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German Pages 200 [202] Year 2021
https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
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Schwabe reflexe
Band 71
https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Emil Angehrn
Zur Sprache kommen Von der Sprachlichkeit des Menschseins
Schwabe Verlag
https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschließlich seiner Teile darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden. Abbildung Umschlag: Foto Basilisk AG Korrektorat: Anna Ertel, Göttingen Gestaltungskonzept: icona basel gmbH, Basel Cover: Kathrin Strohschnieder, STROH Design, Oldenburg Layout: icona basel gmbh, Basel Satz: 3w+p, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN Printausgabe 978-3-7965-4372-2 ISBN eBook (PDF) 978-3-7965-4373-9 DOI 10.24894/978-3-7965-4373-9 Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt. [email protected] www.schwabe.ch
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Inhalt
Einleitung: Am Anfang war das Wort . . . . . . . . . . . . . .
9
1.
Das Wunder der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2.
Die Sprache des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
3.
Die Sprache als Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
4.
Der Anfang der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
5.
Hermeneutische Sprachreflexion . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Das sprechende Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
1.
Die Differenz der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
2.
Verstehen und Selbstverständigung . . . . . . . . . . . . . .
34
3.
Leben, Sinn, Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Zur Sprache kommen – die Genese der Sprachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
1.
Sprachursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
2.
Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
3.
Vom Denken zum Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
4.
Der Grund der Sprache im Leben . . . . . . . . . . . . . . .
55
5 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Zur Sprache bringen – der Gebrauch der Sprache .
65
1.
Stufen und Formen des Sprechens . . . . . . . . . . . . . . .
65
2.
An der Grenze des Sprechens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Die Macht der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
1.
Konstitutive und schöpferische Kraft der Sprache . .
89
2.
Funktionen und Dimensionen der Sprache . . . . . . .
95
3.
Hermeneutische Phänomenologie der Sprache . . . . 106
Der Ursprung der Sprache im Anderen . . . . . . . . . . . . 113 1.
Die Herkunft des Sinns vom Anderen her . . . . . . . . 113
2.
Der Anfang des Sprechens im Anderen . . . . . . . . . . 118
3.
Das Antlitz des Anderen – Angesprochenwerden und Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Das Wort des Seins und die Rede des Menschen . . . 133 1.
Das Wahrsein des Wirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
2.
Zwischen dem Logos des Seins und der menschlichen Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Die Feier der Sprache und die Erhellung des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1.
Das Rätsel der Sichtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
2.
Das Wunder der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
3.
Das Hellwerden der Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
6 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
7 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
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Einleitung: Am Anfang war das Wort
1. Das Wunder der Sprache «Dass jedes Ding einen Namen hat», ist die überwältigende Entdeckung, die Helen Keller (1880–1968) mit sieben Jahren macht. Davor hatte sie, die seit ihrem zweiten Lebensjahr aufgrund einer Hirnhautentzündung ihr Seh- und Hörvermögen verloren hatte und stumm geworden war, sich in begrenztem Ausmaß mittels Gesten mit Personen ihrer Umwelt verständigen können. Überwältigend ist das Erlebnis des Aufgehens des Sprachraums, nachdem ihre neue Lehrerin, Anne Sullivan, ihr mit den Zeichen eines Fingeralphabets die Wörter für bestimmte Gegenstände in die Hand buchstabiert hat und sie, nach wiederholtem Spüren, auf einmal anfängt, deren Bedeutung zu erfassen. Anne Sullivan beschreibt den bewegenden Moment dieser Entdeckung: [Die Lehrerin hatte Helen beim morgendlichen Waschen das Wort ‹Wasser› in die Hand buchstabiert und dies beim späteren Wasserschöpfen mit der Pumpe wiederholt.] «Das Wort, das so unmittelbar auf die Empfindung des kalten, über ihre Hand strömenden Wassers folgte, schien sie stutzig zu machen. Sie ließ den Becher fallen und stand wie angewurzelt da. Ein ganz neuer Lichtschein verklärte ihre Züge. Sie buchstabierte das Wort water zu verschiedenen Malen. Dann kauerte sie sich nieder, berührte die Erde und fragte nach dem Namen, ebenso deutete sie auf die Pumpe und das Gitter. Dann wandte sie sich plötzlich um 9 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
und fragte nach meinem Namen. Ich buchstabierte teacher in die Hand. […] Auf dem ganzen Rückweg war sie in höchstem Grade aufgeregt und erkundigte sich nach dem Namen jedes Gegenstands […] [Am nächsten Morgen:] Helen stand heute früh wie eine strahlende Fee auf. Sie flog von einem Gegenstande zum anderen, fragte nach der Bezeichnung jedes Dinges und küßte mich vor lauter Freude. […] Alles musste jetzt einen Namen haben. […] Sobald sie das betreffende Wort kennt, wendet sie ihre früheren Zeichen und Pantomimen nicht mehr an.»1
Wie mit einem Schlag öffnet sich dem Kind eine neue Welt – nicht nur die Welt der Sprachzeichen, sondern die Wirklichkeit selbst, zu welcher die Zeichen den Zugang vermitteln und die sich im Medium der sprachlichen Benennung in einer gänzlich neuen, originären Weise offenbart. Das Wunder der Sprache liegt nicht allein im Verfügen über einen Code und Ausdrucksmodus, sondern ereignet sich in einem genuinen, unvergleichlichen Erkennen. Es ist ein Erkennen, in dem nicht nur ein neues Licht auf die Dinge fällt, sondern auch das Innere hell wird und die Züge des Kindes wie ‹von einem neuen Lichtschein verklärt› werden. Dieses Sich-Öffnen liegt jenem umwälzenden Erlebnis zugrunde, in dem mit einem Male geschieht, was sich in der normalen Entwicklung im Laufe eines langen Lernprozesses herausbildet. Worüber die normale Sprachpraxis als Selbstverständlichkeit verfügt, bricht hier in seiner NichtSelbstverständlichkeit, seiner absoluten Neuheit in das Leben ein. Indessen findet die Faszination, die sich in der Begeisterung des Kindes manifestiert, welches den Sinn der Worte entdeckt, nicht nur unter solchen herausgehobenen Bedingungen statt. Sie zeichnet ebenso den normalen Entwicklungsgang des Hineinwachsens in die Sprache aus. Sie äußert sich in der Neugier, in der Bewegtheit und im Enthusiasmus des Kindes,
10 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
das seine Welt erkundet und sein Können erprobt, und sie hat ihren Spiegel im Erleben der Eltern und Begleitpersonen, welche das Erwachen eines neuen Lebens, das Entstehen einer neuen Welt und Anfangen einer neuen Geschichte mitvollziehen. Es gehört zu den tiefsten Erfahrungen in der Begegnung mit Kindern, den ersten Blick, das erste Lächeln zu sehen, in denen Neugeborene sich der Welt und anderen öffnen, und die vielfältigen Schritte zu erleben, in denen Kleinkinder stufenweise ihre natürliche und soziale Umwelt erobern, auf sie reagieren und sie prägen. In welcher Weise dieser fundamentale, das ganze menschliche Sein verwandelnde Prozess mit der Ausbildung der Sprachfähigkeit und dem Erwerb einer bestimmten Sprache zusammenhängt, bildet ein Herzstück der Fragen, mit denen sich die folgende Abhandlung auseinandersetzt. Das Wunder der Sprache, das aus der Innen- und Außenperspektive gleichermaßen erfahren wird, liegt als existentieller Grund dem Interesse an der begrifflichen Aufhellung des Phänomens der Sprache zugrunde.
2. Die Sprache des Menschen Die existentielle Erfahrung des Zur-Sprache-Kommens ist nicht nur ein hinzukommendes Thema einer theoretischen Verständigung über die menschliche Sprache. Sie bildet für diese einen innersten Kern, weil sie ein Innerstes im Menschsein ausmacht. Dass wir uns über die Sprache, über den kindlichen Spracherwerb und über die sprachliche Prägung und Durchdringung der Welt klar werden wollen, hat seinen tiefsten Grund darin, dass Sprache für die menschliche Existenz ein Fundament und Wesensgrund ist. Sprache ist dem Menschen unverzichtbar, sie ist ein konstitutives Element seiner Lebensform, wie sie umgekehrt ihre auszeichnende Kraft und Eigenart als Sprache des 11 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Menschen, nicht als erweiterte Tiersprache oder Computersprache besitzt. Sie ist dem Leben der Menschen wesentlich und hat in ihm ihr Fundament. Die Verschränkung zwischen Sprache und Menschsein bedeutet, dass eine Verständigung über das, was den Menschen ausmacht und seine Existenz kennzeichnet, eine Verständigung über das Wesen und die existentielle Bedeutung der Sprache beinhaltet. Dies ist der Kern der traditionellen Definition des Menschen als sprechendes Lebewesen. Die Sprache ist nicht irgendein Vermögen neben anderen, das zum menschlichen Sein gehört. Sie ist ein Mittelpunkt, auf den alle Vermögen und Tätigkeiten des Menschen zurückweisen, aus dem heraus sie ihr Potential entfalten. Fast alles, was der Mensch ist und kann, vermag er durch die Sprache, und ohne Sprache ist er in seinem Innersten wie in seinen Äußerungen und Verwirklichungen grundlegend beschnitten. Die essentielle Verwiesenheit des Menschen auf die Sprache, der Sprache auf den Menschen kommt in der Formel des Zur-Sprache-Kommens zu prägnanter Artikulation. Die Formel umfasst eine aufschlussreiche zweifache Doppelperspektive, in der sich der Reichtum der Sprachlichkeit auseinanderlegt. Die eine liegt in der Rede vom Zur-SpracheKommen des Menschen und vom Zur-Sprache-Kommen der Welt. Schon im eingangs beschriebenen Erlebnis des erwachenden Bewusstseins ist die Doppelung anschaulich gegenwärtig. Die Begeisterung über die Entdeckung der Worte ist zugleich eine über die Entdeckung der Welt, über ein neues Sichzeigen und Offenbarwerden der Dinge. Für das Kind, das in das Reich der Sprache eintritt, öffnet sich durch die Sprache ein neues Fenster zur Welt, ein neuer Weg zur Erfahrung des Wirklichen, sowohl der Dinge ‹da draußen› wie der Welt in ihm selbst. Es ‹kommt zur Sprache› nicht nur in dem Sinne, dass es bei der Sprache als einem gegebenen, äußeren Gefüge ankommt und Sprache ‹hat›, sondern insofern, als es selbst von der Sprache 12 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
durchdrungen wird, im Medium der Sprache sich selbst fassbar wird und sich für sich selbst öffnet. Das Zur-Sprache-Kommen interessiert nicht nur als initialer Beginn und Hineinkommen in ein neues Medium, sondern als prozessuale Entwicklung und Vollendung, Artikulation und Entfaltung des Impliziten und Vorsprachlichen. In diesem Prozess überlagert sich – so die zweite Doppelung – das Zur-Sprache-Kommen mit dem ZurSprache-Bringen, das seinerseits ein gegenständlich-transitives wie selbstbezüglich-reflexives sein kann. Sprechen lernen heißt fähig zu werden, die Dinge und sich selbst zur Artikulation und seinsmäßigen Entfaltung zu bringen, die implizite, verborgene oder unterdrückte Sprachlichkeit in den Dingen und im eigenen Erleben explizit und zum Medium des Seins und der Gestaltung werden zu lassen. Sprache ist in alledem ein konstitutives Geschehen, das in der verbalen Aneignung wie der Äußerung, im Verstehen wie im Reden vollzogen wird. Die Verflechtung dieses mehrschichtigen Zur-Sprache-Kommens und Zur-Sprache-Bringens bildet den Knoten, der in der menschlichen Existenz zu entfalten und in begrifflicher Analyse aufzuhellen ist. Ort und Bedeutung dieses Knotens im Lebensvollzug lassen sich vorausgreifend im Ausgang von einer anderen Begriffsklammer, der Verweisung zwischen der Sprache und dem Anfang, umreißen. Sprache ist ein Anfang im Leben, mit ihr fängt menschliches Tun und Verstehen an; und sie hat einen Anfang im Leben, sie bildet sich schrittweise im frühkindlichen Leben heraus. Die Beziehung zwischen Sprache und Anfang lässt sich von beiden Seiten her ausformulieren und als heuristischer Zugang zur Sprachlichkeit des Menschseins begreifen: als Frage nach der Sprache als Anfang und als Frage nach dem Anfang der Sprache. Die Sprache ist Anfang und Ursprung von anderem, Prinzip und Basis der humanen Lebensform, und sie fängt zugleich selbst in einem markanten 13 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Sinne an, sie hat einen Beginn, entwickelt sich stufenweise und geht in die Sinngenese der Existenz ein. Der Eingangssatz aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums ‹Im Anfang war das Wort› kann als eine Chiffre für beides gelten, welche den Grund der Existenz und das Wesen der Sprache gleichermaßen berührt. Die beiden Perspektiven, die dem Hauptteil der folgenden Untersuchung zugrunde liegen, seien zunächst einleitend umrissen.
3. Die Sprache als Anfang Die eine liegt darin, dass die Sprache Anfang und Prinzip des menschlichen Lebens ist. Kraft der Sprache, durch Teilhabe an der Sprachlichkeit kommt das Leben als menschliche Existenz zur Entfaltung. Sprache ist Wesensgrund und konstitutives Element des Erkennens, Handelns und Interagierens. Im Medium der Sprache erschließt sich dem Menschen die Welt und kommt das Bewusstsein zur Klarheit über sich selbst. Helen Kellers Bericht hat auf das tiefe Erlebnis des Aufgehens der Welt für das in die Sprache hineinkommende, das Geheimnis der Worte entdeckende Kind verwiesen. Die Phänomene gewinnen ihre bestimmte Form, die Verhältnisse ihre erkennbare Struktur im Reden und Hören. Die Sprache wird zur Quelle des Hellwerdens der inneren und äußeren, natürlichen und zwischenmenschlichen Welt. Die Metapher des Hellwerdens, des Lichts und der Sichtbarkeit ist die Leitmetapher schlechthin für den verstehenden Zugang des Subjekts zum Sein und für das Sich-Zeigen und Sich-Öffnen der Dinge. ‹Es werde Licht› ist neben ‹Im Anfang war das Wort› der andere Anfangssatz, der für das Initialereignis, den Anfang schlechthin steht und zugleich eine bedeutsame Aussage über das Zur-Welt-Kommen des Menschen enthält. Das menschliche Leben in seiner Be14 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
wusstheit und Tiefe setzt ein im Lichtwerden, im Verstehbarwerden der Dinge und seiner selbst, und dieses Hellwerden ereignet sich wesentlich im Entdecken und im Aufgehen der Sprache.2 Im Licht werden die Dinge unterscheidbar und in ihrer Bestimmtheit fassbar. Das Auseinanderhalten, Unterscheiden und Identifizieren als Ausgangspunkt des Erkennens, vor dem Ordnen und Verbinden, hat seine eigene Voraussetzung im Aufgehen des Lichts und Sichtbarwerden der Welt, wie es sich im täglichen Aufgehen der Sonne, im unterscheidenden Sehenlernen des Neugeborenen oder auch im entdeckenden Sehendwerden des Blinden ereignet. Es gehört zur Eindringlichkeit des Lebensberichts von Helen Keller, dass sie ihren Weg in die gemeinsame Welt der Menschen nicht nur als Taubstumme, sondern als Blinde zu finden hatte, wovon sie, neben der Geschichte meines Lebens, in einem weiteren Buch mit dem bezeichnenden Titel Dunkelheit Zeugnis ablegt.3 Das Sehendwerden ist ein ähnliches Wunder wie das erste Sprachverstehen, als Beginn eines neuen, unvergleichlichen Wirklichkeitsbezugs. In welcher Weise ein Blinder sich ein Bild von der ihn umgebenden Welt machen, ein Gespräch über einen fernen Berg und die Farbe eines Schmetterlings führen kann, ist uns ebenso schwer vorstellbar wie die Schwelle, die vom non-verbalen, emotiv-sinnlichen Erfahren und Kommunizieren zum sprachlichen Verstehen und Sichäußern führt. Und doch wird das Anfangen, das Hineinschreiten in die sich öffnende Welt und Erproben neuer Erfahrungs- und Ausdrucksformen tausendfältig erlebt, als grundlegender Schritt für das entdeckende Kind ebenso gegenwärtig wie für die Eltern und Begleitpersonen, die seinen Blick und sein erstes Lächeln empfangen und seine Zuwendung zu den Dingen mitvollziehen, sein stammelndes Reden hören. Hannah Arendt verknüpft das Urphänomen des Anfangens in nachdrücklicher Weise mit der Gebürtigkeit des 15 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Menschen, die sie gemäß Augustinus’ Wort geradezu schöpfungstheologisch vertieft: «Initium ut esset, creatus est homo – Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen».4 Mit jedem Neugeborenen fällt ein neues Licht auf die Dinge, fängt eine neue Geschichte an, entsteht eine neue Welt.5 Das Initialgeschehen des Hell- und Sichtbarwerdens ist nicht nur der Anfang der kognitiven Differenzierung, in welcher manche Tiere uns übertreffen, sondern der Profilgebung und sinnhaften Erfassung. Das Kind, dem sich die Welt in den Worten öffnet, fängt an zu verstehen. Das Erlebnis des Lichts ist Symbol nicht nur des Sichtbarwerdens der Gestalt, sondern des Aufbrechens von Bedeutsamkeit, der Verstehbarkeit des eigenen Lebens und der uns umgebenden Welt. «Dass es Sinn gibt», ist nach Maurice Merleau-Ponty der Kern des bewussten Lebens, das Ursprungsphänomen der Erfahrung; mit jeder Geburt empfängt die Welt «eine neue Bedeutungsschicht».6 Die anthropologische Auszeichnung der Existenz liegt im sinnhaften Selbst- und Weltverhältnis, das die Dimension des Begreifens, des reflexiven Interpretierens und kommunikativen Vermittelns eröffnet. Wenn wir den Sinnbegriff nicht rein funktional über das Beherrschen eines Codes oder das zweckmäßige Verwenden von Mitteln für bestimmte Zwecke definieren, steht er für den verstehbaren Gehalt und Bedeutungszusammenhang, mittels dessen ein Phänomen uns transparent und fassbar wird und über den wir uns mit anderen verständigen. Nur Menschen, nicht datenverarbeitende Maschinen haben in diesem Sinn einen verstehenden Zugang zur Welt, und es ist eine Frage des Forschungsansatzes und der Terminologie, wieweit wir Tieren, die über innere Erlebnisse und Vorstellungen verfügen, sinnhafte, verstehende Erkenntnisse und Verhaltensweisen zuschreiben. Im Falle des Menschen aber steht fest, dass der Anfang, der das spezifisch menschliche Empfinden,
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Äußern und Tun begründet, wesensmäßig in der Teilhabe am Sinn und der Fähigkeit zum Sinn wurzelt. Nun besteht der Schritt, der hier zur Diskussion steht, nicht nur im Aufgehen des Lichts und Gewahrwerden des Sinns, sondern im Anfangen der Sprache. Es ist die Sprache, so die leitende These, welche den Grund und Beginn der menschlichen Existenz ausmacht. Sie ist Ursprung des Verstehens und sinnhaften Verhaltens, das privilegierte Medium allen Erkennens und Handelns. Allerdings ist es eine durchaus kontrovers verhandelte Frage, wieweit von einer irreduziblen Ursprünglichkeit der Sprache zu reden sei, wieweit die Sprache für alles Tun und Begreifen eine notwendige Voraussetzung und unhintergehbare Basis bildet. Es gibt bekannte Ausformulierungen dieser Fundamentalität; stellvertretend verwiesen sei auf die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese, der zufolge das Sprechen allem Denken vorausgeht und allen Sinngestalten innewohnt, oder auf den ontologischen Leitsatz der Hermeneutik HansGeorg Gadamers: «Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache».7 Dagegen ist aus phänomenologischer Sicht die Fundamentalität des Sprachlichen im sinnhaften Selbst- und Weltbezug problematisiert worden; Elmar Holenstein hat die «Hintergehbarkeit der Sprache» im basalen Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögen wie im elementaren Zeichengebrauch und Zeigeverhalten zu erweisen gesucht.8 Wieweit in der Tat die Sprache einen Anfang, ja, den Anfang im menschlichen Sein und Verhalten bildet, wird im Einzelnen zu prüfen und nachzuzeichnen sein. Vorläufig ist an der Ursprünglichkeit des Sprachlichen als heuristischem Leitfaden festzuhalten, um von der Sprache her die Analyse der menschlichen Lebensform zu entfalten. Auch wenn es mannigfache Formen des vorsprachlichen Bedeutens und Vernehmens gibt, gewinnen Sinn und Verstehen im Medium des Sprachlichen eine höhere Transparenz, eine konzisere Gestalt und eine umfassendere 17 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Macht, in denen menschliches Leben sich in seinem Eigensten offenbart. Die Sprache ist in emphatischem Sinn ein Prinzip des Lebens, ein Anfang im Leben.
4. Der Anfang der Sprache Nach anderer Hinsicht hat Sprache einen Anfang im Leben. Sie entwickelt sich im Laufe der Jahre, sie bildet sich mit dem Werden und der Entwicklung des Menschen heraus. Die Menschwerdung ist wesentlich ein Zur-Sprache-Kommen der Gattung wie des Individuums und in eins damit eine Genese der Sprache im Leben; der Prozess, in welchem der Organismus sich als Träger der menschlichen Fähigkeiten und Verhaltensweisen ausbildet, geht einher mit der stufenweisen Ausbreitung und Gestaltung des sprachlichen Raums. Diese Ausfaltung der Sprache in ihren Schritten, ihren Wirksphären und Potentialen nachzuzeichnen ist ein Gegenstand der Sprachwissenschaft und zugleich eine Explikation des Wesens der Sprache. Für die philosophische Verständigung lässt sich der Prozess unter drei Leitfragen thematisieren, die das Woher, das Wie und das Was der Sprachgenese betreffen. Die eine Frage betrifft den Ursprung und Herkunftsort der Sprache. Wo, woher kommt die Sprache im Leben zur Artikulation und Entfaltung? Schematisch lassen sich drei Ursprungsorte benennen: das menschliche Leben, das zwischenmenschliche Verhalten, das Sein. Den einen Ort bildet das individuelle menschliche Leben mit allem, was es an Bedürfnissen, Fähigkeiten und Äußerungsweisen enthält. Zur Menschwerdung gehört die Ausbildung sprachlicher Kompetenzen und Praktiken, vom rezeptiv-mimetischen Verhalten bis zur Partizipation am rationalen Diskurs, wobei die Verankerung im Menschsein zugleich eine vielfältige 18 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
funktionale Einbettung des Sprechens im Lebensvollzug bedeutet. Von Anfang an verschränkt sich die Ausbildung kognitiver und praktischer Vermögen mit Modalitäten des sprachlichen Aufnehmens und Äußerns. Im Ganzen und im Kern bildet das menschliche Leben den originären Ort, an dem und aus dem heraus Sprache sich bildet und entfaltet. Eine zweite Ursprungsdimension der Sprache liegt in der zwischenmenschlichen Beziehung. Nach naheliegender Vorstellung entsteht die Sprache im kommunikativen Austausch. Sie entsteht motivational aus den Bedürfnissen der Interaktion, aus der Lust an der Kommunikation und aufgrund der Angewiesenheit auf andere, und sie hat ihren eigentlichen Wirkungsbereich im Zusammensein, im gemeinsamen Handeln und Sichverständigen mit anderen. In voraussetzungsreicheren Konzepten figuriert die Ich-Du-Beziehung als Grund und Ursprung des Sprechens und Sich-Unterredens. In der Sicht der Dialogik kommen wir vom Anderen her in den Raum des Verstehens und des menschlichen Seins überhaupt. Nicht das selbstbezügliche und sich äußernde Subjekt, sondern die Begegnung mit dem Anderen, die vorgängige Initiative des Anderen und das Angesprochenwerden durch andere sind Anfang und Quellpunkt des sinnhaften Wirklichkeitsbezugs und damit des Sprechens. Nach einer dritten Konzeption liegt der tiefste Grund der Sprachlichkeit nicht im sprechenden Subjekt, sondern in dem sich offenbarenden, sich dem Wort öffnenden Sein. Einer klassischen metaphysischen Anschauung zufolge ist das Wirkliche von sich aus erkennbar und in sich verstehbar, und die ihr innewohnende Intelligibilität ist gleichsam die intrinsische Sprachlichkeit der Dinge, die dem menschlichen Verstehen entgegenkommt und auf welche das menschliche Sprechen antwortet. Dieses hat sein Prinzip nicht in sich, sondern im Seienden, das gemäß dem scholastischen Grundsatz ens et 19 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
verum convertuntur in dem Maße, wie es ist, auch wahr, d. h. erkennbar und sagbar ist. In vielen Varianten kennt die Kulturgeschichte Chiffren dieses im Gegenüber angesiedelten Worts – als Sprache der Dinge, als Buch der Natur, als Selbstoffenbarung des Wirklichen und als Lesbarkeit der Welt. Der Anfang der Sprache gründet dann in keinem subjektiven Vermögen und keiner Rede des Menschen, sondern im Logos der Welt. Die zweite Leitfrage, die den folgenden Ausführungen zugrunde liegt, gilt dem Wie des Anfangens und Werdens: den Wegen, Stufen und Schritten in der Entwicklung der Sprache. Es gehört zum Reiz und zur Herausforderung einer Vermessung des Sprachvermögens, die unterschiedlichen Ebenen, Bereiche und Gestalten zu vergegenwärtigen, in denen dieses sich artikuliert und zum Instrument der Weltbeschreibung und zwischenmenschlichen Verständigung wird. Es ist eine Stufenfolge, die vom sinnlichen Spüren und körperlichen Zeigen zum elaborierten und reflektierten Verbalverhalten, von der leibhaften Kommunikation zur kulturellen Schöpfung führt und in ganz unterschiedliche Dimensionen des Sinnvernehmens und Sinnproduzierens mündet. Es wird zu prüfen sein, welches in diesem Stufengang die entscheidenden Schwellen und Differenzen sind, die der genuin menschlichen Sprachlichkeit zugrunde liegen und die anthropologische Differenz markieren. Zugleich steht in Frage, wie sich die Prozesse der Sprachentwicklung auf phylogenetischer und ontogenetischer Ebene, als gattungsgeschichtliche Sprachgenese und als Spracherwerb des Individuums zueinander verhalten. In beiden Dimensionen kann die genetisch-prozessuale Betrachtung einen privilegierten Zugang zur Verständigung über das eröffnen, was Sprache ist, was sie leistet und was sie im menschlichen Hören und Sagen ermöglicht. Schließlich ist, drittens, die Betrachtung des Sprachanfangs von der Frage geleitet, was sich mit diesem Anfangen in der 20 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
menschlichen Existenz ereignet. Sie weist zurück auf die grundlegende Frage, worin die Bedeutung der Sprache für den Menschen und sein Leben liegt. Die einleitenden Beschreibungen geben erste Hinweise darauf, wie das Sprechenkönnen dem Selbst- und Weltverhältnis zugrunde liegt, wie es in die Selbstwerdung des Menschen und seine Wirklichkeitserfassung eingeht. Helen Kellers Faszination darüber, dass jedes Ding seinen Namen hat, steht stellvertretend für das Gewahrwerden dessen, dass sich uns die Welt in der Sprache darbietet und manifestiert; das Erschlossensein der Welt und unserer selbst ist es, das im Ereignis der Sprache zuletzt in Frage steht. Es bleibt in der Nachzeichnung des Zur-Sprache-Kommens genauer zu erörtern, was in diesem Prozess geschieht und zustande kommt, in welchem Sinne in ihm das Leben als menschliches begründet wird und anfängt.
5. Hermeneutische Sprachreflexion Das Vorhaben einer Verständigung über die menschliche Sprache sieht sich mit einer unermesslichen Fülle philosophischer und wissenschaftlicher Literatur konfrontiert. Innerhalb der Philosophie steht die Sprache in verschiedenen sachlichen und disziplinären Zusammenhängen zur Diskussion, von der Ontologie über die Erkenntnis- und Sprachphilosophie bis zur Anthropologie, Kulturtheorie und Geschichtsphilosophie. In der Sprach- und Literaturwissenschaft sind systematische und historische Untersuchungen von Belang, welche die Entwicklung, die Logik und die Pragmatik des Sprachgebrauchs erforschen. In geschichts-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Analysen werden Funktion und Kontext der Sprache im menschlichen Leben untersucht. In alledem bestätigt sich der Stellenwert der Sprache als eines zugleich fundamentalen und 21 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
umfassenden Phänomens der menschlichen Lebenswelt. Dessen vielfältige philosophische und wissenschaftliche Erkundung bietet eine substantielle Basis für die vorliegende Untersuchung, auch wenn diese sie nur in sehr begrenztem Ausmaß aufnehmen und fruchtbar machen kann. Erfordert ist im weiten Problemfeld ein Leitfaden, der den Fragehorizont der Thematik näher konturiert und die Zugangsweise zu ihr bestimmt. Entsprechend der im Vorausgehenden skizzierten Fragerichtung lässt sich diese Zugangsweise als eine phänomenologisch-hermeneutische bestimmen. Dieser geht es darum, das Phänomen der Sprache aus der Perspektive des erlebenden Subjekts – des sprechenden und des die Sprache aufnehmenden und verstehenden Subjekts – zu beschreiben und die Bedeutung der Sprachlichkeit für den Menschen und sein Leben zu erschließen. Eine hermeneutisch-existentielle Erkundung von Sprache fragt nicht nur danach, wie den Zeichen Bedeutungen zukommen und der Sinn des Redens und SichUnterredens sich konstituiert, sondern auch, was es für den Menschen bedeutet, zur Sprache zu kommen und sein Leben, aktiv-produktiv und passiv-rezeptiv, im Medium des Sprachlichen zu gestalten. Es ist, so Merleau-Ponty, der Standpunkt des sujet parlant, der puissance parlante und der intention significative, von dem her eine phänomenologische Betrachtung, im Gegenzug zur empirischen Sprachwissenschaft, Vermögen und Vollzug der Sprache zu erfassen hat;9 nach Ingolf U. Dalferth ist mit einer linguistischen Betrachtung «über Sprache noch keineswegs alles oder auch nur das Wichtigste gesagt» (auch wenn eine Behandlung der Sprache ohne die Linguistik des 20. Jahrhunderts «Stückwerk» bleibt).10 Für eine phänomenologisch-hermeneutische Betrachtung geht es um den Sinn des Sprechens, zunächst sprachintern als Bedeutung der Symbole und Diskurse, sodann pragmatisch als Vollzugssinn des Sprechhandelns und Interagierens, schließlich als Stellenwert der 22 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Sprache in der menschlichen Existenz. In diesem Horizont gilt es die Fragen aufzufächern, was Sprache ihrer Natur nach ist (S. 25–42), wie sie in der Menschheit sich ausbildet, vom Individuum erworben, kulturell geprägt und historisch tradiert wird (S. 43–64), welches die Strukturen ihres Aufbaus und die Gesetzmäßigkeiten ihres Funktionierens sind (S. 65–87), welche Aufgaben und Zwecke sie im individuellen und sozialen Leben erfüllt (S. 89–111). Indes bleibt bei alledem auch ein phänomenologischer Zugang nicht auf den selbstbezüglichen Binnenraum des Äußerns und Vernehmens beschränkt. Vielmehr steht er im Wechselspiel mit externen Perspektiven der Beschreibung und Vermessung des Sprachverhaltens, der sozialen Kontextualisierung und des historischen Wandels, des Austauschs mit Mitmenschen und des mit anderen geteilten Sinns. Das komplexe Phänomen des Sprachlichen umfasst das Ganze der von Ferdinand de Saussure terminologisch auseinandergehaltenen Versionen der ‹Sprache› – das anthropologische Grundvermögen der Sprache (le langage), die historisch-kulturell gewachsenen Zeichen- und Sprachsysteme (la langue) und den Akt der mündlichen oder schriftlichen Rede (la parole); ergänzend lassen sich die in anderen Theoriekontexten thematisierten konkreten Sprach- und Diskursformationen (le discours) anfügen. All dies steht der phänomenologisch-hermeneutischen Reflexion nicht einfach äußerlich gegenüber, sondern kann in ihrem eigenen Horizont mit zum Thema werden. In radikaler Version kann die Externalisierung auf die Perspektive des Fremden und Anderen hin vertieft werden, zu einer Sprache, die im Anderen ihren Sinnursprung hat, vom Anderen her zu explizieren ist (S. 113–131). In noch weiterem Horizont ist das Bezogensein der menschlichen Rede auf die Sprache der Dinge und den Logos des Seins zu bedenken (S. 133–156). Auch solche externen Verortungen des Ursprungs und Explikationen 23 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
der Sprache vom Anderen her versammeln sich im Horizont dessen, was sich in einer phänomenologischen Perspektive als Sinnhaftigkeit der Sprache für das Selbst manifestiert und von diesem her entfaltet. Im Gesamthorizont der Konstellationen des Hörens, Antwortens und Sprechens ist der Frage nachzugehen, was sich im Prozess des Zur-Sprache-Kommens ereignet, wie Sprache sich darin entfaltet und wie der Mensch im Sprechen und Verstehen zu sich selber kommt.
24 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Das sprechende Tier
1. Die Differenz der Sprache Eine der ältesten Definitionen des Menschen, welche von Aristoteles stammt, lautet, der Mensch sei das Lebewesen, das über die Sprache verfügt. Er ist, so präzisiert Aristoteles, das einzige Lebewesen, das die Sprache (logos) besitzt und nicht nur die Stimme (phone), welche auch den anderen Tieren zukommt, die mit ihr Schmerz und Lust ausdrücken und anderen mitteilen können, wohingegen die Sprache dazu befähigt, das Nützliche und Schädliche und so auch das Gerechte und Ungerechte anzuzeigen.11 Aristoteles greift auf diese Differenz in der Grundlegung der Politik zurück, um den Menschen als das Wesen auszuzeichnen, das allein die Unterscheidung von Gut und Schlecht kennt und an der Auseinandersetzung um Recht und Unrecht teilnehmen kann, welche die Grundlage des staatlichen Zusammenlebens bildet. Die Definition des Menschen als «Lebewesen, das den Logos besitzt» (zoon logon echon), weist zurück auf die Bestimmung des Menschen als «von Natur staatenbildendes Lebewesen» (zoon politikon),12 denn, so Aristoteles, «die Natur macht nichts umsonst».13 Als Differenzmerkmal steht die Sprache neben anderen Kennzeichen, die in der Anthropologie als Eigenarten der menschlichen Lebensform genannt werden – etwa der Werkzeuggebrauch, der aufrechte Gang, das Lächeln –, wobei sich jeweils die Frage stellt, wieweit solche distinktiven Merkmale zugleich Wesensbe25 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
stimmungen sind, welche die Spezies nicht nur eindeutig von anderen unterscheiden, sondern sie in ihrer Natur, ihren grundlegenden Zügen zur Sprache bringen. Beides versteht sich nicht von selbst: dass wir den Menschen über eine genuine Differenz gegenüber anderen Lebewesen in seinem Eigensten verstehen und dass diese Differenz nicht nur ein partikulares Unterscheidungsmerkmal, sondern eine eigentliche Wesensbestimmung des Menschen artikuliert. Die Festlegung einer ‹anthropologischen Differenz›, welche den Menschen aus der gemeinsamen Gattung der Tiere heraushebt, ist gerade mit Bezug auf das Merkmal der Sprache, aber auch für den Werkzeuggebrauch oder kommunikative Abstimmungs- und Kooperationsweisen, zur offenen, kontrovers verhandelten Frage geworden.14 Generell hat die Tierforschung zur Verdeutlichung der mentalen Zustände und kognitiven Fähigkeiten der nicht-menschlichen Lebewesen beigetragen und die Umrisse einer tierbezogenen ‹Philosophie des Geistes› konturiert.15 Beeindruckend und erhellend sind neben den Differenzen in der Tat die Verwandtschaften und Übergänge zwischen tierischen und menschlichen Denk-, Ausdrucks- und Interaktionsformen. Indessen bleibt, auch wenn es schwierig sein kann, die Speziesdifferenz im Kontinuum der Vermögen und Verhaltensweisen eindeutig zu fixieren, unstrittig, dass grundlegende Unterscheidungen das menschliche vom animalischen Leben abheben. Sie erlauben es, konkreter auszuführen, in welchem Sinne die aristotelische Fokussierung auf das zoon logon echon den Menschen in seiner Eigenart erfasst und inwiefern die tradierte Lehre, «der Mensch sei im Unterschied zu Pflanze und Tier das sprachfähige Lebewesen», ihm nicht nur bestimmte Fähigkeiten neben anderen zuspricht, sondern letztlich die These enthält, dass erst die Sprache den Menschen befähige, «dasjenige Lebewesen zu sein, das er als Mensch ist».16
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Des Näheren sind es dreierlei Grenzziehungen, die das ausgebildete menschliche Sprechen von verwandten Vermögen und Tätigkeiten abheben: zum einen die Distanz zu sprachanalogen Operationen von künstlicher Intelligenz und informationsverarbeitenden Systemen, zum Zweiten die Divergenz zwischen menschlicher und tierischer Intelligenz und Ausdrucksweise, schließlich die entwicklungspsychologische Stufendifferenz zwischen (früh‐)kindlichem Äußerungsverhalten und ausgebildeter Rede. Die in den letzten Jahrzehnten realisierten Fortschritte in der Robotik wie in der Tierverhaltensforschung haben nach Dirk Westerkamp die Tendenz befördert, mit einem «aus sprachphilosophischer Perspektive unterkomplexen Sprachbegriff» an die Untersuchungsgegenstände heranzugehen.17 Die Subsumtion von künstlichen und natürlichen, tierischen und menschlichen Modalitäten des Umgehens mit Zeichen und Sinnobjekten unter eine einheitliche Thematik läuft Gefahr, das Phänomen der Sprache diffus werden zu lassen. Demgegenüber geht es hier darum, die menschliche Sprache sozusagen vom Endpunkt ihrer Entwicklung und von ihrer höchsten Gestalt her in ihrer strukturellen und performativen Bestimmtheit zu erfassen. Dazu ist ein Blick auf die Differenzen hilfreich, die sie von entwicklungsmäßigen Vorformen und außermenschlichen Analoga abheben und die je nach Frage- und Theoriekontext unterschiedlich beschrieben werden. Die basalste Differenz, welche mit der Schwelle zwischen künstlichen und natürlichen Äußerungs- und Rezeptionsformen einhergeht, ist die zwischen Signal und Zeichen: zwischen Signalen, die etwas auslösen, und Zeichen, die etwas bedeuten. Auch wenn beides in unspezifischer Rede nicht durchweg auseinandergehalten wird, besteht der prinzipielle Unterschied darin, dass Zeichen verstanden, in ihrem Sinn erfasst werden müssen, um als Träger einer Botschaft und Ausdruck eines 27 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Sagenwollens zu fungieren, während Signale aufgrund ihrer gegenständlichen Eigenschaften Wirkungen, gegebenenfalls Rechenoperationen, Affekte und andere geist-analoge Mechanismen auslösen. Ein Schachcomputer und ein Übersetzungsprogramm können mit hoher Effizienz, in der sie den normalen menschlichen Intellekt weit übertreffen, Probleme lösen und Texte produzieren. Und doch würde es unserer Intuition zuwiderlaufen, ihnen ein eigentliches Verständnis des gelösten Problems oder des praktizierten Vorgehens (eines ‹listigen› Zugs, eines geduldigen Abwartens) zuzuschreiben. Dies zumindest so lange nicht, wie wir solche Termini nicht artifiziell in das Vokabular objektiver Operationen und Kausalnetze einschreiben. Zeichen gehören zum Verstehbaren, das nachvollzogen und interpretiert, in ein anderes Idiom übersetzt, in einen umfassenderen Bedeutungszusammenhang integriert werden kann. Die Semiotik hat verschiedene Zeichentypen nach ihrer Logik und Sinnfunktion differenziert. Im hermeneutisch-kulturwissenschaftlichen Rahmen steht exemplarisch der Begriff des Symbols für die Grundlage sinnhaften Verhaltens und die Differenz gegenüber sinnfreien Zeichenfunktionen und Prozessen. Im Spiel ist ein Angelpunkt der anthropologischen Differenz, der Unvergleichlichkeit von tierischer Lautsprache und menschlicher Symbolsprache; Ernst Cassirer, dessen Symbolphilosophie eine maßgebliche Referenzposition der neueren Kulturwissenschaft bildet, schlägt geradezu vor, den Menschen nach seiner spezifischen Differenz «nicht als animal rationale, sondern als animal symbolicum» zu definieren.18 Der Begriff insistiert darauf, dass der Mensch im Medium der Sprache als einer symbolischen Form19 nicht nur sein Inneres manifestiert und Informationen übermittelt, sondern Äußerungen verstehend aufnimmt, sich anderen mitteilt und sich über sich und die Welt verständigt. Symbolisches Verhalten ist jenseits des informationstechnischen Austauschs wie des tierischen Äu28 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
ßerns und Aufnehmens wie der Logos nach Aristoteles jenseits der Stimme; Cassirer charakterisiert den Übergang als einen von der tierischen «Reaktion» zur menschlichen «Antwort».20 Mit der anderen Verhaltensweise gehen modifizierte erlebensmäßige Grundlagen, andere logische Formen und spezifische Leistungen der Sprache einher. Die teils speziestypische, teils entwicklungsmäßige Differenz zeigt sich, je nach Untersuchungsperspektive, als Übergang von der instinktgeleiteten zur reflektiert-rationalen Äußerung, vom emotionalen zum diskursiven Sprechakt, vom eingeschränkten zum erweiterten Lebenshorizont, vom individuellen zum allgemeinen Handlungsfeld, vom subjektiven zum objektiven Wirklichkeitsbezug.21 Allgemeinheit und Objektivität sind markante Veränderungen im verstehenden Bezug zu den Dingen und zu anderen Menschen. Dass wir uns sprechend mit Menschen verständigen können, unterstellt eine andere Weise des Kommunizierens und Teilens als zweckgerichtete Handlungskoordinationen, wie sie auch Primaten beherrschen. Die gemeinsame, mit anderen geteilte Intentionalität im Hantieren mit Gegenständen und Anschauen von Bildern ist für Kleinkinder eine unerlässliche Basis des Hineinwachsens in das Verstehen und Sprechen, in ein Vokabular, das von vornherein auch das der anderen ist, in einen Weltbezug, der nicht nur dem eigenen Erleben entstammt. Ein entscheidendes Moment in dem von Helen Keller berichteten Erlebnis der retardierten Entdeckung der Sprachwelt ist das Aufgehen nicht nur der Symbole, sondern der äußeren Wirklichkeit, die neue Weise, im Sich-Artikulieren auf die objektive Welt, auf die Dinge selbst auszugreifen. Auch wenn Tiere in verschiedenen Sinnesrastern eine schärfere Wahrnehmungsund Distinktionsfähigkeit besitzen, gelangen Menschen, so glauben wir, in anderer Weise zu einem ‹objektiven› Weltverhältnis, das in seiner Eigenart nicht durch unsere Auffassungsperspektiven determiniert ist, sondern einen Zugang zu den 29 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Dingen gewährt, wie sie an sich selbst sind und sich von sich her offenbaren. Dahin zumal geht eine Grundannahme der traditionellen Sprach- und Erkenntnistheorie, die ihre positive Ausformulierung in klassischen Topoi gefunden hat – etwa in der bei Platon erörterten sprachphilosophischen Überzeugung, dass die Kenntnis des wahren Namens der Dinge uns ermögliche, das Wesen der Dinge zu erfassen,22 oder in der metaphysischen These, dass die tiefsten Strukturen der Welt und der Seele einander entsprechen oder dass zwischen dem Sichzeigen der Dinge und dem subjektiven Rezipieren und Hervorbringen ein ‹responsives› Verhältnis bestehe. Zwar sind solche Korrespondenzen, die den Menschen in ein Wechselspiel zur Objektivität der Dinge setzen, in kritischen Gegenströmungen vielfach problematisiert worden. Dennoch entsprechen sie einer weithin leitenden Grundüberzeugung, die in unseren Begriff des Erkennens, aber ebenso in unser Verständnis der Sprache eingeht. Wenn wir der Rede von jemandem zuhören, wenn wir uns mit anderen über ein Erlebnis oder ein Problem besprechen, uns zu bestimmten Sachen äußern oder von Ereignissen berichten – so unterstellen wir im Normalfall, dass wir uns in einem gemeinsamen, ‹objektiven› Wirklichkeitsbezug mit anderen treffen. Sprache ist ein ‹Medium› nicht nur im Sinne des Milieus, in welchem wir uns, sei es gemeinsam mit anderen, aufhalten und bewegen, sondern ebenso des Mittleren, des Durchgangsstadiums, das sich auf ein Außerhalb der Sprache öffnet und zum Anderen hinführt. In einem grundlegenden Sinne ist die Entdeckung der Sprache das Sich-Öffnen des Inneren und Hinausgehen in die Welt. Diese Wendung zur Allgemeinheit und Objektivität im Sprachverhalten verschränkt sich, wie gesagt, mit einem spezifischen Sozialbezug, einer Teilhabe an der gemeinsamen Welt und den Sinnbezügen der anderen. Edmund Husserl hat im Horizont der Phänomenolo30 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
gie die transzendentale Intersubjektivität als Voraussetzung des objektiven Weltbezugs aufgezeigt.23 Neuere anthropologische und ethologische Forschungen haben mit Nachdruck die genetische Bedeutung der geteilten Intentionalität für den Erkenntnis- und Spracherwerb des Kindes (und darüber hinaus das genuin kollaborative Tätigsein, jenseits der bloßen Handlungskoordination, als Distinktionsmerkmal der menschlichen Praxis) herausgearbeitet.24 All dies gehört zum Profil des Wirklichkeitsbezugs, wie er durch die menschliche Sprache eröffnet wird. Entscheidend für die Spezifität der menschlichen Sprache sind sodann innersprachliche Differenzen, die sich in der Entwicklung stufenweise herausbilden. Den Grundbestand bilden zwei Hauptschwellen in dieser Entwicklung: das Verfügen über den Begriff und die Proposition. Der Begriff ist das Medium der Identifizierung, die einen Gegenstand in seiner Allgemeinheit benennt und ihn zu re-identifizieren und zu klassifizieren erlaubt. Etwas als Katze oder als Roman zu bezeichnen heißt, ein Lebewesen oder einen Text in seiner besonderen Natur gegenüber anderen Gegenständen zu kennzeichnen und auf dieser Basis in seiner Individualität unter anderen seiner Art (als ‹diese Katze›, ‹Roman X›) herausheben beziehungsweise wiedererkennen (‹re-identifizieren›) zu können. Die begriffliche Bezugnahme ist bestimmter als ein stummes Hinweisen, dessen Referenz (ob wir uns mit einer Geste auf ein Ding, seine Farbe, seinen Ort beziehen) diffus bleiben kann. Sie ist Grundlage des Klassifizierens, welches Gegenstände und Attribute in systematischer Weise auseinanderhält, gruppiert und ordnet, und des bestimmten Sagens, das in seiner Elementarform, als Aussagesatz, die identifizierende Bezugnahme mit der qualifizierenden Charakterisierung verbindet, ‹etwas von etwas› sagt.
31 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Der Satz, die prädikative Struktur oder Propositionalität, bildet neben der begrifflichen Identifizierung das andere konstitutive Merkmal der menschlichen Sprache. Es erlaubt, sich in unterschiedlichen Modalitäten – des Fragens, Erinnerns, Zweifelns, Bedauerns, Hoffens – auf einen bestimmten Sachverhalt zu beziehen und sich mit anderen über ihn zu verständigen, eine Leistung, die wir keiner nicht-menschlichen Tiersprache zuschreiben. Sprechend können wir uns über das Wetter beklagen, ein Verhalten gutheißen, uns nach einer abwesenden Person erkundigen. In der Propositionalität gründet die strukturelle Macht und Flexibilität der Sprache. Nicht zuletzt ist sie der Angelpunkt des originären Geltungs- und Wahrheitsanspruchs des Sprechens, wie ihn die veritative Bedeutungstheorie herausstreicht, der zufolge einen Satz zu verstehen heißt, zu wissen, was der Fall ist, wenn der Satz wahr ist. Prinzipiell eröffnet nach Ernst Tugendhat jeder Satz das Feld der Ja-NeinStellungnahme; ihn verstehen heißt ihn als etwas erfassen, zu dem wir affirmierend oder negierend Stellung beziehen können.25 Es wird an späterer Stelle, im Blick auf die Sprachentwicklung und den Spracherwerb, auf die Frage zurückzukommen sein, inwiefern nicht nur Sprachlichkeit überhaupt, sondern die propositionale Sprache eine unhintergehbare Grundlage des Sinnverstehens und der menschlichen Lebensform ausmacht.26 An dieser Stelle ist sie zunächst als ein Distinktionsmerkmal menschlichen Denkens festzuhalten, das zugleich die Basis für die höherstufigen, komplexeren Sprachund Diskursformen bildet, die den Menschen im Ausdrucksverhalten wie im zwischenmenschlichen Verkehr gegenüber anderen Lebewesen auszeichnen. Erzählen, Argumentieren, Begründen sind Sprachformen, die eine propositionale Struktur voraussetzen und ohne die ein reflektiertes Verhalten zu sich, ein differenzierter Umgang mit anderen und ein erschließender, kritischer Weltbezug nicht denkbar sind. Ohne Elemente narra32 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
tiver Entfaltung öffnet sich nicht der Zeitraum des eigenen und gemeinsamen Erlebens, der unsere biographische oder geschichtliche Lebenswelt trägt; ohne Bezug auf die begrifflichen und normativen Implikationen wird Sprache, wie Habermas und Brandom verdeutlichen, nicht zum Organ des wahrheitsfähigen Erkennens und der kritischen Verständigung mit anderen.27 All dies sind Insignien einer Sprache, die als Privileg des Menschen durch keine nicht-humanen Rezeptions-, Operations- und Ausdrucksformen ersetzbar ist. Als distinktives Merkmal des menschlichen Sprachverhaltens kommt schließlich jene Grenzerfahrung in den Blick, in der das Sprechen nicht nur seine immanente Mächtigkeit entfaltet, sondern sich zurücknimmt, seine Artikulation suspendiert, über seine verbale Formbestimmung hinausgeht. Der Mensch ist nicht nur das sprechende Tier, und er ist nicht das einzige sich äußernde Tier; wohl aber, so Dirk Westerkamp, ist er «das einzige Tier, das nicht spricht», «das einzige Tier, das schweigt».28 Schweigen ist mehr als Nicht-Sprechen. Es ist grundlegend verschieden vom Stumm- und Sprachlossein der Dinge, der Natur und der Tiere. Schweigen ist ein Tun, das sich auf der Basis des Sprechenkönnens als ein genuiner Modus des Sprechens, gegebenenfalls des Ausdrucks und Mitteilens vollzieht und in seiner Sinnhaftigkeit analysierbar ist. Es ist nicht nur ein Sprachverzicht, sondern je nachdem auch eine Form des ‹Sprechens ohne Sagen›, das nichts Bestimmtes artikulieren oder mitteilen will, je nachdem eine gezielte Äußerung, die mit einer unmissverständlichen Intention versehen ist und anderen etwas Bestimmtes zu verstehen gibt.29 Der Raum der Sprache im Ganzen, der zugleich die Welt bildet, die wir mit anderen bewohnen, übergreift nach Jan Assmann die Grenzen des Kommunizierbaren und des Artikulierbaren, die jedoch keine letzten Beschränkungen, sondern überschreitbare Horizonte sind, über welche wir im kreativen Sprachgebrauch, in der 33 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Poesie, aber gerade auch im Schweigen in signifikanten Modi hinausgelangen können.30 Dieses Darüberhinaus ist in Wittgensteins Diktum angezeigt, dass man über das, «worüber man nicht reden kann», schweigen muss, womit im Tractatus die These einhergeht, dass die Grenze des Aussprechbaren nicht das Ende des lebensweltlich Bedeutsamen markiert, sondern auf ein Unaussprechliches weisen kann, das sich «zeigt».31 In eindringlicher, affirmativer Form wird das Schweigen in der mystischen Tradition mit einer höheren Erkenntnis- und Aussageweise verknüpft. Die Fähigkeit des Schweigens, die dem Menschen ebenso natürlich ist wie das Sprachvermögen und die wie die Kunst der Rede geübt und kultiviert werden kann, geht darin mit einem Nach-innen-Schauen einher und signalisiert nicht einfach ein Sprachloses jenseits der Worte, sondern ein Offensein für die entgegenkommende Sprache der Stille, die Manifestation der Natur, das Sprechen Gottes.32 In all diesen Formen realisiert sich das Schweigen als eigene Form der Kommunikation, die in vielfältigen sinnhaften Varianten – als zustimmendes, strafendes, hilfloses, feiges, schmerzliches Schweigen33 – vollzogen werden kann, und zugleich als eine Grenzerfahrung der Sprache, worin diese nicht einfach ins Verstummen zurückgenommen, sondern in ihrer Artikulation überschritten und in ihrer inneren Mächtigkeit entfaltet wird.
2. Verstehen und Selbstverständigung Der Mensch ist nicht nur das sprechende, sondern das verstehende und sich über sich verständigende Lebewesen. Es gilt, die menschliche Sprache nicht nur in ihren Strukturmerkmalen nachzuzeichnen, die sie von den Operationsformen eines Rechners und dem Lautverhalten von Tieren abheben, sondern sie in ihrem Stellenwert im menschlichen Leben zu explizieren. 34 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Martin Heidegger umreißt diesen Stellenwert dahingehend, dass er das Phänomen der Sprache «in der existenzialen Verfassung der Erschlossenheit des Daseins» verwurzelt sieht.34 Dass dem Menschen die Welt und seine eigene Existenz erschlossen, verstehbar sind, ist der tiefste Grund dafür, dass Sprechen und Sprechenkönnen als Wesensmerkmale seines Seins fungieren. Den Menschen als ein sprechendes Tier oder als ein «Seiendes, das redet», zu begreifen bedeutet nicht, dass ihm die «stimmliche Verlautbarung» als Eigenart zukommt, sondern dass er ein Wesen ist, das «in der Weise des Entdeckens der Welt und des Daseins selbst» existiert.35 Wir haben den Ursprung der Sprache nicht von irgendwelchen besonderen Anlagen und Bedürfnissen herzuleiten, sondern aus dem Grund dieses Erschlossenseins, «der Verständlichkeit des In-der-Weltseins»36 als solchen zu begreifen. Der springende Punkt in der Fundamentalität der Sprache liegt darin, dass Sprache als Medium des verstehenden Selbst- und Weltverhältnisses fungiert. Die «ursprüngliche Sprachlichkeit des Menschen», die nach Gadamer beinhaltet, dass wir «immer schon von der Sprache umgriffen» sind und im Sprechenlernen die Fähigkeit erwerben, die Dinge zu begreifen und selbst in der Welt heimisch zu werden, ist im Innersten mit einem ursprünglichen Verstehen und Verstehenwollen verschränkt.37 Dieses Wollen als ursprünglich zu bezeichnen heißt, dass sich in ihm ein ältestes, unvordenkliches Sich-Öffnen der Welt und zugleich ein tiefstes Verlangen nach Sprache, nach Sinn und Verständnis zum Tragen bringt.38 Den Menschen als das sich über sich verständigende Lebewesen zu begreifen, entspricht einem Menschenbild, das sich im Horizont des modernen, nachmetaphysischen Denkens über den Menschen verortet. Zu dessen Merkmalen gehört, dass es den Menschen nicht über eine vorgegebene substantielle Wesensform definiert. Es geht von der Orientierungslosigkeit 35 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
des modernen Individuums aus, dem seine Bestimmung und der Sinn seines Lebens nicht vorgegeben sind; in zugespitzter Form betont die existentialistische Sichtweise, dass der Mensch – gemäß Jean-Paul Sartres Satz l’existence précède l’essence – nicht von einer festen Essenz, sondern von der Weise seines Existierens her zu begreifen ist und dass zuletzt die SelbstBestimmung das Bestimmtsein durch eine Naturordnung oder einen Schöpferwillen ablöst. Wenn der moderne Mensch nach Michel Foucault nicht «weiß, wer er ist und welchen Namen er zu tragen hat»,39 so tritt für ein hermeneutisches Denken nicht eine leere Identitätsdiffusion an die Stelle des festen Wesens, sondern eine Verständigung über sich, in welcher der Mensch sich über sein Bedingtsein und sein Streben, seine Herkunft und seine Möglichkeiten Rechenschaft ablegt. Es ist eine Selbstverständigung, in deren vielfältigem, unabgeschlossenem Vollzug das Individuum sein eigentliches Selbstsein gewinnt.40 Solche Selbsterschließung aber realisiert sich nicht als instantane Selbstpräsenz, wie auch das Erschlossensein der Welt nicht im anschaulichen Gegebensein aufgeht. Erschlossenheit bedarf der Artikulation und ist darin auf die Vermittlung der Sprache angewiesen. Sie stützt sich auf die Kunst und eminente Macht der Sprache zur Verdeutlichung des Gedankens und Darstellung des Wirklichen. Es ist eine Macht, deren Potential sich schon im eigentümlichen Verhältnis zwischen der begrenzten Zahl der Zeichen und Formen und der unermesslichen Fülle der Sinngehalte manifestiert.41 In welcher Weise der Inhalt über die sprachlichen Strukturen und Prozesse Gestalt annimmt und im Umgang der Menschen Realität gewinnt, wird an späterer Stelle in Grundzügen zu vergegenwärtigen sein. Zunächst ist der grundlegende Schritt zu bedenken, der sich durch das Sprechen als solches im Sein des Menschen ereignet und in das Reich des Sinns führt.
36 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
3. Leben, Sinn, Sprache a) Leben und Sinn
Menschliches Leben zeichnet sich dadurch aus, dass es sinnhaft organisiert, auf Sinn ausgerichtet, Sinn aufnehmend und Sinn produzierend ist. Die existenziale Erschlossenheit des Daseins für sich selbst bedeutet, dass menschliches Leben wesentlich verstehend ist und sich im Medium des Verstehens vollzieht. Im Vorwort zur Phé nomé nologie de la perception schreibt Maurice Merleau-Ponty: «Da wir in der Welt sind, sind wir zum Sinn verurteilt».42 Die markante Formel, die Bezüge zu Leitautoren der phänomenologischen Tradition – Heideggers In-der-Welt-Sein, Sartres Verurteiltsein zur Freiheit – anklingen lässt, ist zugleich als Signal der hermeneutischen Wende der Phänomenologie zu lesen. Die Phänomenologie als Wissenschaft der Erscheinung, des Zur-Erscheinung-Kommens der Gegenstände für das Bewusstsein, weitet sich aus zu einer Wissenschaft des Sinns, des Bedeutsamseins der Welt und der Existenz für den Menschen. Immer schon, so die von MerleauPonty mit Heidegger geteilte These, leben wir im Medium des Sinns, in allem Tun und Erleben sind wir verstehend auf unser eigenes Sein wie auf die Welt und die anderen Menschen bezogen. Genauer ist es das Spannungsverhältnis zwischen dem Gegebensein und dem Fehlen von Sinn, die Auseinandersetzung mit den Grenzen des Sinns und die Herausforderung des Verstehens durch das Sinnlose, welche das Urphänomen des bewussten Lebens ausmachen; «une vérité sur fond d’absurdité […] tel est le phénomène originaire».43 Sein Grund ist die basale Gerichtetheit des Lebendigen, die sich im vitalen Streben, im affektiven Empfinden und Reagieren wie im freien Handeln artikuliert. Mit Bezug auf meine Präferenzen und Motive ge37 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
winnt die Welt ihr Sinnprofil, wird der vor meinen Augen liegende Aufstieg zu einem mühsamen oder verlockenden Weg oder zu einem unüberwindbaren Hindernis; die Zuwendung des Subjekts lässt in den Dingen Sinn und Bedeutsamkeit hervortreten.44 Deren Genese indes ist nach Merleau-Ponty keine einseitige Schöpfung, sie kommt ebenso sehr aus der Natur und den Dingen wie aus den intentionalen Prägungen und Ausgriffen des Subjekts. Sie hat ihren Boden im umfassenden Bewandtniszusammenhang der Dinge und ereignet sich in der Auseinandersetzung der inkarnierten Existenz mit dem eigenständigen Sinn der Welt; das Geschehen der Sinnstiftung ist zugleich vom Subjekt ausgehend und auf es zukommend.45 Auf der Grundlage und im Medium dieses Wechselspiels handelt der Mensch und schafft er Werke, orientiert er sich im Denken und Wollen, drückt er seine Gefühle aus, gibt er sich anderen zu verstehen und nimmt an ihrer Geschichte teil, führt er sein Leben und gestaltet seine Existenz. In alledem sind die Verhältnisse und Figuren, in denen er sich äußert und die Welt sich ihm öffnet, Gestalten von Sinn und Verstehen. Menschliches Tun und Erleben zeichnet sich dadurch aus, dass sich in ihm nicht nur eine teleologische Gerichtetheit des Lebens, sondern ein genuines Sinnhaft- und Verständlichwerden der Welt realisiert.
b) Sinn und Sprache
Das paradigmatische Gefäß der Sinnstiftung ist das Wort. Im Sprechen vollziehen wir in ursprünglichster, aber auch in umfassendster und klarster Weise die Schöpfung und Gestaltung von Sinn, die Verwandlung des Gegebenen in Verstehbares. Die bewegende Entdeckung der Worte, der Tatsache, dass alles einen Namen hat, ist der Kern jener abgründigen Ver38 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
wandlung, durch welche das umgebende Wirkliche zur menschlichen Welt, zu der vom Menschen bewohnten, von ihm sinnhaft erfassten, durch ihn ausgesagten und dargestellten Welt wird. Darin erhärtet sich die Nicht-Reduzierbarkeit des menschlichen Sprechens auf die Signal-, Kommunikations- und Informationsfunktion. Die eigentliche Leistung der Sprache besteht darin, etwas so zu vergegenwärtigen, dass es in seinem Gehalt erfassbar, in seiner Bedeutung befragbar, interpretierbar und vermittelbar wird. In prinzipiellster Weise hat Hans-Georg Gadamer die intrinsische Sprachlichkeit des verstehenden Selbst- und Weltbezugs auf den Begriff gebracht. Sein vieldiskutierter Leitsatz «Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache»46 formuliert nicht einfach eine ontologische Grundaussage zum Seienden, sondern eine These darüber, wie das menschliche Wirklichkeitsverhältnis sich von Grund auf im Medium des Verstehens und damit der Sprachlichkeit entfaltet. Auch ein anderer Topos der Gadamer’schen Hermeneutik macht die Verschränkung von Verstehen und Sprache in plastischer Weise fassbar: die Idee der Zentralität des Fragens, in welcher liegt, dass wir etwas erst dann wirklich begreifen, wenn wir seinen Hintergrund kennen, den Frage- und Problemhorizont einer Äußerung erfassen.47 Erst der Umweg über die sprachliche Explikation im Spiel von Frage und Antwort vermag die Bedeutung, die einer Aussage innewohnt, zu artikulieren und für sich verhandelbar zu machen; ähnlich können wir uns über die Bedeutung eines Konflikts oder einer historischen Lage dadurch Klarheit verschaffen, dass wir aufzuhellen suchen, was darin in Frage steht, das ‹Problem› ausmacht. Solche Explizierung kann sich nicht im Hinweisen und Bezeichnen erschöpfen, sondern bedarf der differenzierten Potentiale der Verbalisierung, mittels deren wir Sachverhalte analysieren, interpretieren und neu zusammenstellen. Einschlägig ist darin nicht zuletzt die genannte Schwelle der Propositionalität, die durch keine 39 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
nicht-sprachlichen Ausdrucks- und Sinnformen substituierbar ist. Ein verstehendes Verhältnis zur Welt und zu sich selbst entwickelt sich nicht im Binnenraum des stummen Meinens und mentalen Vorstellens, sondern ist auf die artikulierte, gemeinsame Sprache angewiesen, die wir im Selbstgespräch wie mit anderen verwenden. Für das konkrete Meinen, Bedeuten und Mitteilen bestätigt sich die Unhintergehbarkeit der Sprache.
c) Verstehbarkeit und Sichtbarkeit
Als prägnantes Sinnbild für das Verstehbarwerden der Welt hat sich die Figur des Sichtbarwerdens gezeigt – des Herauskommens aus dem Dunkel, des Hellwerdens der Welt, des Sehendwerdens des Auges. In der Helligkeit des Lichts treten Formen und Konturen hervor, werden Gegenstände identifizierbar. Wie das Sichoffenbaren im Wort ist das Sichtbarwerden im Licht ein Urphänomen der sinnhaften Erschließung der Welt. Gleich intensiv wie die Entdeckung der Macht der Sprache ist das Erleben des Hellwerdens der Welt und des Hervortretens der Dinge, gleich grundlegend wie das Kommen zur Sprache ist das Sehendwerden des Menschen.48 Merleau-Ponty ist dem Wunder des Sichtbarwerdens in der Malerei nachgegangen, deren ursprünglichste Potenz er darin ausmacht, nicht einfach sichtbare Gebilde wiederzugeben, sondern deren eigene Manifestation, ihr Sichzeigen sichtbar zu machen; die Malerei, meint er, feiert das Rätsel der Sichtbarkeit. Das Zeigen und Sichzeigen ist darin nicht nur eine Vorform, sondern zugleich eine bestimmte Verbildlichung und Entfaltung des Logos. Künstler wie Klee und Cézanne haben an der Schöpfung teil, in welcher die Welt hervorkommt, ihre Sichtbarkeit sich ausbreitet, ihr Sinn sich offenbart – in Werken einer fundamentalen, ‹absoluten› Male40 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
rei, in welcher das Sehen dem inneren Aufgehen, Sich-Öffnen des Seins beiwohnt.49 Solche Wendungen durchziehen in prominenter Weise Beschreibungen der Offenbarungskraft der Sprache bei Heidegger (der umgekehrt die Ontologie des Kunstwerks anhand des Geschehens der Sprache illustriert): Sprache bringt das Seiende «ins Offene» und «zum Erscheinen», «Sagen ist ein Entwerfen des Lichten».50 Auch Gadamer entfaltet die basale Verstehbarkeit des Seienden am Beispiel der Lichtmetaphorik, mit Verweis auf Platons Konzeption des Schönen als des von sich aus Leuchtenden, das zugleich als Sinnbild des «Lichts des Wortes» fungiert.51 Die fundamentalphilosophischen Ursprungsfiguren des Worts und des Lichts, auch wenn sie schöpfungstheologisch verschiedene Anfänge anzeigen, kommunizieren in gewisser Weise miteinander und haben aneinander teil. Sie stehen gemeinsam für das, was das überwältigende Initialereignis des zur Welt und in die Sprache kommenden Menschen ausmacht, der durch das Aufgehen des Logos einen Zugang zum Sinn und zur Verständlichkeit der Welt gewinnt. Der Topos vom Menschen als zoon logon echon hat sich in der Konstellation von Leben, Sinn und Sprache auseinandergelegt. In der Entfaltung dieser Konstellation wird deutlich, was die Bestimmung des Menschen als sprechendes Lebewesen beinhaltet. Sprachlichkeit gehört zum Wesen des Menschen, sofern dessen Leben sich im Medium sinnhaften Verstehens und Sichverständigens vollzieht. Über die Statuierung dieser Wesensbestimmung ist nun in zwei Schritten hinauszugehen. Zum einen ist der existentielle Befund in seiner Genese zu entfalten und danach zu fragen, wie die Form des sprachbegabten Lebens zustande kommt. In den Blick kommt das ZurSprache-Kommen des Menschen und der Welt. Dabei interessiert nicht in erster Linie, warum und wie Sprache entsteht, sondern was mit ihr sich ausbildet. Zum anderen geht es um 41 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
eine funktionale Betrachtung, die danach fragt, inwiefern Sprache als Fokus des menschlichen Lebens fungiert, worin die Macht und die existentielle Bedeutung der Sprache bestehen. Unter beiden Hinsichten steht die prozessuale Beschreibung im Horizont einer Verständigung über das Wesen der Sprache und ihren Ort im menschlichen Leben.
42 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Zur Sprache kommen – die Genese der Sprachlichkeit
1. Sprachursprung Das Wunder der Sprache ist das Wunder der Geburt der Sprache. Es ist das Ereignis des Zur-Sprache-Kommens des Menschen und der Welt. In ihm birgt sich das Rätsel, wie die Menschheit, wie das Individuum, wie die Dinge in das Reich der Sprache hineinkommen, wie sie an ihnen selbst ‹zur Sprache› kommen. Die Figur des Zur-Sprache-Kommens hat sich als eine mehrschichtige Konstellation gezeigt. Sie benennt einerseits den genetischen Prozess, in welchem die Menschen zu sprachfähigen Wesen werden, ihre Sprache finden und sich selbst zum Ausdruck bringen, andererseits den Vorgang, in welchem die Dinge und Ereignisse erfasst und dargestellt, im Medium der Sprache artikuliert und verstehbar werden. Letzteres ist Kehrseite eines ‹Zur-Sprache-Bringens › durch menschliche Subjekte; auf dieses wird an späterer Stelle in der Rekonstruktion des Sprechens und seiner Leistungen einzugehen sein. Zunächst steht der Prozess im Blick, in welchem der Mensch selbst zur Sprache gelangt, seine Sprachfähigkeit ausbildet und sich im Sprechen verwirklicht. Dieser Prozess findet seinerseits auf zwei Ebenen, als phylogenetische und ontogenetische Entwicklung, statt. In Frage steht, wie die menschliche Gattung und das einzelne Individuum die Fähigkeit des Sprechens erwerben und in die Sprache 43 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
hineinwachsen; Thema ist einerseits der Sprachursprung, andererseits der Spracherwerb. Die beiden scheinbar parallelen Prozesse unterscheiden sich in signifikanten Zügen und werfen verschiedene Fragen auf. Sie sind Gegenstand unterschiedlicher Theorien und empirischer Disziplinen, die einerseits die Entwicklung eines bestimmten, partikularen Vermögens des Menschen, andererseits die Herausbildung der humanen Lebensform als solcher tangieren. Während die linguistische und entwicklungspsychologische Spracherwerbsforschung die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen und die einzelnen Lernschritte untersucht, in welchen Kinder sprechen lernen und die Kompetenzen eines erwachsenen Sprechers ausbilden, ist der menschheitliche Sprachursprung Gegenstand anthropologischer, geschichtsphilosophischer und metaphysischer Theorien und Untersuchungen. Geht es in jener um das Hineinwachsen des Einzelnen in eine bestimmte, vorgegebene Sprache, so in diesen um den Ursprung von Sprache überhaupt beziehungsweise die generelle Ausbildung des menschlichen Sprachvermögens. Auf den Spracherwerb wird in den folgenden Abschnitten genauer einzugehen sein; an dieser Stelle ist zunächst ein kurzer Blick auf die Frage nach dem Sprachursprung zu werfen. Naturgemäß geben Fragen zum Sprachursprung, neben anthropologischen und evolutionstheoretischen Untersuchungen, Anlass zu philosophisch-spekulativen Erörterungen und literarisch-fiktionalen Darstellungen. Eine Leitfrage der klassischen Sprachursprungstheorien des 18. und 19. Jahrhunderts (Rousseau, Condillac, Herder, Humboldt u. a.) betrifft die Alternative zwischen göttlichem oder tierischem Ursprung der Sprache. Der Topos des göttlichen Sprachursprungs weist zurück auf älteste philosophische Diskussionen. Ihr Angelpunkt ist nicht das bloße Faktum der Sprache, die Tatsache, dass alle Dinge einen Namen haben, sondern die Frage, warum sie 44 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
diesen bestimmten Namen tragen, welches ihr richtiger Name ist und in welcher Weise ihr Begriff auf die Wirklichkeit Bezug nimmt. In Platons Dialog Kratylos, der den Untertitel «Von der Richtigkeit der Benennungen» trägt, wird die These verhandelt, dass es wichtig sei, den Namen der Dinge zu kennen, da dieser uns Aufschluss über die Natur der Dinge verschaffe. Zumal tue dies der nicht zufällig entstandene oder nur konventionell festgelegte, sondern der «richtige» Name, der «jedem Ding von Natur aus zukommt» und den «möglicherweise nur die Götter kennen».52 Tragend ist ein Vertrauen in die Realitätshaltigkeit und Aussagekraft der Sprache, wie es auch dem natürlichen Sprachverständnis innewohnt und im vorliegenden Kontext zusätzlich metaphysisch fundiert und gleichsam durch eine göttliche Gewähr gesichert ist. Der Glaube an die wesensmäßige Verbindung zwischen Sprache und Sache scheint keine willkürliche Überzeugung zu sein, aber dennoch nicht unkontrovers und nur schwer argumentativ einzuholen. Er mag eine Stütze in der Herkunft aus einer Natursprache, aus den Tönen der Natur und der natürlichen Empfindung haben, durch welche das Tier mit der Natur kommuniziert. Nach Herder tönt die Natur «tief in die Seele hinein», und der Mensch als das ursprünglich hörende, horchende Geschöpf tendiert natürlicherweise dazu, in Nachahmung der tönenden Natur in die Dinge zu dringen und deren Stimme in seinem Sprechen gleichsam weiterzubilden.53 Die Verankerung der menschlichen in der tierischen Sprache ist eine Weise, das Wort in einem Anderen, ihm Vorausliegenden zu fundieren und es damit gewissermaßen der Kontingenz zu entheben und mit einem bestimmten intrinsischen Realitätsbezug, einer bestimmten Wahrheit zu versehen. Indessen bleiben solche und ähnliche Fundierungen, auch wenn sie keine starken metaphysischen Postulate zur Korrelation von Namen und Wesen beinhalten, voraussetzungsreich. Sie führen die Sprachursprungsdiskussion über empirische Kennt45 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
nisse hinaus, verschränken sie mit hypothetisch-konstruktiven Elementen, die sie je nachdem anthropologisch und evolutionstheoretisch kontextualisieren. Sie können der philosophischen und kulturtheoretischen Interpretation gehaltvolle Perspektiven zur Verständigung über Herkunft, Wesen und existentielle Funktion der Sprache anbieten. Im Zeitalter der positiven Wissenschaft des 19. Jahrhunderts begegnen sie weithin dem epistemologischen Vorbehalt. Ein berühmtes Beispiel ist der durch die Société Linguistique de Paris in den Statuten von 1866, Art. 2, ausgesprochene Bann über die Sprachursprungsforschung: «La Société n’admet aucune communication concernant, soit l’origine du langage soit la création d’une langue universelle». Bezeichnenderweise wird die Frage nach dem Sprachursprung, die mit paläohistorischen oder evolutionstheoretischen Forschungsperspektiven verknüpft sein kann, in der Abwehr in die Nähe der Schöpfung von Universalsprachen gerückt, die explizit als idealisierende Konstrukte fungieren und gegebenenfalls ontologische Unterstellungen zur Entsprechung von Begriffs- und Seinsverhältnissen beinhalten. In heutiger Sicht verliert die Abwehr ihre Evidenz. Unter verschiedenen disziplinären Abschattungen wird der Ursprung der menschlichen Sprache durchaus als Gegenstand empirischer Forschung zum Thema. In anderen disziplinären Netzen hingegen ist die nun zu betrachtende komplementäre genetische Betrachtung situiert, die das Zur-Sprache-Kommen des Individuums erkundet.
2. Spracherwerb Nicht nur die menschliche Gattung, auch der Einzelmensch kommt im Laufe einer komplexen Entwicklung zur Sprache. ‹Zur Sprache kommen› bedeutet dabei zweierlei: dass er das 46 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
generelle Vermögen der Sprache, des Verstehens und des Redens – wie die Fähigkeit, zu sehen oder zu gehen – erwirbt und dass er sich gleichzeitig eine bestimmte, konkrete Sprache aneignet, in deren Medium er die Welt und sich selbst zu begreifen und auszudrücken lernt. Er wächst unter normalen Umständen in seine ‹Muttersprache› hinein, in ein Vokabular und ein Sprachgefüge, die ihn mit seiner Herkunft und mit seiner nächsten Umgebung verbinden, und er bleibt in seiner Entwicklung lange auf den Austausch mit Anderen, auf das Geführtwerden durch Andere und das Entgegenkommen der Anderen angewiesen. Das Zur-Sprache-Kommen kann sich als kontinuierlicher, schrittweiser Entwicklungs- und Lernvorgang, je nachdem, etwa infolge von Entwicklungsverzögerungen oder äußeren Behinderungen, auch schubweise oder abrupt ereignen; es kann gegebenenfalls in einer späteren Lebensphase auch gleichsam korrektiv, als Wiedergewinnung einer verlorenen oder unterdrückten Sprache, im Extrem: einer beschädigten Sprachfähigkeit, zustande kommen. Vorbedingungen des normalen Initialstadiums und Entwicklungsgangs der Sprache liegen in der biologischen Ausstattung ebenso wie in sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen. Zu Ersterer zählen angeborene Fähigkeiten zur akustischen Wahrnehmung und Differenzierung wie zur feinmotorischen Reaktion und Äußerung, die von Geburt an Erkundungen in der Welt und Entwicklungen des Sprechenkönnens ermöglichen.54 Beeindruckend sind die von Geburt an gegebenen und stufenweise sich ausbildenden Differenzierungsvermögen, die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen menschlicher Stimme und anderen akustischen Reizen, zwischen der Mutterstimme und fremden Stimmen, das Vermögen zur Erfassung struktureller Kontraste in der Lautwahrnehmung, das zunächst unspezifisch-offen ist und allmählich für nicht-muttersprachliche Kontraste ohne bedeutungstragende Funktion (etwa zwischen l und 47 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
r im Japanischen) zurückgeht.55 Daran schließen sich die für die Sprachbeherrschung konstitutiven Fähigkeiten zur Segmentierung im Laut- und Textfluss an, zur Erkenntnis und Klassifizierung von Worten und größeren syntaktischen Einheiten, zum aktiven Umgang mit lexikalischen und semantischen Relationen. Es ist ein weites und komplexes Forschungsfeld der Sprachwissenschaft, in welchem diese die unterschiedlichen Dimensionen und vielfältigen Entwicklungsschritte herausarbeitet, die in das ausgebildete passive und aktive Sprachverhalten eingehen. Dabei liegt das passive dem aktiven Vermögen in mehr oder weniger großen Abständen voraus – in der Wahrnehmung und Beherrschung von Artikulationsdifferenzen und ihrer semantischen Korrelate, in der Fokussierung auf die Normsprache in Abhebung von lautlichen und strukturellen Varianten und dialektalen Prägungen, in der rezeptiven Orientierung an der korrekten Aussprache (im Gegensatz zur eigenen defizienten Artikulation, die das Kind bei Erwachsenen zurückweist), im Erfassen und Anwenden grammatischer und syntaktischer Regeln, im Verstehen und verbalen Hervorbringen komplexer Sprach- und Sinngefüge etc.56 In alledem öffnet sich ein faszinierendes Spektrum von Gestalten und Relationen, in welche das Kind im Spracherwerb eindringt und in denen es sich hörend und kommunizierend bewegt. Dass es im rezeptiven Erfassen weiter fortgeschritten ist als im eigenen Artikulieren, ist für es selbst wie für die Kontaktpersonen von Belang, die es durch Anregungen und Korrekturen herausfordern und in seiner Entwicklung leiten und stützen. Grundsätzlich ist die Spracherwerbsforschung mit der Frage konfrontiert, in welchem Verhältnis die angeborenen Fähigkeiten zu externen Faktoren und zu internen, psychologisch-kognitiven Entwicklungsschritten stehen. Schematisch lassen sich nativistische Konzeptionen (Noam Chomsky u. a.), lerntheoretische Ansätze (Jean Piaget u. a.) und sozial-interakti48 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
ve Erklärungen des Spracherwerbs (Mutter-Kind-Interaktion, Assoziation und Nachahmung etc.) auseinanderhalten, wobei es naheliegt, die Genese der Sprache in einem nicht-reduktiven Zugang im Wechselspiel beziehungsweise der Verflechtung dieser Dimensionen zu verorten.57 Etwas vom ‹Wunder› der Sprache bleibt in diesen Zugängen allemal erhalten – vom Sich-Wundern darüber, wie in den verschiedenen Dispositionen, Einwirkungen und Verflechtungen die neuen Schritte der Verbalität zustande kommen, wie Sinnverhältnisse hervortreten und die Dinge sich in Sprachgebilden öffnen und dem menschlichen Verstehen fassbar und mitteilbar werden. Es ist für Eltern und Begleitpersonen eine besondere Erfahrung, mitzuerleben, wie das Kind im Aufnehmen und Sichäußern schrittweise in die Welt der Bedeutungen hineinwächst. In gewisser Weise bleibt das unableitbare Faszinosum des Sinns, des Hellwerdens der Welt im Verstehen und Reden in seinen vielfältigen Elementen und Formbildungen erhalten. Unabhängig von dieser Unableitbarkeit besteht das eminente Interesse an der sprachwissenschaftlichen und entwicklungspsychologischen Erforschung dieser Zusammenhänge. Sie geben einen Einblick in das, was sich in der Genese der menschlichen Sprache abspielt, und tragen zur Verständigung darüber bei, was Sprache ist und worum es dem Menschen als sprechendem Lebewesen geht.
3. Vom Denken zum Sprechen Sprechen heißt sich äußern. Rede ist Ausdruck, Artikulation eines Gemeinten, Nach-außen-Bringen eines Inneren. Das Phänomen der Sprache ist in seinem Kern mit der Relation von Innen und Außen verschränkt; Ausdruck und Äußerung sind Leitmetaphern für den Akt des Sprechens. Dabei liegt die Pointe der Figur darin, dass mit dem Hinausgehen und Äußer49 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
lichwerden nicht einfach ein Zweites, Zusätzliches oder Sekundäres gegenüber einem Inneren dazukommt. Vielmehr steht die Äußerung für ein Wesentliches, das für das Sprechen konstitutiv ist und im Innersten seines Akts verwurzelt ist. Autoren wie G. W. F. Hegel und Wilhelm Dilthey haben das menschliche Leben beziehungsweise das Leben des Geistes überhaupt über diese Begriffsfigur bestimmt, als ein Aus-sich-Herausgehen und Gestalt-Annehmen, in welchem das individuelle wie das gemeinsame Leben sich verwirklicht und zu sich selbst kommt. Nicht in der Potentialität des In-sich-Seins, sondern in der Entfaltung und äußeren Verwirklichung hat das Leben, hat der Geist seine Wahrheit und sein wesentliches Sein; seine Kraft, beteuert Hegel, «ist nur so groß als ihre Äußerung».58 Nicht das diffuse Ahnen und Meinen, sondern das explizite, deutliche Sagen ist nach ihm der wahre Ort des Erkennens und des Sinns.59 Sprechen ist das Äußern, in welchem der Gedanke seine Bestimmtheit und aktuale Präsenz gewinnt. Wilhelm von Humboldt bezeichnet die Sprache als das «bildende Organ» des Gedankens, als das «Komplement» und die «notwendige Vollendung» des Denkens.60 In der Sprache wird das Meinen für sich selbst in bestimmter Weise fassbar, gewinnt das Bewusstsein seine innere Transparenz und Gestalt. Das Verhältnis zu den Dingen und zu sich selbst, dessen das Subjekt in verschiedenen Modalitäten des Fühlens, Wollens, Gerichtetseins gewahr ist, wird ihm im Medium der Artikulation vorstellig und der kognitiven Durchdringung, reflexiven Analyse und Mitteilung zugänglich. Wir bedürfen der Sprache, sei es des stummen inneren Ausdrucks, um mit uns ins Reine zu kommen und uns über unsere Absichten und Gefühle, ja, unser eigenes Meinen klar zu werden. Was wir mit einer Frage, Bemerkung oder Behauptung eigentlich sagen und jemandem mitteilen wollen, gewinnt oft erst im Aussprechen, auch für uns selbst, deutliche 50 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Konturen; zuweilen suchen wir vergeblich nach dem richtigen Ausdruck für das, was wir diffus intendieren und gefühlsmäßig umkreisen. Gegen das Vorurteil, dass die Innerlichkeit für sich klar und eindeutig sei und nur ihre Übersetzung in klare Worte und eindeutige Gesten Probleme aufwerfe, erinnert die hermeneutische Phänomenologie daran, dass wir keineswegs immer genau wissen, was wir eigentlich wünschen und letztlich erstreben, was wir in Wahrheit glauben oder in unserem Reden äußern wollen. Was etwas für uns bedeutet, das Licht, das es auf unser Fühlen und Handeln wirft – worin der Schmerz eines Verlusts besteht, das Versprechen einer Begegnung liegt –, wird uns in größerer Bestimmtheit gegenwärtig und aktualer Teil unseres Erlebens, wenn wir ihm verbalen Ausdruck geben, es mit Worten ausformulieren, uns um seine genaue Beschreibung bemühen. Wir erkunden unsere Gefühle, Einstellungen und Absichten, indem wir über sie sprechen, sie schreibend zu erfassen und anderen mitzuteilen suchen. In gewisser Weise bilden wir erst im Medium der Artikulation unsere Gedanken aus, eignen uns in der Äußerung unser eigenes Denken an. Dass diese Aneignung stattfinden kann und zwischen dem Innen und Außen, dem Meinen und dem Sagen eine nichtreduzierbare Übereinstimmung zustande kommt, gehört mit zum Wunder, zum unableitbaren Ereignis des Sprechens. Dass wir mit Hilfe bestimmter Zeichen Sinn ergreifen und gestalten können, dass wir im Artikulieren das lautliche Material mit der Absicht zur Bedeutsamkeit durchdringen und umgekehrt der Sinn unseres Erlebens und Sagenwollens im äußeren Laut sein Gefäß findet, dass zwischen dem Gedanken, den Stimmwerkzeugen und dem Gehör im Medium der Sprache eine «unzertrennliche Verbindung» zustande kommt – all dies, meint Humboldt, ist «in der ursprünglichen, nicht weiter zu erklärenden Einrichtung der menschlichen Natur» begründet.61 Humboldt situiert dieses Zusammenspiel im umfassenden Natur51 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
und Lebenszusammenhang, in dessen Kreislauf sowohl die Kommunikation mit der Natur im Hervorbringen und Hören wie die Gemeinsamkeit zwischen den Geschöpfen und die «Übereinstimmung aller menschlichen Sprachen» angelegt ist.62 Die Rückbindung an die Natur und an die Gemeinsamkeit unter den Menschen stellt die Frage in den Raum, wieweit das Denken und subjektive Meinen in der Tat auf die äußere Artikulation im Medium der unterschiedlichen, partikularen Sprachen angewiesen ist. Die Frage ist im Laufe der Geschichte nicht einheitlich und nicht durchgehend im Sinne der skizzierten Sichtweise Humboldts oder der Hermeneutik beantwortet worden. Als Gegenvorstellung sei auf das bei Augustinus und Boethius formulierte, im Mittelalter durch Wilhelm von Ockham erneuerte Konzept einer mentalen Sprache verwiesen.63 Augustinus’ Idee des verbum mentis beinhaltet, diesseits der verschiedenen linguae gentium, die Vorstellung, dass der Mensch im Inneren seines Herzens für sich selbst spricht, sobald er denkt; nach Boethius besitzen die inneren Seelenzustände, vorgängig zu den oralen Worten, welche in der Schrift ihre Zeichen haben, Ähnlichkeiten mit den Dingen, und nach Ockham fungieren mentale Begriffe, die sich zu mentalen Propositionen kombinieren können, als Träger natürlicher Bedeutungen, die sich auf die Dinge beziehen.64 Solche Konzepte gehen in der neuzeitlichen Philosophie, pointiert in der phänomenologischen und analytischen Tradition, verloren.65 In diesen bleibt der Vorbehalt gegen die in sich verbleibende Innerlichkeit als Ort der Sinnkonstitution vorherrschend. Namentlich die phänomenologische Theorie, welche die Gedanken Humboldts in veränderter Perspektive reformuliert und existenzphilosophisch kontextualisiert, verleiht dem Phänomen der Expressivität neuen Nachdruck. Exemplarisch tut dies Maurice Merleau-Ponty, dessen Phénoménologie de la perception die Ausführungen zur Sprach52 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
lichkeit des Menschen unter den Titel «Le corps comme expression et la parole» stellt.66 Wenn allen leiblichen Funktionen ein intentionales Gerichtetsein und Bedeutungsvermögen, un pouvoir de signification, innewohnt,67 so realisiert sich dieses nach Merleau-Ponty wesentlich im Medium der Äußerung. Ihrer bedarf das Subjekt, um der erlebten und vollzogenen Bedeutsamkeit der Erfahrung konkrete Gestalt und Wirklichkeit zu verleihen. Der Gedanke, heißt es ähnlich wie bei Humboldt, «strebt nach dem Ausdruck als seiner Vollendung», über den Ausdruck «eignen wir uns unser Denken an», «wird das Denken unseres»; die Rede des Sprechenden «übersetzt nicht einen fertigen Gedanken, sondern vollbringt ihn».68 Die Sprache ist nicht erst das Medium der Übermittlung, sondern zuvor der Reflexion und Selbstaufklärung des Denkens. Paradox formuliert, drücken wir uns aus, um zu erfahren, was wir meinen. In dem Maße, wie die Selbstexplikation des Gedankens ohne Abschluss bleibt, ist auch der Ausdruck nie endgültig und vollständig.69 Die Äußerung ist nicht ein Anderes zum Denken, das Wort kein bloßes Zeichen, sondern die eigene, äußere Existenz des Sinns. Sie ist die Verkörperung der Bedeutung im mündlichem Ausdruck wie in der körperlichen Geste oder künstlerischen Gestaltung.70 Der verstehbare Sinn einer Geste des Zorns oder der Zuneigung liegt nicht verborgen hinter ihr, sondern ist unablösbar von ihr, in ihr.71 Besonders eindringlich schildert Merleau-Ponty den Prozess der Sinnschöpfung im künstlerischen Schaffen, nicht zuletzt in den nicht-verbalen Künsten der Malerei und Musik, die ihrerseits als illustrierendes Modell für das sprachliche Äußern, Darstellen und Hervorbringen dienen. Im Ganzen hat das Ausdrucksverhalten seinen Ort in der menschlichen Existenz, als paradigmatischer Vollzug der sinnhaften Gerichtetheit und Verwirklichung des Lebens, das zur Äußerung und symbolischen Transformation drängt und in der 53 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Selbstgestaltung sich über sich verständigt und zu sich findet. Im zwischenmenschlichen Handeln, im handwerklichen Produzieren, im intellektuellen Schaffen vollzieht sich das Leben über den Ausdruck und das gegenständliche Werk. Das Hinausgehen vom In-sich-Sein in die Äußerung markiert einen zweifachen, für den Existenzvollzug gleichermaßen bedeutsamen Übergang: von der Potentialität zum Aktual-Wirklichen und vom Unbestimmt-Allgemeinen zum Besonderen und Konkreten. Seit Aristoteles wird von vielen Autoren der Gedanke variiert, dass das gelingende Leben sich im Akt, nicht in der Potenz vollzieht: nicht im Verfügen über Möglichkeiten, sondern in deren Verwirklichung, nicht im Besitz von Gütern und Instrumenten, sondern in deren Gebrauch, nicht im Haben, sondern im Sein. Die These der Priorität des Akts (actus, energeia) über die Potenz (potentia, dynamis) ist ein ethisch wie ontologisch gleichermaßen gültiger Grundsatz der aristotelischen Philosophie. Das wahrhafte Sein liegt im Aktual- und Wirklichsein, wie das erfüllte, glückliche Leben seinen Ort im Vollzug und erlebten Genuss, nicht im bloßen Können und Fähigsein hat und wie das ethisch Gute in der Tat, nicht in der bloßen Einstellung und Tugend besteht. Gleichzeitig ist der Übergang vom Möglichen zum Wirklichen eine Überführung des Unbestimmt-Generellen ins Konkret-Bestimmte: Der Gehalt und Wert eines Tuns oder Erlebens liegt in dessen konkretem So-und-nicht-anders – im Schreiben dieses Briefs, im Hören dieser Symphonie, nicht im Schreiben oder Hören überhaupt. Wenn wir dieses Verhältnis auf den Bezug von Denken und Sprache zurückblenden, so bestätigt sich die dynamische Verweisung von jenem auf diese – die Entstehung des konkreten Sinngebildes in seiner Gestaltung und seinem Ausdruck oder, in Kleists Worten, die «allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden».72 In alledem zeigt sich, dass Sprache nicht ein Zweites, Zusätzliches, sondern ein Erstes und 54 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Ursprüngliches ist, in welchem der Sinn seine originäre Gestalt und Wirklichkeit findet. Gleichwohl wäre es unzutreffend, die Schwelle zum Wort und zum verbalen Ausdruck als den letzten, eigentlichen Ursprung des Sinns zu sehen. Um dessen Grund – und damit auch den Anfang der Sprache – zu sondieren, ist auf das präverbale Erleben und Verhalten zurückzugehen. Vom Fundament des Lebens her ist auch das genuine Medium der Sprache zu erfassen und in seiner Eigengestalt herauszustellen.
4. Der Grund der Sprache im Leben a) Natur, Leben, Leiblichkeit
Die These, dass wir das Wesen der Sprache nur dann adäquat verstehen, «wenn wir ihre konstitutive Rolle im menschlichen Leben verstehen»,73 hat ihr gegenläufiges Pendant in der konstitutiven Funktion des Lebens für die Sprache. Die «ursprüngliche Sprachlichkeit des Menschen», der zufolge wir in allem Tun und Erleben «immer schon von der Sprache umgriffen» sind und über die Sprache in unser Leben und in die Welt hineinkommen, geht einher mit der Verwurzelung der Sprache im Leben.74 Menschliches Sprechen(‐können) ist von Anfang an, von seinem Ursprung her mit dem menschlichen Leben verflochten. Diese Ursprünglichkeit realisiert sich in den Dimensionen der Natur, des Lebens, des Leibes, des Handelns. Die Verwurzelung der Sprache im Leben der Natur und der Tiere wird bei Herder und Humboldt vielfältig ausgeführt. «Schon als Tier hat der Mensch Sprache», lautet ein Schlüsselsatz in Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache.75 Nicht erst das bewusste, reflektierte Verbalverhalten macht die Sprachlichkeit des Menschen aus, die viel tiefer im Leben und
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Tätigsein einsetzt und im Prozess der Natur verwurzelt ist. Ihre Herkunft ist die Natursprache, die sich in der Äußerung des Lebens artikuliert und im Tönen und Empfinden der mannigfaltigen Lebewesen, von denen jedes seine eigene Stimme hat, eine basale Kommunikation unter den Geschöpfen stiftet.76 Dem Privileg des Tones korrespondiert der Vorzug des Gehörs als des mittleren Sinnes zwischen Gefühl und Gesicht, von denen der eine dem Gegenstand zu nah, der andere zu fern ist, während das Hören und die Stimme die Eindringlichkeit mit der distinkten Klarheit verbinden und sich dadurch als Sinn der Sprache zur Rezeption wie zur Mitteilung eignen.77 Die Verortung der Sprache im Wechselspiel des natürlichen, leibhaften Lebens bedeutet auch, dass sie ihre eigenste, ursprüngliche Manifestation im Mündlichen, im Spiel von Laut und Gehör hat. Es bildet für die Hermeneutik eine eigene Frage, in welchem Verhältnis das Faktum dieser ursprünglichen Äußerung zur gleichermaßen essentiellen Dimension der vergegenständlichten Äußerlichkeit, zu Schrift und Textualität als originären Räumen des Sinns steht, die in neueren Diskussionen, etwa im Horizont der Dekonstruktion, teils in direkter Gegenwendung zur Rückführung auf den Ursprung, ins Zentrum rücken. An dieser Stelle gilt es, die Dimension des Lebens und der leiblichen Existenz als Grund und Herkunft der Sprache zu erkunden. In eindringlicher Weise hat Michel Henry in seiner ‹Lebensphänomenologie› die hinter der Subjektfunktion des Bewusstseins zurückliegende selbstbezügliche Prozessualität des Lebendigen als tiefsten Grund des Sinngeschehens und des Sprechens herausgearbeitet.78 Das Leben, das nicht in der dynamischen Gerichtetheit aufgeht, sondern die reflexiven Vollzüge der Selbstaffizierung und Selbstwahrnehmung, der Selbstartikulation und Selbstpräsenz enthält, ist darin zugleich Urgrund der Generierung und Assimilierung sinnhafter Ver56 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
hältnisse. Das Leben des Geistes, in welchem die Sinnbezüge Gestalt annehmen, ist wesenhaft inkarniert, ein leibhafter Vollzug, in welchem es an der Lebendigkeit der Natur teilhat und gleichzeitig mit anderen Lebewesen kommuniziert. Die wesenhafte Verkörperung der Bedeutung liegt nicht nur in deren Vergegenständlichung in einem Zeichen oder einer Geste, sondern ebenso in ihrer Herkunft aus – und ihrer Realisierung in – einem lebendigen, empfindenden, sich äußernden Körper. Die ‹Inkarnation› des Sinns, die Henry in Anlehnung an den Satz ‹Und das Wort ist Fleisch geworden› aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums auslegt, beharrt gegen die Gleichsetzung des Geistes mit dem Intelligiblen auf der Verschränkung mit dem Leiblich-Sinnlichen, die dem griechischen Denken als Skandalon gilt: Darin liegt nach ihm die Quintessenz der Transposition der Phänomenologie von der Erscheinungsform der Welt hin zur Selbstoffenbarung des Lebens.79 Neben Henry ist es vor allem Merleau-Ponty, der dem Leibdenken Nachdruck verliehen und den Ausgang von der Leiblichkeit zum Fokus der phänomenologischen Analyse gemacht hat. Von ihm kann die Rekonstruktion der Sinnhaftigkeit der Existenz und damit der Sprache exemplarisch ausgehen. ‹Subjekt› des Sagens und Verstehens ist vor dem Bewusstsein der Leib. Über unseren Leib nehmen wir zuerst Bedeutungen wahr, erfassen wir die Gefühle anderer, begreifen wir ihr Verhalten und ihre Gestik, spüren wir Stimmungen und umgebende Atmosphären. Über den Leib öffnen wir selbst uns anderen, äußern wir Absichten und Empfindungen, geben wir uns anderen zu verstehen. Nicht in Intentionen und Codierungen, sondern im «Leib als Ausdruck»,80 dessen Äußerungskreis sich in alle Bereiche des Lebens hinein erstreckt, hat die Sprachlichkeit der Existenz ihren originären Ort und ihr strukturierendes Zentrum. Wie sich das Gesamt des Verhaltens und Erlebens im Medium der Sinnhaftigkeit, der Bedeutungsstiftung und des Verstehens voll57 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
zieht, so hat es seine Wurzel im leibhaft-sinnlichen Erleben und Äußern.
b) Handeln und Sprechen
Verwurzelt ist das Zur-Sprache-Kommen des Menschen nicht nur in der Leiblichkeit des empfindend-expressiven Daseins, sondern im praktischen Tun und Erleiden. Von Anfang an ist das Individuum in Belange des Strebens und Vermeidens, des Erreichens und Scheiterns involviert; wir begegnen der Welt nicht nur als hörende und sprechende, sondern als handelnde, «aktive Lebewesen» mit bestimmten Interessen und Abneigungen. Sie färben auf unsere Erfahrung ab und verleihen den Gegenständen im Horizont unseres Wollens und Könnens, unserer Macht und Ohnmacht ihre lebensweltliche Bedeutsamkeit. Im Umgang mit den Dingen begegnen wir Aufforderungen und Möglichkeiten, aber auch Gefahren und Hindernissen. Der Baum ist für das Kind etwas, auf das man klettern kann, die Höhle etwas, das es verlockt und wovor es sich fürchtet, der Apfel ist etwas zum Essen, der Ball etwas zum Werfen – die Welt, so formuliert es Charles Taylor, ist «voller Gerundiveigenschaften», und das verstehende Sichzurechtfinden in ihr führt auf Bedeutungen zurück, die unserem körperlichen Umgehen mit ihr innewohnen.81 Bedeutungen sind mit unseren Affekten und Absichten, Bewegungen und Praktiken verwoben, sie wohnen unserer «motorischen Intentionalität» inne und manifestieren sich als Angebote und Herausforderungen in den Dingen, soweit diese mit Neigungen und Orientierungen des leiblichen Daseins korrespondieren. Die Richtung der existentiellen Sinngebung, so Merleau-Ponty, ist eine, die ebenso vom Subjekt ausgeht, wie sie auf es zukommt: «Das Subjekt lässt Sinn und Bedeutung in den Dingen erscheinen», wie umge58 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
kehrt eine «autochthone» Sinnschicht der Welt deren Verflechtung mit der «inkarnierten Existenz» fundiert und den «Boden jeder willentlichen Sinngebung» bildet.82 Das praktische, empfindend-wollende Selbst- und Weltverhältnis ist Basis sowohl der Sinnrezeption wie der Sinnschöpfung, des Verstehens wie des Darstellens und Mitteilens. In vorsprachlicher Kommunikation lernen Kleinkinder mit den Dingen umzugehen und die Intentionen der Erwachsenen zu erkennen, in interaktiven Prozessen erfassen sie den Bewandtniszusammenhang der Dinge und das zielgerichtete Verhalten der Erwachsenen, im Hantieren mit Gegenständen und im gemeinsamen Spielen wachsen sie in Welten und Situationen, in typische Handlungsweisen und umfassende Lebensformen hinein.83 Der ganzheitliche, holistische Bedeutungs- und Handlungszusammenhang macht einen Grundzug nicht erst des ausgebildeten Sprachsystems, sondern schon der elementaren Erlebens- und Erkundungssphären des Kindes aus. Doch ebenso ist die präverbale Teilhabe am Sinn konstitutives Element erwachsener Kommunikations- und Handlungsbezüge, in der personalen Zuwendung im ärztlichen Handeln wie im empathischen Verstehen herrschender Stimmungen und gemeinsamer Rituale, in der Teilnahme an habituellen und institutionellen Praktiken.84 Einem Fußballspiel beiwohnen, sich an einer Demonstration beteiligen, die Erschütterung einer Katastrophe mit anderen erleben verlangt die Partizipation an Erfahrungs-, Erlebens- und Handlungsweisen, die der artikulierten Beschreibung und diskursiven Argumentation vorausliegen. MerleauPonty spricht mit Husserl von einer dem thematisch-reflexiven Bewusstsein vorausliegenden, fungierenden Intentionalität (intentionnalité opérante), die wesentlich im Sinnlichen, Leiblichen, Praktischen angesiedelt ist. Sie ist Basis nicht nur des Verstehens, sondern ebenso des Sagens. Die ausdrückliche Frage kommt aus einem vorthematischen Zweifeln und Suchen, 59 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
die explizite Bitte aus einem stummen Begehren und Fordern. Das artikulierte Sprechen gründet in einem Meinen und unausgesprochenen Sagenwollen, das unser In-der-Welt-Sein durchzieht und vielleicht ohne Ausdruck bleibt. Ohne Ausdruck, genauer: verbalen Ausdruck, bleibt das Sagenwollen auch im Modus des gerichteten Hinweisens, des Zeigens. Das Zeigen ist die vorsprachliche Äußerung und Mitteilung par excellence. Sie bildet im Umgang mit Kindern einen wesentlichen Schritt in der Lenkung der Aufmerksamkeit, in der Referenzsicherung im Gegenstandsbezug, gegebenenfalls auch im Klarmachen, Vereindeutigen und Erläutern eines Sachverhalts – als Zeigen, wie etwas zusammenhängt, wie etwas funktioniert, wie etwas zu tun ist. Motorische Geschicklichkeiten und handwerkliche Vermögen werden, neben dem experimentierenden Erproben, wesentlich über das Nachahmen eines von anderen praktizierten, vorgeführten Verhaltens erlernt; das Sprechenlernen selbst ist im Normalfall ohne mimetischen Anteil kaum vorstellbar. Wie das Sichzeigen eine Quelle der Phänomenalität, der Offenbarung der Dinge und der Welt bildet, so ist das Zeigen und Hinweisen eine Ursprungsdimension des zwischenmenschlichen Sagens und Zu-verstehen-Gebens.85 Auch der artikulierten, ausformulierten Sprache bleibt im Ganzen ein hinweisendes, deiktisches Moment erhalten, das über die Verwendung der Demonstrativa hinausgeht. Es ist wesentlich damit verbunden, dass wir uns im Sprechen und Miteinander-Reden auf eine Wirklichkeit beziehen, die wir nicht nur lexikalisch-grammatisch strukturieren, sondern empfindend aufnehmen und wirkend gestalten. Als engagierte und praktisch interessierte Subjekte nehmen wir die Welt in ihrem Bedeutungsprofil wahr und geben sie anderen in ihrer Sinnhaftigkeit zu verstehen – nicht erst im expliziten Sprechen und Handeln, sondern im sinnlich-leiblichen Erfahren, Agieren und Zeigen. 60 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
In zweierlei Hinsicht bildet der Komplex von Leben, Leiblichkeit und Praxis ein Fundament des Zur-Sprache-Kommens. Er bildet einen fundierenden Grund der Sinnkonstitution und eine konstitutive Dimension des Sprechens beziehungsweise des sprachanalogen Mitteilens und Verstehens. Das ZurSprache-Kommen von seiner vorsprachlichen Herkunft her zu bedenken heißt einerseits, die passive und aktive Konstitution des Sinns, die Modalitäten der Sinnrezeption und Sinnstiftung von einem Ursprung diesseits des Intellekts und der theoretisch-kognitiven Einstellung her zu fassen. Die Dinge haben für uns Bedeutung, wir erfassen Sinnhaftes im leiblichen Erleben und Aufnehmen, wir drücken uns aus, geben etwas zu verstehen im praktischen Handeln und körperlichen Verhalten. Andererseits geht diese Dimension in das eigentliche Sprechen ein, als vorausliegender Grund wie als weiterführende, interpretierende Begleitung. Das Sprechen geht nicht auf in den Operationen der linguistischen Strukturierung, der Codierung und Übermittlung, sondern ist Teil des sinnlich-leibhaften Lebens und praktischen Tuns. Die Sprachpotenz, so Merleau-Ponty, ist auf eine grundlegendere Ausdruckskraft des Leibes zurückzuführen, die begriffliche Bedeutung zehrt von einer «gestischen Bedeutung», die der Rede innewohnt.86 Sprache ist Teil der leibhaften Wahrnehmung, der tätigen Weltgestaltung, der vernehmenden und expressiven Interaktion.
c) Sozialität der Sprache
In all diesen Beschreibungen deutet sich an, inwiefern das ZurSprache-Kommen des Menschen ein im Ganzen und von Grund auf soziales Geschehen ist. Keiner gelangt aus sich heraus zur Sprache, und keiner kommt für sich allein zur Sprache. Unterschiedliche Facetten fügen sich in der basalen 61 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Sozialität des Spracherwerbs zusammen. Die nächstliegende ist die Intimität des Mit-anderen-Seins und sozialen Aufgehobenseins, aus dem heraus das individuelle Selbst entsteht. Die Angewiesenheit auf andere, die für das Leben und die Entwicklung des Neugeborenen unhintergehbar ist, zeigt sich unter spezifischen Aspekten mit Bezug auf die Entstehung der Sprache. Vom ersten Schrei über die Lautentwicklung und das Spiel der melodischen Modulation der Stimme, das Babbeln und repetitive Silbenplappern bis zum Artikulieren von Worten durchschreitet das Kleinkind verschiedene Phasen, die es in das Sprechen hineingeleiten. Wenn die ersten Anfangsschritte auch monologisch-experimentierend stattfinden können, werden sie im Normalfall von Beginn an im Wechselspiel von Hören und lautlichem Äußern, im lustvollen Nachahmen und Wiederholen vollzogen und sind in ihrer Entwicklung sehr bald auf das dialogische Zusammenspiel mit Anderen, das Ineinander von Äußern, Vernehmen und Antworten angewiesen, dessen Fehlen nicht ohne einschneidende Schädigungen bleibt.87 Sehr bald zeigt sich das Distinktionsvermögen im Erkennen der Stimme der nächsten Bezugspersonen, zunehmend auch im privilegierten Wahrnehmen der Muttersprache unter anderen Idiomen, im Weiteren das Erkennen von Sprachrhythmen, mimischen Mustern und Gefühlen, in interaktiven Gesten und im Blickkontakt mit der signifikanten Schwelle des sozialen Lächelns.88 Unter vielen Abschattungen bildet die ursprüngliche Geborgenheit den Fundus für Erkenntnisschritte und responsive Verhaltensweisen, die in die Sprachkompetenz und Sprechpraxis des Kleinkindes eingehen. Ein wichtiger, in der jüngeren Forschung vielfach herausgearbeiteter Knotenpunkt in diesem Prozess ist die geteilte Aufmerksamkeit und erlebte Gemeinsamkeit im intentionalen Weltbezug. Realisieren, worauf andere in ihrem Verhalten und Sprechen sich beziehen, worauf sie mit ihren Gesten hinweisen 62 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
und was sie zeigen wollen – nicht den ausgestreckten Finger, sondern den Baum –, ist eine anspruchsvolle, nicht selbstverständliche Leistung, die das menschliche Verhalten schon bald vom tierischen trennt und die in der normalen Kommunikation als Bestandteil des Verstehens und kompetenten Sprechens meist unbemerkt bleibt und nicht thematisch wird. Sie wird in vielfältigen Praktiken und Interaktionen eingeübt, im gemeinsamen Anschauen von Bilderbüchern ebenso wie im Miteinander-Spielen und zielgerichteten kollektiven Agieren, und sie geht ein in das Spiel von Fragen, Auffordern und Antworten, in den kommunikativen Austausch und die Verständigung über eigenes und geteiltes Erleben.89 Sie resultiert in der Bildung sozialer Bedeutungen, in die wir hineinwachsen, deren wir im Handeln und Uns-Orientieren bedürfen und die wir selbst korrigierend und produzierend mitgestalten. Bedeutsam ist der funktionale Anteil, den andere, vornehmlich erwachsene Sprecher an der Ausbildung der Sprachkompetenz des heranwachsenden Kindes haben, indem sie es in seiner Entwicklung begleiten, es in seinen tastenden Versuchen stützen und ermuntern. Sie bekräftigen und beeinflussen seine Äußerungsweise, die sie gegebenenfalls direkt korrigieren oder durch korrektes Sprechen und Reagieren anleiten, indem sie das Kind lautliche, grammatische und semantische Differenzierungen erkennen und praktizieren lehren und es motivational in seinem Ausdrucksverhalten unterstützen. Die vielfältigen Fäden dieses komplexen, vielschichtigen Zusammenspiels bilden ein weites Terrain der empirischen Spracherwerbsforschung. Die wesentliche Rolle, welche die kollektive Intentionalität beim Zur-Sprache-Kommen des Individuums spielt, tritt dort in aller Deutlichkeit und Härte hervor, wo sie fehlt oder nur defizitär realisiert wird, sei es infolge fataler Umstände (Krieg, soziale Katastrophen, Wolfskinder), sei es gar in unmenschlichen fürstlichen Experimenten, welche Kinder ohne 63 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
menschliche Sozialbetreuung und Spracherziehung aufwachsen ließen, um der Genese der natürlichen Sprachfähigkeit beziehungsweise der Ursprache der Menschheit auf die Spur zu kommen.90 Die Kinderpsychologie hat die eminente Bedeutung der sozialen Einbettung für die emotionale, motorische und intellektuelle Entwicklung des Kindes aufgewiesen, die desgleichen für die Ausbildung seiner fundamentalen menschlichen Kompetenz, sein Zur-Sprache-Kommen, zentral ist. Für dieses ist das Soziale nicht nur Grund und Herkunft, sondern ebenso Fluchtpunkt und Resultat. Der Spracherwerb kommt aus der Sozialität, und er führt hinein in die gemeinsame Welt. In ihm bildet sich die gesellschaftliche und kulturelle Gemeinsamkeit heraus, in der wir leben. Aus ihm resultieren die sozialen Bedeutungen der Gegenstände und Institutionen, in ihm gründet der geteilte Sinnraum, an dem unser Sagen und Tun teilhat, in ihm wurzelt die kulturelle Welt, ohne die kein menschliches Leben ist. Wieweit die Sprachkompetenz mit dem Zugang zu kulturellen Lebensformen interferiert, wird in der sozialen Alltagswirklichkeit, in der Benachteiligung fremdsprachiger Kinder und den Forderungen nach ihrer sprachlichen Förderung thematisch. Für das Individuum führt der langwierige, mit der Geburt einsetzende Lernprozess über das Lautliche, Lexikalische, Grammatische hinaus, er umfasst mehr als das Beherrschen von Codes und das Internalisieren von Regeln. Er mündet in den umfassenden kompetenten Sprachgebrauch und das praktische Sprechhandeln, er befähigt nach Austins Formel dazu, «to do things with words».91 Wenn Menschen fast alles, was sie können und tun, auch mittels der Sprache vermögen, so ist das ganze Potential dieses Tuns im umfassenden Prozess des Spracherwerbs, des Zur-Sprache-Kommens des Menschen ins Spiel gebracht.
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Zur Sprache bringen – der Gebrauch der Sprache
1. Stufen und Formen des Sprechens Zwischen vorsprachlicher und sprachlicher Entwicklung besteht nach Einsicht der Forschung eine fundierende Kontinuität.92 Die mit dem Lebensbeginn einsetzende Entwicklung des Hörvermögens mit seinen zunehmenden Diskriminierungsfähigkeiten geht bruchlos ein in die rezeptiven und produktiven, artikulatorischen und linguistischen Strukturbildungen und Praktiken. Sie eröffnet ein weites Forschungsfeld, in dem sich vielfältige Bereiche und Entwicklungslinien des kindlichen Spracherwerbs nachzeichnen lassen. Die bereits im ersten Lebensjahr (teils schon im pränatalen Stadium) assimilierten akustischen, phonologischen und morphologischen Spezifizierungen der Spracheinheiten und Segmentierungen im Sprachfluss verkörpern einen eindrucksvollen, vielschichtigen Lernprozess.93 Er umfasst Schritte im Wahrnehmen ebenso wie in der Vokalisierung und experimentierenden Verwendung von Lauten und Wortelementen, wobei von Beginn bis in höherstufige Lernprozesse hinein gilt, dass eine erhebliche Phasendifferenz zwischen dem passiven Erwerb und dem eigenen korrekten Gebrauch relevanter Unterscheidungen und Sprachformen besteht.94 Aus dem ganzen Feld der einschlägigen Entwicklungen, die in spezialisierten entwicklungspsychologischen und sprachwissenschaftlichen Untersuchungen erforscht werden, 65 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
seien in unserem Kontext nur einzelne Aspekte herausgehoben, die in einer phänomenologisch-hermeneutischen Reflexion zu vertiefen sind. Als Erstes kommen die beiden oben genannten zentralen Schwellen in den Blick, über welche das Kind in das Reich der Sprache eintritt: das Wort und der Satz; auf ihnen aufbauend sind komplexe Gefüge der Sprachkomposition und existentiell bedeutsame Sprechakte von Belang.
a) Nennen und Sagen – Begriff und Proposition
Nach gängigem Verständnis besteht der basale Schritt des Spracherwerbs im Erlernen von Worten. Mit Worten benennen wir die Dinge, mit Worten weisen wir auf Sachen hin und unterscheiden sie voneinander; im Verstehen und Verwenden von Worten identifizieren wir die Dinge und erkennen sie als das, was sie sind. Diese Auffassung, die auch in Helen Kellers Erlebnis, dass alle Dinge einen Namen haben, aufschien und die ebenso im Erlernen einer fremden Sprache virulent sein kann, beruht auf substantiellen Voraussetzungen. Es sind im Weitesten Unterstellungen zur Entsprechung zwischen Sprache und Wirklichkeit, pointiert etwa in der genannten These des Kratylos, dass die Kenntnis der richtigen Benennungen eine Einsicht in das Wesen der Dinge vermittle. Wir können die ontologisch-sprachphilosophischen Prämissen dieser Sichtweise hier auf sich beruhen lassen und uns auf die unkontroversen Fakten des Spracherwerbs als zentralen Momenten in der persönlichen Entwicklung des Selbst- und Wirklichkeitsverhältnisses konzentrieren. Unverkennbar liegt eine grundlegende Funktion des Wortgebrauchs, der sich sukzessiv aus dem Spiel des Vokalisierens und Babbelns herausschält, im Unterscheiden, Identifizieren und Bezugnehmen – eine schon komplexe kognitive und kommunikative Leistung, deren sich das Kind im 66 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
wiederholten Erproben, unter Anleitung und Bestätigung durch Bezugspersonen, vergewissert. Es ist eine schlechthin basale Leistung im Durchdringen und Strukturieren der Lebenswelt, eine Leistung, deren aufhellende, erschließende, lebensfördernde Funktion im Erleben und Verhalten des Kleinkindes greifbar wird – wie auf der Gegenseite beim Verlust der Sprachfähigkeit in der beginnenden Demenz, in der Unsicherheit des Verfügens über das Vokabular und der verstörenden Ungewissheit, wieweit die verwendeten Worte ‹greifen›. Mit Worten dringen wir in die Welt ein und greifen aus auf die Dinge. Das primäre, passive wie aktive Erlernen von Worten findet seine diversifizierte Entwicklung nach mehreren Richtungen. Sie spezifiziert sich nach den unterschiedlichen Wortarten von Substantiven/Nomen, Adjektiven, Verben, Pronomen, Präpositionen etc., wobei die Nomen zunächst zwischen singularisierender Bezugnahme und dem generalisierenden Status von Begriffen oszillieren, und wird stufenweise durch das Register der Wortformen in Plural- und Kasusbildung, Verbflexion, Tempusbildung etc. ergänzt. Sukzessiv werden Wörter für verschiedenartige Gegenstände und Sachverhalte erworben, für materielle Objekte, Lebewesen und Personen, körperliche und mentale Zustände, Emotionen, Wünsche, Wissensformen, Eigenschaften, abstrakte Gegenstände und komplexe Sachverhalte. Zu alledem fügt sich als markantes Merkmal die zuerst langsame, dann beschleunigte Vervielfältigung des Wortschatzes, der im Ausgang von ersten Vokabeln (Mama, Papa, Name der Katze, bestimmte Esswaren) immer umfangreicher und differenzierter wird und zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr in einem vielfach beschriebenen eigentlichen ‹Vokabularspurt› sich sprunghaft ausweitet. Nun stellt die quantitative Erweiterung des Vokabulars evidenterweise nur einen begrenzten Aspekt des Spracherwerbs dar. Zu diesem gehört ebenso wesentlich die Fähigkeit, Wort67 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
verbindungen und Satzbildungen zu erkennen und herzustellen, von Zwei-Wort-Kombinationen bis zu komplexen Satzgefügen. Es sind vielfältigste Sach- und Gedankenbezüge, die hier ins Spiel kommen, etwa schon in den verschiedenartigen Relationen, die durch Zwei-Wort-Sätze verkörpert werden (Verhältnisse zwischen Ding und Eigenschaft, Handlungsträger und Handlung, Besitzverhältnisse, Lokalbezüge, Kausalrelationen usw.).95 Gleich konstitutiv für die Sprachkompetenz wie die Vokabularkenntnis ist die zwischen dem dritten und zwölften Lebensjahr wachsende Beherrschung von Syntax und Grammatik, welche die Individuen befähigt, sich in ganz unterschiedlichen Modalitäten auf Sachen zu beziehen, ihre Meinung auszudrücken und mit anderen kommunikativ zu interagieren. Zu den im engen Sinn linguistischen Kenntnissen, die ein die menschliche Spezies auszeichnendes Potential an Abstraktion und systematischer Kombinatorik aufweisen,96 kommen von Anfang an pragmatische Kompetenzen hinzu, welche das Kind befähigen, mit Worten zu handeln und in der Welt zu wirken. Dabei werden die unterschiedlichen Sprachkomponenten – Lexikon, Semantik, Syntax, Grammatik, Pragmatik – in engem Zusammenhang und wechselseitigem Bezug sowohl erlernt wie praktisch ausgeübt.97 Für die sprachphilosophische Reflexion ist es zu einem Streitpunkt sui generis geworden, wieweit der Schlüssel zur Explikation dieses Prozesses atomistisch oder holistisch zu bestimmen ist. Er wird exemplarisch in der Frage verhandelt, ob wir ursprünglich das Wort oder den Satz (beziehungsweise den Text, den Sprechakt) verstehen, ob die Logik der Proposition oder des Diskurses als strukturierendes Fundament zu gelten hat, von dem her der Wahrheitsanspruch der Sprache zu entfalten und der Angelpunkt des Aussageverstehens zu verorten ist. Der Vorstellung, dass die Begriffe für sich als Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen fungieren, steht etwa der 68 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Inferentialismus Robert Brandoms entgegen, dem zufolge die Begriffe über ihre wechselseitigen bedeutungs- und begründungsmäßigen Implikationen definiert sind.98 Allgemeiner kann die kritische Geltungsreflexion als Hintergrund der inhaltlich-kulturellen Welterschließung durch die Sprache, die Begründung als Fundus des Verstehens herausgestellt werden.99 Dagegen wiederum steht das Bedenken des Hysteron-Proteron, der kritische Vorbehalt dagegen, die sprachlich fundierte Fähigkeit des Begründens ex post zum Prinzip der Sprachfähigkeit und der Bedeutungskonstitution zu erheben. Dass wir im Medium der Sprache streiten und argumentieren, besagt nicht, dass diese Fähigkeit dem Sagen und Verstehen als solchem zugrunde liegt, gleichsam die Quelle der sprachlichen Verständigung ausmacht. Analog kann das Verhältnis von Wort und Satz befragt werden. Der landläufigen Überzeugung von der Fundamentalität der Worte steht die sprachphilosophische These vom zentralen Status der Proposition entgegen. Die These vom Primat des Satzes gewinnt ihre Plausibilität im Horizont all dessen, was wir kraft der Proposition vermögen: fragen, versprechen, darstellen, beweisen, überreden etc. Die ganze Fülle der Sprechakte, die unsere sprachlich imprägnierte Lebenswelt durchdringen, setzt die Satzstruktur als Nukleus der Äußerung voraus. Die Aussage erscheint als innerster Kern und Initialpunkt des Sagens. Nicht im Zusammenfügen von Worten, sondern im Etwas-Sagen begegnen wir dem Wesen der Sprache, erfahren wir das Wunder der Sprache. Dennoch kann die Zentralität des Satzes, seine Fundamentalität innerhalb des Sprachlichen in Frage stehen. Elmar Holenstein hat aus phänomenologischlinguistischer Warte nicht nur der verbreiteten These der Nichthintergehbarkeit der Sprache, sondern ebenso der Fundamentalität der Prädikation widersprochen. Dass diese die schlechthin «fundamentale sprachliche und kognitive Struktur» 69 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
sein soll, der keine andere, «weder genetisch noch systematisch», vorausliege, ist nach ihm Ausdruck eines Logizismus, der das Wesen der Sprache nicht aus der Erfahrung, von unten her, sondern von oben herab, «aus der Logik des Denkens», bestimme.100 Dagegen verweist er auf deskriptive Sachverhalte wie Imperative, Vokative oder kindliche Ein-Wort-Sätze, die als basale Sprechakte vorgängig zur propositional-diskursiven Entfaltung eine konstitutive Funktion im sprachlichen Umgang haben. Ebenso wenig ist das Funktionieren der Sprache prioritär im Ausgang von Geltungsfragen zu entschlüsseln. Generell ist der Illusion des Erklärens der Sprachgenese vom Schlusspunkt her zu wehren.101 Um ein sachgerechtes Verständnis des Spracherwerbs und Sprachgebrauchs zu erlangen, scheint es unumgänglich, das komplexe Geschehen sowohl vom Teil wie vom Ganzen her in den Blick zu nehmen, die Logik des Verstehens vom Wort wie vom Satz her zu explizieren. Claude Panaccio hat den schematischen Gegensatz von Holismus und Atomismus im ideengeschichtlichen Kontrast von Propositionalismus (Donald Davidson) und Terminismus (Wilhelm von Ockham) exemplifiziert und generell mit der antiken/mittelalterlichen und modernen Sprachphilosophie illustriert, deren Präferenz teils dem Namen, teils der Proposition gilt.102 Gegen das holistische Apriori betont Ockham, dass die einfachen Termini nicht nur funktional von der Stellung in der Proposition her, sondern als eigenständige psychologische und semantische Entitäten zu begreifen sind, die umgekehrt der propositionalen Verbindung zugrunde liegen. Auch aus heutiger Sicht kann ein Argument für den Atomismus, über dessen Stellung womöglich empirisch zu befinden ist, im Blick auf die kompositionelle Analyse, die Referenzfunktion von Termen und das Verständnis sprachlicher Lernprozesse formuliert werden.
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Die phänomenologisch-hermeneutische Analyse orientiert sich an der voll ausgebildeten, komplexen Sprachfähigkeit und Redepraxis. Der Rückblick auf die strukturelle und entwicklungsmäßige Genese von Sprache und Verstehen verhilft dazu, einen Einblick in das Potential und die innere Vielfalt der Rede zu gewinnen und dem näher zu kommen, was sich als Rätsel der Sprache manifestiert hatte. Im Fokus der phänomenologischen Beschreibung steht die Erkundung dessen, was sich im Hören und Sprechen kognitiv und praktisch ereignet und welches die Bedeutung des Sagens und Verstehens im menschlichen Lebensvollzug ist. Nach dem Spracherwerb steht der Gebrauch der Sprache, die umfassende Praxis der Rede in ihrer sinnkonstituierenden Kraft, welche dem Menschen die Welt und das eigene Leben erschließt, zur Diskussion.
b) Vom Sinn des Fragens
Diese Kraft lässt sich in exemplarischen Sprechakten vergegenwärtigen. Stellvertretend sei auf das oben genannte Potential des Fragens und den Akt der Erzählung verwiesen. Dass das Fragen am Ursprung des Sinns liege, ist ein Schlüsselgedanke der Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer. Ein Leitsatz von Wahrheit und Methode lautet: Einen Text verstehen heißt die Frage verstehen, auf welche der Text eine Antwort ist.103 Die Plausibilität des Satzes tritt uns in manchen Situationen vor Augen. Es kann sein, dass wir eine Behauptung oder einen Textabschnitt dem Wortlaut nach richtig auffassen und doch den Eindruck haben, nicht wirklich zu begreifen, was darin verhandelt wird und was der Text sagen will, dass wir nicht begreifen, was der Witz einer Umschreibung, das Ziel eines Arguments ist. Wir können versuchen, uns über die Bedeutung des Gesagten klarer zu werden, indem wir den Text umformu71 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
lieren oder durch Kontextkenntnisse erweitern. Dabei erweisen sich solche Kenntnisse als entscheidend, die uns darüber aufklären, worauf der Text reagiert, welches Problem er zu beantworten sucht, in welchem Fragehorizont er eine mögliche Antwort darstellt. Wir verstehen den Text tiefer, wenn wir eine Vorstellung davon entwickeln, wie andere, alternative Antworten aussehen könnten, so wie wir einen Zweck besser verstehen, wenn wir erkennen, auf welchen anderen Wegen er sich verfolgen ließe, oder einen Affekt besser begreifen, wenn wir wissen, auf welche Situationen er antworten und welche unterschiedlichen Reaktionen er provozieren kann. Eine Frage stellen heißt den Raum öffnen, in welchem Antworten möglich sind; auf eine Frage antworten heißt eine bestimmte Antwort – unter anderen möglichen, vielleicht weniger überzeugenden, falschen Repliken – geben. In ihrer Bedeutung wird eine Äußerung oder Handlung im Horizont funktionaler Äquivalente – anderer Möglichkeiten, etwas zu sagen, etwas zu tun, etwas zu verstehen, auf etwas zu reagieren – fassbar. Das Fragen ist ein exemplarischer Modus, den Gegenstandsbezug von der Festlegung auf einen bestimmten Tatbestand in den Raum des Möglichen zurückzunehmen, etwas als kontingent, als möglich, als ersetzbar zu erfahren. Eine Sprache zu erlernen heißt nicht einfach bestimmte verbale Bezugnahmen mechanisch wiederholen, eine Äußerung imitierend reproduzieren zu können, sondern sich reflexiv zu ihnen zu verhalten, sie als einen möglichen Gegenstandsbezug, eine mögliche Äußerung zu erfahren, zu der wir Stellung nehmen und die wir aktualisieren oder verändern können. Das Fragen – Ist das so? Warum ist es so? Was heißt es? – öffnet einen Variationsraum der offenen Horizonte, in denen Wirklichkeit für uns greifbar und mitteilbar wird. Anstelle des starren Fixierens interessiert das Betrachten unter variierenden Perspektiven und Fragestellungen. Darin entfaltet sich das Potenti72 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
al der Sprache als Medium des Darstellens, des Erfassens und Mitteilens jenseits des stummen Zeigens, Aufnehmens und Reproduzierens. Im Fragen öffnet sich die Welt, verliert sie ihre Undurchdringlichkeit, gewinnt sie ihre Tiefe und sinnhafte Verweisungsstruktur. Bekannt ist das frühe kindliche Fragen, eindringlich in den iterierten Warum-Fragen, als ein signifikantes Entwicklungsstadium des Erkennens und Kommunizierens. Es ist Ausdruck einer Neugier, die hinter das Feste zurück- und über das Gegebene hinausschauen will, um etwas zu ‹verstehen› von der Welt, um Dinge und Ereignisse in ihrem Sosein und Gewordensein zu begreifen. Die konstitutive Rolle des Fragens für die Sinnbildung und für die volle Entfaltung des Sprachlichen wird ex negativo deutlich, wenn wir uns eine Sprache ohne Fragemodus vorstellen, welche wesenhaft defizitär bliebe. Zumal nach zwei Hinsichten zeigt sich das Spiel von Fragen und Antworten als grundlegend für das verstehende, sinnhafte Wirklichkeitsverhältnis: einerseits im erkennenden Eindringen in die Welt und in das eigene Leben, andererseits im dialogischen SichUnterreden mit anderen. Das eine ist der Antrieb des Suchens, Erprobens und Verstehenwollens. In der Fluchtlinie des Fragenkönnens und Fragenmüssens begegnet uns das Urmotiv der Philosophie, die Suche nach den Ursachen und ersten Gründen. Wenn Aristoteles im Eingangssatz der Metaphysik das Streben nach Erkenntnis als ursprüngliches, den Menschen auszeichnendes Verlangen definiert, so ist deutlich, dass es dabei nicht um ein bloßes Faktenwissen, sondern um ein verstehendes Erkennen, ein Begreifen aus Gründen geht. Worauf das menschliche Wissenwollen zielt, ist zuletzt, die Wirklichkeit von ihren Gesetzen und inneren Zusammenhängen her erfassen zu können, sie in ihrem Gewordensein und in ihrem Sein zu begreifen. Es antwortet dem ursprünglichen Staunen und Sich-Wundern, in 73 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
dem nach Platon und Aristoteles das Bedürfnis der Philosophie seine tiefste Wurzel hat.104 Das Fragenkönnen entfaltet sich in der Was-, Woher-, Warum-, Wozu-Frage, und es entwickelt sich in spezifischen Wendungen als Befragen und Hinterfragen, als zweifelndes Infragestellen des Bestehenden, als forschendes Fragen nach Prinzipien, nach Sinn und Rechtfertigung, als spekulatives Weiterfragen bis hin zur letzten Frage, warum etwas Bestimmtes nicht nur so ist, sondern überhaupt ist, ja, warum überhaupt etwas ist. Ebenso durchzieht das Fragen die Selbsterforschung, die nicht nur seelische und körperliche Gegebenheiten (wie Wünsche, Ängste, Krankheiten) aufdeckend feststellen will, sondern das Selbst mit Fragen konfrontiert – Wer bin ich? Was will ich? Was soll ich tun? –, die nur es selbst stellen und beantworten kann. Das Fragen, das den Raum des Denkens und Erkennens aufspannt und darin das menschliche Selbst- und Weltverhältnis durchherrscht, vollzieht sich in einer wesenhaft sprachlichen Beziehung zum Wirklichen. Das Fragen ist auf das Wort angewiesen, wie das Reden seine Kraft nicht ohne das Fragen entfaltet. Das andere Motiv im Spiel von Frage und Antwort ist das Sich-Unterreden mit Anderen. Das zwischenmenschliche Verhältnis realisiert sich jenseits eingespielter äußerer Interaktionen in Sprechakten, die den Anderen als verstehendes, antwortendes und sprechendes Subjekt involvieren. Wenn das dialogische Verhältnis im Anschauen und Angeschautwerden, im Ansprechen und Angesprochenwerden seinen Ursprung hat, so entwickelt es sich im Aufeinander-Reagieren, im fragend-antwortenden Bezugnehmen, das schon vorsprachlich stattfinden kann, doch erst in der verbalen Artikulation seine explizite Wirklichkeit erlangt und sein Potential entfaltet. Dabei wird das Fragen in besonderen Prägungen ausformuliert, spezifiziert und als kognitive Haltung und soziale Leistung weiterentwickelt. Das Fragen kann als objektive Erkundigung, als 74 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
kritische Infragestellung, als einladende Bitte oder als Aufforderung artikuliert werden. Das neutrale Fragen reiht sich ein in das Spektrum der Gesten und Akte, die den sozialen Raum öffnen, sich an ein Gegenüber richten, dem Anderen ein Angebot machen oder an ihn appellieren, ihn in die Pflicht nehmen. Es wird an späterer Stelle auf die Wege und Modalitäten des sozialen Verhaltens zurückzukommen sein, die sich im Sprachlichen aktualisieren und über die sich die Sprachpraxis ausbildet und entwickelt. Die Sozialität ist ein Ursprung ebenso wie ein Produkt und Ziel der zwischenmenschlichen Rede. Das Spiel von Frage und Antwort ist ein paradigmatischer Fall der geteilten Aufmerksamkeit und kollektiven Intentionalität; das gemeinsame Meinen, das im zeigenden Hinweisen unterstellt ist, wird im expliziten Fragen und Antworten bewusst in Anspruch genommen und konkret modelliert. Wichtig ist an dieser Stelle die Feststellung, dass die Sprache, zu welcher der Mensch in seiner Entwicklung kommt, sich im Ganzen vom assertorischen Sprechakt abhebt, der gemeinhin als struktureller Kern des Sprechens gilt. Sprechen ist nicht ursprünglich Behaupten, sondern Öffnen eines polyvalenten Sinnraums, in welchem Benennungen, Beschreibungen, Missbilligungen, Klagen, Bitten und Antworten in vielfältiger Weise interferieren und sich überlagern. Das Fragen ist der exemplarische Akt, in dem wir vom bestimmten, festen Realitätsbezug einen Schritt zurücktreten, um das Wirkliche in seinem Sosein und seiner Bedeutung hervortreten zu lassen. Der weitere Bezugs- und Denkraum ist einer, der dialogisch verfasst ist und im Wechselspiel mit anderen vermessen wird. Frage und Dialog verbinden sich im gemeinsamen Ursprung des abendländischen Logos, exemplarisch verkörpert in der Figur des Sokrates. Er begründet die philosophische Disziplin im zweifelnden Fragen und solidarischen Miteinander-Reden.
75 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
c) Die Macht der Erzählung
Ein anderer exemplarischer Sprechakt, in dem sich der Sinnraum des Lebens – als Raum der zeitlichen Sukzession und Formbildung – aufspannt, ist der Akt der Erzählung.105 Die narrative Sprachform ist ein weltweit verbreiteter Grundmodus kultureller Repräsentation und Erinnerung. Eine Geschichte zu erzählen ist eine Urform der Vergegenwärtigung und Reflexion, eine Geschichte erzählt zu bekommen entspricht einem ursprünglichen Bedürfnis des Kindes. Geschichten, meint Charles Taylor, vermitteln uns «ein Bild des Lebens, der Menschen und ihrer Erlebnisse», das eigentümlich und durch nichts anderes ersetzbar ist.106 Es ist ein Bild, das uns dazu verhilft, uns eine Vorstellung von den Möglichkeiten, den Herausforderungen und den Problemen des Lebens zu machen und uns über dessen Wert und Unwert zu verständigen. Die Narration verbindet in eigentümlicher Verschränkung das strukturelle Gefüge mit einer diachronen Entfaltung, welche die systematischen Bezüge in ihrer Zusammengehörigkeit und ihrem Antagonismus exponiert, sie entwickelt, zur Auflösung treibt oder synthetisch zusammenfügt. Geschichten sind kulturell wie biographisch ein privilegiertes Gefäß der Lebensdeutung und Selbstvergewisserung, indem sie in genuiner Weise die beiden Angelpunkte der Lebensführung vereinen: das Auseinanderdriften, Sich-voneinander-Ablösen verschiedenartiger Orientierungen und aufeinanderfolgender Lebensphasen und das Zusammengebundensein in einem einheitlichen, einzigen Lebenslauf. Die narrative Synthesis kann sich in besonders enger Weise dem Leben und Erleben anschmiegen – oder gegen dieses sperrig bleiben und sich ihm verweigern. Die strukturelle Verwandtschaft der Erzählung mit der teleologischen Geschichtsdeutung kann zu ihren Gunsten oder Ungunsten ausgelegt werden, sie kann in die sinnhafte Wahrnehmung des eigenen Lebens aufgenommen 76 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
oder in den Vorbehalt gegen dessen konstruktive Überformung umgemünzt werden. Doch unabhängig von der Objektivitäts- und Wahrheitsfrage, die in konkreten historischen Rekonstruktionen kontrovers verhandelt wird, bleibt an der performativ-interpretatorischen Kraft der Narration als Form sozialer und individueller Lebensdeutung festzuhalten. Sie bildet eine Grundlage der theoretischen wie praktischen Selbstwahrnehmung und Identitätsbildung; «ohne eine derartige durch ein gestalthaftes Muster vermittelte diachronische Deutung des Ganzen», schreibt Charles Taylor, «ist es gar nicht möglich, sich ein Bild vom Selbst und vom Leben zu machen».107 Die hermeneutische Relevanz der narrativen Formbildung für den verstehenden Selbst- und Weltbezug zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie auch im fiktionalen Modus, vom Märchen über den Roman zum traditionstiftenden Mythos, einen zentralen Stellenwert in der kulturellen Praxis besitzt, d. h. in jener sprachlich vermittelten Deutungsarbeit, in deren Medium soziales Leben sich wesentlich vollzieht. Exemplarisch ist die Erzählung in ihrer Erschließungs- und Bildungskraft gleichermaßen, als Organ der Erkenntnis und Darstellung ebenso wie der Formgebung in unserem Selbst- und Weltverhältnis. In alledem ist sie nicht irgendein Sprachgefäß neben anderen, sondern eine paradigmatische Realisierung dessen, was Sprache vermag und was sie für das menschliche Leben leistet.
d) Unabschließbarkeit der Sinngenese
Das Zur-Sprache-Kommen des Menschen ereignet sich in einem vielfältig ausdifferenzierten rezeptiven und expressiven Geschehen. «Am Anfang war das Wort» steht in der Anthropogenese nicht für einen punktuellen Schöpfungsakt, sondern für 77 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
eine langwierige, vielschichtige Entstehungsgeschichte. Genauer ist es ein Entstehungsprozess, der nicht einfach als vergangener abgeschlossen ist, als einstiger Anfang zurückliegt. Er ist ein Werdeprozess, der weiterhin stattfindet, im Leben des Worts und in der Lebendigkeit des Individuums gegenwärtig ist. Zur Sprache kommt das Leben, solange es wirklich, solange es lebendig ist. Natürlich gibt es in diesem Prozess Stufen, Lernund Entwicklungsschritte, die zu einem bestimmten Zeitpunkt durchschritten werden und als erworbenes Potential dem späteren Lebensvollzug zugrunde liegen. Sensorische, artikulatorische, linguistische Fähigkeiten und Formen, kulturelle Muster und Deutungen werden angeeignet, die in das Verstehen wie das eigene Tun und Sprechen eingehen. Dabei ist die rezeptive wie die produktive Teilhabe am Sinngeschehen ein offener, unabgeschlossener Vorgang, wie das kulturelle Sinngeschehen selbst kein linear-mechanisches Prozedieren, sondern zugleich ein Transformieren und kreatives Neuschaffen ist.108 Es ist unabgeschlossen in der Aufnahme und Weitergabe der Tradition wie in der Schaffung von Neuem. Die Dynamik des kulturellen Wandels ist ein inneres, wesentliches Moment der historischen Sinnpräsenz. Zu dieser gehört das Anschließen und Transzendieren gleichermaßen. Kultur hat ihre Realität nicht im kumulierten Erwerb und festen Sinnbestand, sie ist im Modus der Aktualisierung, des Werdens, Vergehens und Neuschaffens von Sinngebilden. Auch für das Individuum bedeutet das Zur-Sprache-Kommen mehr als den einmaligen Erwerb von Fähigkeiten und Symbolwelten. Sprechen können heißt nicht nur wiederholen und antworten, sondern Anderes und Neues hervorbringen: etwas sagen können, «was noch nie gesagt worden ist», das aber andere – anders als bei Gesten – verstehen, auch wenn sie es noch nie gehört haben.109 Die Offenheit des Sinngeschehens umfasst die verstehende Rezepti-
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on und retrospektive Aneignung ebenso wie die nach vorne gerichtete Neuerung. In der unabgeschlossenen, unabschließbaren Dynamik des Sinnprozesses offenbart sich ein genuines Potential der Sprache, das nicht zuletzt den Prozess des Spracherwerbs und das ZurSprache-Kommen des Menschen tangiert. Taylor verweist auf Humboldts oft wiederholte Einsicht, wonach «eine Sprache zu besitzen heißt, ständig zu versuchen, das Artikulierungsvermögen dieser Sprache zu erweitern».110 Dieser Drang erwächst nicht bloß einer internen Entwicklungstendenz, sondern der Spannung im Umgang mit den Phänomenen, die wir zum Ausdruck bringen wollen, doch mit dem verfügbaren Vokabular nicht angemessen zu fassen vermögen. Die Auseinandersetzung mit dieser Kluft geht einher mit der Generierung neuer Bedeutungen, in denen sich andere Konstellationen der Dinge und neue Weisen des Erfahrens und Fühlens verschränken, die sich zugleich im Wandel der Kulturen niederschlagen und in deren Horizont gestaltet werden.111 So setzt sich der Spracherwerb des Kindes und Jugendlichen fort in der sinnstiftenden Lebensführung und Weltgestaltung, die über die Individuen, kollektiven Lebenskreise und sich verkettenden Generationen hinausgreift und sich im Wandel der Verstehenshorizonte realisiert. Das Zur-Sprache-Kommen geht weiter, weil die Prozessualität des Sinns im Wechselspiel von Empfangen und Hervorbringen, Verstehen und Ausdrücken weitergeht, weil der Sinn nie zu Ende entstanden, die «Genese des Sinns nie abgeschlossen» ist.112 Immer liegt dem Sprechen ein Sagenwollen, dem Ausdruck ein impliziter, fungierender Sinn zugrunde, der jenen übersteigt.113 Sprache im Ganzen ist wie die Kunst vom Verlangen getragen, diesen Überschuss einzuholen, als eine nie zum Abschluss gelangende Anstrengung, «etwas zu sagen, was immer zu sagen bleibt».114 Der Mensch, der zur Sprache kommt, ist nie endgültig zur Sprache gekommen. Die 79 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Welt, die er zur Sprache bringt, ist nie vollständig zur Sprache gebracht.
2. An der Grenze des Sprechens Die Stufenfolge des Sprechenkönnens, die das in die Sprache hineinwachsende Individuum durchläuft, führt idealiter zur vollständigen Entfaltung dessen, was Sprache vermag. Der im Vorigen skizzenhaft nachgezeichnete Weg dieser Entwicklung hat seinen Fluchtpunkt in eminenten Schöpfungen der Sprache, die der Menschheit als Sinnressource und Angelpunkte der Verständigung dienen. Es ist ein Fluchtpunkt, der nicht nur für das Ziel der idealen, vollständigen Sprache steht, sondern auch an die Grenze der Sprache stößt. An die Grenze gehen heißt über sie hinausweisen. Wer das Reich der Sprache vermisst, bringt ihr Jenseits in den Blick, das von dreierlei Art ist. Zum einen geht es um außer- und übersprachliche Medien und Gestalten des Sinns, zum anderen um originär sprachliche Modi der (Selbst‐)Transzendierung der Verbalität, schließlich um die Selbstzurücknahme der Rede im Schweigen.
a) Außer- und übersprachlicher Sinn
Wenn die Sprache als idealtypisches Gefäß der Rezeption und Schaffung von Sinn gilt, so geht diese nicht im Sprachlichen auf. In prominenter Weise sind nicht-sprachliche Repräsentationsformen wie Klang und Bild in Hermeneutik und Kulturtheorie als Orte des Sinns reflektiert worden. Musik, Bild, Tanz geben etwas zu verstehen, öffnen Horizonte der Wahrnehmung und Darstellung, sie haben mit der Bemühung um den Sinn zu tun und begegnen auf der Gegenseite Haltungen und Operationen des Interpretierens und Begreifens, verursachen gegebenen80 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
falls Schwierigkeiten des Verstehens oder provozieren Unverständnis. Entgegen Konzepten, welche die Kunst von hermeneutischen Konnotationen freihalten und ihr Formen der reinen Manifestation und Performanz zuweisen wollen,115 ist zumal für exemplarische Werke, große künstlerische Schöpfungen an ihrem Bedeutungsbezug, ihrer genuinen Sinnverwiesenheit festzuhalten. Für eine hermeneutische Reflexion gilt es, die nicht-verbalen Ausdrucks- und Darstellungsformen in ihrer Eigenart und spezifischen, sinnkonstituierenden Leistung zu explizieren, der auf der Rezeptionsseite eigene Deutungsoperationen und Sinnraster korrespondieren. Auf dem Eigensinn der bildlichen, klanglichen – oder mimischen, architektonischen, performativen – Expressivität zu beharren heißt für die Theorie, sich von der übermächtigen Sprachmetaphorik abzulösen und etwa die Autonomie des Ikonischen unabhängig von der Bedeutungsform des Logos zu fassen.116 Die Rede von der Bildsprache oder der Sprache der Musik – vom Buch der Natur, vom Wort der Schöpfung, von der Lektüre einer Stadtlandschaft – verleitet zur Orientierung an der impliziten Schrift und Sprachleistung in allem, was wir erfassen und verstehend aufnehmen können. Doch ist das Reich des Sinns, das in der Sprache einen innersten Ursprung hat, mit deren spezifischem Formbereich nicht koextensiv. Es bedeutet eine eigene, weitläufige Forschungsarbeit, diesen weiteren Raum zu vermessen und die heterogenen Medien des Bedeutens in ihrem variierenden Bezug zur Sprachlichkeit zu erhellen.117
b) Reden, ohne zu sagen
Im vorliegenden Kontext interessiert das Wunder der Sprache in einem wörtlichen, nicht-metaphorischen Sinn, das am Leitfaden der Rede, des Zur-Sprache-Kommens und Zur-Sprache81 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Bringens zu erschließen ist. Nun ist eine Grenzbegehung auch innerhalb seines Binnenbereichs von Belang. Sie betrifft die interne Weichenstellung zwischen divergierenden Formen des Sprachlichen, namentlich zwischen der prototypischen Ausformulierung der Sprache und anderen, abweichenden Modalitäten derselben. Wenn sich eine ideale Entfaltung des Sprachlichen in Gestalt der Proposition und des Diskurses gezeigt hat, so sind daneben andere Sprachformen, etwa der Poesie, als nicht minder gehaltvolle, originäre Weisen der verbalen Vergegenwärtigung und Formgebung zu nennen. Generell bedeutet die Fokussierung auf die Argumentation und Rechtfertigung, so grundlegend sie für das rationale Potential des Sprechens ist, auch eine Engführung dessen, was Sprache ist und was sie zu leisten vermag. In je anderer Weise entfaltet diese ihr eigenstes Vermögen als Welterschließung, als dialogisches Gespräch, als diskursive Begründung, als poetisches Wort. Es ist nicht von vornherein ausgemacht, in welcher Gestalt die naturgemäße perfectio, die innere Vollendung der Sprache realisiert wird. Unterschiedliche Modi lassen sich nennen, in denen eine innersprachliche Transzendierung der propositional-diskursiven Rede stattfindet. Man könnte auf Hegels Figur des spekulativen Satzes verweisen, der jenseits der partikularen Prädikation ein Ganzes zum Ausdruck bringen will, oder auf Adornos Bestreben, im Medium des Begriffs über die Grenzen des Begriffs hinauszugelangen, wofür ihm die Utopie des Namens oder die Idee der Konstellation als Richtschnur dienen.118 Genannt sei an dieser Stelle eine andere, gewissermaßen fundamentalere Alternative zur assertorischen Rede. Der Sinologe François Jullien thematisiert sie unter dem Titel «Si parler va sans dire» als ein Sprechen, das ohne die Zentrierung auf das Etwas-Sagen auskommt, welches nach Aristoteles immer ein bestimmtes Sagen beziehungsweise das Sagen von etwas Bestimmtem ist, so dass umgekehrt gilt, dass nicht etwas Be82 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
stimmtes sagen gleichbedeutend ist mit nichts sagen beziehungsweise nicht sprechen.119 Wer nichts Bestimmtes sagt, scheidet aus dem Sprechen, d. h. aus jenem sinnstiftenden Grundvollzug aus, der die menschliche Existenz als solche auszeichnet; ein Sprechen, das im Unbestimmten verbleibt und nichts Bestimmtes sagen will, ist außerhalb der sinnvollen Rede. Doch stellt sich die Frage, wieweit dieser dezidierten Grenzziehung zuzustimmen ist. Wieso soll es nicht möglich sein, sich mit anderen zu unterreden, ohne etwas Bestimmtes mitteilen und behaupten zu wollen; wieso soll ein Gespräch nicht im Unbestimmten verbleiben, das Reden nicht ohne These und Beweisanspruch erfolgen können? Jullien sucht mit Bezug auf die Denk- und Sprachform des Chinesischen die Möglichkeit einer solchen Option zu plausibilisieren, Denkräume jenseits des schroffen Ja und Nein zu erkunden und vor ihrem Hintergrund die kontingente Begrenzung der abendländischen Logik aufzuweisen. Wir können auch in Formen miteinander kommunizieren, in denen wir keine bestimmte Behauptung aufstellen und niemandem etwas beweisen oder ihn widerlegen wollen. Auch hier bewegen wir uns im Reich des Sinns, können etwas zu verstehen geben, Orientierungen und Deutungen entfalten, andere beeinflussen, von anderen verstanden – oder nicht verstanden, missverstanden – werden. Der Raum sinnhaften Sprechens ist weiter als das bestimmte Sagen, Behaupten und Argumentieren.
c) Beredtes Schweigen
Zuletzt ist eine andere, radikalere Alternative zum Sagen zu nennen, die sich jenseits der verbalen Artikulation situiert. Es ist das ‹Sprechen›, das sich als Äußerung in sich zurücknimmt, das sich des Worts enthält, sich schweigend zur Welt, zu 83 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
anderen, zu sich selbst verhält. Dass das Schweigen nicht die pure Antithese zur Rede ist, sondern selbst zum Reich der Sprache gehört, hat sich darin gezeigt, dass es, wie das Sprechen, die anthropologische Differenz mit ausmacht und ein genuines Vermögen des Menschen – als des nicht nur sprechenden, sondern schweigenden Tiers – darstellt.120 Nur der Mensch, nicht das stumme Tier, die stille Natur oder die sprachlosen Dinge können schweigen.121 Nur wer die Macht des Worts besitzt, kann schweigen, wie nur derjenige, der schreiben oder malen kann, sich des Schreibens und Malens enthalten, nicht-schreiben und nicht-malen kann. Schweigen und Reden sind, wie Jan Assmann formuliert, «Optionen im Raum der Sprache».122 Beides entfaltet den sozialen Raum des Miteinanders, der sich im Gespräch wie im gemeinsamen Schweigen erfüllen kann.123 Offenkundig kann das Schweigen selbst als Kommunikationsakt – als Geste der Zustimmung, des Zögerns, der Missbilligung – fungieren (einschließlich der möglichen Missverständnisse, wenn etwa die Nicht-Reaktion eines Schwerhörigen als Antwort gedeutet wird). Schweigen ist gleichsam eine Nebenform der Rede, ein bedeutungsvolles, sinnstiftendes wie sinnrezipierendes Verhalten, innerhalb dessen es sich durch die spezifische Differenz des Ansichhaltens, der Nicht-Artikulation und Nicht-Verlautbarung auszeichnet. Schweigen vollzieht sich im Raum der Stille, der über die Sphäre der Verbalität hinausgeht und sich ebenso im Bereich der Natur, der weltlichen Geräusche und des künstlerischen Klangs, der Musik, ausbreitet. Letztere illustriert in signifikanter Weise, inwiefern das Ansichhalten an der Sinnhaftigkeit der Äußerung partizipieren kann.124 Es gibt bedeutsame Weisen, die Stille selbst als Klang, als Vorbereitung des Klangs, als Innehalten im Klang oder als Nachhall und Nachklingen zu inszenieren oder zu hören – wie Claudio Abbados Dirigat auch «The Silence that Follows the Music»125 einschließt oder Sacha 84 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Guitry das «Wunderbare» in Mozarts Musik darin erkennt, dass «die Stille, die ihr folgt, noch immer von Mozart ist»;126 analog nimmt Roland Moser in Haydns Schöpfung vor dem Aufgang des Lichts eine auskomponierte «Stille davor» wahr.127 Ähnlich ist das Schweigen, das der Rede vorausgeht – oder sie unterbricht oder auf sie folgt – in vielfältiger Weise mit der Sinnhaftigkeit des Sprechens verwoben. Es kann für die Sammlung vor dem Ausdruck, gegebenenfalls für das implizite, noch nicht zur klaren Explikation gekommene Sagenwollen stehen, aber auch das innere Anhalten oder bewusste Sichzurücknehmen markieren. Auch das Warten vor dem Sagen, das Zögern vor der Antwort ist, wie der Augenblick vor der Schöpfung, nicht bedeutungsleer. Das Schweigen hat an der Gerichtetheit des Meinens und Sagens teil, auch wenn es in der intentionalen Unbestimmtheit, im bloßen Warten und Nicht-Sprechen verharren kann. Bei alledem erschöpft sich das Schweigen nicht im Modus des Negativen, des Nicht-Sprechens. Wir kennen im Alltag mannigfaltige Zeugnisse eines ‹beredten› Schweigens, das sehr wohl etwas Bestimmtes meinen und zu verstehen geben kann – ein trotziges, enttäuschtes oder drohendes, aber auch ein komplizenhaft andeutendes oder schonendes Schweigen, ein ekstatisch-erfülltes Verstummen. Schweigen kann im Dienste des Hörens und Aufnehmens stehen, eine Haltung der Bereitschaft und Offenheit für das an mich gerichtete Wort verkörpern. Eine differenzierte phänomenologische Erkundung des Schweigens würde so vielfältig ausfallen wie eine des lebendigen Sprechens und Kommunizierens. In den Blick kommen dabei nicht nur Gesten und Einstellungen des alltäglichen Verhaltens, sondern auch Praktiken, welche die Affirmativität des Schweigens im Horizont höherer Erkenntnis und Mitteilung zum Tragen bringen. Es gibt das Schweigen nicht nur außerhalb und vor der Sprache, sondern auch über der Sprache; Schweigen 85 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
kann im Dienst einer übersprachlichen Sinnerschließung und eines sprachjenseitigen Sagens, eines Kontakts mit dem Unsagbaren, Unaussprechlichen stehen. Exemplarisch tritt dieses Potential des Schweigens in der mystischen Tradition hervor. Wenn diese generell den Gedanken des Transzendenten mit dem Überschreiten der begrifflich-rationalen Erkenntnis verbindet, so geht eine spezifische Pointe auf das Jenseits des Logos, des bestimmten, unterscheidenden Worts. Das Unerkennbare und Unbegreifliche ist zugleich das Unaussprechliche. Das Schweigen kann darin das Freiwerden von der Überfülle der Wörter bedeuten und jenseits des Geredes den Raum für dasjenige öffnen, was sich dem menschlichen Sagen entzieht, ja, es kann zum Ort der Begegnung mit dem Absoluten werden, das seinerseits schweigt, dessen Verstummen der Negativen Theologie als Gefäß der Offenbarung gilt. Es kann als Schweigen selbst zum Medium der Gegenwärtigkeit des Einen und Ganzen jenseits der differenzierenden, endlichen Rede werden.128 Was nach der einen Seite als Einübung in das Leerwerden fungiert, wird nach der anderen zum Ort der Erfüllung. Auch diese Art der Selbsttranszendierung der Sprache kann letztlich in deren Macht und innerstes Potential eingehen. Sie kann zur überschießenden Idee dessen gehören, was sich im Zur-Sprache-Kommen des Menschen ereignet. Sprechen lernen heißt auch schweigen lernen. Es heißt mit jener Grenze des Sagens umgehen lernen, an der sich religiöse und meditative Praktiken abarbeiten. Doch ist es eine Grenzerfahrung, die auch diesseits religiöser Transzendenz im weltlich-menschlichen Bereich virulent sein kann. Die Stille jenseits des Worts ist nicht nur eine Leerstelle, sondern ebenso eine Ressource des Hörens und des lebendigen Gesprächs mit anderen. Schweigen ist wie das Verfügen über die Rede eine Auszeichnung des Menschen. Es ist ein Moment jenes umfassenden Werdeprozesses, in dem sich die Sprachgenese in eins mit der Menschwerdung vollzieht. 86 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Was im überwältigenden Erlebnis, dass alle Dinge einen Namen haben, einen markanten Initialpunkt hat, ist nicht nur die Herausbildung des sprachlichen Universums, sondern das Zusich-Kommen des Menschen. Zur-Sprache-Kommen heißt für das Individuum zugleich Zur-Welt- und Zu-sich-selbst-Kommen.
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Die Macht der Sprache
1. Konstitutive und schöpferische Kraft der Sprache Zur Sprache kommen – zur Sprache bringen: Der Spracherwerb hat sein Ziel im Sprechen. Der Mensch, der zur Sprache kommt, erwirbt die Fähigkeit, sich selbst und die Dinge zur Sprache zu bringen. Die Ausbildung der Sprachfähigkeit mündet in die Sprachpraxis. Der Übergang von der Genese zum Gebrauch lässt hervortreten, was es ist, das sich hier ausbildet, worin die Sprache als Fähigkeit und als Akt besteht. Er lenkt den Blick darauf, was die Leistung und eigentümliche Funktion der Sprache ausmacht, worin ihre Bedeutung für den Menschen liegt und in welchem Sinn sie ein Wesensmerkmal der Existenz bildet. Das Individuum, das im Laufe seiner Entwicklung in die Sprache hineinwächst, gewinnt eine bestimmte, eigentümliche Macht, die es zum verstehenden Umgang mit der Welt, mit anderen und mit sich selbst befähigt: das Vermögen, Sinn wahrzunehmen, Sinn zu artikulieren und Sinn zu schaffen. Die Sprachfähigkeit entfaltet sich als rezeptives, expressives und produktiv-gestaltendes Vermögen. Es ist ein Vermögen von einzigartiger Mächtigkeit. Sprache ermöglicht dem Menschen das meiste von dem, was er tut und erlebt, und kraft der Sprache vermag er fast alles: Sprache geht als Grund und formierende Kraft in das Ganze seines Lebens, seiner Tätigkei89 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
ten und Erfahrungen ein. Allerdings ist sie keine unbegrenzte Macht, sondern eine Kraft, die wesensmäßig an Grenzen stößt und sich an Grenzen abarbeitet: an der Beschränktheit des eigenen Könnens ebenso wie an der Widerständigkeit dessen, was sich dem erkennenden Ausdruck verweigert und der sprachlichen Repräsentation entzieht. Den Wirkungskreis der Sprache zu vermessen heißt von ihrer Macht wie von ihrer Ohnmacht Rechenschaft abzulegen. Das Wesen der Sprache verstehen heißt sie in ihrer Funktion für die Sinnhaftigkeit der Welt und der Existenz erfassen. So formuliert Charles Taylor die «Grundthese» seiner umfassenden Untersuchung über das sprachbegabte Tier, «dass wir uns einen Begriff von der Sprache nur dann machen können, wenn wir ihre konstitutive Rolle im menschlichen Leben verstehen».129 Die Sprache in einer nicht-reduktiven Weise zu begreifen heißt, sie in ihrer grundlegenden Funktion für das Leben, d. h. in dem, was das Leben zu einem menschlichen werden lässt, zu erfassen. Menschlich ist das Leben, das sich nicht nur als organischer Prozess, sondern im Medium des Sinns, der Verständigung über die Welt und über sich selbst vollzieht. Konkret bedeutet die Abwehr des Reduktionismus einen Vorbehalt gegen die Rückführung der Sprache auf ihre nicht-menschlichen Vor- und Nebenformen, sei es die maschinelle Informationsverarbeitung, sei es das tierische Reaktionsund Ausdrucksverhalten. Auch wenn sich in diesen ein weites Forschungsfeld öffnet, das auch für das Begreifen der menschlichen Sprache produktive Perspektiven vermittelt, bleibt die spezifische Besonderheit des menschlichen Verstehens und Sprechens davon unberührt. Bei aller erstaunlichen Kommunikationsfähigkeit von Tieren bleibt Tatsache, dass wir ihnen keine Geschichte («Ich habe eine Reise gemacht») erzählen, keine Frage («Warum bist du nicht gekommen?») stellen, keinen propositionalen Sachverhalt («Gestern hat es geregnet») 90 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
mitteilen können. Analoges gilt für die außerordentlichen Rechen- und Verarbeitungsleistungen von Computern, einschließlich ihrer Lernpotentiale und selbstreferentiellen Operationsweisen. Es widerspricht unserem intuitiven Umgang, dem Übersetzungscomputer ein eigentliches Verstehen des übertragenen Satzes zuzuschreiben. Für unsere normale Haltung ist das menschliche Sprechen und Verstehen sui generis, von eigener Art. Von der sprachlichen Verfassung des Lebens haben wir in einer Weise Rechenschaft abzulegen, dass etwas vom ‹Wunder der Sprache› erhalten bleibt, dass das ‹Geheimnis›, das ‹Rätsel› des Aufscheinens von Sinn nicht im Codieren von Informationen und Reagieren auf Signale sich auflöst.130 Der ursprünglichste Konstitutionsakt im Sprachverhalten, so Taylor, liegt im Erschaffen von Bedeutungen. Dass Zeichen etwas bedeuten, dass Gegenstände, Handlungen und Äußerungen einen Sinn haben, den wir verstehen, interpretieren, befragen, umdeuten können, ist die irreduzible Dimension, die aus nichts anderem als aus dem sinnkonstituierenden Verhalten als solchem, paradigmatisch dem Sprachverhalten, dem Wechselspiel von Äußern und Hören, Artikulieren und Verstehen hervorgeht. In welcher Weise die Sinnhaftigkeit mit der Sprache verwoben ist, wie Worte etwas bedeuten, Sprache verstanden wird, ist das weit ausgreifende, kontroverse Thema der Sprachtheorien. Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Feststellung, dass die in der Sprache wurzelnde Sinndimension eine vielfache, mehrschichtige ist. Sie betrifft mehr als die lexikalische Bedeutung von Worten. Sie betrifft das Verstehen komplexer Äußerungen und Sprachgefüge, erfasst die Bedeutung von Zeichen und Worten im Zusammenhang von Sätzen und Texten, letztlich ganzer Sprachsysteme und kultureller Interpretationen, von Praktiken und Lebensformen. Die Semantik der sprachlich geprägten Lebenswelt gründet in einem komplexen
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Bedeutungsholismus, an welchem linguistische, pragmatische, sozial-interaktive, historisch-kulturelle Elemente teilhaben. Entsprechend kristallisiert sich die schöpferische Kraft der Sprache in Verschiedenem. Sie schafft Gegenstände, die nur kraft der Bedeutung dasjenige sind, was sie sind – Gebrauchsgegenstände, soziale Institutionen, Praktiken, deren Bestimmtheit davon abhängt, wozu sie verwendet (ein harter Gegenstand als Hammer), ‹als was› sie verstanden (eine Geste als Befehl) oder ausgeübt werden (eine Bewegung als Sport). Die Sinnbildung ist gleichzeitig Gegenstands- und Weltkonstitution. Die Bedeutungsverleihung, die nicht in der sprachinternen Verweisung von Zeichen und Signifikat aufgeht, operiert im Horizont einer Lebensform, die als ganze sprachlich verfasst, von Selbstund Fremdbeschreibungen durchdrungen ist, durch sie gestaltet und reguliert wird. Eine Sprache lernen heißt für das Kind nicht nur bestimmte Vokabulare und Regeln aneignen und Korrelationen zwischen Wörtern und Sachen speichern, sondern in Lebensformen, Bedeutungswelten des Handelns und Erlebens eingeführt werden. In diesem tiefen Sinn gilt, dass das ZurWelt-Kommen zugleich ein Zur-Sprache-Kommen – und umgekehrt das Vertrautwerden mit einer Sprache das Hineinkommen in eine Welt – ist.131 Umgekehrt bleibt die Begegnung mit einer – politischen, religiösen, ästhetischen – Regionalsprache, an deren lebensweltlicher Resonanz wir in keiner Weise partizipieren, äußerlich und abstrakt, sie trägt nicht zur Gestalt unseres Daseins und Formung unseres Weltverhältnisses bei. Erfahren wird dieser Konnex im Kleinen wie im Großen. Er hat seinen Ort in der éducation sentimentale, der Bildung unserer Emotionen und Kultivierung des Geschmacks ebenso wie in der sozialen Wahrnehmung und politischen Orientierung. In Vermittlung über Diskurse fühlen und sehen wir in bestimmter Weise, dringen wir in neue Welten ein, werden wir andere Menschen. Wir suchen nach der passenden Beschrei92 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
bung, der erhellenden Erzählung, um uns über unsere Empfindungen und Erlebnisse klar zu werden, und wir kommen weiter in unseren Intuitionen, Fähigkeiten und Praktiken, wenn wir sie in Worte fassen und uns mit anderen darüber verständigen. Es gibt Erlebnisse und Gefühle, von denen wir überzeugt sind, dass wir sie nur dann haben können, wenn wir über die entsprechenden Vokabulare und Beschreibungen verfügen, beziehungsweise dass sie Menschen nicht in gleicher Weise zugänglich sind, deren Sprache die entsprechenden Ausdrücke nicht kennt. So meint Fernando Pessoa, dass nur Portugiesen das charakteristische Sehnsuchtsgefühl der saudade kennen, weil «nur sie dieses Wort besitzen, um es wirklich beim Namen zu nennen»;132 Ähnliches wird zuweilen mit Bezug auf die deutschsprachigen Begriffe der ‹Heimat› und des ‹Heimwehs› erwogen. Die Sprache ist Ursprung des Lebens, des menschlichen Lebens überhaupt wie der bestimmten Existenz und individuellen Seinsweise, und umgekehrt ist das Leben Erfahrungs- und Formgrund der Sprache. Die konstitutive Kraft des Sprechens, welche Gegenstände nicht nur anders wahrnehmen lässt, sondern sie in ihrer Eigenheit gleichsam seinsmäßig hervorbringt, erstreckt sich auf Dinge, auf soziale Beziehungen, auf subjektive Vermögen und Tätigkeiten, zuletzt auf das Subjekt selbst in seinem Für-sich-Sein und seinem Leben. Eine unverkürzte Sprachauffassung bringt das Ganze dieser Konstitutionsmacht zum Tragen, welche die Verstehbarkeit der Worte wie die Sinnhaftigkeit des Lebens begründet. Das Selbst, das sein Leben im Medium der Selbstverständigung vollzieht,133 ist im Innersten mit der Sprache, der Sprachlichkeit der Welt und des Lebens, verflochten. Das Wunder der Sprache, die schöpferische Kraft der Worte durchdringt das menschliche Sein im Ganzen. Sie ist eine kreative Kraft in zweierlei Weise, als ontologische Konstitution und als geschichtliche Neuerung. Auf der 93 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
einen Seite ist Sprache ein seinsmäßiger Konstitutionsgrund der Lebenswirklichkeit. Über die sprachliche Sinnbildung, die explizite oder implizite Beschreibung werden die Dinge des Lebens zu dem, was sie sind: sie macht, dass eine Geste ein Akt der Freundschaft oder der Ablehnung, ein lautlicher Ausdruck ein Befehl oder eine Klage ist, dass ein bestimmtes Verhalten ein Zug in einem (von anderen vielleicht nicht wahrgenommenen) Spiel, ein Holzstück ein Kunstwerk (oder Abfallprodukt) ist. Fakten und Verhältnisse der individuellen und sozialen Lebenswelt haben ihre Bestimmtheit nicht kraft natürlicher, gegenständlicher Eigenschaften, die sich registrieren und vermessen lassen, sondern als Produkt bedeutungsverleihender Haltungen und Akte. All diese sinnhaften Besetzungen, die den Gegenstand erschaffen und transformieren, müssen nicht notwendig in ausdrücklicher Verbalisierung erfolgen, sondern können implizit in sprachliche Verstehensraster integriert sein, für die nachträgliche Befragung, Auslegung oder Umdeutung offenstehen. Unklarheiten der Zuordnung (einer Äußerung als Frage oder als Befehl) werden typischerweise – wie im Disput über die Bedeutung eines Textes, eines Gemäldes oder einer Skulptur – im Medium der Sprache erörtert und vereindeutigt. Sprache ist nicht nur der tiefste Ursprung der Sinnhaftigkeit, sondern das Metamedium aller Dimensionen der Sinnbildung in Wort, Bild, Mimik, praktischer Performanz. Auf der anderen Seite artikuliert sich die schöpferische Macht der Sprache als Organ der Veränderung und Neuerung. Sinn schaffen heißt neue Bedeutungen hervorbringen. Sprache hat ihre originäre Macht darin, Neues, noch nicht Gesagtes zu sagen. Zur Sprache zu kommen und sprachfähig zu werden erschöpft sich nicht in der Fähigkeit, an einem reglementierten Spiel teilzunehmen und auf Fragen richtig zu antworten, wie man auf Signale richtig zu reagieren, mit einem Mechanismus richtig umzugehen lernt. Es heißt, Geschichten erfinden, Ab94 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
weichendes sagen, Unerwartetes mitteilen zu können. In exemplarischer Weise kommt die innovatorische Kraft der Rede in der Sprachkreation selbst, im schöpferischen Wortgebrauch und Erfinden neuer Ausdrucksformen zum Tragen. Nicht nur in der herausgehobenen dichterischen Sprache, auch in normalen, eingespielten Kommunikationsformen gehört die transformierend-erneuernde Rede zur Essenz des Sinnprozesses, der sich im Kreislauf von Schöpfung, Transformation und Weitergabe vollzieht. Die Änderung und Neujustierung der Verstehensraster, der kulturelle Wandel ist nicht ein fakultativer Zusatz, sondern ein innerer Wesenszug des kulturellen Lebens selbst. Wandel und Erneuerung gehen in den Horizont ein, den die konstitutive Macht der Sprache öffnet und den eine nichtreduktionistische Sprachreflexion erforscht. Lebensstile, zwischenmenschliche Beziehungen, Normen und Institutionen werden über Diskurse geschaffen, stabilisiert und verändert, Ideale und Wunschvorstellungen in Erzählungen entworfen, befragt und interpretiert. All diese Formen der Repräsentation und Explikation verdeutlichen, was es heißt, dass menschliches Leben aus der Sprache kommt und in die Sprache eingeht.
2. Funktionen und Dimensionen der Sprache Neben dem Aufweis der generellen Konstitutionskraft, der sinnkonstituierenden und lebenskonstitutiven Funktion der Sprache bleibt zu spezifizieren, worin diese Kraft im Einzelnen besteht, in welchen Vollzügen Sprache sich äußert, in welchen Wirkungen sie sich niederschlägt. Was Sprache ist, offenbart sich darin, was sie tut und was sie leistet. Die Sprachanalyse führt von der Logik und Semantik zur Sprachpragmatik. Diese Wende ist in der Sprachphilosophie wie in der Rhetorik, Linguistik und Sprachsoziologie vielfach vollzogen und ausge95 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
führt worden. In einer paradigmatischen Gestalt wird sie von der Sprechakttheorie ausformuliert, die darauf abhebt, was wir mit Worten tun und inwiefern Sprechen Handeln ist. Vielfältige Beispiele illustrieren die praktische Funktion von Sprachhandlungen im Alltag. Äußerungen, die etwas behaupten oder mitteilen, können gleichzeitig eine lebenspraktische Funktion (jemanden trösten oder abschrecken) erfüllen, und viele soziale Handlungen (ernennen, taufen, beleidigen) vollziehen wir idealtypisch in spezifischen verbalen Akten. An dieser Stelle geht es nicht darum, das Panorama solcher Sprechakte auszubreiten. Vielmehr soll versucht werden, allgemeine Dimensionen des intentionalen Gerichtetseins und Wirkens im Sprechen auszumachen. Sie strukturieren die Frage: Was wollen und was bezwecken wir, und grundlegender: was tun wir de facto und was leisten wir, wenn wir sprechen? Ein naheliegender Vorschlag ist, die Dimensionen dieses Tuns entsprechend der intentionalen Gerichtetheit des Wirklichkeitsbezugs dreifach zu gliedern: als Verhältnis zur Welt, zu anderen Menschen und zu uns selbst. Sprache artikuliert sich im Gegenstandsbezug, in der zwischenmenschlichen Verständigung und im Selbstverhältnis.
a) Kommunikation und Verständigung
Der nächstliegende Anwendungsbereich der Sprache ist die Kommunikation mit anderen Menschen. Im normalen, umgangssprachlichen Gebrauch lautet die spontane Antwort auf die Frage nach dem Zweck der Sprache: Sie dient dazu, uns mit anderen verständigen zu können. Wir erlernen die Sprache, um mit anderen Menschen zusammenleben und uns austauschen zu können, um in der Lage zu sein, sie zu verstehen und uns ihnen verständlich zu machen. Die Gemeinschaftlichkeit des Tuns und Erlebens hat sich als Herzstück des Zur-Sprache96 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Kommens erwiesen. Das Kleinkind wird durch andere angesprochen und in einen gemeinsamen Raum des Sprechens und Verstehens einbezogen, es signalisiert sein Verstehen und Antworten in ursprünglicher Weise im Blickkontakt, im Lächeln, im Hören und Reagieren. Es gewinnt Zugang zur Bedeutung von Situationen und Gegenständen in der geteilten Perspektive des Wahrnehmens und Handelns. Die Bedeutungen, die sich ihm auftun, sind einerseits individuelle, auf das eigene Fühlen und Wollen bezogene Bewandtnisse (die anziehende Kraft einer Frucht, die Verwendbarkeit eines Werkzeugs, die Lust einer Tanzbewegung), andererseits intersubjektiv generierte, soziale Bedeutungen, die den mit anderen bewohnten Raum, das gemeinsame Spiel strukturieren. Genetisch bildet die Kommunikation den scheinbar selbstverständlichen Ausgangspunkt der Sprachlichkeit. Er weist auf Vorstadien in der tierischen Sprache zurück, die analog in der frühkindlich-vorsprachlichen Entwicklung fassbar sind und sich in basalen Gesten und Lauten artikulieren, in denen sich das menschliche Weltverständnis in eins mit der zwischenmenschlichen Interaktion herausbildet.134 In ihnen manifestiert sich, inwiefern das ZurSprache-Kommen des Individuums in die Gemeinschaftsbildung eingeht und wie es seinerseits auf den Austausch mit anderen angewiesen ist – ein Konnex, der ex negativo in Entwicklungsbehinderungen und sozialen Defiziten wie bei Wolfskindern überdeutlich hervortritt. Es ist ein Entwicklungsprozess, dessen Ziel nicht nur in der verbalen Verständigung, sondern ebenso im sozialen Handeln und Interagieren liegt. Nach Karl Jaspers schießt es zugleich darüber hinaus. Das Wesen der Kommunikation geht nicht in den funktionalen Erfordernissen des Lebens mit anderen auf, sondern ermöglicht ein tieferes Zu-sich-Kommen des Menschen für sich selbst. Angelpunkt der Kommunikation ist nach Jaspers ein Offenbarwerden für den Anderen, ihr Grund ein «existentieller Wille 97 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
zur Offenbarkeit», der sich der Tendenz zur Verschließung und Maskierung widersetzt und das Wagnis des Sich-Öffnens und Darbietens eingeht und darin auch sich selbst offenbar wird; das Sich-und-anderen-Offenbarwerden aber, so Jaspers, ist «zugleich erst Wirklichwerden des Ich als Selbst».135 Als soziales Wesen kann der Mensch nicht in sich bleiben, sondern tritt er in das Licht des gemeinsamen Lebens, in welchem er sich nicht nur anderen zeigt, sondern auch seiner selbst bewusst, sich gegenwärtig und für sich erkennbar wird. Das Sein mit Anderen ist Medium nicht nur das Austauschs, sondern ebenso des Selbstwerdens und des Selbstseins. Dabei vollzieht sich das Fürund Miteinandersein in der Welt nicht als «widerstandslos bestehende Helligkeit» im unmittelbaren Sich-Treffen, sondern in Vermittlung über Inhalte, als «Bewegung des Selbstseins im Stoff der Wirklichkeit».136 Sprechen heißt nicht nur mit anderen reden, sondern über etwas sprechen und sich mit anderen über etwas verständigen.
b) Welterschließung und Darstellung
In den Blick kommt damit die zweite Ausrichtung des Logos: Sprache öffnet und prägt unser Verhältnis zu den Dingen und zur Welt. Neben der kommunikativen eignet der Sprache die Erkenntnis- und Darstellungsfunktion, die im Erlebnis des Wunders der Sprache als Erstes aufscheint: Sprache setzt uns in Kontakt mit den Dingen, sie erschließt uns die Welt. Auch diese Funktion wird neben der kommunikativen in Sprachentstehungstheorien als ursprüngliche Potenz der Sprache gewürdigt. Ohne in die Sprache hineinzuwachsen, bliebe das Kind in der Entwicklung seiner kognitiven Vermögen grundlegend eingeschränkt; unabhängig von der Sprache bliebe ihm die Welt in ihrer Strukturiertheit, ihrem phänomenalen Reichtum und in98 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
ternen Bedeutsamkeit weitgehend verschlossen. Nach Humboldt bedarf der Mensch der Sprache, um seine Vorstellungen zu verdeutlichen und in seinem Wirklichkeitsbezug Klarheit für sich selbst zu erlangen; für die Phänomenologie fungiert Sprache als ein Medium der Artikulation, mittels deren das Denken sich seiner selbst vergewissert und seine Welterfahrung aneignet. Sprache ist nicht eine äußere Einkleidung des fertigen Gedankens, sondern dessen Gestaltung und konkreter Vollzug. Es haben sich im Vorausgehenden zwei Struktureigenschaften gezeigt, denen die Sprache diese Eignung und ihre eigentliche Macht verdankt, Begrifflichkeit und Propositionalität. Dank ihrer ist der Mensch in der Lage, Gegenstände zu identifizieren und zu systematisieren, Eindrücke und Empfindungen zu differenzieren, Sensorien zu kultivieren und Gefühle zu verdeutlichen, komplexe Sachverhalte zu vergegenwärtigen und analytisch zu durchdringen. Sprache kann uns nicht nur die fernsten Welten wie das intimste Erleben vor Augen führen, sondern ermöglicht zugleich den reflexiven Umgang mit ihnen, die kritische Befragung, Interpretation und Erneuerung unserer Auffassungen und Beschreibungen, gewissermaßen in Vorzeichnung des dritten Wegs der Sprache hin zur Reflexion und Verständigung des Subjekts über das eigene Erkennen und Meinen. Sprache eröffnet Modalitäten des Wirklichkeitsbezugs, die in gleicher Weise keinem Tier offenstehen und über die der Mensch in keinem nicht-sprachlichen Gefäß des Wahrnehmens und Äußerns verfügt. Im Ganzen ist Sprache das Medium, in welchem die Dinge und wir selbst uns zugänglich und verstehbar werden. Sie ist darin nicht nur Medium des kognitiven Erfassens, sondern der repräsentierenden Darstellung und darüber hinaus, in signifikanten Fällen, des schöpferischen Hervorbringens. Sachverhalte der individuellen und sozialen Lebenswelt bilden sich im gemeinsamen Erleben und Handeln heraus und werden 99 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
durch sprachliche Beschreibung gestaltet. Die Erschaffung von Lebensformen, Kunststilen, Wahrnehmungsweisen geht exemplarisch mit Akten der Namensgebung, teils der Erfindung von Vokabularen und Ausdrucksweisen einher, die neue Bedeutungen und kulturelle Orientierungen generieren. Charles Taylor nennt als Beispiele den Begriff des «Dandy» oder die Rede von einem «coolen» Verhalten; die kulturelle Kreation einer bestimmten Wahrnehmungsweise, eines bestimmten Lebensgefühls geht nicht in der Setzung des einzelnen Worts auf, kommt aber nicht ohne sie aus.137 Im Spiel sind sprachliche Wendungen, in denen sich deskriptive, bezeichnende und konstituierende Funktionen überlagern, Begriffe, die Gegenstände charakterisieren und hervorbringen, Sprachspiele, über die sich Lebensformen artikulieren und zugleich verwirklichen. Konstruktivistische Konzepte verschränken die Welthaltigkeit und Erschließungskraft der Worte mit ihrer schöpferischen Macht, gleichsam in metaphorischer Anlehnung an das Ideal der göttlichen Sprache, die unmittelbar wirklichkeitsschaffend ist. Diese steht für eine kreative Potenz, die Walter Benjamin noch als Vorbild der paradiesischen Sprache Adams, der den Tieren ihre Namen gibt, begreift, die aber nach dem Sündenfall verloren geht und zugunsten der kommunikativen Funktion verblasst, unter deren Vorherrschaft die Sprache den Dingen äußerlich wird und in ihrer Offenbarungskraft verstummt.138 Zwischen der darstellend- welterschließenden Rede und dem interaktiv-kommunikativen Austausch zeigt sich dann ein markantes Gefälle. In emphatischen philosophischen Konzepten findet sich die Idee der sprachlichen Zugänglichkeit der Welt mit spezifischen, teils metaphysischen Implikationen versehen. Das Vertrauen in die Offenbarungskraft der Sprache geht darin mit der Überzeugung von der Erkennbarkeit der Welt, dem Einblick in den Grund des Wirklichen einher. Die in Platons Kratylos 100 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
diskutierte Ansicht, dass die Kenntnis der richtigen Namen die Einsicht in das Wesen der Dinge ermögliche, ist eine exemplarische Pointierung dieser Verknüpfung. Bedeutsam ist, dass diese Lesart, weiter ausgeführt, nicht nur eine bestimmte Auffassung der Sprache, sondern auch des Seins beinhaltet. Sie ist eine These über das Vermögen der Sprache und die Verstehbarkeit der Welt zugleich, basierend auf einer Entsprechung zwischen Seele und Sein, die sich über die Mitte der Sprache realisiert, in welcher sich das Bewusstsein mit dem Sein zusammenschließt.139 Ihren umfassenden Grund sieht Hans-Georg Gadamer in der universalen Sagbarkeit des Wirklichen, der ein umfassendes Sagenkönnen der Sprache entgegenkommt, deren Korrespondenz der oben zitierte Schlüsselsatz der Hermeneutik statuiert: «Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache.»140 Was die Tradition seit Aristoteles als prinzipielle Erkennbarkeit, Hegel geradezu als Rationalität des Wirklichen fasste, wird in der Hermeneutik als eine Verstehbarkeit konkretisiert, deren Schlüssel die immanente Sprachlichkeit, die Zugänglichkeit für den Logos bildet. Darin zeichnet sich ein Weg der Vertiefung der Sprachreflexion ab, auf den an späterer Stelle zurückzukommen sein wird. Es ist die Linie, die jenseits der Mächtigkeit des menschlichen Sprechens das entgegenkommende Sagen des Seins, das Zur-Sprache-Kommen der Dinge reflektiert. Zugrunde liegt die Intuition, dass Wirklichkeit unserem Sprechen und Verstehen nicht nur offensteht und zugänglich ist, sondern dass sie sich selbst mitteilt und zu verstehen gibt. Dass Sprache die Dinge zu erkennen und darzustellen vermag, erscheint vor dem Hintergrund einer Selbstmanifestation des Wirklichen, wie sie in unterschiedlichen Chiffren der Sprachreflexion – als Sprache der Dinge, Buch der Natur, Lesbarkeit der Welt, Sprache des Seins – zum Ausdruck kommt.141 Bevor auf sie einzugehen ist,
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ist die dritte Stellung der Sprache, ihre Funktion im Selbstverhältnis des Subjekts, näher zu betrachten.
c) Ausdruck, Reflexion, Selbstverständigung
Nach einer dritten Ausrichtung artikuliert sich die Sprache im Selbstverhältnis des Menschen. Sie ist Ausdruck des Selbst, und sie ist Instrument der Selbstvergegenwärtigung des Menschen. Die erste Sprechhandlung des Menschen besteht darin, sich zu äußern und sich vernehmen zu lassen. Sie fügt sich ein in die Dynamik des Lebens, das im Kreislauf des Hervorbringens und Gestaltens sich gegenwärtig wird und über die Äußerung zu sich zurückkehrt. Genetisch und phänomenologisch wurzelt die sprachliche Äußerung in den unterschiedlichen Weisen des leiblichen Ausdrucks, in deren Medium das Individuum auf andere und die Welt reagiert, seinem Empfinden und Wollen äußerlich-sinnliche Gestalt gibt und sich anderen zu verstehen gibt.142 Nicht zufällig thematisiert eine Phänomenologie, die von der Leiblichkeit der Existenz ausgeht, die Sprache bevorzugt unter dem Aspekt des Ausdrucks.143 In ganz unterschiedlichen Formen realisiert sich der Ausdruck im menschlichen Leben, von der expressiven Geste über das artikulierte Wort zum künstlerischen Werk, welche alle als Gefäße der Sinnbildung fungieren, die für das Sichverstehen des Subjekts wie den Austausch mit anderen gleichermaßen bedeutsam sind. Es ist an früherer Stelle deutlich geworden, wie der Sinn auf den Ausdruck angewiesen ist, um für sich Bestimmtheit zu gewinnen und lebensweltlich fassbar zu werden; Humboldt und Merleau-Ponty haben das Sprechen als die aktualisierende ‹Vollendung› des Gedankens beschrieben, die dem Menschen erlaubt, über sich Klarheit zu erlangen und sich sein Denken zu eigen zu machen. Nicht erst für Belange der kommunikativen 102 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Vermittlung, sondern für die Selbstaufklärung des Meinens und Wollens erweist die Sprache ihre konstitutive Funktion. Als ein sich über sich verständigendes Wesen bedarf der Mensch des Ausdrucks, der in der Expressivität des Lebens gründet. Der Ausdruck ist nicht nur das Medium der Überführung des Gedankens in die Bestimmtheit, der aktualisierenden Verwirklichung des Möglichen, sondern auch des Für-sich-Werdens. Sprechend, sich artikulierend wird der Mensch sich selbst gegenwärtig. Er entwirft ein Bild von sich selbst und führt sein Leben in Vermittlung über die Vorstellung seiner selbst. Er verhält sich zu sich selbst, zu seinem Leben und seiner Geschichte, zu seinen Wünschen, Hoffnungen und Vorhaben, zu dem, was er ist, was er sein will. Sein Verhältnis zu sich ist ein theoretisches wie praktisches, ein Bezug des Erkennens, Erforschens und Beschreibens auf der einen Seite, des Wollens, Beurteilens und Entscheidens auf der anderen. Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung sind die zwei Angelpunkte der Reflexivität des Selbstseins, und beide haben in spezifischen Modalitäten mit Sprachlichkeit, mit der Sprache als Instrument der Erkundung, der kritischen Prüfung und Festlegung zu tun. Zwar ist offenkundig, dass das erkennende wie willentliche Selbstverhältnis, die Selbsterforschung und voluntative Lebensgestaltung bereits im Vorsprachlichen stattfinden. Von Anfang an steht das Individuum mit sich in einem sinnlich-emotionalen, praktisch-tätigen Verkehr, es nimmt die eigene Befindlichkeit wahr, es spürt die eigenen Bedürfnisse, erkennt sich in seinen Wünschen und Präferenzen, gibt seinem Sosein eine bestimmte Richtung und Tendenz. Es wird seiner selbst gewahr und reagiert auf sich selbst, es äußert und gestaltet sein Leben in bestimmter Weise. Indessen gewinnt solche Selbstfindung und Selbstformung im Medium der Sprache eine unvergleichliche Diversifizierung und Vertiefung. Beschreibend dringen wir in uns, erforschen 103 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
wir unsere Eigenart, unsere Absichten und Erinnerungen. Entwerfend stoßen wir in die Zukunft vor, konkretisieren wir unsere Neigungen und Pläne, fassen wir Vorsätze. Wenn Richard Rorty die Meinung vertritt, dass es für den Menschen nichts Wichtigeres gebe, als sich selbst immer wieder in neuer Weise zu beschreiben, so ist offenkundig, dass solche Beschreibung mehr als die abbildende Registrierung eines Bestehenden meint.144 Was sich in ihr vollzieht, ist eine Bekräftigung des freien Selbst, das sich von der durch andere gegebenen Beschreibung ablösen und über sich selbst Klarheit erlangen, sich in seinem Sein explorieren und sein Leben eigenständig gestalten will. Im Ganzen können wir dieses theoretisch-praktische Sich-zu-sich-Verhalten als Prozess der Selbstverständigung fassen. Es ist eine Verständigung über das, was wir sind, ebenso wie über das, was wir sein wollen. Sich beschreiben heißt sich suchen, sich entwerfen, sich selbst werden. Wenn wir diesen Prozess als einen wesenhaft sprachlichen auffassen, der im Selbstgespräch wie im Reden mit anderen, in der entwerfenden Selbstbeschreibung und der Lektüre seiner selbst stattfindet, so ist der Effekt dieser Versprachlichung ein mehrfacher. Er liegt einerseits in der Verdeutlichung unserer Erlebnisse, Gefühle und Vorstellungen, andererseits in der Möglichkeit der reflexiven Bearbeitung, die unsere Selbstwahrnehmung und Selbstfestlegung einer Prüfung und Beurteilung öffnet. Selbstbeschreibung ist ein Gefäß kritischer Selbstanalyse und Selbstaufklärung. Schließlich beinhaltet die Versprachlichung die diskursive Verflüssigung und Einbettung von Episoden und Absichten in größere deskriptive und motivationale Zusammenhänge, die unsere Identität mit ausmachen. Eine aufschlussreiche Gestalt finden sie in schriftlichen Lebenserinnerungen, wie sie in klassischen Zeugnissen der Autobiographie, Memoiren und Confessiones vorliegen.
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Solche Selbstvergegenwärtigung erschöpft sich, wie gesagt, nicht in der reproduzierenden Verdoppelung dessen, was wir sind, sondern hat ihre Pointe darin, dass sie konstitutiv in den Vollzug unseres Lebens eingeht und unser konkretes Selbstsein aktiv mitgestaltet. Wir leben als Menschen, indem wir uns über uns selbst verständigen. Der reflexive Selbstbezug, der sich als forschend-erkennendes wie wollend-bestimmendes Verhalten zu sich realisiert, tritt gewissermaßen an die Stelle der vorgegebenen metaphysischen Wesensbestimmung und des individuellen, geschichtlich-biographischen Soseins. Darin liegt eine bedeutsame Konstellation im Horizont neuerer Auseinandersetzungen um das Bild des Menschen zwischen Metaphysik, Anthropologie, Existenzphilosophie und Hermeneutik.145 Im vorliegenden Kontext liegt ihre Bedeutsamkeit darin, dass sie die Konvergenz von Sagen, Darstellen und Hervorbringen, die konstitutive Funktion der Sprache in paradigmatischer Weise zum Tragen bringt. Im Ganzen erweist sich die reflexive Ausrichtung der Sprache, die in der Selbstbeschreibung profiliert hervortritt, als eine exemplarische Manifestation der eminenten Macht der Sprache. Nach allen drei Bezügen, im Verhältnis zu anderen Menschen, zur umgebenden Welt und zum eigenen Selbst, bestätigt sich, inwiefern das Eigenste der menschlichen Sprache, jenseits des Codierens und Übermittelns von Botschaften, durch ihr einzigartiges sinn- und wirklichkeitskonstituierendes Potential bestimmt ist. Diese Macht sichtbar zu machen ist Voraussetzung dafür, das Ereignis der Sprache in seinem Gehalt zu erfassen.
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3. Hermeneutische Phänomenologie der Sprache Die thematische Fokussierung des Sprachphänomens ist nicht unabhängig vom methodischen Zugang. Sprache ist Gegenstand verschiedener Betrachtungsweisen in Wissenschaft und Philosophie, denen in beiden Disziplinen vielfältige Themenfelder korrespondieren. Grundlegend im Ganzen ist die Unterscheidung zwischen einer externalistischen Untersuchung, die das sprachliche Verhalten von seinen Faktoren und Wirkungszusammenhängen her in seiner Entstehung und Funktionsweise analysiert, und einer Beschreibung aus der Binnenperspektive, welche die Sprache aus der Sicht des sprechenden und verstehenden Subjekts erfasst. Die vorliegende Darstellung hat sich schwerpunktmäßig an dieser zweiten, phänomenologisch-hermeneutischen Zugangsweise orientiert. Mit ihr verbindet sich das Interesse dafür, was die Sprache für das erlebende und handelnde Subjekt bedeutet, wie sich der Zugang zur Sprachlichkeit, das Zur-Sprache-Kommen des Individuums ereignet und in welcher Weise der Mensch sich selbst und die Welt zur Sprache bringt. Das Hineinwachsen in die Sprache, das stufenweise Erwerben der Fähigkeiten des Ausdrucks und des Verstehens, die mannigfachen Praktiken des verbalen Gestaltens und Mitteilens, die ungezählten Texte der kulturellen Traditionen – in all dem entfaltet sich der faszinierende Reichtum der Sprache des Menschen. Sie durchdringt unser Leben, sie erfüllt unsere Welt. Vieles vom Facettenreichtum, den das komplexe Phänomen des Sprechens und Sich-Unterredens umgreift, bleibt in der hier gewählten Betrachtungsweise im Hintergrund, kommt allenfalls punktuell, ergänzend zur Sprache. Dies betrifft sowohl die interne Verfassung des Sprachlichen in seiner lautlichen, lexikalischen, grammatischen, syntaktischen und semantischen Struktur wie die aus der Außenperspektive beschreibbaren
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entwicklungspsychologischen und soziologischen Bedingungen des Sprachverhaltens. Wenn wir die Sprachreflexion als eine phänomenologischhermeneutische bezeichnen, so legen wir den Akzent demgegenüber auf zweierlei, auf die Subjektperspektive und auf die Sinndimension. Phänomenologische Beschreibung – wie sie von Husserl in Abhebung vom objektivierenden Psychologismus definiert und in späteren Ansätzen verschiedener Autoren weitergebildet worden ist – sucht zu erfassen, wie sich psychische und lebensweltliche Gegebenheiten im Erleben und Handeln von Subjekten konstituieren, wie sie sich im Empfinden, Wahrnehmen, kognitiven und affektiven Verarbeiten und aktiven Tätigsein herausbilden und eine bestimmte Form annehmen. Die Analyse von Sprache steht dann unter der Leitfrage, wie das Sprachvermögen sich rezeptiv und expressiv beim Menschen entwickelt und sich in seinem Verhalten realisiert. Ihren Horizont bildet die Frage, was es für den Menschen heißt, eine Sprache zu haben. Es ist die Frage nach dem Stellenwert der Sprache in der menschlichen Existenz, sowohl nach ihren lebenspraktischen Funktionen wie nach ihrem generellen Sinn im Horizont der Lebensführung des Menschen. Die Spannweite zwischen pragmatischer Funktionalität und existentiellem Sinn, die sich analog für andere menschliche Fähigkeiten und Betätigungen – Körperbewegung, Raumerfahrung, Hören und Sehen – thematisieren ließe, hat ihre besondere Prägnanz mit Bezug auf die Sprache, das privilegierte Organ des sinnhaften Bedeutens und Vermittelns. In Frage steht die Bedeutung des Sinnvermögens selbst. Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen und Wozu der Sprache lautet, dass Sprache dazu dient, die Bedeutungsdimension des menschlichen Meinens, Sagens und Verstehens zu entfalten, und dass sie darin die sinnhafte Verfassung der Existenz begründet. Dass Sprache, die originär mit Bedeutun107 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
gen zu tun hat, dem Leben wesentlich ist, liegt der Sinndimension des menschlichen Lebens und Weltbezugs zugrunde. Das entscheidende Scharnier ist das zwischen Sprache und Leben: zwischen dem konstitutiven Sinnbezug der Sprache und der Sinnhaftigkeit des Lebens. Aufzuhellen hat eine hermeneutische Reflexion, inwiefern die spezifische Sprachlichkeit des Menschen – anders als die der Tiere und Maschinen – mit dem sinnhaften Sagen und Verstehen verwoben ist und inwiefern sie konstitutiv in die Sinndimensionen des menschlichen Lebens eingeht. Das Verstehen der Sprache erweitert sich gleichsam von sich aus auf das verstehende Sichverhalten zum Leben, die Erfahrung der Welt und die sinnhafte Führung des Lebens. Die hermeneutische Frage nach Sinn und Verstehen, die in der Tiefe des Lebens wurzelt, findet ihren Brennpunkt in der Sprache und spannt sich auf in das Ganze des Lebens. Zur Illustration sei auf die Phänomenologie von Maurice MerleauPonty verwiesen, der in seinen beiden frühen Hauptschriften die Sinndimension des Verhaltens und Wahrnehmens ausbreitet: Die unterschiedlichen genetischen Schichten und strukturellen Bereiche des Lebens – des Fühlens, Wahrnehmens, Raum- und Zeiterlebens, Sozialverhaltens, der Leiblichkeit, Sexualität, Geschichtlichkeit etc. – werden als Konstellationen durchdrungen, in denen sich die existentielle Gerichtetheit und sinnhafte Orientierung des menschlichen Seins ausbilden und die nicht unabhängig von dieser Orientierung in ihrer Eigenart erfasst werden können.146 In Auseinandersetzung mit Behaviorismus und Gestaltpsychologie geht es dem Autor darum, die Nicht-Reduzierbarkeit der Lebensbeschreibung auf externe Faktoren und Funktionszusammenhänge zu erweisen. Die generelle Sinndimension des Lebens bildet den Rahmen der spezifischen Bedeutungsdimension des Logos, des sinnbildenden und sinnrezipierenden sprachlichen Umgangs mit den Dingen und mit sich selbst, der einen Grund und Angelpunkt des menschlichen 108 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Lebens bildet. Merleau-Pontys Werk führt exemplarisch vor, wie im Ausgang von diesem Kern eine nicht-reduktive Phänomenologie der Existenz durchzuführen ist. Aufschlussreich ist eine zusätzliche Eigenart seines Ansatzes, die für eine besondere Ressource der phänomenologischen Beschreibung steht. Es ist der Ansatz einer Beschreibung ex negativo, die sich der Sinndimension des Lebens nicht im direkten Zugriff, sondern via negationis, aus ihrem Fehlen und ihren Mängeln heraus versichert. In verschiedenen Themenfeldern kommt Merleau-Ponty auf den Fall eines in der psychiatrischen Literatur beschriebenen Kriegsverletzten aus dem Ersten Weltkrieg zu sprechen, dessen motorische, sensorische und kognitive Fähigkeiten weithin intakt sind, der aber nicht in der Lage ist, in sinnhafter Weise mit ihnen umzugehen und sein Leben zu gestalten. Er kann sich normal bewegen, geht aber nicht von sich aus spazieren, er kann Sprache aufnehmen und artikulieren, auf Fragen antworten, empfindet aber nicht das Bedürfnis, etwas zu erzählen oder zu fragen; er nimmt Situationen nicht in ihrer sozialen, ästhetischen, affektiven Qualität wahr, reagiert nicht auf ihre existentielle Bedeutung, er hat keine Motivation, zu singen oder zu spielen. Die eigentümlich defizitäre Erlebens- und Verhaltensweise lässt wie im Spiegel sichtbar werden, was fehlt, worin der ‹normale›, mit Bedeutungen versehene Umgang mit Dingen, anderen Menschen und Lebenssituationen bestehen würde. Eine solche ‹negativistische› Erschließung ist mit Bezug auf psychopathologische Befunde von verschiedenen Autoren im Horizont phänomenologischer und existenzphilosophischer Analysen des Menschseins unternommen worden. Michael Theunissen hat psychotische Störungen des Zeitbewusstseins – Erfahrungen der stehenden, entgleitenden, zerfallenden Zeit – in ihrer Auswirkung auf die fundamentale Verfassung des Selbstseins untersucht;147 Alice Holzhey-Kunz hat aus daseinsanalytischer Sicht Formen des 109 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
seelischen Leidens als Ausdruck existentieller Aporien analysiert.148 Es liegt auf der Hand, dass sich Negativerfahrungen solcher Art in pointierter Weise mit Bezug auf die Sprache, in Mängeln und Verwirrungen des Sprechens und Sprachverstehens ausmachen lassen, die ihrerseits mehr als partikulare, lokale Lücken und Dysfunktionen anzeigen. In ihnen wird negativ fassbar, inwiefern die Sprache zum Wesen des menschlichen Lebens gehört und das Fundament sinnhafter Weltwahrnehmung und Lebensführung mit ausmacht. Nicht nur in Verkörperungen des Sprachlichen in vollendeter Dichtung oder im gelingenden Dialog, auch in Phänomenen des Sprachentzugs oder des Sprachzerfalls wird die basale, unverzichtbare Rolle der Sprache im menschlichen Leben erkennbar. Nun sind in solchen Defizienzen nicht nur psychische Pathologien im Spiel. Es können auch äußere, soziale und individuelle Verletzungen und Behinderungen sein, Erfahrungen von Unrecht und Gewalt, frühkindliche Traumatisierungen, in deren Folge sich die Fähigkeit des Ausdrucks und der Rede dem Menschen entzieht. Vielfach ist mit Bezug auf die Extremerfahrungen des letzten Jahrhunderts das Stummwerden im äußersten Leiden, der gewaltsame Sprachentzug beschrieben worden. Dagegen ist in der Gedächtniskultur in eins mit der rettenden Erinnerung die hohe Pflicht betont worden, die Sprache für die Verstummten, sei es stellvertretend, wiederzugewinnen und, so Adornos prägnante Formel, «Leiden beredt werden zu lassen».149 Die Leidenserinnerung150 ist die radikalste Version der Auseinandersetzung mit der Sprachlosigkeit, welche in ganz anderem Modus genetisch den Makel des noch nicht sprechenden Kindes – des infans – ausmacht, der gewissermaßen in dem von Kant evozierten Schrei des unter seiner Unmündigkeit leidenden Säuglings aufscheint.151 Man mag den von Kant diagnostizierten Konnex hinterfragen und ebenso die strukturelle Differenz zwischen der initialen Sprachlosigkeit 110 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
und der Negativität der gewaltsamen Sprachunterdrückung betonen. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass auch der entwicklungsmäßige Übergang vom Nicht-Sprechen zum Sprechen einen Einblick in das eröffnet, was mit der Sprache entsteht und was mit ihr für die menschliche Existenz auf dem Spiel steht. Generell ist es wichtig, den Reichtum und die Macht der Sprache nicht nur vom idealen Telos einer vollendeten Entwicklung her zu beschreiben, sondern ihr Potential und ihre Gerichtetheit auch dort zu erfassen, wo diese noch nicht zu ihrem Abschluss gekommen, vielleicht grundsätzlich ohne Ende geblieben ist, wo sie vielleicht nur als fragwürdige, in sich gebrochene die Sinnhaftigkeit des Lebens durchzieht. Eine Verständigung über die Sprache hat sich der Herausforderung zu stellen, die dem Umgang mit dem Sinnentzug im Leben, dem Spannungsverhältnis zwischen der Macht und der Ohnmacht der Sprache innewohnt. Wenn im Vorausgehenden die Sinnfrage als Leitfaden einer hermeneutischen Reflexion auf die Sprache herausgestellt wurde, so ist es ein Leitfaden, der seine Erschließungskraft gerade auch in einer ‹negativistischen› Lektüre, in der Arbeit an den Grenzen des Sinns und in Auseinandersetzung mit dem Nicht-Sinn, zu bewähren hat.152 Sie verschafft der Beschreibung die Tiefendimension, die das spezifisch Menschliche sowohl des Sprachphänomens wie der Lebensform, in welche Sprache eingebettet ist, hervortreten lässt.
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Der Ursprung der Sprache im Anderen
1. Die Herkunft des Sinns vom Anderen her Nicht aus sich heraus kommt der Mensch zur Sprache. Der Anfang des Sprechens liegt nicht nur in der Tiefe des Selbst. Wohl bildet das Leben und Handeln ein Fundament der Fähigkeit zum Sprechen und Begreifen. Von Anfang an ist menschliches Leben mit Akten und Dispositionen des Verstehens, des Meinens und Äußerns durchsetzt; es vollzieht sich im Medium der Bedeutung und ist in seiner teleologischen Gerichtetheit auf das Vernehmen wie das Sagen und Sichäußern hin angelegt. Die sinnlich-leibliche Existenz des Menschen bildet eine Tiefenschicht seiner Sprache. Dem verbalen, artikulierten Verhalten geht ein gestisch-zeigendes Äußern voraus, dem Sprachverstehen ein affektives Erfassen und atmosphärisches Gewahrwerden. Die Sinnrezeption wie die Sinnstiftung setzt vor der Sprache im Tun und Erleben ein. Indessen ist diese Tiefenschicht nicht im Leben des isolierten Individuums verortet. Nicht nur aus uns heraus, auch vom Anderen her kommen wir zur Sprache, im Austausch mit Anderen lernen wir zu hören und zu sprechen; der Spracherwerb ist in seinem Ursprung ein zwischenmenschliches, soziales Geschehen. Dies ist in einem elementaren Sinn schon dadurch bedingt, dass das In-die-Sprache-Hineinkommen von Beginn an ein aktives wie passives Geschehen, der Spracherwerb ein rezeptives wie expressives Lernen ist. Keinen Schritt würden wir im Verstehen 113 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
oder Sagen vorankommen, wenn wir uns allein im Raum des individuellen Erlebens bewegten. Die engen Grenzen, die dem Spracherwerb des für sich seienden Einzelnen gezogen sind, werden in der unfreiwilligen Selbstabschließung von Wolfskindern demonstriert, wie umgekehrt die Forschungen zur kollektiven Intentionalität das Potential freigelegt haben, das die geteilte Aufmerksamkeit für die kognitive und linguistische Entwicklung – und andere Dimensionen des Verhaltens – enthält. Es gilt den in genetischer Sicht augenfälligen Befund in seinem internen Gehalt, seiner systematischen Relevanz für das menschliche Sprechenkönnen und das in der Sprachlichkeit gründende Menschsein zu verdeutlichen. Dass wir von Anderen her zum Sprechen kommen, dass wir nur im gemeinsamen Leben Sprache haben und als Menschen sind, wird in dialogischen Konzepten mit Emphase herausgestellt. Dabei geht es um mehr als einen zentralen Faktor des Spracherwerbs. Es geht um einen seinsmäßigen Kern der Sprachlichkeit als solcher und dessen konstitutive Funktion für das menschliche Leben. Der dialogische Ansatz wiederholt unter neuer Beleuchtung die Frage, was Sprache ist und welches ihre Bedeutung für das Sein der Menschen ist. Dieser Frage soll im Folgenden stellvertretend im Ausgang von einer der profiliertesten Positionen der neueren Diskussion nachgegangen werden.153 Das Denken von Emmanuel Levinas situiert die dezidierte Verbindung zwischen Sprache und Andersheit in einem umfassenden, fundamentalphilosophischen Rahmen, in welchem die Radikalität dieser Verbindung und ihre grundlegende Bedeutung fassbar werden. Hintergrund ist die Überwindung des subjektzentrierten Denkens, wie es die phänomenologische Orientierung kennzeichnet. Phänomenologie erfasst Gegenstände in der Weise, wie sie sich im Horizont subjektiver Auffassung konstituieren, und in der Bedeutung, die 114 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
sie für das Subjekt besitzen. Die Subjektbezogenheit betrifft sowohl die gegenständliche Gestalt und Qualität eines Objekts, das in der intentionalen Erfassung durch ein Subjekt seine Bestimmtheit gewinnt (als hoch oder tief, spät oder früh, hart oder weich), wie auch die bedeutungsmäßige Funktion, die aus dem Ensemble objektiver Daten und Relationen die Welt als Bewandtniszusammenhang entstehen lässt. Dass sich ein Gegenstand zum Schneiden oder Musizieren eignet, dass ein Schirm vor dem Regen schützt, der dunkle Abgrund Angst auslöst, sind Facetten einer Wirklichkeit, die aus der Perspektive des erlebenden und handelnden Subjekts dasjenige ist, was sie ist. Wenn dieser Subjektbezug wesentlich zur phänomenologischen Beschreibung gehört, so liegt die stringente Gegenwendung in der Abkehr von diesem Bezug. Die Abkehr kann in unterschiedlicher Einstellung geschehen. Eine mögliche Einstellung ist die objektivistische Abstraktion von allen subjektiven, erkenntnis- und erlebensmäßigen Qualitäten einer Sache zugunsten der Fixierung auf deren gegenständliche, aus der Außenperspektive registrier- und messbare Bestimmungen; aus der Skulptur wird ein geformter Stein, aus dem kranken Leib ein funktionsgestörter Körper. In anderer Einstellung erfolgt die Gegenwendung zum idealtypischen phänomenologischen Subjektbezug im Übersteigen seiner solipsistischen Zentrierung. Nicht das Individuum für sich, sondern der Mensch als soziales Wesen im Wechselspiel mit anderen stellt den Ausgangs- und Referenzpunkt des humanen Wirklichkeitsbezugs dar. Nicht einfach vom Subjekt her, im Blick des Neugeborenen, das die Augen öffnet, geht die Welt auf und erschließen sich die Dinge. Wenn, wie Hannah Arendt eindringlich beschreibt, mit jeder Geburt ein neues Licht auf die Dinge fällt, eine Welt neu geschaffen wird und eine neue Geschichte beginnt,154 so findet diese Schöpfung ihre Resonanz und Weite im Raum des 115 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Zwischenmenschlichen. Sie kommt nicht aus dem geschlossenen Selbst, sondern ereignet sich zwischen ihm und den Anderen, sie kommt, radikal formuliert, vom Anderen her. Was sich dem Selbst im Verkehr mit Anderen, vom Anderen her als Erstes auftut, ist die Bedeutungsschicht der Lebenswelt, der Sinn der Phänomene. Dies wird, wie gesagt, im Lernprozess des Kindes augenfällig. Es lernt zu verstehen, bevor es sprechen lernt. Es lernt den Sinn der Welt aufzunehmen, die Gesten anderer Menschen in ihrer Gerichtetheit zu erkennen, das Bedeutungsgefüge dessen, was ihm begegnet, irgendwie zu erfassen, all dies zunächst vage, vermutend-tastend, dann mit größerer Bestimmtheit, bis hin zur reflexiven Vergewisserung und zur eigenen, explizierenden Artikulation. Die Lernpsychologie hat nachgezeichnet, wie sich die Vorgängigkeit des verstehenden Aufnehmens gegenüber dem Selbst-äußern-Können stufenweise wiederholt, von der akustischen Unterscheidung von Lauten über das Heraushören einzelner Worte und Erfassen von Wortsequenzen bis hin zum Begreifen ganzer Sätze und Satzgefüge. Wiederholt kann geschehen, dass das kindliche Sprachvermögen unterschätzt wird, wenn es an der eigenen Artikulationsfähigkeit gemessen wird. Ein Kleinkind kann die falsche und richtige Aussprache eines Worts auseinanderhalten (und jene zurückweisen), bevor es sie adäquat zu reproduzieren imstande ist; umgekehrt stellen sich Betreuungspersonen wie selbstverständlich auf die asymmetrische Partizipation am Gespräch mit Kindern ein, indem sie in deren Äußerung mehr als das explizit Gesagte erfassen und ihnen ein über die eigene Artikulation hinausgehendes Verständnis der fremden Rede zuschreiben. Es gibt eine Vorgängigkeit des rezipierten gegenüber dem geäußerten Sinn, die mit einer strukturellen Vorgängigkeit der Rede des Anderen gegenüber dem eigenen Sagen einhergeht. Sie ändert nichts an der gewissermaßen transzendentalen Subjektbezogenheit des Sinns, 116 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
d. h. daran, dass die Bedeutungsschicht, die dem Leben in allem Tun und Wahrnehmen innewohnt, auf das Selbst zurückweist, auf das, was die Phänomene dem Subjekt sagen, als was sie von ihm gemeint sind, als was sie von ihm aufgenommen und interpretiert werden. Doch ist dieser Rückbezug auf das Subjekt kein autarker, selbstgenügsamer Ursprung des Sinns. Die Sinnhaftigkeit der Existenz ist eine, die sich für den Menschen im Horizont subjektiver Apperzeption kristallisiert, doch dies von vornherein in einem Raum, der nicht aus dem Selbst kommt und nicht ihm allein gehört. Es ist eine Bedeutsamkeit der Welt und des Lebens, die sich in radikaler Weise im Zwischenmenschlichen usbildet. In dieser Herkunft des Sinns vom Anderen her lassen sich zwei Grundformen unterscheiden. Sie liegt zum einen in der Vorgängigkeit der sozialen Sinnbildung, der Vorgängigkeit des durch Andere konstituierten, im Lebenskreis Anderer entstandenen und durch sie gestalteten Sinns (als Bedeutung von Worten, Funktion von Instrumenten, Relevanz von Situationen). Und sie liegt zum Zweiten im eigenen Angesprochenwerden durch Andere, in der bedeutungsvollen, sinnkonstituierenden Begegnung mit dem Anderen. Die erste Herkunft verweist darauf, dass Andere immer schon, vorgängig zu meinem Erleben und Tun, sich sinnhaft auf die Welt bezogen, in ihr Bedeutungen ausgemacht, hervorgerufen und hinterlassen haben. Die Welt ist für andere bedeutungsvoll, bevor sie sich mir als sinnhaft erschließt, und ich kann in meinem Verstehen und Gestalten nicht von der vorausliegenden, im Weltverhältnis anderer begründeten Geprägtheit der Dinge absehen. Dass Gegenstände und Situationen eine bestimmte Bewandtnis haben, dass eine harmonische Landschaft uns aufnimmt, eine bewegende Geschichte uns fesselt, ein Kunstwerk uns herausfordert, sind Bestimmungen, die nicht erst in unserem Erleben entstehen. Auch die Welt, die wir in der Wahrnehmung gleich117 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
sam ab ovo für uns zur so und so bestimmten Welt werden lassen, ist eine uns entgegenkommende, uns etwas bedeutende, etwas sagende Welt. Sie ist an ihr selbst von Bedeutungen durchzogen, und sie ist dies als eine mit Anderen geteilte, von Anderen her sich öffnende Welt.
2. Der Anfang des Sprechens im Anderen Die Herkunft des Sinns vom Anderen her bildet den Horizont der Genese der Sprachlichkeit. Das Hellwerden der Welt, das Aufgehen des Sinnraums umfängt die Schritte des Hineinkommens in die Sprache und liegt jedem bestimmten Akt des Sprechens zugrunde. Emmanuel Levinas hat diese Zweistufigkeit an einer Doppeldimensionalität des Sprechens selbst festgemacht, die er als Zwiefalt von Sagen und Gesagtem (le dire / le dit) expliziert. Im Akt des Sprechens ereignet sich mehr als die Artikulation eines bestimmten Gedankens. Das Sagen erfüllt eine Funktion diesseits der bestimmten Mitteilung (oder Frage, Bitte), des bestimmten Etwas-Sagens. Die initiale Kraft des Sprechens liegt, vor aller identifizierenden Bezugnahme und qualifizierenden Beschreibung einer Sache, im Stiften des Bedeutungsraums: «Das erste Wort sagt nur das Sagen selbst.»155 Es ist ein Sagen diesseits der intentionalen Gerichtetheit auf ein Etwas, ein Sagen, das in keinem Gesagten aufgeht und nicht vom Gesagten her reguliert wird – ein «Sagen ohne Gesagtes», in welchem das Sinnhaftwerden der Worte und Bedeutungen, das «Bedeuten der Bedeutung» (la signifiance même de la signification), als solches gründet.156 Die konstitutive Macht der Sprache, von der eine radikale Ursprungsreflexion der Sprache Rechenschaft ablegt, liegt diesseits der Vielfalt der inhaltlichen Bedeutungen in einem «ursprünglichen oder vor-ursprünglichen Sagen», das jenen zugrunde liegt.157 Auf diesen Ursprung 118 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
zurückzugehen ist Aufgabe einer radikalen phänomenologischen Re-duktion, die sich nicht mit der systematischen Beschreibung eines lexikalisch-semantischen Systems begnügt, sondern dessen ermöglichenden Grund freilegen will. Sprechenkönnen, sagen wollen, ‹bedeuten› gleichsam als absoluter, gegenstandsloser Akt, ist eine fundamentale Disposition in unserem sinnhaften Umgang mit der Welt. Wenn Levinas sie als ein ursprünglich-absolutes, jedes bestimmte Meinen transzendierendes Sagen auffasst, so verbindet er damit eine ganz spezifische Überbietung der Intentionalität. Solches Sagen geht nicht nur hinter den bestimmten Gegenstandsbezug zurück (beziehungsweise über ihn hinaus), sondern eröffnet einen konstitutiven Bezug auf den anderen Menschen, der sich, als Anderer, der thematisierend-assimilierenden Erkenntnis entzieht.158 Es stiftet die Fundierung des Sagens im Sprechen des Anderen und im Sprechen zum Anderen. Konkret findet diese Fundierung sowohl im einzelnen Sprechakt wie im geteilten sozialen Sprachgebrauch statt. Von Anfang an trägt das Sprechenkönnen nicht nur die Komponente des Sichäußerns, sondern ebenso die des Sich-anAndere-Richtens und des Vernommenwerdens durch Andere in sich. Das Wunder der Sprache begegnet uns nicht nur im Erlebnis, dass alle Dinge einen Namen haben, dass ich die Dinge benennen und durch die Worte die Welt erkennen kann. Es liegt ebenso ursprünglich in der Erfahrung, in meinem Sagen gehört und verstanden zu werden. Es umfasst die Faszination des Sprechenkönnens ebenso wie die Möglichkeit, sich anderen mitzuteilen und von ihnen verstanden zu werden. Ruedi Imbach verweist auf die von Dante gepriesene Freude des Verstandenwerdens, die dieser zum Gedanken vertieft, Gesehenwerden sei menschlicher als das Sehen, Gehörtwerden menschlicher als das Hören.159 Die menschliche Kommunikation, so paraphrasiert Imbach, «erreicht ihre Vollendung, wenn dem Sprechen 119 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
das Hören und Gehörtwerden entspricht»; «dass uns jemand versteht, wenn wir sprechen, gehört zweifelsohne zu den Wundern der menschlichen Existenz».160 Die Tiefe des Sprechens liegt nicht nur im Sagen, sondern im Kommunizieren, im Sprechen zu Anderen und im Vernommenwerden durch Andere. Dieses Eingebettetsein des Sprechens in das Miteinanderund Zueinanderreden hat einen konkreten Raum in der gemeinsamen Sprache, in die wir hineinwachsen und aus der heraus wir selbst zur Sprache kommen. Die Sprache, in der wir aufwachsen und zuhause sind, ist paradigmatisch die geteilte Sprache der Herkunft, die Muttersprache. Dabei geht es um mehr als um die strukturelle Vorgängigkeit des Sprachsystems gegenüber der einzelnen Äußerung. Es geht nicht allein darum, dass ich nur in einer bestimmten, vorgegebenen Sprache, in einem bestimmten Idiom sprechen lernen und etwas sagen (beziehungsweise etwas aufnehmen und verstehen) kann. Die Schritte des Zur-Sprache-Kommens sind, jenseits der graduellen Ausbildung des allgemeinen Sprachvermögens, die Schritte in eine bestimmte, konkrete Sprache hinein. Darin liegt eine systemische Voraussetzung der Kommunikation und zugleich eine lebensweltliche Vorgängigkeit der Muttersprache. Der Einzelne wird mit einer partikularen Sprache vertraut, die den sozialen Raum seiner Herkunft zugleich sinnhaft ausgestaltet und aufschließt. Sie ist im Standardfall eine Sprache, eine einzige Sprache, die meine Sprache und die Sprache meiner Umgebung ist; sie kann aber auch eine multiple, biographischzeitlich oder räumlich-sozial diversifizierte Sprache sein, an der ich in verschiedenen Lebensphasen oder Lebenssphären teilhabe. Letzteres kann, wie Soziolinguistik und Spracherwerbsforschung verdeutlichen, sowohl als Förderung und Bereicherung wie als Erschwernis oder soziales Problem erfahren werden. Unabhängig von dieser Varianz ist zunächst die existentielle, 120 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
nicht nur linguistische Relevanz der Verwurzelung in der mit anderen geteilten Sprache, in unserer Sprache, zu unterstreichen. Die lebensweltliche Resonanz dieser Verortung kommt idealtypisch in der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zum Tragen. Fritz Mauthner hat sie im Buchtitel Muttersprache und Vaterland161 angesprochen; in anderer Akzentsetzung wird sie als Verbindung von Muttersprache und Heimat zum Thema. Sie hebt darauf ab, dass der Spracherwerb mit dem Sozialisationsprozess verschränkt ist. Eine Sprache – exemplarisch die Muttersprache – erlernen heißt über die linguistische Kompetenz hinaus vertraut werden mit Sichtweisen, mit Lebensformen und Sinnwelten, mit gesellschaftlichen Milieus und Netzen, mit Örtlichkeiten und Landschaften bis hin zu nationalen Zugehörigkeiten. Zum Teil wird die Verschränkung von der Gegenseite beleuchtet, als identitätsstiftende Leistung der Sprache selbst, wie sie Gadamer in der zugespitzten These formuliert, dass Heimat «vor allem Sprachheimat» sei und die Muttersprache an ihr selbst «etwas von unvordenklicher Heimatlichkeit» bewahre; dies gelte, fügt er an, auch «für den Vielsprachigen», wenn er etwa in Begegnungen mit Landsleuten in der Fremde seine Muttersprache wieder hört und spricht, oder für Menschen im Exil, denen die Herkunftssprache zwischen Vergessen und Andenken oszilliert. Sie alle machen in besonderer Weise die Erfahrung, dass Leben «Einkehr in eine Sprache» ist.162 In verwandtem Sinne hat Wilhelm von Humboldt mit Blick auf die ethnisch-kulturelle Vielfalt die Sprache als «äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker» bezeichnet und zwischen der «Geisteseigentümlichkeit» und der «Sprachgestaltung eines Volkes» eine solche «Innigkeit der Verschmelzung» gesehen, dass man, wenn die eine gegeben wäre, die andere vollständig aus ihr ableiten könnte.163
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Für das Individuum liegt darin die enge Verflechtung zwischen seiner sprachlichen, sozialen und kulturellen Zugehörigkeit. Im gegebenen Fall können darin zugleich Züge einer verengenden oder fixierend-starren Zuschreibung zum Problem werden, Tendenzen einer ‹identitären› Festlegung, welche die sprachliche Zugehörigkeit zum Medium der Entfremdung statt der Entwicklung und des Zu-sich-Kommens werden lassen. Solche Tendenzen, die mit Bezug etwa auf nationale Abschließungen oder heimatliche Bindungen erörtert werden, können auch in ihrem Reflex im Sprachlichen, etwa im – unterschiedlich beurteilten – Verhältnis von Dialekt und Hochsprache, zur Diskussion stehen. Verwiesen sei beispielsweise auf die Ansicht Fritz Mauthners, wonach sich der Heimatbezug idealtypisch im Dialekt kristallisiert, dem gegenüber die normierte Einheitssprache eine heimatlose Identität stifte. Er selbst, so führt er aus, habe «als Jude in einem zweisprachigen Lande» keine «rechte Muttersprache» besessen und lebenslang unter der Entbehrung einer «eigenen Mundart» gelitten und die «Sehnsucht nach der Zugehörigkeit zu einem Dialekte empfunden».164 Ein gewissermaßen gegenläufiges Beispiel gibt uns Jacques Derrida. In einer prägnanten Zuspitzung und biographischen Reminiszenz beschreibt er das Schicksal des jüdischen Algerien-Franzosen, dem während einer Phase seiner Kindheit sogar die Nationalität abgesprochen wurde – das Leiden an der Identitätsfindung in einer Sprache, die die der Anderen, der Hauptstadt ist: «Ich habe nur eine Sprache, doch es ist nicht die meine».165 In Frage steht eine Muttersprache, deren originäre Zugehörigkeit brüchig, problematisch – eine «Ursprungsprothese»166 – ist, und die doch das Einzige ist, was dem Einzelnen unter Umständen Identität gewährt. In Frage steht eine gemeinsame Sprache, die auch als enteignete, als Sprache, ja, «Einsprachigkeit» der Anderen zugleich die eigenste und die mit anderen geteilte ist. Wenn die Subjektwerdung im Innersten mit 122 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
einem Zur-Sprache-Kommen des Individuums verflochten ist, so gelangt dieses darin zu einer Sprache, die ebenso sehr die eigene wie die gemeinsame ist. Genetisch hat sie ihren Ursprung im Anderen. Das Selbst kommt vom Anderen her in das Sprechen hinein, in der Erschließung und Aneignung einer ihm vorausgehenden, ihm entgegenkommenden Sprache.
3. Das Antlitz des Anderen – Angesprochenwerden und Antworten Die Vorgängigkeit der Sprache des Anderen ist um einen Aspekt zu ergänzen. Sie liegt nicht nur in der unhintergehbaren Sozialität des Sagens und Verstehens. Sie hat ihre konkreteste Gestalt, ihren herausragenden Ausgangspunkt im Angesprochenwerden durch den anderen Menschen. Das Neugeborene erwacht zur Sprache im Kontakt mit Bezugspersonen, die sich an es wenden, es mit seinem Namen ansprechen, zu ihm sprechen. Sein spontanes Lallen und Experimentieren mit Lauten tritt in das Stadium des Sprachlichen ein im Nachahmen und Antworten auf die Stimme des Anderen. Das Kind agiert und bewegt sich von Anfang an, es äußert sein Befinden und lässt sich vor anderen vernehmen, doch im genuin Sprachlichen ist es in einer fundamentalen Weise passiv und reaktiv, offen und begierig für das Wort des Anderen. Der Hauptakzent dieser Zuwendung liegt nicht auf dem semantischen Gehalt der an es gerichteten Rede, sondern auf dem Charakter des Sprechakts, in welchem Andere sich an es wenden. Die Vorgängigkeit des fremden Worts hat ihre Tiefe in der dialogischen Begegnung, die vom Anderen ausgeht. Emmanuel Levinas hat diesen Gedanken dahingehend ausformuliert, dass der eigentliche Ursprung der Sprache in einer Beziehung zum Anderen liegt, die ihrem Wesen nach keine bloß epistemisch-bewusstseinsmäßige,
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sondern eine praktisch-ethische ist. Sie paktiert in dieser Fundamentalität mit dem reinen Sagen, diesseits des Gesagten und des intentionalen Gegenstandsbezugs, einem Sagen, in dessen Innerstem die intersubjektive Beziehung hervorkommt, die der Rede zugrunde liegt. Sprechen wurzelt in einem Angesprochenwerden durch den Anderen, einem Gemeintsein durch den Anderen, einem Appell des Anderen. Zwei Aspekte sind in diesem initialen Angesprochensein hervorzuheben: die Transzendierung der Intentionalität und der ethische Appell. Die Begegnung mit dem Anderen geschieht nach Levinas jenseits der intentionalen Relation, die immer etwas von der herrschaftlichen Beziehung des Subjekts, welches sich das Gegenüber zum Gegenstand macht, an sich hat.167 Der Andere entzieht sich meiner Vergegenwärtigung und objektivierenden Kenntnis. Sein Gegebensein ist jenseits der Gegenwärtigkeitfür-mich, gewissermaßen als Präsenz des Abwesenden, analog der ‹Spur› als Anwesenheit des je schon Vorübergegangenen und Entschwundenen, wie nach der Gegenseite im Modus des Versprechens und Hoffens jenseits des entwerfenden Ausgriffs auf das Mögliche.168 In direktester, intensivster Weise kommt das Jenseits der Intentionalität für Levinas in der Figur des Antlitzes zum Ausdruck, in welchem der andere Mensch mir gegenwärtig wird. Er tritt mir im Antlitz als etwas entgegen, das ursprünglich nicht als Gegenstand der Anschauung gegeben ist, sondern jeder anschauenden Erkenntnis vorausgeht. Seine Präsenz wird phänomenal nicht im Vor-mir-Sein des Gegebenen, sondern im Gegenüber-Sein, «dans le face à face des humains»,169 als ‹Nähe› erfahren, als die mich einnehmende, jede Objektivierung übersteigende ethische Beziehung zum Nächsten.170 Ich begegne dem Anderen, der mich anblickt, nicht originär in der betrachtenden Wahrnehmung – in der ursprünglichen Begegnung mit dem Anderen bemerke ich nicht die Farbe seiner 124 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Augen171 –, sondern im persönlichen Berührt- und Betroffensein, das mich nicht als erkennendes, sondern als fühlendes und handelndes Subjekt involviert. Indessen ist diese Begegnung nicht allein praktisch relevant, sondern auch Ursprung von Sinn und Sprachlichkeit. Die erfahrene Beziehung zum Anderen ist, so die Formulierung von Julien Caron-Lanteigne, die Quelle allen Sinns, das ursprüngliche Ereignis, von dem her unser Sein in der Welt bedeutsam und verstehend wird. Eben das Antlitz ist nach Levinas das Woher dieser Sinngenese, ohne dass es selbst im eigentlichen Sinne erkannt, kognitiv erfasst würde.172 Es erscheint mir, teilt sich mir mit, wird zur Quelle von Sinn und Sprache: «Die Epiphanie des Antlitzes ist voll und ganz Sprache».173 Im Aufscheinen des Gesichts ereignet sich ein grundlegendes Bedeuten und ursprüngliches Sprechen, welches das Sinnhaftwerden der Welt trägt und ermöglicht. Es ist der konkrete Ort jenes ‹Sagens› jenseits des ‹Gesagten›, das den Grund und Angelpunkt von Sinn und Verstehen ausmacht. Zum Angelpunkt von Sinn und Sprache aber wird die Beziehung zum Anderen insofern, als sie eine irreduzibel ethische ist. Die Dimension des zwischenmenschlichen Bezugs, die im Herzen der Sprache aufbricht, ist mehr als eine strukturelle Vorbedingung des Logos. Sie ist ein Grund der sinnstiftenden Macht der Sprache, und sie hat ihren eigenen Ursprung und originären Ausdruck im Ethischen. Der ursprüngliche Sinn, mit dem wir als verstehende Wesen zu tun haben, ist derjenige, der sich uns im Antlitz des Anderen offenbart und uns zur Güte und Verantwortung dem Anderen gegenüber anhält; er ist Angelpunkt der Levinas’schen Hermeneutik, die von sich aus ihre Vertiefung in die Ethik als Erste Philosophie vollzieht.174 Es ist eine Hermeneutik, die in diametralem Gegensatz zu einer Hermeneutik des Verdachts, welche dem Anderen mit Misstrauen und kritischem Vorbehalt begegnet, in einer Haltung der Offenheit auf die Stimme des Anderen hört. 125 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Levinas leuchtet das ethische Band des Verstehens in seiner Dialogik dahingehend aus, dass er im Ansprechen und Angesprochenwerden den darin artikulierten Anspruch hervortreten lässt. Im Anspruch kommt ein Appell, ein In-Anspruchund In-die-Pflicht-Nehmen, eine fundamentale Forderung und Aufforderung zum Tragen. Zwar ist dies nicht die einzige Form, in welcher das Ansprechen und Angesprochenwerden einen Nukleus der humanen Existenz bildet. Ebenso grundlegend kann die Vorgängigkeit des Anderen in Gestalt der Gabe sein, die ich von ihm empfange, als Mitteilung, die er an mich richtet, oder als Offenbarung, in der er sich mir öffnet. In solchen Akten scheint das Zuvorkommen des Anderen für den Sinnursprung sogar unmittelbarer relevant, da sie in direkterer Weise in den Prozess von Sinnbildung und Verstehen eingehen. In gewisser Weise können sie auch für die Konstitution des menschlichen, sozialen Lebens als das Fundamentalere, Unverzichtbarere gelten. Ohne den gewährten Vorschuss, ohne die ungedeckte Vorleistung und den solidarischen Beistand, wie sie Akten des Vertrauens und des Glaubens innewohnen, scheint keine wechselseitige Verbindlichkeit zustande zu kommen, keine menschliche Welt als geteilte Sinnwelt geschaffen zu werden. Nach anderer Hinsicht allerdings erscheint die Vorgängigkeit des Angerufen- und Verpflichtetseins als das Basalere im humanen Leben, sofern es mit der für die Sozialität unentbehrlichen Normativität und Unterbindung des Destruktiv-Aggressiven verflochten ist. Levinas bringt sie in pointierter Form im Urverbot des Tötens – tu ne tueras point – zur Sprache, das uns mit der Erscheinung des Antlitzes gleichursprünglich gegeben ist.175 Es ist die Urform der ethischen Verpflichtung, die von außen, als fremdes Gebot über uns kommt – nicht aus innerer Überzeugung oder rationaler Überlegung und Kalkül in uns entsteht – und der gegenüber ich mich, wie in der
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Offenbarung des fremden Antlitzes, in einer radikalen, vorbehaltlosen Passivität befinde.176 Dass diese Art der Vorgängigkeit des Anderen und Verpflichtung des Selbst nicht nur für das soziale Leben basal, sondern auch hermeneutisch relevant, für das Spiel von Sprache und Sinn konstitutiv ist, zeigt sich, wenn wir den asymmetrischen Appell in das wechselseitige Spiel von Anspruch und Antwort überführen. Das Angesprochenwerden konkretisiert sich in einem Anspruch, einem Ruf des Anderen, dem gegenüber ich nicht gleichgültig sein kann, sondern entsprechen, antworten muss. Dem Fremden, dem Verletzten, dem in Not befindlichen Mitmenschen gegenüber, der auf meine Hilfe angewiesen ist, habe ich zu antworten, Verantwortung zu übernehmen. Darin liegt eine ebenso unabweisbare Erfahrung wie in der Erscheinung des Antlitzes, im Angesprochenwerden durch den Fremden. Ich muss antworten – «es ist schwierig zu schweigen», wenn ich jemandem gegenüber stehe –, die Verantwortlichkeit für den Anderen fällt mir zu (m’incombe), wie ich einem schutzlosen Kind ungefragt beistehen muss.177 Es ist nicht ein abstraktes Gebot, ein anonymer Zwang, der über mich kommt. Es ist die Herausforderung durch einen Menschen, der sich an mich wendet, durch den Nächsten, der mich anruft, mich in die Pflicht nimmt. Wenn Levinas dieses Involviertsein einerseits in seiner lebensweltlichen Drastik und ethischen Dringlichkeit vor Augen stellt – als Begegnung mit dem Anderen in seiner Nacktheit und Schutzlosigkeit, seiner Verwundbarkeit und Sterblichkeit, die mich nötigt, ihn nicht seiner Einsamkeit zu überlassen178 –, so bringt er andererseits die ‹Nähe› des Anderen in eins mit der Verantwortung und der Sprache zum Tragen, wobei er zugleich das überwältigendobsessive Moment in diesem Beansprucht- und Involviertsein in der Sprache unterstreicht: Sprache erscheint wie die «Besessenheit eines Ich, das von den Anderen ‹belagert› wird»; 127 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
«Verantwortung als Besessenheit ist Nähe: wie eine Verwandtschaft ist sie eine Beziehung, die jeder gewählten Beziehung vorausgeht. Die Sprache ist Brüderlichkeit und insofern Verantwortung für den Anderen».179 Das Pathos der Sprache erschöpft sich hier nicht in der Macht des Offenbarens und Mitteilens, sondern kommt aus der innersten Verquickung mit der zwischenmenschlichen Beziehung, der Verantwortung vor dem Anspruch des Anderen. Verantworten, Verantwortung übernehmen ist ein Antworten. Die etymologisch und fachsprachlich greifbare Verwandtschaft steht für einen Zusammenhang in der Sache. Antworten aber ist ein Kern des Hermeneutischen. Nicht nur das ursprüngliche, erste Sprechen und Ansprechen, sondern auch das zweite, antwortende Sprechen bildet ein Herzstück des Sinnprozesses. Dabei geht das Antworten in zweifacher Weise, nach einem zweifachen Modell in die Konstitution des Sinnhaften ein; einem Vorschlag von Bernhard Waldenfels folgend können wir im Antworten die sprachliche Beantwortung einer Frage (answer) und das Eingehen auf einen Frageanspruch als Aufforderung (response, reply) auseinanderhalten.180 Die erste Figur bildet gemäß dem angeführten Diktum Gadamers, dass wir einen Text dann verstehen, wenn wir die Frage verstehen, auf die der Text eine Antwort ist, geradezu eine Chiffre der Hermeneutik.181 Fragen und Antworten ist eine Urform, in der sich das Spiel des zwischenmenschlichen Sprechens vollzieht, und sie ist in originärer Weise mit der Eröffnung des Sprachraums, dem Hellwerden der Welt im Licht der Worte und Sätze verbunden. Sie steht für einen Ursprung, von dem her die Sprache ihre originäre Kraft erweist, in das Leben einzudringen und uns die Dinge und Ereignisse verstehen zu lassen. Wer hinter einem Satz nicht den offenen Horizont, die Frage erkennt, die ihm seinen Impuls gibt, läuft Gefahr, der schematischen Oberfläche des Gesagten verhaftet zu bleiben. 128 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Fragen heißt auch in Frage stellen, befragen, erforschen – all dies, was der Aussage ihr Profil und ihre Bedeutung verleiht. Indessen ist auch die andere Figur des Antwortens, das Reagieren auf einen Anspruch und Eingehen auf eine Forderung, im Horizont des Hermeneutischen von Belang. Zwar müssen diese Weisen des Entsprechens nicht wie das Beantworten einer Frage im Medium der Sprache erfolgen. Wir können in Gesten und stummer Kommunikation, im tätigen Verhalten und körperlichen Ausdruck einem Befehl gehorchen oder einen Appell entgegennehmen, eine Einladung empfangen oder uns einer Herausforderung stellen, einer Erwartung, einer Aggression oder einer Liebesbezeugung entsprechen. Das Ineinander von Ansprechen und Entsprechen ist im Bereich des leiblichpraktischen Verhaltens ebenso feingliedrig und vielgestaltig wie im Netz der sprachlichen Interaktion. Bedeutsam aber ist, dass auch dieses Verhalten im Sprachlichen eine leitende Perspektive und einen idealen Fluchtpunkt hat. Dies ist deshalb der Fall, weil das Ansprechen und Antworten auch als praktisch-interaktives sich wesentlich im Medium des Sinns vollzieht. Einer Aufforderung verhaltensmäßig entsprechen heißt, auf einen verstehbaren Appell mit einer passenden, sinnvollen Antwort reagieren. Dem Anspruch entsprechen heißt generell eine Sinnvorgabe verstehend aufnehmen und in sinnhafter Weise weiterführen, sie bekräftigen und erneuernd tradieren oder sie korrigieren und kritisch auflösen. Es ist die Logik des Sicheinfügens in ein Sinngeschehen, wie sie den geschichtlichen Prozess der kulturellen Überlieferung und Transformation charakterisiert und in hervorgehobenen Akten der künstlerischen oder politischen Innovation zutage tritt. Auch hier findet ein Aufnehmen und Antworten statt, das in seinem ethischen Gehalt, als Rechenschaftablegen und Übernehmen von Verantwortung reflektierbar ist. Selbst die dekonstruktive Lektüre, die eine überkommene Sinngestalt auflöst, will der verhandelten Sache ge129 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
recht werden, die verschlüsselte Botschaft aufhellen; auch Derridas Werk, so Simon Critchley, ist in hohem Maße der ethischen Haltung «of response and responsibility in reading» verpflichtet.182 In anderer, vielfach diversifizierter Form durchzieht das responsive Wechselspiel das Alltagsgeschehen und -handeln. Als Glied einer Gemeinschaft, Teil einer Generationenkette agiert das Individuum und führt es sein Leben von Anfang an im Modus des Aufnehmens und Reagierens, des Hörens und Entgegnens. Dieses ‹responsive› Verhalten indes ist nicht auf das interpersonale Wechselspiel beschränkt. Es geht nicht nur um das Antworten auf das Angesprochensein durch Personen, nicht nur um die Vorgängigkeit des individuellen oder sozialen Anderen. Es geht ebenso um das Bezugnehmen auf Situationen, in denen wir leben, um das richtige Handeln in einer geschichtlichen Lage, um das Empfänglichsein für die Stimmung einer Landschaft, für den Gesang der Vögel, das Leiden der Kreatur. In profilierter Weise hat die Phänomenologie diese Korrelation im rezeptiv-expressiven Gestus der Kunst freigelegt, etwa in der Malerei, die nach Merleau-Ponty die stumme Sprache der Natur zum Ausdruck bringt, oder in der Dichtung, die demjenigen Sprache verleiht, was im stummen Erleben nach dem Wort verlangt. Bemerkenswert ist, wie sehr in solchen Korrespondenzverhältnissen die Sprache als leitende Metapher fungiert, wenn vom Buch der Welt, von der Sprache der Dinge oder der Signatur eines Wohnquartiers die Rede ist und die hermeneutische Erschließung in Termini des Entzifferns, der Lektüre oder der Übersetzung expliziert wird. Im Ganzen geht es in solchen Phänomenen um ein Hören und Zur-Sprache-Bringen des Logos, der in einer Sache verschlossen, in einem Geschehen unterwegs ist. Aufseiten des sprechenden Lebewesens Mensch ist bedeutsam, dass sich sein Hören und Sichäußern in ein größeres Sinn- und Sprachge130 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
schehen einfügt. Wohl hat sich die Sprache im Vorausgehenden als eminente Auszeichnung und herausragendes Vermögen des Menschen gezeigt. Doch ebenso erweist sich, dass der Mensch in der Ausübung dieses Vermögens nicht eigenmächtig ist. Er ist auf etwas angewiesen, durch etwas in Gang gesetzt, von etwas getragen, das ihm vorausgeht. Wir haben diese Vorgängigkeit in der manifesten Angewiesenheit des Spracherwerbs auf fremde Initiative, Leitung und Unterstützung aufgezeigt. Allgemeiner und grundsätzlicher, vielleicht aber auch unmerklicher stützt sich das aktuale Sprechen als solches auf Anderes ab. Um diese Fundierung, das Woher der Rede des Menschen in der ihm zuvorkommenden, ihm entgegenkommenden Sprache des Anderen zu erkunden, ist der Blick über den Nächsten und die Sozialität hinaus zu erweitern. Die Sprache des Anderen ist nicht allein die des anderen Menschen. Wenn das Wunder der Sprache den Menschen als Offenbarung eines Eigensten berührt, so ist es zugleich zweifach kontextualisiert: Die Sprache, die ich spreche und in der ich die Welt erkenne und anderen sage, ist nicht nur meine Sprache, und sie ist nicht nur die Sprache des Menschen.
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Das Wort des Seins und die Rede des Menschen
1. Das Wahrsein des Wirklichen a) Wirklichsein als Manifestation – der entgegenkommende Sinn
Die Sprache des Menschen hat ihren Grund im Logos des Seins. Dass unser Erkennen und Sagen nicht nur aus uns kommt, sondern in dem gründet, was wir zur Sprache bringen, ist eine alte, tiefe Überzeugung unserer Denktradition. Sie ist uns im emblematischen Leitsatz der Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer begegnet: «Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache».183 Demjenigen, was wir zur Sprache bringen, selbst Sprache zuzuschreiben, ist die radikalste Ausweitung und Fundamentalisierung der Sprache. Sie stellt fest, dass das Wirkliche selbst spricht, dass es etwas sagt, dass es uns etwas sagt. Die eigentümliche These lässt sich nach zwei Hinsichten erörtern. Zum einen ist zu verdeutlichen, was die Rede von einer Sprache des Wirklichen beinhaltet, was ihr zugrunde liegt, inwiefern sie unserem Verständnis des Wirklichen entspricht. Zum anderen ist zu fragen, wie sich das Konzept einer Sprache des Wirklichen zu unserem normalen Begriff von Sprache als menschlicher Sprache verhält – nicht nur, worin beide Sprachkonzepte sich unterscheiden, sondern in welcher Weise die beiden Sprachen selbst untereinander verbunden sind, miteinander korre133 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
spondieren. Schematische Kurzantworten auf die zwei Fragen lauten: Dass dem Sein selbst eine Sprache zukommt, ist der pointierte Ausdruck dafür, dass es an ihm selbst erkennbar ist und sich in seinem Sinn zu erkennen gibt; gleichzeitig ist der Logos des Seins Ermöglichungsgrund der menschlichen Rede, auf die er zugleich angewiesen ist, die ihm entspricht und antwortet. Beide Aspekte gilt es im Folgenden näher auszuführen. Allererste Voraussetzung der Vorstellung von einer Sprache des Seins ist die Annahme, dass das Wirkliche erkennbar ist. Diese für unser Normalverständnis unproblematische Annahme steht in Wahrheit für eine nicht selbstverständliche These und grundsätzliche Option. In ihr artikuliert sich eine der ersten Weichenstellungen der metaphysischen Tradition, die darin besteht, das Seiende mit dem Denken, der Erkenntnis und der Sprache engzuführen. Genauer geht es darum, das wahrhaft Seiende, das unserem Verstehen zugänglich ist, vom dunkel-verworrenen Urgrund abzuheben, der unserem Blick verschlossen bleibt und sich unserer Rede entzieht. Die Sagbarkeit und Erkennbarkeit des Seins ist die grundlegendste Prämisse des theoretischen und praktischen Wirklichkeitsverhältnisses. Sie steht im Gegensatz zu vielfältigen Bildern des Undurchdringlichen und Unsagbaren, zu Vorstellungen des Dunkels, des Formlos-Ungestalten und Unfassbar-Unendlichen, wie sie in mythischen Erzählungen als ursprüngliches Chaos, Herkunft und Gegenwelt des geordneten Kosmos beschrieben werden. Idealtypisch ist der Kontrast in Hesiods Theogonie ausgeführt. Der Mythos macht deutlich, dass es sich nicht nur um einen strukturell-begrifflichen Gegensatz, sondern einen lebensweltlich-affektiven, wertenden Antagonismus handelt. Das Formlos-Diffuse entzieht sich nicht nur dem Begriff, sondern wird als ein abgründig Bedrohliches, Unheimliches erfahren, als etwas, wovor wir zurückschrecken, gegen das wir 134 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
uns zur Wehr setzen. Der Mensch bedarf des Halts an der klaren Gestalt und festen Ordnung, um Sicherheit zu gewinnen, um sich zu orientieren und die Welt zu erforschen.184 Diese Uropposition, die Urtrennung der Mächte von Konstitution und Auflösung einschließlich der dezidierten Stellungnahme für das Feste und Bestimmte, zeichnet sich in die Gründungsgeschichte des metaphysischen Denkens ein. Den innersten Kern des Lehrgedichts von Parmenides bildet die Trennung der Wege des Erkennens und Nicht-Erkennens, die mit der Scheidung zwischen dem Seienden und Nicht-Seienden einhergeht und in die für die metaphysische Tradition grundlegende Überzeugung mündet: Erkennbar und sagbar ist das Seiende, das Nicht-Seiende lässt sich weder wissen noch aussprechen. Unverkennbar ist das Rudimentäre dieser archaischen Trennung mit Problemen verbunden, etwa der Schwierigkeit, negative Aussagen und Erkenntnisse von NichtSeiendem – das Wissen oder die Behauptung, dass etwas nicht der Fall ist – begrifflich zu fassen. Unabhängig davon sind die deskriptiven und wertenden Konnotationen aufschlussreich, mit denen die ersten Denker das wahrhaft Seiende versehen. Für Parmenides ist es erfüllt (ohne Lücke und Leere), abgeschlossen und vollendet (ohne Mangel und Ausstehendes), dauerhaft gegenwärtig ohne Anfang und Ende, in vollkommender Gestalt (wie eine wohlgerundete Kugel), unteilbar, in sich eins und mit sich identisch. Es sind vielfältige seinsmäßige Auszeichnungen, die das Seiende definieren, dessen Konvergenz mit dem Denken und Sprechen Parmenides als Erster festhält. Es sind diese Auszeichnungen, die ausmachen, dass man von etwas im starken Sinne sagen kann, dass es ist, und es ist diese emphatische Seinsqualität, welche die Grundlage dafür bildet, dass es erkennbar und aussagbar ist – während es vollkommen ausgeschlossen ist, «dass du das Nichtseiende erkennst oder aussprichst».185 135 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Wenn auch nicht mit den gleichen Umschreibungen, die bei Parmenides noch den farbigen Reichtum der mythischen Erzählung durchscheinen lassen, so doch mit analoger Stoßrichtung und in gleicher Entschiedenheit wird bei Platon und Aristoteles die Seinsfokussierung in ihrer erkenntnis- und sprachbegründenden Funktion herausgestellt. Es ist die Zentrierung auf das Wesen, die Substanz, die für die Gründerväter der Philosophie dem Denken seine Stabilität und seinen Gehalt verleiht. Noch abstrakter, formaler setzt Aristoteles den Akzent auf die Bestimmtheit, auf die bestimmte Identifikation als Bedingung des Erkennens und Sprechens.186 Sprechen, sich unterreden heißt immer etwas sagen, etwas Bestimmtes sagen; wer nichts Bestimmtes sagt, spricht nicht, nimmt nicht an der für das menschliche Dasein konstitutiven Rede und Unterredung teil. Dass diese Festlegung keine Trivialität und keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt sich, wenn wir sie mit anderen Denk- und Sprachformen kontrastieren, die nicht die teleologische Gerichtetheit auf das Bestimmte und auf die Behauptung teilen.187 Ersichtlich ist die mit ihr vorgenommene Weichenstellung im Hauptstrang der Tradition grundlegend für die Idee des Erkennens und zugleich mit lebensweltlichen Konnotationen des Strebens nach Eindeutigkeit und Orientierung verschränkt. Das im Eingangssatz der Metaphysik genannte Verlangen nach Erkenntnis verbindet sich im IV. Buch mit der Festlegung auf die Bedingungen der klaren, identifizierenden Rede. Ihr entspricht auf der Gegenseite die Klarheit, Helligkeit des Wirklichen selbst. In ihr liegt die Erkennbarkeit des Seienden, die Zugänglichkeit für die Sicht. ‹Es werde Licht› steht für den Uranfang der Schöpfung, das Urereignis der konkreten Weltentstehung, die im biblischen Bericht über ähnliche Gegensätze wie im Mythos verläuft (Durchdringung des ursprünglichen tohuwabohu, Trennung von Dunkel und Licht, von 136 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Himmel und Erde, Wasser und Land etc.) und zur gegliederten Ordnung der Geschöpfe führt, die am Ende in der Erschaffung des Menschen und der Benennung der Geschöpfe durch Adam kulminiert. In signifikanter Weise verschränken sich im Mündungspunkt der Schöpfungsgeschichte das Hervorgehen der Welt mit ihrem Zur-Sprache-Kommen. Schon im Horizont des Mythos wird die eminente Macht der Namengebung fassbar; Hans Blumenberg hat das «Einbrechen des Namens in das Chaos des Unbenannten» als erste Schwelle in der Selbstbehauptung des Menschen gegen den «Absolutismus der Wirklichkeit» nachgezeichnet.188 Die Götter benennen zu können – an sie appellieren, sie auseinanderhalten, gegeneinander anrufen zu können – ist ein basaler Schritt, um ihre magische Kraft zu brechen und ihrer diffusen Übermacht zu widerstehen. Die Macht der Namengebung ist ein Kern jener umfassenderen Macht der Sprache, die uns das Gegebene erkennbar und durchdringbar, in gegebenen Fällen verfügbar und gestaltbar macht. Helligkeit und Sprachlichkeit, Licht und Name sind die Urphänomene, die dem Menschen ermöglichen, in der Welt heimisch zu werden. Es gehört zur Grundintuition des frühen philosophischen Denkens, diese Zugänglichkeit des Wirklichen für den Menschen am Seienden als solchem, genauer an der Seinsqualität des Wirklichen festzumachen. Die mittelalterliche These von der Konvertibilität der Transzendentalien hält im Grundsatz ens et verum convertuntur fest, dass etwas in dem Maße, wie es seiend ist, auch wahrheitsfähig, d. h. erkennbar und sagbar ist. Es ist eine für das moderne Denken nicht selbstverständliche Sichtweise, welche die Grade der Helligkeit und Verstehbarkeit nicht an der Rationalität oder Einfachheit bestimmter Relationen, sondern am ontologischen Rang des Gegenstandes festmacht. Danach ist die reine Form erkennbarer als der materielle Gegenstand, das vollendete Kunstwerk sichtbarer als das ver137 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
worrene Gebilde, das höchste Seiende das vorrangig Erkennbare und Sagbare (und nicht etwa, wie in der neuplatonischen Tradition, ein Unerkennbar-Unaussprechliches). In aufschlussreicher Weise illustriert Gadamer die Verstehbarkeit der Rede und Sinnhaftigkeit des Weltbezugs anhand der platonischen Lichtmetaphysik, deren Angelpunkt das Strahlen des Schönen ist. «Es ist die Auszeichnung des Schönen gegenüber dem Guten, dass es sich von sich selbst her darstellt, sich in seinem Sein unmittelbar einleuchtend macht […] Schönheit hat die Seinsweise des Lichtes».189 Jenes Licht aber, fügt Gadamer an, das alles «in sich selbst einleuchtend und in sich verständlich» werden lässt, «ist das Licht des Wortes».190 Das in sich Helle, nicht nur durch Anderes Klare, ist das selbst Leuchtende und Sich-Zeigende. Die originäre Seinsweise, die dem Erkennen entgegenkommt, die es ermöglicht und zugleich herausfordert, ist die Selbstmanifestation. Das wahrhaft Seiende ist das aktual sich Verwirklichende und darin sich selbst Offenbarende. Sein heißt aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit hinaustreten, sich äußern und sich mitteilen; «das Wesen des Seins ist das Sichdarstellen».191 Darin ist das Sein nicht nur Voraussetzung, sondern tragender Grund und Initialkraft des Erkennens. Es ist nicht nur ein Verstehbares, sondern ein Sich-zu-verstehenGebendes. Zuletzt trifft das Verstehen nicht nur auf einen in sich transparenten und intelligiblen, sondern einen sich darbietenden, sich mitteilenden Gegenstand. Verstehen vollzieht sich dann nicht nur in der sinnhaft strukturierenden Auffassung eines Gegebenen, sondern im Aufnehmen eines entgegenkommenden Sinns. Es ist wie das Hören einer Botschaft, das Vernehmen einer an mich gerichteten Sprache. Paul Ricœur macht diese Figur im Kern des Symbolverstehens aus, im Vertrauen, dass deren Sprache «weniger durch die Menschen als zu den Menschen gesprochen ist», wie denn auch die 138 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
innerste Triebfeder der Hermeneutik in der «Umkehrung der intentionalen Ausrichtung in die Verkündigung», in der Offenheit für die Botschaft liegt.192 Verstehen heißt nicht nur ein Gegebenes sinnhaft strukturieren, sondern das Wort verstehen, das mir gegeben, das an mich gerichtet ist. Verstehen kommuniziert mit der Selbstmanifestation des Anderen.
b) Das Urereignis der Sinngenese
Die spekulative Sprachmetaphysik begnügt sich nicht mit der Feststellung der Korrespondenz zwischen dem Logos des Seins und der Sprache der Menschen. Sie begnügt sich nicht mit der Setzung einer ursprünglichen Erkennbarkeit und Sagbarkeit des Wirklichen. Sie will, zumindest als Frage, den Ursprung der Intelligibilität, den ersten Anfang des Sinns mit bedenken. Wolfram Hogrebe ist dieser Fragerichtung anhand der Philosophie der Weltalter von F. W. J. Schelling nachgegangen.193 Virulent ist darin die Frage, die Schelling in der Grundlegung der positiven Philosophie auf den Ursprung des Sinns hin zuspitzt: «Warum ist Sinn überhaupt, warum ist nicht Unsinn statt Sinn?», beziehungsweise mit der vernünftigen Erkennbarkeit des Wirklichen korreliert: «Die ganze Welt liegt gleichsam in der Vernunft gefangen, aber die Frage ist: Wie ist sie in dieses Netz gekommen?».194 Schellings Weltalter entfalten, so Hogrebes Formulierung, eine «spekulative Kosmologie», in welcher die in den Weltentstehungsmythen skizzierte Ursprungstheorie zugleich als eine Genealogie des Sinns und der Erkennbarkeit der Welt durchgeführt wird. Sie artikuliert darin den teleologischen Impuls der Seinswerdung, in der sich das Hell- und Lichtwerden mit der immanenten Sprachlichkeit, der Sagbarkeit des Wirklichen verschränkt. Hogrebe verweist auf Schellings Idee einer «Sehnsucht der Natur, aussprechlich zu wer139 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
den»,195 wobei der Zugang zu Erkenntnis und Sprache nicht allein, wie im mythischen Anfang, in der Macht des Namens und der Benennung gründet, sondern als Genese der propositionalen Struktur konzipiert ist, die dem prädikativen Satz als Organ von Sinn und Erkenntnis zugrunde liegt. Die Weltentstehung vollzieht als Erstes den Übergang vom blind-amorphen, bloßen Sein zum strukturierten, propositionsfähigen und seiner selbst innewerdenden Sein, in welchem eine bestimmte Identifizierung und Erkenntnis möglich werden. Das Urereignis liegt im Hervorbrechen der prädikativen Struktur im ungestalten, unsagbaren Einen. In bedeutsamer Weise verbinden sich das Herausgehen aus dem uneinholbaren Urgrund, der Schritt von der Potenz zur aktualen Wirklichkeit mit der inneren Differenzierung und Selbstartikulation. Die Überwindung des Chaos vollendet sich in der Manifestation und reflexiven Selbsterfassung der Welt. Interessant ist die hier nur angedeutete Ursprungsgeschichte im Blick auf die Leitidee des Zur-Sprache-Kommens. Was bisher mit Bezug auf das zur Sprache kommende Individuum Thema war und indirekt das Zur-Sprache-Bringen der Welt durch den Menschen betraf, kommt hier als fundamentalphilosophisches Geschehen, als Genesis der Sprachlichkeit im Wirklichen selbst in den Blick. Schellings spekulative Genealogie sieht in der Tatsache, dass wir die Welt erkennen können, nicht eine «Eigenschaft unseres Könnens, sondern der Welt», in deren Horizont die menschlichen Erkenntnisse «bloß Dokument einer sich selbst erkennenden Natur» sind.196 Wenn der Anfang des Sprechens hier hinter die subjektive Vernunft und das menschliche Sprechvermögen zurückverlegt wird, so nicht im Sinne einer Fundierung im animalischen Empfinden, im sympathetischen Vernehmen und tierischen Sprechen. Es gilt, den Grund des Sprechens tiefer zu legen, in demjenigen, was im Wort des Menschen zur Sprache kommt. Es ist der Logos des 140 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Seins selbst, der den ermöglichenden Grund und tätigen Ursprung der menschlichen Rede bildet. Er wird von der philosophischen Reflexion auf verschiedener Ebene, in verschiedenen Instanzen freigelegt: im Werk, in den Dingen, in der Natur, im Sein.197
c) Die Sprache der Dinge, der Natur, des Seins
Dass das menschliche Sagen und Hervorbringen von Sinn kein schlechthin Erstes ist, sondern sich auf die Vorgabe von Anderem, auf entgegenkommenden Sinn abstützt, hat sich mehrfach gezeigt. Am unmittelbarsten greifbar ist es im Zwischenmenschlichen, im Zuvorkommen der Rede des Anderen. Doch ebenso grundlegend, ja tiefer ist die Fundierung in der Sache selbst, in demjenigen, was im Logos des Menschen zur Sprache kommt. Manifest ist dies im kulturellen Sinngeschehen, im Kreislauf von rezipierender Erschließung, Tradierung und Neuschaffung von Sinn. Die großen Symbole der Menschheit enthalten nach Ricœur einen Sinnüberschuss, der im kulturellen Verständigungsprozess vernommen und interpretierend gestaltet wird. Für das Individuum, den Hörer und Leser, die Künstlerin und Interpretin kann das einzelne Werk zum Fokus der Arbeit am Sinn werden, der rezeptiv-vernehmenden wie kreativ-hervorbringenden Auseinandersetzung mit einem Sinn, der nicht aus dem Nichts entspringt, sondern je schon in einem Sinngeschehen verkörpert ist, an welchem der Einzelne als Betroffener, Interpret und Akteur gleichermaßen teilhat. Er ist umgeben von Sinn, seine Welt ist erfüllt von Bedeutungen, die sein Leben durchdringen, strukturieren und in Anspruch nehmen. Als Sprechender bewegt er sich im Medium des vielfältig diversifizierten, in Dingen und Geschichten kristallisierten Sinns, in einer sich öffnenden und zu ihm sprechenden Welt. 141 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Im Weitesten wird diese Verortung des Bedeutens als Sprache der Dinge198 und Bewandtniszusammenhang199 der Welt reflektiert, in welchem der Mensch sich bewegt und mit dem er im Ganzen seines Erlebens und Agierens zu tun hat. Dass den Dingen selbst eine Sprache zugesprochen wird, ist mehr als eine leere Metapher. Es ist Ausdruck dessen, dass sie für den Menschen etwas darstellen, ihm etwas ermöglichen, ihn zu etwas herausfordern. In einer spezifischen Form wird dieses Entgegenkommen des Sinns in Gestalten und Ausdrucksformen der Natur erfahren. Es ist gewissermaßen die Spitze einer allgemeinen teleologischen Gerichtetheit, die in der Naturphilosophie seit der Antike mit den Ideen des Lebendigen und des Naturwesens verbunden ist. Die Teleologie, die hier im Spiel ist, geht nicht in der inneren Zweckmäßigkeit bestimmter Funktionen im Gegensatz zu äußerlich-mechanischen Korrelationen auf, sondern ergreift das Sein des Lebendigen vom Grunde her und im Ganzen. Martin Heidegger hat das Heraklit-Fragment «Die Natur liebt es, sich zu verbergen»200 so gelesen, dass es die Tendenz der Verbergung einem zuspricht, dessen primärer Wesenszug in der Offenbarung besteht, und er hat darin einen allgemeinen Zug der ursprünglichen Seinsanschauung festgemacht, die das Seiende als ein Aufgehendes und Sich-Zeigendes fasst.201 Klassische Metaphysik hat das von Natur Seiende als ein aus sich Kommendes und in seiner Entfaltung auf sich Gerichtetes konzipiert und es zugleich als Paradigma des substantiell Seienden, des durch sein Eidos, seine Wesensform Bestimmten gefasst. Mit besonderem Bezug auf das menschliche Leben hat Wilhelm Dilthey die Verflechtung von Leben, Ausdruck und Verstehen als Mitte herausgearbeitet. Leben verwirklicht sich, indem es aus sich herausgeht, sich äußere Gestalt gibt und über seine Objektivation für anderes und sich selbst verstehbar wird. Das Leben ist ein von sich aus sich 142 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Offenbarendes, sich Mitteilendes, Sinnkonstituierendes. Von da aus kann das physei on, das naturhaft Seiende, zum Vorbild seines Gegenparts, der künstlerischen Hervorbringung, werden, die idealiter in derselben Weise, nach derselben Prozessform produziert. Darauf zielt das berühmte aristotelische Diktum, dass die Kunst die Natur nachahme,202 das nicht auf die natura naturata, sondern die natura naturans blickt, nicht die Abbildung des Naturprodukts, sondern das zweckgerichtete Hervorbringen nach dem Vorbild der Natur meint. Zugleich kann die Kunst an die Selbstoffenbarung seines Gegenübers, an die Sprache der Natur anschließen, sich gleichsam in sie einfügen und in ihren Ausdruck eingehen, ihr zur Artikulation verhelfen. Mit Nachdruck hat die phänomenologische Kunstphilosophie, exemplarisch Merleau-Ponty, dieses Ineinander nachgezeichnet. Bevor wir ihm näher nachgehen, ist der Logos der Sache, welcher der menschlichen Rede vorausgeht, weiter zu explorieren, fundamentaler zu fassen. Zwei Figuren kommen in den Blick: die Lesbarkeit der Welt und die Sprache des Seins. Unter dem ersteren Titel hat Hans Blumenberg in einer facettenreichen Spurensuche Konstellationen des ‹objektiven› Sinns nachgezeichnet, die dem menschlichen Sprechen vorausliegen und ihm entgegenkommen.203 Die im Vorigen genannte Sprache des von Natur Seienden, die unter der traditionellen Chiffre eines ‹Buchs der Natur› mit in den Blick kommt, fungiert darin als eine unter mehreren, verschiedenartigen Spezifizierungen des Topos. Es sind Instanzen der natürlichen und kulturellen, individuellen und sozialen Ausprägung des Sinns, deren Verstehbarkeit im Ganzen nach einem sprachlichtextuellen Modell als ‹Lesbarkeit› expliziert wird. Sie reichen vom kosmischen Weltbuch über die astronomische Zeichensprache, die literarische Bücherwelt und die psychoanalytische Traumdeutung bis zur Entzifferung des genetischen Codes. Die umfassende Metapher der Lektüre steht nach Blumenberg 143 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
zugleich für das innere Motiv, das diese Weisen der Welterkundung und Weltbeschreibung leitet und sie von den Methoden der Vermessung, Berechnung und nomologischen Erklärung abhebt. Sie steht für das Sinnverlangen beziehungsweise den Wunsch, dass diese Wirklichkeitsbereiche uns vertraut werden wie die menschlichen Verhältnisse, dass sie uns in ihrer Bedeutung erschließbar seien und zu uns sprechen. Die Leitidee der Lektüre ist Ausdruck einer grundlegend hermeneutischen Einstellung, die auf die sinnhafte Verstehbarkeit der Welt und des Lebens zielt. Die vielfältigen Phänomenbereiche, die unsere Welterfahrung ausmachen, werden in je eigenen Weisen nach dem Vorbild von Sprache und Schrift expliziert und in den Sinnhorizont unseres Lebens integriert. In einem noch weiteren, fundamentaleren Ausgriff wird diese Zugangsweise in der Chiffre einer Sprache des Seins als solchen gegenwärtig. Die Formel scheint explikations- beziehungsweise spezifikationsbedürftig, da sie in ihrer ontologischen Weite alles Seiende, das Sinnhafte wie das Nicht-Sinnhafte umgreift. Die Frage ist, inwiefern sie sich gleichwohl mit der Idee des entgegenkommenden Sinns, der Perspektive des Verstehens und Sagens verknüpfen lässt. In generellster Bedeutung ist sie fraglos mit der eingangs genannten Konvergenz zwischen dem Seiend- und dem Verstehbarsein verwandt. In der Tat gehört die Überzeugung von der Intelligibilität des Wirklichen zu den Prämissen des ontologischen Diskurses; sich über das Seiende als Seiendes verständigen zu wollen unterstellt, dass von diesem etwas zu sagen, dass es verstehensmäßig zu explizieren sei. In einer spezifischeren Bedeutung jedoch, wie sie bei Heidegger und Gadamer ins Auge gefasst wird, meint der Topos der Sprache des Seins mehr, nicht nur das Verstehbarsein, sondern die eigene Sprache, das Selbst-Sprechen des Seins, sein Sich-Offenbaren und Zu-verstehen-Geben. Es ist die Vorgängigkeit eines Sinns des Seins, der nicht nur Vorbedingung 144 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
des subjektiven Erkennens und Sagens, sondern gewissermaßen in diesem selbst aktiv, sprachkonstituierend ist. Die Erkenntnis des Menschen zeigt sich in dieser Sicht als «ein Moment des Seins selber und nicht primär ein Verhalten des Subjekts»,204 menschliches Sprechen nicht als autarkes Sichäußern, sondern als ein Sagen, das «nur das unausgesprochene Wort des Seins zur Sprache bringt».205 Der Sinnprozess hat an einem umfassenden Geschehen teil, das Heidegger teils in ontologischen Termini, als Seinsgeschichte und Seinsgeschick, teils in Anlehnung an religiöse Vorstellungen, als Nahen oder Sichentziehen des Gottes, beschreibt. Aufschlussreich ist die fundamentalhermeneutische Sichtweise, sofern sie die Vorgängigkeit des Anderen mit der Herausforderung an das Eigene verknüpft, die Verflechtung zwischen dem entgegenkommenden Sinn und dem Hören und Sprechen des Subjekts zum Tragen bringt. Diese im Folgenden näher zu betrachtende Verflechtung ist ein tragendes Scharnier des Zur-Sprache-Kommens als solchen, ein Wesensmoment im fundamentalen Geschehen der Sprache.
2. Zwischen dem Logos des Seins und der menschlichen Rede a) Das Angewiesensein des Seins auf die Sprache des Menschen
Wie beim Angesprochenwerden durch den anderen Menschen können wir beim Logos der Welt zweierlei ins Auge fassen: den Appell und die Antwort. Die Vorgängigkeit der Sprache der Dinge hindert nicht ihr Angewiesensein auf die menschliche Rede und schließt sich mit dem Entsprechen und Antworten des Subjekts zum Kreis des Sprachphänomens zusammen. Martin Heidegger hat dieses Ineinander so ausformuliert, dass er den Sinn mit dem, was Sprache überhaupt ist und vollzieht, 145 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
zusammenführt und das Wechselspiel als eines zwischen der Sprache als solcher und der menschlichen Rede fasst. Insofern ruht das «menschliche Sprechen […] als Sprechen der Sterblichen nicht in sich», sondern im «Verhältnis zum Sprechen der Sprache».206 Es ist ein Verhältnis, das für die Menschen darin besteht, sich vom Anspruch der Sprache «angehen» zu lassen,207 auf die an ihn ergehende Sprache zu hören und ihr im eigenen Tun zu «entsprechen» («der Mensch spricht nur, indem er der Sprache entspricht»208 ), indem er sich dem entgegenkommenden Sinn öffnet und ihm zum Ausdruck verhilft. Merleau-Ponty hat dieses Entsprechen in der Macht der Malerei thematisiert, welche dem Sichtbarwerden der Phänomene beisteht, indem sie nicht ein äußeres Bewegtsein nachzeichnet, sondern dem inneren Aufbrechen und Sich-Öffnen des Seins beiwohnt und das Sich-Zeigende sichtbar werden lässt, die «Dinge in ein Schauspiel verwandelt».209 Dieser Vollzug ist in seiner Grundlinie dem vergleichbar, was Heidegger als generelle Aufgabe der phänomenologischen Beschreibung bestimmt hatte – «das, was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selber her sehen lassen»210 –, und er verkörpert exemplarisch, was sich in der Sinngenese des ZurSprache-Bringens ereignet. Was im Wirklichen sinnhaft, sprachfähig ist, bedarf des menschlichen Worts, um in seiner Verstehbarkeit real und gegenwärtig zu werden; die Botschaft, die im Seienden gegeben ist, braucht «uns als Botengänger».211 Der in der Natur verborgene Sinn, der verschollene Gesang der Orpheus, die verlorene Spur des Gottes – all dies kann nur im Hören und Sagen des Dichters erweckt, im Hervorbringen des Künstlers ans Licht gebracht werden. Das Verlangen nach dem Ausdruck geht dem individuellen Äußerungsbedürfnis voraus. Dass der Logos des Seins im menschlichen Sprechen sein Echo und seine Entfaltung finden kann, setzt voraus, dass zwischen ihnen eine fundamentale Korrespondenz besteht. Das 146 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Verstehen und menschliche Reden ‹passt› auf die Welt. Es ist eine Entsprechung, die in einem herausgehobenen Sinne im Erlebnis des Schönen erfahren wird, welches uns nach Kant bezeugt, «dass der Mensch in die Welt passe».212 Das Vertrauen, dass unsere Sprache das Wirkliche zu benennen und zu erfassen vermag – das Borges im ironischen Verdacht hinterfragt, «dass sich die Kategorien Gottes womöglich nicht mit denen der lateinischen Sprache decken»213 –, ist das lebensweltliche Pendant zur ontologischen Zusammenführung des Seienden mit dem Wahren. Doch ebenso wichtig wie die basale Entsprechung ist das aktive Angesprochen- und Aufgefordertwerden der menschlichen Rede: Sie hat nicht nur ihr Fundament im Logos des Seins, sondern dieser ist seinerseits auf die Sprache des Menschen angewiesen. Das Sein, das sich offenbart und zur Sprache bringt, tut dies nicht nur aus sich heraus und in sich, sondern im Medium der menschlichen Äußerung und Schöpfung. In einer emphatischen Metaphorik hat Heidegger diesen Gedanken so formuliert, dass der vom Sein ausgehende «Bezug des Seins zum Menschen» zugleich in die Obhut des Menschen gegeben ist, der gewissermaßen vom Sein in die Pflicht genommen wird, um das Wort des Seins zur Sprache zu bringen – als «Hirt des Seins» und «Wächter» des «Hauses des Seins», als welches die Sprache fungiert.214 Unabhängig von der Eigenwilligkeit des Bildes bleibt der substantielle Sachverhalt, dass der Mensch als sprechendes Lebewesen in einer singulären Weise an der Wirklichkeit und ihrer Offenbarung teilhat, die er in seinem Sprechen zum Ausdruck bringt und mitgestaltet. Dass die Welt hell wird, dass die Dinge eine Bedeutung annehmen, liegt an ihnen selbst und wird zugleich durch die menschliche Perspektivierung und Aktivierung in seiner Bestimmtheit real erfahrbar. Man mag dies so beschreiben, dass der sprechende Mensch darin der sich öffnenden und ihm sich darbietenden Wirklichkeit seinerseits 147 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
beisteht und sie beleuchtet, wie Merleau-Ponty vom Maler sagt, dass sein Hervorbringen das Sichzeigen der Natur manifestiert, ihr Sichtbarwerden feiert. Die Kunst verwirklicht in paradigmatischer Form, was die Sprache als Welterschließung und verstehende Gestaltung leistet. Cézanne, so Merleau-Ponty, hat nur das Innere der Dinge aufgeschlossen und den in ihnen gefangenen Sinn befreit; er hat nur gesagt, was die Gesichter und die Dinge selbst sagen wollten.215 Wie die musikalische Komposition nicht nur den Gesang der Vögel und das Rauschen des Wassers, sondern den Klang und das Klingen selbst hören lässt, so hat das Sprechen, in eminentem Sinne das sprachliche Kunstwerk, am Phänomen des Zur-Sprache-Kommens der Wirklichkeit überhaupt teil.
b) Entsprechen und Antworten
Wie zu anderen Menschen steht der Mensch zum ‹Sein›, zur Wirklichkeit als solcher in einem grundlegend responsiven Bezug. Er hat mit der Welt und mit den Dingen in Weisen des Ansprechens und Antwortens, des Gebens und Empfangens, des Entgegenkommens und Aufnehmens zu tun. Antworten ist mehr als ein Reagieren und Aufnehmen eines Zuspruchs; responsives Verhalten steht unter einem Kriterium, dem Maß dessen, auf das es antwortet und dem es in angemessener Weise, ‹richtig› zu entsprechen hat.216 Wenn solches Entsprechen als ein Sich-in-die-Pflicht-nehmen-Lassen fungiert, so ist es wichtig, diese Dienstbarkeit nicht nur als eine gegenüber dem Künstler, dessen Werk der Interpretation bedarf, sondern gegenüber dem Werk selbst zu fassen. Es ist ein Gehorchen gegenüber der Sache, die sich öffnet, ein Horchen auf den Sinn, der unterwegs ist und gesagt sein will – wie sich der Geiger bei Marcel Proust «förmlich auf seinen Bogen stürzen musste», um 148 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
das plötzliche Aufschreien der «kleinen Melodie» in der Sonate von Vinteuil aufzufangen.217 In der Weiterzeichnung dieser Linie, im Fluchtpunkt dieser Dienstbarkeit stoßen wir auf die Idee, dass das menschliche Sagen, nach Heideggers Formulierung, auf das Geheiß des Seins zu hören, sein Wort zur Sprache zu bringen hat, ja, dass der Mensch in seinem Sprechen das innerste Streben der Sprache überhaupt aufnimmt, ihr zu entsprechen strebt. Es ist wichtig, die in solchen Figuren umrissene Fundamentalisierung des Zur-Sprache-Bringens nicht als einen eigenen, separaten Vollzug zu hypostasieren, sondern sie in Kontinuität mit der generellen Kraft und Funktionsweise des Sprechens, als eine Tiefendimension der menschlichen Sprache als solcher zu begreifen. Im Sprechen wie im menschlichen Wirken und Äußern überhaupt findet die Sinnbildung statt, die unsere Welt farbig werden, in ihr Bedeutungen entstehen lässt und die in herausragenden Akten des Sprechens und Verstehens für sich selbst hervortritt. Im Nachvollzug der Beschreibung einer Landschaft, der Artikulation eines Gefühls, der Erzählung einer Lebensphase nicht nur dem Wortlaut des Gesagten zu folgen, sondern das Zur-Sprache-Kommen des Wirklichen selbst wahrzunehmen, ist nicht eine Zusatzdeutung, sondern eine eindringende Lektüre des Sprechakts selber, ein tieferes Erfassen des Sinns einer Beschreibung oder Erzählung. Jemanden, der mir etwas mitteilt, zu verstehen, bedeutet nicht nur, den propositionalen Gehalt seiner Aussage zu erfassen. Es heißt je nachdem zu begreifen, wie sich ihm die Dinge darstellen, wie er sein Leben erfährt, was er im Sagen mitteilen oder bewirken will; es heißt, an seiner Welterschließung, seiner eigenen Partizipation am Sinngeschehen teilzunehmen. Wie weit unser Verstehen ausgreift, was in es eingeht, welche Dimensionen es umfasst, ist durch keine Grammatik und lexikalische Kompetenz vorgegeben. Verstehen ist zugleich fo149 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
kussiert und offen, es hat mit dem Gesagten wie mit dem Sagen, aber auch mit dem, was im Sagen zur Sprache kommt, zu tun. Die Responsivität unseres Weltverhältnisses ist eine mehrfache und mehrschichtige. Der Mensch ist ein Hörender und Sprechender in seinem Verhalten zu anderen Menschen, zur natürlichen, sozialen und geschichtlichen Welt, zu sich selbst. Den weitesten Horizont seiner Existenz bildet das Sinngeschehen, an dem er rezipierend und produzierend teilhat, das ihm vorausgeht, in dem er heute sein Leben vollzieht und das über ihn hinaus- und nach ihm weitergeht. Es bildet den Rahmen seines Sprechens und Handelns, es prägt die Denk- und Sprachformen, in denen er sich äußert und über die er nur zum Teil verfügt, es strukturiert die Verstehenshorizonte und gestaltet die Lebensformen, in die er hineingeboren wird und die er mit anderen teilt. Der Sinnprozess konstituiert das Herzstück der Geschichte, aus der heraus der Mensch sich versteht und sein Leben führt. Es ist eine ihrerseits interpretierbare Geschichte, in welcher Rahmenbedingungen des Zur-SpracheKommens und sinnhaften Offenbarens gesetzt und verändert werden und die einen divergierenden Verlauf und Ausgang nehmen kann: in Richtung eines stufenweisen Hellwerdens und Zu-sich-Kommens, wie es Hegels teleologische Geistesphilosophie unterstellt, nach der gegenläufigen Tendenz einer Verhüllung und Entfremdung, wie sie Heideggers ‹seinsgeschichtliche› Deutung des abendländischen Denkens bestimmt, oder im offenen hermeneutischen Prozess des Anschließens und Weiterführens, Korrigierens und Erneuerns. Auch wenn wir von einer Substantivierung des verselbständigten ‹Seins› und der ihm korrelierten ‹Seinsgeschichte› Abstand nehmen, macht es Sinn, die geschichtliche Veränderung der allgemeinsten Denkund Sprachformen, die für den Einzelnen einen unverfügbaren Grund seines Tuns und Sprechens bilden, auf ihre Logik, ihren Gehalt, ihre Auswirkungen hin zu befragen. Sie gehören in das 150 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Reich der Sprache, sie gehen ein in die eminente Macht der Sprache, die nur teilweise im Vermögen sprechender Subjekte liegt. Das Wunder der Sprache ist eines, das vom Individuum im Nennen und Sagen vollbracht, aber auch im Sich-Öffnen der Welt erlebt wird. Es wäre artifiziell, die genauen Grenzen zwischen dem Verstehen und dem Artikulieren von Sinn eruieren oder festlegen zu wollen. Nicht nur im Großen, auch im Kleinen bewegt sich menschliches Sprechen zwischen dem Aufnehmen und Hervorbringen, auch im Teilnehmen an einem Gespräch, im Malen einer Blume ist das Subjekt empfangende und produzierende Mitte, ist die Sinngebung «en même temps centrifuge et centripète».218
c) Zur Sprache bringen – zur Sprache kommen
Der Mensch kommt zur Sprache und der Mensch bringt zur Sprache. Er bringt vieles zur Sprache: seine Gefühle und seine Meinungen, die von ihm erlebte Geschichte und die ihn umgebende Welt, die Ordnung der Phänomene und die Gründe des Seins. Vielfältig ist die Leistung der Sprache – als Vergegenwärtigung und Darstellung, als kritische Durchdringung und gliedernde Synthese, als Explikation und reflexive Befragung. Im Weitesten ist sie Organ der Verständigung über sich selbst und die Welt – der Aufklärung über sich und Orientierung in seinem Leben, der kulturellen Verständigung über gemeinsame Ziele und Werte, der kognitiven Erkundung all dessen, was ist. Wenn man den Gesamtprozess dieser Verständigung in seiner Gerichtetheit erfassen will, so kann man ihn unter der Leitidee der Wahrheit befragen: der Leitidee des Offenbar- und Verstehbarwerdens des Seienden, der stufenweisen Teilhabe des Menschen an der Manifestation dessen, was in der menschlichen Rede zur Sprache kommt. Gadamer formuliert diese Zielrich151 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
tung so, dass im Verstehen die Begegnung mit etwas stattfindet, «das sich als Wahrheit geltend macht», und der Mensch in ein Geschehen einbezogen wird, «durch das sich Sinnvolles geltend macht».219 Sagen und Verstehen sind besondere Dimensionen, herausragende Vollzüge, in denen die menschliche Existenz am Logos teilhat, an der Transparenz, idealiter der Vernünftigkeit des Wirklichen. Dies kann die praktische Vernunft der menschengemachten Welt, der Sinn des geschichtlichen Verlaufs, oder auch die theoretische Ratio der gesetzmäßigen Natur, vielleicht das im Vorschein des Schönen sich offenbarende Licht über den Dingen, der Glanz des Absoluten sein. Wichtig ist, das Gesamt dieser Dimensionen vor Augen zu haben, mit denen wir im menschlichen Sprechen und Verstehen zu tun haben. Wenn wir die Macht des menschlichen Sprechens erforschen wollen, greifen wir über den Horizont des partikularen Sprechakts, der konkreten Anfrage, Mitteilung oder Bitte hinaus. Etwas-sagen-Können und Sich-mit-anderen-unterreden-Können sind Vermögen, die den Menschen auszeichnen, deren Reichweite und Kraft unsere subjektive Verfügung übersteigen.220 Gleich bedeutsam wie die Weite des Ausgriffs ist das Fundament, auf dem das Sprechen aufruht. Eindringlich wird es im platonischen Dialog Phaidon thematisch, an jener zentralen Stelle, wo das Gespräch, in welchem der zum Tode verurteilte Sokrates mit seinen Schülern die Unsterblichkeit der Seele zu erweisen sucht, zusammenbricht und eine tiefe Erschütterung unter den Beteiligten sich ausbreitet. Sokrates begegnet ihr, indem er sich der Grundlagen der Wahrheitssuche vergewissert, als deren wichtigste ihm das Vertrauen in die Kraft des Logos und in die Wahrheitsfähigkeit des Gesprächs gilt.221 In die Macht der Sprache zu vertrauen und nicht vom beharrlichen Miteinander-Reden abzulassen, so lautet sein beschwörender Aufruf. Voraussetzung aller Sinnsuche ist ein Wille zum 152 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Logos, der vom Vertrauen in die Kraft der Sprache unablösbar ist. Es ist ein Bekenntnis zur Kultur des Gesprächs, das ebenso im Vertrauen gründet, wie es Vertrauen stiftet. Autoren wie Walter Benjamin und Jacques Derrida haben den Überschuss, den das Sprechen über das Funktionieren in einem linguistischen System hinaus zum Tragen bringt, unter den Aspekten des Begehrens und des Versprechens gefasst. Er kommt beispielhaft im Phänomen der Übersetzung in den Blick, das diesen Autoren zufolge konstitutiv zum Potential von Texten gehört, welche in ihrer festen Gestalt immer unvollständig, ergänzungsbedürftig sind und das von ihnen Gemeinte, die in ihnen verhandelte Sache nie erschöpfend zur Sprache bringen. Sie bedürfen insofern notwendig der ‹Übersetzung›, nicht als Übertragung in einen anderen Code, sondern als vervollständigende Reformulierung des Gesagten, mit dem idealen Fluchtpunkt einer erfüllten, reinen Sprache beziehungsweise einer im Unendlichen gelegenen Konvergenz der partikularen, defizienten Ausdrucksweisen, in welcher sich das Sprachlichwerden im Einswerden mit dem Wirklichen vollendet.222 Sprechen lebt von diesem Vorgriff, es ist von der unaufgehobenen Nichtkoinzidenz getrieben, die Derrida als Kehrseite der «immanenten Versprechens- und Begehrensstruktur» sieht, die allem Sprechen innewohnt.223 Die Konstellation der Momente des Vertrauens, Verlangens und Versprechens trägt den Umgang mit Sinn, der menschliches Leben durchdringt und der im Hören und Sprechen seine paradigmatische Gestalt findet. Solches Vertrauen und Versprechen geht, wie gesagt, in das Sprechen im Großen wie im Kleinen ein, und es kommt im Hören wie im Sagen, im Entgegennehmen wie im Bilden und Weitergeben von Sinn zum Tragen. Natürlich ist es in den variierenden Weisen der Rede von unterschiedlicher Prägnanz und ungleichem Gewicht. Es gibt Spielformen des Fragens und Antwortens, des Feststellens und Aufforderns, die praktisch 153 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
ohne ungedeckte Sinnhorizonte und offene Deutungsräume funktionieren und sich in mehr oder weniger eindeutig-festgelegten Verläufen und Reaktionsmustern bewegen. Eine mathematische Gleichung und ein physikalisches Gesetz bedürfen im Normalfall keiner hermeneutischen Auslegung und keiner interpretatorisch-expressiven Vervollständigung. Die Identifikation dessen, wovon die Rede ist, und die Spezifizierung dessen, was diesem zugeschrieben wird, scheinen eindeutig und nicht ergänzungsbedürftig. Anders verhält es sich bei Äußerungen in der natürlichen Sprache, die in das alltägliche Leben und Begreifen verwoben sind und die gegebenenfalls in ihrem Gehalt erst zu explorieren, in ihrer Aussage zu vereindeutigen, angemessen zu artikulieren sind. Dies gilt für alle Bereiche, vom leiblich-seelischen Lebenskreis über das Netz der sozialen Interaktionen bis zum geschichtlich-kulturellen Verständigungsraum. Es gilt für die einsame Selbsterforschung, den Ausdruck von Gefühlen ebenso wie für die Konversation unter Freunden oder die Lektüre alter Klassiker und die Entzifferung exotischer Dokumente. In allen Bereichen ist das Element der Responsivität von Belang, finden Wechselbezüge zwischen dem Eigenen und dem Fremden, zwischen dem Zuvorkommen des Anderen und der irreduziblen Autorschaft des Selbst statt. Zugleich sind überall Elemente des Vorausgreifens und Sichabstützens, des Vertrauens und des Versprechens in der Substruktur der Sprachlichkeit auszumachen. Sie tangieren das sprachlich mediatisierte Wirklichkeitsverhältnis als solches und sind dort, wo wir mit dem Eigenen und Nahen zu tun haben, ebenso konstitutiv wie dort, wo wir mit dem Fremden und Fernsten umgehen. Sie betreffen das Bemühen, das All zu erkennen und die Gründe des Seins zu erforschen, ebenso wie die Möglichkeiten, mit sich eins zu werden und ein gelingendes Leben zu führen. Es ist wesentlich, das Phänomen des Sprechens, das die menschliche Existenz durchzieht, in dieser Polarität wahrzu154 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
nehmen, im Ausgespanntsein zwischen dem, was dem sprechenden Subjekt vorausliegt und ihm entgegenkommt, und dem, was das Subjekt aus seiner Initiative und seinem Vermögen heraus vollzieht. Beides geht in das Phänomen der Sprache ein, beides macht die genuine Macht der Sprache aus. Im Ganzen des Zur-Sprache-Kommens vollzieht sich das Menschsein. Dass der Mensch zur Sprache kommt, meint nicht nur, dass er in einem stufenweisen Lernprozess die Sprachfähigkeit, das Vermögen des Verstehens und verbalen Sichäußerns, erwirbt, wie er in anderen Lernprozessen bestimmte Fertigkeiten, etwa des Klavierspiels oder des Radfahrens, sich aneignet. Vielmehr geht es darin zugleich um einen Prozess der Selbstwerdung, einen Prozess, in dem der Mensch nicht eine bestimmte, partikulare Eigenschaft gewinnt, sondern zum Menschen wird. Darin bestätigt sich die Zentralität der Sprache als Wesensmerkmal des menschlichen Seins. Der Mensch wird zum Menschen durch die Sprache. Er wird Mensch im Hören und Sprechen, im Verstehen und Sagen. Darin liegt auch: Er kommt zur Sprache, indem er zur Sprache bringt. Die beiden Vollzugsformen des Sprachlichen sind wesenhaft ineinander verflochten, nicht nur insofern, als im Zur-Sprache-Bringen die verhandelte Sache zur Sprache kommt, sondern auch darin, dass das sprechende Subjekt selbst in den Prozess des Sinngeschehens hineingezogen, in das zur Sprache Gebrachte involviert wird, dass es darin selbst zur Sprache kommt. Der Mensch kommt zu sich, indem er spricht, das heißt, indem er die Welt und sich selbst zur Sprache bringt. Insofern haben wir im Ganzen einen einheitlichen, zusammenhängenden Prozess des Sprachlichen vor uns. Zwar lassen sich in ihm distinkte Vollzüge auseinanderhalten, das Hineinwachsen in die Sprache einerseits, das Sagen und Zur-Sprache-Bringen andererseits; gleichzeitig sind beide ineinander verwoben und sind beide existentiell grundlegende, für das Menschsein konstitutive Züge 155 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
der Existenz. Nach beiden Seiten erweist sich Sprache als Wesenszug des menschlichen Lebens. Der Mensch wird zum Menschen und lebt als Mensch, indem er spricht und selbst zur Sprache kommt.
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Die Feier der Sprache und die Erhellung des Lebens
1. Das Rätsel der Sichtbarkeit «Von Lascaux bis zum heutigen Tage», schreibt Maurice Merleau-Ponty, «feiert die Malerei kein anderes Rätsel als das der Sichtbarkeit.»224 Das Wunder der Sprache und des Sinns, von dem die vorliegenden Betrachtungen ihren Ausgang genommen haben, ereignet sich nicht nur im Medium der Rede. Das überwältigende Erlebnis von Helen Keller, dass jedes Ding seinen Namen hat, dass sich die Welt in den Worten öffnet, dass das Leben im Sprechen hell wird, hat sein Urbild im Sehen. Das Auge, nach einem alten Gleichnis das Fenster der Seele, ist nicht nur – so die klassische Verwendung der Metapher – die Öffnung, durch welche sich unser Inneres anderen Menschen offenbart, sondern zugleich – so die von Merleau-Ponty mit Bezug auf Rilke und Rodin evozierte Bedeutung225 – ein ursprünglicher Zugang zur Welt und zum Licht, in welchem die Dinge ihrerseits sich zeigen. Das Rätsel der Sichtbarkeit ist ein innerster Kern des Wunders der Manifestation, des Offenbar- und Verstehbarwerdens des Seienden. Das Wunder des Sehens ist ein Urbild des Wunders der Sprache, des SichÖffnens und Zeigens im Sprechen und Verstehen. Die Nähe und Ferne, Verwandtschaft und Differenz zwischen Bild und Sprache bildet ein klassisches Thema der Kultur- und Kunsttheorie. Zugleich steht die Beziehung für 157 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
einen kontroversen Streitpunkt. Während in klassischen Theorien die Analogie von sprachlicher und bildlicher Darstellung, die Spiegelung zwischen Bildsprache und Sprachbild, zwischen figurativer Rede und Bildbeschreibung oft als heuristischer Zugang zu beiden Seiten fungiert, verwahren sich andere Konzepte dezidiert gegen solche Annäherung – sei es, dass sie die verbreitete Tendenz, intentionales Bewusstsein und Erkenntnis nach dem Modell des Sehens und gegenständlichen Vorstellens zu explizieren, als basalen Kategorienfehler anprangern,226 sei es, dass sie sich umgekehrt dagegen zur Wehr setzen, die Logik des Bildes nach dem Vorbild des sprachlichen Logos zu entfalten.227 Das Bild, so die These, ist in seiner eigenen Logik und Funktionsweise, nicht von der Rede her oder als Abart des Sprechens, ernst zu nehmen, um seiner genuinen Darstellungsund Erschließungskraft habhaft zu werden; umgekehrt ist das Denken, das wesentlich mit der propositionalen Sprache verflochten ist, vom verfremdenden Modell des äußerlich-räumlichen Gegenstandsbezugs freizuhalten. Indessen bleibt zu fragen, wieweit diese zweifache Distanzierung nicht ihrerseits mit verfälschenden Projektionen, mit Zerrbildern des je Anderen operiert. So neigt der Vorbehalt gegen die Sprache als Abbild oft zu einer objektivistischen Verzeichnung dessen, was ein Bild ist und wie ein Bild in lebendiger Erfahrung gegenwärtig wird. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die Kontroverse um das Verhältnis von Bild und Wort prinzipiell aufzurollen und die wechselseitige Verkennung zurechtzurücken. Vielmehr ist zu prüfen, ob nicht eine unverzerrte, phänomenadäquate Beschreibung beider Pole ein Potential birgt, das ihre Relation als erhellenden Zugang zu beiden fruchtbar werden lässt. Konkret geht es in unserem Zusammenhang darum, über den Umweg einer revidierten, ursprünglicheren Auffassung des Bildes ein vertieftes Verständnis des Sprachphänomens zu gewinnen. Auszugehen ist von einem Begriff der Bildlichkeit, 158 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
der die Überformung durch den Text abgelegt hat und den spezifischen Reichtum, die originäre Wirkungsweise und eigene Wahrheit des Bildes zum Tragen bringt und eben darin auch einen Einblick in das Geheimnis der Sprache zu geben vermag. Dabei wird nicht unterstellt, dass eine solche nicht-reduktive Erschließung des Bildes mit der Intention durchgeführt wird, die Analogie von Bild und Wort zu erhärten oder gar die Vorbildfunktion des Bildes für die Logik der Sprache zu erweisen. Vielmehr gilt es, eine originäre Verwandtschaft in der Sache, eine kommunizierende Gemeinsamkeit zu nutzen, die zwischen dem Gesehenwerden und dem Verstandenwerden, zwischen dem Licht und dem Sinn in der menschlichen Erfahrung besteht. Als exemplarischer Anknüpfungspunkt kann der schon früher zitierte prägnante Text, dem das Eingangszitat entstammt, dienen, in welchem Merleau-Ponty sich um eine unverkürzte Erschließung des produktiven wie rezeptiven Umgangs mit dem Bild bemüht und diese Erfahrung zugleich im Horizont einer existentiellen Hermeneutik situiert. Schon im Titel zeigt der späte Aufsatz L’Œil et l’Esprit228 an, dass es um mehr als eine optisch-wahrnehmungsmäßige oder künstlerischtechnische Analyse geht. Die Bilderfahrung kommt im Horizont des sinnhaften Lebensvollzugs in den Blick, wie die phänomenologische Analyse in Merleau-Pontys früheren Werken generell die menschlichen Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen in einer verstehenden Perspektive zur Sprache bringt, die auf den Subjektbezug und die existentielle Bedeutung allen Tuns und Erlebens abhebt.229 Von diesem Ansatz her liegt es nahe, auch die Nähe zwischen Bild und Wort zu bedenken, die in deren gemeinsamer Verortung im Existenzvollzug, ihrer gemeinsamen Teilhabe an der Bedeutsamkeit und Verstehbarkeit des Lebens gründet.
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Dazu sei von einigen Motiven der eindringlichen Bildbeschreibung ausgegangen, die auch die Exploration des Sprachphänomens inspirieren können. Dass die Malerei das Rätsel der Sichtbarkeit feiert, bekräftigt zuallererst die Abwehr eines reduktionistischen Verständnisses des Malens und des Sehens. Es wehrt die Vorstellung ab, dass die Sichtbarkeit der Dinge sich von selbst verstehe, dass uns diese immer schon wie in einem Bild vor Augen lägen und dass uns Bilder wie Replikate der naturalen Offenheit gegeben seien. Die äußerliche Rekonstruktion der Beleuchtung und Abbildung mit Messung der Einfallswinkel und Lichtstärke ignoriert das erlebensmäßige Phänomen des Erscheinens und Sehens, sie eliminiert das Wunder der Sichtbarkeit und die «Macht der Bilder».230 Descartes’ Dioptrique steht exemplarisch für einen solchen Zugang,231 der sich dem «im profanen Sinn Sichtbaren» anpasst, welches «seine Voraussetzungen vergisst».232 Gegen diese Unterlaufung gilt es die Dichte des Phänomens zu entfalten, nicht in einer externen Vermessung die geometrische Vergleichbarkeit zwischen der Gestalt und ihrer Figuration im Bild zu registrieren, sondern aus dem Inneren die «Verwandlung der Dinge in ihr Gesehenwerden (leur vision)» zu erfassen und gegenläufig den im Sehen (la voyance) sich ereignenden «Durchbruch zum Innersten des Seins » zu erschließen.233 Die Malerei, die diese Metamorphose vollzieht, ist der Schöpfungsakt, in welchem Sichtbarkeit entsteht, der Akt, welcher, wie Klee formuliert, nicht Sichtbares nachahmt, sondern «sichtbar macht».234 Es ist ein Sehenlassen nicht nur als visueller, sondern gleichsam ontologischer Vollzug, in welchem das Auge dem Hervorgehen der Erscheinung aus der inneren «Aufspaltung (fission, déhiscence) des Seins» beiwohnt.235 Ebenso eindringlich wie das Ereignis des Sichtbarwerdens ist für Merleau-Ponty der Akt des Sichtbarmachens im künstlerischen Prozess. Wenn Paul Cézanne mit obstinater Beharrlich160 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
keit seine Arbeit an den Bildern weiterführt,236 wenn er in 44 Ölgemälden und 43 Aquarellen dasselbe Gebirge, die Montagne Sainte-Victoire, immer wieder aufs Neue malt, so gilt die malerische Anstrengung nicht der Annäherung an die perfekte Reproduktion, sondern der Aufhellung eines Rätsels. Ihr innerstes Anliegen ist, die Natur daraufhin zu befragen, wie sie es anstellt, sich zu zeigen und etwas sichtbar werden zu lassen, so wie auch die künstlerische Bemühung selbst darauf zielt, die Mittel und Wege zu erkunden, das Spiel der Schatten, Farben und Linien zu ergründen, die im Werk das Wunder des Zeigens und Sichtbarwerdens sich ereignen lassen.237 Wenn die Malerei das Wunder des Sichtbarwerdens zelebriert, so heißt dies nicht weniger, als dass sie dieses Wunder in ihrem eigenen Tun entfaltet, in ihren Operationen an ihm teilhat.
2. Das Wunder der Sprache Das Ereignis des Sichtbarwerdens erfassen heißt die «Undurchsichtigkeit der Welt»238 durchdringen und dessen gewahr werden, wie das «stumme Sein selbst dazu kommt, seinen eigenen Sinn zu offenbaren».239 In der Eingangs- und Schlusspassage des Aufsatzes verknüpft Merleau-Ponty die Register des Lichts und die des Worts: Die Undurchsichtigkeit ist das Pendant der Stummheit, das Ereignis des Sehens ein Urbild des sprachlichen Verstehens. In beiden Sphären gilt es, die externalistische Betrachtung, die vom opaken Gegenstand, vom sinnfreien Zeichen ausgeht, zu überwinden und das Phänomen in seiner lebensweltlichen Verwurzelung und inneren Sinnhaftigkeit zu begreifen. Wie kein Weg von der physikalisch-optischen Messung zum Erlebnis des Sehens führt, so keiner von der Analyse der lautlich-graphischen Daten zum Verständnis des Sinns. Beides sind ursprüngliche Ereignisse im lebendigen Wirklich161 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
keitsbezug, Rätsel für die kategoriale Erfassung wie für die theoretische Erklärung. Zugänglich sind sie einer phänomenologischen Beschreibung, wobei sich die Wahrnehmung der Sprache von der Phänomenologie des Bildes inspirieren lassen kann. Verwandt sind beide nicht nur im irreduziblen Ereignis des Sehens und Verstehens, das sich in einer Rückführung auf äußere Faktoren verflüchtigt, sondern ebenso im positiven, ursprünglichen Erleben des Sinns. Es ist das Erlebnis, dass die Welt sich uns öffnet und sich uns darbietet, dass wir den Gegenstand, der uns begegnet, in seiner Bestimmtheit erfassen, in seiner Bedeutung begreifen können. Gleich fundamental wie die Erfahrung der Sichtbarkeit ist die Verstehbarkeit, die ihre interne Ausdifferenzierung im sinnlichen Spüren und gestischen Gestalten, zuletzt in der sprachlichen Artikulation findet. Sie ist von vornherein in das rezeptiv-expressive Wechselspiel von Hören und Äußern verflochten, sie realisiert sich im Verstehen und Zu-verstehenGeben. Der Mensch, der nach Aristoteles den logos hat, ist gleichursprünglich das verstehende und das sprechende Lebewesen. In dieser zusammenhängend-zweifachen Sprachförmigkeit verwirklicht er sich als das politische Lebewesen, das sich im normativen Raum von Wahr und Falsch bewegt und sich mit seinesgleichen über Recht und Unrecht verständigt. Das Erlebnis des Wunders der Sprache, von dem Helen Kellers Lebensbericht so eindrucksvoll Zeugnis ablegt, liegt sowohl im Gewahrwerden, dass die Dinge durch die Worte eine Tiefendimension, ein sinnhaftes Profil annehmen und sich uns in dem, was sie sind, offenbaren, wie in der Souveränitätserfahrung des Sprechenkönnens, das sich vom Experimentieren mit Lauten und Worten bis hin zum dichterischen Sagen erstreckt. Es ist die eigentümliche, nur zum Teil bewusst reflektierte Erfahrung, dass es uns möglich ist, unser Inneres auszudrücken, die Dinge mit den Worten gleichsam herbeizuzitieren und verfügbar zu 162 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
machen, andere Menschen anzusprechen, sie etwas zu fragen und ihnen etwas mitzuteilen. Die kindliche Lust am Reden ist Reflex der Begeisterung über die Entdeckung der Worte, Ausdruck des Wunders der Sprache. Sie äußert sich ebenso sehr in der Freude am Verstehen wie im eigenen Äußern, in der Lust am Aufnehmen wie am Hervorbringen und Gestalten von Sinn. In alledem ist Sprechen mehr als das Ausüben bestimmter Fertigkeiten, die sich das Kind in einem langwierigen Lernprozess angeeignet hat. Es ist ein aktualisierendes Vollziehen und Entfalten des vielgestaltigen Reichtums der Sprache. Wie die Malerei nach Merleau-Ponty das Rätsel der Sichtbarkeit feiert, so lässt sich das Sprechen als Feier des Wunders der Verstehbarkeit, als Vollzug der Sinnhaftigkeit der Existenz beschreiben. Dieser Vollzug realisiert sich in den Beziehungsweisen des Einzelnen zu sich selbst, zu den Dingen und zu anderen Menschen. Immer ist Sprechen mehr als das Wiedergeben von Sinnhaftem, mehr als das Explizieren von Verständlichem. Es besteht darin, Sinn hervorzubringen, Seiendes sinnhaft zu machen, die Welt und das Leben verstehbar werden zu lassen. Wie das Malen die Metamorphose des Seins in die Sicht bewirkt, so das Sprechen die Verwandlung des Seins in den Sinn. Die Dinge, das menschliche Leben werden im Medium der Sprache zu dem, was sie sind und was sie uns bedeuten. Vom Wesen der Sprache Rechenschaft abzulegen heißt, sie in ihrer kreativen, wirklichkeitskonstituierenden Kraft aufzuschließen. Es geht nicht nur darum, die genetischen und strukturellen Voraussetzungen des Sprechens freizulegen, sondern es gilt, dieses in seinem originären Akt und seiner Leistung zu erfassen. Diese treten uns in exemplarischen Sprachformen plastisch vor Augen – in dialogischen Herausforderungen und Zuwendungen, in Weltentwürfen und erinnernden Erzählungen, in rühmenden Preisliedern und schmähender Kritik. In ihnen werden 163 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Fakten nicht nur in bestimmter Färbung wahrgenommen und wiedergegeben, sondern geschaffen und geprägt. Im Medium des Sprechens und Sich-Unterredens wird ein Sozialverband begründet, ein Erzählraum geschaffen, eine Geschichte gebildet, die es so davor nicht gab. Die der Sprache innewohnende Schaffens- und Verwandlungskraft kann in der Rede unthematisch bleiben oder mit ins Zentrum rücken und selbst zum Thema werden. Namentlich dichterisches Sprechen kann der Aufgabe und Kraft des Worts selbst gewidmet sein, die Sprache selbst sprechen lassen. Dichtung ist in privilegierter Weise in die Feier der Sprache, in das Begehen der Sinnschöpfung, in die Herausforderung des Verstehens und Verstehenlassens involviert. Man kann sich fragen, wieweit auch im Sprachlichen ein Analogon zu der von Merleau-Ponty thematisierten Befragung der Natur auszumachen ist, zu der an die Natur, dann auch die Malkunst gerichteten Frage, wie sie es anstellen, Sichtbarkeit zu erzeugen und die Dinge sich zeigen zu lassen. Es ist die Erforschung, wie die Sprache es fertigbringt, Sinn in die Welt zu bringen und die Dinge als verstehbare sich öffnen zu lassen. Es ist das Rätsel, welches die reflexive Erkundung des Sprachvermögens und des Sprechens auf den Weg gebracht hat. Auf dem Weg dieser in einigen Linien nachgezeichneten Erkundung sind unterschiedliche Stufen, verschiedenartige Medien und Formen in den Blick gekommen, in denen der Mensch das Vermögen des Sprechens erwirbt, in denen er in eine bestimmte Sprachwelt hineinwächst, in seinem Dasein für sich selbst und andere zur Sprache kommt und fähig wird, die Dinge zur Sprache zu bringen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen und theoretischen Konzepte haben diesen umfassenden Prozess unter variierenden Aspekten beleuchtet und ein Licht auf die Schwelle der Sinngenese und die Versprachlichung des Lebens geworfen. Welche der verschiedenen Annäherungen dem Phä164 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
nomen der Sprachlichkeit am nächsten kommt, unter welchen Aspekten die Transformation des Wirklichen im Reden und Verstehen in erhellendster Weise zutage tritt, ist Gegenstand der theoretischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Offenkundig ist es so, dass die multiplen Forschungsperspektiven und Leitbegriffe der Wissenschaft und Philosophie Einsichten vermitteln, die uns Wesentliches an der Entstehung und der Funktionsweise der Sprache begreifen lassen. Die analytischen, phänomenologischen, anthropologischen Theorien ebenso wie die linguistischen und sprachwissenschaftlichen Forschungen geben vielfältige Einblicke in das, was Sprache ist, was sich im Sprechen ereignet, was mit uns im Sprechen und im Verstehen von Sprache geschieht. Die Frage ist, ob durch sie das Rätsel der Sprache gelöst wird. Es ist die Frage, ob durch sie das Wunder der Sprache erklärt, ob es in einer Weise transparent gemacht wird, dass es sich als Wunder auflöst. Bei aller Triftigkeit der gewonnenen Einsichten und eröffneten Perspektiven scheint unbestreitbar, dass diese eine zweifache Schranke unseres Wissens um die Sprache unberührt lassen. Sie liegt zum einen in ebender Vielfalt der Aspekte, die sich nicht problemlos in einen Zugang zum Sprachphänomen zusammenführen, in eine Erkenntnis des Sprachlichen integrieren lassen. Dies nicht nur dort, wo Theoriemodelle oder Forschungsprogramme konkurrierend nebeneinander stehen, sondern zum Teil auch innerhalb gemeinsamer Themenraster und methodischer Ansätze (etwa in phänomenologisch-hermeneutischen Akzentuierungen der Sprache als Ausdruck, als Gespräch oder als Text). Zum anderen aber gilt, dass all diese Zugänge, wie weit sie auch die Genese und Performanz der Sprache aufzuhellen vermögen, etwas vom Hiatus, von der Schwelle des Sinns und Verstehens bestehen lassen. Etwas vom irreduziblen Ereignis, durch welches Sinn in die Welt kommt, in welchem subjektives Verstehen sich ein165 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
stellt, bleibt unbegriffen, auch wenn dessen Binnenstruktur etwa in einer wahrheitsfunktionalen, kommunikationstheoretischen oder pragmatischen Bedeutungstheorie auseinandergelegt wird. Die Rückführung des Sprechens auf seine Antezedenzien und strukturellen Gesetze bewahrt die Entstehung seiner Sinnhaftigkeit gleichsam in einem unanalysierten Nukleus. Dass der Name, der Satz, die Argumentation, der Text eine Bedeutung haben, dass sie einen Sinn hervorbringen, der verstanden werden kann, gegebenenfalls sich der interpretativen Entwicklung anbietet und nach Deutung verlangt, bleibt wie ein innerster Kern im vielfältig bedingten, unterschiedlich analysierbaren Vollzug des Sprechens erhalten. Das Wunder der Sprache, das Rätsel des Sagens und Verstehens, bleibt ein uneingeholter Fluchtpunkt der begrifflichen Explikation.
3. Das Hellwerden der Existenz Dies bedeutet nicht, dass der innerste, nicht-dekomponierbare Kern der Sprache ein Unbestimmtes, Unsagbares sei. Vielmehr steht er für die Essenz dessen, was sich im Sprechen ereignet. Er steht für das Ereignis der Schöpfung von Sinn. Diese ist nicht analog dem Produzieren von irgendetwas in der menschlichen Lebenswelt, etwa der Erfindung des Landbaus oder des Eigentumsrechts, zu verstehen. Sie ist basaler, umfassender als all diese Schöpfungen, sie liegt ihnen zugrunde und voraus, als ein Fundament, ohne welches keine Innovation im Dasein der Gattung, keine künstlerische oder kulturelle Kreation zustande kommt. Sie ist eine Schöpfung, die das Leben als menschliche Lebensform konstituiert. Sie tut dies, indem sie die Selbstbezüglichkeit und Selbsttransparenz des Lebens erzeugt und damit die Grundlage der bewussten Seinsweise des Menschen schafft, die Grundlage des individuellen wie des mit anderen geteilten 166 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Lebens, das sich im Medium der Selbstverständigung, des Entwurfs und der Kommunikation vollzieht. Im Sprachlichwerden erfolgt eine grundlegende Transformation des Lebendigen, das zum Erkennen der Welt und zum reflexiven Verstehen seiner selbst gelangt. Orientierung, Selbstbestimmung, Selbstregulierung sind Vollzüge, die in der humanen Existenz nicht durch einen Algorithmus oder ein biologisches Gesetz gesteuert, sondern in der sinnhaften Vermittlung über Verständnis und Ausdruck realisiert werden. Das sprechende Lebewesen ist als solches zu jener Lebensführung befähigt, die sowohl der gattungsmäßigen Anthropogenese zugrunde liegt als auch in die individuelle Selbstwerdung eingeht. In phänomenologisch-hermeneutischer Sicht interessiert, was durch diese Verwandlung mit dem Menschen und seinem Leben geschieht. Die facettenreiche Erkundung des Zur-Sprache-Kommens führt zum Ausgangspunkt zurück: Indem der Mensch in die Sprache hineinkommt, indem die Sprache in das Leben eindringt, fällt ein Licht auf die Dinge, wird die Welt hell und werden wir uns selbst verstehbar. Im Kommen zur Sprache realisiert sich die «Erschlossenheit des Daseins»,240 vollzieht sich eine «Existenzerhellung» – der Jaspers’sche Titel,241 der für die reflexive philosophische Befassung mit dem menschlichen Dasein steht, lässt sich in intransitiver Verwendung zugleich auf das beziehen, was sich in der Existenz selbst ereignet, welche an ihr selbst hell, für sich fassbar, verstehbar wird. Solche Selbsttransparenz und Erkenntnis erwächst dem Leben in besonderen, herausgehobenen Erfahrungen, in denen der Mensch mit sich und den Bedingungen seines Seins konfrontiert ist – wie den von Heidegger beschriebenen existentiellen Befindlichkeiten (Angst, Langeweile) oder den von Jaspers konturierten Grenzsituationen (Schuld, Kampf, Tod) –, in allgemeinster, grundlegendster Weise aber kraft der Sprache, die in das Leben kommt und deren das Leben teilhaftig wird. 167 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Dies ist die Quintessenz einer phänomenologisch-hermeneutischen Sprachreflexion, die dasjenige herausstellt, was sich im Wunder der Sprache ereignet, das Aufgehen von Sinn und Verständnis, und was eine phänomenologische Existenzphilosophie in allen Sphären des Daseins, allen Formen des menschlichen Tuns und Erlebens als irreduzibles, unhintergehbares Wesensmoment aufweist. Sprache feiert das Geheimnis dieses Aufgehens. Dass der Mensch zur Sprache kommt, ist der innerste Ursprung und Schlüssel des Menschseins.
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Anmerkungen
Helen Keller, Die Geschichte meines Lebens. Mit einem Vorwort von F. Holländer, übers. von P. Seliger (mit Briefen der Autorin 1887– 1901 und Berichten von A. M. Sullivan), Stuttgart: Lutz 1905, S. 224 ff. 2 Zu vermerken ist die zeittheoretische Divergenz beider Ursprungsfiguren. Der fundamentalphilosophische Satz «Im Anfang war das Wort» (en arche en ho logos / in principio erat verbum) steht im Imperfekt und weist auf einen davorliegenden Zustand, ein ursprünglich Zugrundeliegendes (womit der Aorist / das Perfekt des Satzes «Und das Wort ist Fleisch geworden» – sarx egeneto / caro factum est – kontrastiert, der das zentrale Geschehen der Geschichte anzeigt). Demgegenüber steht das schöpfungstheologische «Es werde Licht» (fiat lux) für das Urereignis schlechthin, das analog in Schöpfungsmythen den Weltanfang (als Auseinanderreißen von Himmel und Erde, Einbrechen des Lichts in das Dunkel, der Differenz in das Ur-Eine) markiert. 3 Helen Keller, Die Geschichte meines Lebens, a. a. O.; Dunkelheit, Stuttgart: Lutz, o. J. (ca. 1908). 4 Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München / Zürich: Piper 1981, S. 166; Augustinus, De Civitate Dei XII, 20. 5 Vgl. Emil Angehrn, Vom Anfang und Ende. Leben zwischen Geburt und Tod, Frankfurt am Main: Klostermann 2020, S. 37–46. 6 Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, Paris: Gallimard 1945, S. 342, 466. 7 Benjamin Lee Whorf, Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 25 2008; Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge ei1
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ner philosophischen Hermeneutik, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Tübingen: Mohr Siebeck 1986, S. 478. 8 Elmar Holenstein, Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Kognitive Unterlagen der Sprache, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980, S. 23. 9 Maurice Merleau-Ponty, Signes, Paris: Gallimard 1960, S. 106, 110 f. 10 Ingolf U. Dalferth, Die Kunst des Verstehens. Grundzüge einer Hermeneutik der Kommunikation durch Texte, Tübingen: Mohr Siebeck 2018, S. 195. 11 Aristoteles, Politik, 1253a9–19. 12 Ebd., 1253a3; genauer ist er ein «in höherem Grade» (a9) politisches Lebewesen als Bienen oder andere Herdentiere, welche auch in Gemeinschaft leben. 13 Ebd., 1253a10. 14 Dirk Westerkamp, Das schweigende Tier. Sprachphilosophie und Ethologie, Hamburg: Meiner 2020, S. 63 f., 69. Vgl. Markus Wild, Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere in der frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume, Berlin / New York: De Gruyter 2006. 15 Markus Wild, Tierphilosophie zur Einführung, Hamburg: Junius 2008; Dominik Perler / Markus Wild (Hg.), Der Geist der Tiere: Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. 16 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Stuttgart: Günther Neske 111997, S. 11; vgl. Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier. Grundzüge des menschlichen Sprachvermögens, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2017. 17 Dirk Westerkamp, Das schweigende Tier, a. a. O., S. 7. 18 Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Hamburg: Meiner 22007, S. 51 [Erstausgabe: An Essay on Man. An Introduction to a Philosophy of Human Culture, New Haven: Yale University Press 1944]; Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1: Die Sprache, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft [1923] 1964; vgl. Gerald Hartung, Das Maß des Menschen. Aporien der philosophischen Anthropologie und ihre Auflösung in der Kul-
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turphilosophie Ernst Cassirers, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2006, S. 324 ff. 19 Die Philosophie der symbolischen Formen behandelt Sprache, Mythos und Wissenschaft als drei Hauptformen des Symbolischen, der spätere Essay on Man ebenso Geschichte, Kunst und Technik. 20 Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, a. a. O., S. 52–71. 21 Vgl. Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, Stuttgart: Reclam 1986; Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, a. a. O. 22 Platon, Kratylos, 383a, 391d, 435d. 23 Edmund Husserl, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass, in: Husserliana Bd. XIII–XV, hg. von Iso Kern, Dordrecht / Boston / Lancaster: Nijhoff 1973. 24 Stellvertretend sei auf Schriften von Michael Tomasello verwiesen: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2011; Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens, Berlin: Suhrkamp 2014. 25 Ernst Tugendhat, Einführung in die sprachanalytische Philosophie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976. 26 Siehe unten S. 66–71. 27 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981; Robert Brandom, Making it Explicit, Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1994. 28 Dirk Westerkamp, Das schweigende Tier, a. a. O., S. 9, 13, 109. 29 Siehe unten S. 83–87; vgl. Emil Angehrn, «Vom Sinn des Schweigens», in: Rainer Schmusch / Jakob Ullmann (Hg.), stille / musik, Büdingen: Pfau-Verlag 2018, S. 73–84. 30 Jan Assmann, «Einführung», in: Aleida und Jan Assmann (Hg.), Schweigen. Archäologie der literarischen Kommunikation XI, München: Fink 2013, S. 9–25, hier S. 9. 31 Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 6.52, 6.522, 7. 32 Reiner Manstetten, «Das Schweigen und der Ursprung des Wortes», in: Quatember. Vierteljahreszeitschrift für die Erneuerung und Einheit der Kirche, Jg. 63,4, 1999, S. 196–203.
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33 Vgl. Aleida Assmann, «Formen des Schweigens», in: Aleida und Jan Assmann (Hg.), Schweigen, a. a. O., S. 51–68. 34 Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer 101963, S. 160. 35 Ebd., S. 165. 36 Ebd., S. 161. 37 Hans-Georg Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. 2: Hermeneutik II, Tübingen: Mohr Siebeck 1986, S. 147 ff. 38 Hans-Georg Gadamer, Gesammelte Werke, Bd. 8: Ästhetik und Poetik I, Tübingen: Mohr Siebeck 1986, S. 361, 366. 39 Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, München: Hanser 1974, S. 104. 40 Emil Angehrn, «Selbstsein und Selbstverständigung: Zur Hermeneutik des Selbst», in: ders. / Joachim Küchenhoff (Hg.), Die Vermessung der Seele. Konzepte des Selbst in Philosophie und Psychoanalyse, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2009, S. 163–183. 41 Vgl. Dirk Westerkamp, Das schweigende Tier, a. a. O., S. 20. 42 Maurice Merleau-Ponty, Phé nomé nologie de la perception, Paris: Gallimard 1945, S. XIVf. 43 Ebd., S. 342. 44 Ebd., S. 496 ff. 45 Ebd., S. 501. 46 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 450. 47 Ebd., S. 351 ff. 48 Helen Keller, Geschichte meines Lebens, a. a. O.; Dunkelheit, a. a. O. 49 Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, Paris: Gallimard 1964, S. 26 ff., 62 f., 73 f., 84. 50 Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, in: ders., Holzwege, Frankfurt am Main: Klostermann 41963, S. 7–68, hier S. 60 f. [GA 5, S. 61]. 51 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 456 ff. 52 Platon, Kratylos, 383a, 391d, 435d, 438c. 53 Vgl. Johann G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, Stuttgart: Reclam 1966, S. 5–16.
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54 Jerome Bruner, Child’s Talk. Learning to Use Language, New York / London: Norton & Company 1983; Eve V. Clark, Language in Children, London / New York: Routledge 2017. 55 Christina Kauschke, Kindlicher Spracherwerb im Deutschen. Verläufe, Forschungsmethoden, Erklärungsansätze, Berlin / Boston: De Gruyter 2012, S. 23 f. 56 Eve V. Clark, Language in Children, a. a. O., S. 20 ff., 28 ff.; Angela Anderka, Elterliches Sprachangebot und vorschulischer Spracherwerb. Eine empirische Analyse zu Zusammenhängen und sozialen Disparitäten, Münster / New York: Waxmann 2018, S. 9–13. 57 Angela Anderka, Elterliches Sprachangebot und vorschulischer Spracherwerb, a. a. O., S. 22–31; Jerome Bruner, Child’s Talk, a. a. O., S. 23 f., 32 ff.; Gisela Klann-Delius, Spracherwerb. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler 32016, S. 49–176. 58 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg: Meiner 6 1952, S. 15; im Gegensatz dazu sieht F. W. J. Schelling im Ansichhalten der Potenz die «wahre Kraft und Stärke» (Philosophie der Offenbarung, Sämtliche Werke II.3., S. 208). 59 G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., S. 41 (gegen «die Unmethode des Ahnens»); vgl. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, Bd. 12, S. 288. 60 Wilhelm von Humboldt, Schriften zur Sprache, Hamburg: Reclam 1973, S. 8, 45, 199. 61 Ebd., S. 60, 46. 62 Ebd., S. 52. 63 Vgl. Claude Panaccio, Les mots, les concepts et les choses. La sémantique de Guillaume d’Occam et le nominalisme d’aujourd’hui, Montréal: Bellarmin / Paris: Vrin 1991. 64 Augustinus, De Trinitate, XV, X, 17, 19; Claude Panaccio, Les mots, les concepts et les choses, a. a. O., S. 72 f. 65 Ausnahmen bilden nach C. Panaccio Rehabilitierungen der mentalen Sprache im Kontext der generativen Grammatik Noam Chomskys und der kognitiven Psychologie bei Jerry Fodor: Claude Panaccio, Les mots, les concepts et les choses, a. a. O., S. 82 ff., 87 ff.
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Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 203 ff. 67 Ebd., S. 203. 68 Ebd., S. 206 f. 69 Maurice Merleau-Ponty, «Sur la phénoménologie du langage», in: Signes, Paris: Gallimard 1960, S. 105–122, hier S. 112. 70 Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 211 f. 71 Ebd., S. 214 f. 72 So der Titel eines 1805/06 entstandenen, 1878 postum veröffentlichten Aufsatzes von Heinrich von Kleist. 73 Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 495. 74 Hans Georg Gadamer, «Mensch und Sprache», in: Gesammelte Werke, Bd. 2: Hermeneutik II, Tübingen: Mohr Siebeck 1986, S. 146– 154, hier S. 147 ff. 75 Johann G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, a. a. O., S. 5. 76 Ebd., S. 6 ff., 15 f. 77 Ebd., S. 54–59. 78 Michel Henry, Incarnation. Une philosophie de la chair, Paris: Seuil 2000, S. 172, 241 ff. 79 Ebd., S. 10 f., 31. 80 Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 203. 81 Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 279–282. 82 Ebd., S. 283; Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 498, 501, 503. 83 Jerome Bruner, Child’s Talk, a.a.O., S. 37 ff., 43 ff. 84 Vgl. Wolfram Hogrebe, «Protodeixis. Was zeigt sich zuerst?», in: Gottfried Boehm / Christian Spies / Sebastian Egenhofer (Hg.), Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, München: Fink 2010, S. 372–385. 85 Vgl. Gottfried Boehm u. a. (Hg.), Zeigen, a. a. O. 86 Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 209. 66
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Vgl. Gisela Klann-Delius, Spracherwerb. Eine Einführung, a. a. O., S. 21 ff.; Jerome Bruner, Child’s Talk, a. a. O., S. 26 f. 88 Gisela Klann-Delius, Spracherwerb, a. a. O., S. 25–32. 89 Michael Tomasello, Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2011; Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 113, 504; Jerome Bruner, Child’s Talk, a. a. O., S. 39–64; Angela Anderka, Elterliches Sprachangebot und vorschulischer Spracherwerb, a. a. O., S. 81; Eve V. Clark, Language in Children, a. a. O., S. 100 ff. 90 Bekannt sind der von Herodot (Historien, Buch II.2) berichtete Versuch des ägyptischen Pharao Psammetich (7. Jh. v. Chr.) und das durch Salimbene von Parma beschriebene Experiment des Stauferkönigs Kaiser Friedrich II. (1194–1250); analoge Sprachentzugsexperimente werden Jakob IV. von Schottland (1473–1513) und dem indischen Großmogul Jalaluddin Muhammad Akbar (1552–1605) zugeschrieben. 91 John Langshaw Austin, How to do things with words, Oxford: Clarendon Press 21975. 92 Gisela Klann-Delius, Spracherwerb, a. a. O., S. 24. 93 Ebd., S. 21–27; Christina Kauschke, Kindlicher Spracherwerb im Deutschen, a. a. O., S. 23–32. 94 Ebd., S. 32. 95 Jerome Bruner, Child’s Talk, a. a. O., S. 22 f. 96 Christina Kauschke, Kindlicher Spracherwerb im Deutschen, a. a. O., S. 149. 97 Jerome Bruner, Childs’s Talk, a. a. O.; Angela Anderka, Elterliches Sprachangebot und vorschulischer Spracherwerb, a. a. O., S. 13–16 passim. 98 Robert Brandom, a.a.O.; vgl. Dirk Westerkamp, Das schweigende Tier, a. a. O., S. 25 ff.; Susanne Langer, Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst, Frankfurt am Main: Fischer 1984, S. 69. 99 Vgl. Jürgen Habermas, «Hermeneutische und analytische Philosophie. Zwei komplementäre Spielarten der linguistischen Wende, in:
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175 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
ders., Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main: 2003, S. 65–101. 100 Elmar Holenstein, Von der Hintergehbarkeit der Sprache, a. a. O., S. 26. 101 Ebd., S. 41 ff. 102 Claude Panaccio, Les mots, les concepts et les choses, a. a. O., S. 165 ff., 190 ff.; vgl. oben S. XXX. 103 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Tübingen: Mohr Siebeck 61990, S. 375 ff.; vgl. Emil Angehrn, «Vom Sinn des Fragens. Wege nachmetaphysischen Philosophierens», in: Karl Pestalozzi (Hg.), Der fragende Sokrates, Stuttgart / Leipzig: Teubner 1999, S. 189–207. 104 Platon, Theaitetos, 155 c–d; Aristoteles, Metaphysik, 982 b. 105 Exemplarisch: Paul Ricœur, Temps et récit, 3 Bde., Paris: Seuil 1983 ff. 106 Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 551. 107 Ebd., S. 601. 108 Vgl. Emil Angehrn, «Kultur zwischen Bewahrung und Verä nderung. Eine hermeneutische Perspektive», in: Stefan Deines / Daniel Martin Feige / Martin Seel (Hg.), Formen kulturellen Wandels, Bielefeld: transcript 2012, S. 87–102. 109 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 215. 110 Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 336. 111 Ebd., S. 355 ff. 112 Maurice Merleau-Ponty, «Le langage indirect et les voix du silence», in: ders., Signes, Paris: Gallimard 1960, S. 49–104, hier S. 52. 113 Ebd., S. 94. 114 Ebd., S. 99. 115 Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Über die Produktion von Präsenz, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004. 116 Vgl. Gottfried Boehm, Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin: Berlin University Press 2007; Gunnar Hindrichs, Die
176 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Autonomie des Klangs. Eine Philosophie der Musik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2015. 117 Vgl. Emil Angehrn, Sinn und Nicht-Sinn. Das Verstehen des Menschen, Tübingen: Mohr Siebeck 2010, S. 8–241. 118 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1966, S 62. 119 François Jullien, Si parler va sans dire. Du logos et d’autres ressources, Paris: Éditions du seuil 2006; Aristoteles, Metaphysik IV.4; vgl. Emil Angehrn, «Vom Sinn des Schweigens», in: Rainer Schmusch / Jakob Ullmann (Hg.), stille / musik, a. a. O., S. 73–84. 120 Siehe oben S. 33 f.; vgl. Dirk Westerkamp, Das schweigende Tier, a. a. O. 121 Alice Lagaay unterscheidet mit Roland Barthes das bedeutungsfreie Schweigen / die Stille der Natur (silere) vom sinnbezogenen Schweigen der Sprache (tacere): «How to Do – and Not to Do – Things with Nothing. Zur Frage der Performativität des Schweigens», in: Barbara Gronau / Alice Lagaay (Hg.), Performanzen des Nichtstuns, Wien: Passagen 2008, S. 21–32, hier S. 30. 122 Jan Assmann, «Einführung», in: Aleida und Jan Assmann (Hg.), Schweigen, a. a. O., S. 9. 123 Thomas Fuchs, «Zur Phänomenologie des Schweigens», in: Martin Heinze u. a. (Hg.), Sagbar – Unsagbar. Philosophische, psychoanalytische und psychiatrische Grenzreflexionen, Berlin: Parodos 2006, S. 89–108, hier S. 93 f.; Fuchs thematisiert das schweigende Miteinander bis hin zum therapeutischen Umgang mit Mutismus. 124 Vgl. Rainer Schmusch / Jakob Ullmann (Hg.), stille / musik, a. a. O. 125 So der Titel eines Dokumentarfilms (1996); vgl. das DVD-Porträt Claudio Abbado: Hearing the Silence (2010). 126 Zit. nach Christoph Wulf, «Schweigen», in: ders. (Hg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim / Basel: Beltz 1998, S. 1119–1127, hier S. 1125. 127 Roland Moser, «Stillreden», in: Rainer Schmusch / Jakob Ullmann (Hg.), stille / musik, a. a. O., S. 11–20, hier S. 15.
177 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
128 Vgl. Reiner Manstetten, «Das Schweigen und der Ursprung des Wortes», in: Quatember. Vierteljahreszeitschrift für Erneuerung und Einheit der Kirche, Jg. 63,4, 1999, S. 196–203; siehe oben S. 34. – Hans Urs von Balthasar macht «in allen Religionen einen Überdruss am Wort und eine Faszination durch das Schweigen» aus; mit Origenes versteht er «das gesamte Wort Gottes, das im Anfang bei Gott war», als «etwas anderes als Worte», mit Augustinus erkundet er das «Verstummen der Worte im Wort»: Verbum caro. Skizzen zur Theologie I, Einsiedeln: Johannes Verlag 1960, S. 135, 142. 129 Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 495. 130 Ebd., S. 18, 209 f. Taylor zeichnet die Opposition zwischen einer reduktionistischen Sprachauffassung und einer die Konstitutionskraft der Sprache erschließenden Theorie im Gegensatz zweier Traditionslinien nach, der Theorien von Hobbes, Locke und Condillac einerseits, von Hamann, Herder und Humboldt andererseits (S. 7 f. passim). 131 Vgl. Peter Sloterdijk, Zur Welt kommen – Zur Sprache kommen. Frankfurter Vorlesungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. 132 Fernando Pessoa, Quadras ao Gosto Popular, Lisboa: Ática 61973, S. 110. 133 Siehe oben S. 34–36. 134 Vgl. Michael Tomasello, Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009. 135 Karl Jaspers, Philosophie II: Existenzerhellung, Berlin / Heidelberg / New York: Springer 41973, S. 64 f. 136 Ebd., S. 67. 137 Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier, a. a. O., S. 425, 434. 138 Walter Benjamin: «Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen», in: Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972 ff., Bd. II.1, S. 140–157, hier S. 140 f. 139 Hans-Georg Gadamer, «Die Natur der Sache und die Sprache der Dinge», in: Gesammelte Werke, Bd. 2, Tübingen: Mohr Siebeck 1993, S. 66–76, hier S. 72. 140 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, a. a. O., S. 478. 141 Siehe unten S. 141–145.
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Vgl. Helmut Plessner, Ausdruck und menschliche Natur, in: Gesammelte Schriften, Bd. VII, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982. 143 Siehe oben S. 49–55; vgl. Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 203 ff. 144 Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 52 ff., 166 ff. 145 Vgl. Emil Angehrn, «Die Fragwürdigkeit des Menschen. Zwischen Anthropologie und Hermeneutik», in: Ingolf U. Dalferth / Andreas Hunziker (Hg.), Seinkönnen. Der Mensch zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, S. 3–18; ders., «Selbstsein und Selbstverständigung», a. a. O. 146 Maurice Merleau-Ponty, La structure du comportement, Paris: Presses universitaires de France 1942; Phénoménologie de la perception, a. a. O. 147 Michael Theunissen, Negative Theologie der Zeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992. 148 Alice Holzhey-Kunz, Leiden am Dasein. Die Daseinsanalyse und die Aufgabe einer Hermeneutik psychopathologischer Phänomene, Wien: Passagen 1994. 149 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, a.a.O., S. 27. 150 Vgl. Emil Angehrn, Sein Leben schreiben. Wege der Erinnerung, Frankfurt am Main: Klostermann 2017, Kap. 9. 151 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, B 230, § 79. 152 Emil Angehrn, «‹Erschließung des Humanen aus seiner Verleugnung und Abwesenheit›. Zwischen methodischem und inhaltlichem Negativismus», in: Sebastian Hüsch / Isabelle Koch / Philipp Thomas (Hg.), Negative Knowledge, Tübingen: Narr Francke Attempto 2020, S. 89–104; ders., Sinn und Nicht-Sinn. Das Verstehen des Menschen, Tübingen: Mohr Siebeck 2010; ders. / Joachim Küchenhoff (Hg.), Macht und Ohnmacht der Sprache. Philosophische und psychoanalytische Perspektiven, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2012. 153 Vgl. Emil Angehrn, «Dialogische Hermeneutik. Vom Ursprung des Sinns im Anderen», in: Burkhard Liebsch (Hg.), Dialog. Ein koope142
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rativer Kommentar, Freiburg / München: Alber (Interpretationen und Quellen, Bd. 5), S. 57–73. 154 Vgl. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, a. a. O., S. 166 ff.; Emil Angehrn, Vom Anfang und Ende, a. a. O., S. 37 ff. 155 «Le premier mot ne dit que le dire lui-même»: Emmanuel Levinas, En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, Paris: Vrin 1988, S. 236. 156 Emmanuel Levinas, Autrement qu’être ou au-delà de l’essence, Martinus Nijhoff (biblio essais): Paris 1978, S. 16 ff., 282. 157 Ebd., S. 17. Der Gedanke verweist auf die allgemeinere Figur eines «vor-ursprünglichen Vergangenen», welches «älter als jeder repräsentierbare Ursprung» ist (ebd., S. 23), die als Instanz des uneinholbaren Ursprungs analog bei Jacques Derrida, Paul Ricœur, Maurice Merleau-Ponty reflektiert wird; vgl. Emil Angehrn, «Das Vergangene, das nie gegenwärtig war: Zwischen Leidenserinnerung und Glücksversprechen», in: ders. / Joachim Küchenhoff (Hg.), Das unerledigte Vergangene. Konstellationen der Erinnerung, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2015, S. 175–205. 158 Emmanuel Levinas, «Herméneutique et au-delà», in: ders., Entre nous, Paris: Grasset 1991, S. 75–85, hier S. 83. 159 Dante Alighieri, De vulgari eloquentia I, v 1, in: Ruedi Imbach, Porträt des Dichters als Philosoph. Eine Betrachtung des philosophischen Denkens von Dante Alighieri, Basel: Schwabe (Jacob BurckhardtGespräche auf Castelen, Bd. 37), 2020, S. 39. 160 Ebd., S. 39 f. 161 Fritz Mauthner, Muttersprache und Vaterland, Leipzig: Dürr & Weber 1920. 162 Hans-Georg Gadamer, «Heimat und Sprache», in: Gesammelte Werke, Bd. 8: Ästhetik und Poetik I, Tübingen: Mohr Siebeck 1993, S. 366–372, hier S. 366 f.; vgl. Martin Heidegger, «Sprache und Heimat (1960)», in: ders., Aus der Erfahrung des Denkens. 1910–1976, Gesamtausgabe, Bd. 13, Frankfurt am Main: Klostermann 1983, S. 155– 180. 163 Wilhelm von Humboldt, «Einleitung zum Kawi-Werk. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf
180 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts», in: ders., Schriften zur Sprache, Stuttgart: Reclam 1995, S. 30–207, hier S. 32 f. 164 Fritz Mauthner, Sprache und Leben. Ausgewählte Texte aus dem philosophischen Werk, hg. von Gershon Weiler, Salzburg / Wien: Residenz Verlag 1986, S. 35 f. 165 Jacques Derrida, Le monolinguisme de l’autre ou la prothèse d’origine, Paris: Galilée 1996, S. 15. 166 Ebd., S. 7. 167 Emmanuel Levinas, En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, a. a. O., S. 228 f.; Éthique et Infini, Paris: Fayard 1982, S. 54, 79; Stephan Strasser, «Emmanuel Levinas: Ethik als Erste Philosophie», in: Bernhard Waldenfels, Phänomenologie in Frankreich, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 218–265, hier S. 255 ff. 168 Emmanuel Levinas, En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, a. a. O., S. 198, 201; vgl. Rudolf Bernet, «Levinas’s Critique of Husserl», in: Simon Critchley / Robert Bernasconi (Hg.), The Cambridge Companion to Levinas, Cambridge University Press 2002, S. 89 f. 169 Emmanuel Levinas, Éthique et Infini, a. a. O., S. 71. 170 Emmanuel Levinas, En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, a. a. O., S. 228 f. 171 Emmanuel Levinas, Éthique et Infini, a. a. O., S. 79. 172 Julien Caron-Lanteigne, L’herméneutique dans l’œuvre d’Emmanuel Levinas. Mémoire présenté à la Faculté des études supérieures en vue de l’obtention du grade de M.A. en philosophie, Université de Montréal 2011, S. 4, 10, 19. 173 Emmanuel Levinas, En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, a. a. O., S. 173. 174 Vgl. Julien Caron-Lanteigne, L’herméneutique dans l’œuvre d’Emmanuel Levinas, a. a. O., S. 32, 36 ff., 51, 83. 175 Emmanuel Levinas, Éthique et Infini, a. a. O., S. 83. 176 Emmanuel Levinas, Autrement qu’être, a. a. O., S. 30. 177 Emmanuel Levinas, Éthique et Infini, a. a. O., S. 82, 92. 178 Emmanuel Levinas, «Notes sur le sens», in: ders., De Dieu qui vient à l’idée, Paris: Vrin 1982, S. 231–257, hier S. 245 f.
181 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Emmanuel Levinas, «Langage et proximité», in: ders., En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, a. a. O., S. 218–236, hier S. 233; dt.: «Sprache und Nähe», in: Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, übers. von W. N. Krewani, S. 260–294, hier S. 288. 180 Bernhard Waldenfels, Antwortregister, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 320 ff. 181 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 375 ff.; Emil Angehrn, «Vom Sinn des Fragens», a. a. O. 182 Simon Critchley, The Ethics of Deconstruction. Derrida and Levinas, Edinburgh University Press 32014. 183 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 478. – Der Satz ist Titel des Sammelbandes zu Gadamers 100. Geburtstag: Rüdiger Bubner u. a., «Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache». Hommage an Hans-Georg Gadamer, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001. 184 Vgl. Emil Angehrn, Die Überwindung des Chaos. Zur Philosophie des Mythos, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996. 185 Parmenides B2. 186 Aristoteles, Metaphysik, IV 3–4. 187 Vgl. oben (S. 82 f.) das von François Jullien am Beispiel des chinesischen Denkens explizierte Konzept eines «Sprechens ohne Sagen»: Si parler va sans dire, a. a. O. 188 Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 9, 40. 189 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 485 f. 190 Ebd., S. 458. 191 Damir Barbaric, «Die Grenze zum Unsagbaren. Sprache als Horizont einer hermeneutischen Ontologie», in: Günter Figal (Hg.), HansGeorg Gadamer: Wahrheit und Methode (Klassiker Auslegen, Bd. 30), Berlin: Akademie Verlag 2007, S. 199–218, hier S. 201. 192 Paul Ricœur, De l’interprétation. Essai sur Freud, Paris: Seuil 1965, S. 38. 179
182 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Wolfram Hogrebe, Prädikation und Genesis. Metaphysik als Fundamentalheuristik im Ausgang von Schellings «Die Weltalter», Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989. 194 Grundlegung der positiven Philosophie, Münchener Vorlesung WS 1832 und SS 1833, hg. von H. Fuhrmans, Torino: Bottega d’Erasmo 1972, S. 222. 195 Wolfram Hogrebe, Prädikation und Genesis, a. a. O., S. 105. 196 Ebd., S. 23. 197 Vgl. Emil Angehrn, «Der entgegenkommende Sinn. Offenbarung und Wahrheitsgeschehen», in: ders., Die Herausforderung des Negativen. Zwischen Sinnverlangen und Sinnentzug, Schwabe: Basel 2015, S. 152–173. 198 Vgl. Hans-Georg Gadamer, «Die Natur der Sache und die Sprache der Dinge (1960)», in: Gesammelte Werke, Bd. 2, Mohr Siebeck: Tübingen 1995, S. 66–76. 199 Martin Heidegger, Sein und Zeit, a.a.O., § 18. 200 Heraklit, B 123. 201 Martin Heidegger, «Vom Wesen und Begriff der Physis», in: ders., Wegmarken, Frankfurt am Main: Klostermann 1967, S. 309– 371, hier S. 370 f.; vgl. ders., Heraklit, Gesamtausgabe, Bd. 55, Frankfurt am Main: Klostermann 1979, S. 85 ff. 202 Aristoteles, Physik, 199 a15–17. 203 Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986. 204 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 462. 205 Martin Heidegger, «Brief über den ‹Humanismus›», in: ders., Wegmarken, Frankfurt am Main: Klostermann 1967, S. 145–194, hier S. 192. 206 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Stuttgart: Günther Neske 111997, S. 31. 207 Ebd., S. 159. 208 Ebd., S. 32 f. 209 Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, a. a. O., S. 32, 73 ff. 210 Martin Heidegger, Sein und Zeit, a.a.O., S. 34. 211 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, a. a. O., S. 155. 193
183 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
212 Immanuel Kant, Reflexion 1820a, in: Akademie-Ausgabe, Berlin: De Gruyter 1900 ff., Bd. XVI, S. 127. 213 Jorge Luis Borges, Historia de la eternidad, Buenos Aires: Emecé Editores 1953, S. 28. 214 Martin Heidegger, «Brief über den ‹Humanismus›», a. a. O., S. 145, 191. 215 Maurice Merleau-Ponty, «Le doute de Cézanne», in: ders., Sens et non-sens, Paris: Nagel 1948, S. 15–44, hier S. 35. 216 Vgl. Bernhard Waldenfels, Antwortregister, a. a. O., S. 580. 217 Marcel Proust, À la recherche du temps perdu, Vol. I, Paris: Gallimard 1954. 218 Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception, a. a. O., S. 501. 219 Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 493 f. 220 Vgl. Heraklits eindringliche Beschreibung der Grenzenlosigkeit des Logos der Seele (DK 22 B 45): «Grenzen der Seele wirst du nicht entdecken, auch wenn du jeden denkbaren Weg gehst: So tiefen logos hat sie.» 221 Platon, Phaidon, 90c; vgl. Günter Figal, «Dem Logos vertrauen», in: ders., Der Sinn des Verstehens. Beiträge zur hermeneutischen Philosophie, Stuttgart: Reclam 1996, S. 132–151. 222 Vgl. Walter Benjamin, «Die Aufgabe des Übersetzers», in: Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972 ff., Bd. IV.1, S. 9–21; Jacques Derrida, «Babylonische Türme. Wege, Umwege, Abwege», in: Alfred Hirsch (Hg.), Übersetzung und Dekonstruktion, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 119–165. 223 Jacques Derrida, Le monolinguisme de l’autre ou la prothèse d’origine, a.a.O., S. 42 f., 47 f. 224 Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, a. a. O., S. 26 (dt.: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays, hg. von Christian Bermes, Hamburg: Meiner 2003). 225 Ebd., S. 82 f. (dt. 311 f.). 226 Vgl. Richard Rorty, Der Spiegel der Natur, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981; Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin: De Gruyter 1967.
184 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Mit Nachdruck hat Gottfried Boehm die eigenständige Wirkungsweise des Bildes betont: Gottfried Boehm (Hg.), Was ist ein Bild?, München: Fink 1994; (Hg.), Homo pictor, München / Leipzig: Saur 2001; Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin: Berlin University Press 2007. 228 Verfasst (gemäß einem Eintrag am Schluss des Textes) im Juli/ August 1960 in Le Tholonet, zuerst veröffentlicht in: Art de France. Revue annuelle de l’art ancien et moderne 1 (1961), S. 187–208. 229 Vgl. Maurice Merleau-Ponty, La structure du comportement, Paris: Presses universitaires de France 1942; Phénoménologie de la perception, a. a. O.; Sens et non-sens, Paris: Nagel 1948. 230 Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, a. a. O., S. 39 (dt. 290). 231 Ebd., S. 36 ff. (dt. 288 ff.). 232 Ebd., S. 30 (dt. 285). 233 Ebd., S. 41 (dt. 291). 234 Ebd., S. 74 (dt. 307). 235 Ebd., S. 81 (dt. 311), 85 (dt. 313). 236 Vgl. den Brief vom 9. Januar 1903 an den Kunsthändler Ambroise Vollard: «Ich arbeite hartnäckig, ich sehe das gelobte Land vor mir. Wird es mir ergehen wie dem großen Führer der Hebräer, oder werde ich es betreten können?» 237 Maurice Merleau-Ponty, L’Œil et l’Esprit, a. a. O., S. 28 f. (dt. 285). 238 Ebd., S. 9 (dt. 275). 239 Ebd., S. 87 (dt. 314). 240 Martin Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O., S. 160. 241 Karl Jaspers, Philosophie II: Existenzerhellung, a. a. O. 227
185 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
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des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts», S. 30–207 Waldenfels, Bernhard, Antwortregister, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994 Westerkamp, Dirk, Das schweigende Tier. Sprachphilosophie und Ethologie, Hamburg: Meiner 2020 Whorf, Benjamin Lee, Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 252008 Wild, Markus, Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere in der frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume, Berlin / New York: De Gruyter 2006 Wild, Markus, Tierphilosophie zur Einführung, Hamburg: Junius 2008 Wittgenstein, Ludwig, Tractatus logico-philosophicus, in: Schriften 1, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969, S. 7–83 Wulf, Christoph, «Schweigen», in: ders. (Hg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim / Basel: Beltz 1998, S. 1119–1127
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Personenregister
Abbado, Claudio 84, 177 Adorno, Theodor W. 82, 110, 177, 179 Akbar, Jalaluddin Muhammad 175 Anderka, Angela 173, 175 Arendt, Hannah 15, 115, 169, 180 Aristoteles 25, 29, 54, 73 f., 82, 101, 136, 162, 170, 176 f., 182 f. Assmann, Aleida 172 Assmann, Jan 33, 84, 171 f., 177 Augustinus 16, 52, 169, 173, 178 Austin, John Langshaw 64, 175 Balthasar, Hans Urs von 178 Barbaric, Damir 182 Barthes, Roland 177 Benjamin, Walter 100, 153, 178, 184 Bernet, Rudolf 181 Blumenberg, Hans 137, 143, 182 f. Boehm, Gottfried 174, 176, 185
Borges, Jorge Luis 147, 184 Brandom, Robert 33, 69, 171, 175 Bruner, Jerome 173–175 Bubner, Rüdiger 182 Caron-Lanteigne, Julien 125, 181 Cassirer, Ernst 28 f., 170 f. Cézanne, Paul 40, 148, 160, 184 Chomsky, Noam 48, 173 Clark, Eve V. 173, 175 Condillac, Étienne Bonnot de 44, 178 Critchley, Simon 130, 181 f. Dalferth, Ingolf U. 22, 170, 179 Dante Alighieri 180 Davidson, Donald 70 Derrida, Jacques 122, 130, 153, 180–182, 184 Descartes, René 160, 170 Dilthey, Wilhelm 50, 142 Figal, Günter 182, 184 Fodor, Jerry 173
197 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Foucault, Michel 36, 172 Friedrich II. 175 Fuchs, Thomas 177 Gadamer, Hans-Georg 17, 35, 39, 41, 71, 101, 121, 128, 133, 138, 144, 151, 169, 172, 174, 176, 178, 180, 182–184 Guitry, Sacha 85 Gumbrecht, Hans Ulrich 176 Habermas, Jürgen 33, 171, 175 Hamann, Johann Georg 178 Hartung, Gerald 170 Hegel, G. W. F. 50, 82, 101, 150, 173 Heidegger, Martin 35, 37, 41, 142, 144–147, 149 f., 167, 170, 172, 180–185 Heinze, Martin 177 Henry, Michel 56 f., 174 Heraklit 142, 183 f. Herder, Johann Gottfried 44 f., 55, 171 f., 174, 178 Herodot 175 Hesiod 134 Hindrichs, Gunnar 176 Hobbes, Thomas 178 Hogrebe, Wolfram 139, 174, 183 Holenstein, Elmar 17, 69, 170, 176 Holzhey-Kunz, Alice 109, 179
Humboldt, Wilhelm von 44, 50–53, 55, 79, 99, 102, 121, 173, 178, 180 Husserl, Edmund 30, 59, 107, 171, 180–182, 184 Imbach, Ruedi
119, 180
Jakob IV. 175 Jaspers, Karl 97 f., 167, 178, 185 Johannes (Apostel) 14, 57, 178 Jullien, François 82 f., 177, 182 Kant, Immanuel 110, 147, 179, 184 Kauschke, Christina 173, 175 Keller, Helen 9, 14 f., 21, 29, 66, 157, 162, 169, 172 Klann-Delius, Gisela 173, 175 Klee, Paul 40, 160 Kleist, Heinrich von 54, 174 Küchenhoff, Joachim 172, 179 f. Lagaay, Alice 177 Langer, Susanne 175 Levinas, Emmanuel 114, 118 f., 123–127, 180–182 Liebsch, Burkhard 179 Locke, John 178 Luhmann, Niklas 176 Manstetten, Reiner 171, 178 Mauthner, Fritz 121 f., 180 f.
198 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Merleau-Ponty, Maurice 16, 22, 37 f., 40, 52 f., 57–59, 61, 102, 108 f., 130, 143, 146, 148, 157, 159–161, 163 f., 169 f., 172, 174, 176, 179 f., 183–185 Moser, Roland 85, 177 Ockham, Wilhelm von
Saussure, Ferdinand de 23 Schelling, F. W. J. 139 f., 173, 183 Schmusch, Rainer 171, 177 Sloterdijk, Peter 178 Sokrates 75, 152, 176 Strasser, Stephan 181 Sullivan, Anne 9, 169
52, 70
Panaccio, Claude 70, 173, 176 Parmenides 135 f., 182 Perler, Dominik 170 Pessoa, Fernando 93, 178 Pestalozzi, Karl 176 Piaget, Jean 48 Platon 30, 41, 45, 74, 100, 136, 171 f., 176, 184 Plessner, Helmut 179 Proust, Marcel 148, 184 Psammetich (Pharao) 175 Ricœur, Paul 138, 141, 176, 180, 182 Rilke, Rainer Maria 157 Rodin, Auguste 157 Rorty, Richard 104, 179, 184 Salimbene von Parma 175 Sartre, Jean-Paul 36 f.
Taylor, Charles 58, 76 f., 79, 90 f., 100, 170, 174–176, 178 Theunissen, Michael 109, 179 Tomasello, Michael 171, 175, 178 Tugendhat, Ernst 32, 171, 184 Ullmann, Jakob
171, 177
Vollard, Ambroise 185 Waldenfels, Bernhard 128, 181 f., 184 Westerkamp, Dirk 27, 33, 170– 172, 175, 177 Whorf, Benjamin Lee 17, 169 Wild, Markus 170 Wittgenstein, Ludwig 34, 171 Wulf, Christoph 177
199 https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4373-9 .
Das Signet des Schwabe Verlags ist die Druckermarke der 1488 in Basel gegründeten Offizin Petri, des Ursprungs des heutigen Verlagshauses. Das Signet verweist auf die Anfänge des Buchdrucks und stammt aus dem Umkreis von Hans Holbein. Es illustriert die Bibelstelle Jeremia 23,29: «Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeisst?»
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