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German Pages 224 Year 2018
Jürgen Schwier, Veith Kilberth (Hg.) Skateboarding zwischen Subkultur und Olympia
KörperKulturen
Jürgen Schwier, Veith Kilberth (Hg.)
Skateboarding zwischen Subkultur und Olympia Eine jugendliche Bewegungskultur im Spannungsfeld von Kommerzialisierung und Versportlichung
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Inhalt
Quo vadis Skateboarding?
Jürgen Schwier & Veith Kilberth | 7 Skateboarding zwischen Subkultur und Olympischen Spielen
Jürgen Schwier | 15 Von Treppen und Treppchen. Skateboarding und Olympia: Stationen einer 50-jährigen Debatte
Eckehart Velten Schäfer | 37 Das Olympische Skateboard-Terrain zwischen Subkultur und Versportlichung
Veith Kilberth | 57 Die Welt der Skateparks. Orte der Gemeinschaftsbildung und der Persönlichkeitsentwicklung
Iain Borden | 81 No comply. Die Resilienz der Skateboardkultur
Sebastian Schweer | 103 ›Erwachsene Männer, die Skateboard fahren‹. Exemplarisches und Kritisches zu Männlichkeit und Skateboarding
Konstantin Butz | 125 Zur Rolle online-medialer Inhalte für die Skateboardkultur
Katharina Bock | 143 Sport statt Spiel. Vom Skateboarding zum Skateboard-Wettkampf
Antoine Cantin-Brault | 165 ›Raumfahrt ins Urbane‹. Skateboarding als Stadt-Praxis
Christian Peters | 187
Skateboarding in pädagogischer Verantwortung
Tim Bindel & Niklas Pick | 205 Autorinnen und Autoren | 221
Quo vadis Skateboarding? Jürgen Schwier & Veith Kilberth
Skateboarding ist eine weltweit verbreitete Bewegungskultur, die traditionell vor allem für männliche Jugendliche sowie junge Erwachsene in besonderem Maße attraktiv zu sein scheint. Diese Bewegungskultur wird jedoch von zahlreichen Skateboardern jeder sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität als Ausdruck eines besonderen Lebensgefühls und als ein eigenwilliger Lebensstil wahrgenommen, der je nach dem Grad des persönlichen Eingebundenseins nahezu alle Teilbereiche ihrer alltäglichen Lebensführung durchdringen kann. Gleichzeitig hat das Rollbrettfahren seit seinen Anfängen als so genanntes Asphaltsurfen in den 1950er Jahren sowohl diverse technische Entwicklungen als auch kulturelle Wandlungsprozesse durchlaufen.1 Das Skateboarding weist ferner hinsichtlich der Teilnahmezahlen bzw. seiner Anhängerschaft über die Jahrzehnte mehrere Wellenbewegungen auf, das heißt in Europa und Nordamerika sind auf Phasen der Hochkonjunktur immer wieder Phasen mit rückläufiger Nachfrage bis zum Erreichen eines unteren Wendepunkts gefolgt. Mit Blick auf die historische Entwicklung dieser jugendlichen Bewegungskultur bleibt sicherlich festzuhalten, dass das Skateboarding in der bis heute vorherrschenden Gestalt der Praktik zum einen im Umfeld der kalifornischen Surfkultur hervorgebracht worden ist und zum anderen den in den USA jeweils wirksamen Entwicklungstendenzen bis heute eine gewisse Vorreiterfunktion für die übrige Welt zukommt. Dies gilt im Besonderen für jenen längerfristig wirksamen Wandlungsprozess, der nach Lombard (2010) dazu geführt hat, dass das
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Die enge Verbindung von Surfen und Skateboarding findet unter anderem im Surfskaten ihren Niederschlag, dass das Bewegungsgefühl des Wellenreitens rollbrettfahrend in die Betonbowl und auf Asphaltdecken zu übertragen versucht (vgl. https://carverskateboards.com, www.curfboard.com oder www.landlockedboards.com).
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noch vor wenigen Jahrzehnten wahlweise als Spielform für Kinder oder als reine Underground-Aktivität etikettierte Rollbrettfahren sukzessiv zu einem geschätzten Aktionsfeld des Jugendmarketings und Sportsponsorings sowie zum Objekt staatlicher Programme zur Förderung der offenen Jugendarbeit oder zur Revitalisierung öffentlicher Räume geworden ist (vgl. u.a. Beal, 2013, S. 106-107; Beal et al., 2017; Borden, 2001, S. 229-237; Borden, 2018). Diese Bewegungspraxis stellt nicht zuletzt aufgrund ihres spielerischen Umgangs mit Räumen, Objekten und Sozialformen gewissermaßen ein Versuchslabor für innovative Formen des körperlichen Ausdrucks sowie der jugendlichen Selbstermächtigung dar (vgl. Schwier, 1998, S. 24-38). Die über selbstgesteuerte Lernprozesse vorangetriebene Beherrschung von Fahrtechniken und Tricks setzt beim Skateboarding im Übrigen regelmäßiges, langwieriges sowie zum Teil auch schmerzvolles Üben voraus, in dessen Verlauf man sich auf Ungewohntes einlassen, Widerstände überwinden, individuelle Prüfungen bestehen und mit Verletzungsrisiken umgehen muss. Insgesamt unterstreicht ein solcher Wagnis-Aspekt die Notwendigkeit einer echten Hingabe an die Sache, für die genau jene Ressourcen zentral sind, über die Heranwachsende in der Regel reichlich verfügen: Körperkapitel, Vitalität und freie Zeit. Darüber hinaus zählt der Wagnis-Aspekt zu jenen Stil-Elementen, die das Rollbrettfahren – getreu dem Motto ›skate and destroy‹ – erst zu einer distinktiven Praxis machen. In diesem Zusammenhang bleibt zu konstatieren, dass Skateboarderinnen und Skateboarder normalerweise nicht allein mit dem Brett unterwegs sind und für sich Fahrfiguren ausführen. Es gibt beim Skateboarding schlicht so etwas, wie einen zwanglosen Zwang zur Bildung informeller Gruppen von Gleichgesinnten. Grundsätzlich steht eben das soziale Miteinander im Mittelpunkt und ist in der Praxis sozial-kulturell verankert. Dabei spielen Gemeinschaftserleben, wechselseitige Anerkennung und Respekt für die einzelnen Szenemitglieder und deren Bewegungshandeln eine zentrale Rolle. Die urbanen Skateboardszenen betonen zudem spätestens seit den 1970er Jahren subkulturelle Einstellungen (vgl. Borden, 2001, S. 137-139), begreifen das Rollbrettfahren keineswegs als reguläre Sportart, sondern eher als widerspenstige Bewegungspraxis oder als kreative Bewegungskunst und grenzen sich folgerichtig sowohl gegen das System des organisierten Sports als auch gegen die üblichen gesellschaftlichen Konventionen ab. Skateboardszenen neigen in dieser Perspektive tendenziell eher zu einer Selbstmarginalisierung – die durchaus einen »coolonialistischen« Widerstandsmythos (Butz, 2014, S. 172) einschließen kann – und verorten sich mit ihrer antiautoritären Grundhaltung am Rande der städtischen bzw. kommunalen Ordnung (vgl. u.a. Bradley, 2010; Németh, 2006).
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Gleichzeitig nimmt seit längerem die Vielfalt der Skateboardszenen kontinuierlich zu. Neben älteren Skateboardern (jenseits des 30. Lebensjahres) machen vor allem rollbrettfahrende Mädchen und Frauen vermehrt auf ihre Handlungspraxis aufmerksam und bilden eigene Netzwerke sowie Projekte aus (vgl. u.a. http://su ckmytrucks.de; https://www.goerlsrocknroll-skateboarding.com; https://www. facebook.com/groups/skatersover50/about/). Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Entwicklung dieser Bewegungskultur kommt im deutschsprachigen Raum nicht zuletzt den öffentlichen Skateparks zu, deren Bau und Unterhalt zumeist von Städten und Gemeinden finanziert wird. Skateparks stellen speziell konstruierte Bewegungsräume dar, die als Reaktion auf die allgemeine Nachfrage und die nahezu unkontrollierbare Aneignung von urbanen Räumen durch jugendliche Skater entstanden sind. Die partielle Verlagerung des Rollbrettfahrens an solche Anlagen trägt nach Auffassung eines Teils der Community einerseits in gewisser Hinsicht zur ›Domestizierung‹ der eigentlich subkulturellen Handlungspraxis bei, der die Vorstellung eines isolierten Sportraums herkömmlich fremd gewesen ist (vgl. Howell, 2008; Peters, 2016, S. 153).2 Andererseits wird den Parks jedoch eine gewichtige soziale Funktion als Spielflächen der gemeinschaftlichen Selbstinszenierung, als Orte der lokalen Szene-Bildung und als Orte geteilter ästhetischer Werthaltungen zuerkannt (vgl. Beal, 2013, S. 100-102; Bradley, 2010; LʼAoustet & Griffet, 2003). Innerhalb der Skateboard-Community findet allerdings seit einiger Zeit eine ebenso lebhafte wie kontroverse Diskussion um das Selbstverständnis dieser Bewegungskultur statt, da über den Bau von Skateparks, eine Zunahme spektakulärer Contests sowie über den weiteren Ausbau des Sponsorings und das nahezu allgegenwärtige Jugendmarketing zumindest in Teilbereichen die Kommerzialisierung und Versportlichung des Skateboardens voranschreitet. Diese Bewegungspraxis durchziehen nun einmal schon seit längerem Verwertungs- und Vermarktungsprozesse, die nicht nur quasi von außen die Skateboardkultur für ihre Zwecke zu vereinnahmen suchen, sondern zumindest in Teilen auch aus der Szene selbst hervorgehen. Durch den Umstand, dass Skateboarding in naher Zukunft zumindest temporär eine olympische Sportart sein wird, hat diese Debatte um die Kommerzialisierung und Versportlichung des Rollbrettfahrens zweifelsohne zusätzlich Fahrt aufgenommen. Mit der Inklusion in das olympische Programm 2020 erreicht Skateboarding den vorläufigen Höhepunkt der fortschrei-
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Eine auffällige Reaktion auf die weltweite Renaissance der Skateparks ist sicherlich die DIY-Bewegung, deren Popularität sich auch darin zeigt, dass entsprechende Videos zu lokalen DIY Skate Spots auf Plattformen wie YouTube bis zu 1,8 Millionen Aufrufe erzielen (https://www.youtube.com/watch?v=-P18nCQIA0g&t=1s).
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tenden Versportlichung in Richtung eines Leistungssports. Aus Sicht der Szene steht damit nicht weniger auf dem Spiel, als die Identität von Skateboarding. Die olympische Perspektive bringt Skateboarding weltweit mehr denn je in ein Spannungsverhältnis zwischen Subkultur und Konsumentenkultur, zwischen einer Fortschreibung der stilistischen Ausdrucksformen einer alternativen Bewegungskultur, der objektiven Quantifizierung im Sinne des (Leistungs-)Sportssystems und der Ökonomisierung durch den Einfluss der Marken bzw. Medien. Denn Skateboarding als angepasste, konforme Sportart repräsentiert etwas ganz Anderes, als der nonkonformistische Habitus von Skateboarding, der vermutlich viele Akteure ursprünglich inspiriert hat, sich überhaupt für diese Praktik zu entscheiden (vgl. Beal, 2013; Beaver, 2012, S. 25). Ein weiterer Aspekt der Olympia-Debatte betrifft die Geschlechterbeziehungen in der Skateboardkultur. Wie schon erwähnt, gilt das Skateboarding weltweit als männlich dominierende Bewegungspraxis, in der zwar unterschiedliche Konzepte und Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit anzutreffen sind, aber nach wie vor spürbare Zugangsbarrieren für Mädchen und junge Frauen bestehen (vgl. Atencio, Beal & Wilson, 2009, S. 18-19; Sobiech & Hartung, 2017, S. 214-219). Vor diesem Hintergrund stellt sich unter anderem die Frage, ob und inwieweit die Tendenzen der Kommerzialisierung und Versportlichung nicht nur vermehrt Arbeitsplätze und Rollenmodelle für Skaterinnen hervorbringen, sondern – in the long run – eine gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter bzw. eines dritten Geschlechts am Rollbrettfahren begünstigen. Der vorliegende Sammelband nimmt daher die anhaltende Diskussion um die Aufnahme des Skateboardings in das Programm der Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokyo aus verschiedenen kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven ins Visier und versammelt zehn Beiträge zu den aktuellen Entwicklungstendenzen im (Um-)Feld des Skateboardings. Den Anfang macht ein Beitrag von Jürgen Schwier, der gleichsam in das Problemfeld einführen soll und in einem ersten Argumentationsschritt das Skateboarding als jugendliche Bewegungskultur porträtiert. Anschließend werden die Tendenzen einer Kommerzialisierung und Versportlichung nachgezeichnet sowie mögliche Auswirkungen der Teilhabe an den Olympischen Spielen auf die weitere Entwicklung der Skateboardkultur diskutiert. Eckehart Velten Schäfer beschäftigt sich mit dem Prozess der Olympia-Werdung des Skateboardings und folgt dabei der Annahme, dass diese kulturelle Praktik in den letzten sechzig Jahren mehrmals grundlegende Veränderungen durchlaufen hat, wobei sich im Rahmen dieser mehrdimensionalen Entwicklungs- und Transformationsprozesse sowohl ausgeprägt ›sportfeindliche‹ als auch eher ›sportkompatible‹ bewegungskulturelle Formate unterscheiden lassen.
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Velten Schäfer versucht in diesem Zusammenhang zu klären, welche Formen des Skateboardings wann dem klassischen (Wettkampf-)Sport näher oder ferner stehen können. Veith Kilberth analysiert zunächst die Terrains der olympischen SkateboardDisziplinen, die sich in der Vergangenheit mehrfach rekonfiguriert haben. Durch die Rekonstruktion der olympischen Terrains ›Park‹ und ›Street‹ arbeitet er Entwicklungsmuster und Konstellationen heraus, die ein Wechselspiel zwischen Versportlichung und subkulturellen Ursprung sichtbar machen. Als mögliches Zukunftsszenario wird gezeigt, auf welche Weise die Akteure, im Spannungsfeld zwischen Versportlichung und Kulturalisierung des Skateboarding, für sich ökonomische Vorteile sichern und dabei gleichzeitig ihre nonkonforme Identität wahren können. Mit den zentralen Aspekten der weltweiten Renaissance von Skateparks in den letzten zwei Jahrzehnten setzt sich Iain Borden auseinander, wobei unter anderem die vielfältigen Nutzungsoptionen solcher urbanen Bewegungsräume nachgezeichnet werden. Borden verdeutlicht, dass Skateparks nicht nur selbst neue Formen von Gemeinschaft hervorbringen, sondern innerhalb gewisser Grenzen gerade auch sozialen Wandel und Prozesse der Selbstermächtigung an herausfordernden Orten (z.B. soziale Hilfsprojekte in vernachlässigten Stadtvierteln oder vom Krieg gezeichneten Ländern) stimulieren können. Die Resilienz der Skateboardkultur ist das zentrale Thema des Beitrags von Sebastian K. Schweer. Am Beispiel des schwedischen Skateboarders Pontus Alv und seines Unternehmens Polar Skate Company veranschaulicht der Autor seine These, dass der von Alv popularisierte heterodoxe Skateboardstil als eine Reaktion auf die Versportlichungstendenzen dieser Bewegungskultur verstanden werden kann, der sich als Resilienz beschreiben lässt. Seine entsprechenden Ausführungen bezieht Schweer abschließend im Rekurs auf die Resonanztheorie von Hartmut Rosa auf die gesamtgesellschaftliche Ebene. Der Beitrag von Konstantin Butz kreist um die Männlichkeitsinszenierungen im Skateboarding und deren verschiedene massenmediale Repräsentationen. Nach Auffassung des Autors ist in der (medien-)öffentlichen Wahrnehmung dieser Praktik unverändert die Gegenüberstellung von imaginierten weiblichen und männlichen Positionen sowie altersspezifischen Verhaltensweisen vorherrschend, was gleichzeitig impliziert, dass die immer auch vorhandenen emanzipatorischen und progressiven Dimensionen des Skateboardfahrens kaum Aufmerksamkeit erhalten. Unter Bezugnahme auf Theorien der Gender und Queer Studies erscheint die Teilhabe von Skateboarderinnen und Skateboardern an Olympischen Spielen für Konstantin Butz daher eher kontraproduktiv zu sein, da die strikten Regularien dieses SportEvents im Widerspruch zu der prinzipiellen Offenheit der Praktik und deren herrschaftskritischen Tendenzen stehen.
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Katharina Bock behandelt im Rahmen ihres Beitrags die Rolle onlinemedialer Inhalte für die Skateboardkultur und geht der Frage nach, welche besonderen Leistungen diese digitalen Medienformate (E-Zines, Videoportale, Websites, Skatevideos, Tutorials) für die Szene erbringen können. Die Analyse kommt dabei zu dem Ergebnis, dass von der Szene (mit-)gestaltete OnlineMedien ein wichtiges Element der Bedeutungswelt von Skateboarderinnen bzw. Skateboardern sind und szenetypische Wissensbestände verfügbar halten. Ausgehend von der einst möglichen Beschreibung des Skateboardings als einer Kunstform skizziert Antoine Cantin-Brault den längst fortgeschrittenen dialektischen Prozess der Versportlichung dieser Praktik, der mit der Vereinnahmung durch die Olympischen Spiele seinen vorläufigen Endpunkt erreichen wird. Unter Bezugnahme auf die von Jean-Paul Sartre entfaltete existentialistische Denkfigur, dass die Existenz der Essenz vorausgeht und die Skaterinnen bzw. Skater dies spüren, wird die Auffassung vertreten, dass das Skateboarding aktuell Gefahr läuft, die letzten Reste seiner Autonomie zu verspielen. Christian Peters versucht in seinem Beitrag das vielschichtige Verhältnis von Skateboarding und Stadt nachzuzeichnen. Im Verlauf der Argumentation wird deutlich, auf welche grundlegende Art und Weise der urbane Raum für die Praxis des Street-Skateboarding bestimmend ist und die Skater-Gemeinschaften durchaus als kreative »Stadt-Macher« agieren. Diese Denkfigur wird von Peters am Beispiel der kulturellen Praxis des DIY-Skateboarding vertieft, wobei er die DIY-Bewegung auch als eine Gegenbewegung zur Versportlichung und Kommerzialisierung des Skateboardens versteht. Tim Bindel und Niklas Pick gehen schließlich der Frage nach, ob Skateboarding überhaupt ein geeignetes (sport-) pädagogisches Thema sein kann. Aus ihrer Sicht unterscheidet sich das schulische Skateboarding notwendigerweise vom Rollbrettfahren auf der Straße. Die Autoren legen auf der Basis einer qualitativen Studie dar, mit welchen zentralen Herausforderungen ein entsprechender Pädagogisierungsprozess im Kontext des Schulsports – entlang der Kategorien Involviertsein von Lehrkräften, der LehrLern-Problematik und des Raumthemas – einhergeht. Unser besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Europa-Universität Flensburg, deren Unterstützung für die Publikation dieses Sammelbandes überaus hilfreich gewesen ist. Ebenso bedanken wir uns bei Tine Kaphengst für die Manuskriptgestaltung, bei Dirk Vogel für seinen maßgeblichen Beitrag zur Übersetzung der beiden in der Originalfassung englischsprachigen Beiträge sowie bei Alex Flach, der uns die ebenso außergewöhnliche wie eindrucksvolle Skateboard-Fotographie auf dem Buchumschlag zur Verfügung gestellt hat.
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L ITERATUR Atencio, M., Beal, B. & Wilson, C. (2009). Distiction of risk: Urban skateboarding, street habitus, and the construction of hierarchical gender relations. Qualitative Research in Sport and Exercise 1, 1, 3-20. Beal, B. (2013). Skateboarding. The Ultimate Guide. Santa Barbara, Denver, Oxford: Greenwood. Beal, B., Atencio, M., Wright, E. & Mc Clain, Z. (2017). Skateboarding, Community and urban politics: shifting practices and challenges. International Journal of Sport Policy and Politics 9, 1, 11-23. Beaver, T. D. (2012). By the Skaters, for the Skaters. The DIY Ethos of the Roller Derby Revival. Journal of Sports and Social issues 36, 1, 25-47. Borden, I. (2001). Skateboarding, Space and the City. Architecture and the Body. Oxford: Berg Publishers. Borden, I. (2018). Skateboarding and the City: a Complete History. London: Bloomsbury. Bradley, G. L. (2010). Skate Parks as a Context for Adolescent Development. Journal of Adolescent Development 25, 1, 288-323. Butz, K. (2014). ›Coolonialismus‹. Wie das Skateboard nach Schleswig-Holstein kam. Pop. Kultur und Kritik 3, 5, 162-173. Howell, O. (2008). Skatepark as Neoliberal Playground: Urban Governance, Recreation Space, and the Cultivation of Personal Responsibility. Space and Culture 11, 4, 475-496. LʼAoustet, O. & Griffet, J. (2003). The experiences of teenagers at Marseillesʼ skate park. Cities 18, 413-418. Lombard, K.-J. (2010). Skate and create/skate and destroy: The comercial and governmental incorporation of skateboarding. Journal of Media & Cultural Studies 24, 4, 475-488. Németh, J. (2006). Conflict, Exclusion, Relocation: Skateboarding and Public Space. Journal of Urban Design 11, 3, 297-318. Peters, C. (2016). Skateboarding – Ethnographie einer urbanen Praxis. Münster: Waxmann. Schwier, J. (1998). Spiele des Körpers. Jugendsport zwischen Cyberspace und Streetstyle. Hamburg: Czwalina. Sobiech, G. & Hartung, S. (2017). Geschlechtsbezogene Körper- und Raumaneignung in urbanen (Spiel-)Räumen am Beispiel Skateboarding. In Sobiech, G. & Günter, S. (Hrsg.), Sport & Gender – (inter-)nationale sportsoziologische Geschlechterforschung (S. 207-221). Wiesbaden: Springer VS.
Skateboarding zwischen Subkultur und Olympischen Spielen Jürgen Schwier
E INLEITUNG Skateboarding gehört neben dem Surfen zu den ersten Bewegungsaktivitäten, die seit den 1950er Jahren einen unkonventionellen Gegenentwurf zu der normierten Welt des modernen (Wettkampf-)Sports und alternative Auslegungen des SichBewegens hervorgebracht haben. Aus sportsoziologischer und -ökonomischer Perspektive lassen sich sowohl Skateboarding als auch Wellenreiten zudem als langfristige Nischen-Trends beschreiben, die hinsichtlich ihrer Attraktivität und Verbreitung inzwischen mehrere Wellenbewegungen aufweisen. Jenseits dieser ›Aufs und Abs‹ stimuliert das gemeinschaftliche Herstellen und Bewusstmachen von bewegungs- und körperkulturellen Differenzen zum System und den Routinen des organisierten Sports die Ausformung eines eigenen Stils. Die Praktik des Skateboarding hängt dabei gewissermaßen immer in der Luft, weil sie nicht einfach da ist, sondern durch Handeln erst erzeugt und weiterentwickelt wird (vgl. Schwier, 1998). Auf die Frage, warum Menschen regelmäßig mit Hingabe auf einem Brett mit zwei Achsen und vier Rollen fahren, gibt es sicherlich eine Vielzahl von möglichen Antworten. Skateboarder jeglicher geschlechtlichen Identität suchen unter anderem nach dem Aufgehen im Tun und nach dem perfekten Trick, sie suchen nach außeralltäglichen (Körper-)Erfahrungen oder nach körperlichen Wagnissen. Sie wollen dort Kontrolle erleben, wo hinreichende Kontrolle eigentlich unmöglich bleibt. Skateboarder wollen sich selbst darstellen, einen eigenen Stil entfalten, streben nach intensivem Augenblickserleben, schätzen die Gemeinschaft der Gleichgesinnten und das Freiheitsgefühl. Die Beweggründe für die Teilhabe am Skateboarden können also ebenso vielschichtig sein wie die
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Intensität und Formen des individuellen Engagements. Das wissenschaftliche Wissen über die zuvor angesprochenen Motive und Motivationen ist letztendlich nach wie vor ebenso lückenhaft wie der gesamte Kenntnisstand zur Praktik des Skateboardings, wobei in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum eine deutliche Zunahme entsprechender Publikationen zu verzeichnen ist (vgl. u.a. Bock, 2017; Butz, 2012; Eichler & Peters, 2012; Fischer, 2013; Kvasnicka, 2014; Peters, 2011 und 2016; Schäfer, 2015; Schweer, 2014; Tappe, 2011). Da sich die Mehrzahl dieser qualitativen Studien allerdings mit lokalen Street-SkateSzenen beschäftigt, sind deren Befunde nur begrenzt verallgemeinerbar. Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag die Spannung zwischen der Kommerzialisierung und Versportlichung des Skateboardens auf der einen Seite sowie seinem Potential als schöpferische, widerspenstige und subversive Bewegungskultur auf der anderen Seite. Um sich diesem Spannungsfeld anzunähern, erfolgt zunächst eine Charakterisierung des Skateboarding als jugendliche Bewegungskultur, während im Anschluss die anhaltenden Tendenzen einer Kommerzialisierung und Versportlichung dieser Praxis nachgezeichnet werden. Die weitere Argumentation beschäftigt sich dann mit den Chancen und Risiken der Aufnahme des Skateboarding in das Programm der Olympischen Spiele 2020 sowie den schon jetzt wahrnehmbaren Gegenbewegungen.
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ALS JUGENDLICHE
B EWEGUNGSKULTUR
Skateboarding ist gleichermaßen eine Bewegungsform, eine soziale Praktik und eine kulturelle Ausdrucksform, wobei die Wechselbeziehungen von Kultur und (Bewegungs-)Praxis von verschiedenen Szenen und in einzelnen Entwicklungsphasen unterschiedlich ausgestaltet werden. Wie auch andere jugendliche Bewegungskulturen, artikuliert Skateboarden nicht nur ein für unterschiedliche Lesarten offenes Sportverständnis, sondern betont mit seinen zum Teil riskanten Formen der Körperthematisierung gleichzeitig den Wagnischarakter und die subkulturell-hedonistische Aura der Aktivität. Momente der Improvisation und Ausgelassenheit gehören hier ebenso zum Spiel wie die unmittelbare Freude am SichBewegen und eine Orientierung an persönlichen Herausforderungen. Das Skateboarden ist ferner seit seinen Anfängen eine Bewegungskultur, in der männliche Akteure auffallend überrepräsentiert sind. Jugendliche Bewegungskulturen entfalten ein Ensemble von Bedeutungen, Handlungen, Ästhetiken, Ritualen und Strategien, die wechselseitig aufeinander verweisen, einen von den Akteuren als authentisch wahrgenommenen Stil prägen und eine Differenz zu anderen juvenilen Szenen anzeigen. Sie sind also in
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gewisser Hinsicht immer auch Ausdruckskulturen, die mit dem Körper eigene Zeichen setzen, Aktionsräume gestalten, einen geteilten Wissensvorrat hervorbringen, jedoch gleichzeitig auch Momente des Unfertigen, Unabgeschlossenen und Veränderbaren aufweisen (vgl. Kolb, 2015; Schwier, 2008, S. 272-274). Die Praxis des Skateboarding erfordert so unhintergehbar ein entsprechendes Bewegungskönnen, bleibt aber nicht auf das Sich-Bewegen auf Rollen beschränkt, sondern erfasst als (Lebens-)Stil weite Teile des Alltagslebens der Akteure. Zur alltäglichen Praxis gehören – ähnlich wie bei den Varianten des Surfens – sowohl visuelle Zeichen (von der Kleidung bis zur Brettmarke) als auch ein unsichtbares, immer im Fluss befindliches System von distinktiven Merkmalen und hedonistischen Werthaltungen. Wer das Leben eines Skateboarders führen will, muss daher einen Lernprozess durchlaufen: »Dieses Erlernen verlangt von den Akteuren ein existenzielles Sich-Einlassen und basiert auf einem ganzen Set weiterer Praktiken: der kompetenten Ausführung von Begrüßungsritualen, dem Besuch angesagter Partys und Szene-Locations, dem Einkauf symbolisch aussagekräftiger Kleidung oder spezifischen Formen des Umgangs mit Schmerz, Risiko und Verletzungen.« (Peters, 2016, S. 172; Vgl. Schwier, 1998 und Stern, 2011, S. 141)
Was diesen Stil ausmacht, lernt man durch das Aufsuchen der Treffpunkte, die Teilhabe an der Bewegungspraxis und dem Szeneleben. Die Ausrichtung des Lebens in der Szene (vgl. Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 16) folgt allerdings beim Skateboarding keinem einheitlichen Muster, sondern entfaltet sich in der alltäglichen Handlungspraxis lokaler Gemeinschaften, Cliquen bzw. Fraktionen, die den Wettstreit um Stil am Laufen halten (vgl. Schwier & Erhorn, 2015, S. 180-182). Und es kann auch Stil haben, vor dessen Überbetonung unter Skatern zu warnen oder individuelle Akzentsetzungen vorzunehmen. Eine NibelungenTreue zum Stil scheint keinesfalls erstrebenswert zu sein, vielmehr müssen beim Street- oder Vert-Skaten die Individualität des Handelnden, sein eigenständiger Charakter und seine Hingabe an die Sache spürbar bleiben. Grundsätzlich gelten Stil-Fragen in der Szene zudem als eher unsicheres Terrain, auf dem man sich besser vorsichtig bewegt: Man kann eben nicht immer genau sagen, was es heißt, in einer bestimmten Situation das Richtige zu tun (oder zu unterlassen) und man kann auch nicht immer sagen, warum ein bestimmter Skater den Stil nahezu ideal verkörpert. Stil-Können verbindet motorische Leistungsfähigkeit, Bewegungsgeschick, Improvisations- und Risikobereitschaft mit Coolness, Interaktionskompetenz, Kennerschaft (Musik, Mode, Szenesprache, Locations, Internet-Videos usw.) und der Demonstration von Identität. Unabhängig von Alter, Geschlecht und
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Ethnizität gehört zum Skateboarder-Sein letztendlich eine Haltung, die Stern (2010, 2011) mit Blickrichtung auf neue Sportpraktiken als totales Engagement beschrieben hat. »Die Stilverpflichtung liegt als eine umfassende Haltung der Akteure vor, die in alle anderen Bereiche, vom Berufsleben bis ins Privatleben, hineinwirkt. […] Die Sportler zeigen mit ihrem totalen Engagement keine klaren Grenzlinien zwischen Sport und Alltag. Vielmehr dringt das (Sport-)Engagement in Form von Gesten, Bildern und Internetpräsentationen weit in den Alltag der Akteure ein.« (Stern, 2010, S. 261)
Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich die folgenden Ausführungen – unter bewusster Vernachlässigung anderer Merkmale der »Stil-Kultur« (Stern, 2010) des Skateboardings – auf die Formen der Vergemeinschaftung und die besonderen Formen der Raumaneignung. Der Gemeinschaft und der »kommunikativen Konstruktion von Szenekultur« (Bock, 2017, S. 197) kommt beim Skateboarden zweifelsohne eine wichtige Funktion zu. Skater suchen die Nähe und den Respekt der Gleichgesinnten sowie den Austausch und die Anregung in der Szene. Ohne Anwesenheit von Anderen zu fahren, ist eigentlich nur dann eine Option, wenn ein neuer Trick eingeübt werden soll, den man erst in gekonnter Form der Gruppe präsentieren will. Auf den ersten Blick erscheint Skateboarden auf der Straße oder im Skatepark sicherlich als eine ›Individualsportart‹, da die Akteure jeder für sich fahren und sich über informelle, vorwiegend selbstgesteuerte Lernprozesse neue Fahrtechniken und Tricks aneignen. Gleichzeitig beobachten, reflektieren und bewerten die Akteure an den Spots unaufhörlich die Fahrtechnik, die Tricks und die vielfältigen Facetten der StilKompetenz der Anderen. Gelungene Tricks oder coole Aktionen ohne Board werden zum Beispiel von den anwesenden Skateboardern durch ›Props geben‹ belohnt. Mit dieser aus der Hip-Hop-Kultur entliehenen Formulierung ist gemeint, dass man dem Anderen ›proper respect‹ erweist. Häufig anzutreffende Formen solcher Respektsbezeugungen sind ein einfacher Handshake, Applaus und die Geste ›High five‹, bei der zwei Personen jeweils einen Arme in die Höhe strecken und sich mit den Händen abklatschen. Darüber hinaus wird auf der Straße oder im Skatepark nicht nur Rollbrett gefahren, sondern es entwickeln sich ebenfalls Gespräche, es werden Videos gedreht, man ist mit dem Smartphone im World Wide Web unterwegs oder man ›chillt‹ einfach gemeinsam. Aus dem Wunsch nach sozialer Einbindung und Gemeinschaft ergibt sich allerdings beim informellen Sporttreiben – wie unter anderem eine ethnographische Studie von Bindel (2008, S. 143-161) zeigen konnte – ein zwangloser
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Zwang zum Aushandeln der unterschiedlichen Handlungsinteressen und Bedürfnisinterpretationen sowie zur schrittweisen Entfaltung eigener sozialer Ordnungsmuster (wie Positionen, Rollenerwartungen bzw. -festlegungen, Interaktionsrituale, Verhaltensnormen). Die fortlaufende Arbeit an den kommunikativen Rahmungen knüpft zumeist an bekannte bewegungskulturelle Sprach- und Dresscodes an, wird von den Akteuren mitunter als »Ausmachwahnsinn« (Fischer, 2013, S.103) erlebt und impliziert ein »Trainieren gleichberechtigter Beziehungen« (Bindel, 2008, S. 155), die Ausbalancierung der Anerkennungsverhältnisse sowie einen spielerischen Umgang mit Status. Da an den Spots keine – oder zumindest keine für Novizen erkennbaren – ›Gate Keeper‹ anzutreffen sind, müssen interessierte Jugendliche mehr oder weniger auf eigene Faust den Zugang zur jeweiligen Skater-Gruppe anbahnen, was zunächst eine genaue Beobachtung der Interaktionen, der Sprache, der Rituale oder der Kleidungs- und Musikpräferenzen in diesem scheinbar losen Netzwerk von Rollbrettfahrern erfordert (vgl. Peters, 2016, S. 189; Schwier, 1998, S. 39; Tappe, 2011, S. 235). Der Prozess des Dechiffrierens dieser Stil-Mittel und des Einübens der Skateboard-Kultur kann allerdings nur einen erfolgreichen Zugang mit sich bringen, wenn das Bewegungskönnen auf dem Rollbrett gewissen Minimalstandards genügt. Die Entfaltung jugendlicher Bewegungskulturen ist des Weiteren eng mit der Nutzung bzw. Umdeutung von urbanen und naturnahen Räumen verbunden, wobei sich das sinnstiftende Sich-Bewegen von Jugendlichen mit Derecik (2015, S. 15-18) idealtypisch entlang von fünf Aneignungsdimensionen beschreiben lässt: Die Aneignung als Erweiterung motorischer Fähigkeiten ergibt sich erstens aus dem Umgang mit den Objekten (z.B. dem Skateboard) und bezieht sich auf damit einhergehende Prozesse des Bewegungslernens (z.B. die handelnde Aneignung eines neuen Tricks). Die Aneignung (2) als Erweiterung des Handlungsraums und (3) als Veränderung von Situationen verweisen auf die Verknüpfung und temporäre Umfunktionalisierung von (Nah-)Räumen (z.B. ein Parkplatz, ein Schulhof oder eine Einkaufspassage als Skatespot). Die Aneignung als Verknüpfung von Räumen meint viertens vor allem die Fähigkeit, unterschiedliche geographische und virtuelle Räume miteinander zu verbinden bzw. gleichzeitig in verschiedenen Räumen präsent zu sein (z.B. dem Skatepark und einem sozialen Netzwerk oder einer Videoplattform im Internet). Die Aneignung als »Spacing« – im Sinne des relationalen Raummodells von Löw (2001, S. 160) – beleuchtet schließlich die körperlichen Inszenierungen der Skateboarderinnen und Skateboarder auf den von ihnen selbst gewählten inner-
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städtischen Bühnen, also das »eigentätige Schaffen von Räumen« (Derecik, 2015, S. 17) als erweiterte Form der Aneignung. In diesem Zusammenhang meint selbstbestimmte Aneignung die tätige Auseinandersetzung mit den Nutzungsmöglichkeiten sowie Lesarten von urbanen oder auch virtuellen Räumen und kann gleichermaßen ein Ausdruck gelebter individueller Freiheit sein. Aneignung erfordert also das aktive Handeln von Akteuren (vgl. Deinet & Reutlinger, 2004, S. 7-9). Die Konstitution von Raum vollzieht sich daher beim Skateboarden zumeist intentional und folgt eigenen subkulturellen Konventionen, die mitunter in einem Spannungsverhältnis zu den etablierten Nutzungsansprüchen und -vorgaben stehen. Skateboarden lässt sich daher als ein urbanes Raum-Spiel charakterisieren, bei dem »der Spieler mit dem Eintritt in das Spiel den Rahmen des Alltäglichen verlässt« (Peters, 2011, S. 151; vgl. Woolley & Johns, 2001) und unter Aktivierung seiner spezifischen Wissensbestände an der kooperativen Entschlüsselung räumlicher Ordnungen mitwirkt. Bei der am weitesten verbreiteten Variante des Street-Skatens ›scannen‹ die Akteure fortlaufend innerstädtische Räume (öffentliche Plätze, Transiträume, Gehwege, Einkaufsstraßen, Parkplätze, Hinterhöfe, Stadtparks) auf ihre Skatebarkeit, eignen sich geeignete Flächen temporär an, machen diese durch ihre »Inszenierungsarbeit« (Löw, 2001, S. 208) zu einem Schauplatz jugendlicher Selbstermächtigung, wobei dort befindliche Objekte (Geländer, Kantsteine, Treppen, Blumenkübel) durch widerständiges Handeln umgedeutet werden. Im Verlauf der Teilhabe am Street-Skaten kommt es nach Peters (2016, S. 140-141) ferner zu einer Schulung der Aufmerksamkeit für die Beschaffenheit bislang unbekannter innerstädtischer Areale. Die (Um-)Nutzung der jeweiligen ›Urban Spots‹ gibt einerseits dem Einzelnen durchaus Raum zur Umsetzung kreativer Einfälle sowie zum Ausleben von Emotionen (vgl. Schwier & Erhorn, 2015). Andererseits verbindet sie die StreetSkater miteinander und folgt zumeist einheitlichen Stil-Idealen (vgl. Eichler & Peters, 2012, S. 151). Die Räume und die auf sie gerichteten Prozesse der Bedeutungsbildung spielen letztendlich für die Hervorbringung eines eigenständigen Stils eine nicht zu unterschätzende Rolle. Was Skateboarden bedeuten kann, ergibt sich auch auf der Hintergrundfolie der jeweiligen räumlichen Strukturen und der kollektiven Syntheseleistungen der Akteure (Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse) maßgeblich im Kontext wiederholter körperlicher Vollzüge (vgl. Schwier, 2008, S. 272-273; Löw, 2001, S. 224). In gewisser Hinsicht ist Street Skateboarden daher ein exemplarisches Beispiel für die von De Certeau (1984, S. 91-110) beschriebenen widerspenstigen und widerständigen Praktiken der Raumproduktion, die dem – auf eine Ausdehnung der sozialen Kontrolle abzielenden – Konzept der geplanten Stadt mit trick-
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reichen Umdeutungen, subversiven Raumaneignungen und ›Guerilla Taktiken‹ begegnen. Für Rollbrett fahrende Akteure ist der städtische Raum eben »ein Ort, mit dem man etwas macht« (De Certeau, 1988, S. 217). Nicht zuletzt die seit einiger Zeit vielerorts von ›Locals‹ selbstgebastelten, ungenehmigten und im wahrsten Sinne des Wortes ordnungswidrigen Do it yourself (DIY) Skateparks lassen sich innerhalb gewisser Grenzen als ein bemerkenswertes Resultat solcher Taktiken betrachten (vgl. u.a. Borden, 2016; Lombard, 2016b; Stratford, 2002). Jenseits des hier knapp skizzierten mehr oder weniger subkulturellen Lebens in den Skateboard-Szenen zeichnet sich schon seit längerem eine Kommerzialisierung und Versportlichung dieser Bewegungskultur ab, an der zumindest ein Teil der Skateboarderinnen und Skateboarder aktiv mitwirkt.
K OMMERZIALISIERUNG
UND
V ERSPORTLICHUNG
Das Skateboarding bildet schon seit Jahrzehnten einen ökonomischen interessanten Nischenmarkt, der konjunkturellen Schwankungen unterliegt und wegen der Unberechenbarkeit der Skaterinnen und Skater in Sachen Equipment und Mode als schwierig gilt. Dieser Nischenmarkt umfasst inzwischen alle gängigen Segmente von Sportmärkten: Neben Sportartikeln (Bekleidung, Schuhe, Hardware) und Sportveranstaltungen (von Funsportmessen über die Titus only Locals Competition bis zur Street League Skateboarding) haben in diesem Feld auch Sponsoring (z.B. von Contests und Firmenteams), Eventmarketing (z.B. Vans Shop Riot), Medienformate (von den X Games über Magazine, Filme und Videoclips bis zur Videospielreihe Tony Hawkʼs Skateboarding), sporttouristische Angebote (z.B. Skatecamps), digitale Plattform-Ökonomie (z.B. Skateboarding in sozialen Netzwerken), soziale Dienstleistungen (z.B. Skateboarding in der offenen Kinder- und Jugendarbeit) sowie Aus- und Weiterbildungsformate (Schulungen, Workshops, Lizenzerwerb) ihren festen Platz. Da passt es ebenfalls ins Bild, wenn Werbung und Jugendmarketing sich die nonkonformistische Aura und die Individualitätsversprechen des Skateboardings vermehrt zu Nutze machen oder Rollbrettfahrer nicht länger auf spezielle DehnWorkout-Apps (z.B. iCoreSkate Stretch App) oder Yoga-Programme (›Skate Yoga – pray and destroy‹) verzichten müssen (vgl. Beal & Weidman, 2003; Bock, 2017, S. 195-196; Schweer, 2014, S. 153-166; Schwier, 2006). Die Kommerzialisierung des Skateboardings kann bei näherer Betrachtung kaum überraschen, da subkulturelle Bewegungspraktiken eben keine von der kapitalistischen Gesellschaft abgeschiedene, idyllische Sonderwelt verkörpern, sondern – auch wenn sie dies gelegentlich kontrafaktisch in Abrede stellen – Be-
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standteil des Systems sind. Zu den ersten Profiteuren der Kommerzialisierung zählen so im konkreten Fall jene (männlichen) Skateboarder, denen es seinerzeit erstmals gelungen ist, aus ihrer Leidenschaft und ihrem intrinsisch motivierten Engagement für das Rollbrettfahren einen Beruf zu machen (als gesponserter Fahrer, Shop-Betreiber, Skatepark-Konstrukteur, Hardware- oder Bekleidungshersteller). Die von Skateboardern gegründeten und/oder geführten Firmen genießen in der Szene nach wie vor hohe Achtung, sie werden in der Regel als glaubwürdiger und authentischer wahrgenommen. Als ein Beispiel sei hier das von dem deutschen Skateboard-Pionier Titus Dittmann gegründete Unternehmen ›titus GmbH‹ genannt, das sich auf die Bereiche Eventmanagement, Franchising und Versandhandel konzentriert. Wie auch andere aus der Szene hervorgegangene Unternehmen präsentiert sich der Skateboardausrüster auf seiner Website (http://www.titus.de) als respektvoller und aufrichtiger Förderer der Skateboardkultur und hält neben den eigentlichen Produkten vielfältige Textressourcen, Bilder- sowie Klangwelten bereit. Neben dem Webshop gehören Blogs und Wikisites zum Online-Auftritt, die Neuigkeiten, Geschichten und Interviews aus der Szene, Gewinnspiele, bebilderte Informationen zu den Firmenteams und zu Skatehallen in Deutschland sowie Videoclips – von der Skateparksanierung über die Teamrider bis zur Produktpromotion – bereithalten. Selbstverständlich wird auch das Titus Skate Camp mit Unterbringung im Skate Hostel angepriesen. Dabei verweist jede Aktivität auf dem Board oder in den Online-Medien gleichzeitig immer auf andere Spielflächen in der ›World of Titus‹ und soll dieser die nachhaltige Aufmerksamkeit der jugendlichen Akteure sichern. Anzumerken bleibt ferner, dass die noch in den 1990er Jahren ausgeprägte Distanz zu den Marktführern der Sportartikelbranche deutlich geringer geworden ist. Fahrerinnen und Fahrer mit Schuhen aus der Kollektion von Nike SB kann man so inzwischen nicht nur in Deutschland an fast jedem Spot beobachten. Über die Ausrichtung von Skateboardevents (Go Skateboarding Day) und Contests sowie den Bau von Skatehallen und Skateparks (z.B. Nike SB Shelter) hat der Branchenriese anscheinend zielgruppengerecht seine Bereitschaft demonstriert, etwas für das Skateboarding tun zu wollen und nach und nach Imagegewinne erzielt. Nike, Adidas, Red Bull und andere Marken docken quasi an die zeitgenössische Skateboardkultur an, bebildern deren Faszinationsgehalt, schaffen mitunter neuartige Handlungsräume und bemühen sich, jene Werte zu repräsentieren, die mit der so genannten »sporting counter-culture« (Bouchet, Hillairet & Bodet, 2013, S. 99) assoziiert werden. Im Besonderen das Unternehmen Red Bull folgt dabei einer Marketinglogik, die sich nicht mit dem Sponsoring von Contests oder Teamridern in diversen Trendsportarten zufrieden gibt, sondern mit innovativen und aufwendigen Ins-
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zenierungen ein möglichst großes Interesse beim jungen Publikum erzielen will (vgl. Schwier, 2016, S. 114-115). Vor allem Multimediaproduktionen für den Bereich Social Media sollen bislang nie gesehene Bilder vom Skateboarding an möglichst noch nie dafür genutzten Orten liefern (u.a. Jam Sessions vor der historischen Kulisse der Londoner City, Skateboarden in einem stillgelegten Hallenbad, in einem Museum oder einer mitten in der Nordsee gelegenen ehemaligen Militärbasis). Derartige Spektakel erregen Aufmerksamkeit und sind ein Gesprächsanlass in den lokalen Szenen, deren besondere Förderung Red Bull konsequent in sein Marketingkonzept integriert hat. Die Auffassung, dass Skateboarding eine eigensinnige (Bewegungs-)Kultur und in jedem Fall mehr als nur die Ausübung einer Sportart sei, gehört eben nicht nur unstrittig zum Selbstverständnis der Szenen, sondern bildet inzwischen wohl ebenfalls einen Kern der von der Waren- und Konsumwelt formulierten Marketingbotschaften. Neben den Marken treiben hauptsächlich die audiovisuellen Medien die Kommerzialisierung jugendlicher Bewegungskulturen voran. Nach einer zuvor rückläufigen Entwicklung haben nicht zuletzt die vom US-amerikanischen Kabelsender ESPN produzierten X Games seit Mitte der 1990er Jahre das Skateboarding als Fernsehsport etabliert, dabei seine Popularität weltweit gefördert und eine neue Runde in der Kommerzialisierung dieser Bewegungskultur eingeleitet. Diese fernsehgerechte Aufbereitung, Spektakularisierung und (Selbst-) Vermarktung von Trendsportarten betrachtet beispielsweise Rinehart (2004) – unter anderem wegen der extra für die X Games hergestellten Werbespots, dem umfassenden Sponsoring und Merchandising oder den als Download verfügbaren Games und Apps – als eine Form der Vereinnahmung durch das etablierte (Medien-)Sportsystem (vgl. Lorr, 2016, S. 139-141; Schäfer, 2015, S. 162-164). Mitverantwortlich für den anhaltenden kommerziellen Erfolg dürfte in diesem Zusammenhang der Umstand sein, dass es dem Sportfernsehsender ESPN gelungen ist, mit der Erzeugung von eigenartigen Codes, Mustern, Themen und Mythen seiner X Games quasi eine bewegungs- und körpernahe Metasprache zu entfalten, die nach Rinehart (2004, S. 319-320) sowohl für dominante als auch für oppositionelle Lesarten offenbleibt. Die Mehrdeutigkeit der medialen Inszenierung des Skateboardings lässt einerseits hinreichend Raum für divergierende Lesarten und widerspenstige Interpretationen, stimuliert andererseits die – von den Produzenten angestrebte – Bindung der Zuschauerinnen und Zuschauer an die X Games. Vor diesem Hintergrund vertritt unter anderem Cantin-Brault (2015) die Auffassung, dass die für das crossmediale Marketing ausgelegten X Games und vor allem die seit 2010 ausgetragenen Meisterschaften der Street League Skateboar-
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ding Nike SB World Tour (SLS) die – schon immer zur Skateboardkultur gehörende – Contest-Idee grundlegend transformiert und von ihren Ursprüngen entfremdet haben. Über solche Eventspektakel erfolgt in dieser Sicht vor allem eine Zähmung des Street Skateboarding, das sich zunehmend in eine kommerzielle Sportart verwandelt: »But in this present reification we have come to see the apparition of what has been called ›mega‹- contests, in which the participants have lost control over the format of the contests they participate in: participants, vert skaters but now also street skaters, who are being shown in the casing of a spectator friendly environment, have lost their freedom in being sold and advertised as things. […] These contests, and perhaps especially the SLS, are mimetic attempts to make skateboarding an organized sport.« (Cantin-Brault, 2015, S. 63)
Das eine Bewegungskultur wie das Skateboarding sich schrittweise versportlicht ist allerdings kein singulärer Prozess, sondern lässt sich im historischen Kontext unter anderem an der Versportlichung des Spiels (vgl. Bernett, 1984) nachzeichnen. Der Begriff Versportlichung meint hier zunächst, dass es zumindest im Teilbereichen der Skateboardkultur zu einer ›Verschärfung‹ der körperlichen Praxis kommt (im Sinne der olympischen Devise ›Citius, Altius, Fortius‹), agonaler Leistungsvergleich mitsamt Erfolgsdenken an Bedeutung gewinnen und Institutionalisierungsprozesse einsetzen. Weitgehend unklar bleibt, in welchem Verhältnis die Versportlichung zur Widerspenstigkeit des Skateboardens und zum reinen Spaß am Fahren steht. Die Argumentation von Schweer (2014) legt nun nahe, das Skateboarden längst zu einer ›normalen‹ Sportart geworden ist, in der leistungssportliche Orientierungen, Wettbewerbe, Nachwuchsförderung oder Sponsoring ihren festen Platz haben und »sich keine in der Praxis des Skateboardings angelegte genuin widerständige Komponente ausmachen lässt. Die Ausübung dieser Sportart kann durchaus professionalisiert und der Körper als wertschöpfende Entität ausgelegt werden. Ein solches Verständnis [...] kodifiziert die Praxis Skateboarding demnach auf ökonomisch verwertbare Aspekte.« (Schweer, 2014, S. 115)
Die Gründung von Skater-Vereinen und -Verbänden, kostenpflichtige Kursangebote von Skateparks sowie die Austragung von nationalen und internationalen Meisterschaften können sicherlich als weitere Belege für die Tendenz zur Versportlichung angeführt werden. Mit der Street League Skateboarding Nike SB World Tour gibt es inzwischen ferner – wie bereits erwähnt – ein globales Format, das sich gängiger Inszenierungsmuster des (Medien-)Sports bedient (vgl.
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Atencio & Beal, 2016, S. 110-113; Schweer, 2014, S. 117-125). Skateboarding bewegt sich also zweifelsohne schon seit längerem auf das Feld der Sportarten zu, mit dem es ohnehin einen Modus ästhetischer Erfahrung teilt, den Gumbrecht (2017, S. 131) mit Verweis auf die intrinsische Motivation der Handelnden und die Funktionslosigkeit sportlicher Bewegungen für die Lebenswelt der Akteure als »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« kennzeichnet. Und trotzdem bleibt noch eine Differenz: Sowohl die Atmosphäre bei einem Skateboard-Contest als auch die Interaktionen der Akteure und die geltenden Bewertungsmaßstäbe sind spürbar anders als beispielsweise bei einem Spiel der Fußballbundesliga. Beim Fußballspiel gewinnt immer die Partei, die mehr Tore erzielt hat, beim Skateboarden reicht es hingegen zum Gewinnen nicht automatisch aus, mehr oder besonders spektakuläre Tricks gezeigt zu haben. ›Style‹ spielt hingegen auf dem Fußballfeld keine zentrale Rolle. Ein aus dreißig Meter in den Torwinkel gezauberter Fernschuss zählt so nicht mehr als ein aus zwei Meter Entfernung eher zufällig ins leere Tor gestolperter Ball. Darüber hinaus kommt auch in den unteren Fußballligen ein Spiel nur zustande, weil ein Verband diese Ligen einteilt, entsprechende Kriterien für die Zugehörigkeit zu einer Spielklasse festlegt, Schiedsrichter sowie Trainer beiderlei Geschlechts ausbildet und lizensiert, den Einsatz der Referees koordiniert, Spielerpässe vergibt, Saisontabellen führt, die Durchsetzung der international gültigen Regeln überwacht und eine Sportgerichtsbarkeit gewährleistet. Ein derartiges Maß an Regulierung ist beim Skateboarden weder vorstellbar noch im Entferntesten notwendig. Freizeitskater fahren einfach Street wann und wo sie wollen, nehmen nur zum Teil an lokalen Contests teil und orientieren sich dabei nicht primär am Sieg-Niederlage-Code des Sports, sondern akzentuieren die Ausdrucksdimension des Körpers und des Sich-Bewegens. Skaterinnen und Skater treten ansonsten nur selten einem Verein bei. Und wenn sie beitreten, sind hierfür zumeist keine sportlichen Gründe ausschlaggebend, sondern die Annahme, dass dieser Verein als Interessenvertreter der Szene gegenüber der kommunalen bzw. städtischen Verwaltung auftritt. Neben den miteinander verzahnten Tendenzen der Kommerzialisierung und Versportlichung des Skateboardings besteht immerhin zumindest im europäischen Raum nach wie vor »eine Nähe zu aktivistischen Szenen« (Schäfer, 2015, S. 166). Aufgrund der äußerst fragmentarischen empirischen Befundlage ist es gegenwärtig indes nicht möglich, allgemeingültige Aussagen zum Einfluss von Kommerzialisierung- und Versportlichungsprozessen auf die (Bewegungs-) Kultur des Skateboardings in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern zu treffen.
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W ER BRAUCHT O LYMPIA ? Die Gründe, warum Skateboarding bei den Sommerspielen von Tokyo 2020 in den Kreis der olympischen Sportarten aufgenommen wird, sind unbestreitbar ökonomischer und sportpolitischer Natur. Letztendlich haben die, in der so genannten ›Agenda 2020‹ (vgl. https://www.olympic.org/olympic-agenda-2020) gebündelten, Reformbestrebungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) dazu geführt, dass das Programm der Sommerspiele von Tokyo erstmals mehrere jugendkulturelle Bewegungskulturen (BMX Freestyle, Skateboarding, Surfen und Streetball) beinhaltet. Mit den insgesamt vierzig Empfehlungen dieses Reformpakets will das IOC sein Premium-Produkt flexibler gestalten, die Transparenz der Entscheidungsprozesse erhöhen, Prinzipien guter Unternehmensführung durchsetzen, die Mitspracherechte des jeweiligen Gastgebers bei der Auswahl der Wettbewerbe vergrößern und die Spiele vor allem an den (Medien-)Märkten zukunftssicher positionieren. Die Olympische Bewegung knüpft dabei mit einiger Verzögerung an das erfolgreiche Format der X Games an und wendet sich verstärkt den bei Jugendlichen und dem Jugendmarketing beliebten Bewegungsformen zu. Pointiert formuliert: Olympia muss sich innerhalb gewisser Grenzen verjüngen, sich trendy geben sowie anders inszenieren, um seinen Status als Megabrand zu erhalten. BMX, Skateboarding, Streetball oder Surfen nehmen also an der Medaillenjagd teil, um die Attraktivität der Olympischen Spiele für die wichtige Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wieder zu steigern. Vor dem Hintergrund betonen einige prominente Stimmen aus der nationalen und internationalen Skateboard-Community durchaus selbstbewusst, dass Skateboarding für die Olympischen Spiele wichtiger sei als umgekehrt die Teilhabe an den Spielen für das Rollbrettfahren. Unklar bleibt bei dieser Argumentation, warum sich das Skateboarding dann in den Dienst des Internationalen Olympischen Komitees stellen sollte und welche Gewinne für die Skateboardkultur antizipiert werden, wenn in Tokyo 2020 rund achtzig weibliche und männliche Skateboarder in den Disziplinen Street und Park an den Start gehen. Demgegenüber kommt die Olympiateilhabe für andere Teile der Szene nicht in Betracht, weil Skateboarden für sie kein Wettkampfsport ist, weil sie das IOC als Institution ablehnen, weil sie eine solche Versportlichung als Bürokratisierung ihrer Bewegungspraxis wahrnehmen oder weil sie einen weiteren Kommerzialisierungsschub erwarten. In diesem Punkt stimmen allerdings sowohl Befürworter als auch Gegner des olympischen Skateboardings überein: Die Auftritte auf der globalen Showbühne der Olympischen Spiele dürften noch mehr Aufmerksamkeit auf das Skateboar-
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ding lenken, mehr Sponsoring, Markenkommunikation und Marketingmaßnahmen generieren sowie merkliche Umsatzsteigerungen in der Skateboard-Branche mit sich bringen. Während die Befürworter den erwartbaren Kommerzialisierungsschub – gerade in Zeiten, in denen die Anzahl der Skateboarder weltweit wohl eher leicht rückläufig ist – als positiven Impuls für die Weiterentwicklung der Bewegungskultur deuten, stellt er für die ›NOlympia-Fraktion‹ den womöglich letzten Sargnagel für die eigenwillig-subversive Skateboardkultur dar (vgl. Cantin-Brault, 2015, S. 65). Darüber hinaus berührt die Aufnahme in das Programm der Olympischen Sommerspiele auch die Geschlechterverhältnisse in dieser traditionell männlich konnotierten Praxis (vgl. Atencio et al., 2016, S. 189-190), da sich im Besonderen Skateboarderinnen von der gleichberechtigten Teilnahme beider Geschlechter an den Wettbewerben eine dauerhafte Aufwertung ihrer Bewegungspraxis und damit verstärktes Sponsoring für professionelle Fahrerinnen erhoffen. Auf der mit einer Versportlichung neu entstehenden Ebene der Funktionsträger scheinen sich allerdings zunächst flächendeckend die informellen Netzwerke der ›Old Boys‹ durchzusetzen, während die wenigen etablierten Skateboarderinnen unter Umständen nicht in hinreichendem Maße über das notwendige soziale und symbolische Kapital (im Sinne von Atencio, Beal & Wilson, 2009) verfügen, um bei der Besetzung von Funktionsrollen angemessen Berücksichtigung zu finden. Dem neunköpfigen Vorstand der für die Olympia-Vorbereitung zuständigen nationalen Sportkommission (SK SLB) gehört so mit der amtierenden Bundestrainerin der Frauen nur ein weibliches Mitglied an und unter den aktuell vierzehn Fachwarten findet sich ebenfalls nur eine Skateboarderin. Nur am Rande sei notiert, dass die schon seit einiger Zeit anhaltende Pround-Contra-Diskussion in der Szene vor rund zwanzig Jahren in dieser moderaten Form kaum denkbar gewesen wäre, weil die bloße Vorstellung olympischen Skateboardings seinerzeit wahlweise ausgelassene Heiterkeit oder blankes Entsetzen über den vermeintlichen Ausverkauf aller Ideale ausgelöst hätte. Bemerkenswert ist ferner, dass sich bei der Debatte über die Olympischen Spiele zwei Ebenen unterscheiden lassen: »Auf der einen Seite geht es um die Frage, wer legitimer Vertreter der Skateboarder sein kann. Auf der anderen Ebene wird diese Frage kategorisch abgelehnt, da eine Vertretung des Skateboardings konzeptionell nicht denkbar sei.« (Schweer, 2014, S. 128)
In diesem Sinne versucht die Skateboard-Community mit der Einleitung notwendiger organisatorischer Schritte für die Olympia-Teilnahme gewissermaßen eine Quadratur des Kreises. Zunächst ist in der Tat völlig unklar, wer aus wel-
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chen Gründen legitimiert ist, für die Bewegungskultur des Skateboardens zu sprechen (vgl. auch Brixey, 2012; Schweer, 2014, S. 127-138). Da eine allgemein akzeptierte Dachorganisation fehlt und Prozesse der demokratischen Willensbildung innerhalb der facettenreichen Community nur schwer in Gang zu setzen sind, aber gleichzeitig zeitnah Ansprechpartnerinnen und -partner für den organisierten Sport gefunden werden müssen, scheint das die Stunde funktionierender Netzwerke zu sein, die schnell ihre Bereitschaft zur Mitwirkung bekunden, unter der Ägide des Deutschen Rollsport und Inline Verbands (DRIV) selbständig Fachwarte ernennen und dann auch von der verantwortlichen Fédération Internationale Roller Sports (FIRS) ein Mandat für die Auswahl der Athletinnen und Athleten erhalten haben. Eine solche Auswahl und die damit verbundene Aufnahme in den so genannten Perspektiv- und Aufbaukader gestaltet sich ebenfalls schwieriger als in traditionellen olympischen Sportarten, da in Ermangelung von nationalen Ranglisten nur mehr oder weniger ›weiche‹ Kriterien für die Berufung in das erste ›Skateboarding Olympia Team Deutschland‹ zur Anwendung kommen. Jenseits der organisatorischen Besonderheiten und selbstgebastelten Qualifikationskriterien steht aber die Frage im Mittelpunkt, ob und inwieweit die olympischen Wettbewerbe in den Disziplinen Park und Street die Skateboardkultur nachhaltig verändern werden. Nach meiner Einschätzung setzt der Auftritt bei Olympia nur jene Entwicklungstendenz fort, die spätestens seit der Etablierung der X Games in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wirksam zu sein scheint: Es kommt zu einem verstärkten Nebeneinander von professionellem und subkulturellem Skateboarding, wobei die Grenzen zwischen beiden Formen fließend sind und nach wie vor enge Wechselbeziehungen zwischen den Bereichen bestehen. Darüber hinaus ist Szenekommunikation auch schon lange vor der temporären Olympia-Teilnahme häufig in Markenkommunikation übergegangen (vgl. hierzu Schwier, 2008) und es bleibt abzuwarten, welche sinnstiftenden Erzählmotive des Skateboardings in der alltäglichen Handlungspraxis der lokalen Szenen nach den olympischen Skateboard-Events wirksam werden. Unter Bezugnahme auf Goffmans (1983) Studien zur Selbstdarstellungspraxis im Alltagsleben konstatieren Beal & Weidman (2003), dass der öffentliche Raum von Skateboardern sowohl als Vorderbühne – auf der man dem vorbeiflanierenden Publikum die eigene Praxis präsentiert – als auch als Hinterbühne genutzt wird, auf die Akteure ihren authentischen Stil, ihr Selbstverständnis, ihre Interpretationen der Praktik und ihre Orientierungen gemeinschaftlich und füreinander weiterentwickeln:
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»Authenticity for skateboarders is not determined by a successful front-region performance for a general audience, whereby the general audience grants authenticity to the skaters. Rather, authenticity is proven in the back region through an internalization and public display of the norms and values of the skateboard culture, which are really recognizable only to other experienced skateboarders.« (Beal & Weidman, 2003, S. 351)
Angesichts dessen spricht einiges für die Annahme, dass auch die Olympischen Spiele dem Skateboarding nicht nur eine mit bunten Sponsorenlogos gepflasterte Vorderbühne bieten, sondern von den Akteuren zugleich als Hinterbühne entworfen werden, auf der die Eingeweihten aus der olympischen Athletenrolle fallen, dem Stil treu bleiben und Wissen austauschen, das nicht öffentlich werden soll (z.B. Stichwort Cannabis-Konsum). Eine Besonderheit dieser SkateboardKörper besteht nicht zuletzt darin, dass in sie sowohl subkulturelle, hedonistischexpressive Bewegungsvorstellungen als auch rationale Strukturen des olympischen Sports eingeschrieben sein werden. Alternative Auslegungen des olympischen Gedankens sind daher nicht weniger wahrscheinlich als das Sich-Einfügen in den Showsport. Im Vorfeld der Olympischen Spiele von Tokyo 2020 sowie auch nach deren Austragung werden sicherlich neue – widerspenstige und sportive – Erzählungen des Skateboardings hervorgebracht, die die Skateboardkultur in Bewegung halten.
G O L ONGBOARDING Die historische Entwicklung der Longboard- und Skateboard-Szenen sind eng miteinander verwoben und weisen diverse Wellenbewegungen auf, wobei das seinerzeit vor allem als Downhill-Variante praktizierte Longboarding (Bretter in der Länge zwischen 80 und 150 cm) spätestens seit Ende der 1980er Jahre durch die Karriere des Skateboardens in jugendkulturellen Kontexten einen Bedeutungsverlust sowie einen erheblichen Rückgang der Aktiven hinnehmen musste. Ausgehend von den USA ist es jedoch im Verlauf des letzten Jahrzehnts zu einer Neubelebung dieser Praxis gekommen, die sich auch in Deutschland beobachten lässt und unter anderem mit der Etablierung entsprechender Medienerzeugnisse sowie der Gründung von Longboard-Vereinen einhergeht. Mitverantwortlich für den neuerlichen Aufschwung der Longboardszene dürften von Rollbrettfahrern selbst erstellte und auf Plattformen wie You Tube verbreitete Videos ihrer Aktivitäten gewesen sein, die zahlreiche Jugendliche erst zu einem Erproben dieser Praxis motiviert haben. Die ›Go Longboarding‹-Videos auf You Tube verzeichnen so beispielsweise bis zu 12,5 Millionen Zugriffe. Derartige Internet-Videos
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inszenieren aber nicht nur den Faszinationsgehalt und die Ästhetik des Longboardings, sondern werden von den Szeneangehörigen auch für die handelnde Auseinandersetzung mit der Fahrtechnik und den Fahrstilen genutzt (vgl. Schäfer, 2015). Der relativ einfache Einstieg über das Cruisen – verstanden als eher gemächliches Umherfahren mit dem Rollbrett auf asphaltiertem Untergrund – und die Weiterentwicklung des Materials (z.B. Double-Kick-Longboards) begünstigen sicherlich ebenso die wachsende Popularität des Longboardens wie dessen Anschlußofferten für andere jugendliche Bewegungskulturen (vor allem Surfen und Snowboarding). Das Longboard spricht jedoch neben Akteuren aus anderen Boardsportarten auch weitere Jugendliche und junge Erwachsene an, die dessen subkulturellen Habitus schätzen, sich gern selbstorganisiert im Freien bewegen wollen und nach einem zeitgemäßen Fortbewegungsmittel mit Coolness-Faktor suchen. Wie alle Boardsportarten signalisiert auch das Longboarding, dass man in der leiblichen Auseinandersetzung mit dem Brett und dem gewählten Aktionsraum an seine Grenzen kommen und doch ganz bei sich bleiben kann, wobei sich das Longboard gelegentlich als »gnadenloser Interaktionspartner« (Gugutzer, 2012, S. 129) erweist. Die damit eng verbundene Rückbesinnung auf die eigene Körperlichkeit scheint ferner in der komplexen Gegenwartsgesellschaft unmittelbar Sinn zu machen, weil sich der Körper gewissermaßen als Fluchtpunkt eignet, an dem »sich individuelle und kollektive Sinnansprüche festmachen lassen« (Bette, 2011, S. 91). Diese Attraktivitätsgewinne schlagen sich folgerichtig in höheren Verkaufszahlen von Longboards nieder, wobei »gerade die Vielfalt und Differenzierung des Angebots innerhalb der Hardware« (Timpen, 2013, S. 24) zugenommen hat. Im Zuge dieser Neubelebung ist es in Deutschland ferner zu einer regional unterschiedlichen Präferenz für bestimmte Ausrichtungen des Stils gekommen: Während in manchen Städten bzw. Regionen der Fokus eher auf dem Freeride oder dem Dancing liegt, stehen in anderen Orten eher der so genannte Surferoder Skaterstyle im Vordergrund. Die Beschreibung eines ›typischen‹ Longboarders ist somit letztlich kaum möglich, da sich die szenetypischen Merkmale der regionalen Gruppen und einzelnen Disziplinen (z.B. Kleidungs- und Musikvorlieben) unterscheiden. Eine Gemeinsamkeit der verschiedenen Szenen besteht allerdings darin, dass sie das Longboarding eher als Lebensstil begreifen und – neben der Kommunikation über sozialen Medien – häufig die lokalen Shops als Treffpunkte aufsuchen. Mit Blick auf die Wiederbelebung des Longboardings in Deutschland scheint die These nicht ganz abwegig zu sein, dass die heterogenen Longboard-Szenen
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in der Regel nicht nur andere urbane Räume als die Skateboarder aufsuchen, sondern darüber hinaus auch stilistische Differenzen zum Skateboarding kultivieren. In einer Zeit, in der zumindest Teile der Skateboard-Szene an einer Versportlichung ihrer zunehmend athletischen, akrobatischen und kompetitiven Praxis mitwirken, postuliert die Wiederbelebung des Longboardings immer auch eine Rückkehr zu den Anfängen des Rollbrettfahrens als Bewegungskunst. Die Mehrheit der Szeneangehörigen favorisiert so mit dem Cruisen und/oder Dancing – eine Disziplin, bei der man während des Fahrens auf dem Board tänzerische Schrittfolgen bzw. Tricks ausführt – eher mehr oder weniger entschleunigte oder ästhetisch-kreative – in jedem Fall jedoch sportferne – Stilrichtungen. Dies gilt mit gewissen Einschränkungen sicherlich ebenfalls für die Disziplin Freeride, bei der die Freude an der Bewegung und dem gemeinsamen Fahren ohne jede Wettbewerbsorientierung im Vordergrund stehen (vgl. Timpen, 2013). Und während beispielsweise im Bereich des Surfens die neue Variante des Stand Up Paddling mit einsetzender Popularisierung umgehend eigene Events, Contest-Serien, Verbände sowie Lizenzierungen entfaltet hat, findet eine vergleichbare »Eventisierung« (vgl. Schwier, 2016, S. 113-115), Professionalisierung und Versportlichung des Longboarding im deutschsprachigen Raum bislang nicht statt. Pointiert formuliert: Wo das Skateboarding mit der Olympischen Bewegung und deren Verwertungskette kokettiert, gibt sich das Longboarding betont lässig, unbekümmert und ›Old School‹. Die kreativen Dancemoves und das entspannte Cruisen auf urbanen Asphaltflächen sind jedenfalls noch meilenweit entfernt von olympischer Symbolik und olympisches Zeremoniell.
F AZIT Aus meiner Sicht spricht einiges für die Annahme, dass Skateboarden sowohl eine in weiten Teilen subkulturell geprägte Bewegungskunst als auch ein durchkommerzialisierter Showsport sein kann. Selbstermächtigung und Selbstoptimierung bilden dabei mitunter zwei Seiten derselben Medaille. Postuliert wird damit sowohl ein wechselseitiger Wirkungszusammenhang vom Profisport Skateboarding und den widerspenstigen Praktiken der lokalen Skateboard-Gemeinschaften als auch zwischen diesen Szenen und dem von Marken sowie Medien gebildeten Vermarktungskomplex. Jeder Schub in Richtung kommerzieller (Hochleistungs-)Sport ruft hierbei nahezu automatisch Gegenbewegungen (z.B. DIY Skateparks) und Ausweichbewegungen (z.B. Renaissance des Longboarding) auf den Plan, die selbstverständlich unverzüglich auf dem Radar des Jugendmarketings auftauchen und in entsprechenden Kampagnen ihren Nieder-
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schlag finden (u.a. Red Bull DIY). Bedeutungsbildende Prozesse, die das Rollbrettfahren aus dem sportlichen Verwertungszusammenhang auszugliedern suchen und dessen widerspenstiges Potenzial wieder zum Leben erwecken wollen, lassen sich gemeinhin Schritt für Schritt in Marketingbotschaften und Eventserien übersetzen. Die Gemeinschaften der Skateboarderinnen und Skateboarder sind in gewisser Hinsicht – freiwillig oder unfreiwillig – Stichwortgeber der Markenkommunikation und des kommerziellen Sports. Die vielfachen Verflechtungen zwischen Bewegungskultur und Ökonomie durchziehen eben auch die Repräsentationen des Skateboardens und die Skateboardkultur ist mit ihrer Tendenz zur Selbstmediatisierung aktiv an diesen Vermarktungsprozessen beteiligt (vgl. Schwier, 2006, S. 322; Schäfer, 2015, S. 165-166). An dieser Stelle liegt es nahe sich auf eine Denkfigur von De Certeau (1984) zu beziehen, der die populäre Kultur als eine zwischen Produktion und Konsum gelegte Handlungspraxis, als eine »art of being in between« (De Certeau (1984, S. 32) charakterisiert. Die Skateboardkultur ist also immer eine Arena symbolischer Kämpfe zwischen den Interessen der Marken sowie Medien und denen der sozialen Akteure und Gemeinschaften. Im Verlauf solcher symbolischen Kämpfe stellen sich fortlaufend Fragen des Stils und zwischen »urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf« (Schweer, 2014, S. 167) entstehen gegebenenfalls neuartige Haltungen, Aktionsformen sowie subkulturelle und hegemoniale Inszenierungsweisen. Die Kunst des Dazwischenseins besteht beim Skateboarding aus diesem Blickwinkel im geschickten Manövrieren zwischen widerspenstiger Bewegungspraxis, Corporate Branding und olympischem Geist. Diese Kunst ist flüchtig, spröde und kommt wohl nur in der gemeinschaftlich gelebten Bewegungspraxis zur Geltung.
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Von Treppen und Treppchen. Skateboarding und Olympia: Stationen einer 50-jährigen Debatte Eckehart Velten Schäfer
E INLEITUNG Seit sich die Aufnahme des Skateboardfahrens in das olympische Programm ankündigt, erfährt es gesteigerte Aufmerksamkeit – und herrscht ein gewisses Erstaunen: Der Bayerische Rundfunk etwa stellt »Style« und »Freiheit« den »Regeln« von Olympia gegenüber (Pietschmann, 2016). »Kann das wirklich gut gehen?«, fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Eder, 2015). Auch Die Zeit räsoniert über die Widersprüche zwischen Olympia und einer Praktik, der es um »Lifestyle« statt »Sport« gehe (Hartmann, 2014) und weiß von Szene-Widerständen gegen »Kommerzialisierung« und einen »Ausverkauf der Coolness«. Worauf aber verweist dieser Gemeinplatz? Unterscheidet sich Skateboarding tatsächlich so kategorisch vom klassischen Sport? Gilt das für seine gesamte, bald sechs Jahrzehnte umfassende Geschichte? Die rhetorische Frage verrät die These dieses Aufsatzes: Die Praktik, die sich seit dem Auftauchen der ersten Bretter im amerikanischen Spielwarenhandel der späten 1950er Jahre mehrfach fundamental transformiert, pendelt in ihrer Geschichte zwischen geradezu sportfeindlichen und durchaus sportkompatiblen bewegungskulturellen Formaten. Vor diesem Hintergrund ist die jetzige Olympisch-Werdung schon weniger erstaunlich. Und tatsächlich war ein olympisches Skateboardfahren schon vor dem 2016 verkündeten Vollzug mehrfach Thema in der Praktik – nämlich 1964, 1976, 1984 und 2007.
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Dieser Aufsatz soll skizzieren, inwiefern und wann Skateboarding dem klassischen Sport, dessen Spitzenevent die IOC-Spiele sind, jeweils näher oder ferner steht. Dazu ist erstens ein Instrumentarium nötig, mittels dessen sich seine Transformationsgeschichte rekonstruieren lässt. Ein solches bieten Elizabeth Shove, Mika Pantzar und Matt Watson in ihrem Modell der »Dynamics of Social Practice« (Shove, Pantzar & Watson, 2012). Sie verstehen soziale Praktiken als aktive Integration dreier »Elemente«, nämlich Kompetenzen, Materialien und Bedeutungen. Zweitens braucht ein solches Unterfangen ein Modell, anhand dessen ›Sportnähe‹ oder ›Sportferne‹ zu diagnostizieren ist. Ein solches ist in Form des 2004 von Günter Gebauer, Thomas Alkemeyer, Bernhard Boschert, Uwe Flick und Robert Schmidt publizierten Berichts des Sonderforschungsbereichs 447 – »Kulturen des Performativen« – zur Hand, der neben Arbeiten von Jürgen Schwier (1998; 2000) im deutschsprachigen Raum um die Jahrtausendwende die soziologische Debatte über neuartige bewegungskulturelle Praktiken systematisierte und vorantrieb. Im Folgenden wird zunächst im Anschluss an Shove et al. kurz erläutert, was genau im Hinblick auf Skateboarding unter »Kompetenzen«, »Materialien« und »Bedeutungen« zu verstehen ist – und wie sich anhand dessen im Sinne von Gebauer et al. ein Schema erarbeiten lässt, das ›sportnahe‹ und ›sportferne‹ Gestalten des Skateboardfahrens pointiert voneinander absetzt (Kapitel 1). Vor diesem Hintergrund wird anschließend in drei Kapiteln (die ›Debatten‹ von 1964 und 1976 sowie von 2007 und 2016 lassen sich jeweils systematisch zusammenlegen) dargelegt, inwiefern ein Olympiasport Skateboarding zu diesen Zeitpunkten nahe lag – und woran diese Vorstöße scheiterten (Kapitel 2, 3 und 4). Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und wird ein Ausblick darauf gegeben, wie sich dieselben in gesellschaftstheoretischer Draufsicht diskutieren lassen (Kapitel 5).
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Was also sind die »Elemente« von Skateboarding? Unter »Kompetenzen« verstehen Shove et al. (2012, S. 14) »skill, know-how, and technique« (S. 23), also verschiedene Wissensformen zwischen implizitem Wie-Wissen und reflektiertem, verstehendem Wissen. »Materialien« sind »things, technologies, tangible physical entities and the stuff of which objects are made«, ferner »infrastructures, tools, hardware and the body itself« (ebd.). Als »Bedeutung« sprechen Shove et al. (2012) all das an, was sich explizit und implizit von einer Praktik erwarten lässt, was ihre Teilnehmer/-innen motiviert und die Praktik sozial er-
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kennbar macht. Explizite Bedeutungen umfassen demnach »symbolic meanings, ideas and aspirations«; gemeint ist hier die »social and symbolic significance of participation at any one moment«, also die sozial geregelte Repräsentationsweise einer Praktik. Implizite Bedeutung ist das, was Theodore Schatzki (1996, S. 89) »teleoaffektive Strukturen« nennt, also unwillkürliche mentale Aktivitäten, Emotionen und Motivlagen – kurzum das verkörperte Trachten, das eine Praktik bestimmt. Mit Blick auf eine sportive Praktik empfiehlt es sich nun, diese Klassifikation (die nicht substanziell, sondern als Analysestrategie zu verstehen ist) etwas umzuarrangieren: Unter dem Rubrum der »Kompetenzen« ist hier naheliegenderweise der körperlich-sinnliche Vollzug zu untersuchen, also die konkreten Bewegungen, die die Praktik ausmachen. Nicht zu trennen sind von diesen aber die impliziten Bedeutungen, die ihnen ›Sinn‹ geben – also jene teleoaffektiven Orientierungen. Als »Materialien« sind die unterschiedlichsten Stoffe, Artefakte und Infrastrukturen relevant – von der Beschaffenheit der Bretter und Rollen über Schutzausrüstung bis hin zur Videotechnik, die in der Geschichte der Praktik eine erhebliche Rolle spielt (vgl. Schäfer, 2015a). Das Folgende konzentriert sich aber auf die Terrains der Praktik, also die gebauten Artefakte, die das materielle Substrat jener Kompetenzen sind. Als »Bedeutungen« schließlich bleiben, wenn man die implizite Sinnebene den »Kompetenzen« zuschlägt, ausdrückliche Deutungen der Praktik. Wie sich nun in dieser letztgenannten Dimension ›Sportferne‹ oder ›Sportnähe‹ äußert, bedarf keiner Erläuterung: Zu bestimmten Zeitpunkten wird die Praktik von innen wie außen als ›antisportlich‹ oder ›subkulturell‹ repräsentiert, in anderen Phasen gilt sie durchaus als Sport. Wie aber lassen sich diese Pole hinsichtlich der Materialien, hier also der Terrains rekonstruieren? In ihrer modellhaften Absetzung der sogenannten Neuen Spiele1 vom klassischen Sport blicken Gebauer et al. zunächst auf das 19. Jahrhundert. In dieser Zeit entstehe nicht nur ein relativ autonomer »Raum des Sports« als gesellschaftliche Einheit, sondern manifestiere sich diese topologische Differenzierung auch topografisch: Volkstümliche »Vorformen des Sports« bildeten noch keinen »sozialen Sonderraum« und setzten sich auch nicht raum-zeitlich vom Alltag ab. Der moderne Sport hin-
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Gebauer et al. (2004) setzten die Neuen Spiele hauptsächlich anhand von Triathlon und Inlinehockey auf einem öffentlichen Platz von Sportarten wie Hallenhandball ab, erwähnen aber auch Skateboarding. In anderen Texten aus dem Diskussionszusammenhang des SFB 447 geht es um Freiklettern, Gleitschirmfliegen und Snowboarding (vgl. Stern, 2010) sowie wiederum auch Skateboarding (vgl. Schmidt, 2002; Alkemeyer & Schmidt, 2003).
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gegen basiere auf Entmischung: »Seine Hallen und Stadien lösen Körperbewegungen aus ihren alltäglichen Funktionszusammenhängen heraus, um sie zu eigenständigen, selbstzweckhaften sportiven Bewegungsformen zu stilisieren«, wobei »Akteure und Zuschauer scharf« getrennt würden (Gebauer et al. 2004, S. 28). »Inline-Skater, BMX-Radfahrer, Skateboarder, Streetballer oder Inlinehockey-Spieler« (Gebauer et al., 2004, S. 25) hingegen höben diese »Verhäuslichung« und den damit verbundenen »Niedergang des urbanen Straßenspiels im Zuge der ökonomischen Nutzung des Straßennetzes« (ebd., S. 28f) auf. Sie vollführten ihre »Bewegungskünste« etwa in Fußgängerzonen, auf Marktplätzen, vor Repräsentationsbauten und auf den »Asphaltflächen verlassener Industrieanlagen«. Solche Orte müssten »erobert, als Spiel-Räume markiert, definiert und gestaltet« werden, womit eine Auseinandersetzung mit deren Funktionen, Diskursen, »Mythologien und materiale[n] Widerständigkeiten« einhergehe (ebd., S. 26). Insofern bezögen sich auch die körperlich-sinnlichen Horizonte der Bewegungen solcher Praktiken auf etwas anderes als den Sport-Code von Sieg und Niederlage. Während »der Körpereinsatz im traditionellen Sport primär instrumentell und auf ein Ergebnis gerichtet« sei, seien die Bewegungen der Neuen Spiele »verlaufsorientiert, experimentierend und fließend« (Gebauer et al., 2004, S. 119). Sie zielten also nicht auf ein irgendwie zählbares, objektiviertes und daher mit wettkampfförmig vergleichbares Resultat, sondern zuerst und zuletzt auf das sinnliche Erlebnis des Vollzuges: In »Bewegungen wie Gleiten und Drehen, durch hohe Geschwindigkeiten« würden »Gefühle des Losgelöstseins, des beherrschten Rausches hervorgerufen« (ebd.) und angestrebt – und übersetzte sich dieses ›innere‹ Erleben einer gelungenen Bewegung in eine sozial erkennbare Bewegungsästhetik. Obwohl auch solche die Bewegungen viel Übung erfordern, zerfalle ihr Vollzug nicht in den ›Ernstfall‹ des Wettstreits und ein ›Training‹ im Sinne einer quasiwissenschaftlichen Perfektionierung. Die Neuen Spiele seien dergestalt nicht disziplinär formatiert, sondern appellierten an Expressivität. In diesen Praktiken einer »präsentatorisch-inszenatorischen« Sportivität (Schmidt, 2002, S. 31), die sich auch als »U-Sport« im Gegensatz zu einem »E-Sport« fassen lassen (vgl. Schäfer & Alkemeyer, 2018, S. 81f), sind also nicht Meter, Sekunden oder Punkte distinktiv, sondern die Fähigkeit, den Spirit der Praktik authentisch aufführen zu können, also – wie Gebauer et al. ihren Band betiteln – eine erleb- wie erkennbare »Treue zum Stil«. Stil sei dabei weit mehr als eine B-Note, wie man sie aus dem Eiskunstlauf oder Skispringen kennt. Während diese Haltungsnoten nach einem klaren Krite-
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rienkatalog2 – waren die Beine beim Rittberger geschlossen, wurde eine Telemark-Landung gesetzt? – die Ausführung vorgegebener Bewegungen vermessen, sei das »Stil-Können« der Neuen Spiele »nicht an Standardisierung und objektiven Leistungsvergleich rückgebunden« (Stern, 2010, S. 153). Mehr noch: In den Neuen Spielen nehme jene informelle, schwer zu verbalisierende, aber stets erkennbare Stilechtigkeit die Rolle ein, die im Sport formale Strukturen wie Vereine innehaben: Sie sei das Medium der Vergemeinschaftung von Teilnehmer/-innen, die sich wie die Fanszenen der Popmusik zu transnationalen StilKulturen zusammenfänden.
E IN GUT › MESSBARER S PORT ‹ (1964/1976) Demnach entziehen sich Praktiken wie Skateboarding einer formalisierten Sportlogik, indem schon ihre Bewegungen einen objektivierten Leistungsvergleich unterlaufen. Dieser Zusammenhang klingt im eingangs zitierten journalistischen Wissen über den Gegensatz zwischen »Styles« und »Regeln« an. Insofern ist es zunächst erstaunlich, dass im Skateboarding ein olympischer Anspruch keineswegs erst in jüngeren Jahren erhoben wird, sondern fast so alt ist wie die Praktik selbst: Bereits in der 1965 erschienenen Nullnummer des Quarterly Skateboarder, der ersten Skateboard-Zeitschrift, wird über eine IOC-Aufnahme spekuliert – und dies, ganz im Gegensatz zum gerade Geschilderten, mit einer intrinsischen Neigung der Praktik zu sportlichem Vergleich begründet (vgl. Brooke, 2005, S. 33). Hintergrund dessen ist, dass Skateboarding entgegen einem populären Vorwissen in den 1960er und 1970er Jahren keineswegs nur als ›Wellenreiten an Land‹ entsteht. Vielmehr zerfällt es in zwei Bereiche: ein (nach heutigem Verständnis etwas irreführend) Freestyle genanntes Kunst- und Figurenfahren sowie Racing, also Slalom und Downhill. Verarbeitet werden dabei Bewegungen aus einem breiten Spektrum von Quellpraktiken. Ist besonders das Slalomfahren, während der 1970er Jahre die Königsdisziplin, vom Skisport beeinflusst, mischen sich im Figurenfahren Bewegungen turnerischer oder eis- bzw. rollkunst-
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Im Skispringen zum Beispiel fallen laut Stern (2010, S. 169) die Haltungsnote und die objektive Leistung der Sprungweite tendenziell in eins, da als gute Haltung in der Flugphase Körperbewegungen prämiert würden, die im Allgemeinen auch der Sprungweite förderlich seien.
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läuferischer Provenienz3 mit Tricks aus dem Wellenreiten der 1960er Jahre4. So ordnet das erwähnte Editorial im Quarterly SkateBoarder die Praktik zwischen Ski und Surfing ein: »It’s similar in many ways to surfing and to skiing, not only in maneuvers and techniques […]«. Gegenüber dem – nun auch olympischen – Surfing aber sei Skateboarding der »[…] more ›measurable‹ sport […] and therefore lends itself more to competition: In the slalom there is no question on who the winner is […]. Flatland […] performance will be a matter of judgement but at least the asphalt isn’t moving – everyone gets an equal opportunity.« (Brooke, 2005, S. 33)
Dieser sportorientierten Fahrweise entspricht besonders in den 1970er Jahren eine Tendenz zu den Organisationsformen des Sports. Natalie Porter (2014, Pos. 101) beobachtet »a real drive to establish and legitimize skateboarding as a sport with defined rules, associations, and competitions«. Auch in der Bundesrepublik gibt es zu dieser Zeit starke Ansätze einer sportförmigen Rahmung. Das organisierte Wettkampfgeschehen setzt 1976 mit einer Bayerischen Meisterschaft ein, die der Skateboard-Club Tegernseer Tal e.V. veranstaltet (vgl. Stauder, 1977, S. 115). Kurz darauf ziehen die »Ersten Nationalen Münchner Skateboard-Meisterschaften« bereits »mehrere Tausend Zuschauer« (ebd.) an. In München entsteht der – kurzlebige – Dachverband Deutscher Skateboardfahrer (DDS) sowie die Europäische Skateboard Association (ESA). Nach der Auflösung dieser Verbände übernimmt 1978 der Deutsche Rollsportbund (DRB) den Wettkampfbetrieb (vgl. Seewaldt, 1990, S. 25). Dass die Praktik zu dieser Zeit derartige Strukturen ausbildet, hängt stark mit ihren Terrains zusammen, die den von Gebauer et al. beschriebenen Charakteristika kaum entsprechen. Schon das Figurenskaten findet durchaus nicht nur auf öffentlichen Plätzen statt, sondern – zumindest in der Bundesrepublik und West-
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Zum Beispiel Kraftübungen wie der sogenannte L-Sit, bei denen sich die Fahrer/innen mit den Händen auf dem langsam rollenden Brett abstützen, bis im Verhältnis von Ober- und Unterkörper ein rechter Winkel entsteht – im Barrenturnen nennt man dies Winkelstütz – oder Hand- sowie Kopfstandfahrten und der sogenannte Christie, der in deutschsprachigen Skateboardlehrbüchern dieser Zeit auch als Seitenwaage bezeichnet wird.
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Zum Beispiel der sogenannte Nose Wheelie, bei dem beide Füße auf dem Bug (Nose) des Brettes stehen, sodass beim fahren die Hinterachse angehoben werden kann – diese Geschicklichkeitsübung geht auf den Hang Ten der Wellenreiter/-innen zurück, bei dem das Brett vom Bug aus gesteuert wird.
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europa – auch in Turnhallen (vgl. Torbet, 1977, S. 46). Erst recht aber verlangen die Racing-Disziplinen nach abgesperrten ›Pisten‹ und somit entweder nach vom sozialen Leben funktional getrennten Zweckanlagen – die zuweilen sogar über Schlepplifte verfügen (vgl. Tietz, 1989, S. 690) – oder nach Rechtspersonen, die etwa die sonntägliche Sperrung einer geeigneten Seitenstraße erwirken können. Die vereins- und verbandsförmige Verräumlichung der Praktik konstituiert sich dabei nicht nur in den Örtlichkeiten dieser Pisten, sondern auch in deren Oberflächen: Skateboardlehrbücher der 1970er Jahre verbreiten international weitgehend deckungsgleiche Richtlinien, die das Setzen von Slalomkursen bis in die Details regeln. Diese Kurse – und mit ihnen die Bewegungen der Fahrer/-innen – sind in einem noch höheren Maß standardisiert als etwa im Ski-Weltcup, wo sie sich von Hang zu Hang und Lauf zu Lauf unterscheiden (vgl. Torbet, 1976, S. 114f). So liegt es nahe, dass sich die Olympia-Ambitionen nach 1965 noch weiter verdichten. Bereits Mitte der 1970er Jahre kolportieren US-Massenmedien Gerüchte, Skateboarding könne ins Programm der Spiele von 1980 aufgenommen werden (vgl. Yochim, 2010, S. 48).
E IN ATEMZUG O LYMPIALUFT (1984) Nun ließe sich argumentieren, dass dieses »sixties paradigm of skateboarding« (Peralta, 2001, 00:49:12) für die spätere Entwicklung irrelevant sei. Tatsächlich setzt in den späteren 1970er Jahren, zunächst parallel zum Racing- und Figurenskaten, eine Transformation der Praktik ein, die diese ›prähistorische‹ Phase in der Rückschau vergessen macht. Es entsteht – nun tatsächlich im Rückgriff auf Manöver des gegenüber den 1960er Jahren viel dynamischer gewordenen Wellenreitens, bald jedoch über dessen Repertoire weit hinausgehend – eine schnell dominant werdende Fahrweise, auf die jene im SFB 447 entwickelten Charakteristika des Körpereinsatzes in den Neuen Spielen zunächst voll zutreffen. Vornehmlich in den ›gefundenen‹ Steilwänden jener in der Szene mythologisierten trockenen Swimming Pools5 experimentieren Skateboarder/-innen nach
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In den späteren 1970er Jahren gibt es besonders in den USA zunächst auch Zweckanlagen, die diese Backyard Pools nachempfinden. Diese müssen allerdings wegen versicherungsrechtlicher Probleme bis 1980 mit wenigen Ausnahmen geschlossen werden (vgl. Borden, 2001, S. 175; Brooke, 2005, S. 66).
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Vorbild des sogenannten Dogtown Style6 mit ungekannten Bewegungen in einem neuen, vertikalen Spielraum. Ein repetitives ›Aufschaukeln‹ in einander gegenüberliegenden Wänden ermöglicht ab etwa 1976 das Spiel auf und über deren Kanten. Wie verlaufsorientiert statt ergebnisbezogen die dabei entstehenden Manöver sind, verraten bereits ihre Namen: So ist etwa die Bezeichnung Grind für das malmende Rutschen der Achse auf der Kante nicht nur lautmalerisch, sondern benennt auch eine – im Jargon oft als aggressiv spezifizierte – Haltung (vgl. Brooke, 2005, S. 57). Charakteristisch für den Übergang zu diesem Steilwandskaten, der auch als Subkulturalisierung oder »Pop-Werdung« (Schäfer & Alkemeyer, 2018) der Praktik aufgefasst werden kann, ist zudem eine intime Beziehung der Körperbewegungen zu einem bestimmten popmusikalischen Stil, nämlich Punk/Hardcore. Im Einzelnen rekonstruiert Butz (2012) diese Motorik von »Skate Punk«. Augenfällig wird auch sie anhand von Bewegungsbezeichnungen: So gibt es im vertikalen Skateboarding ein Manöver namens Rock ’n’ Roll und eines namens Pogo – und wie in der Musik ist dieses die Steigerung von jenem. Diese Fahrweise, der es nicht um die objektivierbare Perfektionierung eines Bewegungskataloges geht, sondern um das Hervorbringen zunächst kaum hinsichtlich ihrer Schwierigkeit hierarchisierbarer neuer Bewegungen und die ›Leistung‹ als ›authentisches‹ Verkörpern eines Punkrock-Ethos buchstabiert, ist nun tatsächlich intrinsisch sportfern. Doch setzt schon in der ersten Hälfte der 1980er Jahre eine Tendenz zur Versportlichung ein: Die Bewegungsexperimente der Emergenzphase differenzieren sich in vier Manöverfamilien, nämlich Liptricks7, Airs8, Handplants oder Inverts9 und Footplants10 aus, innerhalb derer es jeweils Standard- und schwierigere Varianten gibt. So entsteht ein neuer Bewegungska-
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Der Name bezieht sich auf einen seinerzeit im Jugendslang als Dogtown bekannten, unterprivilegierten Stadtteil von Santa Monica im Großraum L.A., in dem diese Art des Skateboardfahrens ihren Anfang nimmt.
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Manöver, bei denen Achsen oder der Bauch des Brettes mit der Kante (Lip) spielen, zum Beispiel die oben erwähnten Grinds und Rock ’n’ Rolls.
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Manöver, bei denen die Fahrer/-innen mit Brett über die Kante hinausspringen und
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Manöver, bei denen die Fahrer/-innen in einer Kopfüberstellung das Brett mit einer
anschließend wieder in der ›Wall‹ landen. Hand an den Füßen halten, während die freie Hand sich auf die Kante stützt; nicht zu verwechseln mit dem statischen Handstand im älteren Figurenskaten, der auch ohne Skateboard eingeübt werden kann. 10 Manöver, bei denen an der Kante ein Fuß vom Brett genommen wird, um sich abzustoßen und ähnlich wie bei einem Air zu landen.
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non, der ›harte‹ Kriterien zur Bewertung eines Skateboard-Runs bietet: Werden Manöver aus allen Familien gezeigt – und welche? Gelingen schwierige Bewegungen direkt hintereinander, oder müssen sich Fahrer/-innen zwischen ihnen sammeln? Ein solches sportifiziertes Steilwandskaten hat etwa der Ex-Profi Tommy Guerrero im Blick, wenn er »Vert« im Rückblick auf die späten 1980er Jahre »pretty compulsory« nennt: »There was pretty much the same bag of tricks that everybody drew from, though some could do them longer, faster, higher, or more stylishly than others […]. ›Do a standard trick here and then this trick or that trick‹.« (Howell & Greeven, 2005, S. 29)
In einer Fahrweise, die mit dem »Länger« beim Halten eines Handplants, mit dem »Schneller« beim Fahren eines Grinds und dem »Höher« bei Airs traditionelle Kriterien sportlicher Leistung enthält – auch wenn diese bei Contests eher geschätzt als gemessen werden –, tendiert der Style durchaus wieder in Richtung einer B-Note, wenn auch der präsentatorisch-inszenatorische Grundcharakter der Bewegungen nie ganz zurücktritt. Dass aus den wilden Suchbewegungen in den Pools von Dogtown in wenigen Jahren eine standardisierte Fahrweise wird, die Platz hat für ein Höher, Länger und Schneller, liegt wiederum wesentlich an den Oberflächen und Örtlichkeiten des Terrains: Statt der Swimming Pools werden nun Halfpipes befahren, deren Oberflächen den ›gefundenen‹ Steilwänden zwar nachempfunden11, aber zum Skateboardfahren optimiert sind. Für die Fahrpraxis bringt dieser Umstand einen großen Unterschied: Jene Schwimmbecken sind extrem steil, unregelmäßig modelliert und von ›Störelementen‹ wie Abflussschächten, Leitern etc. durchzogen – so dass eine Line, die mit ausreichend Schwung in die Vertikale führt, erst einmal erarbeitet werden muss. Diese materiale Widerständigkeit zwingt zu einer experimentierenden und improvisierenden Fahrweise. Zudem lassen sich Runs in gefundenen Pools schon deshalb kaum überörtlich vergleichen, weil sich deren Wände und Schnitt im Detail erheblich unterschieden: Ein Manöver, das in einem Pool recht einfach zu vollführen ist, kann in einem anderen sehr schwer sein. In einer Halfpipe hingegen muss der Weg in die Vertikale nicht erst gesucht werden. Die weniger steilen, gleichförmigen Rundungen las-
11 Genauer ist die Halfpipe eine Kombination aus architektonischen Elementen jener Swimming Pools und Fullpipes – von Röhrenelementen, die im Kalifornien und Arizona der 1970er Jahre vielerorts im Rahmen großer Wasserwirtschaftsprojekte auf die Versenkung im Boden warten und sich so als vertikales Terrain anbieten (vgl. Schäfer, 2015b, S. 70).
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sen das Durchfahren der Wände als Herausforderung quasi verschwinden, die Fahrer/-innen können sich ganz auf das Manövrieren an der Kante konzentrieren. Zudem sind sich Halfpipes von Ort zu Ort sehr ähnlich, was der Standardisierung der Körpertechniken Vorschub leistet. Dass darüber hinaus das Aneignen von Schwimmbecken andere ›Tugenden‹ kultiviert als das legitime Befahren von Zweckarchitektur, liegt auf der Hand. Die Halfpipes der ausgehenden 1980er Jahre sind also das Gegenteil dessen, was Gebauer et al. als typischen Ort der Neuen Spiele beschreiben, nämlich eingehegte, vom Alltagsleben getrennte Sportplätze. Bereitgestellt werden sie hierzulande meist von Sport- oder Jugendkultur-Vereinen, in den USA stehen sie oft auf Privatgrundstücken – oder werden von Vereinigungen wie sogar dem erzkonservativen Verein Christlicher Junger Männer (YMCA) unterhalten. Gespiegelt und gefördert wird diese Transformation von einem ›subkulturellen‹ zu einem sportkompatiblen vertikalen Skateboarding in den Darstellungen der Praktik. Grob lässt sich sagen, dass das in den frühen 1980er Jahren gegründete Skatemagazin Thrasher eine ›subkulturelle‹ Version propagiert, während das etwas jüngere Transworld Skateboarding Magazine der Praktik ein ›sauberes‹, sportorientiertes Gepräge zu verleihen bemüht ist (vgl. Beal, 2013, S. 20f). Maßgeblich an diesem Mainstreaming interessiert und beteiligt ist in den USA die seit Mitte der 1980er Jahre wichtige National Skateboarding Association (NSA), die eine teils im Fernsehen übertragene Wettkampfserie organisiert und eine Rangliste führt. In der Bundesrepublik bleibt zunächst der – später in Deutscher Rollsport- und Inlineverband (DRIV) umbenannte – DRB als Organisator wichtig. In diesem Setting steigt Skateboarding zumindest in den USA erneut rasch zu einer durchaus populären Zuschauersportart auf. So verwundert es nicht, dass auch Olympia wieder Thema wird – und diesmal bereits sehr konkret: Eine Gruppe um den bis heute bekannten Skate-Star Tony Hawk zeigt ihr Können als Teil der Schlusszeremonie der Sommerspiele von 1984 auf einer im Olympiastadion von Los Angeles aufgebauten halfpipe-ähnlichen Anlage.
V ON ESPN
ZUM
IOC (2007/2016)
Dass diese von den kalifornischen Veranstaltern wohl als Ausblick auf eine Olympiainklusion gemeinte Aufführung zunächst in Vergessenheit gerät, liegt erstens am damaligen Sportverständnis des olympischen Expertensystems. Im deutschsprachigen Raum klingt älteren Skateboarder/-innen noch der nicht ganz falsche, aber sehr abfällige Fernsehkommentar im Ohr, bei der Rollbrettnummer
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handle es sich um »Show« und nicht um seriösen Sport. Es gibt zweitens aber auch einen endogenen Grund: Fünf oder sechs Jahre nach diesem ersten Atemzug olympischer Luft existiert die damals gezeigte Form von Skateboarding kaum noch. Auf Basis des Ollie, also des Abspringens aus der Horizontalen durch das Kicken des Hecks, wird um 1990 das bis heute landläufig bekannte Street Skateboarding zur dominanten Variante. Skateboarder/-innen lassen das Brett in vielfältiger Weise unter ihren Füßen wirbeln, springen auf oder über kleine und größere Hindernisse im Straßenland, grinden und sliden12 statt der Kanten vertikaler Wände nun Bordsteine, Parkbänke, Blumenkästen oder Treppengeländer – all jene Terrains, die Gebauer et al. in ihrem Modell vor Augen haben. Insbesondere in der Emergenzphase von Street Skateboarding bis etwa 1995 entziehen sich dessen Bewegungen – die nun statt zu Hardcore zu Hiphop passen – dem Modell des Sports wieder basal. Zunächst herrscht eine kleinräumige, hypertechnische und experimentierende Fahrweise vor, die ganz auf das Hervorbringen neuer Bewegungen und Bewegungsvarianten ausgerichtet ist. Als »Ziel« dieser Fahrweise beschreibt aus Teilnehmersicht Felix Hälbich (2008, S. 63) »immer schwierigere Manöver mit oftmals kaum noch nachvollziehbaren Kickflipvariationen«13, während »Geschwindigkeit und Stil in den Hintergrund« gerieten. Manche dieser hochkomplexen Bewegungen entstehen sicherlich sogar zufällig. Andere, so Hälbich, werden nur so lange versucht, bis sie sich als »Beweis« auf Video festhalten lassen – und danach »nie mehr gemacht« (ebd.). Vereine verlieren nun schon deshalb ihren Einfluss, weil sie zum Betreiben von Zweckanlagen nicht mehr gefragt sind. Ein solcher Bewegungsmodus ist aber schon per se sportfern, weil er sich kaum objektivieren lässt. Eine lokale Clique mag auf Curbs (Bordsteine) spezialisiert sein, eine andere auf Treppen – welche fährt ›besser‹? Der nun geradezu explodierende Variantenreichtum der Terrains und damit der Bewegungen geht mit einer in der Street-Generation zunächst weit verbreiteten Anti-Sport- und Anti-Wettkampfhaltung einher, die ein ›künstlerisches‹ Skateboard-Subjekt proklamiert. Der Thrasher trifft diese Stimmung und ihren praktischen Hintergrund, als er 1992 ein manifestartiges Stück unter der Überschrift »Contests suck« veröffentlicht:
12 Beim sogenannten Boardslide rutscht die Bauchseite des Brettes über ein Hindernis. 13 Ein Kickflip ist ein Ollie, bei dem das Brett während des Sprungs um seine Längsachse unter den Füßen gewirbelt wird. Kombinieren ließen sich diese Manöver u.a. mit Varials, also Drehungen um die Querachse.
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»How is it possible to judge something that comes from the soul? Where can you find qualified and unbiased observers to tabulate an art form? How can you process a large amount of skaters in a limited amount of space so they can best demonstrate their creative talents?« (N.N., 1992, S. 38).
Bereits die Raumnutzung des Skatens auf der Straße habitualisiert eine »Antidisziplin«, die etwa Horst Ehni (1998, S. 119) treffend beschreibt. Diese widerstrebt den raum-zeitlichen Reglementierungserfordernissen von Wettkämpfen zunächst so sehr, dass es für einige Jahre schwierig wird, solche überhaupt durchzuführen. Immer wieder enden Versuche einer wettkampfförmigen Formatierung von Street Skateboarding im Chaos. Zuweilen kommt es gar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Ordner/-innen und Skater/-innen, die sich nicht bereitfinden, den Parcours ›geordnet‹, also einzeln oder in bestimmten Gruppen zu nutzen, sondern einfach alle drauflosfahren (vgl. Schweer, 2014, S. 122; Schäfer, 2000). Diesen Umstand deutet Beal (1995) in einem viel zitierten Aufsatz als »social restistance«. Verstärkt werden diese antidisziplinären Haltungen zumal in den USA durch den Umstand, dass zeitgleich mit Street Skateboarding Stadtpolitiken von Zero Tolerance hegemonial werden, die deviante Raumnutzung drakonisch verfolgen (vgl. Lüdemann & Ohlemacher, 2002, S. 143ff; Chiu, 2009, S. 35). Darüber hinaus eignen sich die zunächst hypertechnischen Bewegungen des emergenten Street Skateboarding nicht für ein breiteres Publikum. Diese Sorge treibt auch die maßgeblichen ökonomischen Akteur/-innen der Skateboardszene um, die sich 1995 nicht zuletzt in der Absicht, die Praktik für Zuseher/-innen zugänglicher zu machen, zum Branchenverband IASC (International Association of Skateboard Companies) zusammenschließen. So heißt es im Protokoll eines Vorbereitungstreffens im Jahr 1994: »[…] Right now the general public can’t understand skateboarding. It’s too technical and too inconsistent. […] Right now skating does not look fun. […] We must encourage some change. Modern street skating is rad but we must add to it [...].« (IASC, 1994)14
14 Dieses Protokoll ist seit Jahren unter der Internetadresse www.dansworld.com/ meeting-html zugänglich. Der Autor hat versucht, seine Authentizität durch schriftliche Nachfragen bei als Teilnehmende genannten Personen zu verifizieren, Antworten blieben aber aus. Da das Dokument allerdings bereits bei Borden (vgl. 2001, S. 26) widerspruchslos zitiert ist, scheint es gerechtfertigt, es unter einem gewissen Vorbehalt zu benutzen.
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Tatsächlich erfüllt sich dieser Wunsch in der Folge. In den späteren 1990er Jahren setzt eine neuerliche, langsam fortschreitende Transformation der Fahrweise ein, die Skateboarding aus der Nische einer unzugänglichen ›Nerdkultur‹ hinausführt, in die es sich um 1990 manövriert hatte. Stattdessen sieht man nun – so Hälbich (2008, S. 63) – wieder vermehrt »klare, sichere Bewegungen«. Die Konzentration auf hypertechnische Kickflipmanöver tritt zugunsten einer breiter angelegten Fahrweise in den Hintergrund, die auch Manövergruppen wie Wheelies oder Manuals15, Grinds und Slides wieder mehr zur Geltung bringt, wobei für Street Skating charakteristisch bleibt, dass diese Elemente oft zu kombinierten Bewegungen ›verkettet‹ werden. Spätestens um die Jahrtausendwende mündet dieser schleichende Wandel erneut in eine deutliche Sportifizierungstendenz, auch wenn diese längst nicht alle Teilnehmenden erfasst und zugleich betont experimentelle, stilorientierte ›Gegenfahrweisen‹ provoziert, mit denen sich u.a. Veith Kilberth im vorliegenden Band befasst. Auch bei diesem Pendelschlag spielt das Terrain eine prominente Rolle. Ähnlich wie schon im vertikalen Skateboarding geht jene schleichende Transformation mit einem mehrheitlichen Wechsel von ›gefundenem‹ Terrain auf Zweckarchitekturen einher. Die Treppen, die Geländer, die Curbs, Kanten und Schrägen, auf denen sich Street Skateboarding entfaltet, werden im Verlauf der 1990er Jahre – in zunehmender Qualität – in Hallen oder auf speziellen SkatePlätzen nachempfunden16. Spätestens nach 2000 spielt sich dort »der Großteil« der Praktik ab (Fiehl, 2005, S. 3). Im Zuge dieser territorialen Einhegung, ReLegitimierung und auch Verregelung der Praktik erodieren nachvollziehbar ›subkulturelle‹, anti-disziplinäre Prägungen. Zudem führen auch diese der Straßenlandschaft nachempfundenen Zweckarchitekturen zu einer gewissen Standardisierung von Manövern, wenn sich auch diese Parcours von Ort zu Ort weniger ähnlich sind als etwa Halfpipes. Angetrieben wird diese abermalige Sport-Werdung von großen kommerziellen Akteuren, die neuartige Sportevents rund um Skateboarding etablieren. Das einflussreichste Format sind die seit 1995 vom amerikanischen Sportfernsehnetzwerk ESPN veranstalteten X Games, die tief in die Praktik eingreifen, auch hinsichtlich der Bewegungen. Im Interesse eines Massenpublikums wird zunächst die Halfpipe als Disziplin wiederbelebt, später kommen mit sogenannten
15 Gemeint ist das Fahren auf nur einer Achse bzw. zwei Rollen. 16 In den USA spielen dabei gesetzliche Neuregelungen eine wichtige Rolle, die in den ausgehenden 1990er Jahren die Betreiber solcher Anlagen hinsichtlich jener oben genannten Haftpflichtproblematik entlasten, die um 1980 zur Schließung der meisten Skateboardanlagen geführt hatte (vgl. Howell, 2008, S. 491; Borden, 2001, S. 175).
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Mega-Ramps – an Skisprungschanzen erinnernde Bauwerke, auf denen extremisierte Vert-Manöver aufgeführt werden – neue Bewegungsmodi in die Praktik. Das sogenannte »Park«-Skaten, das auf einer an eine Mondlandschaft erinnernden Anlage Bewegungen aus der vertikalen Phase aktualisiert und die 2020 in Tokio neben dem Street-Parcours-Fahren gezeigt werden soll, entsteht allerdings außerhalb der X Games (vgl. wiederum Kilberth im vorliegenden Band). In diesem neuen, hochgradig kompetitiven Segment der Praktik werden die Kernerfordernisse des Sports – Objektivierung und Vergleichbarmachung von Bewegungen – maßgeblich durch neue Technologien oktroyiert. So bringt etwa die Wettkampfserie Street League Skateboarding eine spezielle Bewertungssoftware ins Spiel, die den ›Spielstand‹ jeweils in Echtzeit anzeigt. Dies legt den Wettkämpfenden agonale Strategien nahe, die im Skateboarding in dieser Form neu sind: Sie können nun »kalkulieren, ob sie einen einfachen, aber sicheren Trick machen wollen, welcher ihnen dementsprechend weniger Punkte einbringt, oder einen riskanten, aber hochdotierten« (Schweer, 2014, S. 118). Eine solche Objektivierung und Hierarchisierung von Skateboardmanövern strahlt auch auf Skateboarder/-innen ab, die an derartigen Events nicht teilnehmen. So rückt nach 2000 der Weg von den Treppen des Straßenlands zum olympischen Siegertreppchen abermals und mit neuer Macht auf die Agenda. Wohl auch unter dem Eindruck der X Games, die mittlerweile nicht nur in den USA, sondern auch in einigen lateinamerikanischen und asiatischen Ländern gerade in jungen Zielgruppen eine echte Konkurrenz darstellen, zeigt sich das IOC nun ausgesprochen offen. Dass der bereits 2007 von der Presse etwas voreilig gemeldete Vollzug dann doch bis 2016 auf sich warten lässt, liegt an der Skateboardindustrie, die eine damals angestrebte Olympiainklusion unter der Ägide des Weltradsportverbandes UCI hintertreibt (vgl. Beal, 2013, S. 36). Denn in einem wachsenden Teilbereich ›bereit‹ ist die Praktik zu diesem Zeitpunkt allemal.
Z WISCHEN S UB -
UND
S PORTKULTUR
Diese knappe und teils auch überzeichnete Skizze der historischen Fahrweisen, Terrains und Selbstdeutungen der Skateboard-Praktik zeigt also, dass deren Olympiainklusion weit weniger überraschend kommt, als oft angenommen wird. Insgesamt dreimal in seiner Geschichte prägt Skateboarding durchaus sportnahe Formen und Bereiche aus, um freilich zugleich auch immer wieder Praxisvarianten hervorzubringen, die sich dem klassischen Sport entziehen. Besonders folgerichtig erscheint die Olympisch-Werdung der Praktik mit Blick auf die Terrains:
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In zwei Durchläufen liest sie zunächst die Spielpotentiale von vorgefundenem (sub-)urbanem Mobiliar aus, um daraus Sportartefakte zu entwickeln, die längst schon olympisch sind. Mit der Halfpipe und etwa den Rails des Slopestyle hat die Skateboard-Praktik bereits die Grundlage für eine Handvoll OlympiaDisziplinen hervorgebracht, wenn bisher auch bei den Winterspielen. Warum also sollte das Original fehlen? Mit Blick auf das wissenschaftliche Schreiben über Praktiken der Neuen Spiele zeigt die hier rekonstruierte Pendelbewegung der Skateboard-Praktik zwischen Sub- und Sportkultur, dass diese nicht zu kategorisch und statisch vom Feld des herkömmlichen Sports abgesetzt werden dürfen. Die ›Reinform‹, die etwa Gebauer et al. (2004) auch am Beispiel von Skateboarding für jene Praktiken neuer Sportivität konstruieren, nimmt das Skateboardfahren lediglich in zwei recht kurzen historischen Momenten an, nämlich im emergenten Steilwandskaten der ausgehen 1970er und frühen 1980er Jahre sowie in der Inventionsphase von Street Skateboarding zwischen 1990 und 1995. Als Erkenntnisinstrument hat die in dem Bändchen über die »Treue zum Stil« veröffentlichte Kartierungsarbeit des SFB 447 für die Untersuchung von Praktiken der Neuen Spiele bis heute unbestreitbar einen großen Nutzen, doch kann dieses Modell nicht ohne Weiteres als allgemeingültiger Befund behandelt werden. Es mag für Sozialwissenschaftler/-innen ›interessanter‹ sein, sich auf diejenigen Momente und Elemente zu konzentrieren, in denen sich eine solche Praktik ganz grundsätzlich vom traditionellen Sport abhebt, doch wird der Gegenstand dann eben nur halb untersucht. Auch das Hockeyspielen auf Inlineskates, das Gebauer et al. noch als Referenzpraktik der Neuen Spiele betrachten, ist ja längst sportförmig verräumlicht, sei es als »Inlinehockey« (mit Puck) oder als »Skaterhockey« (mit Ball). Sobald sich eine Praktik über einen Sporttrend hinaus zu einem – etwas unglücklich so genannten – Trendsport verstetigt, hat Wissenschaft also genauer hinzusehen, wenn es ihr um den Untersuchungsgegenstand geht und nicht nur darum, ein geeignetes Beispiel für die Explikation soziologischer Narrative zu finden. Gleichwohl muss Sportsoziologie – so sie davon ausgeht, dass im »Raum des Sports Kräfte sind, die sich nicht nur auf ihn selbst applizieren« (Bourdieu, 1992, S. 196-197) und infolgedessen dieser Raum, gerade weil er relativ autonom ist, eine Art Schaufenster des Sozialen darstellt – stets auch der Frage nachgehen, wie sich körperlich-sinnliche Praktiken des Sports und allgemeine gesellschaftliche Ordnungsbildung zueinander verhalten. Im Fall des Skateboardfahrens wäre demnach dessen Status innerhalb jenes Prozesses sozialen Wandels zu diskutieren, der die ›westlichen‹ Gesellschaften im späteren 20. Jahrhundert erfasst und der gemeinhin mit Begriffspaaren wie Industrie- versus nachindustrielle Gesell-
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schaft, Fordismus versus Postfordismus oder Moderne versus Postmoderne beschrieben wird. Als Ausgangspunkt bietet sich dabei Andreas Reckwitz’ (2010, S.75) Modell bürgerlicher Subjektivierung an. Er konzipiert die Moderne als Sequenz dreier Subjektordnungen – der »bürgerlichen Moderne«, der »organisierten Moderne« und der »Postmoderne«. In einem Kräftefeld zwischen »materialer Kultur« und »ästhetischen Bewegungen« entstehe eine Folge »dominanter Subjektkulturen«, wobei das »moralisch-souveräne Allgemeinsubjekt« der bürgerlichen Moderne gefolgt werde vom »nach-bürgerliche[n] Angestelltensubjekt« der Organisierten Moderne und dem »konsumtorische[n] Kreativsubjekt« der Postmoderne. Die »ästhetischen Bewegungen« – die Romantik des 19., die Avantgarden des frühen und die counter culture des späteren 20. Jahrhunderts – wirken in diesem Modell als Katalysatoren jener Transformationen, indem sie die jeweils ältere Ordnung herausfordern und delegitimieren, zugleich aber auch zur Verfestigung einer neuen Ordnung beitragen. Es liegt nun sehr nahe, Skateboarding in dieses Schema einzutragen. In seinen ›Reinformen‹ fungiert es als sportive Aufführung jener Gegen- oder Subkulturen: Es delegitimiert die Organisierte Moderne, die – wie ›ihr‹ Sport – einem »Code des Sozio-Technischen« (Reckwitz, 2010, S. 338) folgt, der »Leistungen […] grundsätzlich gradualisiert und quantifiziert« (ebd., S. 357), indem es einen Code der Kreativität und Ästhetisierung verkörpert und subjektive, ›gefühlte‹ Horizonte von Leistung erzeugt. In seinen Versportlichungsphasen hingegen schließt es Kompromisse, die in neue Modi von Gradualisierung und Quantifizierung münden – und kann so als sportive Aufführung jener Prozesse der Akkulturation verstanden werden, in denen einstmals antisystemische Elemente eine neue, hier die postmoderne, Subjektordnung aufzurichten helfen. Insofern lassen sich weiterführende, detailliertere Studien zum Skateboardfahren auch mit Blick auf eine Frage betreiben, die in Reckwitz’ großem Entwurf etwas unklar beantwortet bleibt: Welche Features jener counter culture sich nämlich in welchen Rahmungen hinsichtlich der postmodernen Subjektordnung tatsächlich als ordnungskonform oder ordnungsbildend erweisen – und welche ›Störfaktoren‹ bleiben, die unter Umständen zu Bruchstellen in derselben führen können.
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Das Olympische Skateboard-Terrain zwischen Subkultur und Versportlichung Veith Kilberth
D AS S PANNUNGSVERHÄLTNIS UND V ERSPORTLICHUNG
VON
S UBKULTUR
Die aktuelle Debatte um die Olympiateilnahme des Skateboardings verweist auf neue Potentiale und Möglichkeiten, aber auch auf damit einhergehende Anpassungs- und Konformitätsprozesse in Richtung des institutionalisierten Sports, was den Habitus von Skateboarding mehr denn je zur Rekonfiguration zwingt. Wie aber vollzieht sich dieser Prozess, und woran ist er zu erkennen? Wie ist die Praktik in der Vergangenheit mit diesem Spannungsverhältnis umgegangen, und welche Prognosen lassen sich daraus ableiten? Die Fragestellung wird anhand von Literaturrecherche bearbeitet, insbesondere mit Anschlüssen an die jüngsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen speziell zum Thema Skateboarding (Bock, 2017; Borden, 2018; Peters, 2016; Schäfer, 2017; Schweer, 2014). Von besonderer Relevanz für diesen Beitrag ist die Dissertation von Eckehard Velten Schäfer, der sich nicht weniger vorgenommen hat, als mittels eines praxeologisch-genealogischen Ansatzes die ›wirkliche Geschichte‹ des Skateboardfahrens zu rekonstruieren (vgl. ebenda, 2018). Auch meine persönliche Erfahrung soll als Wissensquelle in diesen Beitrag einfließen. Als ehemaliger professioneller Skateboarder und Sportwissenschaftler bin ich seit über zwölf Jahren beruflich im Skateboarding tätig. Meine Mitinhaberschaft einer Skateboard-Marketingagentur und eines Skatepark-Planungsbüros, versetzt mich in die Lage, einen Transfer zur Wissenschaft zu leisten. Das Spannungsverhältnis zwischen subkultureller Herkunft und der Versportlichung von Skateboarding kann auch im Hinblick auf die Rekonstruktion
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der fortwährenden Konfiguration des Skatepark-Terrains reflektiert werden. Mit der Bekanntgabe der Olympia-Teilnahme wurden auch die olympischen Disziplinen mit ihren Terrains qualifiziert und festgelegt. Da diese Parcours zur Ausübung von Skateboarding ein Ergebnis historischer Entwicklung sind, lassen sich diese Räume genealogisch rekonstruieren und interpretieren. Dieser Überlegung folgend, greift der vorliegende Beitrag die olympischen Disziplinen auf, skizziert kurz die Terrains, beschreibt die prädisponierten performativen Bewegungsmuster auf einer Meta-Ebene und bezieht sie auf ihre zentralen historischen Entwicklungen. Dabei werden konstitutive Merkmale von Skateboarding herausgearbeitet, die gedanklich an das Habituskonzept von Bourdieu anschließen, das als Ansatz für ein Erklärungsmodell des Entwicklungsmusters dienen soll. Auf dieser Grundlage werden die aktuelle Konstitution und die möglichen Zukunftsszenarien von Skateboarding diskutiert.
O LYMPISCHES T ERRAIN Es wird die Annahme zu Grunde gelegt, dass die Disziplinen Street und Park im olympischen Format in der konkreten Ausgestaltung und Präsentation von den schon bestehenden inoffiziellen Weltmeisterschafts-Wettbewerbs-Formaten: X Games, Street League Skateboarding Nike SB World Tour und Vans Park Series adaptiert, wenn nicht sogar in Gänze übernommen werden (vgl. Schäfer, 2017, S. 126). Es ist naheliegend, dass die beiden genannten Disziplinen für Olympia ausgewählt wurden, da diese als Hauptdisziplinen die fragmentierte Welt des Skateboard-Terrains am besten repräsentativ widerspiegeln und jeweils für die beiden Hauptkategorien Street-Skating und Transition-Skating1 stehen. Diese Annahme ist schon deshalb plausibel, weil Street im Hinblick auf die Anzahl der aktiv Beteiligten mit einem geschätzten Anteil von 80% die wichtigste Disziplin darstellt (vgl. Atencio & Beal, 2016, S. 110; Schäfer 2017, S. 20). Die Halfpipe, als ehemals führendes Format des Transition-Terrains, würde sich als Wettkampf-Anlage grundsätzlich besser eignen, wie später in diesem Beitrag noch gezeigt wird, spielt aber unter den Aktiven außerhalb des WettbewerbsKontextes schon seit vielen Jahren lediglich eine marginale Rolle. Um einen Bezug zwischen der Skizzierung des Skateboard-Terrains und der Art der Nutzung herstellen zu können, bieten sich die Klassifizierungskriterien
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Transition- oder auch Tranny-Skating genannt, ist der Oberbegriff, unter dem sämtliche Skate-Elemente, Rampen und ganze Terrains subsumiert werden können, die aus gerundeten Formen in allen Größen bestehen (vgl. Borden, 2018, S. 209).
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des Spiels nach Roger Caillois (1982) an, die hier kurz erläutert werden sollen. Die Typologie des Spiels nach Caillois ist besonders dazu geeignet, die Bewegungsstruktur und die Motive der Akteure der Neuen Sportpraktiken bzw. Stilkulturen zu analysieren, die sich seit den ausgehenden 1990er Jahren neben dem traditionellen Wettkampfsport immer stärker verbreiten. Diese neuen Bewegungsformen, denen auch Skateboarding zugeordnet werden kann, wurden in den Sportwissenschaften gerade in jüngster Zeit mehrfach in den Zusammenhang der Klassifizierung des Spiels nach Caillois gebracht und vor dem Hintergrund einer vom ›Spiele ausgehenden Soziologie‹ näher betrachtet (vgl. Le Breton, 1995; Gebauer et al., 2004, S. 120; Schäfer, 2017, S. 45; Stern, 2010, S. 79). Das Modell unterscheidet zwischen vier Spiel-Kategorien und zwei Spielweisen, die mit griechischen Begriffen bezeichnet sind: Alea – Glücksspiele, wie Sportwetten und Lotterie, also Spiele, die wesentlich von Glück und Zufall beeinflusst sind; Mimicry – Maskierung, die in Form von Verkleidung, z. B. als Maskenball oder Fasching, mit Begriffen wie Illusion, Nachahmung und Verstellung bezeichnet werden kann; Ilinx – Rausch und Erlebnisse, die durch psychisch-physische Bewegungen, wie z.B. durch Achterbahnfahren oder Bungeespringen erlangt werden können; Agon – Wettkampf, der das Geschehen durch Konkurrenz und Leistungsvergleich kennzeichnet, wie z.B. die traditionellen Wettkampfsportarten. Diese vier Ausübungs-Kategorien, die sich mitunter überschneiden können, sind jeweils mehr oder weniger von den beiden Spielweisen Paidia (wildes, zügelloses Spiel) und Ludus (geregeltes, strukturiertes Spiel) geprägt. Paidia und Ludus stellen hierbei zwei Pole da, die den Charakter des Spiels innerhalb der Kategorien beeinflussen, indem sie gewissermaßen eher freie oder gebändigte Spiele darstellen. Diese Klassifikationskriterien nach Caillois werden im Kontext der Terrainbeschreibung auf Skateboarding angewendet. Das Park-Terrain Diachron wird zuerst die Disziplin Park vorgestellt. Unter Park wird ein Ensemble von mehreren Formen zusammengefasst, die alle der Kategorie Transition zuzuordnen sind. Das heißt: organische, runde und konische Formen, die hauptsächlich aus sogenannten Bowls – schüsselartigen Rampen – bestehen. Auf einer Grundfläche von ca. 500 bis 800 m2 und mit Höhen von ca. 1,6 m bis 3,5 m – vom Boden bis zum Kantenabschluss gemessen – werden diese schüsselartigen Formen als ineinander übergehende Sektionen und als geschlossenes Territorial aus Ort-Beton für jedes Event neu, individuell und möglichst kreativ kon-
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struiert. Was die Ursprünge ihrer Formen angeht, sind die einzelnen Rampen und Elemente ein Sammelsurium der geschichtlichen Entwicklung des TransitionTerrains. Die einzelnen Elemente werden so arrangiert, dass Verbindungen geschaffen werden, um von einem Bereich in den anderen zu gelangen, also sogenannte Transfer-Möglichkeiten zu bieten. Durch die zufällig anmutenden Verbindungen konstituieren sich wiederum neue Konstellationen, wie sogenannte: Hips, Spines, Channels etc. Hinzu kommt ein kreatives Kantenspiel, indem die geradlinige Kantenführung (Abschlüsse der Rampen oberhalb) immer wieder unterbrochen und andersartig gestaltet wird. Diese spielerisch eingelassenen Interventionen, zum Teil als Erhöhungen eingebaut, firmieren unter Namen wie Walls, Extensions, Escalators, Tombstones, Love Seats. Die Kanten sind mit Metallrohren ausgestattet, zum Teil mit sogenannten Pool Copings2. Das Park-Terrain Bewegungsmuster Insgesamt ist das vielfältige, kompakte Park-Terrain so gestaltet, dass die Akteure mit hohen Geschwindigkeiten eine maximale Anzahl an Fahrwegen (Lines) kreuz und quer durch das Areal für sich erschließen können. Die relativ hohe Geschwindigkeit, die kombinatorischen Möglichkeiten, die eng aufeinanderfolgenden Stellen zur Trick-Ausübung und die Vielfältigkeit der einzelnen Objekte erfordern vom Akteur insbesondere Improvisationstalent. Aufgrund der kurzen Vorbereitungszeiten und der geschwungenen Anfahrwege auf den nächsten Trick, stehen die Kreativität der Nutzung und ein breites Trick-KompetenzSpektrum im Hinblick auf den Bewegungsfluss (Flow) im Vordergrund. Auf der Website des Veranstalters der Vans Park Series wird das Park-Terrain Bewegungsmuster folgendermaßen beschrieben: »speed, style, flow, amplitude and creativity« (Vansparkseries.com, 2017). Frei übersetzt sind diese Kriterien folgendermaßen zu verstehen: Eine möglichst hohe Geschwindigkeit speed; der allgemeine ästhetische Ausdruck style; der bestmögliche Bewegungsfluss flow; eine möglichst starke Ausreizung der räumlichen Nutzung amplitude und einer vielfältigen und möglichst kreativen Nutzung des Terrains creativity. Demnach spielt das Park-Terrain weniger auf die sportliche Progression des Einzeltrick-Niveaus an, sondern forciert vielmehr eine Bewegungsform, die auf Fahrfluss, ästhetischen Ausdruck, kreativ-spielerischer und vielfältiger Nutzung des Terrains abzielt.
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Die Bezeichnung bezieht sich auf eine aus Stein geformte Wulst als Kantenabschluss, die quasi Swimming Pool-Kanten nach kalifornischer Bauweise nachahmt.
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Ein weiterer Aspekt, der sich nur indirekt auf das Terrain bezieht, aber dennoch hervorgehoben werden muss, ist das Fahren ohne Schutzausrüstung. Da das Terrain nur teilweise vertikale Sektionen aufweist und auch aus niedrigen Höhenniveaus besteht, wird die Disziplin Park in der Kategorie der Männer in der Regel ohne Schutzausrüstung ausgeführt3. Im Vergleich zur Vorgängerdisziplin des Transition-Terrains, dem Halfpipe Skating, ist dies ein bemerkenswerter Unterschied. Sind Schutzbekleidungen Pads doch die Insignien des regulierten Sports, wodurch Skateboarding vorhersehbar und planbar wird (vgl. Borden, 2018, S. 209; Butz, 2012, S. 71; Schäfer, 2017, S. 109). Vom Fahren mit hohen Geschwindigkeiten, mit der Erfordernis großen Improvisationsgeschicks, zudem noch auf Beton, statt Holz, geht eine stark erhöhte Verletzungsgefahr aus, was das Risiko der Akteure in diesem Ausmaß zu einem bedeutenden Faktor macht. Die Relevanz des Risikos und des Grenzgangs, den Peters (2016, S. 204) bei seiner ethnographischen Studie auf der Kölner Domplatte bei Street-Skatern beobachtet hat und den auch Stern (2010) bereits bei anderen Stilpraktiken – Paragliding, Freeclimbing und Snowboarding – erforscht hat, wird ebenfalls bei dieser kurz aufgezeigten geschichtlichen Rekonstruktion des Transition-Terrains als konstitutives Merkmal im Skateboarding evident. Im Vergleich zur bisher etablierten vertikalen Praxis des Skateboarding, dem Halfpipe-Skating, ist das Vert-Skating nur ein Teil von Park, der als Disziplin offensichtlich einen anderen Transition-Fahrertyp protegiert: »They’re like tranny guys and maybe skate the Pool Party, but they can’t win the Pool Party, that’s for vert skaters nowadays. It’s for guys with pads flying 8-feet and spinning. So we were trying to find and establish a plattform for skaters like Curren Capples or Grant Taylor, what we called park terrain.« (Schwinghammer, 2016)
In diesen Worten beschreibt der zuständige Marketingmanager von Vans, Justin Regan, den anvisierten Fahrertyp. Also sind Park-Skater/-innen ein Fahrertyp, der sich zwar dem Transition-Terrain zuordnen, jedoch nicht auf vertikales Skating reduzieren lässt, wie traditionelle Halfpipe- oder Pool-Skater/-innen. Die beiden genannten Profi-Skateboarder Curren Capples und Grant Taylor verkörpern als Protagonisten den neuen ATV-Fahrertyp – All-Terrain-Vehicle. Dieser Typ zeichnet sich dadurch aus, dass er eben alle Skate-Terrains, also auch Street, virtuos beherrscht. Diese generalisierten Fähigkeiten der Fahrer/-innen, statt der
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Eine spannende Frage ist, ob bei Olympia das Tragen Schutzausrüstung Pflicht sein wird.
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vormals spezialisierten, begünstigen genau die gewünschten Aspekte der von Paidia geprägten und in der Kategorie Ilinx mit Anteilen von Alea einzuordnenden neuen Fahrweise der Disziplin Park. Die Struktur des Fahrertyps gestaltet hier die Struktur des Terrains. Zusammenfassend lässt sich mit den Klassifikationskriterien nach Caillois das Park-Terrain als ein eher von Paidia geprägtes Spiel bezeichnen, das vor allem in der Kategorie Ilinx stattfindet und, wie gezeigt, auch Anteile von Alea und Mimicry aufweist.4 Rekonstruktion des Park-Terrains Die Disziplin Park repräsentiert die Rekonfiguration des Transition-Terrains und ist sozusagen die Neuerfindung des vertikalen Skatings. Am Beispiel der Karriere der Halfpipe, als ehemalige Königsdisziplin im Skateboarding, soll hier knapp die Historie des vertikalen Skatings rekonstruiert werden, um die Entwicklungsmuster abzuleiten (vgl. Mokulys & Nawrocki, 1991; Schäfer, 2015, S. 154). Aufgrund von vielen verschiedenen Faktoren hat sich Skateboarding Ende der 1970er Jahre von der horizontalen Ebene in den leeren Hinterhof-Swimming-Pools in kalifornischen Vororten zum Steilwand- bzw. vertikalen Skating entwickelt (vgl. Hälbich, 2008, S. 76; Schäfer, 2017, S. 66). Das Skating in Pools, als gefundenem Terrain, war zunächst von kurvenartigen Bewegungsabläufen geprägt, die von experimentellem, spielerischen Annähern an die Vertikale, dem sogenannten Edge-Raum (Oberkante) charakterisiert waren (Schäfer, 2017, S. 185). Im Laufe der Zeit wurden diese Pools als nachgeahmte, modifizierte Bauten immer häufiger in kommerziell betriebene Skateparks in den USA integriert, was zur sportlichen Progression weiter beitrug. Wegen einer Versicherungsproblematik um 1980 mussten quasi über Nacht sämtliche Skateparks in den USA geschlossen werden. Die massenhafte Schließung der Skateparks wegen der »Liability Crisis« (Borden, 2001, S. 172) wird als Hauptgrund genannt, warum die Praktik Skateboarding Anfang der 1980er Jahre fast vollständig zum Erliegen kam und auch in Deutschland fast völlig verschwand (vgl. Brook, 1999, S. 45; Schäfer, 2017, S. 158). Um das vertikale Skating weiter ausüben zu können, mussten die Skater/-innen notgedrungen wieder in gefundene Räume zu-
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Erst durch das Wettbewerbsformat kommt die Kategorie Agon überhaupt ins Spiel, also die Nutzung des Terrains in einer vorgegebenen Zeit und die Bewertung des Laufs (Run) durch Kampfrichter (Judges) im Vergleich zu anderen Teilnehmern und Teilnehmerinnen.
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rückkehren oder selbstbestimmt ihre eigenen Skateboard-Artefakte herstellen (vgl. Brook, 1999, S. 67). »Skateboarder waren jetzt underground, die-hard, hardcore und – ob sie wollten oder nicht – voll D.I.Y.!« (Reinhardt, 2016, S. 15) Die notgedrungene Selbstbauweise wird unter dem Begriff DIY oder Do It Yourself zusammengefasst. Viele Skater/-innen der Kernszene bauten sich in Eigenregie eine vereinfachte Form des vertikalen Terrains aus Holz, vor allem in den Hinterhöfen. Die Halfpipe war ein simplifiziertes, modifiziertes Bauwerk, das ein ca. zwei bis fünf Meter breiter Streifen Fullpipe (Röhre) mit verlängertem Mittelstück, einem größeren Radius der Rundungen der Seitenwände und deutlich weniger Vertikale, im Vergleich zum Pool, darstellte. Nach einer kurzen Experimentierzeit entwickelte sich die Halfpipe zu einem standardisierten Sportmöbel, das die Skate-Szene maßgeblich selbst gestaltet und aus eigener Kraft hervorgebracht hat. Parallel zur Perfektionierung der Halfpipe, entwickelte sich auch die sportliche Ausdifferenzierung der Tricks vor allem bei exklusiven, gemeinschaftlichen Treffen der Kern-Szene, die zumeist in privaten Hinterhöfen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden (vgl. ebd., S. 15). Das lineare, repetitive Aufschwingen in die Vertikale, die besser geeignete Geometrie sowie die verlängerte Vorbereitungszeit auf den nächsten Trick aufgrund des längeren Mittelteils (Flat) ermöglichte im Vergleich zum Pool Skating eine Einzeltrick-Orientierung (vgl. Borden, 2001, S. 102). Diese Konzentration auf einzelne Tricks, die auf standardisiertem, informell genormtem Terrain stattfanden, führte zu einer massiven Steigerung des Trick-Niveaus und Beschleunigung der sportlichen Ausdifferenzierung. Durch die wachsende Zahl an Halfpipes im öffentlichen Raum, Eventisierung und Kommerzialisierung stieg das HalfpipeSkating bis Ende der 1980er Jahre zur sogenannten Königsdisziplin von Skateboarding auf. In den ausgehenden 1980er Jahren erreichte Halfpipe-Skating und somit Skateboarding allgemein, seinen vorläufigen sportlichen Höhepunkt und bescherte der Praktik eine weitere Boom-Phase (vgl. Beal, 2013, S. 24). Das Halfpipe-Skating war gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Standardisierung der Sportanlage, was das Terrain austauschbar und das Können der Fahrer sehr gut vergleichbar machte. Es hatte sich eine elitäre Klasse an Vert-Skatern herausgebildet, welche die Wettbewerbe dominierten und über die Skate-Szene hinaus, durch Verflechtungen mit dem Musik- und Lifestyle-Markt, Bekanntheit erlangten (vgl. ebd., S. 24). Mit der zunehmenden Versportlichung, Regulierung und Berechenbarkeit der Praktik im Halfpipe-Format wandten sich Teile der Szene ab 1990 verstärkt dem Street-Skateboarding zu. Verstärkend hinzu kam eine Kompetenzerweiterung im Street-Bereich, insbesondere die Weiterentwicklung des Ollies (kontrolliertes Abspringen mit dem Skateboard unter den Füßen), um vom Boden auf
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Objekte zu springen und die Stadt nun mehrstöckig skaten zu können (vgl. Schäfer, 2017, S. 160-161). In seiner emergenten Phase stellte sich das Street-Skateboarding als eine experimentelle, spielerisch-kreative und vor allem nonkonforme Bewegungspraxis dar, die der Ausdrucksform und Symbolik des HalfpipeSkatings diametral gegenüberstand. Innerhalb kurzer Zeit stieg Street-Skateboarding zu der bis heute bedeutendsten Disziplin in Skateboarding auf (vgl. Schäfer, 2017, S. 160). Die Teilnahme am Halfpipe Skating kam fast zum Erliegen, ebenso wie der Bau von weiteren Halfpipes (vgl. ebd., S. 166). In Skateparks trat das Transition-Terrain Ende der 1980er Jahre vermehrt in modifizierter und vielfältiger Form, häufig auch als wesentlich kleinere Rampen, in Erscheinung (vgl. Borden, 2001, S. 81). In dieser Zeit setzte sich auch die ›Miniramp‹, also die Miniaturvariante der Halfpipe, immer weiter durch (vgl. Borden, 2018, S. 191), die im Kontext des Halfpipe-Niedergangs symptomatisch auch ›Funramp‹ genannt wurde. Eine Rampe, bei der buchstäblich der Spaß im Vordergrund steht und die Tricks an der Kante (Lip Tricks) im Vergleich zur Halfpipe deutlich einfacher sowie zumeist ohne Schutzausrüstung spielerisch zu erlernen waren (vgl. Borden, 2001, S. 82). Erst ab 1995 durch die Xtreme Games – heute X Games – bekam das Halfpipe-Skating noch einmal einen Aufschwung und wurde als WettbewerbsFormat und für TV-Zuschauer aufbereitet. 1999 erreichte die Halfpipe-Ära ihren sportlichen Höhepunkt, als im Rahmen einer Live-Übertragung Tony Hawk vor laufenden Kameras und einem großen Publikum den ersten 900° landete (vgl. Striler, 2011, S. 43). Ab Anfang der 2000er Jahre etablierten sich immer mehr Wettbewerbe, die in Skateparks stattfanden, die ein ähnliches Terrain, wie die oben beschriebene Disziplin Park bereits boten, etwa Marseille Bowl Riders 1999 in Frankreich. Erst ab 2008 wurde mit Super Park die Disziplin Park in das Programm der X Games aufgenommen, die dann immer weiter ausdifferenziert wurde und heute vor allem durch die Vans Park Series repräsentiert wird. Somit nimmt Park, mittlerweile schon seit über zehn Jahren, den Platz von Halfpipe ein, jetzt auch als zukünftige olympische Disziplin und wichtigste Repräsentanz des vertikalen Transition-Terrains. Diese kurze Rekonstruktion des vertikalen Terrains fördert interessante Erkenntnisse zu Tage. Zunächst kann festgehalten werden, dass das emergente vertikale Skateboarding Ende der 1970er Jahre stark von Ilinx und teilweise Alea im Modus von Paidia gekennzeichnet war. Aufgrund der Adaption und Nachahmung von Bewegungsmustern aus dem Wellenreiten, spielt auch Mimicry eine gerade in der Anfangszeit des Pool-Skatings eine bedeutende Rolle (vgl. Schäfer, 2017, S. 98). Erst durch das Halfpipe-Skating und die Standardisierung des Sportmöbels in den 1980er Jahren entwickelt sich das vertikale Skating zuneh-
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mend zur ludisch-agonalen Sportart, um dann Anfang der 2000er Jahre mit der Disziplin Park als kreatives, vielfältiges Terrain tendenziell wieder zu seiner damaligen Spielart zurückzukehren. Dieser wesentliche Unterschied macht auch deutlich, dass Halfpipe strukturell wesentlich besser als sportliche Wettkampfdisziplin geeignet und für den IOC eigentlich die logische Alternative wäre. Ein Unterschied zwischen Halfpipe und Park ist besonders interessant: Die von Paidia und Ilinx geprägte Gestaltung des Park-Terrains ist so ausgerichtet, dass der faktische Schwierigkeitsgrad – vor allem der vertikalen Tricks – durch das Terrain selbst limitiert wird. Es kann geschlussfolgert werden, dass in der Disziplin Park ein bestehendes Trick-Repertoire der Fahrer/-innen auf ein kreatives Terrain bezogen wird, anstatt, im Falle der Halfpipe, das potentielle TrickRepertoire auf ein standardisiertes Terrain im Sinne des Schwierigkeitsgrads auszudifferenzieren. Demnach relativiert die De-Standardisierung des Terrains die Voraussetzung für das Niveau der sportlichen Trick-Progression. Offensichtlich wird hier einer agonalen Neigung durch die Gestaltung des Terrains entgegengewirkt, wodurch den Paidia inhärenten Ausprägungen, wie beispielsweise Kreativität und Unberechenbarkeit, Vorschub geleistet wird. In Bezug auf die Versportlichung macht das Beispiel Halfpipe auch deutlich, dass ein erfolgreiches Skateboard-Wettkampf-TV-Format nicht zwangsläufig das präferierte Terrain des Gros der Szene widerspiegelt und zum Teil sogar ohne größere Teilnahme der Szene auskommt. 5 Es kann zu zeitlich verzögerten Prozessen kommen, bei denen die Skate-Szene schon längst neue Praktiken hervorgebracht hat, die sich neben der kommerziellen Vereinnahmung entwickeln oder ihr vorauseilen. Das Street-Terrain Die Disziplin Street ist grundsätzlich eine Nachbildung von Stadtmöbeln und anderen skatebaren Objekten im städtischen Raum, die als Street Parcours auf einer zumeist rechteckigen, ebenen Grundfläche (ca. 500 bis 1000 m2) arrangiert werden. Die Fläche hat in der Regel eine lineare Struktur und ist mit einem mehrstufigen Aufbau (Höhen von 0,3 bis 2 Meter) von zumeist eckigen Körpern
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Ein Beispiel für die Diskrepanz von Skateboarding als inszeniertes Wettbewerbsformat und der quantitativen Partizipation der Szene, liefert das Megaramp-Spektakel. Ursprünglich als experimentelles Athleten-Projekt von Profi-Skater Danny Way initiiert und durch seine Sponsoren ermöglicht, wurde diese Form des Transition Skateboarding von einem US-Fernsehsender in ein massentaugliches TV-Format transformiert.
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bestückt. Die einzelnen Hindernisse (Obstacles) und Sektionen sind so platziert, dass sie flüssig hintereinander befahrbar sind. An den beiden Stirnseiten sind häufig Transition Elemente integriert, um Schwung aufzunehmen. Die Räume zwischen den Anfahrten, Landungsräumen und den Elementen, wie: Ledges (Blöcke), Rails (Geländer), Downrails (Treppengeländer), Rampen und von Treppen-Versatzteilen, sind so angelegt, dass die Akteure zwischendurch immer wieder anschieben (Pushen) können und die Abstände so geplant sind, dass eine entsprechende Vorbereitungszeit auf Tricks gewährleistet ist. Die Dimensionen der Street-Elemente sind eine Synthese von megaisierten, aber auch kleinteiligen, technisch-nutzbaren Stadtmöbeln. Häufig ist ein großes, spektakuläres Stufen-Set mit Handläufen (Handrails) und Blöcken (Hubba Ledges) auf der StreetFläche prominent platziert, die sogenannte Big Section. Die Parcours sind ebenfalls in Ort-Beton gefertigt und mit farblichen Kontrasten, Begrünung als Dekoration und weiteren Details aufwendig ausgeführt. Die Street-Parcours der Wettkampfserie Street League werden für jede Veranstaltung individuell neu gestaltet und arrangiert. Die Positionierung auf der rechteckigen Grundfläche hat fast immer eine lineare Struktur mit deutlichen Anfahrts- und Landungsräumen zwischen den Objekten. Das Street-Terrain Bewegungsmuster Das Bewegungsmuster vom Street-Skating ist allgemein gekennzeichnet durch ein Fahren auf ebener, glatter Fläche als Ausgangspunkt. Auf der horizontalen Ebene werden durch impulsives Abspringen mittels des Ollies (Grundtechnik für fast jede Trickausführung), die Objekte entlang des linearen Parcours hin und her befahren. Zwischen den Elementen wird auf ebener Fläche immer wieder angeschoben, um Geschwindigkeit aufzunehmen, was eine andere Kraftübertragung und Anstrengung darstellt, als die Beschleunigung durch dynamische Gewichtsverlagerungen (Pumping) im Transition-Park-Terrain. Rekonstruktion des Street-Terrains Das Street-Skateboarding trat zwar schon Mitte der 1980er Jahre in Erscheinung, hatte jedoch erst Anfang der 1990er Jahre seinen großen Durchbruch (vgl. Schäfer, 2017, S. 160). Im Vergleich zum Transition-Skating stellte das StreetSkating eine distinktive Form der Praktik dar, die keine speziellen Zweckräume benötigte, sondern Skateboarding weltweit, überall und für alle Teilnehmenden jederzeit zugänglich machte (vgl. Borden, 2001, S. 182). Entsprechend spielte sich die Praktik zunächst fast ausschließlich in gefundenen Terrains ab. Das
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emergente Street-Skateboarding war stark experimentell, kreativ, und spielerisch gekennzeichnet. Zu Beginn der 1990er war es kaum umsetzbar, diese Form des Street-Skating als Wettbewerb zu konzeptualisieren und einem größeren Publikum zu präsentieren (vgl. Schäfer, 2017, S. 116). Nicht nur die kleinteiligen, sehr technischen und experimentellen Bewegungsmuster der Praktik ließen kaum ein Wettbewerbsformat zu, sondern auch die Grundhaltung der Akteure, die sich nach der Zeit der Kommerzialisierung als »eine Art Gegenbewegung zum Skateboard-Establishment der 80er Jahre« (Reinhardt, 2016, S. 20) verstanden, war nicht kooperativ. Die Szene versuchte sich von allem abzugrenzen, was reguliert und auch nur ansatzweise in Richtung von Versportlichung ausgelegt war (vgl. Beal, 2013, S. 27; Borden, 2018, S. 24; Schäfer, 2017, S. 246). Erst Mitte der 1990er Jahre wandelte sich die Praktik abermals: 1995 wurde im Rahmen der Xtreme Games – heute X Games – die Disziplin Street als megaisiertes Street Skating (vgl. Beal, 2013) als Zuschauer-Event präsentiert. Auf einer kompakten Fläche werden diverse Elemente zu einem Parcours zusammengestellt, die die spektakuläre Seite des Street-Skatings repräsentieren sollten. Mit den Veränderungen der Praktik und dem Erfolg der X Games wurde eine weitere Boomphase im Skateboarding eingeleitet. Die sperrige Praktik öffnete sich allmählich und die Zeit des kleinteiligen Mikro-Street-Skateboardings wurde zunehmend von den vergrößerten Bewegungsmustern ergänzt. In den ausgehenden 1990er Jahre tendierte das Street-Skating weiter in eine megaisierte Richtung (vgl. Schäfer, 2017, S. 78). Das Ausloten der Grenzen wie hoch und wie weit ein Stufenset, eine Böschung, ein Treppengeländer usw. noch skatebar waren, vollzog und vollzieht sich nach wie vor auf gefundenem Terrain. Um 1998 änderte sich in Kalifornien die Gesetzgebung für Skateboarding, wodurch die Versicherungsproblematik beigelegt und der Betrieb von Skateparks wiederaufgenommen werden konnte (vgl. Beal, 2013, S. 33; Borden, 2018, S. 86). Auf die stark gestiegene Teilnahme am Street-Skateboarding und auch als Reaktion auf die Vereinnahmung von städtischen Plätzen (vgl. Whitley, 2009, S. 10), entstanden auch in Deutschland immer mehr Skateparks und Skatehallen. In den 1990er Jahren war das Street-Terrain in diesen Zweckräumen häufig eine Komposition aus modularen Street- und Transition-Elementen, die insgesamt häufig einen standardisierten Charakter hatten.6 Eine neue Street-Skatepark-Ära markierte 2005 die Eröffnung des ersten Skate Plazas in Kettering Ohio, USA (vgl. Borden, 2018, S. 211). Diese Anlage
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Erst Anfang der 2000er Jahre entstanden in Deutschland Ort-Beton-Skateparks, die vermehrt in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Skate-Szene geplant, individuell gestaltet und wesentlich hochwertiger gebaut waren.
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ist an den US-amerikanischen Plaza Baustil angelehnt, der vorwiegend hochwertige Materialen verwendet und mit seinen glatten Böden, Sitzbänken und anderen skatebaren Objekten, besondere Affordanzen für Street-Skater/-innen darstellt. Diese Premiumvariante des Skateparks, die Initiator Rob Dyrdek als ›echte‹ Alternative zum Street-Skateboarding auf öffentlichen Plätzen sieht, ist das Vorbild für die Street League Wettkampf-Parcours und sehr wahrscheinlich auch in modifizierter Form für das olympische Street-Terrain (vgl. Atencio & Beal, 2016, S. 110; Schäfer, 2017, S. 126). Zusammenfassend stellt das Plaza bzw. das Street League Terrain in seiner Struktur und dem Arrangement der Elemente einen Parcours mit starker Konzentration auf eine Einzeltrick-Orientierung dar. Ungeachtet dessen, dass die Parcours für jede Veranstaltung immer wieder neu arrangiert und hochwertig dekoriert werden, weisen im Street Skating die Abmessungen und Geometrie der einzelnen wiederkehrenden Grundelemente, wie z.B. Curb, Ledge, Rail, Bank, Handrail usw. einen erhöhten Grad der Standardisierung auf und folgen dementsprechend einer ludischen-agonalen Tendenz. Weiter spielt Ilinx nicht nur für Skateboarding allgemein eine Rolle, da schon das Gleiten auf glattem Boden zu einem Rauscherlebnis führen kann. Es scheint auch im Street-Skateboarding gerade beim Hinabspringen von Versätzen und das Rutschen (Grind, Slide) auf Hindernissen von besonderer Bedeutung zu sein. Der Ilinx-Aspekt spielt zwar grundsätzlich im Street-Skating eine Rolle, tritt jedoch im Vergleich zu Park in einer deutlich weniger starken Ausprägung in Erscheinung. Auf den ersten Blick weist das Street-Terrain zum Halfpipe-Terrain keine besondere Ähnlichkeit auf. Bei näherer Beobachtung jedoch, werden entscheidende Parallelen sichtbar. Die Kombination aus Einzeltrick-Orientierung und Standardisierung stellt eine strukturell frappierende Ähnlichkeit zur Halfpipe da. Genauso wie die ehemalige Königsdisziplin des Skateboarding, weist das StreetTerrain auch eine stark ludisch-agonale Tendenz auf. Das Street-Terrain treibt maßgeblich die sportliche Progression voran, legt den Fokus auf den Schwierigkeitsgrad der Tricks, macht die Praktik verstärkt messbar, objektivierbar und vergleichbar, wodurch sie in den Sog der Logik der Versportlichung gerät. Das wirft die Frage auf, wie lange die sportliche Ausdifferenzierung im Bereich Street weiter fortgeführt wird, da in Analogie zum Entwicklungsmuster des Halfpipe-Skatings die logische Folge wäre, dass nach der Hochphase der Versportlichung ein Abwenden der Szene und der dadurch bedingte Niedergang der
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Disziplin in dieser Form zu erwarten ist.7 Traditionell führt dieses Entwicklungsmuster dazu, eine Weiterentwicklung der Praktik hervorzubringen.
D IE S TREET -G EGENBEWEGUNG Bezogen auf den Vorläufer des olympischen Street-Terrains, der Wettbewerbsserie Street League, zeichnet sich innerhalb der Skate-Szene eine immer größer werdende Gruppe an Kritikern ab. Dieses Phänomen soll hier als Gegenbewegung bezeichnet und kurz skizziert werden, da diese in ihrer oppositionellen Haltung weitere konstitutive Merkmale von Skateboarding offenbart. Wie bereits angedeutet, kann die Präferenz in Sachen Terrain innerhalb der Skate-Szene dem Wettbewerb-Terrain vorauseilen oder sich quer zu ihr entwickeln. Anzeichen dafür, dass dies bereits geschieht, sind innerhalb der Skate-Szene und außerhalb des Wettbewerb-Kontextes eine zu beobachtende Bewegung gegen die Versportlichung, die sich ungefähr seit 2012 verstärkt vollzieht. Dabei scheint es kein Zufall zu sein, dass sich 2010 das Wettbewerbsformat Street League weltweit etabliert hat, das mehr noch als die X Games als wesentlicher Treiber der Versportlichung von Street-Skateboarding zu deuten ist (vgl. Schäfer, 2017, S. 126; Schweer, 2014, S. 123; Cantin-Brault, 2015, S. 63). Auch Cantin-Brault sieht in professionellen Skateparks und in großen Wettbewerben, wie Street League, die beiden Hauptfaktoren, die zur Vereinheitlichung von Skateboarding führen. Seinen Ausführungen nach, machen die Objektivierung, Quantifizierung und Vergleichbarkeit Skateboarding zu einer austauschbaren Ware, die dadurch ihre wahre Identität verliert (vgl. ebd., S. 54-66). Die Gegenbewegung versucht sich in ihrem Ausdruck der logischen Progression im Sinne der Sportifizierung zu entziehen. Diese veränderte Sinngebung von Street-Skateboarding drückt sich in allen Facetten, in denen sich die Praktik vollzieht, bis ins kleinste Detail aus: Mit entsprechenden Protagonisten, Marken,
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Bei dieser Überlegung müssen im Vergleich zum Halfpipe-Skating mindestens noch vier Aspekte berücksichtigt werden. Erstens: Aufgrund der Replikation von echten Stadtmöbeln kommen bei Street vermehrt Anteile von Mimicry, als zusätzliche SpielKomponente, hinzu. Zweitens erfolgt die Standardisierung und Normung der Street Elemente wesentlich subtiler und die Parcours erscheinen nicht zuletzt wegen ihrer Street-Dekoration vielfältiger. Drittens wird Street-Skating ohne Schutzausrüstung ausgeführt, was dem Aspekt des Risikos zuträglich ist. Viertens entspricht die skizzierte Bewegungsstruktur auf dem Parcours dem authentischen Street-Skating, insbesondere von Plaza.
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Mode, Räume, Tricks, Skateboards, Videos etc. Diese Merkmale sind zum Teil nur mit einem Insider-Blick identifizierbar. Bezogen auf das Terrain findet dieses Phänomen, als verräumlichte Form der Gegenbewegung, seine Entsprechung in der heute wieder verstärkt aufkommenden DIY-Praktik (vgl. Peters, 2016, S. 293; Schäfer, 2017, S. 210). Es handelt sich dabei um selbstgebaute SkateArtefakte. Als ›urbane Intervention‹ wird auch in den städtischen Raum eingegriffen, indem bestehende ›Street-Spots‹ in Betonbauweise modifiziert oder potentielle Skate-Spots (kleine Skate-Gelegenheiten im urbanen Raum) auf besonders kreative Weise überhaupt erst skatebar gemacht werden. Die häufig in einem kleinen Kreis von Skater/-innen gemeinschaftlich mühsam gefertigten Bauten sind einer ungeklärten Lebenszeit ausgesetzt, da sie häufig die Grenze des Legalen überschreiten und jederzeit entfernt werden können. Dieses Spiel mit der Vergänglichkeit und der Aspekt des Illegalen machen u.a. den Reiz für die Akteure von DIY-Projekten aus (vgl. Peters, 2016, S. 162).8 Dabei ist das DIYPhänomen ein Rückgriff auf eine alte Praktik von Skateboarding. Die Praktik kann auch als Heteropie9 oder als »Wunsch der Core-Szene nach exklusiver Vergemeinschaftlichung, nach einer Rückbesinnung auf die ›traditionellen Werte‹ der Skateboard-Kultur« (Peters, 2016, S. 155) gesehen werden (vgl. Schweer, 2014, S. 51-64). Überspitzt formuliert sind die selbstgestalteten, unperfekten ›DIY-Kunstwerke‹ der Gegenentwurf zur fabrizierten, affektierten Kulisse der Street League Wettkampf-Parcours. DIY steht hier unmissverständlich für Aspekte der Gemeinschaft, der Kreativität, des Nonkonformismus und der Selbstbestimmung sowie der Authentizität. Nicht nur das Terrain, sondern die gesamte Konstellation der Gegenbewegung ist durchzogen von spielerischen-kreativen Ausdrucksformen, einer Rekultivierung alter Praktiken und einer starken Betonung von Ästhetik und Authentizität im Modus von Paidia. Das bedeutet allerdings nicht, dass es sich einfach um ein Retro-Skateboarding handelt, indem z.B. einfach Old School Tricks ausgeführt werden. Häufig werden alte und moderne Praktiken im Sinne eines Samplings amalgamiert und bringen so wiederum neuartige Erscheinungsformen
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Im Sinne der Kategorie Alea bezieht sich hier der Aspekt des Zufalls und Glücks nicht
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Schweer (2014, S. 51-64) bezieht den von Foucault geprägten Begriff der Heterotopie
nur auf das Befahren des Terrains, sondern auf das Terrain selber. auf DIY Spots. Es sind für ihn Räume, die vereinfacht ausgedrückt, nach eigenen Regeln funktionieren.
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hervor.10 Fernab von der Wettbewerb-Inszenierung werden diese Praktiken aufwendig in Form von Foto und Film transportiert. Mit multimedialen Stilmitteln wird der andersartige Ausdruck entscheidend inszeniert und in der Szene weltweit intermedial verbreitet. Die einschlägigen special interest-Medien sind die wichtigsten Informationsquellen der Szene, über die sich Neuigkeiten maßgeblich verbreiten (vgl. Bock, 2017, S. 37-40 und S. 181). Als ein zeitgenössischer Hauptprotagonist wird der schwedische ProfiSkater, Künstler und Unternehmer Pontus Alv angesehen, der bereits in einem 2014 erschienenen Interview die hier beschriebene Gegenbewegung als Underground postuliert hat und etwas zynisch den großen Marken dafür dankt, dass sie ein klares Feindbild schaffen, gegen das sich Gleichgesinnte versammeln können: »Thank you Monster – Energy Drink –, thank you Street League, and thank you all for that. It only makes the underground grow stronger. A lot of people are converting the other way, it’s a present for all of us.« (Michna, 2014)
Pontus Alvs stark künstlerisch-ästhetisch inszeniertes Skate-Video ›The Strongest of the Strange‹ aus dem Jahr 2005 präsentiert seine Vision von Skateboarding. Vor allem die in Szene gesetzten DIY-Projekte können als Kritik an der Vereinheitlichung von Skateboarding mit Appell an die Selbstbestimmtheit interpretiert werden. Es ist davon auszugehen, dass dieses wegweisende Video starken Einfluss von Malmö (Schweden) aus, durch die intermediale Verbreitung, auf die Skate-Szene weltweit hat (vgl. Peters, 2016, S. 156; Reinhardt, 2014, S. 35; Schäfer, 2017, S. 172-173). Betrachtet man Skateboarding mit etwas Abstand, kann festgestellt werden, dass der/die Skater/-in per se sich als etwas Besonderes vom Allgemeinen abhebt, weil er/sie eben diese besondere Bewegungspraktik gewählt hat und eben nicht den traditionellen Vereinssport, der hier für das ›Allgemeine‹ steht. Wenn wir annehmen, dass dieses Bedürfnis grundsätzlich in Skateboarding in der Struktur der Akteure angelegt ist, so scheint es naheliegend, dass sich dieses Prinzip innerhalb der Skate-Szene weiter fortsetzt und ausdifferenziert. Etwas pathetisch ausgedrückt: Die Gegenbewegung rollt mit einem idealistisch formatierten Impetus gegen den Missstand der Versportlichung und Vereinheitlichung
10 Paradoxerweise gehen bei dem Versuch, sich durch bestimmte Praktiken der Kommerzialisierung zu entziehen, häufig neue Trends hervor, die etwas zeitversetzt von selbiger sofort wieder erfasst bzw. zum Teil überhaupt erst ermöglicht werden, was das Beispiel ›Red Bull DIY‹ verdeutlicht (vgl. Peters, 2016, S. 165).
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von Skateboarding an. Sie lenkt den Fokus weg vom objektivierten sportlichen Können im Sinne der Schwierigkeit der Tricks und findet ihre Entsprechung in dem ästhetischen Ausdruck von selbstgebauten Artefakten (DIY) und der aufgewerteten älteren Trick-Praktiken (Old School Tricks) und deren Ausführung (Style) und in einem zugehörigen expressiven modischen Stil, der den Skateboarder wieder als einen ›Besonderen‹ von außen distinktiv erkennen lässt. Eine Bewegung der Skate-Szene, die, mit Reckwitz (2017) gesprochen, scheinbar nach dem Singulären, dem Authentischen, dem Einzigartigen trachtet. Indem sie sich rückbesinnt und in die Vergangenheit greift, um das hervorzuholen und zu valorisieren, was skateboard-kulturspezifisch genau dieser Charakteristik entspricht. Anschließend an Reckwitz (2017) können wir hier eine Bewegung beobachten, die sich weg von der Rationalisierung (der Versportlichung) hin zu einer Kulturalisierung des ›authentischen Skateboarding‹, in seine Theorie der Moderne nahezu perfekt einfügen lässt.11
Z USAMMENFASSUNG DES O LYMPISCHEN T ERRAINS UND DER V ERSPORTLICHUNG Als Zusammenfassung der Rekonstruktion der olympischen Terrains in Bezug auf die Versportlichung, kann ein Entwicklungsmuster und eine bestimmte dispositive Konstellation von Elementen identifiziert werden, die die Dynamik der sportlichen Ausdifferenzierung maßgeblich bewirkt. Es wird deutlich, dass die Perpetuierung der Sportifizierung nicht nur auf dem grundsätzlichen Entwicklungs-Muster des ursprünglich gefundenen Skateboard-Terrain im urbanen Raum (leere Swimming Pools in Hinterhöfen, skatebare Stadtmöbel etc.) basiert, um diese in kompakten Parcours unter Laborbedingungen zu konstituieren, zu standardisieren und zeitlich permanent verfügbar zu machen (in Skateparks) und als Wettbewerbs-Formate zu präsentieren (vgl. Schäfer, 2017, S. 166). Die Versportlichung resultiert auch maßgeblich aus der Anordnung der Elemente, die eine Einzeltrick-Orientierung ermöglichen. Im Anschluss an Schäfer (vgl. ebd., S. 166 und S. 176) sei erwähnt, dass nicht nur die Standardisierung des Terrains – zum Beispiel in Skateparks – zur ludisch-agonalen Neigung der Praktik führt,
11 Einschränkend muss angemerkt werden, dass der Beweis für die skizzierte ›Gegenbewegung‹ als solche und der Umfang als Relationsgröße zur Dimension der Versportlichung und der geographischen Gewichtung der Skate-Szene nicht ohne Weiteres wissenschaftlich dingfest gemacht werden kann. Dazu bedarf es eines anderen methodologischen Ansatzes und einer umfangreicheren Primärdaten-Erhebungen.
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sondern besonders auch das Arrangement der Hindernisse Street bzw. runden Elemente Park die so angeordnet sind, dass die Sektionen in Einzeltrick-Orientierung befahren werden können. Es gibt kaum eine Konstellation, die die Versportlichung derart vorantreibt, wie die Standardisierung von Elementen und die ungestörte Anfahrt auf diese Mikroräume zum ständigen Wiederholen und Üben von Tricks.
D ER H ABITUS
VON
S KATEBOARDING
Bei den wesentlichen Umbrüchen und Neuausrichtungen der Praktik scheint etwas am Werke zu sein, dass sich, wie beschrieben, nicht rational, ökonomisch erklären lässt, sondern vielmehr einer anderen ›sozial-kulturellen Logik‹ der Szene folgt. Meine These ist, dass die Gründe für die wellenartige Popularitätsentwicklung in einer tiefen Struktur von Skateboarding angelegt sind. Etwas wovon Skateboarding durchdrungen ist und worauf sich die Praktik immer wieder neu rekonfiguriert. Dieses Phänomen möchte ich als Habitus von Skateboarding bezeichnen und versuchen es näher zu erklären. Genauso wie das Habituskonzept als Struktur das soziale Verhalten erklären kann, soll dieser Grundgedanke auf die Wandlungsprozesse in Skateboarding bezogen werden. Dabei soll das Habituskonzept von Bourdieu nicht auf Subjekt-Ebene, sondern als strukturelle Analogie angewendet werden (vgl. Bourdieu, 1987). Zunächst muss der Begriff Habitus kurz erklärt werden: Der ursprünglich aus der Philosophie stammende Begriff wurde von Pierre Bourdieu und Nobert Elias weiterentwickelt und in den 1960er Jahren als Fachbegriff in die Soziologie eingeführt. Er dient zur Erklärung des Sozialverhaltens von Menschen und wird heute auch verstärkt interdisziplinär verwendet. Der Habitus ist im sozialen Kontext alles, was einen Menschen ausmacht, und wodurch er selbst ausgemacht wird. Er strukturiert das Handeln, ermöglicht und verhindert bestimmte Verhaltensweisen. »Der Habitus ist eine Struktur, die durch die Geschichte einer Person strukturiert wird« (Hasselbusch, 2014, S. 44). Er wirkt von innen auf das Handeln und das Handeln wirkt wiederum von außen nach innen. Der Habitus entsteht durch Erfahrungen, die ein Mensch macht und modifiziert sich im Verlauf des Lebens, wobei die Kindheit und Jugend besonders prägend sind (vgl. Bourdieu, 1993, S. 113 und S. 120; Hradil, 2001, S. 90). Wenn wir das Habituskonzept von Bourdieu auf Skateboarding beziehen, ersetzen wir in diesem Gedankenmodell den Menschen durch die Bewegungspraktik Skateboarding. So wie die Herkunft des Menschen als soziales Wesen in Kindheit und Jugend das ganze Leben prägt und somit den Habitus mitkonsti-
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tuiert, ist Skateboarding als Praktik auch stark von seiner Herkunft12 geprägt und wird ständig mit ihr in Verbindung gebracht und konfrontiert. Alles was Skateboarding sein kann, ist bereits strukturell vordefiniert, denn »der Habitus [ist] wie ein lebendes System: flexibel und hoch anpassungsfähig, zugleich jedoch die Identität des Subjekts bewahrend« (Krais & Gebauer, 2017, passim). Diese Beschreibung lässt sich unisono auch auf Skateboarding anwenden, indem sich die Praktik immer wieder in dynamischen Veränderungsprozessen, etwa der Versportlichung, befindet und sich unterschiedlich darstellt, zugleich aber auch immer versucht ist, die eigene subkulturelle, nonkonformistische Identität zu wahren. »Der Habitus bewirkt, dass die Gesamtheit der Praxisformen eines Akteurs [...] als Produkt der Anwendung identischer [...] Schemata zugleich systematischen Charakter tragen und systematisch unterschieden sind von den konstitutiven Praxisformen eines anderen Lebensstils.« (Bourdieu, 1987, S. 278)
Auf Skateboarding bezogen, könnte das folgendermaßen aufgefasst werden: Der Habitus von Skateboarding bewirkt, dass die Gesamtheit der Ausprägungen dieser Bewegungsform Street, Park etc. das Resultat der Umsetzung identischer Entwicklungsmuster ist, die gleichzeitig einen systematischen Charakter haben, und die sich wiederum systematisch von anderen Bewegungspraktiken unterscheiden. Genau dieses Muster zeigt der dynamische Prozess; nämlich, dass in subkultureller Rahmung Praktiken hervorgebracht werden, die zum Teil immer wieder von der Kommerzialisierung vereinnahmt werden, sich aber wieder von ihr losreißen, um ein neues Spielfeld zu eröffnen, welches dann fortwährend den gleichen stereotypen Zyklus aufweist, wodurch sich Skateboarding grundlegend von anderen Sportpraktiken unterscheidet. Die gleiche Systematik kann durch das folgende Zitat veranschaulicht werden: »Der Habitus ist nicht nur strukturierende, die Praxis wie deren Wahrnehmung organisierende Struktur, sondern auch strukturierte Struktur.« (Bourdieu, 1987, S. 279)
12 Es muss klargestellt werden, dass Skateboarding bereits in den ausgehenden 1950er Jahren erstmalig in Erscheinung trat (vgl. Borden, 2018, S. 3; Hälbich, 2008; Schäfer, 2017, S. 56). Mitte der 1970er Jahre allerdings, implementierte der Bezug zu Surfing, als Quell-Sportart, durch seine ›aggressive‹ Fahrweise das konstitutive ›stilistisches Element‹ in Skateboarding, das die Praktik bis heute subkulturell prägt und wesentlich zu dem machte, was sie heute ist (vgl. Peters, 2016, S. 299; Schäfer, 2017, S. 234). Zudem entwickelte sich erst in den 1970er Jahren das vertikale Skating, welches für den vorliegenden Beitrag den Ausgangspunkt für die Terrain Rekonstruktion darstellt.
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Auf Skateboarding übertragen bedeutet dies, dass der Habitus nicht nur die Struktur von Skateboarding bestimmt, sondern auch durch die geschichtliche Entwicklung geprägt wird. Wenn wir die subkulturelle Herkunft als in die Struktur eingelassen auffassen, und die Sportifizierung als Anpassungsleistung des Habitus von Skateboarding verstehen, dann wird bei Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung deutlich, dass sich – sobald Skateboarding zu sportlich wird – die Skate-Szene systematisch ab einem bestimmten Punkt wieder rekonfiguriert, um sich anderen Aspekten zuzuwenden, die sich in ihrer Symbolik der Versportlichung entziehen. Dieses ›innere Korrektiv‹ der Szene kann als Struktur des Habitus gedeutet werden, das die Handlungsweise der Szene wesentlich beeinflusst und fortwährend strukturiert. Die nonkonformistisch-subkulturelle Prägung kann wohl kaum überschätzt werden, da sie sich in den Frühphasen beider Hauptkategorien der Praktik – sowohl dem Transition-Skating als auch dem Street-Skating – vollzog.
S CHLUSSBETRACHTUNG Bei der Debatte um die Versportlichung und Kulturalisierung von Skateboarding – irgendwo zwischen Sport und Kunst – muss im Blick behalten werden, dass die sportliche Progression auch ein existentieller Teil von Skateboarding als Bewegungsform ist. Als Wettbewerbs-Format und -Terrain in seiner ludischagonalen Ausdifferenzierung kollidiert sie jedoch zunehmend mehrheitlich mit anderen konstitutiven Merkmalen der Struktur des Habitus von Skateboarding: Selbstbestimmung, Nonkonformität, Unberechenbarkeit, Kreativität, Authentizität, Diversität und Gemeinschaft. Es konnte gezeigt werden, dass das Wettbewerbs-Terrain zwar überwiegend aus der Skate-Szene hervorgeht, es jedoch nicht zwangsläufig mit der authentischen Teilhabe der Szene korrelieren muss. Dieser Symptomatik folgend, wäre es denkbar, dass sich die fortschreitende Versportlichung durch Olympia in einer verstärkten Trennung von Skateboarding in eine Welt der ökonomisierten Wettbewerbsinszenierung und in eine Welt der Kulturalisierung mündet und diese weiter ausdifferenziert. Diesem Szenario nach, die Skate-Szene in zwei Lager einzuteilen, also in die Wettbewerbs-Skater/-innen und die Akteure der Gegenbewegung, wäre jedoch eine oberflächliche Betrachtung und eine allzu leichtfertige Interpretation. Vor dem Hintergrund des dargelegten Habitus von Skateboarding, ist ein weiteres Indiz für die Tragfähigkeit dieser theoretischen Überlegungen, die Tatsache, dass sich fast alle elitären Street League Skater/ -innen zusätzlich zu ihren Wettbewerbseinsätzen, selbstbestimmt auf Missionen
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begeben, um »authentische« Street-Videos13 im urbanen Raum als »Selbstmanifest« (Schäfer, 2015, S. 149) zu produzieren. Die Präsentationen auf ursprünglichem Terrain und die damit einhergehende symbolische Bedeutung (subkulturell, non-konform und authentisch) stellt die sozial-kulturelle Verbindung zur Basis der Szene dar.14 Nach Schwier (2016) kann die Selbstmedialisierung u.a. als Nachweis der Zugehörigkeit und »zur Erweiterung des subkulturellen Kapitals« (ebd., S. 115) gedeutet werden. Diese Kapitalsorte lässt sich maßgeblich bei der Dokumentation von Tricks in ›echten‹ Räumen generieren (vgl. Dupont, 2014). Der Stellenwert der Videodokumentation und Verbreitung von Skateboard-Praktiken in authentischen Settings (Street: gefundene Räume und besondere DIY; Transition: gefundene Räume und aussagekräftige Skatepark Terrains) ist grundsätzlich das bedeutendste (Er-)Zeugnis zur Aneignung von Anerkennung und Reputation innerhalb der Skate-Szene. Das subkulturelle Kapital – und nicht die Wettbewerbsbilanz – bestimmt den Status in der Szene und manifestiert entscheidend auch den Marktwert der individuellen Profi-Skater/-innen für Sponsoren15 (vgl. Peters, 2016, S. 239). Der Habitus von Skateboarding ist demnach auch eine Erklärung dafür, dass die Selbstmedialisierung im urbanen Raum auch bei den Protagonisten der großen Wettbewerbe weiter Bestand hat, trotz der immer größeren ökonomischen Anreize, die in Verbindung mit der Teilnahme an großen Events stehen (Preisgeld und Vermarktungspotential des Athleten durch Sponsoren). Die hier herausgearbeitete sozial-kulturelle Bindung an gefundene Räume hat weitreichende Folgen. Sie impliziert, dass jeder/jede ambitionierte StreetSkater/-in früher oder später den Skatepark verlassen muss, um der sozial-
13 Die Nutzung von gefundenen Räumen führt nach wie vor nicht selten zu Auseinandersetzungen mit dem Gesetz aufgrund von Lärmbelästigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und allgemeiner Verkehrsgefährdung. Mit diesen RaumnutzungsKonflikten geht eine mehr oder weniger starke Kriminalisierung von Skateboarding einher, die sich zumindest als nonkonformes Verhalten zeigt, zum Teil sogar als rebellisch und aggressiv von der Szene gelebt und von außen wahrgenommen wird. 14 Hier muss angemerkt werden, dass diese Bewegbilderzeugnisse nicht frei von Markenpräsentationen sind und auch inhaltlich eine ludisch-agonale Tendenz haben können, im Sinne einer »Treppenstufenrekordjagd« (Schäfer, 2017, S. 211), die vielen ›Wettbewerbs-Skater/-innen‹ liegen dürfte. 15 Diese Einschätzung basiert auf meiner fünfjährigen Erfahrung als gesponserter Profiskater und meiner 14-jährigen beruflichen Marketing-Praxis, zu der u.a. das TalentSichten, empfehlen, auswählen und betreuen von gesponserten SkaternInnen für brancheninterne Marken und Markenartikler außerhalb der Skateszene gehört.
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kulturellen Logik zu entsprechen und um sich das beschriebene subkulturelle Kapital anzueignen. Dadurch wären Skateparks nicht einfach eine »Segregation des Skateboardfahrens« (Peters, 2016, S. 153) und »Zähmung« (Cantin-Brault, 2015, S. 57) von (Street) Skateboarding oder ein Trainingsplatz für Wettbewerbe, sondern vor allem auch ein Zweckraum zur Vorbereitung auf das authentische Street-Skating. Im Zuge der Versportlichung ist dieser sozial-kulturell verankerte Aspekt, sozusagen ein in der Struktur angelegtes, implizites Protektorat der Szene. Es schützt Skateboarding vor einer vollständigen Vereinnahmung durch die Eventisierung und Sportifizierung. Im Umkehrschluss hätte eine Inflation, im Sinne einer Entwertung der Bedeutung von authentischen Skate-Videos, als wichtigste ›Währung‹ in Skateboarding, verheerende Folgen für die Identität der Praktik.
AUSBLICK Wie in der Terrain-Analyse, exemplarisch an der ›Gegenbewegung‹ und am Verhalten der ›Wettbewerbs-Skater/-innen‹ verdeutlicht wurde, findet die SkateSzene vielfältige Wege mit der Versportlichung und der fortschreitenden Kommerzialisierung umzugehen: Dazu gehört ein neuer Fahrertyp, der auf generalisierten Fähigkeiten ausgerichtet ist, anstatt den Schwierigkeitsgrad der Tricks in einer Disziplin weiter voranzubringen. Das Park-Terrain, das als relativer Antagonist zur Standardisierung auf Kreativität setzt und dadurch die linear sportliche Progression selbst begrenzt, um wieder zu den prädispositiven Bewegungsmustern seines Ursprungs zurückzukehren. Skater des neuen vertikalen Terrains, die es vorziehen die Schutzausrüstung wegzulassen und dadurch ihre besondere Risikobereitschaft und ihr Improvisationsgeschick ausdrücken. Akteure, die in hohem Maße ihre Gesundheit auf das Spiel setzen, nur um sich einer symbolischen Sportlichkeit und Vorhersehbarkeit zu entziehen. Andere Profi-Skater/ -innen, die sich zusätzlich zu ihren Wettbewerbsteilnahmen im urbanen Raum Treppengeländer hinunterstürzen, um ihre Authentizität und Szene-Zugehörigkeit zu bekunden. Eine ›Gegenbewegung‹ innerhalb der Szene, die als Reaktion auf die Versportlichung alte Praktiken rekultiviert und damit immer mehr Anhänger findet. Es scheint, als ob keine Praxis der Skate-Szene immun gegen die Vereinnahmung der Kommerzialisierung ist (vgl. Schweer, 2014, S. 169; Schwier, 2016, S. 114). Für Marken können sowohl die Verwertungslogik der Versportlichung, als auch die distinktive Positionierung im oppositionellen Ausdruck der ›Gegenbewegung‹ u.a. ein interessantes Betätigungsfeld sein. Indem Markenar-
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tikler beispielsweise ihre Budgets dafür einsetzen, gegen die Versportlichung gerichtete Praktiken und Handlungsweisen der Szene zu unterstützen bzw. teilweise überhaupt erst zu ermöglichen, kann die Kommerzialisierung auch gegen die Sportifizierung arbeiten oder sich neben ihr positionieren. Dass heißt die Kommerzialisierung lässt sich nicht per se als identitätsändernder Faktor von Skateboarding ausmachen, sie ist eher als Verstärker von bestimmten Aspekten zu denken. Die zentrale Frage ist darum, ob es der Szene gelingt, die ökonomischen Anreize zu nutzen, ohne dass dies eine dauerhafte Asymmetrie zu Lasten des Habitus nach sich zieht. Als Resümee könnte eine Zweigleisigkeit der jeweiligen Akteure ein naheliegendes Zukunftsszenario sein: Der Akteur der Versportlichung, der einerseits als Objekt der Kommerzialisierung an Wettbewerben teilnimmt, um für sich persönlich ökonomische Vorteile zu sichern und andererseits auch als Subjekt der Skate-Szene handelt und dabei subkulturelles Kapital durch mediale Selbstinszenierung generiert. Und der Protagonist, der ›Kulturalisierung‹, der als Subjekt selbstbestimmt (sub-)kulturelle Projekte initiiert, die häufig durch SponsoringGelder finanziert werden, wodurch er als Träger der Markenbotschaft indirekt auch zum Objekt der Kommerzialisierung wird. Durch diese exemplarisch dargelegten Handlungsschemata, bewahren die Skater/-innen als Akteure der Kommerzialisierung im sportlichen, wie auch im kulturellen Sinne, gleichzeitig ihre ›wahre Identität‹. Konsequenterweise muss jedoch eingeräumt werden, dass auch diese Prognose für Skateboarding aufgrund seiner konstitutiven Dynamik und Unberechenbarkeit grundsätzlich unter Vorbehalt zu betrachten ist. Im Zusammenhang mit dem Terrain, kann eine Fragestellung für ein anschließendes Forschungsvorhaben sein, in welcher Form im Spannungsverhältnis zwischen olympischer Sportförderung und sozial-kulturellen Interessen die Gestaltung von öffentlichen Skateparks verhandelt werden kann. Als ein weiteres Thema könnte die Versportlichung von Skateboarding im Kontext der Intermedialität wissenschaftlich näher in den Blick genommen werden.
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Die Welt der Skateparks. Orte der Gemeinschaftsbildung und der Persönlichkeitsentwicklung Iain Borden
Die letzten zwanzig Jahre können zweifelsohne als ein neues goldenes Zeitalter für Skateparks bezeichnet werden. Begünstigt durch die Popularität von StreetSkateboarding, der Etablierung der X Games und dem Tony Hawk’s Pro Skater Videospiel (Activision, 1999) sowie einer veränderten Haftpflichtgesetzgebung in den USA, neuen Print-Magazinen und Online-Medien erlebte Skateboarding ein rasantes Wachstum. Im Jahr 2000 gab es in den USA über einhundertachtzig Skateparks in unterschiedlichen Größen, Ausführungen und Inhaberverhältnissen. Gleichzeitig spezialisierte sich eine Reihe von Bauunternehmen wie Airspeed, California Skateparks, Dreamland, Grindline, PTR/Placed To Ride, Purkiss Rose, SITE, Team Pain und Wormhoudt auf die Konzeption und Errichtung von Skateboardparks.1 Heute bieten entsprechend spezialisierte Firmen und Agenturen ihre Dienste in aller Welt an, darunter Convic in Australien; Canvas, Freestyle, Gravity, Maverick und Wheelscape in Großbritannien; Constructo und The Edge in Frankreich; Vertical in der Schweiz, Mystic in der Tschechischen Republik, G Ramps und Landskate in Deutschland sowie Spectrum und New Line in Kanada. Die von diesen Firmen geplanten bzw. gebauten Skateparks sind mitunter beeindruckend und für Jocko Weyland (2002, S. 318) ist es beispielsweise nicht übertrieben, die Skateparks in Newberg (Oregon) und Lincoln City als Meisterwerke zu bezeichnen.
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Einzelne Abschnitte dieses Beitrags finden sich auch in: Borden, I. (2018). Skateboarding and the City: a Complete History. London: Bloomsbury.
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»These works put their builders in league with artists like Richard Serra, Robert Smithson and James Turrell: the parks are beautiful environments, awesome to look at and, on some level, superior to sculpture because they combine aestheticism with athletic functionalism.« (Weyland, 2002, S. 318)
Darüber hinaus sind Skateparks mehr als fantastische Formen und aufregende Sportplätze. Sie bieten Raum für die unterschiedlichsten Nutzer, von Erbauern und Betreibern über die Fahrerinnen und Fahrern bis zu den reinen Beobachtern, die in Skateparks abhängen. Aber genau dieser Aspekt führt mitunter zu Besorgnis unter Nicht-Skateboardern, was von Taylor & Khan (2011) als eine von ›Teenagerphobie‹ geprägte moralische Panik bezeichnet wird. Im Mittelpunkt dieser Angst steht häufig die freie (Selbst-) Sozialisation von Jugendlichen, da dem Skateboarding negative Wirkungen in Form von Verletzungen, Lärm, Graffiti und Regellosigkeit zugeschrieben wird (vgl. Woolley & Johns, 2001). Sogar eher liberale Beobachter wie der Landschaftsdesigner J.B. Jackson (1984, S. 130-132) drücken ihre Bedenken über Skateparks aus: »Noisy, deliberately artificial in its man-made topography, used by a boisterous and undisciplined public, and dedicated to violent expenditure of energy [...] [The skatepark] repudiates and makes a mockery of everything the word park has stood for.« (Jackson, 1984, S. 130)
Angesichts der weiten Verbreitung derartiger Ansichten kann es kaum verwundern, dass Skateparks oft an abgelegenen Orten errichtet worden sind; bevorzugt in den städtischen Randgebieten neben Wertstoffhöfen, Parkplätzen oder anderer qualitativ eher minderwertiger Infrastruktur. Jedoch erzeugen Beton-Skateparks ein ähnlich niedriges Lärmniveau wie Kinderspielplätze und eine australische Studie fand keinerlei Zusammenhang zwischen Skateparks und Graffiti. Studien in Neuseeland und Großbritannien belegten sogar eine positive Beziehung zwischen der Errichtung von Skateparks und dem Rückgang von Kriminalität. In der britischen Stadt Dorchester freuen sich Senioren und die lokale Polizei über die positiven Auswirkungen des zentral gelegenen öffentlichen Skateparks. Man geht hier von einem etwa 45-prozentigen Rückgang so genannten asozialen Verhaltens im Ort aus (vgl. BBC, 2014; Mc Fadyen & Longhurst, 2014; Taylor & Marais, 2011). Insgesamt bieten Skateparks also nachweisbare Vorteile sozialer, kultureller, gesundheitlicher und sogar wirtschaftlicher Art, die oft weit über die eigentliche Ausübung von Skateboarding hinausgehen. Das folgende Kapitel beleuchtet die sozialen Aspekte der Skateboardkultur und zeigt, wie Skateparks ihrerseits neue Formen von Gemeinschaft erzeugen
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können. Weiterhin wird erläutert, wie soziale Einrichtungen sich diese Wirkung von Skateboarding und Skateparks zunutze machen können, um soziale Veränderungen an Brennpunkten in aller Welt zu stimulieren.
AUFBAU VON G EMEINSCHAFTEN Nach Auffassung einiger Autorinnen und Autoren begünstigt das unstrukturierte Format des Skateboarding (im Gegensatz zu den Regeln, Trainingszeiten und erwachsenen Aufsichtspersonen im organisierten Sport) das Auftreten von öffentlichen Ärgernissen, Gewalt, Sachbeschädigungen und Drogenmissbrauch. »If you let the skaters in«, argumentiert ein Skateboard-Gegner aus Seattle, »you are just opening our neighborhood to pushers, pimps, paedophiles, and prostitutes.« (Carr, 2012, S. 71) Derartige Äußerungen basieren jedoch eher auf Vorurteilen, als auf Fakten. Weiterhin belegen zahlreiche Studien das genaue Gegenteil, nämlich dass Skateboarding vielen Heranwachsanden dabei hilft ihre Selbstständigkeit, sozialen Kompetenzen, freundschaftlichen Bindungen, Selbstwirksamkeitserwartungen und ihren Status innerhalb der Peergroup zu entwickeln. In diesem Zusammenhang fördern Skateparks das Erlernen von sozialem Miteinander, Park-Design, Verhandlungsgeschick und Rücksichtnahme auf andere. Sie verleihen den Jugendlichen ein Gefühl von Verantwortung, Zugehörigkeit und Besitzanspruch auf ›ihren‹ Park. (vgl. Bradley, 2010; Carr, 2012; Goldberg & Shooter, 2007; Jones & Graves, 2000). Natürlich tauchen an solchen Anlagen unweigerlich Probleme auf, denn wie jeder andere öffentliche Raum sind Skateparks auch Räume sozialer Verhandlungen. Hierbei sind Lärm, ein gewisses Maß an Mutwillen sowie die Reproduktion patriarchaler Strukturen oft untrennbar verbunden mit der Ausbildung von Gemeinschaften, mit der Entwicklung von Selbstwertgefühl sowie der Ausformung positiver Lebensentwürfe. In einigen wenigen Fällen gibt es jedoch für bestimmte Konflikte keinen Lösungsweg, etwa wenn Skateboarder sich wiederholt über die Regeln des Skateparks hinwegsetzen (u.a. Vorschriften wie Helmpflicht, zeitlich begrenzte Nutzungsintervalle, Eintrittsgeld sowie Verbot von Rauchen, Alkohol und Rauschmitteln) und entsprechend Platzverweise erhalten oder von sich aus den Park boykottieren. In diesen Fällen verlieren Skateparks teilweise sogar genau jene Nutzer, für die sie ursprünglich geplant worden sind (vgl. Carr, 2012, S. 72; Turner, 2013a, S. 189-210 und 211-214).
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Sammelpunkte für regionale Gemeinschaften Dennoch bringen Skateparks beträchtliche Vorteile und erfüllen durchaus die Forderung von Robert Putnam nach weniger »civic broccoli« (der zwar gut für die Gesundheit, aber als Lebensmittel eher unattraktiv ist) und versprechen stattdessen mehr »ingenious combinations of values and fun« (Putnam, 2000, S. 406). Dementsprechend sieht Sendra (2015, S. 820-836) in Anlehnung an den Philosophen Gilles Deleuze in den weniger reglementierten und kostenlos zugänglichen Skateparks wie Stockwell in London sogenannte ›ungebundene Orte‹ im urbanen Raum, die als Freiräume für Kreativität und Widerstand dienen können. Darüber hinaus zeigt eine in Montreal durchgeführte Studie von Dumas und Laforest (2009), dass Skateparks nicht nur weniger Verletzungen verursachen als beispielsweise Street Skateboarding oder einige Breitensportarten, sondern den Skatern auch strukturierte Möglichkeiten bieten, ihr soziales, psychologisches und körperliches Wohlbefinden zu steigern. Eine weitere kanadische Studie stellt fest, dass Skateparks mehr als reine Orte zum Skateboardfahren darstellen: »[Riders are] welcomed, accepted and encouraged« (Shannon & Werner, 2008, S. 39-58). In vergleicbarer Weise leisten britische Skateparks in ländlichen und abgelegenen Gegenden einen Beitrag zum Aufbau sozialen Kapitals: »[They are places where] teenagers actively contribute to shaping their communities« (Weller, 2006, S. 557-574). Derartige wissenschaftliche Befunde werden von den Skateboardern, die diese Parks regelmäßig nutzen, bestätigt. Als Beispiel dienen zwei Skateboarder aus Michigan namens Kevin und Hollywood, die von Robert Petrone interviewt worden sind. »For some of these kids it’s a second home«, erklärt Kevin die Bedeutung seines Stamm-Parks, dem Franklin Skatepark. »This is my way to get away from everything, from my home stress, work stress. I come up here every night. Meet up with my friends and skateboard a little.« Oder wie Hollywood es einfach ausdrückt: »If I didn’t have this skate park, I’d be in jail« (Petrone, 2008, S. 94). In diesem Sinne können Skateparks laut Dumas & Laforest (2009) günstige Orte sein, um Jugendliche für umsichtige und aktive Lebensgestaltung zu begeistern. Viele Städte und Gemeinden in aller Welt kommen zu einem ähnlichen Schluss, beispielsweise Queensland (Australien): »[The local skatepark is] a hub for community life [and] a catalyst for healthy community life in which young and old socialize, have fun, develop new skills, make new friends, hang out and much more.« (Bradley, 2010, S. 290)
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Diese positiven Effekte ergeben sich zum Teil aus der Praxis des Skateboardfahrens und teilweise aus sozialen Gruppenprozessen. Sie sind jedoch ebenfalls den zeitgenössischen Veränderungen im Design von Skateparks zuzuschreiben. Im Jahr 2000 kritisierten Jones & Graves (2000, S. 290) das Design von sechs Skateparks in Oregon mit der Feststellung, es sei alles zu sehr innerhalb des Bowls konzentriert als auf echte Gemeinschaftsräume ausgelegt. Ähnlich belegte Chiu (2009, S. 38-39) kritische Nutzerstimmen zum Hudson River Skatepark in New York: Der Park sei ›wie ein Käfig‹ und ein ›gezwungenes Umfeld‹ mit strikten Öffnungszeiten sowie im Vergleich zu Plätzen zum Street-Skaten weniger authentisch. Aber um das Jahr 2010 setzte ein Wandel bei der Gestaltung von Skateparks ein, der mit einer größeren Offenheit gegenüber Skateboardern unterschiedlicher Altersgruppen, Geschlechter und sozialer Herkunft einherging. Abgesehen von abwechslungsreicheren Terrains zum Skateboardfahren verfügen viele Skateparks inzwischen auch über Trinkbrunnen, Beleuchtung, Sitzgelegenheiten, Tische, Grills und Areale zum Zuschauen und Abhängen. Sie werden begleitet von kunstvoll gestaltetem Landschaftsdesign, fortschrittlicher Architektur und Innendekoration, Skate-Shops, Cafés sowie immer öfter auch WLAN. Weiterhin sind immer mehr Skateparks in übergeordnete städtische Entwicklungsprojekte und Landschaftsgestaltungspläne integriert. Der über 2000 Quadratmeter große Burnham Skatepark in Chicago liegt zum Beispiel in direkter Nachbarschaft zu einem Naturschutzgebiet, Vogelreservat, Uferwanderweg, Spielplatz, Boothafen und Strandhaus. Der 2017 erbaute Marine Parade Skatepark in Napier (Neuseeland) wird flankiert von einem Wasserpark und einem Veranstaltungsort für Konzerte: »[This creates] a public space that belongs to all of Napier and beyond« (Vivioni, 2010, S. 55-60 sowie www.napier.govt.nz). Dementsprechend sind die besten Skateparks gerade nicht jene an abgelegenen und unzugänglichen Orten, die ausschließlich von ›mutigen‹ männlichen Nutzern erschlossen werden können. Zwar haben sich Skateboarderinnen oftmals von Skateparks ausgegrenzt gefühlt, das muss jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein. So bietet ein Skatepark in Vancouver in der Untersuchung von Kelly, Pomerantz & Currie (2008) für die weibliche Skateboardgruppe namens ›Park Gang‹ durchaus einen Raum zum politischen Engagement, indem sie zuerst die Dominanz der männlichen Park-Nutzer infrage stellte und anschließend deren Respekt erlangte, während sie alternative weibliche Identitäten entwickelte. Mit Blick auf Skateparks in der kanadischen Provinz Ontario konnte ferner gezeigt werden, dass Skateboarderinnen die gemeinschaftsorientierten Skateparks, die Teil öffentlicher Parkanlagen sind, für ihre Zwecke als attraktiver empfinden, da sie Akteuren aller Altersgruppen und Fähigkeitsstufen offen stehen (vgl. Harris, 2011, S. 117-132; Carr, 2016).
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Viele Skateparks in aller Welt bemühen sich momentan darum, eine derart integrative Atmosphäre zu fördern. Hierzu bieten sie spezielle Fahrangebote nur für Frauen oder bestimmte Altersgruppen, Gemeinschaftsprojekte mit Schulen, Halloween-Skate-Veranstaltungen, Workshops für DJs und Graffiti-Künstler, sowie weitere niederschwellige Angebote, die ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln suchen. So erklärt der Geschäftsführer des Factory Skatepark in Dundee: »It’s not just a skatepark, it’s a twenty-first century community facility« (Turner, 2013b, S. 1254). Andere Plätze, wie der in Eigeninitiative der Szene (Englisch ›Do it Yourself‹ oder ›DIY‹) gebaute Parasite Skatepark in New Orleans sind einerseits durch ihre halblegale Entstehungsgeschichte Beispiele für transgressives Verhalten. Aber andererseits fördern sie bewiesenermaßen auch positives Sozialverhalten und individuelle Entfaltung. Eine Vielfalt an Altersgruppen ist ein weiteres Merkmal vieler zeitgenössischer Skateparks. Neben Teenagern als größte Nutzergruppe finden sich hier auch viele Kinder unter zehn Jahren (meist in Begleitung ihrer Eltern), die dort oft Kurse im Skateboarding absolvieren. Weiterhin ziehen Skateparks inzwischen auch deutlich ältere Fahrer an: Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 in der Facebook-Gruppe ›Skater über 50‹ bevorzugen rund 62 Prozent der Skateboarder dieser Altersklasse Skateparks und Anlagen mit runden Formen (Englisch ›Transitions‹), während nur 22 Prozent auf Street-Skaten und 16 Prozent auf Freestyle, Slalom und Downhill spezialisiert waren.2 In diesem Zusammenhang finden im 6000 Quadratmeter großen Skatepark von Denver, der für rund $2,8 Millionen nahe der Innenstadt errichtet wurde, auch speziell Traingingszeiten für berufstätige Skater am frühen Morgen und mit Flutlicht nach Feierabend statt. Hierzu sagt Parks & Recreation Officer Leslie Roper: »It turns out we had a huge unmet need for skating and we’re very happy with the result« (Harnik & Gentles, 2009, S. 34-38). Neoliberale Erziehung und Hybridökonomie In den letzten zehn Jahren haben sich in Skateparks neu entwickelte Programme bewährt, bei denen die Nutzer in Eigenverantwortung für Aufbau, Betrieb und Pflege ihrer Anlagen sorgen müssen und Anfängern das Skateboardfahren beibringen. Neben direkten Vorteilen wie langfristigem Erhalt der Skateparks und der Nachwuchsförderung vermittelt dieser Ansatz den Jugendlichen auch ein Gefühl von Stolz auf ihre Leistungen. Sie lernen, als mündige Bürgerinnen und
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Vgl. hierzu www.facebook.com/groups/skatersover50/permalink/756733984435970/ (Zugriff am 14.01.2018).
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Bürger am öffentlichen Leben in ihrer Gemeinde teilzunehmen. In diesem Zusammenhang sagt Peter Whitley (2009) von der Tony Hawk Foundation, die Antragsstellung für einen Skatepark und der damit verbundene bürokratische Prozess mache Skateboardinnen und Skateboarder zu aktiven Teilnehmern an der Stadtpolitik: »Skateboarders go from getting tickets and having their boards confiscated to being on a first-name basis with city council members« (Edwards, 2015). Sobald ein Skatepark erst einmal gebaut ist, etablieren sich tiefergehende Verbindungen zum Gemeinschaftsleben. So übernehmen die Skater in dem von Petrone (2008, S. 98 und 118) untersuchten Franklin Skatepark in Michigan wichtige Aufsichtsfunktionen und unterbinden Graffiti, Drogen, Müll sowie laute Musik und gehen organisiert gegen Sachbeschädigung vor. Autoren wie Daniel Turner (2013b; 2017) und Ocean Howell (2008) betonen daher, dass die Stadtplanung sich diesen Prozess der ›Zivilisierung‹ zunutze machen kann, um gezielt wünschenswerte Persönlichkeitsmerkmale bei den Jugendlichen zu fördern. Hierzu zählen Charaktermerkmale, die als grundlegender Bestandteil der neoliberalen Erziehung zu sehen sind: »personal responsibility, self-sufficiency, and entrepreneurialism« (ebd., S. 476; vgl. Beal et al., 2017). Dementsprechend können Skateparks eine Rolle in einem übergeordneten Prozess spielen, in dessen Rahmen die Beziehung zwischen Bürgern und Staat von passiver Anspruchshaltung auf eine Rolle als konstruktiv Teilnehmende übergeht. Skateboardinnen und Skateboarder bekommen ihre eigenen Skateparks in dieser Perspektive nicht, weil diese ihnen zustehen, sondern weil sie sich diese durch Eigeninitiative und angemessenes soziales Verhalten verdient haben (vgl. Howell, 2008, S. 475). Weiterhin spielen Konsumkultur und Kommerzialisierung in der Errichtung von Skateparks eine Rolle. Dies wird deutlich anhand der beträchtlichen Marketingeffekte von Parks wie dem Nike SB Shelter in Berlin und dem House of Vans in London, einem 2500 Quadratmeter großen Park im Innern einer ehemaligen viktorianischen Eisenbahnanlage mit kostenlosem Skateboarding (Bowl und Street-Anlage) sowie Studios für Kunst, Film und Musik (vgl. Borden, 2016). Als konstantes Werbemittel für das Unternehmen Vans bietet der Park – entworfen von britischen Skateboardgrößen wie Tim Greatorex, Pete Hellicar und Marc Churchill – eine Vielzahl von kostenlosen Programmen und involviert seine Nutzer auf großzügige Weise. Diese Form des Marketings übertrifft auch herkömmliches Sponsoring großer internationaler Konzerne (Mountain Dew, Pepsi etc.), das Pro-Skateboarder Tony Hawk (2015) zufolge zwar die professionellen Skater unterstützt, aber nicht die Werte des harten Kerns der Szene erfüllt. House of Vans überwindet somit den grundsätzlichen Widerspruch zwischen der ›authentischen‹ Ebene, bestehend aus spontanen und nicht finanziell geför-
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derten Aktionen von der ›Straße‹, und der ›unauthentischen‹ Welt gewinnorientierter, kommerzieller Projekte. House of Vans ist so ein Beispiel für die Hybridökonomie im Sinne von Lawrence Lessig (2008): Ein Wirtschaftsmodell, das gleichzeitig nach finanziellem Gewinn strebt, aber auch als ›Sharing Economy‹ kollaborative und gemeinschaftliche Vorteile ermöglicht. Daher bietet House of Vans ein praktisches Vorbild, wie Skateparks es schaffen können, Gewinnorientierung, Medienpräsenz und Kontrolle mit Glaubwürdigkeit, sportlicher Leistung und Unordnung zu verbinden. Tourismus und urbane Erneuerung Abgesehen von Marketingmodellen nach dem Vorbild von Vans könnten Skateparks auch die Bereiche Tourismus und urbane Erneuerung unterstützen. Hierzu schreibt Kyle Duvall: »Skateparks are no longer seen as a grudging way to deal with the so-called problem of skateboarders. Instead, cities have begun to see them as assets, even showpieces« (Duvall, 2016). Skateparks werden längst nicht mehr nur von Akteuren aus einem bestimmten Stadtteil genutzt. Einige Städte sind sich bewusst, dass Skateparks auch überregionales, nationales oder internationales Publikum anziehen und binden sie dementsprechend in übergeordnete Planungsziele ein. Als eine der ersten Städte erkannte Louisville (Kentucky) dieses Potential: Der im Jahr 2002 erbaute Extreme Park war zum Teil gezielt darauf ausgerichtet, neue Besucher anzuziehen. Das Metro Government bewilligte Baukosten in Höhe von $2 Millionen für den vom Planungsunternehmen Wormhoudt entworfenen Park mit 3700 Quadratmetern Fläche, inklusive Street-Parcours, Halfpipe, diversen Bowls, Fullpipe, Flutlicht und Öffnungszeiten rund um die Uhr. Insgesamt ging die Rechnung auf und der Park brachte der Stadt einen enormen Imagegewinn. Im Jahr 2015 flossen erneut $2,2 Millionen in umfangreiche Renovierungsarbeiten, in deren Zuge einige der ursprünglichen Elemente durch einen neuen Bowl, Street-Parcours, Glow-Bowl und Fullpipe mit runder Dachöffnung ersetzt worden sind. Ähnlich wurde auch der Black Pearl Skatepark auf den Kaimaninseln (2005) vom Planungsbüro SITE sowohl für einheimischen Nutzer als auch als Touristenattraktion konzipiert. Auf über 6500 Quadratmetern bietet der Park laut Tony Hawk eine befahrbare Landschaft von ›monströsen Ausmaßen‹, deren vollständige Erkundung über eine Woche dauert (vgl. Hawk & Hawk, 2010, S. 134-136 sowie sitedesigngroup.com). Ebenfalls mit Ausrichtung auf den Tourismus entstand das Streetdome in Haderslev (Dänemark) für $5,5 Millionen, entworfen von Rune Glifberg, Ebbe Lykke und dem Architektenbüro CEBRA. Den Bau der 4500 Quadratmeter gro-
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ßen Anlage, die sowohl Freiluftflächen als auch Hallen unter einer mit Gras überwachsenen Kuppel bietet, übernahm das Unternehmen Grindline. Neben Skateboarding bestehen auch Möglichkeiten zu Kajakfahren, Musik, Parcours, und Klettern. »[This] cultural and experiential powerhouse [acts as a] facilitator [where] urban sport, street culture and youthful souls all meet together« (www. streetdome.dk). Ein ähnlicher multidisziplinarischer Ansatz steht hinter der Factoria Joven (Jugendfabrik) im spanischen Merida. Hier realisierte das Architektenbüro SelgasCano im Jahr 2011 eine Kombination aus Anlagen für Skateboarding, Klettern und Radfahren im Zusammenspiel mit Möglichkeiten für Computerworkshops, Tanz, Theater, Videobearbeitung und Graffiti, umgeben von farbenfroh gestalteter Architektur (vgl. Katz, 2011). Wie der Erfolg dieser Projekte beweist, kann Skateboarding beträchtliche Umsätze generieren und seine Anlagen mit anderen Sportarten teilen. So bringen Massenspektakel wie die X Games nicht unbedingt greifbaren Nutzen für die einheimischen Skateboardakteure an den Veranstaltungsorten, aber die Stadtverwaltung von Los Angeles konnte durch Ausrichtung der X Games im Jahr 2010 zusätzliche Einnahmen von rund $50 Millionen erzielen. Die Stadt Malmö veranstaltete im Jahr 2016 das Finale der Vans Park Series und im Gegenzug baute Vans den Kroksbäck Skatepark als feste Einrichtung für die lokale Szene, die gleichzeitig als sozialer Raum für Bewohner der anliegenden Sozialbauten dient (vgl. Bradley, 2013; Wright, 2016). Einen noch größeren Maßstab erreicht aktuell ein in der Skateboardgeschichte einmaliges Projekt in Folkestone (Großbritannien): Finanziert durch den Roger de Haan Charitable Trust entsteht hier 2018 der weltweit erste mehrstöckige Beton-Skatepark als ›urbanes Sportzentrum‹. Im Gegensatz zu typischen Skateparks in der Peripherie der Großstädte liegt dieses Projekt im Herzen der Stadt und dient dem übergeordneten Ziel, die momentan heruntergekommene Innenstadt als kreatives Viertel zu revitalisieren. Auf lange Sicht soll der Park die Jugendlichem zum Verweilen in Folkestone animieren und neue Bewohner in die Stadt bringen. Der Skatepark wurde entworfen vom Architektenbüro Guy Hollaway und Maverick unter Berücksichtigung von Fachkommentaren des Autors dieses Beitrags. Er basiert auf einem ehrgeizigen Design, bestehend aus drei Stockwerken mit fahrbaren Elementen sowie zahlreichen Einrichtungen für das Gemeinschaftsleben.3 Insgesamt entsteht so ein beeindruckendes Beispiel einer Kombination aus Skateboarding, kunstvollem Design, bürgerlicher Initiative und urbaner Revitalisierung an einem zentralen Ort.
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Vgl. hierzu auch den Artikel ›Guy Hollaway Plans to Put Folkestone on the Map‹ im Magazin Dezeen (15 May 2015), www.dezeen.com.
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ALTERNATIVE L EBENSGESTALTUNG Wie Paul O’Connor (2016) in seiner Analyse belegt, praktizieren Skateboarder auf elementarer Ebene ein Prinzip der gelebten Zugehörigkeit. Das reicht von einfachen Gesten wie dem Aufhalten des unkontrolliert davongefahrenen Boards eines anderen Akteur, bis hin zur kostenlosen Weitergabe von Skateboardzubehör an Fahrer mit mangelnden finanziellen Mitteln und anderen gemeinnützigen Aktionen. Weiterhin praktizieren Skateboardinnen und Skateboarder eine ›präfigurative‹ Politik in ihren Verhaltensweisen und Ansichten, die eine Welt widerspiegelt, wie sie sie gerne erschaffen möchten. Hierin liegt eine bemerkenswerte Erweiterung meiner früheren Interpretation von Skateboarding als performative Kritik der Werte und Grundprinzipien des Kapitalismus. Über diese hinaus vermittelt die Skateboardkultur nämlich Teilnahme und Dazugehörigkeit als Formen der Lebensgestaltung (vgl. Borden, 2001, S. 173-260). Diese präfigurative Politik konzentriert sich laut O’Connor (2016, S. 41) nicht nur darauf, sich den urbanen Raum für die Zwecke von Skateboarding anzueignen. Sie enthält auch einen transformativen Charakter, welcher darum bemüht ist, die Werte, Einstellungen und das Wissen von Skateboarding zu bewahren. Wie kann dies in der Praxis geschehen? In der Fachliteratur wurde bereits häufiger argumentiert, dass Skateboarding die Grenzen zwischen Klassen, Rassen, Altersgruppen und Geschlechtern in Frage stellen kann (vgl. Borden, 2018, Kapitel 3). Grundsätzlich liegt dem Skateboarding ein anderer Ansatz zum Leben in der urbanen Gemeinschaft zugrunde, als der einer anonymisierten, auf das Individuum konzentrierten Gesellschaft. Ein Ansatz, geprägt von Freundschaft, Teilhabe und Unabhängigkeit sowie nicht-hierarchischen Organisationsformen, Widerstand gegen Regeln, Zynismus gegenüber kommerzieller Ausbeutung und bedingungsloser Akzeptanz von Erfolgen ebenso wie von Niederlagen. Bleibt nur die Frage: Wenn hierin die zentrale Logik von Skateboarding liegt, wie kann diese über die Grenzen der Skateboardkultur auch anderen zugute kommen? Skateboarderinnen und Skateboarder haben sich schon oft für gemeinnützige Zwecke engagiert und Spenden für wohltätige Projekte gesammelt. Tausende derartige Aktionen wurden bislang dokumentiert. Als Beispiele dienen etwa der Skateboarder Jack Smith, der die USA bereits mehrmals auf dem Skateboard durchquert hat, um Spenden für wohltätige Gesundheitsversorgung zu sammeln. Der Skateboarder David Cornthwaite mobilisierte von 2006 bis 2007 mit seiner 3621 Meilen weiten Expedition von Perth nach Brisbane rund £20.000. Im Jahr 1994 gründete das TransWorld Magazin die Organisation Board AID, um HIVpositiven Teenagern zu helfen und im Jahr 2005 sammelte die Kunstausstellung ›Lords of Dogtown Art Collection‹ Spenden für die Initiative ›Boarding for
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Breast Cancer‹ (vgl. O’Connor, 2016, S. 37). Über den Einsatz für wohltätige Zwecke hinaus, kann Skateboarding in pädagogischen Kontexten auch die Vermittlung sozialer Kompetenzen und vielfältige Bildungsprozesse unterstützen, worauf im Folgenden genauer eingegangen wird. Bildung und Erziehung Wie die Studie von Robert Petrone zeigt, ist das Erlernen von Skateboarding ein mehrdimensionaler Prozess: Es ist gleichzeitig individualisiert und kollaborativ, leistungsorientiert und Wettkämpfen gegenüber abgeneigt, generationsübergreifend, eine körperliche Ausdrucksform und ähnelt in seinen Abläufen oft einer Handwerkslehre. Beim Erlernen hängt viel vom Teilnahmewillen des einzelnen Skateboarders ab, ebenso wie von den Methoden der Aneignung. Hierbei können Skateboarder gleichzeitig die Rolle von Lernenden und Mentoren einnehmen, wodurch jeder Akteur seinen eigenen Beitrag zur Gemeinschaft leisten kann (vgl. Petrone, 2008, S. 167-168 und S. 227-235). Daher ist es naheliegend, dass das offene und flexible Lernverhalten im Feld des Skateboarding, welches weiterhin als ständig möglichkeitserweiternd und individuell anpassungsfähig charakterisiert werden kann, großes pädagogisches Potential bereithält (vgl. hierzu OʼConnor, 2016). Wie könnte dieses Potential in der Praxis genutzt werden? In manchen Fällen lässt sich Skateboarding, wie Howell (2008) und Wixon (2009) bereits argumentiert haben, direkt in den Schulunterricht integrieren (vgl. Gillogly, 1976). So verfügen die Gould Academy in Maine und das Bryggeriet Gymnasium in Malmö jeweils über eigene Skateboardhallen, welche die Grenzen zwischen Schule und Freizeit verschwimmen lassen. In Bryggeriet kommt sogar der Ansatz des ›Formative Assessment‹ von Dylan William im gesamten Lehrangebot zum Einsatz, passend zum grundlegenden Ethos von Skateboarding, ständig den Fortschritt der eigenen Entwicklung zu überprüfen (vgl. www.bryggeriet.org). Inzwischen binden weltweit zahlreiche Schulen Skateboarding in ihr Lehrprogramm ein. In Neuseeland findet Skateboarding seit dem Jahr 2010 durch das Programm OnBoard Skate seinen Weg in den Schulsport. In Nordamerika führt die Lehrinitiative New PE die Schülerinnen und Schüler aktiv an Skateboarding, Snowboarding und Land Paddling heran, während die Firma Skate Pass ein System entwickelt hat, das nicht nur die gesunde Entwicklung von Kindern sondern auch persönliche Entfaltung, freundlichen Umgang und Kooperation unterstützt. Das Serviceangebot umfasst die Entwicklung von Lehrplänen, die Schulung von Lehrkräften sowie komplette Einsteigerpakete mit Skateboards und Sicherheitszubehör. Neben großen Erfolgen in den USA kommt Skate Pass auch in Kanada,
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Deutschland, Singapur und der Dominikanischen Republik zum Einsatz. Mit stärkerer Konzentration auf den Wettbewerbsaspekt im Skateboarding veranstalten amerikanische Organisationen wie die National Scholastic Skateboarding League (seit 2010) und die National High School Skateboard Association (seit 2008) auf Ligaebene regelmäßige Skateboardwettkämpfe zwischen einzelnen Schulen (vgl. Loew, 2008). Viele dieser Initiativen erweisen sich als besonders geeignet, die sonst schwer für den Schulsport zu begeisternden Kinder zu mobilisieren. Hierzu zählen neben übergewichtigen Kindern und Jugendlichen auch jene, denen die wettkampforientierten und reglementierten Abläufe in traditionellen Schulsportarten wie Fußball, Tennis, Turnen und Leichtathletik nicht zusagen. Im Jahr 2004 rief der Profi-Skater Stevie Williams mit seinem Vater Steven Lassiter in Philadelphia die Educate to Skate Foundation ins Leben, die gezielte Nachmittagsbetreuung für Schülerinnen und Schüler aus Risikogruppen durchführt. Diese Angebote können mitunter eine deutlich wahrnehmbare positive Wirkung entfalten. Nach dem Skate-Unterricht von Skateboarding Australia in Brisbane kam so einer der Väter der Teilnehmer zu dem Ergebnis: »Because their bodies are all excited, they’re really positive about their homework. I’ve seen my boys just gain so much confidence« (Stewart, 2013; vgl. Willing & Shearer, 2016). Seit dem Jahr 2005 bietet die vom Skateboardhersteller Paul Schmitt gegründete Nonprofit-Organisation CreateaSkate ein besonderes Bildungsangebot: Hierbei steht die Konstruktion von Skateboardbrettern (Decks) im Mittelpunkt, wobei die Kenntnisse der Schüler in Sachen Mathematik, Naturwissenschaften, Sprache und Ingenieurswesen aktiv gefördert werden. Weitere Unterrichtsprogramme verknüpfen Skateboarding mit anderen Lehrangeboten, etwa das Programm Action Science von Bill Robertson, auch bekannt als Dr. Skateboard, oder die Skatepark Mathematics Extravaganza (2014), in deren Rahmen HighSchool-Schüler in Texas ihre Umgebung erkunden und dabei Kenntnisse in Sachen Physik, Datensammlung, Geometrie und Algebra anwenden. Ein brasilianisch-portugiesisches Projekt nutzt das als Ollie bekannte Skateboardmanöver dazu, die Gesetze der Physik nach Isaac Newton zu veranschaulichen. In Großbritannien umfasst das Curriculum der FAR Academy Lehreinheiten zu Design und Konstruktion von Skateboard-Decks (vgl. Robertson, 2014; Dias, Carvalho & Vianna, 2016; www.thefaracademy.co.uk). Georgina Badoni (2009) untersuchte mit ihren Schülerinnen und Schülern eine Reihe von Skateboards, die von Angehörigen amerikanischer Indianerstämme entworfen wurden, was einzigartige Einblicke in historische Ereignisse, persönliche Geschichten und kulturelle Überzeugungen lieferte. In Kanada setzt die Colonialism Board Company gezielt Skateboards im Zusammenspiel mit historischen Dokumenten ein, um ihre
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Landsleute über die kolonialen Wurzeln aufzuklären (vgl. Baica, 2015). Skateboarding kann ferner auch die Anbahnung unternehmerischer Kenntnisse unterstützen: In der Oasis Skateboard Factory in Toronto arbeiten Schülerinnen und Schüler am Aufbau ihrer eigenen Skateboardmarken und leiten die Geschäfte einer Design-Agentur (vgl. Dart, 2015). Die kulturellen und sozialen Dimensionen des Skateboardings können darüber hinaus Studium und Lehre an Hochschulen bereichern. Exemplarisch für die diversen Studienprojekte und Lehrangebote zum Skateboarding sei hier nur auf das an der University of Dayton (Ohio) von Zachary Sanford geleitete Seminar zum Thema Action Sports Management verwiesen, das Aspekte wie Authentizität, X Games, Olympia sowie die Darstellung von Athletinnen und Athleten beleuchtet. An der University of Southern California bietet des Weiteren Neftalie Williams ein Studienprogramm zu den ökonomischen und kulturellen Aspekten von Skateboarding an. Zahlreiche Universitäten betreuen inzwischen auch Promotionen zum Themenbereich Skateboarding, etwa die Bartlett School of Architecture am University College London oder die Sport and Leisure Studies der Waikato University. Soziale Hilfsprojekte Viele Szeneangehörige beteuern, dass Skateboarding sie vor einem Leben mit Drogen, Gangs und Gewalt bewahrt hat. So berichtet beispielsweise der Londoner Skateboarder Karim Bakthouai: »All the people I know like, they all fucking in jail. I didn’t want that, I ain’t about that, I’d rather be skating« (Borden, 2016, S. 94). Und wie White (2015, S. 80-103) schildert, kann dem Skateboarding und seinen Formen der Gemeinschaftsbildung im New Yorker Stadtbezirk Bronx durchaus eine Schutzfunktion für afroamerikanische Heranwachsende und Angehörige anderer Minderheiten zukommen. Neben dem eigentlichen Skateboardfahren eröffnen frei zugängliche Skateparks zusätzliche Möglichkeiten, so genannte Risikogruppen in der Gesellschaft auf positive Weise zu involvieren. Eingebunden in gemeinnützige Programme verstärkt sich die positive Wirkung auf benachteiligte Jugendliche sogar deutlich. Die weltweit bekannteste und erfolgreichste Nonprofit-Organisation mit Skateboard-Focus ist zweifellos Skateistan.4 Die Initiative wurde im Jahr 2008 in
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Inzwischen liegen neben dem Band von Fitzpatrick (2012) auch mehrere audiovisuelle Dokumentationen zum Skateistan-Projekt vor: ›Skateistan – To Live and Skate Kabul‹ (Regie: Orlando Von Einsiedel, 2011); ›Skateistan – Four Wheels and a Board in Kabul‹ (Regie: Kai Sehr, 2010); ›Skateboarding in Afghanistan‹ (Orlando Percovich,
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Kabul, Afghanistan vom australischen Skateboarder Oliver Percovich gegründet, der heute als Executive Director der Organisation fungiert. Nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg und zahlreichen Machtwechseln stellen Percovich zufolge Kinder und Jugendliche rund siebzig Prozent der Bevölkerung des Landes. Aber den Kindern und Heranwachsenden bleibt zum Spielen nur die Straße. Den Mädchen ist es weiterhin verboten, Fahrrad zu fahren oder Drachen steigen zu lassen, jedoch ist Skateboardfahren erlaubt. Daher bietet Skateistan gemeinsame Skateboardkurse für Jungen und Mädchen im Rahmen eines kulturorientierten Lehrprogramms mit Themen wie Menschenrechte, Weltkulturerbe, Umweltschutz sowie Ernährung, Hygiene und Geschichtenerzählen. Das übergeordnete Ziel liegt darin, den Teufelskreis aus Gewalt, Verzweiflung und Armut zu durchbrechen, mit dem sich viele Jugendliche in Kabul im Laufe der Jahre bereits abgefunden haben und sie stattdessen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern. »When it comes down to it, kids just want to be kids«, erklärt Percovich. »Skateboarding provides that because it’s fun and challenging. It lets them forget their problems for a moment. Once kids are hooked on skateboarding, so much more is possible. Skateboarding itself teaches important life skills, like creativity and problem solving.« (Borden, 2015)
Mit diesem Ansatz und der tatkräftigen Unterstützung leitender Mitarbeiter wie Max Henninger, Shams Razi, Sharna Nolan und vielen weiteren hat Skateistan beachtliche Erfolge erreicht. 2012 fuhren rund 500 Kinder in Afghanistan Skateboard, ganze 40 Prozent davon waren Mädchen. Ein Jahr später erreichte die Initiative jede Woche über 850 Kinder, wobei die weibliche Beteiligung bei 40 bis 50 Prozent lag. Skater wie Noorzai Ibrahimi oder Merza steigerten sich bis aufs Profi-Niveau und wurden durch das DC Shoes Europe Team gesponsert sowie zum Besuch der Vereinigten Arabischen Emirate eingeladen. Skateboarder mit körperlichen Behinderungen wie Mohammad Bilal Mirbat Zai sind ebenfalls bei Wettbewerben erfolgreich gewesen. Durch Skateistan wurden zwei Skateparks gebaut, einer in Kabul und der andere in Mazar-e-Sharif. Die nachhaltigen Wirkungen von Skateistan gehen jedoch weit über Skateboarding hinaus. Den Initiatoren geht es gerade nicht darum, den afghanischen Kindern – quasi in imperialistischer Manier – westliche Werte und die Skateboard-Kultur zu vermitteln. Vielmehr stehen auch praktisches Wissen und sozia-
TEDxSydney’, 2014), www.youtube.com/watch?v=HnYN2yDqZew; ›Afghanistan’s Girl Skaters – Kabul 2012‹, www.vimeo.com/46337060 sowie www.skateistan.org.
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le Fähigkeiten auf dem Programm. Nach Auffassung von O’Connor (2016) sorgt Skateistan so nicht durch Skateboarding für Veränderungen, sondern durch die engagierte Beteiligung der Fahrerinnen und Fahrer. »Skateboarding is in multiple ways a vehicle for transformation but not the driving force.« (O’Connor, 2016, S. 38) Mit anderen Worten: Für Skateistan ist Skateboarding eine Methode, aber nicht das letztendliche Ziel. In diesem Zusammenhang umfasst das Angebot von Skateistan gemischte Kurse wie Skate and Create, Back to School und Youth Leadership. Hier lernen die Kinder Wissenswertes zu Gesundheit und Ernährung. Sie sammeln praktische Erfahrungen mit künstlerischer Gestaltung, Computerprogrammierung und Umgang mit Umweltthemen. Sie studieren die Sprache der Dari, Mathematik und den Koran und bauen ganz gezielt Selbstvertrauen, Mut, Selbstwertgefühl und Vertrauen auf. Indem die Kinder gemeinsam miteinander arbeiten, spielen und lernen entstehen neue Freundschaften über die ethischen Gruppierungen wie Pashtun, Hazara, Tajik und Uzbeken hinaus. Weiterhin lernen die Kinder schon im Rahmen der Skateboard-Kurse, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu respektieren. »Even in the most desolate of situations«, sagt Lukas Feireiss, »skateboarding, as a performative instrument for transformation, teaches the children of Skateistan not to accept the city and therefore society as it is, but to create their own city, their own spaces and their own futures. In its essence, the power of skateboarding in Afghanistan is about what it symbolizes: the freedom of movement and the empowerment of the individual beyond all restrictions and conventions.« (Fitzpatrick, 2012, S. 191)
Oder wie es die vierzehnjährige afghanische Skaterin Negina pointiert beschreibt: »Skateboarding lets me feel like I’m flying« (Fitzpatrick, 2012, S. 275). Solche Erfolgsgeschichten leisten einen bemerkenswerten und nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung in Afghanistan, oder wie es die freiwillige Helferin Sophie Friedel ausdrückt: »Sie schaffen Frieden.« Im Jahr 2013 wurde Skateistan vom The Global Journal in die Liste der einhundert wichtigsten NGOs der Welt aufgenommen (vgl. Friedel, 2015, S. 59 und passim). Im Laufe der letzten Jahre haben zahlreiche professionelle Skateboarder das Projekt unterstützt und besucht, darunter Cairo Foster, Tony Hawk, Louisa Menke, Kenny Reed und Jamie Thomas. Skateboardfirmen wie Black Box, Fallen, IOU Ramps, Route One, Skateroom, Spitfire, Theeve, TSG und Zero haben Skateistan geholfen, ebenso wie Architecture for Humanity und die Regierungen von Kanada, Dänemark, Finnland, Deutschland, Norwegen, der Schweiz und der Vereinigten Staaten sowie der Stadtverwaltung von Kabul und das Olympische Komitee Afghanistans. An-
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gesichts dieser tatkräftigen Unterstützung war Skateistan im Jahr 2015 in der Lage, seinen Aktionsraum über Kabul hinaus zu erweitern und Standorte in Nordafghanistan, Vietnam, Kambodscha und Südafrika einzurichten. Zahlreiche weitere soziale Initiativen nutzen Skateboarding zum Erreichen ihrer Ziele. Holly Thorpe (2016) belegt die positive Wirkung von Skateboarding und anderen alternativen Sportarten bei der Errichtung von »therapeutischen Landschaften« in Krisen- und Kriegsgebieten. Es erlaubt den Jugendlichen, ihre Verortung nach Katastrophen auf physischer und emotionaler Ebene neu zu definieren und ihre sozialen Netzwerke und Verbindungen neu aufzubauen. Seit dem Jahr 2008 versorgt die Organisation Board Rescue in den USA junge Menschen aus benachteiligten Familien und Risikogruppen mit Skateboardzubehör und zeigt, dass körperliche Betätigung, Durchhaltevermögen und regelmäßige Übung zum Erfolg führen. Seit dem Jahr 2010 sorgen zahlreiche gemeinschaftliche Projekte für positiven Wandel in aller Welt, etwa Stoked Mentoring in den USA, Cuba Skate in Kuba, Ethiopia Skate und Megabiskate in Äthiopien, Janwaar Castle in Madhya Pradesh (Indien), Skate-aid, SkateQilya und SkatePal in Palästina, 7Hills Skatepark in Amman (Jordanien), Engineers Without Boarders und Outlangish in Kapstadt, Latraac in Athen, Skate Style in Kambodscha, Bedouins in Tunesien sowie die internationalen Niederlassungen von Skate for Change. Diese Projekte setzen Skateboarding erfolgreich zur Lösung tiefgreifender Probleme ein, etwa den Missbrauch von Drogen und Alkohol, Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt, religiöse Vorurteile, Diskriminierung nach Geschlecht oder ethnischer Herkunft sowie fehlenden Zugang zu Schulbildung. So entstand auf einem verlassenen Industriegelände in Detroit im Jahr 2012 der Ride-It Sculpture Park, der sich als kostenfreier, von Kunstobjekten und Grünflächen umgebener Skateboardpark schnell zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt hat. Weiterhin zeigt der Dokumentarfilm ›I Am Thalente‹ von Natalie Johns aus dem Jahr 2015, wie das Indigo Skate Camp in Südafrika das Leben von Thalente Biyela und anderen Kindern aus Durban zum Positiven gewendet hat (vgl. www.youtube.com/ watch?v= ADtErLjggH8). Die Zahl der aktiven Projekte wächst ständig. So organisiert A.Skate in den USA (www.askate.org) Skateboardunterricht für autistische Kinder und schärft auf diesem Weg das öffentliche Bewusstsein für die speziellen Bedürfnisse der betroffenen Heranwachsenden, wobei auch Probleme mit dem Selbstwertgefühl, Angststörungen, Depression und Suizidgefahr zur Sprache kommen. Ebenfalls in den USA versuchen das All Nations Skate Project, die Stronghold Society und der Wounded Knee 4-Directions Skatepark den jugendlichen Angehörigen der Ureinwohnerstämme Hilfestellungen bei der Bewältigung von verbreiteten Prob-
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lemen (u.a. Gewalt, Drogen, Alkohol) zu geben. Unterstützung erhielt das Projekt unter anderem von Jeff Ament von der Rockband Pearl Jam, die ihrerseits einige Skateparks in verarmten Stadtteilen finanziell unterstützt hat (vgl. Ament, 2015; Nieratko, 2015; Weaver, 2016 sowie www.strongholdsociety.org). 5 Der The Forks Skatepark in Winnipeg (Kanada) veranstaltet regelmäßig SkateboardZeltlager mit begleitenden Film- und Fotographie-Workshops für sozial benachteiligte Jugendliche und teilt seine Räumlichkeiten mit dem weltweit ersten Museum für Menschenrechte (vgl. Daniello, 2007). In allen diesen Projekten wirkt Skateboarding als eine mögliche (Teil-)Antwort auf komplexe soziale Probleme, wobei sowohl der eigentliche Akt des Skateboardfahrens, als auch die hierdurch eröffneten Möglichkeiten zur Teilhabe eine gleichwertige Rolle spielen. Eine ähnliche Stoßrichtung wie diese Initiativen verfolgt das Engament der Tony Hawk Foundation, die sozial benachteiligte Stadtteile und Kinder aus Risikogruppen durch die Errichtung von Skateparks unterstützen will. Die Foundation wurde im Jahr 2001 von Tony Hawk und seinen Sponsoren ins Leben gerufen und unterstützt öffentliche Skateboardprojekte in Sachen Parkdesign und Konstruktion sowie in manchen Fällen auch direkt durch Geldmittel. Im Jahr 2017 hatte die Foundation bereits 569 Skateparks in den USA mit über $5,5 Millionen gefördert und über 900 Skateparks weltweit technische Hilfestellung geleistet. Ebenso wie bei Skateistan und anderen Gemeinschaftsprojekten gehen die positiven Effekte weit über Skateboarding hinaus. Ein Skateparkprojekt bietet den Heranwachsenden aus Sicht von Tony Hawk (2010, S. 155) eine ideale Lerngelegenheit um die Wirkmächtigkeit von Ausdauer und Beharrlichkeit quasi an sich selbst zu erleben: »Kids discover they can accomplish something by working within the system rather than beating their heads against it. They learn how to communicate in a way that will encourage adults to listen, and they go from feeling alienated to empowered.« (Hawk & Hawk, 2010, S. 164)
5
Einblicke in die Praxis des Skateboarding im Reservat bietet unter anderem ein Video des Red Bulletin Magazins mit dem Titel ›Skate Life on an Indian Reservation Skate or Die‹ (www.youtube.com/watch?v=SYRINJZZqWU).
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No Comply. Die Resilienz der Skateboardkultur Sebastian Schweer
H INFÜHRUNG Im Jahr 2002 begann der schwedischer Skateboarder Pontus Alv experimentelle und nicht unbedingt leicht verdauliche Skateboard-Kunstfilme zu produzieren, in denen er den Tod seines Vaters und seiner Großeltern verarbeitete. Der hier vertretende Skatestil entsprach nicht den Maßstäben des Mainstream Skateboardings und geskatet wurde zumeist an unbekannten skandinavischen Orten oder an selbsterbauten, auf Industriebrachen errichteten Betonrampen, sogenannten Doit-yourself-Spots (DIY-Spots). Ein paar Jahre später ist Alv einer der bekanntesten Skateboarder der Welt und Besitzer der höchst erfolgreichen Skateboardfirma Polar Skate Co. Zudem hat sich der von ihm vertretene Skatestil international verbreitet. Die Gründe für die Popularität von Alv und dessen Skateboardstil möchte ich im Folgenden analysieren. Die These, die ich im Weiteren entfalten werde ist, dass sich hier eine Reaktion der Skateboardkultur auf die Versportlichungstendenzen manifestiert, die als Resilienz begriffen werden kann.
H ETERODOXES S KATEN Der Titel »No Complies & Wallrides+shuvits« (Polar Skate Co., 2012a) des Promo-Videos der jungen Skateboardfirma Polar Skate Co. veranschaulicht die Verbreitung einer skateboardinternen Stilrichtung, die sich durch eine hohe Trickfrequenz, einen stellenweise chaotisch und kreativ anmutenden Stil und die Ausführung von Tricks auszeichnet, die bis vor einigen Jahren lediglich in der
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Peripherie des Mainstream-Skatens praktiziert wurden. Daher möchte ich diesen Stil, auch wenn er sich nun großer Beliebtheit erfreut, als heterodoxes Skaten bezeichnen. Zu diesen Tricks gehören sogenannte Wallrides1, Wallies2, Slappies3 sowie No Complies4, Shuvits5, Powerslides6, Boneless Ones und Fastplants7. Viele dieser Anfang der Nullerjahre noch marginalen Tricks gehören 2018 zum Standard Trickrepertoire eines/einer Skateboarder/-in.8
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Beim Wallride wird, wie der Name andeutet, an einer steilen bis vertikalen Wand entlanggefahren. Hier besteht die Schwierigkeit zumeist darin, nicht bloß mit der Wand zu kollidieren und am Ende des Bewegungsablaufs nicht mit der Boardspitze in den Boden zu stoßen.
2
Beim Wallie touchiert der/die Fahrer/-in mutwillig mit den Achsen das zu überwindende Objekt. Dieses wird nicht einfach übersprungen, sondern in den Bewegungsablauf des Springens miteinbezogen.
3
Als Slappies, oder Slappie Grinds, wird ein Bewegungsablauf bezeichnet, bei dem nicht auf das Objekt gesprungen, sondern mit Kraft gegen das Objekt gefahren wird. Beispielsweise können geübte Skateboarder/-innen auf Bordsteinkanten (ohne Absenkung) fahren um dann auf diesen zu grinden, also auf den Achsen zu rutschen. Dieses Bewegungswissen war Anfang der 90er Jahre sehr populär, verschwand dann nahezu vollständig aus den Skatevideos und der Praxis der meisten Skateboarder/-innen und erfreute sich erst in den letzten Jahren wieder zunehmender Beliebtheit.
4
Beim No Comply setzt der/die Fahrer/-in den vorderen Fuß auf den Boden, um mit dem hinteren Fuß abzuspringen. Dieser Trick kann in sehr vielen Variationen ausgeführt und als Emblem des heterodoxen Skatens verstanden werden.
5
Beim Shuvit wird das Board durch Druck des hinteren Fußes einmal um die eigene Längsachse gedreht. Dieser Trick kann ›gepoppt‹ werden, was bedeutet, dass Fahrer/in und Board vom Boden abheben, oder auch unter geringerer Krafteinwirkung über den Boden rutschen (sliden). Die letztere Variante ist gegenwärtig sehr verbreitet.
6
Beim Powerslide stellt der/die Skater/-in die Rollen quer zur Fahrtrichtung, was zumeist beim Bergabfahren als Bremsmethode eingesetzt wird und im Bewegungsablauf starke Ähnlichkeit zu Surf- und Snowboardbewegungen aufweist (beides Sportarten, bei denen bergab gefahren wird).
7
Beim Boneless One wird das Board gegriffen und mit dem vorderen Fuß abgesprungen, beim Fastplant berührt der/die Skater/-in nach dem Absprung mit dem hinteren Fuß den Boden/das Hindernis und greift ebenfalls das Board.
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Natürlich lässt sich bei einer so ausdifferenzierten Jugend- und Sportkultur wie der des Skateboardings nicht unproblematisiert von einem Standard-Trickrepertoire sprechen. Hier geht es mir um Panorama, welches skateboardinterne Stilwechsel aus einer
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In einem ersten Versuch der Klassifizierung des skizzierten heterodoxen Skatestils lässt sich erstens konstatieren, dass sich das heterodoxe Skaten durch intensiveren Kontakt zur urbanen Landschaft auszeichnet: Hände und Füße berühren hier häufiger den Boden, über Hindernisse wird nicht mehr bloß gesprungen, sondern an diesen wird mit Schwung, Kraft und Technik hoch-, gegen-, und entlanggefahren. Bevorzugte Skateboardorte (Spots) zeichnen sich nicht mehr durch möglichst glatte Oberflächen aus, sondern durch erhöhten Widerstand, bspw. durch schlechten Bodenbelag oder kurze und gefährliche An- und Ausfahrten.9 Zweitens lassen sich die Tricks im Rahmen einer Abfolge, die im Jargon Line genannt wird, in hoher Frequenz kombinieren, da etwa Shuvits, Wallrides oder Powerslides ohne große Kraftanstrengung auch bei hoher Geschwindigkeit vollzogen werden können. Doch sind weder diese Tricks noch der Stil innerhalb der Skateboardkultur ein Novum, so kann beispielsweise der Skateboarder Jason Adams bereits 2001 in Bezug auf seine Trickauswahl als ein fast idealtypischer Vertreter des heterodoxen Skatens gelten. Anfang der Nullerjahre war diese Stilausprägung jedoch ein Randphänomen und führte nicht zu einer umfassenden Veränderung der Skateboardkultur. Daher bezeichne ich diesen Stil als heterodoxes Skaten. Dass sich das bereits von Adams verkörperte heterodoxe Skaten heute auf breiter Ebene durchgesetzt hat, zeigen auch die Kommentare unter seinem bei Youtube hochgeladenen Part im 2001 erschienenen Video »Label Kills« (Black Label, 2001): »Ed Fisher (2010): [...] people are doing a lot of these tricks now« »Maxime Bel (2016): this was jason adams attempt to subtly communicate that he was a time traveling [sic] skateboarder from the year of ›2015‹« (Ed Fisher, 2010).
Metaperspektive beleuchten möchte und daher notwendigerweise einige Verallgemeinerungen vornehmen muss. Die Popularität dieser ›neuen‹ Tricks wird durch die Analyse populärer Videoproduktionen, Internetdiskussionen und Firmenlogos belegt. Meine Beobachtungen sollen eine Entwicklungstendenz hervorheben, nicht aber nahelegen, die Skateboarder/-in 2018 würden gemäß bestimmten festen Regeln skaten. Orthodoxes und heterodoxes Skaten sind als Idealtypen zu verstehen und kommen in der Empirie nie in Reinform auf, sie markieren ein Spektrum. 9
Hier wäre beispielsweise die GX1000 Crew aus San Francisco als Beispiel anzuführen, bei denen es weniger um den gestandenen Skateboardtrick am Anfang ihrer Line geht als vielmehr darum, ob sie den darauffolgenden halsbrecherischen Downhill unbeschadet überstehen.
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Hier deutet sich an, dass der heterodoxe Stil von Jason Adams seitdem an Anschlussfähigkeit gewonnen und Eingang in den Mainstream gefunden hat. Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist somit die Frage, wieso dieser Skatestil, der Anfang 2000 lediglich ein peripheres Phänomen innerhalb der Skateboardkultur war, eine solche Popularität gewinnen konnte.10 Ich folge in meinem Aufsatz einer Dramaturgie des Herauszoomens: Zunächst werde ich die Entwicklung des Skateboarders, Künstlers und Unternehmers Pontus Alv nachzeichnen, da dieser maßgeblich verantwortlich für die Popularisierung des heterodoxen Skatens ist. In einem zweiten Schritt werde ich die Entwicklung dieser Stilrichtung zu demjenigen Pol der Skateboardkultur in Beziehung setzen, der die Versportlichung forciert, dazu zählen vor allem die Formate Street League Skateboarding (SLS) sowie Battle at the Berrics (BATB). Anschließend versuche ich eine Erklärung anzubieten, die nicht auf der Akteursebene argumentiert, sondern die Skateboardkultur als emergentes Phänomen begreift. Die Herausbildung des heterodoxen Skatens wird hier als Ausdruck einer Resilienz gegen Versportlichungstendenzen verstanden. In einem Ausblick setze ich meine Beobachtungen unter Verwendung der Resonanztheorie Hartmut Rosas in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext.
P ONTUS ALV : C HRONIK EINER E NTWICKLUNG Pontus Alv, Jahrgang 1980, ist ein professioneller Skateboarder, der bereits als Heranwachsender unter Vertrag bei US-amerikanischen Skateboardfirmen stand und eigene Parts in Videos wie »5ive Flavors« der Firma Mad Circle (Mad Circle Skateboards, 1998) oder »Gumbo« von Arcade Skateboards (Arcade Skateboards, 1999) hatte. Es ist hervorzuheben, dass es Ende der 1990er noch äußerst ungewöhnlich für europäische Skateboarder war, von US Firmen gesponsert zu werden. Alv war ein erfolgreicher Skateboarder, der sich jedoch in seiner Trickauswahl und seinem Skatestil nicht von anderen an der US-Westküste ansässigen Skateboardern seiner Zeit unterschied. Die von ihm gefahrenen Orte waren zu-
10 Als Beleg für die Popularität der im heterodoxen Skaten beliebten Tricks können zudem die Titelbilder des einflussreichsten Skateboardmagazins der Welt, dem Thrasher Magazine, angeführt werden. Ein Coverfoto gilt gemeinhin als Ritterschlag für jeden/jede Skateboarder/-in und dasselbe möchte ich hier auch für die abgebildeten Tricks behaupten. So war in der Aprilausgabe 2004 Ishod Wair mit einem No Comply-Wallie abgebildet (Thrasher Magazine, 2014), in der Oktoberausgabe 2015 zierte Jake Johnson das Cover mit einem No Comply (Thrasher Magazine, 2015b).
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meist die ikonografischen Spots San Franciscos. Von Arcade Skateboards wechselte Pontus Alv zum europäischen Skateboardhersteller Cliché Skateboards und hatte einen Videopart in deren 2000 erschienenen Video »Europa« (Cliché Skateboards, 2000). Hier fuhr er, wie der Name des Videos bereits andeutet, nahezu ausschließlich europäische Spots, blieb in seinem Skatestil jedoch konventionell. Da Alv 2003 bei Cliché gekündigt hatte, war er nicht mehr in deren 2004 veröffentlichten Video »Bon Appetit« (Cliché Skateboards, 2004) vertreten. Doch das von ihm in seiner Cliché-Zeit gesammelte Material, das von dem französischen Filmer Fred Mortagne aufgezeichnet wurde, ist als sogenannte B-Side veröffentlicht worden (Thrasher Magazine, 2015a) und offenbart eine Veränderung in Alvs Skatestil: Hier zeigt sich ein kreativer(rer) Stil und es finden sich nun viele Wallride und Wallie-Variationen, sowie No Complies. In diese Zeit fiel auch seine Entscheidung, nach Malmö zurückzukehren und selbst künstlerisch tätig zu werden. Den Entschluss, ein eigenes Video zu produzieren, fasste Alv, da er sich und seine Auslegung, dessen was Skateboarding sei, in den oben erwähnten Videos nie repräsentiert sah: »For once in my career I wanted to show people who I really am and what I believe and stand for. All my past video parts before strongest [Hier meint Alv sein erstes selbstproduziertes Video »The Strongest of the Strange«, S. Schw.] never showed me. It showed me through the image and eyes of a company. I always felt like I worked so hard with my skating but when I saw the final result in the end I always felt like there were things missing. So this is why I decided to make my first film to show my beliefs and my ideas of what skateboard is and isnʼt for me.« (theoriesofatlantis, 2014)
Alvs bisheriger orthodoxer Skateboardstil war damit auch den Anforderungen der Skateboardindustrie geschuldet. Ähnliches berichtet Jason Adams, der Zeit seines Skateboarderlebens eine Leidenschaft für Slappies hatte, diese jedoch ausschließlich in seiner Freizeit und nicht in seiner Funktion als professioneller Skateboarder vollführte. Erst der Inhaber seines Sponsors Black Label Skateboards, John Lucero, habe ihm die Freiheit in der Gestaltung seiner Videoparts gegeben, in die er nun Slappies einweben konnte.11 So lässt sich hier von einer
11 »Oh, For sure I was doing them [Slappies, S. Schw.] then, especially in the early 90s. You know what was going on in skateboarding. It was hip hop, urban, white shirts, baggy pants, that kind of bullshit, and I was still like: I like punk rock, I’m from the suburbs. I grew up with The Faction and Black Flag and all that kind of stuff...I never grew out of it. (In the 90’s) one of my closest friends was Tim Brauch and he had the same attitude. We’d have slappy sessions, we kind of had that need for rebellion with-
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Kodifizierung des Skateboardstils sprechen, der den (unterstellten) Anforderungen einer Kundschaft gehorcht und einen dominanten (orthodoxen) Skateboardstil perpetuiert. Diese Kodifizierung zu unterlaufen war häufig nur um der Preis der szeneinternen Marginalisierung möglich, oder unter Inkaufnahme persönlicher (vor allem ökonomischer) Risiken. Beide Risiken ging Alv mit seinem ersten selbstproduzierten und 2005 erschienenen Video ein. Dieses trägt in Anlehnung an ein Gedicht von Charles Bukowski den Titel »Strongest of the Strange« (Pontus Alv, 2005). Das Video wurde von der Modefirma Carhartt unterstützt und lag in den deutschsprachigen Ländern als kostenlose DVD der 34. Ausgabe der Skateboardzeitschrift BOARDSTEIN bei und erregte mit seiner Mischung aus Kunstfilm und Skatevideo viel Aufsehen. In diesem zwischen 2002-2005 produzierten Video finden sich alle Themen, die für Alv schließlich bekannt und anerkannt werden sollten: Ein künstlerischer und sehr persönlicher Zugang zur Skateboardkultur, viele unbekannte schwedische Spots (im Unterschied zu den ikonografischen US-amerikanischen Orten an denen er am Anfang seiner Karriere gefahren ist, s.o.) sowie ein starker Fokus auf die Geschichte und Entwicklung der selbsterbauten DIY-Spots, die liebevoll mit eigenem Namen sowie »Geburts- und Todesjahr« portraitiert werden. Die Trickauswahl lässt sich zu großen Teilen dem heterodoxen Skaten zuordnen. Der künstlerische Anspruch des Videos wird durch einen Gastauftritt des aus den USA stammenden Skateboarders Scott »Black Arm« Bourne unterstrichen. Dessen Part wurde gänzlich in schwarz/weiß gedreht und als Soundtrack fungiert die Lesung eines Bukowski Gedichts.12 Ein gesprühtes Graffiti auf einer selbsterbauten Rampe veranschaulicht die Geisteshaltung, in der dieses Video wohl auch in Hinblick
in skateboarding, that and San Jose pride was really heavy. I embraced it. I don’t think that was really seen until later when I rode for Black Label. With the other companies I was just trying to fit in, but (John) Lucero was the first to really stress »do whatever you want«, so I’d show him video and be like: »look at this (slappy) trick... I did all this stuff on a curb«, and he’d love it.« (Ackbar & Adams, 2014) 12 Scott Bourne ist gegenwärtig wohnhaft in Paris und stilisiert sich hier als Schriftsteller, indem er moderne Technik verweigert und daher lediglich auf alten Schreibmaschinen oder per Hand schreibt. Zu seinen Veröffentlichungen zählen Gedichtbände (Bourne, 2015) sowie ein Roman (Bourne, 2013). Er und Alv lernten sich auf einem von Carhartt gesponserten Skateboardtrip nach Ulan Bator kennen. Beide Skateboarder eint ihr außergewöhnliches Skaten, ihre stellenweise ostentative Stilisierung als Künstler sowie eine Unterstützung durch Carhartt, die ihre Projekte teilweise erst ermöglicht hat.
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auf Alvs Erfahrungen in der Skateboardindustrie produziert wurde: »NO RULES, NO FUCKING RULES«. Auch das zweite Video Alvs, »In Search of the Miraculous« (Polar Skate Co., 2010), erregte viel Interesse und veränderte die Skateboardkultur nachhaltig. So schreibt das Kingpin Magazin: »[…] his independent films, such as 2010’s In Search Of The Miraculous, have left an indelible mark on the sport« (Kingpin Skateboarding). Die oben erwähnte Kombination aus heterodoxem Skaten, künstlerischer Machart, DIY-Kultur sowie die persönliche Komponente, die sich in diesem Video gar in einer Szene niederschlug, in der Alv sich selbst neben dem Leichnam seines Großvaters portraitiert, erfuhren eine breite Rezeption. Auch in diesem Video findet eine Auseinandersetzung mit der Skateboardindustrie statt, die in einer in den Film montierten Videoaufnahme des sehr jungen Alvs manifest wird: Hier hat Alv einen Skateboard-Wettbewerb (Contest) gewonnen und wird zu seiner Leistung befragt: »Interviewer: This went splendid, Pontus! Alv: Yeah. It went good, I placed first. So I am very pleased with myself. Interviewer: Why did you win? Alv: I got something called a line… You know… When you ride a special route… So I practice this line… So I win… and donʼt miss.« (Polar Skate Co., 2010, 47:58)
Nach diesem Ausschnitt ertönt im Soundtrack des Videos ein Seufzen, was als Absage an die versportlichte Perspektive des jungen Alv interpretiert werden kann und daraufhin beginnt der Part des gereiften, heterodoxen Alv. Damit wird eine Auslegung der Skateboardkultur thematisiert, den ich den Pol der Versportlichung nennen möchte und von dem Alv sich, das sollte die bisherige Übersicht gezeigt haben, abgewandt hat. Im Rahmen dieser versportlichten Auslegung ist es nicht ungewöhnlich, dass Skateboarder/-innen ihre Tricks wieder und wieder üben und sich damit in ihrer Auslegung der Skateboardkultur kaum von anderen (Leistungs-)Sportarten unterscheiden.13 Das Video endet mit einem mutmaßlichen Einbruch auf ein Industriegelände, um dort einen riesigen Kessel als sogenannte Fullpipe skaten zu können und hier
13 So sagt Nyjah Huston, das Aushängeschild des Versportlichungspols, über sein Training, das er bereits im Alter von 8 Jahren durchlief: »I would go through these like hour, two, three hours long routines of just practicing tricks and after that Iʼd be like: Ok, now I can learn something new.« (The Nine Club, 2018, 14:00)
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zeigt sich, dass auch Gesetzesübertretung und Regelbruch Teil des heterodoxen Skatens sind. Zurück zur Rezeptionsgeschichte: »In Search of the Miraculous« wurde 2011 beim International Skateboard Film Festival in Los Angeles, einer »Oscar Verleihung für Rollbrettfilme« (Schwinghammer, 2011) mit drei Auszeichnungen in den Kategorien: »Best Documentary«, »Best Soundtrack«, »Best Director« geehrt (ebd.). Im Zuge dieses durchschlagenden Erfolgs gründete Alv 2012 die Firma Polar Skate Co., die sich schnell zu einer der beliebtesten Skateboardfirmen und Aushängeschild des heterodoxen Skatestils entwickeln sollte. Dies zeigt sich emblematisch daran, dass ein beliebtes Design der Firma eine an Henri Matisses »Blauen Akt« angelehnte Kunstfigur ist, die einen No Comply ausführt. Zudem tragen die beiden ersten Promovideos von Polar Skate Co. in ihren Titeln Trickbezeichnungen, die klar dem Repertoire des heterodoxen Skatens entnommen sind: »No Complies & Wallrides+shuvits« (Polar Skate Co., 2012a) sowie »Wallrides. Oh Yeah, Oh Yeah Oh Yeah.« (Polar Skate Co., 2012b). Die große und positive Resonanz auf die Filme von Alv kann unter anderem auf die künstlerische Machart, das innovative Skaten, die selbstgebauten DIYSpots sowie den gelungenen Soundtrack zurückgeführt werden. Alvs Videos lassen sich als skateboardinterne Künstlerkritik an einer kodifizierten und standardisierten Auslegung der Skateboardpraxis charakterisieren, aber dies erklärt meines Erachtens nach die weitreichende und stilbildende Wirkung auf die Skateboardkultur nicht in Gänze. Hierzu müssen einige Referenzdaten angeführt werden, um die Erfolgsgeschichte Alvs und des von ihm popularisierten heterodoxen Skatens in einen größeren Kontext zu setzen um dadurch folgende Frage beantworten zu können: Weshalb konnte das heterodoxe Skaten ab spätestens 2010, also mit dem Erscheinen von »In Search oft he Miraculous«, derart anschlussfähig werden und nicht schon 2001, etwa durch Jason Adams oder andere heterodoxe Skateboarder/-innen?
D ER P OL
DER
V ERSPORTLICHUNG
Neben den X Games, die 1995 zum ersten Mal in Newport, Rhode Island veranstaltet wurden, und Skateboarding als Massentaugliche Sportart in das TVProgramm brachte, gab es 2008 derart einschneidende Ereignisse für die Skateboardkultur, dass ich sie als Wasserscheide bezeichnen möchte. Zunächst wurde der Maloof Money Cup, ein Contest bei dem das bis dato höchste Preisgeld ausgesetzt wurde, nämlich 160 000 $ (NBC Washington, 2011), ins Leben gerufen. Damit näherte sich Skateboarding weiter dem Pol der Versportlichung an, da
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nun allmählich Beträge ausgezahlt wurden, die sich mit denen in anderen Profisportarten vergleichen ließen. Ein weiteres Format, aus dem eine äußerst erfolgreiche Eventserie werden sollte, entstand mit der Battle at the Berrics (im Weiteren: BATB genannt). In diesem ebenfalls 2008 inaugurierten Wettbewerb treten 32 Skateboarder jeweils in Zweierpaarungen im KO-Verfahren gegeneinander an. Das Prinzip ist einfach und klar kompetitiv: Fahrer 1 legt einen Trick vor; kann Fahrer 2 diesen nicht nachmachen, erhält er einen Buchstaben. Wer zuerst 5 Buchstaben (SKATE) gesammelt hat, verliert und scheidet aus.14 Der Firmenname des Veranstalters Berrics ist ein Portemonteau aus den Namen der beiden Gründer, Steve Berra und Eric Koston (Berra, Eric). Diese erwarben eine Lagerhalle in Los Angeles und errichteten einen Skatepark, in dem ausgesuchte Skateboarder abseits der Schwierigkeiten, die Street Skaten normalerweise beinhaltet, zu skaten.15 Ihre Webpräsenz ist »one of skateboarding’s most trafficked websites« (Jenkem Magazine, 2014) und bietet einen Onlineshop sowie verschieden Videoformate. Hier wird mit dem Wortfeld »Militär« gespielt, da der Name Berrics ein (nicht ganz übereinstimmendes) Homophon zu barracks, also militärischen Baracken, ist. Dementsprechend gibt es Formate wie dem Battle Commander, die Canteen, den New Recruit oder Shoot all Skaters. Das wichtigste Format ist die Battle at the Berrics, die Schlacht. Wie in einer Kaserne (und beim Sport) üblich, herrschen bei diesem Wettbewerb sehr klare Regeln, die jedesmalig vor einem Duell verlesen werden. Es lohnt sich, sie hier ausführlich wiederzugeben: »BATB X Rules This is flatground only but that doesnʼt mean everything on flatground counts. No feet on the ground so that means no no-complies. No handplants. No bonelesses. No grabs. No doing tricks that slide on the ground if your opponent popped his trick. [...] Lets keep it clean, lets keep it lean. This is battle of the Berrics and thereʼs only gonna be one winner so may god have mercy on your souls« (The Berrics, 2017).
14 Angelehnt ist das Format an das in der US-amerikanischen Öffentlichkeit bekannten Spiel HORSE aus dem Basketball. 15 Schlechter Boden, intervenierende Securities, Wind, andere Nutzer des urbanen Raums, in der Anfahrt parkende Autos, furiose Anwohner/-innen, um nur einige zu nennen.
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Trotz der teilweise deutlich ausgestellten Selbstironie, gerade beim Verlesen der Regeln, wird großer Wert auf die Eindeutigkeit der ausgeführten Tricks gelegt; diese müssen sauber gelandet werden und beschränken sich auf ein Spektrum, aus dem Abweichungen wie das Berühren des Boards mit der Hand (Grabs, Bonelesses, Handplants) sowie das Absetzen eines Fußes auf den Boden (No Comply) verboten sind. Im Zuge der strengen Reglementierung ist es interessant, dass der Trickname des ausgeschlossenen No Comply sinngemäß übersetzt bedeutet: kein sich Fügen, kein Entsprechen, kein Einwilligen und dass der Ausschluss dieses Tricks qua Reglement die (symbolische) Kodifizierung und Quantifizierung der Skateboardpraxis im Sinne eindeutiger Vergleichbarkeit beinhaltet. Damit hat im Jahr 2008 mit dem Maloof Money Cup und die weit rezipierten BATB eine doppelte Annäherung an den Pol der Versportlichung stattgefunden. Es sei nun noch eine weitere folgenreiche Weichenstellung für die Skateboardkultur und -praxis erwähnt: Die Inauguration der Eventreihe Street League Skateboarding (im Weiteren SLS) im Jahr 2010, die in dasselbe Jahr wie die Erstausrichtung der X Games in Europa fällt. Das Neue an dem Wettbewerbsformat SLS ist nicht nur, dass hier das Preisgeld nochmals angehoben wurde, sondern vor allem, dass für jeden gestandenen Trick der teilnehmenden Skateboarder/-innen ein Punktwert zugeordnet wird, der dank der Instant Scoring Experience (ISX) in Echtzeit jederzeit an den Bildschirmen der Eventhallen einzusehen ist.16 Jeder Trick hat (s)einen Wert, was vor allem für das mögliche Format, in dem Skateboarding 2020 auf der olympischen Bühne auftreten wird, von großer Relevanz ist. Dies ist der größere Kontext, in dem die von Alv produzierten Skate/ Kunstvideos rezipiert wurden und in deren Rahmen ein Skateboardstil präsentiert wird, der nahezu als Inversion der Regeln von BATB gelten kann: Häufig wiederkehrende Tricks des heterodoxen Skatens sind, wie oben gezeigt, Wallride-Kombinationen, No Complies, Slappie-Grinds sowie Boneless- und Fastplantvariationen. Zudem werden viele Tricks in sehr schnell gefahrenen Lines hintereinander ausgeführt, in denen es nicht so sehr auf den einzelnen Trick ankommt, sondern auf die aus verschiedenen kleinen Tricks entstehende Line, die einen Gesamteindruck hinterlässt, der eben nicht auf einen einzelnen Trick rückführbar ist. Vor dem Hintergrund des Gesagten möchte ich die These formulieren, dass das heterodoxe Skaten, das mit dem 2010 erschienen Video popularisiert wurde, eine skateboardinterne Kritik an den oben dargestellten Versportlichungstendenzen ist und sich damit auch der Erfolg sowohl der Polar-Videos als auch
16 Für eine ausführlichere Darstellung von SLS vgl. Schweer, 2014, S. 117 ff.
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-Produkte erklären lässt. In der Verbreitung dieses Skateboardstils manifestiert sich die Resilienz der Skateboardkultur, verstanden als die Widerstandsfähigkeit in bestandsgefährdenden Krisensituationen: Durch den Quantifizierungsdruck, die Kodifizierung des Trickrepertoires und die Versportlichungstendenzen drohen gewisse Praktiken innerhalb der Skateboardkultur zu verschwinden, etwa solche, die sich mit einer Do-It-Yourself-Kultur und dem Umherschweifen in der Stadt durch einen hohen Grad an »participant control« (Beal & Weidman, 2003, S. 344) bzw. durch Selbstwirksamkeitserfahrungen (s.u.) auszeichnen. Die Popularität des heterodoxen Skatens markiert einen nicht geringen skateboardinternen Grad des Widerstands gegen den Pol der Versportlichung. Daher prägen sich Fahrstile, Tricks und Spotvorlieben aus, die sich den Anforderungen der Versportlichung (zumindest temporär) entziehen. 17 So lassen sich auch die Auswahl der Orte, an denen geskatet wird, als Ausdruck der Resilienz verstehen, insofern häufig nicht (mehr) diejenigen Orte aufgesucht werden, die sich durch eine besondere Zugänglichkeit auszeichnen (gebaute Skateparks und -plazas, Orte mit gutem Boden), sondern zunehmend solche, denen eine gewisse Widerständigkeit zu eigen ist, beispielsweise durch besonders rauen Boden, holprige Anfahrten, steile Abfahrten oder aber auch selbstgebaute DIY-Spots.18
17 Auf der Instagram Profilseite von Berrics wurde gefragt, ob der No Comply bei BATB 11 zugelassen werden solle. Die Kommentare ließen erkennen, dass es hier keinen Konsens innerhalb der Skateboardkultur gibt. Interessant waren die Argumente, die gegen den No Comply ins Feld geführt wurden: Hier wurde häufig kritisiert, dass dieser Trick in seinen mannigfaltigen und unübersichtlichen Kombinationsmöglichkeiten nicht in einen Wettbewerb passen würde, in dem es um eindeutige Tricks gehe. Gleichzeitig wurde kolportiert, dass dieser Trick kein ›echter‹ Trick sei. Es ist jedoch fraglich, ob die Inhaber von Berrics dieses Meinungsbild erhoben haben, um die Regeln tatsächlich zu ändern. Eine Rolle mag hier auch der Instagram-Algorithmus gespielt haben, der die Verweildauer der User auf Posts sowie den Interaktionsgrad misst. Um diesen zu erhöhen, wird mit dem sogenanntem CTA, dem call to action gearbeitet. Hier sollen die Nutzenden im wortwörtlichen Sinne dazu angehalten werden, bei dem Post zu verweilen und ihn bestenfalls zu kommentieren. Eine so absehbar kontroverse Diskussion wie diejenige um den No Comply ist daher eine sichere Methode, den Anforderungen des Algorithmus zu entsprechen und die Relevanz und damit die Profitabilität von Berrics zu steigern. 18 Die bislang radikalste Ausweitung des für Skateboarder/-innen nutzbaren Terrains hat Dane Brady im neuesten Polar Video »I like it here inside my mind. Donʼt wake me this time« (Polar Skate Co., 2016) vollzogen. Hier skatet er u.A. auf Rasenflächen,
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Pontus Alv betont, dass ein solcher DIY-Spot möglichst schwierig und widerständig sein sollte, damit er nicht allzu schnell langweilig werde. Damit manifestiert sich eine Gegentendenz zu den sauberen und glatten Skateplazas, auf denen solche Wettbewerbe wie SLS ausgetragen werden. Die DIY-Kultur mit ihrem geringen Budget und den nicht perfekten, idiosynkratischen Rampen kann so ebenfalls als eine Reaktion auf die perfekten Skateparks des SLS und BerricsAusstatters California Skateparks betrachtet werden. Diese Resilienz der Skateboardkultur rückt erst dann in den Blick, wenn eine kultursoziologische Metaperspektive eingenommen wird, bei der es nicht so sehr darauf ankommt, ob sich der/die individuelle Skateboarder/-in, wenn sie den No Comply in ihr Trickrepertoire aufnimmt, bewusst in Opposition zu den BATBRegeln oder dem Punktesystem von SLS begibt. Hier geht es nicht um die individuellen Dispositionen der Subjekte. Ich habe versucht zu zeigen, dass die Skateboardkultur resiliente Kräfte mobilisieren kann, welche die vom Pol der Versportlichung ausgehenden Zurichtungsbestrebungen torpedieren oder zumindest erschweren. Dafür braucht es, man erlaube mir das Wortspiel, zwar polarisierende Persönlichkeiten wie Alv, deren Erfolg und Resonanz jedoch nie ganz aus ihnen und ihren Innovationen selbst erklärt werden kann, sondern nur durch deren Verortung in der Gesamtkonstellation der Skateboardkultur und den hier vorherrschenden spezifischen Diskursen und Entwicklungen. Mit der Herausbildung des heterodoxen Skatens als Ausdruck der Resilienz ist der Prognose von Cantin-Brault, der behauptet, die Olympiateilnahme 2020 werde der »final nail in the coffin of its reification« (Cantin-Brault, 2015, S. 65) sein, eine Absage zu erteilen: Die Skateboardkultur differenziert sich im Zuge der Versportlichung weiter aus, neue Stilarten wie das oben beschriebene heterodoxe Skaten entwickeln sich und können als Kritik an der Kodifizierung der nunmehr als Sportart ausgelegten Skateboardkultur verstanden werden. 19 Diese
Autos, durch wassergefüllte Brunnen oder auf Lehmboden (vgl. Polar Skate Co., 2016, 5: 49). 19 Cantin-Brault sieht diese Ausdifferenziereung nicht, da er von der Skateboardkultur als einem monolitischen Block ausgeht und weil er sich in seiner Analyse zumeist auf die Spielräume von professionellen Skateboarder/-innen fokussiert, die u.U. völlig anders geartet sein können also diejenigen von Freizeitskateboarder/-innen. So schreibt er: »But skateboarding, as a type of otherness, is now being taking up again by ideology still more successfully and aggressively than previously, it is again being subjected to efforts to reshape it as an organized sport with a single path [meine Hervorhebung, S. Schw.] which precludes the possibility of embracing its otherness« (Cantin-Brault, 2015, S. 56).
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als Ausprägung einer Resilienz verstandenen Tendenzen sind jedoch keineswegs immun gegen die Kommerzialisierung, im Gegenteil: zwar widerstrebt das heterodoxe Skaten den Versportlichungstendenzen, doch als Authentizitätsreservoir und buchstäbliche Künstlerkritik (vgl. Boltanski & Chiapello, 2006, 375-376) stellt es eine wunderbare Kapitalanlagegelegenheit und ist daher nicht resistent, insofern es sich etwa der Profitlogik entzöge (das war die Skateboardkultur nie), sondern (nur) resilient. Der kommerzielle Erfolg des heterodoxen Skatens zeigt sich nicht nur im Wachstum solcher Firmen wie Polar Skate Co., sondern auch darin, dass dieser Stil etwa von Modefirmen wie Supreme aufgegriffen wird und über diesen Weg in den Modeboutiquen dieser Welt landet. Gleichzeitig gibt es andere Firmen, die den Trend erkennen und forcieren, beispielsweise Converse Shoes, die mit dem für Skateboarder wiederentdeckten Chucks so etwas wie die Standardausrüstung der heterodoxen Skateboarder/-innen stellen und sowohl Alv als auch seine Skate/Kunstprojekte fördern. Der entgegengesetzte Pol der Versportlichung wird u.a. von Nike Skateboarding bedient, die mit einigen der renommiertesten Skateboarder/-innen (und künftigen Olympiateilnehmern) aufwändige und teuer produzierte Videos und Werbekampagnen lancieren, zuletzt der aufsehenerregende »Til Death« Part von Nyjah Huston (Nike Skateboarding, 2018). Der Clou besteht darin, dass Converse Shoes dem Nike Konzern gehört und die Skateboarder/-innen, egal, ob sie sich nun der heterodoxen oder versportlichten Variante der Skateboardkultur zugehörig fühlen, ihr Geld häufig demselben Konzern zukommen lassen. Damit möchte ich ein letztes Mal auf Cantin-Brault zurückkommen, der in seinem Aufsatz von einer Essenz der Skateboardkultur ausgeht, so etwas wie einer ursprünglichen Reinheit die (noch) nicht Teil der »Ideologie« gewesen sei. So schreibt er: »Skaters need to find recognition in celebrating their roots, which are not to be found in a reified, quantified and ideological soil. A professional skater is not like the professional athlete of an organized sport: he is not in direct competition with others but only with himself, pushing his limits and the limits of skateboarding’s constellation. But if professional skaters are to be chosen out of a reified mold, the constellation will cease to grow or transform further with inevitable results. A constellation that is inert is dead.« (CantinBrault, 2015, S. 65)
Neben der problematischen Reinheitsmetaphorik mit der Rede von nicht kontaminierten Wurzeln der Skateboardkultur verkennt er den ideologischen Kern, den (auch) die Selbstmotivation der Skateboarder/-innen hat: Im Postfordismus ist es gerade die intrinsische Motivation der Arbeiter/-innen, die gefördert werden soll; der sogenannte Arbeitskraftunternehmer soll sich selbst zu Höchstleis-
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tung bringen. In dieser Hinsicht sind Skateboarder/-innen mit ihrer Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und Hingabe vielmehr Vorzeigemodelle der gegenwärtigen Ideologie (Schweer, 2014, S. 157 ff.).20 Zudem weist Cantin-Brault nicht aus, was genau diese Wurzeln, auf die die Skateboardkultur sich besinnen solle, seien oder, wo sie chronologisch zu verorten wären. Er bestimmt sie, ganz im Sinne seiner theoretischen Vorbilder, negativ: nicht verdinglicht, nicht quantifiziert und nicht ideologisch. 21 Doch selbst wenn man in der Geschichte des Skateboardings bis an ihren Anfang zurückgeht, zeigt sich, dass es diese ursprünglichen, vermeintlich nicht kontaminierten Wurzeln nie gab, insofern Skateboarding sofort eine Ware wurde. Bereits 1962 hatte Larry Stevenson mit seinem Magazin Surf Guide die von ihm vertriebenen Makaha Boards beworben, da er schnell begriffen hatte, dass seine Surfkundschaft auch dankbare Abnehmer/-innen für die neuen Skateprodukte sein werden (Mortimer, 2008, S. 17-18). Auch für die 1970er Jahre zeigt Sean Dinces, dass das Scharnier der Warenförmigkeit sehr schnell eingerastet ist: »More specifically, while the subcultural representations of skateboarding – magazines and videos, for example – have relied on an ongoing and shifting negotiation between the refusal and embrace of commodification, this contingent and ›flexible‹ negotiation is precisely the mechanism by which the sport has maintained its profit-generating capacity across different historical moments. Not long after a select cadre of Southern California skaters cemented a loudly rebellious image for the sport in the 1970s, certain members of that very group began to capitalise financially and professionally on their capacity to craft a subcultural mantra that was both ›authentic‹ and marketable beyond the confines of their original clique.« (Dinces, 2011, S. 1514)
20 Cantin-Braults an Theodor W. Adorno angelehntes Verständnis von Ideologie entspricht den Wertigkeiten, die im Fordismus, also bis rund 1970 vorherrschend waren. So schreibt er: »Ideology is the term Adorno uses to indicate a social organization that seeks unity, conformity, totality« (Cantin-Brault, 2015, S. 57). 21 An einer Stelle führt er den Videopart des US-amerikanischen Skateboarders Henry Sanchez aus dem Skatevideo »Tim and Henryʼs Pack of Lies« aus dem Jahr 1992 an, der als Beispiel des »unreified behavior in the history of skateboarding« (CantinBrault, 2015) gelten könne. Zwar fiel dieser Part in eine Zeit, in der die Popularität der Skateboardkultur vergleichsweise gering war und daher nur hartgesottenen Skateboarder/-innen ›dabei‹ blieben, doch legte gerade dieses Video den Grundstein der Karriere von Henry Sanchez als professioneller Skateboarder.
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Dinces führt weiter aus, dass selbst das in der Skateboardkultur hoch angesehene skateboardergeführte – und daher besonders authentische – Unternehmen ein bewusst hergestellter Mythos war, um sich zwischen den Polen Authentizität und Kommerzialisierung bewegen zu können. Dies zeigt er detailreich anhand der Unternehmensstrategie und Selbstinszenierung von Stacy Peralta 22. Iain Borden schließlich konstatiert, die Annahme einer skateboardinternen Warenzirkulation sei eine »self-delusional ideology« (Borden, 2001, S. 157). Vor diesem Hintergrund ist es daher mehr als fraglich, wann und ob Skateboarder/-innen eine nichtverdinglichte Vergangenheit haben, auf welche es sich zu besinnen gelte. Natürlich gab und gibt es je spezifische Konstellationen, in denen die Skateboardkultur mal mehr und mal weniger in Konfrontationen mit Normen, Regeln oder Gesetzen getreten ist, aber dies hat nichts mit einer vermeintlichen Essenz derselben zu tun. Skateboarding in Kabul, Pjöngjang, San Francisco und Kuba kann (und wird) derart unterschiedlich ausgelegt und in die Gesellschaft implementiert werden, dass der Glaube an eine Essenz durch nichts haltbar ist.23 Bevor ich mich an einen Ausblick wage, möchte ich das oben Entfaltete kurz zusammenfassen: Der neue Skateboardstil, den ich als heterodoxes Skaten bezeichnet habe, existierte bereits lange vor dessen Popularisierung in der Peripherie des Mainstream-Skateboardings. Hier wurde er von Genießern, Kennern oder Nostalgikern gewürdigt, ohne weitere Bedeutung zu entfalten. Pontus Alv eignete sich diesen Stil im Rahmen seiner künstlerischen Auslegung der Skateboardpraxis an und produzierte Videos, die gegen jede Regel des (damaligen) professionellen Skateboardings verstießen: Alv verließ mit San Francisco und seinen US-amerikanischen Sponsoren symbolisch und geographisch das Zentrum der Skateboardindustrie, filmte an vielen gänzlich unbekannten Spots in Schweden, hatte in seinem Video nur wenige international bekannte Fahrer und generierte mit seinem künstlerischen Anspruch nicht leicht zugängliche und stellenweise verstörende Szenen. So erregte er mit dem Erstling »The Strongest of the Strange« großes Aufsehen, sein zweiter Film war ein noch größerer Erfolg und wurde durch die International Skateboard Film Festival in Los Angeles durch dasselbe
22 Key to Peralta’s project of constructing the subcultural character of skateboarding was his creation of a new version of ›authenticity‹ for both skateboarders and skateboard companies (vgl. Dinces, 2011, S. 1519). 23 Es ist erstaunlich, dass Cantin-Brault, der mit seinem Theorierahmen über einen historisch-materialistischen Zugang zur Geschichte verfügen sollte, die rebellische Essenz nicht auflöst. Würde er stets den spezifischen politischen, ökonomischen, kulturellen, geografischen, diskursiven Kontext darstellen, in dem Skateboarding als rebellisch erfahren wird, würde sich (s)ein Essenzglauben schnell dekonstruieren.
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Zentrum gewürdigt, das er zuvor verlassen hatte. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Alv mit »In Search for the Miraculous« und seinem Engagement für die schwedische (DIY-)Szene eine Bewegung gegründet hat, die mit den Produkten seiner Firma Polar Skate Co. denn auch die passende Ausrüstung beziehen kann. Die Anschlussfähigkeit von Alv lässt sich jedoch nur verstehen, wenn dessen Erfolg in Beziehung mit gravierenden Weichenstellungen innerhalb der Skateboardkultur gesetzt wird. Die Eventreihen BATB sowie SLS forcierten eine Versportlichungstendenz, zu dem das heterodoxe Skaten einen Gegenentwurf stellt. Damit ist die Verbreitung dieses Skatestils als Ausdruck einer Resilienz gegen die Zurichtungsbestrebungen zu verstehen, da die für das heterodoxe Skaten charakteristischen Trick und Spotvorlieben einer Quantifizierung (zumindest temporär) entgehen. So spielt Alv bei der Popularisierung dieses Skatestils zwar eine maßgebliche Rolle, doch liegt die Anschlussfähigkeit auch in den Veränderungen der Skateboardkultur begründet. Das heterodoxe Skaten bietet dem Pol der Versportlichung, das sollte deutlich gesagt sein, keinen Einhalt, doch wird damit ein attraktives und populäres Gegenmodell entworfen, das sowohl professionellen- wie Freizeitskateboarder/ -innen eine andere Skateboardpraxis auch künftig, in Zeiten der Olympiateilnahme, ermöglichen wird. Während also im Jahre 2020 die ersten Skateboarder/ -innen in ihren Nationaltrikots in Tokio einlaufen, wird es weiterhin Skateboarder/-innen geben, die sich die Straßen der Stadt aneignen und dabei Verkehrsregeln, Normen und Privateigentum überfahren und dabei ebenfalls Teil dieser ausdifferenzierten Kultur sind.
AUSBLICK Ich habe an anderer Stelle bereits über die Affinität der Skateboarder/-innen mit einer sich stetig beschleunigenden Welt hingewiesen (vgl. Schweer, 2014, S. 58). Diese sind angesichts der von David Harvey diagnostizierten time-spacecompression eine, man könnte sagen historisch adäquate Sozialform und Bewegungskultur. Hier möchte ich daran anknüpfen und mit Hartmut Rosas Resonanzbegriff (vgl. Rosa, 2017) einen soziologisch informierten Ausblick wagen, an den weitere Forschungsprojekte anschließen könnten. Der Rahmen erlaubt mir hier lediglich eine skizzenhafte Annäherung, bei der ich mich auf wenige Begriffe Rosas beschränken muss. Dieser geht davon aus, dass mit dem Begriff der Resonanz eine Antwort sowohl auf die sich stetig beschleunigende kapitalistische Gesellschaft als auch auf die damit einhergehenden Entfremdungstendenzen gegeben werden kann.
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»Wenn Beschleunigung das Problem ist,« schreibt Rosa, »dann ist Resonanz vielleicht die Lösung« (Rosa, 2017, S. 13). Er betont, dass nicht etwa die Entschleunigung die Lösung sei, was für die hier versuchte Übertragung auf die Skateboardpraxis ein nicht unwichtiger Punkt ist. Dazu ist die Resonanz für Rosa, der in seinem Theorieprojekt eine Aktualisierung der kritischen Theorie sieht, der Gegenbegriff zur Entfremdung, die einen Zustand definiert, »in dem die ›Weltanverwandlung‹ misslingt, so dass die Welt stets kalt, starr, abweisend und nichtresponsitiv erscheint« (Rosa, 2017, S. 316). Depression und Burnout sind für ihn Zustände, die sich dadurch auszeichnen, dass das Subjekt »keine Selbstwirksamkeit« (ebd., S. 316) mehr erfährt. Daraus ließe sich zunächst schlussfolgern, dass eine möglichst zugängliche und reibungsfreie Umwelt den Resonanzerfahrungen zuträglich sei, doch gerade dies sei nicht der Fall: »Denn Resonanz setzt die Existenz von Nichtanverwandeltem, Fremdem und sogar Stummem voraus; erst auf ihrer Basis kann ein Anderer hörbar werden und antworten [...]. Resonanzfähigkeit gründet auf der vorgängigen Erfahrung von Fremden, Irritierendem, und Nichtangeeignetem, vor allem aber von Nichtverfügbarem, das sich dem Zugriff und der Erwartung Entziehendem.« (Ebd., S. 317)
Rosa erklärt diese zunächst konterintuitiv erscheinende These damit, dass sich erst in der Auseinandersetzung mit etwas Fremden ein »dialogischer Prozess der Anverwandlung« (ebd., S. 317) entwickeln kann. Ohne Widerstand oder Fremderfahrung höre man lediglich das eigene Echo. Vor diesem, hier nur kursorisch beleuchteten, Hintergrund gewinnt das heterodoxe Skaten noch eine andere Bedeutungsebene, die in der Anverwandlung der Welt qua Skateboard eine Praxis ist, die nicht-entfremdete Erfahrungen ermöglicht. Der von Alv popularisierte Skatestil zeichnet sich durch die Anverwandlung der Stadt in zweierlei Hinsicht aus: zum einen ganz offensichtlich durch die baulichen Veränderungen, die im öffentlichen Raum vorgenommen werden und die neue Skatespots (DIY-Spots) entstehen lassen. Hier wird von den Skateboarder/-innen ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit erfahren, gleichzeitig werden die Rampen extra schwierig gebaut. Eine zu einfach anzueignende Rampe würde sehr schnell seinen Reiz verlieren, betont Alv: »If you build something that you can do everything first try then itʼs no fun. If you build something that you can barely grind the first time, well then you have to work your way up and after, like, a couple of weeks sessioning you gonna be a master of it.« (Jeanfeil, 2009, 1: 00)
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Hier zeigt sich, dass eine befriedigende (Resonanz-)Erfahrung erst durch die Existenz von etwas Widerständigem entsteht, das in einem dialogische Prozess anverwandelt wird. Zum anderen ermöglicht das heterodoxe Skaten Resonanzerfahrungen durch eine Skateboardpraxis, die in hohem Maße in Kontakt mit der Umwelt kommt, indem, wie oben dargelegt, Hände und Füße häufig den Boden berühren und weniger über Objekte gesprungen wird, als gegen sie. Indem gegen Kanten und Wände gefahren wird und sich die Rollen bei Powerslides querstellen, um im Vollzug des Bremsens ihr Urethan auf dem Asphalt zu verteilen, wird der Widerstand der Umwelt wortwörtlich erfahrbar. Auch der raue Boden mit seinen Kanten und Verwitterungen gehört in diese Aufzählung, denn allem ist gemein, dass es sich hier um Widerstände handelt, gegen die die Weltanverwandlung qua Skateboard vollzogen werden muss und die in viel höherem Maße als durchdesignte und glatte Skateparks und -plazas Resonanzerfahrungen ermöglichen. Wenn sich gemäß Rosa nur Weltausschnitte aneignen lassen, die zuvor nicht angeeignet wurden, dann liegt damit ein Argument gegen Orte wie der BerricsHalle oder dem SLS Parcours vor. Hier wird eine sterile, streng kodifizierte Umgebung geschaffen, was unter Aspekten der Versportlichung und Leistungsmessung nachvollziehbar und sinnvoll ist. Doch verliert sich hier der kritische Impetus, der in der Weltanverwandlung auf den Straßen und Industriebrachen dieser Welt noch enthalten ist. So ließe sich ein theoretisches Argument für das sogenannte Streetskaten24 im Allgemeinen und das heterodoxe Skaten im Besondern machen, da den »Resonanzerfahrungen«, wie Rosa schreibt, »ein unaufhebbares Moment der Unverfügbarkeit innewohnt« (Rosa, 2017, S. 295). Damit bin ich zur höchsten Warte herausgezoomt und kann das heterodoxe Skaten in ein gesamtgesellschaftliches Panorama einbetten. Ein/eine Skateboarder/-in, die im Vollzug der Bewegungspraxis Resonanz- und Selbstwirksamkeitserfahrungen macht, hat einen Weg gefunden, in einer zunehmend resonanzlosen Gesellschaft etwas zu erleben, was man emphatisch eine authentische, i.e. nicht-entfremdete (Körper-)Erfahrung nennen könnte. Wie aktuell und verbreitet dieses Thema ist, macht Rosa stark: »Es bedarf nicht erst einer Untersuchung der zahllosen medizinischen, gymnastischen, oft auch esoterischen Praktiken oder Ratgeber, welche uns versprechen, den eigenen Körper wieder spüren (und antworten) zu lassen, um der Vorstellung von ›Resonanzblockaden‹ im Körperverhältnis zumindest alltagspraktische Plausibilität abzugewinnen. Tatsächlich
24 Als Streetskaten verstehe ich die Nutzung und Anverwandlung urbaner Orte, die nicht für Skateboarder/-innen gebaut wurden und daher zweckentfremdet werden müssen.
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ist die Geschichte der Moderne nicht unwesentlich mitbestimmt von der bisweilen sogar politisch artikulierten Sorge um einen schleichenden Verlust des Gespürs für die Leiblichkeit unserer Existenz.« (Rosa, 2017, S. 71-72)
Vor diesem Hintergrund ließe sich auch die Beliebtheit und das Interesse an sogenannten B-Side Videos innerhalb der Skateboardkultur verstehen. Bei diesen Videos handelt es sich um wenig bearbeitete, meist über 10 Minuten lange Videos, die nicht mit Musik unterlegt sind und in denen die vielen Versuche, Stürze und vergeblichen Anfahrten gezeigt werden, die ein/eine Skateboarder/-in benötigt hat, um einen Trick landen zu können. Die Popularität dieser Videos wäre zum einen ein weiterer Beleg für die Tragfähigkeit der Resonanztheorie, insofern hier nachvollzogen werden kann, wie sich die Skateboarder/-in einen widerständigen Weltausschnitt anverwandelt und in diesem trial and error-Dialog eine Resonanzerfahrung macht. Andererseits, und das ist die dialektische Kehrseite der Skateboardpraxis, handelt es sich um die Zurschaustellung einer Selbstzurichtung der Skateboarder/-innen, die häufig unter großem Druck stehen und Bild- und Videomaterial generieren wollen oder müssen. Sie sind, wie oben erwähnt, in ihrer Eigenverantwortlichkeit notwendigerweise intrinsisch motivierte, risikoaffine postfordistische Subjekte.
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›Erwachsene Männer, die Skateboard fahren‹. Exemplarisches und Kritisches zu Männlichkeit und Skateboarding Konstantin Butz
E INLEITUNG : S KATER D ATER In einer Filmszene vollführt ein Junge von ungefähr vierzehn Jahren während der Fahrt auf einem Skateboard einen Handstand. Mit der Technik des ShotReverse-Shot fängt die Kamera dabei nicht nur ein, wie der Junge seine Zunge herausstreckt, sondern auch, wie eine ältere Dame entrüstet darauf reagiert und sich offenbar durch die Handlungen des Jungen belästigt fühlt. Die Szene spielt sich in dem Oscar-nominierten Kurzfilm Skater Dater von 1965 ab und ist damit Teil einer der ersten massenmedial verbreiteten Darstellungen von Skateboarding. Dass es sich bei dem skateboardfahrenden Protagonisten um den 1951 geborenen Gary Hill handelt, also um einen mittlerweile international bekannten Künstler in den Bereichen Videokunst, Skulptur und Performance, soll hier nur nebensächlich als Zusatzinformation erwähnt werden. An dieser Stelle geht es um die inhaltliche Ebene des kurzen Ausschnitts. Es zeichnet sich darin ein Konflikt ab, der sich bereits in diesen frühen Tagen des Skateboarding anzudeuten schien und der auch heute noch die Skateboardszene bzw. -kultur beeinflusst. Die Filmsequenz zeigt nicht nur, wie ein Trick auf einem Skateboard vorgeführt wird, sondern auch, wie ein Junge durch das Herausstrecken seiner Zunge eine vermeintlich rebellische Geste vollführt und postwendend die erzürnte, wenn nicht gar angewiderte Reaktion einer älteren Frau provoziert, die modestilistisch wohl durchaus einem bürgerlichen Milieu zugeordnet werden kann. Das Ganze spielt sich noch auf einer sehr unschuldigen Ebene ab, die sich mit dem antiquierten, aus geschlechtspolitischer Sicht sicherlich sehr interessanten Begriff
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›lausbübisch‹ beschreiben ließe. Es deuten sich hier allerdings bereits tiefer greifende Konfliktspektren an, die sich sowohl durch Alter als auch durch Geschlecht konstituieren und auch gegenwärtig noch ausgesprochen wirkmächtig sind: Der junge männliche Skateboarder steht der älteren weiblichen Bürgerin gegenüber. Wie ich im Folgenden zeigen möchte, scheint mir dieses speziell konnotierte Setting heutzutage noch häufig prägend für die Skateboardszene und verschiedene Formen ihrer Repräsentation zu sein. Was die mediale Inszenierung angeht, ist die Gegenüberstellung von vermeintlich männlichen und weiblichen Positionen nach wie vor sehr dominierend. Dies führt dazu – so zumindest meine These –, dass das emanzipative und politische Potential, das sich ebenfalls in der Praxis des Skateboardfahrens festmachen lässt, von diskriminierendem Verhalten überschattet wird. Letzteres nimmt zum Teil groteske Formen an, wie ich zunächst an einem vielsagenden Beispiel verdeutlichen möchte.
»S TEIG AB , M ANN !« M EDIALE R EPRÄSENTATION UND K ONFRONTATION Im November 2012 erschien unter dem Titel »Erwachsene Männer, die Skateboard fahren: Steig ab, Mann!« folgender Artikel der Redakteurin Bianka Echtermeyer in der Zeitschrift Brigitte: »Es gibt Dinge, die lösen bei mir große Aggressionen aus. Das muss unterbewusst vorgehen, denn die Gründe sind mir zunächst nicht immer klar. Als ich in Hamburg umgezogen bin – vom schicken Eppendorf ins hippe St. Pauli – waren sie plötzlich da: erwachsene Männer, die Skateboard fahren. Zusammen mit anderen erwachsenen Männern und kleinen Jungs, die aber offensichtlich nicht ihre Söhne waren. Ich liebe den Kiez und seine Verrücktheit. Sogar die Touristen stören mich nicht. Aber bei Männern jenseits der 25, die ein Board zwischen sich und das Pflaster kleben, sehe ich nur noch Rot. Das sind oft Typen, die eine schräge Pony-Frisur tragen, nie lächeln und nach der Party von letzter Nacht riechen. Am liebsten würde ich die am ergrauten Schopf packen und anschreien: ›Hör auf damit! Dafür bist du zu alt.‹ Skateboards gehören zu kleinen Jungs. Basta. Nicht zu Menschen, die selbst Steuern zahlen und beim Orthopäden in Behandlung sind. Falls sich Männer über 30 austoben wollen, können sie gern schnelle Autos fahren, Fußball spielen oder auf Bäume klettern. Das stört mich nicht. Aber lasst bitte die Skateboards in Ruhe. Ich laufe ja auch nicht im rosa Tutu über die Straße. Aus manchen Dingen wächst man einfach raus: Das ist nicht spießig, das
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ist so. Und ehrlich: Erwachsen sein ist gar nicht schlimm. Versprochen.« (Echtermeyer, 2012)
Was die inhaltliche Bewertung dieses Artikels angeht, kann die Analyse kurz gehalten werden: Die Argumentation ist nicht wirklich schlüssig, stark tendenziös und kann durchaus als engstirnige Sicht auf Skateboarding eingeordnet werden, was allerdings nicht weiter kritisiert werden muss, da das Ganze lediglich als Glosse gedacht ist. Umso erstaunlicher ist es, dass sich sehr viele Menschen, die sich der Skateboardszene nahe fühlen, berufen sahen, direkt auf die BrigitteGlosse zu reagieren. Das Ausmaß deutet sich beispielhaft an der Popularität der ironisch betitelten facebook-Homepage »We Love Bianka Echtermeyer« an, die kurz nach Erscheinen des Beitrags ins Leben gerufen wurde und innerhalb weniger Tage über 2.500 Likes zu verzeichnen hatte.1 Nicht nur dort organisierte und artikulierte sich eine massive Gegenposition, die teilweise äußerst radikale Züge annahm, was sich durch Betrachten eines weiteren Beispiels erahnen lässt. Es handelt sich um einen Blog-Eintrag, der die Geschehnisse nach Erscheinen des Artikels zusammenfasst und immerhin auch knapp 600 Likes generieren konnte: »Darf ich vorstellen: Das, liebe Skateboard-fahrende Freunde, ist die Frau Bianka Echtermeyer. Andersherum muss ich die Vorstellung nicht machen, denn die Skateboardfahrenden Freunde lernt die Frau Echtermeyer gerade ganz von allein kennen. Frau Echtermeyer hat nämlich einen entrüsteten Artikel geschrieben, auf den ich hier nicht linken werde, weil ich ihrer menschenverachtend dummen Frauenzeitschrift nicht auch noch Klickzahlen bescheren will. [...] Bei uns skateboardenden, stinkenden Wuschelsäcken packt sie nämlich so richtig die Wut ey, da sieht sie Rot. Ich möchte jetzt mal ganz unverblümt vermuten, dass Frau Echtermeyer momentan auch Rot sieht, wenn sie ihren Blick dezent an sich selbst nach unten richtet. Anders als mit einer menstrualen Geistesumnebelung kann ich mir diesen ›Artikel‹ nämlich nicht wirklich erklären. [...] Das Tragische ist nur, dass so jemand bei einer der meistgelesenen Frauenzeitschriften dieses Landes arbeiten und seinen geistigen Dünnpfiff verbreiten darf. Wie dem auch sei. Die Frau Echtermeyer bekommt gerade einen ordentlichen medialen Shitstorm um die Ohren gesprüht. Das muss sich für sie in ungefähr so anfühlen wie für jene armen Seelen unter euch, die sich ihren Artikel wirklich durchgelesen haben. Geistiger Dünnpfiff, ihr wisst was ich meine. ›Erwachsen sein ist gar nicht so schlimm. Versprochen‹, schreibt die Bianka am Ende ihres Artikels. Bianka, mal ehrlich jetzt, ich glaub’s dir. Aber weisst du, Leben, also so wirklich Leben, so mit allen Sinnen und so, sich nich so um das Muss und Soll kümmern, sondern so bisschen Spaß haben, mal biss-
1
https://www.facebook.com/WeLoveBiankaEchtermeyer/ (Zugriff am 28.03.2018).
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chen skandalös anders sein, also so richtig Leben, das ist auch nicht so schwer. Wenn deine Tage vorbei sind, probier’s mal aus! Kannst mich auch anrufen, ich zeig dir gern wie’s geht.« (The Necessary Hate)
Es steht absolut außer Frage, dass dieser Beitrag in seiner Wortwahl bzw. durch seine Andeutungen und Spekulationen hochgradig misogyn ist und als persönlicher Angriff auf die Brigitte-Redakteurin gelesen werden muss. Auffällig ist dabei vor allen Dingen die Selbsteinschätzung des Autors, der am Ende seines Textes für sich und seine skateboardfahrenden Freunde zu postulieren scheint, auch mal ›skandalös anders sein‹ zu können; eine Tugend, die man seiner Meinung nach im Kontext der Brigitte nicht sieht und die als exklusive Eigenschaft einer vermeintlich unkonventionellen Skateboardszene beansprucht wird. Um zu skizzieren, wie sich dieser Konflikt als Schlagabtausch im Netz weiterentwickelt hat, soll noch einmal die Brigitte-Redakteurin zu Wort kommen, die einige Zeit später in einem weiteren Text die Geschehnisse beschrieben hat, die sich nach Veröffentlichen ihrer Glosse ereignet haben: »(Ich rief meinen) Artikel auf und sah, dass er bereits mehr als 1200 Mal auf Facebook geteilt wurde. Ich war erstaunt und freute mich, dass so viele meine Glosse mochten. Dann wanderte mein Blick zu den Kommentaren: ›Was für eine frustrierte Alte hat das denn geschrieben?‹ – ›Die hat überhaupt keine Ahnung, die soll mal recherchieren.‹ – ›Fotze!‹ – ›Du hast es nicht verdient, noch eine Minute weiter zu atmen.‹ – ›Das sind genau die Frauen, die Bionade trinken und dann auf der Reeperbahn rumhuren.‹ – ›Bianka Echtermeyer – da hilft nur ARSCHFICK!‹ [...] Bianka Echtermeyer sieht unterirdisch aus, ist frustriert und untervögelt, arrogant und humorlos. Überflüssig und – wegen kompletter Unfähigkeit – hoffentlich bald arbeitslos. ›Ich wichs dir ins Gesicht‹ Sätze bestehen nicht nur aus Wörtern, sie können zu Gewalt werden.« (Echtermeyer, 2013, S. 116-18).
Dieser Text beleuchtet zum einen eine mediale Symptomatik, die sich in Phänomenen wie dem so genannten Shitstorm oder Cyber-Mobbing manifestiert und unterstreicht zum anderen die extreme Überzogenheit und Übergriffigkeit, mit der ein Teil der Skateboardszene auf den Brigitte-Artikel reagiert und dabei tatsächlich auch kriminelle Energie freigesetzt hat. Dass auch dieser zweite Brigitte-Beitrag von Echtermeyer wieder Reaktionen auslöste, verwundert dabei kaum und auch hier soll zumindest ein Beispiel näher betrachtet werden. Nachdem sich ein facebook-User mit dem Nutzernamen Roman Spacin’ Bass Nicehill bei der Brigitte-Redaktion über diesen zweiten Artikel beschwert hat und dabei der Meinung war, Frau Echtermeyer habe nun wirklich gar nichts aus den Reaktio-
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nen auf ihre Glosse gelernt, erhält er sogar eine persönliche Antwort der Redaktion: »Lieber Roman Spacin’ Bass Nicehill, wenn wir aus dieser Geschichte etwas gelernt haben, ist es, wie wichtig Respekt im gegenseitigen Umgang ist. Das gilt für alle Menschen – egal welches Hobby sie haben oder welchen Beruf. Der Shitstorm, den unsere Redakteurin Bianka Echtermeyer erlebt hat, war eine einschneidende Erfahrung für sie. Deshalb berichtet sie in der BRIGITTE jetzt journalistisch darüber. Natürlich kann man auch darüber geteilter Meinung sein. Wir haben unserer Redakteurin das Recht zugestanden, das alle andern auch hatten: frei ihre Sicht der Dinge zu äußern. Danke für das Feedback und schönes Wochenende Das BRIGITTE-Team« (Brigitte auf facebook, 25. Oktober 2013, 13:35h)
Kurze Zeit nachdem diese Nachricht gepostet wurde, antwortet Roman Spacin’ Bass Nicehill: »Liebes Brigitte Team, das sind zwar sehr schöne Worte, dennoch ist daraus nicht herauszulesen, ob die tatsächliche Nachricht nun angekommen ist. Ein Beispiel? Gerne! Ich bin Unternehmer, der sowie an einer Hochschule wie auch einer Universität seine beiden Abschlüsse gemacht hat und nun in mehreren Feldern (auch Medien) tätig ist. Privat fahre ich sowie zum Ausgleich als auch aus Liebe leidenschaftlich gern Skateboard (und das schon seit über 15 Jahren – bin schon Mitte 30). Als ich Frau Echtermeyer’s Artikel lesen ›musste‹ kam bei mir der Gedanke hoch, wie ich denn reagieren würde, wenn mich jene Dame wie beschrieben vom Brett reissen und ihren mittlerweile berühmten Sager ablassen würde. Während ich diese Gedanken für mich behielt, ließen etliche andere Menschen, welche diesen Sport (ja, es ist ein motorisch sowie koordinationstechnisch sehr anspruchsvoller Sport – schon einmal versucht?) betreiben eben diesen Gedanken freien Lauf. Ich möchte mich an diesem Punkt von all jenen Kommentaren distanzieren, die unter die Gürtellinie gehen, da dies, egal in welchem Kontext, unangebracht sind. Allerdings war Frau Echtermeyer die erste, welche den Nährboden für diese Meldung geliefert hat. Zuerst einmal zeugt die Art ihrer Beschreibung und vor allem Generalisierung von mangelndem Wissen wie auch Verständnis – etwas, das sie nun ihren Kontrahenten vorwirft. Des Weiteren ist diese Art von Darstellung eindeutig Verhetzung und es sollte nicht überraschen, dass es auf Gegenwehr stößt.
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Ich könnte mir nun wirklich den Mund fusselig reden, aber am Ende kommt immer das selbe raus – Wer Wind säht... Ich fühle mich von Frau Echtermeyer persönlich angegriffen und wünsche mir in erster Linie eine Entschuldigung – so wie auch etliche andere in meiner Position. Wenn dies für ihre Redakteurin zu viel ist darf sie sich nicht wundern, wenn etwaige Kommentare auf bisherigem Niveau fortgesetzt werden. Auch leidet meiner Meinung nach ihr Ruf als Journalistin darunter erheblich. Meinungen sagen schön und gut, doch jemand anderem aufgrund eigener verquerter Wertehaltung an’s Bein pinkeln ist weder meine Interpretation von Journalismus noch von verantwortungsvoller Teilnahme an unserer Gesellschaft! Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit« (Roman Spacin’ Bass Nicehill auf facebook, 25. Oktober 2013, 18:59h)
Gleich aus vielerlei Hinsicht ist der Kommentar von Roman exemplarisch, was immer wiederkehrende männliche Machtdiskurse angeht: Er versucht seine Position über berufliche und damit gesellschaftlich anerkannte Kompetenz zu legitimieren. Er erkennt zwar die Problematik einiger Kommentare und Reaktionen auf Echtermeyers Artikel an, sucht jedoch die Schuld bei der Redakteurin selber. Frei nach dem Motto: ›Sie hat angefangen‹, rechtfertigt er die Angriffe und in seinen Augen gilt: Zumindest wenn sich Echtermeyer nicht entschuldigt, »darf sie sich nicht wundern«, wenn diese Attacken weiter anhalten. Zu allem Überfluss schlüpft er noch selber in die Opferrolle, um sein Gebaren weiter zu legitimieren, denn er fühlt sich »persönlich angegriffen«. Eben noch erfolgreicher und studierter Unternehmer, wird er auf einmal zur marginalisierten und offensichtlich hilflosen Minderheit, die scheinbar von der Brigitte in ihrer Existenz bedroht wird. Was nicht nur im Angesicht dieses Beispiels sprachlos macht, ist die Art und Weise und die Vehemenz, mit der hier aus der Skateboardszene heraus ein Konflikt befeuert wird, der eigentlich gar keiner sein sollte: Es manifestiert sich hier ganz plötzlich eine Geschlossenheit von Skateboardaktivisten, die es scheinbar als völlig unzumutbare und sogar »menschenverachtende« Diskriminierung empfinden, wenn sie von einer bürgerlichen Frauenzeitschrift kritisiert werden. Selbstverständlich ist hier nicht die gesamte Skateboardszene involviert, und es gibt auch zweifelsohne sehr engagierte und politisch aktive Menschen auf Skateboards, die sich für ganz andere und sehr begrüßenswerte Belange einsetzen und die sich auch in dem hier geschilderten Fall kritisch gegenüber den Angriffen geäußert haben, denen sich die Brigitte-Redakteurin ausgesetzt sah. Allerdings ist die im vierstelligen Bereich zu verortende Anzahl an Menschen, die sich hier offen als Antipoden zur Brigitte gerieren, tatsächlich außergewöhnlich.
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Skateboarder/-innen sind häufig mit Autoritäten im Konflikt: Sie sehen sich zum Beispiel mit Verboten und so genannten Skatestoppern – also Installationen, die die Möglichkeit des Skateboardfahrens von vorne herein verhindern sollen – konfrontiert und werden nicht selten von Anwohnenden oder der Polizei von attraktiven Skatespots vertrieben. Auch diesbezüglich regt sich natürlich Widerstand, allerdings ist mir innerhalb der deutschsprachigen Skateboardszene kaum ein Beispiel bekannt, das binnen so kurzer Zeit, zu einem so gut vernetzten, organisierten und medial repräsentierten ›Protest‹ geführt hat, wie er sich nach der Publikation des Brigitte Beitrags formierte. Kurzzeitig gab es sogar T-Shirts, Sweatshirts und Tassen zu kaufen, die mit »I Love Bianka«-Slogans bedruckt waren und die entsprechende facebook-Seite existiert bis heute. Es stellt sich die Frage, ob die geschilderten Entwicklungen nicht mit einer größeren Problematik oder Symptomatik zu tun haben, die in einer geschlechtsspezifischen Rollenvorstellung verankert ist, welche sich bereits in dem kurzen Ausschnitt von Skater Dater angedeutet hat. Es scheint fast so, als sei es für viele Skateboarder eine besondere Provokation, ausgerechnet von einer Frauenzeitschrift in Frage gestellt und dabei dann auch noch in Bezug auf altersgerechtes Verhalten kritisiert zu werden. Immerhin ist es hier eine einzelne Frau, die tausende Angehörige einer männerdominierten Szene in Rage versetzt. Die visuelle Repräsentation von Männlichkeit und Weiblichkeit im Skateboarding kann dabei aufschlussreich sein: Zum ikonischen Markenzeichen der beschriebenen Kontroverse, wurde beispielsweise ein fiktives und fingiertes Cover der Brigitte, das von dem Musiker und Skateboarder Jimmi Vau kurz nach Erscheinen des Artikels veröffentlicht und von zahlreichen Seiten in sozialen Netzwerken übernommen und verbreitet wurde; es wird nach wie vor als Profilbild der facebookSeite »We Love Bianka Echtermeyer« genutzt.2 Darauf ist Vau, bärtig, mit längeren Haaren und Mütze vor dem bekannten Titelschriftzug der Brigitte und unter der Überschrift »Skater über 25 – Die Coolsten Motherfucker auf den Strassen« abgebildet. Hinzu kommen Überschriften, die Interviews mit männlichen Profiskatern ankündigen und in Klammern jeweils deren Alter nennen: »Tony Hawk (44), Mike Vallely (42), Rodney Mullen (46), Paul Rodriguez (27), Chris Haslam (31)«, während eine weitere Überschrift den Artikel »Angst auf Pauli – Wie Muttis aus Eppendorf den Kiez verspießen« bewirbt. Zugegebener Maßen handelt es sich hier um eine satirische Überspitzung der Kontroverse. Allerdings wirkt sie sehr aufschlussreich, wenn man das fingierte Brigitte-Cover für einen
2
https://www.facebook.com/WeLoveBiankaEchtermeyer/photos/a.404954216241484.8 8991.404953829574856/405068322896740/?type=1&theater (Zugriff am 05.04.2018).
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Moment so ernst nimmt, wie es einige Skater mit der Brigitte-Glosse getan haben und bedenkt, dass damit ein Apell formuliert wird, der eine angemessene mediale Repräsentation der Skateboardszene – auch die der über 25-Jährigen – anmahnt. Das fingierte Cover plädiert quasi für eine vermeintlich realistische Darstellung der Skateboardkultur; und zwar bitteschön auch in der Brigitte. Dabei geht man so weit, dass visuell postuliert wird, es wäre an der Zeit, einen männlichen Skateboarder auf deren Cover abzubilden, um damit natürlich auch die eigene Redakteurin Lügen zu strafen: Die Brigitte soll offensichtlich anerkennen, dass es auch Skateboarder gibt, die älter sind als 25 Jahre. Spätestens das ist allerdings der Moment, an dem es unumgänglich wird, die Medien der Skateboardszene selber in den Blick zu nehmen und mit den implizierten Forderungen, die sich aus den Reaktionen auf die Brigitte-Glosse entwickelt haben, abzugleichen. Dafür bietet sich das sehr populäre und bereits seit weit über dreißig Jahren erfolgreiche Thrasher Magazine an. Es gilt als »rebellious bible of the skateboarding subculture« (Fox); ist also eine Art ›Brigitte der Skater‹ und beschreibt mit seinem provokativen ›Skate and Destroy‹-Mantra eine Lebenseinstellung, die in dem oben zitierten Blogeintrag als »skandalös anders sein« bezeichnet wurde. Betrachtet man die Coverfotos, die das Magazin seit seinen Anfangstagen im Jahr 1981 geziert haben, dann wird allerdings schnell deutlich, dass sich Thrasher wenig innovativ als eine Zeitschrift präsentiert, in der fast ausschließlich Männern aktive Positionen zugebilligt werden. Es dauert sagenhafte sieben Jahre, bis das Magazin im Jahre 1988, nach 83 Ausgaben zum ersten Mal sein Cover für eine Frau öffnet. Dabei ist es bezeichnend, dass es sich in dem Fall nicht um eine aktive Skateboarderin, sondern um ein Model handelt, das zu allem Überfluss auch noch im Konflikt mit einem skateboardfahrenden Jüngling inszeniert und mit dem Imperativ konfrontiert wird: »Look Lady, just leave me alone, ok!?«3 Die erste Frau, die jemals auf dem Cover von Thrasher abgebildet wurde, wird also unmittelbar wieder gebeten bzw. aufgefordert, einen doch bitte einfach alleine zu lassen. Damit wird die Konfrontation, die in Skater Dater noch als unschuldiger Moment lausbübischer Provokation dargestellt wurde, als erstrebenswerte Anti-Haltung präsentiert und zum Leitbild eines einflussreichen Skateboardmediums erhoben. Es muss nicht unbedingt bis in die 1980er Jahre zurückgeblickt werden, um diese zweifelhafte mediale Repräsentation zu beleuchten. Bleibt man beim Beispiel Thrasher und schaut auf das Jahr 2012 – also das Jahr, in dem sich Skateboarder von der Brigitte angegriffen fühlten – dann bleibt das empirische Setting nahezu dasselbe: Der 2012er Jahrgang bietet auf seinen Titelseiten keinen Platz für Frauen bzw. lässt er nur eine Aus-
3
Vgl. Thrasher 02/1988.
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nahme zu, die erneut keine aktive Skateboarderin abbildet, sondern ein junges, bauchfrei bekleidetes Mädchen inszeniert.4 In Bezug auf deutsche Publikationen sieht es ganz ähnlich aus und die zwölf Ausgaben, die im Jahr 2012 vom in der Szene breit rezipierten Monster Skateboard Magazin erscheinen, bilden ausschließlich männliche Skateboarder auf ihren Titelseiten ab. Mit diesem medialen Einblick im Hinterkopf mutet das fingierte BrigitteCover natürlich absolut grotesk an: Während in der eigenen Szene die jahrelange Vorherrschaft von Männern eine unhinterfragte Konstante bleibt, die medial als widerständige Positionierung inszeniert wird, ruft ein einziger, kurzer Artikel in einer fachfremden, bürgerlichen Zeitschrift, die ein völlig anderes Zielpublikum adressiert, sofort massiven Protest hervor, der sich dadurch zu legitimieren versucht, man sei hier »persönlich angegriffen« worden. Dabei müsste in der Logik eines Magazins wie Thrasher und seiner Forderung »Look Lady, just leave me alone, ok!?« die Aussage der Brigitte-Glosse eigentlich sogar als Bestätigung der eigenen Inszenierung begrüßt werden: Wer, wenn nicht die bürgerliche Presse (oder sogar: ›Frauenpresse‹), sollte sich denn über skateboardfahrende Männer entrüsten und sie damit in ihrem rebellischen Anspruch bestätigen? Anstatt in diesem Sinne einfach über die Glosse hinwegzusehen, wird auf beispiellose und fast unerträgliche Art und Weise ihre Autorin attackiert und durch ein fingiertes Cover sogar implizit gefordert, es sei nun doch wirklich an der Zeit, dass eben jene bürgerliche Presse auch ein annehmbares Bild der Skateboardszene abbilde. Der szeneinterne Umgang mit weiblichen Protagonistinnen legt nahe, dass die Wut, die eine solche – letzten Endes doch sehr unbedeutende – Glosse hervorruft, in ganz anderen, grundlegenderen gesellschaftlichen Strukturen zu wurzeln scheint. Zumindest manifestiert sich hier ganz deutlich die Wichtigkeit und Notwendigkeit, die Anliegen politischer Gender Studies in solche kulturellen bzw. subkulturellen Kontexte zu tragen und dort eine kritische Auseinandersetzung anzuregen.
E MANZIPATIVES P OTENTIAL : S KATEBOARDING ALS QUEERE P RAXIS ? Das Bild, das hier über die vorgestellten Beispiele von der Skateboardszene gezeichnet wurde, ist ein sehr negatives. Erneut soll betont werden, dass es hier nur um einen Teil dieser Szene geht; allerdings um einen Teil, der medial sehr sichtbar und damit leider auch einflussreich ist. Die Kontroverse um die Brigitte-
4
Vgl. Thrasher 06/2012.
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Glosse schlug zumindest sehr hohe Wellen, die auch weit über die Skateboardszene hinaus wahrgenommen wurden.5 Dass der entsprechende Vorfall an dieser Stelle so ausführlich behandelt wird, mag darüber hinaus von der Frustration motiviert sein, die der Autor dieser Zeilen angesichts der damaligen Geschehnisse verspürt hat. Als jemand, der selber stark von der Praxis und Kultur des Skateboarding beeinflusst ist, schmerzt es tatsächlich, zu beobachten, wie durch solche Entwicklungen das innovative Potential einer Aktivität zugunsten von sexistischen und heteronormativen Stilisierungen verspielt wird. Damit diese Einblicke jedoch nicht lediglich als kulturpessimistische Bestandsaufnahme stehen bleiben, soll im Folgenden nun eben dieses Potential von Skateboarding skizziert und dabei ganz bewusst aus einer radikal anderen Perspektive argumentiert werden, um die These aufzustellen, dass es sich trotz der aufgezeigten Problematiken bei Skateboarding um eine kulturelle Praxis bzw. eine körperliche Praxis handelt, die sich letzten Endes und in völliger Opposition zu den männlich dominierten medialen Inszenierungen sogar als ›queere‹ Praxis lesen lässt. Dazu ist es hilfreich sich noch einmal mit der Bedeutung des Alters auseinanderzusetzen, also eines Aspekts, der auch für die Autorin der Brigitte-Glosse ausschlaggebend war und der hier anschließend mit Überlegungen von Judith Jack Halberstam, wichtige amerikanische Vertreterin der Queer- und Gender Studies, in Bezug gesetzt werden soll. Die Kontroverse entzündete sich neben einem geschlechtsspezifischen Konflikt auch an Vorstellungen zu altersspezifischen Verhaltensweisen. Ein Video, das bereits einen Tag nach Erscheinen der Glosse als direkte Reaktion darauf produziert und ins Netz gestellt wurde, bildet ein weiteres Beispiel dafür, wie aktiv aus der Skateboardszene heraus darauf reagiert wurde. Unter dem Titel »Skaten, Alter!« wird in dem nur circa einminütigen Video zunächst ein Skateboarder, der vermutlich um die 30 Jahre alt ist, dabei gezeigt, wie er, begleitet von melancholischer Instrumentalmusik, traurig durch die Straßen rollt und aus dem Off betrübt verkündet: »Ich bin zu alt. Jetzt ist es offiziell.« (Skaten, Alter!, 2012) Er erntet den kopfschüttelnden Blick einer jungen Frau, bevor er sich schließlich von seinem Board trennt, es in einen Mülleimer wirft und resigniert feststellt: »Ich bin zu alt. Ich schmeiß hin.« (Ebd.) Dann ändert sich schlagartig die Musik, es ertönen harte Gitarrenriffs und es wird ein Zusammenschnitt von spektakulären Skateboardmanövern aus verschiedenen Skatevideos gezeigt und in großer Blockschrift eingeblendet: »Bam Margera ist 33/ Tony Hawk ist 44/ Jay Adams ist 51/ Tony Alva ist 55/ Titus Dittmann ist fucking 63.« (Ebd.) Am
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Vgl. z.B.
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Ende rollt noch ein Kinderwagen, der von einer Person auf einem Longboard geschoben wird durch das Bild. Es folgt der abschließende Schriftzug: »Skaten im Alter. Eine Initiative des Survival Guide for Parents« (ebd.). Hier wird in einer ironischen Inszenierung vermittelt, dass einige der bekanntesten Protagonisten der Skateboardszene, u.a. der amerikanischen Profiskater Tony Hawk und der deutsche Unternehmer Titus Dittmann, weit über 25 Jahre alt und trotzdem noch aktiv sind. Bemerkenswert dabei ist, dass die Produzent/ -innen des Videos nicht auf die Idee kommen, die Glosse Echtermeyers mit Beispielen von weiblichen Skaterinnen zu konterkarieren. Vielmehr wird am Ende des Videos angedeutet, inwiefern Skateboarding durchaus konform mit der bürgerlichsten aller Lebensformen – der Kleinfamilie – ist: Man kann sogar skatend einen Kinderwagen bewegen. Das Video macht sich darüber lustig, dass in einem bürgerlichen Medium, wie der Brigitte, Skateboarder aufgrund ihres Alters diskriminiert werden; dass Skateboarder/-innen und generell Menschen, die es vorziehen ihr Alter nicht mit normierten und bürgerlichen Lebensvorstellungen in Einklang zu bringen, darin ebenso ausgeblendet bleiben, wird nicht moniert, obwohl es die effektivste und argumentativ schlagkräftigste Kritik an dem Artikel von Bianka Echtermeyer gewesen wäre; denn es gibt auch ›ältere‹ Skateboarderinnen: Vanessa Torres ist 31/ Amy Caron ist 33/ Lauren Mollica ist 37/ Elissa Steamer ist 42/ Cara-Beth Burnside ist 47. Was trotzdem wichtig bleibt, ist, dass das Video thematisiert und implizit kritisiert, dass in unserer Gesellschaft bestimmte Lebensformen bzw. Praktiken mit bestimmten Altersvorstellungen assoziiert sind und ein Abweichen davon zu Diskriminierungen führen kann. Es nennt Beispiele von Menschen – leider sind es nur Männer, so dass Bianka Echtermeyers Beobachtung in dieser Hinsicht bestätigt wird –, die Skateboard fahren, ohne sich dabei von ihrem Alter und damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüchen einschränken zu lassen. Damit wird eine Thematik eröffnet, der in queeren Subkulturen genuine Bedeutung zukommt. Judith Jack Halberstam schreibt in dem Buch »In a Queer Time and Place: Transgender Bodies, Subcultural Lives«: »One of my central assertions has been that queer temporality disrupts the normative narratives of time that form the base of nearly every definition of the human [...] In Western cultures, we chart the emergence of the adult from the dangerous and unruly period of adolescence as a desired process of maturation; [...] it is important to study queer life modes that offer alternatives to family time and family life. […] The notion of a stretched-out adolescence, for example, challenges the conventional binary formulation of a life narrative divided by a clear break between youth and adulthood.« (Halberstam, 2005, S. 152-153)
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Im Sinne dieser Aussage ließe sich – nicht nur aus Sicht der Skater, die in der Brigitte-Glosse kritisiert werden, sondern aus Sicht aller Skateboarder/-innen, die entgegen gesellschaftlich oktroyierter Verhaltensvorstellungen agieren – ein queerer Ansatz in der Praxis und Kultur des Skateboarding festmachen. Skateboarding – darauf lassen dann auch die Reaktionen aus der bürgerlichen Presse schließen – scheint in der Lage zu sein, normative Narrative von Zeit bzw. Alter in Frage zu stellen und einen Blick auf das Leben zu ermöglichen, der nicht klar zwischen Jugendlichen und Erwachsenen unterscheidet. Es geht dabei letzten Endes um die Akzeptanz und Relevanz von Lebensentwürfen, die trotz gesellschaftlicher Normvorstellungen im Hinblick auf altersgerechtes Verhalten altersunabhängig existieren können. Nicht das biologische Alter, sondern die körperliche Praxis des Skateboarding steht hier im Vordergrund, so dass sich darin eine Art queere Artikulation entwickelt. Sie deutet das Potential an, das in der dahingehend bestehenden Offenheit der Skateboardkultur bzw. der Praxis des Skateboarding schlummert. Überspitzt ließe sich in diesem Kontext postulieren, dass ›alte‹ Skateboarder/-innen vor der Kontrastfolie einer heteronormativen und bürgerlich geprägten Gesellschaft eigentlich ›queere‹ Skateboarder/-innen sind, was sie bestenfalls immun gegen überholte Geschlechterverhältnisse machen sollte und dadurch unterstreicht, wie reaktionär doch die Verhaltensweisen sind, die nach der Brigitte-Glosse zutage traten. Die Entkopplung von vermeintlich altersgerechtem Verhalten und einer innovativen Kulturtechnik ist dabei sogar im Gründungsmythos der Skateboardkultur selber zu finden. Dort spielen Kinder eine zentrale Rolle und zwar aufgrund ihres besonderen und ganz individuellen, unvoreingenommenen Blicks. In einem sehr viel zitierten Artikel aus einer Ausgabe des SkateBoarder Magazine von 1975 heißt es bezüglich des Ursprungs von Skateboarding: »Two hundred years of American technology has unwittingly created a massive cement playground of unlimited potential. But it was the minds of 11 year olds that could see that potential.« (Craig Stecyk aka Carlos Izan, 1975, S. 29)
Dem Vorwurf von Echtermeyer, ältere Skater würden etwas Kindisches tun, müsste also durchaus affirmativ begegnet werden, weil er letzten Endes das nonkonforme Potential, das in der Praxis des Skateboarding angelegt ist, unterstreicht und lediglich festhält, was diese Praxis ohnehin seit jeher ausmacht: ein unvoreingenommener Blick, der gerade Innovation daraus schöpft, dass er sich in »the minds of 11 year olds« konstituieren kann. Der französische Psychoanalytiker Félix Guattari untermauert das Potential, was in einem solchen Blick und in einer solchen Form der Wahrnehmung mitschwingt und hält fest:
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»›Archaic‹ societies that have not yet incorporated the capitalistic process, children who have not yet become part of the system, or people who are in psychiatric hospitals and are unable (or unwilling) to enter the dominant system of signification, have a perception of the world utterly different from what is customary within the dominant schemes.« (Guattari, 2008, S. 38)
Kinder sind eben noch nicht Teil des bestehenden Systems. Sie haben »a perception of the world utterly different from what is customary within the dominant schemes« und können daher einen extrem unvoreingenommenen Blick entwickeln, der ganz neue Potentiale entdeckt, ohne dabei den Restriktionen einer von normativen Regeln dominierten Gesellschaft zu unterliegen. Ein solcher Blick scheint sich auch in der zitierten Beschreibung einer ›Ursprungszene‹ des Skateboarding zu spiegeln, in der es elfjährigen Kindern gelingt, die festzementierten Strukturen einer 200-jährigen amerikanischen Technologieentwicklung umzudeuten und zu dekonstruieren. Die mit dieser territorialen Aneignung einhergehende Entdeckung von leeren Swimming-Pools als hervorragendes Terrain für das Skateboardfahren ermöglicht es, diesen innovativen Blick dezidiert auch weiter mit einem queeren Zugriff in Verbindung zu bringen. In dem Aufsatz »Notes on Failure« analysiert Halberstam (2007) eine Arbeit des Künstlerinnenpaares Cabello/Carceller, die leere Swimming-Pools in Kalifornien zeigt. Dabei wird der leere Pool als Paradebeispiel einer queeren Topographie beschrieben und in seiner subversiven Symbolkraft dargestellt: »[L]ike the shop windows in the Parisian arcades described by Benjamin, the water in a swimming pool reflects the body and transforms space into a glittering dream of relaxation, leisure, recreation and buoyancy. The empty pools, on the other hand, stand like ruins, abandoned and littered with leaves and other signs of disuse, and in this ruined state they represent a perversion of desire, the decay of the commodity, the queerness of the disassociation of use from value – when the pool no longer signifies as a marker of wealth and success, it becomes available to queer signification as a symbolic site of failure, loss, rupture, disorder, incipient chaos and the desire animated by these states nonetheless.« (Halberstam, 2007, S. 81)
Halberstam präzisiert die physische Konstitution des leeren Pools und beschreibt seine Wirkung auf den Körper:
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»Like a tiled Atlantis, the exposed pool, filled now with air rather than water, reveals what lies beneath the sparkling surface of chlorine-enhanced blue. It takes us to a threshold and forces us to contemplate jumping into air and space.« (Halberstam, 2007, S. 81-82)
Der kontemplative Moment, der hier entdeckt wird, erscheint zentral. Halberstam antizipiert die erzwungene Kontemplation eines Sprunges in die Leere des Beckens. Man steht quasi vor dem leeren Pool und ist mit der Möglichkeit konfrontiert zu springen. Es sind dann skateboardfahrende Kinder und Jugendliche, die bereits in den 1970er Jahren in Kalifornien dieser Situation aktiv begegnen und sich tatsächlich in das leere Becken stürzen. Auf ihren Skateboards springen sie in den leeren Pool und werden somit auch auf körperlicher Ebene Teil des queeren Settings, das Halberstam beschreibt. Obwohl in dem Aufsatz »Notes on Failure« nicht explizit von Skateboarding die Rede ist, stärkt er doch durch seine Analyse der Eigenschaften von leeren Swimming-Pools auf sehr präzise Weise die These, dass der unkonventionelle Zugriff, den Skateboarder/-innen auf diese Orte entwickeln, als queer interpretiert werden kann. Dabei ist es bezeichnend, dass durch diesen neuen queeren Blick auf Architektur tatsächlich der eigene Körper aus normativen Zusammenhängen gerissen wird, um im wahren Sinne des Wortes queere – also quere, verquerte oder verdrehte – Gegenpositionen dazu einzunehmen: In unzähligen, verschiedensten Manövern, wie zum Beispiel Airs, Grinds, Slides, und Handplants, positionieren Skateboarder/-innen ihre Körper in einem völlig neuen und kaum zu antizipierenden Verhältnis zu den vermeintlich festgeschriebenen Funktionszusammenhängen ihrer Umgebung. Auch wenn (oder gerade weil) Skateboardfahren nicht explizit an eine klar konturierte politische Agenda gebunden ist und auch wenn es sich fernab von kalifornischen Swimming Pools auf unterschiedlichsten Terrains ausdifferenziert hat und immer weiter ausdifferenziert, deuten diese Aneignungen und Bewegungen an, inwiefern sich darin auch Potential für politischen Aktivismus im Sinne queerer Intervention verbirgt: »Differenzen zu kultivieren, gegen Normalisierung zu arbeiten und zu denken, ist ein Kernelement des queeren politischen Aktivismus und queerer Theorie«, erklärt Lutz Hieber (2012, S. 76) und schafft damit eine Parallele zu dem besonderen Blick und Zugriff, den Skateboarder/innen im Sinne ihrer Praxis auf die sie umgebende Architektur entwickeln: Die Norm, also, der vermeintliche Fakt, dass zum Beispiel ein Swimming-Pool ›normalerweise‹ mit Wasser gefüllt sein und das Schwimmen ermöglichen muss, wird durch Skateboarding performativ in Frage gestellt bzw. ausgehebelt, um eine abweichende oder differente Lebenswirklichkeit erfahrbar zu machen, die sich über bestehende Regularien hinwegsetzt.
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Dass Skateboarding in dieser Hinsicht tatsächlich ausgesprochen emanzipative Momente körperlicher Aktivität zulässt, verdeutlicht die amerikanische Soziologin Becky Beal (1995), die in ihrem Aufsatz »Disqualifying the Official: An Exploration of Social Resistance Through the Subculture of Skateboarding« beschreibt: »The participants created their own tricks and games, and they determined which tricks they practiced and how long. In the process of controlling their own physical activity, the participants also controlled their own bodies. Such values and behaviors oppose those associated with corporate bureaucratic relations, and in the grassroots practice of skateboarding resistance is evident in the creation of a participant-controlled activity that deemphasizes competition.« (Beal, 1995, S. 258)
Beal fügt noch hinzu: »Most of the skating I observed was not bound by rules; rather, it tested the physical limits and imagination of the participants« (1995, S. 263). Die Kontrolle über den eigenen Körper, die hier stark im Mittelpunkt steht, spiegelt dezidiert wichtige Anliegen wider, für die in den Gender und Queer Studies gekämpft wird, nämlich die diskriminierungsfreie Autonomie über den eigenen Körper und die eigene Lebensweise zu erlangen bzw. zu bewahren, ohne sich dabei fremdbestimmten Zuschreibungen und Normierungen unterwerfen zu müssen. Skateboarding beinhaltet in dieser Hinsicht eine Möglichkeit, neue, eigenbestimmte Positionen bzw. Körperpositionen einzunehmen und dabei immer wieder in Frage zu stellen, was überhaupt denkbar ist, um alternative Formen körperlicher Präsenz zu erkennen und zu ermöglichen. Eine 21-jährige Skateboarderin, die von Beal in ihrer Studie befragt wurde, bringt dabei das freiheitliche, innovative und emanzipatorische Potential von Skateboarding auf den Punkt, in dem sie sich gegen offizielle Trainer/-innen, Übungen oder spezifisch zu lernende Tricks wendet und fragt: »For who’s to say what trick is better?« (zit. n. Beal, 1995, S. 263). Dieses Verständnis von Skateboarding zeigt, dass es von der Chance geprägt ist, sich jeglicher Fremdbestimmung zu entziehen, denn es lässt sich überhaupt nicht sagen, welche Bewegung und welcher Trick nun besser ist und wie Skateboarding richtig zu praktizieren wäre. Es bleibt vollkommen offen und postuliert dadurch ebenfalls wieder eine queere Position, die grundlegende Ansätze aus den Gender Studies aufgreift, denn sie kehrt sich gegen jedwede Form essentialistischer Grundannahmen: Allein die eigene Körperpraxis bestimmt, was Skateboarding ist und sein kann. Völlig losgelöst von normativen Standards, von gesellschaftlichen Vorgaben oder szeneinternen Hierarchien, fasst die zitierte Aktivistin ihre Motivation zum Skateboardfahren zu-
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sammen: »I like to do stuff that feels cool, that gives me butterflies in my stomach.« (zit. n. Beal, 1995, S. 263)
AUSBLICK : S KATEBOARDING UND O LYMPIA Die Selbstbestimmtheit, die in der voranstehenden Aussage mitschwingt, veranschaulicht das politische und emanzipative Potential, das in der Praxis des Skateboarding immanent ist. Sie impliziert eine Programmatik, die Skateboarding wieder bzw. weiter öffnen kann und zwar, in dem es auch in Zukunft daran arbeitet, ›Differenzen zu kultivieren‹ und ganz im Sinne queerer Implikationen immer wieder ›the physical limits and imagination‹ von Mensch und Gesellschaft zu hinterfragen, um sich nicht von normierten Regularien vorschreiben zu lassen, was sich gut anfühlt. Unter dieser Prämisse muss der Blick auf die Olympischen Spiele 2020, die Skateboarding zu einer offiziellen Disziplin erheben, ein skeptischer bleiben. Es ist zwar zu vermuten, dass sich durch die Anerkennung von Skateboardfahren als olympisch-wettkampftaugliche Sportart eine Kontroverse, wie jene in der Brigitte, nicht wiederholen wird. Die Skateboarder, die von der Autorin Bianka Echtermeyer in St. Pauli angetroffen wurden, werden niemandem mehr ein Kopfschütteln abringen, weil sich ihre Aktivitäten fortan als ganz ›normales‹ Training im Diskurs sportlicher Betätigung einordnen lassen. Was dabei dann allerdings verloren geht, ist der völlig unvoreingenommene Blick, der nichtnormierte Zugriff sowie die unkonventionelle Aneignung und Umdeutung von scheinbar festzementierten Strukturen, die Skateboarding so viel emanzipatives Potential verleihen. Wenn das hier abschließend einmal so lapidar formuliert werden darf, steckt in diesen Eigenschaften natürlich auch eine Erkenntnis, die sich diejenigen Skateboarder hinter die Ohren schreiben sollten, die vor lauter Wut auf eine Glosse in einer bürgerlichen Frauenzeitschrift zu blind waren, um zu sehen, dass ihre körperliche Praxis eigentlich genug Argumente dafür liefert, dass altersspezifische, geschlechtsspezifische und überhaupt identitätsmarkierende Zuschreibungen häufig nur willkürliche Parameter von normativen Strukturen sind, die es zu hinterfragen gilt: Es sollte ihnen bewusst sein, dass das sexistische Verhalten und auch die immer wieder zu beobachtende Dominanz männlicher Positionen, die nach wie vor in der Skateboardkultur wirkmächtig sind, die queeren Wurzeln der eigenen Praxis korrumpieren. Gerade weil die Skateboarder, die sich in der Brigitte-Kontroverse so lautstark zu Wort gemeldet haben, intuitiv ein Gespür dafür zu besitzen scheinen, dass eine am biologischen Alter orientierte Bewer-
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tung von Lebensentwürfen nicht einfach hingenommen und stattdessen hinterfragt werden sollte, erweisen sie mit ihren überzogenen und diskriminierenden Reaktionen der innovativen Körperpraxis des Skateboarding einen Bärendienst. Ohne an dieser Stelle all zu stark moralisieren zu wollen, könnte man doch zu dem Schluss kommen, dass sie es hätten besser wissen müssen. Menschen, die erkennen, dass ein Swimming-Pool nicht zwangsläufig zum Schwimmen genutzt werden muss, die erkennen, dass ein Geländer nicht nur zum Festhalten dient und die erkennen, dass der Parkplatz hinter dem Supermarkt voller ungeahnter Potentiale steckt, liefern damit jedenfalls ein Beispiel für die Gewissheit, dass auch Kategorien wie Geschlecht und Alter nichts darüber aussagen sollten, wie wir unser Leben gestalten. Vor diesem Hintergrund eine Redakteurin misogyn zu beleidigen, sich offenbar besonders daran zu stören, das eine harmlose Stichelei ausgerechnet von einem Frauenmagazin geäußert wurde und dabei komplett auszublenden, dass zumindest die mediale Repräsentation der eigenen Szene seit jeher die Aktivität weiblicher bzw. andersgeschlechtlicher Protagonist/-innen zugunsten männlicher Inszenierung unterschlägt, mutet ausgesprochen widersprüchlich an. Ein innovativer Blick – der im Übrigen auch der Brigitte-Autorin in ihrer Glosse abgeht, weil sie sowohl die Kategorie Geschlecht als auch die Kategorie Alter strikt an vermeintlich grundlegende und angeblich unumgängliche Verhaltensweisen bindet – begleitet die Praxis des Skateboarding seit jeher. Letzten Endes bildet er sogar die Voraussetzung dafür. Entsprechend könnte er zumindest mit der Hoffnung – besser aber: mit der Erwartung – verbunden sein, auch in darüber hinausweisenden und anderen Kontexten für eine gewisse Weitsicht zu sorgen. Mit den Referenzen auf Theorien der Gender und Queer Studies, die in diesem Aufsatz in exemplarischen Ansätzen skizziert wurden, lassen sich die Tendenzen in der Praxis des Skateboarding herausstellen, die durchaus »herrschaftskritisch und anti-normalisierend« (Villa, 2012, S. 59) ausgerichtet sind. Die strengen Regularien, die in einem olympischen Wettkampf gelten, laufen diesen Eigenschaften zuwider. Die Einteilung in männliche Athleten und weibliche Athletinnen ist dabei nur der offensichtlichste Punkt, der die Offenheit der Praxis des Skateboarding durch (hetero-)normative Strukturierung beschränkt und einer binären Logik unterwirft. Zwar könnte damit die Hoffnung verbunden sein, dass auf diese Weise auch weiblichen Skateboarderinnen mehr mediale Aufmerksamkeit zukommt, allerdings verspielt man durch diese strikten Einteilungen einige der innovativsten Aspekte von Skateboarding, wie sie in der weiter oben zitierten Darstellung von Becky Beal (1995) herausgearbeitet wurden. Am Ende zielen die wettkampforientierte Einteilung in ›Frauen‹ und ›Männer‹ und die darüber hinaus implementierten Regulierungen hinsichtlich von Zeit, Ort, Equip-
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ment und Trickrepertoire nämlich lediglich darauf ab, vermeintlich objektive Ergebnisse und Bewertungen hinsichtlich ›erfolgreichen‹ Skateboardfahrens treffen zu können, was im Hinblick auf die Frage »For who’s to say what trick is better?« von vorne herein zum Scheitern verurteilt ist. Weil es keine Maßeinheit gibt, die die Anzahl von ›butterflies‹, also von Schmetterlingen im Bauch benennen kann, wird es auch in Zukunft unmöglich bleiben, diesbezüglich eindeutige Bewertungen zu treffen, geschweige denn, diese durch Verleihung von Gold, Silber oder Bronze zu hierarchisieren.
L ITERATUR Beal, B. (1995). Disqualifying the Official: An Exploration of Social Resistance Through the Subculture of Skateboarding. Sociology of Sport Journal 12, 3, 252-267. Echtermeyer, B. (2012). »Erwachsene Männer, die Skateboard fahren: Steig ab, Mann!« Brigitte.de. 29.11.2012 (Zugriff am 29.11.2012). Echtermeyer, B. (2013). »Wie fühlt es sich an, wenn man 8000 Mal geschlagen wird?« Brigitte #23 2013. S. 115-118. Fox, Margalit. »Fausto Vitello, 59, Is Dead; Made Skateboarding Gnarly.« New York Times 27.04.2006. http://www.nytimes.com/2006/04/27/sports/27vi tello.html. (Zugriff am 05.04.2018). Guattari, F. (2008). Molecular Revolution in Brazil. Los Angeles: Semiotext(e). Halberstam, J. (2005). In a Queer Time and Place: Transgender Bodies, Subcultural Lives. New York: New York University Press. Halberstam, J. (2007). Notes on Failure. In Benesch, K. & Haselstein, U. (Hrsg.), The Power and Politics of the Aesthetic in American Culture (S. 6990). Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Hieber, L. (2012). Queer Studies. In Moebius, S. (Hrsg.), Kultur: Von den Cultural Studies bis zu den Visual Studies (S. 63-87). Bielefeld: transcript. »Skaten, Alter!« YouTube. Hochgeladen von Survival Guide, 30.11.2012. https://www.youtube.com/watch?v=NQtMxDsC8S0 (Zugriff am 05.04. 2018). Stecyk, C. (1975). Aspects of the Downhill Slide. SkateBoarder Magazine 2, 2, 29. The Necessary Hate. »Echte Männer und blonde Frauen«. http://youshallnot. com/nh/540/ 29.11.2012 (Zugriff am 05.04.2018). Villa, P.-I. (2012). Gender Studies. In Moebius, S. (Hrsg.), Kultur: Von den Cultural Studies bis zu den Visual Studies (S. 48-62). Bielefeld: transcript.
Zur Rolle online-medialer Inhalte für die Skateboardkultur Katharina Bock
1. E INLEITUNG Szenekulturelle Selbstfindungs- und Vergemeinschaftungsprozesse sind längst nicht mehr nur offline zu denken. Individuen und Mitglieder von Gemeinschaften können für sie relevante Informationen nicht nur digitalisiert vorfinden, sondern sich auch aktiv an deren Produktion und Distribution im Internet beteiligen. Zusätzlich ermöglichen bestimmte Web-Anwendungen sowohl das Finden, Bewerten und Verwalten von online verfügbaren Informationen, als auch die Darstellung von Aspekten des Selbst sowie den Aufbau und die Pflege sozialer Netzwerke und virtueller Gemeinschaften. Zusammengefasst unter dem Begriff Social Media können im Web persönlich erstellte, auf Interaktionen abzielende Beiträge in Form von Texten, Bildern, Video oder Audio über Online-Medien für einen ausgewählten Adressat/innenkreis, einer virtuellen Gemeinschaft oder für die Allgemeinheit veröffentlicht werden. Mit Hilfe des Internets werden also Partizipation und Kollaboration sowie Informations-, Identitäts- und Beziehungsmanagement ermöglicht (vgl. Hettler, 2010, S. 12ff.). Folglich bietet das Internet Jugendszenen »einen geradezu unüberschaubaren Möglichkeitsraum, sich mit einem spezifischen Webangebot zu präsentieren, zu inszenieren, zu stilisieren, zu orientieren und zu vergemeinschaften« (Hugger, 2014, S. 21). Und so macht auch die Skateszene von den vielfältigen Möglichkeiten des Internets Gebrauch. Allerdings gilt zu bedenken: Es handelt sich hierbei um eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die durch ähnliche Vorlieben in Bezug auf Körpermodelle, Zeichen und Gesten aus Sport und Popkultur miteinander verbunden sind. Ihr Kerninteresse und die damit verbundenen Aktivitäten sind explizit auf physisch-reale Räume ausgerichtet. Diese eignen sich die Szenemit-
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glieder durch körpersportliche Bewegungen an und erhalten so die Gelegenheit, Fähigkeiten und Eigenschaften zur Schau zu stellen, die von signifikanten anderen Mitgliedern geschätzt werden. Im Zentrum des Interesses von Skater/innen stehen »das gemeinsame physische Agieren und dadurch erzeugte oder bekräftigte Stimmungen und Gefühle« (Alkemeyer, 2010, S. 332), denn durch die Fähigkeit, sich stimulieren zu lassen, werden die Körper zum »Instrument körperlicher Lust (auch Angstlust), von Spannung, Thrill und Glück wie im Flow-Erlebnis« (Gebauer & Alkemeyer, 2001, S. 130). Bezogen auf eben diese spezifische thematische, nämlich körper- und sportbezogene, Interessenausrichtung stellt sich die Frage, was Online-Medien und deren Inhalte für die Skateszene tatsächlich zu leisten imstande sind? Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen, indem die Bedeutungen, Potentiale und Grenzen szenerelevanter Online-Medien bzw. deren Inhalte ausgelotet und diskutiert werden.
2. T HEORETISCHE R AHMUNG Die Skateszene wird hier vor einem modernisierungstheoretischen Hintergrund betrachtet – als eine überaus medienaffine, körper- und sportfokussierte Gemeinschaft, die in besonderer Weise auf die Auswirkungen der Moderne reagiert. Zu den Kennzeichen dieser Moderne gehören Phänomene, die vor allem unter den Begriffen Globalisierung und Individualisierung verhandelt werden (vgl. Hitzler, 1998, S. 81). Wesentliche Treibkraft der Globalisierung (also der weltweiten Vernetzung und Integration von Waren-, Transport-, Dienstleistungs-, Kapital-, Arbeitsmärkten usw.) sind technologische, vor allem informationstechnische Innovationen (vgl. Ferchhoff, 2011, S. 74ff. sowie Beck, 1997). Damit wiederum verbunden ist ein Wandel im Medienbereich, den Begriffe wie Digitalisierung (Umstellung von analoger auf digitale Technologie), Konvergenz (Zusammenwachsen unterschiedlicher Medien und Geräte), Pluralisierung (Vervielfachung von Medien und Endgeräten) und Diversifizierung (Spezialisierung medialer Nutzungsangebote im Rundfunkbereich und Internet) kennzeichnen (vgl. Hugger 2014, S. 13f.). Parallel dazu hat mit der Moderne ein gesellschaftlicher Wandel eingesetzt, der massive Individualisierungsentwicklungen und damit die Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen zur Folge hat (vgl. Beck & BeckGernsheim, 1994, S. 11). Dabei kommen auf die Individuen neue Anforderungen, Kontrollen und Zwänge zu »mit dem besonderen Aufforderungscharakter, ein eigenes Leben zu führen« (ebd., S. 12). Dies bedeutet, dass Chancen, Gefahren oder Unsicherheiten der Biographie, die früher im Familienverbund oder im
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Rückgriff auf soziale Klassen definiert waren, nun von den Einzelnen selbst wahrgenommen, interpretiert, entschieden und bearbeitet werden müssen. Dabei aber sind die Individuen, angesichts der hohen Komplexität der gesellschaftlichen Zusammenhänge, vielfach kaum in der Lage, die notwendig werdenden Entscheidungen fundiert zu treffen (vgl. ebd., S. 15). Die Verwirklichung individueller Lebensführung ist zudem entscheidend an ökonomische, soziale, kulturelle sowie mehr und mehr mediale Ressourcen und Kompetenzen geknüpft, über die nicht jedes Individuum ohne Weiteres verfügt (vgl. Ferchhoff, 2011, S. 14f.). Dies hat Auswirkungen nicht nur auf die Lebensführung des Einzelnen, sondern auch auf die Formen des Zusammenlebens. Im Versuch, die Folgen massenhafter Emanzipation und Freisetzung zu bewältigen und mit der Erfahrung der Entwurzelung und des Ausgebettetseins umzugehen, haben sich neue Vergemeinschaftungsmuster bzw. alternative Konzepte des Zusammenlebens und Miteinanderumgehens herausgebildet (vgl. Hitzler, 1998, S. 84). Ein wesentliches Kennzeichen dieser neuen, auch als »posttraditional« (Hitzler, Honer & Pfadenhauer, 2008) bezeichneten, Gemeinschaften besteht darin, dass sich ihre vergemeinschaftende Kraft nicht länger auf ähnliche soziale Lagen gründet, sondern auf ähnliche Lebensziele, Interessen und ästhetische Ausdrucksformen (vgl. ebd., S. 8). Damit versprechen diese neuen Gemeinschaften den aus verbindlichen und verlässlichen Denk- und Verhaltensmustern freigesetzten Individuen eine zumindest relative Sicherheit und Fraglosigkeit des Umgangs miteinander dadurch, dass sie ihre je eigenen Interessen dort als gemeinsame veranschlagt finden (vgl. ebd., S. 30). Solche alternativen Selbstfindungs- und Vergemeinschaftungsprozesse sind aber nicht nur offline zu denken, denn längst bieten die erwähnten medientechnischen Entwicklungen im Online-Bereich hierfür »neue sozio-technische Möglichkeitsräume« (Hugger, 2014, S. 14). Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass Online-Medien bzw. deren Inhalte entscheidend an der Konstruktion von Skateboardkultur – genauer: szenespezifischen Wissensbeständen – beteiligt sind. Diese Wissensbestände werden im szenekommunikativen Austausch – off- wie online – gebraucht und dienen der Erzeugung »kompetenter Mitgliedschaft« (Maeder & Brosziewski, 1997, S. 340). Dabei können Wissensbestände alles das umfassen, was durch Sprache bezeichnet werden oder worauf man sich mittels Kommunikation beziehen kann (vgl. Maeder, 2007, S. 683). Bezugnehmend auf Blumer (1981, S. 81) können dies einerseits Gegenstände wie Skateboards, szenebezogene Situationen, Treffpunkte oder Veranstaltungen, bestimmte Szenemitglieder und deren Handlungen oder Einstellungen sein; aber auch Online-Medien bzw. von Skater/innen erstellte online-mediale Inhalte lassen sich zu Wissensbeständen zäh-
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len. Und: Im Sinne des Symbolischen Interaktionismusʼ (Blumer, 1981) kann davon ausgegangen werden, dass die Mitglieder der Skateszene diesen Wissensbeständen gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese für sie besitzen, dass die Bedeutung der Wissensbestände aus den sozialen Interaktionen der Szenemitglieder und/oder aus von ihnen erstellten online-medialen Inhalten abgeleitet ist. Szenebezogenes Handeln lässt sich also als bedeutungsvolles interpretatives soziales Handeln verstehen, und Mediennutzung als ein von Skaterinnen und Skatern »sinn- und absichtsvolles Nutzen und Benutzen« (vgl. Renckstorf, 1989, S. 314) online-medialer Angebote mit Szenebezug. Deshalb gilt es diesen Angeboten im Folgenden besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
3. S ZENEMEDIEN ONLINE : I NHALTE , B EDEUTUNGEN , P OTENTIALE UND G RENZEN Nicht zuletzt vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen beim Feldzugang (vgl. Bock, 2017) zeigt sich, dass die Kenntnis bedeutsamer Szenemedien bzw. deren Inhalte unabdingbar ist, um mitreden und dazugehören zu können. Sowohl aktuelle Themen und Trends als auch Einblicke in die historische Entwicklung der Szene samt wichtiger Etappen sind zum großen Teil ausschließlich über szenemediale Erzeugnisse (z.B. E-Zines und deren redaktionelle Inhalte, Skatevideos, Tutorials, szenebezogene Werbeinhalte) und Infrastrukturen (z.B. szenespezifische Webseiten, Videoportale) zugänglich, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen. 3.1 E-Zines, Videoportale, Websites Zu namhaften E-Zines, die zum Teil auch als gedruckte monats- oder quartalsweise Ausgaben erscheinen, zählen (nicht nur) im deutschsprachigen Raum unter anderem das SOLO Skateboardmagazine (Soloskatemag.com), das Monster Skateboard Magazine (Skateboardmsm.de), die Magazine Place (Placeskateboar ding.de), Thrasher (Thrashermagazine.com) und Kingpin (Kingpinmag.com), das Transworld Skateboarding Magazine (Skateboarding.transworld.net), das Free Skateboard Magazine (Freeskatemag.com), das Concrete Wave Magazine (Concretewavemagazine.com) oder The Skateboard Mag (Theskateboardmag. com). Beim Sichten solcher Zines zeigt sich, was zu deren häufigsten redaktionellen Inhalten zählt: Interviews mit bekannten (meist männlichen) Skater/innen, Besprechungen von Skatespots, Berichte über Events, Touren oder Videoproduktionen, Artikel mit Rückblicken oder aktuellen Entwicklungstrends. Zudem
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stellen Personen-Profile bedeutsame Skater/innen und Newcomer/innen vor, informieren über deren Bewegungskönnen, ihr Szenewissen und ihre Vorlieben in Bezug auf Spots, Tricks, Marken etc. Auf diesem Weg werden geeignete Identifikationsschablonen bereitgestellt, wobei Szenemitgliedern indirekt vermittelt wird, das Wissen, die Leistung und den Style vor allem männlicher Profi-Skater in besonderem Maße wertzuschätzen. Denn: In Bezug auf die Wahl zu vollführender Skatetricks geht es stets darum, zu den »wenigen Skatern« zu gehören, die »verdammt schwere« und besonders »stylishe« Tricks beherrschen (vgl. Bock, 2017, S. 154f.). Wohl deshalb lassen sich Darstellungen weniger leistungsstarker, uncooler (weil eben nicht stylisher oder weil weiblicher) Szenemitglieder hier nicht ausmachen. Durchsetzt sind diese redaktionellen Textinhalte mit zum Teil hochgradig ästhetisierten Fotos, Video-Screenshots, Werbeanzeigen szeneinterner wie -externer Akteure sowie Social Media-Icons (vor allem Facebook, Instagram, Twitter), die zum Teilen (»share this«) der jeweiligen Inhalte oder zum Verfolgen dieser (»follow us«) aufrufen. Häufig verfügen die E-Zines zusätzlich über eigene Video-Rubriken, in denen aktuelle Videos bereitgestellt, diskutiert und bewertet werden (vgl. dazu beispielsweise Soloskatemag.com/category/videos, Skateboardmsm.de/tv, Kingpinmag.com/videos, Concretewavemagazine.com/vi deos, Theskateboardmag.com/video oder Freeskatemag.com/category/videos). Videoclips, Filme oder Dokumentationen werden außerdem auf szeneinternen Videoportalen (zum Beispiel Skatevideosite.com, Skimthefat.com, Hellaclips. com oder Skatevideomagazine.com) gelistet und können dort bewertet werden. Aber auch szeneexterne Videoplattformen (vor allem Youtube.com und Vimeo. com) stellen szenerelevante Bewegtbilder zur Verfügung, und viele der genannten Zines sind dort jeweils sogar mit eigenen Kanälen vertreten. Daneben finden sich auf Websites wie Skatecheck.de, Boardstation.de, Boardstein.com, Boardmag.com, Skatemap.de oder Everskate.com alle möglichen News und (Zusatz-)Informationen aus und für die Szene. Dazu zählen zum Beispiel Wörterbücher und Lexika mit szenehistorischen Daten und Fakten; Kalender und Updates informieren über angesagte Treffpunkte und Veranstaltungen; Trick-Tutorials werden bereitgestellt; Skatespots sowie wichtige (lokale) Skateshops werden gelistet. Ein Ranking der »Top 30 Skateboard Websites & Blogs For Skateboarding Enthusiasts« findet sich zum Beispiel unter Blog.feed spot.com. Darüber hinaus offerieren Webseiten von Online-Skateshops eine breite Palette an Materialien zur Ausstattung der Körper. So sind beispielsweise über Skatedeluxe.com, Titus.de oder Boardjunkies.de sowohl das skatespezifische Equipment (Decks, Griptapes, Rollen, Achsen etc.) als auch Kleidung, Schuhe
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und Accessoires unterschiedlicher Hersteller und Marken zu erhalten. Die Ausstattung mit diesen Materialien ist Ausdruck der Zugehörigkeit zur Skateszene. Die Wahl bestimmter Designs, Marken und Hersteller dient darüber hinaus als Mittel zur Stilisierung und damit auch der internen Distinktion. Der Gebrauch von Materialien ist außerdem Ausdruck einer Präferenz für bestimmte Hersteller und deren Marken-Images. Demnach richten sich die Inhalte der Online-Medien (also auch der Angebote der Online-Skateshops) nicht einfach nur an Skater/innen; sie richten sich an Fans von bestimmten Fahrern, Produkten bzw. Firmen, erklärt der Skater und Videofilmer Pascal Richter in einem Gespräch. Motivation und Identifikation mit Vorbildern bestimmen das Kerngeschäft der Skateboard-Firmen; die Szenemedien wiederum finanzieren sich durch Werbung, die eben jene Firmen bei ihnen inserieren, erläutern der Filmer Pascal Richter und Ole Tremp, Chefredakteur eines bedeutsamen deutschsprachigen Skatemagazins. Ohne motivierte Skater/innen, so die Schlussfolgerung, kein wirtschaftlicher Erfolg für Firmen. Solchen Kommerzialisierungsentwicklungen stehen nicht wenige Skater/ -innen kritisch gegenüber.1 Gleichzeitig eröffnen sich dadurch aber auch Möglichkeiten und Chancen auf professionelle Karrieren, und zwar dann, wenn das Körper- und Bewegungskönnen herausragender einzelner Szenemitglieder im Rahmen von Sponsorships großer Kleidungs- und Ausrüstungshersteller gewürdigt wird (vgl. Buckingham, 2009, S. 136). Weitere Karrieremöglichkeiten eröffnen sich im quasi-journalistischen Bereich, nämlich bei der Produktion redaktioneller (Online-)Inhalte. So berichtet Chefredakteur Ole Tremp, er sei (aufgrund seiner fahrerischen Leistungen) zunächst von relativ vielen Firmen gesponsert worden, sei viel rumgekommen, öfter in Amerika gewesen. Und darüber habe er dann angefangen für sein Magazin Texte zu schreiben oder Interviews zu machen – als Skater, freiberuflich sozusagen. Daneben habe er dann noch für andere (namhafte) Skatemagazine geschrieben. Und schließlich habe man ihn dann irgendwann angesprochen und gefragt, ob er sich vorstellen könnte, eine neue Redaktion für eines dieser Magazine aufzubauen. Das habe er dann gemacht – bis heute.
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So hält es beispielsweise der ehemalige Profi-Skater Dirk Steffens für eine »Absurdität«, »dass man so auf Marken und Images getrimmt wird, dass man das eigentliche Skaten – frei und kreativ sich von allen Vorgaben loslösen – völlig vergisst […] und das nur um das eine oder andere Label auf der Weste zu repräsentieren, welches einem durch unglaublichen Werbeaufwand über all die Jahre vermittelt hat, dass es einem nur damit im Leben besser gehen kann, oder dass man cooler oder krasser damit ist«.
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3.2 Skatevideos Waren in den 1990er Jahren noch VHS-Kassetten (später dann DVDs) für die Verbreitung und Multiplikation audiovisueller (Re-)Präsentationen der Skateszene zuständig, erfolgt die Verbreitung von Videoinhalten inzwischen nahezu ausschließlich online-medial über die bereits genannten Verbreitungswege.2 So heterogen wie die Skateszene selbst, so vielfältig ist heute auch ihr Videomarkt. Es gebe kommerzielle Videos und nicht-kommerzielle, kleine Clips und große Produktionen, sagt Pascal Richter. Markus Kannenthal, wie Richter ebenfalls langjähriger Skater und Videofilmer, ergänzt: Die Vielfalt reiche von Sparten-Videos im HipHop-, Rocker- oder Mega Ramp-Style über Contest- und Tour-Videos, die von Fernsehsendern (z.B. MTV oder ESPN) produziert würden; es gebe dokumentarische Ansätze oder auch Videokunst-Produktionen. Skate-Videos im dokumentarischen Stil seien eine »Herzenssache«, beschreibt Kannenthal, und daher recht strukturlos in Bezug auf Konzeption, Planung und Umsetzung. Sie seien patchwork-artig gestaltet und würden eher ein Konglomerat aus Erfahrungen und Eindrücken lokaler Skatekultur darstellen. So steht beispielsweise der Film »Radio Active Kids« (2009) für die lokale Berliner Szene. Als ein überaus bedeutsames Filmdokument – übrigens bis heute – ist in diesem Zusammenhang außerdem »The Bones Brigade Video Show« der SkateboardFirma Powell-Peralta aus dem Jahr 1984 zu nennen. Dieses Video löst seinerzeit eine enorme Begeisterung aus und macht audiovisuelle (Re-)Präsentationen der Szene fortan unentbehrlich.3 Seitdem gilt: »Like the album is to the musician or the building to an architect, the video is to the skateboarder«, wie es in dem Dokumentarfilm »Skate on Film« (2012) heißt. Zu den gängigsten und populärsten Formaten aber zählen »klassische« Skatevideos. Diese, so erklären mir die beiden Videoexperten Kannenthal und Richter, seien sportzentriert und ohne einen besonderen Ansatz. Je nachdem handle es sich dabei um einen kurzen Clip (d.h. ein Fahrer, drei Minuten und Tricks,
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Entscheidend für die Verbreitung von Skatevideos ist zu jener Zeit das 1993 gegründete »411 Video Magazine«. Dieses erste Video’zine gilt seinerzeit als die Informationsquelle schlechthin (Gausepohl, 2012). In regelmäßigen Abständen werden hierdurch neue Tricks und Trends verbreitet; zudem erscheinen Profile von Firmen und Fahrern – und zwar mit weltweitem Erfolg (Brooke, 2001, S. 146 f.).
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Videos wie diese »showed skaters in the streets of Los Angeles and Santa Barbara jumping over cars, riding up the walls of buildings, over hydrants and planters, onto benches, flying over steps, and sliding down the free-standing handrails in front of a bank« (Borden, 2001, S. 182).
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Tricks, Tricks) oder um eine längere Produktion (zwischen 20 und 40 Minuten lang, sechs bis zehn Fahrer eines Skate-Teams, die ihre Tricks zeigen). Die Produktion und Distribution dieser »klassischen« Videos dient vor allem kommerziellen Interessen, denn hierbei handelt es sich um Werbefilme, deren Protagonist/innen durch szeneinterne Sponsorships oder solche namhafter Sportartikelhersteller finanziert werden; und sogar die sportferne Energy- bzw. Softdrinkindustrie ist inzwischen mit zahlreichen Sponsorships im Skateboardsegment vertreten (vgl. Schweer, 2014, S. 154). Darüber hinaus kursiert im Netz eine Vielzahl an »Video-Eigenproduktionen« (Witzke, 2005) lokaler Held/innen, die ihr sportliches Können in ihrer unmittelbaren, heimischen Umgebung präsentieren. Häufig handelt es sich dabei um »Sponsor-me-Videos« (Buckingham, 2009, S. 140), die in der Hoffnung auf Sponsorenverträge und eine damit verbundene Profi-Karriere produziert und distribuiert werden. Dabei bieten sich Szenemitgliedern Möglichkeiten zur Verarbeitung eigener Medienerfahrung und eröffnen sich neue, zusätzliche Wege des Ausdrucks und der Kommunikation (vgl. Witzke, 2005, S. 325). Und schließlich existiert außerdem eine beachtliche Menge an Video-Tutorials, auf die ich im nächsten Absatz noch genauer eingehen werde. Was macht Videos so beliebt? Bewegte Bilder haben zunächst einmal einen deutlichen Vorteil gegenüber starren Fotografien, denn sie üben eine sehr viel größere Faszination für die Mitglieder der Szene aus: »Was will ich da ein eingefrorenes Foto wie einer in der Luft steht. Da denke ich, ja woher kommt der, wohin geht der, wie gleicht er es aus, wie guckt er nachher?«, sagt der Schweizer Ex-Profifahrer Dirk Steffens. Solche »lebendigen Eindrücke« könne man »halt nur in echt oder in bewegten Bildern sehen«, ergänzt er. Sie dienen außerdem der Motivation vor dem Fahren, denn sie »zeigen dir eigentlich, wo du hin willst, wie es perfekt aussieht«, so Steffens weiter. Deshalb habe er vor dem Fahren als Motivation immer so ein Video geguckt, denn dann hatte er »voll Bock das auch zu machen«. Folglich dient die Videorezeption auch dazu, sich Ideen für das eigene Skaten zu holen. Meistens seien das ja US-Skater, die »man nie besuchen gehen oder live sehen könnte, sondern man hat die im Video«, sagt Steffens. Und dann sehe man diesen Typen und sage »›boah, der ist cool, ist genau das, was ich geil finde‹. Und das ist ja super, dann kann man dem zugucken und sich Motivation und Ideen von dem holen«, erklärt Steffens. Wie Chefredakteur Tremp es beschreibt, sind Skatevideos nicht zuletzt deshalb »das direkteste Medium, um sich sozusagen an seinen Vorbildern orientieren zu können« – in Bezug auf Tricks, auf das Körperstyling und »auch das ganze Drumherum, irgendwo diesen ganzen Slang«. Videos haben darüber hinaus auch eine Trendsetterfunktion, denn bei der Rezeption gehe es auch darum, zu erfahren »was gibt’s für neue Tricks« oder
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»was hat wer wo gemacht«, sagt Tremp. Solche Informationen sind vor allem wichtig, weil es Skateboarding oft um die sogenannten »NBDs« geht. NDBs (»Never Been Done«) sind Tricks, die an einem bestimmten Spot noch nie gemacht wurden, wie Sandro Volkmann, langjähriger Skater und verantwortlich für ein Berliner Skate-Team, erklärt. Hier sind Skatevideos geradezu essentiell, denn nur durch deren Rezeption bzw. durch die Berichterstattung darüber sind Szenemitglieder über NBDs vollständig auf dem Laufenden.4 Was hierbei auch zum Ausdruck kommt, ist die für die Skateszene typische Wettkampf- bzw. Wettbewerbsorientiertheit, die mit dem Medium Video in den Online-Bereich übertragen wird, denn profi-mäßig vor der Kamera zu stehen bedeutet, sich mit anderen Szenemitgliedern zu messen. Skatevideos dienen damit nicht nur der bloßen Dokumentation des eigenen Leistungsfortschritts, sondern sollen diesen mit anderen vergleichbar machen. 3.3 Tutorials Längst wird das Netz auch zum Erlernen des Körper- und Bewegungswissens eingesetzt. Hierfür haben sich ›Amateurformen des Lehrens‹ herausgebildet – also Instruktionen zur Aneignung von Skateboard-Tricks, die von erfahrenen Szenemitgliedern erteilt werden, indem diese bestimmte Bewegungen vorführen und erläutern. Dieses Körper- und Bewegungswissen ist für die Skateszene nicht zuletzt deshalb so bedeutsam, weil Skaterinnen und Skater im Zuge der Darstellung dessen die Gelegenheit erhalten, Fähigkeiten und Eigenschaften zur Schau zu stellen, die von signifikanten Anderen in der Szene geschätzt werden. Auf diesem Wege kann das Körper- und Bewegungswissen zur Akkumulation von symbolischem Kapital in Form von Gruppenzugehörigkeit, Solidarität, Anerkennung, Respekt oder Freundschaft genutzt werden (vgl. Bourdieu, 1992, S. 64ff.) – Bedürfnisse, die Heranwachsende in besonderer Weise zu befriedigen haben. Das Rezipieren solcher Tutorials soll nicht nur das Nachvollziehen der für die Skateszene so bedeutsamen körperlichen Gesten ermöglichen, sondern tatsächlich zum Skaten befähigen. ›Versprochen‹ werden genaueste Einblicke in
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So würden, wie Volkmann erklärt, Spots für (Tour-)Videos beispielsweise immer danach ausgewählt, ob dort schon jemand gewesen sei, wie lange das her sei und welche Tricks dort gemacht wurden. »Und wenn du dann weißt, letztes Jahr war zum Beispiel Nike da mit fünf der besten Fahrer der Welt und die sind die zehn Spots gefahren, die es da so grob gibt, dann kannst du dir ja überlegen, so, ist das jetzt effektiv wenn wir dahin fahren, wird irgendein Magazin das drucken, wenn wir da [fahren] halt an den Spots, die die sozusagen zerstört haben.«
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einzelne Bewegungsabfolgen – Einblicke, die auf eine Weise ermöglicht werden, die allein durch das Internet gegeben scheint. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, was solche online-medialen Lehrformen tatsächlich zu leisten in der Lage sind und zwar insbesondere dann, wenn sie einen genau genommen langwierigen Prozess des Verinnerlichens (vgl. Bourdieu, 1992, S. 55) komplexer Körperbewegungen mit einem Sportgerät zu vermitteln suchen. Um dies zu prüfen soll ein solches Tutorial im Folgenden genauer betrachtet werden: Über die Navigationsleiste der Website eines bekannten deutschsprachigen E-Zines gelangt man zu einer einführenden Erläuterung dessen, was aus Sicht der Redaktion zum Basiswissen über Skateboarding gehört: Falls man anfangen wolle zu skaten, aber nicht so recht wisse, wie die Sache mit dem Skateboard funktioniere, habe man hier die perfekte Hilfe, heißt es. In den Bereichen »Flat«, »Curb« und »Transition« würden Experten Tipps zu den Tricks, die man als Einsteiger können sollte, geben.5 In diesem Zusammenhang stehen 21 TricktippVideos zur Auswahl, von denen das erste die Vermittlung der Aneignung des grundständigsten aller Skatetricks, des »Ollies«, zum Gegenstand hat und verspricht, seine Rezipient/innen zum Ausführen desselben zu befähigen. Der inhaltliche Ablauf samt der verbalen und nonverbalen Handlungen wird in einem Einstellungsprotokoll (vgl. Korte, 2005)6 erfasst, auf das im Folgenden immer wieder Bezug genommen wird und welches in Auszügen am Ende des Beitrags zur Verfügung steht. Erheblich erleichtert wird die Anfertigung eines solchen Protokolls durch zwei besondere medientechnische Anwendungen – »Slow Motion« und »Replay Last 3 Seconds«. Diese gestatten ein verlangsamtes, beliebig oft wiederholbares Rezipieren von Bewegungsabfolgen und liefern so detaillierte Einblicke. Das Video startet. Nach einigen einleitenden Einstellungen (E1 bis E6) kommt plötzlich ein junger Mann von links ins Bild gerannt, nimmt mit einem Skateboard in der Hand Anlauf, lässt dasselbe auf den Boden hinab, betritt es dann mit seinem rechten Fuß, setzt kurz darauf auch seinen linken Fuß auf das Skateboard und rollt dann nach rechts aus dem Bild (E7). Nach zwei weiteren ähnlichen Vorführungen (E8, E9), wendet sich derselbe junge Mann im On an die Kamera: »Hi. Äh, mein Name ist Felix Nürnberg. Heute erklärʼ ich euch den Ollie. Und zwar stellt ihr euren hinteren Fuß einfach auf’s Tail direkt«. (Dieser junge Mann trägt einen dunkelgrauen Kapuzenpullover, eine dunkelgraue locker
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Auch hier ist von »Experten« und »Einsteigern« die Rede, wodurch erneut der Ein-
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Eine Einstellung bezeichnet die kleinste Filmeinheit, die durch zwei Schnitte oder
druck entsteht, die Mitglieder der »Skateszene« seien ausschließlich männliche. Blenden begrenzt wird (vgl. Bienk, 2008, S. 52).
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sitzende Jeans und Sportschuhe mit flacher Sohle.) Felix sitzt auf einer kleinen Mauer, in einer Parkanlage. Das Skateboard liegt quer auf seinem Schoß. Seine rechte Hand schlägt er während seiner Erklärung auf eines der beiden Enden des Skateboards – offenbar das »Tail« (E10 bis E13). »Den vorderen Fuß«, fährt er fort und schlägt dabei zur Erklärung seine linke Hand auf das andere Ende des Skateboards, »so vor die Shorties – ungefähr so – und dann drückt ihr einfach hinten drauf – so«. Hierbei schlägt er seine rechte Hand auf das rechte Ende des Skateboards, woraufhin sich das entgegengesetzte (linke) Ende des Skateboards nach oben neigt (E14 bis E16). »Und nach vorne ziehen bis ihr zur Nose kommt«. Währenddessen führt er zwei Mal hintereinander seine linke Hand über die Oberfläche des Skateboards hin zum anderen Ende desselben – in Richtung der »Shorties« bzw. »zur Nose«. »Und dann sollte das Ganze eigentlich so aussehen.« Dabei spricht er aus dem Off. Man sieht ihn auf dem Skateboard von rechts ins Bild fahren. Auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke und befördert sodann sich selbst und das Skateboard etwa einen halben Meter hoch in die Luft. Im Anschluss daran landet er auf bzw. mit dem Skateboard und rollt rechts aus dem Bild (E17 bis E18). »Dann steht ihr in der Luft, kommt wieder auf«, sagt der Experte nun wieder im On. Dabei sitzt er und hält das Skateboard zunächst auf Kinnhöhe. Dann führt er es hinunter und legt es auf seinem Schoß ab. Sofort im Anschluss daran legt er seine Hände synchron auf den beiden Enden des Skateboards ab (E19), und spricht dann erneut aus dem Off: »und rollt weiter«. Parallel dazu kommt er von links ins Bild gefahren. Auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke, tritt mit dem rechten Fuß auf das hintere Ende des Skateboards, woraufhin sich dessen vorderes Ende nach oben neigt und er sich sodann selbst samt des Skateboards etwa einen halben Meter hoch in die Luft befördert. In der Luft zieht der junge Mann seinen linken Fuß ein Stück in Richtung des vorderen Endes des Skateboards, woraufhin sich dieses nach unten neigt und wieder auf dem Boden aufkommt. Im Anschluss daran rollt der junge Mann auf dem Skateboard weiter (E20). Die Detailschritte der Bewegung sind in der nachstehenden Abbildung 1 festgehalten. Am besten sei es, wenn man den ganzen Trick im Fahren übe, ergänzt Felix (E21). In den darauffolgenden Einstellungen wiederholt er seine Erklärungen noch einmal kurz: »Ja: hinterer Fuß auf’s Tail, vorderer Fuß auf die Shorties, an die Shorties. Hinten drauf, vorne ranziehen und dann hoch. Das war’s eigentlich. Viel Spaß beim Üben« (E25 bis E28). Mit variierender Einstellungsgröße, Kameraperspektive und Achsenverhältnis wird der Ollie in den verbleibenden Einstellungen vom Experten dann noch mehrere Male vorgeführt (E29 bis E37).
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Ab b ild ung 1 : D etailv erlauf O llie ( Screensh ots E 2 0 )
Was nun wird uns hier vermittelt? Zunächst einmal erhalten wir detaillierte Einblicke in eine für die Szene bedeutsame Körperbewegung, die wir uns dank medientechnischer Möglichkeiten beliebig oft anschauen können. Wir erfahren, dass es sich bei dieser Körperbewegung um den » Ollie« handelt – eine Hebelbewegung, die mittels Gewichtsverlagerung durch einen Tritt auf das hintere Ende eines Skateboards erzeugt wird. Außerdem erhalten wir Hinweise auf das Körperstyling von Skatern: Kapuzenpulli, locker sitzende Jeans und Sportschuhe mit flacher Sohle. Wir lernen auch etwas über die szenespezifische Lexik und deren Gebrauch. So werden im Skateboarding offenbar drei Bereiche unterschieden: » Flat« , » Curb« und » Transition« . Und » Nose« , » Tail« , und » Shorties« bezeichnen Teile an einem Skateboard. Zudem gibt es Hinweise auf kommunikative Umgangsformen in der Szene, nämlich die persönliche Ansprache in der DU-Form. Adressiert wird hier kein disperses Publikum (wie für massenkommunikative Prozesse üblich), sondern jemand Vertrautes – jemand, mit dem Felix (zumindest potentiell) persönlich bekannt ist. Vergleichend lässt sich diesen online erteilten Instruktionen nun einmal die Aneignung skatespezifischer Körperbewegungen in der Offline-Welt gegenüberstellen, um aufzuzeigen, was es ›physisch-real‹ bedeutet, skaten zu lernen. Das im Folgenden zitierte Beobachtungsprotokoll berichtet über ein SkateboardTraining, das von einem erfahrenen Szenemitglied geleitet wird. Der Textauszug setzt etwa im letzten Drittel des Erfahrungsberichts ein. Bis zu dieser Textstelle wurden u. a. bereits schweißtreibende Aufwärmübungen, eine ›Mutprobe‹, Fallund Gleichgewichtsübungen, das Ü ben von Fußstellungswechseln und Sprungbewegungen beschrieben (vgl. Bock, 2017, S. 82-87).
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»Mir wird außerdem schnell klar, wie wichtig es ist, den Oberkörper beim Fahren stets leicht nach vorne zu beugen. Dies aber beachte ich genau nicht. Einen kurzen Moment lang ist mein Schwerpunkt etwas zu weit nach hinten verlagert und so verliere ich umgehend die Kontrolle über das ›Skateboard‹, weil dieses mir unter meinem Fuß wegrutscht. Dass ich den anderen Fuß noch immer auf dem Boden habe, nützt mir wenig, da er ja leicht nach hinten versetzt steht und so den Rückwärtsfall nur noch begünstigt. Auf diese Weise stürze ich mehrere Male äußerst schmerzhaft zu Boden. Dabei falle ich ein Mal direkt auf mein Steißbein, wobei ein übler Ruck durch meine gesamte Wirbelsäule geht. Ich bin wie gelähmt. Aufstehen kann ich nicht – so höllisch weh tut es. Einige Sekunden vergehen. Dann kommt Jan [der Trainingsleiter] auf mich zu und fragt, ob ich mir weh getan hätte. Ich kann kaum antworten. ›Kannst du aufstehen?‹ Ich bin nicht sicher und greife nach seiner Hand, die er mir als Hilfe entgegenstreckt. Wieder auf den Beinen frage ich in mich hinein, was ich hier eigentlich tue. Schnell wische ich die Gedanken wieder fort. Ich will kein Hasenfuß sein. Ich reiße mich zusammen und mache weiter. Die vorangegangenen Übungen – Anfahren, Wechsel der Fußstellung, Hocke, Bremsen – sollen nun mit dem Versuch eingeleitet werden, auf unser langsam rollendes ›Skateboard‹ aufzuspringen und weiterzufahren. Ich bin ganz vorsichtig und so gelingen mir die ersten Versuche recht gut. Weil ich mir irgendwie fortgeschritten vorkomme, werde ich dummerweise ein wenig übermütig und stupse das ›Board‹ etwas zu stark an. Beim Anlauf verschätze ich mich und gebe erneut nicht ausreichend Acht auf die Haltung meines Oberkörpers. Beim Versuch, meinen vorderen Fuß auf dem ›Board‹ zu platzieren, rutscht dieses abermals unter mir weg und ich falle schräg nach hinten. Meinen Sturz will ich mit der linken Hand abfangen – eine weitere ziemlich blöde Idee, denn so helfe ich meinem Handgelenk mein gesamtes Körpergewicht über. Am Boden liegend umklammere ich sofort mein Handgelenk mit festem Griff und hoffe, dass der Schmerz nachlässt. Das jedoch ist nicht der Fall. Es wird schlimmer, stechend. Mir wird kurz übel. Erneut kommt Jan mir zur Hilfe. ›Handgelenk?‹ Ich kann nicht antworten und nicke ihm stattdessen lediglich kurz zu. Erneut hilft er mir auf. ›Kannst du die Hand bewegen?‹ Ich weiß es nicht und einen Versuch will ich lieber nicht wagen. […] Das Probetraining wird fortgeführt – allerdings ohne mich. Ich bleibe am Rand sitzen und frage mich, ob ich eigentlich verrückt war zu glauben, ich könne tatsächlich ›skaten‹ lernen. Das hier ist die reinste Körper(selbst)verletzung! […] Am nächsten Tag kann ich mich kaum bewegen. Jede Bewegung schmerzt, alles tut weh – Schultern, Nacken, Arme, Bauch, Oberschenkel, Waden, das inzwischen in Gips gelegte Handgelenk und nicht zu vergessen mein Steißbein. Ich fühle mich furchtbar […]« (Bock, 2017, S. 87ff.).
Die Gegenüberstellung von Video-Tutorial und der realen Auseinandersetzung des Körpers mit dem Skateboard zeigt deutliche Unterschiede: Im Tutorial bleibt ausgespart, welchen körperlichen Belastungen man sich auszusetzen und welche
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mentalen Herausforderungen im Skateboarding zu bewältigen sind (und zwar aufʼs immer wieder Neue). Es zeigt sich, dass – lange bevor es an das Üben auch nur irgendeines online ›angepriesenen‹ Tricks geht – zunächst sehr basale Fähigkeiten (v.a. Gleichgewicht-halten, Anfahren, Bremsen und das ›richtige‹ Stürzen) erworben, verinnerlicht und/oder unter Beweis gestellt werden müssen. Wie hier deutlich wird, sind Bewegungen mit dem Skateboard nur in einem mühsamen, schwierigen, langwierigen und körperlich belastenden Prozess zu erwerben. Und online-mediale Lehrformen wie Video-Tutorials können lediglich (ausschnitthafte) Ideen davon vermitteln, wie sich dieser Aneignungsprozess anfühlt. Die Körper- und Boardbewegungen visuell und dabei erläuternde Worte auditiv wahrzunehmen ermöglicht zwar das Erfassen von Körperhaltungen, Bewegungen und Abläufen, ebenso deren Komplexität und Gleichzeitigkeit – ihr Zusammenspiel aber lässt sich nur durch das eigene Körperhandeln vollends begreifen und umsetzen (vgl. Brosziewski & Maeder, 2010, S. 405). Das bloße Rezipieren von Online-Tutorials befähigt also noch lange nicht zum Skaten, sondern scheint lediglich geeignet, Ideen und Bewegungsimpulse zu vermitteln.
4. S CHLUSSBETRACHTUNGEN Die Online-Medien der Szene und deren Inhalte sind, wie deutlich geworden sein dürfte, ein wichtiger Teil der Bedeutungswelt von Skater/innen und prägen diese in hohem Maße. Durch sie stehen vielfältige Wissensbestände (v.a. Körperwissen, Wissen um moderne Leistungs-, Erfolgs- und Wettbewerbsprinzipien, Wissen um szenebezogene Medien und deren Inhalte, Wissen um Normen, Werte, szenespezifische Leitideen, Ästhetisierungsoptionen usw.) zur Verfügung (dazu ausführlicher: Bock, 2017). Und die mit der Digitalisierung gegebenen Möglichkeiten der Speicherung und Multiplikation von Wissensbeständen tragen zur Verstetigung dieser bei. (Dabei übrigens bleibt das Szenewissen nicht intern, sondern wird auch externen Akteuren zugänglich, kann von diesen aufgegriffen, zu eigen gemacht und ggf. sogar verändert werden.) Online-Medien kommen demnach mannigfaltige Funktionen zu, die szenekommunikative Prozesse und Gemeinschaftsbildung fördern und in Gang halten und so die individuellen Bedürfnisse von Szenemitgliedern auf besondere Weise befriedigen, denn: online-mediale Inhalte adressieren die Körper. Sie machen Szenemitgliedern vielfältige Angebote für das eigene Skaten, für die Ausstattung mit szenespezifischen Materialien oder das Körperstyling. Sie liefern Informationen zum Gebrauch der szenespezifischen Lexik und zu kommunikativen Umgangsformen in der Szene. Sie sind Ideengeber und Motivatoren, fungieren als
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Trendsetter und stellen wichtige Identifikationsschablonen bereit. Mit den Möglichkeiten szenerelevanter Online-Medien und deren Inhalten eröffnen sich demnach vielfältige Wege des Ausdrucks, der Kommunikation und Szeneteilhabe, es entstehen Plattformen für Selbstdarstellung und szeneinternen Wettbewerb, es können Medienkompetenzen erworben werden, kommerzielle Interessen können verfolgt werden und es eröffnen sich sogar Karrieremöglichkeiten. Bei allem sich durch digitale Verbreitungswege bietenden Potential zeigt sich gleichzeitig auch, wie ausschnitthaft, verkürzt und selektiert die Skateszene online erscheint – etwa in der (Re-)Präsentation einer Mitgliederschaft, die im Wesentlichen aus leistungsstarken, männlichen Skatern besteht, aber auch in Bezug auf die begrenzte Aussage- und Wirkkraft von Online-Inhalten, die verdeutlicht: ›wahre‹ Szenemitgliedschaft und -teilhabe entscheidet sich im kompetenten physischen Agieren, Beisammensein und dem Erleben in der Offline-Welt und lässt sich durch online-mediale Angebote allenfalls inspirieren und ergänzen.
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Lehrvideo Ollie: Einstellungsprotokoll Zeit
Einstellung
…
…
00:13 E7: Ollie
00:15 E8: Ollie
00:17 E9: Ollie
00:20 E10: Felix
00:24 E11: Ollie
00:26 E12: Felix
1 2 3
Bildebene (Einstellungsgröße (EG)1, Kameraperspektive (KP)2, Achsenver3 hältnis (AV) , Textelemente, Personen, Handlung) … EG: Halbtotal (Körper des jungen Mannes ist vollständig zu sehen) KP: Obersicht (Kamerablick von oben) AV: nahezu rechter Winkel Ein asphaltierter Weg, umgeben von einer Parkanlage. Handlung: Ein junger Mann kommt von links ins Bild gerannt, nimmt mit einem Skateboard in der Hand Anlauf, lässt das Skateboard auf den Boden hinab, betritt dieses dann mit seinem rechten Fuß, setzt kurz darauf auch seinen linken Fuß auf das Skateboard und rollt dann nach rechts aus dem Bild. Er trägt einen dunkelgrauen Kapuzenpullover, eine dunkelgraue locker sitzende Jeans und Sportschuhe mit flacher Sohle. EG: Halbtotal (Körper des jungen Mannes ist vollständig zu sehen) KP: Normalsicht (Kamera auf Augenhöhe); horizontaler Kameraschwenk (von links nach rechts) AV: rechter Winkel Handlung: Derselbe junge Mann kommt erneut von links ins Bild. Bereits auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke und befördert sodann sich selbst und das Skateboard etwa einen halben Meter hoch in die Luft, landet im Anschluss daran auf dem Skateboard und rollt dann rechts aus dem Bild. EG: Halbnah (mittlerer Teil des Körpers ist zu sehen) KP: Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe); Kamerafahrt; Fischaugenobjektiv AV: sehr spitzer Winkel Handlung: Derselbe junge Mann führt die gleiche Bewegung (aus E8) mit dem Skateboard erneut aus. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Derselbe junge Mann sitzt und spricht im On, den Blick zur Kamera gerichtet. EG: Halbtotal (Körper des jungen Mannes ist vollständig zu sehen) KP: Untersicht (Kamera aus Froschperspektive); Kamerafahrt; Fischaugenobjektiv AV: sehr spitzer Winkel Handlung: Derselbe junge Mann führt die gleiche Bewegung ( aus E8) mit dem Skateboard erneut aus. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich
sprachliche Ebene
»Hi. Äh, mein Name ist Felix Nürnberg. Heute erklärʼ ich euch den Ollie.«
»Und zwar stellt ihr euren hinteren Fuß …
Einstellungsgrößen (E) bezeichnen den gewählten Ausschnitt und damit die Distanz oder Nähe, mit der die Zuschauer/innen mit dem Filmgeschehen konfrontiert werden (vgl. Bienk, 2008, S. 52). Kameraperspektiven definieren sich über den Winkel, in dem die Kamera ein Objekt oder eine Person zeigt (vgl. Bienk, 2008, S. 57) Das Achsenverhältnis ergibt sich aus dem Verhältnis der Handlungsachse der Objektbewegung und der Kameraachse. (Die Kameraachse bzw. die Blickrichtung der Kamera ist gleichzeitig auch der Zuschauerblick.) Dabei können Kamera- und Handlungsachse einen rechten oder spitzen Winkel bilden oder deckungsgleich sein, wobei die betreffende Person dann direkt vor der Kamera – mit dem Gesicht oder dem Rücken – steht (vgl. Bienk, 2008, S. 64f.)
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00:27 E13: Felix
00:29 E14: Felix
00:31 E15: Felix
00:33 E16: Felix
00:38 E17: Felix
00:42 E18: Ollie
00:44 E19: Felix
Handlung: Derselbe junge Mann spricht im On. Er sitzt. EG: Halbnah (Oberkörper und Schoß des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Obersicht (Kamerablick von oben); Kamera zoomt zum rechten Ende des Skateboards AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Er sitzt und das Skateboard liegt quer auf seinem Schoß. Seine rechte Hand schlägt er während seiner Erklärung auf eines der beiden Enden des Skateboards – offenbar »das Tail«. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Das Skateboard liegt noch immer auf seinem Schoß. Seinen Blick hält er auf dieses gerichtet. Seine linke Hand schlägt er zur Erklärung auf das andere Ende des Skateboards. EG: Halbnah (Oberkörper und Schoß des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Obersicht (Kamerablick von oben) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Er sitzt und das Skateboard liegt quer auf seinem Schoß. Seine linke Hand liegt noch auf dem eben berührten Ende des Skateboards – den »Shorties«. Dann dreht er die Oberfläche des Skateboards samt seiner darauf liegenden Hände zur Kamera. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Das Skateboard liegt auf seinem Schoß. Nun schlägt er seine rechte Hand auf das rechte Ende des Skateboards, woraufhin sich das entgegengesetzte (linke) Ende des Skateboards nach oben neigt. EG: Halbnah (Oberkörper und Schoß des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Obersicht (Kamerablick von oben); Kamera zoomt langsam aus dem Bild AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Das Skateboard liegt noch immer auf seinem Schoß. Das linke Ende des Skateboards ist noch immer nach oben geneigt. Dann führt der junge Mann zwei Mal hintereinander seine linke Hand über die Oberfläche des Skateboards hin zum anderen Ende desselben – in Richtung der »Shorties« bzw. »zur Nose». EG: Halbtotal (Körper des jungen Mannes ist vollständig zu sehen) KP: Normalsicht (Kamera auf Augenhöhe); horizontaler Kameraschwenk (von links nach rechts) AV: rechter Winkel Handlung (Wiederholung von E8): Derselbe junge Mann spricht aus dem Off. Man sieht ihn auf dem Skateboard von rechts ins Bild fahrend. Auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke und befördert sodann sich selbst und das Skateboard etwa einen halben Meter hoch in die Luft. Im Anschluss daran landet er auf bzw. mit dem Skateboard und rollt rechts aus dem Bild. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Er sitzt und hält das
… einfach auf’s Tail direkt …
… den vorderen Fuß …
… so vor die Shorties – ungefähr so – …
… und dann drückt ihr einfach hinten drauf – so – …
… und nach vorne ziehen bis ihr zur Nose kommt …
… und dann sollte das Ganze eigentlich so aussehen.«
»Dann steht ihr in der Luft, kommt wieder auf …
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00:47 E20: Ollie
00:50 E21: Felix
00:55 E22: Felix
00:57 E23: Felix
00:59 E24: Ollie
01:02 E25: Felix
01:05 E26: Ollie
Skateboard auf Kinnhöhe. Dann führt er das Skateboard hinunter und legt es auf seinem Schoß ab. Sofort im Anschluss daran legt er seine Hände synchron auf den beiden Enden des Skateboards ab. EG: Nahaufnahme (nur die Beine und Füße des jungen Mannes auf dem Skateboard sind zu sehen) KP: leichte Obersicht (Kamerablick von oben); Kamerafahrt AV: rechter Winkel Handlung: Der junge Mann spricht aus dem Off. Parallel dazu kommt er von links ins Bild gefahren. Auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke, tritt mit dem rechten Fuß auf das hintere Ende des Skateboards, woraufhin sich dessen vorderes Ende nach oben neigt und er sich sodann selbst samt des Skateboards etwa einen halben Meter hoch in die Luft befördert. In der Luft zieht der junge Mann seinen linken Fuß ein Stück in Richtung des vorderen Endes des Skateboards, woraufhin sich dieses nach unten neigt und wieder auf dem Boden aufkommt. Im Anschluss daran rollt der junge Mann auf mit dem Skateboard weiter. EG: Halbnah (Oberkörper des jungen Mannes ist zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On, den Blick wechselweise in die Kamera und auf das Skateboard auf seinem Schoß gerichtet. EG: Nahaufnahme KP: vertikaler Kameraschwenk (vom Schoß des jungen Mannes hoch zu seinem Gesicht) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On, den Blick wechselweise in die Kamera und auf das Skateboard auf seinem Schoß gerichtet. EG: Halbtotal (Körper des jungen Mannes ist vollständig sichtbar) KP: leichte Obersicht (Kamerablick von oben); Kamera-Zoom ins Bild AV: spitzer Winkel Handlung: Der junge Mann kommt von links ins Bild gefahren. Auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke, tritt mit dem rechten Fuß auf das hintere Ende des Skateboards, woraufhin sich dessen vorderes Ende nach oben neigt und er sich sodann selbst samt des Skateboards etwa einen halben Meter hoch in die Luft befördert. In der Luft zieht der junge Mann seinen linken Fu? ein Stück in Richtung des vorderen Endes des Skateboards, woraufhin sich dieses nach unten neigt und wieder auf dem Boden aufkommt. Im Anschluss daran rollt der junge Mann auf mit dem Skateboard weiter. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On, den Blick hat er auf das Skateboard auf seinem Schoß gerichtet. Zur Bekräftigung seiner Erläuterung schlägt er erneut seine rechte Hand auf das rechte Ende des Skateboards – das »Tail«. EG: Halbtotal (Körper des jungen Mannes ist vollständig sichtbar) KP: Untersicht (Kamera aus Froschperspektive); Kamerafahrt; Fischaugenobjektiv AV: rechter Winkel
… und rollt weiter.«
»Am besten ist es wenn ihr den ganzen Trick, äh, im Fahren übt, weil … … tut ihr euch bei den ganzen Tricks leichter … … bei Ollie aufʼm, aufʼs Pad …
… oder, oder aufʼm Curb uuund …
… ja: hinterer Fuß aufʼs Tail …
… vorderer Fuß auf die Shorties, an die Shorties …
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01:08 E27: Felix
01:13 E28: Felix
…
…
Handlung: Der junge Mann spricht aus dem Off. Parallel dazu kommt er von links ins Bild gefahren. Auf dem rollenden Skateboard stehend, geht er leicht in die Hocke, tritt mit dem rechten Fuß auf das hintere Ende des Skateboards, woraufhin sich dessen vorderes Ende nach oben neigt und er sich sodann selbst samt des Skateboards etwa einen halben Meter hoch in die Luft befördert. In der Luft zieht der junge Mann seinen linken Fu? ein Stück in Richtung des vorderen Endes des Skateboards, woraufhin sich dieses nach unten neigt und wieder auf dem Boden aufkommt. Im Anschluss daran rollt der junge Mann auf mit dem Skateboard weiter. EG: Halbnah (mittlerer Teil des Körpers ist zu sehen) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe); Kamera zoomt aus dem Bild AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On. Er sitzt und hält das Skateboard in den Händen. Zur Untermalung seiner Erläuterungen zeigt er erneut, welche Bewegungen die Füße zu vollziehen haben, damit der Ollie gelingt. Erneut schlägt er seine rechte Hand auf das rechte Ende des Skateboards, woraufhin sich das entgegengesetzte (linke) Ende des Skateboards nach oben neigt. Dann führt er seine linke Hand über die Oberfläche des Skateboards hin zum anderen Ende desselben. Im Anschluss daran hebt er das Skateboard schräg in die Höhe und ahmt so die sich ergebende Hebelbewegung nach. EG: Nahaufnahme (Kopf und Oberkörper des jungen Mannes sind sichtbar) KP: leichte Untersicht (Kamera auf Bauchhöhe) AV: deckungsgleich Handlung: Der junge Mann spricht im On, den Blick abwechselnd zur Kamera und auf das Skateboard auf seinem Schoß gerichtet. …
… hinten drauf, vorne ranziehen und dann hoch.«
»Das warʼs eigentlich. Viel Spaß beim Üben.«
Sport statt Spiel. Vom Skateboarding zum Skateboard-Wettkampf Antoine Cantin-Brault »Kam endlich eine Zeit, wo alles, was die Menschen bisher als unveräußerlich betrachtet hatten, Gegenstand des Austausches, des Schachers, veräußert wurde. Es ist dies die Zeit, wo selbst Dinge, die bis dahin mitgeteilt wurden, aber nie ausgetauscht, gegeben, aber nie verkauft, erworben, aber nie gekauft: Tugend, Liebe, Überzeugung, Wissen, Gewissen, etc., wo mit einem Wort alles Sache des Handels wurde. Es ist die Zeit der allgemeinen Korruption, der universellen Käuflichkeit oder, um die ökonomische Ausdrucksweise zu gebrauchen, die Zeit, in der jeder Gegenstand, ob physisch oder moralisch, als Handelswert auf den Markt gebracht wird, um auf seinen richtigsten Wert abgeschätzt zu werden.« Karl Marx, 1956ff, MEW 4, S. 69
E INLEITUNG : S KATEBOARDING
ALS
K UNSTFORM
Früher konnte man Skateboarding getrost als eine Form von Kunst bezeichnen. In vergleichbarer Weise wie die Kunst übte Skateboarding die volle Kontrolle über seine Rahmenbedingungen aus. Skateboarding konnte sein Format unendlich oft neu erfinden und neu definieren, indem es die Terrains seiner Ausübung flexibel wechselte. Ebenso frei wählte es auch die Formen, in denen es sich in die Welt hinaus projizierte, um dort wiederum ein kritisches Verständnis der ge-
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samten Gesellschaft zu artikulieren. Ähnlich wie die Kunst war Skateboarding frei und kreativ, wobei sich die Kreativität durch eine Art von Gewalt und Zerstörungswut entlud, die den Teilnehmenden als einzig mögliche Antwort auf die Macht der Konsumgesellschaft und deren Forderung nach Nutzwert erschien. Skateboarding wollte, ebenso wie die Kunst, von der breiten Masse nicht als produktive Aktivität verstanden werden und weigerte sich auch, klare und akzeptable Wertvorstellungen zu vertreten. Skateboarding versprach negative Freiheit, wahre Freiheit. Eine Freiheit, gelebt durch den Verzicht auf jegliche Bereitschaft zur Zugehörigkeit und Konformität mit den Beschränkungen, die Menschen und Dinge innerhalb einer vorgeschriebenen Ideologie zweckdienlich machen.1 Um direkt einen offensichtlichen Gegensatz anzusprechen: Es gibt natürlich keinerlei Kunstformen, die bei den Olympischen Spielen als Kunstformen präsentiert werden. Alle olympischen Sportarten werden anhand spezieller Bewertungsverfahren evaluiert. Das bedeutet auch, dass sämtliche Kriterien zur Bewertung der Teilnehmenden im Voraus festgelegt sein müssen, um möglichen Überraschungen aufgrund freier und nicht kalkulierter Bewegungsmuster vorzubeugen: eine freie und nicht kalkulierte Bewegung gilt also von vornherein als ›Fehler‹. Festgelegte Bewertungskriterien dienen seit jeher der Quantifizierung sämt-
1
Dieses Konzept setzt die Arbeit eines früheren Artikels zum Thema Skateboarding fort (Cantin-Brault, 2015), mit dem ich mich Adornos Konzept von Dialektik und Freiheit angeschlossen habe. Der aktuelle Artikel vertritt weiterhin diese Position. Dieses Konzept der negativen Freiheit muss verstanden sein im Gegensatz zur Illusion einer positiven hegelianischen Freiheit die behauptet: »Dies eben ist die Freiheit, denn wenn ich anhängig bin, so beziehe ich mich auf ein Anderes, das ich nicht bin; ich kann nicht sein ohne ein Äußeres; frei bin ich, wenn ich bei mir selbst bin.« (Hegel, W 12, S. 30). Hegelianische Freiheit beruht auf der Annahme, frei zu sein bedeute, sich selbst in dem Anderen zu positionieren, seine Bedeutung zu überwinden und es im eigenen Wesen zu erfassen. Aber laut Adorno ist diese Freiheit als Gedanke auch Beweis für einen »Zwang, dem Gedachten gegenüber ebenso wie dem Denkenden, der es erst durch Konzentration sich antun muss. Abgewürgt wird, was nicht in den Vollzug des Urteils hineinpasst; Denken übt vorweg jene Gewalt aus, die Philosophie im Begriff der Notwendigkeit reflektierte. Durch Identifikation vermitteln sich zuinnerst Philosophie und Gesellschaft in jener.« (Adorno, GS 6, S. 232). Das heißt auch: »Freiheit ist einzig in bestimmter Negation zu fassen, gemäß der konkreten Gestalt von Unfreiheit.« (Adorno, GS 6, S. 230). Negative Freiheit bedeutet, sich außerhalb der notwendigen Konformität zu bewegen und zu verstehen, wie die Gesellschaft als Spiegel der Philosophie das Individuum zwingen möchte, ihrem Determinismus zu folgen.
S PORT
STATT
S PIEL | 167
licher für die Sportart relevanten Bewegungen und basieren daher auf einer im Vorfeld definierten Sichtweise des Sports, dessen Teilnehmenden und Grenzen.2 Welche vergleichbaren Kriterien könnten zur quantitativen Bewertung von Kunst angewandt werden? Welche Kriterien sollten zur Quantifizierung von Skateboarding dienen? Derartige Kriterien beschränken Skateboarding in seiner Entwicklung als lebende und ständig neu erschaffene Kunstform, da sie Skateboarding als organisierte Sportart in einem vorgeschriebenen Terrain einpferchen. Weiterhin einschränkend wirken spezifische Zeitlimits, ein spezifisches Bewertungssystem für spezifische Teilnehmende mit der Bereitschaft, spezifische Tricks auszuführen und eine spezifische Bewertung zu erhalten. Derart festgelegte Kriterien gelten als rationaler Maßstab, in dessen Rahmen die Gewinner und Verlierer im Skateboarding ermittelt werden. Daher sind sie keinesfalls mit der Vorstellung von Skateboarding als Kunstform zu vereinbaren. Denn es war auch seit jeher möglich, im Skateboarding zu scheitern, ebenso wie jemand daran scheitern kann, in einem Kunstwerk in angemessener Weise Bedeutungen und Formen festzuhalten. Aber mit der offiziellen Aufnahme als Olympische Disziplin verändert sich Skateboarding und wird erstmals als organisierte Sportart aufgeführt – und das hat Konsequenzen. In seiner Form als offizielle Sportart wird Skateboarding von jetzt an als Wettkampf ›ausgetragen‹, ebenso wie Sporttreibende Fußball- oder Eishockeyspiele und Leichtathletikwettkämpfe austragen. Um diese ›Weihung‹ als Sport zu verstehen, müssen wir zuerst den dialektischen Prozess nachvollziehen, durch den Skateboarding zur quantifizierbaren Sportart (›Skateboard-Wettkampf‹) wurde. Dabei treten die Olympischen Spiele als dritte rationale Bewegung in einem Prozess zur Identifikation mit der vorherrschenden Ideologie auf. Durch eine Diskussion des Existenzialismus nach Sartre sowie einem Abstecher zu Kants kategorischem Imperativ möchte ich im Folgenden aufzeigen, inwiefern Skateboarder/-innen im Rahmen dieser dritten Entwicklungsstufe Gefahr laufen, ihre Selbstständigkeit zu verlieren. Abschließend erwäge ich die künftige Aufteilung in zwei parallele Kulturen – der Skateboardkultur und der Kultur des ›Skateboard-Wettkampfs‹ – und diskutiere die Lebensfähigkeit beider Elemente in einem derartigen Verhältnis.
2
Der Profi-Skateboarder Neil Blender stellte im Jahr 1986 bei einem Skateboard-Wettbewerb in Tempe, Arizona, die Beschränkungen des Wettkampfformats in Frage. Er vollführte in seiner Kür vergleichsweise einfache Tricks, verwendete aber einen Großteil des Zeitlimits darauf, per Sprühdose eine übergroße Grimasse auf die WallrideWand des Parcours zu malen. Sollten die Preisrichter diese Darbietung nach kreativen anstatt athletischen Gesichtspunkten bewerten? Wie viele Punkte gibt ein Kunstwerk?
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Dieser Artikel ist keinesfalls als Protest gegen die Aufnahme von Skateboarding als olympische Disziplin zu verstehen. Er nähert sich vielmehr kritisch der Vorstellung an, inwiefern Skateboarding überhaupt zur Sportart werden kann, ob Skateboarder/-innen dabei ihre negative Freiheit riskieren und wie zwei parallele Kulturen mit enger Verbindung zum Skateboarding untrennbar miteinander verwoben sein könnten.
D ER DIALEKTISCHE E NTWICKLUNGSPROZESS ZUM ›S KATEBOARD -W ETTKAMPFSPIELEN ‹ Im Rahmen eines philosophischen Erklärungsansatzes dazu, wie Skateboarding ein Olympiasport werden konnte, möchte ich hier nicht dessen Geschichte im Detail rekonstruieren. Vielmehr möchte ich die wichtigsten Meilensteine seiner Entwicklung hervorheben und dabei zeigen, wie Skateboarding auf dem Weg zur Austragung als ›Skateboard-Wettkampf‹ einem rationalen Entwicklungsmuster gefolgt ist. Die Aufnahme als olympische Disziplin ist demnach nur die rationale Vollendung eines dialektischen Zyklus, in dessen Rahmen ›Skateboard-Wettkampf‹ unvermeidlich als Endprodukt erscheinen musste. Und zwar als Produkt in einer Form, die einer breiten und unpersönlichen Öffentlichkeit präsentiert werden kann. Ein Modell für einen derartigen dialektischen Zyklus hat Hegel treffend formuliert. Bereits im Anfangsstadium seiner Philosophie versuchte Hegel, das Absolute zu konzeptualisieren als »die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einssein ist zugleich in ihm« (Hegel, W 2, S. 96; W 5, S. 74). Das Absolute, auch als Idee bekannt, entsteht durch mehrere dialektische Zyklen, die das Absolute zwingen den riskanten Schritt ins Andersartige zu wagen, um dieses Andere zu verstehen, dessen Teil es wird. Einzig in der Philosophie kann sich das Absolute voll und ganz enthüllen. Denn das grundlegende Konzept der Philosophie ist »die sich denkende Idee, die wissende Wahrheit, das Logische mit der Bedeutung, dass es im konkreten Inhalte als seiner Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit ist« (Hegel, W 10, S. 393). Nur in der Philosophie können die logischen Bestimmungen der Idee endlich in der Realität bewiesen werden. Und hier kann auch das Absolute seine Freiheit erlangen, da sich hier nichts seinem Verstehen in den Weg stellt, wie Hegel in jungen Jahren formulierte:
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»Das Bedürfnis der Philosophie kann sich darin befriedigen, zum Prinzip der Vernichtung aller fixierten Entgegensetzung und zu der Beziehung des Beschränkten auf das Absolute durgedrungen zu sein.« (Hegel, W 2, S. 45)
Jeder dialektische Zyklus besteht genau aus dieser Identität von Identität und Nichtidentität. Diese zweite Identität ergibt sich rational, denn für Hegel manifestiert sich die Rationalität aus seiner Fähigkeit, seine eigene wahre Form aus sich selbst heraus zu erschaffen. Rationalität braucht das Andere, den Unterschied, der vom Verstand erzeugt wird. Sie braucht den Moment, in dem die Wahrheit etwas Anderem gegenübersteht, das ihr Widerstand leistet. Die Wahrheit muss dann durch den Verstand gefunden werden, da auch der Widerstand Teil der ganzen Wahrheit sein muss. Und Verstand wird nur insofern akzeptiert, als dass seine konträre Haltung einen Schritt innerhalb einer rationalen Weiterentwicklung darstellt (vgl. Hegel, W 10, S. 286). Hegel sieht die Vernunft als leitende Kraft in der Menschheitsgeschichte: »Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, dass die Vernunft die Welt beherrsche, dass es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei.« (Hegel, W 12, S. 20)
Aus Sicht einer positiven Dialektik kann nichts der Vernunft widerstehen und alle Ereignisse der Geschichte haben der Vernunft als etwas gedient, das sie erkennen und wieder mit ihrem Gegenstück als noch tiefer gründende und greifbarere Wahrheit zusammenführen kann. In diesem Zusammenhang muss Rationalität im Zusammenspiel mit einer Ideologie verstanden werden. Einer Ideologie, die alle Unterschiede in ihrer Einheit organisiert, ebenso wie Rationalität in der hegelischen Dialektik der Fortentwicklung der Idee dient.3 Wie ist dieser Ansatz auf Skateboarding anzuwenden? Welche Ideologie hat den dialektischen Zyklus im Skateboarding geleitet? Um es kurz auf den Punkt zu bringen: Liberalismus in seiner moralischen und ökonomischen Bedeutung. Indem Liberalismus allen Dingen ökonomischen Wert zuschreibt, macht er alle Dinge auch vergleichbar und belegt sie mit einer gewissen Form moralischer Bedeutung, da er letztendlich das Produkt der Entscheidungen des Individuums ist. Gleichzeitig ermutigt Liberalismus aber auch
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Wie Adorno es ausdrückt: »Identität ist die Urform von Ideologie. Sie wird als Adäquanz an die darin unterdrückte Sache genossen; Adäquanz war stets auch Unterjochung unter Beherrschungsziele« (GS 6, S. 151), und hatte daher stets eine repressive politische und soziale Wirkung.
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Entscheidungen einer bestimmten Gattung: Entscheidungen im Konsumverhalten, Entscheidungen im Feld der Unterhaltung und Entscheidungen in der Lebensgestaltung, die allesamt von Grundrechten geschützt sein müssen. Jedoch sind Entscheidungen dieser Art nicht darauf ausgelegt, kreativ bestimmte Aktivitäten hervorzubringen. Vielmehr bedeutet der Liberalismus, wie Nietzsche so treffend behauptet hat, eine »Heerden-Verthierung« (Nietzsche, 1988, S. 139). Die inhärente Struktur des Liberalismus verlangt, dass alle Entscheidungen dem Individuum sowie Anderen nützen, gemäß der utilitaristischen Ethik zum Wohle des ganzen Planeten. Entsprechend erscheinen auch alle Entscheidungen, die nicht in genau diese Richtung gehen, als suspekt und gefährlich. Skateboarding erschien, jedenfalls eine gewisse Zeit lang, aus Sicht des Liberalismus extrem suspekt was seine ökonomische und moralische Dimensionen anging: Der Liberalismus konnte dem Akt des Skateboardings nur schwer einen klaren Wert zuordnen, noch viel weniger einen ökonomischen oder utilitaristischen Wert zum Wohle der Gesellschaft als Ganzes. Skateboarding stellt eine Bedrohung für das übergeordnete Ziel des Liberalismus dar, denn es widersetzt sich dem Ziel der Verwandlung des Menschen in eine »Funktion, unfrei, regrediert hinter alles, was als invariant ihm zugeschlagen wird« (Adorno, GS 6, S. 130). In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass Hegels dialektische Philosophie mit einem einheitlichen sozialen Programm verbunden ist, das aus Unterschieden entsteht; Unterschiede, die zu einer Einheit beitragen müssen und nicht harmoniestörend, willkürlich sein dürfen. Wenn demnach also die Vernunft eine Möglichkeit finden sollte, Skateboarding in seine dominante Ideologie einzugliedern, müsste es vorher auch in ein Format gebracht werden, das verkauft, begehrt und praktiziert werden könnte in einem sicheren und kontrollierten Umfeld, das mit einem weiteren Grundprinzip des Liberalismus im Einklang steht: ›Die Freiheit des Einzelnen endet, wo die des anderen beginnt‹. Die Olympischen Spiele sind in diesem Sinne das ultimative Austragungsformat. Aber wie konnte Skateboarding an diesen Punkt gelangen? (a) Identität: Das Skateboard wurde ursprünglich als reines Spielzeug geschaffen, ohne jeglichen Anspruch auf tiefere Bedeutung außer seiner Existenz als Konsumobjekt, einer einfachen Nachahmung eines Surfbretts auf dem Asphalt. Skateboarding war nur ein reines Freizeitinstrument. (b) Nichtidentität: Sehr bald begannen die Leute jedoch, etwas anderes im Skateboarding zu sehen und wollten dies auf Skateboarding projizieren und damit ausdrücken: Einen Lifestyle, ein Dasein, in dessen Rahmen das Skateboard philosophisch umgewandelt wurde zum Ausdrucksmittel und Objekt des Widerstands. Skateboarder machten aus dem Skateboard ein subversives Objekt, indem sie es seinem ursprünglichen Zweck entfremdeten und als neue Wahrneh-
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mungsform des urbanen Umfelds und ihrem Selbst entdeckten. Dieses Dasein stellte sich demnach der autoritären Aufsichtskraft entgegen und formierte sich als Akt des Widerstands. (c) Identität von Identität und Nichtidentität: Aktuell findet die Rationalität jedoch eine Möglichkeit, diesen Widerstand zu ihrem Vorteil zu nutzen: Sie hat eine Form von Skateboarding hervorgebracht, die nun auch die Gegenseite beinhaltet, was ihr erlaubt, Dimensionen der ursprünglichen Identität des Skateboards (als Konsumobjekt) anzunehmen, indem es Elemente eines Lebensstils beisteuert; natürlich ein verharmloster Lebensstil, jenseits realer Konflikte, ein oberflächliches Bild und Abklatsch eines Lebensstils, aber letztendlich noch genug, um der ursprünglichen Wahrnehmung des Skateboards genug Tiefe und Halt zu geben. Die zweiten und dritten Momente dieser Entwicklung möchte ich im Detail beleuchten. Der Moment des Widerstandes, als zweiter Moment des dialektischen Prozesses, weist Überschneidungen zu weiteren dialektischen Zyklen auf. Daher kann keinesfalls pauschal behauptet werden, dass alle Skateboarder/-innen eine konträre Haltung zur vorherrschenden Ideologie einnahmen. Der ProfiFahrer Rodney Mullen, bekannt als einer der besten Skateboarder aller Zeiten, legte den Grundstein seiner Karriere durch die erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben in einem kontrollierten Umfeld. Diese Wettbewerbe stellen keinerlei Widerstand gegen den Einfluss des Liberalismus. An diesem Sachverhalt spaltet sich die Skateboardszene auch seit jeher: Skateboarder/-innen wollten einerseits ihren Lebensunterhalt mit einer Tätigkeit verdienen, der sie mit Leidenschaft nachgehen, aber gleichzeitig war diese Tätigkeit völlig vom Einfluss der rationalen Ideologie befreit. Dennoch war in diesem zweiten Moment des dialektischen Prozess der Widerstand gegenüber der Rationalität nicht mit dem Erreichen einer höheren Einheit verbunden. Es gelang keine Vereinheitlichung der dialektischen Spannung zwischen dem kreativen und dem zerstörerischen Impuls im Skateboarding, zwischen Skate and Create und Skate and Destroy. In diesem dialektischen Moment war Skateboarding schwer zu definieren und Skateboarder/ -innen waren Akteure in ihrem selbst gestalteten Drehbuch. Sie waren sowohl die Kreatoren als auch die Zerstörer der ›Institutionen‹, welche sie selbst ausschließlich für die Zwecke von Skateboardfahrern geschaffen hatten. Diese rationale Weiterentwicklung konnte ungehindert fortlaufen, während die kommerziellen Interessen seitens der Skateboardbranche zunehmend größer wurden und ideologische Akteure die Früchte von etwas ernteten, was sie nicht gesät hatten. Vernunft wirkt hier, als ob sie in ihrer als logisches Denken verkleideten primitiven Wut nichts unbeachtet lassen kann (siehe Adorno, GS 6, S. 33-34): Sie muss allen in ihr enthaltenen Elementen einen Wert und Platz zuwei-
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sen, oder wird zur Bedrohung ihrer eigenen Absolutheit. Dementsprechend gab es nur zwei mögliche Resultate, als Skateboarding der breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde: Entweder konnten ideologische Akteure Skateboarding der Öffentlichkeit mit kommerziellen Absichten verkaufen und Gewinne erwirtschaften. Oder sie konnten sich verkalkulieren, völlig leer ausgehen und Skateboarding mit sich in den Ruin treiben. 4 Genau dieses Risiko ging der Fernsehsender ESPN im Jahr 1995 ein, als er vor internationalem Publikum den ersten Wettbewerb der X Games mit Skateboarding und anderen ›Action‹-Sportarten inszenierte. Die Marketingabteilung der X Games konzentrierte sich dabei auf wichtige Zielgruppen und erzeugte erfolgreich öffentliches Interesse. Mit ebenfalls großem Erfolg wurde 1999 eine kommerziell höchst erfolgreiche Videospielserie unter dem Namen eines der berühmtesten Profi-Skaters lanciert: Tony Hawk’s Pro Skater. Tony Hawk war genau die Persönlichkeit, die ideologische Akteure brauchten, um aus Skateboarding Profit zu schlagen; er war ein Halfpipe-Skateboarder mit enorm hohem Bekanntheitsgrad, nachdem er 1999 als weltweit erster Skateboarder bei den X Games vor Live-TV-Publikum einen 900-Grad-Sprung landete. Also fuhr er bereits enorm publikumswirksam in einem kontrollierten und sicheren Umfeld Skateboard (in einer speziell für Skateboarding konstruierten Halfpipe) und konnte der breiten Öffentlichkeit gegenüber eine positive und rationale Botschaft vermitteln. Metaphorisch gesprochen war er der Löwe, der freiwillig in den Käfig kletterte, damit Leute ihn aus sicherer Entfernung bewundern konnten. Nur wenige Eltern waren damit einverstanden, dass ihre Kinder Skateboard fuhren, aber sowohl Eltern als auch Kinder konnten Skateboarding im Fernsehen oder als Videospiel genießen. Im Jahr 2010 war das kommerzielle Interesse an Skateboarding jedoch weitestgehend erloschen. Vor allem das vertikale Skateboarding (Halfpipe-Skateboarding) hatte die Gunst der breiten Öffentlichkeit weitgehend verloren, unter Umständen auch weil es nicht eingeweihten Zuschauern zu monoton erschien. Sogar das Skateboarding auf der Straße (Street-Skating) schien aus kommerzieller Sicht komplett ausgeschöpft, wie John Riccitiello, ehemaliger Geschäftsführer des Softwareunternehmens EA Games (verantwortlich für das 2010 erschienene Spiel Skate 3), in einem Interview bestätigte: »At least for the level of excitement out there, skateboarding seems to have run its course as the representative example in that broader genre [of action sports].« (Totilo, 2010)
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Das zweite Endresultat hatte Skateboarding im Jahr 1965 mit dem völligen Crash der Szene bereits erlebt. Ein Jahr zuvor noch als interessante neue Bewegung gefeiert, wurde Skateboarding in den Medien überbelichtet und bald als Bedrohung für eine geordnete Gesellschaft wahrgenommen.
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Wie konnte Skateboarding sich dann doch neu erfinden (oder wie konnten interessierte Außenseiter Skateboarding neu verpacken) um dem Verschwinden als wertvolle Aktivität (moralisch ebenso wie kommerziell) und Absinken in die Andersartigkeit entgegenzuwirken? Hierbei würde Street-Skaten eine zentrale Rolle spielen, immerhin war es aufregender, gefährlicher, subversiver und demnach attraktiver als das Skaten in der Halfpipe. Im Jahr 2010 fand erstmals ein Wettbewerb der internationalen Serie Street League Skateboarding (SLS) statt. Im Rahmen der Serie kämpfen per Einladung ausgewählte Profi-Teilnehmer bei Events in aller Welt um Ranglistenpunkte und einen Meistertitel gegen Ende der Saison. Bei SLS-Wettbewerben bewerten professionelle Preisrichter die Darbietungen der teilnehmenden Skateboarder auf dem kontrollierten Parcours innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens. SLS wurde von Profi-Skateboarder und Unternehmer Rob Dyrdek mit einem bestimmten Ziel ins Leben gerufen: »foster growth, popularity, and acceptance of street skateboarding worldwide« (Street league.com, 2018). Weiterhin betreibt SLS eine Stiftung (SLS Foundation) zur Förderung öffentlicher Skateparks (Street-Plazas) mit Unterstützung von Spendern wie Nike SB, Kraft, Sony, Microsoft, 7 Eleven und vielen weiteren. Das Ziel der Stiftung: »Assist municipalities, non-profits, and private donors with the design, development, and construction of legal and safe skate plazas, as well as assists with educational programs that both increase understanding and encourage the participation in skateboarding.« (Street leaguefoundation.com, 2018)
Die SLS Foundation betreibt damit Nachwuchsarbeit und zieht eine neue Generation von Skateboarder/-innen heran, die in den sicheren und legalen StreetPlazas das Fahren lernen um eines Tages bei großen Wettkampfserien wie der Street League um Preisgeld und internationalen Ruhm zu konkurrieren. Das stellt eine sehr ähnliche Entwicklung zum Eishockey dar, wo professionelle Clubs städtischen Trägern Eishockeyhallen zur Verfügung stellen, um Aktive für den Sport zu begeistern. Motiviert durch diese ebenso organisierten wie international anerkannten Strukturen auf diversen Ebenen wollen Eltern inzwischen auch, dass ihre Kinder Skateboard fahren und sehen im Skateboarding auch einen Wert als offiziellen Sport. Die X Games waren ein Vorreiter der SLS, aber die SLS bietet über den reinen Wettkampfsport hinaus eine offizielle und rationale Struktur, um Skateboarding einen Platz im öffentlichen städtischen Raum durch Skate-Plazas und Skateboard-Workshops zu sichern: Skateboarding wird somit in seinem »legitimen« Rahmen gleichzeitig eingegrenzt und akzeptiert. Genau an diesem Punkt hört Skateboarding auch auf, als autonome Aktivität zu
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existieren – aus Skateboarding wird ›Skateboard-Wettkampf‹, bis hin zur Olympiade. Als Voraussetzung für die Aufnahme als olympische Disziplin benötigt jede Sportart einen internationalen Dachverband. Für Skateboarding als ›SkateboardWettkampf‹ war das bis vor kurzem die FIRS (Fédération Internationale de Roller Sports), ein Schweizer Verband aus dem Jahr 1924, der bereits vom Olympischen Komitee (IOC) anerkannt war. Die FIRS wollte internationale Skateboardwettbewerbe für die Olympia-Qualifikation durchführen, aber stand in direkter Konkurrenz zur 2004 gegründeten International Skateboarding Federation (ISF). Beide Verbände kämpften vor dem IOC um die Anerkennung als »offizieller« weltweiter Dachverband für den Skateboard-Sport. Zur Etablierung von Skateboarding als strukturierter Sport arbeitete Gary Ream, der President der ISF und Inhaber des bekannten Camp Woodward (vorwiegend ein Trainingslager für Sporttreibende aus dem Bereich Turnen, aber auch BMX und Skateboard), direkt mit der SLS zusammen, und zwar mit Erfolg: Die SLS-Wettkampfserie wurde 2014 als offizielle Weltmeisterschaft im Street-Skaten anerkannt. Aus Sicht des IOC wirkte die ISF im Vergleich zur FIRS zwar weniger etabliert und glaubwürdig, besaß aber enorm hohe Glaubwürdigkeit seitens der ideologischen Skateboardwelt (nicht zu verwechseln mit der Skateboardwelt als Ganze, denn zahlreiche Skateboarder hatten keinerlei Ahnung was die ISF ist und welche Ziele sie verfolgt). Skateboarding wurde dann 2015 als offizielle Olympiadisziplin anerkannt, und die beiden konkurrierenden Verbände mussten früher oder später am gleichen Strang ziehen: So gründeten die ISF und FIRS gemeinsam im Jahr 2017 den Verband World Skate, um Skateboarding als Olympische Disziplin eine strukturierte Basis zu schaffen. Unter anderem bemüht sich World Skate um Zulassung der SLS als Olympiaqualifikationsformat. Diese Zulassung erfolgte am 16. April 2018, als World Skate und Street League Skateboarding (SLS) die SLS World Tour und Super Crown World Championships als offizielle Weltmeisterschaftsserie und primäres Olympiaqualifikationsformat im Street-Skating bekanntgaben. Insgesamt verlief die offizielle Weihung von Skateboarding als Wettkampfsport nicht ohne Konflikte (vgl. Smith, 2016): Um als Sport erfolgreich zu sein, war Skateboarding erneut auf ideologische Akteure und Partner von Außerhalb angewiesen. Hierin liegt ein gutes Beispiel für die hegelianische »List der Vernunft« (Hegel, W 12, S. 49). Diese besagt jedoch nicht, dass die Vernunft so etwas wie ein allwissender Gott ist, der im Vorfeld bereits das Schicksal der Menschheit bestimmt hat, sondern dass Vernunft – also menschliche Vernunft – immer eine Möglichkeit findet, scheinbar nicht vereinbare Unterschiede zu überwinden, wenn ein echter Wille zum Erfolg vorhanden ist. Im Rahmen des
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World Skate Verbands mit Gary Ream als Chairmen of the Board wird ›Skateboard-Wettkampf‹ als organisierte Breitensportart präsentiert: Ein Kind kann das Skateboardfahren in einem öffentlichen Skatepark in seiner Stadt gemäß der höchsten internationalen Standards erlernen und ein international anerkannter Skateboardprofi und Teilnehmender bei Austragungen von Wettkämpfen werden. Im Vergleich hierzu erscheint eine Skateboard-Kunst-Performance von einem seltsamen Außenseiter in einem weißen Overall, wie sie Profi-Skater Mark Gonzales 1998 in Deutschland zum Besten gab5, als grobe Verletzung der etablierten Standards von ›Skateboard-Wettkampf‹ als Hochglanzformat. Hätten diese historischen Entwicklungen zu einem anderen Endresultat führen können? Vielleicht, aber die Rationalität hatte Skateboarding bereits seit seinen Anfängen im Blick, und seitdem auch nie aus den Augen verloren. Selbst wenn das Endergebnis nicht unvermeidlich war, war es auch in höchstem Maße voraussehbar.6
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UND DIE
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Skateboarder/-innen erleben durch Skateboarding eine negative Freiheit, die auch als existentielle Freiheit bezeichnet werden kann, in welcher »der Mensch erst existiert, auf sich trifft, in die Welt eintritt, und sich erst dann definiert« (Sartre, 2018, S. 149). Hierbei besteht kein klares Ziel, das im Vorfeld der Aktivität festgelegt wird; es besteht nur die Grundvoraussetzung des Erschaffens eines Lebensmodells aufgrund von kreativen Projekten. Die Skateboardkultur wird auf Grundlage eines Systems der »Zugehörigkeit« gelebt, in dessen Rahmen die Einzelnen die Anerkennung anderer gewinnen müssen, um vollständiger Teil der Kultur zu werden. Das ist in anderen Sportarten nicht anders. Jedoch mussten
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Das Performance-Kunstwerk trug den Titel »Backworlds/Forwords«. Es wurde konzipiert von Johannes Wohnseifer in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Skateboarder Mark Gonzales und 1998 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach aufgeführt.
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Ideologie muss nicht zwingend von Außerhalb wirken, oft wird ihre Rationalität auch durch entfremdete Individuen bestätigt. Der Autor David Carnie bietet ein klares Beispiel mit der Aussage: »Skateboarding is going to be in the Olympics whether we like it or not. I don’t like it. But NBC and the IOC want it. And they’re going to get it one way or another. If it isn’t done by skateboarders, it will be done by one of a handful of other groups out there claiming to be the official governing body of skateboarding.« (Brixey, 2012) Skateboarder erkennen somit auf ihre eigene Art die Existenz von Vernunft an.
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Skateboarder/-innen nicht immer in erster Linie auf ihre reinen sportlichen Fähigkeiten vertrauen, um Akzeptanz zu erlangen. Viele bedeutsame Aktionen im Skateboarding werden aufgrund von Kriterien bewertet wie Stil und Einstellung. So haben einige Skateboarder/-innen sich ihren Respekt in der Szene nicht nur mit athletischen Fähigkeiten verdient, welche zum Gewinnen von Skateboardwettkämpfen oder freundlichen Konkurrenzspielen (etwa dem sogenannten Game of S-K-A-T-E) notwendig sind, sondern auch durch Style und Attitude. Weiterhin muss diese Art der Anerkennung immer wieder aufs Neue nach Validierung suchen, denn innerhalb der Skateboardkultur fehlen Systeme der offiziellen Anerkennung wie sie in organisierten Sportarten zu finden sind. Um einen Ausdruck aus dem Existenzialismus zu verwenden, Skateboarder/-innen wissen seit jeher: »wenn Gott nicht existiert, so gibt es zumindest ein Wesen, bei dem die Existenz der Essenz vorausgeht« (Sartre, 2018, S. 149). Dementsprechend können sie niemals damit aufhören, neue Dinge zu erfinden und zu erschaffen – und sich dabei auch selbst neu zu erfinden. Sie wissen schon immer: »Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das möchte ich mit den Worten ausdrücken; der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein.« (Sartre, 2018, S. 155) Es gibt keinerlei Garantie auf ewige Beständigkeit und keinerlei Rechtfertigung dafür, dem kreativen Prozess ein Ende zu setzen. Skateboarder/-innen setzen sich selbst Ziele, aber diese Ziele sind stets frei gewählt und niemals von außenstehenden Kräften vorgegeben, die dem Wesen von Skateboarding oder ihnen selbst fremd sind. Ohne Entschuldigen zu leben bedeutet Freiheit. Sartre teilt die phänomenologische Welt in zwei Polaritäten: Das »An-sich« (en-soi) und das »Für-sich« (pour-soi). Das »An-sich« ist eine Sache, die eine klare Funktion erhielt durch seine Essenz in der Gesamtheit der tatsächlichen liberalen Welt. Das »Für-sich« ist das Bewusstsein, das sich immer der Dinge oder sich selbst bewusst ist, aber niemals selbst eine Essenz sein kann, da es sich immer wieder in die Welt projizieren muss, um die Gesamtheit seines Handelns zu sein. Sartre schreibt hierzu ganz klar: »das Sein an sich ist das, was es ist«, und das Sein des Bewusstsein » hat das zu sein, was es ist« (Sartre, 2017, S. 42). Das »Für-sich« ist ein Nichts, jenseits des Seins, eine Existenz welche stets geöffnet und dem »An-sich« zugewandt ist. Die Anderen (andere »Für-sich«) sind für das »Für-sich« eine ständige Erinnerung an seine eigene Leere. Daher schreibt Sartre auch im fünften Akt seines Theaterstücks Geschlossene Gesellschaft: »Die Hölle, das sind die anderen«7, da Andere immer jeglichen Versuch
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Skateboarder/-innen verstehen den Ausspruch »Die Hölle, das sind die anderen« nur zu gut. Etwa jedes Mal, wenn sie den Respekt des Inhabers eines Skateboardladens
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des »Für-sich« unterminieren, sich als essentielles Wesen zusammenzufügen. Daher stehen dem »Für-sich« zwei Grundhaltungen offen: Bonne foi (Aufrichtigkeit) und Mauvaise foi (Unaufrichtigkeit). Sartre beschreibt Unaufrichtigkeit in folgenden Worten: »Wenn wir die Situation des Menschen als freie Wahl, ohne Entschuldigung und ohne Zuflucht, definiert haben, dann ist jeder Mensch, der seine Leidenschaften vorschiebt und sich mit ihnen entschuldigt, jeder Mensch, der einen Determinismus erfindet, unaufrichtig.« (Sartre, 2018, S. 171)
Unaufrichtigkeit beinhaltet dementsprechend eine Selbsttäuschung um zu versuchen, ein »An-sich« zu werden; etwas Stabiles, etwas mit klarem Wert besetztes, ohne sich in die Welt projizieren zu müssen, oder stets das gleiche Bild von sich projizieren zu müssen um zu dieser Projektion zu werden. Dies ist jedoch letztendlich zum Scheitern verurteilt, da ein »Für-sich« niemals ein »An-sich« sein kann. Aufrichtigkeit besteht darin, dieses Schicksal des »Für-sich« zu akzeptieren, gemäß der Einsicht: »Überall entgehe ich dem Sein, und dennoch bin ich.« (Sartre, 2017, S. 142) Dennoch bringen sich viele Menschen in eine unaufrichtige Lage und behaupten stattdessen, »bestimmte Werte würden vor mir existieren« (Sartre, 2018, S. 171). Jedes Mal, wenn das »Für-sich« Werte postuliert, die vor ihm existierten und ihm damit die Anerkennung als Existenz geben – Existenz als ein »An-sich« – begeht das »Für-sich« einen Akt der Unaufrichtigkeit. Die ideologische Weiterentwicklung vom Skateboarding zum ›SkateboardWettkampf‹ ist symptomatisch hierfür; die Ideologie zwingt das Individuum in eine Position der Unaufrichtigkeit, da es sich den Werten einer Ideologie unterwerfen muss, die ihm in ihrer Existenz vorausgeht. Man kann die existentielle Freiheit, die Skateboarder/-innen genossen haben und schützen wollen auch vergleichen mit der Weigerung Sartres, im Jahr 1964 den Nobelpreis für Literatur anzunehmen. Sartre widersprach dieser Weihung mit der Begründung, der Autor müsse der Verwandlung in eine Institution wiederstehen, selbst wenn sie unter den ehrbarsten Umständen erfolgt (vgl. Sartre, 1964). Eine Institution zu werden bedeutet, ›gemacht‹ zu werden; das »Für-sich« tut so, als existiere es als Sache. Wenn eine Kultur für sich alleine Wettbewerbe inszeniert, dann ist die damit verbundene Anerkennung minimal und die Akteure müssen sich nach dem Sieg immer wieder aufs Neue beweisen und immer wieder ihre Kreativität zeigen. Die Anerkennung im Skateboarding ist vergänglich.
verdienen oder immer, wenn sie ihre Verbundenheit zur allgemeinen Skateboardkultur durch Einstellung, Kleidung, Fahrstil und Kreativität unter Beweis stellen müssen.
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Sie muss immer wieder neu erworben und kann nicht durch einfache Wiederholung erlangt werden. Wenn die Anerkennung jedoch von einer Institution kommt, die größer oder höher gestellt ist als die Kultur an sich, dann muss sich die Kultur unterordnen und eine hierarchische Beziehung anerkennen, in deren Rahmen vorgefertigte Werte in die kleinere Kultur eingeführt werden. Somit wird die Freiheit im Keim erstickt, da die Akteure von nun an ein Ziel vorgesetzt bekommen, das ihnen nicht immer erlaubt, der Kultur an sich zu folgen. Dabei wird dieses Ziel eine positive Freiheit, die Freiheit der Wahl eines richtigen und falschen Weges, da nun ein Weg definiert wurde. Die Gewinner können sich nicht mehr länger aufs Neue erfinden, da sie nun Teil einer übergeordneten Institution sind, die sich selbst ideologisch schützen und bewahren möchte. Die Olympischen Spiele sind ohne Zweifel eine derartige Institution. Und im Rahmen der Olympiade schwingen auch nationalistische Ideologien mit, die den Wetttreibenden übergeordnet sind. Momentan scheinen sich die Veranstalter auch noch nicht voll im Klaren zu sein, wen genau sie da ins Spiel bringen, wenn sie Skateboarder/-innen als Olympiateilnehmende einladen. Jedenfalls sind die Vertreter der Skateboardkultur, die bei der Olympiade teilnehmen könnten, nur in Ausnahmefällen – vor allem Teilnehmende der SLS und X Games – auf die Erwartungen an das Verhalten professioneller Sporttreibender vorbereitet worden. Zwar erwarte ich bei den teilnehmenden Skateboarder/-innen keine Probleme im Hinblick von Verstößen gegen die Auflagen zu leistungssteigerndem Doping, da diese Praktiken im Gegensatz zu anderen kompetitiven Sportarten im Skateboarding fremd sind. Dennoch sehe ich Konflikte voraus, da die Skateboardfahrenden unweigerlich die spezifischen Ziele der Olympiade und/oder die nationalistischen Ideologien, die sie vertreten sollen, ablehnen werden. Die Begründung liefert hierbei die offensichtliche Unaufrichtigkeit dieser Institutionen. Natürlich wird dies nur im Frühstadium der Aufnahme von Skateboarding als olympische Disziplin der Fall sein. Sehr ähnlich haben Snowboarder als Olympiateilnehmer bereits seit Jahren gelernt, einem sauber reglementierten Trainingsablauf zu folgen, ebenso wie andere Profi-Sportler, um auf Weltniveau herausragende Leistung bringen zu können. Viele Beobachtende finden in diesem Zusammenhang auch, Snowboarding habe sein rebellisches Image verwirkt. Bereits jetzt haben die Teilnehmenden bei Skateboard-Wettkämpfen wie X Games und SLS gelernt, sich wie Profisportler vor TV-Publikum zu benehmen. Vielleicht ist das die Vorstufe dazu, den Ansprüchen der olympischen Einrichtungen zu entsprechen und die Skateboardkultur zunehmend hinter sich zu lassen. Indem Skateboarder/-innen sich an die olympische Kultur anpassen, werden sie zunehmen zum Wohl dieser Institution verdinglicht, zu Objekten gemacht. Das stünde auch im Einklang mit Kants kategorischen Imperativ. Die zweite
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Formulierung von Kants kategorischem Imperativ postuliert, dass kein rationales Wesen als autonomes Wesen ein Objekt für sich werden oder andere als Objekte behandeln kann.8 Dahinter steht weit mehr, als reine Einwilligung: Ein rationales Wesen kann es nicht akzeptieren, als Objekt behandelt zu werden. Denn darin läge auch die Unterwerfung gegenüber der affektiven Seite des Menschen, jener Seite, der wir aus moralischen Gründen nicht trauen können. Natürlich spielen im Skateboarding zahlreiche affektreiche Komponenten eine Rolle: Der gesamte Aspekt der ›Zugehörigkeit‹ basiert auf einem Gefühl von Akzeptanz und Freude, und Skateboarder/-innen sind nicht immer nur rein rationale Akteure. Gleichzeitig hat Affektivität an sich nicht zur Spaltung innerhalb der Skateboardkultur geführt. Wie genau entwickelte die Affektivität der Skateboarder ein Bedürfnis nach Objektivierung und Unaufrichtigkeit? Der Hauptschauplatz von Skateboarding liegt in der Großstadt und genauer gesagt bei architektonischen Strukturen, die ursprünglich in keiner Weise für die Zwecke von Skateboarder/-innen ausgelegt waren, sondern vielmehr durch ihre Handlungen neu geformt wurden. 9 Sie gehören zu jenen Gruppen, welche die gekünstelte Offenheit in Frage stellen, die liberale Großstädte zu ihrer erfolgreichen Kommerzialisierung inszeniert haben. Denn Skateboarder/-innen sind gestern wie heute nicht willkommen in den Zentren liberaler Großstädte; es sei denn diese Städte haben eingezäunte Gehege für diese namens ›öffentliche Skateparks‹ errichtet. Die Affektivität der Skateboarder/-innen und die damit unweigerlich verbundene willkürliche und rationale Protestbewegung gegen Autorität und Ideologie bringt die rationalen Widersprüche der liberalen Ideologie deutlich ans Tageslicht. Aber dafür zahlt Skateboarding auch einen Preis: Das Leben am Rand der Gesellschaft und die damit verbundene Ausgrenzung und Bestrafung sind nicht
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Kants zweite Formulierung lautet: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.« (AA 4, S. 429) Kant denkt somit an positive Freiheit, da rationale Akteure dem kategorischen Imperativ gemäß ihre Pflicht zu erfüllen haben, wenn sie diesen aufgrund ihrer eigenen Rationalität verstehen können. Aber auch wenn es laut Kant – im Gegensatz zum Existentialismus – einen positiven Pfad vorgibt, dem es zu folgen gilt, ist das Endresultat immer gleich: Freie Akteure können nicht in Werten objektiviert oder verdinglicht werden, die vor ihnen und extern von ihren eigenen Handlungen postuliert wurden.
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Craig Stecyk hat als Autor den Ansatz der Z-Boys beschrieben und diese Idee des Umgangs mit Architektur immer wieder betont. Jedoch ist das zugrundeliegende Problem bei Stecyks Texten immer, inwiefern sie als Marketingtaktiken oder wahre Beschreibungen negativer Freiheit zu deuten sind.
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leicht zu ertragen, da die Ideologie ständig jenen Individuen die Anerkennung vorenthält, die ihre Regeln nicht akzeptieren wollen.10 Genau hieraus erwächst ein gravierendes Problem: Ihre emotionale Natur, verletzt durch die gescheiterten Versuche zum Erlangen von Anerkennung, führt Skateboarder/-innen letztendlich auch zur Übernahme jener Eigenschaften, die sie mit respektierten Sportlern gemeinsam haben, zum Beispiel herausragende sportliche Leistungen, die messbar sind. Aber hierdurch werden Skateboarder/-innen zu rationalisierten Objekten und, zwangsläufig, rationalen Widersprüchen. Ebenso wie Snowboarder sich gern mit Hockeyspielern vergleichen, um der Öffentlichkeit ihr Ranglistensystem zu erklären, werden Skateboarder/-innen sich ebenfalls bewusst objektivieren müssen, um der Institution des Wettkampfsports zu dienen und wiederum selbst zu Institutionen zu werden.
Z WEI P ARALLELKULTUREN ? Wäre es möglich, dass im Skateboarding zwei Kulturen gleichzeitig existieren? Könnte Skateboarding als autonome Betätigung weiter bestehen, während ›Skateboard-Wettkampf‹ als parallele Manifestierung einer anderen Art des Umgangs mit dem Skateboard existiert? Momentan scheinen Skateboarding und ›Skateboard-Wettkampf‹ ein gemeinsames Schicksal zu teilen. Sollte ›Skateboard-Wettkampf‹ nicht mehr lebensfähig sein, würde Skateboarding sich als solches auch nicht mehr am Leben halten können, da Skateboarding auf jede Menge Sponsoren und Gönner angewiesen ist. Nike SB und Adidas sind zum Beispiel Sponsoren, die gleichzeitig die versportlichte Variante des ›SkateboardWettkampf‹ fördern, aber auch genug Vernunft besitzen, um den Ethos von Skateboarding und seinen negativen Antrieb durch Filmproduktionen und Skate-
10 Im Dokumentarfilm Dogtown and Z-Boys aus dem Jahr 2001, wird wiederholt thematisiert, dass der Profi-Skateboarder Jay Adams als ›ursprüngliche Verkörperung‹ von Skateboarding einem Leben voller Alkohol und Drogen verfallen war, das letztendlich im Gefängnis endete. Der Regisseur des Films, der Z-Boy-Skateboarder Stacy Peralta, versucht auch zu zeigen, dass Adams sich weigerte, es als anerkannter Profi ›zu schaffen‹ als sich die Gelegenheit bot. Aber vielleicht ist es nicht die Schuld von Jay Adams, dass er nicht ins Gesamtbild passte. Und vielleicht war es auch nicht falsch von ihm, sich nicht publikumswirksamer darzustellen. Vielleicht lag das Problem eher darin, wie Skateboarding vermarktet wird. Dem liegt ein strukturelles Problem zugrunde wenn es darum geht, was es bedeutet, wenn man es im Skateboarding ›geschafft‹ hat.
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parks zu unterstützen. Ohne das Ethos von Skateboarding wäre ›SkateboardWettkampf‹ auch nur ein Sport unter vielen und würde sein radikales Image einbüßen, das seinen Firmen und den aktiven Skateboarder/-innen sehr wichtig ist. Für die breite Öffentlichkeit muss ›Skateboard-Wettkampf‹ als eine glaubhafte Form von Skateboarding präsentiert werden, um voyeuristische Einblicke in eine Kultur zu gewähren, die sich laut landläufiger Meinung in den dunklen Ecken der liberalen Welt abspielt. Nüchtern betrachtet gründet der Reiz von Skateboarding jedoch nicht in seinem körperlichen Risiko: Alpines Skifahren ist weitaus gefährlicher als Skateboarding, wird jedoch auch völlig anders wahrgenommen. Letztendlich vollzieht Skifahren ja keine praktisch ausgeübte Kritik an der Architektur des Raums, in dem es sich abspielt (jedenfalls heutzutage nicht mehr). ›Skateboard-Wettkampf‹ braucht aber noch das gewisse ideologische Gefahrenpotential von Skateboarding, damit die Sporttreibenden auch etwas verkörpern können, das den Olympischen Spielen bis dato gefehlt hat, nicht zuletzt um auch eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Im Gegenzug hilft die mit offiziellem Sport verbundene Ideologie auch Skateboarding dabei, generell mehr Anerkennung zu erlangen und kleine, von Skateboardern geführte Firmen am Leben zu halten. Dementsprechend scheint schwer vorstellbar, dass sich zwei parallele und getrennte Kulturen im Skateboarding formieren werden, da beide Manifestierungen von Skateboarding untrennbar miteinander verbunden sind. Hierbei ist jedoch auch zu bedenken, dass die Skateboardkultur im Laufe ihrer Entwicklung schon zahlreiche Crashs überlebt hat. Sollte sich also das Prinzip des ›Skateboard-Wettkampf‹ irgendwann als nicht mehr tragfähig erweisen, wird ein Wiederauferstehen und Neuerwachen nicht von dieser sportlichen Seite ausgehen. Stattdessen kommen diese Impulse seit jeher aus dem eigentlichen Skateboarding, wo Erneuerung und neues Erfinden ihren Lauf nehmen und ein Ethos für Skateboarder/-innen definiert wird. Das ist letztendlich nicht verwunderlich, denn die Gründe für den Crash kamen bislang immer aus dem Bereich ›Skateboard-Wettkampf‹ und Skateboarding als solches zahlte den Preis für sein Vertrauen in die Ideologie. Die negativen Kräfte im Skateboarding sind der Phoenix, der aus der Asche von ›Skateboard-Wettkampf‹ steigt. Letztendlich liefern die Ruinen einen hervorragenden Nährboden für eine solche Wiederauferstehung und Grundlage für einen neu geschaffenen Skateboard-Ethos. Skateboarding ist grundlegend mit Kampf verbunden, oder ist die Manifestation eines Kampfs und braucht daher, als Antriebskraft, eine Ideologie als Trittbrett auf dem Weg nach oben. Sollte also das Modell des ›Skateboard-Wettkampfs‹ und/oder die dialektische Beziehung zwischen Skateboarding und ›Ska-
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teboard-Wettkampf‹ in Bedrängnis geraten11, würde der einzige Überlebende hierbei Skateboarding sein. Adorno schreibt: »Insgeheim ist Nichtidentität das Telos der Identifikation, das an ihr zu Rettende; der Fehler des traditionellen Denkens, dass es die Identität für sein Ziel hält.« (Adorno, GS 6, S. 152) Skateboarding als Nichtidentität kann gerettet werden, da es stets zu einem gewissen Grad jeglicher Gleichsetzung mit der vorherrschenden Ideologie wiedersteht; einer Ideologie um einen Mythos von Einheit und Standardisierung, jeglicher menschlicher Erfahrung entfremdet, in welcher das Telos eine ständige Projektion darstellt, eine konstant negative Aktivität.
S CHLUSSFOLGERUNG : D IE B EDEUTUNG DES ›S KATEBOARD -W ETTKAMPFS ‹ Jedes Spiel birgt ein Eigenleben. Ein Spiel folgt seinen eigenen Regeln, seinen eigenen Zielen und birgt seine eigenen Überraschungsmomente. Die Teilnahme an einem Spiel erfolgt aus freiem Willen, und ein Spiel kann immer wieder neu erfunden werden. Aber muss man das Spiel im Vorfeld verstehen, um daran teilnehmen und seine Neuerfindung mitgestalten zu können. Wie Gadamer schreibt: »Jedes Spiel stellt dem Menschen, der es spielt, eine Aufgabe. Er kann sich gleichsam nicht anders in die Freiheit des Schauspielens entlassen, als durch die Verwandlung der Zwecke seines Verhaltens in bloße Aufgaben des Spiels.« (Gadamer, GW 1, S. 112) Das Ganze spielt sich auf einem festgelegten Terrain ab; ein Terrain, welches im Zuge der Entwicklung heilig wird und die Welt des Spiels von der gewöhnlichen Welt liberaler Bedeutungsfindung trennt. Daher ist die Teilnahme an einem Spiel eine ernstzunehmende Handlung. Wenn es nur als reines Spiel wahrgenommen wird, kann es nicht gespielt werden, da es zu einem Objekt in einem breit gefächerten Netz von Bedeutungen wird. So kann zwar durchaus behauptet werden, dass Hockey zu einem gesunden Lebenswandel beiträgt, aber es kann nicht nur aus diesem einen Grund gespielt werden. Es muss vielmehr um seiner Selbst willen gespielt werden, sonst wird es unaufrichtig und
11 Natürlich sind künftige Probleme beim ›Skateboard-Wettkampf‹ und der dabei angewandten Dialektik schwer vorherzusehen, denn »die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug« (Hegel, W 7, S. 28). Philosophie ist etwas anderes als Prophezeiung. Dennoch werden die Olympischen Spiele zweifellos Veränderungen innerhalb der Skateboardszene unvermeidlich machen. Aber wie es aussieht hat diese neue Form des ›Skateboard-Wettkampf‹ deutlich bessere Erfolgsaussichten als frühere Versuche.
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ein Gräuel für Spieler mit dem falschen Spielansatz. Gadamer sagt zu Recht: »Wer das Spiel nicht ernst nimmt, ist ein Spielverderber. Die Seinsweise des Spieles lässt nicht zu, dass sich der Spielende zu dem Spiel wie zu einem Gegenstande verhält.« (Ebd., S. 108) Organisierte Sportarten werden oft unter dem Gesichtspunkt des Spiels beleuchtet: Eishockey spielen, Fußball spielen, Golf spielen, etc. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass Spiel in seiner Ausprägung als sportliches Format bereits verdinglicht und institutionalisiert wurde. Die Teilnehmenden an diesen Sportarten gelten dennoch als Spieler: Amateurspieler oder Profispieler – diese Unterscheidung erwächst aus der Tatsache, dass Amateure das Spiel um seiner selbst willen und intern spielen, während professionelle Athleten es ebenfalls intern spielen, aber mit einem Hintergedanken; sie verdienen mit dem Spielen ihren Lebensunterhalt, und zwar einen mitunter sehr luxuriösen Lebensunterhalt. Amateurspieler haben sich dem Spiel an sich verschrieben und daher kann ihr Verhältnis zum Spiel auch als aufrichtig (bonne foi) beschrieben werden. Im Gegensatz zu ihnen verfolgen professionell Spielende auch Ziele außerhalb des reinen Sports und ihr Verhältnis tendiert daher zur Unaufrichtigkeit (mauvaise foi). In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Olympischen Spiele ursprünglich rein für Amateurspieler ausgelegt waren, um die Vielseitigkeit der verschiedenen Sportarten zu zelebrieren. Aber das ist längst nicht mehr der Fall: Viele Olympische Sportarten werden von professionellen Sporttreibenden gespielt und auch die Präsenz von Sponsoren ist nur noch schwer einzudämmen. Hier bildet ›Skateboard-Wettkampf‹ keine Ausnahme: Es werden professionelle Sporttreibende antreten, die ihre Länder und ihre Marken vertreten; darunter auch zahlreiche Marken, die ursprünglich keine Verbindung zu Skateboarding hatten.12 Hierbei sollte auch betont werden, dass innerhalb der Skateboardkultur ebenfalls zwischen Profi- und Amateurskateboarder/-innen unterschieden wird, ohne das damit eine dauerhafte Anerkennung verbunden ist. Dementsprechend ist der Status von Profi-Skateboarder/-innen sehr zerbrechlich und diente vor allem als Motivation, weiter kreativ schaffend tätig zu sein, ähnlich wie Künstler ihre Mäzene brauchen, um ihre Projekte realisieren zu können. Erst wenn ideologische Sponsoren ins Spiel kommen, können sich Profi-Skateboarder/-innen –
12 So wurde bereits bekanntgegeben, dass Nike SB der offizielle Schuhsponsor mindestens aller Olympiateilnehmer des US-Skateboardteams sein wird, wahrscheinlich auch von Teams vieler anderer Länder. Schuhfirmen mit Wurzeln innerhalb der Skateboardszene finden keine Anerkennung, selbst wenn sie grundlegend an der Entwicklung von Skateboarding mitgewirkt haben.
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ähnlich wie professionelle Eishockeyspieler/-innen – in echte professionelle Sporttreibende verwandeln. Insgesamt besteht ein weiterer ideologischer Trick der Verdinglichung darin, professionelle und organisierte Sportarten als Spiele darzustellen und der Dimension des Spiels in diesen Aktivitäten einen utilitären Wert zuzuschreiben. Skateboarding ist jedoch, im Vergleich zu ›Skateboard-Wettkampf‹, das freiere und authentischere Spiel. Schauplätze in der Großstadt, die immer wieder neue Überraschungen für Skateboarding bereithalten werden zu Wallfahrtsorten, da sie eine Bühne sind für die großartigen Tricks und Stilrichtungen, welche nur zum reinen Zweck des Fortbestehens von Skateboarding und seiner Weiterentwicklung als ludische Ausprägung ausgeführt werden. Bei der konkreten Ausführung von Tricks kann es als Entlastung wahrgenommen werden, zwar durch Anstrengung erfolgreich gewesen zu sein, jedoch ohne Angestrengtheit, da das Spiel selbst das Ziel darstellt; eine Konstellation, die den Spielenden eine Selbstrechtfertigung gemäß der liberalen (moralischen und ökonomischen) Werte verwehrt. ›Skateboard-Wettkampf‹ sieht seine Wallfahrtstätten vielmehr in klar formatierten Skateparks, in denen Kinder einen ideologischen Karrierepfad über reglementierte Wettkampfstationen antreten können, an dessen Ende eine ideologische Weihung liegt. Die Aufführung von ›Skateboard-Wettkampf‹ als olympische Disziplin wird beweisen, dass Skateboards durchaus Geräte zur sportlichen Leistung sind und Sporttreibende zu Objekten werden können; Plakate für Konsumkultur, Sportgeist und Patriotismus. Indem Sport versucht, den freiheitlichen Aspekt von Skateboarding einzuschränken und sich seine kreativen und spielerischen Züge anzueignen, wird aus dem befreiend wirkenden Skateboard ein Werkzeug der Unterwerfung.
L ITERATUR Adorno, T. (1973). Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit. Gesammelte Schriften, Band 6 [GS 6 gefolgt von Seitenzahl]. Hrsg. von Tiedemann, R. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Brixey, W. (2012). Skateboarding Vs. the Olympics: A Brief History. http:// www.jenkemmag.com/home/2012/09/04/skateboarding-vs-the-olympics-abrief-history/ (Zugriff am 15.02.2018). Cantin-Brault, A. (2015). The Reification of Skateboarding. International Journal of Science Culture and Sport 3, 1, 54-66.
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›Raumfahrt ins Urbane‹. Skateboarding als Stadt-Praxis Christian Peters »Die Freiheit, uns selbst und unsere Städte zu erschaffen und immer wieder neu zu erschaffen, ist meiner Ansicht nach eins der kostbarsten und dennoch am meisten vernachlässigten unserer Menschenrechte.« David Harvey, 2014, S. 28
Als vor einigen Jahren in Köln im Rahmen der Architektur-Biennale »Plan12« eine Veranstaltungswoche zum Thema Skateboarding stattfand, gestalteten die Ausstellungsmacher verschiedene innerstädtische Orte Kölns zu temporären Bühnen und Partizipationsräumen um. Ihre Intention war dabei, den performativurbanen Charakter von Skateboarding im Spannungsfeld von Popkultur, Kunst, Fashion, Architektur, Stadtplanung und Stadtentwicklung zu betonen. Zu Ausstellungs- und Veranstaltungsorten wurden so neben der als Zentrum der Veranstaltung fungierenden Off-Space-Galerie auch der zum damaligen Zeitpunkt neugeschaffene Streetplaza »Kap 686« sowie elf, über den gesamten Stadtraum Kölns verteilte Werbeflächen. Diese bespielten die Ausstellungsmacher mit großformatigen Fotos – allesamt Meilensteine der Skateboard-Fotografie. Schon innerhalb der ersten Tage der Ausstellung wurde nachts eines der großformatigen Skatefotos mit einem »Tag«, einem aufgesprühten Schriftzug, versehen. Das ›betagte‹ Foto stammte von Charlie Samuels und zeigte den berühmten Skater Harold Hunter gegen Ende der 1980er Jahre beim Cab-Skitching in New York City. Vor der ikonischen Kulisse des World Trade Centers wagt sich Hunter gemeinsam mit zwei weiteren Skatern in den Verkehrsraum der Straße Manhattans, indem er am Rande einer Autostraße auf jenen günstigen Moment wartet, in dem er sich in geduckter Position auf seinem Board stehend am Heck eines Taxis
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festhalten kann, um mit diesem mitzufahren. Der Skateboarder taucht mit diesem waghalsigen Manöver in das Verkehrsgewimmel einer New Yorker Autostraße ein; er (er)schafft sich einen Freiraum innerhalb des durch Regeln, Straßenmarkierungen und Lichtsignale äußerst strikt strukturierten Verkehrsraumes. Neben diesem berühmten Skatefoto hatte sich nun ein nächtlicher Sprayer auf der Kölner Werbetafel mit seinem blaugrünen »Tag« ›Reclaim your City‹ einen künstlerisch-politischen Freiraum geschaffen, der aus der Perspektive des (kultur-) wissenschaftlichen Beobachters unheimlich viel dessen artikuliert, was die Beziehung von Skateboarding und Stadt gegenwärtig kennzeichnet (vgl. Peters, 2014, S. 34-35): 1.
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Der an die Skater-Gemeinschaft gerichtete Slogan ›Reclaim your City‹ hat zunächst eine beschreibende Dimension. Er unterstellt, Skateboarding habe die Stadt längst verlassen. Die Stadt sei also von den Skateboardern schon aufgegeben worden. Der Slogan hat zum zweiten eine Aufforderungsdimension: Er fordert die Skater/-innen dazu auf, sich ihre Stadt wieder anzueignen. Er ist ein Aufruf, sich der räumlichen Exklusion des Skatens in Sonderräume des Sports zu widersetzen und vielmehr die ganze Stadt als große SkateGelegenheit, als Abenteuerspielplatz zu begreifen. Der Slogan stellt Skateboarding zum dritten in die Reihe einer Vielzahl neuer Praktiken eines »Urbanismus von unten« (Rauterberg, 2013), in denen gegenwärtig die Frage »Wem gehört die Stadt?« neu verhandelt wird.
Der ›Reclaim your City‹-»Tag« während der Kölner Skateboard-Ausstellung im Herbst 2012 wirft damit jene Fragen auf, denen im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden soll. Wie lässt sich das wechselseitig konstitutive Verhältnis von Skateboarding und Stadt beschreiben? Wie zeigt sich die Relevanz des jeweils anderen in den konkreten Vollzügen der Praxis? Und: Lässt sich Skateboarding tatsächlich mehr und mehr aus den Straßen und von den öffentlichen Plätzen der Innenstädte verdrängen? Haben die Skater/-innen gar die Stadt längst aufgegeben? Oder zeigt sich die Praxis doch wandelbarer und widerständiger, als ein erster Blick auf die immer größer werdende Zahl eigens dafür gebauter Skatestätten (Skateparks, Skatehallen etc.) vermuten lässt? Um den Zusammenhang von Skateboarding und Stadt genauer fassen zu können, werden zunächst die gegenwärtig kursierenden Praxisformen des mit der Stadt am offenkundigsten hantierenden Street-Skateboarding unterschieden. Daran wird zum einen deutlich werden, inwiefern das Urbane für die Praxis des
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Street-Skateboarding konstitutiv ist und zum anderen, dass Skateboarder/-innen gegenwärtig nicht mehr nur Konsument/-innen urbaner Atmosphären und Kulissen oder sensible Scouts für außergewöhnliche städtische Locations sind, sondern konstruktive Stadt-Macher/-innen im physisch-baulichen Sinne.
Z WISCHEN S TRAßENENGAGEMENT
UND
L EISTUNGSSPORT
Street-Skateboarding basiert stets auf einer aktiven und intensiven Auseinandersetzung mit den Materialitäten, Formen und sozialen Beschaffenheiten des urbanen Raumes. Die kulturelle Praxis des Skateboarding rekurriert seit ihrer Entstehung an der kalifornischen Westküste der USA vor mehr als fünf Jahrzehnten auf urbane Räume. Der Evolution der Bewegungspraxis folgend haben sich auch die von dieser rekrutierten urbanen Räume verändert. Während das ›Sidewalk Surfing‹ der siebziger Jahre vor allem auf kalifornischen Bürgersteigen begann, entdeckten Skater/-innen in der Folge zunächst die Vertikale (z.B. in leeren Swimming-Pools und Halfpipes), um später dann – zu Beginn der 1990er Jahre – den urbanen Raum der Innenstädte als Skate-Terrain zu erschließen. Gegenwärtig lassen sich in ihren typischen Komponenten, in ihren erforderlichen Kompetenzen und in ihrer sozialen Signifikanz anhand der von der jeweiligen Praxis akquirierten Räume im Wesentlichen drei Praktiken des Street-Skateboarding in der Stadt sinnfällig voneinander abgrenzen: (1) das klassische Street-Skaten, (2) das Park-, Halle- und Plaza-Skaten auf den gebauten Sonderräumen des Sports sowie im als rezente Entwicklung (3) das DIY-Skaten (vgl. Tab. 1).
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Tabelle 1: Die gegenwärtigen Praxisformate des Street-Skateboarding (Peters, 2016, S. 169) Street-Skaten nicht reguliert, nonkonformistisch, »wild« mit Konflikten behaftet Zusammenspiel von dérive und détournement Image der Authentizität
Park-/Halle-/PlazaSkaten reguliert, konformistisch, »zivilisiert« legal vornehmlich détournement
sucht Affordanzen des urbanen Raumes Abenteuer
Image der Künstlichkeit nutzt gebaute Sonderräume des Skatens Disziplin & Ordnung
für mediale Repräsentation interessant
nicht für mediale Repräsentation interessant
S TREET -S KATEN : »W ICHTIG IST
AUF ’ M
DIY-Skaten nicht reguliert, nonkonformistisch, »wild« illegal Zusammenspiel von dérive und détournement Image der natürlichen Künstlichkeit sucht Affordanzen und baut dann selber Abenteuer & Gemeinschaft für mediale Repräsentation interessant
P LATZ «
Das Street-Skaten verzichtet auf skatespezifische räumlich-materielle Rahmungen, wie sie die klassischen Sonderräume des Skatens (Skatehalle, Skatepark, Streetplaza) bereitstellen. Es hat seinen natürlichen Lebensraum, sein Habitat, vielmehr in der »Natur der Straße«; es ereignet sich im öffentlichen Raum der Stadt: auf Kirch- und Theatervorplätzen, in Fußgängerzonen, auf Marktplätzen, Bürgersteigen, Straßen oder Kinderspielplätzen. Im Street-Skaten gilt folglich die alte Fußballer Weisheit: »Wichtig ist auf’m Platz«; es rekrutiert seine Orte und Schauplätze in der urbanen Öffentlichkeit selbst und konstituiert diese in praxi als Skatespots. Die Stadt fungiert dabei als »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«; sie bildet die grenzenlose Spielwiese des Street-Skatens. Innerhalb der Skater-Gemeinschaft gilt das Street-Skaten als »Königsweg« der verschiedenen Praktiken des Skateboardfahrens. Dies hat mehrere Gründe: (I) Zum einen spielt das Street-Skaten mit dem von den Orten der Praxisausübung verkörperten sozialen Regelwerk. Indem es dieses aus der Spielrealität des Skatens heraus immer wieder neu in Frage stellt, übergeht und herausfordert, ist das Street-Skaten als »leibhaftiges Straßenengagement« (Kaltenbrunner, 2017, S. 47) häufig mit Konflikten beladen. Es gilt in der Skater-Gemeinschaft
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deshalb als das unangepasste, unkonventionelle, nicht festgelegte, »wahre« Skaten. (II) Zudem hat das Street-Skaten – anders als das DIY-Skaten oder das Parkoder Halle-Skaten – seinen Raum in der Öffentlichkeit der Stadt. Es nutzt die Stadt als Bühne, auf der die Street-Skater/-innen ihre performative Bewegungskunst zur Aufführung bringen. Das Street-Skaten in der Öffentlichkeit der Stadt erregt somit Aufmerksamkeit; mehr Aufmerksamkeit als jenes in den abgeschotteten Sonderräumen des Skatens. Aufgrund seiner aufsehenerregenden Präsenz auf den Alltagsbühnen der Stadt und der in seinen Praktiken für den Beobachter greifbaren körperlichen Auseinandersetzung mit den in den Raum eingeschriebenen normativen Grenzen ist das Street-Skaten eine höchst umstrittene Praktik. Sie prägt deshalb das Gesamtbild des Skateboardfahrens in der Öffentlichkeit. (III) Darüber hinaus kommen im Street-Skaten sämtliche Komponenten der Skateboarding-Praxis zur vollen Entfaltung. Während das Skateboardfahren in Skatehallen, Skateparks oder auf Streetplazas als eine Sonderform des StreetSkatens ohne die Suche nach geeigneten Skatespots im Stadtraum auskommt, der zu befahrende Raum wird ja künstlich bereitgestellt, ist das organisch in die Stadt-Praxis eingelassene Street-Skaten nur als Zusammenspiel von BoardStreifzügen durch die Stadt und dem Bespielen situativ gefundener Skatespots denkbar. Das Street-Skaten lässt sich demnach – wie von Iain Borden (2001) im Rückgriff auf Konzepte der Situationistischen Internationalen 1 vorgeschlagen – als Zusammenspiel der beiden Praktik-Komponenten (1) des Umherstreifens in der Stadt (»dérive«) und (2) der spielerischen Raum-Verhandlung eines konkreten Skatespots (»détournement«) fassen. Während die Praktik des nomadischen Umherstreifens in der Stadt zunächst auf einem als grundlegend zu erachtenden fahrerischen Bewegungskönnen basiert, in dessen Zuge Board und Körper zu einer Bewegungseinheit verschmelzen, erfordert die Raum-Verhandlung konkreter Skatespots von dem/der Skater/-in ein Trick-Können. Damit ist die Fähigkeit gemeint, die Beschaffenheit eines konkreten Skatespots mit dem eigenen Bewegungsrepertoire zu koppeln. Auf der Ebene der sozialen Signifikanz werden dem Street-Skaten Emotionen des Abenteuerlichen, Ungezügelten und Wilden sowie eine Aura des Rebel-
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Die »Situationistische Internationale« war eine überwiegend von Paris aus agierende Gruppe europäischer Künstler und Intellektueller, die basierend auf den Ideen des Marxismus zwischen 1958 und 1972 eine grundlegende Veränderung des gesellschaftlichen Alltagslebens anstrebte. Als Wortführer der Situationisten entwarf Guy Debord auch ein umfassendes Programm zur phantastischen Umgestaltung der Stadt (vgl. Debord, 1978).
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lischen zugeschrieben. Dabei ist es – ähnlich wie in der Street Art-Szene – auch im Skateboarding so, dass das illegale Sprayen bzw. Skaten in der Stadt höher angesehen ist als das legale (vgl. Reinecke, 2012, S. 34). Das wilde Street-Skaten in der Stadt hat deshalb in der Skater-Community einen höheren Wert als das Skaten auf den gebauten Sonderräumen des Skatens. Es gilt als wertvoller und kreativer. Dieser Mehrwert manifestiert sich nicht zuletzt auch darin, dass für Videos und Fotos vornehmlich das Wild-Skaten interessant ist. Das Filmen auf Streetplazas, in Skateparks und Skatehallen ist eher von einem leistungssportlichen Wettkampf-Gedanken motiviert. Es dient der Vergleichbarkeit von Manövern und Tricks und fand deshalb in den medialen Repräsentationen der Skateboard-Kultur bisher nur wenig Berücksichtigung.
P ARK -, H ALLE -, P LAZA -S KATEN : T RAININGSGELÄNDE DER S PORTISIERUNG Skaten findet nicht nur im öffentlichen Raum der Straße, sondern auch in gebauten Sonderräumen statt. Zu diesen gebauten Sonderräumen des Street-Skateboardfahrens zählen Skatehallen, -parks und die sogenannten Streetplazas. Diese Sonderräume des Skatens wurden im Laufe der Geschichte des Skateboardfahrens und seines wachsenden Erfolgs notwendig, weil immer mehr Skatboardfahrende öffentliche Räume bevölkerten und so den Wunsch nach eigenen Räumen artikulierten. Inzwischen werden viele Skatestätten sogar von den Kommunen vorgehalten. Die gebauten Sonderräume des Skateboardfahrens sind Hindernislandschaften aus Holz oder Beton, die den Skater/innen unter dem Gesichtspunkt einer optimalen Skatebarkeit Spiel-Angebote unterbreiten. Alle drei hier unterschiedenen Skatestätten (Halle, Park, Streetplaza) zeichnen sich dadurch aus, dass sie ausschließlich für das Skaten konzipiert sind, sie sind damit Sonderräume des Sports. Die in den drei Räumen emergierenden Praktiken sind deshalb allesamt ähnlich und direkt vergleichbar; sie lassen sich infolgedessen hier zusammenfassend betrachten. Zunächst zur Unterscheidung der Skatestätten: Während Skatehallen überdacht und damit allwettertauglich sind, sind Parks und Plazas der Witterung ausgesetzt. Meist kosten Skateparks und -hallen Eintritt, während der Zutritt zu Streetplazas kostenlos ist. Dabei gilt der Streetplaza als relativ neuer Typus von Skate-Räumen, der sich von Skatepark und -halle vor allem dadurch unterscheidet, dass er den öffentlichen Raum oder vielmehr die »Natürlichkeit der Straße« simuliert. Skateplazas sind somit simulierte Streetspots, die von einem Skate-
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Fremden ohne die Präsenz von Skater/-innen nicht als Skatestätte identifiziert werden können. Als Praktik betont das Park-, Halle- und Plaza-Skaten die Komponente der spielerischen Raum-Verhandlung eines konkreten Skatespots (»détournement«). Während beim Street-Skaten in der Praktik des »dérive« zunächst einmal ein Skatespot irgendwo in der Stadt ausfindig gemacht werden muss, um diesen mit einem geeigneten Trick bespielen zu können, sind diese in Park, Halle oder auf dem Streetplaza schon in Fülle an den bekannten Orten gegeben. Das Park-, Halle- und Plaza-Skaten beschränkt sich damit auf lediglich eine der beiden für das Street-Skaten als konstitutiv erachteten Praktik-Komponenten: das »détournement«. Da alle Skater/-innen folglich denselben Raum nutzen und dieser noch dazu von seiner architektonischen Konzeption her daraufhin funktionalisiert ist, ihnen optimale Körper-Board-Spielereien zu ermöglichen, wird der Raum als aktiver Mit-Spieler der Praktik des Park-, Halle- und Plaza-Skatens wenn auch nicht in Gänze aus-, so aber doch zumindest gleichgeschaltet. Indem der Raum als Ko-Akteur in der Praktik des Park-, Halle- und Plaza-Skatens auf einen Status-Quo festgeschrieben wird, werden die sich in ihm ereignenden SkatePraktiken vergleichbar. Alle Skater/-innen nutzen dieselben Obstacles; alle haben dieselben Bedingungen und Schwierigkeiten. Damit werden ihr Tun und ihre Tricks – insbesondere über das Festhalten in den medialen Repräsentationen des Films und der Fotografie – in Höhe und Schwierigkeitsgrad mess- und vergleichbar. Als standardisierte und homogenisierte Wettkampfstätten des Skateboardfahrens leisten Skateparks, -hallen und Streetplazas so der Wettkampfidee und Leistungsideologie des Sports Vorschub. Sie sind »Sportscapes« im Sinne Bales (1992, S. 67) und tragen so entscheidend zur Sportisierung des Skatens bei. Das Park-, Halle- und Plaza-Skaten hat demnach (auch) den Charakter eines leistungssportlichen Trainingsprozesses. Aufgrund seiner ›Verregelung‹ im Allgemeinen sowie der Raum-Disziplinierung im Besonderen gilt das Park-, Halle-, Plaza-Skaten innerhalb der Skateboarding-Kultur als eher konformistisch: »Skateboarding in the park is like walking through the Central Park on the paths. One [street skating] is [that] you are making your own path, the other way is that you are making the path that urban planners say ›This is the path you should walk on‹.« (Chiu, 2009, S. 35)
Da in der Praktik des Park-, Halle- und Plaza-Skatens die Orte der Bewegungsausübung nicht erst gespottet werden müssen, sondern offiziell anerkannte Skatestätten mit Anfahrtsbeschreibung und Regelwerk sind, ist es nicht verwunderlich, dass das Park-, Halle- und Plaza-Skaten als weniger kreativ und für Formen
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medialer Repräsentation als weniger interessant angesehen wird. Das so standardisierte Skaten gilt als versportlichte Variante des Skateboardfahrens, ihm haftet innerhalb der Skater-Gemeinschaft deshalb der Nimbus des Artifiziellen, des weniger Kreativen und des im Vergleich zum Street-Skaten Minderwertigen an. Zugleich lässt sich im gegenwärtig zunehmenden Bau von Skateparks und Streetplazas die Tendenz beobachten, das Skateboardfahren aus den öffentlichen Räumen der Stadtzentren in Sonderräume des Skatens zu drängen. In einer kritischen Lesart kann der kommunale Bau von Skatestätten deshalb auch als zentrales Instrument der politischen Verfolgung des Skatens betrachtet werden. Er dient der Disziplinierung, der Segregation, der Kriminalisierung und der Versportlichung des Skateboardfahrens (vgl. Vivoni, 2009; 2010 sowie Howell, 2001; 2005; 2008).
DIY-S KATEBOARDING : D ILETTANTISCH - KREATIVES S TADT -M ACHEN Das DIY-Skateboarding stellt die dritte, der hier unterschiedenen Praktiken des gegenwärtigen Street-Skateboardfahrens dar. Sie ist innerhalb der SkateboardKultur ein relativ junges Phänomen, das auf die gegenwartgesellschaftliche Relevanz der »Do It Yourself«-Bewegung zurückgeht. Um die Praktik des DIYSkatens innerhalb der Skateboard-Kultur richtig einordnen zu können, erscheint es zunächst – im Rahmen eines kurzen Exkurses – notwendig, dem sozialen Hintergrund des »Do It Yourself« nachzuspüren. Der Slogan »Do It Yourself«, kurz DIY, tauchte zum ersten Mal 1912 in einem Artikel der Zeitschrift »Suburban Life« auf. Darin wurden die Leser aufgefordert, selbst die Wände ihrer Wohnungen zu streichen, anstatt Fachkräfte anzuheuern. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde die Idee des DIY dann aus dem Bereich des heimischen Bastelkellers auf andere gesellschaftliche Felder (Konsum, Design, Arbeitsleben, Medien) übertragen und zudem stark politisiert. Als soziale Bewegung hatte die Idee des DIY damit immer schon alternativ-, sub- oder gegenkulturellen Status. Sie muss deshalb spätestens seit den 1970er Jahren, als die gesellschaftskritischen Punk- und Hippie-Bewegungen im »Do It Yourself«-Slogan einen Ausdruck ihrer antibürgerlichen Haltung sowie ihrer Konsumverweigerung fanden, als Form des kreativen Protests und des politischen Widerstands verstanden werden. Als historische Vorläufer der DIYBewegung, die sich gegenwärtig beispielsweise in Spaßguerilla-Aktionen wie den Fahrraddemonstrationen der »Critical Mass« (vgl. Strüver, 2015), dem »Hacking« oder dem »Guerilla Gardening« manifestiert, müssen insofern die selbst-
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gemachten Flugblätter und Plakate der Edelweißpiraten im Widerstand gegen das Nazi-Regime ebenso gelten wie die Happenings und Performances der Kommune 1, die von der Anti-Atomkraft-Bewegung ausgerufene Errichtung der »Freien Republik Wendland« oder die Back-Aktionen der Startbahn-West-Protestler (Hornung, Nowak & Kuni, 2011, S. 14). Während die Ideale des Selbermachens, der Eigeninitiative sowie der Befreiung aus sozialen und ökonomischen Zwängen bereits in der Hippie-, der Punkund später dann in der Riot-Grrrl-Bewegung aufblühten, hat das Motto DIY im Zuge einer rezenten Entwicklung offensichtlich nochmal an Bedeutung gewonnen (vgl. Hornung, Nowak & Kuni, 2011, S. 8). Medial lässt sich dieser Bedeutungszuwachs an der steigenden Zahl der Fernsehsendungen, Zeitschriften und Werbungen, die einen direkten Bezug zum DIY-Ethos herstellen, festmachen. Als wesentliche Triebfedern des DIY-Booms gelten neben der Protestfunktion die Kostenersparnis des Akteurs, die ästhetischen Distinktionspotentiale des Selbstgemachten sowie die Freude an Kreativität und Eigentätigkeit des Schaffensprozesses (vgl. Honer, 2011, S. 30). Der gegenwärtige Boom des DIY als Selbermachen, Mitmachen und Zusammenmachen lässt sich auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Entwicklungen im Prozess der voranschreitenden Modernisierung zurückführen; er korrespondiert besonders deutlich aber auch mit den Möglichkeiten des ›Web 2.0‹, das als Plattform der Wissenstradierung (zum Beispiel über die Kommentarfunktionen von Blogs), dem Verkauf eigener Produkte oder der Dokumentation des Schaffensprozesses dient. Vor diesem Hintergrund wird unter DIY-Skaten hier die temporäre und unerlaubte Inbesitznahme sowie physisch-bauliche Veränderung von vergessenen Orten der Stadt gefasst. Das Besondere am DIY-Skaten ist, dass die Skater/-innen nicht mehr nur skatend mit dem gegebenen Potential eines Raumes spielen, wie es für das Street- und das Park-, Halle- und Plaza-Skaten als spielerische Raumverhandlung, als »détournement«, beschrieben wurde, sondern diesen auch baulich so verändern, wie es ihren spielspezifischen Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Der deutsche Skater Lennie Burmeister beschreibt das DIY-Skaten wie folgt: »Einen DIY-Spot hat jemand freiwillig und ohne Bezahlung gebaut, aus purer Eigenmotivation und Vorfreude. Oft bedarf es eines enormen Aufwandes, um einen Ort skatebar zu machen, manchmal auch illegal. Aber die Spots machen umso mehr Spaß, da man wie beim Streetskaten etwas einen neuen Sinn gegeben hat.« (Isenberg, 2012, S. 44)
Das DIY-Skaten verfügt also auch über eine starke physisch-materiale Dimension. Diese führt damit in das »détournement« der Praktiken des Skateboard-
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fahrens eine neue Komponente ein: die auf der Kompetenz eines handwerklichen Könnens basierende handwerkliche Raum-Veränderung. DIY-Skaten ist damit nicht mehr nur Skate-Praxis im engeren Sinne, sondern zugleich auch handwerkliche Arbeit am physischen Raum und damit eine aktive Form des StadtMachens. Diese baulichen Veränderungen physischer Räume ereignen sich vor allem auf den versteckten und vergessenen Spots der Stadt, die die Skater/-innen sich illegal aneignen, um sie mit selbst beschafften, häufig in der Nähe »verfügbaren« Baumaterialien (Beton, Eisen, Füllmaterial etc.) und Werkzeugen (Schalbretter, Reiben etc.) zu selbst entworfenen Betonlandschaften zu modellieren. Das DIY-Skaten basiert demnach zunächst – ähnlich wie das Street-Skaten auch – auf der Praktik-Komponente des Umherstreifens in der Stadt. Ein DIYSpot muss unabhängig von Größe und Umfang der zu leistenden Baumaßnahmen zunächst mal von den Skater/-innen entdeckt werden. Um diese DIY-Spots finden zu können, die nicht auf den Bühnen der Stadtzentren, sondern eher an den versteckten, geheimen und übersehenen Orten der Stadt zu suchen sind, müssen sich die Skateboardfahrer/-innen also dem urbanen Raum aussetzen. Nur so lassen sich jene übersehenen und vergessenen Brachen, Hinterhöfe und Leerstände aufspüren, die im Zuge des postindustriellen Wandels der Stadt von der Industrie freigegeben und noch nicht von städtischen Revitalisierungsmaßnahmen oder Stadtteilerneuerungsprojekten beansprucht werden und somit als DIYSpots in Frage kommen. Darüber hinaus ist das DIY-Skaten auf die Kompetenz eines DIY-spezifischen »Sense of place« verwiesen. Der Ortssinn der Skater/-innen muss hier nicht nur die physischen und sozialen Qualitäten eines möglichen Spots erspüren, sondern zugleich auch das mit einem baulichen Eingriff hervorzubringende, gegenwärtig noch schlummernde Skate-Potential dieses Spots imaginieren. Ist diese komplexe Aufgabe bewältigt und ein geeigneter DIY-Spot gefunden, dann gilt es zunächst eine Idee davon zu entwickeln, wie der Spot über handwerklichbauliche Eingriffe genau gestaltet werden soll. Dabei gilt bei den Skater/-innen die Regel: Je größer der Umfang der notwendigen Baumaßnahmen, desto sorgfältiger muss die Spot-Auswahl hinterfragt werden. Dabei spielen auch so nebensächlich erscheinende Aspekte wie die Frage nach möglichen Nachbarn, ein in der Nähe gelegener Wasseranschluss oder auch die Versorgung mit den benötigten Materialien eine Rolle. Das Bauen der Skater/-innen folgt dann keinem architektonischen Masterplan, sondern lässt sich eher als ein Idee-basiertes, in Teilen spontanes Voneinem-Problem-zum-nächsten-Hangeln begreifen. Hier lassen sich ganz grundsätzlich zwei Formen des baulichen Eingreifens der Skater/-innen unterscheiden:
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das »Minimal-Invasive-DIY« und der Bau so genannter »Self-Made-Spots« (Peters, 2016, S. 160-162). Beim »Minimal-Invasiven-DIY«, dessen Grenzen zum herkömmlichen Street-Skaten fließend sind, greifen die Skater/-innen baulich lediglich minimal in den urbanen Raum ein; sie ergänzen vielleicht an einer im öffentlichen Raum befindlichen Holzbank eine Metallkante oder verfüllen ein störendes Loch im Boden eines Platzes mit Beton. Der bauliche Eingriff selbst bleibt klein, kaum sichtbar und kann deshalb auch im öffentlichen Raum der Stadt stattfinden. Neben dem minimal invasiven DIY-Skaten existiert eine zweite Form dieser relativ neuen Skate-Praktik: das Skaten auf so genannten »Self-Made-Spots«. Diese werden erst im Zuge eines massiven, teilweise Monate oder Jahre dauernden baulichen Eingriffs von den Skater/-innen selbst skatebar gemacht. Die Skater/-innen eignen sich diese versteckten und vergessenen Spots in der Stadt illegal an, entwickeln Ideen und Pläne für deren skatetechnische Inwertsetzung und setzen diese dann baulich um. Das Resultat sind nicht selten ganze DIY-Parks, die sich häufig zu einem wichtigen Anziehungspunkt für das Skaten einer ganzen Stadt entwickeln. Die physischen Spiel-Möglichkeiten der DIY-Spots werden von einer Aura der Authentizität beglaubigt und von einem Reiz des Abenteuerlichen, dem Kitzel des Unerlaubten und der sozialen Geschlossenheit der Situation umspielt. Der deutschlandweit lange Zeit bekannteste DIY-Spot war der »Ghettospot« in Frankfurt. Dieser wurde von den nimmermüden Frankfurter Locals illegal auf einem Privatgelände in zentraler Lage der Stadt gebaut, musste allerdings nach knapp vierjähriger Nutzung sehr zum Leidwesen der Frankfurter Skater/-innen auf Druck der Nachbarn im November 2011 aufgegeben werden. Ein weiteres, künstlerisch und architektonisch ausgesprochen interessantes DIY-Projekt war der Bau der Skateskulptur »1000 Plateaus« auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. Seit 2010 stillgelegt wurde dieses mitten in Berlin gelegene 300 Hektar große Areal allmählich zu einer Parklandschaft umgestaltet. An diesem faszinierenden Umbau des alten Flughafengeländes waren auch die Berliner Skater/-innen aktiv beteiligt. Sie haben dort einen legalen DIYSpot gebaut, allerdings keinen Skatepark, keinen Streetplaza, sondern eine Skate-Skulptur. Das Besondere an dieser Skate-Skulptur ist, dass diese nicht nur – ähnlich wie die Kölner Skater/-innen mit dem »Kap 686« – im Bereich des Baus künstlicher Skatestätten neue Wege beschreitet, sondern auch ein geradezu modellhaftes Recycling von Stadt darstellt, wurde die Skulptur doch mit den gut Tausend Granitplatten gebaut, die der Skater Adam Sello beim Abriss des »Palast der Republik« von 2006 bis 2008 retten konnte (Peters, 2016, S. 162-163).
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Ein zentrales Charakteristikum der »bewusst dilettantischen FreestyleArchitektur« (Müller, 2012, S. 19) der DIY-Spots ist ihre Vergänglichkeit. Unabhängig davon, wie viel Mühe, Kraft und Aufwand die beteiligten Skater/ -innen in den Bau des Spots investiert haben, bleibt dieser zumeist illegal und damit temporär. Das ständige Bauen neuer Spots als Bestandteil der Praktik des DIY-Skatens integriert damit ein völlig neues handwerkliches Kompetenz-Spektrum in die Skate-board-Kultur, so dass auf einmal in Skate-Magazinen nicht mehr nur über Kickflips und Board-Designs gefachsimpelt, sondern auch über Eisenkellen, Beton-Trockenzeiten, Verschalungen und Betonmischer berichtet wird. Den großen Bedarf der Skater-Gemeinschaft nach handwerklichem Knowhow bedienen die Skate-Magazine, indem sie regelmäßig konkrete Handlungsund Bauanweisungen abdrucken. Zudem kursieren in Magazinen immer wieder auch kreative Vorschläge, wie man als Skater/-in die Stadt als Skate-Spielplatz im Sinne der DIY-Idee weiter bereichern kann. Inzwischen hat sich das ursprünglich rein informelle DIY-Skaten innerhalb des Praxis-Kosmos des Skateboarding so weit etabliert, dass selbst offizielle Sponsoren das Phänomen unterstützen. Die Unternehmen verfolgen damit die Strategie, sich das authentische, unverdorbene und unkommerzielle DIY-Skaten einzuverleiben, um so die mit dem DIY-Skaten einhergehenden Attribute mit dem eigenen Marken-Kern zu assoziieren. Obwohl also inzwischen auch das DIY-Skaten zumindest in ersten Tendenzen von der kommerziellen Skateboard-Welt entdeckt wurde und teilweise für deren Zwecke instrumentalisiert wird, hat es innerhalb der Skater-Gemeinschaft dennoch nach wie vor einen hohen Stellenwert; es gilt als ›core‹, das heißt, dem ureigenen Kern des Skateboardfahrens zugehörig. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich der Zugang zu den meist an urbane Altindustrie-Areale und Brachflächen gebundenen, in den Randbezirken der Innenstädte liegenden, teilweise geheimen DIY-Spots über ein informelles Raumwissen regelt, dass nur den Mitgliedern der mit dem Bau beschäftigten Skater-Gruppierung zugänglich ist. So hatte der Fotograf und Künstler Richard Gilligan, der für sein Fotobuch »DIY« (Gilligan, 2012) den Bau mehrerer DIY-Spots dokumentiert hat, große Schwierigkeiten, überhaupt zu den interessanten Locations zu gelangen. Richard Gilligan: »Auf die meisten meiner Locations bin ich durch viele Stunden Recherche und Erzählungen von Freunden und Bekannten gestoßen. Normalerweise wusste ich, wohin ich wollte, doch es gab auch Orte, die man nur entdeckt, weil man zufällig die richtige Person trifft. Für solche Begebenheiten muss man offen sein und gewillt, jederzeit zu ungewissen Wag-
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nissen aufzubrechen. Die meisten Entdeckungen machte ich in Blogs, durch Freunde oder durch Skateboard-Magazine.« (Irvine, 2012a, S. 129)
Als gesellschaftlich breit etablierte Bewegungskultur war Skateboarding von seinen Anfängen an in das gesellschaftliche Spannungsfeld des DIY eingewoben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich die Ideale der Hippies, des Punk oder der Riot-Grrrl-Bewegung auch innerhalb der Skateboard-Kultur niedergeschlagen haben (zur Sozialfigur des Skate-Punks der 1980er Jahre vgl. Butz, 2012; zur Riot Grrl-Bewegung der 1990er vgl. Pavlidis, 2012). Wenn also rezent innerhalb der Skateboarding-Kultur ein DIY-Boom diagnostiziert werden kann, dann muss dieser nicht als neues Phänomen einer bis dato völlig hedonistischen, einzig und allein an der Idee des Pop orientierten Jugendkultur interpretiert werden, sondern als Fortschreibung einer innerhalb des äußerst heterogenen Skateboard-Feldes immer schon vorhandenen Strömung. Das heutige DIY-Skaten schließt demnach an schon vorhandene Traditionen des Skateboardfahrens, wie beispielsweise die des in der Skater-Gemeinschaft immer schon verbreiteten Rampenbaus, an.
V OM B ESPIELEN ZUR G ESTALTUNG : Z UM S TADTGEBRAUCH DES S KATEBOARDING Das Skateboardfahren hat sich aufgrund seiner sozial und wirtschaftlich expandierenden Relevanz in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker im kulturellen Mainstream etabliert. In nahezu jeder Stadt der westlich geprägten Welt lassen sich heute Skater-Gemeinschaften und Skateshops finden, zugleich aber auch städtische Skate-Abwehr-Strategien, die nicht zuletzt in den Bau von SkateSonderräumen münden. Die kulturelle Etablierung des Skatens ging somit mit Prozessen der sozialen Verregelung und Festschreibung sowie einer sozialräumlichen Segregation des Skatens einher. Der Stadtgebrauch des gegenwärtigen Street-Skateboarding muss also als Dreiklang betrachtet werden. Während sich das klassische Street-Skaten nach wie vor der Eroberung und Bespielung öffentlicher Plätze und Räume widmet und die in diese Räume eingeschriebenen Gebrauchsnormative in Frage stellt und überschreitet, findet Skateboarding gleichzeitig auch an vielen Orten der Stadt auf eigens für die Bewegungspraxis errichteten, teilweise sogar von den Kommunen vorgehaltenen Skatestätten statt. Diese, im rechtliche Sinne einzig legitime Version des Skateboardfahrens kriminalisiert wiederum den »wilden« Stadtgebrauch des Street-Skatens dergestalt, dass die Skater-Gemeinschaften auf
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diese versportlichende Verregelung und sozialräumliche Einhegung mit dem Aufkommen des DIY-Skatens reagierte. Dieses betont die kulturelle Eigenwilligkeit und Eigensinnigkeit des Skateboardfahrens. Das DIY-Skaten ist deshalb ein Stückweit eine Rückführung des Skatens aus dem kulturellen Mainstream der Skateparks, -hallen und Streetplazas in die gesellschaftliche und stadträumliche Nische der Subkultur. Im DIY-Skaten artikuliert sich der Wunsch der Skateboarding-Szene nach exklusiver Vergemeinschaftung, nach einer Rückbesinnung auf die vermeintlich »traditionellen Werte« der Skateboard-Kultur. Die gegenwärtig starke DIY-Bewegung innerhalb der Skateboard-Kultur muss also als eine Gegenbewegung zur der immer weiter voranschreitenden Kulturalisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung des olympisch gewordenen Skateboardfahrens, gewissermaßen als ein Bemühen um dessen Re-Subkulturalisierung gelesen werden. Die von den Skater/-innen baulich geschaffenen Spots in der Stadt sind damit nicht nur einfach Skatespots, sondern zugleich auch voraussetzungsvolle soziale Institutionen eigenen Typs, gewissermaßen politisch-performative Orte einer »eigensinnigen Beheimatung« (Werner, 2011, S. 54). Das Arbeiten der Skater/ -innen an diesen DIY-Spots muss demnach als eine Arbeit (1) am physischen Substrat der Stadt, (2) am Selbst und (3) am/im Kollektiv gelesen werden. (1) Die DIY-Spots entstehen durch die temporäre Inbesitznahme und Erschließung meist auf Brachflächen. Diese werden durch die allmähliche, improvisierte Inbesitznahme und veralltäglichte Kultivierung häufig von vergessenen Un-Orten zu attraktiven und einladenden Orten. Sie wabern damit zwischen öffentlich und privat, zwischen verwahrlost und belebt, zwischen bedeutungslos und funktional, zwischen Exklusion und Inklusion. (2) Die Arbeit am Spot verändert dabei nicht nur den physischen und sozialen Ort, sondern zugleich auch die arbeitenden Subjekte. Das Selber-Machen ist somit auch ein Selbst-Machen. Das Ortsengagement der Skater/-innen ist eine Praktik der Subjektivierung, der sozialen Verortung und Beheimatung. (3) Das intensive gemeinsame Arbeiten an einem, in die alltäglich-lokale Lebensführung eingebundenen Ort vermittelt ebenso intensive Beziehungen und soziale Verbindungen. Das gemeinschaftliche Bauen eines Spots stiftet eine gemeinsame, stark an den Ort geknüpfte und von diesem vermittelte Identität. Der DIY-Skatespot ist damit ganz stark immer auch ein kollektiver Ort. Im DIY-Skaten formiert sich somit – und hier liegen auffallend klare Parallelen zur urbanen Garten-Bewegung und ähnlichen Strömungen eines neuen »Urbanismus von unten« (Rauterberg, 2013), einer »Stadt der Commonisten« (Baier, Müller & Werner, 2013) oder eine Do it yourself-Urbanismus – eine Suche nach innovativen Formen städtischer Governance sowie Tendenzen einer
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neuen politischen Teilhabe zivilgesellschaftlicher Gruppierungen. Es birgt damit gerade in Zeiten der Verschuldung kommunaler Haushalte und immer knapper werdender öffentlicher Mittel für die Stadtverwaltung und -entwicklung Potentiale. Insofern kommt die Selbstinitiative der Skater/-innen, die eigene Stadt über den selbsttätigen Bau von Skatestätten oder Skate-Gelegenheiten mitgestalten zu wollen, gerade recht. Vor dem Hintergrund städtebaulicher Leitbilder wie dem der »Nachhaltigen Stadt« oder dem der »Kreativen Stadt« könnte es für Kommunen kostensparend und interessant zugleich sein, die Ideen und die Bereitschaft der Skater/-innen, Räume in Eigenarbeit auch physisch mitzugestalten, in Planungsprozesse einzubinden. In eine derartige Richtung weisen die ersten legalisierten DIY-Spots, etwa im englischen Liverpool, in Deutschland (»2er« in Hannover, »Betonhausen« in Berlin) oder auch im schwedischen Malmö. Die Heimatstadt des Skateboarders und DIY-Aktivisten Pontus Alv hat sich in den vergangenen Jahren durch die liberale Haltung der Malmöer Stadtverwaltung gegenüber den illegal gebauten DIY-Spots zu einer DIY-Skatestadt mit europaweiter Bekanntheit entwickelt (Irvine, 2012b). Die Stadt Malmö, in der sich noch dazu auch sechs große Skateparks befinden, leistet sich gar einen Projektmanager für Skateboard-Entwicklung. Seine Aufgabe: Malmö zur bestmöglichen Skateboard-Stadt zu machen und Skateboarding so in den Markenkern der Stadt zu integrieren, dass sich diese deutlich von anderen europäischen Städten abhebt. Neben Tausenden von Touristen, die das jährlich anzieht, geht es dem städtischen Skateboard-Management vor allem um soziale Aspekte: Skatepark und Skatespots werden als Begegnungsplattformen begriffen, auf denen sich Gleichgesinnte unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialen Milieu treffen können (Wohner, 2015, S. 47). Eine derartige Anerkennung der stadtgestaltenden DIY-Kompetenzen der Skater-Gemeinschaft sowie ihre gewinnbringende Integration in offizielle Planungsverfahren der Stadtverwaltungen erscheint vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen der Kölner Stadtverwaltung mit dem Bau des Streetplazas »Kap 686« oder auch der Realisierung der Skateskulptur »1000 Plateaus« in Berlin inzwischen deutlich realistischer als noch vor wenigen Jahren. Dabei spielt die Erkenntnis, dass auch der informelle Sport – verwiesen sei hier exemplarisch auf die Bemühungen der Stadt München, das Eisbach-Surfen im Englischen Garten, das im Laufe der vergangenen Jahre zu einer der touristisch am stärksten nachgefragten Sehenswürdigkeiten Münchens avanciert ist, zu legalisieren (vgl. dazu Peters, 2011) – ein relevanter weicher Standortfaktor einer Stadt sowie ein nicht zu unterschätzender Motor der Stadtentwicklung sein kann, eine bedeutsame Rolle. Auch wenn an verschiedenen Stellen das kulturelle Po-
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tential des Skateboardfahrens in der Stadt erkannt wurde, so scheint es zu seiner vollständigen Anerkennung aber dennoch ein weiter Weg.
O RTSENGAGEMENT : S KATEBOARDING KOLLABORATIVE S TADT -P RAXIS
ALS
Indem Skateboarder/-innen die Stadt jenseits der von Architekten, Stadtplanern und Stadtverwaltungen intendierten Weise gebrauchen, entlocken sie städtischen Räumen kulturelle Potentiale, die ohne sie unsichtbar und unrealisiert verbleiben würden. Skateboarder/-innen sind in diesem Sinne als Raumpioniere Teil einer urbanen Kreativwirtschaft, die die Potentiale von städtischen Unorten, semantisch unbelasteten Niemandsländern und zwischenzeitlichen Brachen sensibel auskundschaftet und als Second Hand Spaces in Wert setzt. Sie sind damit Protagonisten all jener Bewegungen, die sich gegenwärtig mit ganz unterschiedlichen Mitteln den öffentlichen Raum aneignen (›Reclaim your City‹) und ein »Recht auf Stadt« für alle reklamieren. In Form der kulturellen Praxis des DIY-Skateboarding allerdings gesellt sich zu dieser eher auf der geographischen Registrierungsebene verbleibenden und mit den symbolischen Potentialen der Stadt spielenden Raumnutzung des Skateboarding noch eine weitere, auch den physischen Baukörper von Städten betreffende Dimension. In der neuen kulturellen Praxis des DIY-Skateboarding bauen Skateboarder aktiv, handwerklich und selbsttätig an der Gestalt von urbanen Räumen mit. Als Kreative und Künstler machen Skateboarder/-innen Stadt. Sie sind damit Akteure und Akteurinnen jenes dilettantischen »Do it yourselfUrbanismus«, der gegenwärtig das Verhältnis von Zivilgesellschaft, Stadtverwaltung und Stadtentwicklung neu auslotet. Skateboarder/-innen wirken in diesem Sinne als Agent/-innen einer kollaborativen Stadtentwicklung (vgl. Terkessidis, 2015) weit über den eigentlichen Kosmos ihrer Bewegungspraxis hinaus.
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Skateboarding in pädagogischer Verantwortung Tim Bindel & Niklas Pick
Jugendlich, cool, kreativ und bewegt – dem Skateboarding lassen sich Attribute zuordnen, die auch institutionell-pädagogische Begehrlichkeiten hervorrufen können. In einer Sportdidaktik, die sich nicht nur auf einen Kanon klassischer Vereinssportarten beschränkt, wird das Thema hochinteressant. Motorisches Lernen und kreative Raumaneignung werden ganz automatisch zu Gegenständen des Unterrichts und Lebensweltorientierung gibt es obendrein, denn Skateboarding gilt als Jugendbewegung par excellence (vgl. Zander, 2017). Ähnlich wie man Rap für den Englischunterricht vom Untergrund auf die Kulturbühne Schule ziehen kann, so lässt sich auch das einst als »wilde, abenteuerliche und oft verbotene Bewegungskunst« (Ehni, 1998, S. 121) bezeichnete Skateboarding als Unterrichtsthema adaptieren. Den Bedenken, man habe es hier mit einer Instrumentalisierung von Jugend und einer Domestizierung des Freien zu tun, lassen sich zwei Entwicklungen entgegenhalten. Erstens: Skateboarding hat sich in Deutschland in gut 40 Jahren zu einer etablierten Sportart entwickelt, die sich nun auch – man Blicke auf die Olympischen Spiele 2020 – institutionell organisiert denken lässt. Zweitens: Einige der einst jugendlichen Skater/-innen der 1990er- und 2000er-Jahre befinden sich heute als etablierte Lehrkräfte im Schulbetrieb, die ihre Passion gerne an die nachfolgende Generation weitergeben und längst Skateboarding im Sportunterricht anbieten. Aus diesem Bedingungsgefüge heraus, setzt der Beitrag an einem postkritischen Moment an und verknüpft die Frage nach dem ob, mit der nach dem wie einer pädagogischen Inszenierung von Skateboarding. Auf dem Weg von der Straße in die Schule werden Umstrukturierungen notwendig, die das Wesen des Skateboardings zwangsläufig verändern. Ein schulisches unterscheidet sich dann ebenso wie olympisches Skateboarding vom ursprünglichen Straßensport. Es ist
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das Ziel dieses Beitrags, offenzulegen, welche zentralen Herausforderungen sich aus dem Pädagogisierungsprozess ergeben. Nach einer diskursiven Verortung des Themas Skateboarding in sportpädagogische Zusammenhänge präsentieren wir Ergebnisse einer Interviewstudie, in der Experten ihre Vorstellungen und Erfahrungen aus der Praxis preisgeben. Die Analyse von sechs Experteninterviews ergab drei wesentliche Themen, die wir besprechen möchten: Das Involviertsein von Lehrkräften in die Skateboarding-Szene, die Lehr-Lern-Problematik und das Thema Raum.
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UND SEINE SPORTPÄDAGOGISCHEN B EZUGSSYSTEME Um das Phänomen des Skateboardings in einen sportpädagogischen Diskurs einzuordnen, stehen vier Schritt für Schritt sich konkretisierende Bezugsräume zur Verfügung. Wir werden das Jugendphänomen zunächst als Freizeitsport betrachten, es dann in die Systematik des informellen Sports (vgl. hierzu Bindel, 2008) einordnen, bevor wir den Trendsportdiskurs bemühen und schließlich eingestehen, dass Skateboarding eine eigenlogische Aktivität ist. Skateboarding als ›Freizeitsport‹ zu verstehen heißt, den verpflichtenden Sportunterricht als Gegenpol zu inszenieren. Dabei gerät das Phänomen auf eine Seite mit allen sportiven Tätigkeiten, die außerhalb des Unterrichts stattfinden, die junge Menschen also aus eigenem Antrieb aufrechterhalten. Diese äußerst allgemein gehaltene Gegenüberstellung hatte in der Vergangenheit vor allem quantitative Relevanz und man weiß, dass Sport als Freizeitbeschäftigung für Kinder und Jugendliche auch in Digitalisierungskulturen hoch relevant ist. Die sportpädagogische Interpretation geht in die Richtung, dass auch außerhalb der Schule Bildungsräume für junge Menschen bereitstehen (vgl. Neuber, 2010). Das gilt für den Schwimmverein ebenso wie für das Skateboarding, solange es Erfahrungsräume bietet, die personale, soziale oder motorische Herausforderungen eröffnen. Aus didaktischer Sicht steckt im Skateboarding ebenso wie in allen anderen Formen des Freizeitsports das Potential, den Unterricht zu bereichern. In den meisten aktuellen Lehrplänen taucht daher der Bezug zum Freizeitsport explizit auf. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich Handlungsfähigkeit und Kompetenzen – die aktuell die populärsten Zielebenen der Lehrpläne zu sein scheinen – auch explizit auf das Skateboarding beziehen. Kurz gefragt: Kann Unterricht auf den Freizeitsport Skateboarding vorbereiten? Bislang taucht das Thema in einigen Lehrplankonzepten im Bewegungsfeld ›Gleiten –
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Fahren – Rollen‹ (Beispiel NRW) auf, womit übergreifende motorische Qualifikationen im Fokus sind. Skateboarding als Kultur ist damit nicht gemeint. Die Besonderheit des Skateboardings gegenüber dem als klassisch zu bezeichnenden Vereinssport, der nach wie vor in der sportwissenschaftlichen Jugendforschung im Vordergrund steht, lässt sich herausarbeiten, wenn man es in den Kontext des informellen Sports einordnet. Bindel (2008) definiert informellen Sport als den Sport, bei dem die drei Handlungsrollen – Sporttreiben, Sport vermitteln und Sport organisieren – symbiotisch auftreten. Damit wird jeglicher institutionell organisierte Sport – etwa in Schule und Verein – zum Gegenpol des informellen Sports. Beim informellen Sport sind die aktiven Jugendlichen sowohl für Vermittlung als auch für die Organisation selbst verantwortlich. Das bietet zwar besondere Lernmöglichkeiten auch für die informell organisierten Skateboarder, bringt jedoch soziale Muster ins Spiel, die Partizipation für Einzelne oder Gruppen erschweren. In diesem Zusammenhang ist auch die Unterrepräsentation von Mädchen beim Skateboarding zu diskutieren. Eine pädagogisch-institutionelle Übernahme der Organisation durch Lehrer in Schule oder Skateparks kann dem inklusiven Gedanken eher entsprechen als der informelle Jugendsport (vgl. Bindel & Erdmann, 2016). Aus Sicht von Lehr-Lern-Modellen besonders interessant ist die Tatsache, dass die Vermittlung beim informellen Sport nicht von externen Autoritäten übernommen wird. Es etablierten sich beim informellen Sport stattdessen verschiedene Methoden vom Beobachten über Learning-by-Doing bis hin zum Mentoring durch Aktive mit Wissens- oder Könnensvorsprung. Das zu Erlernende erschöpft sich beim Skateboarding nicht nur in Standard-Tricks, sondern betrifft auch Stil und Normen (vgl. Bindel, 2008). Anders als beim Vereinssport dominiert nicht die Idee eines ›richtigen‹ Sports (Bindel, 2015), sondern es setzen sich individuelle Lösungswege durch. Die Abgabe von Expertise an eine Lehrperson in Schule oder Skatepark ist einer der deutlichsten Umstrukturierungen, denn dadurch verliert das Skateboarding seinen informellen Kern. Es entsteht die Gefahr einer Angleichung des Sports an traditionelle Rollenverteilungen, so wie es etwa beim Olympischen Skateboarding zu vermuten ist. Eine weitere Spezifikation sportpädagogischer Einordnung ergänzt die oben angeführten Charakterisierungen. Skateboarding kann als Trendsport eingestuft werden. Der Begriff Trend wird dem Skateboarding zwar dabei sicher lange nicht mehr gerecht, denn wir haben es hier mit einer etablierten Bewegungspraxis zu tun, die längst den Zenit eines Trends überschritten hat. Quasi als Mutter aller folgenden Trendsportarten liefert das Skateboarding aber immer noch die zentralen Charakteristika, die von Schwier (1998) und später von Laßleben (2009) genannt wurden. Das ›Trendige‹ des Skateboardings ist in seinen zum
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Leistungssport alternativen Mustern zu suchen. Wir möchten hier, um Dopplungen zu vermeiden, auf den Aspekt der Stilisierung eingehen. Verkürzt möchten wir behaupten, dass das Skateboarding die Kraft hat, sich nicht nur als Sport, sondern als Lebensstil zu entfalten: Man kann ein/e Skater/-in sein! Um die Handlung des Skateboardfahrens bilden sich politische Einstellungen, Modelle der Lebensführung etc., die man z.B. auch durch Bekleidung nach außen darstellen kann. Freiheit und Gegenwartsfixierung sind die jugendlichen Leitmotive des Lebensstils. Sie lassen sich in der sportiven Handlung selbst finden und in Deutungshoheit und Prozessorientierung übersetzen. Der/Die Skater/in deutet die Stadt als Bewegungsraum, trainiert meist nicht für zukünftige Wettkämpfe, sondern sucht gegenwärtige Erlebnisse; so die sportsoziologische Theorie. In der Realität muss man von einem Posttrendsport ausgehen, in dem die Grenzen zwischen Gegenwarts- und Zukunftsorientierung ebenso verwischen wie zwischen Freiheit und Norm. Die aktuellen Fitness- und Gesundheitstrends zeigen deutlich, dass normierte Handlungen und klare Expertise in lebensstilistisch relevante Sportpraktiken integriert werden können. Auch Sporttrends bilden sich an gesellschaftlichen Entwicklungen ab. Während das Skateboarding im Trendsportdiskurs der 1990er und 2000er-Jahre als Street-, Style- und Funsport diskutiert wurde, erwachsen die aktuellen Fitnesstrends aus den Diskursen einer Leistungsgesellschaft, die das Wissen Dritter fokussiert und eigene Handlungen einem gesellschaftlichen Entwurf des guten Lebens zuordnet. Es wird den meisten Jugendlichen wohl kaum merkwürdig vorkommen, dass auch das Skateboarding in seinen Deutungen extern bestimmbar ist, denn die aktuellen sportiven Jugendtrends rücken Deutungshoheit und Prozessorientierung in den Hintergrund. Wie Trendsport im Schulsport einzusetzen ist, kann zwar sensu Laßleben (2009) an den Charakteristika des (alten) Trendsports ansetzen, lässt aber ebenso Raum für neue Ansätze. Unser vierter sportpädagogischer Einordnungsversuch ist im Grunde eine Kapitulation. Man kann Skateboarding nicht in seinem ganzen Wesen einer Kategorie zuordnen; Skateboarding ist Skateboarding. Es gibt keinen zweiten Sport mit derselben Vergangenheit, derselben Gegenwart und Zukunft. Wir haben es hier mit einem einzigartigen bewegungskulturellen Phänomen zu tun, das wohl auch in Schule nicht nur ein Beispiel für Trendsport ist, das nicht nur eine von vielen informellen Handlungen darstellt, das mehr ist als eine sportive Freizeitoption. Aber was macht die Seele des Skateboardings aus? Die Frage lässt sich wohl nur individuell und perspektivisch beantworten. Es werden sich aber alle einig sein, dass Skateboarding in Deutschland ein Stück urbane Lebenswelt geworden ist, die sich in neoliberalen Verdrängungsszenarien zu behaupten versucht (vgl. Peters, 2016). In Bildungskontexten kann dieser Sport nicht nur als
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Bewegungspraxis adaptiert werden, sondern als Beispiel für Subkultur. Insofern stecken im Thema nicht nur die Praxis des Rollens, sondern auch die Theorien von Macht, Kultur und Raum.
S KATEBOARDING IN DER S CHULE – ZUM F ORSCHUNGSSTAND Ein Forschungsstand im eigentlichen Sinne ist nicht zu vermelden. Es liegen keine expliziten sportdidaktischen Arbeiten vor und wir verfügen nicht über empirische Daten zur Thematisierung von Skateboarding im Unterricht. Die sehr normativ geführten Diskurse zur Berücksichtigung und Vermittlung von Trendsport oder zur Thematisierung von informellem Sport sollen hier kurz mit Fokus auf das Skateboarding dargestellt werden. Bindel und Balz (2014) leiten den Wert einer pädagogischen Berücksichtigung des informellen Sports aus der Deutungshoheit ab, die die Aktiven der Sache Sport gegenüber einnehmen. Sie sehen den Auftrag des Schulsports auch darin, Souveränität zu vermitteln, damit junge Menschen Sportkultur mitgestalten und verändern können. Das legitimiert so auch das Skateboarding und rückt die Selbstbestimmung und Selbstgestaltungsfähigkeit der Schüler/-innen in den Mittelpunkt. Die Arbeiten von Schwier (1998), Stern (2010) und Peters (2016) bestätigen, dass das Skateboarding Herangehensweisen verlangt, die auch als Bildungsziele sensu Klafki (1997) formuliert werden können, vor allem Selbstbestimmung- und Mitbestimmungsfähigkeit. ›Argumente für eine Integration von Trendsportarten‹ lieferte Laßleben (2009, S. 18ff. und 57ff.) zuletzt synoptisch: Lebensnähe, Kulturkritik, Förderung von Selbstständigkeit und sportlicher Handlungsfähigkeit, Unterstützung einer dauerhaften Sportausübung und eines chancengleichen Zugangs zum Trendsport, Differenzierungsmöglichkeiten, Befriedigung von Darstellungsbedürfnissen und Förderung des selbstgesteuerten Lernens. Mit Blick auf das Skateboarding wiegen die Argumente unterschiedlich schwer. Es kann infrage gestellt werden, inwieweit Anfänger/-innen sich mit dem Skateboard vor anderen darstellen möchten. Ebenso wird das Geschehen für die meisten keine Lebensnähe aufweisen, denn die Verbreitung von Skateboarding ist nicht vergleichbar mit vielen traditionellen Sportarten. In den sportiven Freizeiten der allermeisten Mädchen wird das Thema außerdem nicht auftauchen. Hier leuchtet dann aber das bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutete Potential zur Öffnung des Sports für eine Klientel, die sonst im informellen Bereich nicht zum Zuge kommt, ein.
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Es ist das Verdienst von Laßleben (2009), dass er es nicht bei den gut nachvollziehbaren Argumenten für eine Integration des Trendsports belässt. Er entwirft ein Konzept, das auf der Grundlage des ambivalenten Charakters des Trendsports sensibel nach Charakteristika einer erfolgreichen Umsetzung sucht. Er macht deutlich, dass man bei einer Thematisierung von Trendsport – und das gilt entsprechend auch für das Skateboarding – über Rahmenbedingungen reflektieren muss. Das betrifft grundlegende Fragen, z.B. wird das Thema im Unterricht oder im außerunterrichtlichen Sport angeboten? In welcher Schulstufe kann das Thema angeboten werden? Etc. Die Lehrkraft, die also Skateboarding zum Schulthema macht, wird maßgebliche Vorentscheidungen treffen. Auch personelle, materielle, räumliche und zeitliche Bedingungen müssen durchgespielt werden. In aller Kürze: Es bedeutet Aufwand, ein Thema wie Skateboarding in der Schule zu etablieren, sodass es wohl auf das Engagement der einzelnen Lehrkraft ankommt, inwieweit die Integration möglich ist. Auf die konkrete Umsetzung wollen wir hier nur noch sehr rudimentär eingehen. Aus den Vermittlungshinweisen von Laßleben wählen wir nur drei besonders zum Skateboarding passende heraus: Der Einbezug von »Experten aus der Schülerschaft« (Laßleben, 2009, S. 99) kann die besonderen Lernzugänge im Skateboarding ermöglichen. Außerdem solle es darum gehen »Bewegungsräume ausfindig und zugänglich zu machen« (ebd., S. 101) und »Aspekte der Stilisierung [zu] thematisieren« (ebd., S. 99). In der Summe blicken wir auf gute Argumente für Skateboarding im Schulsport und wir können nachvollziehbare Charakteristika einer Vermittlung nennen. Ohne empirische Einblicke in die unterrichtliche Wirklichkeit und explizite Lehr-Lern-Diskurse besteht jedoch eine normative Überlast. Durch eine empirische Zuwendung versprechen wir uns unterrichtspraktische Schwerpunktthemen und Prüfung der Normen. Der Zugang über eine qualitative Expertenbefragung scheint uns besonders geeignet.
E XPERTENINTERVIEWS ZUM T HEMA DAS U NTERSUCHUNGSDESIGN
–
Das Untersuchungsdesign zielt auf die folgenden Fragen ab: Wieso sollte Skateboarding im Sportunterricht oder in außerunterrichtlichen Angeboten thematisiert werden und welche besonderen Problematiken bringt das Thema mit sich? Diese didaktische Hinwendung zur Thematik könnte auf eine normative oder diskursanalytische Herangehensweise hindeuten; mit Anbindung etwa an die Diskurse zum Trendsport im Sportunterricht sensu Laßleben (2009). Da das
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Thema Skateboarding sich jedoch keineswegs (mehr) leicht unter den doch etwas simplifizierten Trendsportbegriff ordnen lässt, sollen hier empirische Hinwendungen zu einer expliziten Auseinandersetzung führen. Gewählt wurden Experteninterviews und im Fokus stehen die Intentionen mit denen ausgewählte Lehrkräfte das Skateboarding thematisieren. Neben den positiven Aspekten, die skateboardaffine Lehrkräfte in ihrem Unterrichtsgegenstand sehen, sollen aber auch explizit die Problematiken bei der Überführung vom informellen Kulturfeld in einen fremdbestimmten Unterricht hinterfragt werden. Dabei ist besonders der begrenzte Sportraum Schule ein interessanter Faktor. Für die Durchführung der Interviews wurden Lehrerinnen und Lehrer aber auch Skateboard-Trainer gesucht, die Experten für das Thema Skateboarding im Schulsport sind. Die Befragung von schließlich sechs männlichen Experten (4 praktizierende Sportlehrkräfte, 1 ehem. Skater, der Uniseminare zum Thema anbietet, 1 Sportlehrkraft mit wissenschaftlicher Expertise zum Thema) basiert auf der Methode des problemzentrierten Interviews, wobei die Interviewdurchführung schließlich auch Merkmale der narrativen Methode aufweist (Mayring, 2016). So konnte sich trotz eines Leitfadens, ein ungeleitetes Gespräch zu dem Thema Skateboarding im Schulsport entwickeln. Die Auswertung der Experteninterviews wurde an die qualitativ strukturierende Inhaltsanalyse vom Mayring (ebd.) angelehnt. Über drei zentrale Kategorien konnten die nun folgenden Ergebnisse systematisiert werden.
S ZENEZUGEHÖRIGKEIT
DER
L EHRKRÄFTE
Die Intention der befragten Lehrer, mit der sie das Thema Skateboarding unterrichten, resultiert aus ihrer Leidenschaft für diese Subkultur. Ein Teil der Lehrkräfte hat eine langjährige Skateboard-Vergangenheit und ist immer noch aktiv. Es wird angenommen, dass Skateboarding viel Potential für die Entwicklungsförderung hat und über die Jugend hinaus ›wirkt‹: »In meinem Leben spielt Skateboarding immer noch eine große Rolle und ich weiß, dass es eben Potentiale birgt und auch für lebenslanges Sporttreiben irgendwie geeignet ist.« (GL, 2017, S. 1)1
1
Kürzel für Experten, Jahr des Interviews, Position im Transkript; Transkripte bei den Autoren einsehbar.
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Die Leidenschaft für das Skateboarding ist, wie es CP im Interview betont, eine Voraussetzung für die authentische Darbietung der Subkultur und die Authentizität der Lehrkraft. Insbesondere fördert sowohl das Involviertsein in die Community als auch das Können auf dem Skateboard die Motivation der Schülerinnen und Schüler. »Also ich glaube, dass eine notwendige Voraussetzung, um das authentisch anbieten zu können als Lehrer, eben die ist, dass der Lehrer selber Teil der Community ist und fahren kann. Und das hat natürlich auch wieder etwas sehr Anregendes, was sehr auch Motivierendes für die Schüler, wenn die sehen, wow, der kann das.« (CP, 2017, S. 15)
Begründet werden kann diese für den Sportunterricht nicht typische Erwartung mit der subkulturell relevanten Vorbildfunktion. Neulinge wenden sich auch in der Skateboard-Szene oft einem/r guten Skater/-in zu, mit dem/der sie sich identifizieren und zu dem/der sie aufschauen können. In der Schulwelt wäre demnach so etwas wie ein ›Skater-Sportlehrer‹ gefragt, der nicht nur Bewegungsabläufe vormacht, sondern die Schüler/-innen mit seinen Bewegungskünsten inspirieren kann. »Ich habe immer jemanden gehabt, zu dem habe ich aufgesehen. Mit dem konnte ich mich identifizieren. Und deswegen, wenn da jetzt so ein cooler Sportlehrer ist und der muss nicht einmal cool aussehen. Der muss einfach nur was können.« (DH, 2017, S. 16)
Somit ist aus den Beschreibungen der Befragten zu entnehmen, dass die Schülerinnen und Schüler es ›cool‹ finden, wenn der Sportlehrer eine Sportart beherrscht, die normalerweise in der Jugendphase betrieben wird. Dieser Anspruch eines nativen ›Skater-Sportlehrers‹ wird aber nicht von allen Experten geteilt, wie in dem Gespräch mit TD deutlich wird. »Im Uniseminar [T. B./N. P.: TD leitet Uniseminare zum Thema Skateboarding] ist es mir scheißegal wie gut die angehenden Sportlehrer in der Prüfung Skateboard fahren können. Es ist sogar geiler für die Kids wenn sie schlecht sind, weil dann die Kids noch zusätzlich das Erfolgserlebnis haben, dass sie besser sind als der Lehrer.« (TD, 2017, S. 5)
Skateboarding ist nach TD eine ›bewegungsorientierte Jugendkultur‹. Die Jugendlichen kommen im Aufwachsen mit der Szene in Kontakt und ihre Motivation zum Skateboarding speist sich daraus, etwas zu können, was nicht jedem möglich ist (vgl. Hitzler & Niederbacher, 2010). Mit Blick auf die Schule ist TD im Gegensatz zu den befragten praktizierenden Sportlehrern der Meinung, dass
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es erfolgsversprechend ist, wenn der Lehrer nicht szeneaffin ist. Die Motivation der Schülerinnen und Schüler steigert sich also durch Überlegenheit. Es ist zu erkennen, dass sich die befragten Experten nicht darin einig sind, wie stark die Lehrkraft in die Szene involviert sein muss, um das Thema Skateboarding zu thematisieren und die Schülerinnen und Schüler zu motivieren. Es stehen sich eine Außen- und eine Innensicht gegenüber. Während TD als Seminarleiter Kompetenzbarrieren ausräumt, können die Lehrkräfte nur aus der eigenen Position heraus argumentieren. Ehemalige oder aktive Skater/-innen werden eher versuchen ihre Passion im Unterricht zu platzieren als jemand, der unerfahren ist und weder eine Aus-, noch eine Fortbildung erlebt hat. Die Voraussetzung einer Platzierung von Skateboarding im Unterricht scheint bislang die Szenezugehörigkeit zu sein. Ob damit schlussendlich die Kompetenz im Kern des Gelingens steht, ist unklar. Das Involviertsein kann daher nicht zweifelsfrei als Bedingung, vielleicht eher als Realität bezeichnet werden.
D IE L EHR -L ERN -P ROBLEMATIK Skateboarding ist eine Subkultur, die sich über Selbstwirksamkeit der Akteure definiert und jetzt im reglementierten Raum des Sportunterrichts Platz finden soll (vgl. Borden, 2001; Lombard, 2016). Der Lehr-Lern-Prozess von Skateboarding auf der Straße, im Park oder in der Halle gestaltet sich nach dem Motto ›Try & Error‹. Die heranwachsenden Skater/-innen nutzen die Affordanzen ihrer Umgebung um sich selbst neue Bewegungsformen auf dem Brett anzueignen. Im Raum Schule ist diese Art von Lernprozess schwer herzustellen, da im Sportunterricht systemimmanente Einschränkungen vorherrschen. Des Weiteren werden Lehr-Lern-Wege im Unterricht typischerweise von methodisch-didaktischen Plänen bestimmt, sodass die Selbstwirksamkeit der Schüler/-innen durch eine Fremdbestimmung bedroht wird. Der Diskurs, ob Skateboarding auch fremdbestimmt unter methodisch-didaktischer Planung aufbereitet werden sollte oder ob dadurch die pädagogische Kraft der Selbstwirksamkeit verloren geht, wird durch die Aussage von TD deutlich. »Ich warne davor und sage Finger weg von diesen standard-methodisch-didaktischen Reihen. Das macht die pädagogische Kraft des Skateboardens kaputt, weil dann selbstbestimmtes Skaten wieder fremdbestimmt wird.« (TD, 2017, S. 17)
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Die angesprochene ›Kraft‹ des Skateboarding, sich den Normen entgegen zu stellen und sich frei zu entfalten, macht den Kern der Kultur aus. Als langjähriger Skater versucht DH seinen Schüler/-innen die unterschiedlichen Möglichkeiten des Skateboardings näher zu bringen, sodass sie subkulturelle Lesarten von Freizeit und Sport auch auf andere Situationen in ihrem Leben übersetzen können. In diesem Sinne scheint es z.B. wichtig zu sein, Skateboarding aus anderen Blickwinkeln als von dem der Leistungsperspektive zu betrachten (vgl. Laßleben, 2009; Peters, 2016). Widerständiger als die perspektivische Öffnung, die in vielen Sportlehrplänen mitgedacht ist, scheint das intergenerationale Verhältnis. Im Rahmen der Schule besitzen die Lehrkräfte das, wogegen Skater/-innen sich durch ihre Praktiken auflehnen: Autorität. Den Schüler/-innen muss, nach Aussage der Praktiker, daher ein Raum geboten werden, in dem sie sich selbst mit dem Skateboard auseinandersetzen können. Um den Schüler/-innen diesen Freiraum zu bieten, muss von der Vorstellung eines typischen Unterrichts mit hierarchischem Gefälle abgesehen werden. Im Grunde muss die Lehrkraft Unterrichtsplanung neu denken oder gar den Rücken kehren und das Skateboard wirken lassen (vgl. Lange & Sinning, 2012). TD empfiehlt, sich als Lehrer auch mal zurückzunehmen und einfach nur zu beobachten. Die Meinung, dass Skateboarding nur in Hierarchielosigkeit unterrichtet werden kann, wird nicht von allen Experten geteilt. GL findet hierzu einen Mittelweg: Die Ziele formuliert die Lehrkraft, über den Lernweg entscheidet der/die Schüler/-in. »[...] da hatte ich so einen Skateboard-Führerschein entwickelt oder entworfen und da gab es mehrere Stationen und man konnte einen Stempel kriegen, dafür, wenn man eine Station abgehakt hatte und so konnte sich im Grunde jeder auf seinem Niveau erst einmal langsam vorantasten [...]« (GL, 2017, S. 22)
Des Weiteren muss der informelle Charakter des Skateboarding nicht als Aufhänger der Unterrichtsstunde angesehen werden, sondern viel mehr als eine Trendsportart mit neuen Bewegungserfahrungen. Im Gegensatz zu dem Standpunkt von TD hat AH für seinen Sportunterricht sogar eine Übungsreihe zum Erlernen der Basisfähigkeiten (anfahren, bremsen, beschleunigen, enge Kurven und weite Kurven) für das Skateboard-Fahren erstellt. Skateboarding wird also durchaus fremdbestimmt unterrichtet; so macht es MJ in der Jahrgangsstufe 8. Er nutzt die technischen Ähnlichkeiten zum Snowboard und führt Skateboarding zur Vorbereitung der Schneesportfahrt ein (vgl. Lange, 2009). Die angesprochenen fünf Basisfähigkeiten werden dabei von MJ durch verschiedene Übungsformen ver-
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mittelt. Wie Skateboarding letztendlich im Unterricht umgesetzt wird, differiert also stark und stellt grundsätzliche Positionen gegeneinander. Skateboarding ist eine sehr komplexe Sportart, die in ihrer natürlichen Umgebung intrinsisch motiviert und mit viel Kreativität erlernt wird. Im Sportunterricht erfahren die Schüler/-innen teilweise einen fremdbestimmten Lehr-LernProzess. Um dieser Problematik zu begegnen, wird der Sportunterricht von den Experten individueller gestaltet. Ein Königsweg für die Vermittlung von Skateboarding im Sportunterricht lässt sich aus der Praxis heraus nicht ablesen.
D IE R AUM -P ROBLEMATIK Der Sportraum der streetorientierten Skater/-innen entwickelt sich aus den Möglichkeiten des (meist) urbanen Raums (vgl. Borden, 2001). Der Sportraum der Schule ist im Gegensatz dazu beschränkt und vordefiniert. Auf den ersten Blick scheint es nur die Sporthalle, den Schulhof oder einen Sportplatz zu geben. Standardmäßig findet der Sportunterricht in der Sporthalle statt. Sportarten wie Leichtathletik und Schwimmen werden in dafür vorbestimmten Sporträumen betrieben. Überträgt man dies auf das Skateboarding, so müsste auch der schulnahe, nicht als Sportraum definierte Bereich erschlossen werden (vgl. Bindel & Schwarz, 2017). Unterricht auf nicht normierten, inoffiziellen Flächen bringt Sicherheitsbedenken mit sich. Die befragten Experten berichteten davon, dass die ersten Unterrichtsversuche auch deshalb in der Sporthalle stattfanden. Der gute Bodenbelag sei außerdem für die ersten Rollversuche hoch interessant. Die Rollphase dauert wegen des glatten Belags länger und die Gefahr, dass ein Stein im Weg liegt, ist aufgehoben (vgl. Hauer & Zimlich, 2012). Den Schulen stehen aber auch außerschulische, definierte Räume zur Verfügung (vgl. Bindel & Schwarz, 2017). DH ist Skateboard-Lehrer in einer Skatehalle, steht Schulklassen mit seiner Expertise zur Verfügung und weiß, dass eine Skatehalle durch ihre verschiedenen Areas (Flat/Rampe/Bowl) einen enormen Aufforderungscharakter für die Schüler/-innen bietet, zudem zeigen sich Möglichkeiten der Leistungsdifferenzierung: »Ich habe mehrere Areas da, wo ich die Leute unterteilen kann. Zum Beispiel die jetzt noch gar nichts können, mit denen bin ich nur im Flat. Die jetzt schon ein bisschen mehr können, mit denen gehe ich dann zu den kleineren Rampen. Und die schon echt gut sind, dann bin ich natürlich im Pool oder so mit denen gefahren.« (DH, 2017, S. 2)
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Die Möglichkeit in einer Skatehalle den Unterricht durchzuführen, ist je nach Struktur des Schulgebiets nicht immer gewährleistet. Die befragten Lehrer nutzen daher eher die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten an der Schule und Umgebung, um eine größere Vielfalt anbieten zu können. Es ist schwierig, eine informelle Sportart in einem vorbestimmten Raum wie einer Sporthalle zu vermitteln. Der glatte Boden in der Sporthalle ist zwar perfekt zum Rollen, doch häufig steht einer Klasse nur ein Hallendrittel zur Verfügung, sodass Bewegungsräume eingeschränkt sind. Es entstehen Wartezeiten, da nicht alle gleichzeitig fahren können und somit geht im Vergleich zu informellen Gelegenheiten Lernzeit verloren. Für die ersten Schritte auf dem Skateboard scheint die Sporthalle eher passend, als für das Üben Fortgeschrittener.
F AZIT Die drei identifizierten Herausforderungen, die sich für Lehrkräfte ergeben, sind nach unserer Untersuchung die Frage nach der Relevanz der Szenezugehörigkeit, Lehr-Lern- und Raumproblematiken. Als übergreifendes Diskussionsfeld lässt sich das Problem der Authentizität formulieren – zunächst ein für den Trendsport typisches Problem. Die Praktiken der Jugendkultur durchlaufen nun mal einen mehrfachen Filterprozess. Selbst wenn man sensu Laßleben (2009) geschickte Wege findet, um Trendsport im Schulsport zu thematisieren, verändert sich das Geschehen, weil der Raum des Unterrichts immer artifiziell ist. Das aber ist ein Problem, das im Sportunterricht per se auftritt. Skateboarding ist aber nicht nur als beliebiger informeller Sport oder Trendsport aufzufassen, sondern als eigenes Phänomen. Als solches ist es besonders sperrig, weil die Tätigkeit so stark aufgeladen ist mit metasportiven Bedeutungsdimensionen, die noch dazu Einstellungen transportieren, die der autoritären Welt von Schule widersprechen. Man stelle sich nur mal vor, szenezugehörige Skater/-innen bekämen für ihr Tun von einem Erwachsenen eine Note… Es wird immer eine Lesart des Skateboardings erhalten bleiben, die sich einer institutionellen Okkupierung wiedersetzt. Zu Recht werden manche Skater/ -innen ›ihren‹ Sport weder kommerziellen Events, noch dem Spitzensport und auch nicht der Schule überlassen. Unsere Untersuchungen zeigen aber auch, dass es jenseits der vielleicht als idealistisch zu bezeichnenden Positionen, längst Hybride gibt. Dort wo (ehemalige) Skater/-innen als Pädagogen in der Schule wirken, nehmen sie ihre Leidenschaft mit und versuchen, sie weiterzugeben. Die oben angesprochenen Filterprozesse werden dann ganz selbstverständlich akzeptiert und möglichst pragmatisch durchlaufen. Den kulturkritischen Blick auf die-
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ses Geschehen, den auch Sozialwissenschaftler/-innen und Jugendforscher/ -innen mitkonstruieren, können die engagierten Praktizierenden wohl ausblenden. Ergo: Skateboarding in der Schule ist Realität, wenn auch – darüber wissen wir leider nicht viel – seltene Realität. Überraschend ist, dass die Experten sich nicht einig sein, was auf dem Weg durch den Filter von der Straße in die Schule übrigbleibt. Von der Übungsreihe über den Skateboardführerschein bis hin zum freien Üben haben wir schon bei dieser kleinen Stichprobe viele Varianten des Lehrens und Lernens gefunden. Weil die ›Skater-Lehrkräfte‹ mit individuellen Ansätzen und starken Positionen in Erscheinung treten, kann man nicht davon ausgehen, dass eine allgemeine Didaktik des Skateboardings in ihrem Interesse wäre. In der unterrichtlichen Situation vermischen sich Skatebiografie und Lehrprofession zu einem ganz eigenen Weg, der – so unsere Interpretation – zum Typ passen muss. Der eine ist in der Schule mehr Lehrer/-in, der andere bleibt Skater/-in, ein wieder anderer vermischt die beiden durchaus gegensätzlichen Professionen zu etwas Neuem. Die Frage danach, ob nur Skater/-innen auch Skateboardunterricht geben können, wäre aus professionstheoretischer Sicht zu verneinen. Eine Szeneaffinität oder -zugehörigkeit wäre nicht vonnöten, wenn man den Beruf des/der Sportlehrers/-in vor Augen hat. Genau wie beim Fußball, Tanzen oder beim Parkour ist professionelles Tun oder starkes Involviertsein nicht erforderlich. Aber auch hier zeigt sich Skateboarding als besonders sperriges Geschehen. Weil die Praxis des Skatens so stark inkorporiert ist, wären Lehrkräfte, die bemüht und unsicher auf dem Board stehen, nur schwer vorstellbar. Es ist ja gerade die Beiläufigkeit, das Unangestrengte, das Lässige, das sich in die Bewegungshandlung einlagert. Es ist fraglich, ob der Gegenstand unabhängig von Szeneaffinität angeboten werden kann. Hier fehlen uns aber Fallbeispiele, um weiter zu diskutieren. Am wenigsten problematisch erscheint uns die Raumsituation, vielleicht, weil sie nur auf das Fahren einwirkt und nicht auf das sozial-hierarchische Miteinander. Skateboardfahren in der Sporthalle ist aus pragmatischen Gründen möglich. Zudem scheint sich der Hallenboden gut für Anfänger zu eignen. Mit dem Rückzug des Skatens in die Halle – ob im Skatepark oder der Schule – geht der Sache allerdings eine wesentliche Dimension verloren, die sich am besten mit den Begriffen Raumaneignung und Behauptung im öffentlichen Raum beschreiben lässt. Hier kann man an Laßleben (2009) anknüpfen, der es empfiehlt, Räume außerhalb der Schule aufzusuchen. Aus sportdidaktischer Sicht wäre das zu empfehlen. Aber welche ›echten‹ Skater/-innen möchten schon 25 Anfänger/ -innen samt Lehrkraft im Stadtraum sehen. So ist es vielleicht das Beste, wenn sich schulisches ebenso wie olympisches Skateboarding als eigener Entwurf etabliert.
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L ITERATUR Bindel, T. (2008). Soziale Regulierung in informellen Sportgruppen. Hamburg: Czwalina. Bindel, T. (2015). Bedeutsamkeit und Bedeutung sportlichen Engagements in der Jugend. Aachen: Meyer & Meyer. Bindel, T. & Balz, E. (2014). Informeller Sport in der Schule. Sportpädagogik 38, 1, 2-6. Bindel, T. & Erdmann, M. (2016). Stottern und außerschulisches Sportengagement in der Jugend – eine exemplarische Ergänzung der Inklusionsdebatte. Zeitschrift für Inklusion, 3. Bindel, T. & Schwarz, R. (2017). Sport-Räume: Entwicklungspotenziale, Problematiken und pädagogische Möglichkeiten. Sportpädagogik, 41, 2, 2-7. Borden, I. (2001). Skateboarding, space and the city: architecture and the body. Oxford, New York: Berg. Ehni, H. (1998). Den Skatern auf der Spur. In Schwier, J. (Hrsg.), Jugend, Sport, Kultur. Zeichen und Codes jugendlicher Sportszenen (S. 109-124). Hamburg: Czwalina. Hauer, J. & Zimlich, M. (2012). Zwischen Szene, Spektakel und Erziehung.: Skateboarden in der Schule. Bewegungserziehung 66, 2, 52-59. Hitzler, R. & Niederbacher, A. (2010). Leben in Szenen: Formen juveniler Vergemeinschaftung heute (3., vollständig überarbeitete Auflage). Wiesbaden: VS Verlag. Klafki, W. (1997). Die bildungstheoretische Didaktik im Rahmen kritischkonstruktiver Erziehungswissenschaft. In Gudjons, H. & Winkel, R. (Hrsg.), Didaktische Theorien, 9. Aufl. (S. 13-34). Hamburg: Bergmann + Helbig Verlag. Lange, H. & Sinning, S. (2012). Neue Sportarten und Bewegungsfelder für den Sportunterricht: innovatives Lehren und Lernen im Lichte der Themenkonstitution. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Lange, A. (2009). Erfolgreiche Spiele für Rollen, Gleiten und Fahren: Fahrrad, Rollbrett, Inliner, Skateboard, Skier, Schlitten und Schlittschuhe (1. Auflage). Wiebelsheim: Limpert. Laßleben, A. (2009). Trendsport im Schulsport: eine fachdidaktische Studie. Hamburg: Czwalina. Lombard, K.-J. (2016). Skateboarding: subcultures, sites and shifts. London/New York: Routledge, Taylor & Francis Group. Mayring, P. (2016). Einführung in die Sozialforschung: eine Anleitung zu qualitativem Denken. (6., überarb. Auflage). Weinheim: Beltz.
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Autorinnen und Autoren
Bindel, Tim, Professor für Sportpädagogik und Sportdidaktik an der JohannesGutenberg-Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte: Sportpädagogische Jugendforschung, Sportethnographie, Sport in sozialer Verantwortung, Intergenerationalität. Bock, Katharina, Dr. phil., Soziologin (Ph.D.), Linguistin und Publizistik-/ Kommunikationswissenschaftlerin (Magistra Artium), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Hildesheim. Forschungsinteressen: Jugend-, Szene und Interaktionsforschung, Wissens- und Mediensoziologie. Borden, Iain, Professor für Architektur und Stadtkultur sowie Vize-Dekan an der Bartlett School of Architecture des University College London (UCL). Forschungsschwerpunkte: Alltägliche Aneignungspraktiken im Stadtraum, Skateboarding im urbanen Raum, Architekturgeschichte, Inszenierung von Städten und Landschaften im Film. Butz, Konstantin, Dr. phil., Amerikanist und Kulturwissenschaftler, künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunsthochschule für Medien Köln. Forschungsschwerpunkte: Pop-, Sub- und Gegenkulturen sowie (un-)populäre Literatur. Cantin-Brault, Antoine, Professor für Philosophie an der Université de Saint Boniface in Winnipeg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Deutsche Philosophie, Griechische Philosophie, Metaphysik, Ethik und Politik, Philosophie der Musik.
222 | S KATEBOARDING ZWISCHEN SUBKULTUR UND O LYMPIA
Kilberth, Veith, Diplom-Sportwissenschaftler, ehemaliger professioneller Skateboarder, Mitinhaber des Planungsbüros für Skateparks Landskate GmbH und geschäftsführender Mitinhaber der fine lines marketing GmbH sowie Doktorand an der Europa-Universität Flensburg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Jugendmarketing, Trendsport, Skateboarding und Skateparks. Peters, Christian, Dr. phil., Diplom-Sportwissenschaftler, Geograph, Lehrer am Werner-Heisenberg-Gymnasium Leverkusen, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Sportgeographie, urbane Bewegungskulturen, Sport und Raum, Urbanität. Pick, Niklas, Master of Education in den Fächer Mathematik und Sportwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal, aktiver Skateboarder. Forschungsschwerpunkt: Skateboarding als Thema des Schulsports. Die pädagogische Betrachtung einer Subkultur. Schäfer, Eckehart Velten, Dr. phil., Historiker und Journalist. Promotion an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit einer Arbeit über die Genealogie eines postmodernen Sportsubjekts am Beispiel des Skateboardfahrens seit 1960. Besondere Interessensgebiete sind die Soziologie des Körpers, des Raumes und die Praktiken jugendkultureller Selbstbildung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schweer, Sebastian, Master der Soziologie sowie der Literaturwissenschaft, Mitglied des PhD-Nets »Das Wissen der Literatur« (HU Berlin) mit einem Promotionsprojekt zu Erinnerungskulturen und Ideologiekritik im Gegenwartsroman, Monographie: Skateboarding zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf (2014). Forschungsschwerpunkte: Politische Theorie, Urban Studies, (Soziologie der) Kritik, Erinnerungs- und Subkulturen, Krisennarrationen sowie Gegenwartsliteratur. Schwier, Jürgen, Professor für Bewegungswissenschaft und Sport sowie Vizepräsident für Studium und Lehre an der Europa Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: bewegungs- und sportbezogene Jugendforschung, Schulsportforschung, Entwicklung des Trendsports, Sport und digitale Medien, Sportkommunikation.
Soziologie Sighard Neckel, Natalia Besedovsky, Moritz Boddenberg, Martina Hasenfratz, Sarah Miriam Pritz, Timo Wiegand
Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit Umrisse eines Forschungsprogramms Januar 2018, 150 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4194-3 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4194-7 EPUB: ISBN 978-3-7328-4194-3
Sabine Hark, Paula-Irene Villa
Unterscheiden und herrschen Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart 2017, 176 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3653-6 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3653-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3653-6
Anna Henkel (Hg.)
10 Minuten Soziologie: Materialität Juni 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4073-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Robert Seyfert, Jonathan Roberge (Hg.)
Algorithmuskulturen Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit 2017, 242 S., kart., Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3800-4 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3800-8 EPUB: ISBN 978-3-7328-3800-4
Andreas Reckwitz
Kreativität und soziale Praxis Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie 2016, 314 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3345-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3345-4
Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de