Staatsschutzgesetzgebung und Medienfreiheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong: Eine exemplarische Untersuchung des Art. 23 Basic Law unter Berücksichtigung staatstheoretischer, verfassungsrechtlicher und rechtskultureller Besonderheiten [1 ed.] 9783428537235, 9783428137237

Benjamin Lotz beschäftigt sich mit dem Gesetzgebungsauftrag in Art. 23 des Hongkonger Basic Law, der die chinesische Son

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German Pages 260 Year 2012

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Staatsschutzgesetzgebung und Medienfreiheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong: Eine exemplarische Untersuchung des Art. 23 Basic Law unter Berücksichtigung staatstheoretischer, verfassungsrechtlicher und rechtskultureller Besonderheiten [1 ed.]
 9783428537235, 9783428137237

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1213

Staatsschutzgesetzgebung und Medienfreiheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong

Von Benjamin N. Lotz

Duncker & Humblot · Berlin

BENJAMIN N. LOTZ

Staatsschutzgesetzgebung und Medienfreiheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1213

Staatsschutzgesetzgebung und Medienfreiheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong Eine exemplarische Untersuchung des Art. 23 Basic Law unter Berücksichtigung staatstheoretischer, verfassungsrechtlicher und rechtskultureller Besonderheiten

Von Benjamin N. Lotz

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13723-7 (Print) ISBN 978-3-428-53723-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-83723-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2010 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Die dem Druck zugrundeliegende Textfassung blieb bis auf wenige Aktualisierungen und Ergänzungen unverändert. Großer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Philip Kunig, der das Arbeitsvorhaben trotz der aus deutscher Sicht ungewöhnlichen Thematik von Beginn an mit großem Interesse begleitet hat. Von der engagierten Betreuung, gerade auch während des fast einjährigen Aufenthalts an der Hong Kong University, von seinem Verständnis der chinesischen Rechtskultur und zahlreichen Anregungen habe ich sehr profitiert. Herrn Prof. Dr. Markus Heintzen danke ich sehr herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus bin ich der FAZIT-Stiftung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die finanzielle Förderung während der Anfertigung der Arbeit sowie für die teilweise Übernahme der Druckkosten zu Dank verpflichtet. Ich widme diese Arbeit meiner Familie, vor allen meinen lieben Eltern. Ihr Zuspruch und ihre liebevolle Unterstützung haben die Arbeit in vorliegender Form überhaupt erst ermöglicht. Berlin, im Februar 2012

Benjamin Lotz

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Thematischer Rahmen und Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 16

B. Historisch-politischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geschichtlicher Überblick (einschließlich völkerrechtlicher Grundfragen) . 1. Hongkong als britische Kronkolonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Britischer Gebietserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Konzept der „ungleichen Verträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufstieg zur Wirtschaftsmetropole und politische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Übergang zur Sonderverwaltungszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhandlungen und Vorbereitung der Rückgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur und Wirksamkeit der sino-britischen Gemeinsamen Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konfliktpunkte bis zum Stabwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung des Rückgabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anmerkungen zum Regierungs- und Rechtssystem der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsorganisation und politisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwaltungsgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ideologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Kommunistische Partei Chinas und ihr Verhältnis zum Staat . . . d) Regierung und Nationaler Volkskongress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsentwicklungen seit der chinesischen Öffnungspolitik . . . . . . . . . . . a) Verfassung und Staatsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirtschaftsverfassung und privatrechtliche Kodifizierungswelle . . . . 3. Schlussfolgerungen für „Ein Land, zwei Systeme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18 19 19 21

C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Organisationsprinzip „Ein Land, zwei Systeme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffsbedeutung und Ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zu anderen Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55 55 56 56 57 59

23 24 24 26 30 34 36 37 37 38 39 40 43 43 46 49 52

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Inhaltsverzeichnis 2. Staatsrechtliche Ausgestaltung durch das Basic Law . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Das Basic Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Geltungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 bb) Verhältnis zur nationalen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Emanationen von „Ein Land, zwei Systeme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Der „high degree of autonomy“ gemäß Art. 2 BL . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Exekutive Unabhängigkeit und politisches System . . . . . . . . . . . . 65 (1) Kompetenzen der Lokalregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (2) Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Legislative Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 cc) Judikative Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. „Ein Land, zwei Systeme“ in praxi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Verfassungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Formeller Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Materieller Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Erwägungen im Zusammenhang „Ein Land, zwei Systeme“ . . . . . . . . . . . 86 a) Auslegung durch den Ständigen Ausschuss des NVK . . . . . . . . . . . . . 86 b) Verdrängung durch volksrepublikanische Strafvorschriften . . . . . . . . . 89 aa) Exkurs: Staatsschutzrecht in der VRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (a) Das chinesische Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (b) Weitere Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (2) Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Exterritoriale Anwendung auf die SVZ Hongkong . . . . . . . . . . . . 98 3. Umsetzungsversuch durch den Security Bill 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Analyse und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

D. Medienfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung in der SVZ Hongkong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausmaß der Medienlandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtlicher Wirkungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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a) Art. 3 Abs. 5 S. 2 der sino-britischen Gemeinsamen Erklärung . . . . . b) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . aa) Implementierung durch den Hong Kong Bill of Rights Ordinance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geltungsanordnung gemäß Art. 39 BL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 27 1. Hs. BL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kulturspezifische Überlagerung infolge „asiatischer Werte“ . . . . . . . . . . a) Verlauf und Gegenstand der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diskursteilnehmer und Grundthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einzelstaatliche Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Internationale Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zivilgesellschaftliche Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Argumentationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der diskutierte Wertekatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Auswirkungen in der SVZ Hongkong . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Implikationen für grundrechtliche Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . bb) Implikationen für die grundrechtliche Güterabwägung . . . . . . . . . (1) Gesellschaftliches Wertesystem in Hongkong . . . . . . . . . . . . . (a) Weltanschauliche und religiöse Rahmenbedingungen . . (b) Wertauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schlüssigkeit der „asiatischen Werte“ als Rechtskonzept . . . (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesetzeslage und gerichtliche Auslegung außerhalb des Staatsschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 115

E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze . . . . . . . I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herausforderungen des politischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prämisse normativer Vorfestlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandliche Weite und Elastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gestaltungs- und Auslegungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das „Prinzip minimaler Gesetzgebung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Siracusa und Johannesburger Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung gemäß Art. 27 1. Hs., 39 BL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufwiegelung (sedition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urprünge und Verbotsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslage in Hongkong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklung des gegenwärtigen Rechtsbestands . . . . . . . . . . . . . . bb) Gerichtliche Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reform nach Art. 23 BL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begehungsarten (Art. 10 Abs. 1, 2 CO/Art. 9A Abs. 1, 9C SB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundtatbestand (Art. 10 Abs. 1 lit. a CO/Art. 9A Abs. 1 SB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zusatztatbestände (Art. 10 Abs. 1 lit. c, d, Abs. 2 CO/ Art. 9C SB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Umgang mit aufwieglerischen Veröffentlichungen . . . . . (b) Besitz aufwieglerischer Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . bb) Aufwiegelungsziele (Art. 9 CO/Art. 9A Abs. 1 SB) . . . . . . . . . . (1) Bezugsstraftaten (Art. 9A Abs. 1 lit. a SB) . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Staatsordnung gefährdende Unruhen (Art. 9A Abs. 1 lit. b SB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Regelungsnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Grundrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Gewaltsame öffentliche Unruhen . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Ernsthafte Gefährdung der Stabilität der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis zur staatsgefährdenden Folgewirkung . . . . . . . . . . . . . . (1) Aufwieglerische Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Objektive Zurechnung (Art. 9A Abs. 1A SB) . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Landesverrat (theft of state secrets) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung des gegenwärtigen Rechtsbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reform nach Art. 23 BL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfassung der Art. 12–26 OSO durch Art. 23 BL . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang der geschützten Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geheimschutzerweiterung gemäß Art. 16A SB . . . . . . . . . . . (a) Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der VRC . . . (b) Schädlichkeit der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Illegal erlangte Informationen (Art. 18 Abs. 2 lit. d SB) . . . cc) Ausnahme aufgrund öffentlichen Interesses (Art. 18 Abs. 5B SB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 162 162 165 165 168 170 170 170 172 172 174 176 177 178 178 180 180 181 184 184 185 187 189 190 191 192 193 193 193 195 197 199 202

Inhaltsverzeichnis

11

F. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 II. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Anhang: Gesetzesauszüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassung der Volksrepublik China (VVC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Basic Law (BL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufwiegelung (sedition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Im Sinne des Crimes Ordinance (CO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Im Sinne des National Security (Legislative Provisions) Bill (SB) . . . 2. Landesverrat (theft of state secrets) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Im Sinne des Official Secrets Ordinance (CO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Im Sinne des National Security (Legislative Provisions) Bill (SB) . . .

207 207 207 213 213 213 214 216 216 217

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

Abkürzungsverzeichnis AGZR AIPO BL BLCC BLDC BoR CBL CFA CO cStGB ECOSOC IGH IPbpR IPwskR JD KPCh LegCo NVK OSO PLC PS SB SSG SVN SVZ VRC VVC WVK ZK

Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts der Volksrepublik China ASEAN Inter-Parliamentary Organisation Basic Law Basic Law Consultative Committee Basic Law Drafting Committee Hong Kong Bill of Rights Ordinance Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region Hong Kong Court of Final Appeal Crimes Ordinance Strafgesetzbuch der Volksrepublik China Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen Internationaler Gerichtshof Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Sino-British Joint Declaration Kommunistische Partei Chinas Legislative Council Nationaler Volkskongress Official Secrets Ordinance Provisional Legislative Council Satzung der Kommunistischen Partei Chinas National Security (Legislative Provisions) Bill Staatssicherheitsgesetz der Volksrepublik China Satzung der Vereinten Nationen Sonderverwaltungszone Volksrepublik China Verfassung der Volksrepublik China Wiener Vertragsrechtskonvention Zentralkomitee

A. Einführung I. Thematischer Rahmen und Gegenstand der Arbeit Hongkong bleibe eine der freiesten Städte Asiens1 – so urteilte 2007 Chris Patten2, Londons letzter Statthalter in der an einem Inselzipfel Chinas gelegenen Wirtschafts- und Finanzmetropole. Auch mehr als ein Jahrzehnt nach Rückkehr der ehemaligen Kronkolonie3 in das nunmehr als Einparteienstaat4 organisierte Mutterland hat sich die Stadt Flair und Vitalität einer offenen, durch Meinungsvielfalt5 geprägten Gesellschaft bewahrt.6 Eine gleichsam positive Bilanz ließe sich mit Blick auf die Wirtschaft ziehen, die unter Einfluss der boomenden Festlandindustrie beeindruckende Wachstumsraten erreicht.7 Befürchtungen jeden1 „Hong Kong remains one of the most free and prosperous cities in Asia“, Chris Patten zum zehnjährigen Jubiläum der Sonderverwaltungszone Hongkong, „Voices: Thoughts on Hong Kong“ in der International Herald Tribune vom 21.06.2007, einsehbar unter http://www.nytimes.com/2007/06/21/world/asia/21iht-20hkvoices.6259420. html?_r=1 (Stand: 20.08.2011). 2 Christopher Francis Patten, Gouverneur der Kronkolonie Hongkong vom 09.07. 1992 bis zum 30.06.1997. 3 Mit dem British Nationality Act 1981 änderte sich der offizielle Status Hongkongs zu British-Dependent Territory. Der Begriff der „Kronkolonie“ hat sich jedoch als allgemeine Bezeichnung für das unter britischer Herrschaftsmacht stehende Hongkong eingebürgert. Auf eine terminologische Unterscheidung wird daher nachfolgend verzichtet. 4 Wenn auch neben der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) andere Parteien existieren, handelt es sich de facto um ein Einparteiensystem, siehe dazu A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 74 ff. Die sogenannten „Demokratischen Parteien“ sind als Organe der „Einheitsfront“ der KPCh untergeordnet, Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 39. Dem entspricht auch Abs. 3 der Präambel der chinesischen Verfassung, in der ausdrücklich von einer „Führerschaft der Kommunistischen Partei Chinas“ die Rede ist. Genauer zur Bedeutung dieser Parteien im politischen Willensbildungsprozess siehe J. Chen, Chinese Law, S. 107 ff. Zum politischen System der Volksrepublik siehe Kapitel B. II. 1. 5 Diese kommt insbesondere in der Vielzahl politischer Parteien zum Ausdruck. So sind 2008 bei den Wahlen zum Hongkonger Legislativrat 18 verschiedene Parteien angetreten, von denen derzeit zwölf im Hongkonger Parlament vertreten sind. Unter diesen wiederum lässt sich eine Mehrzahl dem Peking-kritischen Lager zuordnen. Die Wahlergebnisse können eingesehen werden unter http://www.elections.gov.hk/legco 2008/eng/result/rs_gc.html (Stand: 20.08.2011). 6 Zu diesem Fazit gelangt auch J. Cheng, The Hong Kong Special Administrative Region in Its First Decade, S. 281. 7 So ist das Bruttoinlandsprodukt Hongkongs in den Jahren 2006 bis 2008 um durchschnittlich mehr als sechs Prozent gewachsen, vgl. Rohde, Wirtschaftstrends kompakt Hongkong (SVR) – Jahreswechsel 2007/08, S. 1. „Hongkongs Wirtschaft blüht“ attestierte dementsprechend Kolonko in der FAZ vom 29.06.2007, S. 3. Freilich leidet auch

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A. Einführung

falls, die internationale Strahlkraft der Stadt als Standort zahlreicher Banken und Dienstleistungsunternehmen könne unter Führung der Kommunisten aus Peking ein jähes Ende finden,8 haben sich nicht bewahrheitet. Mag sich das Diktum Pattens damit auf Beobachtungen des Alltagsbildes sowie das Fortbestehen einer freien Marktwirtschaft9 stützen, hält ein solch pauschales Urteil einer juristischen Betrachtung kaum stand: So stehen das Hongkonger Rechtssystem und die mit seiner Gestaltung und Durchsetzung befassten Institutionen im steten Spannungsfeld des innerchinesischen Systemunterschiedes, zwischen Eigenständigkeit und nationaler Integrität, zwischen westlich-freiheitlichen Rechtsvorstellungen und der Pekinger Parteilinie. In diesem Zusammenhang, vor dem Hintergrund der durch Deng Xiaoping entwickelten Staatsdoktrin „Ein Land, zwei Systeme“,10 kam es nach dem Souveränitätswechsel 1997 zu zahlreichen verfassungsrechtlichen Kontroversen. Ihren vorläufigen Höhepunkt fanden diese am sechsten Jahrestag des Herrschaftswechsels, dem 1. Juli 2003, in einem von mehr als einer halben Million Teilnehmern getragenen Protestzug. Anlass war die geplante Verabschiedung von Sicherheitsgesetzen, wie sie in Art. 23 des Hongkonger „Grundgesetzes“, dem sogenannten Basic Law (BL), vorgesehen sind. Darin ist der Lokalregierung aufgetragen, „in Eigenregie Gesetze zu erlassen, um Hochverrat, Sezession, Aufwiegelung und Subversion, die gegen die Zentrale Volksregierung gerichtet sind, Landesverrat und politische Aktivitäten ausländischer politischer Organisationen sowie Verbindungen zu diesen zu unterbinden.“ 11 Von derlei Staatsschutzbestimmungen fürchtete man, dass sie der Einführung vom Festland bekannter Rechtspraktiken, der Unterdrückung politischer Opposition und Beschneidung bürgerlicher Freiheitsrechte, Vorschub leisten würden. Insbesondere unter Journalisten löste die Gesetzesinitiative starke Besorgnis aus. Sie räsonierten, dass kritische Berichterstattung und investigative Recherchen als „Aufwiegelung“ oder „Diebstahl von Staatsgeheimnissen“ ausgelegt und damit unter staatliche Strafandrohung gestellt Hongkong unter den Folgen der weltweiten Finanzkrise, siehe dazu Hoffbauer im Handelsblatt vom 19.11.2008, S. 8. 8 „The Death of Hong Kong“ lautete z. B. die Titelgeschichte von Kraar/McGowan im Fortune Magazine vom 26.06.1995, S. 40 ff. Eine ähnlich negative Prognose findet sich bei Skeen, International Lawyer 29 (1995), 175 (203 ff.). 9 2008 belegte Hongkong zum zwölften Mal in Folge den ersten Platz des Index of Economic Freedom der Heritage Foundation, vgl. 2008 Index of Economic Freedom, S. 205 f., einsehbar unter http://www.heritage.org/research/features/index/countryFiles/ pdfs/HongKong.pdf (Stand: 20.08.2011). 10 Dazu noch ausführlich unten, Kapitel C. I. 11 Der Originalwortlaut lautet: „The Hong Kong Special Administrative Region shall enact laws on its own to prohibit any act of treason, secession, sedition, subversion against the Central People’s Government, or theft of state secrets, to prohibit foreign political organizations or bodies from conducting political activities in the Region, and to prohibit political organizations or bodies of the Region from establishing ties with foreign political organizations or bodies.“

I. Thematischer Rahmen und Gegenstand der Arbeit

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werden könnten.12 Klagten Hongkongs Medien bereits zuvor über politische Einflussnahme der Zentralregierung in Peking, sah man in der beabsichtigten Neufassung des Staatsschutzrechts eine akute und die bislang größte Gefährdung13 der in Art. 27 1. Hs. BL garantierten Pressefreiheit14. Trotz vorläufiger Rücknahme des Gesetzesvorhabens im September 2003 und obgleich die erwähnten Vorgänge bereits einige Jahre zurückliegen, bleibt der genannte Diskussionsgegenstand von hoher Aktualität: So vermochte es Hongkongs Regierung bislang nicht, Erwägungen der nationalen Sicherheit mit individuellen Freiheitsrechten in Ausgleich zu bringen und ihrem in Art. 23 BL fortbestehenden Verfassungsauftrag durch Verabschiedung eines entsprechend austarierten Regelwerks nachzukommen. Die einstmals gescheiterte, aber durch das Basic Law aufgegebene Novellierung des politischen Strafrechts15 schwebt damit gleich einem Damoklesschwert16 über den Redakteuren der vormals „freiesten Presse Asiens“ 17. Ferner betreffen die zu verfassenden Staatsschutzbestimmun-

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Siehe J. Cheung, SCMP vom 25.11.2002, S. 2. Siehe A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 72, sowie den gemeinsamen Bericht der Hong Kong Journalists Association und der Nichtregierungsorganisation Article 19, „The Ground Rules Change: Freedom of Expression in Hong Kong Two Years After the Handover to China“, S. 6. 14 Anders als im deutschen Verfassungsdiskurs bezieht sich „Presse“ in diesem Zusammenhang nicht nur auf Printerzeugnisse und vergleichbare Textformate, sondern umfasst ebenso Rundfunk- und Internetmedien, vgl. z. B. den Jahresbericht 2008 der Hong Kong Journalists Association, S. 3 f. Eine solch funktionale Begriffsauslegung liegt demnach auch der vorliegenden Debatte zugrunde, siehe z. B. Cullen, in: Tsang, Judicial Independence and the Rule of Law in Hong Kong, S. 157 (175, Endnote 2). Vgl. demgegenüber den Schutzbereich der Pressefreiheit in Deutschland gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 1. Var. GG, statt vieler Jarass/Pieroth-Jarass, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 5, Rn. 25 f.; Münch/Kunig-Wendt, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Art. 5, Rn. 30; Dreier-Schulze-Fielitz, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, Art. 5, Rn. 89 ff. Im deutschen Verfassungsdiskurs dient „Medienfreiheit“ als Oberbegriff für die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit, vgl. Fechner, Medienrecht, S. 20. 15 Der Begriff wird teilweise als Hinweis auf eine unzulässige Politisierung der Strafjustiz verstanden. In der Strafrechtsdogmatik bezeichnet er indes die Gesamtheit der den Staatsschutz betreffenden Straftatbestände, vgl. z. B. Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht; Ridder, Grundgesetz, Notstand und politisches Strafrecht. Um ein formal abgegrenztes und in seiner Definition allgemein anerkanntes Rechtsgebiet handelt es sich dabei nicht, siehe Kreissl, Kriminologisches Journal 23 (1991), 41 (41). Im britischen Rechtsraum ist entsprechend von „political crimes“ die Rede, siehe Ross, The Dynamics of Political Crime, S. 32 ff.; H. Fu, in: Tsang, Judicial Independence and Rule of Law in Hong Kong, S. 73 (74). 16 Elsie Leung, Justizministerin der SVZ-Regierung von 1997 bis 2005, beschrieb die ausstehende Gesetzgebung nach Art. 23 BL als ein „knife put over the head“, Rede vor der Hong Kong Journalists Association, siehe Sing Pao vom 16.12.2004, S. 4; vgl. auch Horlemann, Hong Kong’s Transition to Chinese Rule, S. 146. Lo spricht von einer „politischen Zeitbombe“, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 155, 157. 17 Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (278); Cayrol, Hong Kong, S. 89. 13

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A. Einführung

gen nicht nur den als Sonderverwaltungszone (SVZ)18 geführten Landesteil, sondern erlangen angesichts ihrer vielgestaltigen Signalwirkung19 sowie Hongkongs Rolle als in diesem Weltteil wohl bedeutendster Medienstandort20 überregionale Relevanz. Die Umsetzung der in Art. 23 BL aufgezählten Sicherheitsvorschriften stellt das Verfassungssystem der SVZ mithin vor eine drängende und potentiell folgenschwere Herausforderung. Der hierbei auftretende Normenkonflikt und seine gesetzgeberische Bewältigung sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

II. Gang der Darstellung Eine sachgerechte Auseinandersetzung mit Rechtsentwicklungen in Hongkong setzt zunächst eine Verortung derselben im komplexen Gefüge ihrer historischpolitischen Rahmenbedingungen voraus. Zu diesem Zweck werden in einem ersten Abschnitt geschichtliche Grundlagen vermittelt und ein Exkurs in die chinesische Gesamtstaatsordnung unternommen. Deren ideologischer wie rechtlicher Charakter ist Ausgangspunkt für die den Sicherheitsgesetzen entgegengebrachte Kritik, zugleich aber auch im Wandel begriffen; er bedarf daher einer Klärung (B.). Die Arbeit widmet sich daraufhin der Staatsschutzklausel in Art. 23 des Basic Law und dem sie umgebenden Verfassungssystem. Aufmerksamkeit erhält dabei das in Art. 31 der chinesischen Verfassung (VVC) verankerte Konzept der Sonderverwaltungszonen. Deren staatsrechtliches Verhältnis zur Zentralregierung und das Ausmaß des ihnen zustehenden Selbstverwaltungsrechts sind entscheidender Parameter für die nachfolgend vorzunehmende Bewertung Hongkonger Rechtsvorschriften. Augenmerk richtet sich sodann auf Art. 23 BL und die durch ihn ausgelöste Verfassungskrise. Hier werden nicht nur Entstehungsgeschichte und Regelungsgehalt dieser für das Hongkonger Staatsschutzrecht zentralen Vorschrift vorgestellt, sondern auch weitergehende Beobachtungen vorgenommen, allen voran mit Blick auf das entsprechende Regelungsregime in Festlandchina (C.). Der Pflicht zur Implementierung von Sicherheitsbestimmungen wird hierauf die ebenfalls im Verfassungstext der SVZ genannte Pressefreiheit gegenübergestellt. Nach einer Bestandsaufnahme der lokalen Medienlandschaft und im Anschluss an die Darstellung ihres allgemeinen Schutz- und Funktionsbereichs wird der für die Pressefreiheit geltende Beurteilungsmaßstab erörtert: In den Blickpunkt geraten zunächst ihre Kodifizierung und Geltungsweite gemäß Art. 27 18 Auch die ehemalige portugiesische Kolonie Macao wird als Sonderverwaltungszone geführt. Soweit nicht anderweitig konkretisiert, bezieht sich der Begriff nachfolgend auf Hongkong. 19 Siehe dazu Kapitel F. I. 20 So auch die Einschätzung des Auswärtigen Amtes, einsehbar unter http://www. diplo.de / diplo / de / Laenderinformationen / Hongkong / Kultur - Und Bildungspolitik.html (Stand: 20.08.2011). Begon zufolge ist Hongkong daher „unverzichtbarer Bestandteil der globalen Informationsgesellschaft“, in: Heilmann, China Analysis 30, S. 3.

II. Gang der Darstellung

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1. Hs. und 39 BL. Besondere Berücksichtigung erhalten ferner aber auch kulturelle Erwägungen und die auf ihnen gründende Forderung nach einem spezifisch „asiatischen“ Menschenrechtsmodell, das gekennzeichnet ist durch eine Vorrangstellung von Kollektivinteressen und demzufolge einem staatlichen Sicherheitsbedürfnis bei Rechtsgutabwägungen besonderes Gewicht einzuräumen wäre. Schlussendlich wird zudem auf über Art. 23 BL hinausgehende Einschränkungen der Pressefreiheit eingegangen und deren Behandlung in der Hongkonger Rechtsprechung thematisiert (D.). Zusammen mit den vorhergehenden Kapiteln legen diese Ausführungen den Grundstein für einen weiteren Abschnitt. In ihm werden die durch Art. 23 BL aufgetragenen Gesetzesneuerungen und ihre Auswirkungen auf den politischen Journalismus näher untersucht. Unter Einbeziehung des gesetzlichen Status quo und anhand rechtsvergleichender Betrachtungen werden der National Security (Legislative Provisions) Bill 21 und die gegen ihn vorgebrachten Einwände einer kritischen Würdigung unterzogen. Die teils politisch gefärbte Debatte soll hierbei auf ihre rechtliche Substanz hin untersucht und somit Schlussfolgerungen für ein künftiges Gesetzgebungsverfahren erarbeitet werden (E.). Darauf finden sich eine Zusammenfassung der wesentlichen Thesen sowie abschließende Erwägungen (F.).

21 So der offizielle Titel des am 26.02.2003 in den Hongkonger Legislativrat eingebrachten Gesetzentwurfs. Nachfolgend auch „Security Bill“ (SB).

B. Historisch-politischer Hintergrund Grundkenntnisse über Hongkongs Entwicklung als ein im sino-britischen Disput stehendes Territorium sowie über den Status des nationalen politischen und rechtlichen Systems erleichtern eine Einordnung des vorgenannten Verfassungsstreits. Eine Zusammenfassung der allgemeinen Ausgangsposition soll daher in die juristische Kernproblematik einführen.

I. Geschichtlicher Überblick (einschließlich völkerrechtlicher Grundfragen) Mit der Geschichte Hongkongs befassen sich zahlreiche Monographien,1 die zumeist erst mit Inbesitznahme der Insel Hongkong durch Großbritannien einsetzen. Über den davor bestehenden Entwicklungsstand des Gebiets existieren unterschiedliche Einschätzungen.2 Die heutige, von fast sieben Millionen Menschen bevölkerte Metropolregion beheimatete zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedenfalls nicht mehr als ein paar Fischerdörfer mit wenigen tausend Einwohnern.3 Erste Zeugnisse menschlicher Besiedelung gehen zurück auf vorgeschichtliche Zeiten, rühren aber von ethnisch eher mit Malaien, Vietnamesen und Polynesiern verwandten Stämmen.4 Die Region erfuhr ihre chinesische Prägung

1 Siehe z. B. Tsang, A Modern History of Hong Kong; Welsh, A History of Hong Kong; Endacott, A History of Hong Kong, und ders., Government and People in Hong Kong 1841–1962. Insbesondere zur Rückgabe der Kolonie an China siehe Shipp, Hong Kong, China. Tsai bemängelt hingegen die seiner Ansicht nach im Verhältnis zur internationalen Bedeutung Hongkongs geringe Anzahl aktueller historischer Abhandlungen, Bulletin of Concerned Asian Scholars 16 (1984), 2 (2). 2 Gegen die verbreitete Auffassung, Hongkong sei vor Einmarsch der Briten kaum entwickelt gewesen, wendet sich z. B. Hayes, der betont, dass ein bemerkenswerter Anteil der Bevölkerung bereits Landwirtschaft betrieben und sich dauerhaft in Dörfern niedergelassen hatte, in: Faure, Hong Kong, S. 3 ff. 3 Vgl. Gornig, Hongkong, S. 27; J. Wong, Australian Journal of International Affairs 46 (1992), 81 (82). Einer britischen Volkszählung aus dem Jahr 1841 zufolge lebten nur ca. 6.000 Menschen auf der Insel Hongkong, vgl. Welsh, A History of Hong Kong, S. 137; auch einige Jahre nach Beginn der Okkupation am 26.01.1841 kam die junge Kolonie auf nicht mehr als 90.000 Einwohner, Podmore, in: Hopkins, Hong Kong, S. 21 (21 ff.). Bekanntheit erlangte in diesem Zusammenhang das Zitat des britischen Außenministers Lord Palmerston, der über Hongkong am 21.04.1841 lästerte als „barren island with hardly a house on it“, vgl. Welsh, A History of Hongkong, S. 108. 4 Carroll, A Concise History of Hong Kong, S. 9.

I. Geschichtlicher Überblick

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111 v. Chr. mit Eroberung durch Wu Di, einem Kaiser der Han-Dynastie,5 und wird spätestens seit der Tang-Zeit6 chinesischem Territorium zugerechnet.7 Internationale Relevanz jedoch erlangte Hongkong erst als Teil des Britischen Weltreichs. Dessen Entwicklung bis zum Souveränitätswechsel am 1. Juli 1997 sei, unter Einbeziehung der wesentlichen hierbei aufgeworfenen Rechtsfragen, nachstehend skizziert.8 1. Hongkong als britische Kronkolonie a) Britischer Gebietserwerb Zu Beginn des 19. Jahrhunderts überstieg das Interesse der Briten an Tee, Seide und anderen im Reich der Mitte produzierten Gütern den Absatz britischer Erzeugnisse in China bei weitem.9 Um das daraus resultierende Handelsdefizit zu beseitigen, exportierten die Briten seit ca. 1820 massenweise Opium in das durch die Qing-Dynastie geführte Kaiserreich.10 Hiergegen gerichtete Schutzmaßnahmen Chinas wie die Beschlagnahme großer Mengen der in Indien angebauten Droge, die Festnahme von Händlern sowie ein offizielles Einfuhrverbot11 führten im Sommer 1839 zum Eingreifen eines britischen Flottenverbandes.12 Diese als Erster Opiumkrieg bekannte Auseinandersetzung endete am 29. August 1842 mit der in Art. 3 des Vertrages von Nanking13 vereinbarten Abtretung der 5 Carroll, A Concise History of Hong Kong, S. 9. Von Belang ist insbesondere die Grabstätte Lei Cheng Uk im heutigen Sham Shui Po, Endacott, A History of Hong Kong, S. 3. 6 618 bis 907. 7 Gornig, Hongkong, S. 25. 8 Auf eine geschichtliche Darstellung der SVZ Hongkong wird in diesem Abschnitt verzichtet. Entwicklungen seit Inkrafttreten des Basic Law werden nachfolgend zu behandelnden juristischen Fragestellungen zugrunde gelegt und an entsprechender Stelle dargelegt. 9 Greenberg, Fordham International Law Journal 7 (1984), 534 (535), m.w. N. 10 Tsang, A Modern History of Hong Kong, S. 5 f. Ein Großteil der Briten hielt die Ausfuhr von Opium für moralisch legitim: Opium wurde zu dieser Zeit in Großbritannien hauptsächlich für medizinische Zwecke verwendet und war legal zu erhalten, Trocki, Opium, Empire and the Global Political Economy, S. 164 f.; zudem wurde zuweilen die Ansicht vertreten, die Schuld für die Drogensucht liege auf Seiten der Chinesen, Eitel, Europe in China, S. 75. 11 Die Behinderung des Opiumhandels war Auslöser, aber nicht alleiniges Motiv des Krieges. So spielten auch weitere Handelsrechte sowie die Ausweitung diplomatischer Befugnisse eine Rolle, Carroll, A Concise History of Hong Kong, S. 13. 12 Eine offizielle Kriegserklärung wurde nicht ausgesprochen. 13 Offiziell betitelt „Treaty of Peace, Friendship, Commerce & Indemnity Great Britain-China“. Der Vertragstext findet sich bei Blaustein/Blaustein (Hrsg.), Constitutions of Dependencies and Special Sovereignties, S. 21 ff. sowie bei Mayers (Hrsg.), Treaties between the Empire of China and Foreign Powers, S. 1 ff. Siehe dazu Fairbank, Trade and Diplomacy on the China Coast.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

Insel Hongkong an Großbritannien.14 Mit Ratifikation dieses Übereinkommens und Verabschiedung eines Letters Patent 15 am 5. April 1843 wurde Hongkong zur Kronkolonie erklärt. Diese bereits im Jahr zuvor ausgearbeitete Royal Charter of the Colony of Hong Kong verschaffte dem ersten Gouverneur, Sir Henry Pottinger, umfassende Exekutivgewalt und stellte ihm ein beratendes Gremium zur Seite, den Legislative Council (LegCo). Im Zusammenspiel mit den sie konkretisierenden Royal Instructions16 und den ungeschriebenen Verfassungssätzen des Vereinigten Königreichs bildete diese Charta das in Hongkong geltende Grundgesetz.17 Die ihm im Vertrag von Nanking eingeräumten Rechte gingen Großbritannien, das auf eine weitere Liberalisierung des Chinahandels drängte, nicht weit genug.18 Von 1856 bis 1860 kam es daher zu einem erneuten sino-britischen Konflikt, in dessen Folge China auch die nördlich der Insel Hongkong gelegene Ortschaft Kowloon19 an Großbritannien verlor. Sie wurde in Art. 4 des sogenannten Vertrages von Peking20 am 24. Oktober 1860 abgetreten und durch königlichen Beschluss vom 4. Februar 1861 der Kronkolonie einverleibt.21 Zur Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung Hongkongs22 drängte das Vereinigte Königreich 1898 auf eine abermalige Ausweitung seiner Herrschaftsgewalt. So nutzte es die 14 Die entscheidende Passage lautet: „[. . .] the island of Hong Kong to be possessed in perpetuity by Her Britannic Majesty, her heirs and successors, and to be governed by such laws and regulations as Her Majesty the Queen of Great Britain, etc., shall see fit to direct“. 15 Dabei handelte es sich um königliche Erlässe, die einen bestimmten Titel oder Rechtsstatus verliehen. Abgedruckt in Norton-Kyshe (Hrsg.), The History of the Laws and Courts of Hong Kong, S. 21 ff. 16 Sie enthielten insbesondere Regelungen zur Arbeitsweise und zum Verfahren der neu geschaffenen Verwaltungseinrichtungen, Wesley-Smith, An Introduction to the Hong Kong Legal System, S. 20. Zum genaueren Regelungsinhalt der Royal Instructions siehe Scheuer, Die Rechtslage von Hongkong und Macao nach den „Gemeinsamen Erklärungen“ vom 19. Dezember 1984 und 13. April 1987, S. 16 f. 17 P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 4 f. Scheuer zählt darüber hinaus die Colonial Regulations, rechtsverbindliche Anweisungen des britischen Staatssekretärs an den Gouverneur, sowie den Colonial Validity Act 1865 dazu, demzufolge in Großbritannien verabschiedete Gesetze bezüglich der britischen Kolonien Hongkonger Gesetzen vorgehen, Die Rechtslage von Hongkong und Macao nach den „Gemeinsamen Erklärungen“ vom 19. Dezember 1984 und 13. April 1987, S. 17 ff.; so auch Wesley-Smith, An Introduction to the Hong Kong Legal System, S. 20. 18 So drängte das Königreich fortwährend auf eine Revision des Vertrages, Swanson, Eight Voyage of the Dragon, S. 37 f. 19 Einschließlich der sogenannten Stonecutters-Insel. 20 Offiziell betitelt „Convention of Peace and Friendship Between Great Britain and China“. Abgedruckt in Blaustein/Blaustein (Hrsg.), Constitutions of Dependencies and Special Sovereignties, S. 23 ff.; Mayers (Hrsg.), Treaties between the Empire of China and Foreign Powers, S. 8; BFSP 50 (1860–1861), 10 ff. 21 Tsang, A Modern History of Hong Kong, S. 35. Zu den ersten vier Jahrzehnten britischer Herrschaft über Hongkong vgl. Munn, Anglo-China. 22 Vgl. Welsh, A History of Hong Kong, S. 320.

I. Geschichtlicher Überblick

21

fortwährende Schwäche des chinesischen Kaiserreichs, um das noch heute als New Territories bekannte Gebiet, einen zwischen Kowloon und dem ShenzhenFluss gelegenen Landstrich einschließlich 235 umliegender Inseln, unter seine Kontrolle zu bringen. Im sogenannten „Zweiten Vertrag von Peking“ 23 wurde diese Gegend für einen Zeitraum von 99 Jahren24 an die europäische Kolonialmacht verpachtet.25 b) Das Konzept der „ungleichen Verträge“ Unter dem Schlagwort der „ungleichen Verträge“ 26 wird die Wirksamkeit dieser drei Abkommen bis heute von chinesischer Seite verneint.27 Die Vereinbarungen seien allein der militärischen Unterlegenheit des Qing-Reichs, nicht aber einem freien Rechtsbindungswillen zuzuschreiben. Diese Einschätzung mag politisch zutreffen, erscheint aus völkerrechtlicher Perspektive allerdings zweifelhaft. So bedürfte es zunächst einer entsprechenden gewohnheitsrechtlichen Ungültigkeitsregel.28 Hierfür fehlt es jedoch bereits an der notwendigen Übung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. b des IGH-Statuts, also einer dauernden, einheitlichen und verbreiteten Staatenpraxis,29 der zufolge von militärisch oder wirtschaftlich sehr 23 Offiziell betitelt „Convention Expecting the Extension of the Hong Kong Territory“, geschlossen am 09.06.1898 und in Kraft getreten am 01.07.1898, abgedruckt in Blaustein/Blaustein (Hrsg.), Constitutions of Dependencies and Special Sovereignties, S. 25 ff.; BFSP 90 (1897–1898), 17 ff. 24 Eine zeitliche Begrenzung, die Anlass gab für die Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China 1997. 25 Die Verpachtung stellte aus britischer Sicht nur einen ersten Schritt zu einem dauerhaften Gebietserwerb dar, auf den aus diplomatischen Gründen vorerst verzichtet worden war, Menski, Coping with 1997, S. 19 f. 26 Zurückgehend auf Bodin, Les six livres de la République, Buch I, Kap. 10, Bd. 1. 27 Die chinesische Position war über die Geschichte nicht immer einheitlich, siehe dazu Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (319); Chiu, in: Cohen, China’s Practice of International Law, S. 239 ff. Menski sieht eine Abweichung insbesondere bezüglich des Zweiten Vertrages von Peking. Diesen hätte die VRC durch ihre versöhnlichen Stellungnahmen zur Situation der New Territories konkludent anerkannt, Coping with 1997, S. 20. Hierbei handelte es sich jedoch eher um politischen Pragmatismus als um eine Abkehr von der Lehre der ungleichen Verträge, Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 11. Näher hierzu Wesley-Smith, Unequal Treaty, 1898–1997, S. 164 ff. Zum politisch flexiblen Einsatz der genannten Argumentationsfigur durch die VRC siehe auch Scott, Chinese Treaties, S. 96. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass vor Gründung der VRC 1949 regelmäßig nicht die Nichtigkeit der Verträge, sondern vielmehr deren Revision gefordert wurde, dazu Kaminski, Chinesische Positionen zum Völkerrecht, S. 138 ff. 28 Ein im Völkervertragsrecht oder in den Allgemeinen Rechtsgrundsätzen verankerter Nichtigkeitsgrund kommt nicht in Betracht. Zur völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre siehe Ipsen-Heinegg, Völkerrecht, § 9, Rn. 1 ff. und § 16, Rn. 1 ff.; Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 172 ff. 29 Genaue Mindestvorgaben für die Erfüllung des objektiven Elements des Völkergewohnheitsrechts bestehen nicht. Zu den Anforderungen siehe Ipsen-Heinegg, Völker-

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B. Historisch-politischer Hintergrund

ungleichen Parteien geschlossene Verträge nichtig sind.30 In der Tat würde die Anwendung einer solchen Rechtsregel angesichts der damaligen wie auch heute noch bestehenden internationalen Ungleichgewichte zur Ungültigkeit der überwiegenden Anzahl internationaler Abkommen führen.31 Erschwert wäre insbesondere ein Abschluss von Friedensverträgen, der in der Regel vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Kräfteverhältnisse erfolgt.32 Als weiteres Indiz gegen den durch die VRC vorgebrachten Nichtigkeitsgrund lässt sich die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) von 196933 anführen, die das zum internationalen Vertragsschluss bestehende Gewohnheitsrecht weitgehend kodifiziert hat, jedoch keine dahingehende Regelung beinhaltet.34 Zwar unterschied bereits der nicht selten als „Vater des Völkerrechts“ 35 bezeichnete Hugo Grotius36 zwischen „gleichen“ und „ungleichen“ Verträgen, doch auch dieser folgerte hieraus keine Konsequenzen für die rechtsgeschäftliche Wirksamkeit.37 Bei der Lehre von den „ungleichen Verträgen“ handelt es sich mithin weniger um einen Rechtsgrundsatz als um eine politische Argumentationsfigur,38 die selbst von chinesischer Seite nicht kontinuierlich angewendet wurde.39 recht, § 16, Rn. 8 ff. Mit Verweis auf das Konzept des „instant customary law“ wird die Bedeutung einer einheitlichen Staatenpraxis teils relativiert, dazu B. Cheng, IJIL 5 (1965), 23 (23 ff.). 30 Vgl. auch Scheuer, Die Rechtslage von Hongkong und Macao nach den „Gemeinsamen Erklärungen“ vom 19. Dezember 1984 und 13. April 1987, S. 34. 31 So auch die Kritik von Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 138. 32 Werner, Recht im Systemwandel, S. 104; Rogers, Vanderbilt Journal of Transnational Law 30 (1997), 449 (476). 33 Offiziell betitelt „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“, geschlossen am 23.05.1969, in Kraft getreten am 27.01.1980, BGBl. 1985 II, S. 926. 34 Am nächsten kommt der Lehre der ungleichen Verträge die Nichtigkeitsklausel des Art. 52 WVK für „durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts“ herbeigeführte Vereinbarungen. 35 Statt vieler Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 39. 36 Niederländischer Rechtsgelehrter, 1583–1645. Zu seiner Bedeutung für die Entwicklung des Völkerrechts siehe Gizewski, Der Staat 32 (1993), 325 (325 ff.). 37 Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 9, m.w. N.; Greenberg, Fordham International Law Journal 7 (1984), 534 (539). 38 Zum politischen Gebrauch der „ungleichen Verträge“ und ihrer Bedeutung für die Entwicklung des chinesischen Nationalismus siehe D. Wang, Pacific Affairs 76 (2003), 399 (399 ff.). 39 So hat die VRC insbesondere infolge der Berufung auf das Auslaufen des Pachtvertrages von 1898 im Rahmen der Rückgabeverhandlung mit Großbritannien den Zweiten Vertrag von Peking faktisch anerkannt, siehe auch Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 140, Fn. 11. Dieser weist in diesem Zusammenhang auf weitere Punkte hin, wie z. B. die Anerkennung der durch Großbritannien ausgestellten Währung Hongkongs, One Country, Two International Legal Personalities, S. 138. Ohne Protest Chinas hat das Vereinigte Königreich Hongkong bei internationalen Verträgen vertreten, Dicks, China Quarterly 95 (1983), 427 (439 f.).

I. Geschichtlicher Überblick

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c) Aufstieg zur Wirtschaftsmetropole und politische Herausforderungen In den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Hongkong zu einem bedeutenden Wirtschafts- und Finanzzentrum. Insbesondere die Errichtung einer Eisenbahnverbindung nach Guangzhou40 1912 festigte die Stellung der Stadt als ein für China bedeutendes Handelszentrum. Dem wirtschaftlichen Aufschwung entsprach in dieser Periode ein ungehemmtes Bevölkerungswachstum,41 welches vor allem aber auf durch den chinesischen Bürgerkrieg42 ausgelöste Flüchtlingswellen zurückzuführen war. Unterbrochen wurde der Aufstieg Hongkongs43 kurzfristig durch die japanische Besatzung ab 1941.44 Auf die Rückerlangung der Herrschaft durch Großbritannien 1945 folgte eine weitere Phase wirtschaftlicher Expansion.45 Das zuverlässige Rechtssystem46 und eine dem Prinzip des Laissez-faire folgende Wirtschaftspolitik47, die geographisch vorteilhafte Lage48 sowie nicht zuletzt Massen arbeitsamer und gleichsam billiger Arbeitskräfte49 schufen die Voraussetzung für jährliche Wachstumsraten von über 6%.50

40 Auch Kanton. Die Stadt war vormals von besonderer Bedeutung für europäische Handelsnationen, da sie zwischen 1757 und 1842 über den einzigen Handelshafen verfügte, über den Ausländer Handel treiben durften. 41 So schnellte die Bevölkerungszahl von unter 300.000 im Jahr 1900 auf über 1,5 Millionen im Jahr 1941. 42 Bezugnehmend auf den zwischen den nationalen Kuomintang-Truppen und kommunistischen Aufständischen ausgetragenen Bürgerkrieg von 1927 bis 1937, weiterführend Eastman, in: Eastman/Ch’en/Pepper/Slyke, The Nationalist Era in China, S. 1 ff. 43 Durch Vertreibungen sank die Einwohnerzahl in diesen Jahren um eine Million auf 600.000. 44 Dazu umfassend Snow, The Fall of Hong Kong. Die portugiesische Kolonie Macao blieb aufgrund der Neutralität Portugals im Zweiten Weltkrieg von einer japanischen Besatzung verschont. 45 Eine analytische Betrachtung zum Wachstum der einzelnen in Hongkong vertretenen Wirtschaftszweige siehe Hsia/Ho/Lim, The Structure and Growth of the Hong Kong Economy, S. 74 ff. 46 Erläuterungen zur Bedeutung des Common Law für Hongkongs ökonomische Entwicklung finden sich bei Hsu, The Common Law System in Chinese Context, S. 7 f. 47 Dazu Jesch, Die Wirtschaftsverfassung der Sonderverwaltungsregion Hongkong, S. 59 ff. 48 Zum Einfluss der Volksrepublik auf die wirtschaftliche Entwicklung Hongkongs seit den siebziger Jahren siehe Tsang, A Modern History of Hong Kong, S. 175 ff. 49 Menski, Coping with 1997, S. 23. 50 Howe beschreibt das Wirtschaftswachstum Hongkongs seit 1950 als „one of the world’s most remarkable economic achievements“, China Quarterly 95 (1983), 512 (512); Werner hebt die weltweite Einzigartigkeit der von 1965 bis zur Asienkrise 1997 ununterbrochenen Wachstumsphase hervor, Recht im Systemwandel, S. 106, m.w. N. Die eindrucksvollen Wirtschaftsdaten finden sich zusammengefasst bei Fung, in: Becker/Eilenberger/Rüland/Draguhn, Hongkong und China auf dem Weg in das Pazifische Jahrhundert, S. 23 (25 ff.).

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B. Historisch-politischer Hintergrund

Das Verhältnis zur Volksrepublik blieb über die gesamte Dauer britischer Kolonialherrschaft gespannt.51 In Berufung auf die soeben vorgestellte Doktrin der „ungleichen Verträge“ betrachtete die VRC Hongkong weiterhin als Teil des chinesischen Hoheitsgebiets.52 Gleichzeitig aber profitierte China von über Hongkong bezogenen ausländischen Gütern53 und Devisen und verzichtete daher auf eine gewaltsame Rückeroberung.54 Weitere Herausforderungen für die Kronkolonie lagen vor allem in der Bewältigung von Flüchtlingsströmen aus dem Festland und asiatischer Nachbarstaaten55 sowie in Aufständen und Sabotageakten von Sympathisanten des Mao-Regimes.56 2. Der Übergang zur Sonderverwaltungszone a) Verhandlungen und Vorbereitung der Rückgabe Als Ende der siebziger Jahre wirtschaftliche Probleme57 auftraten und das ungeklärte Schicksal Hongkongs nach Auslaufen des über die New Territories geschlossenen Pachtvertrages potentielle Investoren abzuschrecken drohte, wurden Verhandlungen zwischen Großbritannien und der VRC erforderlich.58 Mit Blick auf die ökonomische Entwicklung der Region lag es im gemeinsamen Interesse der beiden Staaten, den zukünftigen Rechtsstatus der Kronkolonie sowie die dort 51 Zu den Beziehungen zum Festland vor und nach Verabschiedung der Joint Declaration 1984 siehe Miners, The Government and Politics of Hong Kong, S. 228 ff. 52 So protestierte noch 1972 der chinesische Botschafter bei den Vereinten Nationen gegen eine Aufnahme Hongkongs in den Zuständigkeitsbereich des UN Special Committee on Colonialism mit dem Hinweis, die Klärung der Hongkongfrage sei „entirely within China’s sovereign right“, Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (322 f.), m.w. N. 53 Hongkongs Exportvolumen stieg insbesondere mit Beginn Chinas wirtschaftlicher Öffnung im Rahmen der 1978 eingeleiteten „open door policy“, hierzu P. Lau, in: Cheng, Hong Kong in Transition, S. 235 (240 f., 248 f.). Dazu auch unten, Kapitel B. II. 2. c). 54 A. Han, Hastings International & Comparative Law Review 16 (1992–1993), 321 (323); Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (320). Dennoch existierten chinesische Einmarschpläne, siehe Sheridan in der Sunday Times vom 24.06.2007, einsehbar unter http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/asia/article 1977594.ece (Stand: 20.08.2011). Dementsprechend stellt Miners fest: „Hong Kong has been at China’s mercy“, The Government and Politics of Hong Kong, S. 228. 55 Vom Festland während der Fortsetzung des chinesischen Bürgerkrieges ab 1945 und späterer wirtschaftlicher Verwerfungen, wie insbesondere infolge der durch die Politik des „großen Sprungs nach vorn“ (1958–1962) ausgelösten Hungersnot. Zahlreiche Flüchtlinge kamen zudem aus Vietnam während der Herrschaft der Vietcong, dazu Chang, SCMP vom 25.06.1977, S. 1. 56 Zu vermehrten Unruhen kam es insbesondere in den Jahren 1956, 1966 und 1967, siehe Tsang, A Modern History of Hong Kong, S. 183 ff. 57 Dazu Youngson, Hong Kong, S. 106 ff. 58 Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (673).

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geltenden rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen frühzeitig festzulegen.59 Großbritannien ergriff 1982 die Initiative60 und leitete mit einem Pekingbesuch Margarete Thatchers bilaterale Gespräche ein.61 Erhofften sich die Briten anfangs noch den gänzlichen Verbleib Hongkongs unter britischer Herrschaftsmacht oder zumindest eine auf die New Territories beschränkte Gebietsabspaltung,62 ging es schon bald nur noch um einen die gesamte Kolonie umfassenden Souveränitätswechsel.63 Gegenstand der sino-britischen Diskussionen waren daher vornehmlich Zeitplan und Modalitäten der Übergabe. Die kontrovers geführten Rückgabeverhandlungen64 mündeten am 19. Dezember 1984 in die sogenannte Joint Declaration of the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Government of the People’s Republic of China on the Question of Hong Kong65 (JD). Darin vereinbarte man eine vollständige Übergabe der Hoheitsmacht zum 1. Juli 1997, allerdings unter Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Systems für einen Zeitraum von mindestens 50 Jahren.66 Entsprechend Art. 5 JD i.V. m. Annex II der Erklärung wurde am 27. Mai 1985 eine aus Gesandten Chinas und Großbritanniens bestehende Arbeitsgruppe zur Koordination des Herrschaftswechsels, die Sino-British Joint Liaison Group, ins Leben gerufen. Sie befasste sich mit unterschiedlichen in der Gemeinsamen Erklärung offen gelassenen Fragen, wie z. B. zu Zuständigkeiten der Luftraumüberwachung oder des Investitionsschutzes, und einigte sich insbesondere auf die Weitergeltung völkerrechtlicher Verträge sowie Hongkongs Verbleib in internationalen Organisationen.

59 Die Bedeutung, die die VRC Hongkongs wirtschaftlicher Entwicklung zugemessen hat, unterstreicht Zhang, der Zhao Ziyang, den ehemaligen Ministerpräsidenten und Generalsekretär der KPCh, zitiert: „Hong Kong’s long-term prosperity and stability will benefit China’s unification and its Four Modernizations drive, but a turbulent and economically depressed Hong Kong would be inconsistent with the Chinese People’s long term interests“, Journal of Chinese Law 2 (1988), 5 (12). 60 Diesbezüglich war auch ein gewisser Druck von der Hongkonger Bevölkerung ausgegangen, Bonavia, Hong Kong 1997, S. 166. 61 Erste Sondierungsgespräche über die Zukunft der Kronkolonie fanden bereits in den siebziger Jahren statt, allerdings ohne jegliche Festlegungen, siehe dazu Flowerdew, The Final Years of British Hong Kong, S. 32 ff. 62 J. Cheng, in: Cheng, Hong Kong in Transition, S. 1 (1). 63 Menski, Coping with 1997, S. 19 f., m.w. N.; Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (673). 64 Sie erstreckten sich über 22 Verhandlungsrunden. Dazu Miners, The Government and Politics of Hong Kong, S. 3 ff. 65 Nachstehend „Joint Declaration“ oder „Gemeinsame Erklärung“, in Kraft seit dem 27.05.1985. Abgedruckt in International Tax and Business Lawyer 5 (1987), 424– 441; P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 391–410. 66 So heißt es in Art. 3 Abs. 5 S. 1 JD: „The current social and economic systems in Hong Kong will remain unchanged, and so will the life-style“. Zur rechtlichen Ausarbeitung dieser dem Konzept „Ein Land, Zwei Systeme“ entsprechenden Zusicherung siehe unten, Kapitel C. I. 2.

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Eine innerstaatliche Umsetzung der Erklärung durch Großbritannien erfolgte am 4. April 1985 durch den Hong Kong Act. In ihm wurde beschlossen, dass „as from 1st July 1997 Her Majesty shall no longer have sovereignty or jurisdiction over any part of Hong Kong“.67 Im selben Jahr gründete man auf chinesischer Seite das Basic Law Drafting Committee (BLDC)68 zur Ausarbeitung des die Erklärung implementierenden Grundgesetzes für die spätere SVZ Hongkong sowie das Basic Law Consultative Committee (BLCC), das sich mit den Sichtweisen der Hongkonger Bevölkerung auseinandersetzen sollte. Die Zusammensetzung beider dieser Gremien sicherte eine Entscheidungsfindung im Sinne der VRC.69 In ersterem stammten von den insgesamt 59 Mitgliedern nur 23 aus Hongkong, von denen wiederum eine Mehrheit durch Peking berufen worden war.70 Das BLCC setzte sich zwar gänzlich aus Bürgern der Kronkolonie zusammen, doch waren auch diese zuvor von der VRC ausgewählt worden.71 Am 4. April 1990 verabschiedete schließlich der VII. Nationale Volkskongress (NVK) in dritter Sitzung das Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region of the People’s Republic of China72. Dieses trat nach Übergabe Hongkongs am 1. Juli 1997 in Kraft, kodifizierte das politische und rechtliche System der neu gegründeten Sonderverwaltungszone und ersetzte damit die Verfassungsordnung der Kronkolonie. b) Rechtsnatur und Wirksamkeit der sino-britischen Gemeinsamen Erklärung Anders als es ihr Titel vermuten lässt, handelt es sich bei der Gemeinsamen Erklärung nicht um eine bloße Deklaration, sondern um einen völkerrechtlich bindenden Vertrag. Die Joint Declaration beinhaltet zwei übereinstimmende Erklärungen, die in Anbetracht des beidseitigen Regelungsbedürfnisses und unter Berücksichtigung nachträglicher Äußerungen der Parteien73 auch Rechtswirkun67

Art. 1 Abs. 1 Hong Kong Act. Dieses unterteilte sich wiederum in fünf, unterschiedliche Sachgebiete behandelnde Untergruppen (zur politischen Struktur, zur Beziehung gegenüber dem Festland, zur Wirtschaft, zu Rechten und Pflichten der Bürger sowie zu sonstigen Themen wie Erziehung, Wissenschaft, Sport, Religion etc). Siehe hierzu die Einführungsbemerkungen zum Basic Law von Ku, ILM 29 (1990), 1511 (1511). 69 Dem zum Trotz kam es in den beiden Gremien zu kontrovers geführten Auseinandersetzungen, Horlemann, Hongkong 1997, S. 56. 70 Vgl. Horlemann, Hongkong 1997, S. 67; Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (707). Ausführungen zur genauen Zusammensetzung finden sich bei E. Lau, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 90 (93 ff.). 71 A. Han, Hastings International & Comparative Law Review 16 (1992–1993), 321 (324). 72 ILM 29 (1990), 1519–1551. 73 Mushkat, Houston Journal of International Law 10 (1987), 1 (9), m.w. N. 68

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gen erzeugen sollten.74 Sie ist eine vom Völkerrecht bestimmte Übereinkunft zwischen Staaten und entspricht somit der Vertragsdefinition gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a WVK. Die Bezeichnung als „Declaration“ ist insoweit irreführend, aber ohne Belang.75 Eine andere, die Bindungskraft des Vertrages betreffende Frage ist freilich die nach seiner rechtlichen Wirksamkeit. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang eine Nichtigkeit der Joint Declaration aufgrund eines Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht. Es wurde vertreten, dass die Vereinbarung über die Rückkehr Hongkongs in die Volksrepublik China, die ohne eine demokratische Legitimation der verhandlungsführenden Regierung oder ein entsprechendes Referendum erfolgt war,76 gegen das Recht der Hongkonger Bevölkerung auf Selbstbestimmung gemäß Art. 1 Abs. 2 der Satzung der Vereinten Nationen (SVN)77 verstoße.78 Nach dem gemeinsamen Art. 1 Abs. 1 S. 2 der UN-Menschenrechtspakte von 196679 umfasst dieses Recht die freie Entscheidung eines Volkes über seinen politischen Status sowie über seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Ent74 Vgl. auch Art. 8 S. 2 JD. Zum völkerrechtlichen Vertragsbegriff siehe z. B. IpsenHeinegg, Völkerrecht, § 9, Rn. 1–5; Reuter, Introduction to the Law of Treaties, S. 22 ff.; Dinh/Daillier/Pellet, Droit International Public, S. 117 f.; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 440. Die Joint Declaration basiert auf einem besonderen Verfahren, in dem unterschiedliche unilaterale Erklärungen der Parteien zu einem Vertrag zusammen gefasst worden sind, Ress, ZaöRV 46 (1986), 647 (657 f.). Hiergegen wendet sich B. Weng, der aus der Gemeinsamen Erklärung ausschließlich Verpflichtungen für die britische Seite folgert, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 73 (77). 75 Ress, ZaöRV 46 (1986), 647 (657). Siehe auch allgemein Ipsen-Heinegg, Völkerrecht, § 9, Rn. 1, 15, sowie Art. 2 Abs. 1 lit. a. a. E. WVK. 76 Zumindest die Hongkonger Regierung nahm im Austausch mit den britischen Verhandlungsführern faktisch Einfluss auf die Gemeinsame Erklärung, Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (323, Fn. 63). Eine wohl eher symbolische Bedeutung hatte die Einrichtung eines Weißbuches, in dem Hongkonger Bürger ihre Meinung zu den Vertragsverhandlungen kundgeben konnten, Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (673). 77 Das Selbstbestimmungsrecht findet sich zudem in Art. 55 SVN und im gemeinsamen Art. 1 Abs. 1 der UN-Menschenrechtspakte von 1966, des IPbpR, siehe dazu unten, Kapitel D., Fn. 69, und des IPwskR, siehe Kapitel B., Fn. 79. Wegweisend für die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts, wenn auch nur als soft law einzuordnen, war die Resolution 1514 der UN-Generalversammlung vom 14.12.1960, die Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, dazu Hill, ILSA Journal of International and Comparative Law 1 (1995), 119 (125). 78 Eine Anerkennung als Völkergewohnheitsrecht erfolgte bereits im Westsaraha-Fall von 1975, ICJ Reports 1975, S. 12 ff. Dazu Oeter, ZaöRV 46 (1986), 48 (55). Eine Einführung in die geistesgeschichtlichen Grundlagen dieses Rechtsprinzips findet sich bei Oeter, ZaöRV 52 (1992), 741 (743 ff.). Da die vorliegende Rechtsfrage Hongkongs Territorialstatus betrifft, geht es hier um das sogenannte „äußere Selbstbestimmungsrecht“, dazu Herdegen, Völkerrecht, § 36, Rn. 4; Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 29, Rn. 1; Wolfrum-Partsch, Handbuch Vereinte Nationen, S. 750 f., Rn. 21–25. 79 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) vom 19.12.1966, in Kraft seit dem 03.01.1976, BGBl. 1973 II, S. 1570 ff.

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wicklung. Für eine Nichtigkeit der Gemeinsamen Erklärung müsste das Selbstbestimmungsrecht tatsächlich zwingendes Recht darstellen und im vorliegenden Fall anwendbar sein. Eine Einordnung als ius cogens ist umstritten. Ihr wird teilweise die uneinheitliche Kodifikation und Auslegung dieses Prinzips durch die Vereinten Nationen80 sowie die sich aus seiner Anwendung ergebende Gefahr für die nationale Einheit und territoriale Integrität von Staaten entgegengehalten.81 Für einen zwingenden Charakter der Norm wird dagegen angeführt, dass im Rahmen der zur Wiener Vertragsrechtskonvention geführten internationalen Beratungen das Recht auf Selbstbestimmung nach dem Aggressionsverbot das von Staaten am häufigsten genannte Beispiel für einen Nichtigkeitsgrund im Sinne der Art. 53 und 64 WVK gewesen ist.82 Darüber hinaus deute auch die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) auf ius cogens-Eigenschaften des Selbstbestimmungsrechts hin.83 Einer vermittelnden Ansicht zufolge könne dieses sehr wohl als zwingendes Recht in der Völkerrechtsordnung qualifiziert werden, dürfe aber, um eine Destabilisierung bestehender Landesgrenzen und des politischen Status quo zu vermeiden, nur im Hinblick auf die Dekolonisation, also für unter kolonialer Fremdherrschaft lebende Völker zur Geltung kommen.84 Eine solche Differenzierung erscheint angesichts der möglichen Ausnutzung des Selbstbestimmungsrechts für separatistische Zwecke sinnvoll. Dementsprechend war der Anwendungsbereich dieses Rechtsgrundsatzes und seiner, durch die Staatenpraxis gestützten, zwingenden Wirkung für das als British Dependent Territory85 geführte Hongkong grundsätzlich eröffnet. 80 Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 142, mit Hinweis auf Steinhardt, AJIL 88 (1994), 831 (832). 81 Zum Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht und Souveränitätsgedanken siehe z. B. Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 29, Rn. 2; Wolfrum-Partsch, Handbuch Vereinte Nationen, S. 748 f., Rn. 15. Die politische Brisanz des Selbstbestimmungsrechts betont Brietzke, dem zufolge in den fast 200 anerkannten Staaten auf der Welt ca. 5.000 „nations“ leben, d.h. durch gemeinsame Geschichte, Sprache, Kultur und/ oder Religion verbundene Volksgruppen, Wisconsin International Law Journal 14 (1995–1996), 69 (70). 82 Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 27, Rn. 9, mit Hinweis auf den Report of the International Law Commission on its twenty-eighth session, UN-Dok. A/31/10, YBILC II/2, 121. 83 Dieser hat im Ost Timor-Fall eine Wirkung erga omnes festgestellt, ICJ Reports 1995, S. 89, dazu Tams, Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, S. 166 f. Obgleich solche Normen nicht mit ius cogens gleichgesetzt werden können, hierzu Kadelbach, in: Tomuschat/Thouvenin, The Fundamental Rules of the International Legal Order, 21 (26 ff.), gilt eine solche Einordnung des IGH als ein bedeutendes Indiz für zwingendes Recht, Meron, AJIL 80 (1986), 1 (11). 84 Shaw, International Law, S. 231; Hannum, Autonomy, Sovereignty, and Self-determination, S. 45 ff.; Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, S. 264 ff. A.A. Herdegen, der das Selbstbestimmungsrecht auch für anwendbar hält auf Staatsvölker und unterdrückte Bevölkerungsmehrheiten. Beispiele hierfür seien die Wiedervereinigung Deutschlands bzw. die Abschaffung des Apartheid-Regimes in Südafrika, Völkerrecht, § 36, Rn. 1 f.

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Allerdings müsste die Hongkonger Bevölkerung auch Träger des Selbstbestimmungsrechts, d.h. ein Volk im Sinne des Völkerrechts gewesen sein.86 Es besteht diesbezüglich keine allgemein anerkannte Definition.87 Eine Begriffsbestimmung ergibt sich vielmehr aus einer Gesamtschau unterschiedlicher Kriterien. So bedarf es allen voran eines kollektiven Selbstverständnisses, dem zufolge sich die betreffende Menschengruppe als Volk88 versteht.89 Objektiv wird dieses „Volksbewusstsein“ durch eine gemeinsame Sprache, Religion, Kultur oder Mentalität indiziert.90 Untersuchungen haben ergeben, dass sich trotz der politischen Sonderstellung der Kronkolonie ihre Bevölkerung nicht als eigenständiges Volk empfunden und sich ihre chinesische Identität erhalten hat.91 Linguistisch unterscheidet sie sich zwar von der überwältigenden Mehrheit der Putonghua92 sprechenden Chinesen,93 doch teilt sie ihre Sprache zugleich mit ca. 60 Millionen, hauptsächlich in den nördlich angrenzenden Provinzen des Festlands lebenden Menschen. Als ein distinguierendes Merkmal eignet sich das in Hongkong gesprochene Kantonesisch daher nicht. Weitergehend sprechen das Fortbestehen chinesischer Traditionen und die enge kulturelle Bindung Hongkongs an das Festland gegen eine Einordnung der in der Kronkolonie beheimateten Menschen als „Volk“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 SVN.94 Eine Anwendung des Selbstbestimmungsrechts und damit des Art. 53 WVK scheidet demnach aus.95 Die Joint De85

Vgl. oben, Kapitel A., Fn. 3. Allgemein hierzu Doehring, Völkerrecht, § 15, Rn. 783 ff.; Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 28, Rn. 4 ff. 87 Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 28, Rn. 5. 88 Dieser selbstreferentielle Ansatz ist freilich nicht unproblematisch, ergibt aber Sinn, wenn man den Begriff als eine bei objektiver Betrachtungsweise erkennbare, sich gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen bzw. Völkern abgrenzende Identität versteht. 89 Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 28, Rn. 9. 90 Doehring, Völkerrecht, § 15, Rn. 786; Ipsen-Heintze, Völkerrecht, § 28, Rn. 10. Insofern bestehen Parallelen zum Begriff der „Minderheit“ nach Capotorti, in: Bernhardt, EPIL, Bd. III, S. 410 ff.; Study on the Rights of Persons Belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities; Les Cahiers de Droit 27 (1986), 239 (240). 91 Zum diesbezüglichen Selbstbild der Hongkonger Bevölkerung siehe ausführlich S. Lau/Kuan, The Ethos of the Hong Kong Chinese; Schubert, Chinas Kampf um die Nation, S. 360 f.; S. Lau, in: Cheng, Hong Kong in Transition, S. 19 ff. 92 Auch bezeichnet als „Mandarin“. 93 Mehr als 850 Millionen. 94 „The Hong Kong people have not lost their Chineseness“ konstatiert entsprechend Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (324). A.A. Head, University of Kansas Law Review 46 (1998), 283 (301); Jones, der zwar eine ethnische Gemeinsamkeit feststellt, kulturell jedoch Unterschiede sieht, YJIL (1987), 250 (260 f.). 95 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Ress, der in diesem Zusammenhang auf die aus dem Zweiten Vertrag von Peking folgende Verpflichtung Großbritanniens zur Rückgabe der New Territories hinweist, ZaöRV 46 (1986), 647 (651); kritisch zum Selbstbestimmungsrecht der Hongkonger Bevölkerung auch Xu/Wilson, Case Western Reserve Journal of International Law 32 (2000), 1 (19 ff.). Werner meldet darüber hinausgehend Zweifel an einem Verstoß der Joint Declaration gegen das Recht auf Selbstbestimmung 86

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claration begründete folglich eine beidseitig wirksame völkerrechtliche Verpflichtung zur Umsetzung des in ihr formulierten Rückgabeprozedere.96 c) Konfliktpunkte bis zum Stabwechsel Zu Irritationen kam es durch die gewaltsame Niederschlagung der Demokratiebewegung im Frühjahr 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens.97 Die Ereignisse in Peking schürten erhebliches Misstrauen gegenüber der VRC und nährten Zweifel an der Aufrechterhaltung bürgerlicher Freiheiten unter chinesischer Herrschaft.98 In Hongkong kam es daher zu Massenprotesten, in denen zudem auf eine Demokratisierung der Kronkolonie gedrängt wurde.99 Diese Kundgebungen und, mehr noch, ihre Tolerierung durch die Kolonialregierung stießen in Peking auf scharfe Kritik.100 Die britische Führung in Hongkong versuchte derweil die Sorgen in der Bevölkerung durch eine großzügige Gewährung der britischen Staatsbürgerschaft,101 durch die Verabschiedung eines Grundrechts-

selbst für den Fall, dass es sich bei den Hongkongern um ein „Volk“ gehandelt hätte. So seien die sich aus dem Selbstbestimmungsrecht ergebenden Verpflichtungen nicht eindeutig festgelegt und womöglich durch die Formel „Ein Land, Zwei Systeme“ hinreichend erfüllt, Recht im Systemwandel, S. 154. A.A. P. Chan, Singapore Journal of Legal Studies (Dezember 2006), 285 (290 f.). Zur Wirksamkeit der Gemeinsamen Erklärung siehe auch Head, University of Kansas Law Review 46 (1998), 283 (283 ff.); McCorquodale, New Law Journal 147 (1997), 560 (560 ff.); Dagati, New York Law School Journal of Comparative and International Law 13 (1992), 153 (153 ff.). 96 Dennoch bestanden Bedenken hinsichtlich der Einhaltung dieser Verpflichtungen seitens der VRC. Anlass hierzu gab zum einen, dass China den Vertragsgegenstand stets als eine „innere Angelegenheit“ bezeichnet hatte. Zum anderen befürchtete man, dass es die Gemeinsame Erklärung als bloße Übergangsregelung auffassen könnte, die ihre Gültigkeit am 01.07.1997 verlieren werde, Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (687 f.). 97 Dazu z. B. Yang/Wagner (Hrsg.), Tiananmen. 98 Eine Konsequenz war die massenweise Emigration von in Hongkong lebenden Ausländern, aber auch von Kantonesen, vorzugsweise in die USA und Kanada. Der hierdurch entstandene personelle Verlust für die Hongkonger Wirtschaft, der sogenannte „brain drain“, stellte eine der größten Herausforderungen für die Kolonialregierung unter Chris Patten dar, dazu McGurn, Perfidious Albion, S. 72 f.; Miners, The Government and Politics of Hong Kong, S. 240 f.; C. Chen, Georgetown Immigration Law Journal 3 (1989), 293 (303 ff.). Kritisch zur wirtschaftlichen Entwicklung Loh, HKLJ 25 (1995), 149 (151). Dabei bestand freilich auch Kritik an Großbritannien, S. Lau, in: Cheng, Hong Kong in Transition, S. 415 ff. 99 Horlemann, Hongkong 1997, S. 56 f. Zu Demonstrationen kam es mehrfach, am 21.05.1989, am 28.05.1989 sowie am 04.06.1989. 100 Boasberg, Wisconsin International Law Journal 10 (1992), 282 (310). 101 So wurde mit dem British Nationality Selection Scheme 50.000 Hongkonger Haushalten eine britische Nationalität verschafft, Opitz, Zeitschrift für Politik 45 (1998), 239 (255); Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (692). Näher zu den Änderungen des Staatsbürgerschaftsrechts siehe Horlemann, Hong Kong’s Transition to Chinese Rule, S. 26.

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katalogs 1991, des sogenannten Bill of Rights102 (BoR), sowie mittels politischer Reformen zu zerstreuen.103 Letztere bestanden primär in der Ausweitung demokratischer Teilhabe.104 So wurde unter anderem das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre heruntergesetzt und die Anzahl der direkt gewählten Abgeordneten im Legislative Council erhöht.105 Bei den LegCo-Wahlen 1995 wurde bereits ein Drittel der Sitze durch die Hongkonger Bevölkerung vergeben. Zudem wurden neun weitere sogenannte Functional Constituencies106 eingeführt, die mit insgesamt rund 2,7 Millionen Menschen große Teile der Hongkonger Arbeiterschaft im Parlament vertraten.107 Die Initiativen der Kolonialregierung, insbesondere die durch Patten forcierte Demokratisierung,108 wurden seitens der VRC als Abkehr von der seit der Gemeinsamen Erklärung von 1984 verfolgten Policy of Convergence, einer den Regelungen des erwarteten Basic Law unterworfenen Politik,109 aufgefasst.110

102 Cap. 383, Hong Kong Bill of Rights Ordinance (No. 59), verabschiedet am 06.06.1991, in Kraft seit dem 08.06.1991, abgedruckt in ILM 30 (1991), 1310 ff. Zum Verhältnis zu den anderen in der SVZ geltenden Menschenrechtskatalogen, dem IPbpR und dem Basic Law, siehe Geping, Pacific Rim Law and Policy Journal 2 (1993), 9 (9 ff.) sowie unten, Kapitel D. II. 1. 103 Zu den Auswirkungen des „Tiananmen-Vorfalls“ auf den Prozess der Wiedereingliederung Hongkongs siehe Flowerdew, The Final Years of British Hong Kong, S. 66 ff.; Granahan, Boston University International Law Journal 10 (1992), 83 (83 ff.). 104 Dazu Flowerdew, The Final Years of British Hong Kong, S. 106 ff.; A. So, Hong Kong’s Embattled Democracy, S. 87 ff. 105 Gregory, North Carolina Journal of International and Commercial Regulation 19 (1993–1994), 175 (183 f.). Die Reformen wirkten sich auch auf kommunaler Ebene aus. So wurde die staatliche Berufung von Mitgliedern der Municipal Councils und District Boards abgeschafft, Carroll, A Concise History of Hong Kong, S. 198, 200; Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 148. 106 Hierbei handelt es sich um bestimmte Berufsgruppen und Interessenverbände, die durch eigene Abgeordnete im LegCo vertreten sind. Derzeit wird die Hälfte der 60 verfügbaren Sitze an Vertreter der Functional Constituencies vergeben, die andere Hälfte durch in Wahlkreisen vollzogene Mehrheitswahlen bestimmt. Näher hierzu siehe Goodstadt, in: Loh/Civic Exchange, Functional Constituencies, S. 41 ff. 107 Sing, Hong Kong’s Tortuous Democratization, S. 124; Scragg, Canterbury Law Review 6 (1997), 593 (601). 108 Die Ausweitung demokratischer Mitbestimmung stand bereits im Zentrum Pattens erster Regierungsansprache am 07.10.1992, Gregory, North Carolina Journal of International and Commercial Regulation 19 (1993–1994), 175 (183). 109 Die Debatte um Verfassungsreformen in Hongkong bestand bereits seit 1985, siehe das Grünbuch „The Further Development of Representative Government in Hong Kong“, dazu Miners, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, 44 (52). Sie wurde vor den Vorfällen vom 04.06.1989 aber mit größerer politischer Rücksichtnahme auf die VRC geführt. Zu den Demokratisierungstendenzen in den sechziger bis achtziger Jahren, vgl. B. Becker, in: Becker/Eilenberger/Rüland/Draguhn, Hongkong und China auf dem Weg in das Pazifische Jahrhundert, S. 64 (66 ff.). 110 Davis, Journal of International Economic Law 18 (1997), 157 (170). Zu den aus chinesischer Sicht bestehenden Implikationen des Basic Law in der Übergangsperiode bis 1997 siehe A. Chen, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 23 (24 f.).

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B. Historisch-politischer Hintergrund

Die VRC versuchte daher, diese mit wirtschaftlichem und diplomatischem Druck zu verhindern.111 Überdies wurden die Reformen als Verstoß gegen die Joint Declaration gewertet und damit eigene Abweichungen hiervon gerechtfertigt.112 Ein solcher Vertragsbruch Großbritanniens erscheint indes zweifelhaft: Zwar regelt Art. 3 Abs. 3 S. 2 JD, dass die „gegenwärtig in Hongkong geltenden Gesetze im Wesentlichen unverändert bleiben“, doch ist fraglich, welcher Zeitpunkt hierfür maßgeblich ist. Schließlich spricht Art. 3 Abs. 3 S. 1 JD von der „Sonderwaltungszone Hongkong“ und nimmt somit Bezug auf die Zeit nach dem 30. Juni 1997.113 Es liegt daher nahe, für die sich im nachfolgenden Satz zu findende Regelung den gleichen Bezugszeitraum anzunehmen, zumal diese ebenfalls in der Zukunftsform verfasst ist.114 Nach systematischer Auslegung galt das Prinzip rechtlicher Kontinuität daher nicht für die britische,115 sondern, im Gegenteil, für die chinesische Seite. In Betracht käme allenfalls eine Verletzung der in Art. 4 JD verankerten Verpflichtung Großbritanniens zur Sicherung des Wirtschaftswachstums und der gesellschaftlichen Stabilität.116 Art. 4 JD beinhaltet jedoch nur eine offen formulierte Zielvorgabe, aus der teils gar umgekehrte Schlüsse gezogen worden sind. So wurde argumentiert, dass hierin eine Verpflichtung zur Achtung der rule of law zu sehen sei, die wiederum die Einführung von Mechanismen 111 So z. B. durch die Infragestellung anderer Verträge, insbesondere auch bezüglich des zwischen Großbritannien und der VRC damals umstrittenen Baus des internationalen Großflughafens Chek Lap Kok, Gregory, North Carolina Journal of International and Commercial Regulation 19 (1993–1994), 175 (186, 189). 112 Gregory, North Carolina Journal of International and Commercial Regulation 19 (1993–1994), 175 (186). Vorgeworfen wurden die sogenannten „Drei Verletzungen“: die der Joint Declaration, die des Basic Law sowie die einer informellen Absprache aus dem Jahr 1990, nach der nur noch mit dem Basic Law vereinbare Rechtsreformen zulässig gewesen seien, vgl. A. Chen, Hong Kong Lawyer (Juli 1997), 81 (82). Für die Übergangszeit bis zum Stabwechsel 1997 war jedoch allein die Gemeinsame Erklärung, aus der gegebenenfalls wiederum Verpflichtungen hinsichtlich des künftigen Basic Law gefolgert werden konnten, von rechtlicher Relevanz. Folglich beschränkt sich die Prüfung hier auf die Joint Declaration. 113 Parallelen zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 JD zieht auch Gregory, North Carolina Journal of International and Commercial Regulation 19 (1993–1994), 175 (196). 114 Der Originalwortlaut lautet: „The Hong Kong Special Administrative Region will be vested with executive, legislative and independent judicial power, including that of final adjudication. The laws currently in force in Hong Kong will remain basically unchanged.“ 115 Zumindest nicht im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 JD. 116 Art. 4 JD lautet: „The Government of the United Kingdom and the Government of the People’s Republic of China declare that, during the transitional period between the date of the entry into force of this Joint Declaration and 30 June 1997, the Government of the United Kingdom will be responsible for the administration of Hong Kong with the object of maintaining and preserving its economic prosperity and social stability; and that the Government of the People’s Republic of China will give its cooperation in this connection.“

I. Geschichtlicher Überblick

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politischer Mitbestimmung in Bezirksräten sowie in Hongkongs gesetzgebender Versammlung erforderlich mache.117 Einer anderen Ansicht zufolge ergibt sich die Notwendigkeit demokratischer Partizipation aus dem in Art. 4 JD enthaltenen Auftrag zur Sicherung wirtschaftlicher Prosperität.118 Mögen derlei Folgerungen auch auf umstrittenen sozioökonomischen Gesetzmäßigkeiten beruhen und damit die Grenzen juristischer Argumentation verlassen, verdeutlichen sie doch den weiten Interpretationsspielraum der Norm.119 Ein Demokratisierungsverbot kann in Art. 4 JD jedenfalls nicht gesehen werden. Gegen einen durch die Gemeinsame Erklärung vereinbarten Verzicht auf demokratische Reformen sprechen zuletzt auch Art. 45 Abs. 2 S. 2 BL und Art. 68 Abs. 2 S. 2 BL, die selbst allgemeine Wahlen sowohl des Verwaltungschefs als auch des LegCo in Aussicht stellen. Da das Basic Law die Gemeinsamen Erklärung implementiert120 und daher Rückschlüsse auf ihren Regelungsinhalt erlaubt, erscheint eine demokratisierungsfeindliche Auslegung der Joint Declaration widersinnig. Obgleich somit die Reformen Pattens mit der Joint Declaration in Übereinstimmung standen, stoppte die Volksrepublik den sogenannten „through train“.121 Sie löste sich damit von der Vereinbarung einer durchgehenden Fortführung des Legislative Council über den Souveränitätswechsel hinaus.122 Stattdessen wurde ein bis zu den LegCo-Wahlen 1998 bestehendes Interimsparlament, der Provisional Legislative Council (PLC), eingesetzt.123 Außerdem wurden am Bill of Rights sowie an weiteren von der Patten-Regierung überarbeiteten Gesetzen Änderungen vorgenommen.124

117 Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 149. Ähnliche argumentierte Goodstadt, der ohne demokratische Reformen die Glaubwürdigkeit des Staates und seine Regierungsfähigkeit gefährdet sah, Uneasy Partners, S. 220. 118 Hicks, in: McGurn, Basic Law, 97 (109). Er beschrieb die von ihm als „red capitalism“ bezeichnete Vermengung von Politik und Ökonomie als Gefahr für Hongkongs Volkswirtschaft, der durch eine demokratische Regierungsform entgegengewirkt werden müsse. 119 Siehe auch Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (329). 120 Dazu Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 145 ff. 121 Dazu z. B. Y. Li, in: Saunders/Hassall, Asia-Pacific Constitutional Yearbook 1997, S. 57 (61). 122 Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 63; Flowerdew, The Final Years of British Hong Kong, S. 129. 123 Hierin wurde wiederum ein Bruch der Joint Declaration durch die VRC gesehen, Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities, S. 151. Zur innerstaatlichen Legalität des Provisional Legislative Council siehe auch noch unten, Kapitel C. I. 3. 124 Näher dazu Kapitel D. II. 1. b) bb).

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B. Historisch-politischer Hintergrund

d) Bewertung des Rückgabeverfahrens Der Rückgabeprozess, speziell die Dominanz der chinesischen Verhandlungsführer,125 hat vielfach Kritik hervorgerufen. Um seine Wirtschaftsbeziehungen mit der aufstrebenden Handelsmacht nicht zu gefährden, habe sich das Vereinigte Königreich überaus nachgiebig gezeigt und die Interessen der Hongkonger Bevölkerung nicht offensiv genug vertreten.126 Ein solch negatives Resümee wird in der Tat durch unterschiedliche Beobachtungen gestützt: Zunächst hatte sich die Verpflichtung Großbritanniens vor Abschluss der Joint Declaration auf eine Rückgewährung der bis zum 30. Juni 1997 verpachteten New Territories beschränkt; ein das vollständige Gebiet erfassender Souveränitätswechsel war mithin völkerrechtlich gar nicht geboten. Ein Versäumnis kann zudem in den fehlenden Mitspracherechten der Hongkonger Bevölkerung gesehen werden,127 und letztlich erweckt auch die erst sehr spät verfolgte Politik zur Stärkung bürgerlicher Freiheiten und politischer Mitbestimmung den Eindruck eines nachlässigen Vorgehens auf britischer Seite.128 Andererseits wurde mit Pattens Reformen, wenn sie auch nicht zu Ende geführt werden konnten, der Keim gesät für eine lebhafte und zu großen Teilen auf Demokratisierung pochende Parteienlandschaft.129 Zudem müssen bei der Bewertung der Joint Declaration und des Übergabeverfahrens historische Besonderheiten und politische Begleitumstände Berücksichtigung finden. So ist darauf hinzuweisen, dass erst Jahrzehnte nach dem Rückzug der europäischen Kolonialmächte aus Afrika und Asien die Stadt als letzter westlicher Vorposten in der Region zurück an China fiel. Während London in anderen Gegenden seines Herrschaftsbereichs Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung eröffnet hatte, beruhte die Regierungsmacht in Hongkong weiterhin „auf königlichem Privileg“.130 Mit Rücksicht auf die VRC, die sich an ihrer Grenze nur ungern mit

125 Zur Verhandlungstaktik Pekings und zur Durchsetzung seiner Interessen bei der Ausarbeitung der Joint Declaration siehe K. Tang, An Analysis of the Basic Law Consultative and Drafting Process, S. 61 ff.; Duncanson, in: Domes/Shaw, Hong Kong, S. 26 ff. 126 Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (36); Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (767); Vahlefeld, in: Becker/Eilenberger/Rüland/ Draguhn, Hongkong und China auf dem Weg in das Pazifische Jahrhundert, S. 239 (242); K. Wang, in: Kürschner-Pelkmann, Hongkong, S. 28 ff. und S. 39 ff.; Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (689). 127 Wenngleich auf britischer Seite die Kolonialregierung und in beschränkter Form auch die Hongkonger Bevölkerung konsultiert worden war, siehe oben, Kapitel B., Fn. 76. 128 Diese Kritik übt auch Carroll, A Concise History of Hong Kong, S. 199. 129 So Schubert, in: Heberer/Derichs, Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, S. 179 (180). 130 Jesch, Die Wirtschaftsverfassung der Sonderverwaltungsregion Hongkong, S. 29. Scheuer spricht gar von einer „diktatorähnlichen Machtfülle“, Die Rechtslage von

I. Geschichtlicher Überblick

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einer Staatsorganisation westlicher Prägung, noch dazu in dem von ihr beanspruchten Hongkong, konfrontiert gesehen hätte, hatte man auf eine Demokratisierung lange Zeit verzichtet.131 Des Weiteren unterschied sich die vorliegende Konstellation von bekannten Fällen der Entkolonisierung wie in Afrika oder Indochina132 insofern, als das British Dependent Territory nicht in seine Unabhängigkeit entlassen, sondern in ein anderes Land eingegliedert werden musste.133 Die neue Verfassung Hongkongs entstand dementsprechend nicht im Zuge einer nationalen Freiheitsbewegung und unter alleiniger Regie der britischen Kolonialherren, wie es sonst üblich gewesen war.134 Ein verringerter Einfluss auf die Bedingungen der Übergabe lag weiterhin darin begründet, dass der neue Träger der Hoheitsgewalt eine politische und zunehmend auch wirtschaftliche Großmacht darstellte.135 Eine Unabhängigkeit Hongkongs oder aber eine Rückgabe nach einer umfassenden Umgestaltung des politischen Systems wäre für die Briten daher kaum durchsetzbar gewesen.136 Der geringe politische Spielraum Großbritanniens wurde besonders deutlich, als bereits zaghafte Reformen zu Beginn der neunziger Jahre den massiven Protest der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nach sich zogen.137 Gleiches gilt für eine bloße Abspaltung der New Territories, die zudem ein langfristig kaum lebensfähiges „Resthongkong“ hinterlassen hätte.138 Nachdem mit dem Tiananmen-Massaker die autokratischen Züge des Pekinger Einparteienregimes eindrücklich hervorgetreten waren, verfolgten die Briten stärker ihre eigene politische Agenda.139 Dabei ist ihnen zugute zu halten, dass sie die Grenzen des politisch Möglichen nicht überzogen und so eine Hongkong und Macao nach den „Gemeinsamen Erklärungen“ vom 19. Dezember 1984 und 13. April 1987, S. 15. 131 Siehe Werner, Recht im Systemwandel, S. 163, m.w. N.; W. Clarke, in: Jao/Leung/ Wesley-Smith/Wong, Hong Kong and 1997, S. 215 (217). 132 Beide Seiten bezeichneten die Vorgänge offiziell auch nicht als einen Prozess der Dekolonisation, siehe Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (1). 133 Vgl. auch B. Becker, in: Becker/Eilenberger/Rüland/Draguhn, Hongkong und China auf dem Weg in das Pazifische Jahrhundert, S. 64 (64); Miners, in: WesleySmith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 44 (53). Y. Li hebt in diesem Zusammenhang auch die Tatsache hervor, dass die Rückgabe Hongkongs anders als in vielen Fällen der Dekolonisation ohne größere politische, soziale oder wirtschaftliche Unruhen vonstatten gegangen ist, in: Saunders/Hassall, Asia-Pacific Constitutional Yearbook 1997, 57 (61); so auch Schoettli, Internationale Politik 3 (Juni 1997), 3 (3). 134 Vgl. Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (2 f.). 135 Dabei bestanden sehr wohl geschichtliche Präzedenzfälle, z. B. die Rückgabe des an die Briten verpachteten Gebiets Weihaiwei, heute Weihai, an China 1930. Parallelen bestehen auch zur Diskussion über die Eingliederung Gibraltars in das spanische Königreich, siehe dazu Hofer, Die Rückgabe Gibraltars an Spanien. 136 Siehe Slinn, AFDI 31 (1985), 167 (172). 137 Sing spricht von einer „zwanzigmonatigen Dauerattacke“ gegen Pattens Reformvorhaben, Hong Kong’s Tortuous Democratization, S. 127. 138 Tsim, EA 39 (1984), 23 (26). 139 Ching, Hong Kong and China, S. 29.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

völlige Abkehr Chinas von den in der Gemeinsamen Erklärung getroffenen Vereinbarungen verhindert haben.140 Alles in allem wurde mit der in der Joint Declaration vereinbarten Vorgehensweise eine pragmatische Lösung gefunden.141 Aufgrund der fundamental unterschiedlichen Positionen der beiden Vertragspartner enthielt die Gemeinsame Erklärung relativ offen formulierte Grundsatzregelungen, die China bei der rechtlichen Ausgestaltung der SVZ Hongkong erheblichen Freiraum gelassen haben. Eine andere, noch zu behandelnde Frage ist folglich die nach der genauen Bedeutung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ 142 und der sich aus ihm ergebenden verfassungsrechtlichen Ordnung.143

II. Anmerkungen zum Regierungs- und Rechtssystem der Volksrepublik China Die historische Entwicklung Hongkongs macht den Stellenwert begreiflich, den die Pekinger Zentralregierung für Rechtsfragen in der SVZ gewonnen hat. Bevor die Untersuchung im weiteren Verlauf auf den Verfassungsdiskurs sowie das diesbezügliche Verhältnis zu Festlandchina zu sprechen kommen wird, gilt es daher, Charakter und Entwicklungsstand eben dieser nationalen Staatsmacht, die sich in einem viel beobachteten Reformprozess befindet, zu klären. Eine auch nur annähernd umfassende Darstellung der volksrepublikanischen Staatsorganisation und des chinesischen Rechts kann an dieser Stelle freilich nicht geleistet werden.144 Dennoch seien die wesentlichen politischen Institutionen,145 einige das Staatswesen kennzeichnende Eigenschaften sowie „stilprägende Fak140 Siehe Gregory, North Carolina Journal of International and Commercial Regulation 19 (1993–1994), 175 (188). 141 So auch P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 24; Werner, Recht im Systemwandel, S. 154. 142 Vgl. insbesondere Art. 3 Abs. 1 JD. 143 Siehe hierfür Kapitel C. I. 2. 144 Siehe hierfür z. B. J. Chen, Chinese Law; Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China. Mit Bezug auf die ersten zwei Jahrzehnte nach Gründung der VRC vgl. Tomson/Su, Regierung und Verwaltung der Volksrepublik China; I. Kim, The Politics of Chinese Communism, S. 55 ff. Zur politischen Entwicklung der VRC bis 1970 siehe z. B. Prybyla, The Political Economy of Communist China. Für Rechtsentwicklungen in der aktuellen Verfassungsperiode siehe B. Liang, The Changing Chinese Legal System; Heuser, „Sozialistischer Rechtsstaat“ und Verwaltungsrecht in der VR China (1982–2002); Folsom/Minan (Hrsg.), Law of the People’s Republic of China. Eine gute Einführung in das aktuelle chinesische Recht findet sich bei A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, sowie bei Senger, Einführung in das chinesische Recht. Zur Bedeutung des Rechts im chinesischen Kaiserreich siehe z. B. Bodde/Morris, Law in Imperial China. 145 Zu deren Verflechtungen mit der Hongkonger Administration siehe A. Chen, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (133 ff.).

II. Anmerkungen zum Regierungs- und Rechtssystem der VR China

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toren“ 146 des chinesischen Rechtskreises nachstehend vorgestellt.147 Sie sind Teil der innerchinesischen Systemdifferenz148 und verdeutlichen zusammen mit der noch zu erörternden Hongkonger Rechtsordnung das das Basic Law prägende verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis.149 1. Staatsorganisation und politisches System a) Verwaltungsgliederung Bei der Volksrepublik China handelt es sich um einen zentralistisch organisierten Einheitsstaat.150 Es besteht eine hierarchische Verwaltungsstruktur, in der jedes Staatsorgan auf Organe unterer Ebenen durchgreifen kann.151 Die hieraus resultierende Machtkonzentration bei der nationalen Regierung in Peking entspricht dem Bedürfnis nach einer starken, die Einheit des Landes wahrenden Führung.152 Neben den aus der chinesischen Staatsorganisation im engeren Sinne herausfallenden Sonderverwaltungszonen in Hongkong und Macao bestehen 22 Provinzen, vier regierungsunmittelbare Städte sowie fünf „autonome Regionen“.153 Die in den zuletzt genannten Verwaltungseinheiten154 lebenden ethnischen Minderheiten genießen Selbstverwaltungsrechte im Finanz- und Wirtschaftsbereich sowie auf den Gebieten der Kultur und der öffentlichen Ordnung.155 Ihre wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung wird nach Art. 122 VVC durch den Staat unterstützt. Art. 121 VVC sichert ihnen den Gebrauch ihrer eigenen Spra146 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, S. 67 f. Demzufolge konzentriert sich die Darstellung auf das Rechtsdenken und das Rechtssystem prägende Stilelemente, die sich, von außen betrachtet, hier also aus dem Blickwinkel des deutschen Rechtskreises, als „wichtig“ und „wesentlich“ darstellen. 147 Ob etwaige Unterschiede zu westlichen Staats- und Rechtsvorstellungen politisch zu akzeptieren sind und inwieweit geschichtliche oder kulturelle Besonderheiten diese rechtfertigen, ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung, siehe dazu beispielsweise Killion, Washington University Global Studies Law Review 4 (2005), 43 (62 f.). 148 Ausführungen zur festlandchinesischen Staatsschutzgesetzgebung finden sich unter Kapitel C. II. 2. b) aa). 149 Dieses wiederum gilt insbesondere für divergierende Auffassungen zur Medienfreiheit, vgl. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 112 f. 150 Entgegen einiger chinesischer Autoren, siehe Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hongkong, S. 163 (165, Fn. 10), hat daran auch die Einführung von Sonderverwaltungszonen in Hongkong und Macao nichts geändert, siehe Kapitel C. I. 1. c). 151 Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 101. 152 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 97. 153 Vgl. Art. 30 VVC. 154 Guangxi, Ningxia, Xinjiang, Tibet und die Innere Mongolei. 155 Siehe Art. 117–120 VVC.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

che und Schrift bei der Amtsführung zu.156 Hervorzuheben ist jedoch, dass der administrative Sonderstatus der „autonomen Regionen“ hauptsächlich in deren finanzieller wie wirtschaftlicher Förderung begründet liegt und nicht mit einer größeren politischen Eigenständigkeit einhergeht.157 b) Ideologische Grundlagen Die VRC ist ein nach leninistischen Prinzipien organisierter Parteistaat.158 Regierungsämter sowie wesentliche Posten in Ministerien, Justiz, Polizei und Armee sind besetzt durch Parteifunktionäre;159 alle staatlichen Einrichtungen sowie für den Staat relevante Institutionen und Personenzusammenschlüsse160 unterliegen der Kontrolle durch die KPCh.161 Deren Führungsrolle spiegelt Abs. 1 ihres Allgemeinen Programms wider,162 das die Kommunistische Partei als „Vorhut der chinesischen Arbeiterklasse, des chinesischen Volkes und der chinesischen Nation“ beschreibt. Die Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative existiert nur teilweise und nur in institutioneller Hinsicht; sie beinhaltet also keine Neutralität der Staatsorgane oder gar ihre gegenseitige Kontrolle.163 Politische Leitlinien ergeben sich aus sich teils widersprechenden, aber in Abs. 2 des Allgemeinen Programms der KPCh164 und Abs. 7 der Präambel der chinesischen Verfassung zur Staatsdoktrin erhobenen Denkschulen und Ideen. Diese sind das Festhalten an einer sozialistischen Politik, das Ziel einer Diktatur des Proletariats, die Führerschaft der Kommunistischen Partei, der Marxismus-Leninismus, die Theorien Mao Zedongs und Deng Xiaopings und die durch Jiang Zemin vor-

156 Die Rechte der dort lebenden Ethnien sind dennoch Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Kritik weckt insbesondere die gezielte Ansiedlung von Han-Chinesen und die damit verbundene Veränderung der demographischen Verhältnisse, siehe z. B. Rahman, Sinicization Beyond the Great Wall, S. 131 ff. 157 Nach Heilmann bestehen gar gegenüber den Provinzen verringerte Entscheidungsbefugnisse, Das politische System der Volksrepublik China, S. 100. 158 Zum chinesischen Einparteiensystem siehe schon oben, Kapitel A., Fn. 4. Nach offizieller chinesischer Lesart entzieht sich das System der VRC einer solchen Klassifizierung. Ihr zufolge handelt es sich um ein Modell der interparteilichen Zusammenarbeit und Konsultation unter Regie der KPCh, J. Chen, Chinese Law, S. 107 f. 159 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 66, 82. 160 Beispielsweise Kultureinrichtungen und Wirtschaftsverbände. 161 Die Führung durch die KPCh wird heute zumeist als Überwachungstätigkeit und Gewährleistung der durch sie gesetzten Politnormen verstanden, wohingegen in vorhergehenden Verfassungsperioden die unmittelbare inhaltliche Einmischung im Vordergrund gestanden hat, Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 87. 162 Vom 06.09.1982, überarbeitet am 18.10.1992. 163 Zur mangelnden gerichtlichen Unabhängigkeit siehe Folsom/Minan, in: Folsom/ Minan, Law of the People’s Republic of China, S. 3 (16). 164 Dieses leitet ähnlich einer Präambel das Statut der KPCh ein.

II. Anmerkungen zum Regierungs- und Rechtssystem der VR China

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gebrachte „Idee des dreifachen Vertretens“.165 Der Vorspruch zur chinesischen Verfassung bildet in China dabei einen größeren Richtwert für die politischen Institutionen als die einleitenden Anmerkungen in Verfassungen westlichen Charakters.166 Er kann von Staatsorganen als Handlungsanweisung verstanden werden, geht in seiner Bedeutung also über die einer bloßen Interpretationshilfe167 oder feierlichen Einleitung168 und Zusammenfassung169 hinaus. c) Die Kommunistische Partei Chinas und ihr Verhältnis zum Staat Oberstes Organ der Partei und Kern der politischen Entscheidungsfindung sind das gemäß Art. 22 Abs. 1 der Parteisatzung (PS) durch das Zentralkomitee (ZK) gewählte Politbüro und dessen Ständiger Ausschuss.170 Die Machtfülle dieser Einrichtungen ergibt sich insbesondere daraus, dass sie im weiten Aufgabenbereich des ZK geschäftsführend tätig sind und stellvertretend für das nur einmal jährlich tagende Gremium alle tagespolitischen Entscheidungen treffen.171 Das ZK wird jeweils auf den im Fünfjahresturnus stattfindenden Parteitagen gewählt. Neben der allgemeinen Parteiarbeit entscheidet es über die Besetzung der Zentralen Militärkommission gemäß Art. 22 Abs. 5 PS sowie über die des ZK-Sekretariats gemäß Art. 22 Abs. 3 PS.172 Generell ist darauf hinzuweisen, dass die innerparteiliche Ordnung über die vergangenen Jahrzehnte zunehmend formalisiert wurde und sich heute stärker an der im Parteistatut niedergelegten Organisationsstruktur orientiert.173 Als interne Kontrolleinrichtung dient die ZK-Disziplinarkommission; Personalplanung, sprich die Erfassung, Reservehaltung und Empfehlung von Führungskadern erfolgt durch die ZK-Organisationsabteilung.174 Eine Interessenvertretung in den Sonderverwaltungszonen wird geleitet durch 165 Hiernach hat die KPCh die Verbesserung der chinesischen Produktivkraft und den kulturellen Fortschritt der chinesischen Nation zu verantworten sowie die grundlegenden Interessen der überwältigenden Mehrheit des chinesischen Volkes zu vertreten. Die Doktrin wurde am 08.11.2002 in das Statut der KPCh und am 14.03.2004 in die chinesische Verfassung aufgenommen. 166 Vgl. Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 89. 167 Vgl. Art. 31 Abs. 2 WVK. Siehe zudem Meyer-Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 4, Rn. 6. 168 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 279. 169 Meyer-Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 3, Rn. 4. 170 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 39; Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 40. 171 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 84. 172 Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 40. 173 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 85. Zur ehemaligen Parteipraxis, in der Beschlüsse durch nicht in der Satzung vorgesehene Organe erlassen wurden, siehe Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 40 f.; Yahuda, in: Leung/Cheng, Hong Kong SAR, S. 25 (35). 174 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 86.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

spezielle Arbeitskomitees der Partei und erfolgt, wie bereits vor den Herrschaftswechseln in Hongkong und Macao, über Niederlassungen der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua.175 Kennzeichnend für die VRC als Parteistaat ist die Lenkung, zumindest aber Überwachung aller Ebenen des Staates durch weisungsgebende bzw. kontrollierende Parteikomitees und Kommissionen.176 So folgen beispielsweise Staatsrat und Nationaler Volkskongress in der Regel den Vorgaben des Politbüros bzw. des Zentralkomitees. Der Staat ist in diesem Sinne nicht absolut, sondern stellt neben der Kommunistischen Partei nur eine von zwei Säulen des organisierten Gemeinwesens dar.177 Anders als in Deutschland nimmt der Staat für die politischen Parteien keine Rahmenfunktion ein,178 sondern fügt sich, umgekehrt, den institutionellen wie inhaltlichen Vorgaben der regierungsführenden Bauern- und Arbeiterpartei. Trotz einiger Bemühungen, die Beziehung zwischen Partei und Staatsverwaltung zu legalisieren und die parteiliche Einflussnahme auf behördliche Tätigkeiten rechtlich zu begrenzen,179 sind seine Einrichtungen daher keine unabhängigen Institutionen demokratisch legitimierter Machtausübung, sondern gleichen eher auf Parteilinie getrimmten Ausführungsorganen der KPCh. Dementsprechend basieren Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung weitestgehend auf sogenannten Parteinormen, d.h. Beschlüssen und Regelwerken der KPCh, und werden nicht autonom durch Organe des Staates vorgenommen.180 d) Regierung und Nationaler Volkskongress In der Diskussion um Hongkongs Autonomie wird oftmals auf Stellungnahmen und Beschlüsse der „Zentralregierung“ verwiesen, welche verkörpert wird 175

Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 87. Dies gilt insbesondere für die Sicherheitsorgane. 177 Min bezeichnet das chinesische Staatsgefüge als „Instrument“ und „Werkzeug“ der KPCh, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 87 und 91. Senger spricht in diesem Zusammenhang von „zwei Obrigkeiten in der VR China“, Einführung in das chinesische Recht, S. 29. Anschaulich hierzu die Übersicht zum politisch-administrativen System von Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 89. 178 So sind nach K. Seifert staatliche Institutionen und Verfahren im deutschen Parteienstaat „Leerformen“, in denen sich die politischen Parteien betätigen, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 39. Diese sind trotz ihrer Bedeutung im politischen Prozess dem Staat jedoch untergeordnet, siehe ders., Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 394; sie stehen intermediär zwischen den Bürgern und dem Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit, Köppler, Die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes als Vorrecht der Parteien, S. 7. Grundlegend zur verfassungsrechtlichen Rolle der Parteien in der Bundesrepublik siehe Rinck, in: Bracher/Dawson/Geiger/Smend, FS Gerhard Leibholz, S. 305 ff. 179 Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 272 f. 180 Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 92 f. 176

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durch den chinesischen Staatsrat.181 Hierbei handelt es sich nach Art. 85 VVC um das höchste Verwaltungsorgan der VRC. Unter Leitung des Ministerpräsidenten182 entscheiden in ihm der Vize-Premier, der Präsident des Rechnungshofes, der KPCh-Generalsekretär, Minister, Staatskommissare und Vorsitzende verschiedener Kommissionen in einem weiten Feld von Verwaltungsangelegenheiten,183 allen voran im Bereich der Wirtschaft, z. B. durch Erarbeitung von Haushaltsplänen, aber auch in Fragen der öffentlichen Sicherheit,184 der internationalen Beziehungen185 und hinsichtlich des Militärs.186 Dem Staatsrat untersteht eine Vielzahl an Ministerien, Kommissionen und sonstigen Verwaltungsorganen. Nach Art. 2 Abs. 1 VVC gehört alle Macht in der VRC dem Volk. Vertreten wird dieses, zumindest theoretisch, gemäß Art. 2 Abs. 2 VVC durch die rund 3000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses. Dieses seiner Mitgliedstärke nach größte Parlament der Welt gilt nach Art. 57 S. 1 VVC als das höchste Organ der Staatsmacht, dem gemäß Art. 62 VVC beachtliche Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind. Hierzu gehören Änderungen der Verfassung sowie die Verfassungskontrolle,187 der Erlass „grundlegender Gesetze“ im Straf-, Zivilund Verwaltungsrecht, die Besetzung wichtiger politischer Ämter188 sowie Entscheidungen über die Verwaltungsgliederung des Landes. Die Entschlussfähigkeit des Volkskongresses ist jedoch durch die hohe Anzahl der Abgeordneten sowie angesichts der Tatsache, dass er nur einmal jährlich zusammentritt, erheblich vermindert.189 Wenngleich sich zeitweise eine zaghafte Emanzipation von der KPCh abzuzeichnen schien190 und der NVK heute politisch selbstbewusster

181 A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 67. In einer ersten Fassung hatten sich beide Begriffe noch abgewechselt, ders., in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (137). 182 Siehe Art. 88 VVC. 183 Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 113 f. Siehe hierfür den umfangreichen Kompetenzkatalog in Art. 89 VVC. 184 Art. 89 Abs. 8 VVC. 185 Art. 89 Abs. 9 VVC. 186 Art. 89 Abs. 10 VVC. 187 Hierzu gleich, Kapitel B. II. 2. a). 188 Unter anderem das des Staatspräsidenten, das des Ministerpräsidenten, das des Präsidenten des Obersten Volksgerichts sowie das des Generalstaatsanwalts. 189 Vorschläge für eine Verkleinerung des NVK in den frühen achtziger Jahren wurden mit dem Hinweis abgelehnt, die VRC bedürfe aufgrund ihrer enormen Bevölkerungszahl eines entsprechend großen Parlaments. Nur ein solches sei in der Lage, die Vielzahl unterschiedlicher Interessen der chinesischen Gesellschaft zu vertreten. Stattdessen entschied man sich für eine Stärkung des Ständigen Ausschusses des NVK, J. Chen, Chinese Law, S. 115, m.w. N. 190 So machten z. B. 1993 bei der Entscheidung über die Verlängerung der Amtstätigkeit von Ministerpräsident Li Peng Gegenstimmen und Enthaltungen 12% aus. Solche Abstimmungsergebnisse weckten Hoffnungen auf eine größere Unabhängigkeit des

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auftritt,191 besteht nach wie vor eine Diskrepanz zwischen der der Volksvertretung in Art. 57 und 58 VVC zugedachten Funktion einer politisch eigenständigen Legislative und seiner tatsächlichen, nicht selten als „Abnick-“ 192 oder „Scheinparlament“ 193 beschriebenen Rolle im chinesischen Staatswesen.194 So gibt z. B. das ZK verbindliche Anweisungen an die im NVK vertretenen KPChOrganisationen, vor allem bezüglich der Besetzung von Staatsposten.195 Auch gilt es als „verfassungsrechtliche Konvention“, dass Änderungen der chinesischen Verfassung nur auf Vorschlag der Kommunistischen Partei erfolgen.196 Der Einfluss der Partei ist schließlich auch durch die hohe Anzahl der im NVK vertretenen KPCh-Mitglieder gesichert; im IX. NVK197 beispielsweise stellten diese rund 85% aller Kongressabgeordneten.198 In Anbetracht der vorgenannten konstitutiven Schwächen des NVK erlangt dessen Ständiger Ausschuss199 besonderes Gewicht.200 Zu seinen Aufgaben zählen die Verabschiedung von Gesetzen sowie die Kontrolle der Einhaltung der Verfassung und der Arbeit verschiedener Staatsorgane.201 Eine weitere Kompetenz dieses ca. 150 Mitglieder zählenden Gremiums liegt in der abstrakten, also

NVK, siehe z. B. Tanner, in: Potter, Domestic Law Reforms in Post-Mao China, S.64, zitiert in Lubman, in: Lubman, China’s Legal Reforms, S. 1 (4). 191 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 179. Gründe hierfür sieht Heilmann in der durch zahlreiche Fachausschüsse institutionalisierten Arbeitsbasis des Kongresses sowie der Mitgliedschaft hochrangiger Parteifunktionären, unter anderem ehemaliger Mitglieder des Politbüros, Das politische System der Volksrepublik China, S. 133 f. Dennoch unangebracht erscheint Dowdles Charakterisierung des NVK als unabhängigen Machtfaktor im chinesischen Staatsgefüge, Columbia Journal of Asian Law 11 (1997), 1 (1). 192 Vgl. z. B. A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 62; Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 178. 193 Vgl. z. B. Maass im Tagesspiegel vom 06.03.2007, S. 6. 194 J. Chen, Chinese Law, S. 117; H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (103). 195 J. Chen, Chinese Law, S. 117. Irreführend beschreibt demgegenüber C. Wang/ Zhang-Zhu, Introduction to Chinese Law, den NVK als „controlling centre“ und „core of the legislative system“, S. 44. 196 J. Chen, Chinese Law, S. 117. 197 1998 bis 2003. 198 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 179. Zur Art der Einflussnahme auf den NVK durch die KPCh siehe Dowdle, Columbia Journal of Asian Law 11 (1997), 1 (15 f.). 199 Mit „Ständiger Ausschuss“ sei nachfolgend, soweit nicht anders angegeben, der Ständige Ausschuss des NVK gemeint. 200 Da er aufgrund seiner fortdauernden Tätigkeit ein Großteil der Gesetze erlässt, wird er auch als „Legislative in der Legislative“ bezeichnet, O’Brien, Legislative Studies Quarterly 13 (1988), 343 (363). 201 Ein Kompetenzkatalog findet sich in Art. 67 VVC. Eine Übersicht zu den einzelnen Aufgaben findet sich bei C. Wang/Zhang-Zhu, Introduction to Chinese Law, S. 48 f.

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vom Einzelfall losgelösten, verbindlichen Auslegung von Gesetzen.202 Diese in den Art. 43 bis 47 des sogenannten Gesetzgebungsgesetzes näher geregelte „legislative Interpretation“ ermöglicht es dem Ständigen Ausschuss, nachträgliche Durchführungsanordnungen zu erlassen.203 Solche Gesetzeserläuterungen kommen teils einer inhaltlichen Änderung des „interpretierten“ Regelwerks gleich,204 gehen also über den Bereich der Auslegung nach unserem Verständnis hinaus. Entgegen hiesiger Begriffsvorstellungen muss die Interpretationskompetenz des Ständigen Ausschusses daher auch als Befugnis zur Rechtsfortbildung verstanden werden.205 Von ihr hat der Ständige Ausschuss allerdings erst in wenigen Fällen Gebrauch gemacht, da zumeist der Erlass ergänzender Regelwerke einer Interpretation vorgezogen wurde.206 Die prominentesten unter ihnen erfolgten 1999, 2004 und 2005 und betrafen Rechtsfragen des Hongkonger Basic Law.207

2. Rechtsentwicklungen seit der chinesischen Öffnungspolitik a) Verfassung und Staatsmacht Einen Meilenstein in der Entwicklung des gegenwärtigen Rechtssystems stellt die Verfassung der Volksrepublik China von 1982208 dar.209 Wie zuvor die Verfassungen von 1949,210 1954, 1975 und 1978 markiert auch sie den Beginn einer neuen politischen wie wirtschaftlichen Entwicklungsphase des Landes.211 Wur202 Hierzu Woodman, in: Fu/Harris/Young, Interpreting Hong Kong’s Basic Law, S. 229 ff. 203 Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 129. 204 Werner, Recht im Systemwandel, S. 90. 205 Werner, Recht im Systemwandel, S. 91. 206 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 173. 207 Eine Anwendung der weiten Interpretationsbefugnis des Ständigen Ausschusses auf das Basic Law wird indes kritisch beurteilt, siehe dazu Kapitel C. I. 3. 208 Verabschiedet auf der 5. Tagung des V. NVK am 04.12.1982. Eine offizielle englische Übersetzung findet sich unter http://english.peopledaily.com.cn/constitution/con stitution.html (Stand: 20.08.2011). Eine deutsche Fassung einschließlich der Verfassungsänderungen bis zum 15.03.1999 findet sich bei Heuser, „Sozialistischer Rechtsstaat“ und Verwaltungsrecht in der VR China (1982–2002), S. 207–243. Auf dieser beruhen auch die nachfolgenden Verfassungszitate. 209 Zum Prozess ihrer Formulierung siehe J. Chen, Towards an Understanding of Chinese Law, S. 68 f. 210 Hierbei handelte es sich nicht um eine reguläre, durch den Nationalen Volkskongress verabschiedete Verfassung, sondern um das sogenannte „Gemeinsame Programm der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes“ vom 29.09.1949, abgedruckt in Foreign Language Press (Peking), The Important Documents of the First Plenary Session of the Chinese People’s Political Consultative Conference, S. 1–20. 211 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 73; C. Wang/ Zhang-Zhu, Introduction to Chinese Law, S. 51; Folsom/Minan, in: Folsom/Minan, Law of the People’s Republic of China, S. 19 (19).

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den Staat und Recht zuvor als „Werkzeuge der Klassendiktatur“ verstanden,212 finden sich in ihr bereits Anzeichen für eine von der politischen Willensbildung losgelöste Normativwirkung des Rechts. So wird die Verfassung in Absatz 13 der Präambel als das „Grundgesetz des Staates“ mit „höchster Gesetzeskraft“ bezeichnet. Mit ihm darf gemäß Art. 5 Abs. 3 VVC „kein Gesetz und keine administrative oder lokale Verordnung“ in Widerspruch stehen. Staatsangelegenheiten sind gemäß Art. 2 Abs. 3 VVC „entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen“ zu verwalten.213 Seit der dritten Verfassungsrevision vom 15. März 1999214 wird die VRC in Art. 5 Abs. 1 VVC überdies als „sozialistischer Rechtsstaat“ beschrieben, der geleitet ist durch das „Prinzip des Regierens des Staates gemäß dem Recht“.215 Ein weiteres Element westlicher Rechtsstaatsvorstellungen findet sich in Art. 33 Abs. 2 VVC, der die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz garantiert. Die Aufnahme einer solchen Verfassungsbestimmung verdeutlicht einen bemerkenswerten Bruch mit sowohl konfuzianischen wie auch maoistisch geprägten Rechtstraditionen, die jeweils an eine sozialhierarchische bzw. klassenbezogene Kategorisierung der Bevölkerung angeknüpft hatten.216 Trotz dieser Neuerungen ist China das Prinzip einer Verfassung, die die normative Grundausrichtung sowie Strukturprinzipien und Entwicklungsziele eines Staatsgefüges objektiv, also für alle staatliche Gewalt verbindlich, festlegt, weiterhin fremd.217 Wenngleich sich die VRC im Wortlaut zentraler Verfassungsbestimmungen wie auch in ihrer verwaltungsrechtlichen Praxis auf eine Herrschaft des Rechts zubewegt hat,218 ist festzuhalten, dass auch der aktuelle Verfassungstext weder einen unverrückbaren Wertekanon noch eine umfassende Kompetenzordnung kodifiziert. Nach wie vor handelt es sich um ein eher politisch-programmatisches Dokument,219 das die Linie der Kommunistischen Partei abbildet220 und „keinen dauerhaften Wert im westlich-rechtsstaatlichen Sinne“ 221 darstellt. 212 Tomson/Su, Regierung und Verwaltung der Volksrepublik China, S. 56. Siehe auch B. Liang, The Changing Chinese Legal System, S. 19 f., 43; Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 70. 213 Zu den Neuerungen des ursprünglichen Verfassungstextes gegenüber der Verfassung von 1978 siehe Barrett, Review of Socialist Law 9 (1983), 305 (305 ff.). 214 Vorhergehende Verfassungsänderungen erfolgten am 12.04.1988 und am 29.03. 1993. 215 Im Originalwortlaut: „Yi fa zhi guo“. 216 Siehe H. Becker/Straub, Drachenflug, S. 107; Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 110. 217 Y. Weng, Die Stellung der Justiz im Verfassungsrecht der Republik China, S. 15; Weggel, in: Staiger, China, S. 261 (261). 218 Heuser, „Sozialistischer Rechtsstaat“ und Verwaltungsrecht in der VR China (1982–2002), S. 128, 133. 219 Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 263. 220 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 71. 221 Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 134.

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Dem entspricht, dass Verfassungsänderungen in der Regel auf Vorschlag des ZK erfolgen und ohne Änderungen durch den NVK übernommen werden.222 Obgleich Art. 5 Abs. 4 und Abs. 5 VVC bestimmt, dass keine politische Partei oder sonstige Einrichtung das Privileg genießen dürfe, entgegen der Verfassung zu handeln, und den Führungsanspruch der Partei in den Staatsaufbau und die durch das chinesische Grundgesetz bestimmten Verfahren einordnet,223 besteht für die KPCh de facto keine Verfassungsbindung.224 Für eine Konstitutionalisierung der Staatsmacht fehlt es darüber hinaus an einer unabhängigen Verfassungskontrolle. Zwar ermächtigt Art. 67 Abs. 7 und 8 VVC den Ständigen Ausschuss des NVK, verfassungswidrige Verordnungen des Staatsrats sowie Vorschriften und Beschlüsse von Provinzregierungen, autonomen Regionen und regierungsunmittelbaren Städten aufzuheben, doch unterliegt auch dieser der Kontrolle durch die KPCh225 und hat von seiner Annullierungskompetenz bislang noch nicht Gebrauch gemacht.226 Chinesische Gerichte dürfen seit kurzem in ihren Entscheidungen auf Verfassungsnormen Bezug nehmen, sind aber nach wie vor nicht berechtigt, verfassungswidrige Gesetze oder Rechtsverordnungen für nichtig zu erklären oder im konkreten Fall nicht anzuwenden.227 Erst in jüngerer Zeit wird diskutiert, ob das chinesische Grundgesetz überhaupt eine unmittelbare Rechtswirkung entfaltet.228 222 J. Chen, Chinese Law, S. 92 f. Mit Bezug auf die Verfassungsrevision 2004 kommt dieser zu dem Ergebnis: „As was the previous practice, the recommendations were dutifully and faithfully adopted by the NPC, making itself once again a rubber stamp for the Party. Sadly, this practice is patently undemocratic: [. . .] it is unrealistic, if not insulting, to tell the people that they enjoy democracy and the rule of law. [. . .] the 2004 revision was little more than an implementation of the Party policies [. . .].“, Chinese Law, S. 95 f. 223 Senger, Partei, Ideologie und Gesetz in der VR China, S. 197; Heuser, JZ (1988), 893 (899). 224 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 73, 79. 225 Heuser, „Sozialistischer Rechtsstaat“ und Verwaltungsrecht in der VR China (1982–2002), S. 130. 226 A. Chen, Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 48. Ein Fortschritt wurde diesbezüglich im Fall Sun Zhigang gesehen, in dem es um die Verfassungskonformität einer Verordnung ging, die die Polizei im Fall einer fehlenden Niederlassungserlaubnis zur Festnahme berechtigt hatte. Darin beschloss der Ständige Ausschuss auf Druck der Medien und angesichts der öffentlichen Bezugnahme auf die in der Verfassung statuierten Rechtsstaatsprinzipien eine Annullierung der Verordnung für den Fall, dass der Staatsrat sie nicht zurückziehen würde. Da letzteres geschah, wurde ein entsprechender Präzedenzfall verhindert, siehe dazu Hand, Columbia Journal of Transnational Law 45 (2006), 114 (114 ff.). 227 Peerenboom, Columbia Journal of Asian Law 19 (2006), 185 (219); A. Chen, Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 47 f. 228 J. Chen, Chinese Law, S. 135; Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 71; A. Chen, Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 47; H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (97, 105).

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Es lässt sich damit festhalten, dass sich das Prinzip einer verfassungsmäßigen Regierung, wie es westlichen Rechtsstaatsvorstellungen entspricht und auch in der Verfassung der VRC zumindest dem Wortlaut nach zum Ausdruck kommt, in China noch nicht hat durchsetzen können. Hierfür sprechen die unzureichende rechtlich-institutionelle Eingrenzung der KPCh229 und der Mangel an einer unabhängigen Verfassungsprüfung, sei es in Form eines Verfassungsgerichts, einer entsprechenden Kompetenzausweitung des Obersten Volksgerichts oder eines gesonderten Ausschusses des NVK.230 Überdies fehlt es an einer Praxis verfassungskonformer Auslegung und einer am chinesischen Grundgesetz ausgerichteten Juristenausbildung.231 In Übereinstimmung mit dem bereits umrissenen Verhältnis zwischen Partei und Staat dient Recht in der VRC weiterhin vornehmlich der Verbindlichmachung von Parteinormen; sie gelten als die „Seele des staatlichen Gesetzesrechts“.232 Zentrale Merkmale des chinesischen Verfassungssystems sind demgemäß die Gewalteneinheit sowie die Unterordnung von Individualrechten233 unter die durch die Parteiführung formulierten Politikziele und Staatsinteressen.234 b) Menschenrechte Die konstitutionelle Entwicklung der Volksrepublik China deutet darüber hinaus auf eine Stärkung der Rechtsstellung des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat.235 So wurden z. B. im Zuge der Verfassungsreform vom 14. März 2004 die Enteignungsvorschriften Art. 10 und 13 VVC um Entschädigungsklauseln er229 Beispielsweise steht die Gesetzesbindung der Partei im Widerspruch zu den grundlegenden in Abs. 7 der Verfassungspräambel genannten Prinzipien, siehe oben Kapitel B. II. 1. b), J. Chen, Towards an Understanding of Chinese Law, S. 70. 230 Wie bereits 1988 durch den Ständigen Ausschuss des NVK vorgeschlagen, H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (104). 231 Zu diesem Schluss kommt auch Jiang (Hrsg.), Xianfa Xue (Verfassungsrecht), S. 43, zitiert in J. Chen, Chinese Law, S. 136. Darüber hinaus mangelt es weiterhin an ausreichendem juristisch qualifiziertem Fachpersonal. 1957 gab es in ganz China nur 2500 Anwälte. In Mitleidenschaft geriet der zahlenmäßig eh schon kleine Berufsstand in der darauf folgenden Anti-Rechte-Kampagne sowie während der Kulturrevolution, J. S. Chan, in: Folsom/Minan (Hrsg.), Law in the People’s Republic of China, 216 (217). Siehe auch V. Li, Law without Lawyers; D. Clarke, UCLA Pacific Basin Law Journal 10 (1991), 1 (57). Zur politischen Verfolgung von Anwälten siehe Lamb, Die Entwicklung und heutige Stellung der Anwaltschaft in China, S. 30 ff. Allerdings wird ein erheblicher Anstieg der chinesischen Anwaltsrate erwartet, B. Liang, The Changing Chinese Legal System, S. 55. 232 Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 302, m.w. N. 233 Dazu sogleich, Kapitel B. II. 2. b). 234 Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 263. Vgl. auch Henkin, in: Edwards/Henkin/Nathan, Human Rights in Contemporary China, S. 7 (27). Dies entspricht der Verfassungstradition kommunistischer Staaten, A. Chen, Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 47. 235 Diese hat auch verwaltungs- und strafrechtlich Niederschlag gefunden, siehe Heuser, ZaöRV 64 (2004), 723 (727 f.).

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gänzt. Zudem fand mit Art. 33 Abs. 4 VVC eine Verpflichtung des Staates zur Achtung und Aufrechterhaltung der Menschenrechte Eingang in die chinesische Verfassung.236 Dies stellt insofern ein erwähnenswertes Novum dar, als vorherige Verfassungstexte der VRC ausschließlich auf den Begriff der „Bürgerrechte“ Bezug genommen hatten. Eine solche Formulierung war einer klassenbezogenen Unterteilung der Rechtsträger eher zugänglich237 und hatte den Ausschluss von Personen ermöglicht, die nicht über die chinesische Staatsbürgerschaft verfügten.238 Überdies war der Individualrechtscharakter dieser Regelungen dadurch getrübt, dass der Begriff des „Bürgers“ vor dem Hintergrund einer maoistischen Staatsideologie verstanden und als Bezugnahme auf eine als Untertanen agierende Volksmasse interpretiert werden musste.239 In der Verfassung verankerte Rechte gegenüber dem Staat waren vor 1982 faktisch ohne Belang;240 eine Berufung hierauf wurde teils gar als strafwürdige „Rechtsabweichung“ gebrandmarkt.241 Demgegenüber stellt die Verfassung von 1982 die bürgerlichen Freiheiten erstmals den Regelungen zum Staatsaufbau voran und erzielt damit ihre symbolische Aufwertung.242 Im Grundrechtsabschnitt findet sich ein umfassender Rechtskatalog, wie er aus liberaldemokratischen Staaten bekannt ist und es internationalen Menschenrechtsstandards entspricht.243 Wenngleich der Bevölkerung nominell hierdurch zahlreiche politische, kulturelle und soziale Freiheiten zugesichert sind,244 durch die Verfassung von 1982245 und ihre Revision 2004 erhebliche Fortschritte erzielt wurden246 und damit eine Annäherung an die völkerrechtliche Menschenrechtsordnung stattgefunden hat, bleiben normative Differenzen sowie ein Missverhältnis zwischen Recht 236 Die Verpflichtung erschöpft sich in dem schlichten Zusatz: „Der Staat achtet und bewahrt die Menschenrechte.“ 237 Menschenrechte hatten in den vorhergehenden Verfassungen der VRC „Klassencharakter“, Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 195. 238 Keith, China’s Struggle for the Rule of Law, S. 66. 239 Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 281 f. 240 Trotz der weit verbreiteten Umsiedlungspolitik war z. B. das Grundrecht der Freizügigkeit verfassungsrechtlich garantiert. Auch die verfassungsrechtliche Festnahmevoraussetzung einer richterlichen oder staatsanwaltlichen Anordnung widersprach die polizeiliche Praxis, Chiu, in: Folsom/Minan, Law in the People’s Republic of China, S. 50 (51). 241 Münzel, Das Recht der Volksrepublik China, S. 63. 242 J. Chen, Chinese Law, S. 133; Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 105. Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 144. 243 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 106; A. Chen, in: Wacks, Human Rights in Hong Kong, S. 176 (189). 244 Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 144 f. 245 So kam es mit der Verfassung von 1982 zu einer Erweiterung des grundrechtlichen Schutzbereichs, C. Wang/Zhang-Zhu, Introduction to Chinese Law, S. 72. 246 Zu diesem Schluss kommt auch J. Chen, Chinese Law, S. 133.

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und Rechtswirklichkeit erhalten: Entsprechend der sozialistischen Ausrichtung des Landes finden wirtschaftliche und auf soziale Gleichheit zielende Rechte, wie das Recht auf Arbeit (Art. 42 VVC), das Recht auf Bildung (Art. 46 VVC) und das Recht auf materielle Unterstützung und Versorgung im Ruhestand (Art. 44 VVC) sowie bei Arbeitsunfähigkeit und Krankheit (Art. 45 VVC), ausführlich Erwähnung.247 Die Meinungs- und Presse- sowie die Vereinigungsund Versammlungsfreiheit sind dagegen zusammengefasst in einem Satz in Art. 35 VVC. Ferner kodifiziert Art. 51 VVC eine bedeutende Schranke. So darf die Grundrechtsausübung nicht den „Interessen des Staates, der Gesellschaft und des Kollektivs“ widersprechen. Nach Beschluss des Ständigen Ausschusses des NVK handelt es sich hierbei um die „gemeinsamen Interessen der Volksmassen aller Nationalitäten des ganzen Landes“.248 Der Inhalt der Grundrechtsbegrenzung nach Art. 51 VVC bleibt somit nebulös und eröffnet den betroffenen Behörden einen weiten Beurteilungsspielraum.249 Ein weiteres Merkmal des chinesischen Menschenrechtssystems liegt in der Verknüpfung der Grundrechte mit Grundpflichten. Sie ist allgemein verankert in Art. 33 Abs. 3 VVC und geht so weit, dass einige Freiheiten unmittelbar in Verbindung mit entsprechenden Obligationen formuliert sind.250 Eine solche normative Reziprozität entspricht der generellen Betonung des Gemeinwohls gegenüber Individualinteressen im asiatischen Rechtsraum251 und rührt von einer konfuzianischen Denkweise, die das Wesen des Menschen, das renxing, als seinen Charakter und seine Haltung in der Gesellschaft begreift.252 Sie ist außerdem Ausdruck eines sozialistischen Staatskonzeptes, nach dessen Umsetzung es keinerlei Rechtsschutz des Bürgers gegenüber dem Staat bedürfe und das den Beitrag des Individuums zur gesellschaftlichen Entwicklung in den Vordergrund stellt.253 Überdies sind Menschenrechte nach chinesischer Auffassung nicht naturrechtlich verankert, sondern positiv vom Staat verliehene und somit auch durch ihn entziehbare Rechtspositionen.254 Es besteht somit ein grundlegender Unterschied zum westlichen Rechtsverständnis, das, beeinflusst durch das christliche Menschenbild, von einer Gottesebenbildlichkeit255 und daher von unveräußerlichen Rechten des Menschen ausgeht.256 247

Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 109. Amtsblatt des Ständigen Ausschusses des NVK 1987, Nr. 1, S. 5 ff. 249 Siehe dazu Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 280. 250 Siehe z. B. Art. 42 Abs. 1 und 46 Abs. 1 VVC. 251 Dazu noch ausführlicher unten, Kapitel D. II. 2. a) bb). 252 H. Becker/Straub, Drachenflug, S. 99 f. 253 Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 279. 254 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 107. 255 Zitiert werden in diesem Zusammenhang unterschiedlichen Bibelstellen, allen voran das 1. Buch Mose, Kapitel 1, Vers 27, in dem es heißt: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ 256 S. Müller, Konzeptionen der Menschenrechte im China des 20. Jahrhunderts, S. 16 f. 248

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Neben solchen verfassungsrechtlichen und rechtskulturellen Differenzen257 ist die geringe Durchsetzungskraft der chinesischen Menschenrechtsnormen hervorzuheben. Ähnlich den verfassungsrechtlichen Bekenntnissen zur Rechtsstaatlichkeit handelt es sich bei den genannten Rechten eher um in Gesetzesform gegossene Zielbestimmungen, die gegebenenfalls zugunsten durch die KPCh deklarierter Kollektivinteressen zurückstehen müssen.258 Infolge einer fehlenden einfachgesetzlichen Implementierung der Verfassungsrechte259 sowie nicht zuletzt aufgrund mangelnden politischen Willens attestieren chinesische Dissidenten260 wie auch internationale Beobachter261 der Volksrepublik weiterhin ein hohes Maß an Menschenrechtsverletzungen.262 c) Wirtschaftsverfassung und privatrechtliche Kodifizierungswelle Seit Einsetzen der Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping und der Einleitung wirtschaftlicher Reformen263 1978264 wurde das bis dahin kaum entwickelte Re257 Die Untrennbarkeit von Rechten und Pflichten ist, wie angedeutet, rechtskulturell veranlagt, Keith, China’s Struggle for the Rule of Law, S. 48. 258 Siehe J. Chen, Chinese Law, S. 132; Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 111. 259 Chow, The Legal System of the People’s Republic of China, S. 111. Einen Entwurf zur einfachgesetzlichen Implementierung diskutiert Ahl, ZChinR 16 (2009), 157 (157 ff.). 260 Von der Kritik chinesischer Oppositioneller kann indes nicht pauschal auf Forderungen der allgemeinen Bevölkerung geschlossen werden, der das Konzept vorstaatlicher Individualrechte weiterhin fremd ist und die der sozialen Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum mehrheitlich Priorität einräumt, Peerenboom, Columbia Journal of Asian Law 19 (2006), 185 (219), m.w. N.; Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 196 f. 261 Vgl. z. B. den Chinabericht des US-amerikanischen Außenministeriums vom 11.03.2008, einsehbar unter http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100518.htm (Stand: 20.08.2011) sowie die Stellungnahme des UN-Ausschusses gegen Folter vom 21.11.2008, UN-Dok. CAT/C/CHN/CO/4, S. 3 ff. Die im UN-Bericht geäußerte Kritik wurde durch die VRC als politisch motiviert zurückgewiesen, siehe Jacobs in der New York Times vom 25.11.2008, S. 14. Siehe auch die Berichterstattung westlicher NGOs, z. B. Harpe, AI Journal (Mai 2008), S. 16 f., und deutscher Printmedien, z. B. Bork, Süddeutsche Zeitung vom 18.12.2008, S. 8; Hoffbauer im Handelsblatt vom 11.12.2008, S. 6; Lorenz auf Spiegel Online am 11.12.2008, einsehbar unter http://www.spiegel.de/ kultur/gesellschaft/0,1518,595821,00.html (Stand: 20.08.2011) sowie die dpa-Meldungen „Chinesischer Dissident muss sechs Jahre in Haft“ im Handelsblatt vom 09.01. 2009, S. 6, „Peking verhaftet Bürgerrechtler“ im Tagesspiegel vom 11.12.2008, S. 6, und die Meldung „Kritiker in Haft“ im Spiegel vom 15.12.2008, S. 98. Zur Menschenrechtsproblematik im Zusammenhang mit den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking siehe Siekmann, The International Sports Law Journal 2008, 82 (82 ff.). 262 Eine kritische Bestandsaufnahme findet sich bei Ching, China. Rückschritte wurden insbesondere nach Niederschlagung der Demokratiebewegung am Tiananmen-Platz am 04.06.1989 verzeichnet, Kent, Between Freedom and Subsistence, S. 206 f. 263 Siehe dazu Howell, China Opens Its Doors; Krug, Chinas Weg zur Marktwirtschaft; Harding, China’s Second Revolution, S. 70 ff.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

gelungsregime der Volksrepublik265 weitgehend überarbeitet und um zahlreiche Kodifikationen erweitert.266 Dabei entstand quasi eine völlig neue Rechtsordnung.267 Bereits in den achtziger Jahren erließ der Nationale Volkskongress 300 formelle Gesetze.268 Im selben Zeitraum sind mehr als 400 Rechtsverordnungen des Staatsrats sowie noch einmal rund doppelt so viele Vorschriften und sonstige Rechtsbeschlüsse269 auf Provinzebene in Kraft getreten.270 2004 bestanden bereits über 400 Gesetze des NVK und mehr als 800 Verordnungen der Zentralregierung; auf lokaler Ebene hatten die Volkskongresse und ihre Ständigen Ausschüsse bis dahin ca. 8000 Regelwerke verabschiedet.271 Diese „legislative explosion“ 272 betraf, gemäß den Bedürfnissen der sich rasant entwickelnden Marktwirtschaft,273 vorrangig das Zivilrecht274 und wurde begleitet durch Änderungen der chinesischen Wirtschaftsverfassung.275

264 Als Wendepunkt wird insofern die 3. Sitzung des XI. Zentralkomitees der KPCh im Dezember des gleichen Jahres gesehen. In ihr wurden die Dogmatik und politische Grundsätze für die späteren Reformen des Wirtschafts- und Rechtssystems formuliert. 265 So fehlte es lange Zeit sowohl an einem Zivil- wie auch an einem Strafgesetzbuch bzw. entsprechendem Fallrecht, Blaustein, in: Blaustein, Fundamental Legal Documents of Communist China, S. IX. J. S. Chan spricht von einem Zustand der Gesetzlosigkeit in China während der Kulturrevolution (1966–1976), in: Folsom/Minan, Law in the People’s Republic of China, S. 216 (217). Viele zuvor erlassene Gesetze waren im Zuge der Kulturrevolution außer Kraft gesetzt, B. Liang, The Changing Chinese Legal System, S. 43. Von den seit Gründung der VRC 1949 gerade einmal 134 auf nationaler Ebene erlassenen Gesetzen waren gerade noch 23 gültig, siehe M. Zhang, Chinese Contract Law, S. 6. 266 Siehe Luo, Chinese Law and Legal Research, S. 6 ff. 267 Diese Einschätzung teilt Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 83. 268 Folsom/Minan, in: Folsom/Minan, Law of the People’s Republic of China, S. 3 (15). Das ist mehr als in den vorangegangenen drei Jahrzehnten seit Bestehen der VRC, Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 304. 269 Dabei handelt es sich um „Mitteilungen“, „Regeln“ oder anders bezeichnete Rechtsvorschriften, siehe Münzel, Das Recht der Volksrepublik China, S. 43. 270 Folsom/Minan, in: Folsom/Minan, Law of the People’s Republic of China, S. 3 (15 f.). Zur Gesetzgebungsflut in den achtziger Jahren siehe Senger, Die Kodifikationswelle in der Volksrepublik China. 271 A. Chen, Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 97, m.w. N. 272 Lubman, in: Lubman, China’s Legal Reforms, S. 1 (3). 273 An Bedeutung gewonnen hat vor allem das Erfordernis der Rechtssicherheit, siehe J. Chen, Chinese Law, S. 54 ff. 274 Mehr als 80% der durch den NVK im ersten Jahrzehnt nach Einsetzen der Reformpolitik beschlossenen Regelwerke fielen in den Bereich des Wirtschaftsrechts, Folsom/Minan, in: Folsom/Minan, Law of the People’s Republic of China, S. 3 (15). 275 Ein guter Überblick hierzu findet sich bei Lubman, Columbia Journal of Asian Law 20 (2006), 1 (5 ff.).

II. Anmerkungen zum Regierungs- und Rechtssystem der VR China

51

In China existiert kein einheitliches, mit dem deutschen BGB vergleichbares Regelwerk.276 Vielmehr wurde 1986 mit den Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts (AGZR)277 der Grundstein für einen sukzessiven Aufbau des Zivilrechtssystems gelegt. Wenngleich sich das allgemeine Privatrecht somit aus unterschiedlichen Gesetzesquellen zusammensetzt, wie z. B. dem Vertragsrecht von 1999278 und dem Sachenrechtsgesetz von 2007279, wurden hierbei wesentliche Elemente der deutschen Zivilrechtsdogmatik übernommen.280 Dies gilt insbesondere für die systematische Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Vorschriften, aber auch für die konkrete Rechtsgestaltung wie beispielshalber im Fall der Rechtsgeschäftslehre.281 Zwischen den unterschiedlichen Gesetzen bestehen Überschneidungen und es fehlt weiterhin an einem umfassenden und inhaltlich kohärenten Gesetzeswerk.282 In den AGZR etwa finden sich vertragsund familienrechtliche Vorschriften wie auch Regelungen zum Marken- und Urheberrecht.283 Eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Gesetze ist bereits im Gange, doch erschweren, wie zuletzt im Fall des Sachenrechtsgesetzes zu beobachten, ideologische Differenzen innerhalb der KPCh die Weiterentwicklung des chinesischen Zivilrechts.284 Das private Eigentumsrecht in der VRC wurde verfassungsrechtlich gestärkt. Gemäß Art. 11 Abs. 2 VVC schützt der Staat seit 1988 „die legalen Rechte und 276 Die wichtigsten Zivilgesetze der VRC, übersetzt und kommentiert durch Frank Münzel, finden sich auf der Internetseite des MPI für ausländisches und internationales Privatrecht unter http://www.mpipriv.de/_custompdf.cfm?sfile2pdf=ww/en/pub/re search/research_work/foreign_law_comparative_law/east_asia_chinese_and_korea/the_ development_of_civil_law_print.cfm (Stand: 20.08.2011). 277 Verabschiedet am 12.04.1986, in Kraft seit dem 01.01.1987. 278 Verabschiedet durch den NVK am 15.03.1999. Dazu Shi, Die Prinzipien des chinesischen Vertragsrechts, S. 23 ff.; Tetz, RIW 1999, 647 (647 ff.). 279 In Kraft seit dem 01.10.2007. Siehe dazu Baumann, Das neue chinesische Sachenrecht. 280 Hierzu Zhou, Zur Rezeption des „inneren Systems“ des deutschen Privatrechts in der Volksrepublik China. 281 Theusner, Das Konzept von allgemeinem und besonderem Teil im chinesischen Zivilrecht, S. 209 f. Zur Rechtsgeschäftslehre vgl. Art. 9 ff. des Vertragsrechts der VRC, dazu M. Zhang, Chinese Contract Law, S. 91 ff. Allgemein zur Methode des Transplant-of-Law in China siehe Zhuang, EJLR 7 (2005), 215 (215 ff.). 282 Dennoch hatte man sich zuvor bewusst für eine Aufteilung der Zivilrechtsbereiche auf unterschiedliche Gesetzeswerke entschieden, da diese leichter einem in der Entwicklung begriffenen Wirtschaftssystem angepasst werden könnten, M. Zhang, Chinese Contract Law, S. 6. 283 Dabei handelt es sich jedoch eher um ein Sammelsurium an grundlegenden Rechtsprinzipien in den verschiedenen Rechtsgebieten des chinesischen Zivilrechts. So garantiert z. B. Art. 103 die Berechtigung zur freien Eheschließung und Art. 118 sieht unter anderem für Urheberrechts-, Marken- und Patentverletzungen ein Recht auf Einstellung der rechtswidrigen Handlung sowie auf Entschädigung vor. 284 Siehe hierzu H. Liang, in: Heuser, Beiträge zum chinesischen Zivil- und Wirtschaftsrecht, S. 13 ff.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

Interessen der privaten Wirtschaft“.285 Einen besonders bemerkenswerten Schritt stellt die 2004 in Art. 13 VVC eingeführte Unverletzlichkeit des privaten Eigentums und des Rechts auf Erbschaft dar. Chinas ökonomisches System, das seit 1993 in Art. 15 VVC als „sozialistische Marktwirtschaft“ beschrieben wird, hat über die vergangenen Jahrzehnte enorme Veränderungen durchlaufen. Die Förderung des privaten Wirtschaftssektors und die Ausweitung ökonomischer Freiheiten haben zu enormem Wachstum und, zumindest in den Metropolregionen der Ostküste, einer Anhebung des Wohlstandsniveaus geführt. Gleichsam kam es jedoch auch zu einer Verstärkung der sozialen Ungleichheit.286 Um das gegenwärtige Politikmodell, ein oktroyierter, Individualinteressen weitgehend ausblendender Wirtschaftsliberalismus unter Beibehaltung autoritärer Entscheidungsstrukturen,287 grundgesetzlich zu legitimieren, findet sich seit 1993 in Abs. 7 der Verfassungspräambel288 ein Hinweis darauf, dass sich China erst in einer „Anfangsphase des Sozialismus“ befindet. Das staatskapitalistische System der VRC wird mithin als notwendiges Durchgangsstadium auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaftsordnung gerechtfertigt.289 3. Schlussfolgerungen für „Ein Land, zwei Systeme“ Auf zahlreichen Feldern des volksrepublikanischen Staatswesens zeichnen sich Reformierungstendenzen ab. Diese erfassen sowohl seine ideologische Grundausrichtung290 wie auch das Machtverhältnis zwischen Partei und Staat und manifestieren sich in der Einführung der rule of law entsprechender Verfassungsregeln und der Kodifizierung von Menschenrechten. Überdies hat eine ökonomische Liberalisierung das festlandchinesische Wirtschaftssystem dem der SVZ Hongkong angenähert.291 Infolgedessen entzieht sich die gegenwärtige Staatsordnung der 285

Ergänzung im Zuge der Verfassungsreform vom 12.04.1988. Zur Entwicklung des chinesischen Wirtschaftssystems und rechtlichen Implikationen siehe z. B. Ramey, Houston Journal of International Law 20 (1998), 451 (451 ff.); Gregg, Review of Central and East European Law 21 (1995), 65 (65 ff.). 287 Friedman sieht unter diesem Gesichtspunkt das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ innerhalb Festlandchinas selbst verwirklicht, Brooklyn Journal of International Law 27 (2002), 477 (480). 288 Eingeführt am 29.03.1993. 289 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 78; Kao, One Country, Two Systems, S. 112 f. Eine umfassende Betrachtung der chinesischen Wirtschaftsverfassung findet sich bei Xie, Chinesisches und deutsches Wirtschaftsverfassungsrecht. 290 Für einen Bruch mit ideologischen Prinzipien des Kommunismus stehen insbesondere die Ausführungen Deng Xiaopings und Jiang Zemins, siehe dazu oben Kapitel B. II. 1. b). 291 Anders noch Horlemann, nach dem sich eine kapitalistische und sozialistische Rechtsordnung gegenüber gestanden hätten, Hongkong 1997, S. 34. Zu einer ernsthaften Kollision Hongkongs „capitalist market economy“ mit der „socialist market-oriented economy“ Festlandchinas ist es bislang nicht gekommen, siehe Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (164). 286

II. Anmerkungen zum Regierungs- und Rechtssystem der VR China

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VRC überkommenen Kategorisierungen wie Diktatur – Demokratie292 oder Kommunismus – Kapitalismus.293 Ein Systemkonflikt mit der SVZ Hongkong erscheint dennoch nicht aus dem Weg geräumt, da trotz allem fundamentale Unterschiede zum dortigen Staatsmodell bestehen bleiben:294 Die Rechtsreformen haben an der Einparteienherrschaft der KPCh und der Machtkonzentration in ihren Führungsgremien nicht gerührt. Die tatsächliche Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips findet ihre Grenzen in dem durch die KPCh sorgsam konservierten politischen System.295 Zudem wurden die Verfassungsänderungen bislang nur unzureichend einfachgesetzlich implementiert296 und durch ein konfuzianisches bzw. maoistisches Rechtsverständnis überlagert.297 Zwar wird Recht in China nicht mehr als bourgeoises Unterdrückungsinstrument abgelehnt und verzeichnet als Mittel der Politik einen erheblichen Bedeutungsgewinn, doch fehlt es ihm nach wie vor an einer allgemeinen Verbindlichkeit im Sinne einer „autonomen Normativmacht“.298 Im Zuge der Reformen der letzten drei Jahrzehnte ist in China somit ein „System of Law“ entstanden, dessen Grundprinzip nicht die rule of law, sondern die rule by law ist.299 Die Eigenheiten des chinesischen Regierungs- und Rechtssystems verdeutlichen jedoch nicht nur eine fortbestehende Systemverschiedenheit; sie haben auch unmittelbare Auswirkungen auf Recht und Rechtspraxis in der SVZ Hongkong. Brisanz birgt das politische System der VRC, das durch eine regierungspartei292 Peerenboom bezeichnet das politische System Chinas als „neo-autoritär“, Michigan Journal of International Law 23 (2002), 471 (476). 293 Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 27. 294 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 73. H. Fu spricht gar von einer „fundamentalen Disparität“ beider Systeme, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 95 (97, 99). 295 Vgl. Lubman, American Journal of Comparative Law 39 (1991), 293 (319). Vgl. auch Heuser, ZaöRV 64 (2004), 723 (729). 296 Auch J. Chen beklagt in diesem Zusammenhang ein allgemeines Umsetzungsdefizit, Towards an Understanding of Chinese Law, S. 363. 297 Siehe Werner, Recht im Systemwandel, S. 95. 298 Min, Die Entwicklung des Rechts der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs“, S. 83. 299 Siehe Werner, Recht im Systemwandel, S. 95, mit Verweis auf Orts, Vanderbilt Journal of Transnational Law 34 (2001), 43 (93). A.A. Peerenboom, der China bereits in einer Phase des Übergangs von der rule by law zur rule of law sieht, Michigan Journal of International Law 23 (2002), 471 (532). Letztlich besteht jedoch Übereinstimmung, dass eine Rechtsstaatlichkeit im Sinne einer westlich-liberaldemokratischen Staatspraxis nicht besteht, siehe ders., Michigan Journal of International Law 23 (2002), 471 (537). Nach A. Cheung dient Recht als Mittel staatlicher Sozialkontrolle, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 112. Hierunter sind wiederum staatliche Mechanismen zu verstehen, die die Mitglieder einer Gesellschaft dazu anhalten, den von ihr aufgestellten Normen als Verhaltensaufforderungen Folge zu leisten, vgl. Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 1.

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B. Historisch-politischer Hintergrund

liche Kontrolle aller Staatsorgane gekennzeichnet ist, insbesondere mit Blick auf die Kompetenz des Ständigen Ausschusses des NVK zur Interpretation des Basic Law gemäß Art. 158 Abs. 1 BL. Da die KPCh Souverän der VRC300 und „Quellgrund der Verfassung“ bleibt301 und Recht in China insofern relativ ist, erscheint das einer nationalen Sicherheitsgesetzgebung durch die Hongkonger Bevölkerung entgegengebrachte Misstrauen grundsätzlich gerechtfertigt. Rechtssicherheit und Verlässlichkeit der durch das Basic Law garantierten Medienfreiheit hängen folglich in großem Maße von der Ausgestaltung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ ab.

300 301

Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 206. Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, S. 272.

C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen Die Untersuchung wendet sich im Folgenden staatstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundfragen zu. Dabei wird zunächst die Beziehung Hongkongs zur Pekinger Zentralmacht und die Bedeutung des Basic Law in diesem Zusammenhang zu klären sein. Sodann rückt die Klausel des Art. 23 BL in den Mittelpunkt, die zu einem von dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ nicht zu trennenden Verfassungsdiskurs geführt hat.1

I. Das Organisationsprinzip „Ein Land, zwei Systeme“ Erst vor dem Hintergrund der Eingliederung Hongkongs in die Volksrepublik China und der damit verbundenen Sorge um die Aufrechterhaltung der unter den Briten herrschenden rule of law2 werden Ausmaß und Vehemenz der den Sicherheitsgesetzen entgegengebrachten Kritik nachvollziehbar. Durch das Konzept „Ein Land, zwei Systeme“ entstandene Unsicherheiten erklären indes nicht nur Sensibilitäten in der Hongkonger Bevölkerung3 und deren entsprechend ablehnende Haltung gegenüber Art. 23 BL.4 Sie gewinnen auch juristische Bedeutung, richtet sich doch das von einer derartigen Gesetzgebung zu fordernde Maß an Rechtsstaatlichkeit auch nach den Eigenheiten des umliegenden Verfassungsund Justizsystems. Beispielsweise müssen Individualschutzgarantien oder die gerichtliche Überprüfbarkeit der Gesetzesausführung in die Beurteilung eines solchen, dem Staat weitgehende Eingriffsbefugnisse verleihenden Regelwerks ein1 Nach Loper hat das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ für keine Verfassungsdiskussion höhere Bedeutung als für die Debatte um Art. 23 BL, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 189 (189 f.). 2 Zu der teils divergierenden Rezeption dieses Prinzips im chinesischen Rechtsdenken siehe A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 2 ff.; Orts, Vanderbilt Journal of Transnational Law 34 (2001), 43 (43 ff.). Zur Problematik einer einheitlichen Inhaltsbestimmung auf internationaler Ebene siehe Kleinfeld, in: Carnegie Endowment for International Peace, Promoting the Rule of Law Abroad, S. 31 ff. 3 Dass der Protest nicht nur von Hongkonger Juristen und anderen beruflich mit der Materie befassten Personen, sondern von weiten Teilen der Öffentlichkeit getragen wurde, belegen Demonstrationen am 15.12.2002, am 22.12.2002, am 01.07.2003 sowie am 09.07.2003 mit jeweils zwischen 40.000 und 500.000 Teilnehmern. 4 Diesen Zusammenhang sieht auch Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (1, 3).

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

fließen.5 Angesichts der in dieser Hinsicht bestehenden Defizite auf dem Festland6 und der Rückkehr Hongkongs unter chinesische Hoheitsmacht wird die der SVZ in Art. 2 BL zugesicherte legislative wie justizielle Unabhängigkeit zu einem entscheidenden Bewertungskriterium für die Ausgestaltung grundrechtsrelevanter Gesetzesvorhaben.7 Die Debatte um Art. 23 BL erhält damit eine staatstheoretische Komponente,8 die im Folgenden untersucht werden soll.9 1. Grundkonzept a) Begriffsbedeutung und Ratio Das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, auf Chinesisch „yi guo liang zhi“, dient der Überbrückung ideologischer und damit auch politischer, wirtschaftlicher und sozialer Unterschiede10 zwischen dem bei Gründung der Volksrepublik 1949 unter Herrschaft der KPCh stehenden Gebiet auf der einen Seite und den ehemaligen Kolonien Hongkong und Macao sowie der durch die fliehenden Kuomintang auf der Insel Taiwan fortgeführten „Republik China“ 11 auf der anderen Seite. Durch die Gewährung eines gewissen Grades an politischer Autonomie für einen bestimmten Zeitraum soll eine friedliche Wiedervereinigung der auch als Greater China bekannten Region12 ermöglicht werden.13 Der chinesi5 In die gleiche Richtung geht der Hinweis von Forsyth, die Wirkung der einzelnen Strafrechtsbestimmungen richte sich nicht alleine nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach Beschaffenheit und Kompetenzbereich der sie durchsetzenden Staatsorgane, National Security (Legislative Provisions) Bill 2003, S. 4 ff., Vortrag auf der Konferenz „Freedom and National Security – Has the Right Balance been Struck?“ der Hong Kong Bar Association und des Centre for Comparative and Public Law der Universität Hongkong, 14./15.06.2003. 6 Siehe dazu bereits oben, Kapitel B. II. 2. a). 7 Umgekehrt erlaubt die Debatte um Art. 23 BL selbst Rückschlüsse auf die Funktionsweise von „Ein Land, zwei Systeme“, Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (3). 8 Diesen Nexus zur chinesischen Staatsorganisation betonen auch Tat-Tong, Hong Kong Student Law Review 3 (1997), 188 (190), sowie P. Leung, Hong Kong Lawyer (November 2002), 34 f. 9 Die Untersuchung konzentriert sich hierbei auf Formen und Umfang zentralchinesischer Einwirkungsmöglichkeiten. Eine umfassende Abhandlung des Modells „Ein Land, zwei Systeme“ einschließlich völkerrechtlicher Überlegungen und Einzelfragen des Hongkonger Rechtssystems findet sich unter anderem bei Werner, Recht im Systemwandel; W. Xiao, One Country, Two Systems. 10 J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (408). 11 Dieser Staat wird, auch auf Druck der VRC, nur noch von einer Handvoll Staaten anerkannt. Allgemein zu dieser Problematik und insbesondere zur US-amerikanischen Ein-China-Politik vgl. Chiang, Fordham International Law Journal 28 (2004), 1 (1 ff.). 12 Ausführlich zu diesem Begriff siehe Copper, in: Rawnsley/Rawnsley, Political Communications in Greater China, S. 10 (10 ff.); Harding, China Quarterly 136 (1993), 660 (660 ff.).

I. Das Organisationsprinzip „Ein Land, zwei Systeme‘‘

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sche Begriff des „guo“ entspricht dabei einem kulturell-historischen Staatsverständnis14 und umfasst selbst Territorien, die nur zeitweise unter Herrschaft chinesischer Kaiserreiche gestanden haben.15 „Ein Land, zwei Systeme“ fungiert mithin als Schlüssel zur Wiedererlangung der nationalen Einheit, die als Politikziel in China einen besonderen Stellenwert genießt.16 Freilich steht dem nicht entgegen, dass es für die Lösung auch anderer internationaler Konfliktlagen Verwendung finden könnte.17 Darüber hinaus bezweckt ein solches Modell den Schutz der zu integrierenden Volkswirtschaft und dient somit auch dem ökonomischen Interesse der VRC.18 b) Entwicklung Die übergangsweise Zusicherung politischer Unabhängigkeit zielte ursprünglich nicht auf die Rückgabe Hongkongs, sondern auf die Wiedereingliederung der „Republik China“.19 Bereits 1978 auf der 3. Sitzung des XI. Zentralkomitees20 deutete sich eine entideologisierte und auf Kompromisslösungen angelegte Taiwanpolitik an, die in der am 1. Januar 1979 durch den Ständigen Ausschuss des NVK abgegebenen „Erklärung gegenüber den Landsmännern in Taiwan“ ihre Fortsetzung fand.21 Dieser Strategiewechsel, die Aufgabe von Planspielen für eine gewaltsame Rückeroberung22 und die Zuwendung zu einem pragmatischeren Ansatz wurzelte in der politischen, wirtschaftlichen sowie militärischen Schwäche der VRC nach Ende der Kulturrevolution23 und war Grundstein

13 Die konkrete Umsetzung dürfte derweil unterschiedlich ausfallen, insbesondere bezüglich Taiwan, siehe Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (36). Dagegen ähneln sich die in Hongkong und Macao gefundenen Lösungen sehr stark, ders., The International Comparative Law Quarterly 49 (2000), 185 (185). 14 Nach R. Lin ist es möglich, „guo“ mit „Nation“ zu übersetzen, ein Begriff, der wie z. B. im Fall der „arabischen Nation“ kulturelle und historische Gemeinsamkeiten betont, Verfassung und Recht in Übersee 23 (1990), 56 (60). 15 Siehe Werner, Recht im Systemwandel, S. 171 m.w. N. 16 P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 18; G. Wang/Leung, Pacific Rim Law & Policy Journal 7 (1998), 279 (281). Die Bedeutung der territorialen Integrität Chinas und der nationalen Einheit kommt auch in der Präambel der chinesischen Verfassung zum Ausdruck, siehe insbesondere dessen Absätze 1–5 und 9. 17 Siehe z. B. auch Neoh, California Western International Law Journal 22 (1992), 309 (352). 18 Dies galt insbesondere für den Rückerhalt Hongkongs, vgl. M. Wong, China’s Resumption of Sovereignty Over Hong Kong, S. 40 f. 19 Siehe W. Xiao, One Country, Two Systems, S. 8; M. Wong, China’s Resumption of Sovereignty Over Hong Kong, S. 37. 20 Siehe die Erklärung des ZK vom 22.12.1978. 21 Dazu R. Lin, Verfassung und Recht in Übersee 23 (1990), 56 (57 f.). 22 Siehe oben, Kapitel B., Fn. 54. 23 G. Wang/Leung, Pacific Rim Law & Policy Journal 7 (1998), 279 (282).

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

für das erst später als „Ein Land, zwei Systeme“ bezeichnete Organisationsmodell.24 1981 verabschiedete der Ständige Ausschuss des NVK die „Neun Prinzipien für eine friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan“.25 Sie versprachen dem Inselstaat ein „hohes Maß an Autonomie“ und die Beibehaltung des dortigen sozio-ökonomischen Systems und Lebensstils sowie die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu anderen Ländern. Rechtlichen Niederschlag fand dieser Plan durch eine auf der 5. Sitzung des V. Nationalen Volkskongresses am 4. Dezember 1982 durchgeführte Verfassungsänderung.26 Der eingefügte Art. 31 VVC ermächtigt den NVK, durch Gesetz und jeweils unter Einbeziehung der konkreten Umstände Sonderverwaltungszonen einzurichten.27 Erst im Verlauf der bilateralen Verständigung über die Zukunft der Kronkolonie wurde deutlich, dass das beschriebene politische Konzept zunächst auf Hongkong Anwendung finden würde. Ausdrücklich Erwähnung fand „Ein Land, zwei Systeme“ 28 erstmals im Dezember 1982 während der Staatsvisite Margarete Thatchers.29 Eine inhaltliche Konkretisierung erfolgte in der Regierungsansprache gegenüber dem VI. Nationalen Volkskongress vom 15. Mai 1984, deren we24

Vgl. W. Xiao, One Country, Two Systems, S. 6, mit Verweis auf Deng Xiaoping. Siehe die Ausführungen Ye Jianyings, damaliger Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des NVK, in Beijing Review 40 (1981), 10 f., sowie die durch ihn abgehaltene Pressekonferenz vom 30.09.1981. Eigentlicher Autor war jedoch Liao Chengzhi, der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe für Taiwanfragen, siehe M. Wong, China’s Resumption of Sovereignty Over Hong Kong, S. 38. Den offiziellen Charakter der Erklärung bezweifelt Rudolph, Die Kommunistische Partei Chinas und Taiwan (1921–1981), S. 219 ff. 26 Eine Verfassungsänderung war zunächst nicht vorgesehen, erfolgte allerdings, um Forderungen nach einer rechtlichen Absicherung von „Ein Land, zwei Systeme“ gerecht zu werden, vgl. Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (166). Die Verfassungsmäßigkeit des Art. 31 VVC selbst ist indes umstritten. Art. 31 VVC gilt als Spezialregelung und ist daher nach Ansicht chinesischer Verfassungsrechtler Art. 5 VVC nachgeordnet, nach dem die VRC ein sozialistisches Rechtssystem aufrechterhält, P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 32; H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (99). Ausgehend von einer marxistischen Dialektik, die im Gegensatz zum westlich-rechtsstaatlichen Postulat einer Einheit der Rechtsordnung Widersprüche akzeptiert, führt nach Werner ein Verstoß gegen grundlegende Verfassungsprinzipien, vgl. Kapitel B. II. 1. b), nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm, Recht im Systemwandel, S. 185 f. 27 Art. 31 VVC lautet: „Der Staat kann, wenn nötig, Sonderverwaltungsgebiete einrichten. Die in den Sonderverwaltungsgebieten einzurichtenden Systeme sollen vom Nationalen Volkskongreß den gegebenen Verhältnissen entsprechend gesetzlich festgelegt werden.“ 28 Hierbei handelt es sich um eine erst später gebräuchlich gewordene Vereinfachung. Zunächst hieß es wortwörtlich „yi ge guo jia, liang zhong zhi du“, also „Ein einziges Land, zwei verschiedene Systeme“, P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 19. 29 W. Xiao, One Country, Two Systems, S. 8 f. Siehe dazu bereits oben, Kapitel B. I. 2. a). 25

I. Das Organisationsprinzip „Ein Land, zwei Systeme‘‘

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sentliche Punkte später durch die Joint Declaration völkerrechtlich kodifiziert wurden. So führt Art. 3 JD unter anderem aus: „The Hong Kong Special Administrative Region will enjoy a high degree of autonomy, except in foreign and defence affairs which are the responsibilities of the Central People’s Government. [. . .] The Hong Kong Special Administrative Region will be vested with executive, legislative and independent judicial power, including that of final adjudication. The laws currently in force in Hong Kong will remain basically unchanged. [. . .] The current social and economic systems in Hong Kong will remain unchanged, and so will the life-style. [. . .] The above-stated basic policies of the People’s Republic of China regarding Hong Kong [. . .] will remain unchanged for 50 years.“ c) Abgrenzung zu anderen Organisationsformen Ob die Idee, zwei unterschiedliche politische Systeme in einem Staat zu vereinigen, eine staatstheoretische Innovation darstellt, ist umstritten. Während ein Großteil der chinesischen Autoren davon ausgeht, dass es sich um ein vollkommen neues Konzept handelt, verweisen andere auf die Liao-Dynastie30, unter der für die Volksgruppen der Qidan- und der Han-Chinesen jeweils unterschiedliche Staatssysteme gegolten haben.31 In jedem Fall weist das in Hongkong angewandte Modell Ähnlichkeiten zu Konstellationen in anderen Ländern auf.32 Zu nennen sind beispielshalber Grönland und die Färöer Inseln.33 Sie haben mit Hongkong gemein, dass sie innenpolitisch über weitgehende Autonomie verfügen und diese über ein eigenes Parlament verwirklicht wird, die Außen- und Sicherheitspolitik34 jedoch dem Mutterland35 untersteht.36 Zwar kann auch in den beiden nordischen Ländern durchaus von zwei unterschiedlichen Systemen gesprochen werden, die unter einer staatlichen Struktur vereinigt sind, doch handelt 30

907–1125. R. Lin, Verfassung und Recht in Übersee 23 (1990), 56 (60 f.), m.w. N. 32 Ghai sieht diese unter anderem zur Inselgruppe Sansibar in Tansania und zur Provinz Aland in Finnland, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (7). A. Chen verweist auf Schottland und Wales im Vereinigten Königreich, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (113). 33 Offiziell betitelt „Färöer“. 34 Zumindest den Färöern sind durch den Vertrag von Fámjin vom 29.03.2005 jedoch Mitwirkungsrechte auch in diesen Gebieten zugesichert. 35 Hinsichtlich Grönland und den Färöer Inseln ist dies Dänemark. 36 In Grönland hierfür maßgebend ist das Gesetz über die grönländische Selbstregierung vom 29.11.1978, abgedruckt in Veiter, Die Autonomie Grönlands, S. 29–32, sowie bei Foighel, Nordisk Tidsskrift for International Ret 48 (1979), 4 (10–14). Umfassend hierzu Loukacheva, The Arctic Promise, die sich insbesondere den Rechten der dort lebenden indigenen Völker widmet, sowie Foighel, Common Market Law Review 17 (1980), 91 (91 ff.). Zur Ausweitung der Autonomierechte siehe Steuer im Handelsblatt vom 02.06.2009, S. 4. 31

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

es sich hier auf beiden Seiten um eine parlamentarische Demokratie, und es besteht auch kein „ideologischer Antagonismus“ 37 wie er sich aus den Verfassungstexten Chinas und seiner Verwaltungszonen ergibt.38 Neben dem mangelnden Systemgegensatz steht zudem der Umfang der Grönland gewährten Autonomie, die sich bislang39 auf einen nach dem Enumerationsprinzip festgelegten Bereich beschränkt,40 einer Gleichsetzung mit dem staatsrechtlichen Status Hongkongs entgegen.41 In Betracht käme darüber hinaus, das mit den Sonderverwaltungszonen verfolgte Konzept als Einführung bundesstaatlicher Strukturen in die ansonsten als Einheitsstaat verfasste VRC zu begreifen. In der Tat deuten die umfassenden exekutiven wie legislativen Zuständigkeiten42 der SVZ auf eine Eigenstaatlichkeit Hongkongs. Nach teils vertretener Ansicht geht Hongkongs politische Autonomie gar weit über die den Gliedstaaten für gewöhnlich zugestandene Selbstverwaltung hinaus.43 Auch weist Hongkong durchaus Staatseigenschaften im Sinne der klassischen Drei-Elemente-Lehre 44 auf.45 Es scheint mithin, als würde eine offizielle Qualifizierung von „Ein Land, zwei Systeme“ als föderalistisches Organisationsprinzip allein aus politischen Gründen vermieden. Schließlich könne eine solche Interpretation nach Deng Xiaoping zu dem Schluss verleiten, es gäbe fortan „zwei Chinas“, und damit Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans Auftrieb geben.46 Kennzeichnend für einen Bundesstaat ist jedoch, dass der Bund nicht ohne Verfassungsänderung und Zustimmung der Einzelstaaten diesen Rechte ent-

37

Siehe H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (98). Ähnliches gilt für den US-amerikanischen Staat Lousiana oder die kanadische Provinz Québec, in denen jeweils anders als im restlichen Landesteil ein Civil Law-System besteht. Zur Situation in Québec siehe Gaudreault, Commonwealth Law Bulletin 32 (2006), 205 (205 ff.). 39 Ein Referendum vom 25.11.2008, durch das die Ausweitung der Selbstverwaltung beschlossen wurde, wird als erster Schritt in Richtung einer vollständigen Unabhängigkeit von Dänemark gewertet, dazu Steuer im Handelsblatt vom 25.11.2008, S. 6. 40 Dieser erstreckte sich hauptsächlich auf das Bildungswesen und die Gesundheitsund Sozialfürsorge, ist seit dem Referendum, vgl. Kapitel C., Fn. 39, jedoch um andere Gebiete, wie Polizei, Justiz und Meeresumwelt, erweitert. 41 Der Kompetenzkatalog ist dem Gesetz über die grönländische Selbstregierung angehängt, siehe Kapitel C., Fn. 36. Erläuterungen hierzu finden sich bei Veiter, Die Autonomie Grönlands, S. 23 f. 42 Genauer dazu sogleich, Kapitel C. I. 2. c) aa) und bb). 43 A. Chen, Pacific Rim Law & Policy Journal 15 (2006), 627 (631); Ghai, in: Chan/ Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (37); Fung, UCLA Journal of International Law and Foreign Affairs 1 (1996), 283 (292). 44 Siehe Jellinek, Allgemeine Staatslehre. 45 Werner, Recht im Systemwandel, S. 240. 46 Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (165). Siehe auch A. Chen, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (120); Y. Zhang, Journal of Chinese Law 2 (1988), 5 (7). 38

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ziehen oder sie sonstwie in ihrer staatlichen Macht beschränken darf, sich der Gesamtstaat also in mit originärer Hoheitsgewalt ausgestattete Gebietskörperschaften untergliedert.47 Hongkongs Eigenständigkeit beruht indes auf der nationalen Verfassungsbestimmung des Art. 31 VVC sowie auf dem Basic Law. Art. 2 BL spricht ausdrücklich von einer Ermächtigung zur Ausübung der gewährten Autonomie durch den NVK. Die durch die Behörden der SVZ ausgeübte Staatsmacht leitet sich damit aus Beschlüssen des Nationalen Volkskongresses ab und bleibt mithin derivativen Charakters.48 Hongkong lässt sich zwar als „Verbandseinheit sesshafter Menschen“ charakterisieren, doch fehlt ihr die von Jellinek geforderte „ursprüngliche Herrschaftsmacht“.49 Obgleich die für Hongkong gefundene Lösung tatsächlich einem strengen Unitarismus und der grundsätzlichen Ausrichtung Pekings50 entgegenläuft, kann hieraus in Bezug auf die chinesischen Sonderverwaltungszonen nicht auf eine Bundesstaatlichkeit geschlossen werden.51 „Ein Land, zwei Systeme“, wie es 1997 in Hongkong und zwei Jahre später in Macao als politische Doktrin umgesetzt wurde, ist ein staatstheoretisches Unikum. Es kann weder mit zum Schutz ethnischer Bevölkerungsgruppen eingeräumten Autonomiestatus gleichgesetzt noch als Einführung bundesstaatlicher Strukturen gewertet werden. Vielmehr handelt es sich um ein auf die chinesische Wiedervereinigung gemünztes Verfassungssystem sui generis, dessen genaue Eigenschaften sich erst aus den im Basic Law gelegten Rechtsgrundlagen und seiner staatspraktischen Umsetzung ergeben. 2. Staatsrechtliche Ausgestaltung durch das Basic Law Ziele und historischer Ursprung von „Ein Land, zwei Systeme“ sowie Unterschiede zu anderen Konzepten wurden bereits erläutert. Die genaue Bedeutung dieser politischen Doktrin ergibt sich jedoch erst aus dem sie implementierenden Basic Law. Dessen Status und Funktionsweise sowie Merkmale der sich aus ihm ergebenden Staatsordnung seien nachfolgend erörtert.

47 Schreiber, in: Friedman/Schreiber, American Law and the Constitutional Order, S. 85 (91). 48 So auch Werner, Recht im Systemwandel, S. 191; Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (166); A. Chen, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (117, 121). 49 Vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180 f. 50 Siehe R. Lin, Verfassung und Recht in Übersee 23 (1990), 56 (63). 51 So auch W. Xiao, One Country, Two Systems, S. 135; Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (173), die die Beziehung zum Festland als „quasiföderal“ bezeichnet.

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

a) Das Basic Law aa) Geltungsebenen Das Basic Law lässt sich aus dreierlei Perspektive betrachten, je nachdem, ob man seinen politischen Hintergrund, seine Rolle in der nationalen Rechtssystematik oder seine Wirkungsweise in den Vordergrund stellt: Zunächst dient es der Umsetzung des sino-britischen Vertrages von 198452 und des darin gegebenen Versprechens eines „high degree of autonomy“ 53 in Übereinstimmung mit dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“. Es lässt sich somit als Ergebnis politischer Erwägungen und deren völkerrechtlicher Kodifizierung deuten.54 Darüber hinaus ist das Basic Law Teil der nationalen Gesetzgebung. Als solcher bindet es nicht nur die Einwohner der SVZ, sondern alle chinesischen Staatsbürger,55 und hat theoretisch gar Vorrang vor durch den Ständigen Ausschuss des NVK erlassenen Bestimmungen.56 Schlussendlich hat das Basic Law auch Verfassungscharakter. In ihm sind normative Grundlinien und Strukturen eines mehr oder weniger abgeschlossenen Staatsgefüges niedergelegt. So beschreibt es z. B. die grundlegenden Rechte und Pflichten der Einwohner Hongkongs (Art. 24–42 BL) und kodifiziert Zusammensetzung und Arbeitsweise exekutiver, gesetzgebender und rechtsprechender Staatsorgane (Art. 43–96 BL). Neben der chinesischen Verfassung ist es das einzige Gesetz in der VRC, das ein eigenes Reglement für seine Änderung enthält.57 Verfassungstypisch sind darüber hinaus Art. 8 BL und Art. 11 Abs. 2 BL, nach denen das Basic Law normenhierarchisch höher steht als sonstige Gesetze in Hongkong. Das Basic Law nimmt somit aus internationaler, nationaler und lokaler Perspektive je unterschiedliche Rollen ein.58 Diese Mehrdeutigkeit ist kennzeichnend für das Hongkonger Grundgesetz59 und verdient Berücksichtigung bei der Untersuchung seiner Normen.

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Siehe oben, Kapitel B., Fn. 65. Vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 2 JD. 54 Diesen Aspekt betont z. B. Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (29). 55 Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 199. 56 H. Fu, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, 95 (99). 57 Vgl. Art. 159 BL. Vgl. H. Fu, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 95 (99). 58 In die gleiche Richtung zielt der Hinweis von Fung, demzufolge Hongkongs Autonomie auf drei Rechtssäulen beruht: der nationalen Verfassung von 1982, der Joint Declaration und dem Basic Law, UCLA Journal of International Law & Foreign Affairs 1 (1996), 283 (288 ff.). 59 Vgl. auch J. Chan, der von einer „dualen Natur“ des Basic Law spricht, HKLJ 37 (2007), 407 (409, 413). Nach A. Chen bestehen zumindest „zwei unterschiedliche Dimensionen“ des Basic Law, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (107). 53

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bb) Verhältnis zur nationalen Verfassung Die nicht selten verwendete Bezeichnung „Mini-Verfassung“ 60 ist insofern zutreffend, als das Basic Law zwar Verfassungsmerkmale aufweist, seiner Herkunft nach jedoch einfaches Gesetzesrecht darstellt.61 Anders als Verfassungen im gewöhnlichen Sinne ist das Basic Law selbst Teil eines weiteren konstitutionellen Systems und unterliegt gemäß Art. 158 Abs. 1 BL und Art. 159 Abs. 1 BL der Interpretations-62 und Änderungsgewalt eines übergreifenden Souveräns.63 Der durch die Kommunistische Partei dominierte Ständige Ausschuss des NVK, dessen Handlungsrahmen sich nicht aus dem Basic Law, sondern aus der festlandchinesischen Rechtsordnung ergibt,64 ist zugleich Quelle und Aufsichtsorgan für das Statut der SVZ Hongkong. Zudem indizieren die Absätze 2 und 3 der Präambel des Basic Law, in denen sich jeweils der Hinweis „in accordance with the constitution“ findet, die Vorrangstellung der chinesischen Nationalverfassung. Die genaue Beziehung zum 1982 verabschiedeten Grundgesetz der VRC ist jedoch nirgends niedergelegt,65 so dass sich vor diesem Hintergrund weitergehende Fragen ergeben. Insbesondere sind Zweifel an der Rechtsgültigkeit des Basic Law laut geworden.66 Angeführt wurde vor allem das in Art. 5 BL formulierte Festhalten am kapitalistischen System,67 welches in Widerspruch stünde zu Art. 1, 5 und 6 VVC,68 60 Conrad, UCLA Pacific Basin Law Journal 23 (2006), 1 (5, 40, 50); Chen/Cheung, Debates About the Rule of Law in the Hong Kong Special Administrative Region, S. 1 (2); B. Becker, in: Becker/Eilenberger/Rüland/Draguhn, Hongkong und China auf dem Weg in das Pazifische Jahrhundert, S. 64 (65). A.A. Y. Zhang, Journal of Chinese Law 2 (1988), 5 (7 f.), der einen Verfassungscharakter des Basic Law gänzlich verneint. 61 Die Natur des Basic Law als einfaches Gesetz betont Y. Zhang, Journal of Chinese Law 2 (1988), 5 (7). 62 Dazu bereits oben, Kapitel B. II. 1. d). 63 Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum bundesstaatlichen Staatsaufbau, vgl. Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (7). 64 Vgl. Art. 64–78 VVC. 65 Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (40); Werner, Recht im Systemwandel, S. 197. 66 H. Fu, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 95 (100); Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (700); W. Clarke, in: Jao/ Leung/Wesley-Smith/Wong, Hong Kong and 1997, S. 215 (228 f.). Bedenken gab es bereits in der Entwurfsphase des Basic Law, siehe H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (98 f.), sowie den Bericht der Arbeitsgruppe zur Beziehung Hongkongs zum Festland des Basic Law Consultative Committee „Report on the Relationship between the Basic Law and the Constitution“, S. 10 f. Die Diskussion steht im Zusammenhang mit der um die Verfassungswidrigkeit des Art. 31 VVC, siehe dazu bereits oben, Kapitel C., Fn. 26. 67 Darin heißt es: „The socialist system and policies shall not be practised in the Hong Kong Special Administrative Region, and the previous capitalist system and way of life shall remain unchanged for 50 years.“ 68 Siehe Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (702).

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

sowie an den in der Präambel niedergelegten Grundsätzen.69 Es bedürfe daher zumindest einer ergänzenden Klarstellung in der chinesischen Verfassung, der zufolge die gemäß Art. 31 VVC geschaffenen Staatsordnungen nicht dem System der VRC entsprechen müssen.70 Nach anderer Ansicht hingegen ist es durch das Basic Law selbst bereits zu einer impliziten Verfassungsänderung gekommen.71 Der NVK begegnete den Einwänden mit einer offiziellen Erklärung, nach der das Basic Law verfassungskonform sei, ohne die Gründe hierfür näher auszuführen.72 Ungeklärt bleibt überdies die Frage, inwieweit die nationale Verfassung in Hongkong unmittelbare Gültigkeit beanspruchen kann.73 Anzunehmen ist, dass sich ihre Wirkung grundsätzlich auf das Gebiet der SVZ erstreckt, sie sich rechtlich allerdings im Basic Law und den darin beschriebenen Handlungsund Einwirkungsbefugnissen nationaler Staatsorgane erschöpft. Ein solcher Ansatz ist nicht notwendigerweise als eine Geltungsbeschränkung zu verstehen; er entspricht der Verfassungssystematik und folgt einer Auslegung im Lichte des Art. 31 VVC. b) Emanationen von „Ein Land, zwei Systeme“ Wie bereits angedeutet übernimmt das Basic Law nicht nur die Funktionen einer Verfassung, indem es das in der Sonderverwaltungszone geltende Staatsgefüge beschreibt. Es schafft darüber hinaus einen Nexus zur festlandchinesischen Staats- und Rechtsordnung. Hierbei trägt es insofern „schizophrene Züge“,74 als es beide Systeme gleichsam trennt wie verbindet.75 Bereits Art. 1 BL betont das Element „ein Land“: „The Hong Kong Special Administrative Region is an inalienable part of the People’s Republic of China“. Demgegenüber genießt die SVZ laut Art. 2 BL einen „high degree of autonomy“ sowie „executive, legislative and independent judicial power, including that of final adjudication“. Art. 8 und 160 BL bestimmen die Weitergeltung unter britischer Herrschaft erlassener Gesetze, soweit diese mit dem Basic Law vereinbar sind. Des Weiteren sind bedeutende Ämter in allen drei Gewalten nach Art. 3, 44, 55 Abs. 2, 61, 67 S. 1, 71 Abs. 2, 79 Abs. 3, 90 Abs. 1 und 99 BL Personen mit einem ständigen Aufent-

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Siehe oben, Kapitel B. II. 1. b). Siehe W. Clarke, in: Jao/Leung/Wesley-Smith/Wong, Hong Kong and 1997, S. 215 (229). 71 Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hongkong, S. 163 (167). Ähnlich Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (13 f.), der auf die höchste Interpretationsgewalt des NVK in Bezug auf die chinesische Verfassung hinweist. 72 Verabschiedet gemeinsam mit dem Basic Law auf der 3. Sitzung des VII. Nationalen Volkskongresses am 04.04.1990. 73 Siehe dazu H. Fu, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 95 (100). 74 Conrad, UCLA Pacific Basin Law Journal 23 (2006), 1 (2). 75 H. Fu, in: Chan/Fu/Ghai, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 97 (100). 70

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haltsrecht in der Sonderverwaltungszone76 vorbehalten. Diese Normen sind Ausdruck des neben „Ein Land, Zwei Systeme“ ebenfalls zur politischen Doktrin erhobenen Grundsatzes „Hong Kong people ruling Hong Kong“ 77 und stehen in Wechselbeziehung zur politischen Unabhängigkeit des ehemaligen Kolonialgebiets. So ist die autonome Wahrnehmung der der SVZ überlassenen Politikbereiche bedingt durch eine personelle Trennung der entsprechenden Amtsträger.78 Art. 5 BL ergänzt die allgemeine Ermächtigung zur Wahrnehmung staatlicher Angelegenheiten und den Schutz vor einer Postenbesetzung durch Festlandchinesen um eine inhaltliche Trennung; in ihm heißt es: „The socialist system and policies shall not be practised in the Hong Kong Special Administrative Region, and the previous capitalist system and way of life shall remain unchanged for 50 years.“ Zuletzt verfügt die SVZ nach Art. 10 BL über äußere Erkennungszeichen ihrer Eigenständigkeit in Form von Flagge und Emblem. c) Der „high degree of autonomy“ gemäß Art. 2 BL Zu klären ist im Folgenden das staatlichen Institutionen in Hongkong zugebilligte Maß an rechtlicher Gestaltungs- und Anwendungsfreiheit. Dieses gibt Hinweis auf den Spielraum der SVZ bei der Umsetzung des Art. 23 BL und der gerichtlichen Durchsetzung hierfür verabschiedeter Gesetze. aa) Exekutive Unabhängigkeit und politisches System Die Autonomie der Hongkonger Exekutivmacht richtet sich zum einen nach den ihr zugeordneten Kompetenzfeldern, zum anderen nach dem Verfahren zur Vergabe von Regierungsämtern und damit dem politischen System. (1) Kompetenzen der Lokalregierung Hinsichtlich ersterem folgt aus Art. 13 Abs. 1 und 14 Abs. 1 BL i.V. m. Art. 15 Abs. 1 BL, dass bis auf die Gebiete „Äußeres“ und „Verteidigung“ die Zuständigkeit auf Seiten der SVZ-Regierung liegt. Abweichend hiervon ermächtigt der chinesische Staatsrat nach Art. 13 Abs. 3 BL und Art. 62 Ziff. 3 BL die Behörden der Sonderverwaltungszone zur Wahrnehmung bestimmter äußerer Angelegenheiten. Einzelne Befugnisse in diesem Bereich gehen bereits aus den 76 Aufgrund der Trennung vom festlandchinesischen System handelt es sich hierbei um eine „Quasi-Nationalität“, Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (33); siehe auch Werner, Recht im Systemwandel, S. 240, der durch das „right of abode“ in Hongkong das Merkmal des Staatsvolks erfüllt sieht. 77 Siehe Loh/Cullen, San Diego International Law Journal 4 (2003), 127 (131); Boasberg, Wisconsin International Law Journal 10 (1992), 282 (297). 78 Siehe M. Wong, China’s Resumption of Souvereignty over Hong Kong, S. 50.

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Art. 150–157 BL hervor. Sie betreffen vornehmlich die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen sowie die Ausstellung von Reisepässen, Ausweisen und Visa. Nach Art. 116 Abs. 2 BL verbleibt die SVZ unter der Bezeichnung „Hong Kong, China“ bei internationalen Organisationen und ist berechtigt, als Partei von zwischenstaatlichen Wirtschaftsverträgen wie z. B. dem GATT aufzutreten.79 Art. 133 und 134 Ziff. 1 BL ermächtigen die lokale Regierung zum Abschluss grenzübergreifender Luftfahrtsabkommen. Im Vergleich zu autonom verwalteten Landesteilen in anderen Staaten verfügt die SVZ mithin über ein hohes Maß an außenpolitischer Gestaltungsfreiheit.80 Gründe hierfür werden in der internationalisierten Ökonomie Hongkongs81 und Pekings Bemühen um deren Sicherung und Wachstum gesehen.82 (2) Wahlverfahren Der Grad an exekutiver Autonomie bemisst sich neben den der lokalen Regierung überlassenen Kompetenzfeldern danach, wer über die Besetzung des Postens des Verwaltungschefs bestimmt. Über dessen Person könnte die Zentralregierung, losgelöst von den der SVZ verfassungsrechtlich zugewiesenen Sachbereichen, auf (rechts-)politische Entscheidungen in Hongkong, darunter auch die Gestaltung und Anwendung eines künftigen Staatsschutzgesetzes, Einfluss nehmen. Als weiterer Faktor für die Unabhängigkeit der ausführenden Gewalt erweist sich insofern das Verfahren zur Einsetzung seines Verwaltungschefs, in zweiter Linie damit aber auch dessen interne Machtstellung im durch das Basic Law kodifizierten Regierungssystem. Gemäß Art. 43 Abs. 2 BL ist der Verwaltungschef, der getreu dem Konzept „Hong Kong people ruling Hong Kong“ über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfügen und mindestens 20 Jahre in der SVZ niedergelassen sein muss (Art. 44 BL), gleichsam dem Pekinger Staatsrat wie auch der Sonderverwaltungszone Hongkong gegenüber rechenschaftspflichtig. Gewählt wird er für jeweils fünf Jahre (Art. 46 S. 1 BL) von einem der VRC zugeneigten 800-köpfigen Wahlkomitee.83 Das in Art. 45 Abs. 2 BL formulierte Ziel einer allgemeinen Wahl des Verwaltungschefs soll nach dem Willen des Ständigen Ausschusses nicht vor 2017 realisiert werden, und auch für diesen Zeitpunkt kann nicht mit Sicherheit von 79 General Agreement on Tariffs and Trade, abgeschlossen am 30.10.1947, in Kraft seit dem 01.01.1948. 80 Hannum, Nordic Journal of International Law 57 (1988), 273 (274 ff.). 81 Xu/Wilson, Case Western Reserve Journal of International Law 32 (2000), 1 (11 f.). 82 Vgl. Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (10). 83 Die Besetzung des ersten Wahlkomitees wurde durch das festlandchinesische Prepatory Committee for the HKSAR festgelegt. Die derzeitige Zusammensetzung bestimmt sich nach Art. 1 Ziff. 2 und 3 Annex I BL und ähnelt dem Konzept der Functional Constituencies.

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einer vollen demokratischen Legitimation der Regierung ausgegangen werden. So bestehen dieselben Vorbehalte wie auch für das für 2020 anvisierte „universal suffrage“ bezüglich des LegCo.84 Außerdem ist hervorzuheben, dass selbst bei Einführung des in Art. 45 Abs. 2 BL vorgesehenen Stimmrechts ausschließlich zuvor durch ein Nominierungskomitee vorgeschlagene Personen zur Wahl stehen werden. Damit stellt sich die weitergehende Frage nach der Zusammensetzung eines solches Gremiums85 und durch wen diese festgelegt wird.86 Aufmerksamkeit verdienen insofern Äußerungen der Zentralregierung aus dem Jahr 2004: Ihnen zufolge würde die Führung in der SVZ stets nur „Patrioten“ überlassen werden;87 regierungskritische Parteien seien daher nicht geeignet.88 Hierin kann ein Hinweis darauf gesehen werden, dass ein entsprechender Wahlausschuss nicht ohne institutionell verankerten Einfluss Festlandchinas auskommen wird, selbst also mit einer Realisierung des im Basic Law angekündigten „allgemeinen Wahlrechts“ nicht zwangsläufig eine Unabhängigkeit der politischen Verantwortungsträger einherginge. Eine zusätzliche Einschränkung erfährt die exekutive Autonomie Hongkongs nach Art. 45 Abs. 1 BL, demzufolge der Verwaltungschef durch die Zentralregierung ernannt wird. Erst nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts wird sich herausstellen, ob es sich dabei um einen rein formalen, die Souveränität der VRC verdeutlichenden Akt handelt oder ob dem Staatsrat hiermit eine weitere Einflussmöglichkeit auf die Exekutivgewalt der SVZ an die Hand gegeben ist.89 Bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2007 kam es zumindest zu einer politischen Fortentwicklung als mit Alan Leong90 ein 84

Dazu sogleich. Hierzu stehen unterschiedliche Vorschläge im Raum. Teils wird eine parlamentarische Lösung favorisiert, der zufolge die Nominierung durch den LegCo erfolgen würde. Die Article 45 Concern Group befürwortet zudem den Einsatz des bestehenden Wahlkomitees, jedoch unter der Prämisse, dass die Stimmen von fünf Prozent seiner Mitglieder für die Ernennung eines Wahlkandidaten ausreichten, Davis, Fletcher Forum of World Affairs 30 (2006), 165 (174). Für eine Wahl durch den LegCo spricht allerdings, dass so die Gefahr einer gegenseitigen Blockade von Chief Executive und LegCo verringert werden würde, siehe A. Chen, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, 9 (11); Wesley-Smith, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 3 (6). 86 Zum Verfahren einer weiteren Demokratisierung hat der Ständige Ausschuss in seiner Interpretation vom 06.04.2004 Stellung bezogen. Ihr zufolge verlagert sich dabei die Verantwortung vom LegCo auf den Verwaltungschef. Diese Entscheidung ist auf starke Kritik gestoßen, da man in ihr faktisch eine Änderung des Art. 1 Ziff. 7 Annex I BL sowie des Art. 3 Annex II BL und damit eine Umgehung der nach Art. 159 BL vorgeschriebenen Verfahrensweise gesehen hat, vgl. Davis, Loyola University Chicago International Law Review 3 (2005–2006), 165 (170 f.). 87 Siehe G. Cheung/Leung, SCMP vom 25.02.2004, S. 1. 88 Siehe J. Cheung, SCMP vom 01.03.2004, S. 1. 89 Vgl. J. Cheng, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 141 (146). 90 Leong war zudem Gründer der sogenannten Article 23 Concern Group. Seine Wahl hätte daher voraussichtlich auch Konsequenzen für Zeitpunkt und Form der nach Art. 23 BL umzusetzenden Sicherheitsgesetzgebung gehabt. 85

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Kandidat der Peking-kritischen Civic Party überraschend die nach Art. 1 Ziff. 4 Annex I BL nötigen 100 Stimmen des Wahlkomitees erreicht hatte und offiziell zur Wahl aufgestellt worden war.91 Hongkongs Demokratiedefizit hat zu einer bedenklichen Politisierung von vor den Gerichten ausgetragenen Rechtsstreitigkeiten geführt. Da dem Bürger eine Einflussnahme in Form politischer Partizipation weitgehend versagt ist, kommt es regelmäßig zu Klagen,92 in denen vermeintliche Missstände juristisch angegriffen werden.93 Entscheidungen von großer politischer Tragweite liegen damit in den Händen von Richtern. Diesen mangelt es allerdings an einer direkten demokratischen Legitimation; im Vergleich zu gewählten Regierungen oder Parlamenten können sie in ihrem Entscheidungsprozess nur unzureichend die pluralen Interessen der Hongkonger Bevölkerung abbilden.94 Mit Entschlüssen zu umstrittenen und politisch heiklen Fragen laufen sie überdies Gefahr, in der öffentlichen Wahrnehmung ihre Stellung als unabhängige und überparteiliche Organe der Rechtspflege zu verlieren.95 Eine vollständige Demokratisierung würde dieses Problem beheben.96 Die durch eine Bestimmung der Person des Chief Executive zu erreichende Einflussnahme ist beträchtlich, da der Verwaltungschef im Regierungssystem der SVZ eine zentrale Rolle einnimmt. So etabliert das Basic Law ein „executive-led system“,97 das durch eine politische Dominanz der ausführenden Gewalt gekennzeichnet ist.98 Begründet liegt diese zunächst in der Privilegierung des Chief Exe91 Vgl. Maass im Tagesspiegel vom 23.03.2007, S. 8, sowie die Meldung „Hongkong: Kampf um freie Wahlen“ im Spiegel vom 19.03.2007, S. 116. 92 J. Chan nennt als Beispiel Lee Miu Ling v. Attorney General, in dem angesichts der Functional Constituencies eine Verletzung des in Art. 21 des Bill of Rights garantierten Rechts auf ein allgemeines und gleiches Wahlrecht geltend gemacht wurde, HKLJ 37 (2007), 407 (434 f.). 93 So auch Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (40). Ausführlich zur Problematik siehe ders., The Modern Law Review 60 (1997), 459 (459 ff.). 94 Vgl. auch Rice, UCLA Pacific Basin Law Journal 23 (2005–2006), 51 (52). 95 Ähnlich J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (447). 96 Eine weitere zu erwartende, wenngleich nicht unbedingt begrüßenswerte Auswirkung läge in der erheblichen Schmälerung des Einflusses der Zentralregierung auf die ausführende Gewalt in der SVZ. 97 A. Chen/Cheung, Debates About the Rule of Law in the Hong Kong Special Administrative Region, S. 1 (3); Yu, Pepperdine Law Review 27 (2000), 53 (65 f.); Yee, Santa Clara Law Review 36 (1995–1996), 595 (602); Boasberg, Wisconsin International Law Journal 10 (1992), 282 (340). 98 A. Chen, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 9 (10), zitiert Chen Zuoer, den damaligen stellvertretenden Direktor des Pekinger Verbindungsbüros, am 12.03.2004: „[. . .] the most important point is only in an executive-led political structure can the Chief Executive be truly accountable to the Central Authorities as provided in the Basic Law. Neither a system that is legislature-led nor a system of seperation of powers can achieve this aim.“ Diesen Zusammenhang betonen ebenso Schubert,

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cutive bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen: In Übereinstimmung mit Art. 62 Ziff. 5 BL werden Gesetzesinitiativen durch die von ihm geleitete Regierung vorgenommen, wohingegen dem LegCo nach Art. 73 BL vorwiegend kontrollierende Aufgaben zufallen. Gemäß Art. 74 S. 3 BL bedürfen durch Abgeordnete des LegCo hervorgebrachte Gesetzesentwürfe einer schriftlichen Zustimmung des Verwaltungschefs. Dessen Position ist ferner dadurch gestärkt, dass er durch das Hongkonger Parlament verabschiedete Gesetze an dieses zurückverweisen kann, wenn sie seiner Ansicht nach in Widerspruch zum „allgemeinen Interesse der SVZ“ stehen (Art. 49 S. 1 BL). Hier eröffnet sich dem Chief Executive ein weiter politischer Beurteilungsspielraum. Zur Überstimmung eines solchen Vetos bedarf es wiederum einer Zweidrittelmehrheit aller LegCo-Mitglieder (Art. 49 S. 2 BL). Hierauf indes steht es dem Verwaltungschef nach Art. 49 S. 2, 50 Abs. 1 BL zu, den Legislativrat aufzulösen, was dann jedoch auch seinen eigenen Rücktritt zur Folge haben würde (Art. 52 Ziff. 2 BL). Über derlei Kompetenzerwägungen hinaus ist darauf hinzuweisen, dass das gegenwärtige Wahlverfahren eine regierungsfreundliche Zusammensetzung des Hongkonger Parlaments begünstigt. Dies ist der Fall, obgleich Art. 68 Abs. 2 S. 2 BL eine allgemeine Wahl aller LegCo-Abgeordneten quasi zum „Verfassungsziel“ erhebt. Dieses könne nach Beschluss des Ständigen Ausschusses des NVK vom 29. Dezember 200799 allerdings frühestens im Jahr 2020 erreicht werden; hierfür vorausgesetzt wird zudem, dass sich die zerstrittenen Parteien in der SVZ auf einen Wahlmodus einigen, dieser auf Akzeptanz in Peking stößt und die Demokratisierung dem „principle of gradual and orderly progress“ gemäß Art. 68 Abs. 2 S. 1 BL entspricht.100 Nachdem man die Entsendung von Vertretern eines durch die KPCh dominierten Wahlkomitees101 aufgegeben hatte und nach allmählicher Anhebung der Anzahl direkt gewählter Sitze von 20 im Jahr 1998 über 24 bei den Wahlen 2000 auf 30 im Jahr 2004 hat man von weiteren Reformen abgesehen.102 Bei den Parlamentswahlen 2008 wurden nach wie vor nur die Hälfte aller zu vergebenden Plätze im Verhältnis zur Stimmengewichtung vergeben. 30 weitere Sitze erhielten Vertreter der bereits erwähnten Functional

in: Heberer/Derichs, Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, S. 179 (186); Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (12). 99 Einsehbar unter http://www.legislation.gov.hk/blis_ind.nsf/D2769881999F47B348 2564840019D2F9/323A5DFEBE55E005482573CB000EAA8D?OpenDocument (Stand: 20.08.2011). 100 Vgl. dpa, Handelsblatt vom 02.01.2008, S. 7; afp, Tagesspiegel vom 30.12.2007, S. 5. 101 Dieses zeichnet allein noch für die Wahl des Verwaltungschefs verantwortlich, hierzu sogleich. 102 Vgl. den Beschluss des Ständigen Ausschusses des NVK vom 26.04.2004, einsehbar unter http://www.legislation.gov.hk/blis_ind.nsf/FB2D3FD8A4E2A3264825647 C0030A9E1/D4BCF79476F4D29948256EE000292712?OpenDocument (Stand: 20.08. 2011).

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Constituencies,103 die sich tendenziell dem Peking-freundlichen Lager104 zurechnen lassen.105 Dieses hält daher, obwohl Parteien der „Pan-Democrats“ in den fünf Wahlbezirken weitaus mehr Stimmen auf sich vereinigen konnten,106 mit 35 zu 25 Abgeordneten die Mehrheit im LegCo. bb) Legislative Unabhängigkeit Angesichts der gemäß Art. 23 BL einzuführenden Staatsschutzstrafbestände, die noch dazu ausdrücklich dem nationalen Interesse zu dienen bestimmt sind,107 stellt sich die Frage, inwieweit dem Hongkonger Gesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt ist, auf eigene Initiative und unbeeinflusst durch das Pekinger Einparteienregime Gesetze zu verabschieden. Aus einer Gesamtschau der Art. 2, 13 Abs. 1 und 14 Abs. 1 BL ergibt sich, dass die Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich beim Legislative Council angesiedelt ist und Ausnahmen nur in den Bereichen der Außenbeziehungen und der Landesverteidigung bestehen. In Peking erlassene Gesetze haben in der SVZ keine Gültigkeit, es sei denn, sie sind aufgenommen in Annex III des Basic Law (Art. 18 Abs. 2 BL).108 Indes kann der Ständige Ausschuss des NVK seinen Zuständigkeitsbereich ausweiten auf weitere Gesetze, die „matters outside the limits of the autonomy of the Region“ betreffen (Art. 18 Abs. 3 S. 2 BL). Eine solche zusätzliche Ausnahmeregelung, die in der Joint Declaration nicht vorgesehen war, erscheint problematisch:109 Da die Angelegenheiten, um welche es sich hierbei handeln soll, nicht näher bestimmt sind, eröffnet sich dem Ständigen Ausschuss ein enormer Spielraum bei der Festlegung seiner legislativen Befugnisse. Darüber hinaus 103

Siehe oben, Kapitel B., Fn. 106. Politische Analysen des Hongkonger Parteiensystems unterscheiden allgemein zwischen einer „prochinesischen“ und einer „demokratischen“ Fraktion. Letztere zeichnen sich gegenüber den anderen Parteien dadurch aus, dass sie tendenziell für eine rasche Demokratisierung und eine starke Unabhängigkeit Hongkongs in der VRC eintreten, vgl. Schubert, in: Heberer/Derichs, Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, S. 179 (186). 105 Vgl. z. B. Schlevogt in der Financial Times Deutschland vom 26.04.2007, S. 26; H. Fu, Nagoya University Journal of Law and Politics 182 (Juni 2000), 35 (41); Davis, Denver Journal of International Law & Policy 27 (1998–1999), 275 (279); B. Weng, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 73 (81). 106 Sie erhielten 19 Sitze, Peking-freundliche Parteien 11 Sitze. Die Wahlergebnisse sind einsehbar unter http://www.elections.gov.hk/legco2008/eng/result/rs_gc_GC.html (Stand: 20.08.2011). 107 So dienen sie nach Art. 23 BL explizit dem Schutz der Zentralregierung. 108 Hauptsächlich sind dies zum einen, entsprechend dem deutschen Verfassungsgewohnheitsrecht „Kompetenz kraft Natur der Sache“, siehe Jarass/Pieroth-Jarass, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 70, Rn. 13, Gesetze über begriffsnotwendig nationale Materien wie die Nationalhymne, der Nationalfeiertag, die Hauptstadt, die Staatsangehörigkeit etc., und zum anderen Gesetze bezüglich völker- und insbesondere seerechtlicher Fragen. 109 So auch Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (37). 104

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kommt es zu einem Zirkelschluss, wenn eine Hongkongs Autonomie regelnde Norm selbst auf eben diese Autonomie Bezug nimmt. Eine Ausweitung der Gesetzgebungszuständigkeiten Pekings nach Art. 18 Abs. 3 BL würde sich mithin selbst legitimieren, da sich das behandelte Sachgebiet mit Aufnahme in Annex III des Basic Law wiederum als Angelegenheit außerhalb des Hongkonger Selbstbestimmungsrechts interpretieren ließe.110 Hieran ändert auch nichts die durch dieselbe Regelung aufgegebene Konsultation des Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region (CBL). Diese paritätisch mit Festland- wie Hongkongchinesen besetzte Kommission, deren Mitglieder durch den Ständigen Ausschuss des NVK ernannt werden,111 ist bislang kaum als kritische Kontrollinstanz in Erscheinung getreten.112 Ihre genaue Funktion und interne Arbeitsweise sind, wenngleich sie an mehreren wesentlichen Stellen des Basic Law Erwähnung finden, nicht näher erläutert,113 gehen jedenfalls aber nicht über die eines beratenden Gremiums hinaus.114 Das CBL verfügt über keine eigene Entscheidungsbefugnis. In Anbetracht seiner personellen Zusammensetzung und des Einflusses des Ständigen Ausschusses bleibt es zudem äußerst fraglich, ob es zumindest die ihm ursprünglich zugewiesene Vermittlungsrolle erfüllen und als neutrales Forum den Ausgleich zwischen regionalen und nationalen Interessen befördern kann.115 Ein weiteres Einfallstor für durch die Zentralregierung erlassene Rechtsnormen, das insbesondere im Bereich der Staatsschutzgesetzgebung hohe Relevanz erlangen könnte,116 findet sich in Art. 18 Abs. 4 BL. Hiernach kann der Ständige Ausschuss im Fall von Krieg oder aber, nachdem er für die Sonderverwaltungszone den Notstand verhängt hat, nationale Gesetze für anwendbar erklären. Voraussetzung hierfür ist allein die Feststellung von „Aufruhr, der sich der Kon-

110 A.A. Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 194, demzufolge „matters outside the limits of the autonomy“ mit dem zuvor genannten Bereich „defence and foreign affairs“ gleichzusetzen sind. Eine solche Auslegung verhinderte zwar den dargelegten Zirkelschluss, doch widerspricht sie dem eindeutigen Wortlaut. So ist explizit von „other matters“ die Rede. 111 Die Vertreter Hongkongs werden nominiert durch den Verwaltungschef der SVZ, den Vorsitzenden des Legislative Council sowie den vorsitzenden Richter am Hongkonger Berufungsgericht, Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 196. 112 Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (41). Kritisch zur Rolle des CBL im Right of Abode-Fall Lo, in: Hong Kong University/City University of Hong Kong (Hrsg.), The Rule of Law in East Asia, Bd. 2, S. 1 (8 ff., 22). 113 Zu möglichen Funktionen des CBL siehe Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 196 f. 114 A. Chen, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (135). 115 Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (41). Nach Y. Li ist zweifelhaft, ob den Äußerungen des CBL überhaupt eine rechtliche Wirkung zukommt, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (170). 116 So auch P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 221.

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trolle der Lokalregierung entzieht und eine Gefahr darstellt für die nationale Einheit oder Sicherheit“. Neben dieser durch das Basic Law nur unzureichend bestimmten Ausgangslage stellt sich hierbei das Problem unterschiedlicher Begriffsverständnisse in Hongkong und auf dem Festland, welches einem Aufbegehren in der Bevölkerung seiner Geschichte und seiner politischen Konzeption nach weniger tolerant gegenüber stehen dürfte.117 Zudem finden sich weder Vorgaben zum vorausgehenden Verfahren noch eine Begrenzung der Geltungsdauer.118 Angesichts der Zielrichtung des Art. 18 Abs. 4 BL erscheint es durchaus möglich, dass die in der SVZ zur Anwendung gebrachten nationalen Normen auch solche des politischen Strafrechts enthalten und hierdurch das bestehende bzw. ein gemäß Art. 23 BL eingeführtes Regelungsregime dauerhaft ausgehebelt wird. Eine bedeutende Einschränkung der legislativen Unabhängigkeit findet sich in Art. 17 Abs. 3 S. 1 BL. Nach ihm kann der Ständige Ausschuss Gesetze blockieren, die seiner Ansicht nach mit Hongkongs „Mini-Verfassung“ in Widerspruch stehen. Im Zusammenspiel mit der dem Ständigen Ausschuss nach Art. 158 Abs. 1 BL zugesprochenen Interpretationsgewalt sowie der oft als vage kritisierten Rechtssprache119 des Basic Law ergibt sich hieraus de facto ein Vetorecht bezüglich aller in der SVZ verabschiedeten Gesetze.120 Nach teils vertretener Ansicht konfligiert diese Kontrollbefugnis des Ständigen Ausschusses mit Art. 23 BL. So stelle diese Norm klar, dass die Gesetzgebungsbefugnis im Bereich der nationalen Sicherheit bei Hongkong liege; die Gesetze zur Umsetzung der in der Staatsschutzklausel aufgelisteten Straftatbestände könnten aber von Peking solange abgelehnt werden, bis sie seinen eigenen Vorstellungen entsprächen.121 Gegen eine solche Argumentation ist einzuwenden, dass der SVZ eine legislative Kompetenz für das politische Strafrecht bereits nach den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften des Basic Law zugesichert ist, zu denen wiederum auch Art. 17 Abs. 3 BL zählt.122 Der Bedeutungsgehalt des Art. 23 BL liegt hin117 Siehe Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (709). Vgl. hierzu noch die Ausführungen zur nationalen Staatsschutzgesetzgebung, Kapitel C. II. 2. b) aa). 118 Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 163 (176). 119 Statt vieler siehe Dumbaugh, University of Pennsylvania Journal of International Economic Law 18 (1997), 333 (339). 120 Yee, Santa Clara Law Review 36 (1995–1996), 595 (622). Nach A. Han könnten faktisch selbst Gesetze zurückgewiesen werden, die evident nicht gegen das Basic Law verstoßen, da es in Festlandchina gegenüber den Entscheidungen des Ständigen Ausschusses an einer entsprechenden Kontrollinstanz mangele, Hastings International and Comparative Law Review 16 (1992–1993), 321 (326); ähnlich A. Chen, HKLJ 24 (1994), 173 (176 f.). 121 A. Chen, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (126). 122 A.A. Petersen, die hierin eine Ausnahme zur Gesetzgebungskompetenz der VRC im Bereich der Verteidigung sieht, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (1).

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gegen einzig in dem durch ihn gestellten Verfassungsauftrag zur Verabschiedung eines staatsschutzrechtlichen Mindestkatalogs. Um eine Kompetenzbestimmung handelt es sich indes nicht. Gleichsam zweifelhaft erscheint, ob es sich bei Art. 17 Abs. 3 BL, wie teils behauptet,123 um einen Verstoß gegen die Joint Declaration handelt: In dem sino-britischen Vertragswerk finden sich außer dem pauschalen Hinweis auf einen „high degree of autonomy“ in Art. 3 Abs. 2 S. 2 JD keinerlei Bestimmungen zur gesetzgeberischen Eigenständigkeit Hongkongs. Obendrein betont Art. 17 Abs. 3 S. 1 BL, dass durch den LegCo erlassene Gesetze nicht unmittelbar geändert, sondern lediglich zurückverwiesen werden;124 eine spätere Ungültigkeitserklärung gilt nach Art. 17 Abs. 3 S. 3 BL nicht rückwirkend. Durch das Vetorecht genießt der Ständige Ausschuss erheblichen Einfluss auf Rechtsentwicklungen in Hongkong, welcher, wie bereits bezüglich Art. 18 Abs. 3 BL erläutert, auch durch eine in Art. 17 Abs. 3 S. 1 BL vorgesehene Einbindung des CBL nicht wesentlich verringert wird. In Konflikt mit anderen Normen des Basic Law oder mit der Joint Declaration steht diese Einflussmöglichkeit des Ständigen Ausschusses indes nicht. cc) Judikative Unabhängigkeit Auslegung und Anwendung des nach Art. 23 BL zu erlassenden Staatsschutzrechts obliegen neben den Strafverfolgungsbehörden den Gerichten. Diesen kommt darüber hinaus auch insoweit eine entscheidende Rolle zu, als sie über das jeweils zu verhängende Strafmaß befinden werden. Die SVZ verfügt nach Art. 19 Abs. 1 BL über eine gegenüber dem Festland unabhängige Gerichtsbarkeit, der auch die Befugnis zur höchsten Rechtsprechung zufällt. Richter unterliegen nach Art. 85 S. 1 BL in ihrer Arbeit keinen äußeren Einflüssen; in Verrichtung ihrer Diensttätigkeit genießen sie gemäß Art. 85 S. 2 BL Immunität. Dem Schutz richterlicher Neutralität dient darüber hinaus ein spezielles Berufungs- bzw. Absetzungsprozedere gemäß den Art. 88, 89, 90 Abs. 2 und 92 BL. Trotz der ihr grundsätzlich zugesicherten Autonomie bestehen unterschiedliche Verknüpfungen zur politischen Zentralmacht in Peking. Sachlich begrenzt wird die Entscheidungsgewalt der Richter durch Art. 19 Abs. 3 BL. Hiernach soll über „acts of state“ betreffende Fragen, die sich bei der gerichtlichen Urteilsfindung ergeben, allen voran auf den Gebieten der Verteidigung und der Außenbeziehungen, ein Zeugnis des Hongkonger Verwaltungschefs eingeholt werden. Der Inhalt einer solchen Bescheinigung ist bindend und basiert 123

Siehe z. B. Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667

(707). 124 Dies hebt auch Ghai hervor, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (30).

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wiederum auf einer zuvor von der chinesischen Zentralregierung auszustellenden Urkunde (Art. 19 Abs. 3 S. 3 BL). Eine solche Beschränkung der judikativen Unabhängigkeit geht über die in der sino-britischen Erklärung getroffene Vereinbarung hinaus, vom zugesicherten „hohem Maß an Autonomie“ nur die Verteidigungs- und Außenpolitik auszunehmen (Art. 3 Abs. 2 S. 2 JD).125 Der Hongkonger Jurisdiktion entziehen sich nach Art. 19 Abs. 3 BL hingegen jegliche Akte der Zentralregierung.126 Obgleich die Formulierung „acts of state“ in Art. 19 Abs. 3 S. 1 BL begrifflich an der gleichnamigen Rechtsfigur des US-amerikanischen Common Law anlehnt, handelt es sich hierbei wohl um eine bloße Rechtsfolgenverweisung.127 Die act of state-Doktrin bezieht sich auf Konstellationen, in denen sich Gerichte des einen Staates mit Exekutivhandlungen eines anderen Staates konfrontiert sehen.128 An einer solchen Parallele konnte den auf nationale Einheit bedachten Verfassern des Basic Law kaum gelegen sein; der Ausdruck ist insofern missverständlich.129 Zu Spannungen könnte es außerdem mit dem in Art. 158 Abs. 1 BL niedergelegten Auslegungsmonopol des Ständigen Ausschusses kommen. Zwar ist die Judikative nach Art. 158 Abs. 2 BL zur Interpretation des Basic Law „within the limits of the autonomy“ autorisiert,130 doch muss in Bezug auf Normen, die Angelegenheiten in der Verantwortung der Zentralregierung oder aber das Verhältnis zu dieser betreffen und die für den konkreten Fall entscheidungserheblich sind, eine verbindliche Klarstellung des Ständigen Ausschusses beantragt werden (Art. 158 Abs. 3 BL). Hierin liegt ein weiterer Unterschied zur bereits diskutierten Grönland-Regelung, nach der die Interpretationsgewalt über das Autonomiegesetz alleine bei den Gerichten in Nuuk liegt.131 Zwar handelt es sich bei der Auslegung von Normen, d.h. der Ermittlung ihres Bedeutungsgehalts, stets nur 125 Nach Y. Xiao schließen „acts of state“ im Sinne des Art. 19 Abs. 3 BL auch Handlungen im Rahmen der nach innen gerichteten Herrschaftsmacht ein, The American Journal of Comparative Law 48 (2000), 471 (475). Palumbo sieht die Autonomie der SVZ bereits durch die Einschränkungen in den Bereichen „defence and foreign affairs“ unterminiert, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (708). 126 Dies entspricht auch der ursprünglichen Fassung der Norm: „[. . .] shall have no jurisdiction over [. . .] cases relating to the executive acts of the Central People’s Government.“, vgl. Wacks, in: Wacks, The Future of the Law in Hong Kong, S. 127 (132). 127 So auch Werner, Recht im Systemwandel, S. 219. 128 Boczek, International Law, S. 37; Shaw, International Law, S. 163. 129 Wacks, in: Wacks, The Future of the Law in Hong Kong, S. 127 (132). 130 Diese erfolgt nach dem Gesetzeswortlaut durch den Ständigen Ausschuss. Nach Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 199, resultiert die Ermächtigung der Hongkonger Gerichte dennoch unmittelbar aus dem Basic Law. Art. 158 Abs. 2 BL entspricht einer typisch chinesischen Formulierungsweise (vgl. z. B. auch Art. 2, 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 BL) und erfüllt darüber hinaus den Zweck, den Ursprung und die Einschränkbarkeit der durch die Gerichte in der SVZ ausgeübten Rechtsprechungsmacht hervorzuheben. 131 Siehe A. Chen, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 107 (123).

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um eine Teilstufe der Rechtsfindung,132 doch besteht in der Tat Konfliktpotential mit dem in Art. 2 und 19 Abs. 1 BL zugesicherten „right of final adjudication“.133 Das Basic Law betreffende Rechtsstreitigkeiten in der SVZ Hongkong laufen stets Gefahr, durch einen Interpretationsbeschluss des Ständigen Ausschusses und damit nicht nach rechtlichen, sondern nach politischen Normen entschieden zu werden.134 Dies wird auch nicht verhindert durch die in Art. 158 Abs. 4 BL vorgesehene Konsultation mit dem bereits erwähnten Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region, dem selbst nur ein symbolisches Mitspracherecht, aber keinerlei Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind.135 Art. 158 BL wurde dementsprechend als „Achillesferse“ der Autonomie Hongkongs bezeichnet.136 Bedeutung könnte er insbesondere bei Verfahren mit Berührungspunkten zur Staatsschutzklausel des Art. 23 BL erlangen. Da die SVZ hier zur Verhinderung von gegen die Nationalregierung gerichteten Straftaten verpflichtet wird, erscheint es naheliegend, die Regelung als „concerning the relationship between the Central Authorities and the Region“ zu deuten.137 Dies gilt umso mehr, als dass der Ständige Ausschuss in der Vergangenheit eine weite Auslegung vertreten hat138 und Art. 158 Abs. 3 S. 1 BL keine eindeutigen Angaben zu den den Hongkonger Gerichten vorenthaltenen Interpretationsgegenständen enthält.139 Wie noch darzulegen sein wird, haben sich in der jungen Geschichte der SVZ bereits zahlreiche Diskussionen um Art. 158 BL und die Trägerschaft der Auslegungsgewalt ergeben.140 Unbeantwortet geblieben ist dabei die Frage nach der gerichtlich anzuwendenden Methodik sowie Interpretationsmaßstäben.141 Zwei Punkte seien hierfür hervorgehoben: Zum einen erscheint es aufgrund des skizzierten Verfassungscharakters des Basic Law, auch bei Auslegung durch den Ständigen Ausschuss,142 angebracht, auf einen eigenständigen, also nicht nationalrechtlichen Blickwinkel abzustellen, bei dem insbesondere Grundsätze des festlandchinesischen Verfas132

Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 199. Siehe auch A. Chen, The Twenty-first Century Review 41 (1997), 138 (139); Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (708). 134 Werner, Recht im Systemwandel, S. 233 f.; Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (12). 135 Zum CBL siehe oben, Kapitel C. I. 2. c) bb). 136 Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (40). 137 So auch P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 221. 138 Vgl. unten, Kapitel C., Fn. 142. 139 Vgl. unter anderem Wacks, in: Wacks, The Future of the Law in Hong Kong, S. 127 (134). 140 Kapitel C. I. 3. 141 Yap, Chinese Journal of International Law 6 (2007), 543 (544). 142 Im den noch zu diskutierenden Right of Abode-Fällen hat der Ständige Ausschuss dagegen einen am Wortlaut und dem historischem Willen des Gesetzesgebers orientierten Auslegungsansatz gewählt, siehe dazu unten, Kapitel C. I. 3. 133

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sungsrechts in den Hintergrund treten.143 Zum anderen muss bei Auslegung des Hongkonger Grundgesetzes in besonderem Maße der staatstheoretische Kontext berücksichtigt und auf dieser Grundlage Sinn und Zweck der jeweiligen Norm ermittelt werden.144 Beschrieben wird der einzubeziehende Gesamtzusammenhang durch die in Absatz 3 der Präambel des Basic Law sowie in Art. 159 Abs. 4 BL genannten „basic policies of the People’s Republic of China regarding Hong Kong“. Diese kommen vor allem in der Joint Declaration von 1984145 und dem darin beschriebenen „Ein Land, zwei Systeme“-Grundsatz zum Ausdruck.146 Ein solcher systematisch-teleologischer Ansatz gewinnt gegenüber einer historischen Auslegung an Gewicht, da ein Rückgriff auf den Entstehungsprozess des Basic Law mangels einsehbarer Protokolle erschwert ist.147 Diesen Gegebenheiten entsprechend ist auch die Rechtsprechung in der SVZ bislang dem im Common Law verbreiteten „purposive approach“ gefolgt;148 zudem werden, inkorporiert durch Art. 39 BL, Normen des internationalen Menschenrechtsschutzes als Interpretationshilfen herangezogen.149 3. „Ein Land, zwei Systeme“ in praxi Da der für die Reintegration der Kronkolonie gewählten Vorgehensweise kaum Präzedenzfälle zugrunde liegen150 und zahlreiche Bestimmungen des sie implementierenden Basic Law konkretisierungsbedürftig sind,151 erschließt sich die vollständige Bedeutung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ erst aus seiner Umsetzung. Freilich kann an dieser Stelle nicht auf alle verfassungsrelevanten Entwicklungen des ersten Jahrzehnts unter chinesischer Herrschaft eingegangen werden. Stattdessen sei hier eine Kontroverse herausgegriffen, die wie die Debatte um Art. 23 BL das Verhältnis zwischen der SVZ und der Nationalregierung betrifft und dabei Pekings Letztentscheidungsrecht über den autonomen Status Hongkongs verdeutlicht. 143

Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 218. So auch J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (413). 145 Vgl. Abs. 3 der Präambel. 146 Vgl. Ling, HKLJ 29 (1999), 8 (12). Nach Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (21), umfassen die „basic policies“ das Wirtschafts- und Rechtssystem, den Schutz der Menschenrechte und die vorgesehene Demokratisierung Hongkongs. 147 So fehlt es insbesondere an Dokumenten über die Arbeit des Basic Law Drafting Committee, vgl. Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 219. 148 Werner, Recht im Systemwandel, S. 232. Vgl. z. B. die Ausführungen zur Auslegung des Basic Law in Ng Ka Ling and Others v. Director of Immigration vom 29.01. 1999, HKLRD 1 (1999), 315 (315 ff.). 149 Ghai, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 1 (16). 150 Vgl. Kapitel C. I. 1. c). 151 Siehe J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (409); Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (35); Y. Li, in: Wacks, The New Legal Order in Hongkong, S. 163 (176) sowie Dumbaugh, Kapitel III., Fn. 119. 144

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Bereits im Jahr des Souveränitätswechsels kam es zu ersten Konflikten über die der SVZ zugesprochene Unabhängigkeit. Anstoß gab der durch die VRC152 1996 eingerichtete Provisional Legislative Council.153 In einem Strafverfahren vor dem Hongkonger Berufungsgericht154 machte die Verteidigung geltend, dass, da es dem PLC an einer Rechtsgrundlage im Basic Law fehle, durch ihn erlassene Gesetze keine Gültigkeit beanspruchen könnten.155 Mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Akten festlandchinesischer Staatsorgane sah sich zudem der Hong Kong Court of Final Appeal (CFA)156 in den sogenannten Right of Abode-Fällen157 konfrontiert. Hier klagten auf dem Festland geborene Kinder, deren Eltern sogenannte Permanent Residents der SVZ gewesen waren, auf Erteilung einer ständigen Aufenthaltserlaubnis nach Art. 24 Abs. 2, 3 BL. Sie argumentierten, entgegenstehende durch den PLC verabschiedete Einwanderungsgesetze158 seien aufgrund dessen Rechtswidrigkeit nicht wirksam geworden. Hatten die Richter im erst genannten Urteil noch eine Kompetenz zur Überprüfung von Akten des Ständigen Ausschusses und anderer mit chinesischer Hoheitsmacht ausgestatteter Organe abgelehnt, erklärte der CFA in Ng Ka Ling and Others v. Director of Immigration Hongkonger Gerichte für grundsätzlich zuständig.159 Diese Feststellung sorgte, obgleich eine entsprechende Inzidentprüfung des CFA zur Rechtmäßigkeit des PLC gelangt war, für Entrüstung in Peking wie auch bei der Lokalregierung. Diese forderte den CFA mithin – verfassungsrechtlich zweifelhaft, da ohne Grundlage im Basic Law160 – zu einer „Klarstellung“ auf. In einer ergänzenden Stellungnahme betonte das Gericht hierauf zwar die 152 Die Einsetzung erfolgte über das sogenannte Preparatory Committee for the Hong Kong SAR, das wiederum auf einen Gründungsakt des Ständigen Ausschusses des NVK zurückgeht. 153 Siehe oben, Kapitel B. I. 2. c). 154 HKSAR v. Ma Wai Kwan, David and Others vom 29.07.1997, HKC 2 (1997), 315 (315 ff.). 155 Für diese Problematik, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl. z. B. Horlemann, Hong Kong’s Transition to Chinese Rule, S. 135 ff. 156 Hierbei handelt es sich um das höchste Gericht Hongkongs, das mit Gründung der SVZ das Judicial Committee of the Privy Council ersetzt hat. 157 Ng Ka Ling and Others v. Director of Immigration vom 29.01.1999, HKLRD 1 (1999), 315 (315 ff.); weniger Aufmerksamkeit erhielt das Urteil Cham Kam Nga and Others v. Director of Immigration vom 29.01.1999, HKLRD 1 (1999), 304 (304 ff.). 158 Vgl. die Änderungen des bestehenden Immigration Ordinance vom 01.04.1972, Cap. 115, Immigration Ordinance, Schedule No. 2 (1997), verabschiedet am 01.07. 1997, und Immigration Ordinance, Schedule No. 3 (1997), verabschiedet am 10.07. 1997. 159 So heißt es in dem Urteil: „In our view, the courts of the Region do have this jurisdiction and indeed the duty to declare invalidity if inconsistency is found. It is right that we should take this opportunity of stating so unequivocally.“ 160 Der als Rechtsgrundlage benannte Art. 46 Abs. 1 der Rules of the Court of Final Appeal beinhaltet keine ausreichende Legitimation, vgl. A. Chen, Pacific Rim Law & Policy Journal 15 (2006), 627 (636).

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Bindungskraft durch den Ständigen Ausschuss erfolgter Auslegungen des Basic Law, beharrte aber auf die von ihm beanspruchte Entscheidungsbefugnis.161 Die Urteile in den Right of Abode-Verfahren stießen darüber hinaus auch deshalb auf Unmut, da die in ihnen vertretene Rechtsmeinung zu einer durch die SVZ wirtschaftlich nur schwer zu verkraftenden Einwanderung geführt hätte: Die Regierung prognostizierte 1,67 Millionen zusätzliche Immigranten;162 innerhalb eines Zehnjahreszeitraums hätten sich die Zusatzausgaben auf über 700 Milliarden Hongkong-Dollar163 belaufen.164 Schließlich kam es zu einer widersprechenden Auslegung der Art. 22 Abs. 4 BL und 24 Abs. 2, Abs. 3 BL des Ständigen Ausschusses,165 durch welche die Entscheidung des CFA faktisch aufgehoben wurde. Zwar galt der Beschluss nicht rückwirkend, war also ohne Konsequenz für die bereits beschiedenen Kläger, doch ex nunc entfaltete er für die Hongkonger Rechtsprechung eine bindende Wirkung;166 durch das Urteil des CFA entstandenes Common Law war damit gebrochen.167 Hiermit sahen zahlreiche Beobachter Hongkongs „right of final adjudication“ 168 unterminiert.169 Kritik zog überdies die Tatsache auf sich, dass der Ständige Ausschuss quasi von alleine tätig geworden war,170 ohne die in Art. 158 Abs. 3 BL vorgesehene Vorlage durch den CFA.171 161 Verklausuliert wurde formuliert, der CFA stelle nicht die Befugnis des Ständigen Ausschusses in Frage „to do any act which is in accordance with the provisions of the Basic Law and the procedure therein“. Die Stellungnahme des Gerichts wurde als zweideutig empfunden, A. Chen, Pacific Rim Law & Policy Journal 15 (2006), 627 (636), und teils als Konzession gegenüber Peking gewertet, vgl. z. B. Landler in der New York Times vom 27.02.1999, S. 5. 162 Vgl. die Presseerklärung „The Public Opposes to Bear Burden of Influx of Residents from the Mainland“ des Hong Kong Policy Research Institute vom 30.04.1999. 163 Entspricht derzeit ca. 66 Milliarden Euro (Stand: 20.08.2011). 164 So die am 06.05.1999 öffentlich gemachte Berechnung der Lokalregierung, vgl. Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 84. Zudem prognostizierte man negative Umwelteinwirkungen und den Bedarf nach ca. 500.000 m2 zusätzlicher Wohnfläche, vgl. Ghai, in: Chen/Ghai/Fu/Chan, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 199 (201). 165 Beschluss vom 26.06.1999, einsehbar unter http://www.hklii.org/hk/legis/en/ord/ 2106/longtitle.html (Stand: 20.08.2011). 166 Vgl. Tai, International Journal of Constitutional Law 1 (2003), 147 (149). 167 Zur Entstehung von Common Law in Hongkong siehe Wesley-Smith, An Introduction to the Hong Kong Legal System, S. 11, 42. 168 Vgl. Art. 2, 19 Abs. 1 BL. 169 Siehe beispielweise Fokstuen, Hastings International & Comparative Law Review 26 (2002–2003), 265 (286 f.); Estanislao, APLPJ 1 (2000), 1 (21); Y. Xiao, The American Journal of Comparative Law 48 (2000), 471 (478). 170 Er folgte damit einer Bitte der Regierung der SVZ. Eine Anrufung durch die Lokalregierung ist im Basic Law allerdings nicht vorgesehen, vgl. auch A. Chen, Pacific Rim Law & Policy Journal 15 (2006), 627 (641). Der Ständige Ausschuss hat eine derartige Kompetenz des Verwaltungschefs hingegen auf seine allgemeinen Verantwortlichkeiten gemäß Art. 43 BL und Art. 48 Abs. 2 BL zurückgeführt. Die fehlende Vorlage durch den CFA wurde in späteren Right of Abode-Fällen als Unwirksamkeitsgrund

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Auch wenn es bislang zu keinen weiteren Konfliktfällen zwischen der Hongkonger Rechtsprechung und politischen Entscheidungsträgern in der VRC gekommen ist, bleibt die zugrundeliegende Problematik ungelöst: Nach wie vor erscheint es fraglich, wie sich judikative Unabhängigkeit und damit die rule of law bewahren lassen, wenn der den Gerichten durch das Basic Law gesteckte Handlungsrahmen der Deutungs- und Änderungsgewalt einer externen Instanz unterstellt ist. Mit dem Interpretationsbeschluss vom 26. Juni 1999 hat der Ständige Ausschuss frühzeitig klar gemacht, dass er von dieser Befugnis ausgiebig Gebrauch zu machen bereit ist, soweit er es für politisch erforderlich hält. Ausschlaggebend war dabei nicht die weithin geforderte teleologische,172 sondern eine historische, die gesetzgeberische Absicht ermittelnde Auslegung.173 Eine solche Verfahrensweise ist im Fall des durch den NVK in Kraft gesetzten Basis Law von außen kaum nachzuvollziehen174 und stärkt mithin den Verdacht einer politisch gefärbten Rechtsfindung.175 Obendrein ließ der Beschluss erkennen, dass die Abgrenzung zwischen Belangen der SVZ und Angelegenheiten, die das Verhältnis zur VRC im Sinne des Art. 158 Abs. 3 BL betreffen, der Einschätzungsprärogative des Ständigen Ausschusses unterliegt. Wenn sich auch die zentrale Staatsmacht in Peking an anderer Stelle zurückgehalten hat,176 wurden der Hongkonger Rechtsprechung im Right of Abode-Streit Grenzen gesetzt. Dabei lässt sich nicht eindeutig feststellen, wie weit die der SVZ eingeräumte Rechtsprechungsbefugnis reicht, und auch nicht, welche Konsequenzen sich für die Problematik um Art. 23 BL ergeben: Die Gerichte in der SVZ könnten z. B. im Falle einer entsprechenden Normenkollision sehr wohl der Pressefreiheit gegenüber nationaler Sicherheit Vorrang einräumen. Ob eine solche Entscheidung dann jedoch eine Intervention durch den Ständigen Ausschuss nach sich zieht, richtet sich angesichts dessen Auslegungsmonopols und der hierbei favorisierten genetischen Argumentation nicht nach rechtlichen, sondern politischen Gesichtspunkten. Gleiches gilt für Vorgaben, die der Ständige Ausschuss im Rahmen sei-

für die Interpretation des Ständigen Ausschusses geltend gemacht, durch den CFA jedoch abgelehnt, vgl. z. B. Lau Kong Yung and Others v. Director of Immigration vom 03.12.1999, HKLRD 3 (1999), 778 (778 ff.). 171 Siehe statt vieler Estanislao, APLPJ 1 (2000), 1 (12 f.). 172 Siehe oben, Kapitel C., Fn. 148. 173 So heißt es: „Moreover, the interpretation of the Court of Final Appeal is not consistent with the legislative intent.“ 174 Vgl. oben, Kapitel C., Fn. 147. 175 Ghai zufolge waren diese und alle vorherigen Interpretationen des Ständigen Ausschusses politisch motiviert, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (41); siehe auch Horlemann, Hongkong 1997, S. 35. 176 So ist insbesondere die Problematik der Ausweitung in Hongkong geltenden nationalen Rechts nach Art. 19 Abs. 3 BL, vgl. Kapitel C. I. 2. c) bb), praktisch nicht in Erscheinung getreten, vgl. Chen, Pacific Rim Law & Policy Journal 15 (2006), 627 (638).

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

ner weit gefassten Interpretationskompetenz zur einfachgesetzlichen Umsetzung des Art. 23 BL machen könnte.177 4. Fazit Eine juristische Auseinandersetzung mit „Ein Land, zwei Systeme“ wird dadurch erschwert, dass es sich hierbei um ein durch Regelwerke wie die Joint Declaration und das Basis Law zwar rechtlich manifestiertes, seinem Ursprung nach jedoch politisches Konzept handelt.178 Das konstitutionelle System der SVZ und seine Auslegung folgen zumeist einem juristischen Muster, so z. B. bei richterlichen Interpretationen im Rahmen des Art. 158 Abs. 2 und 3 BL, unterstehen letztlich aber in der KPCh ausgetragenen Entscheidungsprozessen.179 Besondere Aussagekraft für die Entwicklung des hier diskutierten staatstheoretischen Konstrukts gewinnen demgemäß realpolitische Erwägungen: So besteht seitens der Volksrepublik ein großes Interesse am Fortbestand und Ausbau der Hongkonger Wirtschaftskraft.180 Eine Trennung beider Systeme gilt als Bedingung für Vertrauensschutz sowie für den Erhalt personeller Fachkompetenz.181 Ferner motiviert die Hongkong zugeschriebene Vorbildfunktion für eine Wiedervereinigung mit Taiwan182 zur Einhaltung der in der Joint Declaration gegebenen Zusagen.183 Wenn sich auch die Lösung des Formosa-Konflikts nicht völlig mit dem für Hongkong und Macao gewählten Vorgehen decken wird,184 lassen sich aus 177 Diesen Zusammenhang zu den Right of Abode-Fällen sehen auch H. Fu/Cullen/ Choy, Journal of Chinese and Comparative Law 5 (2002), 45 (46, 57). Siehe dazu noch unten, Kapitel C. II. 1. b). 178 Siehe auch Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (35). 179 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (445); Werner, Recht im Systemwandel, S. 193; H. Fu, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 95 (111); W. Clarke, in: Jao/Leung/Wesley-Smith/Wong, Hong Kong and 1997, S. 215 (218). 180 Vgl. Palumbo, Connecticut Journal of International Law 6 (1991), 667 (687); L. Cheng, NYU Journal of International Law & Politics 17 (1984–1985), 683 (711). 181 Diese Problematik zeigte sich bereits in der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte in Erwartung des Herrschaftswechsels Mitte der neunziger Jahre, vgl. dazu Skeen, The International Lawyer 29 (1995), 175 (194). 182 Vgl. z. B. Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (30); Edwards, New England Law Review 32 (1997–1998), 751 (752); Z. Fu, UCLA Journal of International Law & Foreign Affairs 1 (1996), 321 (349). 183 So auch Yu, Pepperdine Law Review 27 (2000), 53 (105 f.); Kennedy, New York Law School Journal of International & Comparative Law 15 (1994), 83 (96). 184 Siehe Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 227. Es stehen unterschiedliche Vorschläge für Abwandlungen des in Hongkong zur Anwendung gebrachten „Ein Land, zwei Systeme“-Konzepts im Raum. Dazu gehören beispielsweise eine verlängerte Übergangsperiode, vgl. Mangelson, BYU Law Review (1992), 231 (242), sowie der Verzicht auf eine festlandchinesische Militärpräsenz in Taiwan, vgl. das Weißbuch der VRC, Chinese Journal of International Law 2 (2003), 717 (725). Cooney

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der praktischen Umsetzung von „Ein Land, zwei Systeme“ doch Rückschlüsse ziehen auf die politische Vertrauenswürdigkeit Pekings sowie auf die Verlässlichkeit durch ihn gegebener Kontinuitätsversprechen. Eine Garantiefunktion für die Unabhängigkeit der SVZ Hongkong erfüllt zuletzt auch die internationale Reputation Chinas als Vertragspartei der Joint Declaration.185 Wie bereits ausgeführt, bemisst sich der Einfluss der Einparteienführung in Peking auf das Staats- und Rechtssystem der ehemaligen Kronkolonie nicht allein nach Regelungen der Joint Declaration und des Basic Law, sondern gleichsam auch nach deren praktischer Ausformung. Mangels historischer Präzedenzfälle und in Anbetracht der zumeist sehr weit formulierten Übergangsbestimmungen begab man sich mit dem Herrschaftswechsel auf eine „uncharted sea“ 186, für die keine eindeutigen Bewertungskriterien gelten. Nimmt man allerdings die wesentlichen konzeptionellen Gedanken und die Zwecke von „Ein Land, zwei Systeme“ zum Maßstab, kann durchaus von einer erfolgreichen Implementierung gesprochen werden. Auf der anderen Seite bestehen zahlreiche Verknüpfungen zum volksrepublikanischen Rahmenrechtssystem, die teilweise auch zu Unsicherheiten hinsichtlich der exekutiven, der gesetzgebenden und gerade auch der judikativen Unabhängigkeit geführt haben. Diese erhöhen die Anforderungen an die sensiblen, da einer politischen Instrumentalisierung verdächtigen, Regelungen des Art. 23 BL und sind bei einer entsprechenden Reform des Hongkonger Staatsschutzrechts zu berücksichtigen.

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL Bevor sich die Arbeit mit den Konsequenzen des Art. 23 BL und der in ihm vorgesehenen Gesetze beschäftigt,187 soll nachstehend ein genauerer Blick auf die Norm selbst sowie die durch sie in den Jahren 2002 und 2003 ausgelöste Verfassungskrise geworfen werden. 1. Verfassungsnorm a) Entwicklung Die Brisanz der in Art. 23 BL kodifizierten Rechtsmaterie äußerte sich bereits zu Beginn der Beratungen über das spätere Grundgesetz der Sonderverwaltungsargumentiert, das Modell eigne sich nicht für Taiwan, da dieses bereits vollständig demokratisiert ist und der mit einer Eingliederung in die VRC einhergehende Verlust an Selbstbestimmung keine politische Akzeptanz finden werde, Pacific Rim Law & Policy Journal 6 (1997), 497 (547). 185 Ghai, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 29 (29); Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (769). 186 J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (409). 187 Siehe Kapitel E.

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zone. So hatte die chinesische Seite angesichts der bestehenden Diskrepanz zum Regelungsregime der Kronkolonie rasch Abstand von ihrem ursprünglichen Plan genommen, festlandchinesische Staatsschutzregelungen über Art. 18 Abs. 2 S. 1 BL i.V. m. Annex III des Basic Law188 in Hongkong unmittelbar zur Geltung zu bringen.189 Stattdessen fand sich in Art. 22190 der ersten, im April 1988 vorgelegten Version des Basic Law eine Verpflichtung der Lokalregierung zur Unterbindung aller Handlungen „designed to undermine national unity or subvert the Central People’s Government“.191 In einer anschließenden öffentlichen Konsultationsphase erreichten das Basic Law Consultative Committee mehr als 70.000, zu großen Teilen auf eben diese Norm bezugnehmende Einsendungen.192 Ein wesentlicher Kritikpunkt war das Fehlen eines abschließenden Katalogs der einzuführenden Tatbestände. Aufgrund seines nicht klar umrissenen Anwendungsbereichs wurde Art. 22 BL a. F. Gegenstand sehr unterschiedlicher Interpretationen; nach einer besonders engen Auslegung193 betraf die Vorschrift gar ausschließlich das Delikt des Hochverrats.194 Um die durch die Regelung erfassten Handlungen näher zu definieren, wurde im Basic Law Drafting Committee der Vorschlag geäußert, ein organisiertes Vorgehen sowie den Einsatz gewaltsamer Mittel als zusätzliche Voraussetzungen in einen späteren Entwurf aufzunehmen.195 Ausgesetzt an Art. 22 BL a. F. wurde überdies, dass ihm zufolge ein neuer, dem Common Law unbekannter Straftatbestand der Subversion einzuführen gewesen wäre.196 Mit der im nachfolgenden Jahr erschienenen Fassung hatte sich das BLDC um eine Konkretisierung der Norm bemüht und die unter Strafe zu stellenden Verhaltensweisen als „any act of treason, sedition, or theft of state secrets“ beschrieben.197 Während Hochverrat und Aufwiegelung bei den Hongkonger Mitgliedern der Kommission rasch auf Akzeptanz gestoßen waren, erfolgte die Aufnahme des „Diebstahls von Staatsgeheimnissen“ hauptsächlich auf Drängen der 188

Vgl. oben, Kapitel C. I. 2. c) bb). Siehe P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 219. 190 Die Regelung verschob sich erst mit dem zweiten Gesetzentwurf in Art. 23 des Basic Law. 191 The Draft Basic Law of the HKSAR (For the Solicitation of Opinions), vorgelegt am 28.04.1988. 192 Siehe Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 60. 193 Siehe den Bericht des BLDC „Reference Papers For the Basic Law of the HKSAR of the PRC“, S. 23. 194 „Treason“ kann allgemein mit „Verrat“ übersetzt werden und bezeichnet beide strafrechtlichen Varianten, sowohl den Hochverrat als auch den Landesverrat. Dem noch zu erörternden Gesetzesentwurf zufolge muss Treason im Sinne des Art. 23 BL jedoch als Hochverrat verstanden werden, wohingegen der Landesverrat am ehesten unter den Begriff des Verrats von Staatsgeheimnissen fallen würde. 195 Siehe H. Fu/Cullen, UCLA Pacific Basin Law Journal 19 (2002), 185 (194). 196 Vgl. den Consultation Report des BLCC, Oktober 1988. 197 The Basic Law of the HKSAR of the PRC (Draft), veröffentlicht im Februar 1989. 189

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VRC.198 Die Ersetzung „subversiver Aktivitäten“ durch den Tatbestand des Hochverrats hatte auf beiden Seiten für Zufriedenheit gesorgt: Das Verständnis von „treason“ im britischen Common Law galt Peking als weit genug, um darunter durch Subversion gedeckte Tätigkeiten subsumieren zu können. Auf der anderen Seite beruhigte Verfechter der Unabhängigkeit Hongkongs, dass es sich hierbei um einen in der eigenen Rechtstradition lange verhafteten und insofern verhältnismäßig bestimmten Straftatbestand handelte.199 Diese zweite Version stellte überdies klar, dass eine ihr entsprechende Überarbeitung des politischen Strafrechts eigenständig durch die SVZ vorzunehmen ist.200 Massive Proteste der Hongkonger Bevölkerung nach Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Frühjahr 1989201 veranlassten das durch Peking dominierte BLDC202 zu einer Verschärfung der in Art. 23 BL a. F. aufgestellten Staatsschutzvorgaben.203 Hierfür wurden unterschiedliche Ergänzungen diskutiert, darunter so weitgehende Formulierungen wie das Verbot von Handlungen „interfering in the system and way of life on the mainland“ 204 sowie die Untersagung „anti-kommunistischer Tätigkeiten“.205 Letztlich entschied man sich für eine abermalige Aufnahme der Subversion.206 Entsprechend bereits be198 Siehe Tat-Tong, Hong Kong Student Law Review 3 (1997), 188 (197). Der strafrechtliche Schutz staatlicher Geheimnisse war dem Hongkonger Rechtssystem indes nicht unbekannt. So hatte Großbritannien 1911 die sogenannten Official Secrets Acts erlassen, die, obgleich dort längst außer Kraft gesetzt, in Hongkong weiterhin Gültigkeit hatten. Sie waren Gegenstand zahlreicher Kritik unter dem Gesichtspunkt bürgerlicher Freiheiten, vgl. z. B. den am 01.01.1992 veröffentlichten „Human Rights Watch World Report 1992 – Hong Kong“, einsehbar unter http://www.unhcr.org/refworld/docid/467 fca508.html (Stand: 20.08.2011). 199 Vgl. H. Fu/Cullen, UCLA Pacific Basin Law Journal 19 (2002), 185 (196). 200 So fand sich hier bereits die auch in der rechtkräftig gewordenen Version auftauchende Formulierung „on its own“. 201 Hierzu oben, Kapitel B., Fn. 103. 202 Zur Zusammensetzung dieses Gremiums siehe oben, Kapitel B. I. 2. a). Die Ausgestaltung des Art. 22 BL, später des Art. 23 BL, oblag dem Unterkomitee für Fragen der Beziehung zwischen Hongkong und der Zentralregierung, dem zehn Gesandte des Festlandes sowie acht Vertreter Hongkongs angehörten. Vgl. auch Kellogg, Columbia Journal of Asian Law 17 (2004), 307 (310); H. Fu/Cullen, UCLA Pacific Basin Law Journal 19 (2002), 185 (193). 203 Vgl. Rice, UCLA Pacific Basin Law Journal 23 (2005–2006), 51 (55); H. Fu/ Cullen/Choy, Journal of Chinese and Comparative Law 5 (2002), 45 (49 f.); H. Fu, Nagoya University Journal of Law and Politics 182 (Juni 2000), 35 (37); Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 60. Ein Zusammenhang zwischen der Überarbeitung des Art. 23 BL und den politischen Protesten in der Kronkolonie wurde von chinesischer Seite bestritten, siehe P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 219. 204 So der Vorschlag des Ausschussmitglieds Rayson Huang, vgl. S. Leung, The Standard vom 11.12.1989, S. 4. 205 Vgl. H. Fu/Cullen, UCLA Pacific Basin Law Journal 19 (2002), 185 (197). 206 Zur Argumentation der chinesischen Seite, die sich zuvor mit dem Tatbestand des Hochverrats zufrieden gegeben hatte, siehe S. Leung, The Standard vom 11.12.1989, S. 4.

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stehender Regelungen des Societies Ordinance207 und um eine ausländische Einflussnahme auf das künftige Autonomiegebiet zu verhindern,208 ergänzte man die Norm darüber hinaus um ein Verbot der Tätigkeit von ausländischen politischen Organisationen sowie der Zusammenarbeit mit diesen. Der hieraus folgende, im Vergleich zu seinen Vorgängern restriktive Entwurf209 fand Eingang in das am 4. April 1990 durch den NVK verabschiedete Basic Law. In dessen Art. 23 heißt es: „The Hong Kong Special Administrative Region shall enact laws on its own to prohibit any act of treason, secession, sedition, subversion against the Central People’s Government, or theft of state secrets, to prohibit foreign political organizations or bodies from conducting political activities in the Region, and to prohibit political organizations or bodies of the Region from establishing ties with foreign political organizations or bodies.“ b) Rechtswirkungen aa) Formeller Regelungsgehalt Oftmals wird Art. 23 BL als „enabling provision“ beschrieben.210 Dem Wortlaut „enact laws on its own“ zufolge könnte es sich tatsächlich um eine Ermächtigungsnorm handeln. Indes bestünde für eine solche kein Bedürfnis, da eine entsprechende Gesetzgebungszuständigkeit bereits nach Art. 17 Abs. 1 BL gegeben ist. Der Norm kommt in diesem Zusammenhang daher allenfalls eine klarstellende Funktion in einem politisch sensiblen Regelungsbereich zu.211 Demgegenüber ist der durch Art. 23 BL aufgestellte Gesetzgebungsauftrag hervorzuheben: Zwar wurde von Gegnern212 hiernach einzuführender Sicherheitsgesetze vorgebracht, „shall“ müsse als „should“ ausgelegt und die Vorschrift somit als „SollRegelung“ 213 verstanden werden,214 doch erscheint ein hieraus folgendes Ent207 208

Cap. 151, Societies Ordinance (No. 28), in Kraft seit dem 27.05.1949. Vgl. H. Fu/Cullen/Choy, Journal of Chinese and Comparative Law 5 (2002), 45

(50). 209 Vgl. auch den Bericht des Hong Kong Human Rights Monitor, „A Ticking Time Bomb? Article 23, Security Law, and Human Rights in Hong Kong“, S. 9, sowie A. Han, Hastings International & Comparative Law Review 16 (1992–1993), 321 (332). 210 Siehe unter anderem H. Fu, in: Tsang, Judicial Independence and Rule of Law in Hong Kong, S. 73 (92). 211 A.A. M. Ng, die sowohl von einer ermächtigenden wie auch von einer verpflichtenden Wirkung des Art. 23 BL ausgeht, Hong Kong Lawyer (August 1993), 24 (24). 212 Hierzu gehörte z. B. die Democratic Party, vgl. deren Presseerklärung vom 13.09.2002, einsehbar unter http://www.dphk.org/e_site/press_release/020913a.htm (Stand: 20.08.2011). Ebenso Kellogg, der alternativ vorschlägt, ein Gesetz zu verabschieden, in dem Art. 23 BL als durch die bestehende Gesetzeslage für hinreichend umgesetzt erklärt wird, Columbia Journal of Asian Law 17 (2004), 307 (312). 213 Vgl. Garner, A Dictionary of Modern Legal Usage, demzufolge „should“ eine „directory provision“ bezeichnet, S. 942. 214 Vgl. P. Leung, Hong Kong Lawyer (November 2002), 34 f.

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schließungsermessen der Hongkonger Lokalregierung kaum vertretbar. So ergibt eine grammatikalische Interpretation der Vorschrift, dass diese gegenüber der SVZ sehr wohl Bindungskraft entfaltet.215 Eine Handlungsverpflichtung lässt sich zudem historisch herleiten, diente die Einführung einer Staatsschutznorm in das Basic Law doch als Alternative zu einer unmittelbaren Geltung chinesischer Strafrechtsvorschriften216 und formulierte sie einen Kompromiss zwischen Kritikern und Befürwortern Hongkongs legislativer Unabhängigkeit. Durch diesen ist den gesetzgebenden Organen der SVZ ein Beurteilungsspielraum bezüglich des „Wie“, nicht aber des „Ob“ der Normumsetzung eingeräumt worden. Einzelheiten der für die SVZ geltenden sicherheitsrechtlichen Implementierungsverpflichtung sind Gegenstand seit langem geführter Diskussionen. Von einer Verpflichtung zur Gesetzeseinführung „in angemessener Zeit“, wie teils angenommen,217 kann dabei nicht ausgegangen werden. So finden sich im Gesetzeswortlaut keinerlei zeitliche Vorgaben zur Einführung der aufgelisteten Straftatbestände, und auch nach einer systematischen Betrachtungsweise sind solche dem Basic Law nicht zu entnehmen. Gegen eine Umsetzungsfrist spricht außerdem, dass die Hongkonger Regierung nach Scheitern des Security Bill 2003 die darin vorgesehene Strafrechtsreform selbst auf unbestimmte Zeit vertagt hat, augenscheinlich also von keiner zeitlichen Begrenzung ausgegangen ist. Ferner stellt sich die Frage, ob Art. 23 BL eine Aussage über den Modus seiner Ausführung trifft, d.h., ob es zur Erfüllung des Gesetzgebungsauftrags vollständig neuer Regelwerke bedarf oder ob eine Anpassung des bestehenden Rechts ausreichend ist.218 Der Begriff „laws“ in Art. 23 BL ist insoweit nicht eindeutig. Es ist jedenfalls auch möglich, darunter Gesetze im Sinne eines amendment law zu verstehen, so dass das beschriebene Regelungsregime auch durch Überarbeitung einschlägiger Ordinances in Kraft gesetzt werden könnte.219 Dass auch ein solches Vorgehen geeignet ist, um der im Basic Law verankerten Verpflichtung nachzukommen, zeigte bereits der erste Regelungsversuch aus dem Jahr 2003. Dieser verzichtete auf ein in sich geschlossenes Gesetzeswerk und sah stattdessen Änderungen unter anderem am Crimes Ordinance,220 am Official Secrets Ordinance221 sowie am Societies Ordinance222 vor.

215 So beinhaltet die Formulierung „shall“ nach Garner stets die Auferlegung einer rechtlichen Verpflichtung, A Dictionary of Modern Legal Usage, S. 942. 216 Siehe oben, Kapitel C. II. 1. a). 217 Siehe M. Ng, Hong Kong Lawyer (August 1993), 24 (24). 218 Siehe auch Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (580). 219 So auch M. Ng, Hong Kong Lawyer (August 1993), 24 (24). 220 Cap. 200, No. 28, erlassen am 19.11.1971. 221 Cap. 521, No. 62, erlassen am 27.06.1997. 222 Siehe oben, Kapitel C., Fn. 207.

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

bb) Materieller Regelungsgehalt Inhaltlich lassen sich zwei Zielrichtungen des Art. 23 BL ausmachen: Zum einen sollen bestimmte gegen die Zentralregierung gerichtete Aktivitäten unter Strafe gestellt, zum anderen ein politisches Tätigwerden ausländischer Einrichtungen unterbunden werden. Die Norm bezweckt mithin den Schutz der nationalen Sicherheit sowohl vor internen Bedrohungen wie auch vor unmittelbarer und mittelbarer Einflussnahme durch externe Akteure. Hinsichtlich der strafrechtlich zu verfolgenden Handlungen fragt es sich, ob diese gegen die Zentralregierung im Sinne der Gubernative,223 d.h. des engen Kreises mit der eigentlichen Staatsleitung betrauter Parteikader, gerichtet sein müssen oder ob „Central People’s Government“ hier weit auszulegen und dem gesamten Staats- wie Parteiapparat gleichzustellen ist. Wie bereits dargelegt,224 ist die Regierung der VRC aufs Engste verwoben mit der in Gesellschaft und Wirtschaft omnipräsenten KPCh;225 ihre Zusammensetzung resultiert aus parteiinternen Entscheidungsprozessen.226 Es erscheint insofern angebracht, der Formulierung in Art. 23 BL ein weites, auch Parteiorgane einschließendes Begriffsverständnis zugrunde zu legen.227 Gleichwohl ist zu bedenken, dass nationale Sicherheitsgesetzgebung, wie sie im Basic Law vorgezeichnet ist, allgemein nicht jede gegen staatliche Stellen gerichtete Straftat zu verhindern sucht, sondern vielmehr dem Schutz vitaler institutioneller Strukturen sowie grundlegender Verfassungsgüter zu dienen bestimmt ist.228 Objekt der in Art. 23 BL genannten Straftatbestände können demnach nur der Sphäre des Staates zuzurechnende Personen oder Einrichtungen sein, die für die VRC in ihrer Gesamtheit von gewisser Bedeutung sind. 2. Erwägungen im Zusammenhang „Ein Land, zwei Systeme“ a) Auslegung durch den Ständigen Ausschuss des NVK Wenngleich, wie soeben aufgezeigt, Art. 23 BL keine direkten Rechtswirkungen für die Hongkonger Bevölkerung entfaltet und die Ausgestaltung eines entsprechenden Regelungsregimes zunächst einmal den regionalen Gesetzgebungs223 Der Begriff der Gubernative bezeichnet je nach Regierungssystem unterschiedliche Organisationsstrukturen, jeweils aber die Spitze der nationalen Exekutivgewalt, vgl. hierzu beispielsweise Dann, ZaöRV 66 (2006), 1 (1 ff.). 224 Siehe oben, Kapitel B. II. 1. c). 225 Vgl. A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 81, sowie allgemein Zheng, Party vs. State in Post-1949 China, S. 191 ff. 226 Vgl. hierzu A. Chen, An Introduction to the Legal System of the People’s Republic of China, S. 79 ff. 227 Ähnlich Tat-Tong, Hong Kong Student Law Review 3 (1997), 188 (189). 228 Tai bezeichnet diese genauer als „State’s essential interests“, zu denen „sovereignty, territorial integrity, unity and national security“ gehörten, HKLJ 32 (2002), 579 (581).

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organen unterliegt, ist sein Wortlaut doch von erheblicher Bedeutung. Er bildet in unterschiedlichen Verfahren die Grundlage für Interpretationen durch den Ständigen Ausschuss: Zum einen würden vermeintliche Defizite bei der einfachgesetzlichen Implementierung, z. B. in Form einer nur teilweisen oder aber zu liberal geratenen Normumsetzung, der VRC gemäß Art. 17 Abs. 3 BL eine nicht zu unterschätzende Einflussmöglichkeit eröffnen.229 Da es sich bei den in Kraft zu setzenden Sicherheitsbestimmungen um Regelungen handelt, die das Verhältnis zwischen Hongkong und der Pekinger Zentralmacht betreffen,230 könnten diese unter Hinweis auf ihre Unvereinbarkeit mit Art. 23 BL gänzlich oder auch nur punktuell durch den Ständigen Ausschuss zurückgewiesen werden.231 Bereits die Berechtigung zum Erlass eines solchen Vetos und das hieraus entstehende Drohpotential232 gewährleisten die Einbindung der VRC und die Berücksichtigung ihrer Interessen bei Erarbeitung einer durch die Regionalregierung einzubringenden Gesetzesvorlage.233 Unmittelbare Relevanz erlangt die in Art. 23 BL gefundene Formulierung auch im Licht des Art. 160 Abs. 1 BL, aufgrund dessen bislang unveränderte Normen des politischen Strafrechts, soweit sie die Vorgaben des Basic Law nicht erfüllen, durch den Ständigen Ausschuss aufgehoben werden könnten, um den Handlungsdruck auf die Hongkonger Regierung zu erhöhen.234 Wie schon in den Ausführungen zur judikativen Unabhängigkeit erörtert,235 könnte die Regelung des Art. 23 BL darüber hinaus auch Gegenstand einer nach Art. 158 Abs. 1, 3 BL vorzunehmenden Verfassungsauslegung sein. Vor diesem Hintergrund wird nicht selten zu einer raschen Transformation in einfachgesetzliches Staatsschutzrecht geraten. So bestehe momentan das Risiko, dass Gerichtsverfahren, in denen in Art. 23 BL genannte Tatbestände eine Rolle spielen, eine Vorlage an den Ständigen Ausschuss nach Art. 158 Abs. 3 BL verlangen und so durch diesen entschieden werden würden.236 Eine solche Befürchtung scheint indes unangebracht. Die Pflicht zur Anrufung des Ständigen Ausschusses bestände nur, wenn die Auslegung der Staatsschutzklausel im konkreten Fall von Bedeutung, d.h. entscheidungserheblich wäre. Da Art. 23 BL jedoch keine unmittel229

So auch A. Chen, Kapitel III., Fn. 114. Vgl. oben, Kapitel C. II. 1. a). 231 Siehe hierzu bereits oben, Kapitel C. I. 2. c) bb). 232 Ein Veto hinsichtlich Strafrechtsgesetzgebung wurde bereits in der Vergangenheit angedroht, so im Fall des Crimes (Amendment) Bill und des Official Secrets Ordinance, vgl. H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 63 (64), sowie in: Tsang, Judicial Independence and Rule of Law in Hong Kong, S. 73 (92). 233 So auch H. Fu/Cullen, UCLA Pacific Basin Law Journal 19 (2002), 185 (220). 234 Vgl. H. Fu/Cullen/Choy, Journal of Chinese and Comparative Law 5 (2002), 45 (53). 235 Kapitel C. I. 2. c) cc). 236 P. Leung, Hong Kong Lawyer (November 2002), 34 (35). 230

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bare Geltungskraft entfaltet, sondern lediglich den Hongkonger Gesetzgeber verpflichtet, scheint ein derartiges Szenario kaum denkbar. Angesichts der verschiedenen verfassungsrechtlichen Kompetenzen, durch die der Ständige Ausschuss auf den Erlass Hongkonger Staatsschutzbestimmungen Einfluss nehmen kann, erscheint es hingegen sinnvoll, mögliche Auslegungsgrenzen aufzuzeigen. Nach festlandchinesischer Rechtsauffassung237 erstreckt sich die Interpretationsgewalt des Ständigen Ausschusses, wie erläutert,238 auch auf den Bereich der Rechtsfortbildung.239 Läge man einen solch weiten Auslegungsbegriff Art. 158 Abs. 1 BL zugrunde, hätte dies weitreichende Konsequenzen für das Konzept „Ein Land, zwei Systeme“. Kompetenzbestimmungen des Basic Law könnten nahezu nach Belieben „konkretisiert“ und so die Hongkong zugesicherten Autonomierechte unterlaufen werden. Dies stünde im Widerspruch zu den in den Absätzen 2 und 3 der Präambel beschriebenen und in Art. 159 Abs. 4 BL quasi mit „Ewigkeitscharakter“ ausgestatteten „basic policies of the People’s Republic of China regarding Hong Kong“. Hinzu kommt, dass, wenn auch eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Gesetzesauslegung und -änderung der Rechtsordnung der VRC fremd sein mag, eine solche hinsichtlich Hongkong, wie die Art. 158 und 159 BL nahe legen, zumindest grundsätzlich vorausgesetzt wird.240 Weiterhin knüpfen unterschiedliche Regelungen des Basic Law Maßnahmen des Ständigen Ausschusses an Bedingungen, allen voran an eine Konsultation des CBL. Auch dies spricht gegen eine Übertragung der allgemeinen Auslegungsbefugnis im Sinne des Art. 67 Abs. 4 VVC auf das Verfassungssystem der SVZ.241 Zwar existiert keine generelle Klausel, nach der für das Hongkonger Grundgesetz ein anderer, dem Common Law zu entnehmender Interpretationsmaßstab gelten soll, doch finden hierauf gerichtete Forderungen242 eine hinreichende systematische Legitimation. Sie können sich, neben den genannten Gesichtspunkten, auf den quasi-konstitutionellen Charakter des zu interpretierenden Rechtstextes berufen sowie auf die Vorschrift des Art. 159 BL verweisen, deren Verfahren andernfalls durch Auslegung umgangen werden könnte. Entscheidungen des Ständigen Ausschusses mit Bezug auf Art. 23 BL, sei es vor dem Hintergrund des Art. 17 Abs. 3 BL, dem des Art. 158 Abs. 1 BL oder dem des Art. 160 Abs. 1 BL, beruhen daher einzig auf der Ermittlung, nicht aber Modifikation des 237 Vgl. insbesondere die Resolution des Ständigen Ausschusses „für eine verbesserte Rechtsauslegung“ von 1981, dazu Wen, in: Chen/Ghai/Fu/Chan, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 183 (184 f.). 238 Kapitel B. II. 1. d). 239 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 351 ff. 240 Vgl. auch Ghai, in: Chen/Ghai/Fu/Chan, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 3 (12). 241 Siehe Wen, in: Chen/Ghai/Fu/Chan, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 183 (193). 242 Erhoben z. B. von Ghai, in: Chen/Ghai/Fu/Chan, Hong Kong’s Constitutional Debate, S. 3 (50 f.).

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verfassungsrechtlichen Bedeutungsgehalts.243 Eine zweite Begrenzung der Auslegungsbefugnis des Ständigen Ausschusses ergibt sich aus der Staatsschutzklausel selbst. So muss sich die zur Anwendung gebrachte Interpretationsweise nicht nur auf den Aspekt der Normdeutung beschränken, sondern darf darüber hinaus auch keinerlei Vorgaben zur ihrer einfachgesetzlichen Implementierung enthalten. Nur so werden Sinn und Zweck des Art. 23 BL, nämlich die Neufassung des Hongkonger Staatsschutzrechts in Form eines durch die SVZ auszuführenden Gesetzgebungsauftrags,244 nicht unterminiert.245 b) Verdrängung durch volksrepublikanische Strafvorschriften Das in der Volksrepublik geltende Staatsschutzrecht ist für Hongkong in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Zum einen besteht die Befürchtung, Vorschriften, zumindest aber deren Grundwertungen oder konzeptionelle Elemente, könnten im Zuge der Art. 23-Gesetzgebung Eingang finden in das Rechtssystem der SVZ.246 Andererseits erscheint auch eine direkte, exterritoriale Anwendung festlandchinesischer Regelungen denkbar. Während erstere Erwägung die konkrete Ausgestaltung des Hongkonger Rechts betrifft und demnach Gegenstand der Ausführungen zum einfachen Gesetzesrecht sein wird,247 wären die Rechtswirkungen des Art. 23 BL in letzterer Konstellation gänzlich ausgehebelt. Aus diesem Grund sollen nachfolgend Möglichkeiten einer unmittelbaren Geltungsausweitung auf die SVZ erörtert werden. Vorweg jedoch seien die maßgebenden Gesetzeswerke sowie Entwicklungstendenzen des festlandchinesischen Staatsschutzregimes überblickartig dargestellt. Sie bilden einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Art. 23 BL,248 geben womöglich Hinweis auf das durch diesen geforderte Regelungsmaß249 und erklären, warum eine etwaige Rechtsübertragung in Hongkong auf breite Ablehnung stößt.250 243

So auch H. Fu/Cullen/Choy, Journal of Chinese and Comparative Law 5 (2002), 45 (57). 244 Vgl. Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 13 (22); H. Fu, HKLJ 27 (1997), 229 (232). 245 Ähnlich H. Fu, in: Ash/Ferdinand/Hook/Porter, Hong Kong in Transition, S. 149 (154); H. Fu/Cullen/Choy, Journal of Chinese and Comparative Law 5 (2002), 45 (58). 246 Siehe z. B. Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 13 (22); H. Fu, Nagoya University Journal of Law and Politics 182 (Juni 2000), 35 (39). 247 Siehe Kapitel E. 248 Einen direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung und Umsetzung des festlandchinesischen Staatsschutzsrechts und der Diskussion um Art. 23 BL sehen auch Currie/Petersen/Mok, Academic Freedom in Hong Kong, S. 106. 249 Dieser Auffassung ist zumindest H. Fu, in: Tsang, Judicial Independence and Rule of Law in Hong Kong, S. 73 (76). 250 Den Zusammenhang zwischen der Unterschiedlichkeit beider Rechtstraditionen und der Auseinandersetzung über die Umsetzung des Art. 23 BL betont auch P. Ng,

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

aa) Exkurs: Staatsschutzrecht in der VRC (1) Gesetzeslage (a) Das chinesische Strafgesetzbuch In der Geschichte der VRC dienten Staatsschutznormen regelmäßig der Verfolgung von Dissidenten wie auch Anhängern ethnischer bzw. religiöser Unabhängigkeit und waren Mittel zur Unterdrückung gewerkschaftlicher und weiterer politisch unerwünschter Aktivitäten.251 Sie gelten verbreitet deshalb als das „dunkelste Kapitel des chinesischen Rechts“.252 Maßgebend bis 1979 waren vorwiegend die sogenannten „Regelungen der VRC über die Bestrafung konterrevolutionärer Tätigkeiten“ von 1951.253 Hiernach dienten Strafen als Mittel des Klassenkampfes; neben „Unterdrückung und Abschreckung des Klassenfeindes“ bezweckten sie auch dessen „Erziehung“ und „Erneuerung“.254 Demgegenüber stand der Schutz vor Übergriffen auf persönliche Rechtsgüter im Hintergrund.255 Eine zusammenhängende Kodifizierung des chinesischen Straf- und Strafverfahrensrechts erfolgte erst nach Ende der Kulturrevolution und mit Beginn des durch Deng Xiaoping eingeleiteten Reformprozesses.256 Bestimmungen, die, zumindest vorgeblich, dem Schutz staatlicher Sicherheitsinteressen zu dienen bestimmt waren, fanden sich fortan im ersten Kapitel des Besonderen Teils des chinesischen Strafgesetzbuches (cStGB),257 „Konterrevolutionäre Verbrechen“.258 Obgleich in diesen der Kreis strafbarer Handlungen detaillierter als zuvor beschrieben worden war, fehlte es nach wie vor an einer strengen Gesetzesbindung. Ausmaß und Art ihrer Anwendung lagen weitgehend in der Entscheidungsmacht von Sicherheitsorganen, Staatsanwaltschaft und Gerichten.259

Trust Problem between the Mainland and Hong Kong leading to Criminal Jurisdiction Controversies, S. 50. 251 Munro, Columbia Journal of Asian Law 14 (2000), 1 (70). 252 Münzel, Das Recht der Volksrepublik China, S. 82. Ähnlich Munro, Columbia Journal of Asian Law 14 (2000), 1 (66). 253 Zurückgehend auf die „Regelungen der Chinesischen Sowjetrepublik zur Unterdrückung der Konterrevolution“ vom 08.04.1934. Zum politischen Strafrecht in den durch die KPCh vor ihrer Machtergreifung verwalteten Landesteilen siehe Griffin, The Chinese Communist Treatment of Counterrevolutionaries. 254 Vgl. Tao, Cornell Law Review 52 (1966–1967), 43 (45). 255 F. Lin, American Journal of Comparative Law 13 (1964), 80 (82 f.). 256 Hierzu bereits oben, Kapitel B. II. 2. 257 Verabschiedet auf der zweiten Sitzung des V. Nationalen Volkskongresses am 01.07.1979, in Kraft seit dem 01.01.1980. Abgedruckt in Journal of Criminal Law and Criminology 73 (1982), 138–170. 258 Kapitel 1 des Besonderen Teils. Der Gesetzestext in der Fassung vom 01.07.1979 ist abgedruckt in The Journal of Criminal Law & Criminology 73 (1982), 138–170. 259 Hansen, Poly Law Review 6 (1980–1981), 46 (50 f.).

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL

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Die bereits erläuterten Reformbemühungen hinsichtlich des chinesischen Rechtssystems260 haben vor dem politischen Strafrecht indes nicht haltgemacht: Mit Beschluss des VIII. Nationalen Volkskongresses vom 14. März 1997 kam es zu umfangreichen Änderungen des chinesischen StGB. Hier wurden an unterschiedlicher Stelle Bemühungen erkennbar, rechtsstaatlichen Ansprüchen zu genügen: So wurde insbesondere der umstrittene261 Art. 79 cStGB a. F. gestrichen, demzufolge, soweit bestehende Straftatbestände die Handlung nicht erfasst hatten, eine Anwendung der nächstliegenden Strafnorm in Betracht zu ziehen war.262 In Art. 3 cStGB wurde der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege aufgenommen. Weiterhin wurde das Gesetz von klassenkämpferischen Zügen weitgehend befreit. So wurde z. B. die Bezugnahme auf den Marxismus-Leninismus und die Theorien Mao Zedongs in Art. 1 cStGB a. F. entfernt.263 Stattdessen betont Art. 4 des aktuellen Strafgesetzbuches die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. An der Verwirklichung beider dieser Ausprägungen einer rule of law werden indes Zweifel angebracht. So werde die Bindung an gesetzliche Vorgaben durch deren vage Formulierungen und den daraus folgenden Auslegungsspielraum der Gerichte und Justizbehörden unterminiert.264 Überdies resultiere eine Ungleichbehandlung verschiedener sozialer Gruppen bereits unmittelbar aus der Ausgestaltung einzelner Tatbestände.265 In Art. 5 cStGB wurde das Prinzip der Tatschuld, d.h. die Begrenzung der Strafe auf ein gegenüber dem schuldhaft begangenen Unrecht angemessenes Maß, verankert. An der Todesstrafe wurde bei der Strafrechtsnovellierung festgehalten.266 Angedroht ist ihre Verhängung in insgesamt 61 Delikten des chinesischen Strafgesetzbuches, davon in acht des Abschnitts über Gefährdungen der Staatssicherheit. Die Anzahl der Straftaten, die mit einer Hinrichtung sanktioniert werden können, hat sich damit mehr als verdreifacht.267 Dies kann zum Teil jedoch auch auf den Anstieg der Bestimmungen des Besonderen Teils auf ebenfalls mehr als das Dreifache268 zurückgeführt werden. 260 261

Siehe oben, Kapitel B. II. 2. Vgl. z. B. D. Clarke/Feinerman, in: Lubman, China’s Legal Reforms, S. 135

(138). 262 Ein solches Vorgehen erforderte immerhin die Zustimmung des Obersten Volksgerichts. 263 Vgl. Dobinson, Pacific Rim Law & Policy Journal 11 (2002), 1 (26 ff.). 264 Dobinson, Pacific Rim Law & Policy Journal 11 (2002), 1 (30). 265 So sieht beispielsweise Corne eine Privilegierung der besser verdienenden Schichten darin, dass das Delikt der Untreue gemäß Art. 383 cStGB bei Rückgabe des Geldes eine mildere oder keine Strafe nach sich zieht, wohingegen eine solche Ausnahmemöglichkeit hinsichtlich des Betruges und des Raubes nicht vorgesehen ist, China Law & Practice 11 ( Juni 1997), 29 (31). 266 Zu den Änderungen hinsichtlich der Verhängung der Todesstrafe siehe Sunderland, Appeal – Review of Current Law and Law Reform 8 (2002), 18 (25 ff.). 267 Strupp, Das neue Strafgesetzbuch der VR China, S. 68, 72. 268 Die Anzahl von Bestimmungen des Besonderen Teils stieg von 103 auf 351.

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

Die Anzahl der Staatsschutztatbestände sank demgegenüber im Zuge der Neufassung von 20 auf zwölf.269 Abstand genommen hat man vor allen Dingen von Delikten, die tatbestandlich alleine an organisatorische Handlungen oder Äußerungen konterrevolutionären Inhalts angeknüpft hatten.270 Es ist jedoch nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass sich hierdurch der Anwendungsbereich strafrechtlicher Vorschriften hinsichtlich politischer oder aus politischen Erwägungen heraus verbotener Handlungen tatsächlich verengt hat: Trotz geringfügiger Änderungen des Wortlauts sind die meisten Bestimmungen nach wie vor im Abschnitt über den Staatsschutz enthalten;271 andere wurden lediglich in nachfolgende Kapitel verschoben. Diese Normen setzen nun nicht mehr eine konterrevolutionäre Angriffsrichtung voraus, sondern beziehen sich auf Störungen der sozialen oder rechtlichen Ordnung. Dies gilt z. B. für das ehemals in Art. 99 und nun in Art. 300 cStGB zu findende Verbot der Sabotierung der Rechtsvollstreckung durch „religiöse Sekten und Geheimgesellschaften“ 272 oder durch „Organisationen, die Irrlehren bzw. abwegige Doktrinen verbreiten“. Das für schwere Fälle einer solchen Tat vorgesehene Mindeststrafmaß wurde gar von fünf auf sieben Jahre angehoben. Ebenso verhält es sich mit der ehemals unter Strafe gestellten „konterrevolutionären Propaganda“ gemäß Art. 102 cStGB a. F., die heute, zumindest teilweise, unter die Regelung des Art. 103 Abs. 2 cStGB273 sowie unter Art. 105 Abs. 2 cStGB274 subsumiert werden kann. Ersterer sieht für die „Aufhetzung zur Zerstörung der Einheit des Staates“ eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Weiterhin bleibt offen, inwiefern vormals staatsschutzrechtliche Bestimmungen durch andere Vorschriften quasi absorbiert worden sind.275 Die Streichung von Staatsschutznormen bzw. ihre Verlegung in andere Deliktsgruppen folgte einem Trend zur Entpolitisierung der Strafvorschriften, der auch in der Umbenennung der „konterrevolutionären Verbrechen“ in „Straftaten, die die Sicherheit des Staates gefährden“ 276 zum Ausdruck gekommen ist.277 Derlei 269 Neben den in Kapitel 1 des Besonderen Teils verfassten Sicherheitsbestimmungen besteht eine Reihe weiterer den Schutz staatlicher Sicherheitsinteressen bezweckender Tatbestände. Zu nennen sind vor allem die in den Art. 368 bis 381 cStGB unter Strafe gestellten Handlungen, „die Interessen der Landesverteidigung gefährden“. 270 Vgl. Art. 98, 99 und 102 cStGB a. F. 271 Eine Ausnahme besteht nach Dobinson allein hinsichtlich Art. 98 cStGB a. F., Pacific Rim Law & Policy Journal 11 (2002), 1 (26). 272 Zitate aus dem chinesischen StGB folgen der Übersetzung von Strupp, Das neue Strafgesetzbuch der VR China, S. 99. 273 Vgl. den gemeinsamen Bericht der NGOs Human Rights Watch und Human Rights in China, „Whose Security? ,State Security‘ in China’s New Criminal Code“, S. 16. 274 Cai, Columbia Journal of Asian Law 11 (1997), 213 (214). 275 Siehe H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 63 (66). 276 Art. 102 bis 113 des chinesischen StGB. 277 H. Fu, Nagoya University Journal of Law and Politics 182 (Juni 2000), 35 (38).

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL

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Änderungen gehen allerdings nicht notwendigerweise mit einer Liberalisierung des Rechtsregimes einher.278 Im Gegenteil hat sich mit der Reform von 1997 eine Verschärfung hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen ergeben, die zahlreiche Kritik auf sich gezogen hat.279 Anders als in der ursprünglichen Gesetzesfassung, in der stets die Feststellung einer „konterrevolutionären Absicht“ 280 vonnöten gewesen ist,281 kann heute ein gegen die staatliche Ordnung gerichteter Vorsatz bereits aus den Umständen der Tatbegehung abgeleitet werden. De facto entfällt damit das staatsfeindliche Motiv auf Seiten des Täters als Strafbarkeitsbedingung.282 (b) Weitere Regelwerke Neben dem Strafgesetzbuch bestehen weitere mit Staatsschutz befasste Regelwerke. Dazu gehören das „Gesetz über Verwaltungsstrafen“ 283 und auch das Gesetz284 sowie die Anordnungen285 hinsichtlich der Verhängung von Verwaltungsstrafen in Bezug auf Störungen der öffentlichen Ordnung. Darüber hinaus ist das „Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen“ von Relevanz, welches am 1. Mai 1989 in Kraft getreten ist.286 Dieses definiert in Art. 2 ein Staatsgeheimnis als Angelegenheit, die von „wesentlicher Bedeutung für die Staatssicherheit und nationale Interessen“ ist und einem begrenzten Personenkreis anvertraut ist. Art. 8 enthält eine nicht abschließende Aufzählung der geheim zu haltenden Gegenstände. Hierunter finden sich auch nicht unmittelbar sicherheitsrelevante Materien wie die soziale und ökonomische Entwicklung des Landes und Geheimnisse politischer Parteien. Weitere Bereiche wie „wesentliche politische Entscheidungen“ und „alle durch die Geheimnisschutzbehörden als Staatsgeheimnisse eingestuften Angelegenheiten“ machen die sachliche Reichweite des Geheimnisschutzes in der VRC prinzipiell uferlos.287 Auch wenn 278 Strupp spricht bezüglich der Umbenennung insofern von einem „ideologiebereinigten Euphemismus“, Das neue Strafgesetzbuch der VR China, S. 68. 279 Vgl. z. B. den gemeinsamen Bericht der NGOs Human Rights Watch und Human Rights in China, „Whose Security? ,State Security‘ in China’s New Criminal Code“, S. 13. 280 Vgl. Art. 90 des chinesischen StGB a. F. 281 Vgl. Meijer, Review of Socialist Law 6 (1980), 125 (133). Wenngleich bereits nach damaliger Rechtsprechung auf diese Absicht allein aufgrund objektiver Tatsachen ausreichend Rückschluss gezogen werden konnte. 282 H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 63 (67). 283 Verabschiedet am 17.03.1996, in Kraft seit dem 01.10.1996. 284 Verabschiedet am 25.08.2005, in Kraft seit dem 01.03.2006. 285 Verabschiedet am 05.09.1986, zuletzt geändert am 12.05.1994. 286 Dieses hat die „Provisorischen Regelungen zum Schutz von Staatsgeheimnissen“ aus dem Jahr 1951 ersetzt. 287 Gelatt, Cornell International Law Journal 22 (1989), 255 (260).

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

Art. 8 gegenüber der Vorgängerregelung, nach der praktisch das gesamte staatliche Leben umfasst war,288 dem Wortlaut nach abgemildert wurde, hat sich sein Anwendungsbereich somit kaum verengt.289 Dazu kommt, dass die Festlegung der jeweiligen Geheimhaltungsstufe290 sowie die Zeitdauer des Geheimnisschutzes nach den für dieses Gesetz 1990 erlassenen Durchführungsanordnungen einer Vielzahl unterschiedlicher Verwaltungsstellen obliegt.291 Dies wiegt umso schwerer, als dass gemäß Art. 12 Abs. 1 des chinesischen Verwaltungsprozessrechts Angelegenheiten, die die „nationale Verteidigung“ oder die „Außenbeziehungen“ betreffen, nicht justiziabel sind.292 Hinsichtlich der konkreten Einordnung einer Information als vertraulich besteht aufgrund der relativen Unbestimmtheit der Regelungen und mangels gerichtlicher Kontrolle ein erheblicher behördlicher Beurteilungsspielraum.293 Dies ist vor allem deshalb problematisch, weil an die Verletzung von Staatsgeheimnissen in den Art. 109, 111 und 282 des chinesischen StGB schwerwiegende strafrechtliche Sanktionen geknüpft sind, die bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe oder gar Todesstrafe reichen.294 Nach Art. 282 cStGB kann bereits der Besitz als Staatsgeheimnis eingestufter Informationen eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich ziehen. Von grundlegender Bedeutung für das Staatsschutzrecht in der VRC ist zuletzt auch das 1993 in Kraft getretene Staatssicherheitsgesetz (SSG). Dieses legt die Kompetenzen der mit Staatsschutz befassten Behörden fest, gibt diesen Untersuchungs- und Verfolgungsmittel an die Hand und stellt zudem Handlungsanweisungen auf (Art. 6 ff. SSG). Art. 13 SSG verpflichtet staatliche Stellen zur Rücksichtnahme auf die gesetzlich zugesicherten Individualrechte. Auf der anderen Seite stellt das Gesetz eine Vielzahl an Bürgerpflichten auf. So ist jeder Chinese angehalten, den Staatsschutzbehörden bei ihrer Arbeit behilflich zu sein (Art. 16 SSG) und etwaige Gefährdungen der nationalen Sicherheit umgehend zu melden (Art. 17 SSG); Art. 19 SSG kodifiziert eine allgemeine Pflicht zum Schutz von Staatsgeheimnissen. Die Verletzung von Kooperationspflichten bei Kenntnis von 288

Siehe Senger, Der Staatsgeheimnisschutz in der Volksrepublik China, S. 23. Human Rights Watch/Human Rights in China, „Whose Security? ,State Security‘ in China’s New Criminal Code“, S. 20 f. 290 Art. 9 des Gesetzes zum Schutz von Staatsgeheimnissen unterscheidet je nach Geheimhaltungsgrad zwischen den Kategorien „streng geheim“, „vertraulich“ und „geheim“. 291 Regelungen hierzu finden sich zudem bereits in Art. 10 f. des Gesetzes zum Schutz von Staatsgeheimnissen. 292 Nach H. Fu/Cullen, Columbia Journal of Transnational Law 34 (1996), 449 (466), seien diese Materien zwar grundsätzlich enger gefasst als der Bereich der „nationalen Sicherheit“, doch lasse sich angesichts der weiten Auslegungspraxis hieraus noch kein engerer Geltungsbereich der Ausnahmeregelung folgern. 293 So auch Woodman/Yu, in: Coliver/Hoffman/Fitzpatrick/Bowen, Secrecy and Liberty, S. 223 (232). 294 Bei besonders großem Schaden für die VRC nach Art. 113 Abs. 1 cStGB. 289

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Spionage kann zudem eine Verwaltungsstrafe von bis zu drei Jahren Freiheitsentzug, eine Gewahrsamnahme von bis zu 15 Tagen sowie, im Zuge einer entsprechenden Anwendung des Art. 162 cStGB,295 Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren nach sich ziehen (Art. 26 SSG). Die Art. 4, 27 und 32 SSG ordnen die Bestrafung von „Gefährdungen der nationalen Sicherheit“ an und verweisen hierfür auf das chinesische Strafgesetzbuch. Solche Gefährdungen liegen vor bei: subversiven gegen die Regierung gerichteten Tätigkeiten, dem Umsturz des sozialistischen Systems, der Teilnahme an bzw. Hinnahme von Spionagetätigkeiten, dem Diebstahl, dem Zusammentragen, dem Kauf und der unrechtmäßigen Weitergabe von Staatsgeheimnissen sowie der Anwerbung von Agenten im öffentlichen Dienst. Zuletzt zählen hierzu auch jegliche andere die Staatssicherheit gefährdende „Sabotageakte“. Da unklar ist, welche Handlungen hierunter fallen, ist die Aufzählung in Art. 4 SSG faktisch jedoch bloß beispielhaften Charakters und beinhaltet keine Begrenzung des behördlichen Beurteilungsspielraums.296 Neben den umfassenden, teils strafbewehrten Bürgerpflichten und der mangelnden Bestimmtheit unterscheidet sich das chinesische Staatssicherheitsgesetz von Rechtsregimen westlicher Prägung vor allem dadurch, dass den Staatsschutzbehörden polizeiliche Untersuchungs- und Festnahmebefugnisse eingeräumt sind297 und sie nur unzureichend gerichtlicher Kontrolle unterstehen.298 (2) Rechtspraxis Unabhängig von der normativen Ausgestaltung des Staatsschutzes erklingt regelmäßig der Vorwurf einer politisch gelenkten Rechtsanwendung in diesem Bereich. Anlass für solche Kritik gab jüngst z. B. die Festnahme Liu Xiaobos. Als Mitinitiator der sogenannten „Charta 08“, einer Petition für Demokratie und Menschenrechte in der VRC,299 wurde ihm vorgeworfen, gemäß Art. 105 Abs. 2 cStGB „Gerüchte und Verleumdungen verbreitet und dadurch zur Subversion der Staatsmacht aufgehetzt zu haben“.300 Nach eben dieser Vorschrift wurde der Bür295 Diese Regelung bezieht sich eigentlich auf die Schädigung von Gläubigerinteressen durch „Verschleierung von Vermögenswerten bei der Rechnungslegung“ oder Manipulation bei der Bilanzierung. 296 Woodman/Yu, in: Coliver/Hoffman/Fitzpatrick/Bowen, Secrecy and Liberty, 223 (237). 297 Vgl. H. Fu/Cullen, Columbia Journal of Transnational Law 34 (1996), 449 (461 ff.). 298 Siehe Woodman/Yu, in: Coliver/Hoffman/Fitzpatrick/Bowen, Secrecy and Liberty, S. 223 (228); H. Fu/Cullen, Columbia Journal of Transnational Law 34 (1996), 449 (467). 299 Siehe hierzu Kupfer, ZEIT Online vom 11.03.2009, einsehbar unter http://www. zeit.de/online/2009/05/china-charta08-opposition (Stand: 20.08.2011), Nass in der ZEIT vom 15.01.2009, S. 6, sowie die Meldung „Kritiker in Haft“ im Spiegel vom 15.12.2008, S. 98. 300 Siehe z. B. Radisch in der ZEIT vom 02.07.2009, S. 4.

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gerrechtler Hu Jia im April 2008 für seine in einem Blog301 und in mehreren Interviews geäußerte Kritik an der KPCh zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.302 Generell wird Journalisten aufgrund regierungskritischer Pressebeiträge oder aus anderen Gründen unliebsamer Medienberichterstattung nicht selten die „Untergrabung der Staatsgewalt“ oder der „Verrat von Staatsgeheimnissen“ zur Last gelegt.303 Die Unbestimmtheit solcher Straftatbestände304 ist insbesondere auch durch Beschlüsse des Ständigen Ausschusses des NVK, wie z. B. zu den Art. 103 und 105 cStGB, deutlich geworden. Die dortige Auflistung von unter diese Regelungen zu subsumierenden Handlungen erweckt eher den Eindruck einer Ausweitung als den einer Konkretisierung der gesetzlichen Tatbestände.305 Vor allem die 1999 im Hinblick auf Falun Gong306 ergangene „Interpretation“ des Art. 300 cStGB durch den Ständigen Ausschuss des NVK307 kann insofern als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot308 gewertet werden.309 Die Anzahl abgeschlossener Verfahren wegen Verstößen gegen politisches Strafrecht hat sich in den Jahren nach der Überarbeitung des Strafgesetzbuches nicht verringert. Legt man einen Vierjahreszeitraum jeweils vor und nach der Reform zugrunde, kam es gar zu einem Anstieg von 199 auf 256 Fälle im Jahresdurchschnitt.310 Nach Ansicht einiger Beobachter sei hierbei zu berücksichtigen, dass, um den Anschein politischer Repression zu zerstreuen, es verbreitete Praxis ist, Sanktionen gegen Dissidenten nicht aufgrund von Staatsschutznormen zu verhängen, sondern aufgrund der Verletzung sachfremder Regelungen wie z. B. der Förderung der Prostitution.311 Eine weitere Vorgehensweise, durch die hohe Verurteilungszahlen im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung vermieden werden,

301 Zur Kontrolle des Internets durch chinesische Behörden siehe Wacker, Hinter der virtuellen Mauer, S. 30 ff. 302 Siehe den Bericht des World Committee to Protect Journalists „CPJ’s 2008 Prison Census: Online and in Jail“ vom 04.12.2008. 303 Vgl. z. B. die Meldung des World Committee to Protect Journalists „Journalist Tried on ,Subversion‘ Charges“ vom 22.01.2008, einsehbar unter http://www.unhcr.org/ refworld/country„CPJ„CHN„48243c4b19,0.html (Stand: 20.08.2011). 304 Dies gilt vor allem für „Subversion“ gemäß Art. 105 cStGB, siehe P. Ng, Trust Problem between the Mainland and Hong Kong leading to Criminal Jurisdiction Controversies, S. 51. 305 Dobinson, Pacific Rim Law & Policy Journal 11 (2002), 1 (49). 306 Vgl. K. Thomas, Pacific Rim Law & Policy Journal 10 (2001), 471 (476 ff.). 307 „Entscheidung über das Verbot von Organisationen, die Irrlehren verbreiten, und über die Verhinderung und Bestrafung kultischer Aktivitäten.“ 308 Vgl. Art. 3 cStGB. 309 Dobinson, Pacific Rim Law & Policy Journal 11 (2002), 1 (44, 49). 310 Vgl. den Bericht „Statistics on Political Crime in the People’s Republic of China“ der Dui Hua-Stiftung, einsehbar unter http://www.duihua.org/work/publications/op/sta tistics.htm (Stand: 20.08.2011). 311 Munro, Columbia Journal of Asian Law 14 (2000), 1 (67).

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sei der Erlass außergerichtlicher Verwaltungsstrafen.312 Ferner wird vermutet, dass die Zentralregierung politisches Strafrecht vorrangig in aus ihrer Sicht besonders schwerwiegenden Fällen zum Einsatz bringen möchte, in diesen dann jedoch auf einen Abschreckungseffekt hinsichtlich der anderen Tatbeteiligten bzw. der Sympathisanten des Verurteilten zielt.313 (3) Fazit Unterschiedliche Gesetzesänderungen auf dem Gebiet des chinesischen Staatsschutzes, allen voran im Zuge der Strafrechtsreform von 1997, haben als Grundtendenz eine dem Rechtsstaatsprinzip entsprechende Objektivierung der Strafrechtsverfolgung erkennen lassen. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus der Kodifizierung des Analogieverbots und der Einführung eines Gleichheitsgrundsatzes, der Vervielfachung materieller Strafrechtsvorschriften und des damit erhöhten Regelungsgrades sowie einer Entpolitisierung des chinesischen Strafgesetzbuches, in deren Folge die Bezugnahme auf politische Ideologie durch Bezugnahme auf die Interessen und die Funktionstüchtigkeit des Staatswesens ersetzt worden ist. Nimmt man allerdings eine rule of law Hongkonger Prägung zum Maßstab, verbleiben Defizite: Allen voran sind zentrale Rechtsbegriffe nicht hinreichend definiert; nähere Ausführungen zur ihrer Bedeutung bleiben beispielhaften Charakters. Ferner ist es durch die Neufassung des cStGB auch zu Verschärfungen gekommen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Verzicht auf die überschießende Innentendenz im Sinne einer „konterrevolutionären Absicht“.314 Derlei Lockerungen der tatbestandlichen Voraussetzungen erscheinen besonders fatal, da an den vergleichsweise drakonischen Strafmaßen festgehalten worden ist und diese von der Rechtsprechung auch ausgereizt werden. Damit ergibt sich ein uneinheitliches Bild: Rechtliche Defizite und der Einsatz des Staatsschutzrechts zur Verfolgung politischer Opposition und als – aus westlicher Sicht – unverhältnismäßige Beschneidung freier Meinungsäußerung stehen die Überarbeitung zahlreicher Straf- und Staatsschutzvorschriften sowie das darin zum Ausdruck gebrachte Bekenntnis zu mehr Rechtsstaatlichkeit315 gegen-

312

Munro, Columbia Journal of Asian Law 14 (2000), 1 (66 f.). Woodman/Yu, in: Coliver/Hoffman/Fitzpatrick/Bowen, Secrecy and Liberty, S. 223 (225). 314 Siehe H. Fu, Kapitel III., Fn. 275. 315 Bezugnehmend auf die Einfügung der Rechtsgrundsätze in Art. 3 ff. cStGB. Vgl. allgemein auch Biddulph, Legal Reform and Administrative Detention Powers in China, S. 240 ff. 313

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über.316 In Bezug auf die Diskussion um eine Novellierung des Hongkonger Rechts ist darauf hinzuweisen, dass zwischen dem festlandchinesischen Rechtssystem und dem der SVZ Wertungsunterschiede fortbestehen. Diese kommen, trotz Annäherungen an die rule of law seitens der VRC, in der legislativen Ausgestaltung, vor allem aber in der behördlichen und gerichtlichen Anwendung des politischen Strafrechts zum Ausdruck. Der Umfang staatlicher Sicherheitsinteressen und die Bedeutung, die der Effizienz ihrer Durchsetzung gegenüber individuellen Freiheitsrechten, speziell der Meinungs- und Pressefreiheit,317 zugemessen wird, kennzeichnen ein originär anderes Funktionsverständnis318 und verschärfen mithin die Problematik des Art. 23 BL vor dem Hintergrund „Ein Land, zwei Systeme“. bb) Exterritoriale Anwendung auf die SVZ Hongkong Zwei Möglichkeiten einer unmittelbaren Geltung festlandchinesischen Rechts in der SVZ wurden bereits erörtert:319 Zum einen können nach Art. 18 Abs. 3 BL der Gesetzesliste in Annex III des Basic Law weitere Gesetze, die „Angelegenheiten außerhalb Hongkongs Unabhängigkeit“ betreffen, hinzugefügt werden. Zum anderen ist die Zentralregierung nach Ausrufung des Notstands durch den Ständigen Ausschuss des NVK befugt, die Anwendung volksrepublikanischer Gesetze auf Hongkong anzuordnen. Fraglich ist, inwieweit sich chinesisches Strafrecht darüber hinaus auch aus sich selbst heraus auf die SVZ Hongkong erstrecken kann. So fallen zunächst nach Art. 6 Abs. 1 cStGB alle auf chinesischem Staatsgebiet unternommenen Handlungen in den Geltungsbereich des chinesischen Strafgesetzbuches. Entsprechend dem deutschen Ubiquitätsprinzip gemäß § 9 StGB320 reicht es dabei aus, wenn es zu Folgewirkungen der Tat in der VRC gekommen ist (Art. 6 Abs. 3 cStGB). Nach dem in den Art. 7 und 8 cStGB kodifizierten aktiven und passiven Personalitätsprinzip ist das festlandchinesische Strafrechtsregime zuständig, soweit es sich bei Täter oder Opfer der Tat um einen chinesischen Staatsbürger gehandelt hat. Folgte man dem Wortlaut dieser Regelungen, fände das cStGB und das darin kodifizierte Staatsschutzrecht unmittelbar Anwendung auf die 316 Die Strafrechtsreform von 1997 hat damit entgegen Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, S. 78, mehr als nur „kosmetische Bedeutung“. 317 Zum grundsätzlichen Verständnis dieser Rechte in der chinesischen Rechtstradition siehe S. Müller, Konzeptionen der Menschenrechte im China des 20. Jahrhunderts, S. 231 ff. 318 Vgl. Münzel, Das Recht der Volksrepublik China, S. 65 ff., 82 ff. 319 Siehe Kapitel C. II. 2. c) bb). 320 Vgl. Schönke/Schröder-Eser, Strafgesetzbuch, § 9, Rn. 3. Hinsichtlich des in diesem Kontext insbesondere den Staatsgeheimnisschutz betreffenden Gebrauchs des Internets siehe Hilgendorf, NJW 50 (1997), 1873 (1873 ff.).

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Einwohner der SVZ Hongkong sowie die in ihr begangenen Verbrechen. Nach Art. 18 Abs. 2 BL bleiben nationale Gesetze in Hongkong jedoch grundsätzlich ohne Wirkung.321 Auch ist der Ausdruck des „chinesischen Territoriums“ (Art. 6 cStGB) sowie des „chinesischen Staatsbürgers“ (Art. 7 und 8 cStGB) im Lichte des Organisationsprinzips „Ein Land, zwei Systeme“ auszulegen, das in Art. 31 VVC verfassungsrechtlich Niederschlag gefunden hat. Die Anwendungsregeln des cStGB beziehen sich daher nicht auf das Staatsgebiet im Sinne des Völkerrechts, sondern betreffen die Abgrenzung der festlandchinesischen Jurisdiktion gegenüber sowohl ausländischen Rechtsordnungen als auch denen der Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao.322 Dem entspricht auch die ständige, mittlerweile wohl bereits Gewohnheitsrecht begründende Rechtspraxis in der VRC. Gleichwohl sind Konstellationen denkbar, in denen gemäß Art. 6 cStGB volksrepublikanische Gerichte Bürger mit ständigem Aufenthaltsrecht in der SVZ Hongkong strafrechtlich zur Verantwortung ziehen. Geschehen ist dies 1998 im viel diskutierten Big Spender-Fall,323 in dem die betreffende Person mehrere Straftaten, wie Waffenschmuggel und bewaffneten Raub, sowohl auf dem Festland als auch in Hongkong verübt hatte. Dabei wurde bereits die Sicherung der Beute auf dem Festland als hinreichende Folgewirkung verstanden und somit eine Verurteilung nach volksrepublikanischem Recht gerechtfertigt. Diese extensive Interpretation des Territorialprinzips ist in der SVZ auf Kritik gestoßen.324 Da sie vom Wortlaut des Art. 6 cStGB gedeckt ist und sich aus dem Basic Law keine entgegenstehende Wertung herleiten lässt, ist sie rechtlich indes nicht zu beanstanden.325 Dennoch erscheint eine weite Auslegung des Art. 6 cStGB problematisch, soweit materielle Wertungen in den beiden Jurisdiktionen auseinander laufen:326 Insbesondere sind gemäß Art. 22 cStGB auch reine Vorbereitungshandlungen, also Tätigkeiten, die noch nicht das Versuchsstadium327 erreicht haben, unter Strafe gestellt. So könnte beispielsweise die in Hongkong straffreie Planung eines später als „subversiv“ eingestuften Presseartikels zur Verurteilung durch Strafgerichte der VRC führen, soweit von diesen Auswirkungen auf das Festland bejaht werden. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Integration

321 A.A. H. Fu/Cullen, nach denen man eine Geltung festlandchinesischen Strafrechts allein mit Hinweis auf den allgemeinen Geist des Basic Law ablehnen könne, UCLA Pacific Basin Law Journal 19 (2002), 185 (221). 322 Zu diesem Ergebnis kommt auch H. Fu, HKLJ 28 (1998), 273 (276). 323 Ausführlich hierzu K. Wong, in: Broadhurst, Crime and Its Control in Greater China, S. 214 ff. 324 Vgl. P. Ng, Trust Problem between the Mainland and Hong Kong leading to Criminal Jurisdiction Controversies, S. 54. 325 H. Fu, HKLJ 28 (1998), 273 (280). 326 H. Fu, in: Ash/Ferdinand/Hook/Porter, Hong Kong in Transition, S. 149 (156). 327 Siehe hierfür Art. 23 cStGB.

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

Hongkongs in die VRC und des hohen Personenverkehrs zwischen beiden Seiten lassen sich Konsequenzen im Sinne des Art. 6 cStGB leicht begründen. Dies gilt in besonderem Maße für Straftatbestände wie die „Aufhetzung zur Zerstörung der Einheit des Staates“ (Art. 105 cStGB) und den „Verrat von Staatsgeheimnissen“ (Art. 111 cStGB), denen ihrer Natur nach oftmals grenzüberschreitende Wirkung zukommt. Umgekehrt sind nach Art. 7 cStGB auch Fälle denkbar, in denen Festlandchinesen für in der SVZ begangene Taten nach dem cStGB zur Rechenschaft gezogen werden.328 Aus den Geltungsbestimmungen zum chinesischen Strafgesetzbuch resultiert mithin eine dritte Möglichkeit der Anwendung festlandchinesischen Staatsschutzrechts. Ein Unsicherheitsfaktor entsteht hierbei allem voran aufgrund der weiten Auslegung des Territorialitätsprinzips durch chinesische Gerichte. Gerade weil aber sowohl in Hongkong als auch auf dem Festland das Vertrauen in die strafrechtliche Jurisdiktion der jeweils anderen Seite gering ist, wäre es erstrebenswert, beide Systeme eindeutiger als bislang voneinander zu trennen.329

3. Umsetzungsversuch durch den Security Bill 2003 Wie es bei Einführung einer derart sensiblen Gesetzesmaterie 330 vorherzusehen war, stieß der Security Bill auf heftige Reaktionen sowohl in der Hongkonger Bevölkerung als auch in den betroffenen Fachkreisen. Diese gilt es bei einem künftigen Umsetzungsversuch zu bedenken, und zwar nicht nur bei der Formulierung des Gesetzes, sondern auch hinsichtlich der Art und Weise seiner Einführung. So können aus der in den Jahren 2002 und 2003 gewählten Vorgehensweise331 Lehren gezogen werden, die über den rechtlichen Gehalt der zu implementierenden Vorschriften hinausreichen, deren Beachtung für eine erfolgreiche Realisierung des Verfassungsauftrags nach Art. 23 BL jedoch gleichsam erforderlich ist. Die Vorgänge bis zur Rücknahme des Gesetzentwurfs knapp ein Jahr

328 Ein solcher ist eingetreten im sogenannten Telford Gardens-Verfahren, vgl. dazu H. Fu, HKLJ 28 (1998), 273 (273). 329 So auch H. Fu, HKLJ 27 (1997), 229 (246). 330 Vgl. z. B. Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (1); H. Fu, in: Tsang, Judicial Independence and Rule of Law in Hong Kong, S. 73 (73), sowie Nagoya University Journal of Law and Politics 182 (Juni 2000), 35 (35). 331 Beispielhaft für das politisch unglückliche Verfahren der Regionalregierung sind die Äußerungen der damaligen Ministerin für öffentliche Ordnung und Sicherheit, Regina Ip. Sie bestritt die politische Bedeutung des Gesetzes und zeigte sich resolut mit Blick auf die Kritik der Öffentlichkeit, siehe ihre Erklärung „HK needs laws to protect national security“, einsehbar unter http://www.basiclaw23.gov.hk/english/focus/focus 5.htm (Stand: 20.08.2011). Genauer zum Auftreten Ips während der Art. 23-Krise siehe Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 154 f.

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL

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nach seiner Ankündigung seien deshalb hier nachgezeichnet. Daran anschließend finden sich diejenigen Gesichtspunkte herausgearbeitet, die nicht im Gesetz selbst begründet liegen, aber dennoch zu seinem Scheitern beigetragen haben. a) Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Bereits zu Beginn der neunziger Jahre kam es zu einer teilweisen Überarbeitung des Hongkonger Staatsschutzrechts. Um den Anforderungen des 1991 verabschiedeten Bill of Rights332 gerecht zu werden, hatte man den Societies Ordinance333 und den Public Order Ordinance334 überarbeitet.335 Diese Gesetzesreformen wurden allerdings durch den chinesisch dominierten PLC 336 mit Wirkung zum 1. Juli 1997 zurückgenommen.337 Mit dem Crimes Amendment Bill von 1996338 hatte die Kolonialregierung die Tatbestände der Sezession und der Subversion geschaffen und Änderungen an den Tatbeständen der Aufwiegelung und des Hochverrats vorgenommen – eher jedoch aus Pragmatismus als aus Überzeugung strafrechtlicher Notwendigkeit. So hoffte man, mit an Art. 23 BL ausgerichteten und dennoch liberal formulierten Vorschriften der Einführung schärferer Bestimmungen unter Herrschaftsgewalt der VRC zuvorzukommen.339 Der Entwurf sah für Sezession und Subversion objektiv jeweils den Einsatz gewaltsamer Mittel und subjektiv ein absichtliches Handeln vor.340 Er wurde trotz

332

Siehe oben, Kapitel B., Fn. 102. Siehe Kapitel C., Fn. 207. 334 Cap. 245, Public Order Ordinance (No. 64), in Kraft seit dem 17.11.1967. 335 Amendment (No. 75, 1992) bzw. Amendment (No. 77, 1995). 336 Zu seiner Einsetzung siehe oben, Kapitel B. I. 2. d). 337 Entscheidung vom 14.06.1997. Kritisiert wurde insbesondere die Möglichkeit der Zurückweisung einer vereinsrechtlichen Eintragung aus Gründen der „nationalen Sicherheit“, später definiert als „Schutz der territorialen Integrität und Unabhängigkeit der VRC“. Ohne praktische Auswirkungen blieb dagegen die bereits im Februar desselben Jahres beschlossene Streichung der Art. 2, 3 und 4 des Bill of Rights nach Art. 160 Abs. 1 BL. Da die aufgehobenen Regelungen ohnehin geltende Prinzipien des Common Law zum Inhalt gehabt hatten, handelte es sich hierbei weniger um einen substanziellen Einschnitt als um eine gesichtswahrende Maßnahme Pekings hinsichtlich des von Beginn an kritisch beäugten Individualrechtskatalogs, siehe J. Chan, Hong Kong Human Rights Bibliography, S. ii. Allgemein zur Rücknahme von Gesetzen nach dem Machtwechsel 1997 siehe Y. Li, in: Saunders/Hassall, Asia-Pacific Constitutional Yearbook 1997, S. 57 (62 ff.). 338 No. 2, 1996. 339 Solche Erwägungen leiteten z. B. die Democratic Party, vgl. Erwägungsgrund Nr. 12 des Report of the Bills Committee on the Crimes (Amendment) (No. 2) Bill 1996. Kritiker bemängelten hingegen, der Wortlaut der neuen bzw. geänderten Regelungen lasse immer noch zu weite Grundrechtsbeschränkungen zu, vgl. Punkt Nr. 13 desselben Berichts. 340 Vgl. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 72 f. 333

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

erbitterter Kritik aus Peking341 wenige Tage vor dem Souveränitätswechsel verabschiedet und ausgefertigt, trat aufgrund der fehlenden Verkündung im Hongkonger Gesetzesblatt jedoch niemals in Kraft.342 Ohne dass es zwischenzeitlich zu größeren Veränderungen im Bereich des Staatsschutzrechts gekommen war, veröffentlichte am 24. September 2002 das Hongkonger Security Bureau343 das sogenannte Consultation Document on Proposals to Implement Article 23 of the Basic Law344 und läutete damit eine dreimonatige Beratungsphase ein, in der Privatpersonen wie Berufsverbänden, Nichtregierungsorganisationen und sonstigen Einrichtungen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.345 Ergebnisse der insgesamt 97.097 Einsendungen wurden am 28. Januar 2003 zusammen mit den daraus folgenden Modifikationen am Gesetzesentwurf der Öffentlichkeit präsentiert. Am 26. Februar 2003 wurde der Security Bill erstmals dem LegCo vorgelegt. Eine Kommission, die zur weiteren Ausarbeitung der Art. 23-Gesetzgebung ins Leben gerufen worden war, nahm im Folgemonat ihre Beratungen auf. Die durch sie erarbeiteten Vorschläge fanden Eingang in eine neue am 3. Juni 2003 vorgestellte Gesetzesversion; ein Abschlussbericht wurde Ende Juni 2003 beim House Committee des LegCo eingereicht. Diverse von der Regionalregierung erörterte Änderungsmöglichkeiten346 sowie die parallele Überarbeitung durch den parlamentarischen Gesetzgebungsausschuss konnten die Kritik am Security Bill allerdings nicht zerstreuen. Getragen von einer weit gefächerten Opposition347 kam es am 1. Juli 2003, zum sechsten Jahrestag des Souveränitätswechsels, zur mit mehr als 500.000 Teilnehmern zweitgrößten Demonstration der Stadtgeschichte.348 Unter dem Eindruck dieser 341

L. Choy, SCMP vom 27.11.1996, S. 2. Die Erforderlichkeit einer Verkündung war in Art. 1 des Änderungsgesetzes ausdrücklich klargestellt. 343 Welches mit Zuständigkeiten unter anderem für Polizei, Einwanderung und Zoll quasi als „Innenministerium“ der SVZ fungiert. 344 Nachfolgend auch nur „Consultation Document“. 345 Ausschlaggebend war nach Lo ein Besuch Jiang Zemins im Juli 2002, bei dem dieser mit protestierenden Anhängern Falun Gongs konfrontiert gewesen war, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 152. 346 So wurden am 7., 16. und 25.06.2003 seitens der Regierung Änderungsmöglichkeiten zur Diskussion gestellt. 347 Eine Auflistung der zahlreichen Organisationen und politischen Parteien, die gegen den Security Bill Stellung bezogen haben, findet sich bei Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 161 ff. 348 Es handelte sich um die größte Demonstration seit den Protesten gegen die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung in Peking im Frühjahr 1989, siehe dazu Miners, The Government and Politics of Hong Kong, S. 27. Während die Regierung von 500.000 Teilnehmern sprach, gehen Schätzungen unabhängiger Beobachter teils von weit höheren Zahlen aus, Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 13 (13). 342

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL

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unerwartet massiven Proteste349 ging die Lokalregierung in drei wesentlichen Punkten auf ihre Kritiker zu.350 Für die Arbeit der Presse von Bedeutung war dabei primär die Aufnahme des Rechtfertigungsgrundes des „öffentlichen Interesses“ hinsichtlich der Bekanntmachung nicht freigegebener behördlicher Informationen.351 Trotz dieser Zugeständnisse entzog James Tien, Vorsitzender der grundsätzlich als „pro-Beijing“ eingestuften Liberal Party, der Gesetzesinitiative seine Unterstützung und trat als Mitglied des Executive Council 352 am 7. Juli 2003 zurück. LegCo-Abgeordnete der Liberal Party sprachen sich daraufhin gegen den Security Bill aus, womit es der Regierung nun an der für den Gesetzeserlass erforderlichen Parlamentsmehrheit fehlte. Begleitet von weiteren Protesten353 votierte der LegCo am 9. Juli 2003 für eine Verschiebung der zweiten Lesung; einige Tage darauf beschloss man die Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens zwecks weiterer Konsultationen. Da trotz dieser dem Security Bill öffentliche Zustimmung und insbesondere die notwendige Mindestanzahl an Stimmen im Legislativrat versagt blieben, zog man ihn am 5. September 2003 endgültig zurück.354 b) Analyse und Fazit Wie durch die zahlreichen Proteste deutlich geworden ist, stieß die Initiative zur Umsetzung des Verfassungsauftrags gemäß Art. 23 BL in Hongkong wie auch im Ausland auf große Skepsis,355 gerade auch, da es in den ersten fünf Jahren seit Bestehen der SVZ zu keinerlei signifikanten, die Staatssicherheit berührenden Fällen gekommen war und von dem aus die Erforderlichkeit einer rechtlichen Neufassung in Frage gestellt wurde.356 Ferner waren die äußeren Um349 Wie viele politische Beobachter hatte auch die Lokalregierung das Ausmaß der kritischen Reaktionen auf die Umsetzung des Art. 23 BL unterschätzt, A. Chen, in: Fu/ Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 93 (93). 350 Vgl. die Erklärung von Regierungschef Tung vom 05.07.2003 „Chief Executive’s transcript on Basic Law Article 23“, einsehbar unter http://www.info.gov.hk/gia/gene ral/200307/05/0705158.htm (Stand: 20.08.2011). 351 Siehe dazu noch unten, Kapitel E. II. 2. b) cc). Vorgesehen wurden zudem nicht mehr das Verbot nachgeordneter Organisationen sowie polizeiliche Hausdurchsuchungen ohne Gerichtsbeschluss, vgl. hierzu Young, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 363 (364). 352 So die Bezeichnung für das Kabinett des Hongkonger Verwaltungschefs. 353 Ca. 50.000 Menschen bildeten einen Kreis um das Hongkonger Parlamentsgebäude, siehe J. Cheung/Lee, SCMP vom 10.07.2003, S. 1. 354 Motiv hierfür könnte zudem auch gewesen sein, dass ein Scheitern in zweiter Lesung, da es sich bei dem Security Bill um eine „bedeutende Gesetzesvorlage“ im Sinne des Art. 50 Abs. 1 BL gehandelt hat, eine Parlamentsauflösung und damit eine Ablösung des Verwaltungschefs gemäß Art. 52 Abs. 3 BL zur Folge hätte haben können, vgl. P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 224. 355 Vgl. z. B. J. Cheung, SCMP vom 25.11.2002, S. 3. 356 A. Chen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 93 (95).

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

stände mehr als ungünstig: Die Ankündigung einer Art. 23-Gesetzgebung erfolgte zu einem Zeitpunkt, in dem, zusätzlich zum als missglückt angesehenen Krisenmanagement während der Vogelgrippe357 und der darauf folgenden SARSEpidemie,358 sich auch die Hongkonger Wirtschaftspolitik vermehrter Kritik gegenüber sah. Überdies rückte wachsende Ablehnung gegenüber dem damaligen Verwaltungschef Tung Chee-wah359 das Demokratiedefizit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit und gab Forderungen Auftrieb nach einer baldigen Einführung des allgemeinen Wahlrechts gemäß den Art. 45 Abs. 2 S. 2 und 68 Abs. 2 S. 2 BL.360 Die Proteste gegen Art. 23 BL dienten insofern auch als Ventil für Unzufriedenheit in anderen Politikbereichen.361 Polarisierend wirkte sich weiterhin aus, dass sich Befürworter wie Gegner des Security Bill von ihrer Position Vorteile bei den LegCo-Wahlen 2004 versprachen362 und mit Regina Ip, zu jener Zeit Ministerin im Sicherheitsressort, eine prominente Vertreterin des Pekingfreundlichen Lagers363 für die Rechtsumsetzung verantwortlich zeichnete.364 Mit ihren als bevormundend wahrgenommenen Äußerungen bestätigte Ip die gegenüber der Gesetzesnovelle bestehenden Vorbehalte. So kanzelte sie Einwände gegenüber dem Security Bill als „doomsday scenarios based on spurios grounds“ ab365 und erklärte gar, Teile der Bevölkerung seien aufgrund mangelnder Qualifikation zur Kritik nicht befähigt.366 Mithin lässt sich eine Reihe von Gründen dafür anführen, warum das Gesetzgebungsverfahren trotz erheblicher Öffentlichkeitsarbeit367 bereits in einer frühen Phase politisiert war und dieserhalb kaum mehr zu einem konsensgetragenen Abschluss gebracht werden konnte.

357 Zum Krisenmanagement der Regionalregierung siehe G. Wong/Kwan/Ho, Learning from „Bird Flu“. 358 Durch die ca. 300 Menschen in der SVZ zu Tode gekommen waren. 359 Eine Übersicht über die Zustimmungsraten zur SVZ-Regierung von 1997 bis 2006 findet sich bei Schubert, in: Heberer/Derichs, Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, S. 194. 360 Sing, in: Chan/Harris, Hong Kong’s Constitutional Debates, S. 127 (127). 361 Die Diskussion um die Sicherheitsgesetze wirkte dabei aber zumindest als Katalysator für die sich rasch formierende Protestbewegung, siehe P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 220. 362 P. Leung, The Hong Kong Basic Law. S. 225. 363 Zur grundsätzlichen Unterteilung der Hongkonger Parteienlandschaft siehe bereits Kapitel A., Fn. 5, Kapitel C., Fn. 104. 364 Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 154 ff. 365 Vgl. ihren Kommentar „HK needs laws to protect national security“ im Wall Street Journal vom 30.09.2002, zudem einsehbar unter http://www.basiclaw23.gov.hk/ english/focus/focus5.htm (Stand: 20.08.2011). 366 So äußerte sie sich am 26.09.2002, dass sie nicht bereit sei, mit „Kellnern, McDonalds-Verkäufern und Taxifahrern über Art. 23 BL zu diskutieren“, vgl. Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 152. 367 Investiert hierin wurden mehr als eine Million Hong Kong Dollar, vgl. Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 13 (30).

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL

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Ursachen für das Scheitern des Security Bill finden sich allerdings nicht nur in den politischen Rahmenbedingungen.368 So hatte neben den inhaltlichen Bestimmungen der Gesetzesnovelle auch das für ihre Umsetzung gewählte Verfahren Anlass zur Kritik gegeben. Bemängelt wurde, dass zur Vorbereitung des Consultation Document nicht die Hong Kong Law Reform Commission369 zur Rate gezogen worden war.370 Dieses 1980 ins Leben gerufene Gremium setzt sich zusammen aus Rechtsexperten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und erarbeitet auf Veranlassung des Justizministers oder des vorsitzenden Richters des CFA Gutachten zu unterschiedlichsten Rechtsfragen.371 Eine Einbeziehung dieser stets auf Unabhängigkeit bedachten Kommission hätte das Vertrauen in den Security Bill stärken können und wäre womöglich auch als Signal der Regierung aufgefasst worden, im Verlauf des Implementierungsverfahrens Bedenken der Opposition Rechnung zu tragen. Zur Vorbereitung durch die Kommission empfehlen sich vor allem Gesetzesvorhaben, „where the subject does not fall readily under the responsibility of one particular bureau of Government“, „where the subject raises issues which are outside the Government’s day to day activities“ und „where the subject requires the dedication of full-time legal input to conduct a review“.372 Die Art. 23-Gesetzgebung fällt in den Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Regierungsressorts, vor allem die der Justiz und Sicherheit, sie sprengt aufgrund ihrer rechtlichen Tragweite den Rahmen der politischen Alltagspraxis und bedarf aufgrund ihrer Grundrechtsrelevanz einer umfassenden juristischen Erörterung. Obgleich sie damit die Kriterien für solche Gesetzesvorlagen erfüllt, die sich in besonderer Weise für die Vorbereitung durch die Reform Commission anbieten, wurde eingewandt, dass es sich bei der Implementierung des Art. 23 BL um eine originär politische Aufgabe handele, die alleine in den Tätigkeitsbereich der Regionalregierung falle. Eine Befassung mit Art. 23 BL würde gar den Ruf der Kommission als überparteiliches Beratungsorgan gefährden.373 Konfliktträchtige Rechtsfragen haben die Arbeitsgruppe allerdings bereits in der Vergangenheit beschäftigt.374 Gerade diese verlangen die Einbeziehung der 368 Und selbstverständlich dem noch zu erörternden materiellen Gehalt des Gesetzentwurfs. 369 Nachfolgend auch nur „Reform Commission“. 370 Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 13 (21). 371 Dazu gehörten z. B. der Interessenausgleich zwischen Persönlichkeitsrechten und freier Berichterstattung, die Reform des Urheberrechts sowie das Konzept des „privity of contract“. Eine Liste der behandelten Themen findet sich unter http://www.hkre form.gov.hk/en/publications/subject.htm (Stand: 20.08.2011). 372 Vgl. das auf der Webseite der Kommission geschilderte Tätigkeitsprofil, einsehbar unter http://www.hkreform.gov.hk/en/about/role.htm (Stand: 20.08.2011). 373 Vgl. die Stellungnahme des Generalstaatsanwalts Bob Allcock, „Why we need BL 23 offences“, einsehbar unter http://www.basiclaw23.gov.hk/english/focus/focus3.htm (Stand: 20.08.2011). 374 Vgl. die bereits genannte Tätigkeitsliste, Kapitel C., Fn. 374.

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C. Staatsschutzklausel und verfassungsrechtlicher Rahmen

Öffentlichkeit, wie sie durch die Reform Commission bewirkt werden kann. Im vorliegenden Fall wäre darüber hinaus deutlich geworden, dass interne Erwägungen und nicht Vorgaben der Zentralregierung maßgeblich für den Inhalt des Gesetzeswerks gewesen sind.375 Neben diesen Gesichtspunkten liegt die Anrufung der Reform Commission vor Inangriffnahme einer künftigen Staatsschutzreform auch deshalb nahe, da Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe dem Gesetzesvorhaben einer Peking-nahen Regionalregierung Legitimität verschaffen könnten, ohne aber für diese bindende Wirkung zu entfalten. Gegen das Gesetzgebungsverfahren wurde weiterhin vorgebracht, dass die Staatsschutznovelle in den Legislativrat in Form eines Blue Bill eingeführt worden war.376 Anders als dieser hätte ein von den Kritikern geforderter White Bill umfassende öffentliche Beratungen sowie die Einholung der Meinungen der Hongkonger Bevölkerung erforderlich gemacht. Zwar hatte man auch beim ersten Umsetzungsversuch in den Jahren 2002 und 2003 mehrmonatige Konsultationsphasen anberaumt und erklärt, dabei gemachte Anregungen würden Einfluss nehmen auf die Formulierung des Security Bill, doch stand unabhängig hiervon die Einbringung in den LegCo von Beginn an fest. Im Fall eines White Bill hätte man dagegen ein Mindestmaß an öffentlicher Zustimmung zur Voraussetzung für eine Behandlung durch das Parlament gemacht. Das im Nachhinein hiergegen vorgebrachte Argument, das Prozedere zur Verabschiedung des Art. 23-Gesetzes habe bereits mehr als neun Monate in Anspruch genommen und wäre bei einem White Bill nochmals länger ausgefallen, vermag insofern nicht zu tragen, als, zumindest aus rechtlicher Perspektive,377 kein zeitlicher Druck bezüglich der Gesetzeseinführung bestanden hatte.378 Losgelöst von der noch zu erörternden Ausgestaltung des Security Bill haben demnach äußere Faktoren maßgeblich zu seinem Scheitern beigetragen. Diese lagen begründet in der politischen Stimmungslage sowie der Handhabung des Gesetzgebungsverfahrens durch die Regionalregierung, sowohl in der öffentlichen Darstellung als auch bezüglich der gewählten Vorgehensweise. Die einstweilige Rücknahme der Gesetzesnovelle und der vorzeitige Rücktritt Tungs am 11. März 2005 lassen indes erwarten,379 dass die Führung der SVZ aus diesen Fehlern gelernt hat. Deshalb und da in der Hongkonger Bevölkerung durchaus

375 Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 13 (22). 376 Vgl. z. B. die Meldung „British Lawyers Press for a White Bill“, SCMP vom 27.12.2002, S. 2. 377 Lo, The Dynamics of Beijing-Hong Kong Relations, S. 152. 378 P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 223. 379 Den Rücktritt Tungs führen politische Beobachter, ebenso wie den Ips am 25.07.2003, auf die im Zuge der Sicherheitsgesetzgebung ausgelöste Regierungskrise zurück.

II. Der Gesetzgebungsauftrag gemäß Art. 23 BL

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Bereitschaft zu erkennen ist, dem Verfassungsauftrag nach Art. 23 BL nachzukommen,380 dürfte bei einer künftigen Gesetzesinitiative anders als 2003 nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ der Umsetzung, also der materielle Regelungsgehalt der Vorschriften, im Vordergrund stehen. Hierbei zu berücksichtigende Aspekte sind Gegenstand der nachfolgenden Kapitel.

380 Vgl. Pepper, Keeping Democracy at Bay, S. 358. Selbst in der Hochphase des gegen Art. 23 BL gerichteten Protests kam es zu Unterstützungskundgebungen. So demonstrierten am 22.12.2002 40.000 Menschen für die Sicherheitsgesetzgebung. Ferner erkennen auch Kritiker des Security Bills dessen grundsätzliche Notwendigkeit an, vgl. z. B. Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (581).

D. Medienfreiheit Wenn staatliche Sicherheitsinteressen strafrechtlich unter Schutz gestellt werden, ist eine Vielzahl grundrechtlicher Konfliktlagen denkbar.1 Heraussteht dabei eine Kollision mit der Pressefreiheit:2 Zum einen können Massenmedien3 auf politische Entwicklungen entscheidend Einfluss nehmen4 und fordern aufgrund ihres teils investigativen Charakters und ihrer Öffentlichkeitswirkung staatlichen Geheimhaltungsschutz in besonderer Weise heraus.5 Zum anderen ist die Gewährleistung freier Berichterstattung grundlegender Pfeiler eines jeden demokratischen Staatswesens.6 Die Pressefreiheit ist gemäß Art. 3 Abs. 5 S. 1, 2 JD Teil der sino-britischen Übergabevereinbarungen und hierdurch auch ein maßgeblicher Gesichtspunkt bei der Verwirklichung von „Ein Land, zwei Systeme“.7 Bevor allerdings Aussagen über ihre Vereinbarkeit mit den in Art. 23 BL vorgesehenen Staatsschutzdelikten getroffen werden können, bedarf es einer Konkretisierung von Sinngehalt und Geltungsweite der Pressefreiheit in Hongkong, die über das generelle Auslegungserfordernis meist knapp formulierter Grundrechtsbestimmungen8 hinausgeht. So kann aus der Regelung in der Joint Declaration nicht unweigerlich auf ein einheitliches Begriffsverständnis geschlossen werden.9 Im Gegenteil hat diese der VRC Raum gelassen für eigene, ideologisch

1 Z. B. hinsichtlich der Freiheit der Wissenschaft, siehe Currie/Petersen/Mok, Academic Freedom in Hong Kong, S. 89 ff. 2 Zur Verwendung des Begriffs der „Presse“ siehe bereits oben, Kapitel A., Fn. 14. 3 Diese sind grundsätzlich von Medien als Mittel individueller Kommunikation zu unterscheiden. Es geht insofern um die Verbreitung geistiger, optischer und akustischer Gehalte, die, erstens, durch distanzüberwindende technische Mittel erfolgt, und, zweitens, gerichtet ist an eine Vielzahl von Personen, vgl. Fechner, Medienrecht, S. 4; ähnlich Davies, Human Rights and Civil Liberties, S. 182. 4 Zum Einfluss der Medien in Hongkong auf politische Entwicklungen vgl. McCargo, Media and Politics in Pacific Asia, S. 100 ff. 5 Art. 23 BL gilt als größte Herausforderung für die Pressefreiheit in der SVZ Hongkong, siehe dazu bereits oben, Kapitel A., Fn. 13. Siehe auch Scholz, Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, S. 7. 6 Siehe Canela, Brazilian Journalism Research 3 (2007), 55 (55 ff.). Eine Analyse zu den Wechselbeziehungen zwischen Demokratie und Massenmedien findet sich – teils unterteilt nach einzelnen Staaten – bei Randall, Democratization and the Media. 7 Siehe A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 1 f.; Martin/Wilson, Hong Kong Speaks, S. 5; J. Chan, in: Wesley-Smith/ Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 196 (206). 8 Diese Problematik erörtert Bumke im Hinblick auf den Grundrechtsteil des deutschen Grundgesetzes, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 11 ff.

I. Bedeutung in der SVZ Hongkong

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oder kulturell gefärbte Interpretationen.10 Der vorliegende Abschnitt erläutert aus diesen Gründen die Bedeutung der Medien in der SVZ und beschäftigt sich mit ihrem rechtlichen Schutz, einschließlich, vermeintlich abweichender, chinesischer bzw. asiatischer Menschenrechtsvorstellungen. Für ein vollständiges Bild der Medienfreiheit in Hongkong finden sich abschließend Erläuterungen zu Grundrechtseinschränkungen und zur die Medien betreffenden Rechtsprechungspraxis außerhalb des politischen Strafrechts.

I. Bedeutung in der SVZ Hongkong Die Tragweite der Medienfreiheit für das wirtschaftliche und politische System der SVZ äußert sich unter verschiedenen Gesichtspunkten, sowohl unter Berücksichtigung Hongkongs Status als internationaler Medienstandort als auch im Hinblick auf den unmittelbaren Wirkungsgehalt des in Rede stehenden Grundrechts. 1. Ausmaß der Medienlandschaft Hongkong ist ein Knotenpunkt der globalen Medienindustrie11 und gilt für internationale Tätigkeiten als Zentrum der Branche in Asien.12 Bereits in den frühen achtziger Jahren gab es neben zwei Fernseh- und Radiostationen 15 Zeitungen.13 Heute ist die SVZ einer der weltweit wichtigsten Standorte für Printmedien.14 Von ihr aus werden die internationalen Ausgaben bedeutender Nachrichtenblätter vertrieben, wie z. B. die Financial Times, die International Herald Tribune, das Wallstreet Journal Asia, die USA Today International und die japanische Nihon Keizai Shimbun.15 Überdies finden sich in ihr die Hauptniederlassungen der Asiaweek und der Far Eastern Economic Review.16 Hongkong verfügt 9 Martin/Wilson zitieren die International Federation of Journalists in diesem Zusammenhang: „China will put the bird of press freedom in a cage and then say it is free to fly – but only inside a China-made cage.“, Hong Kong Speaks, S. 4. 10 So auch Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (767, 795). 11 Cullen, The Transnational Lawyer 11 (1998), 383 (391). 12 Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (280). Zur Präsenz internationaler Medien in Hongkong vgl. J. M. Chan, in: Postiglione/Tang, Hong Kong’s Reunion with China, S. 222 (228). 13 F. Lee/Chan, in: Willnat/Aw, Political Communication in Asia, S. 9 (9). 14 Eine politische Kategorisierung der zahlreichen Nachrichtenquellen in Hongkong folgt für gewöhnlich keinem Links-Rechts-Schema. Unterteilt werden sie, ähnlich wie die im LegCo vertretenen Parteien, nach ihrer politischen Nähe zur VRC. Siehe dazu oben, Kapitel C., Fn. 104, sowie Lai, Media in Hong Kong, S. 203, Endnote 75. Anders war dies noch in den neunziger Jahren, vgl. F. Lee/Chan, in: Willnat/Aw, Political Communication in Asia, S. 9 (12). 15 Hong Kong Yearbook 2008, S. 334. 16 A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 17.

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D. Medienfreiheit

im Verhältnis zur Einwohnerzahl über die höchste Zeitungsquote der Welt.17 Aktuell erscheinen in der SVZ 45 Zeitungen;18 bei ungefähr einem Drittel davon handelt es sich um vollumfassende Tageszeitungen.19 Dazu kommen fast 700 regelmäßig erscheinende Magazine und Zeitschriften.20 Weiterhin verfügen nahezu 30% der Bevölkerung über einen Breitband-Anschluss21 und haben damit Zugriff auf zahlreiche Hongkonger Internetzeitungen.22 Sechs verschiedene Rundfunkanstalten verfügen über jeweils eigene Nachrichtenredaktionen.23 Neben 13 frei empfangbaren Fernsehsendern24 ermöglichen drei Hongkonger Pay-TV-Anbieter Zugang zu mehr als 300 Kanälen aus dem In- und Ausland.25 Es bestehen zwei kommerzielle Radiostationen und eine von der öffentlichen Hand betriebene Station, welche ihr Programm auf 13 Sendern ausstrahlt.26 2. Grundrechtlicher Wirkungsgehalt a) Allgemeiner Schutzbereich Klarzustellen ist, dass im rechtlichen Diskurs in Hongkong der Begriff der Pressefreiheit nicht beschränkt ist auf Druckerzeugnisse,27 sondern sich im Sinne des Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte28 auf alle Wege bezieht, Gedankengut zu empfangen oder zu verbreiten, er also zugleich Printmedien und elektronische Medien umfasst.29 Wenngleich die Terminologie international variiert,30 sind bestimmte Schutzinhalte weitgehend anerkannt. Hiernach erstreckt sich die Pressefreiheit nicht nur auf die Veröffentlichung selbst, sondern 17

Cullen, The Transnational Lawyer 11 (1998), 383 (391). Siehe das Hong Kong Yearbook 2008, S. 333. 19 Vgl. Lai, Media in Hong Kong, S. 11. 20 Siehe das Hong Kong Yearbook 2008, S. 333. 21 Siehe das Hong Kong Yearbook 2008, S. 332. 22 Siehe Hong Kong Yearbook 2008, S. 334. 23 Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (280). 24 Zusätzliche Hongkonger Videokanäle sind über das Internet abrufbar. 25 Siehe das Hong Kong Yearbook 2008, S. 333. 26 Lai, Media in Hong Kong, S. 11. Ein ausführlicherer Überblick über die einzelnen Medienunternehmen und Pressepublikationen in der SVZ Hongkong findet sich bei C. So/Chan, in: So/Chan, Press and Politics in Hong Kong, S. 1 (1 ff.). 27 Zur terminologischen Gleichsetzung von Presse- und Medienfreiheit siehe bereits oben, Kapitel A., Fn. 14. 28 Verabschiedet am 10.12.1948 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, UN-Dok. A/RES/217. 29 Art. 27 BL spricht insofern von „freedom of the press and of publication“. Auf diese wird im Hongkonger Verfassungsdiskurs einheitlich mit „press freedom“ Bezug genommen. Unter „Press“ werden im Grundrechtskontext generell alle Massenmedien subsumiert, siehe Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (773). 30 Zu diesbezüglichen Wertungen in ostasiatischen Staaten siehe unten, Kapitel D. II. 2. a) aa) (1). 18

I. Bedeutung in der SVZ Hongkong

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erfasst allgemein auch den sie vorbereitenden Informationsbeschaffungsprozess sowie ihren institutionellen Rahmen.31 Einzubeziehen sind auch sogenannte Hilfstätigkeiten, also für den Medienbetrieb notwendige, nicht inhaltsbezogene Dienstleistungen.32 Negativ enthält sie ein Zensurverbot und den Ausschluss der Bedingung einer behördlichen Publikationslizenz sowie anderer Formen staatlicher Kontrolle.33 In positiver Hinsicht beinhaltet die Pressefreiheit das Recht auf uneingeschränkten Zugang zu jeglichen Nachrichtenquellen unabhängig von ihrer politischen Couleur34 sowie weitere Voraussetzungen für eine freie Berichterstattung, wie z. B. die Gewährleistung des Redaktionsgeheimnisses, den Schutz von Informanten und ein journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht.35 b) Funktionsebenen Das hier zu erörternde Grundrecht korrespondiert in seiner Zielsetzung mit den Funktionen des durch ihn geschützten Guts, d.h. denen der Medien. Es versteht sich, dass dazu angestellte Überlegungen zunächst theoretischer Natur sind, Massenmedien ihren Aufgaben also nur idealtypisch voll nachkommen.36 Der Stellenwert der Pressefreiheit in der SVZ Hongkong ergibt sich jedoch bereits daraus, dass diese für die Erfüllung jener Aufgaben eine Vorbedingung ist. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die nachfolgend geschilderten Funktionen teils auf einem von demokratischen Ideen geprägten Vorverständnis beruhen.37 Es ist jedoch insofern legitim, sie zur Stärkung des Gewichts der Pressefreiheit in Hongkong heranzuziehen, als, wie dargelegt,38 allgemeine Wahlen als Zielbestimmung im Basic Law selbst enthalten sind.39 Der Aufgabenfächer der Massenmedien erstreckt sich gemeinhin auf soziale, ökonomische und politische Bereiche.40 Zu ersteren zählt die Rolle der Medien 31 Zu Art. 5 Abs. 1 S. 2 1. Var. GG siehe Epping/Hillgruber-Schemmer, BeckOK GG, Art. 5, Rn. 44. Allgemein vgl. Yan, HKLJ 33 (2003), 613 (620); Dash, Freedom of Press, S. 155. 32 Siehe Fechner, Medienrecht, S. 225 f. 33 Yan, HKLJ 33 (2003), 613 (620). 34 McQuail, Mass Communication Theory, S. 140 f. 35 Siehe Fechner, Medienrecht, S. 221 ff. In Bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht siehe für Deutschland § 53 Abs. 1 Ziff. 5 StPO. 36 Beispielsweise verringert sich im Zuge einer Depolitisierung von Medieninhalten und der Ausbreitung von Boulevardjournalismus die politische Informationsfunktion. Zu diesen beiden Entwicklungen vgl. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 147 f., 150 ff. 37 Diesen Hinweis gibt auch Pomorin, ZUM 52 (2008), 40 (40). 38 Siehe oben, Kapitel C. II. 2. c) aa) (3). 39 Auch bei Yan bildet ein solches Grundrechtsverständnis den Ausgangspunkt. Er beruft sich bezüglich der Geltung für Hongkong auf Rechtsauffassungen der ehemaligen Kolonialmacht, vgl. HKLJ 33 (2003), 613 (631 f.). 40 Kiefer, Medienökonomik, S. 65.

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D. Medienfreiheit

als Kulturträger und ihre Bildungs- und Erziehungs- sowie Unterhaltungsfunktion.41 Hinsichtlich der zweiten Kategorie ist unter Verweis auf vorstehende Ausführungen42 anzumerken, dass die Medienindustrie in Hongkong einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellt.43 Aus ökonomischer Perspektive sind Massenmedien vor allen Dingen aber auch deshalb von Relevanz, da sie einen freien Informationsfluss unterstützen und hierdurch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit betriebswirtschaftlicher Prozesse fördern.44 Überaus bedeutsam sind die Medien in der SVZ schließlich unter politischen Gesichtspunkten: Im Rahmen des sogenannten „Agenda-Setting“,45 d.h. der Entscheidung darüber, welche Vorgänge oder Ereignisse im gesellschaftlichen Diskurs überhaupt erst Behandlung finden,46 erzeugen sie hinsichtlich der von ihnen hervorgehobenen Themen ein Problembewusstsein in der breiten Bevölkerung und ermöglichen dadurch öffentlichen Druck,47 wie er z. B. in Form der Art. 23Proteste 2003 politisch Relevanz erlangt hat.48 Umgekehrt können Medien, beispielsweise durch Berichterstattung über Demonstrationen, Regierungskritik Aufmerksamkeit verschaffen und so deren Wirkung erhöhen.49 Vor dem oben geschilderten verfassungsrechtlichen Hintergrund, im Hinblick also auf die Wahl des Hongkonger Verwaltungschefs durch ein von der VRC beherrschtes Gremium, das exekutiv dominierte Staatssystem und die begrenzte politische Autonomie der SVZ, helfen kritisch kommentierende Medien hierdurch, die im Basic Law niedergelegte Systemtrennung zu sichern.50 Ebenso sorgt eine unabhängige Politikberichterstattung innerhalb der Sonderverwaltungsregion für einen Ausgleich zur Kompetenzfülle der Lokalregierung und den nur eingeschränkten Machtperspektiven der politischen Opposition. Gerade aufgrund der fortbestehenden Demokratiedefizite übernehmen die Hongkonger Medien eine wichtige Kontrollfunktion, indem sie politische Missstände oder Fehlentwicklungen offen

41

Vgl. Fechner, Medienrecht, S. 10, 12. Siehe oben, Kapitel D. I. 1. 43 Dazu allgemein Fechner, Medienrecht, S. 9. 44 Siehe McQuail, Media Accountability and Freedom of Publication, S. 7; Bowring, in: Cohen/Li (Hrsg.), Hong Kong Under Chinese Rule, S. 8 ff. 45 Vgl. Cohen, The Press and Foreign Policy, S. 13. 46 Medienkommunikationsforschung hat ergeben, dass entgegen der sogenannten Persuasionstheorie ein solcher Einfluss der Medien weitaus stärker ist als eine direkte Beeinflussung politischer Attitüden, vgl. Schenk, Medienwirkungsforschung, S. 433 f. 47 Dieser entsteht bereits durch die Herstellung der Öffentlichkeit, vgl. Ronneberger, in: Langenbucher, Zur Theorie der politischen Kommunikation, S. 193 (199 f.). 48 Die Unterstützung der Medien beim Widerstand gegen den Security Bill im Jahr 2003 beschreiben J. M. Chan/F. Lee, in: Chan/F. Lee, Media and Politics in Post-handover Hong Kong, S. 82 (83 ff.). 49 Hierzu auch Yan, HKLJ 33 (2003), 613 (633 f.). 50 Allgemein zu einer solchen Kontrollfunktion, vgl. Pürer, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, S. 426. 42

II. Beurteilungsmaßstab

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legen und das Handeln des Staates auf seine Rechtmäßigkeit und seine Übereinstimmung mit den Interessen der Bevölkerung überprüfen.51 Darüber hinaus tragen die Massenmedien auch insofern zu einer demokratischen Kultur in der SVZ bei, als sie die für eine fundierte Wahlentscheidung notwendige Tatsachenkenntnis vermitteln.52 Die Unabhängigkeit der Presse ist dabei vonnöten, um zu gewährleisten, zumindest aber nicht im Voraus auszuschließen, dass über das gesamte Spektrum der Amtsbewerber und ihre politischen Konzepte informiert wird.53 Im Verhältnis zu den Regierungsbehörden spielen Medien zuletzt auch deshalb eine besondere Rolle in Hongkong, da man entgegen zahlreicher Forderungen auf die Verankerung der Informationsfreiheit im Basic Law verzichtet hat.54 Angesichts eines mangelnden verwaltungsrechtlichen Anspruchs auf Auskunftserteilung55 ist es daher Aufgabe der Medien, dem Informationsbedürfnis der Bürger, zumindest in Teilen, abzuhelfen.56

II. Beurteilungsmaßstab Es ist zu klären, nach welchen normativen Grundlagen die Medienfreiheit in der SVZ zu bemessen ist. An Komplexität gewinnt diese Fragestellung zum einen infolge des durchlaufenen Systemwandels und zum anderen im Hinblick auf die kulturelle Fremdartigkeit Hongkongs. Erläutert werden im Folgenden zunächst Wortlaut und Tragweite der entsprechenden Grundrechtskodifikationen. Sodann widmet sich die Arbeit der Frage, inwieweit sich kulturelle Gegebenheiten auf das Begriffsverständnis der Pressefreiheit auswirken, vor allem ob sich der Interpretationsmaßstab für die spätere Grundrechtsuntersuchung im Rahmen eines als „asiatisch“ bezeichneten Menschenrechtsmodells verschiebt.

51 Vgl. Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (282); A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 21; Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 430. 52 Maunz/Dürig-Herzog spricht insofern von einer nicht zu unterschätzenden „staatsethischen“ Funktion der Medien, Grundgesetz, Art. 5, Rn. 119. 53 Vgl. Pomorin, ZUM 52 (2008), 40 (41). 54 Vgl. J. Chan, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 196 (205). 55 Wie er z. B. in Deutschland im Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes kodifiziert worden ist, BGBl. 2005 I, S. 2722. In Hongkong gilt lediglich ein nicht rechtsverbindlicher Verwaltungserlass, der Code on Access to Information, einsehbar unter http://www.access.gov.hk/en/code.htm (Stand: 20.08.2011). Wie ein Test der Hong Kong Journalists Association gezeigt hat, ist der Einfluss auf die Verwaltungspraxis allerdings gering, vgl. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 76 f. 56 So auch Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (278).

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D. Medienfreiheit

1. Rechtsgrundlagen Garantien für eine freie Presse in der SVZ Hongkong finden sich sowohl auf völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher als auch auf einfachgesetzlicher Ebene. Der Ursprung und Regelungsgehalt dieser unterschiedlichen Rechtsquellen sowie die Beziehungen, in denen sie zueinander stehen, seien nachfolgend dargestellt. a) Art. 3 Abs. 5 S. 2 der sino-britischen Gemeinsamen Erklärung Völkerrechtlich hatte die VRC in Art. 3 Abs. 5 S. 2 der sino-britischen Gemeinsamen Erklärung von 1984 folgende Verpflichtung übernommen: „Rights and freedoms, including those [. . .] of speech, of the press [. . .] will be ensured by law in the Hong Kong Special Administrative Region.“ Hieraus folgten allein jedoch China bindende Rahmenvorgaben für das Basic Law und keine subjektivöffentlichen Rechte.57 Weder der Hong Kong Act58 noch der Application of English Law Ordinance59 hatten nach Ansicht des High Court of Hong Kong einen Anwendungsbefehl hinsichtlich der in der Gemeinsamen Erklärung angeführten Grundrechte enthalten.60 Kritik hat die Formulierung in Art. 3 Abs. 5 S. 2 JD auf sich gezogen, da sie der VRC entgegen dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ zu viel Raum gelassen habe für die Übertragung ihres eigenen, ideologisch geprägten Grundrechtsverständnisses:61 Aus sozialistischer Perspektive sind die in der Joint Declaration genannten Rechte dem Individuum nicht seiner Natur nach zu Eigen. Es herrscht stattdessen die Auffassung, dass die einzelne Person erst infolge der Verleihung durch den Staat zum Träger solcher Rechte wird.62 Weiterhin unterscheidet sich China in der den Medien unter anderem zugewiesenen Rolle als Instrument zur Verfolgung und Durchsetzung von Interessen der KPCh.63 Zwar sind in Art. 35 VVC die Rede- und Pressefreiheit niedergelegt, doch unterliegen diese zahlreichen Beschränkungen, darunter auch so deutungsoffenen politischen Doktrinen wie „die Lehren Marx’, Lenins und Mao Zedongs“.64 Hinzuweisen ist zuletzt auch auf die bereits ausgeführte Relativität der chinesischen Verfassung als 57

Siehe Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 405. Dazu oben, Kapitel B. I. 2. a). 59 Cap. 88. 60 Tang Ping-hoi v. Attorney General vom 09.10.1985, HKLR (1987), 324 (329), abgedruckt in: ILR 92 (1993), S. 638–644. 61 Siehe dazu allgemein bereits oben, Kapitel B. II. 2. b). 62 Siehe Davis, American Journal of Comparative Law 36 (1988), 761 (773). 63 A. Cheung, Columbia Journal of Asian Law 20 (2007), 357 (380). 64 Vgl. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 113. 58

II. Beurteilungsmaßstab

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Normgeber.65 Vor diesem Hintergrund wurde gegen die Grundrechtsvereinbarung in der Gemeinsamen Erklärung eingewendet, dass anstelle von „will be ensured“ die nach Art. 8 Abs. 2 JD ebenso authentische chinesische Version eine Aktivkonstruktion verwendet, sich die Formulierung übersetzt also liest wie folgt: „Die SVZ Hongkong gewährleistet die [. . .] Freiheit der Presse.“ Hiermit sei in der Joint Declaration eine dem Hongkonger System bislang fremde, positivistische Menschenrechtsvorstellung verankert worden.66 In der Tat deutet der Wortlaut des Art. 3 Abs. 5 S. 2 JD darauf hin, dass bei der in der Gemeinsamen Erklärung gegebenen Grundrechtszusage ein spezifisch chinesischer Ansatz Anklang gefunden hat. Dessen Bedeutung relativiert sich aber, wenn man berücksichtigt, dass für die Auslegung der Joint Declaration gleichermaßen die englische Fassung heranzuziehen ist67 und zudem eine Vertragsinterpretation mit Blick auf das ebenfalls in der Gemeinsamen Erklärung zum Ausdruck kommende Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ die Beibehaltung des britischen Menschenrechtskonzepts nahe legt. b) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte aa) Implementierung durch den Hong Kong Bill of Rights Ordinance Die meiste Zeit über war die Pressefreiheit in Hongkong lediglich Bestandteil des Common Law und hat in einzelnen Gesetzesbestimmungen Ausdruck gefunden.68 Hieran änderte auch nichts die Ratifizierung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte69 durch das Vereinigte Königreich 1976,70 obwohl diese auch mit Wirkung für die Kronkolonien erfolgt war.71 Entgegen der historischen Rechtsparömie „international law is part of the law of the land“ 72 hatte es für eine innerstaatliche Wirksamkeit des IPbpR eines parlamen65

Siehe oben, Kapitel B. II. 2. a). Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (774). 67 Vgl. hierzu Schweisfurth, Völkerrecht, S. 176; Ipsen-Heinegg, Völkerrecht, § 11, Rn. 22. 68 Vgl. Yan, HKLJ 33 (2003), 613 (624); Martin/Wilson, Hong Kong Speaks, S. 3. Großbritannien hatte zwar bereits 1951 die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert, hatte Hongkong von der Geltung dergleichen aber bewusst ausgenommen. 69 Abgekürzt IPbpR, geschlossen am 16.12.1966, in Kraft seit dem 23.03.1976, BGBl. 1973 II, S. 1553. 70 Großbritannien äußerte in neun Punkte Vorbehalte im Sinne des Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK, nicht jedoch die Medienfreiheit betreffend. 71 Vgl. Art. 2 Abs. 1 IPbpR, der lautet: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen [. . .] zu gewährleisten.“ 72 Hierzu Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, S. 276. Ihre Geltung beschränkt sich im Wesentlichen auf das Völkergewohnheitsrecht, siehe Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 107. 66

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D. Medienfreiheit

tarischen Transformationsaktes bedurft,73 auf den zunächst jedoch verzichtet worden war.74 Erst 1991 kam es, im Hinblick auf die herannahende Rückgabe des damaligen British-Dependent Territory,75 mit Verabschiedung des Hong Kong Bill of Rights Ordinance (BoR)76 zu einer Implementierung des UN-Zivilpakts und damit erstmals zu einer Kodifizierung der Pressefreiheit. Art. 16 Abs. 2 BoR gibt den Wortlaut von Art. 19 Abs. 2 des IPbpR wieder: „Everyone shall have the right to freedom of expression; this right shall include freedom to seek, receive and impart information and ideas of all kinds, regardless of frontiers, either orally, in writing or in print, in the form of art, or through any other media of his choice.“ Der Bill of Rights hatte gemäß Art. 7 Abs. 5 des Letters Patent Verfassungsrang. Vorschläge, diesen über den Souveränitätswechsel hinaus zu erhalten und den BoR in das Basic Law unmittelbar aufzunehmen, waren von chinesischer Seite zurückgewiesen geworden;77 nach geringfügigen Änderungen gemäß Art. 160 Abs. 1 BL ist der BoR als einfaches Gesetz aber weiterhin in Kraft geblieben.78 Wirkung hat der BoR insbesondere auch deshalb unter chinesischer Herrschaft entfalten können, da er schon in der Kronkolonie maßgeblich Einfluss genommen hat auf die Herausbildung gemäß Art. 8 BL fortgeltenden Fallrechts.79 Art. 16 Abs. 3 BoR beschreibt die für die Medienfreiheit geltenden Schranken. Dabei wird zunächst hervorgehoben, dass die Ausübung der im vorangestellten Absatz niedergelegten Rechte „besondere Pflichten und Verantwortung“ mit sich bringt. Teils wird vertreten, dass diesbezüglich für den Rundfunk aufgrund seines vermeintlich höheren Einflusses auf die Öffentlichkeit strengere Regeln zu gelten hätten als für Printmedien.80 Es erscheint jedoch höchst zweifelhaft, ob sich dieser nur schwerlich nachzuweisende Befund als Kriterium für die Einschränkbarkeit der Medienfreiheit heranziehen lässt. Art. 16 Abs. 2 BoR trifft gerade keine medienspezifische Unterscheidung. Es fehlt zudem an einem Hinweis darauf, dass die Grenzen der Grundrechtsgewährleistung je nach Größe des Rezipienten73 Vitzthum-Kunig, Völkerrecht, S. 106. Der Grund hierfür liegt darin, dass völkerrechtliche Verträge durch die Krone ratifiziert werden und bei einer unmittelbaren Geltung die Gesetzgebungszuständigkeit des Parlaments untergraben werden würde, vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 107 f. 74 Im seinem ersten Bericht für den UN-Menschenrechtsausschuss machte Großbritannien geltend, dass sein Common Law und Statute Law bereits die im IPbpR enthaltenen Rechte garantiere. Ausdrücklich wurde gar darauf hingewiesen, dass man sich auf den UN-Zivilpakt in Großbritannien und seinen Kolonien nicht berufen könne, vgl. Geping, Pacific Rim Law & Policy Journal 2 (1993), 9 (14), m.w. N. 75 Siehe oben, Kapitel A., Fn. 3. 76 Siehe oben, Kapitel B., Fn. 102. 77 P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 187. 78 Siehe oben, Kapitel B., Fn. 102. 79 P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 187. 80 Siehe Ghai, in: Wacks, Human Rights in Hong Kong, S. 369 (386), m.w. N.

II. Beurteilungsmaßstab

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kreises oder anderer Wirkungsfaktoren des jeweils verwendeten Mediums zu bemessen sind. Nach Art. 16 Abs. 3 BoR sind Eingriffe ausschließlich für die Achtung der Rechte und des Rufs anderer sowie zum Schutz der nationalen Sicherheit, des ordre public, der Volksgesundheit und der öffentlichen Sittlichkeit zulässig. Unter den Terminus der „nationalen Sicherheit“ fallen dabei keine Maßnahmen, die allein im Interesse der Regierung sind. Ausgeschlossen sind auch solche Akte, die lediglich die Unterdrückung von Unruhen oder revolutionären Bestrebungen bezwecken, soweit diese nicht den Bestand des Staates als Ganzes gefährden. Eine Berufung auf den Schutz der nationalen Sicherheit kommt ferner dann nicht in Frage, wenn es sich nur um lokal begrenzte und vergleichsweise isolierte Bedrohungslagen handelt.81 Bejaht wurde eine Einschränkbarkeit der Pressefreiheit hingegen bei mit hohem Aufwand betriebenen Spionageaktionen oder terroristischen Akten.82 Weiterhin abzugrenzen ist die nationale von der öffentlichen Sicherheit, welche im Bill of Rights bezüglich der Medienfreiheit keine Erwähnung findet.83 Dies wird z. B. in Art. 21 IPbpR deutlich, in dem beide Begriffe parallel genannt sind.84 bb) Geltungsanordnung gemäß Art. 39 BL Seit Inkrafttreten des Basic Law am 1. Juli 1997 ist die Geltung des IPbpR in Hongkong verfassungsrechtlich angeordnet. In Art. 39 Abs. 1 BL heißt es: „The provisions of the International Covenant on Civil and Political Rights [. . .] as applied to Hong Kong shall remain in force and shall be implemented through the laws of the Hong Kong Special Administrative Region.“ Art. 39 Abs. 2 S. 2 BL legt überdies fest, dass Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten nur im Rahmen des IPbpR erfolgen dürfen und verleiht diesem damit quasi Verfassungsrang. Eine Berufung auf einfaches Gesetzesrecht in Form des Bill of Rights erscheint insoweit grundsätzlich nicht mehr nötig. Relevant wird der BoR aber zumindest dann, wenn es um die Frage geht, welche Gesetze aus der Kolonialzeit gemäß Art. 8 BL in der SVZ fortgelten: Da der BoR normenhierarchisch höher stand als einfache Gesetze,85 haben ihm widersprechende Regelungen keine Geltung erlangt. Gesetzeswerke, die bereits bei Inkrafttreten des Bill of Rights mit diesem nicht in Einklang gebracht werden konnten, waren gemäß Art. 3 Abs. 2

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Vgl. Jayawickrama, The Judicial Application of Human Rights Law, S. 193 f. Vgl. Jayawickrama, The Judicial Application of Human Rights Law, S. 193 f. 83 Siehe Kiss, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 290 (295 f.). 84 Bezüglich Ausnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit im Sinne des Art. 16 Abs. 3 lit. b BoR existiert zudem eine große Menge Hongkonger Fallrecht, vgl. A. Chen, Pacific Rim Law & Policy Journal 15 (2006), 627 (629). 85 Siehe Ghai, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 421; Cullen, in: Leibholz/ Häberle, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Bd. 43, S. 709 (718). 82

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D. Medienfreiheit

BoR aufzuheben.86 Da es sich bei solchen Bestimmungen demnach nicht um „laws previously in force“ im Sinne der Art. 8 und 18 Abs. 1 BL handelt, haben sie unter dem Basic Law ihre Gültigkeit verloren.87 Unabhängig von derartigen Erwägungen beruft sich die Hongkonger Rechtsprechung indes nach wie vor regelmäßig auf den BoR, anstatt über Art. 39 BL unmittelbar auf den IPbpR zu rekurrieren.88 c) Art. 27 1. Hs. BL Neben dem Bill of Rights und Art. 39 BL ist auf den Grundrechtskatalog des Basic Law hinzuweisen. Dieser ist in seinem Anwendungsbereich weiter als jene, da er zusätzlich wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthält. Anders als im Verfassungsdokument der SVZ ist nach Art. 7 Abs. 1 BoR außerdem eine unmittelbare Drittwirkung des Bill of Rights zwischen Privaten89 ausgeschlossen.90 In Art. 27 1. Hs. BL ist festgelegt: „Hong Kong residents shall have freedom of speech, of the press and of publication“.91 Im Gegensatz zu den bislang erläuterten Rechtsgrundlagen ist die Presse hier ausdrücklich erwähnt. Daraus wird teils auf einen vergrößerten Schutzbereich der Medienfreiheit geschlossen. So erstrecke sich dieser entgegen der Regelungen des IPbpR und des BoR auch auf Eigentumsrechte an Medieneinrichtungen und Aspekte einer pressefreiheitlichen Institutsgarantie.92 Dem ist entgegenzuhalten, dass nach Ansicht des für die Einhaltung des IPbpR zuständigen UN-Menschenrechtsausschusses Art. 19 Abs. 2 IPbpR Voraussetzungen miteinschließt, die für eine unabhängige Politikberichterstattung erforderlich sind.93 Eine gegenüber Art. 16 Abs. 2 BoR und Art. 39 BL verbesserte Schutzwirkung ist Art. 27 1. Hs. BL insofern nicht zu entnehmen. Die Regelung hat unter verschiedenen Gesichtspunkten Kritik auf sich gezogen: So habe der Wortlaut „shall have“, welcher auch hinsichtlich anderer Grundrechte Verwendung findet, die mit Blick auf Art. 3 Abs. 5 S. 2 JD geäußerte Be86 Vgl. z. B. die berufungsgerichtliche Entscheidung R v Kwok Hing-man vom 09.06. 1994, HKPLR 4 (1994), 186 (188). 87 Siehe J. Chan, Hong Kong Human Rights Bibliography, S. iii. 88 J. Chan, Hong Kong Human Rights Bibliography, S. iii. 89 Zu einer solchen Grundrechtsfunktion, freilich in Bezug auf das deutsche Grundgesetz, vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 415 ff. 90 Hierauf weist auch Ghai hin, Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 422. 91 Art. 27 BL hatte trotz seiner zentralen Bedeutung für das gesellschaftliche System der SVZ in den Gesetzgebungsberatungen nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ein Schwerpunkt lag dagegen auf Art. 39 Abs. 2 S. 1 BL und dem darin kodifizierten einfachen Gesetzesvorbehalt. Dieser lautet: „rights and freedoms [. . .] shall not be restricted unless as prescribed by law“. Siehe J. Chan, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 196 (204 f.). 92 Vgl. Hong Kong’s New Constitutional Order, S. 430. 93 Conte/Davidson/Burchill, Defining Civil and Political Rights, S. 1 f., 59, m.w. N.

II. Beurteilungsmaßstab

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fürchtung bestätigt, dass im Basic Law ein spezifisch chinesisches Menschenrechtsmodell Einzug halten könnte. Schließlich indiziere die gewählte Formulierung, dass es sich nicht um originäre Rechte handelt, sondern um solche, die dem Bürger vom Staat gewährt und daher auch durch diesen entzogen werden können.94 In der Tat lässt eine grammatikalische Auslegung einen solchen Schluss zu. Zu bemerken ist aber, dass in Art. 19 Abs. 2 IPbpR sowie in Art. 16 Abs. 2 BoR eine identische Ausdrucksweise gewählt worden ist, beide diese Menschenrechtsdokumente gerade aber auf Initiative westlicher Staaten zurückzuführen sind.95 Gleiches gilt für die Beanstandung des Art. 42 BL,96 der ausdrücklich auf Grundpflichten in Hongkong befindlicher Personen hinweist,97 in Abs. 6 der Präambel des IPbpR und in Art. 19 Abs. 3 IPbpR jedoch seine Entsprechung findet. Als problematisch eingestuft wurde überdies die Verwendung des chinesischen Begriffs für „Freiheit“, „zìyóu“. Diesem gegenüber wäre der Ausdruck für „Recht“, „quánlì“, vorzugswürdig gewesen, welcher nicht lediglich eine Handlungserlaubnis beinhalte, sondern zugleich auch deren Beachtung durch andere einfordere. „Zìyóu“ werde ferner im Kontext einer kommunistischen Ideologie als „Erlaubnis für Fehlverhalten“ interpretiert und rufe daher negative Konnotationen hervor.98 Bedenkt man, dass im Konfliktfall die chinesische Fassung der englischen vorgeht,99 erscheinen solche Einwände grundsätzlich berechtigt. Bei Befolgung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ verlieren solch semantische Erwägungen allerdings an Bedeutung. Solange nicht, wie in den Right of AbodeFällen,100 der rechtliche Gehalt von Vorschriften des Basic Law im Nachhinein gemäß Art. 158 Abs. 1 BL durch den Ständigen Ausschuss des NVK verbindlich festgelegt wird, lässt Art. 27 1. Hs. BL den Hongkonger Gerichten ausreichend Freiraum zur Anwendung und Entwicklung der Pressefreiheit in der Tradition des Common Law. 2. Kulturspezifische Überlagerung infolge „asiatischer Werte“ Wenngleich die vorliegende Arbeit eine Außenperspektive einnimmt und dieser unweigerlich vor allem in den Ländern Europas und in den USA verwirklichte Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und individueller Freiheit zugrunde liegen, müssen doch lokale, kulturell geprägte Rechtsauffassungen Berücksichtigung finden. Grundsätzlich ist es nur so möglich, Vorgänge in einer Gesellschaft 94

Siehe Davis, American Journal of Comparative Law 36 (1988), 761 (774). Zum IPbpR vgl. Conte/Davidson/Burchill, Defining Civil and Political Rights, S. 1 f., 53. 96 Siehe Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (783). 97 Vgl. Kapitel B. II. 2. b). 98 Siehe Foster, Indiana Law Journal 73 (1998), 765 (773). 99 Vgl. J. Chan, HKLJ 37 (2007), 407 (408 f.). 100 Siehe oben, Kapitel C. I. 3. 95

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mit eigenen ethischen Grundvorstellungen adäquat zu erfassen.101 Insoweit ist zu klären, ob und, falls ja, auf welche Weise historisch verankerte Wertungen und Sichtweisen in der SVZ Hongkong Einfluss nehmen auf die soeben dargelegten Rechtsgrundlagen und damit den in späterer Grundrechtsuntersuchung102 anzulegenden Bewertungsmaßstab. Dreh- und Angelpunkt ist dabei ein unter der Losung „asiatischer Werte“ bekannt gewordenes, kulturrelativistisches Argumentationsmodell, demzufolge die Pressefreiheit in den Staaten Ostasiens auf einer engeren, kulturell geformten Begriffsbestimmung beruht. Dieses und die aus ihm folgenden Konsequenzen für die Art. 23-Gesetzgebung sind Gegenstand der nachfolgenden Erörterung. a) Verlauf und Gegenstand der Debatte aa) Diskursteilnehmer und Grundthesen Die Doktrin der „asiatischen Werte“ und ihre gesellschaftliche Bedeutung, auch aber Implikationen für die internationale Menschenrechtsordnung, sind seit ca. zwei Jahrzehnten wesentliches Motiv der ostasiatischen Entwicklungsdebatte. Eine Gegenüberstellung westlicher und asiatischer Werte hatte indes bereits im 19. Jahrhundert, allen voran im Japan der Meiji-Ära,103 Diskussionen um die Entwicklung beider Weltregionen geprägt.104 Unter dem Schlagwort der „asiatischen Werte“ war zudem schon in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf kulturelle Besonderheiten, insbesondere Südostasiens, hingewiesen worden.105 An Fahrt gewann die Debatte jedoch erst mit den Stellungnahmen einiger asiatischer Staats- und Regierungschefs zu Beginn der neunziger Jahre, allen voran von Lee Kuan Yew106 und Tun Mahathir bin Mohamad107, den ehemaligen Ministerpräsidenten Singapurs und Malaysias. Die Reaktionen in westlichen108 Staaten waren relativ verhalten. Deutliche Gegenposition bezogen dagegen zivilgesellschaftliche Akteure in den betroffenen asiatischen Ländern. Folgender Rückblick richtet sich zunächst auf die Auffassungen einzelner Akteure und sodann auf hieran anknüpfende länderübergreifende Erklärungen.

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Siehe Fürer-Haimendorf, South Asian Societies, S. 1 ff. Vgl. Kapitel E. 103 1868–1912. 104 Vgl. Wiessala, Re-Orientating the Fundamentals, S. 40. 105 So fand der Begriff zu dieser Zeit bereits in Singapur Verwendung, vgl. Senz, Asiatisierung Asiens, S. 1. Siehe z. B. P. Chen, Asian Values in a Modernizing Society. 106 Regierungszeit 1959–1990. 107 Regierungszeit 1981–2003. 108 Wie in der Debatte allgemein bezieht sich der Begriff des „Westens“ auf die geschichtlich, kulturell und nach ihren Rechtsstaatsvorstellungen europäisch geprägten Länder, allen voran die Mitgliedsstaaten der EU sowie die USA und Kanada. 102

II. Beurteilungsmaßstab

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(1) Einzelstaatliche Positionen Lee und Mahathir beschrieben eine panasiatische Werteordnung, die ihre und benachbarte Staaten gegenüber dem Westen und dessen Demokratie- und Menschenrechtsverständnis abgrenze.109 Nach dieser sei die „Disziplin eines Landes“, d.h. die Einhaltung eines dem sozialen Frieden und ökonomischen Fortschritt dienenden Regelungsregimes, höher zu bewerten als die Gewährleistung demokratischer Legitimation. Letztere könne die gesellschaftliche Ordnung instabilisieren und gefährde daher die wirtschaftliche Entwicklung. Für die Bewertung eines politischen Systems sei jedoch alleine ausschlaggebend, inwieweit die Regierungspolitik in der Lage sei, den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung zu erhöhen.110 Forderungen nach Achtung internationaler Menschenrechtsstandards wurden von beiden Vertretern des Konzepts der „asiatischen Werte“ als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten,111 allgemein gar als ein durch die Länder des Westens betriebener „Werteimperialismus“ 112 zurückgewiesen. Zwar bekannten sich grundsätzlich auch die Anhänger des Konzepts „asiatischer Werte“ zur Existenz von Menschenrechten,113 doch sei deren Schutzweite den regionalen Präferenzen anzupassen: So hätten nach Lee allen voran China und die sinisch geprägten Staaten Japan, Korea und Vietnam, ebenso aber auch die multikulturelleren Länder Südostasiens gemein,114 dass sie das Wohl der Gesellschaft als Ganzes stärker betonten als individuelle Freiheiten. In Konfliktfällen würden sie demnach dem Interesse des Kollektivs Vorrang einräumen. Von indonesischer, thailändischer und vietnamesischer Seite wurde ferner eine eigenständige Gewichtung der unterschiedlichen Menschenrechtskategorien beansprucht, insbesondere die Hervorhebung wirtschaftlicher und kultureller Rechte gegenüber politischen Rechten.115 Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Haji Mo109 Siehe z. B. K. Lee im Gespräch mit Fareed Zakaria in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (112) sowie in New Perspectives Quarterly 9 (1992), 4 (4 ff.); Mahathir im Spiegel vom 21.08.1995, S. 136 ff. 110 K. Lee, Far Eastern Economic Review 155 (1992), 29 (29). 111 Mahathir, Far Eastern Economic Review 157 (1994), 20 (21). 112 Vgl. Wolf, Gleiche Rechte für alle?, S. 51 f. 113 Siehe z. B. die Erklärung des indonesischen Außenministers Ali Alatas zur Wiener Menschenrechtskonferenz vom 14.06.1993, abgedruckt in: J. Tang, Human Rights and International Relations in the Asia-Pacific Region, S. 228–234 (228); vgl. auch Ziff. 1 der unten erörterten Erklärung von Bangkok. 114 Insofern wird der Geltungsbereich „asiatischer Werte“ beschränkt auf Ostasien, vgl. K. Lee, der dazu noch Indien nennt, das nicht unmittelbar dazu gezählt werden könne, dem er aber ähnliche Grundwerte bescheinigt, interviewt durch Fareed Zakaria in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (113). 115 Siehe die Erklärung Ali Alatas, oben Kapitel D., Fn. 113, S. 228 (228), sowie die des thailändischen Außenministers vom 16.06.1993, abgedruckt in: J. Tang, Human Rights and International Relations in the Asia-Pacific Region, S. 247–249 (248). Vgl. auch den Kommentar des damaligen stellvertretenden Außenministers Vietnams Tran Quang Co, Far Eastern Economic Review 157 (1994), 17 (17).

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D. Medienfreiheit

hamed Suharto, bis 1998 Präsident Indonesiens, indem er erklärte, UN-Menschenrechtsabkommen würde sein Land nur insoweit beitreten, als sie mit der „nationalen Ideologie“ konform gingen.116 In Bezug auf China wird gelegentlich bemerkt, dass es sich zwar unter Anführung seiner Souveränität und der Notwendigkeit der Berücksichtigung nationaler Umstände gegen einen internationalen Menschenrechtsmaßstab zu wehren versucht habe, es dennoch aber nicht den Vertretern „asiatischer Werte“ zuzurechnen sei.117 Dies ist wohl darauf zurück zu führen, dass die VRC in ihrer traditionellen Menschenrechtskritik weniger von normativ-kulturellen als von ideologischen Begründungsansätzen Gebrauch gemacht hatte.118 Zu nennen sind beispielshalber die Kampagnen „gegen geistige Verschmutzung“ von 1983 und die „gegen bourgeoise Liberalisierung“ von 1987.119 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Volksrepublik in ihrem Weißpapier „Menschenrechte in China“ von 1991 neben einer sozialistischen und klassenkämpferischen Argumentation das Konzept der „asiatischen Werte“ aufgenommen hat.120 Hierdurch machte sie sich wesentliche Thesen ihrer südostasiatischen Nachbarn zu Eigen. In solchen Strategiepapieren wie auch in offiziellen Verlautbarungen wurde insbesondere auf historische, wirtschaftliche und kulturelle Besonderheiten hingewiesen,121 aufgrund derer Individualrechte zugunsten von Pflichten gegenüber der Gemeinschaft einzuschränken seien.122 Es überrascht daher auch nicht, dass die VRC maßgeblichen Einfluss auf die Formulierung der noch zu erörternden Bangkok Declaration123 genommen hatte,124 in der das von Lee und Mahathir beworbene Konzept international Ausdruck fand. Die ostasiatische Position war indes nicht einheitlich: 125 Südkorea schlug moderatere Töne an. So warnte es auf der einen Seite vor einem „subjektiven Moralismus“ und einer „allzu vereinfachenden und selbstgerechten“ Übertragung

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Vgl. AP, Bangkok Post vom 26.10.1994, S. 10. Siehe Ghai, in: Cauquelin/Lim/Mayer-König, Asian Values, S. 20 (25). Entschieden wendet sich hiergegen auch Senger, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 123 (158 ff.). 118 Siehe auch Brems, Human Rights, S. 83, m.w. N. 119 Genauer hierzu Goldman, in: Kau/Marsh, China in the Era of Deng Xiaoping, S. 285 (319 ff.). 120 Koenig, Menschenrechte, S. 140. 121 So argumentierte z. B. Liu Huaqiu, Vorsitzender der chinesischen Delegation bei der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993, zitiert in Brems, Human Rights, S. 62. 122 Wenn dabei aus politischen Gründen auch nicht ausdrücklich auf konfuzianische Denkweisen Bezug genommen wurde, vgl. Moody, Journal of International Affairs 50 (1996), 166 (188 f.). 123 Siehe Kapitel D. II. 2. a) aa) (2). 124 Siehe Davis, Buffalo Journal of International Law 2 (1995–1996), 215 (216). 125 Dies betont auch Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 53 (54 f.). 117

II. Beurteilungsmaßstab

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westlicher Menschenrechtsstandards, betonte auf der anderen Seite aber auch, dass kulturelle Eigenheiten nicht als Vorwand zur Beschränkung der Freiheiten des Einzelnen genutzt werden dürften.126 Der von 1993 bis 1998 amtierende Präsident Kim Young-sam versinnbildlichte die koreanische Auffassung, nach der „Demokratie und Wirtschaftsentwicklung die zwei Räder sind, die den Wagen vorwärts bewegen“.127 Sein Nachfolger Kam Dai-jung128 hatte sich noch ablehnender geäußert. So sei langfristig wirtschaftlicher Erfolg eines Landes nur unter demokratischen Strukturen denkbar.129 Auch seien die kulturellen Voraussetzungen für diese Regierungsform in Ostasien durchaus vorhanden.130 Einwände gegenüber der These „asiatischer Werte“ erhob auch der philippinische Außenminister Roberto Romulo. Ihm zufolge messe der Westen zwar in seiner Menschenrechtspolitik mit zweierlei Maß und konzentriere sich zu einseitig auf politische Freiheitsrechte, doch verlören diese angesichts sozialer und kultureller Rechte nicht an Bedeutung. Da beide Menschenrechtskategorien als Einheit betrachtet werden müssten, sei es nicht möglich, wie es Anhänger eines einheitlichen asiatischen Wertemodells vor Augen haben, die Nichtbeachtung individueller Rechte unter Hinweis auf den Vorrang gesamtgesellschaftlicher Belange zu rechtfertigen.131 Nach dem philippinischen Präsidenten Fidel Ramos sei Demokratie langfristig gar Voraussetzung für das von Befürwortern „asiatischer Werte“ in den Vordergrund gestellte Wirtschaftswachstum.132 Gänzlich ablehnend äußerte sich Japan, demzufolge grundlegende Rechte von kulturellen, politischen und ökonomischen Umständen unabhängig seien und niemals der wirtschaftlichen Entwicklung geopfert werden dürften. Vielmehr müsse die Entwicklung eines Staates gerade dem Schutz dieser Rechte zugute kommen.133

126 Siehe die Erklärung Han Sung-joos, damaliger Außenminister der Republik Korea, vom 15.06.1993, abgedruckt in: J. Tang, Human Rights and International Relations in the Asia-Pacific Region, S. 219–222 (219, 220). 127 Vgl. Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 53 (55), m.w. N. 128 Regierungszeit 1998–2003. 129 Foreign Affairs 73 (1994), 189 (189). 130 Foreign Affairs 73 (1994), 189 (191 f.). 131 Erklärung vom 16.06.1993, abgedruckt in: J. Tang, Human Rights and International Relations in the Asia-Pacific Region, S. 238–242 (241). 132 Ramos, To Win the Future, sowie, Far Eastern Economic Review 155 (1992), 29 (29). 133 Siehe die Erklärung des japanischen Gesandten bei der Wiener Menschenrechtskonferenz vom 18.06.1993, abgedruckt in: J. Tang, Human Rights and International Relations in the Asia-Pacific Region, S. 218–219 (218), sowie Langguth, Asia Europe Journal 1 (2003), 25 (36). Indes gab es in Japan auch Gegenstimmen, die das Konzept der „asiatischen Werte“ vehement vertraten, siehe insbesondere Shintaro Ishihara, ehemaliger Verkehrsminister und gegenwärtiger Gouverneur der Präfektur Tokio, mit Mahathir, The Voice of Asia.

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D. Medienfreiheit

(2) Internationale Erklärungen Trotz dieser durchaus divergierenden Ansichten kam es im Vorfeld der zweiten UN-Menschenrechtskonferenz in Wien 1993134 bei einem vorbereitenden Gipfeltreffen zu einer von 34 asiatischen Staaten getragenen Abschlusserklärung, der sogenannten Bangkok Declaration.135 Obgleich unter den Signatarstaaten auch Kritiker des Konzepts der „asiatischen Werte“ vertreten waren,136 folgte die Erklärung in ihrem Grundtenor dem von Lee und Mahathir vorgegebenen Kurs: In ihr findet sich eine Reihe grundlegender Rechte, wie sie aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte137 und den beiden UN-Abkommen von 1966138 bekannt sind.139 Diese Rechte und das sie umgebende System erhalten jedoch eine spezifische Färbung, etwa indem in Ziff. 5 der Deklaration das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten140 betont und die Bezugnahme auf Menschenrechte als politisches Druckmittel abgelehnt wird. Zwar weist noch Ziff. 7 derselben Erklärung auf die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte hin, doch wird diese bereits im darauffolgenden Absatz relativiert. So seien Menschenrechte gemäß Ziff. 8 im Kontext „eines dynamischen Prozesses internationaler Normsetzung“ zu sehen, bei dem wiederum nationalen und regionalen Besonderheiten sowie den verschiedenen historischen, kulturellen und religiösen Hintergründen Rechnung zu tragen sei. Der Theorie der „asiatischen Werte“ entspricht auch, dass das Recht auf Entwicklung als universell und unveräußerlich hervorgehoben (Ziff. 17) und die generelle Gleichwertigkeit von wirtschaftlichen und kulturellen Rechten mit politischen Freiheiten herausgestellt wird (Ziff. 10). Im Oktober des gleichen Jahres machte sich der Verband Südostasiatischer Staaten, ASEAN, wesentliche Thesen der Bangkok Declaration zu Eigen. Auf ihrer 14. Generalversammlung verabschiedete die ASEAN Inter-Parliamentary 134 Der offizielle Titel lautete „World Conference on Human Rights“. Sie wurde ausgetragen vom 14. bis zum 25.06.1993. 135 Vom 07.04.1993, UN-Dok. A/CONF.157/ASRM/8, UN-Dok. A/CONF.157/PC/ 59. Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Brassel, Gleiche Menschenrechte für alle, S. 59–63. 136 Genannt seien hier vor allem die zuvor erwähnten Staaten Japan, Südkorea und die Philippinen. Japan äußerte eine Reihe von Vorbehalten. So könnten Erklärungen zu Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern nicht als Einmischung in deren innere Angelegenheiten eingestuft werden, siehe Fairclough, Far Eastern Economic Review 156 (1993), 22 (22). 137 Siehe oben, Kapitel D., Fn. 28. 138 Siehe oben, Kapitel B., Fn. 77. 139 Hieraus weist auch Brems hin, nach der sich in der Erklärung „traditionelle“ mit „asiatischen“ Werten mischten, Human Rights, S. 75. 140 Das Prinzip ist Ausfluss des Grundsatzes der souveränen Gleichheit der Staaten nach Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta. Hiernach können Staaten ihr politisches und gesellschaftliches System frei entwickeln, Ipsen-Epping, Völkerrecht, § 26, Rn. 11. Genauer dazu Beyerlin, in: Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Rechts, S. 296 ff.

II. Beurteilungsmaßstab

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Organisation (AIPO), der zu diesem Zeitpunkt Delegierte aus Indonesien, Malaysia, den Philipinnen, Singapur und Thailand angehörten, die sogenannte Kuala Lumpur Declaration on Human Rights141. Während die Deklaration von Bangkok vergleichsweise große Aufmerksamkeit erhalten hat, geriet diese Erklärung in der Debatte um „asiatische Werte“ oft in den Hintergrund. Gerade sie aber ist von Bedeutung, da in ihr dem Konzept der „asiatischen Werte“ erstmals, wenn auch nicht rechtsverbindlich, institutionalisiert auf internationaler Ebene Ausdruck verliehen worden war.142 Sie enthält ebenso wie die Deklaration von Bangkok Elemente des unter den Vereinten Nationen entstandenen Menschenrechtsregimes. Durch erläuternde Regelungen gelang es jedoch auch hier den Befürwortern der von Lee, Mahathir und anderen vorgegebenen Linie, den aufgezählten Rechten ein vermeintlich „asiatisches“ Gewand zu geben: So hebt Art. 4 der AIPOErklärung hervor, dass Staaten eigene Ziele und Prioritäten haben, für deren Verwirklichung sie Mittel und Weg autonom festlegen. Nach Art. 5 der Erklärung fände ein weltweiter Menschenrechtsschutz seine Grenzen in der nationalen Souveränität, der territorialen Einheit von Staaten und dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Wenngleich man hierbei vermieden hatte, Menschenrechte explizit dem Bereich einzelstaatlicher Souveränität zuzuweisen und sie damit gänzlich nationalem Ermessen zu unterstellen, tritt nach einer Gesamtbetrachtung der Art. 4 und 5 sowie der sie umgebenden Normen doch eine Verwehrung gegenüber supra- bzw. internationalen Durchsetzungsmechanismen im Menschenrechtsschutz zu Tage. Eine weitere Bestätigung der Bangkok Declaration ist in der Feststellung zu sehen, dass Menschenrechte nach Abs. 5 der Präambel jeweils „in einem dynamischen und sich entwickelnden Gesamtzusammenhang“ einzuordnen seien. Wie in Ziff. 8 der Erklärung von Bangkok wurde damit ein international einheitlicher Maßstab zur Anwendung menschenrechtlicher Normen verneint. In Art. 1 wird die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Rechten des Individuums und denen der Gemeinschaft unterstrichen. Unter letzteren sticht gemäß den Art. 4, 6, 16 und 17 der Kuala Lumpur Declaration das Recht auf Entwicklung hervor, welches bereits die Erklärung von Bangkok in den Mittelpunkt gerückt hatte. Allerdings kann dieser gegenüber eine Einschränkung darin gesehen werden, dass nach Art. 6 „nationale Entwicklung auf der Achtung der menschlichen Würde und des Wertes eines Menschen gründet“. Einer Forderung von Kritikern des Konzeptes der „asiatischen Werten“ wurde damit insoweit Rechnung getragen, als dass hier eine gesamtheitliche Betrachtungsweise von kollektiven Rechten und solchen, die auf Einzelpersonen zugeschnitten sind, Andeutung gefunden hat. Nach dieser ist es nicht möglich, Individualrechte unter bloßem Verweis auf die Höhergewichtung des Allgemeinwohls einzuschränken.

141 142

Eine deutsche Übersetzung findet sich in KAS-AI 11 (1993), S. 47–49. Ähnlich Brems, Human Rights, S. 83.

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D. Medienfreiheit

(3) Zivilgesellschaftliche Reaktionen Mit der Betonung nationaler Maßstäbe, mit ihren kulturrelativistischen Ansätzen und mit der Stärkung eines kollektivistisch angelegten Rechts auf ökonomischen Fortschritt übernahmen die Deklarationen von Bangkok und Kuala Lumpur wesentliche Elemente des Konzepts der „asiatischen Werte“. Hiermit haben sie bei Menschenrechtsgruppen und politischen Parteien sowie in der akademischen Auseinandersetzung erhebliche Kritik hervorgerufen, gerade auch in Staaten, die angeblich dem Geltungsbereich „asiatischer Werte“ zuzurechnen seien: Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zunächst die parallel zur Bangkoker Staatenkonferenz von 1993 verabschiedete Bangkok NGO Declaration143. Mit ihr meldeten mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen aus 26 Staaten des Asien-Pazifik-Raumes Kritik an Kernpunkten des Konzepts der „asiatischen Werte“. So stelle der Erklärung zufolge die Förderung von Menschenrechten keinen Eingriff in die nationale Souveränität dar (Ziff. II., Abs. 1). Weiterhin dürften Rechte des Individuums, gleich welchem Schutzziel sie dienten, nicht gegeneinander ausgespielt werden (Ziff. II, Abs. 2). In die gleiche Richtung zielten Erklärungen auf nationaler Ebene wie z. B. die im Dezember 1994 verabschiedete Malaysian Charter on Human Rights144. Oppositionsparteien sowie etwa 50 malaysische NGOs wandten sich hierin gegen die Forderung nach einem spezifisch asiatischen Menschenrechtsmodell.145 So betonten sie die Universalität der Menschenrechte (Art. 1), riefen nach einer fortschreitenden Demokratisierung des Landes (Art. 5) und drängten auf die, bis heute ausstehende146, Unterzeichnung des IPbpR147 und des IPwskR148. Gleichwohl erfolgten diese Forderungen auf Grundlage der Anerkennung spezifischer Charakteristika Malaysias149, wie seine Multikulturalität 150 und seinem Status als Entwicklungsland151. Die malaysische Menschenrechtserklärung erzeugte hiermit den Eindruck, zwischen einem universellen und einem relativistischen Menschenrechtsbegriff vermitteln zu wol143

Abgedruckt in Asian Cultural Forum on Development, Our Voice, S. 12–17. Abgedruckt in Aliran Monthly 13 (1993), Nr. 5, 27–30. Eine ähnliche Erklärung formulierte ein Zusammenschluss indonesischer NGOs, die Joint Declaration on Human Rights. Dazu Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 54 (70), m.w. N. 145 Dabei bestanden selbst unter Gegnern eines „asiatischen“ Menschenrechtsmodells durchaus Differenzen. So sei die Universalität der Menschenrechte nach der Mehrheit islamischer Organisationen nicht philosophisch oder mit Verweis auf internationale Regelwerke, sondern religiös zu begründen, vgl. Weiss, in: Weiss/Hassan, Social Movements in Malaysia, S. 140 (141). 146 Stand: 20.08.2011. 147 Siehe Kapitel D., Fn. 69. 148 Siehe oben, Kapitel B., Fn. 77. 149 Dies betont auch Weiss, in: Alagappa, Civil Society and Political Change in Asia, S. 259 (278). 150 Abs. 1 der Präambel der malaysischen Menschenrechtscharta. 151 Abs. 3 der Präambel der malaysischen Menschenrechtscharta. 144

II. Beurteilungsmaßstab

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len.152 Eingeständnisse gegenüber dem Konzept der „asiatischen Werte“, wie hier der Verweis auf lokale Eigenheiten, fanden sich vornehmlich jedoch in der Präambel der Erklärung. Dagegen wurden in darauffolgenden Artikeln konkrete Forderungen erhoben, die eine Anpassung an das internationale Regelwerk, insbesondere durch Ratifizierung verschiedener UN-Menschenrechtsverträge,153 vorsahen. Trotz der Prämisse besonderer kultureller Eigenschaften und der Berücksichtigung des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes begaben sich die NGOs mithin in Widerspruch zu der von Mahathir geäußerten Sichtweise. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass die Initiatoren der Erklärung seitens der Regierung als „subversiv“, „unnational“ und „verwestlicht“ gebrandmarkt worden sind.154 Scharfe Kritik am Konzept der „asiatischen Werte“ übte ferner ein Zusammenschluss von NGOs, vor allem aus Hongkong, aber auch aus Kambodscha, Malaysia, Sri Lanka und Südkorea, mit der Asian Human Rights Charter von 1998.155 Nach Art. 1 Abs. 5 der Charta diene das Argument „asiatischer Werte“ lediglich der ideologischen Unterfütterung des von seinen Anhängern verfolgten Autoritarismus. In Art. 2 Abs. 2 wurde eingewandt, dass kulturelle Begebenheiten zwar durchaus die in einer Gesellschaft bestehenden Beziehungsgefüge prägen könnten, dies für die Menschenrechte allerdings ohne Wirkung sei, da diese nicht das Verhältnis zwischen den Bürgern untereinander, sondern vorrangig das zwischen ihnen und dem Staat beträfen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass alle der drei privat initiierten Erklärungen die Kritik an „asiatischen Werten“ mit der dieser Arbeit zugrundeliegenden Normenkollision verknüpft haben: In Ziff. II Abs. 10 der Bangkok NGO Declaration wurde der Vorwurf erhoben, das „asiatische“ Regierungsmodell nutze den Begriff der „nationalen Sicherheit“ als Vorwand zur Beschneidung des Rechts auf freie Meinungskundgabe. Entsprechend forderte die malaysische Menschenrechtserklärung gemäß Art. 20 Abs. 4 die Rücknahme gesetzlicher Repressionen, denen die Presse durch das „Gesetz über Staatsgeheimnisse“, das „Gesetz für innere Sicherheit“ sowie das „über Printmedien und deren Veröffentlichungen“ ausgesetzt sei.156 Auch die Asian Human Rights Charter kritisierte

152 Vgl. Weiss, in: Alagappa, Civil Society and Political Change in Asia, S. 259 (278); Eldridge, The Politics of Human Rights in Southeast Asia, S. 99. 153 Neben den beiden Abkommen von 1966 waren dies das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, geschlossen am 18.12.1979, in Kraft seit dem 03.09.1981, die UN-Antifolterkonvention, geschlossen am 10.12.1984, in Kraft seit dem 26.06.1987, sowie die Kinderrechtskonvention, geschlossen am 20.11. 1989, in Kraft seit dem 20.09.1990. 154 Vgl. Weiss, in: Weiss/Hassan, Social Movements in Malaysia, S. 140 (142). 155 Herausgegeben von der Asian Human Rights Commission, verabschiedet am 18.05.1998 zum 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 156 So erhalten z. B. Printmedien jeweils nur eine jedes Jahr von neuem zu verlängernde Lizenz.

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D. Medienfreiheit

die Unterdrückung politischer Opposition mit Hilfe nationaler Sicherheitsgesetzgebung.157 (4) Fazit Dem Einwand der „asiatischen Werte“, der gegenüber den von der EU und den USA vertretenen Menschenrechtsvorstellungen erhoben wurde, trat man dort eher defensiv entgegen. Auch wenn Menschenrechte ein wesentlicher Gegenstand europäischer Asienpolitik geblieben sind,158 war man fortan doch darauf bedacht, dem Vorwurf des „Eurozentrismus“ zu entgehen.159 Zu größeren Teilen handelte es sich daher um eine innerasiatische Auseinandersetzung. Angesichts der vorstehend angedeuteten Vielzahl ihrer Teilnehmer und derer oftmals differenzierten Äußerungen ergibt sich aus der Debatte kein einheitliches Konzept, dessen Befürworter und Gegner klar zu unterteilen sind. Vielmehr haben Nationalstaaten, zwischenstaatliche Organisationen, politische Parteien und NGOs Positionen bezogen, die sich jeweils nur abgestuft als eher relativistisch oder eher universalistisch beschreiben lassen.160 Wenngleich die Debatte um „asiatische Werte“ mittlerweile abgeflaut ist und darin aufgestellte Thesen mit weniger Vehemenz vertreten werden, bestehen die konfligierenden Positionen doch fort:161 So forderte beispielsweise Mohammad Jusuf Kalla, bis 2009 indonesischer Vizepräsident, die fortschreitende Integration des ASEAN-Raumes auf Grundlage gegenüber westlichen Vorstellungen abzugrenzender „asiatischer Werte“.162 Zudem richtet sich der gegenwärtige Premierminister Singapurs, Lee Hsien Loong, ganz im Sinne seiner Vorgänger gegen eine Übernahme des westlichen Demokratiemodells163 und propagiert für die Gesellschaften Ostasiens einen modifizierten Begriff der Pressefreiheit. So seien dort „verantwortlich handelnde Medien“ erforderlich, die sich in ihren Veröffentlichungen an den Interessen der Regierung und des Gemeinwohls zu orientieren hätten.164

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Vgl. Art. 14 Abs. 3 der Asian Human Rights Charter. Wiessala, The European Union and Asian Countries, S. 46 ff. 159 Langguth, Asia Europe Journal 1 (2003), 25 (26 ff.). 160 Eine Einordnung der „asiatischen Werte“ in die menschenrechtliche Universalismus-Debatte findet sich auch bei Sen, Human Rights and Asian Values, S. 9. 161 Dies betont auch Wiessala, Re-Orientating the Fundamentals, S. 40. 162 Vgl. Xinhua, People’s Daily Online vom 01.12.2006, einsehbar unter http://eng lish.people.com.cn/200612/01/eng20061201_327303.html (Stand: 20.08.2011). 163 H. Lee, Asia Europe Journal 5 (2007), 1 (4). 164 H. Lee, Asia Europe Journal 5 (2007), 1 (5 f.). 158

II. Beurteilungsmaßstab

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bb) Inhalt (1) Argumentationsmuster Die Vielzahl vorgenannter Diskussionsbeiträge von Anhängern des Modells der „asiatischen Werte“ macht von wenigen und zumeist identischen Begründungsansätzen Gebrauch. Hierbei sind zwei grundlegende Argumentationslinien zu unterscheiden: Während eine erste erklärt, warum sich vermeintlich „westliche“ Rechtsauffassungen nicht auf Asien übertragen lassen, zielt eine zweite auf die Hervorhebung der eigenen Normvorstellungen. Ausgangspunkt der Argumentation ist zunächst eine historische Betrachtung. So wird darauf hingewiesen, dass Menschenrechte ihre Wurzeln in Europa und den USA haben. Angeführt werden in diesem Zusammenhang bedeutende Wegmarken hin zur Entwicklung des gegenwärtigen Vertragsregimes, beginnend mit englischen Errungenschaften wie der Magna Charta von 1215 und dem Habeas Corpus Act von 1679 bis hin zur Virginia Declaration of Rights von 1776 und der französischen Déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1789. Zudem wird geltend gemacht, dass auch die heute bestehenden UN-Konventionen zum Schutz individueller Freiheits- und Gleichheitsrechte auf Initiative nicht-asiatischer Nationen zurückzuführen seien und von da aus der in diesen niedergelegte Wertekanon keine allgemeine Geltung beanspruchen könne.165 Das liberale Gesellschaftsmodell des Westens einschließlich der politischen Freiheiten des Individuums habe in Asien keinerlei Verankerung und dürfe aus diesem Grund nicht blindlings auf dortige Staaten übertragen werden.166 Zusätzlich zu geschichtlichkulturellen Voraussetzungen fehle es in einigen dieser Länder überdies an einem ausreichenden Wohlstandniveau. Solange die Bevölkerung dringendere Bedürfnisse habe, mache es z. B. keinen Sinn, eine freie Berichterstattung der Medien zu gewährleisten, gerade auch, da in diesen Fällen das Recht auf freie Meinungskundgabe vom Einzelnen oftmals schon wegen materieller Defizite gar nicht in Anspruch genommen werde.167 Ein Drängen westlicher Staaten auf Implementierung der in den UN-Abkommen aufgezählten Rechte wird angesichts solcher Erwägungen als Arroganz168, mitunter gar als Machtpolitik169 ausgelegt. Kritik in Menschenrechtsfragen, vor allem aber deren Verknüpfung mit Instrumenten der Handelspolitik, geißeln Vertreter der „asiatischen Werte“ als Verstoß gegen das Nichteinmischungsgebot gemäß Art. 2 Ziff. 1 der UN-Charta. In diesem Kontext wird zudem der Vorwurf „doppelter Standards“ erhoben. So würden die EU und 165

Siehe Mahathir im Spiegel vom 21.08.1995, S. 136 (138). Mahbubani in der International Herald Tribune vom 1./2.10.1994, S. 4. 167 Tran, Far Eastern Economic Review 157 (1994), 17 (17); Liu, in: Sommer, Menschenrechte, S. 93. 168 Ishihara/Mahathir, Asiaweek vom 08.09.1995, S. 40 (40). 169 Qian Qichen, Außenminister der VRC von 1988 bis 1998, vor der UN-Generalversammlung am 25.09.1991, abgedruckt in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 351 ff. 166

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die USA nur selektiv, in einer beliebig erscheinenden Auswahl von Staaten Menschenrechtsverletzungen anprangern.170 Neben der fehlenden Übertragbarkeit des als „westlich“ bezeichneten Wertemodells sei dieses jedoch auch deshalb abzulehnen, weil es hierin zur Überbetonung von Individualinteressen zulasten des Gemeinwohls komme.171 Die Freiheiten des Einzelnen könnten sich überhaupt erst in einem geordneten und sicheren Gemeinwesen voll entfalten. Letzteres müsse daher stets Vorrang erhalten.172 Eine stärkere Gewichtung von Interessen des Kollektivs, vor allem dessen Recht auf Entwicklung, sowie besonders ausgeprägte Wertvorstellungen der ostasiatischen Gesellschaften würden sich ferner als Vorteil im wirtschaftlichen Wettbewerb auswirken.173 Zu untermauern versucht hat man diese These mit den überdurchschnittlichen Wachstumsraten der sogenannten „Tigerstaaten“ Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan.174 Autoritäre Regierungssysteme hätten sich als effizienter erwiesen als ein demokratisches Modell mit seinen langwierigen Entscheidungsverfahren.175 Beispielsweise hätten sich die Investitionsbedingungen in Indonesien nach dem Rücktritt Suhartos 1998 verschlechtert, da aufgrund eines gestärkten Parlaments und freier Presse ökonomisch notwendige Reformen sich nicht haben durchsetzen lassen.176 Vorteile der „asiatischen Werte“ würden sich darüber hinaus in einer niedrigeren Kriminalität und stabileren Familienverhältnissen äußern. Auch deshalb seien sie der Einführung vermeintlich westlicher Standards vorzuziehen.177 (2) Der diskutierte Wertekatalog Der Katalog jeweils als „asiatisch“ zu qualifizierender Werte ist nicht fest umrissen.178 Je nach Herkunft und Aussageziel werden von Anhängern des Konzepts 170 Siehe Mahathir im Spiegel vom 21.08.1995, S. 136 (137); Mahbubani, Foreign Affairs 72 (1993), 10 (12). 171 K. Lee im Gespräch mit Fareed Zakaria in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (111). 172 Herdegen bezeichnet wiederum solche Kritik asiatischer Staaten, insbesondere an der „Humanitätsduselei“ und der wegen überhöhtem Individualrechtsschutz vermeintlich gescheiterten Kriminalitätsbekämpfung westlicher Länder, als Arroganz, in: Pawlowski/ Roellecke, Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, S. 117 (118). 173 Vgl. Vatikiotis, Far Eastern Economic Review 157 (1994), 28 (28). Nach Ansicht des malaysischen Finanzministers Tun Daim Zainnuddin beständen darüber hinaus auch wirtschaftspolitische Unterschiede. So seien asiatische Staaten nicht von Selbstregulierungsmechanismen des Marktes überzeugt und neigten eher zu interventionistischen Maßnahmen. 174 Vgl. hierzu Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, 54 (56); C. Lee, Asia Europe Journal 1 (2003) 43 (57). 175 Muzaffar/Chandra, Südostasien Informationen 10 (1994), 15 (15). 176 H. Lee, Asia Europe Journal 5 (2007), 1 (4 f.). 177 K. Lee interviewt durch Fareed Zakaria, Foreign Affairs 73 (1994), 109 (112 f.). 178 Dies betont auch Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 53 (61).

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bestimmte Normen hervorgehoben, die die Region vom Rest der Welt unterschieden.179 Konsequenzen vermeintlich kulturspezifischer Moral- und Rechtsauffassungen lassen sich indes stets nur im Hinblick auf die konkret angeführte Auswahl und Kombination einzelner Werte formulieren.180 Grundlage dieser Erörterung sei daher ein Kreis regelmäßig und übereinstimmend unter der Bezeichnung „asiatische Werte“ geltend gemachter Normvorstellungen, wie sie teilweise schon bei Wiedergabe der nationalen Positionen und Debattenbeiträge deutlich geworden sind. Sie spiegeln zum Großteil konfuzianisches Gedankengut wider, auch wenn Befürworter in der Diskussion, wohl um den panasiatischen Charakter des Konzepts zu betonen, zumeist nur von „asiatischen“ Werten sprechen. Diese fügen sich zu einem Gesellschafts- und Wertebild, das nachfolgend zusammengefasst sei.181 Ein Grundmotiv, das bereits in vorstehenden Ausführungen Andeutung gefunden hat, ist die Wertschätzung der Gemeinschaft einhergehend mit dem Verzicht auf individuelle Freiheit. Dieses findet in zweifacher Weise Ausdruck: zum einen in einer allgemeinen Konsensorientierung182, zum anderen in der Befolgung autoritärer Strukturen183. Beide diese Eigenschaften entspringen einer auf das Kollektiv fokussierten Sichtweise und der Bestrebung, die als grundlegend erachtete Harmonie aufrechtzuerhalten. Sie finden mehrstufig Anwendung in den unterschiedlichen sozialen Einheiten, also sowohl in Familien, Clans, Nachbarschaftsgemeinschaften und Gemeinden als auch bezogen auf die Gesellschaft im Allgemeinen.184 Der besondere Gemeinschaftssinn äußert sich in der Aufopferungsbereitschaft des Einzelnen, genauer in dessen Fleiß, Ausdauer und Disziplin. Solche Normvorstellungen sind wiederum Grundlage verschiedener Sekundärtugenden. Dazu gehören eine erhöhte Lernbereitschaft und ein überdurchschnittliches Bildungsverlangen185 wie aber auch ein auf wirtschaftliche Selbstverantwortung gerichte179 So verzichteten z. B. Vertreter der VRC, anders als solche Singapurs, auf die Hervorhebung ökonomischer Selbstverantwortung als einen „asiatischen Wert“ und legten stattdessen Betonung auf das Prinzip der Nichteinmischung, vgl. die Rede des damaligen Außenministers Qian Qichen vor der UN-Generalversammlung am 25.09.1991, abgedruckt in: Europa-Archiv 47 (1992), S. 351 ff. sowie die Stellungnahme des stellvertretenden Außenministers Liu Huaqiu, in: Sommer, Menschenrechte, S. 93. 180 So auch S. Han, in: Han, Changing Values in Asia, S. 3 (8). 181 Zu dem dabei verfolgten Ansatz einer Systematisierung bestehen zweifelsohne zahlreiche Alternativen. So können beispielsweise die an die Presse gestellten Forderungen ebenso dem Aspekt der Autoritätshängigkeit zugeordnet werden, vgl. nachstehende Ausführungen. 182 Vgl. Boll, International Review of the Red Cross 841 (2001), 45 (46). 183 Die vor allem aus dem Konfuzianismus rührt, vgl. A. Chen, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 505 (506). 184 Vgl. Koh in der International Herald Tribune vom 11./12.12.1993, S. 6. 185 Siehe K. Lee im Gespräch mit Fareed Zakaria in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (113).

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tes Arbeitsethos, das sich sowohl in Sparsamkeit als auch in der Bereitschaft äußert, finanziell an der Entwicklung nationaler Unternehmen, allen voran durch Aktienerwerb, zu partizipieren186. Neben diesen Individualmerkmalen folgen aus dem Bemühen um Vermeidung offen ausgetragener Konflikte Konsequenzen für die Art und Weise der sozialen Kommunikation: So fungiert die Presse nicht als „vierte Gewalt“,187 welche staatliche Handlungen der Kontrolle der Öffentlichkeit unterwirft.188 Sie ist vielmehr selbst Teil eines staatlich-gesellschaftlichen Gesamtkomplexes, in dessen Rahmen sie ihre Rolle gemäß den Vorgaben der Regierung und in Übereinstimmung mit den vermeintlich einheitlichen Wertvorstellungen der Gesellschaft auszuführen hat.189 In der Privatwirtschaft bilden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite keinen Antagonismus; anstelle konträr geführter Tarifverhandlungen erfolgt ein „nationales Teamwork“, getragen von einem gemeinsamen, auf den Staat als Ganzes bezogenen Interesse an Wirtschaftswachstum und der Mehrung von Wohlstand.190 Das zweite Grundmerkmal des „asiatischen“ Gesellschaftsmodells liegt in der allgemeinen Neigung zu und Akzeptanz von Hierarchien. Diese basieren auf dem Bedürfnis nach Stabilität und der damit verbundenen Einhaltung von Regelwerken. Als Beleg hierfür werden die Hinnahme drakonischer Strafen bei Verletzung von Verbotsnormen sowie niedrigere Kriminalitätsraten herangezogen.191 Auswirkungen einer an Konventionen orientierten Lebensführung seien überdies auch im privaten Bereich festzustellen, z. B. in Form vergleichsweise geringer Scheidungsquoten192 sowie strengerer Moralvorstellungen;193 ferner werde Eltern und älteren Menschen ein besonderer Achtungsanspruch zuteil.194 Über dieses Modell individueller und kollektiver Normen hinaus seien hier vollständigkeitshalber weitere Gesichtspunkte genannt, die ebenso von Befürwor186 Siehe K. Lee im Gespräch mit Fareed Zakaria in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (113); Koh, International Herald Tribune vom 11./12.12.1993, S. 6. 187 Hierzu Pürer, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, S. 423 ff., sowie Delhaes, Politik und Medien, S. 206 f. 188 Koh, International Herald Tribune vom 11./12.12.1993, S. 6; ausführlich hierzu, insbesondere mit Kritik am westlichen Medienverständnis, Mahbubani, The Sunday Times vom 07.03.1993, S. 6 f. 189 Quintos de Jesus spricht hierbei von einer Theorie der sozialen Verantwortung, nach der die Pressefreiheit begrenzt ist durch die Aspekte der nationalen Sicherheit, Einigkeit und Harmonie, Südostasien Informationen 12 (1996), 23 (23). 190 Koh, International Herald Tribune vom 11./12.12.1993, S. 6. 191 Siehe Ishihara zusammen mit Mahathir, Asiaweek vom 08.09.1995, S. 40 (43). 192 Siehe K. Lee im Gespräch mit Fareed Zakaria in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (112); Koh, International Herald Tribune vom 11./12.12.1993, S. 6. 193 Verwirklicht z. B. durch das Verbot homosexueller Handlungen, siehe Datuk, in: Sommer, Menschenrechte, S. 46 (47); Koh, International Herald Tribune vom 11./ 12.12.1993, S. 6. 194 Vgl. Boll, International Review of the Red Cross 841 (2001), 45 (46); siehe auch Ishihara/Mahathir, The Voice of Asia, S. 80.

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tern des Konzepts der „asiatischen Werte“ vorgetragen werden, jedoch weniger als Werte als als Wertungen einzuordnen sind. Die innere Ordnung betreffend wird die parlamentarische Demokratie als ineffizient und destabilisierend empfunden.195 Nach außen gerichtet ist dagegen die Ablehnung universeller Menschenrechtsstandards und Mittel für deren internationale Durchsetzung.196 Zu letzteren zählen eine auf die Einhaltung von Menschenrechten pochende Handels- und Entwicklungspolitik sowie völkerrechtliche Verträge samt hierdurch begründeter Kontrollmechanismen.197 b) Rechtliche Auswirkungen in der SVZ Hongkong Zusammenfassend sind unter dem Terminus der „asiatischen Werte“ Sichtweisen zur Diskussion gelangt, denen zufolge ein internationales Menschenrechtssystem zwar nicht gänzlich zurückzuweisen ist, dessen Ausgestaltung aber nationaler Politik zu unterliegen und die genannten normativen Grundvorstellungen in Ostasien zu berücksichtigen hat. Nach diesen wiederum sind Güter der Gemeinschaft, allen voran Wohlstand und Sicherheit, höher zu bewerten als individuelle Rechte wie das auf Pressefreiheit. Zu klären bleibt die Bedeutung eines solchen Modells für Grundrechtsuntersuchungen in der Sonderverwaltungszone Hongkong: Denkbar sind zunächst Auswirkungen auf den völkerrechtlichen Rechtssetzungsprozess und das mit diesem verbundene Grundrechtsregime der SVZ, und zwar unabhängig davon, ob dem Konzept aus rechtstheoretischer Perspektive zuzustimmen ist.198 Darüber hinaus könnte es angesichts „asiatischer Werte“ – deren Bejahung hier jedoch vorausgesetzt – zu einer normativen Gewichtsverschiebung kommen, der zufolge die bei der Ausgestaltung staatsschutzrechtlicher Straftatbestände im Sinne des Art. 23 BL erforderliche Güterabwägung mit der Pressefreiheit zugunsten der nationalen Sicherheit beeinflusst wäre. 195 Demokratie wird gleichwohl nicht gänzlich abgelehnt. Mahathir fordert eine „asiatische Demokratie“. In ihr ist die Bedeutung der politischen Opposition und anderer Kontrollinstanzen verringert, siehe dens. im Spiegel vom 21.08.1995, S. 136 (137). Beworben wird zudem ein Good Governance-Modell mit einer säkularen wie pragmatischen Regierungsführung, Jayakumar, Far Eastern Economic Review 159 (1996), 26. In diesem Sinne äußerte sich auch der damalige Justizminister Malaysias Datuk Syed Hamid, demzufolge dem westlichen Demokratiemodell gar eine „wohlwollende Diktatur“ vorzuziehen sei, in: Sommer, Menschenrechte, S. 46 (47). 196 Vgl. hierzu Hui, ASIL Proceedings 99 (2005), 413 (413 f.). 197 Siehe Ziff. 5 der Bangkok Declaration sowie die Stellungnahme des damaligen stellvertretenden Außenministers der VRC Liu Huaqiu, in: Sommer, Menschenrechte, S. 93. 198 Angenommen wird, dass der Geltungsgrund des Völkerrechts im zwischenstaatlichen Konsens zu suchen ist. Mangelt es an einer Übereinstimmung zwischen Akteuren des Völkerrechts, fehlt es an einer Rechtsbegründung, gleich ob die Position des einen oder des anderen Staates rechtsphilosophisch oder unter sonstigen Gesichtspunkten unzulässig erscheint. Grundlegend hierzu siehe z. B. Potyka, Rechtssetzung und Entscheidung im Völkerrecht, S. 21 f., m.w. N.

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aa) Implikationen für grundrechtliche Rechtsgrundlagen Völkerrechtlich könnte sich das Modell der „asiatischen Werte“ insofern ausgewirkt haben, als aufgrund fehlender opinio iuris in den entsprechenden Staaten Ostasiens die Entstehung bzw. Ausweitung menschenrechtlichen Völkergewohnheitsrechts mit Bezug auf die als „westlich“ titulierten Rechte verhindert worden ist.199 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass selbst diejenigen, welche einen kulturrelativistischen Ansatz bezüglich der Menschenrechte verfolgen, diese nicht gänzlich ablehnen. Die Kritik an den Menschenrechten konzentriert sich vielmehr auf ihre Gewichtung sowie auf die Einheitlichkeit und die Methoden ihrer Durchsetzung. Ferner kommen als allgemein verbindlicher Mindeststandard generell nur besonders grundlegende Rechte in Frage, wie das auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit sowie das Recht auf Gleichheit vor Gesetz und Gericht.200 Das Konzept der „asiatischen Werte“ fordert ein verändertes Rechtsverständnis indes vor allen Dingen bezüglich kommunikativer Freiheitsrechte, welche nach allgemeiner Ansicht bislang aber ausschließlich auf vertragliche Regelungen zurückzuführen sind. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass in Hongkong ohnehin die völkervertragsrechtliche Regelung des Art. 19 Abs. 2 IPbpR gilt,201 so dass es hier auf eine gewohnheitsrechtliche Geltung der Pressefreiheit nicht mehr ankommen würde. Unmittelbar rechtliche Auswirkungen dürften „asiatische Werte“ in der SVZ somit kaum entfalten.202 bb) Implikationen für die grundrechtliche Güterabwägung Wenngleich „asiatische Werte“ das in Hongkong bestehende grundrechtliche Regelwerk nicht direkt berühren, implizieren sie doch einen veränderten Maßstab bei der Rechtsauslegung und -anwendung. Ausgehend von der in ihnen angelegten kulturrelativistischen Sichtweise wären diese Normen bei Grundrechtsabwä199 Zu den Voraussetzungen der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht siehe z. B. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, S. 54 ff. 200 Ipsen-Ipsen, Völkerrecht, § 50, Rn. 6, 11. 201 Siehe oben, Kapitel D. II. 1. b). 202 Vorstellbar erscheint allenfalls in Ländern wie z. B. Malaysia und Singapur eine indirekt rechtliche Relevanz, die sich darin äußert, dass gedankliche Erwägungen, wie sie unter dem Schlagwort der „asiatischen Werte“ angestellt worden sind, als Grundlage dienen für die Verweigerung gegenüber internationalen Menschenrechtsverträgen, speziell dem IPbpR. Selbst zur Entwicklung menschenrechtlichen Soft Law dürfte das in Rede stehende Konzept nur geringfügigen Beitrag geleistet haben. Zum Begriff und der Entstehung von Soft Law siehe Shelton, in: Armstrong, Routledge Handbook of International Law, S. 68 (68 ff.); Vitzthum-Kunig, Völkerrecht, S. 148; Potyka, Rechtssetzung und Entscheidung im Völkerrecht, S. 11 ff. So hat z. B. die Abschlusserklärung der Wiener Menschenrechtskonferenz Forderungen der Bangkok Declaration nicht unmittelbar aufgenommen; stattdessen wurden in ihr kritische Punkte schlichtweg so offen formuliert, dass sich in diesen die widersprechenden Positionen gleichsam wiederfinden konnten. Vgl. Brems, Human Rights, S. 67 ff.

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gungen, wie sie vorzunehmen sind bei der Überarbeitung des politischen Strafrechts nach Art. 23 BL, stets einzubeziehen. In Anbetracht der Privilegierung von Kollektivinteressen und da Einschränkungen zugunsten der nationalen Sicherheit nach Art. 16 Abs. 3 BoR und Art. 19 Abs. 3 IPbpR sowie hinsichtlich des Art. 27 1. Hs. BL grundsätzlich zulässig sind und sie insofern, neben dem Gesetzesvorbehalt und einem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, allein dem legislativen bzw. richterlichen Normenausgleich unterliegen,203 folgte aus der Umsetzung des Art. 23 BL hiernach ein vergleichsweise restriktives Staatsschutzregime. Zu prüfen ist daher, inwieweit das Konzept der „asiatischen Werte“ vorliegend Anwendung findet, die Erörterung der Art. 23-Gesetze unter grundrechtlichen Aspekten also kulturspezifische Faktoren zu berücksichtigen hat. Untersucht wird zu diesem Zweck zunächst das Vorliegen grundsätzlicher, durch das Konzept selbst behaupteter Voraussetzungen in der SVZ Hongkong. Stellung genommen wird sodann zur Schlüssigkeit der das Modell tragenden Argumentation.204 (1) Gesellschaftliches Wertesystem in Hongkong Wie dargelegt, geht das Konzept „asiatischer Werte“ vorwiegend auf das Betreiben südostasiatischer Staaten zurück, allen voran auf Singapur und Malaysia. Obgleich sich ein solcher Ansatz seinen Befürwortern nach auf alle Staaten Ostasiens bezieht und somit die SVZ prinzipiell miteinschließt, verbleiben hinsichtlich seiner Anwendbarkeit in Hongkong Zweifel: So nehmen die Sonderverwaltungszonen der VRC, die zur Anfangszeit der Debatte als einzige Gebiete in Asien unter westlicher Kolonialherrschaft gestanden hatten und deren damalige Rechtsordnungen durch „Ein Land, zwei Systeme“ perpetuiert worden sind, in der Region noch immer eine Sonderrolle ein. Auswirkungen „asiatischer Werte“ auf die Untersuchung der Art. 23-Gesetze sind demnach überhaupt nur dann denkbar, wenn das sie umschreibende Modell in Hongkong Geltung erlangt. Von Bedeutung hierfür ist zunächst, ob Hongkong in den hinsichtlich grundlegender Werte vermeintlich einheitlichen Kulturraum Ostasiens einzubeziehen ist, und sodann auch die Frage, inwiefern sich konkrete sozialethische Merkmale feststellen lassen, die als „asiatische“ Werte einer liberalen Begriffsauslegung der Pressefreiheit entgegenstehen. (a) Weltanschauliche und religiöse Rahmenbedingungen Die Hongkonger Gesellschaft hat sich ihre chinesische Identität, allen voran ihre konfuzianischen Wurzeln, trotz der mehr als 150 Jahre britischer Kolonial203

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 404 ff. Dies wäre gegeben, wenn die vorgebrachten Argumente gültig und ihre Prämissen wahr sind, siehe Beckermann, Einführung in die Logik, S. 19 ff. 204

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herrschaft erhalten.205 Dies war gar besser möglich als auf dem Festland, wo traditionelles Gedankengut den „vier grundsätzlichen Leitlinien“, Führerschaft der KPCh, Sozialismus, Marxismus und Maoismus, hatte weichen müssen.206 Konfuzianische Denkweisen sind in Hongkong nicht der klassischen Lehre verhaftet; sie wurden auf die modernen Lebensverhältnisse übertragen und haben sich in Form eines „rationalen Traditionalismus“ in der Bevölkerung erhalten.207 Anstelle einer unmittelbaren Vermittlung werden konfuzianische Grundwertungen in Familie und Gesellschaft internalisiert.208 Es handelt sich dabei um eine Art „säkularen Konfuzianismus“, der sich zudem mit buddhistischen und taoistischen Vorstellungen vermengt hat.209 Eine Religion praktizieren 43% der Hongkonger Bevölkerung.210 Mehr als zwei Drittel sind dem Buddhismus oder Taoismus bzw. beiden diesen Glaubenrichtungen zugleich zuzuordnen.211 Mit den sogenannten „drei Lehren“ 212, d.h. Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus, dominieren in der SVZ Normsysteme, die für China als aber auch für Ostasien im Allgemeinen charakteristisch sind.213 Die größte religiöse Institution in Hongkong ist zwar die Katholische Kirche,214 jedoch liegt dies allein an deren vergleichsweise hohem Organisationsgrad. Mit ihren ca. 250.000 Mitgliedern umfasst sie weniger als 4% der Hongkonger Gesamtbevölkerung.215 Der Anteil christlicher Bewohner beläuft sich insgesamt auf nicht einmal 10%. Zu bedenken ist außerdem, dass westliche Einflüsse der Anwendbarkeit „asiatischer Werte“ nicht zwangsläufig entgegenstehen. Im Gegenteil wird unter diesem Gesichtspunkt216 eine Parallele zu Singapur gezogen, dem als Praxisbeispiel für das „asiatische“ Entwicklungsmodell gar eine Vorbildfunktion eingeräumt wird.217 Ferner leben in der 205 Siehe Woodiwiss, Globalisation, Human Rights and Labour Law in Pacific Asia, S. 143 ff.; Martin/Wilson, Hong Kong Speaks, S. 10, m.w. N. 206 Vgl. S. Lau/Kuan, The Ethos of the Hong Kong Chinese, S. 69, 134 f. 207 C. Lee, Asia Europe Journal 1 (2003), 43 (57), mit Verweis auf eine Studie von Ambrose King und Zhang Hongyi, in: Tang, Chinese Culture and Chinese Philosophy, S. 238–253. 208 Siehe hierzu Ebrey, in: Rozman, The East Asian Region, S. 45 ff. 209 Vgl. den „2008 Report on International Religious Freedom“ des U.S. Department of State, einsehbar unter http://www.state.gov/g/drl/rls/irf/2008/108404.htm#hong_ kong (Stand: 20.08.2011). 210 Siehe denselben Report des U.S. Department of State, einsehbar unter http:// www.state.gov/g/drl/rls/irf/2008/108404.htm#hong_kong (Stand: 20.08.2011). 211 Luk, in: P. Lee, Colonial Hong Kong and Modern China, S. 39 (40). 212 Der Begriff dient der Zusammenfassung des religiösen chinesischen Denkens, siehe Gentz, in: Franke/Pye, Religionen nebeneinander, S. 17 (18). 213 Angaben zur allgemeinen Verbreitung von Religionen in Südostasien finden sich bei Sardesai, Southeast Asia, S. 18 ff. 214 Es handelt sich dabei um die weltweit größte chinesische Diözese. 215 Luk, in: P. Lee, Colonial Hong Kong and Modern China, 39 (39). 216 Wie auch bezüglich der geographischen Lage und des kulturellen Hintergrunds. 217 Vgl. De Bary, Asian Values and Human Rights, S. 3; C. Lee, Asia Europe Journal 1 (2003), 43 (58).

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Sonderverwaltungszone ungefähr 220.000 Muslime, was einem Bevölkerungsanteil von etwas mehr als 3% entspricht.218 (b) Wertauffassungen Losgelöst von solch religiös-weltanschaulichen Vorbedingungen ist die Frage, ob sich bei soziologischer Betrachtung in der SVZ Hongkong als „asiatisch“ deklarierte Wertvorstellungen nachweisen lassen. Hierfür sprechen zunächst allgemeine Haltungen der Hongkonger Bevölkerung: So ist dieser grundsätzlich eine „utilitaristische Familien- und Gemeinschaftsbezogenheit“ zu Eigen, nach der politische wie soziale Stabilität gegenüber individueller Freiheit im Vordergrund steht.219 Weiterhin vertrauen Hongkong-Chinesen traditionell auf eine interventionistische, auf Sicherheit und strikte Rechtsdurchsetzung angelegte Staatsführung, wie sie nach dem in Rede stehenden Konzept als generelles Charakteristikum asiatischer Gesellschaften beschrieben worden ist.220 In der Tat stand eine solche Erwartungshaltung lange Zeit in Widerspruch zur sozialen wie wirtschaftlichen Laissez-faire-Politik der britischen Kolonialregierung. Ferner sind in Hongkong weitere konfuzianische Denkweisen verankert, die mit den zuvor geschilderten Grundmerkmalen des vermeintlich asiatischen Normsystems221 übereinstimmen.222 Sie liegen in der generellen Wertschätzung „sozialer“ und „struktureller Harmonie“, zum einen in tugendhaftem Verhalten und zum anderen in der Anerkennung und Befolgung hierarchischer und paternalistischer Strukturen.223 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich hierbei um kulturell verwurzelte Grundeinstellungen handelt, die infolge des sozialen Wandels aufgeweicht worden sind.224 Konkrete Eigenschaften des geltend gemachten Wertekanons, die aus normativer Sicht zu einer Gewichtsverschiebung in dem durch diese Arbeit problematisierten Zielkonflikt zwischen freien Medien und nationaler Sicherheit führen könnten, sind empirisch folglich nicht ohne Weiteres zu belegen: Zwar würden nach einer bereits in den achtziger Jahren erfolgten Studie 54,2% der Hongkonger die Herrschaft „weniger fähiger Personen“ Debatten um politische Reformen

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Siehe Hong Kong Yearbook 2008, S. 365. Vgl. hierzu Pye, Utilitarian Familism in the Social Life and Development in Hong Kong. 220 Siehe S. Lau/Kuan, The Ethos of the Hong Kong Chinese, S. 88. 221 Siehe oben, Kapitel D. II. 2. a) bb) (2). 222 Martin/Wilson, Hong Kong Speaks, S. 9. 223 Martin/Wilson, Hong Kong Speaks, S. 9, m.w. N. 224 Vgl. Chu/Chang/Hu, Regime Performance, Value Change and Authoritarian Detachment in East Asia, S. 9 ff. Verantwortlich hierfür sind nach S. Chen/Loh westliche Einflüsse, Bildung sowie die Verfügbarkeit globaler Informationen, Cultural Impulses in Hong Kong Politics, S. 17. 219

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vorziehen,225 doch kann hieraus nicht unbedingt auf einen Verzicht auf demokratische Legitimation geschlossen werden. Vielmehr könnte die Zustimmungsrate auch durch einen pragmatischen Ansatz zu erklären sein, dem zufolge eine effektive Regierungsführung höher bewertet wird als eine die politische Beschlussfassung verlangsamende Diskussionskultur. Um Rückschlüsse auf das Vorliegen eines typisch asiatischen Staatsverständnisses zu ziehen, bedürfte es überdies internationaler Vergleichsdaten. Nach einer weiteren Untersuchung erhoffte sich die Mehrzahl der Befragten von einer Demokratisierung eine politische Führung, die ihre Vorhaben unter die Öffentlichkeit einbeziehenden Beratungen verfolgt; weniger als ein Drittel der Hongkonger sah das Reformziel hingegen in einer auf Wahlen beruhenden Regierung.226 Das hier favorisierte „good governance“-Prinzip ist kennzeichnend für das von Lee, Mahathir und anderen für Ostasien reklamierte Politikmodell.227 Dieses spiegelt sich auch insoweit in den Wünschen der Hongkonger Bevölkerung, als dass aus Sicht einer knappen Mehrheit demokratische Mitwirkungsrechte nicht zur Verwirklichung eines politischen Ideals bestehen, sondern allein der Verbesserung des privaten Wohlergehens zu dienen bestimmt sind.228 Andererseits fehlt es auch für eine solche Aussage an Vergleichsdaten aus westlichen Ländern. Zudem weisen andere Umfrageergebnisse in eine „asiatischen Werten“ entgegengesetzte Richtung: So vermuteten die Einwohner Hongkongs mehrheitlich, dass neue Parteien das politische System aufwerteten und dass sich eine gewählte Regierung fähiger als die Kolonialregierung erweisen würde.229 Die Unterstützung für eine direkte Wahl des Hongkonger Verwaltungschefs lag in den Jahren 2003 bis 2006 bei durchschnittlich 74%, die für eine unmittelbare Wahl des LegCo bei 72%.230 Dies ist insofern nicht verwunderlich, als generell die Verbreitung des Konfuzianismus nicht notwendigerweise korreliert mit dem Wunsch nach autoritärer Staatsführung.231 Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Demokratieskepsis von Vertretern „asiatischer Werte“ in der Gesellschaft der

225

E. Lau, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 19

(25). 226 E. Lau, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 19 (26 f.). 227 Vgl. z. B. Barr, Cultural Politics and Asian Values, S. 64. 228 E. Lau, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 19 (22). 229 E. Lau, in: Wesley-Smith/Chen, The Basic Law and Hong Kong’s Future, S. 19 (25). 230 Vgl. S. Chen/Loh, Cultural Impulses in Hong Kong Politics, S. 13. 231 Nach der 2000 World Values Survey ergab sich z. B. im ebenfalls konfuzianisch geprägten Japan die im Vergleich zu westlichen Ländern mit Abstand niedrigste Zustimmungsrate für ein Ansteigen der gesellschaftlichen Autoritätsgläubigkeit, vgl. Nevitte/ Kanji, Authority Orientations and Political Support, S. 10 f. Vgl. auch Dalton/Ong, Japanese Journal of Political Science 6 (2005), 211 (211 ff.).

II. Beurteilungsmaßstab

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SVZ Hongkong tatsächlich geteilt wird. Dies gilt auch für die von jenen propagierte Rolle der Medien: So legt eine Studie aus den Jahren 1993 bis 1997 ein tendenziell liberales Verständnis der Pressefreiheit nahe. Ihr zufolge hat sich im Untersuchungszeitraum der Anteil derjenigen, denen zufolge die Veröffentlichung als geheim eingestufter Informationen unter bestimmten Umständen keine staatliche Verfolgung nach sich ziehen dürfe, von 51,7% auf 63,9% erhöht. Zugleich stieg die Zustimmungsquote bezüglich der These, dass Medienberichterstattung über Themen der nationalen Sicherheit ohne Erlaubnis der Regionalregierung in gewissen Fällen sanktionslos bleiben müsse, von 52,7% auf 62,2%.232 Eine im November 2002 durchgeführte Umfrage hat überdies ergeben, dass zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die Einführung der Art. 23-Gesetze bereits mehr als die Hälfte der Hongkonger Bevölkerung Bedenken hatte hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Pressefreiheit in der SVZ.233 Liberale Grundeinstellungen kamen nicht zuletzt auch in den zahlreichen Demonstrationen zum Ausdruck, auf denen 2004 und in den Folgejahren jeweils bis zu 200.000 Teilnehmer eine Ausweitung demokratischer Partizipation gefordert haben234 und welche dabei großenteils durch lokale Nachrichtenmedien unterstützt worden sind.235 Vermutet wird zudem, dass der Konsum westlicher Medien in Hongkong selbst zur Verbreitung liberaler Wertvorstellungen beigetragen hat.236 (c) Fazit Die Untersuchung der Frage, ob Hongkong in den Geltungsbereich der Doktrin der „asiatischen Werte“ fällt, führt zu einem zweischneidigen Ergebnis: Philosophische und religiöse Hauptströmungen, die Ostasien von westlichen Ländern unterscheiden, sind in der SVZ der langen Kolonialherrschaft Großbritanniens zum Trotz nach wie vor präsent. Damit liegen Grundvoraussetzungen der Doktrin „asiatischer Werte“ in Hongkong vor. Inwieweit sich die Wertvorstellungen der Hongkong-Chinesen mit dem von Lee und Mahathir gezeichneten Staatsund Gesellschaftsmodell decken, bleibt indes fraglich. Zwar kommen im Konfuzianismus durchaus Elemente des hier diskutierten Konzepts zum Vorschein; für konkrete Abweichungen hinsichtlich Demokratie und Pressefreiheit ist demosko232

Siehe Martin/Wilson, Hong Kong Speaks, S. 16. Siehe den Bericht des Hong Kong Transition Project „Accountability & Article 23: Freedoms, Fairness and Accountability in Hong Kong“, S. 13. 234 Schubert sieht hierin Anzeichen für die Formierung einer aktiven Zivilgesellschaft, in: Heberer/Derichs, Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, S. 179 (181). 235 Vgl. J. M. Chan/F. Lee, in: Chan/F. Lee, Media and Politics in Post-handover Hong Kong, S. 82 (83 ff.). 236 Siehe Willnat/Wilkins, in: McIntyre, Mass Media in the Asian Pacific, S. 29 (35 ff.). Inwieweit hingegen Wertvorstellungen die journalistische Praxis in Hongkong beeinflussen, ist weitgehend unerforscht, Lai, Media in Hong Kong, S. 15. 233

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pisch allerdings nicht ausreichend Nachweis erbracht. Wenngleich vorstehende Ausführungen keine vollumfängliche Analyse weltanschaulicher und sozialer Normen enthalten, sind somit doch zumindest Unsicherheiten bezüglich der tatsächlichen Geltung „asiatischer Werte“ in Hongkong deutlich geworden. Von dieser Argumentationsfigur wurde in der SVZ dennoch Gebrauch gemacht. So zitierte beispielsweise der bis 2005 amtierende Verwaltungschef Tung Chee-wah „asiatische Werte“ als Grundpfeiler für Hongkongs politische Zukunft. Zu diesen gehörten der Respekt gegenüber der Familie und gegenüber Älteren, der Schutz von Ordnung und Stabilität sowie Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft, nicht aber Freiheiten des Individuums.237 Derart zustimmende Äußerungen seitens der Regierung zu dem von Lee und anderen vorgetragenen Wertekodex treffen in Hongkong zwar zivilgesellschaftlich auf Widerstand, doch bestehen in diesem Punkt Parallelen zu Malaysia, Indonesien und anderen allgemein dem Wirkungskreis des Konzepts zuzurechnender Staaten.238 Wenngleich also die geltend gemachten Normvorstellungen nicht gänzlich von der Hongkonger Bevölkerung geteilt werden, unterscheidet sich die SVZ von Nachbarländern doch zumindest nicht in der Art und Weise, als dass eine Zugehörigkeit zum Bezugsraum der „asiatischen Werte“ von vornherein abzulehnen wäre. Die aufgezeigten Abweichungen lassen an der „subjektiven Dimension“ 239 der „asiatischen Werte“ in Hongkong zumindest aber Zweifel aufkommen. (2) Schlüssigkeit der „asiatischen Werte“ als Rechtskonzept Selbst wenn die grundsätzlichen Anwendungsvoraussetzungen in Hongkong vorlägen, bleibt doch fraglich, ob bei Betrachtung der Art. 23-Gesetzgebung ein kulturrelativistischer Blickwinkel im Sinne der „asiatischen Werte“ einzunehmen ist. Voraussetzung hierfür ist die Schlüssigkeit der dahinter stehenden Begründungsansätze. Bedenken ergeben sich in dieser Hinsicht zunächst mit Bezug auf den panasiatischen Charakter des geltend gemachten Wertekodex. So ist festzustellen, dass in Ostasien, anders als im, zumindest geschichtlich, christlich-jüdisch dominierten Europa, verschiedene Religionen und Weltanschauungen beheimatet sind, welche jeweils große und regional konzentrierte Bevölkerungsanteile auf sich vereinigen.240 Auf die genannte Weltregion verteilen sich stark differierende Glaubensrichtungen wie Buddhismus, Hinduismus, Shintoismus, Taoismus, Konfuzianis237

SCMP vom 17.05.1997, S. 17, zitiert in: Martin/Wilson, Hong Kong Speaks,

S. 10. 238

Siehe oben, Kapitel D. II. 2. a) aa) (2). So die Bezeichnung von Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 53 (63), der in diesem Zusammenhang zudem auf den Mangel zur Verfügung stehender emipirischer Daten hinweist. 240 So auch Langguth, Asia Europe Journal 1 (2003), 25 (30 f.). 239

II. Beurteilungsmaßstab

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mus, Islam und Christentum.241 Dazu kommt, dass die betreffenden Staaten untereinander im Grad ihrer religiösen Pluralität stark variieren. So verfügen z. B. Japan, China und Südkorea, anders als südostasiatische Länder, über in ihren Glaubensvorstellungen vergleichsweise homogene Gesellschaften.242 Eine gemeinsame Wertebasis erscheint zwar auch bei einer Vielzahl unterschiedlicher Religionen grundsätzlich denkbar, doch würde sie sich dann kaum mehr zur Abgrenzung gegenüber anderen Weltgegenden eignen. Bereits die heterogene Bevölkerungsstruktur spricht daher gegen die Existenz eines gesamtasiatischen Normenkatalogs.243 Sogar jedoch für den Fall, dass man das hier erörterte Konzept – wie es später durch seinen namhaftesten Verfechter, Lee Kuan Yew, vorgeschlagen wurde244 – von einer asiatischen auf eine konfuzianische Dimension zurückstufen würde, anstelle von „asiatischen“ also von „konfuzianischen Werten“ spräche, stellte sich die Frage, ob traditionelle chinesische Staats- und Gesellschaftsmodelle mit Demokratie- und Menschenrechtsvorstellungen westlicher Herkunft tatsächlich nicht vereinbar sind. Es hat von unterschiedlicher Seite Bemühungen gegeben, Elemente demokratischer Partizipation im konfuzianischen Staatsverständnis herauszuarbeiten.245 Hervorgehoben wurde in diesem Kontext der historische Grundsatz „minben si xiang“, demzufolge das Volk die Grundlage staatlicher Herrschaft bildet.246 Verwiesen wurde außerdem auf die Pflicht des jeweiligen mit dem „Mandat des Himmels“ ausgestatteten Herrschers im chinesischen Kaiserreich, seine Macht gerecht und zum Wohl des Volkes auszuüben. Eine Verletzung dieser Pflicht hätte nach konfuzianischen Regeln Widerstand gegen den Staat bis hin zur Absetzung des regierenden Monarchen gerechtfertigt.247 Wenngleich hierbei in der Tat Aspekte der Volkssouveränität und im weiteren Sinne solche eines demokratischen Regierungsmodells zum Vorschein treten, kommt darin vornehmlich doch eher der Gedanke einer Fürsorge für das Volk zum Ausdruck als der einer durch dieses vorzunehmenden Regierungskontrolle.248 Es ist nicht 241 Zur religiösen Vielfalt in Ostasien, vgl. Franke/Pye (Hrsg.), Religionen Nebeneinander. 242 Siehe T. Ong in der International Herald Tribune vom 20.05.1996, S. 8. 243 Allein die Größe des vermeintlichen Anwendungsgebiets der „asiatischen Werte“ und die Anzahl der darin lebenden Menschen vermag die These der Einheitlichkeit der Werte indes nicht zu widerlegen. So aber Quintos de Jesus, Südostasien Informationen 12 (1996), 23 (26). 244 Siehe Barr, Cultural Politics and Asian Values, S. 8. 245 Dazu gehörten sowohl Gegner des Konzepts, wie der spätere Präsident Südkoreas Kim Dae Jung, vgl. Foreign Affairs 73 (1994), 189 (192), sowie dessen Befürworter, vgl. Dong, Beijing Rundschau vom 29.06.1993, S. 13. 246 Vgl. A. Chen, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 505 (518); Davis, American Journal of Comparative Law 36 (1988), 761 (766). 247 Siehe A. Chen, in: Wacks, Human Rights in Hong Kong, S. 176 (177). 248 So auch Davis, American Journal of Comparative Law 36 (1988), 761 (766).

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D. Medienfreiheit

zu bestreiten, dass die Wurzeln des modernen Menschenrechtsschutzes im Westen liegen, in den nationalen Grundrechtsverbürgungen Englands, der USA und Frankreichs249 und der allmählichen Herausbildung fremdenrechtlicher Mindeststandards.250 Gleichwohl verdeutlichen „humanitäre Traditionen“ 251 in Asien, dass individuelle Freiheiten mit dem historischen Staatsverständnis nicht zwangsläufig in Widerspruch stehen. Die Teilnahme Ostasiens an einem weltweiten Menschenrechtssystem durch Ratifizierung internationaler Abkommen, aber auch durch Schaffung eigener Schutzmechanismen252 stellt insofern keinen Bruch mit dem konfuzianischen Staatsmodell dar, sondern ist vielmehr als dessen Fortentwicklung zu begreifen.253 Wenngleich also das völkerrechtliche Menschenrechtsregime historisch durch Vorgänge in westlichen Staaten geprägt ist, kann hieraus noch kein Widerspruch zu konfuzianischen Vorstellungen hergeleitet werden. Wenig überzeugend ist darüber hinaus der durch Befürworter „asiatischer Werte“ zwischen diesen und wirtschaftlicher Prosperität erkannte Wirkungszusammenhang. Zweifel hieran hat insbesondere die sogenannte „Asienkrise“ genährt, d.h. die 1997 und über das darauffolgende Jahr weite Teile Ostasiens254 erfassende Wirtschafts- und Finanzkrise.255 Bereits zuvor hatte sich jedoch die Frage gestellt, wie die Jahrzehnte dauernde Stagnation in einigen der später wegen ihres hohen Wirtschaftswachstums als „Tiger-“ bzw. „Panther-Staaten“ bezeichneten Länder zu erklären ist, obgleich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen in diesen doch konstant geblieben seien.256 Gegen einen ökonomischen Vorteil aufgrund „asiatischer Werte“ wird ferner argumentiert, dass sich den normativen Grundansichten ihrer Bevölkerungen nach ähnliche Nationen, wie z. B. Thailand und Myanmar, in ihrer Wirtschaftskraft stark unterscheiden.257 Als Gegenbeispiel werden weiterhin die zahlreichen autokratisch geführten, wirtschaftlich jedoch sehr schwachen Länder Afrikas angeführt.258 Diese beiden Einwände lassen jedoch außer Acht, dass kulturelle Normen durch politische und andere Faktoren überlagert werden können. Bestritten werden kann mit ihnen nicht, dass sich „asiatische Werte“ wie Stabilität und Sicherheit sowie ein auf die Gesell249 Vgl. diesbezüglich Ishay, The History of Human Rights, S. 63 ff. Hierzu auch bereits oben, Kapitel D. II. 2. a) bb) (1). 250 Siehe z. B. Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 393. 251 Dong, Beijing Rundschau vom 29.06.1993, S. 13. 252 Genannt sei z. B. die neu gegründete ASEAN Intergovernmental Commission on Human Rights (AICHR). 253 Ähnlich D. Kim, Foreign Affairs 73 (1994), 189 (192). 254 Auf China hatte die Krise jedoch nur relativ geringe Auswirkungen. 255 Siehe Zapf, in: Schwinn, Die Vielfalt und Einheit der Moderne, S. 227 (233). 256 Siehe T. Ong in der International Herald Tribune vom 20.05.1996, S. 8. 257 T. Ong in der International Herald Tribune vom 20.05.1996, S. 8. 258 Sen, Human Rights and Asian Values, S. 10.

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schaft als Ganzes bezogenes Denken im Einzelfall ökonomisch als durchaus positiv erweisen können. Beispielsweise ist es möglich, langwierige Genehmigungsverfahren für industrielle Vorhaben abzukürzen, wenn Individualrechten geringere Berücksichtigung einzuräumen ist. Plausibel erscheint auch, dass das geltend gemachte besondere Maß an Fleiß zu wirtschaftlichem Wachstum beiträgt. Zu bemerken ist allerdings, dass in gleicher Weise, d.h. durch denselben Grundwert gekennzeichnet, ein puritanisches Arbeitsethos zur Wirtschaftsentwicklung der Vereinigten Staaten beigetragen hat,259 die ökonomischem Erfolg zugrundeliegenden Normen also keinesfalls spezifisch asiatischen Charakters sind. Außerdem gilt es darauf hinzuweisen, dass andere Elemente der „asiatischen Werte“ wie die Beschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit negative Effekte nach sich ziehen, indem sie einen freien Informationsfluss verhindern260 und Kreativität und Innovationskraft der Bevölkerung schwächen.261 Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Wertekodizes im internationalen Wettbewerb Staaten bei gewissen Sachverhaltskonstellationen Vorteile verschaffen, doch handelt es sich hierbei nicht um originär asiatische Eigenschaften und vergrößern nicht alle „asiatischen Werte“ die volkswirtschaftliche Produktivität. Drei wesentliche Grundthesen des hier diskutierten Konzepts, die Einheitlichkeit der „asiatischen Werte“, ihre Unvereinbarkeit mit einem modernen Menschenrechtsverständnis und ihre fördernde Rolle in Bezug auf die wirtschaftliche Stärke von Ländern in Ostasien erweisen sich mithin als unzutreffend. Das von Lee, Mahathir, aber auch von Hongkongs ehemaligem Verwaltungschef Tung propagierte Menschenrechtsmodell ist hierüber hinaus auch deshalb nicht schlüssig, weil der in ihm zum Ausdruck gebrachte Kulturrelativismus selbst eine Allgemeingültigkeit beanspruchende Norm darstellt. Eine solche ist jedoch nach den von Rechtsrelativisten vertretenen Prinzipien, denen zufolge Normen stets nur kontextbezogen Wirksamkeit erlangen können, ausgeschlossen.262 Auch ein derart theoretisch begründeter Selbstwiderspruch spricht gegen eine Anerkennung der „asiatischen Werte“ als eine bei Grundrechtsfragen in der SVZ heranzuziehende Rechtsfigur. Berücksichtigt man z. B. den Ratifikationsstand des UN-Zivilpakts in Ostasien, der bereits in rund zwei Dritteln der in der Region liegenden Staaten Geltung erlangt hat, wird deutlich, dass diese auch völkerrechtlich keine Bestätigung gefunden hat.263 259 Grundlegend sind in diesem Zusammenhang die Theorien Max Webers, vgl. hierzu H. Müller, Max Weber, S. 98 ff. 260 Siehe bereits oben, Kapitel D. I. 2. 261 Siehe Zakaria im Gespräch mit Lee Kuan Yew in Foreign Affairs 73 (1994), 109 (114 f.). 262 Siehe Rippl/Seipel, Methoden kulturvergleichender Sozialforschung, S. 55. 263 Stand: 20.08.2011. Siehe mit gleichem Hinweis auch Heinz, in: Schubert, Menschenrechte in Ostasien, S. 53 (65). Der aktuelle Ratifikationsstand ist einsehbar unter http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter= 4&lang=en (Stand: 20.08.2011).

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D. Medienfreiheit

(3) Fazit Die Bewerbung „asiatischer Werte“ und die mit ihr verbundene Relativierung individueller Freiheitsnormen sind als politisches Instrument, allen voran zur Legitimation der Regierungsmacht und zur Abwehr demokratischer Bestrebungen, zu verstehen.264 Angesichts des geschilderten verfassungsrechtlichen Hintergrunds in der SVZ passten solche Erwägungen auch zur Interessenlage der Hongkonger Regionalregierung. Ein weiterer Beweggrund wird in der Stärkung des nationalen Zusammenhalts in Staaten wie z. B. Singapur gesehen, die durch die Multikulturalität und -religiösität ihrer Gesellschaften vor besondere Herausforderungen gestellt sind.265 Der Verdacht, dass „asiatischen Werten“ weniger eine Rechtsüberzeugung als politische Motive zugrunde liegen, wird ferner dadurch gestärkt, dass ihre Vertreter größtenteils dem Lager asiatischer Regierungen zuzuordnen sind,266 die Aufrechterhaltung der propagierten Normen aber gerade nicht durch die Bevölkerungen selbst eingefordert worden ist.267 Letzteres hat die Attitüdenforschung in Hongkong empirisch bestätigt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der SVZ sehr wohl traditionelle Normvorstellungen existieren, die sich von denen westlicher Gesellschaften unterscheiden. Die Bezeichnung „asiatische Werte“ ist hierfür indes abzulehnen, da diese zum einen mit den überlieferten Normen nicht unmittelbar einhergehen und sich zum anderen das durch sie bezeichnete Konzept als in mehrfacher Weise irreführend herausgestellt hat. Eine kulturelle Überlagerung des Begriffs der Pressefreiheit als ein rechtlicher Gesichtspunkt bei der Bewertung der Art. 23Gesetze ist daher auszuschließen.

III. Gesetzeslage und gerichtliche Auslegung außerhalb des Staatsschutzrechts Nachdem die Bedeutung der Pressefreiheit veranschaulicht und die ihr zugrundeliegende Rechtsgarantie samt Bewertungsmaßstab konkretisiert wurde, soll abschließend auf über staatsschutzrechtliche Aspekte hinausgehende Einschränkungen hingewiesen werden. Diese sind teils politischer Natur und resultieren in anderen Teilen aus Rechtsvorschriften und ihrer judikativen Anwendung. Hin264 Siehe auch Kolonko in der FAZ vom 09.09.1996, S. 1, sowie in der FAZ vom 06.12.1994, S. 16. 265 Vgl. Langguth, Asia Europe Journal 1 (2003), 25 (36). 266 Eine Ausnahme bildet insofern der Politikwissenschaftler und ehemalige Diplomat Kishore Mahbubani. Siehe z. B. dessen Beiträge in der Sunday Times vom 07.03.1993, S. 6 f., und in Foreign Affairs 72 (1993), 10 (10 ff.), sowie The New Asian Hemisphere. 267 So auch Tan in der Straits Times vom 08.04.1994, S. 4.

III. Gesetzeslage und gerichtliche Auslegung außerhalb des Staatsschutzrechts 145

sichtlich ersterem ist vor allen Dingen das Phänomen der Selbstzensur hervorzuheben.268 Einer Studie zufolge erkannte dieses nahezu die Hälfte der Journalisten in der SVZ als sehr schwerwiegendes Problem. Nur 3,2% bestritten, dass eine Selbstzensur in Hongkonger Medien stattfinde.269 Im Jahr 2007 äußerten nach einer weiteren Untersuchung 58,4% der Befragten, dass der allgemeine Grad an Pressefreiheit, verglichen mit dem Stand vor Übergabe an die VRC, gesunken sei.270 Für die Selbstzensur werden vor allem kommerzielle sowie rechtliche Anreize und Druckmittel seitens der VRC bzw. in ihr beheimateter Unternehmen verantwortlich gemacht.271 Berichtet wird in diesem Zusammenhang über Repressalien gegenüber einzelnen Mitarbeitern bestimmter Hongkonger Zeitungen sowie über chinesische Firmen, die als Anzeigenkunden ihre Hongkonger Geschäftspartner nach deren Stellung gegenüber Festlandchina auswählen.272 Solch ökonomisch-politische und vielfach umstrittene Wirkungszusammenhänge zwischen dem Modell „Ein Land, zwei Systeme“ und einer freien Politik- und insbesondere Chinaberichterstattung273 sind jedoch nicht Schwerpunkt dieser Arbeit. Vorgestellt sei im Folgenden demgegenüber die juristische Dimension der Pressefreiheit in Hongkong, d.h. die Behandlung der Medien durch Gesetzgeber und Gerichte. 1. Gesetzliche Einschränkungen In Hongkong besteht eine Reihe recht strenger Gesetze mit Bezug auf die Freiheit der Presse, deren Verabschiedung meist lange zurückliegt und die mit dem Kontrollbedürfnis der britischen Kolonialmacht, gerade auch gegenüber politischer Einflussnahme durch die Volksrepublik, zu erklären ist. Diese Vorschriften können hier freilich nur in Beispielen erörtert werden.

268 Diese kann zugleich jedoch auch strafrechtlich begründet sein. Siehe z. B. unten, Kapitel E. II. 2. 269 Siehe F. Lee, in: Chan/Lee, Media and Politics in Post-handover Hong Kong, S. 1 (6). 270 Siehe den Jahresbericht der Hong Kong Journalists Association, „Shrinking Margins: Freedom of Expression in Hong Kong since 1997“, S. 16. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Freedom House stufte den Status der Presse in der SVZ 2009 auf dem von ihr geführten Index von „free“ herunter auf „partly free“, siehe den Länderbericht zu Hongkong, einsehbar unter http://www.freedomhouse.org/inc/con tent/pubs/pfs/inc_country_detail.cfm?country=7741&year=2009&pf (Stand: 20.08. 2011). 271 Vgl. z. B. Walker/Cook in der Online-Ausgabe der Far Eastern Economic Review vom 12.10.2009, einsehbar unter http://www.feer.com/politics/2009/october54/ChinasExport-of-Censorship (Stand: 20.08.2011). 272 Derartige Wege der Einflussnahme schildert z. B. Lam, in: Rawnsley/Rawnsley, Political Communications in Greater China, S. 169 (181 f.). 273 Eine ausführliche Analyse der politisch heiklen Berichterstattung über Wahlen in Taiwan beispielsweise findet sich bei Lai, Media in Hong Kong, S. 78 ff.

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D. Medienfreiheit

Genannt sei zunächst der Registration of Local Newspapers Ordinance274: Nach dessen Art. 7 Abs. 1 bedarf jede in Hongkong hergestellte Zeitung275 einer offiziellen Zulassung. Die Verlegung nicht registrierter Zeitungen kann durch den Verwaltungschef gemäß Art. 18 lit. c des gleichen Gesetzes per Verfügung untersagt werden. Zuwiderhandlungen gegen die Anmeldevorschriften können nach Art. 20 Abs. 1 Geldstrafen sowie Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren nach sich ziehen. An Schärfe gewinnt der Registration of Local Newspapers Ordinance insbesondere aber im Hinblick auf die in Art. 15 kodifizierte Beweislastumkehr. Hiernach haben Eigentümer, Verleger und Redakteure bei jeglichen Rechtsverstößen, die durch Inhalte ihrer Zeitung begründet worden sind, vor Gericht darzulegen, dass die Veröffentlichung ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung erfolgt war. Damit haften sie faktisch für fremdes Verschulden. Obgleich derartige Normen überaus restriktiv anmuten, sei darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Gesetz bereits Teil allgemeiner Reformbemühungen der Kolonialregierung gewesen war, mit Blick auf die Rückgabe Hongkongs an die VRC die Kontrolle der Presse zu lockern.276 In dem bis 1987 geltenden Control of Publications Consolidation Ordinance277 war der Vertrieb von Zeitungen an weitere Auflagen gebunden, wie die Hinterlegung einer Pfandsumme sowie die Duldung weitreichender polizeilicher Durchsuchungsvollmachten.278 Einschränkungen bestehen auch für den Rundfunk. Die Ersetzung des Television Ordinance279 durch den Broadcasting Ordinance280 im Jahr 2000 zielte eher auf die Anpassung des rechtlichen Systems an neue Übertragungsmöglichkeiten sowie die Zusammenfassung mit der Lizenzvergabe an Radiostationen als auf einen geringeren Regulierungsgrad.281 Insbesondere frei empfangbare und in Hongkong niedergelassene Fernsehsender unterliegen detaillierten Regelungen hinsichtlich des Einwohnerstatus ihrer Direktoren und leitenden Mitarbeiter, ihrer Rechtsform und ihrer Geschäftstätigkeiten bezüglich anderer Medientypen.282 Zudem bestehen Programmvorgaben wie z. B. die Festschreibung von Mindest-

274 Cap. 268 (No. 15), verabschiedet bereits 1951, umbenannt und reformiert jedoch durch den Control of Publications Consolidation (Amendment) Bill 1986 am 07.01. 1987. 275 Genauer bestimmt ist der Kreis der unter diese Regelungen fallenden Zeitungen in Art. 2 des Registration of Local Newspapers Ordinance. 276 Vgl. Tai, in: Wacks, The New Legal Order in Hong Kong, S. 39 (53); A. Chen, in: Wong/Cheng, The Other Hong Kong Report 1990, S. 65 (82). 277 Siehe Kapitel D., Fn. 274. 278 Siehe Yan, in: Weisenhaus, Hong Kong Media Law, S. 207 (208). 279 Kritisch hierzu bereits J. Chan, in: Wacks, Civil Liberties in Hong Kong, S. 208 (221 f.). 280 Cap. 562 (No. 48), verabschiedet am 22.06.2000, in Kraft seit dem 07.07.2000. 281 Siehe Yan, in: Weisenhaus, Hong Kong Media Law, S. 229 (231). 282 Siehe Yan, in: Weisenhaus, Hong Kong Media Law, S. 229 (234 f.).

III. Gesetzeslage und gerichtliche Auslegung außerhalb des Staatsschutzrechts 147

anteilen von Nachrichten- oder Familiensendungen am Gesamtsendevolumen.283 Während sich solch medienaufsichtsrechtliche Regelungen zumindest teilweise noch im Rahmen einer legitimen Begrenzung der Pressefreiheit bewegen mögen, stoßen privat- und strafrechtliche Gesetze, insbesondere der Sicherung der Privatsphäre und dem Ehrenschutz dienende Normen, zu Recht auf erhebliche Kritik. Als problematisch erweist sich insofern z. B. Art. 5 des Defamation Ordinance284, demzufolge eine als verleumdend erkannte Veröffentlichung mit Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet wird;285 ebenfalls kritikwürdig ist, dass der Kläger im Zivilprozess keinen Nachweis darüber zu führen hat, dass der Beklagte von dem ehrverletzenden Inhalt bzw. der durch ihn betroffenen Person gewusst hat.286 Die Ausstrahlung eines Programms ohne vorherige Einholung einer Lizenz wird gemäß Art. 5 Abs. 2 des Broadcasting Ordinance mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. Unter pressefreiheitlichen Gesichtspunkten erscheint zuletzt auch der Control of Obscene and Indecent Articles Ordinance287 bedenklich. So ist zunächst unklar, wann ein Beitrag im Sinne dieses Gesetzes gegen die guten Sitten verstößt.288 Art. 2 Abs. 3 gibt lediglich den Hinweis, dass dazu die Darstellung von „Gewalt, von Verdorbenheit und Widerwärtigem“ gehört.289 Durch Art. 21 werden für die Veröffentlichung als sittenwidrig eingestuften Materials bzw. dessen Besitz oder Einführung zum Zweck seiner Veröffentlichung bis zu drei Jahre Haft angedroht.290 2. Rechtsprechung Die Diskrepanz zwischen grundrechtlich einschneidenden Rechtsvorschriften und ihrer Durchsetzung ist ein bemerkenswertes Charakteristikum des Hongkonger Medienrechts. So entspricht die Annahme von für Zeitungen gestellten Registrierungsanträge faktisch der ständigen Verwaltungspraxis; Art. 5 des Defamation Ordinance wurde von Richtern das letzte Mal in den sechziger Jahren zur An-

283 284 285

Siehe Yan, in: Weisenhaus, Hong Kong Media Law, S. 229 (241). Cap. 21 (No. 5), in Kraft seit dem 22.02.1887. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong,

S. 74. 286 Cottrell, in: Weisenhaus, Hong Kong Media Law, 21 (38). Zur Rechtslage in Deutschland vgl. dagegen z. B. MüKo BGB-Wagner, § 823, Rn. 364, sowie Stegmann, Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse, S. 40. 287 Cap. 390 (No. 9), in Kraft seit dem 01.09.1987. 288 So auch Wesley-Smith, Constitutional Law and Administrative Law in Hong Kong, S. 390. 289 Siehe hierzu R. Ong, in: Chui/Lo, Understanding Criminal Justice in Hong Kong, S. 14 (39). 290 Zur Diskussion über eine Reform des Control of Obscene and Indecent Articles Ordinance siehe den Jahresbericht 2009 der Hong Kong Journalists Association, S. 17 ff.

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D. Medienfreiheit

wendung gebracht.291 Dennoch ist zu bemerken, dass der rechtliche Rahmen für Medientätigkeiten in der SVZ Hongkong somit durch zahlreiche Unsicherheiten gekennzeichnet ist und er insofern der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Branche nicht gerecht wird. Umso entscheidender für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Pressefreiheit in Hongkong ist mithin die Rolle der Rechtsprechung. Die Verabschiedung des Bill of Rights 1991 hat die Anzahl die Pressefreiheit betreffender Gerichtsverfahren erhöht und damit zur Bildung von Fallrecht beigetragen,292 das nach Art. 8 BL auch heute noch bei Entscheidungen Hongkonger Gerichte zu berücksichtigen ist. Nach anfänglich liberalen Auslegungen, die wohl auch der Symbolkraft eines nun erstmals schriftlich kodifizierten Grundrechtskatalogs in Hongkong geschuldet waren, kehrten die Gerichte alsbald zu einer Rechtsprechung zurück, die in der Literatur weitgehend als zu restriktiv empfunden wird.293 In dem Berufungsurteil im Fall R v. Sin Yau-Ming294 war das Gericht – mit Ähnlichkeit zur deutschen Grundrechtsdogmatik – in zwei Schritten vorgegangen:295 Zuerst hatte es geprüft, ob in den Schutzbereich der Pressefreiheit eingegriffen worden war, um sich daraufhin der Frage zu widmen, ob ein solcher Eingriff in einer „freien und demokratischen Gesellschaft“ gerechtfertigt gewesen ist.296 Diese Entscheidung ist auf erhebliche Kritik gestoßen, da sie sich in ihrer Vorgehensweise an Rechtsprechung bezüglich der kanadischen Charter of Rights and Freedoms von 1981297 angelehnt hatte, eine derartige Übertragung grundrechtlicher Wertungen jedoch mit den besonderen Umständen in Hongkong nicht zu vereinbaren gewesen sei. Bemängelt wurde weiterhin, dass die Richter Interessen der Gemeinschaft nicht ausreichend Gewicht eingeräumt hätten. Zuletzt wurde auch gewarnt, dass eine weite Interpretation der Pressefreiheit zu einer Flut von Klagen führen werde, die letztlich eine Entwertung des Bill of Rights zu Folge haben würde.298 Wenngleich in darauffolgenden Verfahren Art. 16 Abs. 2 BoR tendenziell eng ausgelegt worden war, wurde 1995 immerhin die durch Medien gegenüber der Regierung auszuübende Kontrollfunktion und die große Bedeutung unabhängiger Politikberichterstattung in einer demokratischen Gesellschaft ausdrücklich anerkannt.299

291 A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 73 f. 292 Vgl. Ghai, The Modern Law Review 60 (1997), 459 (465). 293 Siehe z. B. J. Chan, International and Comparative Law Quarterly 47 (1998), 306 (317). 294 Vom 30.09.1991, HKPLR 1 (1991), 88 ff. 295 Ein solches Verfahren befürwortet auch Yan, HKLJ 33 (2003), 613 (629 f.). 296 HKPLR 1 (1991), 88 (91). 297 Vgl. hierzu z. B. Kelly, Osgoode Hall Law Journal 37 (1999), 625 (625 ff.). 298 Siehe Cullen mit Bezug auf Lord Woolf, damaliges Mitglied des Judicial Committee of the Privy Council, Transnational Lawyer 11 (1998), 383 (400 f.).

III. Gesetzeslage und gerichtliche Auslegung außerhalb des Staatsschutzrechts 149

Seit dem Stabwechsel 1997 kam es zu einer Reihe von Verfahren, die die Pressefreiheit zum Gegenstand gehabt haben, etwa im Zusammenhang mit dem Vorwurf der „Verunglimpfung des Gerichtswesens“. Die Oriental Daily News, eine chinesische Tageszeitung mit einer Auflage von über 500.000 Exemplaren, hatte, nachdem sie mehrere Gerichtsverfahren, unter anderem auf Grundlage des Control of Obscene and Indecent Articles Ordinance, verloren hatte, Paparazzibilder eines Richters veröffentlicht und diesen als „willkürlich, ignorant und vorurteilsbehaftet“ bezeichnet.300 In seinem Urteil kam das Gericht zu dem Schluss, dass man sich auf die Pressefreiheit als Rechtfertigungsgrund grundsätzlich dann nicht berufen könne, wenn durch die Veröffentlichung das Vertrauen in den Rechtsstaat geschwächt sei. Für die Erfüllung des Straftatbestands des „contempt of court“ hätte es aus demselben Grund keiner entsprechenden gegen das Gericht gewendeten Absicht bedurft.301 Auch wenn die gegen den Richter lancierte Kampagne der Oriental Daily News durch die Art. 27 1. Hs. und 39 BL nicht zu rechtfertigen war, ist das Gericht in seiner Begründung doch recht unbestimmt geblieben. Einzig die Gefährdung der rule of law erscheint als Kriterium für einen Ausschluss der Pressefreiheit als zu vage. In einem späteren Verfahren, Apple Daily v. Commissioner of the Independent Commission Against Corruption302 ging es um die Durchsuchung der Diensträume eines Journalisten, gegen den Korruptionsverdacht bestanden hatte, und die Beschlagnahme vermeintlich belastender Materialien. Eine Schwächung des Grundrechtsschutzes der Presse aufgrund des in diesem Fall ergangenen Urteils wurde allein schon deshalb angenommen, da eine Verletzung der Pressefreiheit weder vom Gericht noch von der Verteidigung überhaupt in Betracht gezogen worden war und man stattdessen allein auf die Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 29 BL rekurriert hatte.303 Es ist somit davon auszugehen, dass in der Hongkonger Rechtsprechung derzeit ein recht enger Begriff der Pressefreiheit vorherrscht. Zudem wird die Pressefreiheit oftmals, obwohl dies durch den Sachverhalt indiziert wäre, erst gar nicht problematisiert.304 Gerade da die Presse in gesetzlicher Hinsicht zahlreichen Unsicherheiten begegnet, wäre eine, bislang fehlende, Grundsatzentscheidung erfreulich, in der die Freiheit der Medien in der SVZ leitbildhaft konkreti-

299 Siehe A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 91, m.w. N. 300 Zum Sachverhalt siehe P. Leung, The Hong Kong Basic Law, S. 194 f. 301 Secretary for Justice v. Oriental Press Group Ltd., HKC 2 (1998), 627 ff. 302 HKC 1 (2000), 295 ff. 303 Siehe A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 98. 304 So auch bereits A. Cheung, Journalism & Communication Monographs 3 (2002), 191 (204).

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siert wird.305 Die richterrechtliche Herausarbeitung der Pressefreiheit und eine eindeutigere Definition ihrer Grenzen sind nicht nur mit Blick auf das relativ restriktive Rechtsregime ein besonders dringendes Anliegen; vonnöten sind sie auch, da aufgrund der verbliebenen Demokratiedefizite Gerichte für die Durchsetzung individueller Interessen in Hongkong besondere Verantwortung tragen.306

305

A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong,

S. 79. 306 Ähnlich Cullen, Transnational Lawyer 11 (1998), 383 (405). Zur wiederum bedenklichen Politisierung der Gerichte in diesem Zusammenhang siehe oben, Kapitel C. I. 2. c) cc).

E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze Mit der Rücknahme des Security Bill ist die Hongkonger Staatsschutzproblematik keinesfalls aus dem Weg geräumt, allein schon, da der Gesetzgebungsauftrag in Art. 23 BL fortbesteht.1 Überdies ist der politische Druck zur Erfüllung desgleichen mit Umsetzung einer Parallelregelung im Grundgesetz der Sonderverwaltungszone Macao2 noch gestiegen.3 Teils wird daher bereits für 2012, das letzte Amtsjahr des derzeitigen Regierungschefs Donald Tsang4, mit einem erneuten Implementierungsversuch gerechnet.5 Während die Einführung der Staatsschutzstrafbestände in Macao verhältnismäßig rasch und ohne größeren Protest vonstatten gegangen ist,6 könnte die Vorlage eines zweiten Security Bill in Hongkong abermals auf erheblichen Widerstand stoßen.7 Die Balance zwischen Sicherheitsinteressen der Zentralregierung und den Erfordernissen einer freien Berichterstattung erwiese sich in diesem Fall als Vorbedingung für die politische Realisierbarkeit des Gesetzesvorhabens. An Bedeutung gewinnt sie zudem aufgrund des breiten Aufgabenfächers von Medien in der SVZ.8 Neben solch praktischen Konsequenzen ist die Umsetzung des Art. 23 BL zuletzt auch deshalb von Interesse, da sie Schlussfolgerungen erlaubt auf weitergehende Rechtsfragen, allen voran auf die Funktionsweise und Entwicklungsperspektiven von

1 Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (3); Lam, in: Rawnsley/Rawnsley, Political Communications in Greater China, S. 169 (178). 2 Art. 23 des Lei Básica da Região Administrativa Especial de Macau da República Popular da China. 3 So z. B. Amnesty International in einer Presseerklärung vom 23.02.2009, „Macao: Stop the National Security Bill now“, einsehbar unter http://www.amnesty.org/en/formedia/press-releases/macao-stop-national-security-bill-now-20090223 (Stand: 20.08. 2011). 4 Im Amt seit Juni 2005. 5 Siehe den Jahresbericht 2009 der Hong Kong Journalists Association, S. 2. 6 So wurde der Gesetzgebungsvorschlag nach einer weniger als zwei Monate dauernden Beratungsphase im Dezember 2008 in den Legislativrat der SVZ Macao eingebracht und bereits am 25.02.2009 verabschiedet. 7 So auch die Einschätzung der Hong Kong Journalists Association in ihrem Jahresbericht 2009, S. 2, 5. Bezeichnend ist insofern auch, dass nur zwei von insgesamt 29 Parlamentsabgeordneten in Macao dem China-kritischen Lager, vgl. Kapitel A., Fn. 5, Kapitel C., Fn. 104, zugeordnet werden. 8 Siehe oben, Kapitel D. I.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

„Ein Land, zwei Systeme“.9 Das Verhältnis zwischen Art. 23 BL und Art. 27 BL gilt insofern gar als Determinante für Hongkongs künftiges Verfassungs- und Politikmodell.10 Rechtsvergleichend und unter Einbeziehung international entwickelter Leitlinien sollen daher grundrechtliche Einwände gegenüber der Art. 23-Gesetzgebung auf ihre Stichhaltigkeit geprüft und gegebenenfalls Optionen für einen Ausgleich der widerstreitenden Verfassungsgüter aufgezeigt werden. Diesen Ausführungen vorangestellt sind grundsätzliche Erwägungen zum vorliegenden Normenkonflikt und hierfür geltender Beurteilungskriterien.

I. Vorüberlegungen 1. Herausforderungen des politischen Strafrechts Art. 23 BL sieht die Einführung von Bestimmungen gegen Hochverrat11, Sezession, Aufwiegelung und Subversion sowie gegen den Diebstahl von Staatsgeheimnissen vor. Es handelt sich um Vorschriften des politischen Strafrechts12 und damit um Rechtsregeln, die in verschiedener Hinsicht die Pressefreiheit und die Sicherung der rule of law in der SVZ Hongkong herausfordern. a) Prämisse normativer Vorfestlegungen Zwar ist grundsätzlich jeder Straftatbestand insofern politischer Natur, als er der Erfüllung staats- und kriminalpolitischer Vorstellungen dient,13 doch zeichnet sich jene Deliktsgruppe gerade dadurch aus, dass sie „den Bereich der politischen Auseinandersetzung mit strafrechtlichen Mitteln zu ordnen und einzuschränken“ versucht.14 Anders als z. B. bei den Schutz des Vermögens oder den der körperlichen Unversehrtheit bezweckenden Normen werden hier durch Strafandrohung Tabus geschaffen, die nicht das politisch Erwünschte, sondern bereits das politisch Denkbare betreffen, d.h. schon auf Ebene der grundlegenden Rechts- und Staatsordnung zu greifen beginnen.15 Infrage gestellt wird daher die 9 Vgl. auch Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (3); A. Cheung/Chen, in: Wong, „One Country, Two Systems“ in Crisis, S. 61 (70). 10 Siehe Clark, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 31 (32). 11 Zum Verständnis des englischen Ausdrucks „treason“ siehe oben, Kapitel C., Fn. 194. 12 Zum Begriff des „politischen Strafrechts“ bereits oben, Kapitel A., Fn. 15. 13 Schiffers, Zwischen Bürgerfreiheit und Staatsschutz, S. 15. 14 Siehe Schiffers mit Verweis auf Adolf Arndt am 07.02.1957 im Deutschen Bundestag, Zwischen Bürgerfreiheit und Staatsschutz, S. 15 f. 15 Zu diesem „unabänderbaren Verfassungskern“ in Deutschland siehe Maunz/DürigHerdegen, Grundgesetz, Art. 79, Rn. 59 ff.

I. Vorüberlegungen

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Legitimität dieses Rechtsbereichs:16 Staatsschutztatbestände seien nicht gerechtfertigt, weil diejenigen, die die in ihnen untersagten Handlungen vornehmen, sie von vornherein nicht als Recht anerkennten und aus diesem Grund regelmäßig schon gar nicht durch den Appellcharakter der betreffenden Verbotsregelungen erreicht worden seien.17 Ferner erscheine es problematisch, wenn Strafrecht mit der verfassungsrechtlichen Ordnung die eigenen Geltungsvoraussetzungen zum Schutzgegenstand ernennt, sicherte es sich somit doch quasi selbst18 und ergäben sich dieserhalb am legitimationsstiftenden Charakter des Rechtsguts Zweifel.19 Es handele sich hiermit nicht um „natürliche Delikte, sondern um von der Staatsgewalt konstruierte“, weshalb für sie allenfalls eine sichernde Einschränkung der Handlungsfreiheit durch Einschließung, nicht aber eine Strafe im engeren Sinne verhängt werden dürfe.20 Beide diese Einwände entstammen einer Vermengung verfassungsrechtlicher und metajuristischer Perspektiven21 und richten sich letztlich gegen den in der diskutierten Rechtsmaterie ausgedrückten Verzicht auf einen politischen Relativismus22. Unabhängig vom Gebot staatlicher Neutralität erweist sich ein solcher in Hongkong aber auch insoweit als problematisch, als in dem Organisationsprinzip „Ein Land, zwei Systeme“ eine Parallelität dem Grunde nach disparater Politik- und Rechtsmodelle gerade vorausgesetzt wird. Brisanz birgt in diesem Zusammenhang zunächst die unmittelbare Bezugnahme auf das nationale Verfassungsgefüge ohne vorherige Transformation und Konkretisierung in Form einfachgesetzlich gefasster Rechtsgüter.23 Dies ist vor allem deshalb heikel, weil das in Art. 23 BL vorgesehene Gesetzesregime nicht nur – wie auch Staatsschutzrecht in anderen Ländern – Grundrechte beschränkt, sondern es mit diesen auch in seiner Zielrichtung in Konflikt tritt, nämlich dem Schutz eines Systems, im Rahmen dessen ein eigenes, abweichendes Verständnis individueller Freiheiten zum Tragen kommt.24 Die in Rede stehenden Sicherheitsbestimmungen

16 Ein Vorwurf, dem sich dieser Rechtsbereich aufgrund seines Sanktionscharakters in besonderer Weise zu stellen hat. 17 Siehe Schinnerer, Schutz von Staat und Volk im englischen Recht, S. 74. Ihm zufolge fehle es hier schon an dem erforderlichen „Treuebruch“. Weiterhin bemerkt er, dass derjenige, „der vom Standpunkt der Gemeinschaft aus nicht mehr existiert, nicht mehr bestraft, sondern nur noch vernichtet werden“ könne. 18 Siehe Gallandi, Staatsschutzdelikte und Pressefreiheit, S. 15. Ähnlich Kohlmann, Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, S. 3. 19 Siehe hierzu z. B. den Sammelband, Die Rechtsgutstheorie, herausgegeben von Hefendehl/Hirsch/Wohlers. 20 Hierzu Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 59. 21 Siehe Maunz/Dürig-Herdegen, Grundgesetz, Art. 79, Rn. 60. 22 Vgl. MüKo StGB-Lampe/Hegmann, Vorbemerkungen zu den §§ 81 ff., Rn. 2. 23 Gallandi, Staatsschutzdelikte und Pressefreiheit, S. 15. 24 Dazu oben, Kapitel B. II. 2. b).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

könnten als Einfallstor für Elemente der chinesischen Staatsräson sowie in der VVC niedergelegter Grundwertungen fungieren und hierdurch den massenmedial geführten Diskurs in der SVZ auf eine volksrepublikanische Sichtweise verengen.25 Das Konfliktpotential des Art. 23 BL erklärt sich weiterhin dadurch, dass die Ausgestaltung von Staatsschutznormen mehr als die des sonstigen Strafrechts von der jeweiligen politischen Ordnung eines Staates abhängt,26 vorliegend allerdings diejenige des zuständigen Parlaments von der seines „Auftraggebers“, also der VRC, abweicht. Eine Durchbrechung der vereinbarten Systemtrennung kann in der Behandlung von Aspekten der inneren und äußeren Sicherheit Festlandchinas durch Schutzgesetze der SVZ indes nicht gesehen werden. So ist zu berücksichtigen, dass die Bereiche „Äußeres“ und „Verteidigung“ sowie „Angelegenheiten, die die Beziehung zur Zentralregierung betreffen“, von der Hongkong gewährten Autonomie in Art. 3 Abs. 2 S. 2 JD sowie in Art. 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 17 Abs. 3 BL explizit ausgenommen sind. b) Tatbestandliche Weite und Elastizität Eine andere Eigentümlichkeit des zu erörternden Rechtsbereichs liegt zunächst in der Schwierigkeit der Festlegung einer angemessenen Tatbestandsweite: Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass der Staat z. B. in Fällen des Hoch- oder Landesverrats gleichsam verantwortlich für die Strafverfolgung zeichnet und sich in der Rolle des Geschädigten findet.27 Verständlich ist somit die Versuchung, den Kreis staatsschutzrechtlich untersagter Handlungen über grundrechtliche Grenzen hinaus, vor allem in Widerspruch zum Recht auf freie Meinungsäußerung, auch und gerade durch Nutzung von Massenmedien,28 auszudehnen29. Auf der anderen Seite hütet das politische Strafrecht, wie schon angedeutet, seine eigenen Grundlagen. Da erst diese ihm überhaupt Rechtscharakter verleihen30 und seine Durchsetzung nach Vollendung der jeweiligen Tat erschwert wäre,31 muss es

25 Hierzu zählt beispielsweise die Zugehörigkeit Tibets und Taiwans zur VRC. Zu bereits gegenwärtig zu beobachtenden Implikationen für diesbezügliche Berichterstattung in Hongkong vgl. A. Cheung, Self-Censorship and the Struggle for Press Freedom in Hong Kong, S. 182 ff. 26 Siehe Scholz, Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, S. 3. 27 Siehe Scholz, Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, S. 3, mit Verweis auf Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 409. 28 Vgl. Karpen, DVBl. 1999, 1030 (1030). 29 Scholz, Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, S. 3. 30 Gallandi, Staatsschutzdelikte und Pressefreiheit, S. 15. 31 Scholz bringt pointiert zum Ausdruck: „Der ,erfolgreiche‘ Hochverräter bekommt das Instrument des politischen Strafrechts als Waffe gegen Vertreter der zerstörten Ordnung selbst in die Hand [. . .].“, Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, S. 2.

I. Vorüberlegungen

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rechtslogisch Handlungen, die sich gegen den Bestand der Verfassungsordnung wenden, bereits in einer frühen Phase ihrer Begehung entgegentreten. Hinzu kommt, dass die Variabilität in Betracht zu ziehender Angriffsarten eine offene Tatbestandsgestaltung erforderlich macht.32 So beruhen potentielle Gefährdungen der staatlichen Ordnung aufgrund deren zahlreicher Ausprägungen und der Unterschiedlichkeit möglicher Intensitätsgrade auf einem im Vorhinein nur schwer zu umreißenden Handlungsspektrum. Um auf verschiedene Vorgehensweisen flexibel reagieren zu können, kann das Staatsschutzrecht, trotz der teils erheblichen Strafmaße, vom Gebrauch generalklauselartiger Formulierungen nicht gänzlich absehen.33 Eine besondere Konkretisierungsnotwendigkeit von Sicherheitsbestimmungen der in Art. 23 BL vorgesehenen Art ergibt sich hierüber hinaus mit Blick auf Bezeichnungen des Rechtsguts, das zumeist unmittelbar verfassungsrechtlichen Charakters ist.34 Es stellen sich insofern weitergehende Fragen, z. B., inwieweit zur Bedeutungsermittlung des zentralen Begriffs des „Staates“ hierüber geführte Auseinandersetzungen im Völkerrecht und in der Allgemeinen Staatslehre einzubeziehen sind.35 Positive Begriffserläuterungen, wie sie sich in Deutschland in § 92 StGB finden, vermögen hierauf nicht immer befriedigend Antwort zu geben, bleiben doch auch sie in erheblichem Maße auslegungsbedürftig und tragen ihrerseits zu einer wiederum kritikwürdigen Handlungskasuistik bei. Der Grundsatz tatbestandlicher Bestimmtheit wird im politischen Strafrecht mithin in zweierlei Hinsicht auf die Probe gestellt, sowohl durch die Vielzahl denkbarer Begehungsalternativen als auch angesichts der Rechtsnatur der Schutzgüter. Mit Bezug auf Art. 23 BL wurde zuweilen argumentiert, das von einer entsprechenden Gesetzgebung zu befürchtende Übel liege weniger in einem als zu repressiv empfundenen Regelungskonzept als in der Gefahr ihres Missbrauchs. Insbesondere dürfte der diffuse Begriff des „nationalen Sicherheitsinteresses“ nicht zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Meinungs- und insbesondere Pressefreiheit herangezogen werden.36 Weit gefasste Tatbestände seien aus diesem Grund engeren, dafür aber weniger präzise formulierten Tatbeständen vorzuzie32 Kohlmann, Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, S. 3 f. 33 Grundsätzlich ausreichend ist es nach dem BGH, wenn der Normumfang durch Auslegung bestimmbar ist, vgl. schon dessen Urteil vom 15.02.1958, BGHSt. 11, 365 (377). 34 Scholz, Der Begriff des Staatsgeheimnisses im freiheitlichen Rechtsstaat, S. 3. 35 Vgl. Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 354 f. 36 Der Verweis auf die „nationale Sicherheit“ erweist sich insbesondere deshalb als gefährlich, da er leichter als andere Rechtfertigungsgründe auf Akzeptanz in der Bevölkerung stößt und dem genannten Bereich ein gewisses Maß an „Geheimniskrämerei“ zugestanden wird, eine Konkretisierung des Begriffs insofern von vornherein abbedungen ist, vgl. Zamir, in: Shetreet, Free Speech and National Security, S. 160 (162).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

hen.37 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Weite und Elastizität des strafrechtlichen Gesetzestextes sind vielmehr zwei Seiten derselben Medaille. Beide können im Einzelfall zur Kriminalisierung bestimmter Handlungen beitragen. Hierfür ist es unerheblich, ob diese expressis verbis im Gesetzbuch beschrieben sind oder im Nachhinein durch die ausführende bzw. rechtsprechende Gewalt staatsschutzrechtlichen Verboten zugeordnet werden. Eine vage Ausdrucksweise unterhöhlt zwar die Garantiefunktion des Strafrechts,38 doch eröffnet sie zugleich Hongkonger Gerichten die Möglichkeit, eine politische Instrumentalisierung des Staatsschutzrechts durch grundrechtsfreundliche Gesetzesinterpretation zu korrigieren. Dies gilt umso mehr, als die Judikative im Vergleich zur Regierungsund Legislativgewalt ihre politische Unabhängigkeit gegenüber der Pekinger Zentralregierung auch nach 1997 hat bewahren können.39 Obendrein ist es ihr in Hongkong möglich, über die Erzeugung von Common Law die ausführenden Sicherheitsorgane zu einer zurückhaltenden Handhabung von Belangen des Staatsschutzes zu verpflichten. Verursachte eine „Autonomisierung“ dieses Rechtsbereichs,40 sprich seine Loslösung von Vorgaben des Gesetzgebers infolge der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe,41 unter den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit42 und der Gleichheit vor dem Gesetz43 auch Bedenken, ist sie mit Blick auf die Kontrollfunktion der Rechtsprechung durchaus positiv zu beurteilen. Sie könnte gegenüber restriktiven Tatbestandsfassungen sehr wohl die für die Pressefreiheit mildere Variante darstellen. 2. Bewertungsrahmen a) Gestaltungs- und Auslegungsmaximen Obgleich sich, wie dargelegt, im politischen Strafrecht für eine weite Fassung der Tatbestände sehr wohl Argumente finden, kann der Schutz des Staates unter 37

Siehe z. B. Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (588 f.). „Garantiert“ wird hiernach, dass nur tatbestandlich erfasste Handlungen strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen können. Vgl. hierzu oben, Kapitel E., Fn. 32, sowie zur entsprechenden Rechtslage in Deutschland, Schönke/Schröder-Cramer/Heine/ Lenckner, Strafgesetzbuch, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff., Rn. 25. 39 Abgesehen von der bereits ausführlich behandelten Frage ihrer letztinstanzlichen Entscheidungsbefugnis, siehe Kapitel C. I. 3. 40 Siehe Kreissl, Kriminologisches Journal 23 (1991), 41 (60). 41 So wird davon ausgegangen, dass Exekutive und Rechtsprechung die verbleibenden Interpretationsspielräume nutzen und so das Maß an Verrechtlichung politischer Kommunikation wesentlich mitbestimmen würden. 42 Das strafrechtliche Bestimmtheitsprinzip folgt in Hongkong schon aus dem Verbot willkürlicher Verhaftungen in Art. 28 Abs. 2 S. 1 BL. Darin heißt es: „No Hong Kong resident shall be subjected to arbitrary or unlawful arrest, detention or imprisonment.“ Vgl. zudem auch Art. 39 Abs. 2 S. 1 BL. 43 Vgl. Art. 25 BL und Art. 10 BoR. 38

I. Vorüberlegungen

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rechtsstaatlichen Bedingungen niemals absolut sein.44 Nur einem totalitären System ist es möglich, die Diachronie zwischen nationaler Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten gänzlich zu überwinden.45 Die widerstreitenden Interessen befinden sich somit in einem Spannungsfeld, das gesetzlich weder zugunsten der einen noch der anderen Seite von vornherein aufgehoben werden kann.46 Um hinsichtlich der Ausarbeitung der Art. 23-Gesetzgebung und bei der Lösung der hierin zu Tage tretenden Normenkollision ein systematisches Vorgehen zu gewährleisten, wäre demnach zumindest die Befolgung einer einheitlich geltenden Gestaltungs- und Auslegungsregel erstrebenswert. aa) Praktische Konkordanz Beispielhaft in dieser Hinsicht ist das von Hesse geprägte Prinzip praktischer Konkordanz.47 Zwar ist deutsche Verfassungsmethodik nicht ohne Weiteres auf Rechtssysteme des Auslands übertragbar, doch erscheint die hierin zum Ideal erhobene wechselseitige Optimierung konfligierender Rechtspositionen48 auch im Kontext der vorliegenden Untersuchung sachgerecht.49 Eine Güterabwägung, an deren Ende Art. 23 BL oder aber Art. 27 1. Hs. bzw. 39 BL hinter der entsprechenden Gegennorm gänzlich zurücktreten würde, ist bei Konzipierung eines Staatsschutzgesetzes in der SVZ nicht vorstellbar.50 Dies gilt vor allem mit Blick auf die vereinbarte Auseinanderhaltung Hongkonger und festlandchinesischen Rechts, die in Art. 23 BL aufeinandertreffen. So wären die zu erlassenden Rechtsvorschriften Hongkonger Ursprungs, das durch sie zu schützende Rechtsgut läge dagegen im nationalen Verfassungssystem begründet. Für eine Befriedung des hierin wurzelnden Systemkonflikts muss die Sicherheitsgesetzgebung in der SVZ vermittelnden Charakters sein. Es wäre mithin nicht angebracht, den Widerspruch zwischen Art. 23 BL und Art. 27 1. Hs. bzw. 39 BL einseitig zu Lasten der einen oder der anderen Bestimmung zu entscheiden. Eine Lösung bietet vielmehr nur ein möglichst schonender Ausgleich beider Normgehalte.51 Zu44 Kohlmann, Der Begriff des Staatsgeheimnisses und das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften, S. 2. 45 Papacharalambous, Das politische Delikt im legalistischen Rechtsstaat, S. 63, 72. 46 Karpen, DVBl. 1999, 1030 (1030). 47 Siehe ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 28, Rn. 72. 48 Dazu von Münch/Kunig-von Münch, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Vorb. Art. 1–19, Rn. 47. 49 Der von Hesse beschriebene Ansatz hat auch in anderen Verfassungssystemen bereits Niederschlag gefunden, so z. B. in Frankreich, vgl. Décision n ë 94-352 DC, Entscheidung des Conseil constitutionnel vom 18.01.1995. 50 Vgl. hierzu Rensmann mit Verweis auf relevante Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Wertordnung und Verfassung, S. 141 f. 51 Zur Anwendung des Prinzips in Deutschland vgl. insoweit BVerfGE, 39, 1 (43), Schwangerschaftsabbruch I, vom 25.02.1975, NJW 28 (1975), 573 (576).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

dem ist auch das Basic Law seiner Aufgabe und seinem Anspruch nach – freilich unter Einbeziehung von „Ein Land, zwei Systeme“ und der partiellen Geltung festlandchinesischen Rechts – als ein in sich geschlossenes, kohärentes Normengefüge zu begreifen. In diesem gelten sowohl das Sicherheitsinteresse des Staates als auch die Freiheit politischer Berichterstattung von Grund auf nur relativ. Um ihnen zu jeweils größtmöglicher Entfaltung zu verhelfen, müssen diese somit gleichzeitig, im Rahmen einer einheitlichen Werteordnung in Betracht gezogen werden. bb) Das „Prinzip minimaler Gesetzgebung“ Ergänzend zum allgemeinen Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz ist darüber hinaus ein für Art. 23 BL empfohlenes „Prinzip minimaler Gesetzgebung“ in Erwägung zu ziehen.52 Für ein grundrechtlich ausgewogenes Staatsschutzrecht hätten hiernach alle dessen Regelungen einen Filter verschiedener Ausschlussgründe zu durchlaufen: Demgemäß kämen von mehreren Regelungsalternativen zunächst allein diejenigen in Betracht, welche mit dem kleinsten legislativen Aufwand die Vorgaben des Art. 23 BL erfüllen. Auf einer zweiten Stufe wären von diesen Gestaltungsoptionen wiederum solche herauszusuchen, die die geringsten Grundrechtseinwirkungen zur Folge hätten, selbst wenn das Schutzniveau des IPbpR auch durch andere Formulierungen erreicht werden würde. Weiterhin seien in einen erneuten Security Bill ausschließlich Normen aufzunehmen, hinsichtlich derer de lege lata Regelungslücken bestehen. Zuletzt komme es darauf an, die einzuführenden Bestimmungen so detailliert wie möglich zu verfassen und hierdurch den Ermessensspielraum der Behörden auf ein Mindestmaß zu begrenzen.53 Vorgeschlagen wird somit unter anderem letztlich eine Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung entsprechend der deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrechtspraxis. Diese erscheint hier insofern angemessen, als laut Art. 16 Abs. 3 BoR bzw. Art. 19 Abs. 3 IPbpR Beschneidungen der Pressefreiheit unter der Bedingung „necessary for the protection of national security“ stehen.54 Nach Art. 2 Abs. 3 der Vorbemerkungen zum Bill of Rights ist dieser im Lichte des ihm zugrundeliegenden UN-Zivilpakts zu interpretieren. Der UN-Menschenrechtsausschuss erklärt in kommentierenden Bemerkungen zu Art. 12 IPbpR die 52 Siehe Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (587 ff.). Ein „minimalist approach“ wurde seitens der Regionalregierung auch bezüglich anderer presserelevanter Gesetzesvorhaben angekündigt. Hinsichtlich des Prohibition against false threats of terrorist acts, Cap. 575, in Kraft seit dem 23.08.2002, vgl. Hong Kong Hansard vom 11.07.2002, 8861. 53 Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (588). Da sich die vorliegende Arbeit auf materielle Aspekte der Art. 23-Gesetzgebung beschränkt, bleibt hier die fünfte Forderung nach einer möglichst geringen Anzahl damit befasster Gesetzgebungsorgane außer Betracht. 54 Zu den Rechtsgrundlagen der Pressefreiheit in Hongkong siehe bereits oben, Kapitel D. II. 1.

I. Vorüberlegungen

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Einschränkung „necessary“ als ein „principle of proportionality“, dem zufolge die betreffende staatliche Maßnahme geeignet zur Erreichung des Schutzziels sein muss und unter gleich geeigneten Mitteln das mildeste auszuwählen ist.55 Die Ausführungen zu Art. 12 IPbpR haben im Rahmen dieses Vertragswerks überdies exemplarischen Charakter.56 Sie sind daher ebenfalls für Art. 16 Abs. 3 BoR bzw. für Art. 19 Abs. 3 IPbpR i.V. m. Art. 39 BL als Auslegungshilfe heranzuziehen. Obendrein hat auch der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) in einer auslegenden Erklärung bemerkt, dass Einschränkungen des in Art. 19 Abs. 2 IPbpR garantierten Rechts einem legitimen Ziel zu dienen haben und im Verhältnis zu diesem verhältnismäßig sein müssen.57 Unter Einbeziehung der Erläuterungen des Menschenrechtsausschusses und der des ECOSOC ist den ersten drei der vier genannten Voraussetzungen gemäß dem „Prinzip minimaler Gesetzgebung“, nach denen jeweils Erforderlichkeitserwägungen anzustellen sind, zuzustimmen. Ein solches Vorgehen deckte sich zuletzt auch mit der gerichtlichen Praxis in Hongkong bei grundrechtsrelevanten Fragestellungen.58 Die darüber hinaus erhobene Forderung nach einem höchstmöglichen Maß an inhaltlicher Eindeutigkeit der Regelungen taugt als Orientierungsmaßstab für die anstehende Rechtsbewertung dagegen kaum. So geht eine Anhebung der tatbestandlichen Bestimmtheit in der Regel mit der Ausweitung des Gesetzestextes einher. Umfängliche Definitionslisten führten indes nicht nur zu Einbußen an Praktikabilität, sondern unter Umständen auch zu einem Verlust an Rechtsklarheit und -sicherheit. Der Regelungswortlaut muss außerdem einer notwendigen Flexibilität der Normanwendung Rechnung tragen.59 Ein Maximum an tatbestandlicher Präzision kann darum stets nur im Verhältnis zu anderen Faktoren, insbesondere der Grundrechtssignifikanz der in Rede stehenden Vorschrift, ermittelt werden. Deshalb kommt es stattdessen, in Übereinstimmung mit den Erörterungen des Menschenrechtsausschusses,60 darauf an, ob der Eingriff in die Freiheit der Medien noch als angemessen zu bezeichnen ist. Ausschlaggebend bezüglich der hier zu behandelnden Normenkollision ist daher zunächst, welche Folgen für die Unabhängigkeit des Journalismus jeweils konkret abzusehen sind. Für 55 Siehe Erwägungsgrund 14 des General Comment No. 27 (67) vom 02.11.1999, UN-Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.9. 56 Siehe Klein, in: Volger, Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen, S. 21 (60). 57 Vgl. Ziff. 10 lit. c und d der Siracusa Prinzipien, dazu sogleich, Kapitel E. I. 2. b). 58 Siehe z. B. HKSAR v. Lee Ming Tee, 4 HKCFAR 133 ff., 2001. Mit Bezug auf die Medienfreiheit, speziell das Recht der Presse zur Berichterstattung über laufende Korruptionsermittlungen, siehe Ming Pao Newspapers Ltd. v. Attorney General, 3 WLR 272 ff., 1996. 59 Siehe hierzu schon soeben, Kapitel E. I. 1. b). 60 Siehe hierfür ebenfalls den Erwägungsgrund 14 des General Comment No. 27 (67) vom 02.11.1999, UN-Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.9.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

eine „verfassungsrechtliche“ Rechtmäßigkeit der Regelung ist sodann festzustellen, ob die Erreichung des strafrechtlichen Normzwecks in Abwägung mit diesen überwiegt. Zusammenfassend ist dem „Prinzip minimaler Gesetzgebung“ insoweit zuzustimmen, als es Kriterien der Verhältnismäßigkeit zur Anwendung bringen will. Es scheint in der Tat angezeigt, diese für die Erörterung der Vorschläge zur Umsetzung der Hongkonger Staatsschutzklausel in den jeweiligen grundsrechtsrelevanten Punkten Tatbestandsweite, Bestimmtheit und Strafrahmen heranzuziehen. Ein zusätzlicher Aussagegehalt ist dem „Prinzip minimaler Gesetzgebung“ jedoch nicht zu entnehmen. Im Gegenteil bleibt es die wesentliche, aber auf der ersten Prüfungsstufe vorausgesetzte Antwort schuldig, mit welchen Bestimmungen den Anforderungen des Art. 23 BL Genüge getan ist. b) Die Siracusa und Johannesburger Prinzipien Staatsschutz beinhaltet typischerweise und länderübergreifend Eingriffe in die Arbeit von Presse und Rundfunk.61 Folgerichtig wurden internationale Leitlinien zur Bewältigung dieses Gegensatzes geschaffen. Sie finden Ausdruck in zwei zwar rechtlich nicht bindenden, aber dennoch viel beachteten Erklärungen: Zu nennen ist zunächst die der Siracusa Principles on the Limitation and Derogation of Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights62. Diese hat der ECOSOC63 1984 gemäß seiner Kompetenz nach Art. 62 Abs. 2 der UNCharta verabschiedet. Konkretisiert sind darin Rechtfertigungsgründe für Beschneidungen der im IPbpR verbürgten Rechte.64 Unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit können hiernach ausschließlich Maßnahmen getroffen werden, die den Bestand des Staates, seine territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit gegen Gewalt bzw. Drohung mit dergleichen schützen sollen.65 Die zu erwartende Gefahr für die rechtliche Ordnung darf zudem nicht bloß lokaler oder sonstwie begrenzter Natur sein.66 Genauere Regelungen zum Spannungsfeld zwischen Staatssicherheit und freier Meinungsäußerung finden sich in den sogenannten Johannesburg Principles on 61 Vgl. auch „The Article 19 Freedom of Expression Manual“ herausgegeben von der Nichtregierungsorganisation Article 19, S. 114 ff. 62 UN-Dok. E/CN.4/1984/4 (1984), abgedruckt in: Human Rights Quarterly 7 (1985), 3–14. Nachfolgend auch nur die „Siracusa Prinzipien“. 63 Genauer der „Unterausschuss zur Verhinderung von Diskriminierung und dem Schutz von Minderheiten“. 64 Zur Einschränkbarkeit des Art. 19 Abs. 2 IPbpR siehe teils auch schon oben, Kapitel D. II. 1. b) aa). 65 Teil I. B. Ziff. 29 der Siracusa Prinzipien. 66 Teil I. B. Ziff. 30 der Siracusa Prinzipien.

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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National Security, Freedom of Expression and Access to Information67. Deklariert wurden sie auf Initiative der Nichtregierungsorganisation Article 19 am 1. Oktober 1995. Diese hatte zuvor im Auftrag der UNESCO Länderberichte zum Regelungsstand des Staatsschutzrechts und seinen Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit erstellt.68 Auf Grundlage dieser und weiterer Recherchen erarbeitete eine Gruppe von Vertretern der Vereinten Nationen und anderer mit Menschenrechten befasster Einrichtungen ein recht ausführliches Regelwerk, das bei Normenkollisionen der hier behandelten Art weltweit herangezogen werden solle.69 Obgleich dieses keine völkerrechtliche Bindungskraft entfaltet, kommt ihm insofern eine normative Wirkung zu, als es in der Literatur viel Zuspruch erfahren hat70 und selbst Regierungen zur Rechtfertigung ihrer Gesetzesvorhaben darauf Bezug genommen haben71. Die Entstehung entsprechenden Völkergewohnheitsrechts konnten die Johannesburger Prinzipien indes nicht befördern, gelten ihre Standards bislang doch nur in einer relativ geringen Anzahl von Staaten als erfüllt.72

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung gemäß Art. 27 1. Hs., 39 BL Zu erwarten ist, dass der 2003 gescheiterte Gesetzentwurf bei einem zweiten Anlauf zur Verwirklichung der Hongkonger Staatsschutzklausel abermals, zumindest als Grundlage, herangezogen werden wird.73 Er bildet daher den Ausgangspunkt für nachfolgende Untersuchung. Leitbildcharakter könnte zudem nun aber auch der bereits vollzogenen Strafrechtsreform in Macao zukommen, basiert diese doch auf einer im Wortlaut mit Art. 23 BL übereinstimmenden Norm.74 Obgleich das „Gesetz zur nationalen Sicherheit“ in Macao nicht auf eine Erneue67

UN-Dok. E/CN.4/1996/39, abgedruckt in: Coliver/Hoffman/Fitzpatrick/Bowen (Hrsg.), Secrecy and Liberty, S. 1–10. Nachfolgend auch nur „Johannesburger Prinzipien“. 68 Siehe „Press Law and Practice“, herausgegeben von Article 19. 69 Vgl. hierzu Condé, A Handbook of International Human Rights Terminology, S. 139; Karpen, DVBl. 1999, 1030 (1030). 70 Vgl. Mendel, in: Campbell Public Affairs Institute, National Security and Open Government, S. 1 (1). 71 Siehe für Hongkong Ziff. 1.11. des Consultation Document, vgl. Kapitel C., Fn. 347. 72 Siehe Mendel, The Johannesburg Principles, S. 1, einsehbar unter http://www.artic le19.org/pdfs/publications/jo-burg-principles-overview.pdf (Stand: 20.08.2011). 73 Petersen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 1 (3). 74 England, BBC Online vom 03.03.2009, einsehbar unter http://news.bbc.co.uk/2/ hi/asia-pacific/7920275.stm (Stand: 20.08.2011); Godinho, The Regulation of Article 23 of the Macau Basic Law, S. 4.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

rung des Hongkonger Statute Law ausgerichtet war und sich die Anforderungen des dort geltenden kontinentaleuropäischen Rechtskreises von denen in der SVZ unterscheiden,75 soll ergänzend auch hierauf eingegangen werden. Kommentiert werden die in Rede stehenden Vorschriften im Hinblick auf die in Art. 27 1. Hs. und 39 BL garantierte Medienfreiheit. Schwerpunkte liegen darum auf den Delikten der Aufwiegelung und des Diebstahls von Staatsgeheimnissen,76 welche mit der Arbeit von Presse, Rundfunk und Internetmedien die meisten Berührungspunkte aufweisen. Zwar beschneiden im Einzelfall auch die ebenfalls in Art. 23 BL genannten Tatbestände des Hochverrats, der Sezession und Subversion das Recht auf kritische Berichterstattung, doch erlangen diese aus journalistischer Perspektive vornehmlich als Bezugsstraftaten der Aufwiegelung Bedeutung, in deren Rahmen sie dieserhalb auch abgehandelt werden. 1. Aufwiegelung (sedition) Die Aufwiegelung wird nicht ausschließlich, aber doch regelmäßig in Form eines Äußerungsdelikts verwirklicht. Straftaten dieser Art gehen im Staatsschutzrecht typischerweise mit der Herstellung von Öffentlichkeit einher.77 Folglich richtet sich die Strafandrohung in besonderer Weise an Medienschaffende, seien es Redakteure, Buchautoren oder Filmemacher. Ihnen dürfte Aufwiegelung öfter zur Last gelegt werden als Hochverrat, Sezession oder Subversion, die im Regelfall allesamt mehr als ein nur publizistisches Handeln voraussetzen.78 Gleichwohl bilden just diese Taten ein wesentliches Bezugsobjekt der Aufwiegelung und haben somit Rückwirkungen auf deren Strafbarkeit. a) Urprünge und Verbotsgegenstand Der soeben angedeutete Unterschied zwischen dem im Common Law verbreiteten Straftatbestand der „sedition“ und anderen Staatsschutzdelikten galt nicht immer. Das Verbotsziel der Aufwiegelung hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt: Die seditio bezeichnete im römischen Recht die Hervorrufung politischer Unruhen, beispielsweise durch Meuterei, durch Aufruhr oder infolge politischer oder militärischer Abspaltung.79 Unter ihr verstand man ein „ungeordnetes, wildes, mit Gewaltthätigkeiten verbundenes, von einer grossen Mehrzahl unter75 Siehe den Jahresbericht 2009 der Hong Kong Journalists Association, S. 2, sowie allgemein auch die Übersicht von Brockman, „Macau Law: Why so different?“, einsehbar unter http://www.pinsentmasons.com/media/222336856.pdf (Stand: 20.08.2011). 76 Nach hiesiger Terminologie also des Landesverrats. 77 Siehe Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 320. 78 Ähnlich Clark, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 31 (33). 79 Lewis/Short, A Latin Dictionary, S. 1660.

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nommenes, widerrechtliches Handeln“, das „gegen die respublica oder den imperator wirklich und ausführbar gerichtet war“.80 Zwar erfasste sie auch schon dessen Vorstufe in Form verbaler Auseinandersetzungen,81 doch betraf das Delikt vornehmlich noch sich unmittelbar auswirkende Angriffe auf den Staat. Das englische Recht kannte ursprünglich nur das Verbrechen der „seditious libel“, also der „aufwieglerischen Nachrede“. Diese erstreckte sich trotz ihres Namens, entsprechend römischer Vorstellungen, neben der Äußerung von Widerspruch gegen die bestehende Herrschaftsordnung auch auf mit Gewalt verbundene Vorgehensweisen. Umgekehrt fiel Kritik am Monarchen zugleich unter den Tatbestand des Hochverrats (treason).82 Eine Ausdifferenzierung verschiedener, die gesellschaftlichen Hierarchiestrukturen betreffender Straftaten oblag in dieser Periode dem obersten englischen Gerichtshof, dem sogenannten Court of Star Chamber.83 Erst im 17. Jahrhundert grenzte man aufrührerische Schriften und Reden grundsätzlich gegenüber solchen Tätigkeiten ab, von denen für den Staat direkte Schädigungswirkungen ausgingen und die sich nicht in der bloßen Meinungskundgabe erschöpften. Erstere Kategorie wurde seither mit dem Ausdruck „sedition“ bezeichnet, während letztere dem Delikt „treason“ zugeordnet und mit weitaus härteren Strafen, in der Regel dem Tod,84 belegt war.85 Mit dem sich ändernden Verständnis von Staat und Regierung im Vereinigten Königreich rechtfertigte man die Aufwiegelung ab dem 19. Jahrhundert weniger mit dem Ehrenschutz des Königs als mit Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Die Anzahl entsprechender Strafverfahren ging demgemäß zurück.86 Anwendung erfuhr die Aufwiegelung weiterhin jedoch als Instrument der Herrschaftssicherung in den britischen Kolonien. Angeklagt wurden dabei vor allem Rechtsanwälte und Zeitungsredakteure, die an Regierungsinstitutionen oder dem Staatsoberhaupt Kritik geübt hatten.87 Bedeutung erlangte die Aufwiegelung noch einmal nach Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Bekämpfung kommunistischer Bewegungen, geriet in der Rechtspraxis daraufhin aber zunehmend in den Hintergrund.88

80

Siehe Weiske, Hochverrath und Majestätsverbrechen, S. 103, 106. Siehe Doederlein, Lateinische Synonyme und Etymologieen, S. 363. 82 Vgl. Bellamy, The Law of Treason in England in the Later Middle Ages, S. 119. 83 Vgl. Plucknett, A Concise History of the Common Law, S. 444. 84 Vgl. Bellamy, The Tudor Law of Treason, S. 182 ff. 85 Siehe Barnes, Criminal Law Review (1977), 316 (323). Die Bestrafung für Aufwiegelung war dagegen auf Peitschenhiebe begrenzt, Bellamy, The Tudor Law of Treason, S. 185. 86 Maher, Sydney Law Review 14 (1992), 287 (292). 87 Bronitt/Stellios, MULR 30 (2006), 923 (926). 88 Zur Situation in Australien vgl. Baker, Mutiny, Terrorism, Riots and Murder, S. 215 f. 81

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Zusammenfassend steht sedition heute im angloamerikanischen Rechtskreis für das Verbot von Verhaltensweisen oder Äußerungen, gleich ob schriftlich oder mündlich, die mit dem Ziel vorgenommen werden, zu Missmut gegenüber der Staatsmacht oder zu Widerstand gegen diese anzustiften.89 Aus ihr ergibt sich somit eine inhaltliche Begrenzung des politischen Journalismus.90 Unterschieden wird teils nach der konkreten Begehungsart zwischen „seditious words“ 91, „seditious libel“ und „seditious conspiracy“ 92. Die ständige Veränderung der Sicherheitslage sowie grundrechtliche Bedenken haben international zu unterschiedlichen Rechtsentwicklungen geführt: Nachdem die Strafnorm beispielshalber in Australien für mehrere Jahrzehnte außer Kraft gesetzt war, wurde sie im Jahr 2005 mit Blick auf Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus wieder eingeführt.93 In England und Wales dagegen wurde der Tatbestand der Aufwiegelung durch Art. 73 des Coroners and Justice Act 200994 aufgegeben.95 Als Grund hierfür nannte man die vermeintliche Unvereinbarkeit der Regelungen mit der Meinungsfreiheit; in politischer Hinsicht versprach man sich dazu eine erhöhte Glaubwürdigkeit in Fällen, in denen wegen des möglichen Missbrauchs zur Unterdrückung oppositioneller Kräfte auf eine Streichung des sedition-Tatbestands im Ausland gedrängt wird.96 Bereits zuvor, im Jahr 2007, hatte Neuseeland mit dem Crimes (Repeal of Seditious Offences) Amendment Act97 die Aufwiegelung aus seinem Strafrecht entfernt.98 Begründet worden war der Schritt damit, dass es mit der Aufwiegelung zu einer unverhältnismäßigen Beschneidung des in Art. 19 Abs. 2 IPbpR angelegten Rechts auf freien Austausch politischer Ideen gekommen sei.99 89

Kyer, University of Toronto Faculty of Law Review 37 (1979), 266 (266). Vgl. Koshner, Saint Louis University Public Law Review 6 (1987), 395 (404 f.); Mayton, Columbia Law Review 84 (1984), 91 (92, 109). 91 Vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. b des Ordinance to regulate the printing of books and papers and the keeping of printing presses within the Colony of Hong Kong. 92 Vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. a des Ordinance to regulate the printing of books and papers and the keeping of printing presses within the Colony of Hong Kong sowie Art. 59 Abs. 1–3 des kanadischen Criminal Code. Siehe allgemein Kyer, University of Toronto Faculty of Law Review 37 (1979), 266 (266). 93 Im Zuge des Australian Anti-Terrorism Act 2005, verabschiedet am 06.12.2005. Siehe dazu Sorial, Current Issues in Criminal Justice 18 (2007), 431 (433 ff.). 94 In Kraft seit dem 12.01.2010. 95 Dazu auch die Tatbestände der „seditious libel“, „obscene libel“ und „defamatory libel“. 96 Siehe „Criminal libel and sedition offences abolished“ vom 13.01.2010 in der Press Gazette, einsehbar unter http://www.pressgazette.co.uk/story.asp?storycode=448 84 (Stand: 20.08.2011). 97 Verabschiedet am 30.10.2007, in Kraft seit dem 01.01.2008. 98 Gefolgt wurde damit Empfehlungen der neuseeländischen Law Commission zur Streichung der Art. 81–85 des Crimes Act von 1961. 99 Siehe hierzu die Parlamentsdiskussion vom 18.10.2007, New Zealand Hansard 642, 12543 ff. 90

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b) Rechtslage in Hongkong aa) Entwicklung des gegenwärtigen Rechtsbestands Der Gebrauch von sedition im Hongkonger Recht war stets eng verknüpft mit der Kontrolle der Presse. Über eine Vielzahl diese betreffender Gesetzeserlässe entwickelte sich die heute geltende Regelung in den Art. 9 ff. des Crimes Ordinance100 (CO). Aufwieglerische Tätigkeiten von Presseorganen versuchte man bereits kurz nach Eingliederung Hongkongs in das britische Weltreich zu unterbinden. So wurde schon 1844 der Ordinance to regulate the printing of books and papers and the keeping of printing presses within the Colony of Hong Kong101 erlassen. Obwohl mit diesem nur verhältnismäßig geringe Einschränkungen der Pressefreiheit einhergingen,102 bestanden schon zu damaliger Zeit Zweifel an seiner Zeitgemäßheit und rechtlichen Notwendigkeit.103 Zu einem ersten erheblichen Eingriff in das Pressewesen kam es, als der Friend of China, ein von englischen Missionaren betriebenes Blatt, sich in den Jahren 1857 und 1859 in zwei Artikeln gegen die Regierung gewandt hatte. Die Zeitung musste eingestellt werden; ihr Eigentümer wurde wegen übler Nachrede zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.104 Das Regelwerk zur Kontrolle in Hongkong erscheinender Publikationen wurde daraufhin fortwährend verschärft. Insbesondere der Newspapers Ordinance105 von 1860, der Printer and Publishers Ordinance106 von 1886, welcher das 1844 aufgestellte Presserecht ersetzte, und der Colonial Books Registration Ordinance107 von 1888 vergrößerten die rechtliche Handhabe der Kolonialregierung gegen unliebsame Berichterstattung.108 Ausdrücklich „aufwieglerische Publikationen“ betreffende Verbotsregelungen hielten in Hongkong jedoch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einzug. Dies geschah vor dem Hintergrund der in dieser Periode wachsenden politischen Spannungen innerhalb Festlandchinas.109 Art. 16 des Post Office Ordinance110 aus 100

Siehe oben, Kapitel C., Fn. 220. No. 2, erlassen am 28.02.1844. 102 Das Gesetz enthielt vordinglich Melde-, vgl. z. B. Art. 1 dieses Ordinance, und Informationspflichten des Zeitungsherausgebers, vgl. Art. 7 dieses Ordinance. 103 Vgl. Eitel, Europe in China, S. 195. 104 Vgl. Norton-Kyshe, The History of the Laws and Courts of Hong Kong, S. 440. 105 No. 16, erlassen am 30.11.1860. 106 No. 4, erlassen am 12.07.1886. 107 No. 2, erlassen am 02.04.1888. 108 Näher zu hierdurch entstandenen rechtlichen Anforderungen an die Presse Partridge, The History of Legal Deposit of Books, S. 236 ff. 109 Vgl. H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (219). 110 No. 24, erlassen am 24.10.1900. 101

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dem Jahr 1900 untersagte die Einführung aufwieglerischer Dokumente. Noch heute verbietet das gleichnamige, jedoch mehrfach überarbeitete Gesetz111 in Art. 32 Abs. 1 lit. h die Versendung „aufwieglerischer Veröffentlichungen“, d.h. jeglicher Schriften, die sich im Definitionsbereich einer die Aufwiegelung berührenden Gesetzesbestimmung befinden. Mit dem Chinese Publications (Prevention) Ordinance112 von 1907 versuchte man zu verhindern, dass von Hongkong aus zu Widerstand gegen das chinesische Kaiserreich, das „great and friendly empire“ 113, aufgerufen wird. In Art. 2 untersagte man den Druck, die Veröffentlichung, den Verkauf und Vertrieb von Materialien, die dazu bestimmt sind, Unruhen in China auszulösen. Damit existierten bereits zu diesem Zeitpunkt in Hongkong Regelungen, die dem Schutz des festlandchinesischen Staatsgebildes zu dienen bestimmt waren, auch wenn ihr eigentlicher Zweck wohl in der Vermeidung einer weiteren militärischen Auseinandersetzung und damit in der Sicherung der Kronkolonie gelegen hat.114 Der Seditious Publications Ordinance115 diente dagegen dem Schutz der britischen Majestät und des Londoner wie auch des kolonialen Regierungsgefüges. Er setzte sich insoweit von vorherigen Regelungen des Pressewesens ab, als er alle dessen Produkte unabhängig vom Ort ihrer Herstellung erfasste und in Art. 2 lit. d erstmals dargelegt wurde, unter welchen Umständen ein Text als „aufwieglerisch“ zu bezeichnen ist.116 Der dabei gewählte definitorische Ansatz bildet bis heute die Grundlage für den Straftatbestand der „sedition“. Hieran anknüpfend und als Gegenmaßnahme zu in zahlreichen Kolonien aufkommenden Nationalbewegungen wurden 1938 der Sedition Ordinance117 sowie der Sedition Amendment Ordinance118 verabschiedet. Diese Gesetzeswerke hatten insofern Anteil an der Entwicklung des gegenwärtigen Rechtsbestands, als in ihnen Kriterien zur Feststellung einer „aufwieglerischen Absicht“ beschrieben wurden. Von dieser war nach Art. 3 Abs. 2 des Sedition Ordinance auszugehen, wenn der tatbestandliche Verletzungserfolg unter Einbeziehung des Zeitpunkts und der konkreten Umstände als „natürliche Auswirkung“ der Täterhandlung erschien.119 Man mag sich von der Heranziehung objektiver Merkmale grundsätzlich eine Erhöhung der 111

Cap. 98 (No. 7), erlassen am 01.07.1926. No. 15, erlassen am 11.10.1907. 113 Hong Kong Hansard vom 11.10.1907, 56. 114 So grundsätzlich auch H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (249). 115 No. 6, erlassen am 24.04.1914. 116 Vgl. H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (222 f.). 117 No. 13, erlassen am 01.09.1938. 118 No. 28, erlassen am 24.11.1938. 119 Art. 3 Abs. 2 des Sedition Ordinance heißt es: „[. . .] every person shall be deemed to intend the consequences which would naturally follow from his conduct at the time and under the circumstances in which he so conducted himself.“ 112

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Rechtsicherheit versprechen. Vorliegend allerdings handelte es sich um eine recht restriktive Gesetzesneuerung, konnte nun doch schon prima facie aufgrund eines voraussichtlichen Kausalzusammenhangs zwischen Veröffentlichung und schädigendem Ereignis auf eine „aufwieglerische Absicht“ des Beschuldigten geschlossen werden.120 Aus Furcht vor einem Übergreifen kommunistischer Bestrebungen weitete man nach Gründung der Volksrepublik die Regulierung der Presse abermals aus. So wurde 1951 der Control of Publications Consolidation Ordinance121 eingeführt. Dieser beherbergte unter Bezugnahme auf den Schutz der gesellschaftlichen Ordnung erhebliche Einschränkungen der Pressefreiheit: Art. 4 ermöglichte z. B. das Verbot von Periodika, sobald ein diesen angehöriger Drucker, Verleger oder Redakteur wegen Hochverrats, übler Nachrede oder anderen die öffentliche Sicherheit gefährdenden Straftaten verurteilt worden war. Nach Art. 5 konnte der Bezug ausländischer Veröffentlichungen untersagt werden, soweit diese als schädigend für die „lokale Sicherheit“ anzusehen waren. Art. 3 stellte Veröffentlichungen unter Strafe, die zur Begehung einer Straftat oder dem Beitritt zu einer verbotenen Organisation verleiteten. Wie bereits dargestellt122, hat man dieses Gesetz 1987 durch den Registration of Local Newspapers Ordinance ersetzt. Auch wenn darin an einer Lizenzverpflichtung von in Hongkong erscheinenden Zeitungen festgehalten wurde, erzielte man mit der Abschaffung des Control of Publications Consolidation Ordinance eine nicht zu unterschätzende Deregulierung des Pressewesens in der SVZ. Den Sedition Ordinance hatte man zuvor verschärft, indem die Legaldefinition einer „aufwieglerischen Absicht“ um zwei weitere, sehr weitgreifende Motive erweitert wurde: die Aufrufung von Personen zur Gewalt und den Rat zur Missachtung von Gesetzen oder gesetzmäßiger Regelwerke.123 Im Jahr darauf, 1971, waren die Bestimmungen des Sedition Ordinance in den Crimes Ordinance aufgenommen worden. Im Rahmen der allgemeinen Demokratisierungs- und Liberalisierungsbestrebungen124 beriet man 1996 im LegCo über die Abschaffung des sedition-Tatbestands. Im Hinblick auf die Einführungsverpflichtung nach Art. 23 BL beschränkte man sich im Crimes Amendment Bill jedoch auf eine Umgestaltung der bestehenden Strafvorschrift. Beabsichtigt war eine Anpassung an die Johannesburger Prinzipien. Vor allem sollte die „aufwieglerische Absicht“ durch Streichung einiger in Art. 9 des Crimes Ordinance aufgelisteter Zielvorstellungen verengt werden. Das Änderungsgesetz trat indes niemals in 120 So geschehen in The Crown v. Fei Yi-ming and Lee Tsung-ying, HKLJ 36 (1952), 133 (156). Dazu sogleich, Kapitel E. II. 1. c). 121 No. 15, erlassen am 01.07.1951. 122 Siehe oben, Kapitel D. III. 1. 123 Vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. f und g des gegenwärtigen Crimes Ordinance. 124 Dazu oben, Kapitel B. I. 2. c).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Kraft.125 Die gegenwärtige Regelung der Aufwiegelung basiert somit weiterhin auf dem 1938 erlassenen Sedition Ordinance und der Verschärfung desgleichen aus dem Jahr 1970. Art. 9 CO legt fest, was unter einer „seditous intention“ zu verstehen ist. Art. 10 CO beschreibt sodann Handlungen, welche, bei Erfüllung des subjektiven Merkmals nach Art. 9 CO, als Aufwiegelung anzusehen sind. Im Anschluss an strafprozessuale Vorgaben in den Art. 11 und 12 CO finden sich im Crimes Ordinance polizeiliche Eingriffsermächtigungen zur Durchsuchung verdächtiger Personen und deren Räumlichkeiten (Art. 13 CO) sowie zur Einziehung „aufwieglerischer Veröffentlichungen“ (Art. 14 CO). bb) Gerichtliche Anwendung Die skizzierte Schutzrichtung der Aufwiegelung und ihre Entwicklung in Hongkong als ein Teilbereich des Presserechts verdeutlichen, dass eine gesetzliche Neufassung nach Art. 23 BL Anforderungen der Medienfreiheit in besonderem Maße einzubeziehen hat. Weitere Belege für eine entsprechende Grundrechtsrelevanz der Art. 9 ff. des Crimes Ordinance bietet die Rechtspraxis: Im Gegensatz zum sonstigen politischen Strafrecht, das von Seiten britischer Gerichte im 20. Jahrhundert allgemein nur sehr zurückhaltend Anwendung gefunden hat,126 wurde von sedition während politischer Unruhen regelmäßig Gebrauch gemacht.127 Prominenz erlangte insbesondere das Vorgehen gegen die Zeitung Ta Kung Pao128 im Jahr 1951.129 Diese hatte einen Artikel der KPCh nahen People’s Daily veröffentlicht. Darin ging es um die Festnahme chinesischstämmiger Einwohner Hongkongs, welche zuvor gegen den vermeintlich fehlerhaften Umgang der Kolonialregierung mit einem Großbrand protestiert hatten. Sowohl der Herausgeber als auch der leitende Redakteur wurden wegen Vergehen nach dem Sedition Ordinance zu Geld- und alternativ zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Ta Kung Pao musste zunächst für sechs Monate, auf Druck aus Peking schließlich jedoch nur für zwölf Tage, ihren Vertrieb einstellen.130 Kritik hat das Urteil vor

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Siehe dazu schon oben, Kapitel C. II. 3. a). Vgl. Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (283). Dies entsprach der allgemeinen Praxis in westlichen Staaten, vgl. H. Fu, in: Tsang, Judicial Independence and Rule of Law in Hong Kong, S. 73 (75). 127 Vgl. H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (227). 128 Gegründet 1902. Sie galt später als Presseorgan der KPCh und erhielt von dieser finanzielle Unterstützung. 129 Siehe oben, Kapitel E., Fn. 120. 130 Vgl. Pepper, Keeping Democracy at Bay, S. 121 f. 126

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allem deshalb auf sich gezogen, weil man hierfür die Hervorrufung von Gewalt als Ziel der Veröffentlichung für nicht erforderlich gehalten hatte.131 Zudem war auf den Nachweis einer „aufwieglerischen Absicht“ der Angeklagten verzichtet worden. Die Heranziehung objektiver Kriterien zur Feststellung einer solchen, nach deutscher Rechtsterminologie als „überschießende Innentendenz“ zu bezeichnenden Voraussetzung war nach Art. 3 Abs. 2 des Sedition Ordinance durchaus zulässig. Ein derartiges Vorgehen scheint, wie dargelegt,132 schon von sich aus problematisch, doch kam vorliegend noch hinzu, dass mit Blick auf die Umstände des Falles mögliche Schadenshandlungen keineswegs als „natürliche Konsequenz“ der Publikation betrachtet werden konnten. So waren neben dem strafbegründenden Artikel, ebenso auf der Titelseite, andere Sichtweisen dargelegt worden, darunter auch die Perspektive des in Großbritannien hierzu angefertigten Parlamentsberichts. Ermöglicht hat die Verurteilung die bereits genannte, heute in Art. 15 des Registration of Local Newspapers Ordinance zu findende Beweislastregel, der zufolge Herausgeber und Mitarbeiter einer Zeitung Beweis darüber zu erbringen haben, dass der aufwieglerische Beitrag ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung veröffentlicht wurde.133 Oftmals Verwendung fand der Sedition Ordinance darüber hinaus in Reaktion auf kommunistische Aufstände Ende der sechziger Jahre.134 Zu Strafverfahren wegen Aufwiegelung ist es seither in Hongkong nicht mehr gekommen.135 Unter Berücksichtigung der nun veränderten politischen und verfassungsrechtlichen Rahmenvorgaben136 und angesichts der Tatsache, dass die letzten Entscheidungen bereits ca. vier Jahrzehnte zurückliegen, kann aus diesen nicht zwangsläufig auf die gerichtliche Normanwendung in künftigen Verfahren geschlossen werden. Andererseits ist hervorzuheben, dass z. B. die im Ta Kung Pao-Fall angewendeten Vorschriften fortbestehen. Die auf sie gestützte Reduzierung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungslast würde die Schwelle zur Bestrafung kritischer Berichterstattung jedenfalls erheblich senken. In Gesamtschau mit dem grundlegenden Normzweck der Aufwiegelung sowie der gesetzlichen Entwicklung in Hongkong verwundert es insofern auch nicht, dass nach Einschätzung der Hong Kong Journalists Association von den sedition-Regelungen im Security Bill die größte

131 Bezugnehmend auf die Entscheidung des Privy Council, Wallace Johnson v. The King (1940), AC 231. Zur Anführung desgleichen in anderen Kolonien siehe Simpson, Human Rights and the End of Empire, S. 831. 132 Siehe das vorangehende Kapitel E. II. 1. b) aa). 133 Zum Ta Kung Pao-Verfahren siehe Jones/Vagg, Criminal Justice in Hong Kong, S. 242. 134 Siehe oben, Kapitel B., Fn. 56. 135 Vgl. H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (227). 136 Diese hebt auch Tai hervor, HKLJ 32 (2002), 579 (597).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Gefährdung der Pressefreiheit ausgegangen sei.137 Ihnen widmet sich der folgende Abschnitt. c) Reform nach Art. 23 BL Die gegenwärtigen Aufwiegelungsbestimmungen können als Relikt eines kolonialen Rechtsverständnisses angesehen werden. Ungeachtet der generellen Befürchtungen, die eine Rechtsreform nach Art. 23 BL auslöst, böte gerade sie Gelegenheit zur Überprüfung der restriktiv gefassten Art. 9 ff. des Crimes Ordinance. Unter dem Aspekt der Medienfreiheit wäre eine Neuformulierung demnach nicht schon allein dann begrüßenswert, wenn sie die bestehenden Vorschriften nicht verschärft. Notwendig ist vielmehr, dass mit der künftigen Regelung ein Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen nationaler Sicherheit und freier Meinungsäußerung erarbeitet wird, der den aktuellen Grundrechtsgarantien in der SVZ Rechnung trägt.138 Zu klären ist somit nicht nur, ob sich Hongkonger Recht im Zuge der Art. 23-Gesetzgebung auf eine „unrechtsstaatliche“, gar politisierte Strafrechtspraxis zubewegt; im Vordergrund muss dagegen die Frage stehen, inwieweit bereits existierenden Defiziten mit dem Security Bill abgeholfen wäre. aa) Begehungsarten (Art. 10 Abs. 1, 2 CO/Art. 9A Abs. 1, 9C SB) Nach Art. 10 Abs. 1 lit. a CO sind strafrechtlich alle Handlungen erfasst, die mit einer aufwieglerischen Absicht vorgenommen worden sind, unabhängig davon, ob sie vollendet oder lediglich versucht wurden oder es gar nur zu vorbereitenden Tätigkeiten gekommen ist. Neben diesem Grundtatbestand stehen außerdem gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. b – d CO aufhetzende Äußerungen sowie der Umgang mit Publikationen aufwieglerischen Inhalts unter Strafe. Zu letzterem gehören der Druck, die Veröffentlichung, der Verkauf oder das Anbieten hierzu, der Vertrieb, die Ausstellung, die Vervielfältigung sowie die Einfuhr aufwieglerischer Materialien. Noch weitergehend untersagt der Crimes Ordinance in Art. 10 Abs. 2 schon deren Besitz. (1) Grundtatbestand (Art. 10 Abs. 1 lit. a CO/Art. 9A Abs. 1 SB) Die prinzipiell allumfassende Handlungsbeschreibung in Art. 10 Abs. 1 lit. a CO, „any act with seditous intention“, war in Art. 9A Abs. 1 des Security 137 Siehe Ziff. 7 der Submission to the Legislative Council on the National Security (Legislative Provisions) Bill des Vorstands der Hong Kong Journalists Association vom 07.04.2003. 138 Hierauf wurde durch die Regierung selbst im Consultation Document hingewiesen, vgl. dessen Ziff. 4.8.

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Bill (SB139) übernommen worden. Darin war schlicht von der aufwieglerischen Grundhandlung, also der Anstiftung zu einem bestimmten Verhalten, die Rede („incites“). Unter Berücksichtigung des Bedarfs nach einer flexiblen Normanwendung erscheint eine solche Gesetzesgestaltung legitim. Bei Festlegung einzelner Ausübungsvarianten, d.h., ob z. B. die direkte Ansprache oder der Gebrauch von Massenmedien erforderlich ist, jegliches Bitten ausreicht oder es eines Unter-Druck-Setzens bedarf, könnte die Erfüllung des Tatbestands zumeist ohne größeren Aufwand umgangen werden. Zu bemerken ist darüber hinaus, dass als Korrektiv für den Umfang strafrechtlich sanktionierter Verhaltensweisen fernerhin subjektive Merkmale, die erforderliche Nähe der Täterhandlung zum Aufwiegelungsgegenstand und dieser selbst heranzuziehen sind. Begrenzungen fanden sich im Security Bill dagegen mit Bezug auf das nötige Ausführungsstadium. Auf die Erfassung des Versuchs und noch davorliegender Akte hatte man in Art. 9A Abs. 1 SB verzichtet. Dies ist aus rechtsstaatlicher Sicht insofern als Fortschritt zu werten, als es sich bei sedition um ein Delikt handelt, welches bereits im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutverletzung angesiedelt ist.140 Abstrakt betrachtet sind mit ihr momentan Handlungen unter Strafe gestellt, die einem Verhalten vorhergehen, das wiederum geeignet ist, negative Einstellungen in der Bevölkerung gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen zu befördern. Somit unterfallen der Aufwiegelung nach geltendem Recht Akte, die in der dem Delikt vorausgesetzten Verlaufskette weit vor dem in Art. 9 CO beschriebenen Erfolg zu verorten sind. Hinzu tritt, dass selbst diesem bezüglich der nationalen Sicherheit bestenfalls Gefährdungscharakter zukommt und er weder durch das Täterverhalten kausal begründet worden, noch überhaupt eingetreten sein muss. Bereits Recherchen zu einem Thema, dessen öffentliche Wiedergabe als aufwiegelnd eingestuft werden würde, könnten demnach, obgleich es noch zu keinerlei Berührung Dritter mit den zur Veröffentlichung stehenden Informationen gekommen ist, ein Strafverfahren nach sich ziehen. Die Weite der gegenwärtigen Regelung erscheint unter diesem Gesichtspunkt unangemessen; sie widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Auf die Einbeziehung der Vorbereitungs- und Versuchsphase sollte aus diesem Grund, wie im Security Bill 2003 geschehen, verzichtet werden. Gleiches geschah bereits in Macao mit Verabschiedung der dortigen Art. 23-Gesetzgebung.141 Derselben Argumentation zufolge, also im Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit der Kriminalisierung von Vorstufen der eigentlichen Aufwiegelungshandlung, war zudem Art. 9B SB posi-

139 Durch „SB“ gekennzeichnete Artikel beziehen sich unter Kapitel E. II. 1. auf den Crimes Ordinance in der Fassung, die bei Umsetzung des Security Bill Geltung erlangt hätte. 140 Ähnlich H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (245). 141 Siehe Art. 4 des dortigen Sicherheitsgesetzes.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

tiv zu bewerten. Die Anstiftung zur Aufwiegelung war nach dieser Vorschrift aus dem Strafbarkeitsbereich explizit herausgenommen. Auch hiermit wurde ein wichtiger Schritt getan, um das Staatsschutzrecht mit der Medienfreiheit in Einklang zu bringen. (2) Zusatztatbestände (Art. 10 Abs. 1 lit. c, d, Abs. 2 CO/Art. 9C SB) (a) Umgang mit aufwieglerischen Veröffentlichungen Der Crimes Ordinance enthält Straftatbestände, die über die eigentliche Aufwiegelung hinausgehen. Für das Verbot eines Umgangs mit aufwieglerischen Veröffentlichungen gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. c und d CO142 war im Security Bill mit Art. 9C eine eigene Vorschrift, „Handling seditious publication“, geschaffen worden. Art. 9C Abs. 2 lit. a, b SB gab die in Art. 10 Abs. 1 lit. c CO geschilderten Begehungsweisen wieder, während das Importverbot in Art. 9C Abs. 2 lit. c SB aufgenommen worden war. Geplant war mithin, die zahlreichen Möglichkeiten, sich bei Berührung mit aufwieglerischem Material strafbar zu machen, aufrechtzuerhalten. Man hatte diese sogar um die zusätzliche Variante der Ausfuhr aufwieglerischer Dokumente ergänzt. Als strafbegrenzender Ausgleich wurden im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Anforderungen an die notwendige Beziehung zwischen Täterhandlung und Ziel der Aufwiegelung erhöht.143 Infolge letzter Änderungen am Gesetzentwurf vom 10. Juli 2003 wäre die staatsanwaltschaftliche Verfolgung nach Art. 9C Abs. 3 SB obendrein nur innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren ab Vollendung der Tat zulässig gewesen. Diesen Zugeständnissen zum Trotz stieß Art. 9C SB insbesondere bei Autoren und Verlegern auf erhebliche Kritik.144 Nach Ansicht der International Publishers Association145 widersprach das Im- und Exportverbot in Art. 9C Abs. 2 lit. c SB Hongkongs Verpflichtungen als Partei des Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials146. Der Vertrag war 1950 im Rahmen der UNESCO verabschiedet worden und ist dem freien Austausch in Büchern und anderen Printerzeugnissen niedergelegten Gedankenguts zu dienen 142 Diesem unterfallen, wie schon ausgeführt, der Druck, die Veröffentlichung, der Verkauf oder das Anbieten hierzu, der Vertrieb, die Ausstellung, die Vervielfältigung sowie die Einfuhr aufwieglerischer Veröffentlichungen. 143 Hierzu sogleich, Kapitel E. II. 1. c) cc). 144 Wenngleich man im Security Bill gegenüber der jetzigen Fassung durchaus eine Liberalisierung des in Rede stehenden Delikts erkannt hatte, vgl. z. B. Kellogg, Columbia Journal of Asian Law 17 (2004), 307 (331). 145 Siehe die Stellungnahme der International Publishers Association gegenüber der Lokalregierung vom 14.03.2003, „Provisions pertaining to ,seditious publications‘ in the National Security Bill“, einsehbar unter http://www.article23.org.hk/english/news update/june03/re_amendments.htm (Stand: 20.08.2011). 146 Geschlossen am 17.06.1950.

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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bestimmt.147 In Art. V des Abkommens ist jedoch ausdrücklich klargestellt: „Nothing in this Agreement shall affect the right of contracting States to take measures [. . .] to prohibit or limit the importation [. . .] of articles on grounds relating directly to national security, public order or public morals.“ Da hiernach Staatsschutzgesetzgebung Beschränkungen dieses sogenannten Florence Agreement148 nicht entgegen gehalten werden können, zielte der Einwand der International Publishers Association ins Leere. In der Tat hätte ein so umfassender Straftatbestand wie Art. 9C SB aber erhebliche Konsequenzen gehabt für die Freiheit der Medien gemäß Art. 19 Abs. 2 IPbpR: Auf dem ersten Blick sind kaum Unterschiede zum Grundtatbestand des Art. 9A SB erkennbar. Da sich dieser grundsätzlich auch auf die zahlreichen in Art. 9C SB aufgelisteten Handlungsvarianten erstreckte, stellt sich gar die Frage, warum es überhaupt eines gesonderten Verbots der Bereitstellung aufwieglerischer Schriften bedurft hatte. Die Aufnahme des Art. 9C SB in die Gesetzesvorlage war umso verwunderlicher, als selbst die Ausnahmebestimmungen in Art. 9D SB auf beide Tatbestände in gleicher Weise Bezug genommen haben. Teils wurde Art. 9C SB deshalb als redundant zurückgewiesen.149 Zu beachten ist indes, dass Art. 9A SB eine Anstiftungshandlung voraussetzte, während Art. 9C SB bereits die Beabsichtigung dergleichen ausreichen ließ und sich in objektiver Hinsicht mit einer der in ihm aufzählten Verhaltensweisen begnügte. Obgleich Art. 9C SB gegenüber der augenblicklichen Rechtslage den Anwendungsrahmen durch Einführung zusätzlicher Strafbarkeitsbedingungen verengt hatte, drohte weiterhin bereits bei Tätigkeiten mit nur geringfügigem Gefährdungspotential mehrjähriger Freiheitsentzug. Allein die Bereitstellung von Büchern beispielsweise, welche aufwieglerischen Inhalts waren und deren Aussagen von ihrem Veröffentlicher, Verkäufer, Hersteller oder Händler geteilt wurden, hätte zu einer Verurteilung führen können. Da also der eigentliche Akt der Anstiftung nicht vonnöten gewesen ist, hat sich der objektive Tatbestand in Art. 9C SB gegenüber dem Grunddelikt weniger durch die Art der Tatausführung – z. B. unterfiele die Publikation aufwiegelnder Texte typischerweise ebenfalls Art. 9A SB – als vielmehr durch Vorverlagerung des Begehungszeitpunkts ausgezeichnet. Relevanz hätte Art. 9C SB ausschließlich hinsichtlich Vorbereitungshandlungen erlangt. Eine Strafbarkeit dieser allerdings ist aus vorgenannten Verhältnismäßigkeitserwägungen150 unter dem Gesichtspunkt der Medienfreiheit gemäß Art. 27 1. Hs. BL und Art. 39 BL i.V. m. Art. 19 Abs. 2 IPbpR abzulehnen. 147 Genauer zur Schließung des Vertrages und seinen Zielen McGovern, International Trade Regulation, S. 15, 41 f. 148 Benannt nach dem Ort des Vertragsschlusses. 149 Vgl. Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (286). 150 Siehe vorstehende Ausführungen in Kapitel E. II. 1. c) aa) (1).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Der nicht selten geäußerten Forderung, von einer Bestimmung nach Art des Art. 10 Abs. 1 lit. c, d CO gänzlich Abstand zu nehmen,151 ist darüber hinaus auch deshalb beizupflichten, weil ein Erfordernis zur Kriminalisierung der Bereitstellung aufwieglerischen Materials, gleich ob in Form seiner Veröffentlichung, seines Vertriebs oder seiner Produktion, dem Basic Law nicht zu entnehmen ist. Art. 23 BL gibt seinem Wortlaut nach lediglich auf, „to prohibit any act of [. . .] sedition“. „Akte der Aufwiegelung“, also staatsgefährdende Anstiftungshandlungen wären, wie dargelegt, indes bereits umfänglich durch Art. 9A Abs. 1 SB gedeckt gewesen. Auf Schutzgesetze jedoch, die verfassungsrechtlich keinen Niederschlag gefunden haben, muss bei der hier bestehenden Grundrechtsintensität verzichtet werden. Schließlich können bei Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Verfassungsgütern der Pressefreiheit und der nationalen Sicherheit nur diejenigen Positionen Berücksichtigung finden, welche im Hongkonger Grundgesetz als ein vor dem Hintergrund „Ein Land, zwei Systeme“ in sich geschlossenes Normengefüge unmittelbar verankert sind. Ein möglichst schonender Ausgleich staatlicher Sicherheitsinteressen mit der Medienfreiheit verlangt insofern die Streichung dieses durch das Basic Law nicht geforderten Zusatztatbestands.152 (b) Besitz aufwieglerischer Veröffentlichungen Art. 10 Abs. 2 CO verbietet den Besitz aufwieglerischer Dokumente. Anders als bei dem Verkauf, der Veröffentlichung, der Ausstellung etc. von aufwieglerischen Schriften leistet der bloße Besitz dergleichen kaum einen Beitrag, um andere mit diesen in Kontakt zu bringen und ihrem aufhetzenden Inhalt hierdurch Geltung zu verschaffen. Es handelt sich mithin um ein überaus rechtsgutfernes Verbot, das zugleich mit einem erheblichen Eingriff in die Freiheit der Presse verbunden ist. Dieser liegt zum einen im Arbeitsbereich politischer Autoren, die für ihre redaktionellen oder akademischen Veröffentlichungen Zugriff auf regierungskritisches, womöglich gar aufrührerisches Material benötigen, erfolgt zum anderen aber auch mittelbar, indem potentielle Konsumenten über bestimmte Druckerzeugnisse nicht verfügen dürfen – selbst, wenn sie den darin getätigten Aussagen ablehnend gegenüberstehen. Angesichts des Missverhältnisses zwischen dem Nutzen des Art. 10 Abs. 2 CO für den Schutz der nationalen Sicherheit und den Auswirkungen auf die Medienfreiheit gemäß Art. 27 1. Hs. BL sowie Art. 39 BL i.V. m. Art. 19 Abs. 2 IPbpR ist die Regelung als grundrechtswidrig zurückzuweisen. 151 Stellungnahme der International Publishers Association gegenüber der Lokalregierung vom 14.03.2003, „Provisions pertaining to ,seditious publications‘ in the National Security Bill“, einsehbar unter http://www.article23.org.hk/english/newsupdate/ june03/re_amendments.htm (Stand: 20.08.2011). 152 Ähnlich Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (599), wenn auch unter Heranziehung des „principle of minimum legislation“.

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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Obgleich man in der endgültigen Fassung des Security Bill auf das Verbot des Besitzes aufwieglerischer Veröffentlichungen verzichtet hat, ist nicht auszuschließen, dass es in einem künftigen Gesetzentwurf erneut zur Disposition gestellt wird. Schließlich hatte die Hongkonger Regierung bei ihrer ersten Umsetzungsinitiative anfänglich auf dieses bestanden. Zu seiner Rechtfertigung war auf zwei im Gesetzgebungsprozess hinzugefügte Strafbarkeitsvoraussetzungen hingewiesen worden: Begangen sei die Tat erstens nur, wenn die betreffende Person vom aufwiegelnden Charakter der Dokumente gewusst hat oder aber zumindest Anlass gehabt hat, hiervon auszugehen. Zweitens greife für Nachrichtenberichterstattung und Forschungstätigkeiten an Hochschulen eine Ausnahmebestimmung, der sogenannte „defense of reasonable excuse“. Um Kritiker des Gesetzesvorhabens zu überzeugen, hatte die Regierung darüber hinaus hervorgehoben, dass bei Verabschiedung eines Besitzverbots die bereits angeführte Vorschrift des Art. 32 Abs. 1 lit. h des Post Office Ordinance153 gestrichen werden würde.154 Dieser Vorschlag im Consultation Document konnte sich zu Recht nicht durchsetzen. Trotz einer tatbestandlichen Verengung stünde das strafrechtliche Besitzverbot als aufwiegelnd erkannter Schriften im Widerspruch zu Art. 19 Abs. 2 IPbpR. Ziff. 29 der Siracusa Prinzipien betont, dass die Pressefreiheit einschränkende Vorschriften nur insoweit durch Erwägungen der nationalen Sicherheit zu rechtfertigen sind, als ihnen eine Schutzfunktion für vitale Strukturen und Güter des Staates zukommt.155 Weil allerdings, anders als die restlichen Tatbestandsalternativen, der bloße Besitz bestimmter Printerzeugnisse die Kenntnisnahme dieser durch Dritte nicht einmal erleichtert, ist die in Rede stehende Vorschrift von Grund auf nicht zweckdienlich für die Verhinderung von Aufruhr und politischen Unruhen. Hieran ändern auch zusätzliche Anforderungen an den Tätervorsatz und spezielle Ausnahmetatbestände nichts. Ein strafrechtliches Besitzverbot aufwieglerischer Dokumente ist daher abzulehnen.156 Da es sich überdies gerade nicht um eine Straftat handelt, deren Wesen in der Verbreitung von Informationen157 liegt, ist ihre Beibehaltung durch die Nennung von „sedition“ in Art. 23 BL auch nicht aufgegeben. Dies erscheint vor dem Hintergrund „Ein Land, zwei Systeme“ insofern folgerichtig, als selbst in der VRC der Besitz von Schriften der genannten Art nicht unter Strafe steht.158 153

Siehe Kapitel E. II. 1. b) aa). Vgl. Ziff. 4.18 des Consultation Document. 155 Teil I. B. Ziff. 29 der Siracusa Prinzipien: „National security may be invoked to justify measures limiting certain rights only when they are taken to protect the existence of the nation or its territorial integrity or political independence against force or threat of force.“ 156 Ablehnend insofern auch Kellogg, Columbia Journal of Asian Law 17 (2004), 307 (330). 157 Godinho, The Regulation of Article 23 of the Macau Basic Law, S. 4. 158 Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (285). 154

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

bb) Aufwiegelungsziele (Art. 9 CO/Art. 9A Abs. 1 SB) Es ist deutlich geworden, dass die Spannbreite der in Art. 10 Abs. 1, 2 CO beschriebenen Grundhandlungen denkbar weit ist. Umso ausschlaggebender für den Umfang tatbestandlich erfasster Handlungen ist Art. 9 Abs. 1 CO. Darin enthalten ist ein Katalog von Zielen, deren Beabsichtigung jeweils ein aufwieglerisches Handeln im Sinne des Art. 10 Abs. 1 lit. a CO begründet. Hierzu gehören unter anderem die „Hervorrufung von Hass, Verachtung oder Unzufriedenheit“ mit der Regionalregierung oder der Justiz,159 die Verschärfung von Feindseligkeiten unter Hongkonger Bevölkerungsgruppen160 sowie die mit dem Sedition (Amendment) Ordinance von 1970 hinzugefügte Anstachelung zu Gewalt oder ungesetzmäßigem Verhalten161. Auch wenn einige dieser Begrifflichkeiten durch Common Law-Gerichte konkretisiert worden sind, kann im Einzelfall doch nicht vorhergesagt werden, welche Motive unter Art. 9 Abs. 1 CO zu subsumieren sind.162 So wurde etwa vom High Court of Australia „disaffection“, also „Unzufriedenheit“, als „disloyalty, enimity and hostility“ beschrieben, der Mangel an tatbestandlicher Klarheit und Rechtssicherheit damit aber nicht beseitigt.163 Interpretationsschwierigkeiten bereitet beispielshalber auch Art. 9 Abs. 1 lit. b CO, der unter anderem die Konstellation des Aufrufs zu einem Regierungswechsel beschreibt. Falls ein solcher angestrebt wird, ist eine aufwieglerische Absicht je nach Auslegung dieser Norm entweder dann anzunehmen, wenn der Aufruf selbst „otherwise than by lawful means“ vonstatten geht, oder aber, wenn die bezweckten Veränderungen „otherwise than by lawful means“ erfolgen. Beide Möglichkeiten bergen wiederum Unsicherheiten. Trifft erstere zu, dürfte die Strafbarkeit wegen Aufwiegelung in hohem Maße von den sich wandelnden politischen Rahmenbedingungen abhängen.164 Richtet sich das Vorliegen einer aufwieglerischen Intention hingegen nach der Rechtmäßigkeit des erhofften Regierungswechsels, müsste eben diese angesichts der in der SVZ fortbestehenden Demokratiedefizite in aller Regel verneint werden.165 Derlei Fragestellungen offenbaren mithin die mangelnde Bestimmtheit potentieller Aufwiegelungsziele nach Art. 9 Abs. 1 CO. Verglichen mit der bestehenden Rechtssituation war die im Security Bill getroffene Regelung insofern durchaus begrüßenswert. Die Aufzählung unterschiedlicher Folgewirkungen in Art. 9A Abs. 1 CO hatte man in ihr auf zwei Tatbestandsalternativen reduziert: zum einen die Anstiftung zu Hochverrat, Subver159 160 161 162 163 164 165

Siehe Art. 9 Abs. 1 lit. a, c CO. Siehe Art. 9 Abs. 1 lit. e CO. Siehe Art. 9 Abs. 1 lit. f, g CO. So auch Tat-Tong, Hong Kong Student Law Review 3 (1997), 188 (203). Burns v. Ransley, 79 CLR 101 ff., 1949. Vgl. allgemein Clark, in: Wesley-Smith, Hong Kong’s Basic Law, S. 31 (58). Tat-Tong, Hong Kong Student Law Review 3 (1997), 188 (205).

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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sion oder Sezession (Art. 9A Abs. 1 lit. a SB), zum anderen den Aufruf zu „gewaltsamen öffentlichen Unruhen, welche die Stabilität der Volksrepublik China ernsthaft gefährden“ (Art. 9A Abs. 1 lit. b SB). Wie nachstehend aufgezeigt werden wird, waren beide diese Bestimmungen dennoch nicht ohne Unzulänglichkeiten. (1) Bezugsstraftaten (Art. 9A Abs. 1 lit. a SB) Art. 9A Abs. 1 lit. a SB hätte den Aufruf zur Begehung anderer Staatsschutzdelikte, d.h. zu Hochverrat, Subversion und Sezession, als Aufwiegelung unter Strafe gestellt. Da alle diese Tatbestände in kleinerem oder größerem Maße die Anwendung von Gewalt oder zumindest ein gewisses organisatorisches Handeln voraussetzen, dürfte ihre Deckungsfläche mit der Tätigkeit journalistischer Berichterstattung gering ausfallen.166 Dies gilt umso mehr, als selbst die bloße Anstiftung zu diesen Delikten gemäß Art. 2D SB allenfalls als Aufwiegelung zu bestrafen gewesen wäre. Auf der anderen Seite handelt es sich bei diesen Straftaten zugleich um Tatbestandsmerkmale der Aufwiegelung, weshalb ihre Formulierung Rückwirkungen auf die Weite der Strafbarkeit gemäß Art. 9A Abs. 1 lit. a SB gehabt hätte.167 Hochverrat war in Hongkong bereits seit dem Treasonable Offences Ordinance von 1868 unter Strafe gestellt, war mit seitdem gerade einmal zwei Gerichtsverfahren praktisch jedoch kaum von Relevanz.168 Geregelt ist treason derzeit in Art. 2 CO, der im Zuge des Security Bill durch eine neue Vorschrift ersetzt worden wäre. Mit der Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe wäre Hochverrat eines der schwersten Delikte in Hongkong geblieben. Gerade im Hinblick hierauf wurde Kritik an der fehlenden Definition einzelner Tatbestandsmerkmale laut. So erschien insbesondere schwer vorstellbar, was genau mit einer der subjektiven Tatbestandsvarianten, „with intent to intimidate the Central People’s Government“ 169, also der beabsichtigten Einschüchterung der Zentralregierung, gemeint sein sollte.170 Die absehbar geringe Relevanz der Subversion für Tätigkeiten von Presse und Rundfunk in Hongkong verwundert insofern, als in Festlandchina die Festnahme von Journalisten in einem Großteil der Fälle auf eben dieses Delikt 166 Diese Einschätzung, zumindest mit Bezug auf die Tatbestände der Subversion und der Sezession, teilt Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (288). 167 So auch Kellogg, Columbia Journal of Asian Law 17 (2004), 307 (329). 168 In beiden Fällen ging es um den Vorwurf der Kollaboration mit der japanischen Besatzungsarmee, vgl. P. Choy/Cullen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 151 (151, 161 f.). 169 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a (ii) SB. 170 Siehe auch Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (288); Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (594).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

gestützt wird.171 Anders als die „Untergrabung der Staatsgewalt“ im chinesischen Strafgesetzbuch hätte die Begehung der Subversion gemäß Art. 2A SB jedoch entweder die Abschaffung des chinesischen Verfassungssystems, die Stürzung der chinesischen Regierung oder aber deren Einschüchterung unter Verwendung von Gewalt oder ernsthafter krimineller Mittel vorausgesetzt. Es ist kaum denkbar, dass durch eine Medienveröffentlichung oder vorangehende Recherchen eine dieser drei Varianten erfüllt sein könnte. Selbst die auf dem ersten Blick noch denkbare Einstufung gewisser Publikationen als „serious criminal means“ wäre gemäß Art. 2A Abs. 4 lit. b SB nicht möglich gewesen, da nach diesem die Gefährdung von Leben, von öffentlicher Gesundheit oder Sicherheit oder aber eine ernsthafte Verletzung von Personen oder eine ernsthafte Sachbeschädigung erforderlich gewesen wäre.172 Auch die vorgeschlagene Subversionsregelung sah sich dem Vorwurf mangelnder Bestimmtheit ausgesetzt, vor allem im Hinblick auf die Begriffe „intimidates“ und „force“.173 Gleiches wie für Hochverrat und Subversion, d.h. die fehlende Anwendbarkeit auf journalistische Tätigkeiten und Kritik wegen mangelnder Begriffserläuterungen, galt für die Kodifizierung der Sezession in Art. 2B SB.174 Der Schutz der Medienfreiheit würde es bei einer Neuregelung der Aufwiegelung daher gebieten, die genannten Bezugsstraftaten tatbestandlich zu konkretisieren und sie hinsichtlich Art. 9A Abs. 1 SB in ihrem Anwendungsrahmen auf Fälle zu beschränken, die in ihrer Schwere mit der nachfolgend zu erörternden Tatbestandsvariante „gewaltsame öffentliche Unruhen, die die Stabilität der VRC ernsthaft gefährden“ vergleichbar sind. (2) Die Staatsordnung gefährdende Unruhen (Art. 9A Abs. 1 lit. b SB) (a) Regelungsnotwendigkeit Art. 9A Abs. 1 lit. b SB fügte dem Grundfall der Aufwiegelung neben den soeben besprochenen Verbrechenstypen ein weiteres Motiv hinzu. Strafbar hätten sich hiernach Journalisten auch dann gemacht, wenn ihre Veröffentlichungen zu Unruhen anstifteten und dadurch die nationale Ordnung schwerwiegend gestört werden könnte. Es käme der Medienfreiheit in Hongkong ohne Frage entgegen, 171

Siehe dazu oben, Kapitel C. II. 2. b) aa) (2). Die Regelung galt angesichts des möglichen lebenslangen Freiheitsentzugs indes als unverhältnismäßig, hätte unter sie doch gegebenenfalls schon die Durchführung nicht genehmigter Demonstrationen subsumiert werden können, vgl. P. Choy/Cullen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 151 (181). 173 So z. B. die Kritik der Hong Kong Bar Association, vgl. Ziff. 4 des Papiers zum Gesetzentwurf „Hong Kong Bar Association’s Views on the National Security (Legislative Provisions) Bill 2003“, einsehbar unter http://www.hku.hk/ccpl/pub/conferences/ documents/14062003b-hkba.pdf.pdf (Stand: 20.08.2011). 174 Vgl. hierzu beispielsweise Loper, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 189 (211); Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (595). 172

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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würde auf eine solche Variante in einem künftigen Gesetzentwurf verzichtet werden. Nach semantischen Überlegungen und mit Blick auf die Rechtslage in Macao entsteht in der Tat der Eindruck, als werde das hier diskutierte Aufwiegelungsziel durch Art. 23 BL nicht zwangsläufig vorausgesetzt: So wurde in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass in der, gleichermaßer autoritativen, chinesischen Fassung des Basic Law für sedition ein Begriff verwendet worden sei, demzufolge die Täterhandlung den Charakter eines Verrats haben müsse. An einem solchen fehle es aber bei der Aufforderung zu einfachen, also nicht unbedingt politisch motivierten Gewalttaten; anzunehmen sei er lediglich für die Hervorrufung eines der drei in Art. 9A Abs. 1 lit. a SB genannten Delikte.175 Ein weiterer Anhaltspunkt für die grundgesetzliche Entbehrlichkeit der Regelung findet sich im Sicherheitsgesetz der SVZ Macao, welchem eine ihrem Wortlaut nach mit Art. 23 BL identische Norm zugrunde gelegen hat. Obwohl man bei Kodifizierung der Aufwiegelung in Art. 4 des Sicherheitsgesetzes davon abgesehen hatte, Publikationen unter Strafe zu stellen, die nicht entweder zu Hochverrat, zu Sezession oder zu Subversion aufstacheln, hat die Überarbeitung des politischen Strafrechts in Macao keine Intervention des Festlandes nach sich gezogen. Es ist weiterhin nicht zu erwarten, dass der Ständige Ausschuss des NVK bei Nutzung seines Vetorechts gemäß Art. 17 Abs. 3 BL oder seiner Auslegungskompetenz gemäß Art. 158 Abs. 1 BL176 einen anderen Maßstab anlegen würde als bei der inhaltsgleichen Staatsschutzklausel im Grundgesetz der SVZ Macao. Nach Auffassung des Normgebers und Inhabers der letztentscheidenden Interpretationsgewalt dürfte eine Verpflichtung zur Kodifizierung eines Aufwiegelungsziels im Sinne des Art. 9A Abs. 1 lit. b SB dem Basic Law somit nicht zu entnehmen sein. Neben der mangelnden Notwendigkeit eines solchen Auffangtatbestands nach dem Basic Law spräche auch das im Rahmen politischer Medienberichterstattung bestehende Interesse an Rechtssicherheit für eine Beschränkung auf die Aufwiegelungsfolgen Hochverrat, Sezession und Subversion. Wenngleich, wie dargelegt, auch diesen Delikten gegenüber der Vorwurf unzureichender Bestimmtheit laut geworden ist, übertreffen sie in diesem Punkt doch „gewöhnliche“, d.h. gesetzlich nicht näher ausgeführte Tatbestandsmerkmale. Die erläuterten Rechtsgrundverweisungen in Art. 9A Abs. 1 lit. a SB haben gegenüber der zusätzlichen Variante staatsgefährdender Unruhen den Vorteil, dass ihre Voraussetzungen in weiteren Vorschriften gesondert dargelegt sind. Als selbstständige Straftatbestände verfügen sie über ein normatives Eigenleben und lassen daher eine größere Tiefe der gesetzlichen wie richterrechtlichen Bedeutungsfestlegung erwarten. Überdies stellt sich die Frage, ob unter Staatsschutzgesichtspunkten eine ergänzende Be175

Siehe Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (599). Zu den durch das Basic Law dem Ständigen Ausschuss des NVK an die Hand gegebenen Einflussmöglichkeiten auf die Art. 23-Gesetzgebung siehe oben, Kapitel C. II. 2. a). 176

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

stimmung zu den Motiven des Hochverrats, der Sezession und der Subversion sachlich angebracht gewesen wäre: Die Subversion erstreckte sich nach Art. 2A Abs. 1 lit. c SB auf die „Anwendung von Gewalt oder hochkrimineller Mittel“, welche, derselben Formulierung wie in Art. 9A Abs. 1 lit. b SB folgend, „die Stabilität der Volksrepublik China ernsthaft gefährden würden“. Der Kreis der erfassten Täterhandlungen war damit gar weiter gefasst als durch die Beschreibung des Aufwiegelungsmotivs „gewaltsame öffentliche Unruhen“. Dieses war mithin in der Aufwiegelung zur Subversion gemäß Art. 9A Abs. 1 lit. b 2. Var. SB bereits enthalten. Die Argumentation der Regierung, mit letzterer Vorschrift eine Art allgemeine Ergänzungsregelung schaffen zu wollen, die der Stabilität Hongkongs und der VRC zugute kommen und damit das Modell „Ein Land, zwei Systeme“ zu tragen helfen werde,177 erscheint insofern nicht nachvollziehbar. Zuletzt nähren Entwicklungen in Ländern des Common Law-Rechtskreises wie die Streichung der Aufwiegelung in Großbritannien und Neuseeland178 Zweifel an der Regelungsnotwendigkeit der Aufwiegelung im Allgemeinen. Die ebenso im Consultation Document aufgestellte These, die Einführung des sedition-Tatbestands erfolge in Parallele zur Rechtspraxis anderer Common Law-Staaten,179 erscheint aus heutiger Sicht mithin fragwürdig. (b) Grundrechtliche Anforderungen Obgleich eine Bestimmung im Sinne des Art. 9A Abs. 1 lit. b SB, wie aufgezeigt, weder grundgesetzlich vorgeschrieben noch im Hinblick auf das vorgeschlagene Staatsschutzrecht praktisch erforderlich ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie bei einem zweiten Umsetzungsversuch zu Art. 23 BL erneut zur Diskussion gestellt wird. Inbesondere falls die Subversion dabei enger umrissen werden würde als bisher, könnte eine Vorschrift der genannten Art tatsächlich dem legitimen Schutzinteresse des Staates entsprechen. Ihre Aufnahme in einen reformierten Crimes Ordinance wäre allerdings nur dann zu befürworten, wenn durch die Medienfreiheit gestellte Anforderungen dabei berücksichtigt sind. (aa) Gewaltsame öffentliche Unruhen Art. 9A Abs. 1 lit. b SB ergänzte die möglichen Folgewirkungen einer Aufwiegelung um die „Beteiligung anderer an gewaltsamen öffentlichen Unruhen, welche die Stabilität der Volksrepublik China ernsthaft gefährden würden“. In anfänglichen Planungen zur Gesetzesinitiative war demgegenüber noch die Rede von „violence or public disorder which seriously endangers the stability of the 177 178 179

Siehe Ziff. 4.13 des Consultation Document. Siehe oben, Kapitel E. II. 1. a). Siehe Ziff. 4.13 des Consultation Document.

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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state or the HKSAR“.180 Dieser Formulierungsvorschlag widersprach indes britischem Common Law, das in der SVZ gemäß Art. 8 BL über den Souveränitätswechsel hinaus weitgehend Geltung behalten hatte. Beeinflusst worden war das britische Fallrecht durch die Entscheidung des amerikanischen Supreme Court in Brandenburg v. Ohio181: Ein Anführer des Ku-Klux-Klans, Clarence Brandenburg, hatte in einer im Fernsehen übertragenen Rede bekundet, dass „bei fortwährender Unterdrückung der weißen Rasse“ an der Regierung Rache zu nehmen sei.182 Er war unter anderem deshalb freigesprochen worden, weil man ihm die Absicht zur Bewirkung von Gewalttaten nicht hatte nachweisen können.183 In Übereinstimmung mit dem hierin aufgestellten Erfordernis der Bezweckung von Gewalt wurden die beiden im Consultation Document genannten Tatbestandsalternativen später zu „violent public disorder“ zusammengezogen. Hieran sollte unter Einbeziehung der Art. 27 1. Hs. und 39 BL festgehalten werden. So stellt erst das Erfordernis einer Aufrufung zu Gewalt die Aufwiegelungsnorm in ein angemessenes Verhältnis zum Recht auf freie Meinungsäußerung. (bb) Ernsthafte Gefährdung der Stabilität der Volksrepublik China Positiv zu beurteilen war daneben die Streichung der „HKSAR“, also der Sonderverwaltungszone Hongkong, als taugliches Zielobjekt der Aufwiegelung. So begrenzt Ziff. 30 der Siracusa Prinzipien die Einschränkbarkeit der Medienfreiheit gemäß Art. 19 Abs. 3 IPbpR auf Fallkonstellationen, in denen eine überregionale und auch sonst in keiner Weise von vornherein begrenzte Sicherheitsgefahr entstanden ist.184 Gefährdungen der öffentlichen Ordnung in der SVZ, die nicht schon die „Stabilität der Volksrepublik“ betreffen, dürften von einem nationalen Blickwinkel aus betrachtet dagegen bloß lokaler Natur sein. Bei ihrer Auslassung im sedition-Tatbestand entstände außerdem keine Strafbarkeitslücke: Zwar wird das durch das Basic Law niedergelegte Staatssystem in einem künftigen Gesetzentwurf voraussichtlich auch nicht Gegenstand des Hochverrats, der Sezession oder der Subversion sein, doch finden sich bereits ausreichende Regelungen im Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dem Public Order Ordinance185. Auch wenn dieser seinerseits Kritik unter dem Aspekt der 180

Siehe Ziff. 4.13 des Consultation Document. 395 U.S. 444 ff., 1969. 182 Siehe hierzu Eastland (Hrsg.), Freedom of Expression in the Supreme Court, S. 192. 183 395 U.S. 444 (447), 1969. 184 Vgl. auch Jayawickrama, The Judicial Application of Human Rights Law, S. 193 f. 185 Siehe oben, Kapitel C., Fn. 337. Dieser widmet sich ebenfalls dem Schutz der nationalen Sicherheit, hier definiert als „Bewahrung der territorialen Integrität und der Unabhängigkeit der Volksrepublik China“. Vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 2 des Public Order Ordinance. 181

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Pressefreiheit auf sich gezogen hat186 und er, anders als die Aufwiegelung, staatsgefährdende Entwicklungen nicht schon in der Phase ihrer Hervorrufung erfasst, sollte es bei den in ihm enthaltenen Verbotsbestimmungen187 belassen werden. Die Ausklammerung Hongkongs als ein tatbestandliches Gefährdungsobjekt in einem nachArt. 23 BL reformierten Crimes Ordinance entspräche insofern auch der internationalen und unter Rechtsstaatsgesichtspunkten begrüßenswerten Tendenz, originär staatsschutzbezogene Problematiken so weit wie möglich in Vorschriften zum Schutz der Allgemeinheit und in anderen außerhalb des politischen Strafrechts liegenden Regelungen zu behandeln.188 Obgleich mit dem Gewalterfordernis und der Begrenzung auf Gefährdungen, die China als Ganzes betreffen, der Kreis strafrechtlich kodifizierter Folgewirkungen erheblich verkleinert worden war, traf die Tatbestandsalternative in Art. 9A Abs. 1 lit. b SB auf starke Ablehnung. Die Hong Kong Bar Association beklagte, dass die Einschätzung darüber, ob eine Handlung die Stabilität der VRC „ernsthaft gefährde“, in besonderem Maße dem Wandel der politischen Umstände unterworfen sei. Der Bürger als Adressat des Aufwiegelungsverbots könne die Strafbarkeit seines Handelns daher nicht vorhersehen.189 Zu berücksichtigen ist indes, dass der erforderliche Gefährdungsgrad tatbestandlich nur schwer zu umreißen ist. Gesetze sind notwendigerweise abstrakt formuliert. Nur mit einem gewissen Maß an Verallgemeinerung können sie der Großzahl denkbarer Sachverhaltslagen gerecht werden. Die Festlegung, ab wann eine Gefährdung die Strafbarkeitsschwelle überschreitet, hätte zu einer erheblichen Verlängerung des Gesetzestextes geführt. Die damit einhergehende Verkomplizierung der Vorschrift wäre dem Wunsch nach Rechtssicherheit jedoch nicht weniger zuwidergelaufen als die nach dem Security Bill bestandene Ausfüllungsbedürftigkeit des Begriffs „seriously endanger“. Mit der Qualifizierung „ernsthaft“ hat man weiterhin zumindest jene Handlungen ausgeschlossen, die den Staat allenfalls entfernt und nur mit geringer Wahrscheinlichkeit treffen würden. Gerechtfertigt schiene der Einwand fehlender Bestimmtheit dagegen bezüglich des Merkmals „stability of the People’s Republic of China“. Nach einer weiten Auslegung wären hiernach alle Einrichtungen und Vorgänge geschützt, durch die die Staatsordnung der VRC in irgendeiner Art und Weise verkörpert wird. Hierzu gehörten unter anderem auch Behörden auf Provinz- und Kommunalebene sowie das weitgreifende Parteisystem der KPCh.190 Die Einbeziehung ökonomischer 186 Vgl. A. Cheung/Chen, in: Wong, „One Country, Two Systems“ in Crisis, S. 61 (69, 77 ff.). 187 Siehe insbesondere die Art. 19 ff. des Public Order Ordinance. 188 Zur Entpolitisierung des Strafrechts siehe H. Fu, Kapitel III., Fn. 277. 189 Siehe Ziff. 86 der Stellungnahme der Hong Kong Bar Association vom 09.12. 2002, „Response to the Consultation Document on the Proposals to Implement Article 23 of the Basic Law“. 190 Vgl. hierzu obige Ausführungen, Kapitel B. II. 1. c).

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Rahmen- und Planungsdaten in den Staatsgeheimnisschutz der VRC191 und die Vermengung von Staatsorganisation und ideologischen Grundsätzen in der chinesischen Verfassung192 deuten darüber hinaus an, dass unter Umständen auch Destabilisierungen auf wirtschaftlicher oder programmatischer Ebene den Tatbestand des Art. 9A Abs. 1 lit. b SB hätten erfüllen sollen. Verhältnismäßigkeitserwägungen sprechen indessen dafür, das Aufwiegelungsziel auf Beinträchtigungen des Kerns des Staates, d.h. dessen zentraler Institutionen und Strukturprinzipien, zu begrenzen.193 Nur eine solche Gesetzesgestaltung erlaubt den mit der Aufwiegelung verbundenen Eingriff in das Recht auf freie Berichterstattung gemäß Art. 27 1. Hs., 39 BL. Sie ginge in diesem Fall auch konform mit Vorgaben der Johannesburger Prinzipien. Nach deren Ziff. 1.2 bedarf es für Einschränkungen der freien Meinungskundgabe eines „legitimen Interesses der nationalen Sicherheit“. Dieses beinhaltet nach Ziff. 2 lit. a allein die Verfolgung eines so fundamentalen Zwecks wie den Schutz des Staates in seiner Existenz oder territorialen Integrität. Ausgenommen ist nach Ziff. 2 lit. b der Johannesburger Prinzipien insbesondere die Aufrechterhaltung einer bestimmten Ideologie. Eine entsprechend rechtsgutbegrenzende Gesetzesformulierung böte die Aufzählung konkreter Aufwiegelungsobjekte, welche ihrerseits für den Schutz der Stabilität der VRC im oben genannten Sinn unabdingbar sind. Beispielgebend sind insofern Teilregelungen in den sedition-Kodifikationen anderer Common Law-Staaten: Art. 80.2 Abs. 1 des australischen Anti-Terrorism Act 2005 zählt als Gegenstand der aufwieglerischen Absicht unter anderem die Verfassung, die nationale Regierung sowie beide Kammern des australischen Parlaments auf. Art. 59 Abs. 4 des kanadischen Strafgesetzbuches beschränkt sich gar auf den „Einsatz von Gewalt zur Erreichung eines ungesetzlichen Regierungswechsels“.194 Es würde dem Gebot tatbestandlicher Bestimmtheit195 entsprechen und es wäre zugleich praktikabel, den 2003 vorgeschlagenen Ausdruck „Stabilität der Volksrepublik China“ mit einem Katalog derlei unter Staatsschutz zu stellender Einzelpositionen zu konkretisieren.

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Siehe Kapitel C. II. 2. b) aa) (1) (b). Vgl. Kapitel B. II. 1. b) sowie B. II. 2. a). 193 Zu denen angesichts der chinesischen Staatsorganisation auch die KPCh zu zählen wäre. 194 Eine Aussage über die generelle Übertragbarkeit der in Australien und Kanada gefundenen Regelungsmodelle ist damit freilich nicht getroffen. Im Gegenteil enthält Art. 80.2 des Anti-Terrorism Act 2005 weitere Motive, die über die im Security Bill zur Disposition gestellte Bestimmung hinausgehen. Überdies ist das Ziel eines Regierungswechsels in Art. 59 Abs. 4 des kanadischen Criminal Code nicht abschließend und beinhaltet gar die Vermutung einer aufwieglerischen Absicht zulasten des Beschuldigten. So heißt es darin: „Without limiting the generality of the meaning of the expression ,seditious intention‘, every one shall be presumed to have a seditious intention who [. . .]“. 195 Zu dessen Rechtsgrundlagen in Hongkong siehe oben, Kapitel E., Fn. 42. 192

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

cc) Verhältnis zur staatsgefährdenden Folgewirkung Da es sich bei der Aufwiegelung um ein Delikt handelt, das nach seiner Grundstruktur bereits durch Meinungsäußerung erfüllt sein kann, kommt der notwendigen inneren Beziehung zur strafbegründenden Schädigungswirkung sowie Anforderungen an den objektiven Zusammenhang zwischen Tathandlung und -ziel eine entscheidende Rolle zu. (1) Aufwieglerische Absicht Wie ausgeführt,196 genügt es in subjektiver Hinsicht derzeit schon, wenn der staatsgefährdende Erfolg nach den Umständen der in Rede stehenden Veröffentlichung als deren „natürliche Auswirkung“ zu betrachten ist. Ein solch loser Zusammenhang zwischen der tatbestandlichen Handlung und der ihr zuzumessenden Konsequenz birgt für Journalisten ein erhebliches Strafbarkeitsrisiko. Insbesondere könnte eine kritische Berichterstattung, der unter gewöhnlichen Umständen keine „aufwieglerische Absicht“ zugeordnet werden würde, als „aufwiegelnd“ erkannt werden, nachdem sich Änderungen der politischen Rahmenbedingungen ergeben haben. Sobald sich also z. B. eine neue oppositionelle Gruppe formiert hat oder das publizierte Fehlverhalten der Regierung in eine sich stetig verschärfende Auseinandersetzung gemündet ist, könnte ein zuvor unbedenklicher Beitrag die Voraussetzungen der Art. 9 und 10 Abs. 1 lit. a CO erfüllen. Von den gewandelten Beurteilungskriterien bräuchte der Autor nicht einmal Kenntnis genommen zu haben. Im Security Bill wurde der Grundtatbestand in Art. 9A Abs. 1 SB immerhin um das Adverb „intentionally“ ergänzt. Wenngleich bereits zuvor eine aufwieglerische Absicht vorausgesetzt worden war, hat man hierdurch für Rechtsklarheit sorgen können.197 Die Vornahme einer derartigen Gesetzesänderung im Rahmen der Strafrechtsreform gemäß Art. 23 BL wäre auch deshalb zu begrüßen, weil sie Hongkonger Gerichten Anlass geben könnte, ihre bisherige Rechtsprechung, d.h. den unweigerlichen Schluss vom objektiven Zurechnungszusammenhang auf das Vorliegen einer Aufwiegelungsabsicht, zu überprüfen. Bei den Handlungsvarianten des Art. 10 Abs. 1 lit. b–d CO ist der Wille, mit der Tat eines der in Art. 9 Abs. 1 CO aufgelisteten Ziele hervorzurufen, bereits dem Gesetzeswortlaut nach entbehrlich. Gemäß Art. 10 Abs. 5 CO, der auf sie Bezug nimmt, reicht es aus, wenn der Äußerung bzw. der Veröffentlichung selbst eine „seditious intention“ beizumessen ist. Ausschlaggebend ist allein der Inhalt der betreffenden Meinungskundgabe oder Berichterstattung. Der Begriff der „aufwieglerischen Absicht“ wird in diesen Konstellationen somit schon von Ge196

Siehe oben, Kapitel E. II. 1. b) aa). Vgl. Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (283 f.). 197

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setzes wegen verobjektiviert.198 Hieran hätte sich nach Art. 9C SB auch mit dem Security Bill keine Änderung ergeben.199 (2) Objektive Zurechnung (Art. 9A Abs. 1A SB) Ist der Verzicht auf die Ermittlung subjektiver Begehungsvoraussetzungen schon für sich kritikwürdig, erweisen sich überdies auch die übrigen, objektiven Anforderungen an die Beziehung des Täters zur tatbestandlichen Folgewirkung als ungenügend. Sie stehen in Widerspruch zu Kriterien, die durch Gerichte in anderen Common Law-Staaten für die strafrechtliche Einschränkbarkeit der Pressefreiheit entwickelt worden sind. Zu nennen ist zunächst das Urteil des kanadischen Supreme Court in Boucher v. R..200 Diesem zufolge könne Aufwiegelung einer Person nur dann zur Last gelegt werden, wenn sie mit „intention to incite violence or resistance or defiance for the purpose of disturbing constituted authority“ vorgegangen ist.201 Bei dem Urteil handelte es sich um eine Leitentscheidung, die gerade auch auf die Entwicklung des britischen Common Law großen Einfluss genommen hat.202 Noch weiter ging der Oberste Gerichtshof der USA in dem bereits angeführten Verfahren Brandenburg v. Ohio. Neben der Beabsichtigung von Gewalt wurden hierin zusätzliche Erfordernisse aufgestellt, die das Verhältnis des Begehungsaktes zum tatbestandlichen Aufwiegelungsziel betreffen. Dazu gehören das unmittelbare Bevorstehen eines gesetzeswidrigen Verhaltens und die Wahrscheinlichkeit, dass die Äußerungen ein solches hervorrufen würden.203 Ziff. 6 der Johannesburger Prinzipien spiegelt diese Rechtsprechung wider. Ihm zufolge wird von der Regierung über folgende drei Punkte Nachweis erwartet: die Absicht, zu unmittelbarer Gewalt anzustacheln, eine direkte Verbindung zwischen Meinungsäußerung und Aufwiegelungserfolg sowie die Wahrscheinlichkeit der Hervorrufung solcher Gewalt. Derart dezidierte Vorgaben gehen über die in Hongkong maßgebende „natürliche Betrachtungsweise“ weit hinaus.

198 Erkennbar wird dies daneben in Art. 10 Abs. 1 lit. d CO, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Einfuhr aufwieglerischen Materials nur dann nicht erfasst ist, wenn der Importeur keinen Anlass zur Annahme der aufwieglerischen Natur der Veröffentlichung gehabt hat. War der aufwieglerische Inhalt der Publikation also objektiv indiziert, dem Täter aber dennoch unbekannt geblieben, gilt der Straftatbestand nach geltender Rechtslage als erfüllt. 199 Siehe hierzu bereits oben, Kapitel E. II. 1. c) aa) (2). 200 2 DLR 369 ff., 1951. 201 Zum Fall selbst vgl. Torrance, Public Violence in Canada, S. 215. 202 Die Law Commission for England and Wales bezeichnete sie in ihrem Arbeitspapier, „Codification of the Criminal Law: Treason, Sedition and Allied Offenses“, Nr. 72 (1976), als „the most careful analysis which has been given to the law of sedition“. Vgl. auch Spilsbury, Media Law, S. 420. 203 395 U.S. 444 (447), 1969.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Mit dem Security Bill hat man sich, wenn auch erst durch Modifikationen am Ende des Gesetzgebungsverfahrens, den nach den Johannesburger Prinzipien und im Common Law bestehenden Strafbarkeitsbedingungen angenähert. Insbesondere war Art. 9A Abs. 1A SB in die Gesetzesvorlage aufgenommen worden. Der Tatbestand wäre danach nicht erfüllt gewesen, „unless [. . .] one or more persons incited are likely to be induced [. . .] to commit the offence“.204 Die Regelung unterschied sich demzufolge von der in Ziff. 6 lit. b der Johannesburger Prinzipien empfohlenen Wahrscheinlichkeitskontrolle, nach der die Begehung der Tat „likely to incite [. . .] violence“ zu sein hat. Aufgrund des Zusatzes „to be induced to“ blieb nach Art. 9A Abs. 1A SB unklar, ob das Täterhandeln bei einem hypothetischen Kausalverlauf aller Voraussicht nach bloß zu einer Anstachelung der mit der Veröffentlichung in Kontakt gekommenen Person geführt haben müsste oder ob eine derartige Verbindung zum staatsgefährdenden Ereignis selbst benötigt worden wäre. Angesichts der umständlichen und wenig präzisen Formulierung der Norm konnte kaum vorhergesagt werden, wann die Strafbarkeitsschwelle gemäß Art. 9A Abs. 1A SB überwunden sein würde. In einer reformierten Regelung sollte die Einfügung „to be induced to“ deshalb gestrichen werden. Gänzlich außer Acht gelassen hatte man im Security Bill die Forderung nach einer Unmittelbarkeit der aus dem Täterhandeln folgenden Staatsgefährdung. Sie war, wie dargestellt, von Gerichten sowie von Teilen der Literatur205 erhoben worden und ist niedergelegt in Ziff. 6 lit. c der Johannesburger Prinzipien. Eine entsprechende Strafbarkeitseinschränkung ist allerdings zurückzuweisen: Zum einen sind durchaus Sachverhaltslagen denkbar, in denen die Begehung eines der genannten Staatsschutzdelikte zwar in der Aufwiegelungshandlung angelegt ist, sie aber zeitlich verzögert erfolgt. Auszugehen wäre hiervon insbesondere, wenn die Umsetzung der Tat einen größeren organisatorischen Aufwand benötigt, was vornehmlich bei Hochverrat oder Sezession nicht selten der Fall sein dürfte. Zum anderen wäre mit der vorgeschlagenen Unmittelbarkeitsprüfung ein Schutz der Medienfreiheit nicht garantiert. So obläge es auch bei einer solchen Gesetzesfassung letztlich den Gerichten, die erforderliche Nähe zwischen Aufwiegelungshandlung und -erfolg festzulegen. Unter dem Aspekt praktischer Konkordanz und im Hinblick auf das Ziel einer möglichst großen Wirkungsentfaltung der konfligierenden Verfassungspositionen ist ein Unmittelbarkeitskriterium deshalb abzulehnen. Freilich bliebe es Richtern auch bei Verzicht hierauf unbenommen, die in Brandenburg v. Ohio und Folgeentscheidungen elaborierten Strafbarkeitsbedin204 Klargestellt wurde mit dieser Bestimmung zudem, dass es durch die Aufwiegelungshandlung nicht wirklich zu einer Aufwiegelung anderer Personen gekommen sein muss. Ausreichend wäre es gewesen, wenn eine Durchschnittsperson bei Wahrnehmung der aufwiegelnden Veröffentlichung zur Vornahme der in Art. 9A Abs. 1 SB bezeichneten staatsgefährdenden Handlungen angestachelt worden wäre. 205 Statt vieler siehe Maher, in: Sydney Law Review 14 (1992), 287 (310).

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gungen zur Geltung zu bringen. Unter dem Aspekt einer flexiblen Rechtsanwendung206 erscheint es gar vorzugswürdig, wenn jeweils nach Maßgabe des konkreten Sachverhalts darüber befunden wird, ob eine hinreichend enge Verknüpfung zwischen Tathandlung und Aufwiegelungserfolg besteht.207 Entkräftet wird der Ruf nach Kodifizierung eines Unmittelbarkeitszusammenhangs schlussendlich mit Hinweis darauf, dass dieser bei Anstiftungsdelikten generell keine Voraussetzung ist.208 Art. 4 des Sicherheitsgesetzes der SVZ Macao, das in Ausführung einer Parallelvorschrift zu Art. 23 BL ergangen war, erweckt zwar zunächst den Eindruck einer gegenteiligen, d.h. die Unmittelbarkeit verlangenden Bestimmung. So ist dort von „directly inciting“ die Rede. Hierdurch ausgeschlossen sind nach kommentierenden Bemerkungen des Gesetzgebers allenfalls jedoch zweifelhafte Kausalzusammenhänge, vor allem wenn sich die Tätigkeit in bloßen Ratschlägen und Anregungen erschöpft hat.209 Betont wird in den gesetzgeberischen Motiven hierüber hinaus, dass ein dolus directus 2. Grades sowie Eventualvorsatz den subjektiven Voraussetzungen der Aufwiegelung nicht genügen.210 Eine „direkte Verbindung“ zur Folgewirkung im Sinne der Ziff. 6 lit. c der Johannesburger Prinzipien211 wird mithin auch in Macao nicht gefordert. d) Fazit Es ist nicht verwunderlich, dass die Entwicklung des Tatbestands der Aufwiegelung in Hongkong eng mit der der Regelung des Pressewesens verknüpft war. Zwar ist das Delikt in den vergangenen Jahrzehnten nur selten zum Einsatz gekommen; in den wenigen Fällen seiner Anwendung, z. B. im Ta Kung Pao-Verfahren, ist sein Konfliktpotential hinsichtlich einer freien Medienberichterstattung indes stets deutlich zu Tage getreten. Wenngleich vor allem die Kodifizierung von „sedition“ im Security Bill massive Kritik auf sich gezogen hat, hätte sie gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage doch erhebliche Milderungen mit sich gebracht: Hervorzuheben ist zunächst die Aufgabe einer vorgezogenen Strafbarkeit durch Verzicht auf die Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen, durch 206

Allgemein hierzu oben, Kapitel E. I. 1. b). Ähnlich H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (242). A.A. Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (598). 208 Siehe H. Fu, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 217 (242). A.A. Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (598). 209 Siehe die Erläuterungen zum Gesetzentwurf für das Sicherheitsgesetz der SVZ Macao, S. 35. 210 Siehe Godinho, The Regulation of Article 23 of the Macau Basic Law, S. 10. 211 So geht diese gar noch über die Forderung der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte nach einer „obvious and direct threat“ hinaus. Siehe Coliver, in: Coliver/Hoffman/Fitzpatrick/Bowen, Secrecy and Liberty, S. 11 (39), m.w. N. 207

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Ausschluss der „Anstiftung zur Aufwiegelung“ in Art. 9B SB sowie durch die Streichung des „Besitzes aufwieglerischen Materials“. In konsequenter Fortsetzung eben dieser Änderungen hätte jedoch auch der „Umgang mit aufwieglerischen Veröffentlichungen“, der faktisch lediglich eine gegenüber dem Grundtatbestand in Art. 9A Abs. 1 SB vorverlagerte Strafbarkeit bewirkt hätte, aus dem Hongkonger Crimes Ordinance herausgenommen werden sollen. Nachbesserungen im Sinne der Medienfreiheit haben sich darüber hinaus mit Bezug auf mögliche Ziele der Aufwiegelung ergeben: Der Gebrauch von Tatbestandsverweisungen in Art. 9A Abs. 1 lit. a SB versprach ein erhöhtes Maß an gesetzlicher Bestimmtheit. Für eine zusätzliche Tatbestandsalternative der „ernsthaften Gefährdung der Stabilität der VRC durch gewaltsame öffentliche Unruhen“ besteht nach Art. 23 BL, wie auch in praktischer Hinsicht, kein Bedürfnis, weshalb sie unter Bezug auf die Art. 27 1. Hs., 39 BL abzulehnen ist. Weiterhin verengt hätte sich der Anwendungsbereich des hier diskutierten Delikts infolge der Nennung des Adverbs „absichtsvoll“ im Grundtatbestand sowie durch die Einführung eines Wahrscheinlichkeitszusammenhangs in Art. 9A Abs. 1A SB. Der Forderung nach einer Unmittelbarkeitskontrolle im Sinne von Ziff. 6 lit. c der Johannesburger Prinzipien wurde zu Recht nicht nachgekommen. Nicht hinnehmbaren Strafbarkeitslücken hätten hier allenfalls geringe Erleichterungen für den politischen Journalismus in der SVZ gegenübergestanden. In allen drei wesentlichen in diesem Abschnitt untersuchten Punkten, der Begehungsweise der Aufwiegelung, der mit ihr verfolgten Ziele sowie dem Verhältnis zwischen Tathandlung und deren hypothetischer Folgewirkung, wäre der sedition-Tatbestand bei Umsetzung des 2003 eingebrachten Entwurfs erheblich gestutzt worden. Mögen die teils heftigen Vorwürfe gegenüber der Gesetzesinitiative der Regionalregierung insofern zunächst überzogen wirken, sind sie unter folgenden drei Gesichtspunkten dennoch erklärbar: Erstens, unter Berücksichtigung des Ursprungs des vorhandenen Rechtsbestands in einem im 19. Jahrhundert errichteten Kolonialregime und der seitdem fortwährend gestärkten Bürgerrechte in Hongkong; zweitens, mit Blick auf die nur sehr zurückhaltende Anwendung des Delikts durch Behörden und Gerichte während der Kolonialzeit sowie, drittens, unter Einbeziehung der drastischen Anhebung des Strafmaßes von ehemals bis zu drei Jahren Haft auf lebenslangen Freiheitsentzug.212 Vor allem der zuletzt genannte Aspekt verdeutlicht, dass von punktuellen Verengungen des Tatbestands nicht ohne Weiteres auf eine generelle Liberalisierung der Aufwiegelung geschlossen werden kann. Insofern bestätigt sich die einführend aufgestellte These, dass ein künftiges Art. 23-Gesetz nicht allein einem Vergleich mit den zu 212 Dieser Umstand hat in der Literatur überraschend wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ein Hinweis auf ihn findet sich bei Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (287).

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ersetzenden Vorschriften zu unterziehen sein wird; gleichsam wird es auch als ein in sich geschlossenes Regelungsgefüge zu begreifen sein und als solches nach den aktuell geltenden Grundrechtsstandards bewertet werden müssen. 2. Landesverrat (theft of state secrets) Dass staatlicher Geheimschutz und investigativer Journalismus in Konflikt geraten können, dürfte in Deutschland spätestens seit der Spiegel-Affäre213 1962214 einer breiten Öffentlichkeit bekannt sein. Dieselbe Problematik hat in jüngerer Vergangenheit das Verfahren gegen den ehemaligen Cicero-Redakteur Bruno Schirra verdeutlicht.215 In beiden Fällen waren Medien zunächst mit dem Vorwurf konfrontiert, von staatlicher Seite als geheim eingestufte Informationen publiziert zu haben, und in beiden Fällen wurden staatsanwaltlichen Ermittlungsbemühungen durch die Pressefreiheit Grenzen gesetzt.216 Der erforderliche Abwägungsprozess zwischen Staats- und Grundrechtsschutz beschränkt sich indes nicht auf die Beurteilung von Vorgehensweisen der Strafverfolgungsbehörden. Relevanz gewinnt er bereits bei Ausarbeitung der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. So wirken sich Regelungen zum Landesverrat auf die Pressefreiheit in erster Linie nicht durch ihre Umsetzung, also insbeson213 Aufgrund des Artikels „Bedingt abwehrbereit“, erschienen im Spiegel vom 10.10. 1962, S. 32 ff., in dem Details eines NATO-Manövers preisgegeben und eine mangelnde Verteidigungsbereitschaft des westlichen Militärbündnisses dokumentiert worden waren, kam es wegen Verdacht auf Landesverrat zur Verhaftung mehrerer Spiegel-Redakteure sowie zu einer mehrere Wochen anhaltenden Durchsuchung der Redaktionsräume. Eine ausführliche Darstellung der Vorgänge findet sich bei Schoenbaum, Ein Abgrund von Landesverrat, sowie bei Grosser, Die Spiegel-Affäre; für eine erste Übersicht siehe J. Seifert, in: Hafner/Jacoby, Die Skandale der Republik, S. 70 (70 ff.). Bereits in der Weimarer Republik hatte ein ähnlich gelagerter Fall, der sogenannte Weltbühne-Prozess, große mediale Aufmerksamkeit erlangt. Ein guter Überblick zum Verfahrensablauf und zu den weiteren Konsequenzen des Urteils findet sich bei I. Müller/ Jungfer, NJW 54 (2001), 3461 (3461 ff.). 214 Mit dem Begriff der „Spiegel-Affäre“ werden indes Ereignisse zusammengefasst, die bis zum diesbezüglichen Verfassungsgerichtsverfahren im Jahr 1966 reichen. 215 In dem Beitrag Schirras „Der gefährlichste Mann der Welt“, erschienen im Cicero, April-Ausgabe 2005, S. 24, wurde der militante Islamist Abu Musab al-Zarqawi porträtiert, und zwar unter Verwendung vertraulicher Akten des Bundeskriminalamtes. Dem Autor des Artikels wurde daraufhin Beihilfe zum Geheimnisverrat gemäß § 353b StGB vorgeworfen und es wurden Räumlichkeiten des Magazins durchsucht. Zum Geschehensablauf im Einzelnen siehe Schmidt-De Caluwe, NVwZ 26 (2007), 640 (641); Brüning, NStZ 2006, 253 (253 ff.). 216 Bezüglich der Spiegel-Affäre vgl. den Beschluss des BGH vom 13.05.1965, 6 StE 4/64, NJW 18 (1965), 1187–1192, sowie das Teilurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.08.1966, 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64, BVerfGE 20, 162 (162 ff.), NJW 19 (1966), 1603–1616. Für den Fall „Cicero“ siehe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.02.2007, 1 BvR 538/06, BVerfGE 117, 244 (244 ff.), NJW 60 (2007), 1117–1121.

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dere durch Inhaftierung einzelner Journalisten, sondern vornehmlich dadurch aus, dass sie bereits im Vorfeld einer möglichen Publikation einen nicht zu unterschätzenden Abschreckungseffekt entfalten.217 Sie kriminalisieren die Veröffentlichung bestimmter Inhalte und schaffen somit journalistische Tabubereiche.218 Auch der „Diebstahl von Staatsgeheimnissen“, welcher nach Art. 23 BL gesetzlich zu untersagen ist, muss daher den Erfordernissen einer – dem Grundsatz nach freien – politischen Berichterstattung Rechnung tragen. In welchem Maße und auf welche Weise dies zu geschehen hat, ist Thema des vorliegenden Abschnitts. a) Entwicklung des gegenwärtigen Rechtsbestands Die Kronkolonie Hongkong unterlag die meiste Zeit über britischen Geheimnisschutzbestimmungen. Bereits in den Jahren 1873 und 1875 traten Erlässe des Londoner Finanzministeriums in Kraft, welche eine „vorzeitige Veröffentlichung offizieller Informationen“ bzw. „zu enge Verbindungen zwischen Regierungsbeamten und der Presse“ zu unterbinden versuchten.219 Zu einer gesetzlichen Regelung kam es 1889 mit dem Official Secrets Act, der später jedoch als unzureichend empfunden wurde und den man 1911 durch ein neues Regelwerk ersetzte.220 Während sich Art. 1 dieses zweiten Official Secrets Act noch auf die Erlangung und Weitergabe unter Verschluss gehaltener Informationen bezog, ging Art. 2 hierüber weit hinaus. Er stellte jegliche Mitteilung, unabhängig von ihrem Inhalt,221 unter Strafe, wenn sie gegenüber einer Person erfolgte, die zur Empfangnahme der Meldung nicht befugt war.222 Eine gesetzliche Liberalisierung dieser Vorschrift erfolgte erst 1989 mit deren Ersetzung durch eine weitere Version des Official Secrets Act 223, welche in der Kronkolonie allerdings erst 1992 Geltung erlangte.224 An die Stelle dieser Regelungen trat in Hongkong 1997 wiederum der bis heute geltende Official Secrets Ordinance225 (OSO).

217 Diesen Hinweis gibt auch J. Chan, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 251 (252). 218 Sei es auch nur in Form der Beihilfe zu deren Verwirklichung. Vgl. z. B. den eben genannten Cicero-Fall, Kapitel E., Fn. 215. 219 Ausführliche Informationen zur Entwicklung des britischen Geheimnisschutzrechts finden sich bei R. Thomas, Espionage and Secrecy. 220 Vgl. Vincent, The Culture of Secrecy, S. 119. 221 „[. . .] any note, document, or other information“. 222 Vgl. Marin, Inside Justice, S. 32. 223 Wenngleich dabei der sogenannte „public interest defense“ in Art. 2 beseitigt worden war, vgl. hierzu Griffin, Journal of Law and Society 16 (1989), 273 (275 ff.). 224 Infolge des Official Secrets Act (Hong Kong) Order 1992, verabschiedet am 04.06.1992, in Kraft getreten am 30.06.1992. 225 Siehe oben, Kapitel C., Fn. 221. Der volle Titel lautet: „An Ordinance to control the unauthorized obtaining or disclosure of official information“.

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Er bezweckte eine Anpassung der ihrem Ursprung nach britischen Rechtsvorschriften an die lokalen Verhältnisse,226 orientierte sich inhaltlich zugleich aber an den 1989 vorgenommenen Rechtsänderungen. Dies gilt insbesondere für die Unterteilung der Delikte nach verschiedenen Personengruppen: Je geringer deren Loyalitätspflichten gegenüber dem Staat ausfallen und je näher sie sicherheitsund sonstwie geheimnisrelevanten Bereichen stehen, desto höher sind die gesetzlichen Anforderungen an ihre Strafbarkeit wegen Offenlegung vertraulicher Dokumente. Insofern finden sich abgestuft folgende Täterkreise: Angestellte der Sicherheitsbehörden, insbesondere Geheimdienstmitarbeiter (Art. 13 OSO), Beschäftigte im öffentlichen Dienst und dessen Auftragnehmer (Art. 14–17 OSO) sowie alle sonstigen Personen (Art. 18–20 OSO). Anders jedoch als das britische Recht in Gestalt des Official Secrets Act von 1989 bezieht sich der OSO neben den soeben angesprochenen Straftaten, die die bloße Weiterleitung von Informationen erfordern (Kapitel III), auch auf Spionage-Delikte (Kapitel II),227 also Tatbestände, die in der ein oder anderen Weise ein Auskundschaften voraussetzen.228 b) Reform nach Art. 23 BL Nahezu alle im Security Bill vorgesehenen Änderungen bezogen sich auf Straftatbestände, die eine „ungesetzliche Weitergabe“ von Informationen voraussetzen. Dennoch wurde an den Vorschriften in Kapitel III, insbesondere der Unterscheidung nach den genannten Tätermerkmalen,229 im Wesentlichen festgehalten. Auf die zunächst vorgesehene Einfügung eines Art. 12A OSO, dem zufolge die Auslegung und Umsetzung der Bestimmungen des Kapitel III in Übereinstimmung mit Art. 39 BL zu erfolgen gehabt hätten, wurde indes verzichtet. Dahinter stand der Gedanke, dass diese den aufgrund der nach Art. 11 Abs. 2 BL bestehenden Normenhierarchie rechtlich unzutreffenden Eindruck aufkommen gelassen hätte, die Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte beschränke sich auf nachfolgende Regelungen und beziehe sich somit nicht auf die Spionagedelikte. In der Schlussfassung des Security Bill fand sich eine ähnliche Formulierung daher stattdessen in Art. 1A, in welchem konsequenterweise dann jedoch auf den gesamten Grundrechtsteil des Basic Law, also die Art. 24 bis 42 BL, verwiesen wurde.

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Siehe dazu Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (600). Agententätigkeiten für fremde Mächte unterfallen in Großbritannien dagegen nach wie vor dem Official Secrets Act 1911. 228 Dazu gehören konspirative Tätigkeiten wie die Ausspähung von Sperrgebieten (Art. 3 Abs. 1 lit. a OSO), die Anfertigung von Plänen oder Modellen zum Nutzen des Feindes (Art. 3 Abs. 1 lit. b OSO) sowie der Erhalt oder die Weitergabe von Passwörtern und Kodierungen (Art. 3 Abs. 1 lit. c OSO). 229 Siehe Kapitel E. II. 2. a). 227

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An den Straftatbeständen wegen „ungesetzlicher Offenlegung“ von Informationen wäre es bei Verabschiedung des 2003 eingebrachten Gesetzentwurfs darüber hinaus insoweit zu Veränderungen gekommen, als der Umfang der geschützten Informationen und damit der journalistischer Berichterstattung und Kommentierung entzogenen Materien ausgeweitet worden wäre. Eine andere Neuerung lag in der geplanten Einführung eines sogenannten „public interest defense“.230 Auf beide diese Modifikationen am Official Secrets Ordinance wird nachfolgend eingegangen. Zuvor ist jedoch die Frage zu klären, ob diese überhaupt im Rahmen einer durch Art. 23 BL veranlassten Gesetzgebung vorgenommen werden durften. aa) Erfassung der Art. 12–26 OSO durch Art. 23 BL Neben Kritik an Änderungen des OSO im Einzelnen ist die Überarbeitung der Art. 12 ff. OSO im Rahmen einer Gesetzesinitiative zur Umsetzung des Art. 23 BL allgemein auf Bedenken gestoßen. In der Tat lässt sich die bloße Offenlegung von Informationen nur schwerlich unter die in der Staatsschutzklausel des Basic Law vorgesehene Untersagung des „theft of state secrets“ subsumieren.231 Zugegebenermaßen ist, wie von der Hongkonger Regierung hervorgehoben,232 der „Diebstahl“ von Informationen unbestreitbar anderer Natur als der materieller Objekte. So kann insbesondere eine Wegnahme im Sinne einer Verbringung des Informationsträgers an einen anderen Ort bzw. eines Wechsels des Gewahrsamsinhabers hier gerade keine Voraussetzung sein. Diese Unterschiede rechtfertigen nicht jedoch, bereits die Veröffentlichung beruflich erlangter Daten als „theft of state secrets“ zu bezeichnen. Dies gilt umso mehr, als es in den in Kapitel III des Official Secrets Ordinance beschriebenen Fällen typischerweise schon an einer mit dem Ziel des Geheimnisverrats erfolgten Informationsbeschaffung fehlen dürfte. Zweifelhaft erscheint überdies die Einordnung der durch die Art. 12 ff. OSO geschützten Informationen als „state secrets“ gemäß Art. 23 BL.233 Rechtlich allerdings sind derlei Divergenzen zwischen den Vorgaben des Art. 23 BL und den vorgenommenen Änderungen am OSO insoweit ohne Belang, als, wie oben dargelegt,234 eine diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz der SVZ bereits nach Art. 17 Abs. 1 BL besteht; ein amendment law zur Umsetzung des Art. 23 BL muss daher nicht zwangsläufig auf diesen gestützt werden.235 Einzig das Ar230

Zu beiden diesen Punkten sogleich, Kapitel E. II. 2. b) bb) und cc). Siehe Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (600 f.). 232 Siehe Ziff. 6.20 des Consultation Document. 233 So ebenfalls Tai, HKLJ 32 (2002), 579 (602). Anders die Ansicht der Lokalregierung in Ziff. 6.17 des Consultation Document. 234 Vgl. oben, Kapitel C. II. 1. b) aa). 235 Entsprechend wurde der Zweck des Gesetzentwurfs offiziell wie folgt beschrieben: „A bill to amend the Crimes Ordinance, the Official Secrets Ordinance and the Societies Ordinance pursuant to the obligation imposed by Article 23 of the Basic Law 231

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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gument einer quasi „verfassungsrechtlichen Notwendigkeit“ von Geheimnisschutzvorschriften des in Kapitel III des OSO genannten Typs entfällt damit. bb) Umfang der geschützten Informationen (1) Geheimschutzerweiterung gemäß Art. 16A SB (a) Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der VRC Der OSO sieht derzeit vier Kategorien von Informationen vor, deren Offenlegung durch einen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes oder dessen Vertragspartner mit Geldstrafe oder mit bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug236 geahndet werden kann. Diese sind: sicherheitsrelevante Daten und Geheimdienstinformationen (Art. 14 OSO), Nachrichten betreffend die nationale Verteidigung (Art. 15 OSO), Angaben zu internationalen Beziehungen (Art. 16 OSO) sowie Informationen bezüglich der Begehung und Verfolgung von Straftaten (Art. 17 OSO). Durch den Security Bill wären in Art. 16A SB237 Informationen hinzugetreten, die sich auf Angelegenheiten der SVZ beziehen und welche sich nach dem Basic Law im Verantwortungsbereich festlandchinesischer Behörden befinden. Dazu gehören insbesondere die Bereiche auswärtige Beziehungen (Art. 13 BL) und Verteidigung (Art. 14 BL) sowie Teile des Gesetzgebungsprozesses (Art. 17, 18 BL) und die Ernennung des Verwaltungschefs (Art. 45 BL). Entscheidungs- und Mitwirkungsbefugnisse der Zentralregierung finden sich aber auch mit Bezug auf speziellere Themenfelder, wie etwa Verhandlungen zu Luftfahrtsübereinkommen (Art. 131–134 BL) und die Ausstellung von chinesischen Reisepässen (Art. 154 BL). Die Pressefreiheit wäre durch eine solche Änderung aus zwei Gründen betroffen: Zum einen steht zu erwarten, dass die Auskunftsfreudigkeit von Staatsbediensteten bei Ausweitung derer Geheimhaltungspflichten reduziert und journalistische Recherche dadurch erschwert werden würde, und zum anderen wäre es infolge des Art. 16A SB indirekt zu einer Ausweitung der Strafbarkeit von Journalisten gemäß Art. 18 OSO gekommen. Dieser richtet sich an beliebige Personen und stellt unter bestimmten Bedingungen Veröffentlichungen von durch die Art. 13 bis 17 OSO geschützten Materialien unter Strafe.238 Hätte also z. B. ein Zeitungsredakteur Informationen im Sinne des Art. 16A SB von einem Beamten of the Hong Kong Special Administrative Region of the People’s Republic of China and to provide for related, incidental and consequential amendments.“ 236 Vgl. Art. 25 OSO. 237 Durch „SB“ gekennzeichnete Artikel beziehen sich unter Kapitel E. II. 2. auf den Official Secrets Ordinance in der Fassung, die bei Umsetzung des Security Bill Geltung erlangt hätte. 238 Vgl. Art. 18 Abs. 2 OSO.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

erhalten und diese sodann publiziert, hätte sich grundsätzlich auch er strafbar machen können. Indes kann eine Unterstrafestellung der Publikation als geheim deklarierter Informationen nicht per se als Verstoß gegen die Grundrechtsgarantien in Art. 27 1. Hs. und 39 BL gewertet werden. So kann es in Abwägung mit der Pressefreiheit durchaus gerechtfertigt sein, bestimmte Materialien vom öffentlichen Diskurs fernzuhalten. Ob dies bezüglich der in Art. 16A SB beschriebenen Informationen gilt, ist allerdings zweifelhaft. Dem von der Regierung vorgelegten Consulation Document ist zunächst der Hinweis zu entnehmen, dass mit dem Wechsel der Souveränität das Verhältnis zwischen Hongkong und Festlandchina nicht weiter unter den Begriff der „internationalen Beziehungen“ zu fassen ist.239 Dies erscheint einleuchtend. Zugleich wirft die vorgeschlagene Regelung aber in unterschiedlicher Hinsicht Fragen auf. Zunächst sind mögliche Auswirkungen auf die Umsetzung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ zu betrachten: So besteht, wie dargestellt, ein weites Spektrum an Hongkong betreffenden Angelegenheiten, die nach dem Basic Law im Zuständigkeitsbereich der nationalen Behörden liegen. Sollten Informationen hierzu der Hongkonger Bevölkerung nicht zugänglich gemacht werden dürfen, wären weite Teile des Verhältnisses zwischen Hongkong und dem Festland einer Kontrolle durch investigativen Journalismus und einer die breite Öffentlichkeit erreichenden Berichterstattung240 entzogen. Mithin würde eine Regelung, wie sie in Art. 16A SB vorgesehen war, die politische Handlungsfreiheit der Zentralregierung im Umgang mit der SVZ Hongkong241 abermals erhöhen. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass eine Vorschrift vom Typ des Art. 16A SB „Ein Land, zwei Systeme“ zwar in der praktischen Ausübung beeinflussen könnte, sie aber nicht gänzlich aushebeln würde. Da ein Verstoß gegen das in Art. 2 BL zusammengefasste Strukturprinzip insoweit nicht vorläge, wäre eine Regelung im Sinne des Art. 16A SB, zumindest unter diesem Gesichtspunkt, rechtlich nicht zu beanstanden. Problematisch erscheint die im Security Bill getroffene Regelung jedoch im Hinblick auf die Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes.242 So mangelt es der Formulierung „information related to Hong Kong affairs within the responsibility of the Central Authorities“ an inhaltlicher Klarheit. Der Begriff der „Central Authorities“ ist nirgendwo näher definiert. Der eigentlichen Wortbedeutung nach 239 Vgl. Ziff. 6.18 des Consulation Document. „International Relations“ waren dementsprechend nach Art. 12 Abs. 1 SB unter anderem definiert als: „[. . .] relations between the Hong Kong Special Administrative Region and any place outside the People’s Republic of China“. 240 Vgl. hierzu Kapitel D. I. 2. b). 241 Vgl. Kapitel C. I. 4. 242 Siehe hierzu oben, Kapitel E., Fn. 42.

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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umfasst er alle nationalen Behörden. Diesen sind im Basic Law in mehr als 15 verschiedenen Artikeln Kompetenzen eingeräumt. Der sich hieraus ergebende, soeben bereits angedeutete Themenfächer ist denkbar weit243 und für den Normadressaten kaum einsehbar. Um den Sinngehalt der Vorschrift gänzlich zu erfassen, wäre überdies gar die genaue Kenntnis eines anderen Gesetzeswerks, in diesem Fall des Basic Law, vonnöten.244 Hinzu kommt, dass die durch Art. 16A SB hinzugefügte Gruppe von Informationen nicht in jeder Hinsicht als unmittelbar sicherheitsrelevant anzusehen ist. Für einen Ausgleich mit der Medienfreiheit müssten Politikfelder ohne direkte Bedeutung für die nationale Sicherheit, wie z. B. die Wahl des Hongkonger Verwaltungschefs,245 aus dem Anwendungsbereich des Official Secrets Ordinance herausgenommen werden. Sowohl die notwendige Bestimmtheit der Norm als auch grundrechtliche Erwägungen sprechen hiermit gegen die in Art. 16A SB vorgeschlagene Ausweitung der geschützten Informationen. Notwendig erscheint insofern sowohl eine ausdrückliche Nennung der erfassten Sachgebiete im OSO selbst als auch eine Verengung auf Bereiche, die für die Sicherheit der SVZ und der VRC von entscheidender Bedeutung sind. (b) Schädlichkeit der Information Die dargelegte Breite der in Art. 16A SB geschützten Informationen und deren teils fragwürdige Bedeutung für die nationale Sicherheit wären allerdings dadurch abgemildert worden, dass sich ihre Offenlegung zusätzlich als „damaging“ zu erweisen gehabt hätte. Eine solche Schädlichkeit der Publikation war nach Art. 16A Abs. 2 SB in zwei Konstellationen anzunehmen: „the disclosure endangers national security“ 246 oder „the information, document or article in question is of such a nature that its unauthorized disclosure would be likely to endanger national security“ 247. Der Begriff der „nationalen Sicherheit“ beinhaltete dabei nach Art. 12 Abs. 1 SB den Schutz der territorialen Integrität und der Unabhängigkeit der Volksrepublik China und stimmte insofern mit Vorgaben der Ziff. 2 lit. a der Johannesburger Prinzipien überein.248 Allgemein erscheint 243 Vgl. hierzu die Auflistung bei J. Chan, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 251 (258 f.). 244 Noch weiter gefasst und nicht einmal anhand des Basic Law eingrenzbar wäre dagegen die zunächst zur Rede gestandene Formulierung „information relating to relations between the Central Authorities of the PRC and the HKSAR“ gewesen. 245 Hinsichtlich der zusätzlich ein erhebliches Informationsbedürfnis der Bevölkerung besteht. 246 Art. 16A Abs. 2 lit. a SB. 247 Art. 16A Abs. 2 lit. b SB. 248 Hiernach besteht ein „legitimes Interesse der nationalen Sicherheit“ nur dann, wenn der Schutz des Staates in seiner Existenz oder territorialen Integrität bezweckt wird.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Art. 16A SB mit dem Erfordernis einer Gefährdung der nationalen Sicherheit relativ eng gefasst. So genügt z. B. im deutschen Strafrecht für eine „Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“ gemäß § 353b StGB bereits die Gefährdung „wichtiger öffentlicher Interessen“. Für diese ist neben dem Verrat von Staatsgeheimnissen schon die Weitergabe von Informationen ausreichend, die sich auf laufende Ermittlungsverfahren oder die Durchführung staatlicher Prüfungen beziehen.249 Während die erste Variante des Gefährdungserfolgs insofern keinesfalls als zu restriktiv angesehen werden konnte, ist die zweite Variante zu Recht auf Kritik gestoßen. Zunächst genügte es bei dieser bereits, dass der Eintritt einer Gefährdung der nationalen Sicherheit wahrscheinlich ist. Zu dem Begriff „endanger“, der die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts voraussetzt, trat hier mit „likely“ ein zweites hypothetisches Element. Das Erfordernis einer Gefährdung der nationalen Sicherheit wurde hierdurch bei genauer Betrachtung aufgegeben. Damit hätte Hongkonger Recht in Widerspruch zur bisher als maßgeblich250 angesehenen Rechtsprechung des britischen House of Lords251 gestanden: Zu nennen ist hier die Entscheidung Lord Advocate v. Scotman Publications Ltd..252 Darin ging es um die Memoiren eines ehemaligen Geheimdienstmitgliedes. Die Anklageseite hatte zwar eingeräumt, dass die in dem Buch enthaltenen Informationen nicht selbst als sicherheitsrelevant zu erachten seien; die in Rede stehende Veröffentlichung sei aber schon aufgrund der beruflichen Herkunft ihres Autors zu verbieten, da sie anderen Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden als Vorbild dienen und diese zu Verstößen gegen den Official Secrets Act 1989 verleiten könne. Das britische Oberhaus lehnte eine solche Rechtsauffassung indes ab. Es entschied zum einen, dass es jeweils auf die Publikation des Angeklagten selbst ankomme, und forderte zum anderen, dass mit dieser die große Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts einhergehen müsse.253 Der Security Bill hätte sich mit der Formulierung „likely to endanger“ von diesem, zugegebenermaßen recht strengen, Maßstab weit entfernt.

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Vgl. MüKo StGB-Graf, § 353b, Rn. 37 f. Wenn diese auch nicht mit Bezug auf das britische Pendant, den Official Secrets Act 1989, ergangen war, wurden Wertungen dieses damals gerade verabschiedeten, aber noch nicht in Kraft getretenen Gesetzeswerks in die Entscheidung einbezogen. Vgl. Hare, in: Dashwood/Ward, Cambridge Yearbook of European Legal Studies 1999, Bd. 2, S. 329 (331). 251 Dem englischen Oberhaus war in der Vergangenheit neben seinen legislativen Kernaufgaben die Befugnis zur Berufungsrechtsprechung in Zivil- und Strafsachen eingeräumt. 252 3 WLR 358 ff., 1989. 253 Siehe die Stellungnahme von Lord Templeman, abgedruckt in: Fenwick/Phillipson, Text, Cases & Materials on Public Law & Human Rights, S. 585. Sowie Fenwick, Civil Liberties and Human Rights, S. 342. 250

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Die Anforderungen an eine Schädlichkeit der Offenlegung von Informationen wurden durch die zweite Tatbestandsvariante in Art. 16A Abs. 2 SB weiterhin dadurch gesenkt, dass es ihr zufolge bereits ausreichte, wenn die jeweilige Veröffentlichung allein „ihrer Natur nach“ („of such a nature“) zu einer Gefährdung der nationalen Sicherheit führt. „Nature“ steht in der englischen Rechtssprache für „a kind, sort, or class“.254 Das Vorliegen eines schädigenden Charakters wäre hiernach also jeweils abstrakt zu beurteilen gewesen. Da sich die Regelung damit vom konkreten Fall gelöst hätte, hätte sie auch zahlreiche Konstellationen erfasst, in denen die in Rede stehende Publikation überhaupt keine Berührungspunkte zum Staatsschutz aufweist. Denkbar wäre es beispielshalber, dass selbst eine Reportage über das Kantinenessen der Sicherheitsbehörden oder der Armee als Informationen über geheimdienstliche bzw. militärische Einrichtungen eingeordnet und folgerichtig als „ihrer Natur nach“ die nationale Sicherheit gefährdend angesehen worden wäre. Strafrechtliche Sanktionen würden in derartigen Fällen keinem „pressing public or social need“ folgen und ständen insofern in Widerspruch zu Ziff. 10 lit. d der Siracusa Prinzipien. Die Begriffsfestlegung von „damaging“ in Art. 16A Abs. 2 lit. b SB erscheint mithin zu weit. Erleichterungen, denen zufolge bereits die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung ausreiche und sich zusätzlich die Publikation lediglich „ihrer Natur nach“ als sicherheitsrelevant zu erweisen habe, sind unverhältnismäßig und stehen im Gegensatz zum nach Art. 8 BL grundsätzlich fortgeltenden Common Law.255 Gerade soweit es hier doch um den Schutz von Informationen aus der Sphäre des Staates geht, ist es diesem auch zuzumuten, einen Gefährdungszusammenhang im Sinne des Art. 16A Abs. 2 lit. a SB nachzuweisen.256 Der Schutz der Medienfreiheit macht es erforderlich, dass sich ein künftiger Security Bill auf dessen Formulierung beschränkt. (2) Illegal erlangte Informationen (Art. 18 Abs. 2 lit. d SB) Art. 18 OSO, der durch beliebige Personen verwirklicht werden kann, stellt Veröffentlichungen von Materialien unter Strafe, die dem Täter zuvor durch Beamte bzw. zur Geheimhaltung verpflichtete Personen ohne Berechtigung ausgehändigt worden waren. Personen ohne ein besonderes Näheverhältnis zum Staat oder eine spezielle Geheimhaltungspflicht sind nach dem Official Secrets Ordinance somit nur bei Sachverhalten strafbar, in denen die betreffende Information 254 So der Hinweis von J. Chan, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 251 (261), mit Verweis auf den entsprechenden Eintrag im Oxford English Dictionary. 255 Auch wenn dieses unter normenhierarchischen Gesichtspunkten nach Art. 8 BL ohne Weiteres durch Statute Law abgeändert werden kann. 256 Zur Doppelrolle des Staates als Strafverfolger und Geschädigter siehe bereits oben, Kapitel E. I. 1. b).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

zunächst durch einen Beamten unmittelbar oder mittelbar freigegeben worden ist. Der Security Bill hätte mit diesem Grundsatz gebrochen: Durch Art. 18 Abs. 2 lit. d SB wäre allgemein die Besorgung von Informationen auf ungesetzliche Weise unter Strafe gestellt gewesen, ohne dass es also der Mitwirkung eines öffentlich Bediensteten bedurft hätte. Der Kreis nach Art. 18 OSO unter Strafe gestellter Veröffentlichungen wäre damit erheblich ausgeweitet worden. Es fragt sich, ob die in Hongkong garantierte Medienfreiheit hierdurch verletzt worden wäre.257 Anfänglich war in der Gesetzesinitiative von einem nicht näher definierten „unauthorized access“ die Rede. Diese Formulierung wurde später durch den schon an sich konkreteren Begriff des „illegal access“ ersetzt, welcher zusätzlich durch Nennung hierfür zu begehender Delikte in Art. 18 Abs. 5A SB legaldefiniert wurde. Aufgezählt waren darin das Eindringen in Telekommunikations- und Computernetzwerke (Art. 27A des Telecommunications Ordinance258 bzw. Art. 161 des Crimes Ordinance) sowie Diebstahl, Raub und Einbruch (Art. 9–10 des Theft Ordinance259). Unter Bestimmtheitsgesichtspunkten ist gegen den strafbewehrten Schutz von illegal erlangten Informationen in Art. 18 Abs. 2 lit. d SB insofern nichts einzuwenden. Eine Vorschrift nach Art des Art. 18 Abs. 2 lit. d SB erscheint durchaus auch zum Schutz von Staatsgeheimnissen, und damit idealerweise der nationalen Sicherheit, geeignet. Das Verhalten eines Journalisten, der von einem Beamten unter Verletzung der Art. 13 bis 17 OSO Informationen erhält, ist in der Tat nicht anders zu bewerten als das desjenigen, der sich die Informationen durch eigene oder fremde Begehung einer der soeben aufgezählten Straftaten besorgt. Ein Regelungsbedürfnis besteht dabei insbesondere für die Verhinderung von HackerAngriffen auf Computer des öffentlichen Dienstes und des nachfolgenden Weiterverkaufs hierbei erlangter Daten. Diese war auch wesentliches Motiv des Reformvorschlags gewesen.260 Einzig die Regelung in Art. 18 Abs. 5A lit. b SB, die die Verwirklichung eines Bestechungsdelikts gemäß Art. 4 des Prevention of Bribery Ordinance261 voraussetzt, dürfte kaum erforderlich sein, wäre in diesen Fällen regelmäßig doch jeweils schon ein Delikt gemäß Art. 13 bis 17 OSO erfüllt und damit eine Strafbarkeit des Publizierenden nach Art. 18 Abs. 2 lit. a OSO gegeben. 257 Die Reaktionen der Hongkonger Medienlandschaft auf die hier diskutierte Ausweitung des Art. 18 OSO waren gespalten. Stieß der Vorschlag bei einigen auf Akzeptanz, vgl. A. Chen, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 93 (110), hätte er aus Sicht anderer die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Journalisten in Hongkong grundlegend geändert, vgl. Weisenhaus, in: Fu/Petersen/ Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (292). 258 Cap. 106, in Kraft seit dem 01.01.1963. 259 Cap. 210, in Kraft seit dem 01.09.1970. 260 Vgl. Ziff. 6.22 des Consultation Document. 261 Cap. 201, in Kraft seit dem 14.05.1971.

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Weitergehend stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen in subjektiver Hinsicht an eine Veröffentlichung illegal erlangter Daten zu stellen sind. Nach Art. 18 Abs. 1 SB hätte es genügt, wenn der Täter begründeten Anlass zur Annahme eines illegalen Informationserwerbes gehabt hat. In der journalistischen Praxis läge eine solche Vermutung in der Regel schon aufgrund des Inhalts der jeweiligen Dokumente nahe. Ein anderer Anhaltspunkt, der vor Gericht auf einen „reasonable cause to believe“ des Täters könnte schließen lassen, wäre die Anonymität des Informanten. Die Brisanz einer Information und die namentliche Unbekanntheit desjenigen, der sie preisgibt, zwei typische Elemente des investigativen Journalismus, würden den Publizierenden folglich dazu verpflichten, die Quelle jeweils einer umfangreichen Prüfung zu unterziehen. Diese umfasste den Umfang ihrer Geheimhaltungspflichten als auch die Art und Weise des vorangegangenen Informationsbeschaffungsvorgangs. Beide diese Entlastungsmöglichkeiten dürften für den einzelnen Journalisten in der Praxis allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. So ist die Bereitschaft zur Auskunft regelmäßig doch gerade an die Diskretion des Informationsempfängers gebunden. Um das Fehlen subjektiver Voraussetzungen vor Gericht darzulegen, wäre der angeklagte Journalist zudem zur Offenlegung seiner Quelle angehalten.262 Die vergleichsweise niedrige Schwelle für einen Vorsatz im Sinne des Art. 18 Abs. 1 SB hätte insofern zu nicht zu unterschätzenden Eingriffen geführt in die Arbeit politisch ausgerichteter Medienorgane. Hinzu kommt, dass durch Verkündung z. B. des Diebstahls der betroffenen Dokumente durch den Staat selbst die Annahme eines illegalen Erwerbs hätte hervorgerufen und folglich das Vorliegen eines Vorsatzes nach Art. 18 Abs. 1 SB hätte herbeigeführt werden können. Obgleich eine genaue Kenntnis der vorhergehenden Tatumstände vom Autor der Publikation nicht erwartet werden kann, sollte doch tatsächliches, wenn auch nur allgemeines, Wissen um die in Rede stehenden Vorgänge Voraussetzung bleiben. Der Staatsschutz würde hierdurch nur begrenzt verringert werden, berücksichtigt man, dass die ungesetzliche Weitergabe bzw. die ungesetzliche Informationsbeschaffung selbst durch andere Straftatbestände erfasst ist. Der erhebliche Abschreckungseffekt auf die politische Berichterstattung von Presse und Rundfunk wäre dagegen auf Konstellationen beschränkt, in denen Journalisten die kriminelle Erlangung der unter Geheimschutz stehenden Informationen bewusst ist. Nur so kann die Kontrollfunktion Hongkonger Medien263 gewährleistet werden. cc) Ausnahme aufgrund öffentlichen Interesses (Art. 18 Abs. 5B SB) Ein Novum in der Hongkonger Geheimschutzgesetzgebung war die Einfügung eines „public interest defense“ in Art. 18 Abs. 5B SB. Nach diesem wäre die 262 Diese Befürchtung teilt J. Chan, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 251 (265). 263 Vgl. Kapitel D. I. 2. b).

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

Offenlegung vertraulicher Informationen straflos gewesen, soweit sie im Interesse der Öffentlichkeit erfolgt. Eine solche Rechtsänderung hatte die Lokalregierung bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens264 abgelehnt und dabei auf die hieraus vermeintlich folgende Rechtsunsicherheit hingewiesen.265 Aus ähnlichen Erwägungen war auch bei Neufassung des britischen Official Secrets Act im Jahr 1989 und der damit angestrebten gesetzlichen Liberalisierung auf eine Ausnahmeregelung der genannten Art verzichtet worden. Grundsätzlich könnte die Strafbarkeit von Presse- und Rundfunkredakteuren wegen Geheimnisverrat durch eine Rechtfertigung266 aufgrund öffentlichen Interesses erheblich begrenzt werden. Aufgrund verschiedener Einschränkungen aber ist sie in Hongkong mit Blick auf die Medienfreiheit dennoch auf Kritik gestoßen: So bestanden nach Art. 18 Abs. 5B lit. a SB zunächst Mindestanforderungen an die Begründung des öffentlichen Interesses. Der Medienbeitrag musste sich auf ein schweres Fehlverhalten eines öffentlich Bediensteten oder aber auf eine ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beziehen. Weiterhin hätte die Publikation inhaltlich nicht über das für die Befriedigung des öffentlichen Interesses nötige Maß hinausgehen dürfen. Eine solche Erforderlichkeitsvoraussetzung wurde teils als zu „eng und unbestimmt“ zurückgewiesen.267 Sie ist aber notwendig, da der Straftatbestand des Art. 18 OSO sonst hinsichtlich jeglicher vertraulicher Informationen, auch wenn sie nur entfernt mit Informationen im öffentlichen Interesse in Zusammenhang stehen, ausgehebelt wäre. Der durch das Erforderlichkeitskriterium verbleibende Beurteilungsspielraum und der hieraus resultierende Unsicherheitsfaktor bei Veröffentlichung von der Geheimhaltung unterliegenden Daten sind für einen Ausgleich mit Staatsschutzinteressen in Kauf zu nehmen. Sie dürften sich zudem in Grenzen halten, da für einen Journalisten in der Regel durchaus einzuschätzen sein wird, was notwendig ist, um Fehlentwicklungen auf Seiten des Staates und hiermit verknüpfte Gefahren offen zu legen. Vorzugswürdig erscheint diesbezüglich indes eine Regelung wie sie in Kanada 2001 mit dem Security of Information Act268 eingeführt wurde: Nach Art. 15 Abs. 2 lit. a dieses Gesetzes ist von vornherein ein subjektiver Maßstab anzulegen.269 Gefordert wird für einen „public 264 Die Aufnahme des „public interest defense“ war eine der drei Konzessionen kurz vor Rücknahme des Gesetzentwurfs. Dazu bereits oben, Kapitel C. II. 3. a). 265 Vgl. die Stellungnahme des damaligen Generalstaatsanwalts Bob Allcock, „Media have no reason to fear“, einsehbar unter http://www.basiclaw23.gov.hk/english/focus/ focus2.htm (Stand: 20.08.2011). 266 Freilich nicht im technischen, der deutschen Strafrechtssystematik entsprechenden Sinne. 267 Siehe Ziff. 4 der Stellungnahme der Article 23 Concern Group vom 08.07.2003 „Article 23 Legislation – What Needs to Be Done“. 268 Erlassen am 18.12.2001, in Kraft seit dem 24.12.2001. 269 Art. 15 Abs. 2 lit. a des Security of Information Act lautet: „[. . .] the person acts for the purpose of disclosing an offence under an Act of Parliament that he or she rea-

II. Lex ferenda unter dem Aspekt freier Berichterstattung

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interest defense“, dass mit der Publikation die Offenlegung einer Gesetzesverletzung bezweckt wurde. Die gerichtliche Feststellung einer entsprechenden Zielrichtung des Medienbeitrags erfolgt allerdings auf Grundlage objektiver Kriterien, darunter auch die tatsächliche Erforderlichkeit des Geheimnisverrats gemäß Art. 15 Abs. 4 lit. a des Security of Information Act270. Die kanadische Lösung birgt für Journalisten den Vorteil, dass auch Beiträge, die von ihnen irrtümlich als im öffentlichen Interesse stehend beurteilt wurden, vom Anwendungsbereich des strafrechtlichen Geheimschutzes ausgenommen sind. Zwar dürfte es sich bei diesen Fällen, wie beschrieben, eher um die Ausnahme handeln, doch sind sie durchaus denkbar. So kann derjenige Journalist, welcher Zugang zu geheimen Informationen erhält, oftmals nur ausschnitthaft in den zugrundeliegenden Sachverhalt Einblick nehmen.271 Es liegt daher in der Natur der Sache, dass er nicht in jedem Fall wird wissen können, welche Informationen zur Darlegung der in Art. 18 Abs. 5B lit. a SB genannten Aktivitäten ausreichend sind. Auf der anderen Seite ist darauf hinzuweisen, dass, wenn die veröffentlichten Inhalte in größerem Maße nicht der Befriedigung des öffentlichen Interesses dienen, dies immer noch in die Bewertung der subjektiven Zielrichtung einfließen kann. Als dritte Voraussetzung nannte Art. 18 Abs. 5B SB das Überwiegen des Interesses an der Veröffentlichung gegenüber dem Interesse an der Geheimhaltung der Informationen. Auch dieses Abwägungserfordernis sah sich dem Einwand fehlender Rechtssicherheit ausgesetzt.272 Bedenkt man allerdings, dass die Veröffentlichung nicht unbedingt einen Gesetzesbruch, sondern lediglich ein „ernsthaftes Fehlverhalten“ 273 zum Inhalt hätte haben müssen, die veröffentlichten Informationen unter Umständen aber von weittragender Bedeutung für die nationale Sicherheit sein können, erscheint auch eine solche Voraussetzung, die ebenfalls in Art. 15 Abs. 2 lit. b des kanadischen Security of Information Act zu finden ist, unverzichtbar. Nur durch sie ist gewährleistet, dass die widerstreitenden Interessen freier Berichterstattung auf der einen und nationaler Sicherheit auf der anderen Seite in einer Einzelfallabwägung gerichtlich zum Ausgleich gebracht werden können.

sonably believes has been, is being or is about to be committed by another person in the purported performance of that person’s duties and functions for, or on behalf of, the Government of Canada; and [. . .]“. 270 In Art. 15 Abs. 4 lit. a des Security of Information Act heißt es: „[. . .] whether the extent of the disclosure is no more than is reasonably necessary to disclose the alleged offence or prevent the commission or continuation of the alleged offence [. . .]“. 271 Ähnlich J. Chan, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 251 (274 f.). 272 Siehe Weisenhaus, in: Fu/Petersen/Young, National Security and Fundamental Freedoms, S. 277 (295). 273 „Serious misconduct“ gemäß Art. 18 Abs. 5B lit. a (i) SB.

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E. Zur Umsetzung des Art. 23 BL: Konfliktlagen und Lösungsansätze

c) Fazit Die grundsätzliche Gefahr, dass Geheimschutz als Feigenblatt für die Unterdrückung politisch nicht opportuner Inhalte genutzt wird, ist beträchtlich. Gemeinsam mit dem Tatbestand der Aufwiegelung dürften die Regelungen des Official Secrets Ordinance bei einem künftigen Gesetzesvorhaben zur Umsetzung des Art. 23 BL daher besondere Aufmerksamkeit erfahren. Vorstehende Ausführungen haben gezeigt, dass sich Reformbemühungen im Rahmen der Hongkonger Staatsschutzklausel auf die Pressefreiheit durchaus auch positiv auswirken können. Insgesamt ergibt sich ein differenziertes Bild: Zunächst wäre das Spektrum der unter strafbewehrten Schutz gestellten Informationen bei Verabschiedung des Security Bill erheblich ausgeweitet worden. Sowohl für die Hinzufügung einer neuen Kategorie von geschützten Informationen gemäß Art. 16A SB als auch für die Kodifizierung einer weiteren Erlangungsweise, d.h. für die Beschaffung durch illegale Handlungen, konnten in der Tat Regelungslücken geltend gemacht werden. Der Schutz von Informationen betreffend Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich Festlandchinas wäre eine Konsequenz der Wiedereingliederung Hongkongs in die VRC gewesen. Bei fortgeltender Trennung beider Systeme erscheint es folgerichtig, auch die ehemals unter den Begriff der „internationalen Beziehungen“ subsumierten Informationen strafrechtlich zu schützen. Unter dem Aspekt der Pressefreiheit müsste sich eine künftige Regelung aber auf eine kleine Anzahl explizit genannter und jeweils tatsächlich staatsschutzrelevanter Bereiche beschränken. Eine Schädlichkeit der Publikation dürfte darüber hinaus nur in solchen Fällen angenommen werden, in denen die nationale Sicherheit tatsächlich und nicht nur abstrakt durch den Medienbeitrag gefährdet wird. Ähnliches gilt für die Unterstrafestellung der Veröffentlichung illegal erlangter Informationen gemäß Art. 18 Abs. 2 lit. d SB. Kritik hieran richtet sich nicht gegen die Vorschrift als solche, sondern gegen die sehr niedrigen subjektiven Voraussetzungen, deren Erfüllung für einen Journalisten bei Vornahme der objektiv geforderten Handlung kaum zu vermeiden gewesen wäre. Die Aufnahme eines „public interest defense“ versprach dagegen grundsätzlich erhebliche Erleichterungen für die politische Berichterstattung von Presse und Rundfunk. Die geltend gemachten Mängel an Rechtssicherheit hinsichtlich der Voraussetzungen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse sind an sich zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen, doch wäre die Streichung derartiger Verhältnismäßigkeitserwägungen unvereinbar mit dem angestrebten Ausgleich zwischen Pressefreiheit und nationaler Sicherheit.

F. Schlussbetrachtung I. Zusammenfassung (1) Eine (rechts-)politische Bewertung von Staatsschutzvorschriften in Hongkong kann stets nur vor dem Hintergrund des politischen und rechtlichen Systems der Volksrepublik China erfolgen. Obgleich dieses zahlreiche Reformen durchlaufen und sich auf eine rule of law zubewegt hat, besteht der innerchinesische Systemunterschied fort. Die Rolle der KPCh als chinesischer Souverän und die oftmals noch relative Bedeutung von Rechtsnormen in der VRC verdeutlichen, dass die Verlässlichkeit der im Basic Law versprochenen Medienfreiheit in hohem Maße von der Ausgestaltung und Umsetzung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ abhängt. (2) Das Organisationsmodell „Ein Land, zwei Systeme“ ist ein staatstheoretisches Unikum. Sein genauer Inhalt ist daher ausschließlich Vorschriften des zu seiner Implementierung geschaffenen Basic Law zu entnehmen. Dieses gewährt Hongkong weitreichende Autonomierechte, stellt diese aber, insbesondere mit der Änderungs- und Interpretationskompetenz des Ständigen Ausschusses gemäß Art. 158 Abs. 1 BL und Art. 159 Abs. 1 BL, unter weiten Vorbehalt. (3) In der Praxis wurde an einer Trennung der staatlichen Systeme in Hongkong und auf dem Festland weitgehend festgehalten. Von den zahlreichen dem Element „Ein Land“ geschuldeten Durchbrechungen der Systemtrennung hat die Pekinger Zentralregierung bislang nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Eine Ausnahme bildete die autoritative Auslegung des Ständigen Ausschusses in den Right of Abode-Fällen. Betrachtet man das damalige Vorgehen als Präzedenzfall, würde auch die bezüglich der Art. 23-Gesetzgebung erforderliche Abwägung von Staatsschutzinteressen mit der Pressefreiheit durch Hongkonger Gerichte letzten Endes nationaler Entscheidungsgewalt unterliegen. (4) Bei Art. 23 BL handelt es sich nicht um eine Kompetenznorm, sondern um einen verbindlichen Gesetzgebungsauftrag. Vorgesehen ist die Schaffung von Regelungen zur Abwehr interner Bedrohungen sowie einer direkten oder indirekten Einflussnahme durch ausländische Akteure. Das Schutzobjekt der „Central People’s Government“ umfasst dabei alle für die Volksrepublik als Ganzes wesentlichen staatlichen Einrichtungen sowie aber auch Organe der KPCh, soweit diese von ähnlicher Bedeutung sind. (5) Auf die Umsetzung der Hongkonger Staatsschutzklausel kann der Ständige Ausschuss sowohl durch sein Vetorecht gemäß Art. 17 Abs. 3 BL, durch die

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F. Schlussbetrachtung

Möglichkeit zur Gesetzesüberprüfung gemäß Art. 160 Abs. 1 BL als auch im Wege der Auslegungsbefugnis nach Art. 158 Abs. 1, 3 BL Einfluss nehmen. Letztere ist allerdings durch die „basic policies of the People’s Republic of China regarding Hong Kong“ gemäß der Absätze 2 und 3 der Präambel des Basic Law und Art. 159 Abs. 4 BL begrenzt. Gegen eine „rechtsändernde“ Interpretation und inhaltliche Vorgaben des Ständigen Ausschusses spricht zudem der Wortlaut des Art. 23 BL „on its own“ sowie der Charakter und die grundsätzliche Funktion des Art. 23 BL als Gesetzgebungsauftrag. (6) Aufgrund der fortbestehenden Demokratiedefizite und des Fehlens einer rechtlich zugesicherten Informationsfreiheit als auch mit Blick auf die Ausmaße der Medienlandschaft ist die Medienfreiheit in Hongkong von besonderer Tragweite. Entsprechende Grundrechtsgarantien finden sich auf völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Ebene. Maßgebend sind seit Bildung der Sonderverwaltungszone die Kodifizierungen in Art. 27 1. Hs. BL sowie der den IPbpR inkorporierende Art. 39 Abs. 1 BL. (7) Gesetzliche Einschränkungen der Medienfreiheit außerhalb des Staatsschutzrechts finden sich allen voran im Registration of Local Newspapers Ordinance und im Control of Obscene and Indecent Articles Ordinance. Zahlreiche noch aus der Kolonialzeit stammende restriktive Vorschriften finden durch Verwaltung und Gerichte jedoch kaum Anwendung. Die Verabschiedung des Bill of Rights 1991 hat die Anzahl sich auf die Pressefreiheit stützender Klagen erhöht und damit zur Bildung von nach Art. 8 BL fortgeltenden Fallrecht beigetragen. Gerichtsentscheidungen aus den vergangenen Jahren lassen jedoch auf ein vergleichsweise enges Verständnis der Pressefreiheit schließen. Allgemein mangelt es an einer hinreichenden richterrechtlichen Konkretisierung dieses Grundrechts. Diese ist vor allem deshalb notwendig, da Gerichte der SVZ aufgrund der nur beschränkten politischen Mitbestimmung für den Schutz von Grundrechten in Hongkong besondere Verantwortung tragen. (8) Das Modell der „asiatischen Werte“ sieht eine im Vergleich zu westlichen Grundrechtsvorstellungen verengte Medienfreiheit vor, und zwar zugunsten, vornehmlich durch den Staat definierter, Belange des Gemeinwohls. Dieses Modell hat auf Regierungsebene zahlreicher ostasiatischer Staaten Unterstützer gefunden und ist in internationalen Erklärungen, insbesondere der Bangkok Declaration, zum Ausdruck gekommen. Eine Auswirkung auf die Medienfreiheit durch Einflussnahme auf die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht besteht indes nicht. Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen „asiatischer Werte“ in der Hongkonger Bevölkerung sowie die mangelnde Schlüssigkeit des Konzepts sprechen fernerhin gegen eine Berücksichtigung desgleichen bei grundrechtsrelevanten Gesetzesinitiativen in der SVZ Hongkong. (9) Neben Auswirkungen auf die Freiheit der Presse erscheint der Gesetzgebungsauftrag in Art. 23 BL grundsätzlich schon deshalb problematisch, weil

II. Resümee und Ausblick

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politisches Strafrecht normative Grundlagen des Staates zu schützen bezweckt, sich diese hier jedoch von der „Staatsordnung“ des Normgebers grundlegend unterscheiden. Dem im Staatsschutzrecht angelegten Verzicht auf einen politischen Relativismus steht im Rahmen von „Ein Land, zwei Systeme“ die Parallelität dem Grunde nach disparater Staatssysteme gegenüber. Brisanz liegt insofern vor allem in der Bezugnahme auf Elemente des nationalen Staatsgefüges ohne vorherige Transformation und Konkretisierung durch Hongkonger Gesetzesrecht. (10) Anders als die ebenfalls in Art. 23 BL vorgesehenen Straftatbestände des Hochverrats, der Subversion und der Sezession kann die Aufwiegelung im Sinne der Art. 9 ff. CO regelmäßig bereits durch publizistisches Handeln begangen werden. Mit der Entkriminalisierung bloßer Vorbereitungs- oder Anstiftungshandlungen, der Aufgabe der Strafbarkeit des „Besitzes aufwieglerischen Materials“, der Begrenzung möglicher Aufwiegelungsziele sowie mit erhöhten Anforderungen an die Verbindung zwischen diesen und der Täterhandlung hätte der Security Bill erhebliche Erleichterungen für die Arbeit von Journalisten in der SVZ mit sich gebracht. Dem gegenüber stand allerdings eine drastische Anhebung des Strafmaßes auf lebenslangen Freiheitsentzug. Überdies ist hervorzuheben, dass aktuelle Gesetzesinitiativen in Hongkong dem seit Verabschiedung des Bill of Rights eingeführten Grundrechtsregime Beachtung zu schenken haben. Im Hinblick auf die darin garantierte Medienfreiheit sind weitere Details des Security Bill kritisch zu bewerten, so z. B. das Festhalten an einer Strafbarkeit des „Umgangs mit aufwieglerischen Veröffentlichungen“. (11) Der Schutz von Staatsgeheimnissen klammert bestimmte Inhalte aus dem öffentlichen Diskurs aus und kann somit als Vorwand zur Unterdrückung unliebsamer Berichterstattung genutzt werden. Der Security Bill hätte den Geheimschutz in mehrfacher Hinsicht ausgeweitet. Die vorgeschlagenen Änderungen hätten tatsächlich bestehende Lücken im Staatsschutzrecht der SVZ geschlossen und sind insofern auch bei einer künftigen Art. 23-Gesetzgebung zu begrüßen. Für eine Vereinbarkeit mit der Pressefreiheit müssten die entsprechenden Neuregelungen allerdings enger gefasst werden. Die 2003 zur Disposition gestandene Reformierung des Hongkonger Official Secrets Ordinance war zudem auch insofern positiv zu bewerten, als sich Journalisten erstmals auf einen Ausschlussgrund des öffentlichen Interesses hätten berufen können.

II. Resümee und Ausblick Die große Beachtung, die Art. 23 BL in der SVZ Hongkong zuteil wird, ist verständlich. Ihre über den konkreten Rechtsbereich hinausgehende Tragweite gewinnt diese Regelung aufgrund des im nationalen Rahmen fortbestehenden Systemunterschieds, welcher sich auch auf das Staatsschutzrecht erstreckt, in diesem gar angesichts explizit ideologischer Färbungen und des darin zum Ausdruck

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F. Schlussbetrachtung

kommenden Verständnisses kommunikativer und politischer Freiheiten kulminiert. Der politische Widerstand gegen eine Implementierung entsprechender Strafvorschriften verdeutlichte die Furcht weiter Teile der Bevölkerung vor einer Übertragung festlandchinesischer Rechtswertungen. Zu einer solchen wäre es bei Verabschiedung des Security Bill im Jahr 2003 indes nicht gekommen. Trotz zahlreicher Verschärfungen und der Beibehaltung einiger unter Grundrechtsgesichtspunkten als überholt geltender Regelungen hätte der Entwurf zu einem gegenüber dem gesetzlichen Status quo liberalisierten Rechtsregime geführt. Die Hürden für eine Strafbarkeit journalistischer Tätigkeiten beispielsweise waren darin in vielerlei Hinsicht angehoben worden; restriktive Kolonialvorschriften aus dem 19. Jahrhundert hätten bei Inkrafttreten des Security Bill ihre Gültigkeit verloren. Ohnehin ständen dem Übergreifen aus dem Festland bekannter Rechtspraktiken dem Common Law entlehnte Verwaltungsprinzipien, insbesondere aber auch die traditionelle Unabhängigkeit Hongkonger Gerichte entgegen. Nichtsdestotrotz wäre bei einem künftigen Umsetzungsversuch die Behebung der dargelegten Defizite unter dem Gesichtspunkt der Medienfreiheit erforderlich. Eine solche Gesetzgebung würde nicht nur die durch Medien ausgeübte Kontrolle der noch nicht vollends demokratisch legitimierten Regionalregierung ermöglichen, sondern wäre zugleich auch ein wesentlicher Beitrag zur Festigung des noch jungen Verfassungssystems der SVZ Hongkong und deren Status in der nationalen Staatsordnung. Bis dahin bleibt Art. 23 BL ein Kristallisationspunkt des Organisationsprinzips „Ein Land, zwei Systeme“ und damit verbundener politischer Interessen und rechtlicher Unklarheiten.

Anhang: Gesetzesauszüge I. Verfassungsrecht 1. Verfassung der Volksrepublik China (VVC) Art. 31 Der Staat kann, wenn nötig, Sonderverwaltungsgebiete einrichten. Die in den Sonderverwaltungsgebieten einzurichtenden Systeme sollen vom Nationalen Volkskongreß den gegebenen Verhältnissen entsprechend gesetzlich festgelegt werden. 2. Basic Law (BL) Art. 1 The Hong Kong Special Administrative Region is an inalienable part of the People’s Republic of China. Art. 2 The National People’s Congress authorizes the Hong Kong Special Administrative Region to exercise a high degree of autonomy and enjoy executive, legislative and independent judicial power, including that of final adjudication, in accordance with the provisions of this Law. Art. 5 The socialist system and policies shall not be practised in the Hong Kong Special Administrative Region, and the previous capitalist system and way of life shall remain unchanged for 50 years. Art. 8 The laws previously in force in Hong Kong, that is, the common law, rules of equity, ordinances, subordinate legislation and customary law shall be maintained, except for any that contravene this Law, and subject to any amendment by the legislature of the Hong Kong Special Administrative Region. Art. 11 In accordance with Article 31 of the Constitution of the People’s Republic of China, the systems and policies practised in the Hong Kong Special Administra-

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Anhang: Gesetzesauszüge

tive Region, including the social and economic systems, the system for safeguarding the fundamental rights and freedoms of its residents, the executive, legislative and judicial systems, and the relevant policies, shall be based on the provisions of this Law. No law enacted by the legislature of the Hong Kong Special Administrative Region shall contravene this Law. Art. 12 The Hong Kong Special Administrative Region shall be a local administrative region of the People’s Republic of China, which shall enjoy a high degree of autonomy and come directly under the Central People’s Government. Art. 13 The Central People’s Government shall be responsible for the foreign affairs relating to the Hong Kong Special Administrative Region. The Ministry of Foreign Affairs of the People’s Republic of China shall establish an office in Hong Kong to deal with foreign affairs. The Central People’s Government authorizes the Hong Kong Special Administrative Region to conduct relevant external affairs on its own in accordance with this Law. Art. 14 The Central People’s Government shall be responsible for the defence of the Hong Kong Special Administrative Region. The Government of the Hong Kong Special Administrative Region shall be responsible for the maintenance of public order in the Region. Military forces stationed by the Central People’s Government in the Hong Kong Special Administrative Region for defence shall not interfere in the local affairs of the Region. The Government of the Hong Kong Special Administrative Region may, when necessary, ask the Central People’s Government for assistance from the garrison in the maintenance of public order and in disaster relief. In addition to abiding by national laws, members of the garrison shall abide by the laws of the Hong Kong Special Administrative Region. Expenditure for the garrison shall be borne by the Central People’s Government. Art. 15 The Central People’s Government shall appoint the Chief Executive and the principal officials of the executive authorities of the Hong Kong Special Administrative Region in accordance with the provisions of Chapter IV of this Law.

I. Verfassungsrecht

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Art. 16 The Hong Kong Special Administrative Region shall be vested with executive power. It shall, on its own, conduct the administrative affairs of the Region in accordance with the relevant provisions of this Law. Art. 17 The Hong Kong Special Administrative Region shall be vested with legislative power. Laws enacted by the legislature of the Hong Kong Special Administrative Region must be reported to the Standing Committee of the National People’s Congress for the record. The reporting for record shall not affect the entry into force of such laws. If the Standing Committee of the National People’s Congress, after consulting the Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region under it, considers that any law enacted by the legislature of the Region is not in conformity with the provisions of this Law regarding affairs within the responsibility of the Central Authorities or regarding the relationship between the Central Authorities and the Region, the Standing Committee may return the law in question but shall not amend it. Any law returned by the Standing Committee of the National People’s Congress shall immediately be invalidated. This invalidation shall not have retroactive effect, unless otherwise provided for in the laws of the Region. Art. 18 The laws in force in the Hong Kong Special Administrative Region shall be this Law, the laws previously in force in Hong Kong as provided for in Article 8 of this Law, and the laws enacted by the legislature of the Region. National laws shall not be applied in the Hong Kong Special Administrative Region except for those listed in Annex III to this Law. The laws listed therein shall be applied locally by way of promulgation or legislation by the Region. The Standing Committee of the National People’s Congress may add to or delete from the list of laws in Annex III after consulting its Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region and the government of the Region. Laws listed in Annex III to this Law shall be confined to those relating to defence and foreign affairs as well as other matters outside the limits of the autonomy of the Region as specified by this Law. In the event that the Standing Committee of the National People’s Congress decides to declare a state of war or, by reason of turmoil within the Hong Kong Special Administrative Region which endangers national unity or security and is beyond the control of the government of the Region, decides that the Region is in

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Anhang: Gesetzesauszüge

a state of emergency, the Central People’s Government may issue an order applying the relevant national laws in the Region. Art. 19 The Hong Kong Special Administrative Region shall be vested with independent judicial power, including that of final adjudication. The courts of the Hong Kong Special Administrative Region shall have jurisdiction over all cases in the Region, except that the restrictions on their jurisdiction imposed by the legal system and principles previously in force in Hong Kong shall be maintained. The courts of the Hong Kong Special Administrative Region shall have no jurisdiction over acts of state such as defence and foreign affairs. The courts of the Region shall obtain a certificate from the Chief Executive on questions of fact concerning acts of state such as defence and foreign affairs whenever such questions arise in the adjudication of cases. This certificate shall be binding on the courts. Before issuing such a certificate, the Chief Executive shall obtain a certifying document from the Central People’s Government. Art. 20 The Hong Kong Special Administrative Region may enjoy other powers granted to it by the National People’s Congress, the Standing Committee of the National People’s Congress or the Central People’s Government. Art. 23 The Hong Kong Special Administrative Region shall enact laws on its own to prohibit any act of treason, secession, sedition, subversion against the Central People’s Government, or theft of state secrets, to prohibit foreign political organizations or bodies from conducting political activities in the Region, and to prohibit political organizations or bodies of the Region from establishing ties with foreign political organizations or bodies. Art. 27 Hong Kong residents shall have freedom of speech, of the press and of publication; freedom of association, of assembly, of procession and of demonstration; and the right and freedom to form and join trade unions, and to strike. Art. 31 Hong Kong residents shall have freedom of movement within the Hong Kong Special Administrative Region and freedom of emigration to other countries and regions. They shall have freedom to travel and to enter or leave the Region. Unless restrained by law, holders of valid travel documents shall be free to leave the Region without special authorization.

I. Verfassungsrecht

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Art. 39 The provisions of the International Covenant on Civil and Political Rights, the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, and international labour conventions as applied to Hong Kong shall remain in force and shall be implemented through the laws of the Hong Kong Special Administrative Region. The rights and freedoms enjoyed by Hong Kong residents shall not be restricted unless as prescribed by law. Such restrictions shall not contravene the provisions of the preceding paragraph of this Article. Art. 45 The Chief Executive of the Hong Kong Special Administrative Region shall be selected by election or through consultations held locally and be appointed by the Central People’s Government. The method for selecting the Chief Executive shall be specified in the light of the actual situation in the Hong Kong Special Administrative Region and in accordance with the principle of gradual and orderly progress. The ultimate aim is the selection of the Chief Executive by universal suffrage upon nomination by a broadly representative nominating committee in accordance with democratic procedures. The specific method for selecting the Chief Executive is prescribed in Annex I: „Method for the Selection of the Chief Executive of the Hong Kong Special Administrative Region“. Art. 68 The Legislative Council of the Hong Kong Special Administrative Region shall be constituted by election. The method for forming the Legislative Council shall be specified in the light of the actual situation in the Hong Kong Special Administrative Region and in accordance with the principle of gradual and orderly progress. The ultimate aim is the election of all the members of the Legislative Council by universal suffrage. The specific method for forming the Legislative Council and its procedures for voting on bills and motions are prescribed in Annex II: „Method for the Formation of the Legislative Council of the Hong Kong Special Administrative Region and Its Voting Procedures“. Art. 158 The power of interpretation of this Law shall be vested in the Standing Committee of the National People’s Congress.

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Anhang: Gesetzesauszüge

The Standing Committee of the National People’s Congress shall authorize the courts of the Hong Kong Special Administrative Region to interpret on their own, in adjudicating cases, the provisions of this Law which are within the limits of the autonomy of the Region. The courts of the Hong Kong Special Administrative Region may also interpret other provisions of this Law in adjudicating cases. However, if the courts of the Region, in adjudicating cases, need to interpret the provisions of this Law concerning affairs which are the responsibility of the Central People’s Government, or concerning the relationship between the Central Authorities and the Region, and if such interpretation will affect the judgments on the cases, the courts of the Region shall, before making their final judgments which are not appealable, seek an interpretation of the relevant provisions from the Standing Committee of the National People’s Congress through the Court of Final Appeal of the Region. When the Standing Committee makes an interpretation of the provisions concerned, the courts of the Region, in applying those provisions, shall follow the interpretation of the Standing Committee. However, judgments previously rendered shall not be affected. The Standing Committee of the National People’s Congress shall consult its Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region before giving an interpretation of this Law. Art. 159 The power of amendment of this Law shall be vested in the National People’s Congress. The power to propose bills for amendments to this Law shall be vested in the Standing Committee of the National People’s Congress, the State Council and the Hong Kong Special Administrative Region. Amendment bills from the Hong Kong Special Administrative Region shall be submitted to the National People’s Congress by the delegation of the Region to the National People’s Congress after obtaining the consent of two-thirds of the deputies of the Region to the National People’s Congress, two-thirds of all the members of the Legislative Council of the Region, and the Chief Executive of the Region. Before a bill for amendment to this Law is put on the agenda of the National People’s Congress, the Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region shall study it and submit its views. No amendment to this Law shall contravene the established basic policies of the People’s Republic of China regarding Hong Kong.

II. Staatsschutzrecht

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II. Staatsschutzrecht 1. Aufwiegelung (sedition) a) Im Sinne des Crimes Ordinance (CO) Art. 9 (Seditious intention) (1) A seditious intention is an intention (a) to bring into hatred or contempt or to excite disaffection against the person of Her Majesty, or Her Heirs or Successors, or against the Government of Hong Kong, or the government of any other part of Her Majesty’s dominions or of any territory under Her Majesty’s protection as by law established; (b) to excite Her Majesty’s subjects or inhabitants of Hong Kong to attempt to procure the alteration, otherwise than by lawful means, of any other matter in Hong Kong as by law established; or (c) to bring into hatred or contempt or to excite disaffection against the administration of justice in Hong Kong; or (d) to raise discontent or disaffection amongst Her Majesty’s subjects or inhabitants of Hong Kong; or (e) to promote feelings of ill-will and enmity between different classes of the population of Hong Kong; or (f) to incite persons to violence; (g) to counsel disobedience to law or to any lawful order. (2) An act, speech or publication is not seditious by reason only that it intends (a) to show that Her Majesty has been misled or mistaken in any of Her measures; or (b) to point out errors or defects in the government or constitution of Hong Kong as by law established or in legislation or in the administration of justice with a view to the remedying of such errors or defects; or (c) to persuade Her Majesty’s subjects or inhabitants of Hong Kong to attempt to procure by lawful means the alteration of any matter in Hong Kong as by law established; or (d) to point out, with a view to their removal, any matters which are producing or have a tendency to produce feelings of ill-will and enmity between different classes of the population of Hong Kong. Art. 10 (Offences) (1) Any person who

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Anhang: Gesetzesauszüge

(a) does or attempts to do, or makes any preparation to do, or conspires with any person to do, any act with a seditious intention; or (b) utters any seditious words; or (c) prints, publishes, sells, offers for sale, distributes, displays or reproduces any seditious publication; or (d) imports any seditious publication, unless he has no reason to believe that it is seditious, shall be guilty of an offence and shall be liable for a first offence to a fine of $5000 and to imprisonment for 2 years, and for a subsequent offence to imprisonment for 3 years; and any seditious publication shall be forfeited to the Crown. (2) Any person who without lawful excuse has in his possession any seditious publication shall be guilty of an offence and shall be liable for a first offence to a fine of $2000 and to imprisonment for 1 year, and for a subsequent offence to imprisonment for 2 years; and such publication shall be forfeited to the Crown. (3) Where any person has been convicted of an offence under subsection (1) or (2) in respect of any seditious publication, the court may order the seizure and forfeiture of any copies of the seditious publication in the possession of (a) the person convicted; or (b) any other person named in the order, if the court is satisfied by evidence on oath that the copies are in the possession of the other person for the use of the person convicted. (4) Any copies seized under subsection (3) shall be disposed of as the court may direct; but no copies shall be destroyed until the expiration of the period within which an appeal may be lodged or, if an appeal is lodged, until the appeal has been finally determined or abandoned. (5) In this section „seditious publication“ means a publication having a seditious intention; „seditious words“ means words having a seditious intention. b) Im Sinne des National Security (Legislative Provisions) Bill (SB) Art. 9A (Sedition) (1) A person commits sedition if, subject to section 9D, he (a) incites others to commit an offence under section 2 (treason), 2A (subversion) or 2B (secession); or (b) incites others to engage, in Hong Kong or elsewhere, in violent public disorder that would seriously endanger the stability of the People’s Republic of China.

II. Staatsschutzrecht

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(2) A person who (a) commits sedition by doing an act referred to in subsection (1) (a) is guilty of an offence and is liable on conviction on indictment to imprisonment for life; (b) commits sedition by doing an act referred to in subsection (1) (b) is guilty of an offence and is liable on conviction on indictment to a fine and to imprisonment for 7 years. Art. 9B (Inciting sedition not an offence) Inciting others to commit an offence under section 9A (sedition) is not an offence. Art. 9C (Handling seditious publication) (1) In this section, „seditious publication“ means a publication that is likely to cause the commission of an offence under section 2 (treason), 2A (subversion) or 2B (secession). (2) Subject to section 9D, a person who (a) publishes, sells, offers for sale, distributes or displays any seditious publication; (b) prints or reproduces any seditious publication; or (c) imports or exports any seditious publication, with intent to incite others, by means of the publication, to commit an offence under section 2 (treason), 2A (subversion) or 2B (secession) is guilty of an offence and is liable on conviction on indictment to a fine of $500,000 and to imprisonment for 7 years. Art. 9D (Certain acts are not incitement) (1) For the purposes of section 9A, a person shall not, by reason only that he does a prescribed act, be regarded as inciting others to (a) commit an offence under section 2 (treason), 2A (subversion) or 2B (secession); or (b) engage in violent public disorder that would seriously endanger the stability of the People’s Republic of China. (2) For the purposes of section 9C, a person shall not, by reason only that he does any act referred to in section 9C(2)(a), (b) or (c) with intent only to do a prescribed act, be regarded as doing the firstmentioned act with intent to incite others to commit an offence under section 2 (treason), 2A (subversion) or 2B (secession). (3) In this section, „prescribed act“ means

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Anhang: Gesetzesauszüge

(a) showing that the Central People’s Government or the Government of the Hong Kong Special Administrative Region has been misled or mistaken in any of its measures; (b) pointing out errors or defects (i) in the government or constitution of; (ii) in the laws of; or (iii) in the administration of justice in, the People’s Republic of China or the Hong Kong Special Administrative Region with a view to the remedying of such errors or defects; (c) persuading members of the public in the People’s Republic of China or in the Hong Kong Special Administrative Region to attempt to procure, by lawful means, the alteration of any matter provided for in the law of the People’s Republic of China or of the Hong Kong Special Administrative Region, as the case may be; or (d) pointing out any matter which is producing or has a tendency to produce feelings of ill-will or enmity between different classes of the population of the People’s Republic of China or of the Hong Kong Special Administrative Region with a view to the removal of such matter. 2. Landesverrat (theft of state secrets) a) Im Sinne des Official Secrets Ordinance (CO) Art. 18 (Information resulting from unauthorized disclosures or information entrusted in confidence) (1) A person who comes into possession of any information, document or other article in circumstances mentioned in subsection (2) commits an offence if he discloses it without lawful authority and knowing, or having reasonable cause to believe, that (a) it is protected against disclosure by any of sections 13 to 17; (b) it has come into his possession as mentioned in subsection (2). (2) The circumstances referred to in subsection (1) are where any information, document or other article protected against disclosure by any of sections 13 to 17 has come into a person’s possession as a result of it having been (a) disclosed (whether to him or another) by a public servant or government contractor without lawful authority; (b) entrusted to him by a public servant or government contractor on terms requiring it to be held in confidence or in circumstances in which the public servant or government contractor could reasonably expect that it would be so held; or

II. Staatsschutzrecht

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(c) disclosed (whether to him or another) without lawful authority by a person to whom it was entrusted as mentioned in paragraph (b). (3) In the case of information or a document or article protected against disclosure by sections 13 to 16, a person does not commit an offence under this section unless (a) the disclosure by him is damaging; and (b) he makes it knowing, or having reasonable cause to believe, that it would be damaging. (4) The question whether a disclosure of information or of a document or other article is damaging shall be determined for the purposes of subsection (3) as it would be determined in relation to a disclosure of that information, document or article by a public servant in contravention of section 14, 15 or 16. (5) A person does not commit an offence under this section in respect of information or a document or other article that has come into his possession as a result of it having been disclosed (a) as mentioned in subsection (2)(a) by a government contractor; or (b) as mentioned in subsection (2)(c), unless that disclosure was by a British national or Hong Kong permanent resident or took place in Hong Kong. (6) For the purposes of this section, information or a document or article is protected against disclosure by any of sections 13 to 17 if (a) it relates to security or intelligence, defence or international relations or is such as is mentioned in section 16(1)(b); or (b) it is information or a document or article to which section 17 applies, and information or a document or article is protected against disclosure by sections 13 to 16 if it falls within paragraph (a). (7) No person shall be convicted for both an offence under this section and an offence under any of sections 13 to 17 in relation to the disclosure by him of any information or document or other article. b) Im Sinne des National Security (Legislative Provisions) Bill (SB) Art. 1A (Enforcement, etc. of this Ordinance to be consistent with Basic Law) The provisions of this Ordinance are to be interpreted, applied and enforced in a manner that is consistent with Chapter III of the Basic Law.

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Anhang: Gesetzesauszüge

Art. 16A (Information related to Hong Kong affairs within the responsibility of the Central Authorities) (1) A person who is or has been a public servant or government contractor commits an offence if he makes, without lawful authority, a damaging disclosure of any information, document or other article (a) that relates to any affairs concerning the Hong Kong Special Administrative Region which are, under the Basic Law, within the responsibility of the Central Authorities; and (b) that is or has been in his possession by virtue of his position as a public servant or government contractor. (2) For the purposes of subsection (1), a disclosure is damaging if (a) the disclosure endangers national security; or (b) the information, document or article in question is of such a nature that its unauthorized disclosure would be likely to endanger national security. (3) It is a defence for a person charged with an offence under this section to prove that, at the time of the alleged offence, he did not know and had no reasonable cause to believe that (a) the information, document or article in question was such as is mentioned in subsection (1)(a); or (b) the disclosure would be damaging within the meaning of subsection (2). Art. 18 (Information resulting from unauthorized disclosures or illegal access or information entrusted in confidence) [. . .] (2) [. . .] (d) acquired by means of illegal access (whether by himself or another) to it, and for the purposes of paragraphs (a) and (b), „public servant or government contractor“ includes a person who was formerly a public servant or government contractor where the information, document or article came into his possession when he was such a public servant or government contractor. [. . .] (5A) For the purposes of subsection (2), a person has illegal access to information or a document or article if (a) the information, document or article, as the case may be, comes into or remains in his possession by virtue of an offence under

II. Staatsschutzrecht

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(i) section 27A (unauthorized access to computer by telecommunications) of the Telecommunications Ordinance (Cap. 106); (ii) section 161 (access to computer with criminal or dishonest intent) of the Crimes Ordinance (Cap. 200); or (iii) section 9 (theft), 10 (robbery) or 11 (burglary) of the Theft Ordinance (Cap. 210), committed by him in relation to the information, document or article, as the case may be; or (b) the information, document or article, as the case may be, comes into or remains in his possession in exchange for an advantage the offer or acceptance of which is an offence under section 4 (bribery) of the Prevention of Bribery Ordinance (Cap. 201). (5B) A person does not commit an offence under this section if (a) he makes a disclosure that reveals (i) any unlawful activity, abuse of power, serious neglect of duty or other serious misconduct by any public official; or (ii) a serious threat to (A) public order; (B) public security; (C) the health or safety of the public; (b) the disclosure does not exceed the extent that is necessary for revealing that matter; and (c) having regard to all circumstances of the case, the public interest served by the disclosure outweighs the public interest served by not making that disclosure. [. . .]

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Special Group on the Relationship between the Central Government and the HKSAR/ Consultative Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region: Final Report on the Relationship between the Basic Law and the Constitution, Hongkong 1987. Ständiger Ausschuss des Nationalen Volkskongresses: Decision of the Standing Committee of the National People’s Congress on Issues Relating to the Methods for Selecting the Chief Executive of the Hong Kong Special Administrative Region and for Forming the Legislative Council of the Hong Kong Special Administrative Region in the Year 2012 and on Issues Relating to Universal Suffrage, verabschiedet am 29.12.2007, http://www.legislation.gov.hk/blis_ind.nsf/D2769881999 F47B3482564840019D2F9/323A5DFEBE55E005482573CB000EAA8D?OpenDocu ment (Stand: 20.08.2011). – Decision of the Standing Committee of the National People’s Congress on Issues Relating to the Methods for Selecting the Chief Executive of the Hong Kong Special Administrative Region in the Year 2007 and for Forming of the Legislative Council of the Hong Kong Special Administrative Region in the Year 2008, verabschiedet am 26.04.2004, http://www.legislation.gov.hk/blis_ind.nsf/FB2D3FD8A4 E2A3264825647C0030A9E1/D4BCF79476F4D29948256EE000292712?OpenDocu ment (Stand: 20.08.2011). The Democratic Party: No Need to Legislation on Subversion under Article 23, Presseerklärung vom 13.09.2002, http://www.dphk.org/e_site/press_release/020913a.htm (Stand: 20.08.2011). UN Committee Against Torture: Consideration of Reports Submitted by States Parties Under Article 19 of the Convention: Concluding Observations of the Committee against Torture (CHINA), UN-Dok. CAT/C/CHN/CO/4, veröffentlicht am 21.11. 2008, http://www2.ohchr.org/english/bodies/cat/docs/CAT.C.CHN.CO.4.pdf (Stand: 20.08.2011). UN Economic and Social Council: Siracusa Principles on the Limitation and Derogation of Provisions in the International Covenant on Civil and Political Rights, UNDok. E/CN.4/1984/4, in: Human Rights Quarterly 7 (1985), Nr. 1, S. 3–14. U.S. Department of State, Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor: China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), Country Reports on Human Rights Practices, veröffentlicht am 11.03.2008, http://www. state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100518. htm (Stand: 20.08.2011). Versammlung asiatischer Nichtregierungsorganisationen aus Anlass der Asiatischen Regionalkonferenz zur Vorbereitung der Wiener Menschenrechtskonferenz, Bangkok, 29.03.1993–02.04.1993: Bangkok NGO Declaration, verabschiedet am 29.03.1993, in: Asian Cultural Forum on Development (Hrsg.), Our Voice: Bangkok NGO Declaration on Human Rights, Bangkok 1993, S. 12–17. World Committee to Protect Journalists: CPJ’s 2008 Prison Census: Online and in Jail, veröffentlicht am 04.12.2008, http://cpj.org/reports/2008/12/cpjs-2008-prison-cen sus-online-and-in-jail.php (Stand: 20.08.2011). – Journalist Tried on „Subversion“ Charges, veröffentlicht am 22.01.2008, http://www. unhcr.org/refworld/country„CPJ„CHN„48243c4b19,0.html (Stand: 20.08.2011).

Personen- und Sachwortverzeichnis Agenda-Setting 112 Alan Leong 67 Anti-Terrorism Act 2005 183 Appellfunktion 153 Apple Daily v. Commissioner of the Independent Commission Against Corruption 149 Asiatische Werte 121, 125, 128, 140, 144

Crimes Ordinance 85, 165, 167, 180, 188, 198

Bangkok Declaration 122, 124, 125 Basic Law Consultative Committee 26, 82 Basic Law Drafting Committee 26, 82 Bestimmtheitsgrundsatz 94, 95, 155, 159, 176, 179, 182, 188, 194 Blue Bill 106 Boucher v. R. 185 Brandenburg v. Ohio 181, 185, 186 Broadcasting Ordinance 146, 147 Bundesstaatsprinzip 60

Florence Agreement 173 Functional Constituencies 31, 70

Chinese Publications (Prevention) Ordinance 166 Chinesisches Strafgesetzbuch 90 Christopher Francis Patten 31, 33 Colonial Books Registration Ordinance 165 Committee for the Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region 71 Consultation Document 102, 105, 175, 180, 181 Control of Obscene and Indecent Articles Ordinance 147, 149 Control of Publications Consolidation Ordinance 167 Coroners and Justice Act 2009 164

Defamation Ordinance 147 Donald Tsang 151 Ein Land, zwei Systeme 52, 76, 86, 114, 135, 152, 175, 180, 194 Executive Council 103

Grönland 59, 74 Hong Kong Bar Association 182 Hong Kong Bill of Rights Ordinance 116, 117, 148, 158 Hong Kong Court of Final Appeal 77, 78, 105 Hong Kong Journalists Association 169 Hong Kong Law Reform Commission 105 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 115, 117, 118, 126, 134, 158, 160, 164, 173, 181 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 126 ius cogens 28 Johannesburger Prinzipien 161, 167, 183, 185, 186, 188, 195 Konfuzianismus 44, 48, 53, 131, 135, 136, 138, 141, 142 Konterrevolutionäres Strafrecht 90 Lee Hsien Loong 128 Lee Kuan Yew 120, 121, 122, 124, 141

Personen- und Sachwortverzeichnis Legitimationsfunktion 71, 153 Letters Patent 20, 116 Lord Advocate v. Scotman Publications Ltd. 196 Macao 61, 80, 99, 151, 161, 171, 179, 187 Medienlizenzen 111, 146, 167 Nationaler Volkskongress 26, 41, 54, 57, 62, 70, 71, 86, 119, 179 Newspapers Ordinance 165 Ng Ka Ling and Others v. Director of Immigration 77 Notstandsgesetzgebung 71, 98 Official Secrets Act 190, 191 Official Secrets Ordinance 85, 190, 192, 195, 197 Ordinance to regulate the printing of books and papers and the keeping of printing presses within the Colony of Hong Kong 165 ordre public 117 Post Office Ordinance 165, 175 Praktische Konkordanz 157, 158, 174, 186 Presseorgane 109 Printer and Publishers Ordinance 165 Prinzip minimaler Gesetzgebung 158 Provisional Legislative Council 33, 77 public interest defense 192, 199, 202 Public Order Ordinance 181

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R v. Sin Yau-Ming 148 Registration of Local Newspapers Ordinance 146, 167, 169, 204 Right of Abode-Entscheidung 77, 79, 119 Security of Information Act 200, 201 Sedition (Amendment) Ordinance 176 Sedition Amendment Ordinance 166 Sedition Ordinance 166, 167, 168, 169 Seditious Publications Ordinance 166 Sezession 101, 162 Sino-British Joint Declaration 25, 26, 27, 30, 32, 33, 34, 59, 73, 80, 108 Siracusa Prinzipien 160, 175, 181, 197 Societies Ordinance 84, 101 Sonderverwaltungszone 58, 60, 99, 135, 181 Staatssicherheitsgesetz 94 Subversion 82, 83, 95, 101, 162, 177 Taiwan 56, 57, 80, 130 Telecommunications Ordinance 198 Television Ordinance 146 Treasonable Offences Ordinance 177 Tun Mahathir bin Mohamad 120, 122, 139, 143 Tung Chee-wah 104, 140 Völkergewohnheitsrecht 21, 134, 161 White Bill 106 Wiener Vertragsrechtskonvention 22, 28