewish Synods, S. 89 passim; Marcus Horovitz: Die Frankfurter Rabbinerversammlung vom Jahre 1603, Frankfurt am Main 1897 (erster Druck der hebräischen Fassung der Verordnungen); Klein: Wohltat; Dies.: Die „Frankfurter Rabbinerversammlung“; Press: Kaiser Rudolf II. und Gotzmann: Jüdische Autonomie, v. a. S. 99 – 137.
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Das Gerichtsverfahren gegen die haubt Obersten von der Gemeindt […, die] hohe[n] Rabiner in Teutschlandtt ⁶⁶ sprach von einem Versuch der Errichtung eines unrechtmäßigen verbundtnuß vnd Confederation. ⁶⁷ Das verabschiedete Dokument zeigt jedoch, dass die Juden von einer bereits existierenden Reichskorporation ausgegangen waren, die es lediglich umzustrukturieren galt. Die Versammelten verstanden sich als einen kohärenten Judischen Standt in Teutschlandt ⁶⁸, der eigene korporative Rechte und Freiheiten hatte und auch korporative Steuern und Abgaben entrichten musste.⁶⁹ Ausgehend von dieser Perspektive betrachteten die Juden ihre autonome Gerichtsbarkeit als gegeben, als sie eine Reform des bestehenden Richtlich wesen[s] beschlossen.⁷⁰ Der Beschluss, fünf überregionale jüdische ‚Gerichtshöfe‘ in Frankfurt, Worms, Friedberg, Fulda und Günzburg zu errichten, war demnach nur eine Maßnahme der Neuorganisation des bisherigen Systems. Aus jüdischer Sicht war es wohl auch keine Neuerung, wenn das Verbot, innerjüdische Konflikte vor obrigkeitlichen Gerichten auszutragen, bestätigt und bekräftigt wurde.⁷¹ Die jüdischen Entscheidungsträger sahen es zudem offensichtlich nicht als eine Überschreitung der eigenen Kompetenzen an, als sie die Eintreibung der Steuergelder umorganisierten und beschlossen, das Geldaufkommen in Frankfurt, Worms, Mainz, Bingen, Hamm, Friedberg, Schnaittach, Wallerstein (bei Nördlingen) und Günzburg zentral zu hinterlegen und von dort aus zu verwalten.⁷² Die jüdischen Anführer im Reich sahen die Reichsjudenschaft also als Korporation an und strukturierten sie aus diesem Verständnis heraus neu. Dabei war eine Aufteilung der Judenschaft in Kreißen, einer versamblung oder einem Landt ein leitendes Prinzip der Umstrukturierungspläne. Zwar wurden alle verabschiedeten Normen mit austrückliche[n] vorbehalden gemacht, dass sie damit keiner Herrschaft […] mit den geringsten Punkten ihrer Macht und Herschafft nichts
Der Beschluss der ‚Rabbinerversammlung‘ von 1603, in: HHStAW, RHR, Jud. Misc., K. 43 (J 3), Konv. 3, Bl. 2r. Vnuergreifflicher Vorschlagh vnd Instruction Irer Churfs. [Gnd.] zu Cölln, ec. Wie die Juden im Reich, zur stewr vnd Straff, respectiue, zupringen sein von 1604 in: ebd. Bll. 12– 21. HHStAW, RHR, Jud. Misc., K. 43 (J 3), Konv. 3, Bl. 3r. Vgl. ebd. 3v, erste Bestimmung. Der Beschluss der ‚Rabbinerversammlung‘ von 1603, in: ebd., Bl. 2r–3v. Dies taten sie indirekt, indem sie untersagten, dass man sein Widderparth [mit eußerlichen Rechtt] zwinge, um zum Recht zu kommen. Der Beschluss der ‚Rabbinerversammlung‘ von 1603, in: HHStAW, RHR, Jud. Misc., K. 43 (J 3), Konv. 3, Bl. 2v. Über die Problematik der jüdischen Autonomie und der Verletzung von innerjüdischen Normen und Verboten siehe Siluk: Implikationen, bes. S. 156 – 161 und die dort zitierte Literatur. Art. 2, ebd. Bll. 3v–4v.
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benommen oder geringert, noch verschmehlert. ⁷³ Dadurch aber, dass sich die jüdischen Bestimmungen letztendlich an der jüdischen Siedlungsstruktur sowie dem jeweiligen Rabbinerstand und dessen Jurisdiktion orientierten⁷⁴, sprengte ihre Organisationsform die territorialen Grenzen und Gerichtsbarkeiten.⁷⁵ Man erkennt bereits aus dieser (verkürzten) Analyse der 1603 verabschiedeten Verordnungen, dass die Juden im Reich über Jahrzehnte hinweg an ihrem kollektiv-korporativen Charakter festhielten und ihre Organisationsstrukturen danach richteten.⁷⁶ Somit lässt sich die Kontinuität der Reichsorganisation der Juden sowohl auf der Struktur- und Handlungsebene als auch auf der Mentalitätsebene konstatieren. Mit dem gerichtlichen Verfahren gegen die Anführer der Juden 1603 erlebte die jüdische Politik jedoch eine Zäsur und ihre hauptsächliche Organisationsform ein jähes Ende. Dabei befand sich zu jener Zeit die jüdische ‚Polity‘ bereits in einem langen Prozess der strukturellen Veränderung, der im Folgenden unter dem Aspekt der Auflösungstendenzen der Organisation betrachtet werden soll.
8.2 Tendenzen der Auflösung Im Grunde genommen lassen sich gerade dort Entwicklungen feststellen, die auf eine allmähliche Auflösung der politischen Organisation der Juden hindeuten, wo bislang die Rede von einer Kontinuität war. Das Ergebnis der jahrelangen Verhandlungen der rabbinischen und kommunalen Führung der Juden, wie es in den Verordnungen von 1603 formuliert wurde, ist ein gutes Beispiel dafür. Die vielen Versammlungen, die der Verabschiedung des Dokuments vorausgegangen waren, brachten nicht nur eine Kohäsion der politischen Organisation auf Reichsebene hervor, sondern werteten zugleich auch die Rolle der regionalen ‚Kreise‘ auf, indem sie ihnen wichtige Kompetenzen und Funktionen zur Regelung des jüdischen
Zitiert nach Zimmer: Jewish Synods, S. 178 (Text A).Vergleiche auch HHStAW, RHR, Jud. Misc., K. 43 (J 3), Konv. 3, Bl. 8r. Vgl. ebd. Bll. 5r–9r, wo jede der elf Erwähnungen der jüdischen Aufteilung des Reichs sich auf den jeweiligen Sitz des deutschen ‚Rabbinats‘ bezieht. Press: Kaiser Rudolf II., S. 248 f. spricht in diesem Zusammenhang mehrfach von der Etablierung eines eigenen jüdischen Territorialitätsprinzips und (auf S. 251) von der Errichtung einer „quasi-staatlichen Organisation“. Press hat zudem versucht, die Parallelität zwischen dem Ausbau des Territorialstaats und der Entwicklung „eines korporativen Zusammenschlusses der Judenheit im Reich“ (ebd. S. 250 f.) aufzuzeigen und zugleich auf die Ähnlichkeit mit dem Vorgang des Zusammenschlusses der Reichsritterschaft zu verweisen. Zur Idee, dass die Juden im Reich sich korporativ organisierten und korporativ handelten, vgl. Ries: Alte Herausforderungen, S. 102 ff.
8.2 Tendenzen der Auflösung
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Lebens im Reich übertrugen. Diese Akzentverschiebung stellte wohl eine Reaktion auf die allgemeine Entwicklung in der Siedlungsstruktur der Juden im Reich dar, die durch die fortschreitende Konsolidierung von lokalen und regionalen Judenschaften und das Wiedererstarken des ‚deutschen‘ Rabbinerstands mitverursacht war – auf beide Elemente wird im Folgenden eingegangen. Bereits in den 1560er Jahren übernahmen regionale (‚Kreis‘‐)Judenschaften verstärkt die Vertretung von jüdischen Anliegen vor dem Reich. So findet man Interventionen der Gemainen Judischait in Frannken vor dem Reichshofrat, als der Bischof von Würzburg die Ausweisung der Juden aus seinem Territorium plante.⁷⁷ Ähnlich verhielt es sich bei der Jüdischait im Fürstenthumb Anspach, die 1567 ebenfalls gegen einen Vertreibungsbefehl ihres Landesherrn beim Kaiser gemeinschaftlich supplizierte.⁷⁸ Dabei handelt es sich um eine Judenschaft, die eine bemerkenswerte Erholung seit der Vertreibung aus der damaligen Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach 1515 durchlief.⁷⁹ Ähnliche regionale Vorgehensweisen der Selbstvertretung gab es auch einige Jahre später in der längst etablierten Judenschaft Schwabens.⁸⁰ Neben diesen Beispielen kann auch Worms angeführt werden. Die Wormser Juden übernahmen zwar wichtige Funktionen in der Reichsorganisation und nutzten ihre Stellung dazu, ihre partikularen Anliegen zur Angelegenheit der Reichsjudenheit zu machen. Abgesehen von einer kurzen Periode zu Beginn der 1560er Jahre mussten sie sich jedoch alleine gegen die Vertreibungsversuche der Stadt vertreten.⁸¹ Schließlich kann auch die Vertretung von ‚deutschen‘ jüdischen Gemeinden durch die Prager Juden in dieser Perspektive gesehen werden, denn auch hierbei handelte es sich um Anliegen einzelner Gemeinden und nicht der Reichsjudenschaft insgesamt. Ein Versuch, Probleme, Interessen und Anliegen
Vgl. die Dokumente zu dieser Angelegenheit von 1561 und 1567; darunter die Supplikation der gesandten der gemein Juden schafft aus Lands Francken, in: HHStAW, RHR, Judicialia APA, K. 86, Bll. 14– 25. Vgl. ebd. Bll. 26 – 31. Bekannt in diesem Zusammenhang ist, dass Georg der Fromme die Siedlung von Juden in Fürth bereits ab 1528 zuließ. Vgl. Barbara Ohm: Geschichte der Juden in Fürth, Fürth 2014, hier S. 10 – 13 und Daniela F. Eisenstein: „Über die vielen Juden klagt man bitter…“ Jüdisches Leben in Fürth vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, in: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hrsg.): Die Juden in Franken, München 2012, S. 139 – 156, hier S. 141. Außerdem Adolf Kurländer: Geschichte der Juden in Franken mit besonderer Rücksicht auf die beiden Städte Nürnberg und Fürth, Fürth 1887, S. 48. Vgl. HHStAW, RHR, Judicialia APA, K. 86, Bll. 33 – 53. Vgl. ebd. Conf. Priv. K. 98, Konv. 2, Bl. 5. Der Streit dauerte auch in den 1570er Jahren und später im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts fort. Vgl. dazu HHStAW, RHR, Conf. Priv. K. 99, Konv. 1.
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verschiedener Gemeinden gebündelt zu betrachten und eine allgemeine Regelung anzustreben – eine übliche Praxis der Reichsjuden v. a. in den 1540er Jahren –, kann für diese Periode nicht festgestellt werden. Die fehlende Bündelung, Koordinierung und Vertretung der verschiedenen Angelegenheiten der Juden nach außen wurde vermutlich durch die Territorialisierung im Reich und die damit einhergehende verstärkte Anbindung der jüdischen Gemeinden an die Herrschaftsrechte der jeweiligen Obrigkeit gefördert. Diese Entwicklung führte wohl zu einer ‚Partikularisierung‘ der Interessen der Judenschaften. Gleichzeitig machte sie eine reichübergreifende Zusammenarbeit der Juden schwierig und weniger aussichtsreich, zumal nun der Reichsjudenschaft eine starke zentrale Führungsfigur fehlte. Neben dem bereits erwähnten häufigen Wechsel an der Spitze der jüdischen Diplomatie nach Josels Tod verdient vor allem die Spaltung in der rabbinischen Führung Aufmerksamkeit wegen der Konsequenzen daraus für die Stellung des Reichsrabbiners, der letzten verbliebenen allgemein anerkannten Führungs- und Kohäsionsfigur der Reichsjudenschaft. Man kann nicht behaupten, dass Jakob von Worms ein bedeutungsloser Reichsrabbiner war. Seine Wahl und Ernennung war offensichtlich von den Juden gewollt und es gibt auch reichlich Dokumentation darüber, dass er an den jüdischen Generalversammlungen teilnahm bzw. diesen vorstand.⁸² Er wurde ferner zusammen mit zwei anderen Rabbinern durch Kaiser Ferdinand I. beauftragt, die Wahlregelung der jüdischen Gemeinde in Prag festzulegen.⁸³ Schließlich nahm er eine wichtige Schlichtungsrolle im berühmt gewordenen Streit zwischen Simon von Günzburg und Nathan Schotten von Oberhausen ein, der sich von einem finanziellen Disput zwischen zwei Geschäftspartnern zu einer regelrechten Kontroverse über kommunale und rabbinische Gerichtsbarkeiten entwickelte. Jakob von Worms trat dabei nicht nur in einer beratenden Funktion auf, sondern fungierte auch als eine zentrale Autoritätsfigur bei den wichtigen Entscheidungen zur Regelung des Konflikts.⁸⁴ Siehe z. B. die Dokumente bei Zimmer: Aus der Geschichte und bei M. Stern: Wormser Reichsrabbiner. Vgl. Zimmer: Fiery Embers, S. 126, Anm. 72. So war er z. B. daran beteiligt, den Prozess zwischen den beiden Kontrahenten in eine ‚neutrale‘ Stadt zu verlegen. Er unterschrieb zudem als Erster den mahnenden Brief der versammelten Rabbiner in Frankfurt an Simon von Günzburg (vgl. Dokument Nr. 4 in: Zimmer: Aus der Geschichte, S. 11– 15) und das Schreiben, in dem die Konfliktparteien sich verpflichteten, ihren Streit nicht vor die christlichen Gerichten zu bringen. Vgl. Vertrag und Compromis, so zwischen Symon Juden von Guntzburg vnnd Nathan Juden zue Weil d[er] Stat durch die fünff Rabien aufgericht worden im Jar 1564 [=10. August] in: HHStAW, RHR, Decisa, K. 167, Dokument Nr. 13. Das Dokument ist auch bei M. Stern: Wormser Reichsrabbiner, S. 183 f. gedruckt, basiert aber offensichtlich auf
8.2 Tendenzen der Auflösung
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Obwohl Jakob von Worms also vergleichsweise stark in der Ausgestaltung des jüdischen Lebens im Reich involviert war, verlor seine Autorität rasant an Gewicht. Dies war allerdings nicht durch sein eigenes Tun verursacht, sondern durch eine neu entstandene Konstellation in der rabbinischen Elite im Reich, die sich im Rahmen des eben erwähnten Streits herauskristallisierte. Die Entwicklung dieser geschäftlichen Auseinandersetzung zu einer grundsätzlichen Kontroverse wurde maßgeblich durch Nathan Schottens Auswanderung aus Schwaben und Niederlassung in Frankfurt verursacht. Dadurch entzog er sich der Jurisdiktion der schwäbischen Rabbiner, wo sein Gegner Simon von Günzburg aufgrund seines Reichtums und Ansehens großen Einfluss hatte. Als dieser darauf bestand, dass der Prozess vor dem schwäbischen Rabbiner geführt werden müsse, lehnten jedoch die Frankfurter Rabbiner diese Forderung ab. Sie beharrten darauf, dass ein ‚ausländischer‘ Rabbiner Nathan nicht zu sich vorladen und ihn somit der Jurisdiktion seiner (neuen) Gemeinde entreißen dürfe.⁸⁵ Dabei konnten sich die Frankfurter Rabbiner auf die Verordnungen von 1542 berufen.⁸⁶ In dieser Situation holte Rabbi Isaak Segal von Günzburg, der sich gegenüber den Rabbinern in Frankfurt im Nachteil sah, ein Gutachten der renommierten italienischen Rabbiner Isaak Katzenellenbogen von Padua⁸⁷, Jakob Reiner und Salomon Zalman ha-Kohen von Mantua sowie Joetz bar Jakob und Ephraim bar Isaak von Verona ein.⁸⁸ Diese und weitere ‚ausländische‘ Rabbiner, an die sich Simon und Isaak von Günzburg wandten, stellten sich auf die Seite des schwäbischen Rabbiners.⁸⁹ Der Frankfurter Rabbiner Eliezer Treves betrachtete diesen Vorgang als eine Verletzung der Autorität und Autonomie der Rabbiner im Reich. Er schrieb daher, dass die innerjüdischen Statuten es ‚deutschen‘ Rabbinern erlaubten, Entscheidungen ausländischer Rabbiner aufzuheben und äußerte Verwunderung darüber, dass Rabbiner mit einem so großen Ansehen wie Jakob
einer anderen Vorlage. Jakob von Worms unterschrieb zudem einen anderen Brief der Frankfurter Rabbiner an Simon von Günzburg, vermutlich um dem Schreiben seine Autorität zu verleihen.Vgl. Zimmer: Aus der Geschichte, Dok. Nr. 9, S. 27– 30. Ebenso verfuhr der Reichsrabbiner auch später im Streit, als er einem Brief der Frankfurter Rabbiner eine (lange) Notiz mit seinem Gutachten gegen das Vorgehen des schwäbischen Rabbiners Isaak beifügte. Vgl. ebd. Dok. Nr. 22, S. 60 – 64, hier S. 63 f. Vgl. die ausführliche Schilderung dieser Ereignisse in der Einleitung von Zimmer: Aus der Geschichte und in Ders.: Fiery Embers, S. 109 – 139, hier bes. S. 121– 125. Vgl. Kap. 6.3 dieser Arbeit. Rabbi Isaak Katzenellenbogen von Padua war auch der Lehrer des Günzburger Rabbi Isaak. Vgl. Zimmer: Fiery Embers, S. 125. Zwar erholte sich die – in Kapitel 2.4 beschriebene – Situation des ‚deutschen‘ Rabbinats im Laufe des 16. Jahrhunderts, dennoch konzentrierten sich die wichtigsten Schulen und Gelehrten weiterhin außerhalb des Reiches, v. a. in Italien und Polen. Vgl. Zimmer: Fiery Embers, S. 125 – 127.
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Reiner von Mantua es Simon von Günzburg überhaupt gestatteten, sich an sie zu wenden.⁹⁰ Die Autorität und autonome Gerichtsbarkeit der deutschen Rabbiner wurden aber nicht nur durch die Gutachten ‚ausländischer‘ Rabbiner verletzt. Der Konflikt erlebte eine weitere Dimension durch Eingriffe christlicher Obrigkeiten. Bereits zu Beginn der Auseinandersetzung zwischen den zwei ehemaligen Geschäftspartnern nutzte der reiche Kreditgeber Simon von Günzburg seine christlichen Kontakte, um Nathans Besitz durch christliche Akteure konfiszieren zu lassen. Auch im weiteren Verlauf des Streits wandte sich Simon mehrfach an die christliche Obrigkeit. So bat er beispielsweise den Bischof von Augsburg um eine Intervention zu seinen Gunsten beim Frankfurter Rat, damit dieser Nathan zwingen würde, vor dem Gericht in Günzburg zu erscheinen. Dies veranlasste Nathan wiederum, ebenfalls an christliche Obrigkeiten zu supplizieren.⁹¹ Diese Vorgehensweise der Streitparteien verletzte nicht nur die innerjüdischen Normen, sondern auch den Eid, den sie vor dem Reichsrabbiner und den schwäbischen Rabbinern abgelegt hatten, den Streit nicht vor den christlichen Gerichten auszutragen.⁹² Durch die Handlungen der Streitkontrahenten verlor die jüdische Gerichtsbarkeit jedwede Einflussnahme auf den Ausgang des Streits. Den Rabbinern blieb nur die Möglichkeit übrig, Banne gegen Simon und Nathan auszusprechen, eine Maßnahme, die allerdings nichts an ihrer Machtlosigkeit in der Angelegenheit änderte. Nicht nur die streitenden Geschäftspartner wandten sich an die christlichen Obrigkeiten. Die rabbinische Elite Schwabens rückte im Laufe der Auseinandersetzungen zusammen und bildete eine eigene Partei gegen die ebenfalls als eine Partei auftretenden Rabbiner Frankfurts. Nun wandte sich die ‚schwäbische Partei‘ an den Kaiser und bat um eine Bestätigung Isaaks von Günzburg als ‚obersten Rabbiner‘, der Macht und Gewalt haben sollte, vnns nach Judischer ordnung zugepietenn, für sich zu fordernn, vnd die vngehorsamen im pan zuthuenn. ⁹³ Dieses Amt des obersten Rabbiners Schwabens war laut den Antrags-
Vgl. Dok. Nr. 22 in: Zimmer: Aus der Geschichte, S. 60 – 64, hier S. 61 f. Vgl. beispielsweise die Supplikation von Simon an Bischof Otto von Augsburg [ohne Datum] und die Supplikation Nathans an den Frankfurter Rat vom 30. April 1565, beide in: HHStAW, RHR, Decisa, K. 167, Nr. 9 und 12. Die Akte beinhaltet noch weitere Supplikationen der Konfliktparteien. Vgl. außerdem die umfangreiche Akte in: ISG, JwJ 7, die weitere Supplikationen der Kontrahenten und andere relevante Dokumente enthält. Vgl. HHStAW, RHR, Decisa, K. 167, Nr. 13. Supplikation der armen Gemaynen Judenschafft im Landt zu Schwabenn [vor dem 28. Mai 1566] in: HHStAW, RHR, Conf. Priv. K. 98, Konv. 2, Bl. 1r. Die Datierung konnte anhand einer späteren Supplikation ermittelt werden. Vgl. ebd. Bl. 2.
8.2 Tendenzen der Auflösung
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stellern keine Neuerung, sondern bestand lenger dann sich menschen gedechtnuß erstreckenn mag. ⁹⁴ Die Gerichtsbarkeit Isaaks von Günzburg sollte sich laut dem Gesuch der schwäbischen Juden auf alle Juden, so im Landt zu Schwaben seshafft gewesenn vnnd noch seien ⁹⁵, erstrecken. Nach der Logik dieses Gesuchs hätte sich Nathan der Jurisdiktion nicht entziehen dürfen und die anderen Rabbiner – darunter auch der Reichsrabbiner – hätten kein Recht und keine Autorität gehabt, sich in die Sache einzumischen.⁹⁶ Offensichtlich erbrachte die erste Supplikation nicht die erwünschte Einsetzung Isaaks als obersten Rabbiner Schwabens. Laut einem später eingereichten Gesuch wollte der Reichshofrat zuerst die gemeine Reichsjudenschaft um einen Bericht in der Sache bitten. Die schwäbische Judenschaft versicherte daher dem Reichshofrat, dass der Rabi zu wormbs, so von Ewer Rom. Kay. May. ec. zuuor vorordnet, [seine Aufgaben (A.S.)] one nachtayll vnnd appruch werde erfüllen können.⁹⁷ Sie versprach zudem, dass die Einsetzung eines schwäbischen Oberrabbiners garantieren würde, dass ayn jeder Jud dester aynes Erbarnn wandels vnnd hanndels [einhalten und (A.S.)] allerley vngunst gefar vnnd leichtfertigkaytt vorhettet [=vorgehütet (A.S.)] würde.⁹⁸ Dieser Bitte wurde tatsächlich stattgegeben.⁹⁹ Die Bedeutung dieses Vorgangs ist nicht hoch genug einzuschätzen, denn die neu geschaffene Konstellation verschärfte nur den innerjüdischen Machtkampf um Gerichtsbarkeiten und schwächte v. a. die Position des Reichsrabbiners. Dieser befand sich zudem in einer schwierigen Situation, in der jede Entscheidung, die er im Streit fällte, als parteiisch angesehen werden konnte. Unterstützte er die Auffassung, wonach Nathan in seiner neuen Gemeinde vor einer Verfolgung in Schwaben geschützt sei, stellte er sich somit gegen die Gutachten der ‚ausländischen‘ Rabbiner und gegen das mit kaiserlicher Zustimmung errichtete Amt des schwäbischen Oberrabbiners; vertrat er hingegen den Standpunkt, wonach der Streit dort entschieden werden sollte, wo er begonnen hatte, konnte dies Ärger mit den ihm nahestehenden Frankfurter Rabbinern verursachen. Als Jakob von Worms sich schließlich für die Seite der Frankfurter Rabbiner entschied, beklagte
Ebd. Bl. 1r. Ebd. Denn es sollte auch sonstenn kaynn annder oder frombder Rabi vnns zu Citiren ermächtigt sein. Ebd. Zweite Supplikation der Juden Schwabens an Maximilian II. Ebd. Bl. 2. Ebd. Dies erfährt man aus der späteren Ernennung des Jakob Rainer zum Nachfolger Isaaks von Günzburg. Vgl. die Dokumente 36:3 und 36:4 in: Cohen: Die Landjudenschaften als Organe der Selbstverwaltung, S. 1455 – 1459.
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er zugleich diesen Umstand.¹⁰⁰ So schrieb er in Bezug auf die Frankfurter Rabbiner: Meine Seele komme nicht in ihren Rat, und meine Ehre sei nicht in ihrer Versammlung. ¹⁰¹ Diese konfliktreiche Konstellation beleuchtet nicht nur die komplexe Problematik der jüdischen Autonomie und Gerichtsbarkeit, die hier sowohl innerjüdisch als auch reichs- bzw. herrschaftsrechtlich ausgehandelt werden mussten, sondern indirekt auch den Zustand der Juden und ihrer Führung. In diesen innerjüdischen Auseinandersetzungen manifestierte sich der Wille jüdischer Gemeinden, ihre Autonomie und Gerichtsbarkeit auch gegenüber anderen Judenschaften zu behaupten. Damit zeichnete sich eine Konkurrenzsituation zwischen den Rabbinern und Gemeinden ab, die den Status sowie die Einflussmöglichkeiten des Reichsrabbiners schwächte und eine zentralisierte Organisationsstruktur auf Reichsebene erschwerte.
8.3 Organisation ohne Zentrum Die Entwicklungen in der jüdischen Politik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts standen im Zeichen einer politischen Umorientierung und Anpassung an territoriale Gegebenheiten. Die sich bereits um die Jahrhundertmitte abzeichnende Verlagerung des Schwerpunkts der politischen Repräsentation der Juden in Richtung lokaler und regionaler Vertretungen verstärkte sich in den 1560er Jahren. Allem Anschein nach führten die Territorialisierung im Reich und die drohenden Vertreibungspläne in manchen Regionen zur Zunahme derartiger dezentralen Repräsentationsfälle, was nicht zuletzt zur Konsolidierung der regionalen und lokalen Judenschaften beitrug, die nun die Landkarte jüdischer Politik im Reich dominierten. Diese Tendenz, die die einzelnen jüdischen Zusammenschlüsse verstärkt in die jeweilige Herrschaftsstruktur einbettete, kann als eine ‚Territorialisierung der Judenschaft‘ bezeichnet werden. Trotz dieser Veränderungen in der jüdischen Reichspolitik wurde die kaiserliche Orientierung der jüdischen Aktionen nicht gänzlich aufgegeben. Sie ließ jedoch ab der Mitte der 1560er Jahre stark nach und zeigte sich in der Folge fast ausschließlich bei Gesuchen um Bestätigung und Erneuerung jüdischer Rechte und Freiheiten. Diese sollten vor allem die Geltung der korporativen Rechte der Juden reichsweit bewahren, aber hatten nicht mehr den Charakter eines ‚Kö-
Vgl. Dok. 23 in: Zimmer: Aus der Geschichte, S. 64. Ebd. Es handelt sich um eine Anspielung auf Genesis 49:6.
8.3 Organisation ohne Zentrum
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nigsbündnisses‘. Die engen Beziehungen zum Reichshofrat, welche die Juden noch unter Ferdinand I. pflegten, erodierten nach dessen Tod. Die Umgestaltung der jüdischen politischen Organisation liegt wohl auch am Fehlen eines erfahrenen und dauerhaft aktiven Personals. Die vielen wechselnden ‚Befehlshaber‘ zeugen von dieser Problematik. Ohne eine zentrale und erfahrene Führungs- und Kohäsionsfigur waren die Möglichkeiten der Juden, gemeinschaftlich auf Reichsebene agieren zu können, beschränkt. Auch wenn der Reichsrabbiner diese Funktion auf gewisse Weise erfüllte, war dies nur für eine kurze Dauer. Die Konkurrenzsituation unter der neuen Rabbinergeneration und den erstarkten jüdischen Gemeinden führte zur Schwächung seiner Einflussmöglichkeiten und z.T. zur Untergrabung seiner Autorität. Eine Weiterführung des Amtes nach dem Tod Jacobs von Worms wurde, soweit bekannt, nicht angestrebt. Die einzige Instanz, die weiterhin zentral agierte, war die Versammlung der jüdischen Gemeinden und Anführer. Betrachtet man allerdings die Beschlüsse dieser Zusammenkünfte über die gesamte Jahrhunderthälfte hinweg, so manifestiert sich auch darin die Tendenz zu einer sukzessiven Dezentralisierung der Organisation der Judenschaft im Reich. Dies drückte sich v. a. dadurch aus, dass man in einem ca. 25 Jahre andauernden Transformationsprozess wichtige Entscheidungskompetenzen auf Kreisversammlungen übertrug und ein System der regionalen Gerichtsbarkeit etablierte. Dabei wurde nicht die Beendigung der reichsweiten Organisation angestrebt, sondern eine Föderalisierung der Organisationsstrukturen. Diese stellte eine vorsichtige, aber nicht vollständige Anpassung an die bestehende territoriale Herrschaftsstruktur im Reich dar. Die Verfolgungen, die der Versammlung von 1603 folgten und das Ende der reichsweiten politischen Organisation herbeiführten, können dabei als Reaktion der politischen Umwelt auf diese ungenügende Angleichung der jüdischen Politik an die Reichstrukturen angesehen werden. Fasst man die Fortführungs- und Auflösungstendenzen der politischen Reichsorganisation der Juden zusammen, so ergibt sich ein Bild des Sowohl-AlsAuch. Die Judenschaft im Reich führte manche Strukturen ihrer Organisation fort, besetzte die ‚Ämter‘ neu und stützte ihre Aktionen auf gesammelte Erfahrungen. Zudem trat sie weiterhin dem Reich gegenüber als Korporation auf und achtete besonders auf die Bewahrung und Fortschreibung ihrer kollektiven Rechte. Auf der anderen Seite waren die Juden den Tendenzen zur Territorialisierung im Reich ausgesetzt, was das autonome Agieren der einzelnen Gemeinden förderte und eine Strukturveränderung erforderte. Auch interne Konflikte und Schwäche in der Führung verstärkten die Auflösungstendenzen. Statt einer Auflösung führten die Juden eine Föderalisierung ihrer Organisierung herbei, die eine Dezentralisierung ihrer politischen Repräsentation beinhaltete. Die politische Organisation der Ju-
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8 Organisation in Transformation
den erfuhr somit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine weitere Strukturveränderung, die sie zu einer Organisation ohne Zentrum werden ließ.
9 Fazit Zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelten sich erste politische Zusammenschlüsse der jüdischen Gemeinden im Reich, die sich im Laufe der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zu einer konsolidierten Organisation der jüdischen Politik verdichteten. Diese Organisation repräsentierte die Anliegen und Interessen der Juden vor dem Kaiser und seinem Reichshofrat, sowie vor den verschiedenen Fürsten und Institutionen der Reichpolitik. Sie entwickelte sowohl feste Strukturen der Zusammenarbeit als auch standardisierte politische Handlungsweisen und Strategien. Im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte schwächte sich die zentralisierte Form der Repräsentation zwar ab, dafür verstetigte sich aber die Koordination der innerjüdischen Aufgabenverteilung und das Selbstverständnis einer integralen Reichskorporation. Dennoch lassen sich spätestens ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts keine Strukturen einer reichsübergreifenden Organisation der Juden mehr in den Quellen nachweisen. Stattdessen finden sich immer mehr Belege für die Existenz der so genannten ‚Landjudenschaften‘, die nun die verbreitetste politische Organisationsform der Juden im Reich darstellten. Die jüdische Organisation aus dem 16. Jahrhundert war praktisch spurlos verschwunden. Dies soll jedoch nicht dazu verleiten, sie bloß als eine Fußnote in der jüdischen und der Reichsgeschichte zu betrachten. Die politischen Strategien und Organisationsstrukturen der Juden, ihre Vorgehensweisen und Formen der Partizipation am politischen System des Reichs sind von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis der jüdischen Geschichte in der Frühen Neuzeit. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden noch einmal zusammenfassend verdeutlicht werden. Beginnend mit dem abrupten Ende der jüdischen Organisations- und Reformbemühungen von 1603 sollen zunächst in umgekehrter Chronologie die wichtigsten Entwicklungslinien der jüdischen Politik und Organisation im Reich des 16. Jahrhunderts nachgezeichnet werden. Dies bringt zum Ausdruck, welcher inneren Dynamik und Prozesshaftigkeit die Entwicklung folgte. Im Anschluss daran sollen geografische und kulturelle Aspekte der politischen Geschichte der Juden im 16. Jahrhundert im Kontext der Reichsgeschichte erörtert werden.
9.1 Jüdische Politik im 16. Jahrhundert: Zusammenschau in umgekehrter Chronologie Der Hochverratsprozess, der gegen die Teilnehmer der jüdischen Versammlung von 1603 eröffnet wurde, markiert zwar das Ende der reichsweiten politischen https://doi.org/10.1515/9783110723533-012
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9 Fazit
Organisation der Juden; allerdings befand sich diese im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts bereits in einem Transformationsprozess, in dessen Folge der Schwerpunkt jüdischer Politik nach und nach auf eine Vielzahl von regionalen Repräsentationsorganen verlagert wurde. Diese Entwicklung hing z. T. mit der Schwäche der jüdischen Führung zusammen, die keine Integrationsfigur hervorzubringen vermochte – weder konnte das ‚Amt‘ des Befehlshabers dauerhaft besetzt werden, noch gelang es dem letzten Reichsrabbiner, eine einende Führungsinstanz zu werden. Bereits zuvor jedoch – um die Jahrhundertmitte – machte sich die Entwicklung bemerkbar, dass viele jüdische Individuen sowie lokale und regionale Gemeinden ihre partikularen Interessen und Anliegen selbständig zu repräsentieren begannen. Offensichtlich führten die langen Jahre politischer Arbeit der jüdischen Zusammenschlüsse zu einer gewissen rechtlichen Stabilität und finanziellen Erholung. Diese neue Lage war in gewisser Hinsicht ein zweischneidiges Schwert für die jüdische Organisation, denn ihre Erfolge trugen letztendlich dazu bei, dass einige Gemeinden sich in Fragen der politischen Repräsentation ‚emanzipierten‘ und somit die Kohäsion der Organisation auf die Dauer schwächten. Ausschlaggebender für die Transformation der jüdischen Politik war jedoch die fortschreitende Etablierung frühneuzeitlicher Territorialstaatlichkeit, die eine Anpassung an territorialen Begebenheiten erforderte. Die Anfänge dieser strukturellen Anpassung der politischen Organisationsformen der Reichsjuden reichen bis in die späten 1540er – aber eindeutiger bis zum Beginn der 1550er Jahre – zurück. In jener Zeit mussten die Juden anerkennen, dass sie die ihnen vom Kaiser verliehenen Rechte in vielen Territorien realiter nicht wahrnehmen konnten. Dies geschah gerade in der Zeit, als die Juden eine politische Strategie verfolgten, die sich auf die Unterstützung des Kaisers und seines Reichshofrats verließ, um ihre reichsweit bestehenden Rechte und Freiheiten in den Territorien geltend zu machen. Das Scheitern dieser Strategie führte zu der Einsicht, dass die jüdische Politik mehr auf die ‚Bedürfnisse‘ und Interessen der Landesfürsten eingehen und neue Zugeständnisse machen musste. Die bis dahin vorherrschende Kaiserorientierung wurde also um eine ‚Territorialstrategie‘ ergänzt und die jüdische Politik folgte nun einer zweigleisigen Strategie, welche die Landesherrschaft ins Zentrum ihrer Bemühungen stellte. Die Strukturveränderungen der politischen Organisation der Juden begannen gerade in einer Zeit, in der diese einen hohen Grad an Professionalität in der Interessenvertretung v. a. gegenüber dem Kaiser und seinem Reichshofrat erreichte. Tatsächlich charakterisierte eine Kaiserzentrierung die Ausrichtung der jüdischen Politik in den 1540er und 1550er Jahren. Die Dominanz dieser politischen Ausrichtung war allerdings nicht von Beginn an anvisiert. Sie resultierte
9.1 Jüdische Politik im 16. Jahrhundert
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vielmehr aus verschiedenen Faktoren, die schon in den 1530er, aber v. a. 1540er Jahren zum Tragen kamen. Der erste Faktor waren wohl die großen Erfolge, welche die Juden in der Sicherung von Rechten und Schutz beim Kaiser errangen. Zwischen 1541 und 1548 erließ der Kaiser mindestens sechs Privilegien und Mandate zugunsten der Juden und stellte sie unter einen umfassenden Schutz. Die Juden gewährten dem Kaiser im Gegenzug hohe finanzielle Zuwendungen und unterstützten seine kriegerischen Unternehmungen gegen Frankreich und den Schmalkaldischen Bund. Begünstigt wurde die Annäherung an den Kaiser durch den Umstand, dass die Juden zwei Jahre lang auf die Ausstellung des Speyerer Privilegs warten mussten. Aus diesem Grund waren ein häufiger Kontakt zum Kaiser und seinem Beraterstab sowie eine große Rücksichtnahme auf kaiserliche Interessen an der Tagesordnung. Ein weiterer Faktor für die Entwicklung der kaiserzentrierten Politik waren die konfessionellen Streitigkeiten. Sie erschütterten das politische System im Reich seit Beginn der Reformation und dienten letztendlich als Katalysator der Systemveränderung, indem sie die politische Landschaft auf Dauer in ein von zwei politischen Lagern dominiertes Feld transformierten. Dabei stellte das Fehlen einer zentralen protestantischen Instanz, an die sich die Juden wenden konnten, ein großes Problem bei der Gestaltung von politischen Beziehungen zu protestantischen Obrigkeiten dar. Demgegenüber erwies sich der Kaiser über längere Phasen als eine verlässliche Anlaufstelle für jüdische Gesuche. Diese Problematik manifestierte sich während des Schmalkaldischen Krieges auf besondere Weise, als die Juden vielerorts in der Gefahr standen, zwischen die Kriegsparteien zu geraten. Obwohl sie beide Kriegsparteien um Schutz vor Plünderung und Tötung baten, konnten sie nur beim Kaiser eine effektive Sicherung ihres Lebens und Besitztums erwirken. Zudem manifestierte sich in den 1540er Jahren eine immer restriktivere Judenpolitik in lutherischen Territorien. Diese geht nicht zuletzt auf den Einfluss der großen Reformatoren und der theologischen Berater auf die protestantische Politik zurück. Der Ton und die Schärfe, mit denen sie die Juden und ihre religiösen und geschäftlichen Praktiken verurteilten, beherrschten die innerprotestantische Debatte um die ‚Judenfrage‘ zunehmend. Die politischen Bestrebungen der Juden gegenüber protestantischen Akteuren erbrachten daher – abgesehen von vereinzelten, meist provisorischen Erfolgen – keine stabile Sicherheitslage für die in protestantischen Territorien lebenden Juden. Judenfeindschaft gab es zwar auch in katholischen Territorien, allerdings kam es den Juden zugute, dass das Papsttum und das Kaisertum an altkirchliche Traditionen gebunden waren. Diese politischen Instanzen an der Spitze des Katholizismus hielten daher an dem theologischen, politischen und rechtlichen
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9 Fazit
Herkommen in Bezug auf den Umgang mit Juden fest und nahmen ihre Rolle als Beschützer der Juden aktiv wahr. Während die Rolle des Papsttums vergleichsweise marginal für die politische Situation der Juden im Reich war, kann die Bedeutung des katholischen Kaisers kaum hoch genug eingeschätzt werden. Zwar war der Kaiserstatus Karls V. weit wichtiger als seine Zugehörigkeit zum katholischen Lager; dennoch war es für die Juden von Vorteil, dass der Inhaber des höchsten Amtes im Reich zugleich das katholische Lager in der Reichspolitik anführte. Der Kaiser diente den Juden zudem als ein Garant des Rechts, der durch seine Sonderstellung im Reich obrigkeitliche Willkür gegen sie eindämmen konnte. So verhielt es sich beispielsweise bei Verfolgungen wegen Blutbeschuldigungen, welche die Juden immer wieder in eine sehr prekäre Situation brachten. Die Schnelligkeit, mit der der Verdacht eines angeblichen Ritualmords zu Verfolgungen, kurzen Prozessen und raschen Urteilsvollstreckungen führte, erschwerte eine effektive Antwort seitens der Juden bzw. derer politischen Organisation. Zwar verbesserten sich die jüdischen Reaktionen im Laufe des Untersuchungszeitraums merklich, indem zuerst die Ausweitung der Verfolgungen auf weite Kreise der Judenschaft verhindert und später sogar Gerichtsverfahren verzögert und Hinrichtungen abgewendet werden konnten. Eine grundsätzliche Antwort auf diese Bedrohung fanden die Juden aber erst, als sie den Kaiser dazu veranlassen konnten, die Untersuchung solcher Fälle seiner alleinigen Oberaufsicht zu unterstellen. Die ‚Aktivierung‘ der kaiserlichen Autorität konnte nicht nur herrschaftliche Willkür untersagen, indem sie ‚unbefugt‘ eingeleitete Prozesse und peinliche Befragungen wegen Ritualmords unterband, sondern ermöglichte auch eine schnelle und fokussierte jüdische Vorgehensweise vor einer zentralisierten Stelle, nämlich vor dem Kaiser selbst.¹ Eine ähnliche Strategie verfolgten die Juden seit den frühen 1540er Jahren, als sie begannen, die Problemlagen aus einzelnen Territorien zu bündeln und zu generalisieren, um mithilfe der kaiserlichen Autorität eine gemeinsame, übergreifende Lösung zu finden. Diese planvolle Arbeitsweise zeigt die Professionalisierung der jüdischen Organisation in Bezug auf Aufgaben der Interessenvertretungen nach außen. Gleichzeitig lassen sich für jene Zeit Tendenzen zur Konsolidierung der jüdischen Organisation nach innen feststellen. So liefert das häufige Abhalten von beschlussfähigen Versammlungen ein Indiz für den quasi Die jüdischen Reaktionen auf die Gefahr von Verfolgungen wegen Ritualmordbeschuldigungen verdienen eine eigenständige Untersuchung, die der Autor dieser Arbeit plant. Beispiele dafür, dass die kaiserliche Autorität (ganz konkret das Speyerer Privileg von 1544) im Kontext von Blutbeschuldigungen im frühen 17. Jahrhundert angewandt wurde, finden sich etwa in ISG, JA, 419 und 473. Zu weiteren Beispielen siehe Griemert: Jüdische Klagen, S. 231, 248, 262, 325 und 340.
9.1 Jüdische Politik im 16. Jahrhundert
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institutionellen Charakter der Organisation. Ein weiteres Beispiel für die Konsolidierung der jüdischen Organisation war die Wahl von Funktionsträgern, die dem Reichsrabbiner bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Seite stehen sollten. Entscheidend war dabei, dass die Anerkennung dieser Wahl durch Ferdinand I. die diplomatische Vertretung verstärkte. Auch die intern beschlossene Berechnungsgrundlage zur Aufbringung von fiskalischen Beiträgen kann als Moment der Kohäsion und Effizienz der Organisation betrachtet werden, denn sie war ein Zeugnis der Konsensfähigkeit in einer der komplexeren Angelegenheiten der jüdischen Politik. Nicht zuletzt diente sie auch dazu, die Loyalität und Nützlichkeit der Juden für das Reich zu demonstrieren. Ferner stärkten die Juden zu Beginn der 1540er Jahre die Autorität der Rabbiner- und Vorsteherversammlungen, indem sie ihr Statutendokument von 1530 erneuerten. Dies verlieh der jüdischen Repräsentation zugleich Glaubwürdigkeit bei Verhandlungen mit christlichen Obrigkeiten. Die Professionalisierung der Interessenvertretung der Juden gegenüber christlichen Akteuren manifestierte sich darüber hinaus in der Anpassung der Zeiten, zu denen jüdische Versammlungen abgehalten wurden, an die Tagungsperioden der Reichstage oder an sonstige politische Großveranstaltungen. Dadurch waren die Juden in der Lage, ihre Ressourcen rechtzeitig zu mobilisieren und ihre Anliegen im Voraus zu formulieren. Zudem konnten die Versammlungen die Vorgehensweisen mit ihrer Vertretung vor Ort besser koordinieren und schnell auf Informationen über restriktive Gesetzesinitiativen, Bedrohungen oder geplante finanzielle Belastungen reagieren. Die beschriebenen Tendenzen zur Konsolidierung und Professionalisierung in den 1540er Jahren waren nicht nur eine Vorstufe der gesteigerten Effizienz der Organisation in den Jahren 1550‒1551, sondern resultierten auch aus den Erfahrungen des vorhergegangenen Jahrzehnts. So müssen die diplomatischen Verhandlungserfolge über Reise-, Bleibe- und Handelsrechte, welche die Juden mit mehreren protestantischen Fürsten 1539 auf dem Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt am Main erzielten, ein wichtiger Impuls für die spätere Gestaltung der jüdischen Politik gewesen sein. Sie folgten auf eine lange Periode, in der die meisten Bemühungen um diese Rechte von regionalen Judenschaften und mit moderatem Erfolg unternommen worden waren. Die Schwäche der lokalen und regionalen Judenschaften stellte daher einen wichtigen Impuls zur Bündelung von Anliegen und zur Aufgabe der partikularen zugunsten einer gemeinschaftlichen Repräsentation dar, welche die jüdische Strategie und das Erscheinungsbild der jüdischen Repräsentation in der darauffolgenden Periode prägten. Die jüdische Politik, die in den 1540er Jahren vorwiegend durch die Handlungen der zentral geführten Organisation und durch eine an Kaiser und Reich orientierte Strategie dominiert war, wurde also in den 1530er Jahren eher dezen-
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tral und vorwiegend auf lokaler oder regionaler Ebene geführt. Dies hing mit der breiten räumlichen Verstreuung der Juden über eine große Zahl von Herrschaften zusammen. Hinzu kam die Reichspolizeiordnung von 1530, welche die Regelung der Judenrechte territorialen Herrschern übertrug, die Judenregalien besaßen. Unter diesen Bedingungen führten die einzelnen Judenschaften, welche die rechtliche und herrschaftliche Lage vor Ort am besten kannten, Verhandlungen über territoriale Bleibe- und Handelsrechte. Auch wenn die Reichsorganisation somit in gewisser Weise in den Hintergrund geriet, stellte ihre 1530 verabschiedete ‚jüdische Judenordnung‘ ein allgemeines und richtungweisendes Grundlagendokument für jüdische Verhandlungen mit christlichen Obrigkeiten dar. Dieses Dokument, in dem die Juden Kompromissvorschläge als Antwort auf die Kritik christlicher Obrigkeiten formulierten, zeugt von einem hohen Grad an Zusammenarbeit zwischen den jüdischen Gemeinden und von der Wirksamkeit des Zusammenschlusses bei der Suche nach Antworten auf politische Herausforderungen und bei der Bewältigung von Bedrohungen. Allerdings zeigt sich v. a. im Vergleich zum Stand der Organisation der Juden in den 1540er Jahren eindeutig, dass die jüdische Führung 1530 noch nicht über die nötigen Erfahrungswerte verfügte, um effektiv auf Reichsebene zu agieren. Beispielhaft dafür ist die Abhaltung der Versammlung erst gegen Ende des Reichstags, was maßgeblich dazu beitrug, dass das von den Juden verabschiedete Dokument in den Beratungen über die Reichspolizeiordnung nicht berücksichtigt wurde. Überhaupt weisen – und dies ist ebenfalls ein Unterschied zum politischen Agieren der Juden in den späteren Jahren – die meisten jüdischen Aktionen in jener Zeit noch einen reaktiven Charakter auf. Zwar beinhalteten etliche Handlungen des jüdischen Hauptvertreters auf dem Reichstag, Josel von Rosheim, dort eine gewisse Initiativkraft, wo er durch sein geschicktes Verhandeln im Namen einzelner Gemeinde Rechte und Freiheiten für die gesamte Reichsjudenschaft erzielen konnte. Allerdings begannen auch seine Handlungen meist nicht mit einem proaktiven, sondern mit einem defensiven politischen Agieren. Josels dominante Rolle als Vertreter der Juden im Jahr 1530 weckt den Anschein, als hätte er bereits zu diesem Zeitpunkt die Befehlshaberfunktion innegehabt, die er in den darauffolgenden Jahren einnehmen sollte. Tatsächlich waren aber erst die Erfolge, die er in diesem Jahr erzielte, und das Geschick, das er dabei demonstrierte, der Grund für seine Wahl zum Hauptvertreter der Juden im Reich. Seine Entsendung zum Reichstag von Augsburg als jüdischer Verhandlungsführer beruhte dabei auf seinen Erfolg bei der Verteidigung der Juden vor dem Spionagevorwurf zugunsten der Türken. Dieser folgte wiederum auf den gelungenen Ausgang seiner Missionen von 1529 (im Zusammenhang mit der Blutbeschuldi-
9.1 Jüdische Politik im 16. Jahrhundert
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gung von Pösing) und von 1520 (im Zusammenhang mit der Krönungszeremonie Karls V.). Obwohl Josels Aufstieg in das ‚Amt‘ des Befehlshabers der gemeinen Judenschaft im Reich rasant erscheint², handelte es sich dabei um einen allmählichen Prozess der Reputationsbildung und Akkumulierung politischer Erfahrungen und Leistungen, der genau diesen Aufstieg ermöglichte. Denn Josel war bereits seit 1509 in seiner Rolle als Vorsteher und Fürsprecher der unterelsässischen Juden ein politischer Akteur. Es waren also seine über Jahre und Jahrzehnte erlangten Erfolge und der darauf begründete gute Ruf, die dazu führten, dass ihm die Repräsentationsaufgabe im Namen der Reichsjuden übertragen wurde. Die Jahre 1529‒1530, in denen Josel von Rosheim seine langjährige Arbeit in Diensten der Reichsjudenschaft begann, erscheinen in der Rückschau tatsächlich als eine Wendezeit in der Geschichte der politischen Organisation der Juden im Reich. Die Jahre davor markieren eine Zeit, die in Bezug auf die ‚Judenpolitik‘ im Reich ereignisarm war. Es waren die ‚kaiserlosen‘ Jahre, in denen Karl V. seine ‚außenpolitischen‘³ Ziele verfolgte und in denen die Türkengefahr und die Reformation die Reichspolitik und die politische Öffentlichkeit dominierten. Debatten über die Juden und ihre Rechte verschwanden zwar nicht gänzlich von der Tagesordnung, aber sie verliefen tendenziell günstig für die Juden.⁴ Die relative politische Stille um jüdische Angelegenheiten, ein krasser Gegensatz zu den Jahren der Pfefferkorn-Reuchlin-Kontroverse (1511‒1521), führte dazu, dass aufseiten der Juden keine Notwendigkeit bestand, ihre Repräsentation auszubauen, große Aktionen zu planen oder Ressourcen zu mobilisieren. Theoretisch gesehen hätte diese Aktivitätslosigkeit zur Erosion ihrer Zusammenschlüsse führen können. Dies war ein radikaler Unterschied nicht nur zu den Jahren 1529‒30, sondern auch zum Beginn der 1520er Jahre, als die Juden sehr bemüht waren, Beziehungen zum neuen Kaiser aufzubauen und ihre Zusammenschlüsse zu konsolidieren. Ihre Repräsentanten wurden beispielsweise zur Krönung in Aachen entsandt, um Karl V. eine Schenkung zu übergeben und die eigenen Privilegien erneuern zu lassen. Im gleichen Zeitraum initiierten die Juden auch den Vorgang, der zur Einsetzung
Zwischen der Verfolgung wegen der Blutbeschuldigung von Pösing und dem Abschluss des Augsburger Reichstags liegen lediglich 18 Monate. Die Charakterisierung dieser Ziele als außenpolitisch bezieht sich ausschließlich auf eine Perspektive, die vom Reich und reichsinternen politischen Entwicklungen ausgeht. So ging es Karl V. in der Zeit seiner Abwesenheit u. a. um die Herrschaftsstabilisierung in Spanien. Gemeint ist v. a. Martin Luther: Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei und die darauffolgende innerprotestantische, in Bezug auf den Umgang mit Juden versöhnliche Flugschriftenpublizistik.
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eines neuen Reichsrabbiners führte, der als Bindeglied zwischen der Judenschaft und dem Kaiser bzw. dem Reich dienen sollte. Auch eine weitere ‚Ehrung‘ an den Kaiser wurde in jener Zeit von jüdischer Seite initiiert, vermutlich um der Eintreibung des goldenen Opferpfennigs zuvorkommen und so dem Kaiser Loyalität und Untertänigkeit zu erweisen. Die angesprochene politische Passivität der Juden in den 1520er Jahren setzte also erst dann ein, als der Kaiser für eine lange Periode das Reich verließ. Ähnlich verhielt es sich schon während der Thronvakanz nach dem Tod Maximilians I., als die politischen Zusammenschlüsse der Juden auch angesichts mehrerer Vertreibungen aus Reichsstädten inaktiv blieben. In den letzten Lebensjahren Maximilians I. wiederum waren die jüdischen Vertreter sehr betriebsam und sogar erfolgreich in der Abwehr von Vertreibungs- und Verfolgungsbedrohungen gewesen. Somit entsteht das Bild, als hätte die jüdische Organisation nur dann effektiv funktioniert, wenn der Kaiser ihr als Gesuchinstanz zur Verfügung stand. Das war in den Jahren der Entstehung der politischen Zusammenschlüsse der jüdischen Gemeinden im Reich mitnichten der Fall. In der Tat stellt der Kampf gegen ein kaiserliches Mandat den Anfang der politischen Organisationsversuche aller Juden im Reich dar. Es ging dabei um jenes Mandat, das dem Konvertiten Johannes Pfefferkorn die Berechtigung erteilte, die Bücher der Juden zu untersuchen und zu konfiszieren. In dieser Anfangsphase waren die Juden ausdrücklich um Bündnisse mit verschiedenen politischen Akteuren im Reich bemüht. Trotz mehrerer Erfolge mussten sie jedoch anerkennen, dass die Konfiskationspläne Pfefferkorns nicht gestoppt werden konnten, solange der kaiserliche Befehl nicht annulliert war. Obgleich diese Erkenntnis schnell einsetzte, litt die jüdische Gesandtschaft zum Kaiser von Anfang an unter mangelnder finanzieller und personeller Ausstattung und blieb daher unwirksam. Grund dafür waren Probleme bei der Koordinierung einer gesamtjüdischen Zusammenarbeit. Ein Misstrauen zwischen den jüdischen Gemeinden und Missverständnisse in der politischen Kommunikation führten ebenso wie äußere Faktoren (etwa unsichere Reisewege und die prekäre politische Lage etlicher Judenschaften) dazu, dass alle anfänglichen Organisationsbemühungen und Versuche der Abhaltung einer Generalversammlung fehlschlugen. In dieser Phase manifestierte sich also der Umstand, dass die Juden im Reich keine geregelten oder auch traditionellen Formen der politischen Zusammenarbeit hatten. Auch im Mittelalter verfügten sie über keinen reichsübergreifenden Zusammenschluss, sondern die städtische Gemeinde stellte die vorherrschende politische Organisationsform dar. Diese erlitt jedoch in der Folge mehrerer Verfolgungs- und Vertreibungswellen ein jähes Ende. Fast überall wurden die kommunalen Strukturen und die dazugehörigen Ausbildungsstätten (‚Jeschiwot‘) zerschlagen und das jüdische Leben begann, sich allmählich zu verländlichen
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und zu atomisieren. Unter diesen Bedingungen litt auch die traditionelle jüdische Führung. Zentren der rabbinischen Gelehrsamkeit verlagerten sich weg vom Reich und der ‚deutsche‘ Rabbinerstand büßte in der Folge an Ansehen und Einfluss ein. Die wirtschaftliche Elite nahm ebenfalls Schaden, da sie – wie auch die gesamte Judenschaft – stark vom Ausschluss von bestimmten ökonomischen Aktivitäten, von etlichen Schuldtilgungsaktionen sowie von Konfiszierung und Raub von Besitz betroffen war. Die hierdurch herbeigeführte Schwächung ihrer finanziellen Situation und fiskalischen Relevanz bildete wiederum eine Motivation für ihre Vertreibung. Ohne Führung oder nennenswerte Erfahrungen in der politischen Zusammenarbeit auf interkommunaler Ebene waren die ersten Organisationsversuche der Juden fast zum Scheitern verurteilt. Jedoch hörten die jüdischen Abwehrbemühungen nicht auf, und einige Gemeinden fällten 1510 die Entscheidung, sich an den Kaiser zu wenden, um mithilfe seiner Autorität die internen Konflikte und die äußeren Hindernisse zu überwinden. Damit leitete sich eine Änderung der politischen Strategie der Juden ein, und in der darauffolgenden Zeit, in der äußere Bedrohungen und innere Konflikte weiterhin die Dynamik der jüdischen Politik dominierten, initiierten die Juden weitere Vorgehensweisen, welche die Macht und Position des Kaisers zentral beanspruchten. Begünstigt war diese politische Neuorientierung von der Tatsache, dass die jüdischen Interessen in Fällen wie dem Vertreibungsversuch von 1515/16 mit denen des Kaisers übereinstimmten. Auf diese Weise führte die jüdische Suche nach politischer und rechtlicher Stabilität zur Pflege von engen Kontakten zum Kaiser. Dabei führten die Anhäufung von Gefahren und die andauernden Koordinationsversuche der jüdischen Reaktionen darauf zur Herausbildung von interkommunalen Strukturen der Zusammenarbeit und zur Verdichtung der politischen Kommunikation, welche den Anfang der politischen Organisation der Juden ausmachten. Da die ersten politischen Zusammenschlüsse der Reichsjuden am effektivsten waren, als sie die kaiserliche Autorität auf ihrer Seite hatten, wurde der Kaiser entscheidend für die Entstehung ihrer politischen Organisation. Zwar spiegelte sich in der politischen Strategie der Juden eine Reaktion auf konkrete Machtverhältnisse wider: Ihre Kaiserorientierung war eindeutig stärker in Zeiten eines potenten und dominanten Kaisertums, während sie in Zeiten eines schwachen Kaisertums – im Spätmittelalter und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – eine Orientierung an den Tag legten, die verstärkt an lokale und regionale Herrschaftsträger gerichtet war.⁵ Aber im Zeitalter Karls V. nahm die Kaiserorientie-
Die These vom Königbündnis (Yerushalmi), die beansprucht, zeitlich ungebunden zu sein, muss daher relativiert werden.
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rung der jüdischen Politik fast ideologische Züge an. Zum Ausdruck kam dies in der Charakterisierung Karls V. in Supplikationen als Quelle der Gerechtigkeit und Garant jüdischer Freiheiten, in der Vorstellung der Schicksalsverbundenheit der Juden mit dem Kaiser während des Schmalkaldischen Krieges und schließlich in seiner Identifizierung als Held in der jüdischen Erlösungsgeschichte⁶, die Josel von Rosheim in seinen Schriften postulierte. Insgesamt kann aus dieser Zusammenschau festgehalten werden, dass die Juden stets auf Entwicklungen im politischen System des Reichs reagierten und bemüht waren, ihre Politik und Organisation an dessen Strukturen anzupassen. Die jüdische Politik hatte aber auch eine geografische und eine kulturelle Komponente. Im Folgenden sollen diese Aspekte und ihre Bedeutung zum Verständnis der jüdischen Geschichte im 16. Jahrhundert näher betrachtet werden.
9.2 Geographische und kulturelle Aspekte frühneuzeitlicher jüdischer Politik Die physische Verteilung der Juden im Reich beeinflusste die Möglichkeiten ihrer politischen Zusammenarbeit. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums waren jüdische Gemeinden an vielen, teilweise weit voneinander entfernten Orten wie dem Elsass im Südwesten, Lippe im Nordwesten, Regensburg im Südosten und Brandenburg im Nordosten angesiedelt. Diese breite geografische Zerstreuung erschwerte die interkommunale Kommunikation und Koordinierung. Durch die Vertreibungen des 16. Jahrhunderts – aus Städten und Territorien wie Regensburg, Rothenburg, Esslingen, Bayern, Brandenburg, Brandenburg-Kulmbach und Sachsen – veränderte sich die Siedlungsstruktur der Juden und es bildete sich ein klarer Siedlungsschwerpunkt im Süden und Südwesten des Reichs heraus, wodurch die politische Kommunikation zwischen den Gemeinden erleichtert wurde. Somit kann es als ‚Ironie der Geschichte‘ angesehen werden, dass diese Vertreibungen die Entstehung einer reichsweiten politischen Organisation der Juden einerseits erforderlich machten und ihre Arbeit aufgrund einer räumlichen Konsolidierung zugleich auch vereinfachten. Erst nach der Stabilisierung der jüdischen Siedlungssituation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (z. B. in Franken, Schwaben und Thüringen) begann eine allmähliche Kompetenz- und Schwerpunktverlagerung der jüdischen Politik in die regionalen Vertretungen. Resultat dieser neuen Siedlungssituation war also die graduelle Dezentralisierung der Organisationsstrukturen. Da diese Verände-
Dazu Voß: Charles V.
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rungen zudem mit dem allgemeinen Territorialisierungsprozess einhergingen, war diese strukturelle Anpassung zum Teil vorteilhaft, zum Teil aber auch erforderlich. Die geografischen Grenzen der politischen Organisation der Reichsjudenschaft orientierten sich ferner an ‚national‘-politischen Grenzen. So bildeten die Judenschaften in deutschen Territorien des Reichs den Kern ihrer politischen Zusammenschlüsse, wobei österreichische Juden – die zugegeben eine kleine Minderheit waren – anscheinend eine marginale Zugehörigkeit aufwiesen. Kontakte zu Reichsitalien fanden nur sporadisch statt und Regionen wie Schlesien und Ungarn wurden eindeutig als nicht dazugehörig angesehen. Komplexer waren die Beziehungen der ‚deutschen‘ zu den ‚böhmischen‘ Juden, die eine Mischform der politischen Zugehörigkeit implizierten und in gewisser Weise die Stellung Böhmens als ein nicht-deutsches Königreich innerhalb der Reichspolitik reflektierten. Etwas verblüffend ist hingegen der fehlende Nachweis über politische Kontakte der Reichsjudenschaft mit den Juden Polens, die im 16. Jahrhundert ebenfalls eine eigene übergreifende politische Organisation aufbauten.⁷ Die jüdische Politik und Organisation waren also an das politische System im Reich des 16. Jahrhunderts angepasst. Sie waren aber darüber hinaus in seiner politischen Kultur integriert. Die Juden verfügten über ein fundiertes Wissen über politische Akteure, Konfliktkonstellationen und Rechts- bzw. Machtverhältnisse im Reich. Diese Kenntnisse versetzten sie in die Lage, die Interessen verschiedener Machthaber gegeneinander auszuspielen und somit Bündnisse mit mächtigen Herrschaftsträgern einzugehen sowie die eigenen Handlungsspielräume auszuweiten. Zudem befähigte sie ihr Wissen über die Reichspolitik, an Entscheidungsfindungsprozessen aktiv teilzunehmen und ihre Einflussmöglichkeiten bezüglich der sie betreffenden Rechtskodifizierung effektiv und z. T. erfolgversprechend zu gestalten. Die Juden beherrschten ferner die korrekte politische und rechtliche Sprache und waren in der Formulierung ihrer Gesuche und Beschwerden darauf bedacht, die richtigen sprachlichen Codes und Topoi der Zeit zu verwenden. Dies erforderte nicht nur ein umfassendes Wissen über ihre eigene rechtliche Lage sowie über Herrschaftsverhältnisse und -traditionen in den verschiedenen Herrschaftsbereichen, sondern auch über politische Gepflogenheiten und Empfindlichkeiten. So
Der Anfang dieses Verwaltungsorgans wird auf die Zeit zwischen 1520 und 1580 datiert und geht auf eine Initiative des polnischen Königs zurück. Siehe dazu Israel Halperin (Hrsg.): Pinkas We’ad Arba’ Aratzot. Acta congressus generalis Judaeorum regni Poloniae (1580 – 1746) quae supersunt omnia cum deperditorum fragmentis et testimoniis (Akten der Generalversammlungen der Juden im Königreich Polen (1580 – 1746), soweit sie vorhanden sind, nebst Fragmenten und Zeugnissen), Jerusalem 1945.
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war es von zentraler Bedeutung, bei jedem Gesuch die Machtposition und Autorität der angesuchten Instanz sprachlich bzw. symbolisch zu bestätigen und gleichzeitig die eigene – eigentlich fehlende – gesellschaftliche Rangordnung (z. B. als ‚arme untertänige‘) sowie den rechtlich-politischen Status (als ‚gemeine Judenschaft im Reich‘) innerhalb des Reichssystems zu markieren. In der Regel hatte ein Gesuch gute Chancen auf Erfolg, wenn es zusätzlich das Versprechen eines finanziellen Vorteils für den gnadengewährenden Machthaber enthielt, und es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die Juden dies verstanden und danach handelten. Auch die religiöse Situation im Reich und v. a. die religiösen bzw. konfessionellen Animositäten erforderten von den Juden die Entwicklung spezieller rhetorischen Strategien. Noch vor der Reformation mussten sich die Juden stets gegen religiös motivierte Vorwürfe wehren. Dabei handelte es sich nicht nur um Verdächtigungen und Verfolgungen wegen Hostienschändungen und Ritualmorden an christlichen Kindern, sondern auch um die Beschuldigung, sie würden gegen Jesus, Maria und die Christen lästern und das Ende der christlichen Herrschaft herbeiwünschen. Im Kontext der ‚Türkengefahr‘ brachte vor allem letztere Verdächtigung die Juden in Gefahr, wegen Spionage für die Feinde der Christenheit belangt zu werden. Im Laufe des 16. Jahrhunderts reagierten die Juden auf diese Anschuldigung, indem sie Gebete und Wünsche für den Erfolg und die Dauerhaftigkeit der Herrschaft der angesuchten christlichen Obrigkeit in ihre Supplikationen einfügten. Damit konnten sie rhetorisch beweisen, dass ihre Treue und ihr Gehorsam nicht durch ihre Religionszugehörigkeit unterminiert seien, sondern im Gegenteil, dass die jüdische Religion der christlichen Herrschaft dienlich sein könne. Während diese Rhetorik Vorwürfe der politischen Illoyalität eindeutig einhegen konnte, wurden hingegen Beschuldigungen wegen Gotteslästerung und angeblichen Christenhasses im gesamten Untersuchungszeitraum von katholischen wie protestantischen Theologen weiterhin erhoben; durch den innerchristlichen Streit erreichten sie sogar eine neue Vehemenz. Als sich die Reformation im Reich ausbreitete, mussten die Juden nämlich weitere Beschuldigungen von sich weisen. So warf man ihnen von katholischer Seite vor, sie würden im Hintergrund der Reformationsbewegung heimlich die Fäden ziehen, während Protestanten den Kampf gegen den Wucher und somit gegen die jüdischen Geschäftspraktiken zu einem zentralen politischen Thema erhoben. Gleichzeitig machte sich der Vorwurf des Judaisierens – d. h. der angeblichen Verunreinigung der christlichen Lehre durch rabbinisch-jüdische Elemente – in der öffentlichen Debatte breit und erzeugte eine für die Juden äußerst ungünstige Stimmung. Insgesamt gefährdeten Attacken von beiden konfessionellen Seiten
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das Leben und die Rechte der Juden, denn sowohl katholische als auch lutherische Theologen plädierten (z. T. mit Erfolg) für eine restriktive Behandlung. Die Juden fanden sich daher in einer komplexen politischen Situation wieder, in der sie stets bemüht sein mussten, die religiösen Befindlichkeiten ihrer Gegner und Unterstützer weder durch ihre Argumentationen noch durch ihre Aktionen zu verletzen. In den Verhandlungen mit Territorialherren reagierten sie daher mit großer Kompromissbereitschaft auf religiöse Forderungen, wie das Beispiel Hessen zeigt. Hinsichtlich des Wucherverbots signalisierten die Juden ebenfalls eine große Bereitwilligkeit, auf die Kritik der christlichen Obrigkeiten einzugehen und Maßnahmen zu ergreifen, um die beklagten Missstände zu beseitigen. Zudem versuchten sie, die Diskussion über Zinsnahme vom theologischen Rahmen zu befreien und sie als eine vorwiegend wirtschaftliche Angelegenheit darzustellen. Sie argumentierten, dass das Fehlverhalten einzelner Juden nicht der gesamten Judenschaft angelastet werden könne, denn derartige individuelle Verfehlungen seien keine gruppenbezogene oder gar religiöse Sache. Nichtsdestotrotz bedienten sie sich einer Rhetorik, die das religiöse Vokabular – und damit das religiöse Denken – ihrer christlichen Umgebung übernahm. So war es etwa, als sie ihre elende Situation im Exil ins Spiel brachten, um an die christlichen Obrigkeiten zu appellieren, Milde walten zu lassen. Auf diese Weise affirmierten sie zumindest mittelbar verbreitete Vorstellungen der christlichen Theologie über Gottes Zorn auf die Juden wegen ihres vermeintlichen Frevels an Christus. Als sich die konfessionelle Lage im Reich zuspitzte, mussten die Juden besonders darauf achten, dass ihre Aktionen nicht als parteiisch wahrgenommen würden. So hatte die jüdische Unterstützung der kaiserlichen Armeen während des Schmalkaldischen Krieges das Potenzial, Juden in protestantischen Gebieten zu gefährden. In der Rhetorik jener Zeit beteuerten und betonten daher die Juden, dass sie sich in Kriegssituationen grundsätzlich neutral verhielten und mit ihren jeweiligen Obrigkeiten und ‚Mitbürgern‘ eine rechtlich-politische Gemeinschaft bildeten. Die politischen Loyalitätsbekundungen, welche die Juden zuvor vorwiegend im außenpolitischen Kontext angesichts der ‚Türkengefahr‘ gemacht hatten, wurden nun auch in reichsinternen konfessionellen Angelegenheiten notwendig. Trotz der neutralen Haltung der Juden im religionspolitischen Zusammenhang gab es dennoch Fälle in denen sie die konfessionellen Spannungen politisch ausnutzten, um ihre Interessen durchzusetzen. So war es beispielsweise, als sie 1545 der Gefahr einer Gesamtvertreibung durch ein Hilfsgesuch an den päpstlichen Legaten zuvorkommen wollten. Sie verwendeten darin eine antiprotestantische Rhetorik, um die Sympathie des Kardinals für ihr Anliegen zu gewinnen und mit seiner Hilfe die konfessionsübergreifende Zusammenarbeit in dieser Sache zu sabotieren. Zwar beruhte diese Vorgehensweise auf den jüdischen
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Kenntnissen der traditionellen Haltung der katholischen Kirche zur ‚Judenfrage‘ und verfolgte nicht intentional eine antiprotestantische jüdische Politik. Nichtsdestotrotz instrumentalisierten die Juden die konfessionelle Animosität, um eigene politische Ziele zu erreichen. Die Juden nutzten die konfessionelle Gegnerschaft offensichtlich auch in ihren Verhandlungen mit dem Kaiser über das Speyerer Privileg von 1544. So findet sich in manchen Bestimmungen des Carolinums eine klare Zurückweisung der politischen Ratschläge, die Luther in seiner polemischen Schrift Von den Juden und ihren Lügen geäußert hatte. Auch Josels Schriften verraten an manchen Stellen eine polemische Haltung gegenüber Luther und seinen Verbündeten, die allerdings nicht aus prokatholischer Parteinahme resultierte, sondern eine direkte Reaktion auf die antijüdische Politik protestantischer Fürsten und Theologen war. Man muss dabei betonen, dass die ‚konfessionelle Politik‘ der Juden nie offen betrieben wurde, sondern sich ausschließlich im Verborgenen entfaltete. Ein weiterer Aspekt der jüdischen Zugehörigkeit zur politischen Kultur des Reichs betrifft die ‚Kunst, da zu sein‘, die in einer Gesellschaft, die sich über Anwesenheit und physische Repräsentation konstituierte, äußerst wichtig war. Die Juden verfügten über fundierte Kenntnisse in verwaltungstechnischen und zeremoniellen Abläufen und konnten sich dadurch Zugang zu den relevanten Institutionen, Veranstaltungen und Orten der Reichspolitik verschaffen. Ihre Vertreter waren trotz häufig auftretender Probleme sowohl auf Reichstagen als auch bei Zusammenkünften des Schmalkaldischen Bundes und regionalen Fürstenversammlungen oft anwesend. Dasselbe gilt auch für wichtige Feierlichkeiten wie Krönungszeremonien. Die Anwesenheit jüdischer Gesandter bei letztgenannten Reichsveranstaltungen war deswegen von großer Bedeutung, weil die Bestätigung und Erneuerung ihrer Freiheiten und Rechte bei derartigen Anlässen eine nahezu rein formelle Sache waren. Die Partizipation der Juden an der politischen Kultur im Reich manifestierte sich auch in weiteren Bereichen, wie etwa in ihrer Teilnahme am medialen Geschehen. Die politische Publizistik bot den Juden zwar zunächst mehr Risiken als Chancen, wie die antijüdische Agitation von Konvertiten wie Pfefferkorn und Margaritha oder von Theologen wie Luther, Eck und Bucer zeigt. Zudem bediente sich die Berichterstattung über Prozesse gegen Juden häufig reißerischer Flugblätter und -schriften. Diese Berichte waren oft von Holzschnitten visuell unterstützt, erreichten ein breites Publikum und erzeugten eine judenfeindliche Stimmung. Die Juden nahmen diese neue Form der öffentlichkeitswirksamen Kommunikation wahr und waren meist bestens über deren Inhalte informiert. Die hauptsächliche jüdische Reaktion darauf war der Versuch, ein Verbot des Drucks und Verkaufs solcher Schriften zu erwirken.
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Eine eigene jüdische Beteiligung an der politischen Druckpublizistik war dagegen riskant, weil sie die Gemüter zu sehr hätte erregen können. Dennoch benutzten die Juden Druckerzeugnisse in politischer Absicht, etwa indem sie den Brief des hessischen Landgrafen an Bucer oder das Gutachten gegen die Blutbeschuldigung, das Andreas Osiander zugeschrieben wird, entweder selbst in Druck gaben oder zumindest für deren Verbreitung sorgten. Indem die Juden christliche Gelehrten und Obrigkeiten zu ihrer Verteidigung sprechen ließen, fanden sie eine mittelbare und daher weniger kontroverse Art, an den öffentlichen Diskursen teilzunehmen. Weitere politische Druckerzeugnisse, die von den Juden wahrgenommen und rezipiert wurden, waren Gesetzestexte, die zwecks einer schnellen Verbreitung und Bekanntmachung ihrer Inhalte gedruckt wurden. Dies belegen etwa verschiedene jüdische Supplikationen, die auf die Halsgerichtsordnung (Carolina) von 1532 oder auf den ‚Ewigen Landfrieden‘ von 1495 Bezug nehmen. Die Juden rezipierten jedoch nicht nur den Inhalt von Reichsgesetzen, sondern übernahmen auch ihre Publikationsform. So kamen sie für die Kosten der Drucklegung mancher ihnen vom Kaiser verliehenen Privilegien und Mandaten sowie mit ihnen geschlossenen Verträgen auf und sorgten dadurch für ihre schnelle und weite Bekanntmachung. Neben dem unmittelbaren juristischen Nutzen erfüllte also die Rezeption des Druckmediums durch die Juden die Funktion, ihre Zugehörigkeit zum Rechtssystem im Reich zu visualisieren und zu markieren. Eine weitere Form der Teilnahme an einer öffentlichkeitswirksamen politischen Kommunikation bildeten öffentliche Disputationen. In der Regel hatten die politischen Disputationen nur ein begrenztes Publikum, das sich aber aus wichtigen Machtträgern konstituierte. Ein Sieg konnte daher einen großen politischen Ertrag erzielen. Meist zögerten die Juden aber, öffentlich zu disputieren, weil sie die schlimmen Folgen der schauprozessartigen Disputationen des Mittelalters kannten, welche mit Talmudverbrennungen oder großen Konversionswellen geendet hatten. Dieses Zögern ließ jedoch nach, nachdem Josel von Rosheim die Disputation gegen Anthonius Margaritha auf dem Augsburger Reichstag von 1530 gewonnen hatte. Denn 1539 war es Josel selbst, der den Straßburger Reformator Martin Bucer zu einer öffentlichen Disputation aufforderte. Durch diese und andere Formen vorsichtiger und teils mittelbarer Partizipation an der politischen Öffentlichkeit kann man erkennen, dass die Juden meist die begrenzte Öffentlichkeit der politischen Klasse im Reich suchten, deren Unterstützung sie zu gewinnen trachteten. Die jüdische Politik im Reich des 16. Jahrhunderts war ein Produkt der herrschenden politischen, rechtlichen und kulturellen Verhältnisse. Ihre Organisation ahmte daher zumindest in ihrer Darstellung nach außen – mit der Versammlung sowie dem Befehlshaber und Reichsrabbiner an deren Spitze – die hierarchisch
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organisierte Struktur der Reichspolitik nach. So verkörperte Josel von Rosheim die jüdische Repräsentation im Reich wie kein anderer und besaß dadurch enormen Einfluss auf das politische Schicksal der Juden. Auch der Reichsrabbiner erfüllte eine wesentliche Führungsfunktion innerhalb der Reichsjudenschaft, etwa in der Rolle als Vorstand der Versammlungen. Allerdings übten weder Josel noch Samuel oder Jakob von Worms direkte Herrschaftsgewalt über die Juden aus. Vielmehr entfaltete sich die politische Macht innerhalb der Reichsjudenschaft im Wesentlichen in der Kooperation der jüdischen Gemeinden, die in der Regel die Form der Versammlung annahm. Die jüdische Politik fügte sich nicht nur äußerlich in die Struktur des politischen Systems des Reichs, sondern passte sich, wie oben gezeigt wurde, auch an Veränderungen in den Machtstrukturen und Kräfteverhältnissen der Reichspolitik an. Die Fähigkeit, mit den Änderungen der Zeit Schritt zu halten, und das tiefe Verständnis der kulturellen und religiösen Mechanismen dieser Wandlungsprozesse zeigen, dass die jüdische Organisation auf vielfältige Weise im politischen System und in der politischen Kultur des Reichs integriert war. Daraus lässt sich schließen, dass die frühneuzeitliche jüdische Politik in äußerst enger Verschränkung mit dem politischen System betrachtet und verstanden werden muss, in dem sie agierte. Ihre Geschichte muss als immanenter Bestandteil der Reichsgeschichte betrachtet werden. In dieser Hinsicht erscheinen Versuche, eine jüdische Frühe Neuzeit als eigenständige historisch-kulturelle Epoche zu definieren⁸ oder sie im Gegenteil zu negieren⁹, nicht zielführend ohne eine konsequente Rückbindung der innerjüdischen Entwicklungen an die nicht jüdische Umwelt. Im Falle der politischen Geschichte der Juden im 16. Jahrhundert lassen sich die Strukturen der Zusammenarbeit der jüdischen Gemeinden als eine Art Reichsreform der Reichsjudenschaft beschreiben, die auf die allgemeine Reichsreform reagierte und sich an sie anpasste. Paradoxerweise trugen der Erfolg der jüdischen Reichsorganisation und ihre Anpassungsfähigkeit schließlich zu ihrem allmählichen Niedergang bei. Die neugewonnene Stärke der jüdischen Gemeinden und die zunehmende Angleichung ihrer Organisationstrukturen an die politischen Grenzen der Territorialstaaten führten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Aufgabe der zentralisierten Koordinierung der jüdischen Politik und Repräsentation. Die Entwicklung dezentraler, quasi konföderativer Organisationsformen erscheint dabei als eine weitere Etappe im fortwährenden
Vgl. z. B. Ruderman: Early Modern Jewry. Dies tat z. B. Katz: Tradition und Krise; Ders.: Exclusiveness and Tolerance.
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Anpassungsprozess der jüdischen Politik an ihre Umwelt. Im 17. und 18. Jahrhundert mündete dieser in der Ausformung der Landjudenschaften.¹⁰ Die reichsweite Organisation der jüdischen Interessenvertretung, welche die politische Geschichte der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation v. a. in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts dominierte, war somit eine vergängliche aber keineswegs belanglose Erscheinung der frühneuzeitlichen jüdischen Politik. Denkt man an die zu Beginn der Arbeit zitierte Strophe, wonach sich in jeder Generation ein Held zur Errettung des jüdischen Volks erhebt, so erfüllte für das 16. Jahrhundert nicht eine Person diese Errettungsfunktion, sondern seine politische Organisation.
Die Entstehung der ‚Landjudenschaften‘ war somit nicht, wie in der älteren Forschung angenommen, ausschließlich das Resultat von Bemühungen territorialer Obrigkeiten aus merkantilistischen Motiven oder absolutistischem Anspruch. Vgl. Leopold Munk: Die Judenlandtage in Hessen-Cassel, in: MGWJ 41 (1897), S. 505 – 522; Ludwig Horwitz: Die Judenlandtage in Kurhessen. Ein Beitrag zur bürgerlichen Stellung der Juden in einem deutschen Kleinstaate, in: Im Deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 14 (1908), 499 – 505 und Bernhard Wachstein: Das Statut der jüdischen Bevölkerung der Grafschaft Wied-Runkel (Pinkas Runkel), in: ZGJD N.F. 4 (1932), S. 129 – 149. Die wichtigste Arbeit über die ‘Landjudenschaften’ ist immer noch die Dissertationsschrift von Daniel J. Cohen: Organization of the „Landjudenschaften“.
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Anhang 1 Gesamte von Juden eingereichte Supplikationen vor dem RHR (1544‒1551)
Abbildung 1: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 1‒8 und 10.
https://doi.org/10.1515/9783110723533-014
Anhang
2 Gesamtjüdische Gesuche während der Reichstage 1544‒1551
Abbildung 2: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bde. 1‒8 und 10; Ebd. Conf. Priv., K. 94‒98; Ebd. Jud. Misc. J 1, K. 41 und 43; Ebd. RK, RTA, K 20, Bl. 88, hier Bl. 88r. Reichstagsakten unter Karls V. Der Reichstag von Regensburg 1546 [RTA, jüngere Reihe, Bd. 19/2], bearb. von Erwin Eltz, Göttingen 2005.
447
448
Anhang
3 Verteiltung der Themen der jüdischen Supplikationen im Zeitraum 1544‒1551
Abbildung 3: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bde. 1‒8 und 10; Ebd. Conf. Priv., K. 94‒98; Ebd. Jud. Misc. J 1, K. 41 und 43; Ebd. RK, RTA, K 20, Bl. 88, hier Bl. 88r. Reichstagsakten unter Karls V. Der Reichstag von Regensburg 1546 [RTA, jüngere Reihe, Bd. 19/2], bearb. von Erwin Eltz, Göttingen 2005. und Chava Fraenkel-Goldschmidt: The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of Jewry in Early Modern Germany, Leiden 2006.
Anhang
449
4 Antragsteller gesamtjüdischer Gesuche vor der Mainzer Erzkanzlei 1550/51
Abbildung 4: Quelle: Liste der von den Juden in der Mainzer Kanzlei eingereichten Supplikationen, Augsburg 18. August 1550 – 18. Februar 1551, in: Reichstagsakten unter Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51, Teilband 2, bearb. von Erwein Eltz [Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, Bd. 19] München 2005, Nr. 276, S. 1467‒1473.
450
Anhang
5 Antragssteller jüdischer Gesamtgesuche vor dem RHR 1550/51
Abbildung 5: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bde. 4‒8 und 10.
Anhang
451
6 Aufteilung der Gesuche der gemeinen Judenschaft (1550/51)
Abbildung 6: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 4‒10 und Liste der von den Juden in der Mainzer Kanzlei eingereichten Supplikationen, vom 18. August 1550 bis zum 18. Februar 1551, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51 [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 19], Teilband 2, bearb. von Erwein Eltz, München 2005, Nr. 276, S. 1467‒1473.
452
Anhang
7 Erfolg der eingereichten Gesuche beim Reichshofrat 1550/51
Abbildung 7: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 4‒10 und Liste der von den Juden in der Mainzer Kanzlei eingereichten Supplikationen, vom 18. August 1550 bis zum 18. Februar 1551, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51 [Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 19],Teilband 2, bearb. von Erwein Eltz, München 2005, Nr. 276, S. 1467‒1473.
Anhang
8 Zahl der privaten Gesuche von Juden auf verschiedene Reichstage (RHR)
Abbildung 8: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 1‒8 und 10.
453
454
Anhang
9 Erfolgsquote der privaten Gesuche vor dem Reichshofrat (1544‒1551
Abbildung 9: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 1‒8 und 10.
Anhang
455
10a Kommunale Gesuche vor dem Reichshofrat (1544‒1551) (ohne Mitwirkung Josels von Rosheim)
Abbildung 10a: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 1‒8 und 10.
456
Anhang
10b Kommunale Gesuche vor dem Reichshofrat (1544‒1551) (mit Mitwirkung Josels von Rosheim)
Abbildung 10b: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 1‒8 und 10.
Anhang
11 Übersicht über jüdische Gesuche privater, kommunaler und gesamtjudenschaftlicher Antragssteller vor dem RHR (1550/51)
Abbildung 11: Quellen: HHStAW, RHR, Resolutionsprotokolle, Bände 1‒8 und 10.
457
Personenregister Aaron, Jude aus Esslingen 349 – 351 Abraham, Jude aus Forchheim 286 Abraham, Jude aus Fürth 352, 372 Abraham, Jude aus Landau 373 Abraham ben Avigdor 207 Adolf von Nassau, Graf 88, 96, 109 Albrecht II., römisch-deutscher König 43, 70 Albrecht II. von Mainz, Erzbischof 6, 116 f., 145, 175, 181 Albrecht V. von Bayern, Herzog 340 Alexander von Forli, Bischof 72 Amman, Hans 349 Angelus, Andreas 124 Anna von Brandenburg-Kulmbach, Gräfin 125 Anselm, Reichsrabbiner aus Köln 148, 150, 152 Aquin, Thomas von 41 Augustin 41 Bader, Augustin 172 Balthasar Merklin von Hildesheim und Konstanz, Bischof 182 Balthasar von Hanau, Graf 182 f. Bassano, Salomon 352 Báthory, Stephan 163 Beifuß, Jude aus Landau 286 Beyfuss, Jude aus Düdelsheim 375 Beyfuss, Jude aus Saarburg 375 Bismarck, Otto von 11 Böcklin von Böcklinsau, Wilhelm 340 Böschenstein, Johannes 135 Bruna, Israel, Rabbiner von Regensburg 148 Bucer, Martin 34 f. 137, 179, 226, 228, 230, 232 – 235, 237 f., 240, 248 f., 260 f., 402 f. Campeggio, Lorenzo 203, 285 Capelman, Jude aus Behingen [Vaihingen?] 286 Capistranus, Johannes 51, 57 Capito, Wolfgang 137, 224 f. https://doi.org/10.1515/9783110723533-015
Carben, Viktor von 55, 177 Casimir von Brandenburg-Kulmbach, Markgraf 125, 155 Chajim Isaak, Rabbiner aus Würzburg 148 Christoph von Stadion von Augsburg, Bischof 199 Christoph von Württemberg, Herzog 334 – 336, 338 – 340, 345 f. Colon, Joseph 73 Cronberg, Walter von 271 Eck, Johannes 162, 188, 226, 234, 237, 248, 259 – 262, 283, 402 Erich I. von Braunschweig-Calenberg, Herzog 102, 104, 349 Esias, Jude aus Meersburg 349 Eßlinger, Balthasar 339 Farnese, Alessandro 296 f., 309 Felix zu Werdenberg und Heiligenberg, Graf 151 f. Feltre, Bernhardin von 57 Ferber, Joachim, Jude aus Nordhausen 372, 374, 376 f. Ferdinand I., römisch-deutscher Kaiser 150 f., 159 – 161, 163 – 165, 173 – 176, 182, 204, 206 – 209, 214 – 220, 263 – 265, 267 f., 275 – 277, 282, 287, 295, 299, 302, 304 f., 308, 351 f., 364, 367 – 371, 382, 387, 393 Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser 287, 350 Fessler, Johann 334 f. Feuerbach, Wilhelm Waise von 182 Folz, Hans 57 Franz’ I. von Frankreich, König 302, 336 Franz von St. Georgen, Graf 163 Frauenberg, Valentin 334 f. Friedrich I., römisch-deutscher Kaiser 204 Friedrich II., römisch-deutscher Kaiser 42, 166, 204, 283 Friedrich II. (der Weise) von der Pfalz, Pfalzgraf bei Rhein 114, 155, 326
Personenregister
Friedrich II. von Brandenburg-Kulmbach, Markgraf 101, 125 Friedrich III., römisch-deutscher Kaiser 60, 70, 72, 98, 107 f., 148, 284 Friedrich III. (der Weise) von Sachsen, Herzog 156 Fromm, Paul 122, 124 Fröschel, Jacob, Jude aus Prag 375 Fugger, Anthon 217 Fugger, Jakob 217 Fugger, Reymond 217 Gase, Jude aus Dalheim 286, 352 Georg von Brandenburg-Ansbach, Markgraf 125, 205, 381 Georg I. von Württemberg-Mömpelgard, Herzog 255 f., 269 Georg von Wertheim, Graf 119 Georg zu Waldburg, Freiherr 176 Gerschom ben Judah 67 Gottschalk, Jude aus St. Goar 229 – 231 Granvelle, Antoine Perrenot de 329 Granvelle, Nicolas Perrenot de 299 Gratius, Ortwin 85 Gregor X., Papst 165 Grimstadt, Jacob von 375 Gumpchin, Jude aus Frankfurt 115 f. Ha-Kohen, Salomon Zalman 383 Ha-Re’uveni, David 201 f. Hamerstetter, Caspar 209 Haymann, Jude aus Stadtamhof bei Regensburg 350, 315 Hayum, Jude aus Schwabach 101 Heinrich von Guttenstein, Herr von Tachau in Böhmen 96 Heldt, Matthias 191 Heller, Jakob 102 Hermann von Fulda, Abt 214 Hieronymus von Brandenburg, Bischof 241 Honorius III., Papst 165 f. Hoogstraeten, Jakob von 109 Hoss, Christoph 210 f. Hubmeier, Balthasar 139 Hutten, Ferowin von 90, 99 Hynsberg, Karl von 102 – 104
459
Innozenz IV., Papst 166 Isaac, Jude aus Homberg (Ohm) 228 Isaak, Jude aus Forchheim 286 Isaak, Jude aus Neuburg 319, 337 Isaak, Jude aus Stadtamhof 349 Isaak, Jude aus Triest 97 Isaak, Rabbiner aus Frankfurt 152 f. Isaak von Esslingen, Jude aus Frankfurt 115 Israel, Rabbiner aus Rothenburg 148 – 150 Isserles, Moses 77 Itzing von Bopfingen, Jude aus Frankfurt 104 Jaacov ben Meir = Rabbenu Tam 67 f. Jacob, Jude aus Bensheim 286 Jacob, Jude aus Dalheim 286, 352 Jacob, Jude aus Esslingen 286, 315 Jacob, Jude aus Grimstadt 375 Jacob, Jude aus Günzburg 286, 350 f. Jacob, Jude aus Roth 372 Jacob, Jude aus Schweinfurt 286 Jacob, Jude aus St. Georgen 163 Jacob Andrä, Herr von Brandis, Freiherr zu Leonburg 352 Jakob, Reichsrabbiner aus Worms 150, 275, 369 f., 373, 382 f., 385, 387, 404 Jehuda Löw ben Bezalel 375 Jitzchaki, Schlomo, Jude aus Troyes = Raschi 67 Joachim I. von Brandenburg, Markgraf 101, 122, 241 Joachim II. von Brandenburg, Markgraf 239 – 243, 245 Johann Friedrich von Sachsen, Herzog 223 – 225, 240, 242 f., 252 f. Josel, Jude aus Rosheim 1 – 4, 6, 14, 27, 31, 34 f., 38, 110, 126 – 128, 140 f., 143 f., 158, 161 – 167, 172 – 174, 176, 178 – 184, 191 – 194, 199 – 212, 217, 219, 221 – 226, 232, 238 – 242, 244 f., 249 – 251, 255 – 259, 262 – 264, 267, 270 – 272, 277 – 288, 291 – 296, 298 – 305, 308, 312 – 320, 323 – 325, 327 – 330, 334 – 347, 350 – 352, 354 – 356, 358, 360 f., 363, 370 f., 374, 382, 394 f., 398, 402 – 404, 448, 455 f.
460
Personenregister
Joseph, Jude aus Frankfurt 350 Jsayas, Jude aus Behingen [Vaihingen?]
286
Karl IV., römisch-deutscher Kaiser 43, 98 Karl V., römisch-deutscher Kaiser 3, 31, 60, 98, 133, 141, 143 – 145, 147 f., 150 – 152, 154 – 156, 159 f., 166, 168, 171 – 174, 178, 182, 184 – 186, 192, 200, 203 f., 206, 247, 268, 271 f., 280 – 282, 284, 286 f., 291 – 293, 298 f., 302 – 304, 306, 318, 322 – 324, 327, 329, 331, 336, 348, 351 f., 356 – 358, 364, 392, 395, 397 f., 447 – 449, 451 f. Karl VI., römisch-deutscher Kaiser 287 Karlstadt, Andreas 135 Kessel, Mosche zum, Jude aus Frankfurt 231 f. Knebel, Jude aus Frankfurt 91, 118 f., 146 Konrad von Würzburg, Bischof 279 f. Kues, Nikolaus von 51, 56 f. Lazarus, Jude aus Babenhausen 229 – 232, 235, 350 Lazarus, Jude aus Schwabach 175 f. Lazarus, Judenarzt aus Günzburg 351 f. Leo, Jude aus Berghausen 375 Leonrod, Albrecht von 261 Leopold I., römisch-deutscher Kaiser 287 Lewi, Rabbiner von Völkermarkt 148 Liebermann, Rabbiner 205 Löble, Johann 217 Lorenz von Bibra, Bischof von Würzburg 97 Ludwig V. (der Friedfertige) von der Pfalz, Pfalzgraf 114, 142 f., 239 Luria, Jochanan 77 Luther, Martin 35, 54, 133 – 140, 177, 181, 188, 224 – 227, 234, 237, 240 f., 248, 251 – 253, 255 – 258, 260 f., 290, 296 f., 395, 402 Margaritha, Anthonius 176 – 182, 225, 255, 301, 402 f. Margulies, Samuel 77 Martin V., Papst 165 Matthias, römisch-deutscher Kaiser 287, 350
Maximilian I., römisch-deutscher Kaiser 29, 37, 40, 51, 59 f., 83, 86, 89 f., 100, 105, 107 – 109, 111 f., 114 f., 119, 127, 133 f., 141, 143 f., 147 f., 157, 166 f., 204, 214 f., 284, 317, 352, 371 f., 396 Maximilian II., römisch-deutscher Kaiser 14, 287, 289, 351, 357, 369, 371 f., 385 Maximilian von Österreich, Erzherzog 352 Mayr, Jude aus Kiebingen 215 Melanchthon, Philipp 135, 139 f., 241 f., 252 Meyer, Rabbiner aus Frankfurt 152, 153 Meysch, Johannes 199 Michel, Jude aus Darmstadt 286 Michel, Jude aus Derenburg 315, 349, 353 Minz, Moses 71 Molcho, Salomon 201 f. Mosche, Jude aus Bischofsheim 374 Mosche, Jude aus Bonn 351 f. Mosche, Jude aus Burgau 286, 315 Mosche, Jude aus Fürth 352 Mosche, Jude aus Herrenberg 349, 354, 358 Mosche, Jude aus Meersburg 349 Mosche, Jude aus Neustetter 352 Mosche, Jude aus Rindtfuß 350 Mosche, Jude aus Triest 97 Mospelt, Gebhard von 349 Negri, Peter 51, 57 Nikolaus V., Papst 166 Obernburger, Johann 334 f., 339 f., 361 Ortlieb, Hermann 100, 103 f. Osiander, Andreas d. Ä. 135, 137, 162, 188, 260, 283, 403 Österreich, Kunigunde von 85 Ottheinrich von Pfalz-Neuburg, Pfalzgraf 260, 262 Otto von Augsburg, Bischof 384 Pappenheim, Georg von 210, 272 Pappenheim, Ulrich von 317 Pappenheim, Wolfgang von 316 f. Peutinger, Konrad 172, 185, 194 Pfefferkirchen, Simon, Jude aus Würzburg 97
Personenregister
Pfefferkorn, Johannes 28, 55, 83 – 92, 94, 96 – 105, 108 – 115, 124 f., 129, 164, 167, 177 f., 255, 301, 395 f., 402 Philipp I. (der Aufrichtige), Pfalzgraf bei Rhein 126 Philipp I. (der Großmutige) von Hessen, Landgraf 226 – 229, 231 f., 234 f., 237 – 239, 242 f., 249, 251 f., 298 Philipp III. von Hanau, Graf 242 Philipp von Braunschweig-Grubenhagen, Herzog 374 Philipp von Pommersfelden, Truchsess 281 Planitz, Hans von der 156 Rade, Cosman zum, Jude aus Worms 370 – 373 Ramstein, Meich von 349 Rappoltstein, Wilhelm von 115, 118 f. Reimsheim, Ulrich von 349 Reinbach, Seligmann 278, 286 Reuchlin, Johannes 10, 44, 50, 83, 86 f., 105, 109 – 112, 134 f., 219, 395 Richard von Greiffenklau zu Vollrads, Erzbischof von Trier 152 Rudolf I., römisch-deutscher Kaiser 43 Rudolf II., römisch-deutscher Kaiser 10, 14, 32, 287, 289, 378, 380 Rudolf zu Sulz, Graf 215 Ruprecht, römisch-deutscher König 43, 148 – 150 Salomon, Jude aus Northeim 303 Salomon, Jude aus Spandau 122 Salomon, Jude aus Umstadt 286 Salomon Molcho=Molcho, Salomon 201 f. Samuel, Jude aus Burgau 286, 315 Samuel, Jude aus Landau 286 Samuel, Jude aus Worms (nicht der Reichsrabbiner) 286, 315, 352 – 354, Samuel, Reichsrabbiner aus Worms 150 – 153, 156 f., 165, 244, 272, 275, 277, 369 f., 404 Schönwetter, Adam 99, 120 Schotten, Nathan, Jude aus Oberhausen 363, 373, 376, 382 – 385 Schoya, Jude aus Esslingen 349 – 351 Schwabach, Conrad von 158 f.
461
Segal, Isaak, Rabbiner aus Günzburg 373 f., 376, 383 – 385 Seligman, Jude aus Schwandorf 315 Serntein, Cyprian von 110 Sigismund, römisch-deutscher Kaiser 48, 70, 148, 151 f., 166, 184, 331 Simon, Jude aus Frankfurt 374 Simon, Jude aus Günzburg 286, 349 – 351, 354, 363, 373 f., 376, 382 – 384 Simon, Jude aus Rindtfuß 350 Simon, Jude aus Schwabach 175 f. Simon, Jude aus Trient 57, 72, 124, 166 Stephani, Joachim 364 Sturm, Jakob 228 Süßmann, Jakob 113 – 116, 118, 146 Teuschlein, Johannes 139 Tongern, Arnold von 85 Treves, Elieser 376, 383 Ulrich I. von Württemberg, Herzog 254, 288 f., 336 Uriel von Gemmingen, Erzbischof von Mainz 89 f., 100, 130 Usque, Samuel 136 Venerabilis, Petrus
55
Weil, Jacob 70 Weinsberg, Konrad von 70, 148, 152 Weißenau, Gumprecht von, Jude aus Frankfurt 89 – 91 Weißenau, Simon von, Jude aus Frankfurt 89, 97, 115 Weydner, Wolfgang 209 Wilhelm von Nassau, Graf 242 Wilhelm zu Regendorf, Freiherr 182 Winter, Jacob 124 Wolf, Jude aus Schwabach 351 Wolfgang von Braunschweig-Grubenhagen, Herzog 374 Wolfgang von Pösing, Graf 163 Ziegler, Nikolaus 145 Zion, Jonathan Israel, Jude aus Frankfurt 88, 91, 93, 95 – 97, 100 Zwingli, Huldrych 134, 188
462
Personenregister
Zwirzeticzky, Johann, Herr von Wartenberg 208